Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz: Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht, Bankrecht und Organisation bei Krisenvermeidung, Krisenbewältigung und Abwicklung. [5. neu bearbeitete und erweiterte Auflage] 9783504384678

Für die Strategie und Beratung. Hier wird Ihnen das komplexe Zusammenspiel der unterschiedlichsten Rechtsgebiete aufzeig

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German Pages 1309 [1310] Year 2015

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Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz: Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht, Bankrecht und Organisation bei Krisenvermeidung, Krisenbewältigung und Abwicklung. [5. neu bearbeitete und erweiterte Auflage]
 9783504384678

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Karsten Schmidt . Uhlenbruck Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz

.

Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht, Bankrecht und Organisation bei Krisenvermeidung, Krisenbewältigung und Abwicklung herausgegeben von

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt und

Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck bearbeitet von

Prof. Dr. Moritz Brinkmann, LL.M. Professor an der Universität Bonn

Prof. Dr. Georg Crezelius

Dipl.-Kfm. Prof. Dr. Ralf Sinz Rechtsanwalt Fachanwalt für Insolvenzrecht, Köln Honorarprofessor an der RFH Köln

em. Professor, Universität Erlangen, München

Dr. Karen Kuder

Dr. Jürgen D. Spliedt Rechtsanwalt, Berlin

Rechtsanwältin, Frankfurt a.M.

Dr. Wilhelm Moll, LL.M. Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

Dr. Alexandra Schluck-Amend Rechtsanwältin, Stuttgart

Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck Richter am Amtsgericht i.R., Köln Honorarprofessor an der Universität zu Köln

Martin Unverdorben Rechtsanwalt, Berlin

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt

Prof. Dr. Heinz Vallender

em. Professor, Universität Bonn Professor an der Bucerius Law School, Hamburg

Richter am Amtsgericht, Köln Honorarprofessor an der Universität zu Köln

5. neu bearbeitete und erweiterte Auflage 2016

Zitierempfehlung: Verfasser in Karsten Schmidt/Uhlenbruck (Hrsg.), Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rz. ...

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-32210-6 © 2016 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Satz: Schäper, Bonn Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort Das Sanierungs- und Insolvenzrecht befindet sich in dauernder, mehr und mehr stürmischer Entwicklung. Die erste, 1997 erschienene Auflage des vorliegenden Werks hatte noch auf der Maßgeblichkeit der bis 1998 in Kraft befindlichen Insolvenzgesetze basiert (Konkursordnung, Vergleichsordnung und Gesamtvollstreckungsordnung) und die damals neue Insolvenzordnung nur vorausschauend und vergleichend einbezogen. Die zweite Auflage von 1999 und die dritte Auflage von 2003 waren bereits ganz auf die Insolvenzordnung ausgerichtet und hatten das Ziel, die variantenreichen Strategien des neuen Insolvenzrechts unter Berücksichtigung seiner Ausstrahlungswirkungen auf die allgemeine Praxis des Krisenmanagements, der Unternehmenssanierung und der Abwicklung insolventer Unternehmen systematisch und anwendungsorientiert darzustellen. Die im Jahr 2009 erschienene vierte Auflage stand unter dem beherrschenden Eindruck des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG). Die nunmehr vorgelegte fünfte Auflage verarbeitet die größte Reform seit Inkrafttreten der InsO: das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG). Sie stellt sich wiederum als umfassende Neubearbeitung dar. Verarbeitet ist neben den tiefgreifenden Änderungen durch das ESUG eine anwachsende Rechtsprechung und Literatur zum deutschen und europäischen Insolvenzrecht, vor allem aber auch eine reichhaltige Judikatur zum Gesellschafts-, Arbeits- und Kreditsicherungsrecht. Selbstverständlich wurde die Steuergesetzgebung bis hin zur geplanten Erbschaftsteuerreform ebenso einbezogen wie die reiche finanzgerichtliche Praxis. Dies alles machte eine grundlegende – schon einer Neukonzeption nahekommende – Überarbeitung des gesamten Buchs und eine noch intensivere Verzahnung seiner einzelnen Teile erforderlich. Geblieben ist das Ziel dieses Werks: Es soll bei der schwierigen Aufgabe helfen, Strategien und Gestaltungsspielräume der Finanzierung, Krisenvermeidung und Krisenbewältigung im Einklang mit dem immer komplizierter werdenden Recht zu nutzen und Fehlentscheidungen sowie Haftungsrisiken zu vermeiden. Es will Beratern, Geschäftsführern, Gesellschaftern und Gläubigern Kenntnisse vermitteln, die unerlässlich sind, um sich bei der Unternehmensfinanzierung, der Kreditbesicherung und Insolvenzvorsorge auf das neue Recht einzustellen, ggf. aber auch im „Wettbewerb um die beste Verfahrensart“ die optimale Form der Haftungsverwirklichung zu erkennen und durchzusetzen. Für all dies bedarf es einer umfassenden Nutzung auch bank-, arbeits- und steuerrechtlicher Expertise, die durch den ausgesuchten Autorenkreis auf das Beste gewährleistet ist. Die Heranziehung des Werks auch in den Gründen höchstrichterlicher Entscheidungen hat die Herausgeber und Autoren in ihrem Bewusstsein bestärkt, hiermit der Praxis zu dienen. Der Text befindet sich auf dem Stand von Sommer 2015. Bereits berücksichtigt sind die Regierungsentwürfe eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der InsO und dem AnfG sowie eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (BT-Drucks. 18/407). Die neue EuInsVO vom 20.5.2015, die ab dem 26.6.2017 gilt, wurde bereits an Ort und Stelle eingearbeitet. V

Vorwort

Allen am Gelingen des Werkes Beteiligten sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Der Autorenkreis, der schon des öfteren zur Gestaltung der Kölner GmbH-Tage zusammengefunden und auf diesen immer wieder neu konzipierten Tagungen den Austausch mit Fachleuten intensiv gepflegt hat, ist nun um Karen Kuder, Moritz Brinkmann, Ralf Sinz, Jürgen D. Spliedt und Martin Unverdorben erweitert worden. Ausgeschieden sind Karl Heinz Maus und Arne Wittig. Beide haben zum Aufbau des Werkes Enormes geleistet und darin bleibende Spuren hinterlassen. Dafür danken wir ihnen sehr. Frau RAin Andrea Block-Funken hat das Stichwortverzeichnis erstellt. Auch ihr danken wir für die damit verbundenen Mühen. Anregungen aus dem Leserkreis, für die wir stets dankbar sind, erbitten wir an den Verlag ([email protected]). Hamburg und Köln, im September 2015

VI

Karsten Schmidt

Wilhelm Uhlenbruck

Inhaltsübersicht Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

Allgemeines Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XLIX

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

LV

1. Teil:

Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

A. Begriff und Ursachen der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

B. Krisenvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

C. Krisenfrüherkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

D. Bankgeschäfte in der Unternehmenskrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

2. Teil:

Außergerichtliche Unternehmenssanierung

A. Grundlagen, Konzepte, Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153

B. Interne Sanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

162

C. Externe Sanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

284

D. Steuerrechtliche Folgen der Sanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

340

E. Wegweiser nach dem Scheitern einer außergerichtlichen Sanierung

381

3. Teil:

Liquidation

A. Tatbestände und gesellschaftsrechtliche Folgen der Auflösung . . . .

383

B. Arbeitsrecht der Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

393

C. Steuerrecht in der Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

414

4. Teil:

Sanierung und Zerschlagung als alternative Ziele des Insolvenzverfahrens

A. Zwecke und Ziel des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

427

B. Sanierung im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

431

5. Teil:

Das Insolvenzeröffnungsverfahren

A. Insolvenzgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

441 VII

Inhaltsübersicht Seite

B. Der Insolvenzantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

492

C. Verfahrensrechte und Verfahrenspflichten des Geschäftsführers . . .

519

D. Bankgeschäfte im Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . .

541

E. Vorfinanzierung von Insolvenzgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

570

F. Der vorläufige Gläubigerausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

579

G. Vorläufige Insolvenzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

595

H. Betriebsbezogene Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

625

6. Teil:

Abweisung mangels Masse

A. Insolvenzrechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

643

B. Gesellschaftsrechtliche und haftungsrechtliche Rechtsfolgen . . . . .

649

7. Teil:

Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

A. Rechtsfolgen der Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

659

B. Die Rechtsstellung des Geschäftsführers im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

720

C. Arbeitsrecht im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . .

759

D. Bankgeschäfte im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . .

806

E. Steuerrechtliche Folgen im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . . .

847

F. Die GmbH & Co. KG im gerichtlichen Insolvenzverfahren . . . . . . .

859

G. Beendigung des Verfahrens und gesellschaftsrechtliche Rechtsfolgen

867

8. Teil Das Insolvenzplanverfahren A. Der Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

887

B. Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

901

C. Rechtswirkungen des bestätigten Plans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

933

D. Besonderheiten bei der GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

957

9. Teil:

Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

A. Insolvenz- und haftungsrechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . .

959

B. Kreditgeschäft bei Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren . . .

1041

VIII

Inhaltsübersicht

10. Teil:

Restschuldbefreiung für Geschäftsführer, Gesellschafter und andere Mithaftende der GmbH

Seite

A. Mithaftung natürlicher Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1049

B. Restschuldbefreiungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1051

11. Teil:

Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken bei Verfahrensverschleppung und Insolvenzverursachung

A. Haftung wegen Verfahrensverschleppung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1089

B. Strafbare Insolvenzverschleppung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1127

C. Haftungsrisiken für Kreditinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1142

D. Insolvenzverursachungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1148

12. Teil:

Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1157

B. Gesetzliche Grundlagen zur Koordinierung von internationalen Insolvenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1158

C. Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH in Deutschland mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1166

D. Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union

1190

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1207

IX

Inhaltsverzeichnis Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Allgemeines Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XLIX

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

LV

1. Teil Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung Seite

A. Begriff und Ursachen der Krise I. Begriffsbildung (Sinz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1. Betriebswirtschaftlicher Begriff der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtlicher Begriff der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 3

II. Krisenursachen (Sinz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6

1. 2. 3. 4.

.. .. .. ..

6 6 8 8

I. Kapitalausstattungsgebot und Kapitalsicherung (Karsten Schmidt)

9

1. Zum Verständnis des Kapitalschutzsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein allgemeines Unterkapitalisierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur Finanzierungsverantwortung von Gesellschaftern und Geschäftsführern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der formelle Kapitalschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 9 11 12

II. Das Ausschüttungsverbot des § 30 GmbHG (Karsten Schmidt) . .

13

1. 2. 3. 4. 5. 6.

13 16 19 22 23 25

Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensexterne und -interne Krisenursachen . Krisensymptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typische Krisenszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . .

.. .. .. ..

.. .. .. ..

. . . .

B. Krisenvorsorge

Der Verbotstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückzahlungspflicht des Empfängers . . . . . . . . . . Haftung von Nicht- und von Mitgesellschaftern . Abtretung, (Ver-)Pfändung, Verjährung . . . . . . . . . Geschäftsführerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

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. . . . . .

.. .. .. .. .. ..

XI

Inhaltsverzeichnis Seite

III. Liquiditätsschutz (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kreditgewährung oder Kreditbesicherung zu Lasten des Gesellschaftsvermögens: § 30 GmbHG als Liquiditätsschutz der Gesellschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Überwundene Haftungsrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kredite an Gesellschafter nach geltendem Recht . . . . . . . . . . . . . . 4. Kredite an Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Konzerninterne Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Cash Pool-Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Verbot solvenzbedrohender Auszahlungen und Kreditbesicherungen? 8. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26 28 30 31 32 34 36 37

IV. 1. 2. 3.

.. .. .. ..

38 38 40 49

....... ....... ....... ....... .......

49 49 50 52 53

.. .. .. .. .. .. ..

.. .. .. .. .. .. ..

54 55 56 56 56 57 59

VII. Krisenmanagement (Schluck-Amend) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schwachstellenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Krisenmanagement im operativen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Veränderungen in der Geschäftsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verbesserung der Informationsstruktur zur Ermöglichung der Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . cc) Kontrollmaßnahmen und Signale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Krisenmanagement im rechtlichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . .

60 60 61 61 61

V. 1. 2. 3. 4.

Liquiditätsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtliche Vorgaben (Sinz) . . . . . . . . . . . . . Betriebswirtschaftliche Umsetzung (Sinz) . Rechtspflichten (Schluck-Amend) . . . . . . .

.. .. .. ..

. . . .

.. .. .. ..

. . . .

.. .. .. ..

.. .. .. ..

. . . .

Krisenabwehr durch laufende Kontrolle (Schluck-Amend) Bilanzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebliche Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse der Unternehmensumwelt . . . . . . . . . . . . . . . . .

VI. Krisenvermeidende Organisation (Schluck-Amend) . . . . 1. Krisenaverse Organisationsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . 2. Organisation der Unternehmenskontrolle . . . . . . . . . . . a) Statutarische Berichtspflichten der Geschäftsführung b) Externe Unternehmenskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . c) Interne Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Errichtung eines Aufsichtsorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

.. .. .. ..

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. . . .

. . . . . . .

26

63 64 64

C. Krisenfrüherkennung I. Selbstprüfung und Früherkennung durch die Geschäftsführer (Sinz) 1. Selbstprüfungspflicht der Gesellschaftsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . XII

66 66

Inhaltsverzeichnis Seite

2. Pflichtenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Früherkennungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67 68

II. Früherkennung durch die Gesellschaftsgläubiger (Sinz) . . . . . . . . .

72

1. Vertragsgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozialversicherungsträger/Finanzbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72 77

III. Früherkennung durch Kreditinstitute (Kuder/Unverdorben) . . . . .

79

1. Klassische Krisenanzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung und Möglichkeiten der Krisenfrüherkennung für Kreditinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontoführung und Kreditgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kreditwürdigkeitsprüfung und Bilanzanalyse . . . . . . . . . . . . . . d) Kundenbesuche/Sicherheitenprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Geschäftsbeziehungen des Kreditnehmers zu Dritten . . . . . . . . f) Begrenzte Erkenntnismöglichkeiten auf Grund der Krisenanzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Financial Covenants als Krisenindikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt typischer Financial Covenants . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eigenkapitalausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Liquidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Folgen der Nicht-Einhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bewertung von Financial Covenants als Krisenindikatoren . . . .

79

84 84 84 86 86 87 88 88 89 89

IV. Insolvenzprognoseverfahren (Sinz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

V. Warnpflichten und Haftung von Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, Rechtsanwälten? (Spliedt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Hinweispflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kausalität, Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

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. . . . . .

.. .. .. .. .. ..

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. . . . . .

.. .. .. .. .. ..

.. .. .. .. .. ..

. . . . . .

79 80 81 82 83

.. .. .. .. .. ..

93 98 101 102 104 105

I. Grundlagen (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

1. Die maßgeblichen Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zahlungsverkehr in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107 107

D. Bankgeschäfte in der Unternehmenskrise

XIII

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II. Zahlungseingänge (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berechtigung und Verpflichtung zur Gutschrift des Zahlungseingangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unanfechtbare Verrechnung von Zahlungseingängen . . . . . . . . . . . a) Sicherungsabtretung der Zahlungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . b) Bargeschäft bei Zahlungsein- und -ausgängen . . . . . . . . . . . . . . c) Cash-Pool . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anfechtbare Verrechnung von Zahlungseingängen . . . . . . . . . . . . . a) Eingänge bis zu 10 Jahren vor Insolvenzantrag . . . . . . . . . . . . . b) Eingänge in den letzten drei Monaten vor Insolvenzantrag . . . . 4. Eingänge in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. 1. 2. 3. 4.

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Zahlungsausgänge (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundstrukturen am Beispiel der Überweisung . . . . . . . . . . . . . . . Ausführung vor Zahlungsunfähigkeit und Insolvenzantrag . . . . . . Ausführung in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten im Lastschriftverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kreditbesicherung in der Krise (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . Besicherung neu gewährter Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anspruch auf Nachbesicherung bestehender Kredite . . . . . . . . . . . Bestellung von Drittsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Upstream-Sicherheiten und Limitation Language . . . . . . . . . . . aa) Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften . . . . . . . . bb) Verstoß gegen die Liquiditätserhaltungsvorschriften . . . . . cc) Limitation-Language . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anfechtbarkeit nachträglicher Besicherung aus dem Vermögen der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anfechtung der Sicherheitenbestellung für Gesellschafterdarlehen nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schenkungsanfechtung nach § 134 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anfechtung der Sicherheitenbestellung für nahestehende Personen nach § 133 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Allgemeine Insolvenzanfechtung nach §§ 130, 131 InsO . . . . . aa) Kongruente und inkongruente Besicherung . . . . . . . . . . . . . bb) Anfechtbarkeit inkongruenter Besicherung nach § 131 InsO cc) Anfechtbarkeit kongruenter Besicherung . . . . . . . . . . . . . . 5. Sittenwidrigkeit der Besicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Knebelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gläubigergefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Kreditkündigung (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ordentliches Kündigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Außerordentliches Kündigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. 1. 2. 3.

XIV

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3. Einschränkung des Kündigungsrechts mit Rücksicht auf die Schuldnerinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einschränkung des Kündigungsrechts wegen ausreichender Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einschränkung des Kündigungsrechts bei Sanierungskrediten . . . . 6. Rechtsfolgen unzulässiger Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Teil Außergerichtliche Unternehmenssanierung A. Grundlagen, Konzepte, Strategien I. Chancen und Grenzen einer außergerichtlichen (freien) Sanierung (Uhlenbruck) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Chancen einer außergerichtlichen (freien) Sanierung . . . . . . . . . . . 2. Grenzen und Risiken einer außergerichtlichen (freien) Sanierung . a) Sanierungsbemühungen und Insolvenzantragspflicht . . . . . . . . b) Akkordstörer und Sondervorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schwierigkeiten bei übertragender Sanierung . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen einer gescheiterten freien Sanierung . . . . . . . . . . . . .

153 153 155 155 156 157 157

II. 1. 2. 3. 4.

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I. Eigenkapitalmaßnahmen (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitalerhöhung und Kapitalschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ordentliche Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vereinfachte Kapitalherabsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Besonderheiten bei der GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Risiken der Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Typische Szenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Veränderte Risiken bei Hin- und Herzahlen sowie bei verdeckter Sacheinlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtslage bis 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die GmbH-Reform 2008 (MoMiG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anteilserwerb und Forderungsumwandlung in Beteiligung (Debt Equity Swap) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sofortmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Interne und externe Sanierung (Karsten Schmidt) Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . System der internen Sanierungsmaßnahmen . . . . Typologie leistungswirtschaftlicher Maßnahmen .

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B. Interne Sanierung

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II. Atypische Risikokapitalerhöhung (Schluck-Amend) . . . . . . . . . . . 1. Private Equity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mezzanine-Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kreditfinanzierung und Nutzungsüberlassung durch Gesellschafter (Brinkmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Recht der Gesellschafterfinanzierung nach dem MoMiG im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Reform des Rechts der Gesellschafterfinanzierung durch das MoMiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die gemeinsame Legitimationsgrundlage der Regeln über Finanzierungsmaßnahmen der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . 2. Der gegenständliche Anwendungsbereich der Regeln über Finanzierungsmaßnahmen der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . a) Darlehensgewährung seitens eines Gesellschafters . . . . . . . . . . aa) Erfasste Gesellschaften und Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . bb) Darlehen von Dritten, Abtretungen und Treuhandabreden b) Ausnahmen vom Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kleinbeteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Begründung der Gesellschafterstellung i.R. eines Sanierungsversuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Finanzplankredite und Darlehenszusagen . . . . . . . . . . . . . . dd) Darlehen von Unternehmensbeteiligungsgesellschaften . . . c) Gesellschafterdarlehen entsprechende Rechtshandlungen . . . . aa) Darlehensäquivalente Rechtshandlungen . . . . . . . . . . . . . . bb) Ansprüche des Gesellschafters aus Lieferungen und Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ansprüche des Gesellschafters auf Nutzungsentgelt . . . . . . dd) Gesellschaftersicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Regelungen für Gesellschafterdarlehen im Einzelnen . . . . . . . a) Die Bilanzierung von Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . . . . . . b) Gesellschafterdarlehen als nachrangige Insolvenzforderungen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Anfechtung von Befriedigungen nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 AnfG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Tatbestand des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO . . . . . . . . . . . . bb) Gläubigerbenachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unanwendbarkeit des Bargeschäftsprivilegs . . . . . . . . . . . . d) Die Anfechtung von Sicherungen für Gesellschafterdarlehen nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 AnfG) . . . . . . . . aa) Der Tatbestand des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO . . . . . . . . . . . . bb) Unanwendbarkeit des Bargeschäftsprivilegs . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsfolge der Anfechtbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Behandlung unanfechtbarer Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . 4. Kontokorrentkredite, Cash Pooling, revolvierende Kredite . . . . . . a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI

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b) Verbundene Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Cash Pooling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gesellschafterbesicherte Drittdarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Anfechtung der Tilgung des Drittdarlehens, § 135 Abs. 2 i.V.m. § 143 Abs. 3 InsO (§ 6a i.V.m. § 11 Abs. 3 AnfG) . . . . . . b) Die Situation des Darlehensgebers in der Insolvenz der Gesellschaft (§ 44a InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Analoge Anwendung des § 143 Abs. 3 InsO auf Doppelsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wahlrecht des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorgehen des Gläubigers aus Gesellschaftssicherheit . . . . . cc) Konsequenzen in der Doppelinsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gebrauchsüberlassungen durch Gesellschafter (§ 135 Abs. 3 InsO) a) Voraussetzungen der Aussonderungssperre . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nutzung für die Masse oder Rückgabe . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Ausgleichsanspruch des Gesellschafters bei Nutzung durch den Verwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vorrang von Absonderungsrechten Dritter . . . . . . . . . . . . . IV. Eingriffe in Organisation und Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auswechselung und Abfindung von Geschäftsführern in der Unternehmenskrise (Uhlenbruck) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abberufung, Kündigung und Auswechselung . . . . . . . . . . . . . . b) Kündigung und Abberufung mit oder ohne wichtigen Grund . . c) Wichtige Gründe für eine Abberufung in der Unternehmenskrise d) Die Abberufung von Geschäftsführern mit Sonderrechten . . . . e) Formalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Prozessfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Amtsniederlegung in der Unternehmenskrise . . . . . . . . . . . . . . h) Suspendierung (Freistellung) von Geschäftsführern . . . . . . . . . . i) Die Rechtsstellung des Sanierungs-Geschäftsführers . . . . . . . . j) Abfindungsvereinbarungen und Anfechtungsrisiko . . . . . . . . . . 2. Übertragende Sanierung (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Chancen und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mitwirkung der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Management Buy-out (Schluck-Amend) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung als Sanierungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Finanzierungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Problem der Hinauskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aufnahme neuer Gesellschafter (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . a) Kapitalmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stille Beteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Genussrechtsausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Restrukturierung, insbesondere Umwandlung/Verschmelzung/ Sanierungsfusion (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

209 210 212 213 214 214 214 215 215 215 216 217 217 218 220 220 220 220 223 224 225 226 228 230 231 231 232 234 234 236 237 237 238 238 239 239 239 241 242 242 XVII

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a) Rechtliche und betriebswirtschaftliche Fragen . . . . . b) Rechtstechnische Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sanierung von Konzernunternehmen (Karsten Schmidt) a) Sanierung von Tochtergesellschaften . . . . . . . . . . . . . b) Sanierung der Muttergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Arbeitsrechtliche Aspekte der Sanierung: Personalabbau . . . . . . . .

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1. Ausgangspunkt und Regelungskomplexe (Moll) . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betriebsbedingte Kündigung (Moll) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dringende betriebliche Erfordernisse (§ 1 Abs. 2 KSchG) . . . . . b) Ultima-Ratio-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einzubeziehende Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Soziale Schutzbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Betriebliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Gesamtwürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Rechtsfolge einer fehlerhaften Sozialauswahl . . . . . . . . . . . ff) Besonderheiten der sozialen Auswahl bei der Änderungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Auswahlrichtlinien (§ 1 Abs. 4 KSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Namensliste (§ 1 Abs. 5 KSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eingriffe in die Vergütung und Ruhegehaltsansprüche von Geschäftsführern (Uhlenbruck) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Herabsetzung der Geschäftsführervergütung . . . . . . . . . . . . . . . b) Kürzung oder Widerruf von Ruhegehaltsansprüchen . . . . . . . . . c) Wegfall der „wirtschaftlichen Notlage“ als Sicherungsfall . . . . d) Außergerichtlicher Vergleich als Sicherungsfall . . . . . . . . . . . . e) Die Rolle des PSVaG im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

247 248 248 254 259 260 260 263 265 271 271 272 272 275 275 276 278 279 280 282

C. Externe Sanierung I. Sanierungsbeiträge der Gesellschaftsgläubiger (Karsten Schmidt) .

284

1. 2. 3. 4. 5.

Gläubigerhilfen als externe Sanierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . Forderungsstundung (Moratorium) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forderungsverzicht und Besserungsschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rangrücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konsequenzen für Vertragsgestaltung und Liquiditätsmanagement

284 284 286 288 295

II. Debt Equity Swap im Besonderen (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . .

296

1. 2. 3. 4. 5.

296 297 300 300 302

XVIII

Der Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . Die Vollwertigkeitsfrage . . . . . . . . . . . . . Bewertungen und strategische Optionen . Besonderheiten bei der GmbH & Co. KG

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III. Die Rolle der Kreditinstitute (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . 1. Stillhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fallgestaltungen des Stillhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verzicht auf die Ausübung eines Kündigungsrechts . . . . . . bb) Nicht ernsthaftes Einfordern einer fälligen Forderung . . . . cc) Prolongation von Krediten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stillhaltevereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stundung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewährung zusätzlicher Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konzept des Sanierungsbeitrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Insolvenzverschleppung durch das Kreditinstitut? . . . . . . . . . . . aa) Abgrenzung zwischen Sanierungskredit und Insolvenzverschleppung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anforderungen an eine Sanierungsprüfung . . . . . . . . . . . . . c) Überbrückungskredit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Insolvenzverschleppung durch Bankkredite . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kündigung des Sanierungskredits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Distressed Debt – Verkauf von Kreditforderungen . . . . . . . . . . . . . a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Motive und Strategien der Investoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Transaktionsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wirksamkeit der Abtretung trotz Bankgeheimnis und Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verletzung des Bankgeheimnisses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Darlehensforderungen gegen insolvente Kreditnehmer . . . . bb) Darlehensforderungen nach Kündigung oder bei Nichtzahlung trotz Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Darlehensforderungen bei Kündbarkeit wegen Zahlungsverzug oder wesentlicher Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sonstige Darlehensforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Poolen von Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konzept des Sanierungsbeitrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt des Sicherheitenpoolvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bestandskraft des Sicherheitenpoolvertrags bei Insolvenz des Kreditnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. 1. 2. 3. 4.

Finanzierungshilfen der öffentlichen Hand (Beihilfen) (Vallender) . Subventionen und Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formen der Beihilfe zur Unternehmensfinanzierung . . . . . . . . . . . Beihilfen im europarechtlichen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sanierungskredit und staatliche Beihilfe in Form von Bürgschaften und Garantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rückforderung zu Unrecht gewährter staatlicher Zuwendungen . . a) Rückforderung fehlgeschlagener Subventionen durch nationale Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

303 303 303 304 304 304 305 306 306 308 308 309 309 310 311 312 312 313 313 314 315 316 318 319 319 320 321 321 321 322 324 326 327 328 330 333 335 335 XIX

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b) Rückforderung zu Unrecht gewährter staatlicher Beihilfen . . . . aa) Rückforderung bei Übertragung von Sachgesamtheiten auf eine Nachfolgegesellschaft im Wege der übertragenden Sanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendbarkeit der §§ 129 ff. InsO im Falle der Rückforderung wettbewerbsverzerrender Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . .

335 338 339

D. Steuerrechtliche Folgen der Sanierung I. Steuersystematische Grundlagen (Crezelius) . . . . . . . . . . . . . . . . .

340

II. Gesetzliche Sanierungshindernisse: Besteuerung von Sanierungsgewinnen und Zinsschranke (Crezelius) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sanierungsgewinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zinsschranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

344 344 346

III. Kapitalerhöhung und Kapitalherabsetzung (Crezelius) 1. Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verwendung von Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . c) ESUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalherabsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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347 347 347 349 352 353

IV. Sog. Mantelkauf/§ 8c KStG (Crezelius) . . . . . . 1. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 8c KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erwerb der Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Anteilseignerwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Unmittelbare und mittelbare Übertragungen g) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Darlehen von Gesellschaftern, insbesondere Rangrücktritt und Forderungsverzicht (Crezelius) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rangrücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forderungsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Umwandlungen (Crezelius) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. UmwStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verschmelzung GmbH auf GmbH . . . . . . . . . . . b) Verschmelzung GmbH auf Personengesellschaft

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b) Besserungsabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Forderungsverzicht bei GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verzicht auf Pensionsanwartschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

373 376 379

E. Wegweiser nach dem Scheitern einer außergerichtlichen Sanierung I. Optionen (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anhaltende Selbstprüfungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sanierung im Insolvenzverfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

381 381 381

II. Zerschlagungsstrategien (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zerschlagung durch Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zerschlagung durch Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

382 382 382

3. Teil Liquidation A. Tatbestände und gesellschaftsrechtliche Folgen der Auflösung I. Auflösungstatbestände und Typen der Liquidation (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die gesellschaftsrechtlichen Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der insolvenzrechtliche Tatbestand der Masselosigkeit . . . . . . . . .

383 383 385

II. 1. 2. 3. 4. 5.

Gesellschaftsrechtliche Folgen der Auflösung (Karsten Schmidt) . Allgemeine Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitalbindung in der Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschaftsorgane in der Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebs- und Teilbetriebsveräußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

385 385 387 387 388 389

III. Besonderheiten der GmbH & Co. KG (Karsten Schmidt) . . . . . . . . 1. Auflösungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

391 391 391

B. Arbeitsrecht der Liquidation I. 1. 2. 3.

Abgrenzung: Stilllegung oder Veräußerung (Moll) Betriebsveräußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebsstilllegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verlegungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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393 393 398 399 XXI

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II. Betriebsstilllegung: Betriebsverfassungsrecht (Moll) . . . . . . . . . . . .

400

1. 2. 3. 4. 5.

Unterrichtung des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sozialplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis zwischen Interessenausgleich und Sozialplan . . . . . . . . Konsultation im Massenentlassungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . .

400 400 404 407 408

III. Betriebsveräußerung (Moll) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

408

1. Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitsverhältnis nach Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fortsetzungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

408 410 411

C. Steuerrecht in der Liquidation I. Liquidationsbesteuerung der GmbH (Crezelius) . . . . . . . . . . . . . . .

414

II. Steuerrechtliche Konsequenzen für den Anteilseigner (Crezelius) .

417

1. Ertragsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . 2. Erbschaft- und Schenkungsteuer . a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wegfall der Begünstigungen . .

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417 419 419 421

III. Liquidationsbesteuerung der GmbH & Co. KG (Crezelius) . . . . . .

422

1. 2. 3. 4.

Steuersystematische Grundlagen Betriebsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . .

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4. Teil Sanierung und Zerschlagung als alternative Ziele des Insolvenzverfahrens A. Zwecke und Ziel des Insolvenzverfahrens I. Liquidations- und Sanierungszweck (Karsten Schmidt) . . . . . . . . .

427

1. Gesetzliche Zwecke des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis zum gesellschaftsrechtlichen Liquidationsverfahren . .

427 427

II. Insolvenzstrategien (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

429

1. Gläubigerantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schuldnerantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

429 429

XXII

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B. Sanierung im Insolvenzverfahren I. Chancen gerichtlicher Sanierungsverfahren (Uhlenbruck) . . . . . . .

431

1. Das Insolvenzrecht als „Kultur der zweiten Chance“ . . . . . . . . . . 2. Frühzeitige Sanierungsvorbereitung nach dem ESUG . . . . . . . . . . . 3. Vorteile einer gerichtlichen Unternehmenssanierung . . . . . . . . . .

431 431 431

II. Sanierungstechniken (Uhlenbruck) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

433

1. 2. 3. 4.

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433 434 435 435 435 436 436 437 437

III. Risiken und Nachteile der gerichtlichen Sanierung (Uhlenbruck) .

438

1. Risiken durch Gläubigerorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eingriffe in gesellschaftsrechtliche Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sanieren oder Ausscheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

438 439 439

Wettbewerb um die beste Verwertungsart . . . . . . . . . Wege einer gerichtlichen Unternehmenssanierung . . Vermeidung einer kreditschädlichen Publizität . . . . . Beschaffung notwendiger Liquidität . . . . . . . . . . . . . . a) Massekredite im Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . b) Privilegierte Kredite im Insolvenzplan . . . . . . . . . . c) Vorfinanzierung von Insolvenzgeld . . . . . . . . . . . . 5. Vorteile des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung . 6. Das Schutzschirmverfahren als Sanierungsoption . . .

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5. Teil Das Insolvenzeröffnungsverfahren A. Insolvenzgründe I. Die rechtliche und wirtschaftliche Relevanz der Insolvenztatbestände (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

441

1. Gesetzeslage: verfahrensrechtliche Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der „Trigger Effect“ der Eröffnungstatbestände: die unternehmensrechtliche Sicht der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Im Zentrum: Liquidität und Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

441

II. Zahlungsunfähigkeit (Brinkmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

444

1. Die Bedeutung der Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . 2. Der Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . a) Die zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten . . aa) Auf Zahlung von Geld gerichtete Forderung bb) Fälligkeit der Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Berücksichtigung streitiger Forderungen . . . dd) Berücksichtigung nachrangiger Forderungen b) Die zu berücksichtigenden Aktiva . . . . . . . . . . .

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3. Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit mittels mehrerer Liquiditätsbilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Zahlungseinstellung als Indiz für die Zahlungsunfähigkeit aa) Die Bedeutung der Zahlungseinstellung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Tatbestand der Zahlungseinstellung . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Abgrenzung zur Zahlungsunwilligkeit . . . . . . . . . . . . . 4. Handlungsoptionen der Geschäftsführung bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

456

III. Drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) (Brinkmann) . . . . . . .

457

1. Drohende Zahlungsunfähigkeit als Grund für einen fakultativen Eigenantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bedeutung der drohenden Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . a) Unattraktivität der Einleitung eines Insolvenzverfahrens aus Sicht der Gesellschafter und Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . b) Drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung . . . . . . . . . 3. Der Tatbestand des § 18 InsO und seine Feststellung . . . . . . . . . . a) Die zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . b) Künftige Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Prognosezeitraum und Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesellschaftsrechtliche Bedeutung der drohenden Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Chancen und Risiken eines Eigenantrags wegen drohender Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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457 457 457 459 460 460 461 462 463 464

IV. Überschuldung (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

464

1. Rechtspolitische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der „Überschuldungsbegriff“ und § 19 Abs. 2 InsO: Kontinuität oder Rechtsänderung in der Methode der Überschuldungsprüfung? 3. Geltender Rechtszustand und rechtspolitische Beurteilung . . . . . . 4. Praxisfolgen für die Selbstprüfung der Geschäftsführer . . . . . . . . . 5. Feststellung der Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unterschiedliche Prüfungsanlässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einstufige, zweistufige oder dreistufige Prüfung? . . . . . . . . cc) IDW-Standard IDW S 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aaa) Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bbb) Zum Überschuldungsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ccc) Zur Fortbestehensprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Überschuldungsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Aktivseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Passivseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ausgleich der Passivseite durch kompensierende Abreden . dd) Die Fortbestehensprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Der Insolvenzantrag I. 1. 2. 3. 4.

Zuständigkeit und Form (Vallender) Sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . Funktionelle Zuständigkeit . . . . . . . Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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492 492 494 494 497

Antragsberechtigte (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigenantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gläubigerantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Insolvenzantrag als Gläubigerkalkül . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die ordnungsgemäße Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Insolvenzantrag gegen eine GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . d) Forderung gegen die Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Glaubhaftmachung von Forderung und Insolvenzgrund . . . . . . f) Das erforderliche Rechtsschutzinteresse für den Antrag . . . . . . g) Haftung wegen fahrlässigen Insolvenzantrags . . . . . . . . . . . . . . h) Das Zulassungsverfahren als quasi-streitiges Parteiverfahren . . 4. Antragsrücknahme und Erledigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . .

497 497 498 501 501 502 504 504 506 507 509 509 509

III. Die geschäftsführerlose GmbH (Schluck-Amend) . . . . . . . . . . . . . 1. Insolvenzantragsrecht und Antragspflicht bei der führungslosen GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinfachte Zustellung an führungslose Gesellschaften . . . . . . . .

511 512 512

IV. Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen (Vallender) . .

514

II. 1. 2. 3.

C. Verfahrensrechte und Verfahrenspflichten des Geschäftsführers I. Verfahrensrechte des Geschäftsführers (Vallender) . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschwerderechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulassung des Insolvenzantrags durch das Insolvenzgericht b) Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verfahrensabschließende Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . e) Beschwerdeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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519 519 520 521 521 522 523 524

II. Pflichten des Geschäftsführers vor Zulassung des Insolvenzantrags (Brinkmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Pflichten gegenüber der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gläubigerantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

525 525 526 XXV

Inhaltsverzeichnis Seite

b) Eigenantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Im Alleingang“ durch einen anderen Geschäftsführer gestellter Insolvenzantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einvernehmlicher Eigenantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mitwirkungslasten gegenüber dem Insolvenzgericht . . . . . . . .

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526

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526 527 527

III. Pflichten des Geschäftsführers nach Zulassung des Insolvenzantrags (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

528

1. Einköpfige und mehrköpfige Geschäftsführung . . . . . . . . . . 2. Pflicht zur Beachtung gerichtlicher Sicherungsmaßnahmen 3. Auskunftspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gegenüber dem Insolvenzgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter . . . . . . . 4. Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bereitschafts- und Unterlassungspflichten . . . . . . . . . . . . . .

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528 528 530 531 533 534 537

IV. Verfahrensrechte und Pflichten des faktischen Geschäftsführers (Schluck-Amend) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

538

D. Bankgeschäfte im Insolvenzeröffnungsverfahren I. Zahlungsverkehr (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

541

1. Zahlungseingänge nach Insolvenzantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausführung von Zahlungsaufträgen nach Zahlungsunfähigkeit und Insolvenzantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausführung ohne Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Insolvenzantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausführung in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Insolvenzantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausführung aus Guthaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausführung aus einer offenen Kreditlinie . . . . . . . . . . . . . . cc) Debitorisches Konto ohne zugesagte Kreditlinie . . . . . . . . . 3. Ausführung von Zahlungsaufträgen nach der Anordnung vorläufiger Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zahlungsauftrag der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zahlungsauftrag des vorläufigen Verwalters . . . . . . . . . . . . . . .

541

544 544 546

II. Besonderheiten im Lastschriftverkehr (Kuder/Unverdorben) . . . . .

546

1. Überblick über die Lastschriftverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Lastschriftverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Lastschriftmandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geltendmachung des Erstattungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einlösung und Einzug von Lastschriften nach Anordnung von Verfügungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

546 546 547 548

XXVI

542 542 542 542 543 543

550

Inhaltsverzeichnis Seite

a) Einlösung nach Anordnung von Verfügungsbeschränkungen . . b) Einzug nach Anordnung von Verfügungsbeschränkungen . . . . .

550 551

III. Kreditgeschäft (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

551

1. Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots . . . . . . . . . . . . . a) Bestehende Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Neue Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestellung eines vorläufigen Verwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestehende Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Neue Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . bb) Vorläufiger Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Starker vorläufiger Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Wirtschaftlicher Nutzen der Privilegierung als Massekredit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . ff) Besicherung neuer Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

552 552 555 556 556 557 557

IV. Verwertung von Kreditsicherheiten (Kuder/Unverdorben) . . . . . . .

562

1. Verwertung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . a) Befugnis zur Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kostenbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgen unzulässiger Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwertung durch den gesicherten Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . .

563 563 566 567 568

558 559 559 560 561

E. Vorfinanzierung von Insolvenzgeld I. Grundstrukturen der Insolvenzgeldvorfinanzierung (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

570

II. Der Anspruch auf Insolvenzgeld (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . .

571

III. Zum Rang der auf die Bundesagentur für Arbeit übergehenden Lohn- und Gehaltsansprüche (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . .

573

IV. Die Rahmenbedingungen für die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erwerb des Anspruchs auf Insolvenzgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prüfung durch die Agentur für Arbeit zur Vermeidung von Rechtsmissbräuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Risiken der Insolvenzgeldvorfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

574 574 575 577 XXVII

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F. Der vorläufige Gläubigerausschuss I. Einleitung (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

579

II. Die Mehrfachstruktur der Gläubigerausschüsse (Vallender) . . . . .

579

1. Der Pflichtausschuss nach § 22a Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der fakultative Ausschuss (§§ 21 Abs. 1 Nr. 1a, 22a Abs. 2 InsO) . a) Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses auf Antrag . aa) Antragsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zulässigkeit des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gebundenes richterliches Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses nach pflichtgemäßem Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einsetzungssperre (§ 22a Abs. 3 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eingestellter Geschäftsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unverhältnismäßigkeit der Einsetzung im Hinblick auf die zu erwartende Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nachteilige Veränderung der Vermögenslage (§ 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

579 582 582 582 583 584

III. Rechtsmittel (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

589

IV. Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Insolvenzeröffnungsverfahren (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

589

V. Mitgliedschaft (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

591

VI. Amtsdauer (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

591

VII. Aufgaben und Befugnisse des vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

592

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G. Vorläufige Insolvenzverwaltung I. Zweck, Erscheinungsformen (Spliedt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

595

II. Anordnung (Spliedt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

597

1. Beschluss von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

597 597 598

III. Anordnungsvarianten (Spliedt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

599

1. „Schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsfolgen eines Zustimmungsvorbehalts . . . . . . . . . . . . . . .

599 599

XXVIII

Inhaltsverzeichnis Seite

b) Mitwirkungspflichten der Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufgaben des „schwachen“ Verwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beendigung der vorläufigen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Befugnisse der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Starke“ vorläufige Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Befugnisse des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Befugnisse des Verwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einschränkung der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mischformen der vorläufigen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einzugsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschränkung von Drittrechten gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO . c) Begründung von Masseverbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . .

604 604 607 608 610 610 611 612 613 613 615 620

IV. Arbeitsrechtliche Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters (Moll) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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H. Betriebsbezogene Maßnahmen I. Betriebsfortführung/-stilllegung im Eröffnungsverfahren (Schluck-Amend) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Betriebsfortführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Pflicht zur Betriebsfortführung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schaffung von Anlaufliquidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Deckung der Personalkosten durch Vorfinanzierung von Insolvenzgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Betriebsstilllegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

625

..... ..... .....

625 625 626

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627 628

II. Betriebsveräußerung im Eröffnungsverfahren (Schluck-Amend) . .

631

1. Betriebsveräußerung durch den sog. „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betriebsveräußerung bei Anordnung einer sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftungsrechtliche Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftung des Erwerbers bei Firmenfortführung . . . . . . . . . . . . . . c) Zur steuerlichen Haftung des Käufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Haftung des Erwerbers gemäß § 613a BGB . . . . . . . . . . . . . . . .

633 635 636 637 639 640 641

XXIX

Inhaltsverzeichnis

6. Teil Abweisung mangels Masse

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A. Insolvenzrechtliche Regelungen I. Gerichtliche Entscheidung nach § 26 InsO (Brinkmann) . . . . . . . . 1. Die kostendeckende Masse als Eröffnungsvoraussetzung . . . . . . . . 2. Die Prüfung der Kostendeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussichtliche Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussichtliche Kosten des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Prüfungsmaßstab des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Abwendung der Nichteröffnung durch Einzahlung eines Kostenvorschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Freiwillige Vorschusszahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorschusspflicht nach § 26 Abs. 4 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erstattungs- und Rückgriffsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Abweisungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Verfahrensrechtliche Folgen (Brinkmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Gesellschaftsrechtliche und haftungsrechtliche Rechtsfolgen I. Masselose Liquidation: Gesellschaftsrecht versus Insolvenzrecht? (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Liquidation nach Insolvenzrechtsgrundsätzen? . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen bei der GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Insolvenzverschleppungshaftung bei Masselosigkeit . . . . . . . . . . . II. Abhilfemöglichkeiten? (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ersatz des Massekostenvorschusses nach § 26 Abs. 3, 4 InsO bei Insolvenzverschleppung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geltendes Recht und Rechtspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7. Teil Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren A. Rechtsfolgen der Verfahrenseröffnung I. Das Verhältnis von Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schulenstreit oder Sachproblem? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Organisationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXX

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II. Die Gesellschaft als Rechtsträgerin und als Organisation (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auflösung und Organisation der Gesellschaft im Regelinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Veränderte Zuständigkeitsordnung bei Eigenverwaltung und im Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. 1. 2. 3.

Die Insolvenzmasse (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Massefreies Gesellschaftsvermögen? . . . . . . . . . . . . . . . . Die Freigabe von Massegegenständen . . . . . . . . . . . . . . . a) Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Streit um die Zulässigkeit der „echten“ Freigabe

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IV. Das Altlastenproblem (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gefahrverursachung nach der Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . b) Gefahrverursachung vor der Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . 2. Die Grundlinien: „massefreundliche“ und „massefeindliche“ Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Massefreundliche“ Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Massefeindliche“ Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stand der Rechtsprechung zur Ordnungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . a) Begründung der Ordnungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Befreiung durch Freigabe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ersatzvornahme und Ersatzvornahmekosten in der Insolvenz . . 4. Verhaltensempfehlung und rechtspolitische Beurteilung . . . . . . . .

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V. Betriebsfortführung und Betriebseinstellung (Schluck-Amend) . . . 1. Die Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gründe für eine Unternehmensfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Maßnahmen der Betriebsfortführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichten des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfahrensrechtliche Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichten aus übergegangener Unternehmerstellung . . . . . . . . . 3. Betriebseinstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stilllegung vor dem Berichtstermin (§ 158 InsO) . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Voraussetzungen und die Pflicht zur Stilllegung . . . . . . . . . cc) Der Gläubigerausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Der Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stilllegung nach dem Berichtstermin (§ 157 Satz 1 InsO) . . . . . d) Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Bilanzpraxis in der Insolvenz der GmbH (Sinz) . . . . . . . . . . . . . . . 1. Interne Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Externe Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VII. Übertragende Sanierung im eröffneten Verfahren (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VIII. Haftungsrealisierung durch den Insolvenzverwalter (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschafterhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschäftsführerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergleichsverbote für den Insolvenzverwalter? . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Geltendmachung im Verfahren der Eigenverwaltung und Freigabe

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IX. Haftungsrisiken des Verwalters (Schluck-Amend) . . . . . . . . . . . . . 1. Haftungsrisiken des endgültigen Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . a) Insolvenzspezifische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundkonzept § 60 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonderregelung § 61 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Haftung für Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftung nach allgemeinen Grundsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertragliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Deliktische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sonstige Haftungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftungsrisiken des vorläufigen Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . a) Insolvenzspezifische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Haftung nach § 60 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Haftung nach § 61 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Haftungsrisiko der Stilllegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftung aus sonstigen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Die Rechtsstellung des Geschäftsführers im eröffneten Insolvenzverfahren I. Grundlagen (Schluck-Amend) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Organschaftliche Stellung und Dienstvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rechtsstellung der Gesellschafter in einer führungslosen GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die verfahrensrechtliche Stellung des faktischen Geschäftsführers

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II. Entgeltzahlungen an den Geschäftsführer (Spliedt) . . . . . . . . . . . . 1. Geschäftsführervertrag und Geschäftsführerbezüge in der Insolvenz

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a) Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vergütungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Insolvenzrechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vergütungshöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verfrühungsschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Angemessene Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unangemessene Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Insolvenzsicherung der laufenden Geschäftsführerbezüge . . . . . . . 3. Betriebliche Altersversorgung der Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . a) Versorgungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Insolvenzrechtliche Einordnung der Versorgungsansprüche . . . c) Insolvenzsicherung durch das BetrAVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Insolvenzsicherung außerhalb des BetrAVG . . . . . . . . . . . . . . . e) Gläubigerschutz bei Versorgungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Insolvenzrechtliche Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Besonderheiten beim Gesellschafter-Geschäftsführer . . . . .

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III. Die verfahrensrechtliche Stellung der Geschäftsführer (Brinkmann) 1. Verfahrenspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auskunftspflicht der Geschäftsführer (§ 97 Abs. 1 InsO i.V.m. § 101 Abs. 1 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auskunftsverpflichtete und -berechtigte . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gegenstand und Erfüllung der Auskunftspflicht . . . . . . . . . cc) Verwendungsverbot bei strafrechtlich relevanten Sachverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Strafbarkeit einer Falschauskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Unterstützungspflicht (§ 97 Abs. 2 InsO i.V.m. § 101 Abs. 1 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Insbesondere die Mitwirkung an der Aufstellung des Verzeichnisses der Massegegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Durchsetzung der Verfahrenspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensrechte des Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eigenverwaltung und Planverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Die gesellschaftsrechtliche Stellung der Geschäftsführer (Brinkmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kompetenzen in Bezug auf massefreies Vermögen . . . . . . . . . . . . . 2. Gesellschaftsinterne Kompetenzen der Geschäftsführer . . . . . . . .

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C. Arbeitsrecht im eröffneten Insolvenzverfahren I. Arbeitsverhältnisse (Moll) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fortbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergütungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Kündigungen (Moll) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. 2. 3. 4. 5.

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III. Betriebsvereinbarungen (Moll) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. 2. 3. 4. 5.

Allgemeines . . . . . . . . . § 113 InsO . . . . . . . . . . Schadensersatz . . . . . . . Kündigungsschutzklage Befristungen . . . . . . . . .

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Normzweck des § 120 InsO . . . . . . . . . Beratungs- und Verhandlungspflicht . . . Kündigungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . Nachwirkung der Betriebsvereinbarung Andere Beendigungsregeln . . . . . . . . . .

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IV. Besonderheiten bei Betriebsänderungen: Personalabbau (Moll) . . .

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1. Vermittlungsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung der Betriebsänderung ohne Interessenausgleichsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kündigungsbezogener Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zustandekommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Änderung der Sachlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Massenentlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Betriebsratsanhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beschlussverfahren statt Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antragsvoraussetzungen und Entscheidungsgegenstand . . . . . . c) Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Änderung der Sachlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verhältnis zu anderen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Betriebsratsanhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sozialplanregelungen gemäß §§ 123, 124 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . a) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sozialplan ab Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sozialplan in der „Rückgriffszeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sozialplan noch vor der „Rückgriffszeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Betriebsveräußerung (Moll) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Anwendbarkeit des § 613a BGB in der Insolvenz . 2. Modifizierung der Haftungsfolgen . . . . . . . . . . . . . 3. Kündigungssperre nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB a) Kündigung wegen Betriebsübergangs . . . . . . . .

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b) Betriebsstilllegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erwerberkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besonderheiten nach der Insolvenzordnung . . 5. Aufhebungs- und Änderungsvereinbarungen .

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I. Zahlungsverkehr (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Zahlungseingänge im eröffneten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausführung von Zahlungsaufträgen im eröffneten Verfahren . . . . a) Neue Zahlungsaufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bei Eröffnung bereits vorliegende Zahlungsaufträge . . . . . . . . . 3. Besonderheiten im Lastschriftverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einlösung von Lastschriften nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzug von Lastschriften nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Bankgeschäfte im eröffneten Insolvenzverfahren

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II. Neukredite (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Finanzierung mit Neukrediten im regulären Insolvenzverfahren a) Finanzierung durch Ausnutzung bestehender Kreditlinien? . b) Aufnahme neuer Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besicherung des Neukredits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Verwertung von Kreditsicherheiten (Kuder/Unverdorben) . . . . . . .

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1. Aussonderung und Absonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aussonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Absonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgesonderte Befriedigung aus Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einschränkungen des Verwertungsrechts des Gläubigers . . . . . aa) Einstellung der Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nachteilsausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kostenbeitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Freihändige Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgesonderte Befriedigung aus Sicherungsübereignung und Sicherungsabtretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwertungsrecht bei beweglichen Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verwertungsrecht bei Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kostenbeitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abgesonderte Befriedigung aus Pfandrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Pfandrecht an beweglichen Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pfandrecht an Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) AGB-Pfandrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Kostenbeitrag der gesicherten Gläubiger im Überblick . . . . . .

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IV. Inanspruchnahme der vertraglichen Mithaftung von Geschäftsführern und Gesellschaftern (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . 1. Typische Sicherungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schuldbeitritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Harte Patronatserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen der Durchsetzbarkeit und Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . a) Inanspruchnahme des Gesellschafters in der Insolvenz (§ 93 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schranken des Sicherungszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Formvorschriften für Verbraucherdarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abschluss außerhalb der Geschäftsräume oder im Fernabsatz . e) Grenzen für die Mithaftung Vermögensloser . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Steuerrechtliche Folgen im eröffneten Insolvenzverfahren I. Ertragsteuerrecht (Crezelius) . . . . . . . 1. Gesellschaft und Anteilseigner . . . . . 2. Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . . . a) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anteilseigner . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Betriebsvermögen . . . . . . . . . . bb) Privatvermögen vor MoMiG . cc) Privatvermögen nach MoMiG 3. Bürgschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Insolvenz bei Betriebsaufspaltung . . .

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II. Umsatzsteuer (Crezelius) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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F. Die GmbH & Co. KG im gerichtlichen Insolvenzverfahren I. Zwei Schuldnerinnen, zwei Insolvenzverfahren, zwei Massen (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gestaltungsvielfalt der GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sukzessivinsolvenz und Simultaninsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Insolvenzverfahren und Haftungsabwicklung in Fällen der Simultaninsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Insolvenzmassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Persönliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Insolvenzverfahren nur über das KG-Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . 7. Das Sonderrecht der Einheits-GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . II. Koordinationsprobleme bei Eigenverwaltung und im Insolvenzplanverfahren (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXVI

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Inhaltsverzeichnis Seite

1. Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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G. Beendigung des Verfahrens und gesellschaftsrechtliche Rechtsfolgen I. Die Beendigung des Insolvenzverfahrens (Brinkmann) . . . . . . . . . .

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1. Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Aufhebung des Regelinsolvenzverfahrens (§ 200 InsO) . . . . b) Die Aufhebung des Planinsolvenzverfahrens (§ 258 InsO) . . . . . 2. Einstellung wegen Massearmut oder Masseunzulänglichkeit (§§ 207, 208 ff. InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Einstellung wegen Massearmut (§ 207 InsO) . . . . . . . . . . . aa) Die Feststellung der Massearmut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Abwicklung des Insolvenzverfahrens bei Massearmut . cc) Der Einstellungsbeschluss nach § 207 InsO . . . . . . . . . . . . dd) Rechtsfolgen der Einstellung mangels Masse . . . . . . . . . . . b) Die Einstellung wegen Masseunzulänglichkeit (§§ 208, 211 Abs. 1 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Verwalter . . bb) Die Abwicklung des Insolvenzverfahrens nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einstellungsbeschluss nach Befriedigung der Massegläubiger (§ 211 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes (§ 212 InsO) 4. Die Einstellung aufgrund einstimmigen Beschlusses der Insolvenzgläubiger (§ 213 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Fortsetzung oder Abwicklung der Gesellschaft (Karsten Schmidt)

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1. Fortsetzung der Gesellschaft durch Gesellschafterbeschluss . . . . . 2. Vollabwicklung der GmbH im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . 3. Fortsetzung oder Vollbeendigung der insolventen GmbH & Co. KG

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III. Die GmbH und GmbH & Co. KG nach Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens (Vallender) . . . . . . . . . . . . . .

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1. Vollabwicklung des Schuldnervermögens als insolvenzrechtliche Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufhebung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Fortsetzung der GmbH nach Aufhebung des Verfahrens . . . 4. Löschung der Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit . . . . . . . . . . 5. Nachtragsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Nachtragsliquidation nach § 66 Abs. 5 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . 7. Die GmbH nach Einstellung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die GmbH & Co. KG nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens . .

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Inhaltsverzeichnis

8. Teil Das Insolvenzplanverfahren

Seite

A. Der Insolvenzplan I. Überblick (Spliedt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Planmotive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Plangegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. 1. 2. 3. 4.

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I. Verfahrensablauf im Überblick (Spliedt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Planinitiativrecht (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Die Vorprüfung des Insolvenzplans (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . .

904

IV. Planentscheidung (Spliedt) . . . 1. Abstimmungsverfahren . . . . . . 2. Obstruktionsverbot . . . . . . . . . a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen . . . . . . . . . c) Darlegungs- und Beweislast

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V. Arbeitnehmerbeteiligung im Insolvenzplanverfahren (Moll) . . . . . 1. Aufstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Darstellender Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gestaltender Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Gerichtliche Planbestätigung (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Minderheitenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einzelheiten zum Planinhalt (Spliedt) . Darstellender Teil, Plananlagen . . . . . . Plangestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einbeziehung der Gesellschafter . . . . . . a) Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . b) Debt-Equity-Swap . . . . . . . . . . . . . . . c) Minderheitenschutz . . . . . . . . . . . . . d) Obstruktionsverbot . . . . . . . . . . . . .

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B. Verfahrensablauf

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VII. Rechtsmittel (Spliedt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschwerdevoraussetzungen . 2. „Freigabeverfahren“ . . . . . . . . a) Zurückweisungsbeschluss b) Schadensersatz . . . . . . . . . 3. Rechtsbeschwerde . . . . . . . . .

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VIII. Vollstreckungsschutz und Verjährung (Spliedt) . . . . . . . . . . . . . . .

930

1. Vollstreckungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Rechtswirkungen des bestätigten Plans I. Eintritt der rechtsgestaltenden Wirkungen (Vallender) . . . . . . . . .

933

II. Auswirkungen des Plans auf die Haftung von Gesellschaftern, Mitschuldnern und Bürgen (Spliedt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

938

1. Haftung der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung von Mitschuldnern und Bürgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Kreditgeschäfte im Insolvenzplanverfahren (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Privilegierung von Neukrediten . . . . . . . a) Insolvenzantragsverfahren . . . . . . . . . b) Eröffnetes Insolvenzverfahren . . . . . . c) Planbestätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rahmenkredite im Insolvenzplan . . . e) Auswirkungen auf das Kreditgeschäft 2. Besicherung des Neukredits . . . . . . . . . . 3. Kündigung von Krediten . . . . . . . . . . . . .

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IV. Wiederauflebensklausel (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

948

V. Planüberwachung (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Anordnung der Überwachung im Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . 2. Überwachung von Übernahmegesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufgaben und Befugnisse des Insolvenzverwalters im Rahmen der Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aufgaben des Gläubigerausschusses und Aufsichtsfunktion des Insolvenzgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Dauer und Aufhebung der Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kosten der Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis Seite

D. Besonderheiten bei der GmbH & Co. KG I. GmbH-Insolvenz und KG-Insolvenz (Karsten Schmidt) . . . . . . . . .

957

II. Die Kommanditgesellschaft als Zentrum des Insolvenzplanverfahrens (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

957

III. Fortsetzung oder Vollbeendigung der insolventen GmbH & Co. KG (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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9. Teil Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren A. Insolvenz- und haftungsrechtliche Besonderheiten I. Verhältnis Insolvenzverfahren, Eigenverwaltungsverfahren, Schutzschirmverfahren (Spliedt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

959

II. Eigenverwaltung ohne Schutzschirm (Spliedt) . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Befugnisse des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Masseschuldermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorläufiger Sachwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorläufiger Gläubigerausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sachverständiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Öffentliche Bekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eröffnungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzung der Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nachteilsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Integrität der Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gläubigereinfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Prognosewahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sachwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontrollaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mitwirkungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zustimmung zur Wirksamkeit bestimmter Rechtsgeschäfte . . e) Durchsetzung von Anfechtungs- und Haftungsansprüchen . . . . f) Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XL

Inhaltsverzeichnis Seite

5. Gläubigerausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Aufhebung der Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Schutzschirmverfahren (Spliedt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Antragsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eigenverwaltungs- und Schutzschirmanträge . . . . . . . . . . . . . . b) Insolvenzgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sanierungsaussicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bescheinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Aussteller der Bescheinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Haftung des Ausstellers der Bescheinigung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Mitgebrachter“ Sachwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zurückweisung des Schutzschirmantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schutzschirmanordnungen, vorläufige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . 5. Aufhebung des Schutzschirmverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Eröffnungsentscheidung nach Fristablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Verfahrens- und Beratungskosten (Spliedt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung (Spliedt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einfluss der Gesellschafter auf die Geschäftsführung . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geschäftsführerbestellung und -abberufung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zeitlicher Anwendungsbereich des § 276a InsO . . . . . . . . . . . . d) Verbliebener Einflussbereich der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . e) Auskunfts- und Einsichtsrechte der Gesellschafter . . . . . . . . . . 2. Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesellschaftsrechtliche Pflichten der Geschäftsführung . . . . . . . . 4. Insolvenzverfahrensrechtliche Pflichten der Geschäftsführung . . . 5. Insolvenzspezifische Haftung der Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . a) Keine unmittelbare Anwendung der §§ 60 f. InsO . . . . . . . . . . . b) Keine mittelbare Haftung gemäß §§ 60 f. InsO i.V.m. § 43 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Insolvenzspezifische Haftung i.V.m. § 823 BGB . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Haftung gemäß § 64 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nach Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwischen Antrag und Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sorgfaltsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Haftung für Steuern und Sozialabgaben, Pflichtenkollision . . . . . . 8. Haftung gemäß § 311 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Haftungsbeschränkung, Ressortaufteilung, D & O-Versicherung . .

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Inhaltsverzeichnis Seite

B. Kreditgeschäft bei Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren I. Eröffnungsverfahren gemäß § 270a InsO (Kuder/Unverdorben) . . . 1. Bestehende Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neue Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung (Schutzschirmverfahren) gemäß § 270b InsO (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . 1. Bestehende Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neue Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Eröffnetes Verfahren (Kuder/Unverdorben) 1. Kreditaufnahme durch den Schuldner . . . . . a) Befugnis zur Kreditaufnahme . . . . . . . . . b) Bestellung von Kreditsicherheiten . . . . .

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IV. Verwertung von Kreditsicherheiten (Kuder/Unverdorben) . . . . . . .

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V. Kredite im eigenverwalteten Insolvenzplanverfahren (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1047

10. Teil Restschuldbefreiung für Geschäftsführer, Gesellschafter und andere Mithaftende der GmbH A. Mithaftung natürlicher Personen (Vallender) . . . . . . . . . . . . . .

1049

B. Restschuldbefreiungsverfahren I. Grundzüge (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1051

II. Vorgeschaltetes Insolvenzverfahren (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahrensart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Massearmut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1052 1053 1054

III. Verfassungsmäßigkeit der Restschuldbefreiung (Vallender) . . . . . .

1055

IV. Redlichkeit des Schuldners (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1056

V. Verfahrensablauf (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigenantrag des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verbraucherinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1056 1056 1056

XLII

Inhaltsverzeichnis Seite

b) Regelinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erneuter Restschuldbefreiungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gläubigerantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Laufzeit der Abtretungserklärung bzw. Abtretungsfrist . . . . . . . . . 4. Versagung oder Ankündigung der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . a) Versagungsantrag gemäß § 290 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfahren, die ab oder nach dem 1.7.2014 beantragt worden sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfahren, die vor dem 1.7.2014 beantragt worden sind . . . b) Versagungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfahren, die ab oder nach dem 1.7.2014 beantragt worden sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfahren, die vor dem 1.7.2014 beantragt worden sind . . . c) Glaubhaftmachung des Versagungsgrundes . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nachträgliches Bekanntwerden von Versagungsgründen . . . . . .

1057 1058 1059 1060 1062 1063

VI. Wohlverhaltensperiode (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1069

1. Einsetzung eines Treuhänders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfahren, die ab oder nach dem 1.7.2014 beantragt worden sind b) Verfahren, die vor dem 1.7.2014 beantragt worden sind . . . . . . c) Aufgaben des Treuhänders in der Wohlverhaltensperiode . . . . . 2. Lohnabtretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vollstreckungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erfassung von Neuvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Obliegenheiten des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Versagung der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Erteilung der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung (§ 300 InsO n.F.) . aa) Vorzeitige Erteilung Restschuldbefreiung gemäß § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorzeitige Erteilung Restschuldbefreiung gemäß § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vorzeitige Erteilung Restschuldbefreiung gemäß § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Neuerwerb im laufenden Insolvenzverfahren (§ 300a InsO) . . . c) Die Wirkung der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Widerruf der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1063 1064 1065 1065 1066 1067 1068

1069 1069 1069 1070 1071 1075 1076 1078 1082 1084 1084 1085 1085 1086 1086 1087 1088

XLIII

Inhaltsverzeichnis

11. Teil Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken bei Verfahrensverschleppung und Insolvenzverursachung Seite

A. Haftung wegen Verfahrensverschleppung I. Geschäftsführerhaftung wegen Verletzung des § 15a InsO (§ 64 Abs. 1 GmbHG a.F., § 130a Abs. 1 HGB a.F.) (Karsten Schmidt)

1089

1. Bedeutung der sog. „Insolvenzantragspflicht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftungstatbestände und Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Umfang des Schadensersatzes: Quotenschaden, Gesamtschaden und Individualschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Stand seit BGHZ 126, 181 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Quotenschaden und Gesamtschadensliquidation nach § 92 InsO . 6. Aufruf zu einer Änderung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Verjährungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1094 1097 1100 1105 1107

II. Haftung für „verbotene Zahlungen“ nach § 64 GmbHG bzw. § 130a HGB (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1108

1. 2. 3. 4.

1089 1091

Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine drakonische Rechtsprechung und ihre Entschärfung . . . . . . . Umgang mit kreditorischen und debitorischen Girokonten . . . . . . Vermutetes Verschulden und Exkulpation bei den „Zahlungsverboten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Normenkollisionen: Zahlungsverbote trotz Zahlungspflicht? . . . . 6. Verbotene Verpflichtungsgeschäfte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Folgerungen de lege lata und de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Gesellschafterhaftung wegen Verfahrensverschleppung (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1124

1. Gesellschafterhaftung in der führungslosen GmbH . . . . . . . . . . . . 2. Deliktshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftung aus der Gesellschafterverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . .

1124 1124 1125

B. Strafbare Insolvenzverschleppung I. Die gesetzliche Regelung der Strafbarkeit (Uhlenbruck) . . . . . . . .

1127

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

1127 1128 1129 1132 1133 1135 1136

XLIV

Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafrechtliche Spezifika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beginn und Ende der Insolvenzverschleppung . . . . . . . . . . . . . . . . Täter einer Insolvenzverschleppung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorsatz und Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berufsverbot bei Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung . . . .

Inhaltsverzeichnis Seite

II. Strafbarkeitsrisiken des Sanierungsberaters (Uhlenbruck) . . . . . . .

1137

1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Sanierungsberater als Täter der Insolvenzverschleppung . . . . . 3. Der Berater als Teilnehmer einer Insolvenzverschleppung . . . . . . . a) Anstiftung oder Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teilnahme an der Insolvenzverschleppung bei Führungslosigkeit der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Berater als „Firmenbestatter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1137 1138 1138 1138 1140 1140

C. Haftungsrisiken für Kreditinstitute I. Neue Kredite (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1142

II. Kündigung bestehender Kredite (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . .

1143

III. Stillhalten (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1143

IV. Eingriffe in die Geschäftsführung (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . .

1144

V. Information von Geschäftspartnern des Kunden (Kuder/Unverdorben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1145

D. Insolvenzverursachungshaftung I. Gesellschafterhaftung? (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1148

1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verschuldenshaftung aus mitgliedschaftlicher Finanzierungsverantwortung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1148

II. Geschäftsführerhaftung (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1151

1. Missmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbotene Zahlungen an Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1151 1152

III. Haftung für fehlerhafte Beratung (Karsten Schmidt) . . . . . . . . . . .

1154

1. Allgemeine Berufshaftung der freiberuflichen Rechtsberater, Unternehmensberater, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater . . . . . 2. Haftung gegenüber Gesellschaftern und Gläubigern . . . . . . . . . . . . 3. Insolvenzverschleppunghaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1154 1155 1156

1149

XLV

Inhaltsverzeichnis

12. Teil Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen A. Einleitung (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite

1157

B. Gesetzliche Grundlagen zur Koordinierung von internationalen Insolvenzen I. Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) (Vallender) . . . . . . .

1158

II. Die reformierte EuInsVO vom 20.5.2015 (Vallender) . . . . . . . . . . .

1159

III. Art. 102 §§ 1 bis 11 EGInsO (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1164

IV. Autonomes deutsches Internationales Insolvenzrecht (Vallender) .

1164

V. Staatsverträge (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1165

C. Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH in Deutschland mit Auslandsbezug I. Insolvenzverfahren mit Bezug zu mindestens einem weiteren Mitgliedstaat der Europäischen Union (Vallender) . . . . . . . . . . . . . 1. Hauptverfahren (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erwägungsgrund 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Operative Leitung des Schuldnerunternehmens . . . . . . . . . cc) Widerlegung der Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verlagerung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen nach Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zuständigkeit für Annexverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sekundärinsolvenzverfahren (Art. 3 Abs. 3 EuInsVO) . . . . . . . . . . . a) Antragsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Niederlassung i.S. des Art. 2 lit. h EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . 3. Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Forderungsanmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anwendbares Recht (Art. 4, 28 EuInsVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konkurrierende Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 38 EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kooperations- und Unterrichtungspflichten der Insolvenzverwalter 8. Automatische Anerkennung der Eröffnungsentscheidung . . . . . . . XLVI

1166 1167 1168 1169 1169 1170 1172 1172 1173 1175 1176 1177 1178 1178 1179 1181 1181 1181 1182 1183

Inhaltsverzeichnis Seite

a) Ordre-public-Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Prüfungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Wirkungen der Anerkennung eines Insolvenzverfahrens . . . . . . . . II. Insolvenzverfahren mit ausschließlichem Drittstaatenbezug (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts . . . . . . . . . 2. Sekundärinsolvenzverfahren über das Inlandsvermögen . . . . . . . . . 3. Lex fori concursus und Sonderanknüpfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anerkennung der deutschen Eröffnungsentscheidung im Ausland a) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vereinigte Staaten von Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anerkennung der ausländischen Eröffnungsentscheidung in Deutschland (§ 343 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kooperations- und Informationspflichten von Insolvenzverwaltern und Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1184 1184 1185

1185 1185 1186 1186 1186 1187 1187 1188 1189

D. Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union I. „Konzerninsolvenzgerichtsstand“ im Ausland? (Vallender) . . . . . . 1. Gefahren für die Tochtergesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strategien zur Vermeidung „störender“ Sekundärinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1191

II. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

1193 1193 1194 1194 1195 1196 1199

Migration einer GmbH ins Ausland (Vallender) . . . . . . . Verlegung des Verwaltungssitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umwandlung der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzüberschreitende Herausverschmelzung . . . . . . . . . Sanierung in einem CVA-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . Risiken einer Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insolvenzantragspflicht der organschaftlichen Vertreter .

. . . . . . .

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III. Realisierung von Forderungen bei Verfahren im Anwendungsbereich der EuInsVO (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Neue Sanierungsoption für deutsche GmbHs – scheme of arrangement (Vallender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antragsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abstimmungsverfahren und gerichtliche Überprüfung des angenommenen scheme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anerkennung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1190 1191

1200

1202 1203 1204 1205 1207 XLVII

Allgemeines Literaturverzeichnis Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1994 ff. Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier (Hrsg.), Fachanwaltskommentar Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2014 Andres/Leithaus, Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2014 Baetge (Hrsg.), Beiträge zum neuen Insolvenzrecht, 1998 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, 2. Aufl. 1999 Bankrecht und Bankpraxis s. Hellner/Steuer Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 36. Aufl. 2014 Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 20. Aufl. 2013 Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Bd. II, Insolvenzrecht, 12. Aufl. 1990 Beck/Depré (Hrsg.), Praxis der Insolvenz, 2. Aufl. 2010 Becker/Bernd/Klein, Risikofrüherkennung im Kreditgeschäft, 2012 Beck’scher Bilanz-Kommentar, Handels- und Steuerbilanz – §§ 238–339, 342–342e HGB, 9. Aufl. 2014 Beck’sches Handbuch der GmbH – hrsg. von Prinz/Winkeljohann, 5. Aufl. 20014 Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, 6. Aufl. 2008 Blersch/Goetsch/Haas (Hrsg.), Berliner Kommentar Insolvenzrecht (Loseblatt) Bley/Mohrbutter, Vergleichsordnung, 4. Aufl. 1979/81 Böckenförde, Unternehmenssanierung, 2. Aufl. 1996 Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, 7. Aufl. 2014 Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, 2002 Bork/Schäfer (Hrsg.), GmbHG, 2. Aufl. 2012 Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, 1993 Braun (Hrsg.), Insolvenzordnung (InsO), Kommentar, 6. Aufl. 2014 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997 Budde/Förschle/Winkeljohann, Sonderbilanzen, 4. Aufl. 2008 Buth/Hermanns (Hrsg.), Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 4. Aufl. 2014 Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, 1998 Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 3. Aufl. 2012 Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer (Loseblatt) Drukarczyk, Theorie und Politik der Finanzierung, 2. Aufl. 1993 Drukarczyk, Unternehmen und Insolvenz, 1987 (Sonderdruck 2012) Ehlers/Drieling, Unternehmenssanierung nach der Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2000 Erman, BGB-Handkommentar, 14. Aufl. 2014 Fischer, Strafgesetzbuch, 62. Aufl. 2015 Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung – hrsg. von Wimmer, 8. Aufl. 2015 XLIX

Allgemeines Literaturverzeichnis

Gehrlein/Ekkenga/Simon (Hrsg.), GmbHG, 2. Aufl. 2014 Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz (KR) und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 10. Aufl. 2013 GmbH-Handbuch – hrsg. von der Centrale für GmbH (Loseblatt) Götker, Der Geschäftsführer in der Insolvenz der GmbH, 2. Aufl. 2006 Goette, Einführung in das neue GmbH-Recht, 2008 Gottwald (Hrsg.), Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2015 Graf-Schlicker (Hrsg.), Kommentar zur Insolvenzordnung (InsO), 4. Aufl. 2014 Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, 2. Aufl. 1988 Großkommentar zum Aktiengesetz – hrsg. von Hopt/Wiedemann, 4. Aufl. 1992 ff.; hrsg. von Hirte/Mülbert/Roth, 5. Aufl. 2015 ff. Großkommentar zum GmbHG – hrsg. von Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2013 (Bd. I), 2. Aufl. 2014 (Bd. II), 1. Aufl. 2008 (Bd. III) Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und Insolvenz, 1997 Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2013 Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch der vorläufigen Insolvenzverwaltung, 2010 Haarmeyer/Wutzke/Förster, Gesamtvollstreckungsordnung (GesO), Kommentar, 4. Aufl. 1998 Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007 Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012 Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht – hrsg. von Andreas Schmidt, 5. Aufl. 2015 Handbuch Personengesellschaften – hrsg. von H. P. Westermann/Wertenbruch (Loseblatt) Hartung, Insolvenzbedrohte und insolvente Mandanten, 1990 Harz/Hub/Schlarb, Sanierungs-Management, 3. Aufl. 2006 Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung – hrsg. von Kreft, 7. Aufl. 2014 Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis (Loseblatt) Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2014 Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz (Loseblatt) Hess, Insolvenzrecht, Großkommentar, 2. Aufl. 2013 Hess, Sanierungshandbuch, 6. Aufl. 2013 Hess, Insolvenzrecht, 6. Aufl. 2003 (zit. Hess) Hess, Insolvenzarbeitsrecht, Kommentar, 2. Aufl. 2000 Hess, Konkursordnung (KO), Kommentar, 6. Aufl. 1998 Hess/Binz/Wienberg, Gesamtvollstreckungsordnung, 4. Aufl. 1998 Hess/Gross/Reill-Ruppe/Roth, Insolvenzplan, Sanierungsgewinn, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenz, 4. Aufl. 2015 Hess/Pape, InsO und EGInsO – Grundzüge des neuen Insolvenzrechts, 1995 Hess/Weis, Das neue Anfechtungsrecht, 1996 Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 21. Aufl. 2016 Hölters (Hrsg.), Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015 Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, 2. Aufl. 2013 Hoffmann/Liebs, Der GmbH-Geschäftsführer, 3. Aufl. 2009 Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, 14. Aufl. 2010 L

Allgemeines Literaturverzeichnis

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Allgemeines Literaturverzeichnis

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Allgemeines Literaturverzeichnis

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LIII

Abkürzungsverzeichnis a.A. abl. ABl. EG/EU Abs. ADS a.E. AEUV AFG AFRG AG AGB AGG AktG allg.M. Alt. Anh. Anm. AnwBl. AO AP ArbG ArbGG AR-Blattei Art. Aufl.

anderer Ansicht ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften/Union Absatz Adler/Düring/Schmaltz am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Arbeitsförderungsgesetz Arbeitsförderungs-Reformgesetz Aktiengesellschaft; Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Aktiengesetz allgemeine Meinung Alternative Anhang Anmerkung Anwaltsblatt Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrecht-Blattei Artikel Auflage

BA BAG BAGE BayObLG BB BC Bd. BdB BdF BDSG Begr. BetrAG BetrAVG

Bundesanstalt für Arbeit Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bayerisches Oberstes Landesgericht Der Betriebs-Berater Bilanzbuchhalter und Controller Band Bundesverband deutscher Banken Bundesminister(ium) der Finanzen Bundesdatenschutzgesetz Begründung Betriebliche Altersversorgung Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (= Betriebsrentengesetz) Betriebsverfassungsgesetz Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Sammlng amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH

BetrVG BFH BFHE BFH/NV

LV

Abkürzungsverzeichnis

BFuP BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BilRUG BKR BMF BMJ BpO 2000 BR-Drucks. BRRG BSG BSGE Bsp. BStBl. BT-Drucks. Buchst. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BZRG

Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesministerium der Finanzen Bundesminister der Justiz Betriebsprüfungsordnung Bundesrats-Drucksache Beamtenrechtsrahmengesetz Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Beispiel Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache Buchstabe Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundeszentralregistergesetz

CR CRP CVA

Computer und Recht ComRechtsPraktiker Company voluntary arrangement

D&O DB DBW DGVZ Diss. DJT DrittelbG DStR DStZ DSWR DVFA DZWIR

Directors and Officers Der Betrieb Die Betriebswirtschaft Deutsche Gerichtsvollzieherzeitung Dissertation Deutscher Juristentag Drittelbeteiligungsgesetz Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuer-Zeitung Datenverarbeitung – Steuer – Wirtschaft – Recht Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Anlageberatung Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ab 1999 Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht)

EG/EU

Europäische Gemeinschaften/Europäische Union; Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Eigenkapital Eigenkapitalersatz-Gesetz (Österreich) Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz

EGInsO EK EKEG ErbStG LVI

Abkürzungsverzeichnis

EStG ESUG EuGH EuGHE EuGVVO EuInsVO EuZW EWiR EzA f., ff. FamFG FAR IDW FB FG FGG FGO FMStBG FMStG Fn. FR FS GA GBO GesO GesRZ GewStG GK GKG GmbH GmbHG GmbHR GmbH-StB GRUR GS GUG

Einkommensteuergesetz Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen Europäischer Gerichtshof Sammlung der Entscheidungen des EuGH Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen Europäische Insolvenzverordnung Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Entscheidungen zum Arbeitsrecht folgende (Singular, Plural) Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Fachausschuss Recht des Instituts der Wirtschaftsprüfer Finanz-Betrieb Finanzgericht Gesetz über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz Finanzmarktstabilisierungsgesetz Fußnote Finanz-Rundschau Festschrift

GUV GVG GWR

Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Grundbuchordnung Gesamtvollstreckungsordnung Der Gesellschafter (österr. Zeitschrift) Gewerbesteuergesetz Gemeinschaftskommentar Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau GmbH-Steuerberater Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gedächtnisschrift Gesetz über die Unterbrechung von Gesamtvollstreckungsverfahren Gewinn- und Verlustrechnung Gerichtsverfassungsgesetz Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht

HGB h.L.

Handelsgesetzbuch herrschende Lehre LVII

Abkürzungsverzeichnis

h.M. HRI Hrsg.

herrschende Meinung Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz Herausgeber

IAS IASB IASC i.d.F. i.d.R. IDW IDW-HFA IFRS InsG-DA InsO InsVV InsVZ InVo InvZulG IPRax

International Accounting Standards International Accounting Standards Board International Accounting Standards Committee in der Fassung in der Regel Institut der Wirtschaftsprüfer Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer International Financial Reporting Standards Durchführungsanweisungen zum Insolvenzgeld Insolvenzordnung Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung Zeitschrift für Insolvenzverwaltung und Sanierungsberatung Insolvenz & Vollstreckung Investitionszulagengesetz Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts

JA JbFSt./JFStR JR JuS JW JZ

Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

KapAEG KG KO KÖSDI KonTraG

KWG

Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz Kommanditgesellschaft Konkursordnung Kölner Steuerdialog Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Kündigungsschutzgesetz Krisen-, Sanierungs- und Insolvenzberatung Körperschaftsteuergesetz Körperschaftsteuer-Richtlinien Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Insolvenzrecht (vormals Konkurs, Treuhand, Sanierung, davor Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen) Gesetz über das Kreditwesen

LAG LAGE LArbG LBO LG

Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Landesarbeitsgericht Leveraged Buy-out Landgericht

KSchG KSI KStG KStR KSzW KTS

LVIII

Abkürzungsverzeichnis

LM LöschG MaRisk MBI MBO MDR MitbestG MittBayNot MiZi MMR MoMiG MuSchG m.w.N.

Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. von Lindenmaier, Möhring u.a. Löschungsgesetz Mindestanforderungen an das Risikomanagement Management Buy-In Management Buy-out Monatsschrift für Deutsches Recht Mitbestimmungsgesetz Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins Allgemeine Verfügung über Mitteilungen in Zivilsachen Multimedia und Recht Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Mutterschutzgesetz mit weiteren Nachweisen

n.F. NJW NJW-RR Nr. NStZ NVwZ NWB NZA NZA-RR NZG NZI NZWist

neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Wirtschafts-Briefe Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA-Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht

öKo OFD OGH OLG OLGZ OVG OWiG

Österreichische Konkursordnung Oberfinanzdirektion (Österreichischer) Oberster Gerichtshof Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PSVaG

Pensionssicherungsverein auf Gegenseitigkeit

RBerG RdA RDG RegE RFS RG RGBl. RGZ

Rechtsberatungsgesetz Recht der Arbeit Rechtsdienstleistungsgesetz Regierungsentwurf Risikofrüherkennungssystem Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen LIX

Abkürzungsverzeichnis

RIW RMS Rpfleger RpflG Rz.

Recht der internationalen Wirtschaft Risikomanagementsystem Der Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Randziffer

s. S. SchiedsVZ SEStEG SFAS SGB SGG Slg. SoA SolvV SprAuG StBerG Stbg. StGB StPO str.

siehe Seite Zeitschrift für Schiedsverfahren Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften Statements of Financial Accounting Standards Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Sammlung Scheme of Arrangement Solvabilitätsverordnung Sprecherausschussgesetz Steuerberatungsgesetz Die Steuerberatung Strafgesetzbuch Strafprozessordnung streitig

TransPUG TVG

Transparenz- und Publizitätsgesetz Tarifvertragsgesetz

UBGG UG UmwG UmwStG URG Urt. UStDV UStG u.U.

Gesetz über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften Unternehmergesellschaft Umwandlungsgesetz Umwandlungssteuergesetz Unternehmensreorganisationsgesetz (Österreich) Urteil Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung Umsatzsteuergesetz unter Umständen

VbrInsFV VerbrKrG Verf. VersR VG vgl. VglO VGR VuR VVG VW

Verbraucherinsolvenzformular-Verordnung Verbraucherkreditgesetz Verfasser Versicherungsrecht Verwaltungsgericht vergleiche Vergleichsordnung Gesellschaftsrechtliche Vereinigung Verbraucher und Recht Versicherungsvertragsgesetz Versicherungswirtschaft

LX

Abkürzungsverzeichnis

VwGO VwVfG

Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz

WiB WiSt wistra WM WPg WPK-Mitt. WPrax WuB

Wirtschaftsrechtliche Beratung Wirtschaftsstrafgesetz Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wertpapier-Mitteilungen Die Wirtschaftsprüfung Wirtschaftprüferkammer-Mitteilungen Wirtschaftsrecht und Praxis Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht

ZAG ZAP z.B. ZBB ZfA ZfB ZfbF

Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz Zeitschrift für die Anwaltspraxis zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Betriebswirtschaft Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für Planung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeugen- und Sachverständigen-Entschädigungsgesetz zustimmend Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen

ZfP ZGR ZHR ZInsO ZIP ZPO ZRP ZSEG zust. ZVG ZVI ZWH

LXI

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung A. Begriff und Ursachen der Krise I. Begriffsbildung 1. Betriebswirtschaftlicher Begriff der Krise Das Wort „Krise“ leitet sich aus dem altgriechischen „krisis“ ab1, womit die 1.1 schwierige Entwicklungsphase einer Krankheit oder Zuspitzung einer Handlungssituation im antiken Drama beschrieben wurde. Die entsprechende Verwendung des Krisenbegriffes in der Wirtschaftswissenschaft hat das Merkmal der Lebensbedrohung aus der Sprache der Medizin und das der entscheidenden Wendung aus der Dramatik übernommen2.

Konflikte zwischen einzelnen Gruppen und/oder ihren Mitgliedern

Optionen

Handlungsspielraum

Stakeholderkrise

Strategiekrise Zerstörung langfristiger Erfolgsfaktoren

Produktund Absatzkrise Starker Nachfragetückgang bei Hauptumsatzträger(n)

Anzeichen

In der Betriebswirtschaftslehre wird als Krise allgemein derjenige Zustand eines 1.2 Schuldners bzw. eines schuldnerischen Unternehmens angesehen, der seine (wirtschaftliche) Lebensfähigkeit in Frage stellt3. Unternehmen durchlaufen dabei regelmäßig verschiedene Stadien, wobei diese parallel, singulär oder überlappend auftreten können4. Der IDW S 6 unterscheidet sechs verschiedene Krisenstadien5:

Erfolgskrise Liquiditätskrise Aufzehren des Eigenkapitals durch Verluste

Liquiditätsschwierigkeiten und drohende Zahlungsunfähigkeit

Insolvenz

Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung

Zeitliche Abfolge und Handlungsdruck

1 Witte, Die Unternehmenskrise – Anfang vom Ende oder Neubeginn?, in Bratschitsch/ Schnellinger, Unternehmenskrisen – Ursachen, Frühwarnung, Bewältigung, 1981, S. 9 ff. 2 Pohl, Krisen in Organisationen, Diss. Mannheim 1977, S. 117. 3 Witte in Bratschitsch/Schnellinger, Unternehmenskrisen – Ursachen, Frühwarnung, Bewältigung, 1981, S. 9. 4 Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 3. Aufl. 2012, 1.1.3.; Kraus in Buth/ Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 4. Aufl. 2014, § 4, Rz. 4 ff.; Zabel in Kübler, HRI, 2. Aufl. 2015, § 3 Rz. 10 ff. 5 http://www.bdo.de/dateien/user_upload/content_img/Krisenstadien_IDW_S6_gross. pdf.

Sinz

|

1

1.3

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

1.3 Nicht jede Unternehmenskrise führt zwingend zu seinem Untergang, sondern enthält auch Chancen zur positiven Wende1, so dass sie als „multivalente Entscheidungssituation unter Existenzgefährdung des Unternehmens bei begrenzter Entscheidungszeit“ verstanden wird2. Allerdings reichen Maßnahmen, die allein auf die Behebung der Liquiditäts- oder Überschuldungskrise ausgerichtet sind, für eine Sanierung nicht aus, solange nicht auch die Ursachen der vorgelagerten und parallelen Krisenstadien (z.B. die Stakeholder- und Strategiekrise mit Schwächen im Personalmanagement) identifiziert und behoben werden. Nicht behobene Krisenursachen wirken nämlich weiter und führen dazu, dass die Erfolgs- und Liquiditätskrise nur vorübergehend überwunden wird, ohne dass eine nachhaltige Sanierung erreicht ist3. 1.4 Eine Stakeholderkrise (also auf der Ebene der Mitglieder der Unternehmensleitung und ihrer Überwachungsorgane, Gesellschafter, Arbeitnehmer und ihrer Vertretungen, Banken und anderer Gläubiger) beruht meist auf Konflikten zwischen diesen Gruppen und/oder ihren Mitgliedern mit der Folge von zunehmenden Reibungsverlusten, schwindender Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter und Schwächen in der Qualität der Arbeit. Die damit verbundene Behinderung des Controlling und der internen Revision wirkt sich oft in einer Blockade notwendiger Entscheidungen aus. Aber auch Konflikte der corporate governance können dazu beitragen. Diese Form der Krise ist in der Regel der Ausgangspunkt von Unternehmenskrisen, indem ein verändertes Führungsverhalten zunehmend durch Nachlässigkeit geprägt wird. Im Anfangsstadium wird dies meist weder von Unternehmensangehörigen noch von Außenstehenden bemerkt4. 1.5 Häufig führt die Stakeholderkrise zur Strategiekrise, weil die Kundenwünsche und Wettbewerbsentwicklungen nicht mehr richtig wahrgenommen werden. Die unzureichende oder fehlende Reaktion auf die Marktentwicklung (z.B. durch Produktinnovationen oder rechtzeitige Investitionen) korrespondiert mit einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und letztlich auch an Marktanteilen. Häufig erzielen Unternehmen in diesem Stadium noch Gewinne, weil die Auswirkungen der bereits bestehenden Krisenursachen sich erst mit zeitlicher Verzögerung zeigen5. 1.6 Hält der Nachfragerückgang nach den Hauptumsatzträgern an, sei es weil Sortiments- oder Qualitätsprobleme bestehen, sei es weil das Marketing- und Vertriebskonzept nicht mehr aktuell ist, verfestigt sich die Situation zu einer Produkt- und Absatzkrise. Mit den steigenden Vorratsbeständen ist zwangsläufig eine höhere Kapitalbindung und Verschlechterung des Betriebsergebnisses verbunden. Diese Entwicklung wird regelmäßig von einem Preisverfall und Stückkostensteigerungen begleitet, die die Krise noch verstärken. 1 Seefelder, Unternehmenssanierung – Zerschlagung vermeiden, Ursachen analysieren, Konzepte finden, Chancen erkennen, Stuttgart 2003, S. 54 ff.; Faulhaber/Landwehr/ Grabow, Turnaround-Management in der Praxis, 4. Aufl. 2009, S. 24. 2 Krystek, Unternehmenskrisen: Schicksal oder Kunstfehler des Managements, 1983, S. 2. 3 IDW S 6 (2012), FN Nr. 12/2012, Rz. 101 ff. 4 Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 3. Aufl. 2012, 1.1.2.1. 5 Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 3. Aufl. 2012, 1.1.2.2.

2

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Sinz

Begriff und Ursachen der Krise

1.10

Der Renditeverfall zieht schließlich eine Erfolgskrise nach sich, wenn keine Sa- 1.7 nierungsmaßnahmen eingeleitet werden. Den Gewinnrückgängen folgen schnell Verluste und eine vollständige Aufzehrung des Eigenkapitals. Hinzu kommt, dass eine Verschlechterung der Deckungsbeiträge und der Bilanzkennzahlen (Rentabilität, Eigenkapitalquote) auch die Kreditwürdigkeit des Unternehmens erheblich herabsetzt. Selbst wenn die Liquidität vorübergehend noch anderweitig (z.B. durch Gesellschafterdarlehen) dargestellt werden kann, lässt sich eine nachhaltige Sanierung nur noch durch leistungswirtschaftliche Maßnahmen erreichen. Fehlt die notwendige Kapitalausstattung, führt die Liquiditätskrise schnell zur 1.8 Existenzgefährdung, insb. wenn eine unausgewogene Finanzierungsstruktur (mangelnde Fristenkongruenz1) besteht. Dies zeigt sich zunächst am Verzicht auf Skontoziehung und mit zunehmender Unterdeckung daran, dass Zahlungen erst nach mehrfachen Mahnungen oder gar der Androhung gerichtlicher Schritte geleistet werden. Lässt sich die Liquiditätskrise nicht beseitigen und tritt Zahlungsunfähigkeit i.S. 1.9 von § 17 InsO ein2, besteht materielle Insolvenz, die (nur) unter den Voraussetzungen des § 15a InsO zur Insolvenzantragspflicht führt. Regelmäßig ist mit der Erfolgskrise auch eine negative Fortführungsprognose verbunden, die im Rahmen der Überschuldungsprüfung eine Bewertung des Vermögens zu Liquidationswerten erforderlich macht (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO), was bei juristischen Personen (sowie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit) selbst bei noch vorhandener Liquidität meist deren Insolvenzreife bedeutet. 2. Rechtlicher Begriff der Krise In der durch das MoMiG außer Kraft gesetzten Regelung über eigenkapitalerset- 1.10 zende Gesellschafterdarlehen (§ 32a Abs. 1 Satz 1 GmbHG a.F.) war die „Krise der Gesellschaft“ gesetzlich definiert als ein „Zeitpunkt, in dem die Gesellschafter ihr (der Gesellschaft) als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten“. Die Konkretisierung des Begriffs bereitete trotzdem erhebliche Schwierigkeiten3. Es gibt jedenfalls keinen übergeordneten Rechtsbegriff der Krise, der in allen Rechtsbereichen gilt. Seit Inkrafttreten des MoMiG am 1.11.20084 kommt es bei Eintritt der Gesellschaftsinsolvenz nicht mehr darauf an, ob ein Darlehen oder eine ihr gleichstehende Gesellschafterleistung in der Krise eigenkapitalersetzend war; für die Anwendbarkeit der §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO n.F. genügt es, dass es sich um Leistungen eines Gesellschafters handelt5. Andere Gesetze als das GmbHG knüpfen Rechtsfolgen der Krise an eigene Tatbestände mit jeweils be1 Die „goldene Finanzierungsregel“, wonach Fristen zwischen Kapitalbeschaffung und -rückzahlung einerseits und Kapitalverwendung andererseits sich entsprechen sollen, geht auf Töndury-Gsell, Finanzierungen, Zürich 1948, S. 37 zurück. Dazu auch: Wöhe/ Bilstein/Ernst/Häcker, Grundzüge der Unternehmensfinanzierung, 11. Aufl. 2013, S. 324. 2 Dazu IDW S 11 (2015), Tz. 14 ff. 3 Lutter/Hommelhoff, 16. Aufl. 2004, §§ 32a/b GmbHG Rz. 18. 4 Gemäß Art. 103d EGInsO gilt das neue Recht für alle ab dem 1.11.2008 eröffneten Insolvenzverfahren. 5 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, ZIP 2013, 734 Rz. 14 = GmbHR 2013, 464 m. Komm. Bormann.

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1.11

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

sonderen Krisenmerkmalen an1. Auch verwenden diese anderen Gesetze nicht den Begriff der „Krise“, sondern den der „Risiken“ (§§ 289 Abs. 1, 315 Abs. 1, 317 Abs. 2 HGB) oder stellen auf die „den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen“ (§ 91 Abs. 2 AktG) ab. Nach Meinung von Haas2 sollten die Begriffe „erhebliche Gefährdung“ oder „bestandsgefährdendes Risiko“ als Krisenwarnsignale auch in das GmbH-Recht Eingang finden; knüpfe die Einberufungspflicht des Geschäftsführers (§ 49 GmbHG) an solche Indikatoren statt an den Verlust der Hälfte des Stammkapitals an, so könne dadurch ein „punktgenauer“ Beitrag zur Insolvenzprophylaxe geleistet werden. Es mag allerdings bezweifelt werden, ob ein solcher unbestimmter Rechtsbegriff für die Praxis die gleiche Rechtssicherheit bietet wie § 49 Abs. 3 GmbHG, zumal die Fälle einer Bestandsgefährung ohnehin zu einer Einberufungspflicht nach § 49 Abs. 2 GmbHG führen. 1.11 Die Begriffe „Krise“ und „Risiko“ unterscheiden sich dadurch, dass die Krise – wenn auch abwendbar – im Gegensatz zum Risiko immer existenzbedrohend ist. Beim Risiko hängt es vom Ausmaß und von der Intensität der Verlustgefahr ab, ob sich die Gefahr der Existenzbedrohung tatsächlich verwirklicht. Unter Risiko wird daher allgemein die Möglichkeit ungünstiger künftiger Entwicklungen verstanden3 als Folge einer Abweichung des tatsächlichen Ergebnisses von dem ursprünglich erwarteten Ergebnis (Zielabweichung). 1.12 In der Rechtsprechung des BGH wird eine Unternehmenskrise als Vorstadium der Insolvenz verstanden, nämlich wenn sich das Unternehmen im Zusammenhang mit der Vergabe von Darlehen als kredit- bzw. überlassungsunwürdig erweist4. Dabei bedarf es stets tatrichterlicher Würdigung, „wann die Überschuldung der GmbH tatsächlich eingetreten ist oder die Gesellschaft doch jedenfalls den zur Fortsetzung ihres Geschäftsbetriebes erforderlichen Kredit nicht mehr zu marktüblichen Bedingungen aus eigener Kraft erhalten konnte“5. Ist bereits rechtliche Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit eingetreten, kommt es auf eine – ihr vorgelagerte – Kreditunwürdigkeit nicht mehr an6. Insolvenzreife und Kreditbzw. Überlassungsunwürdigkeit sind eigenständige und voneinander unabhängige Tatbestände des (damaligen) Eigenkapitalersatzrechts. 1.13 Kreditunwürdigkeit liegt vor, wenn eine Gesellschaft von dritter Seite keinen Kredit zu marktüblichen Bedingungen erhält und ohne Kapitalzufuhr liquidiert werden müsste7. Eine Kreditunwürdigkeit scheidet solange aus, wie die Gesellschaft noch über Vermögensgegenstände verfügt, welche ein vernünftig handeln1 2 3 4

Reuter, BB 2003, 1797. Haas, DStR 2006, 993, 997. IDW PS 340 (3). BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, ZIP 2013, 1579 Rz. 28 = GmbHR 2013, 980. Ebenso BFH v. 30.4.2013 – IX B 156/12, zit. nach juris, Rz. 8. Als „gesetzliche Krise“ bezeichnet der BGH dagegen den Zeitraum der Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO (BGH v. 25.10.2012 – IX ZR 117/11, ZIP 2012, 2355 Rz. 10). 5 BGH v. 7.11.1994 – II ZR 270/93, ZIP 1994, 1934 sub III.2b) = GmbHR 1995, 38 zu § 32a GmbHG a.F. 6 BGH v. 3.4.2006 – II ZR 332/05, ZIP 2006, 996 Rz. 7 = GmbHR 2006, 703; BGH v. 23.2. 2004 – II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049 = GmbHR 2004, 898 m. Anm. Bormann. 7 BGH v. 24.9.2013 – II ZR 39/12, ZIP 2013, 2400 Rz. 31 = GmbHR 2013, 1318; OLG München v. 18.12.2013 – 7 U 2900/09, ZIP 2014, 69 sub II. 1.; Haas, NZI 2001, 1, 6.

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Begriff und Ursachen der Krise

1.16

der Kreditgeber als Sicherheit akzeptieren würde1. Die Unterbilanz ist kein zusätzliches notwendiges Tatbestandsmerkmal für die Qualifizierung einer Unternehmenssituation als Krise. Auch eine Bürgschaft ist für sich allein kein Indiz für eine Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft. Nach zutreffender Auffassung des OLG Düsseldorf2 ist eine GmbH nur dann kreditunwürdig, wenn die Gesellschaft bereits alle Kreditsicherungsmittel eingesetzt hat und ein Kreditgeber die Vergabe von weiteren Mitteln von persönlichen Bürgschaften der Gesellschafter abhängig macht. Die Kreditunwürdigkeit setzt die Feststellung eines konkreten Kreditbedarfs voraus3. Die Frage, ob eine Gesellschaft kreditunwürdig ist, kann nach Auffassung von 1.14 Goette4 nicht im Sinne eines „schwarz“ oder „weiß“ beantwortet werden. Die Besonderheiten des Einzelfalls sind entscheidend. Gleichwohl bleibt eine „unleugbare Rechtsunsicherheit insbesondere für das Kriterium der Kreditunwürdigkeit“5. Eine bilanzielle Überschuldung bildet ein Indiz für die Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft. Ferner deuten insolvenzbezogene Krisenmerkmale wie Vollstreckungen auf eine Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft hin6. Entscheidend ist das Liquiditätspotential der Gesellschaft, gemessen an ihrem Liquiditätsbedürfnis. Eine an sich gegebene Kreditunwürdigkeit kann zwar durch Liquiditätszusagen und Verlustübernahmeverpflichtungen behoben werden, aber nur dann, wenn diese verlässlich (d.h. ohne einzuklagen verfügbar) und vollwertig sind7. Österreich hat den Begriff der Krise in Bezug auf das Eigenkapitalersatzrecht im 1.15 Eigenkapitalersatz-Gesetz (EKEG)8 gesetzlich geregelt. Eine Gesellschaft befindet sich gemäß § 2 EKEG in der Krise, wenn eine der drei Definitionen zutrifft: – Zahlungsunfähigkeit (§ 66 InsO): Zahlungsunfähigkeit liegt dann vor, wenn der Schuldner mangels liquider Mittel nicht imstande ist, binnen angemessener Frist und bei redlicher wirtschaftlicher Gebarung alle seine fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen. – Überschuldung (§ 67 InsO): Der Tatbestand der Überschuldung tritt ein, wenn keine positive Fortbestehensprognose erstellt werden kann und die Passiva größer als die Aktiva zu Liquidationswerden sind (= rechnerische Überschuldung). – Reorganisationsbedarf: Die Voraussetzungen für die Vermutung eines Reorganisationsbedarfs sind erfüllt, wenn die Eigenmittelquote i.S. von § 23 URG (Unternehmens-Reorganisationsgesetz) weniger als 8 % und die fiktive Schuldentilgungsdauer (§ 24 URG) mehr als 15 Jahre betragen, es sei denn, ein Gutachten eines Wirtschaftstreuhänders ergibt, dass doch kein Reorganisationsbedarf besteht (§ 26 URG). Zu den vom EKEG betroffenen bzw. erfassten Gesellschaften zählen nach § 4 1.16 EKEG Kapitalgesellschaften (GmbH und AG), Genossenschaften mit beschränkter Haftung sowie Personengesellschaften, bei denen kein unbeschränkter haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (zum Beispiel eine GmbH & Co. KG). 1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 29.9.1987 – II ZR 28/87, ZIP 1987, 1541. OLG Düsseldorf v. 31.8.2000 – 12 U 27/00, GmbHR 2001, 474. BGH v. 11.1.2011 – II ZR 157/09, NZI 2011, 198 Rz. 21 = GmbHR 2011, 301. Goette, ZInsO 2001, 529. Karsten Schmidt, GmbHR 2005, 707, 800. BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, NZI 2013, 742 Rz. 30 = GmbHR 2013, 980. Karsten Schmidt in Scholz, 10. Aufl., §§ 32a, 32b GmbHG Rz. 41. Am 1.1.2004 in Kraft getreten (BGBl. I Nr. 92/2003), geändert am 20.5.2010 (BGBl. I Nr. 29/2010) und 27.7.2010 (BGBl. I Nr. 58/2010).

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

II. Krisenursachen 1. Allgemeines 1.17 Unternehmenskrisen treten nicht plötzlich „über Nacht“ ein, sondern sind zumeist das Resultat einer schleichenden Entwicklung und mehrerer Ursachen, die zusammenwirken und sich verstärken können. Ihre Erkennbarkeit und der Grad ihrer Beeinflussbarkeit richten sich in einem gewissen Umfang danach, ob unternehmensinterne oder -externe Umstände die Krise ausgelöst haben. In beiden Fällen muss allerdings von dem Management verlangt werden, dass die ersten Krisenanzeichen mit Hilfe geeigneter Instrumente frühzeitig erkannt werden1 und planvoll gegengesteuert wird. 1.18 Von herausragender Bedeutung für eine krisenhafte Entwicklung von Unternehmen aller Wirtschaftszweige und aller Größenordnungen sind vor allem: 1. Mangelnde Kenntnis struktureller Änderungen auf den relevanten Absatzund/oder Beschaffungsmärkten. 2. Mangelnde Transparenz der leistungs- und finanzwirtschaftlichen Situation des eigenen Unternehmens. 3. Unzureichendes Rechnungs- und Informationswesen. 4. Verkrustung der Gesellschafter- und Führungsstruktur. 1.19 Besonders krisengefährdet sind in der Rechtsform der GmbH geführte Klein- und Mittelbetriebe mit weniger als 50 Mitarbeitern in den ersten vier Jahren nach der Gründung2. Die Ursachen dieser Krisenanfälligkeit sind mangelhafte Planung („probieren geht über studieren“) und unzureichende Kapitalausstattung. Der Begriff „Krisenbewältigung“ findet sich nicht im Vokabular dieser Unternehmen. Es gibt i.d.R. weder ein Krisenfrüherkennungssystem noch ein Sanierungskonzept noch die Möglichkeiten, Sanierungsmaßnahmen zu finanzieren. 2. Unternehmensexterne und -interne Krisenursachen 1.20 Unterteilt nach unternehmensexternen (exogenen) und -internen (endogenen) Krisenursachen können folgende Ereignisse die Unternehmensentwicklung negativ beeinflussen3: 1.21 Unternehmensexterne Krisenursachen – „Höhere Gewalt“ (Naturkatastrophen), – Änderung rechtlicher Rahmenbedingungen, z.B. im Arbeitsrecht (Kündigungsschutz), im Steuerrecht (Unternehmenssteuern) oder Wegfall von Subventionen (Bsp.: Solarindustrie), – bei exportorientierten Unternehmen: negative Entwicklungen anderer Volkswirtschaften, Wechselkursänderungen, 1 Zu Frühwarnsystemen: Krystek, Frühwarnsysteme, in Hutzschenreuter/Griess-Nega, Krisenmanagement: Grundlagen, Strategien, Instrumente, Wiesbaden 2006, S. 221 – 244; Schöpfner, Frühwarnsysteme im strategischen Management – Theorien und Umsetzung, Saarbrücken 2006. 2 http://www.rolandberger.de/media/pdf/Roland_Berger_Insolvenzstudie_20110323.pdf. 3 Zu weiteren Beispielen: Zabel in Kübler, HRI, 2. Aufl. 2015, § 3 Rz. 39 f.

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Begriff und Ursachen der Krise

1.23

– Konjunktureinflüsse (z.B. Saisonschwankungen), – Marktveränderungen (z.B. verändertes Kaufverhalten, Marktsättigung), steigende Wettbewerbsintensität, Technologiewandel (z.B. von Röhren- zu Flachbildfernsehern, von Film- zu Digitalkameras), Globalisierung, – Rohstoffverteuerung (z.B. für Fluggesellschaften), – Wegfall eines Großkunden oder Hauptlieferanten (insb. bei Monopolen und Oligopolen), – erheblicher Forderungsausfall. 1.22 Unternehmensinterne Krisenursachen – Management, Organisation: Fehlen klarer Strukturen, Entscheidungsschwäche, mangelnde Delegation, Ausfall von Führungskräften, fehlende Kontrolle, falsche Beurteilung des Marktes und der strategischen Position, Standortnachteile, – Personal: Motivationsdefizite, unzureichende Qualifikation, falsche Personalplanung, zu hohe Personalfluktuation, zu hohe Personalkosten, Veruntreuungen, – Produktion: schlechte Kapazitätsauslastung, Qualitätsprobleme, operative Defizite im Leistungserstellungsprozess, – Absatz: falsche Produkt- oder Preispolitik, Mängel im Vertrieb, schlechter Service, sinkendes Markenimage, – Investitionen: zu frühe oder zu späte Investitionen, Fehleinschätzungen des Investitionsbedarfs und seiner Amortisation, – Forschung und Entwicklung: fehlendes oder falsches F&E-Konzept, – Finanzen und Controlling: Fehleinschätzung des Liquiditätsbedarfs, unzureichende Kosten- und Leistungsrechnung (insb. mangelhafte Kalkulation und fehlende Deckungsbeitragsrechnung), zu großzügige Zahlungsziele, fehlendes Frühwarnsystem. Studien1 haben ergeben, dass als wesentliche interne Krisenauslöser angesehen 1.23 werden: mangelhaftes Controlling (79 %), Finanzierungslücken (76 %), unzureichendes Debitorenmanagement (64 %), autoritärer Führungsstil (57 %). Als externe Ursachen wurden verantwortlich gemacht: schlechte Zahlungsmoral der Kunden (82 %), Arbeits- und Sozialrecht (81 %), Erschwernisse durch Arbeits1 Gemeinsame Studie der ZIS (Zentrum für Insolvenz und Sanierung an der Universität Mannheim) und der Euler Hermes Kreditversicherungs-AG, „Ursachen von Insolvenzen – Gründe für Unternehmensinsolvenzen aus der Sicht von Insolvenzverwaltern“, in Wirtschaft Konkret Nr. 414/2006, S. 7, 20, 23, 32 f. (im Internet abrufbar unter: http://www.zis.uni-mannheim.de/studien/dokumente/ursache_von_insolvenzen/414 _wiko.pdf); vgl. auch Gemeinsame Studie der ZIS (Zentrum für Insolvenz und Sanierung an der Universität Mannheim) und der Euler Hermes Kreditversicherungs-AG, „Rettung aus der Insolvenz“, in Wirtschaft Konkret Nr. 418/2007, S. 7; Bitter/Röder, ZInsO 2009, 1283 ff.; http://www.rolandberger.de/media/pdf/Roland_Berger_Insol venzstudie_20110323.pdf, S. 11.

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1.24

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

gerichte (73 %), Basel II (60 %). Allerdings bestehen unter den Beteiligten signifikante Wahrnehmungsunterschiede. Während Unternehmer meist die externen Faktoren als hauptursächlich ansehen, stehen für Banken und andere Geschäftspartner primär die Defizite im Unternehmen selbst im Vordergrund1. 3. Krisensymptome 1.24 Krisensymptome (wie z.B. Unterbilanzen oder negative Umsatzentwicklungen) sind lediglich Anzeichen für bereits eingetretene Krisensituationen, jedoch nicht ursächlich für deren Eintritt2. Anhand der Krisensymptome lassen sich aber Rückschlüsse auf das jeweilige Krisenstadium, in dem sich das Unternehmen befindet, ziehen3. Um Krisenentwicklungen möglichst frühzeitig zu erkennen, muss seitens der Unternehmensleitung Bereitschaft bestehen, sich mit entsprechenden Signalen (z.B. von Mitarbeitern vorgebrachten Hinweisen und Kritikpunkten) auseinander zu setzen. Denn diese verfügen aufgrund ihrer Nähe zum operativen Geschäft über ein gutes Gespür für Krisenanzeichen4. 4. Typische Krisenszenarien 1.25 Im Zuge der Globalisierung gewinnen die externen Einflüsse und Krisenursachen immer größere Bedeutung. Werden strukturelle Änderungen der Beschaffungsund Absatzmärkte nicht rechtzeitig erkannt, drohen kurzfristig schwere und kaum noch aufholbare Markteinbrüche. Die Sony Corporation, einer der größten Anbieter auf dem Markt für Unterhaltungselektronik, hatte in den Jahren ab 2004 wirtschaftliche Probleme, weil sie den weltweiten Zuwachs an LCD-Fernsehern zu Lasten von Röhren- und Plasmafernsehern unterschätzt hatte. In ähnlicher Weise hatte der Kamerahersteller Leika den weltweiten Wechsel von der analogen zur Digitalfotografie „verschlafen“. Nachdem die Gesellschaft „monatelang am Rande der Insolvenz stand“5, brachte erst ein „Strategieschwenk“ Erfolg in Form steigender Umsätze und sinkender Verluste, während die in gleicher Weise betroffene AgfaPhoto GmbH infolge mangelnder Reaktion auf den Technologiewandel nach Insolvenz im Jahre 2005 vom Markt verschwand. vacat

1.26–1.30

1 Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 3. Aufl. 2012, 1.3. 2 Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 3. Aufl. 2012, 1.2.3. 3 Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen – Ursachen – Sanierungskonzepte – Krisenvorsorge – Steuern, Berlin 2006, S. 35. Zu typischen Symptomen: Zabel in Kübler, HRI, 2. Aufl. 2015, § 3 Rz. 22 ff., 28 ff., 34 ff. 4 Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 3. Aufl. 2012, 1.2.3. 5 Financial Times Deutschland v. 24.5.2006, S. 5.

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Kapitalausstattungsgebot und Kapitalsicherung

1.33

B. Krisenvorsorge I. Kapitalausstattungsgebot und Kapitalsicherung 1. Zum Verständnis des Kapitalschutzsystems Das Gläubigerschutzsystem des GmbH-Gesetzes ruht auf drei Säulen: 1.31 – dem Kapitalschutzsystem1, ergänzt durch den Überschuldungstatbestand (zu diesem vgl. Rz. 5.81 ff.), – den gesellschaftsrechtlichen Governanceregeln, ergänzt durch die Verbote der Insolvenzverschleppung durch Geschäftsführer (Rz. 11.1 ff.) und der Existenzvernichtung durch Gesellschafter (Rz. 1.34 ff., 11.151 ff.)2 und – dem Informationssystem, insbesondere im Recht der Rechnungslegung3. Das Kapitalschutzsystem ist im vorliegenden Werk nicht systematisch darzustel- 1.32 len. Es interessiert hier nur insoweit, als es – der Krisenvermeidung dient (Rz. 1.91 ff., 1.121 ff., 1.141 ff.) oder – bei der Krisenüberwindung Beachtung verdient (vgl. über Kapitalaufbringungsregeln bei der Kapitalerhöhung durch Gesellschafterbeschlüsse [Rz. 2.31 ff.]) oder – durch Insolvenzverwalterklagen sanktioniert wird. 2. Kein allgemeines Unterkapitalisierungsverbot a) Das GmbH-Gesetz setzt zum Zweck der Krisenvermeidung auf Eigenkapital 1.33 und Kapitalschutz4. Allerdings kennt das geltende Recht kein gesetzliches Gebot, die Gesellschaft mit einem für ihr Unternehmen ausreichenden Eigenkapital auszustatten5. Insbesondere enthält die Regelung über das gesetzliche Mindeststammkapital (§ 5 Abs. 1 GmbHG) kein solches Gebot, sondern nur eine „Seriositätsschwelle“ und „Eintrittskarte“ zur Rechtsform der GmbH6. Mit § 5 GmbHG verbindet sich nicht die Erwartung, das satzungsmäßige Stammkapital reiche für die Unternehmensfinanzierung aus. Demgemäß lässt sich dem Gesetz auch keine Haftungssanktion für den Fall entnehmen, dass sich das satzungsmäßige Eigenkapital der Gesellschaft nachträglich als zu gering erweist. Das muss allerdings nicht besagen, dass eine Unternehmensführung ohne hinreichende Kapitalausstattung ohne Weiteres rechtens ist. 1 Dazu etwa Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 2011, S. 11 ff.; Kleindiek, ZGR 2006, 335 ff.; Pellens/Kemper/A. Schmidt, ZGR 2008, 381 ff. 2 Dazu sinngemäß Karsten Schmidt in Lutter, Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006, S. 188 ff. 3 Vgl. Pellens/Kemper/A. Schmidt, ZGR 2008, 381, 387 f. 4 Kleindiek, ZGR 2006, 335 ff. 5 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 268; BGH v. 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312, 319; BGH v. 24.3.1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326, 334 = GmbHR 1980, 179; BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 203 = GmbHR 2008, 805 m. Komm. Ulrich; Schwandtner in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl., § 5 GmbHG Rz. 33; Veil in Scholz, § 5 GmbHG Rz. 15 m.w.N. 6 Ulmer in Großkommentar zum GmbHG, Einl. A GmbHG Rz. A 45; Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 2011, S. 11; Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 549.

Karsten Schmidt

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1.34

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

1.34 b) Unterkapitalisierung, d.h. eine für Zwecke und Tätigkeit der Gesellschaft unzureichende Eigenkapitalausstattung der GmbH, ist eine Gefahr für den nachhaltigen Bestand der Gesellschaft und gilt als ein Verstoß gegen die allgemeinen Gebote der Unternehmensfinanzierung1. Deren rechtliche Relevanz ist indes unsicher. Von materieller Unterkapitalisierung wird gesprochen, „wenn das Eigenkapital nicht ausreicht, um den nach Art und Umfang der Geschäftstätigkeit bestehenden, nicht durch Kredite Dritter zu deckenden mittel- oder langfristigen Finanzbedarf zu befriedigen“2. Das GmbH-Gesetz kennt keine allgemeine Durchgriffshaftung in Fällen der Unterkapitalisierung und auch keine allgemeine Nachschusspflicht der Gesellschafter in der Krise3. Der BGH hat im Hinblick auf § 13 Abs. 2 GmbHG berechtigte Scheu vor einer generalisierenden Durchgriffshaftung4. Selbst das durch das „Trihotel“-Urteil vom 16.7.2007 teilweise wieder zurückgenommene „KBV“-Urteil vom 24.6.20025, wonach die Verantwortung der Gesellschafter für die „Zweckbindung der GmbH“ außerhalb des Insolvenzverfahrens zu einer echten Durchgriffshaftung der Gesellschafter gegenüber den Gesellschaftsgläubigern führen sollte (dazu Rz. 1.51, Rz. 11.151), hatte zur Grundlage ein gesellschafts- und gläubigerschädigendes Fehlverhalten eines individuellen Gesellschafters, nicht eine gesetzliche Kapitalgarantie6. Nachdem das „Trihotel“-Urteil vom 16.7.20077 den Haftungsdurchgriff auf vorsätzliche sittenwidrige Schädigungen (§ 826 BGB) beschränkt hat, hat der BGH durch das „Gamma“-Urteil vom 28.4.20088 klargestellt, dass Unterkapitalisierung auch auf der Grundlage des Existenzvernichtungsmodells vorbehaltlich einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nicht zur Durchgriffshaftung der Gesellschafter führt, weil die Unterkapitalisierung keinen existenzvernichtenden Eingriff darstellt. Dieses Urteil wird seither als das Ende der allgemeinen Durchgriffsdiskussion in der Pra-

1 Dazu Lutter, GmbHR 2000, 301, 302. 2 Hachenburg/Ulmer, 8. Aufl., Anh. § 30 GmbHG Rz. 17; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 240; Schwandtner in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl., § 5 GmbHG Rz. 36; anders Eckhold, Materielle Unterkapitalisierung, 2002, S. 29–59: Unterkapitalisierung als Kreditunfähigkeit; nach h.M. kann Kreditunfähigkeit als Krise der Gesellschaft (§ 32a Abs. 1 GmbHG a.F.) Resultat der Unterkapitalisierung sein, doch ist nicht beides dasselbe. 3 Vgl. m.w.N. Fastrich in Baumbach/Hueck, § 5 GmbHG Rz. 6; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 13 GmbHG Rz. 139 ff.; Vonnemann, GmbHR 1992, 77 ff.; Altmeppen, ZIP 1999, 881 ff.; gegen jede Durchgriffshaftung Ehricke, AcP 199 (1999), 257; a.M. Bitter, WM 2001, 2133 ff. 4 Vgl. zur Durchgriffsfestigkeit der GmbH allgemein BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 = GmbHR 1994, 390; BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = GmbHR 2007, 927; Boujong in FS Odersky, 1996, S. 742 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 1994, 837. 5 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = GmbHR 2002, 902. 6 Auch die vom Bundessozialgericht entschiedenen Fälle des angeblichen Durchgriffs wegen Unterkapitalisierung betrafen Sachverhalte der Verhaltenshaftung; vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 241 ff. 7 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 264 = GmbHR 2007, 927; dazu Altmeppen, NJW 2007, 2657. 8 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = GmbHR 2008, 805 m. Komm. Ulrich = ZIP 2008, 1232.

10

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Karsten Schmidt

Kapitalausstattungsgebot und Kapitalsicherung

1.35

xis interpretiert1. Ob damit die Haftung von Gesellschaftern wegen Unterkapitalisierung endgültig ausgeschlossen ist, ist allerdings zu bezweifeln2. Die Ablehnung eines Haftungsdurchgriffs besagt zunächst nur, dass auch bei einer unterkapitalisierten Kapitalgesellschaft keine unbeschränkte persönliche Haftung der Gesellschafter für alle Verbindlichkeiten der unterkapitalisierten GmbH eintritt. Nicht ohne Weiteres ausgeschlossen ist eine auf Schadensersatz gehende Haftung der Gesellschafter oder Geschäftsführer für gläubigerschädigendes Fehlverhalten (vgl. zur „Insolvenzverursachungshaftung“ Rz. 11.151 ff.). Dass nicht doch in der Gründung und im Betrieb einer unterkapitalisierten GmbH oder GmbH & Co. KG ein haftungsbegründender Tatbestand liegen kann, ist auch nach dem „Gamma“-Urteil3 nicht ein für allemal ausgemacht. Der Gedanke der gläubigerschädigenden existenziellen Gefährdung und Schädigung der Gesellschaft und hierdurch der Gläubiger kann durchaus noch haftungsrelevant sein, insbesondere zur Schadensersatzhaftung der Gesellschafter in Unterkapitalisierungsfällen wegen Existenzvernichtung führen. Selbst das „Gamma“-Urteil hält eine Geschäftsführerhaftung aus § 826 BGB und eine Teilnehmerhaftung der Gesellschafter gegenüber der GmbH auf Freistellung von unerfüllbaren Verbindlichkeiten (z.B. ungedeckten Löhnen) für schlechterdings ausgeschlossen. 3. Zur Finanzierungsverantwortung von Gesellschaftern und Geschäftsführern a) An die Stelle eines generellen Unterkapitalisierungsverbots tritt ein Prinzip der 1.35 individuellen Finanzierungsverantwortung4. Deshalb ist bei erkennbarer Unterkapitalisierung schon vor dem Einsetzen der sog. Insolvenzantragspflichten (unten Rz. 11.1 ff.) an die Verantwortung der Geschäftsführung und der Gesellschafter zu denken (dazu Rz. 11.191 ff.). Während die Haftung der Gesellschafter auf schuldhaft existenzgefährdende Maßnahmen begrenzt und vom BGH sogar auf die Fälle des § 826 BGB beschränkt worden ist (Rz. 11.152), obliegt den Geschäftsführern eine umfassende Verantwortung in Gestalt ständiger Solvenzprüfungspflichten. Diese setzen als Governance-Regeln im Rahmen der Geschäftsführerverantwortlichkeit nach § 43 GmbHG ggf. schon vor den sog. Insolvenzantragspflichten (§ 15a InsO), also vor Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ein (Rz. 1.116, Rz. 1.191 ff.)5. Dazu gehört eine transparente Finanzplanung, und dazu können auch Solvenztests gehören. Zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung gehört ferner die Einrichtung eines dem Zuschnitt des Unternehmens angemessenen Risikomanagements6. Wer als Geschäftsführer gegen diese Regeln ver1 Schwandtner in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl., § 5 GmbHG Rz. 38; eingehend Altmeppen, ZIP 2008, 1201 ff.; Leuering, NJW-Spezial 2008, 431; kritisch Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 2011, S. 838 f.; Raiser in Großkommentar zum GmbHG, § 13 GmbHG Rz. 140; Kleindiek, NZG 2008, 686, 689 f. 2 Zur Kritik statt vieler Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 281 ff.; Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 731 ff. 3 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = GmbHR 2008, 805 m. Komm. Ulrich = ZIP 2008, 1232. 4 Dazu Lutter, GmbHR 2000, 301, 302. 5 Vgl. dazu Buck-Heeb in FS Westermann, 2008, S. 845 ff.; Haas/Ziemons in Michalski, § 43 Rz. 55 f. 6 Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 96 ff.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

stößt, verletzt nicht nur Vertragspflichten, sondern auch seine korporativen Pflichten nach § 43 GmbHG. Die Satzung einer auf Fremdgeschäftsführung angelegten GmbH kann diese Pflicht noch verschärfen. Sie kann insbesondere in Anlehnung an § 91 Abs. 2 AktG ein Überwachungssystem installieren und den Geschäftsführern Berichtspflichten (z.B. in Gestalt von Quartalsberichten) auch hinsichtlich der Finanzplanung auferlegen1. Die Methoden der laufenden Kontrolle sind bei Rz. 1.191 ff. dargestellt. Ein Indiz für die vom Gesetz stillschweigend unterstellte ständige Selbstprüfungspflicht der Geschäftsführung ist zudem § 49 Abs. 3 GmbHG: Bei Verlust der Hälfte des Stammkapitals – genauer: wenn das Reinvermögen der Gesellschaft nicht mehr die Hälfte des Stammkapitals deckt – ist die Gesellschafterversammlung einzuberufen (dazu auch Rz. 1.124). Geschäftsführer, die durch Vernachlässigung der Selbstprüfungspflicht eine Liquiditätskrise oder eine Kreditunwürdigkeit verkennen und den Gesellschaftern nicht rechtzeitig Gelegenheit zur Abwendung einer solchen Krisensituation geben, können sich nach § 43 GmbHG gegenüber der GmbH schadensersatzpflichtig machen. 1.36 b) Das mehr und mehr unausgewogene Verhältnis zwischen der strengen Geschäftsführerhaftung und der durch die Urteile „Trihotel“2 und „Gamma“3 sowie durch die GmbH-Reform 2008 (MoMiG) immer stärker eingeschränkte Gesellschafterverantwortlichkeit lässt auch daran denken, ob unter Umständen Gesellschafter, die Einfluss auf haftungsbegründende Maßnahmen des Geschäftsführers ausgeübt haben, als faktische Geschäftsführer nach den Grundsätzen des § 43 GmbHG oder als Teilnehmer an einer unerlaubten Handlung4 haften, also z.B. für die Übernahme von Verbindlichkeiten, die die Gesellschaft auf Grund ihrer Unterkapitalisierung nicht begleichen kann. In der gegenwärtigen Rechtsprechung scheint eine solche Unterkapitalisierungshaftung allerdings nicht angelegt (vgl. Rz. 1.51). 4. Der formelle Kapitalschutz 1.37 Von den bisher angestellten Überlegungen sind die formellen Regeln über die Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung zu unterscheiden. Die Bedeutung dieser Regeln kommt nicht selten erst im Insolvenzverfahren ans Licht, wenn nämlich der Insolvenzverwalter unerfüllte Einlageansprüche (§ 19 GmbHG) bzw. Rückforderungsansprüche wegen verbotener Ausschüttungen (§ 31 GmbHG) einklagt. Diese strengen Regeln müssen aber schon bei der Krisenvorsorge bzw. im Zuge der Sanierung beachtet werden. Die Liberalisierung der §§ 19, 30 GmbHG durch das MoMiG hat hieran im Grundsatz nichts geändert. Aus der Perspektive des vorliegenden Buchs, das die GmbH oder GmbH & Co. KG als bereits gegründet und als operativ tätig ansieht, stellen sich diese Normen wie folgt dar: a) Die Kapitalerhaltung (§§ 30, 31 GmbHG) ist ein unbedingtes Muss bei der Krisenvermeidung und Krisenbereinigung (Rz. 1.39 ff.). 1 Evtl. auch durch bloßen Weisungsbeschluss der Gesellschafter; vgl. Karsten Schmidt in Scholz, § 46 GmbHG Rz. 114. 2 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 264 = GmbHR 2007, 927. 3 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = GmbHR 2008, 805 m. Komm. Ulrich = ZIP 2008, 1232. 4 Ansätze hierzu im „Gamma“-Urteil.

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Ausschüttungsverbot des § 30 GmbHG

1.39

b) Die Kapitalaufbringungsregeln (§§ 7 ff., 19 GmbHG) stellen sich im Bereich der Krise und Sanierung im Wesentlichen als Rechtsfragen der Kapitalerhöhung dar (vgl. Rz. 2.31 ff.).

II. Das Ausschüttungsverbot des § 30 GmbHG 1. Der Verbotstatbestand a) Das strenge Ausschüttungsverbot des § 30 GmbHG stellt nach der Rechtspre- 1.38 chung ein „Kernstück“ des Rechts der GmbH als einer Kapitalgesellschaft dar1. Als solches muss es auch von der Geschäftsführung begriffen und respektiert werden. Das MoMiG hat hieran nichts Grundsätzliches geändert. Im Zuge der Reformarbeiten war erwogen worden, die Ausschüttungssperre des § 30 GmbHG durch prognostische Solvenztests zu ersetzen2. Der Gesetzgeber hat es aber mit Recht bei dem einfacher zu handhabenden bilanziellen Unterbilanztest des § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG belassen3. Das bedeutet nicht, dass etwa Solvenztests rechtlich ohne Bedeutung wären. Sie sind von praktischer Relevanz im allgemeinen Recht der Finanzierungsverantwortung (dazu schon Rz. 1.35), insbesondere bei der Überschuldungsprüfung (Rz. 5.105 ff.) sowie bei dem Zahlungsverbot des § 64 Satz 3 GmbHG (Rz. 11.158 ff.). Das Ausschüttungsverbot des § 30 Abs. 1 GmbHG basiert nach wie vor – seit der 1.39 MoMiG-Reform von 2008 sogar noch eindeutiger als zuvor – auf einer streng bilanziellen Prüfung. „Auszahlungen“ des „zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens“ sind untersagt, doch ist diese Formulierung in mehrfacher Richtung missverständlich. Da § 30 Abs. 1 GmbHG das bilanzielle Gesellschaftsvermögen schützen soll, geht es nicht in jedem Fall um „Zahlungen“ (schon gar nicht um „Rückgewähr der Einlagen“, wie das Ausschüttungsverbot missverständlich in § 57 AktG beschrieben ist). Vielmehr kann jede „causa societatis“ geleistete, also auf der Gesellschaftereigenschaft beruhende bilanziell relevante Zuwendung gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstoßen, wenn sie die Deckung des Stammkapitals berührt. Die Vermögensverringerung gibt den Ausschlag4. Es kommt also nicht auf den Abfluss von Liquidität aus dem Gesellschaftsvermögen an, sondern es kann sich z.B. auch um die Zuwendung von Sachwerten5 oder um den Erlass von Verbindlichkeiten6 handeln (über die Bestellung von Sicherheiten 1 BGH v. 30.6.1958 – II ZR 213/56, BGHZ 28, 77, 78 = GmbHR 1958, 149; vgl. auch Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1111; Verse in Scholz, § 30 GmbHG Rz. 1. 2 Eingehend m.w.N. Eidenmüller, ZGR 2007, 168, 190 ff.; Engert, ZHR 170 (2006), 296 ff.; Haas in Verhandlungen des 66. DJT, Band I, 2006, S.W. 123 ff.; E 130 f.; Jungmann, ZGR 2006, 638 ff.; Kuhner, ZGR 2005, 753, 777 ff.; Weller, DStR 2007, 116 ff.; distanziert Arnold, Der Konzern 2007, 118, 120 ff.; Hennrichs, Der Konzern 2008, 42 ff. m. umfangr. Nachw. 3 Vgl. Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 41; näher Karsten Schmidt, GmbHR 2007, 1072, 1074. 4 Vgl. Ekkenga in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl., § 30 GmbHG Rz. 127; Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 47; Verse in Scholz, § 30 GmbHG Rz. 18. 5 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 30 GmbHG Rz. 8. 6 Vgl. (Verrechnung von Forderungen unterschiedlichen Werts) BGH v. 10.5.1993 – II ZR 74/92, BGHZ 122, 333 = NJW 1993, 122 = GmbHR 1993, 427.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

vgl. Rz. 1.82)1. Darauf, dass die Vermögensminderung in der Bilanz aktuell ausgewiesen wird, kommt es selbstverständlich nicht an2. Namentlich gilt das für verdeckte Ausschüttungen. Zuwendungen aus dem Gesellschaftsvermögen einschließlich geldwerter Vorteile (Nutzungen, Zinslosigkeit bei Darlehen etc.), die einem Drittvergleich nicht standhalten, also einem Nichtgesellschafter nicht zukämen, können gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstoßen, auch wenn es sich nicht um Zahlungen handelt3. Zuwendungen an den Gesellschaftern nahe stehende Dritte (z.B. konzernzugehörige Gesellschaften), die ein gesellschaftsfremder Dritter so nicht erhalten hätte, stehen dem gleich (zur Rückgewährpflicht in diesem Fall vgl. Rz. 1.48)4. 1.40 b) Die Vorschrift verbietet nicht jede eines Ausschüttungsbeschlusses entbehrende oder gar verdeckte und damit im Innenverhältnis rechtswidrige Ausschüttung5. Gesetzlich verboten sind nur Ausschüttungen aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen. Dieser Vermögensschutz ist nicht gegenständlich, sondern vermögensmäßig, also „bilanziell“ zu verstehen: Das Aktivvermögen einer GmbH ist nicht in gebundene und ungebundene Vermögensgegenstände geteilt, sondern jeder Vermögensgegenstand unterliegt der Bindung nach § 30 Abs. 1 GmbHG, sobald eine Unterbilanz besteht oder durch die Zuwendung an den Gesellschafter herbeigeführt oder vergrößert würde. Verboten ist m.a.W. die Herbeiführung oder Vergrößerung einer Unterbilanz durch Zuwendungen an Gesellschafter6. Jede bestehende oder durch die Zuwendung bewirkte Unterbilanz macht die Zuwendung unzulässig. Dies zu prüfen, ist Geschäftsführeraufgabe. Eine Unterbilanz liegt vor, wenn das Reinvermögen der Gesellschaft (Aktiva minus Verbindlichkeiten) das Stammkapital nicht deckt7. Ob eine Unterbilanz besteht, richtet sich nach den für einen ordnungsgemäß aufgestellten Jahresabschluss geltenden Regeln, bezogen auf den Ausschüttungsstichtag. Auskunft gibt nicht die Bilanz als solche, sondern ein auf ihrer Grundlage zu erstellendes Rechenwerk (sog. Unterbilanzstatus)8. In zweifelhaften Fällen muss also

1 Vgl. schon RG v. 22.4.1932 – II 349/31, RGZ 136, 260, 264: Herausgabe von Vermögenswerten jeder Art; h.M.; vgl. Verse in Scholz, § 30 GmbHG Rz. 18. 2 Vgl. zusammenfassend Verse in Scholz, § 30 GmbHG Rz. 18 mit umfassenden Nachweisen. 3 Vgl. Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 47 ff.; Verse in Scholz, § 30 GmbHG Rz. 18 ff.; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 30 GmbHG Rz. 33 ff. 4 Vgl. BGH v. 15.10 2007 – II ZR 243/06, DStR 2007, 2270; Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 65 ff.; Ekkenga in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl., § 30 GmbHG Rz. 157 ff, 178 ff.; Verse in Scholz, § 30 GmbHG Rz. 38 ff. 5 In dieser Richtung aber Winter, ZHR 148 (1984), 579 ff. sowie BGH v. 29.5.1987 – 3 StR 242/86, BGHSt 34, 379 = GmbHR 1987, 464. 6 BGH v. 5.2.1990 – II ZR 114/89, GmbHR 1990, 249, 250; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1131; Verse in Scholz, § 30 GmbHG Rz. 52 ff.; eingehend Joost, ZHR 148 (1984), 27; Wilhelm, ZHR 159 (1995), 454 ff. 7 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1132. 8 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, BGHZ 109, 334, 337 f. = NJW 1990, 1109 = GmbHR 1990, 209; BGH v. 11.5.1987 – II ZR 226/86, GmbHR 1987, 390; OLG Celle v. 3.12.2003 – 9 U 119/03, GmbHR 2004, 309.

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Ausschüttungsverbot des § 30 GmbHG

1.41

ein sich nach den Regeln der Jahresbilanz richtender Unterbilanzstatus auf den Ausschüttungstag erstellt werden1. Stille Rücklagen werden nicht aktiviert2. Hierdurch unterscheidet sich der Unterbilanztest von einer Überschuldungsprüfung nach § 19 Abs. 2 InsO. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass der Unterbilanzstatus auf der Passivseite zwar durch einen Erlass von Verbindlichkeiten bereinigt werden kann, nicht durch einen Rangrücktritt (vgl. zu diesem Rz. 1.364). Die bilanzielle Betrachtungsweise gilt nicht nur für die Voraussetzungen des Verbots (deckt das Vermögen das Stammkapital?), sondern auch für die Behandlung des beabsichtigten Vermögenstransfers (handelt es sich um eine „Auszahlung“ i.S. von § 30 Abs. 1 GmbHG?). Ein Vorgang, der das Vermögen der Gesellschaft nicht schmälert, kann keine „Auszahlung“ sein3. Ein bloßer Aktiventausch (Kasse gegen vollwertige Forderung) ist keine Ausschüttung i.S. von § 30 GmbHG. Durch § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG ist das seit dem MoMiG für Kredite an Gesellschafter klargestellt4. Nicht verboten ist die bloße Weiterreichung von Liquidität ohne Vermögenseinbuße5. Das gilt nicht nur für Darlehen an solvente Gesellschafter (Rz. 1.61), sondern z.B. auch, wenn die Gesellschaft Sanierungsmittel an eine 100%ige Tochtergesellschaft weiterleitet6, vorausgesetzt, hieraus erwächst der Gesellschaft ein den Mittelabfluss kompensierender vollwertiger Anspruch7. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zur Entscheidungspraxis bezüglich der Zahlungsverbote bei materieller Insolvenz (vgl. zu § 64 GmbHG Rz. 11.31 ff.). c) Das Ausschüttungsverbot gilt selbstverständlich auch und erst recht, wenn die 1.41 Gesellschaft materiell insolvent (also überschuldet oder zahlungsunfähig) ist. Nur durch ein überholtes (gegenständliches) Bild des Auszahlungsverbots erklärbar und mit Recht aufgegeben ist die ältere Rechtsprechung, nach der die §§ 30, 31 GmbHG im Fall bereits eingetretener Überschuldung lediglich analoge Anwendung finden sollten8. Die Fehlvorstellung ging dahin, dass die bereits überschuldete GmbH gar kein Stammkapital mehr „hat“ und dass es deshalb auch kein der Erhaltung dieses Stammkapitals dienendes Vermögen mehr gibt. Das war eine gegenständliche und damit unrichtige Vorstellung vom Kapitalschutz und eine Verwechslung des (auf der Passivseite zu bilanzierenden) Stammkapitals mit dem Reinvermögen der Gesellschaft. Bei bilanzieller Betrachtung ist klar: Die §§ 30, 1 Näher Fastrich in Baumbach/Hueck, § 30 GmbHG Rz. 17; die Zwischenbilanz ist allerdings nicht notwendige Voraussetzung einer zulässigen Auszahlung; solange objektiv kein Anhalt für eine Unterbilanz besteht, kann der Geschäftsführer Auszahlungen vornehmen, ohne einen Unterbilanzstatus aufzustellen. 2 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, BGHZ 109, 334, 337 f. = NJW 1990, 1109 = GmbHR 1990, 209; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 30 GmbHG Rz. 17; Pentz in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 30 GmbHG Rz. 10. 3 A.M. Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 43 ff. 4 Durch das MoMiG überholt ist das abweichende Grundlagenurteil BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = GmbHR 2004, 302 m. Komm. Bähr/Hoos = ZIP 2004, 263. 5 A.M. Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 53. 6 Dazu (wohl zu allgemein) OLG München v. 6.7.2005 – 7 U 2230/05, ZIP 2006, 564, 567 = GmbHR 2005, 1486 m. Komm. Schröder (offenbar nachträglich rechtskräftig geworden). 7 Vgl. Fastrich in Baumbach/Hueck, § 30 GmbHG Rz. 35 ff. m.w.N. 8 So noch BGH v. 29.3.1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324, 331 = GmbHR 1973, 163.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

31 GmbHG sind unmittelbar auf jede Zuwendung anzuwenden, die eine Unterbilanz herbeiführt oder verschärft1. Doch beginnt die Relevanz des § 30 GmbHG nicht erst mit dem Tatbestand der Unterbilanz. Schon im Vorhinein sind die Geschäftsführer verpflichtet, jede Ausschüttung auf ihre Vereinbarkeit mit § 30 GmbHG zu prüfen. Diese schon vor dem Eintritt einer materiellen Insolvenz ihnen obliegende Prüfung ist Bestandteil der bei Rz. 1.116, Rz. 1.191 ff. behandelten Selbstprüfungspflicht des Managements. Nur erwähnt sei im vorliegenden Zusammenhang, dass die Geschäftsführer insbesondere verdeckte Ausschüttungen nicht nur unter dem Gesichtspunkt des § 30 GmbHG, sondern auch unter den Gesichtspunkten des allgemeinen Schädigungsverbots und der Gleichbehandlung der Gesellschafter im Auge behalten müssen (von der steuerrechtlichen Relevanz einmal abgesehen). Zur Geschäftsführerhaftung vgl. Rz. 1.54 ff. 1.42 d) Ein allgemeines Konzernprivileg für Zahlungen aus dem Vermögen einer abhängigen Gesellschaft an ein herrschendes Unternehmen gibt es im Vertragskonzern (Rz. 1.74 f.)2: Das Ausschüttungsverbot gilt nicht, wenn ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter besteht (§ 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Zweifelhaft ist das Verhältnis zu der auch im GmbH-Vertragskonzern geltenden Regelung des § 301 AktG über den Höchstbetrag der Gewinnabführung. Diese Spezialregelung bleibt richtigerweise unberührt3. Das dürfte aber nicht bedeuten, dass die Freistellung vom Ausschüttungsverbot insgesamt durch § 301 AktG limitiert ist. Dies gilt vielmehr nur für die Ausschüttung von Bilanzgewinn, nicht für sonstige Zuwendungen (zweifelhaft). 2. Rückzahlungspflicht des Empfängers 1.43 a) Das Ausschüttungsverbot richtet sich an die durch den Geschäftsführer vertretene Gesellschaft und als Verbot der Entnahme auch an die Gesellschafter. § 30 GmbHG ist kein Verbotsgesetz i.S. von § 134 BGB4 und auch kein Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB5. Diese nur auf den ersten Blick verwundernde Feststellung bedeutet: Die gegen § 30 GmbHG verstoßenden Geschäfte sind nicht nichtig (Rückabsicherung also nach § 31 GmbHG und nicht nach § 812 BGB)6, und das gilt für das Kausalgeschäft ebenso wie für das die verbotene Rückgewähr verwirklichende Verfügungsgeschäft7, und der Verstoß gibt nicht jeder dadurch geschädig1 BGH v. 5.2.1990 – II ZR 114/89, GmbHR 1990, 249; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1135 f.; Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 42. 2 Eingehend Verse in Scholz, § 30 GmbHG Rz. 72 ff. 3 Emmerich in Scholz, Anh. § 13 GmbHG Rz. 204a. 4 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 220/95, BGHZ 136, 125 = JZ 1997, 965 m. Anm. Altmeppen = GmbHR 1997, 790; OLG Düsseldorf v. 31.5.2012 – I-16 U 53/11, GmbHR 2012, 793 = ZIP 2012, 2059; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1139; Karsten Schmidt in Kalss/ Torggler (Hrsg.), Einlagenrückgewähr, 2014, S. 1 ff.; Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 119 f. 5 Karsten Schmidt in Kalss/Torggler (Hrsg.), Einlagenrückgewähr, 2014, S. 1 ff.; Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 22. 6 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 220/95, BGHZ 136, 125 = JZ 1997, 965 m. Anm. Altmeppen = GmbHR 1997, 790; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1139; Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 96 f. 7 BGH v. 12.3.2013 – II ZR 179/12, BGHZ 196, 312 = AG 2013, 431 = NJW 2013, 1742 = JuS 2013, 738 (Karsten Schmidt).

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Ausschüttungsverbot des § 30 GmbHG

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ten Person einen individuellen Schadensersatzanspruch. Eine Schadensersatzhaftung des Empfängers kommt nur unter dem Gesichtspunkt eines Durchgriffs nach § 826 BGB (Rz. 1.34) oder einer Insolvenzverursachungshaftung in Betracht, nicht schon nach § 823 Abs. 2 BGB wegen der bloßen Verletzung des § 30 GmbHG. b) Die Haftung des Empfängers verbotener Ausschüttungen (§ 31 Abs. 1 GmbHG) 1.44 setzt nur einen Verstoß gegen § 30 GmbHG und nicht zusätzlich eine Bösgläubigkeit oder sonst ein Verschulden des Empfängers voraus1. Das sich aus § 31 Abs. 2 GmbHG ergebende Privileg für gutgläubige Empfänger verbotener Ausschüttungen ist in der Praxis unbedeutend und hilft insbesondere nicht in Krise und Insolvenz, denn auch hier wird gehaftet, soweit dies für die Gläubigerbefriedigung erforderlich ist. c) Inhalt und Umfang der Haftung sind umstritten. Der nur auf Zahlungen einge- 1.45 richtete Gesetzeswortlaut klärt die Frage nicht. Eine am Normzweck des § 30 GmbHG orientierte vermögensorientierte Sichtweise2 geht davon aus, dass die Höhe der Haftung am Ausschüttungsstichtag ein für allemal feststeht3: Der Empfänger schuldet Wiederherstellung der Vermögensdeckung. Das bedeutet, dass der Anspruch grundsätzlich auf Geld gerichtet ist4. Zu zahlen ist genau der Betrag, um den die Vermögensdeckung unter Verstoß gegen § 30 GmbHG reduziert worden ist. Handelte es sich um die Übertragung eines bestimmten Wirtschaftsguts, so gehen zwischenzeitliche Werterhöhungen oder Wertminderungen zu Gunsten oder zu Lasten des Empfängers5. Der Empfänger kann sich von der Rückzahlungspflicht auch dadurch ganz oder teilweise entlasten, dass er den erlangten Vermögensgegenstand in das Gesellschaftsvermögen zurücküberträgt, dann aber unter Anrechung des aktuellen Verkehrswerts auf den geschuldeten Betrag (im Fall der Entwertung führt dies zur Zuzahlung)6. Die herrschende Meinung folgt demgegenüber einer einzelgegenständlichen Be- 1.46 trachtung7: Soweit der Verstoß in der Übertragung eines Vermögensgegenstands besteht, hat der Empfänger diesen Gegenstand zurückzuübertragen8. Etwaige Wertsteigerungen kommen der Gesellschaft zugute und müssen in Geld ausgegli-

1 BGH v. 29.5.2000 – II ZR 118/98, BGHZ 144, 336 = GmbHR 2000, 771. 2 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1138; grundlegend Joost, ZHR 148 (1984), 27, 53 f. 3 Vgl. zum Folgenden Karsten Schmidt, JZ 2008, 736 f. 4 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1138; Karsten Schmidt, JZ 2008, 736 f. 5 Karsten Schmidt, JZ 2008, 737. 6 Vgl. ebd.; im Anschluss an Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1138. 7 Kritische Darstellung bei Karsten Schmidt, JZ 2008, 735; Verse in Scholz, § 31 GmbHG Rz. 17 m.w.N. 8 Zusammenfassend BGH v. 17.3.2008 – II ZR 24/07, BGHZ 176, 62 = BB 2008, 1192 m. Anm. König = JZ 2008, 734 m. Anm. Karsten Schmidt = GmbHR 2008, 656 m. Komm. Podewils; Ekkenga in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl., § 31 GmbHG Rz. 6; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 31 GmbHG Rz. 16; Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 31 GmbHG Rz. 23 f.; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 31 GmbHG Rz. 15; grundlegend Hommelhoff in FS Kellermann, 1991, S. 165, 167 f.; Ulmer in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 363, 376 ff.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

chen werden1. Etwaige Wertverluste muss der Gesellschafter als Empfänger ausgleichen2. Anderes gilt nach der herrschenden Auffassung, wenn der Verlust auch die Gesellschaft getroffen hätte3. Zu überzeugen vermag diese Einschränkung nicht. Sie vernachlässigt die Tatsache, dass die Gefahr auf den Gesellschafter übergegangen ist und sich nachträgliche Wertveränderungen allein in seinem Vermögen abspielen. Deshalb sollten nachträgliche Wertminderungen auf seine Kosten und Wertsteigerungen zu seinen Gunsten gehen4. Der Umfang der Haftung steht im Zeitpunkt des verbotenen Empfangs fest. 1.47 d) Hiervon zu unterscheiden ist die Frage einer nachträglichen Kompensation durch vermögensmehrende Gewinne der Gesellschaft. Nach einer inzwischen aufgegebenen älteren Auffassung des BGH sollte diese Haftung vorbehaltlich der Verjährung (Rz. 1.53) so lange – aber auch nur so lange – andauern, bis die Unterbilanz auf andere Weise nachträglich ausgeglichen ist5. Der Empfänger einer verbotenen Zahlung konnte danach geltend machen, dass zwischenzeitlich Sanierung eingetreten und das Stammkapital wieder gedeckt sei. Auch für den Geschäftsführer hatte diese Einschätzung beträchtliche Konsequenzen. Sofern gegenwärtig keine Unterbilanz bestand, brauchte kein Geschäftsführer nach in der Vergangenheit verbotenen Zahlungen zu fahnden, weil diese gewissermaßen geheilt und Ansprüche daraus nicht ableitbar waren. Von dieser Beschränkung ist der BGH in zwei Entscheidungen vom 29.5.2000, darunter das bekannte Urteil „Balsam/Procedo“ abgerückt. Nunmehr ist herrschende Auffassung, dass ein einmal wegen Verstoßes gegen § 30 Abs. 1 GmbHG entstandener Erstattungsanspruch der Gesellschaft nicht von Gesetzes wegen entfällt, wenn das Gesellschaftsvermögen zwischenzeitlich auf sonstige Weise in Höhe des Stammkapitals wieder hergestellt ist6. Noch weniger darf sich der Empfänger gegenüber der Inanspruchnahme nach § 31 GmbHG auf die nachträgliche Ansammlung stiller 1 Ekkenga in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl., § 31 GmbHG Rz. 15; Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 31 GmbHG Rz. 23. 2 BGH v. 10.5.1993 – II ZR 74/92, BGHZ 122, 333 = GmbHR 1993, 427; BGH v. 10.5.1993 – II ZR 74/92, BGHZ 122, 333 = GmbHR 1993, 427; BGH v. 17.3.2008 – II ZR 24/07, BGHZ 176, 62 = BB 2008, 1192 m. Anm. König = JZ 2008, 734 m. Anm. Karsten Schmidt = GmbHR 2008, 656 m. Komm. Podewils; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 31 GmbHG Rz. 16; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 30 GmbHG Rz. 160; Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 31 GmbHG Rz. 25. 3 Zusammenfassend BGH v. 17.3.2008 – II ZR 24/07, BGHZ 176, 62 = BB 2008, 1192 m. Anm. König = JZ 2008, 734 m. Anm. Karsten Schmidt = GmbHR 2008, 656 m. Komm. Podewils; OLG Celle v. 17.5.2006 – 9 U 172/05, GmbHR 2006, 940; Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 31 GmbHG Rz. 24. 4 Karsten Schmidt, JZ 2008, 737. 5 BGH v. 11.5.1987 – II ZR 226/86, GmbHR 1987, 390, 391; abl. m.w.N. Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 31 GmbHG Rz. 12; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 31 GmbHG Rz. 11 ff.; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 31 GmbHG Rz. 17. 6 BGH v. 29.5.2000 – II ZR 118/98, BGHZ 144, 336 = GmbHR 2000, 771; BGH v. 29.5. 2000 – II ZR 347/97, ZIP 2000, 1256; bestätigend BGH v. 18.6.2007 – II ZR 86/06, BGHZ 173, 1, 8 f. = GmbHR 2007, 1102; ebenso Fastrich in Baumbach/Hueck, § 31 GmbHG Rz. 17; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 31 GmbHG Rz. 11; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 31 GmbHG Rz. 17; Kort, ZGR 2001, 615 ff.; Verse in Scholz, § 31 GmbHG Rz. 17, 25; zögernd Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1139; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 31 GmbHG Rz. 13; krit. Servatius, GmbHR 2000, 1028 ff.; Wagner/Sperneac-Wolfer, NZG 2001, 9 ff.

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Ausschüttungsverbot des § 30 GmbHG

1.48

Rücklagen berufen. Der BGH betrachtet die Rückzahlungsverpflichtung wegen verbotener Ausschüttung als Kehrseite der Einlagepflicht des Gesellschafters und meint, ebenso wenig wie diese Pflicht könne die Rückzahlungsverpflichtung aus § 31 Abs. 1 GmbHG durch Gewinne der GmbH erlöschen. Der BGH sieht also gewissermaßen in Höhe der verbotenen Ausschüttung die Einlage des Empfängers als nicht geleistet an und erkennt der Gesellschaft einen sich durch Veränderungen im Gesellschaftsvermögen nicht verändernden Kapitaldeckungsanspruch zu. Hiermit geht nach der Rechtsprechung ein strenges Aufrechnungsverbot einher: Der Gesellschafter kann gegen eine Rückzahlungsforderung der Gesellschaft aus § 31 Abs. 1 GmbHG analog § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG nicht aufrechnen1. Zulässig scheint allerdings eine Verrechnung mit Forderungen des Gesellschafters, die vollwertig sind und ohne Verstoß gegen § 30 GmbHG aus dem Gesellschaftsvermögen erfüllt werden können2. Die sinngemäße Anwendung des strengen Kapitalaufbringungsrechts auf die Verwirklichung des Rückzahlungsanspruchs ist nicht ohne Gefahren für die Beteiligten. Die herrschende Auffassung lässt den Empfänger gnadenlos haften, bis die Rückzahlungspflicht durch Zahlung erfüllt oder verjährt ist. Allen Beteiligten sei deshalb dringend geraten, etwa bemerkte Verstöße gegen § 30 Abs. 1 GmbHG durch Zahlung zu bereinigen (zur Verjährung vgl. Rz. 1.53). Doch hat die GmbH-Reform von 2008 die durch verdeckte Einlagen und durch Hin- und Herzahlen entstandenen Haftungsrisiken eingeschränkt (§ 19 Abs. 4, 5 GmbHG n.F.). Die künftige Rechtsprechung sollte dies berücksichtigen. Gegen eine gut dokumentierte Verrechnung – z.B. mit ausschüttungsfähigen Gewinnanteilen – wird nach der Reform nichts mehr einzuwenden sein, wenn die Kapitaldeckung materiell vollwertig ist. Die ipso iureHeilung des Verstoßes gegen § 30 GmbHG durch zwischenzeitliche Gewinne der Gesellschaft dagegen wird der BGH voraussichtlich weiterhin ablehnen. 3. Haftung von Nicht- und von Mitgesellschaftern a) Rückzahlungspflichtig ist der Empfänger (§ 31 GmbHG), regelmäßig also der 1.48 Gesellschafter, an den oder für dessen Rechnung die verbotene Leistung erbracht worden ist. Leistungen an nahestehende Nichtgesellschafter – z.B. bei Treuhandverhältnissen, Konzernverbindungen oder naher Verwandtschaft – können indes gleichfalls gegen § 30 GmbHG verstoßen und sodann Ansprüche auch gegen diese Empfänger auslösen3. Der Gesellschafter als Normadressat wird hierdurch nicht

1 BGH v. 27.11.2000 – II ZR 83/00, BGHZ 146, 105 = GmbHR 2001, 142; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 31 GmbHG Rz. 44; dagegen Lange, NJW 2002, 2293; zu dieser Begründung abl. auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 31 GmbHG Rz. 13; Altmeppen, NZG 2000, 887. 2 Noch weitergehend wohl Fastrich in Baumbach/Hueck, § 31 GmbHG Rz. 17. 3 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 266 f. = NJW 1960, 285; BGH v. 26.11. 1979 – II ZR 104/77, BGHZ 75, 334, 335 f. = NJW 1980, 592 = GmbHR 1980, 28; BGH v. 28.9.1981 – II ZR 223/80, BGHZ 81, 365 = NJW 1982, 386 = GmbHR 1982, 181; BGH v. 10.5.1993 – II ZR 74/92, BGHZ 122, 333, 339 f. = NJW 1993, 1922 = GmbHR 1993, 427; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, NJW 1996, 589 = GmbHR 1996, 111; Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 31 GmbHG Rz. 19 ff.; a.M. Ekkenga in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl., § 30 GmbHG Rz. 162, 170 ff., § 31 GmbHG Rz. 28.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

haftungsfrei1. Bei einem aus Gesellschaftsmitteln finanzierten Buy-Out (zu solchen Fällen vgl. Rz. 2.236 ff.) kann dies zur Haftung sowohl der Anteilsveräußerer als auch der Erwerber führen2. Gegen sonstige Dritte – z.B. gegen die Hausbank der Gesellschaft – richten sich die §§ 30, 31 GmbHG nicht3. Selbstverständlich kommt aber § 30 GmbHG zum Zuge, wenn die Gesellschaft für Rechnung eines Gesellschafters an dessen Gläubiger, an eine Bank oder an einen sonstigen Dritten zahlt. Doch dann haftet nicht der Dritte, sondern der Gesellschafter. 1.49 b) aa) Eine Haftung von Mitgesellschaftern ergibt sich aus § 31 Abs. 3 GmbHG: Ist Zahlung vom Empfänger nicht zu erlangen, so haften für den zu erstattenden Betrag, soweit für die Gläubigerbefriedigung erforderlich, die übrigen Gesellschafter nach dem Verhältnis ihrer Geschäftsanteile (Satz 1), bei Ausfall von Mitgesellschaftern auch für deren Haftungsbeiträge (Satz 2). Im Ergebnis kann also, wenn kein zahlungsfähiger Mitgesellschafter vorhanden ist, die Ausfallhaftung komplett auf einen einzigen Mitgesellschafter zukommen, der keine Zahlung erhalten hat. Im Hinblick darauf, dass die §§ 30, 31 GmbHG auch in einer Überschuldungssituation zum Zuge kommen können (Rz. 1.41), kann sich hieraus ein schwer kalkulierbares Risiko ergeben, nicht allerdings eine Endloshaftung. Die Mitgesellschafter sind nämlich durch eine summenmäßige Haftungsbegrenzung geschützt4: Das ist zwar mehrfach bestritten5, aber vom BGH prinzipiell anerkannt worden6. Unentschieden ist immer noch die Methode und damit der Umfang dieser summenmäßigen Beschränkung: Die herrschende Meinung begrenzt die Ausfallhaftung auf die Höhe des Stammkapitals7, wobei z.T. die eigene Einlage des in Anspruch genommenen Mitgesellschafters in Abzug gebracht wird8. Diese herrschende Ansicht kann bei wiederholten Ausschüttungen an mehrere Gesellschafter zur Haftung auf das Mehrfache des Stammkapitals führen. Die hier bereits in den Vorauflagen vertretene, vom BGH freilich abgelehnte9 Gegen1 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 243/06, DStR 2007, 2270. 2 Dazu BGH v. 18.6.2007 – II ZR 86/06, BGHZ 173, 1 = GmbHR 2007, 1102. 3 BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, NJW 1998, 2592, 2594 = GmbHR 1998, 935 mit Angaben zum Streitstand. 4 So bereits 2. Aufl., Rz. 67 m.w.N. 5 Wilhelm in FS Flume II, 1978, S. 361; Immenga, ZGR 1975, 491; Fabritius, ZHR 144 (1980), 635; Wissmann, EWiR 1992, 788; Reemann, ZIP 1990, 1309 ff.; Kleffner, Erhaltung des Stammkapitals und Haftung nach §§ 30, 31 GmbHG, 1993, S. 177; Jungmann, DStR 2004, 688; Jungmann, WuB II C § 31 GmbHG 1.04; vgl. auch OLG Oldenburg v. 10.5. 2001 – 1 U 52/99, GmbHR 2001, 865 = EWiR 2001, 761, das den Gesamtbetrag allerdings im Verhältnis der Beteiligung des Mitgesellschafters am Stammkapital der Gesellschaft kürzen will. 6 BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61, 64 ff. = ZIP 2002, 848, 850 = GmbHR 2002, 549 m. Komm. Bender. 7 BGH v. 22.9.2003 – II ZR 229/02, GmbHR 2003, 1420, 1424 = NJW 2003, 3629, 3632; BGH v. 11.7.2005 – II ZR 285/03, GmbHR 2005, 1351 = NJW-RR 2005, 1485; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 31 GmbHG Rz. 24; Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 117, § 31 GmbHG Rz. 44; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 31 GmbHG Rz. 38; Verse in Scholz, § 31 GmbHG Rz. 61; dort weitere Nachweise. 8 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 31 GmbHG Rz. 22; auch hiergegen Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 31 GmbHG Rz. 38 a.E. 9 BGH v. 22.9.2003 – II ZR 229/02, GmbHR 2003, 1420, 1424; unentschieden noch BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61, 66 = ZIP 2002, 848, 850 = GmbHR 2002, 549 m. Komm. Bender.

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Ausschüttungsverbot des § 30 GmbHG

1.51

auffassung begrenzt die Haftung auf die Stammeinlage des jeweils ausgefallenen Rückzahlungsschuldners, vor allem also des nach § 31 Abs. 1 GmbHG rückzahlungspflichtigen Empfängers1. Dieses Haftungskonzept ist spiegelbildlich aus § 24 GmbHG abzuleiten. Der Empfänger haftet, ähnlich wie ein Einlageschuldner, in voller Höhe. Für ihn haften die anderen bis zur Höhe der vom Empfänger versprochenen Stammeinlage, und jeder Mitgesellschafter haftet auch für jeden ausfallenden Mitgesellschafter bis zur Höhe von dessen Stammeinlage, woraus sich – ganz i.S. der Intention der herrschenden Meinung – für jeden Gesellschafter im schlimmsten Fall (Ausfall aller Mitgesellschafter) ein Gesamtrisiko in Höhe des Stammkapitals ergibt. Der Unterschied zwischen den streitenden Ansichten sei an einem Beispiel dar- 1.50 gestellt: Es sei angenommen, die Gesellschafter A, B, C, D und E wären am Stammkapital von 50 000 Euro mit je 10 000 Euro beteiligt, und es hätte der E eine verbotene Ausschüttung von 100 000 Euro erhalten. E muss dann diese Summe zurückzahlen (§ 31 Abs. 1 GmbHG). Fällt er ganz oder teilweise aus, so müssten A–D einspringen (§ 31 Abs. 3 GmbHG), aber nicht mit je 25 000 Euro (unbeschränkte Haftung). Nach h.M. haften sie mit je 12 500 Euro (Begrenzung auf das Stammkapital), nach der hier vertretenen Ansicht mit je 2 500 Euro (Begrenzung auf die Einlage des Empfängers), dies allerdings auch mit Ausfallhaftung füreinander. Ganz wie im Fall des § 24 GmbHG kann sich eine solche Ausfallhaftung maximal bis zur Höhe des Stammkapitals (abzüglich der eigenen Einlage) addieren, wenn nämlich alle Mitgesellschafter verbotene Einlagen empfangen haben und als Schuldner ausfallen. Angenommen, es hätte jeder Gesellschafter entgegen § 30 GmbHG 10 000 Euro erhalten, und nur A wäre solvent, so haftete A in Höhe von 10 000 Euro auf Rückzahlung der selbst empfangenen Summe, und zusätzlich nach § 31 Abs. 3 GmbHG in Höhe von viermal 10 000 Euro. bb) Nicht summenmäßig begrenzt ist eine etwa bestehende Verschuldenshaftung 1.51 der Mitgesellschafter für die Mitwirkung an Schädigungen des Gesellschaftsvermögens durch verbotene Ausschüttungen2. Dafür ist sie sachlich, d.h. in ihren Voraussetzungen, begrenzt. Die Rechtsprechung ist uneinheitlich. Der BGH hatte diese Verantwortlichkeit der Mitgesellschafter zunächst recht weit gezogen und im Jahr 1984 ausgesprochen3: Der GmbH-Gesellschafter, der die Geschäftsführung durch zustimmende Mitwirkung in einem Gesellschafterbeschluss zu Auszahlungen aus den zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen oder bereits überschuldeten Gesellschaftsvermögen veranlasst hat, ist der Gesellschaft auch zum Ersatz für diejenigen Zahlungen verpflichtet, die an Mitgesellschafter geflossen sind. In einem Urteil von 1999 hatte der BGH sodann gegenüber dieser Entscheidung „klargestellt“, dass die Gesellschafter der GmbH grundsätzlich kei1 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1143; zur Begründung dieses Standpunkts vgl. Karsten Schmidt in FS Raiser, 2005, S. 311 ff.; Karsten Schmidt, BB 1985, 156 f.; Karsten Schmidt, BB 1995, 530 f.; in der 9. Aufl. noch zust. Scholz/H.P. Westermann, § 31 GmbHG Rz. 30; vgl. dagegen 11. Aufl., § 31 GmbHG Rz. 61 (Verse); ausführliche Auseinandersetzung bei Ekkenga in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl., § 31 GmbHG Rz. 63. 2 Dazu Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1144 ff. 3 BGH v. 10.12.1984 – II ZR 308/83, BGHZ 93, 146 = GmbHR 1985, 191; vgl. auch BGH v. 27.3.1995 – II ZR 30/94, GmbHR 1995, 442 (betr. GmbH & Co. KG).

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

nen Schadensersatz zu leisten haben, wenn sie ihr einvernehmlich handelnd Vermögen entziehen1. Seit dem „Bremer Vulkan“-Urteil von 2001 konnte immerhin wieder als anerkannt gelten, dass es eine Verantwortlichkeit und Haftung der Gesellschafter für Schädigungen der eigenen Gesellschaft geben kann, dies freilich mit Begrenzung auf existenzgefährdende Eingriffe2. Die Urteile „Trihotel“ vom 16.7.2007 und „Gamma“ vom 28.4.2008 haben diese Haftung dann aber weiter eingegrenzt und sie auf Tatbestände des § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung) beschränkt (dazu Rz. 1.34, Rz. 11.152 ff.)3. Auch eine Haftung als faktischer Geschäftsführer für verbotene Zahlungen – insbesondere nach § 64 GmbHG (dazu Rz. 11.31 ff.) – trifft den Gesellschafter (außer im Fall der Führungslosigkeit) selbst dann nicht, wenn er Verfügungsgewalt über das Konto hat4. Eine gläubigerschädigende Plünderung der eigenen Gesellschaft kann eine derartige Haftung auslösen. Aber die bloße Mitwirkung an einem Verstoß gegen § 30 GmbHG hat diese Folge nicht. 4. Abtretung, (Ver-)Pfändung, Verjährung 1.52 a) Die Forderung aus § 31 GmbHG ist Bestandteil des Gesellschaftsvermögens und damit abtretbar, pfändbar und verpfändbar. Diese Verfügungen sind in ihrer Wirksamkeit nicht davon abhängig, dass sie durch eine gleichwertige Gegenleistung ausgeglichen werden. Beispielsweise ist auch eine Pfändung des sich aus § 31 GmbHG ergebenden Anspruchs – selbstverständlich unter dem Vorbehalt einer Anfechtung im Fall nachträglicher Insolvenz (§§ 129 ff. InsO) – nicht von der Vollwertigkeit des Gläubigeranspruchs abhängig5. 1.53 b) Die Verjährung der Ansprüche aus § 31 GmbHG war durch die Schuldrechtsmodernisierung zweifelhaft geworden und musste durch das Verjährungsanpassungsgesetz vom 9.12.2004 geändert werden6. Die Gesetzesänderung hat den § 31 Abs. 5 GmbHG an die Schuldrechtsreform angepasst und nachhaltig modernisiert. Sie ist hier nicht eingehend darzustellen7, ebenso wenig die bis 2004 noch höchst umstrittene frühere Rechtslage8. Nach § 31 Abs. 5 GmbHG verjährt der gegen den Empfänger gerichtete Rückzahlungsanspruch aus § 31 Abs. 1 GmbHG in zehn Jahren vom Zeitpunkt der verbotenen Leistung an, der Anspruch aus § 31 Abs. 3 GmbHG bezüglich der Haftung von Mitgesellschaftern in fünf Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Ablauf des Tages, an welchem die Zahlung, deren Erstattung beansprucht wird, geleistet ist. Wird vor der Verjährung das Insolvenz-

1 BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, BGHZ 142, 92 = GmbHR 1999, 921; dazu Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 31 GmbHG Rz. 48; scharf ablehnend Wilhelm, DB 1999, 2349; Altmeppen, ZIP 1999, 1354 f. 2 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10 = NJW 2001, 3622 = GmbHR 2001, 1036; seither std. Rspr. 3 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 264 = GmbHR 2007, 927. 4 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 291/06, DB 2008, 1202 f. = GmbHR 2008, 702. 5 Vgl. nur Fastrich in Baumbach/Hueck, § 31 GmbHG Rz. 6; Pentz in Rowedder/SchmidtLeithoff, § 31 GmbHG Rz. 4; Verse in Scholz, § 31 GmbHG Rz. 8, 28; str. 6 Übergangsregelung bei Art. 229 § 12 EGBGB. 7 Vgl. stattdessen Verse in Scholz, § 31 GmbHG Rz. 79–81. 8 Dazu noch 3. Aufl., Rz. 65.

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Ausschüttungsverbot des § 30 GmbHG

1.56

verfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet, so tritt die Verjährung nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach der Verfahrenseröffnung ein. 5. Geschäftsführerhaftung a) Eine Geschäftsführerhaftung wegen Verstoßes gegen § 30 GmbHG kann sich 1.54 aus § 43 GmbHG ergeben (vgl. ausdrücklich § 43 Abs. 3 GmbHG)1. Es haften auch Geschäftsführer, die nicht selbst gegen § 30 GmbHG verstoßen, wohl aber den Verstoß bemerkt und ihn nicht verhindert haben2. Der Schaden kann durch Rückerstattung seitens des Gesellschafters behoben werden3. Die bloße Erzielung von Gewinnen beseitigt den Schaden ebenso wenig, wie sie den haftenden Gesellschafter befreit (vgl. dazu Rz. 1.47). Zur Inanspruchnahme der Gesellschafter sind die Geschäftsführer verpflichtet. Wird dies versäumt, so kann auch dies die Haftung eines an der Auszahlung nicht beteiligten Geschäftsführers begründen. Das Verbot und seine Sanktion trifft auch sog. faktische Geschäftsführer (zu ih- 1.55 nen vgl. Rz. 5.278). Bloße Mitarbeiter der GmbH – auch Prokuristen – sind nicht Adressaten des in § 30 GmbHG enthaltenen Verbots, können aber für erkennbare, von ihnen veranlasste oder durchgeführte Verstöße gegen § 30 GmbHG unter dem Gesichtspunkt der Vertragsverletzung zum Schadensersatz verpflichtet sein4. Den Geschäftsführer entlastet das Handeln durch diese Angestellten nicht. Er haftet für schuldhaftes Gewährenlassen und wird hiervon auch durch eine etwaige Verantwortlichkeit der Mitarbeiter nicht befreit. b) Ein Gesellschafterbeschluss, der eine nach § 30 GmbHG unzulässige Auszah- 1.56 lung anordnet, entlastet die Geschäftsführer nicht5. Die Geschäftsführerhaftung kommt auch in einem solchen Fall zum Zuge, soweit dies zur Befriedigung von Gesellschaftsgläubigern erforderlich ist (§ 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG). Richtigerweise kann ein solcher Beschluss, wenn er einen Verstoß gegen das Verbot anordnet, nichtig sein6. Doch ist dieser Fall eines intendierten Verstoßes gegen § 30 GmbHG selten. In einfachen Fällen der Beschlussfassung über eine Ausschüttung oder Zuwendung ist schlicht der Vollzug des Beschlusses verboten, sobald dieser Vollzug auf Kosten der Kapitaldeckung erfolgen würde (vgl. auch Rz. 1.40)7. Dazu braucht der Beschluss nicht angefochten zu werden8. § 30 GmbHG setzt bei der Zahlung und nicht bei der Beschlussfassung an. Das Verbot gilt auch, wenn der 1 BGH v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, WM 1986, 789 = GmbHR 1986, 302; BGH v. 13.3.2006 – II ZR 165/04, GmbHR 2006, 537; OLG Hamburg v. 31.8.2005 – 11 U 55/04, NZG 2005, 1008 = GmbHR 2005, 1497. 2 BGH v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, WM 1986, 789 = GmbHR 1986, 302. 3 OLG Hamburg v. 31.8.2005 – 11 U 55/04, NZG 2005, 1008, 1011 = GmbHR 2005, 1497. 4 BGH v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, GmbHR 2001, 771; a.M. Ekkenga in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl., § 30 GmbHG Rz. 144. 5 Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 124. 6 BFH v. 1.4.2003 – I R 51/02, BStBl. II 2003, 779 = GmbHR 2003, 1015; Karsten Schmidt in Scholz, § 45 GmbHG Rz. 74. 7 Ähnlich wohl Kort, ZGR 2001, 634. 8 Der Beschluss kann nach einer Entscheidung des OLG Celle sogar dann anfechtbar sein, wenn die Unterbilanz noch gar nicht vorhanden ist, sondern bevorsteht; vgl. OLG Celle v. 6.8.1997 – 9 U 224/96, GmbHR 1998, 140.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

die Ausschüttung anordnende Beschluss selbst in einem Zeitpunkt gefasst wurde, in dem die Auszahlung problemlos gewesen wäre1. 1.57 c) Die strafrechtliche Relevanz des Kapitalerhaltungsgebots ist umstritten. Einschlägiger Straftatbestand ist die Untreue nach § 266 StGB2. Zwischen der GmbH und dem Geschäftsführer besteht ein Treueverhältnis, die diesen dem Treubruchtatbestand unterwirft3. Der BGH ist in früheren Jahren mit der Anwendung des § 266 StGB im Kapitalschutzbereich außerordentlich schnell bei der Hand gewesen4. Eine Gegenansicht will § 266 StGB jedenfalls bei der Zustimmung aller Gesellschafter ausschließen, weil diese über das Vermögen der GmbH disponieren können und die Gläubiger daran keine eigenen Vermögensrechte haben5. Aber diese Dispositionsbefugnis endet an der Grenze des gesetzlichen Ausschüttungsverbots, so dass sich der Geschäftsführer jedenfalls dann nach § 266 StGB strafbar macht, wenn er vorsätzlich gegen § 30 GmbHG verstößt, sei es mit oder ohne Zustimmung der Gesellschafter6. Ob der strafrechtliche Kapitalschutz noch weiter reicht, ist umstritten. Als herrschend kann wohl die Auffassung angesehen werden, dass der Geschäftsführer dann den Straftatbestand der Untreue verwirklicht, wenn er durch die willkürliche Verschiebung von Vermögen die Gesellschaft existenzgefährdend schädigt, sei es auch mit Zustimmung der Gesellschafter und ohne Beeinträchtigung des Stammkapitals7. Die von der Strafrechtsdoktrin meist beschworene Bestimmtheit der Tatbestände lässt allerdings auch nach dieser Entschärfung zu wünschen übrig. Jedenfalls kann allen Geschäftsführern nicht entschieden genug in das Bewusstsein gerufen werden, dass die GmbH auch in strafrechtlicher Hinsicht als Rechts- und Vermögenssubjekt respektiert werden muss, und zwar auch im Fall einer Einper-

1 Vgl. BFH v. 7.11.2001 – I R 11/01, GmbHR 2001, 337, 338 f.; Karsten Schmidt in Scholz, § 45 GmbHG Rz. 74. 2 Eingehend Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 8 ff.; Schaal in Rowedder/Schmidt-Leithoff, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 8 ff.; Schäfer, GmbHR 1993, 787 ff.; Wodicka, Die Untreue zum Nachteil der GmbH bei Zustimmung aller Gesellschafter, 1993. 3 Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 8, 16 („Einlagen-Rückgewähr“). 4 BGH v. 29.5.1987 – 3 StR 242/86, BGHSt 34, 379 = GmbHR 1987, 464. 5 Vgl. Kubiciel, NStZ 2005, 353, 359; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 43 GmbHG Rz. 164 m.w.N.; Perron in Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 266 StGB Rz. 21b. 6 BGH v. 6.5.2008 – 5 StR 34/08, JR 2008, 384 = wistra 2008, 379; BGH v. 11.8.1989 – 3 StR 75/89, GmbHR 1989, 465; dazu Schäfer, GmbHR 1993, 795. 7 Vgl. BGH v. 24.8.1988 – 3 StR 232/88, BGHSt 35, 333 = GmbHR 1988, 477; BGH v. 11.11.1988 – 3 StR 335/88, BB 1989, 974; BGH v. 20.7.1999 – 1 StR 668/98, NJW 2000, 154; BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, BGHZ 142, 92, 94 = NJW 1999, 2817, 2818 = GmbHR 1999, 921 m. Komm. Müller; BGH v. 30.9.2004 – 4 StR 381/04, NStZ-RR 2005, 86; BGH v. 3.5.2006 – 2 StR 511/05, wistra 2006, 309; BGH v. 6.5.2008 – 5 StR 34/08, wistra 2008, 379 Rz. 14; BGH v. 31.7.2009 – 2 StR 95/09, BGHSt 54, 52, 58 = wistra 2010, 26; BGH v. 28.5.2013 – 5 StR 551/11, NStZ 2013, 715, 717 m. krit. Anm. Trüg; Schaal in Rowedder/Schmidt-Leithoff, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 15; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 8 ff., 16 „Existenzvernichtender Eingriff“; Wodicka, Die Untreue zum Nachteil der GmbH bei Zustimmung aller Gesellschafter, 1993, S. 266 ff., 275 ff.; Bramsen, DB 1989, 1609, 1615; Maurer, GmbHR 2004, 1549, 1552; Schäfer, GmbHR 1993, 789 ff.

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Karsten Schmidt

Ausschüttungsverbot des § 30 GmbHG

1.59

sonen-GmbH1. Dieser strafrechtliche Schutz der GmbH setzt bereits vor der nach § 15a Abs. 4, 5 InsO gleichfalls strafbewehrten Insolvenzantragspflicht (Rz. 11.1 ff.) ein. Nur bei der GmbH & Co. KG erkennt die strafgerichtliche Rechtsprechung einen untreuerechtlichen Schutz des Gesellschaftsvermögens nicht an und prüft Untreue nur zum Nachteil der einzelnen Gesellschafter2. Das steht im Widerspruch zu dem sogleich zu entwickelnden Kapitalsicherungssystem der GmbH & Co. KG3. 6. GmbH & Co. KG a) Im Fall der GmbH & Co. KG ist analog § 30 GmbHG auch das Vermögen der 1.58 Kommanditgesellschaft geschützt4, und zwar auch gegen Auszahlungen an NurKommanditisten5. Der Bundesgerichtshof setzt allerdings bezüglich des Tatbestands nicht bei der Kommanditgesellschaft, sondern bei der KomplementärGmbH an, die durch die Komplementärhaftung bilanziell belastet und durch den ihr nach § 110 HGB zustehenden Freistellungsanspruch nur nach Maßgabe seiner Werthaltigkeit entlastet wird. Hieraus entnimmt die Rechtsprechung eine das Kapital der GmbH berührende Vermögensschmälerung auch bei Zahlungen aus dem KG-Vermögen und weist den sich aus § 31 GmbHG ergebenden Erstattungsanspruch der Kommanditgesellschaft zu6. Sinngemäß gelten damit auch die Ausführungen zu § 31 GmbHG und zur Geschäftsführerhaftung. Hierzu hat der BGH folgenden Leitsatz formuliert7: „Der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH haftet nach § 43 Abs. 3 GmbHG für nach § 30 Abs. 1 GmbHG verbotene Auszahlungen aus dem Vermögen der Kommanditgesellschaft an einen Gesellschafter der Komplementär-GmbH gegenüber der Kommanditgesellschaft.“

Das zugrundeliegende Urteil betrifft einen komplizierten, aber überaus lehrreichen Fall: Der dem GmbH-Recht entnommene Kapitalschutz des KG-Vermögens trifft nach § 31 GmbHG den bzw. die Kommanditisten – auch als bloß mittelbare Kommanditisten – und nach § 43 Abs. 3 GmbHG den Geschäftsführer8. b) Umstritten war, ob diese Anwendung der §§ 30 ff. GmbHG auf Auszahlungen 1.59 aus dem KG-Vermögen bei einer GmbH & Co. KG nach dem Vorbild z.B. der 1 BGH v. 29.5.1987 – 3 StR 242/86, BGHSt 34, 379, 384 = GmbHR 1987, 464; BGH v. 17.9. 2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10 = GmbHR 2001, 1036; Schäfer, GmbHR 1993, 789 f.; Stapelfeld, BB 1991, 1502 f. 2 Vgl. zusammenfassend BGH v. 10.7.2013 – 1 StR 532/12, JZ 2014, 909 = NJW 2013, 3590, 3593 m. krit. Anm. Brand; eingehend Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 22. 3 Dazu eingehend Karsten Schmidt, JZ 2014, 425 ff.; krit. auch Wessing, NZG 2014, 97, 99. 4 BGH v. 29.3.1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324 = NJW 1973, 1036; BGH v. 27.9.1976 – II ZR 162/75, BGHZ 67, 171, 175 = NJW 1977, 104, 105 m. Anm. Karsten Schmidt; BGH v. 9.12.2014 – II ZR 360/13, DB 2015, 369 = GmbHR 2015, 248 = ZIP 2015, 322; st. Rspr. 5 BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342 = NJW 1990, 1725 = GmbHR 1990, 251; BGH v. 9.12.2014 – II ZR 360/13, DB 2015, 369 = GmbHR 2015, 248 = ZIP 2015, 322; Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, 3. Aufl. 2012, §§ 171/172 HGB Rz. 128. 6 Zusammenfassend BGH v. 9.12.2014 – II ZR 360/13, DB 2015, 369 = GmbHR 2015, 248 = ZIP 2015, 322. 7 Ebd. 8 Ebd.

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1.60

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

§§ 19 Abs. 2, 130a, 131 Abs. 2 HGB oder des § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO auf Fälle begrenzt ist, in denen keine natürliche Person der Komplementärhaftung ausgesetzt ist. Der BGH hat im Urteil vom 9.12.2014 in diesem Punkt zwischen NurKommanditisten und Auch-GmbH-Gesellschaftern unterschieden1: „Bei der GmbH & Co. KG ist eine Zahlung aus dem Vermögen der Kommanditgesellschaft an einen Gesellschafter der Komplementär-GmbH oder einen Kommanditisten eine nach § 30 Abs. 1 GmbHG verbotene Auszahlung, wenn dadurch das Vermögen der GmbH unter die Stammkapitalziffer sinkt oder eine bilanzielle Überschuldung vertieft wird. Wenn der Zahlungsempfänger (auch) Gesellschafter der Komplementär-GmbH ist, ist es für seine Haftung nach § 30 Abs. 1 GmbHG grundsätzlich ohne Bedeutung, ob daneben eine natürliche Person als Komplementär unbeschränkt haftet.“

Das Vorhandensein eines solventen Zweitkomplementärs kann nach dieser Entscheidung zwar bei der Feststellung der Unterbilanz eine Rolle spielen, weil sich die Mithaftung des Mit-Komplementärs als Ausgleichsanspruch auch im Vermögen der Komplementär-GmbH niederschlägt. Die Anwendung des Kapitalschutzes als solche ist aber nicht ausgeschlossen. 1.60 c) Dementsprechend greift sogar in der GmbH & Still der Schutz auch bei Auszahlungen an stille Gesellschafter ein2. Selbstverständlich kann es hier in Anbetracht der fehlenden Rechts- und Insolvenzfähigkeit nur um die Anwendung der §§ 30 f. GmbHG auf die Komplementär-GmbH ankommen, dies aber mit Rücksicht (auch) auf das virtuelle Gesamthandsvermögen der „Innen-KG“3 und unter Anwendung des § 31 GmbHG auch auf die atypisch stillen Gesellschafter als QuasiKommanditisten4. Durch Urteil vom 13.2.2006 hat der BGH dies in folgenden Worten bestätigt5: „Ein an einer GmbH beteiligter stiller Gesellschafter ist in Bezug auf die Kapitalerhaltungsregeln wie ein GmbH-Gesellschafter zu behandeln, wenn er aufgrund der vertraglichen Ausgestaltung des stillen Gesellschaftsverhältnisses hinsichtlich seiner vermögensmäßigen Beteiligung und seines Einflusses auf die Geschicke der GmbH weitgehend seinem GmbH-Gesellschafter gleichsteht.“

III. Liquiditätsschutz 1. Kreditgewährung oder Kreditbesicherung zu Lasten des Gesellschaftsvermögens: § 30 GmbHG als Liquiditätsschutz der Gesellschaft? 1.61 a) Zur Krisenvermeidung gehört auch die Sorge für Liquidität der Gesellschaft (Rz. 1.91 ff.). Dies ist in erster Linie eine Geschäftsführeraufgabe. Der Geschäftsführer darf bei der Schwachstellenanalyse und Selbstprüfung des Unternehmens 1 Ebd. 2 BGH v. 7.11.1988 – II ZR 46/88, BGHZ 106, 7, 9 ff. = NJW 1989, 982 = GmbHR 1989, 152; BGH v. 13.2.2006 – II ZR 62/04, GmbHR 2006, 531 = ZIP 2006, 703; Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, 3. Aufl. 2012, § 230 HGB Rz. 171; Karsten Schmidt, ZHR 177 (2014), 10, 47. 3 Vgl. zu dieser Rechtsfigur Karsten Schmidt, ZHR 177 (2014), 10 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2014, 1457 ff. 4 Vgl. ebd. 5 BGH v. 13.2.2006 – II ZR 62/04, GmbHR 2006, 531 = ZIP 2006, 703; s. auch OLG Stuttgart v. 13.11.2008 – 19 U 115/08.

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Liquiditätsschutz

1.62

(Rz. 1.116 ff., Rz. 1.191 ff.) selbstverständlich die Gewährleistung nachhaltiger Liquidität nicht vernachlässigen. Das gebieten schon seine Pflichten aus § 43 GmbHG. Eine völlig andere Frage ist, ob die strikte Regel des § 30 GmbHG außer verdeckten Ausschüttungen auch gegenüber den Gesellschaftern liquiditätsgefährdende Maßnahmen, insbesondere die Verwendung des Gesellschaftsvermögens für die Kreditvergaben an Gesellschafter oder an Konzerngesellschaften, verbietet. Das Ausschüttungsverbot des § 30 GmbHG ist als Vermögensschutz zu verstehen, nicht als Liquiditätsschutz. Geschützt wird das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Reinvermögen der Gesellschaft gegen Ausschüttungen, die eine Unterbilanz herbeiführen oder vergrößern1. Der Tatbestand des § 30 GmbHG ist deshalb von einer bilanziellen Betrachtungsweise beherrscht (Rz. 1.40)2. Ein vermögensrechtlich neutraler Aktiventausch – mag er auch auf der Gesellschafterstellung eines Leistungsempfängers beruhen – ist nach dieser Auslegung des § 30 GmbHG nur eine Maßnahme der Mittelverwendung in der GmbH und kann keine verbotene Ausschüttung sein: Die Lieferung an einen Gesellschafter ist nur dann eine „Auszahlung“ i.S. von § 30 Abs. 1 GmbHG, wenn keine gleichwertige Gegenleistung erfolgt (verdeckte Gewinnausschüttung), die Kreditgewährung nur, wenn sie aus wirtschaftlicher Sicht à fonds perdu erfolgt (kein vollwertiger Rückgewähranspruch) oder wenn und soweit keine angemessenen Zinsen gezahlt werden (dann aber verdeckte Gewinnausschüttung nur in der Höhe der Zinsdifferenz). Die bloße Kreditgewährung oder Kreditbesicherung aus bzw. an dem Gesellschaftsvermögen stellt dagegen nach dieser rein vermögensrechtlichen Betrachtung keinen Verstoß gegen § 30 GmbHG dar, wenn der Gesellschafter als Darlehensnehmer kreditwürdig, der Rückzahlungs- bzw. Freistellungsanspruch der Gesellschaft also vollwertig ist3. b) Das hat die GmbH-Reform 2008 (MoMiG) klargestellt (§ 30 Abs. 1 Satz 2 1.62 GmbHG). Ein vollwertiger Rückgewähranspruch schließt danach die Anwendung des § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG auf die Ausreichung eines Kredits an einen Gesellschafter aus. Im Fall der Kreditbesicherung durch die Gesellschaft (Beispiel: Die Tochter-GmbH besichert einen von der Muttergesellschaft aufgenommenen Bankkredit) steht der Belastung der Gesellschaft ein Freistellungs- bzw. Regressanspruch gegen den Kreditnehmer gegenüber (§ 670 BGB bzw. §§ 774, 1143, 1225 BGB), und es kommt auf die Vollwertigkeit dieses Anspruchs an.

1 Vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1133 ff.; Sotiropoulos, GmbHR 1996, 653 ff.; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 30 GmbHG Rz. 30; Joost, GmbHR 1983, 285 ff.; Joost, ZHR 148 (1984), 27 ff. 2 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1133 ff. 3 Fastrich in Baumbach/Hueck, § 30 GmbHG Rz. 54 ff.; Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 48 ff.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 30 GmbHG Rz. 77 ff.; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 30 GmbHG Rz. 38 ff.; Verse in Scholz, § 30 GmbHG Rz. 71; Uwe H. Schneider in FS Döllerer, 1988, S. 543 f.; Sotiropoulos, Kredite und Kreditsicherheiten der GmbH zu Gunsten ihrer Gesellschafter und nahe stehender Dritter, 1996, S. 33 ff., 96 ff.; Sotiropoulos, GmbHR 1996, 654 m.w.N.; entgegen Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 30 GmbHG Rz. 97, geht es bei diesem vollwertigen Anspruch natürlich nicht um den des § 31 GmbHG; nicht die Betrachtung des Textes, sondern die Unterstellung von Altmeppen ist „absurd“ und „verfehlt“.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

2. Überwundene Haftungsrisiken 1.63 a) Zwischenzeitlich hatte der BGH auch die Kreditgewährung an Gesellschafter und – weitaus wichtiger – die Kreditbesicherung zugunsten von Gesellschaftern auf Kosten des Gesellschaftsvermögens unter § 30 Abs. 1 GmbHG subsumiert1. Das Schlagwort hieß: Aufgabe der bilanziellen Betrachtungsweise2. Im Sonnenring-Urteil des BGH vom 21.9.1981 hatte sich der lapidare Satz gefunden, auch eine zu Gunsten der Beklagten vereinbarte Stundung unterliege den Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 30, 31 GmbHG „mit der Folge, dass die Beklagte einen in der Stundung liegenden Vermögensvorteil nicht behalten dürfte, soweit er zu Lasten des Stammkapitals geht“3. Deutlicher wurde der BGH im „Novemberurteil“ vom 24.11.2003: „Kreditgewährungen an Gesellschafter, die nicht aus Rücklagen oder Gewinnvorträgen, sondern zu Lasten des gebundenen Vermögens der GmbH erfolgen, sind auch dann grundsätzlich als verbotene Auszahlung von Gesellschaftsvermögen zu bewerten, wenn der Rückzahlungsanspruch gegen den Gesellschafter im Einzelfall vollwertig sein sollte.“4 Diese Entscheidung hatte eine gesetzliche Vorgeschichte und ein gesetzliches Nachspiel. In § 43a GmbHG (Kredite an Geschäftsführer) hatte die Novelle von 1980 die Kreditgewährung an Gesellschafter nicht berücksichtigt und zwar in der Annahme, dass § 30 GmbHG auch Kreditgewährungen bei Unterbilanz erfasse. Dem Bundesratsvorschlag, auch Kredite an Gesellschafter dem § 43a GmbHG zu unterwerfen5, hatte die Bundesregierung mit dem Hinweis auf den hinreichenden Schutz durch § 30 GmbHG widersprochen6, und der Rechtsausschuss schloss sich dem an7. Der Wille des Gesetzgebers von 1980 war insofern eindeutig: Die Kreditvergabe bzw. Kreditbesicherung zu Gunsten von Gesellschaftern sollte nicht aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen bestritten werden!8 Die Frage war nur, ob dieser Schutz über § 30 GmbHG gewährt werden kann. Der IX. Zivilsenat des BGH hatte dies im Jahr 1998 noch ausdrücklich offen gelassen9, bevor dann der II. Zivilsenat im Novemberurteil von 2003 den § 30 GmbHG für anwendbar erklärte. Im vorliegenden Werk wurde die Anwendung des § 30

1 Vgl. mit erheblichen Unterschieden im Detail BGH v. 21.9.1981 – II ZR 104/80, BGHZ 81, 311, 321 = GmbHR 1982, 133, 136; BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = ZIP 2004, 263 = GmbHR 2004, 302 m. Komm. Bähr/Hoos; OGH Wien v. 25.6.1996 – 4 Ob 2078/96, AG 1996, 572; OLG München v. 19.6.1998 – 21 U 6130/97, GmbHR 1998, 986; KG v. 11.1.2000 – 14 U 7683/97, NZG 2000, 479 m. Anm. Kleindiek. 2 Grundlegend Stimpel in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 335 ff.; Schön, ZHR 159 (1995), 351, 359 ff. 3 BGH v. 21.9.1981 – II ZR 104/80, BGHZ 81, 311, 321 = GmbHR 1982, 133, 136. 4 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = ZIP 2004, 263; zust. z.B. Habersack in Großkommentar zum GmbHG, 1. Aufl., § 30 GmbHG Rz. 49; Bayer/Lieder, ZGR 2005, 133 ff.; Saenger/Koch, NZG 2004, 271 ff.; abl. z.B. Cahn, Der Konzern, 2004, 235 ff.; Helmreich, GmbHR 2004, 457; J. Vetter, BB 2004, 1509, 1512. 5 BT-Drucks. 8/1347, S. 64, 67. 6 BT-Drucks. 8/1347, S. 72, 74. 7 BT-Drucks. 8/3908, S. 20. 8 A.M. Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 30 GmbHG Rz. 110. 9 BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, BGHZ 138, 291, 298 = NJW 1998, 2592, 2594 = GmbHR 1998, 935.

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Liquiditätsschutz

1.64

GmbHG auf die Ausreichung von Krediten an solvente Gesellschafter bereits in den Vorauflagen abgelehnt1. b) Einen noch intensiveren Liquiditätsschutz ermöglichte die auf Uwe H. Schnei- 1.64 der zurückgehende2, seither mehrfach diskutierte analoge Anwendung des § 43a GmbHG auf Kredite an Gesellschafter (und ggf. an ihnen nahestehende Dritte)3. Diese Auffassung hatte gegenüber dem Liquiditätsschutz über § 30 GmbHG, der für einen solchen Schutz nicht konzipiert ist, rechtssystematische und überdies auch rechtspolitische Vorteile4. Sie ging von der inzwischen durch das MoMiG unterstützten Annahme aus, die in der Reform von 1980 von Bundesregierung und Rechtsausschuss vertretene Ansicht, Kredite an Gesellschafter seien bereits nach § 30 GmbHG erfasst, sei rechtlich unrichtig und die sich hieraus ergebende Lücke sei durch analoge Anwendung des § 43a GmbHG zu füllen5. Überwiegend und auch durch das „Novemberurteil“ des BGH wurde die analoge Anwendung des § 43a GmbHG zwar abgelehnt6, aber sie hätte dem der Novelle von 1980 zu Grunde liegenden Gesetzgeberwillen, auch Darlehen an Gesellschafter dem Kapitalschutz zu unterwerfen, voll und ganz Rechnung getragen, und zwar ohne Verbiegung des § 30 GmbHG. Seit der Reform von 2008 scheint ein Rückgriff auf § 43a GmbHG ausgeschlossen7. Formaljuristisch könnte zwar argumentiert werden, dass § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n.F. nur eine Anwendung des § 30 GmbHG auf die Ausreichung vollwertiger Kredite ausschließt. Aber die schärfere Rechtsfolge des § 43a GmbHG scheint nach dem aus dem MoMiG sprechenden Gesetzgeberwillen gleichfalls ausgeschlossen. Die Neufassung des § 30 Abs. 1 GmbHG schließt die Annahme einer ungewollten Lücke bezüglich der Kredite an Gesellschafter im Gesetz aus. Das hat Auswirkungen insbesondere in Buy-Out-Fällen (dazu Rz. 2.238).

1 3. Aufl., Rz. 69; 4. Aufl., Rz. 1.45; vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1134; Altmeppen in Roth/Altmeppen, 4. Aufl. 2003, § 30 GmbHG Rz. 93; wohl auch Scholz/H.P. Westermann, 10. Aufl. 2006, § 30 GmbHG, Rz. 44 f.; differenzierend Pentz in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, 4. Aufl. 2002, § 30 GmbHG, Rz. 34 (Kreditgewährung nein), Rz. 37 (Kreditbesicherung ja). 2 Uwe H. Schneider in Scholz, § 43a GmbHG Rz. 61 ff.; Uwe H. Schneider in FS Döllerer, 1988, S. 537; Uwe H. Schneider, GmbHR 1982, 197. 3 Eingehend Sotiropoulos, Kredite und Kreditsicherheiten der GmbH zu Gunsten ihrer Gesellschafter und nahestehender Dritter, 1996, S. 17 ff., 37 ff., 100 ff.; Sotiropoulos, GmbHR 1996, 655; Standpunkt des Verfassers bei Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1147 ff. 4 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1147 ff. 5 Ebd., mit einem Konzernprivileg auf S. 1149; ausführlich Sotiropoulos, Kredite und Kreditsicherheiten der GmbH zu Gunsten ihrer Gesellschafter und nahestehender Dritter, 1996, S. 71 ff. 6 Vgl. etwa BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72, 74 = ZIP 2004, 263 = GmbHR 2004, 302 m. Komm. Bähr/Hoos; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 43a GmbHG Rz. 3; Paefgen in Großkommentar zum GmbHG, § 43a GmbHG Rz. 13; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 43a GmbHG Rz. 7; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 43a GmbHG Rz. 3; Kühbacher, Darlehen an Konzernunternehmen, 1993, S. 45 ff.; Schön, ZHR 159 (1995), 360. 7 Die Frage wird nicht geprüft bei Uwe H. Schneider in Scholz, § 43a GmbHG Rz. 61–63.

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1.65

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

3. Kredite an Gesellschafter nach geltendem Recht 1.65 a) Die Reform von 2008 (MoMiG) hat den vor allem durch das „Novemberurteil“ des BGH ausgelösten Diskussionen1 durch Rückkehr zur bilanziellen Betrachtungsweise ein Ende bereitet2: Die Kreditgewährung an einen Gesellschafter aus dem zur Deckung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen verstößt nach § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG (Rz. 1.75) nicht mehr gegen das Ausschüttungsverbot, wenn sie durch einen vollwertigen Gegenanspruch gedeckt ist, m.a.W. nicht mehr als einen Aktiventausch bewirkt (Kasse gegen Forderung). Das Zahlungsverbot des § 30 GmbHG darf nur noch als eine Vermögensschutzregel, nicht mehr als eine Liquiditätsschutzregel verstanden werden (vgl. Rz. 1.63). Das aktienrechtliche MPS-Urteil vom 1.12.20083 zeigte alsbald, dass der II. Zivilsenat auch für Altfälle aus der Zeit vor dem MoMiG zur bilanziellen Betrachtungsweise zurückgekehrt ist. 1.66 b) Aus dem MoMiG darf nicht gefolgert werden, dass Kreditausreichungen nicht unter das Verbot des § 30 GmbHG fallen können. Bei der Vergabe von Krediten an Gesellschafter und bei der Besicherung von Krediten zu Gunsten der Gesellschafter sind vielmehr folgende Prüfungen notwendig: – Vor der Vergabe von Krediten an Gesellschafter ist eine im Fall der Kreditvergabe entstehende hypothetische Unterbilanz (unter Nichtmitrechung des Darlehens-Rückgewähranspruchs) zu prüfen. Diese indiziert eine potentielle Verletzung des § 30 Abs. 1 GmbHG. – Zu prüfen ist sodann die Vollwertigkeit des Anspruchs gegen den Kreditnehmer (im Fall der Kreditbesicherung die Vollwertigkeit des Freistellungsanspruchs gegen den Kreditnehmer). Ist die Vollwertigkeit gewährleistet, so schließt dies eine Verletzung des § 30 GmbHG aus. – Ferner ist für eine marktgerechte Verzinsung des Kredits (bei Kreditbesicherung für eine marktgerechte Avalprovision) zu sorgen (sonst Verstoß gegen § 30 GmbHG in Höhe der Zinsdifferenz, soweit das Eigenkapital nicht gedeckt ist). – Im Fall der Kreditbesicherung zu Lasten der Gesellschaft kommt es statt auf den Rückzahlungsanspruch auf den Freistellungsanspruch der Gesellschaft an. 1.67 c) Hinzu kommen allgemeine Rechtspflichten der Geschäftsführer, insbesondere aus § 43 GmbHG, unter Einschluss einer nachlaufenden Deckungsprüfung4. Da die Vollwertigkeitsprüfung nach § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG stichtagsbezogen ist5, geht sie mit einer Pflicht der Geschäftsführung einher, sich aus der Kreditge1 Dazu ausführlicher noch 4. Aufl., Rz. 1.44 ff. 2 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 41; dazu etwa Altmeppen, ZIP 2009, 49 ff.; Drygala/Kremer, ZIP 2007, 1289, 1296; Kallmeyer, DB 2007, 2755, 2757; Karsten Schmidt, GmbHR 2007, 1072, 1074 f. 3 BGH v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 = GmbHR 2009, 199 m. Komm. Podewils. 4 Vgl. BGH v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 Rz. 14 = ZIP 2009, 70 (AG) = GmbHR 2009, 199 m. Komm. Podewils; Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 111; Verse in Scholz, § 30 GmbHG Rz. 89 m.w.N. 5 Vgl. Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 108.

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Liquiditätsschutz

1.70

währung oder -besicherung ergebende Bonitätsrisiken unter Kontrolle zu halten und ggf. auf sie mit der Ausübung von Kündigungsrechten oder durch Nachbesicherung zu reagieren1. 4. Kredite an Geschäftsführer a) Für Kredite an Geschäftsführer, Prokuristen und Generalhandlungsbevoll- 1.68 mächtigte – nach h.M. nicht für Kredite an Gesellschafter (Rz. 1.65) und auch nicht für Kredite an Aufsichtsratsmitglieder2 – gilt das Verbot, Kredit aus dem zur Kapitaldeckung erforderlichen Vermögen auszureichen, und das Gebot, einen solchen Kredit zurückzuzahlen (§ 43a GmbHG). Als Zeitpunkt der Zugehörigkeit zu diesem Personenkreis ist derjenige der Kreditausreichung oder -verlängerung, nicht des Kreditvertrags maßgebend3. Die Kreditgewährung an Dritte, die für Rechnung der in § 43a GmbHG genannten Personen handeln, wird den in § 43a GmbHG beschriebenen Krediten gleichgestellt, die Kreditgewährung an bloß nahestehende Personen grundsätzlich nicht4. § 43a GmbHG basiert auf dem Tatbestand einer fiktiven Unterbilanz5: Diese ist 1.69 insofern fiktiv, als der Anspruch der Gesellschaft auf Darlehens-Rückzahlung aus der Bilanz weggedacht wird. – Bei Kreditgewährung durch die Gesellschaft zu Gunsten von Geschäftsführern gilt: Wenn das Reinvermögen der Gesellschaft – Aktiva minus Verbindlichkeiten – unter Vernachlässigung des Anspruchs auf Rückgewähr des Darlehens nicht mehr das Stammkapital deckt, ist (oder wird!) die Kreditgewährung unerlaubt und nach § 43a GmbHG zurückzufordern. – Bei Kreditbesicherung am Gesellschaftsvermögen zu Gunsten von Geschäftsführern gilt: Wenn das Reinvermögen der Gesellschaft unter Vernachlässigung ihres Freistellungs- bzw. Erstattungsanspruchs gegen den Kreditnehmer im Fall der Verwertung der Sicherheit nicht mehr das Stammkapital deckt, ist die zu Gunsten eines Gesellschafters gewährte Kreditsicherheit unerlaubt. Umstritten ist der für die bilanzielle Prüfung maßgebliche Zeitpunkt. Die herr- 1.70 schende Auffassung stellt auch hier auf den Zeitpunkt der Kreditgewährung ab6, während eine Gegenansicht einen Rückzahlungsanspruch auch bei erst nachträglicher Vermögensverschlechterung zuerkennen will7. Der Unterschied ist rechtlich erheblich, wird aber faktisch durch die bei Rz. 1.72 empfohlene Vertragsgestaltung relativiert.

1 Auch hierzu BGH v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 (AG) = GmbHR 2009, 199 m. Komm. Podewils. 2 Nachweise bei Paefgen in Großkommentar zum GmbHG, § 43a GmbHG Rz. 17. 3 Vgl. nur Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 43a GmbHG Rz. 8. 4 Näher Uwe H. Schneider in Scholz, § 43a GmbHG Rz. 33 ff. 5 Vgl. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 43a GmbHG Rz. 1. 6 Vgl. für die h.M. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 43a GmbHG Rz. 10 m.w.N. 7 So Uwe H. Schneider in Scholz, § 43a GmbHG Rz. 43.

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1.71

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

1.71 b) Ein Verstoß gegen § 43a GmbHG führt nicht zur Nichtigkeit des Kredit- oder Sicherungsgeschäfts1, sondern lediglich zu einem Leistungsverbot bzw. zu einer Pflicht der Geschäftsführer, Kredite zurückzufordern bzw. die Freigabe von Sicherheiten zu verlangen. 1.72 c) Kredite und Kreditsicherheiten zu Gunsten eines Geschäftsführers sollten zu Lasten der GmbH nur unter dem Vorbehalt gewährt werden, dass der Kreditnehmer diese Leistung bei Eintritt einer Unterbilanz zurückgewähren muss und im Fall einer Kreditbesicherung verpflichtet und gegenüber dem Kreditgeber – typischerweise: der Bank – berechtigt ist, die am Gesellschaftsvermögen bestellte Sicherheit abzulösen oder zu ersetzen. Diese Dauerwirkung des Kapitalschutzes und die damit verbundene permanente nachlaufende Kontrolle bei Krediten und Kreditsicherheiten zu Gunsten eines Geschäftsführers ist ohne Parallele bei § 30 GmbHG, wo das Gesetz ganz auf den Zeitpunkt der Zuwendung abstellt (Rz. 1.40). 5. Konzerninterne Kredite 1.73 a) Typischerweise beschränkten sich die Kapitalschutzprobleme auf aufsteigende Kredite („Upstream Loans“) bzw. Kreditsicherheiten zu Gunsten von Muttergesellschaften als Gesellschafterinnen. Absteigende Kredite („Downstream Loans“) werden grundsätzlich als Maßnahmen der Kapitalverwendung in der GmbH, nicht als Quasi-Ausschüttungen an die Muttergesellschaft (vgl. allerdings zur Würdigung der Auszahlung an eine von den Gesellschaftern beherrschte Drittgesellschaft als Fall des Hin- und Herzahlens Rz. 2.50 ff.) betrachtet. So entschied etwa das OLG München2: „Die verbotene Einlagenrückgewähr i.S. des § 30 GmbHG setzt eine Minderung des im Gläubigerinteresse gebundenen Gesellschaftsvermögens voraus. Daran fehlt es bei einer Übertragung von liquiden (Sanierungs-)Mitteln auf eine hundertprozentige Tochter- oder Enkelgesellschaft bereits deshalb, weil sich dieser Vorgang für die übertragende Obergesellschaft als vermögensneutral darstellt: Im Umfang des Mittelabflusses erhöht sich nämlich der Wert ihrer Beteiligung.“ Zu bedenken ist allerdings, dass absteigende Darlehen in Bezug auf die Tochtergesellschaft dem Sonderrecht der Gesellschafterdarlehen (dazu Rz. 2.96 ff.) unterliegen können3. 1.74 b) Schon nach der Rechtslage bis 2008 musste im Bereich der Konzernfinanzierung eine Ausnahme von dem strengen Schutz der Gesellschaft gegen Kreditgewährung und Kreditbesicherung aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen gemacht werden: Durch die Verlustausgleichspflicht des im GmbH-Vertragskonzern analog anzuwendenden § 302 AktG werden die Risiken von Mutter- und Tochtergesellschaft konsolidiert, die Ausschüttungssperren demgemäß aufgehoben4. Dem entsprach auch bereits vor dem MoMiG eine Be1 Paefgen in Großkommentar zum GmbHG, § 43a GmbHG Rz. 30; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, § 43a GmbHG Rz. 12; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 43a GmbHG Rz. 10. 2 OLG München v. 6.7.2005 – 7 U 2230/05, ZIP 2006, 564 = GmbHR 2005, 1486 m. Komm. Schröder (offenbar nachträglich rechtskräftig geworden). 3 Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 30 GmbHG Rz. 133; näher Spindler, ZHR 171 (2007), 245, 269 ff. 4 Vgl. für die AG § 291 Abs. 3 AktG; für die GmbH Fleck in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 395 f.

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Liquiditätsschutz

1.77

freiung der Kreditgewährung und Kreditbesicherung von den Fesseln des § 30 GmbHG bzw. des analog anzuwendenden § 43a GmbHG1. Die zum Verlustausgleich verpflichtete Muttergesellschaft darf, obwohl Gesellschafterin, von der Tochter Kredite auch aus dem zur Deckung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen entgegennehmen und auch das Vermögen der Tochtergesellschaft für die Besicherung eigenen Kreditbedarfs verwenden. Allerdings gilt dieses Konzernprivileg nur im Fall vertraglicher Absicherung, nicht auch im Fall bloß faktischer Abhängigkeit2. Ohne eine durch Satzung oder Vertrag gesicherte Verlustdeckungszusage kann sich das Mutterunternehmen nicht unter Berufung auf ein „Konzernprivileg“ von dem Verbot, Kredite oder Kreditsicherheiten aus dem Vermögen der Tochtergesellschaft noch in deren Krise in Anspruch zu nehmen, frei machen3. Für Sicherheiten am Gesellschaftsvermögen der Tochtergesellschaft galt im Ergebnis schon vor der Gesetzesänderung nichts anderes4. c) Seit 2008 ist die Rechtslage durch § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG auch in dieser 1.75 Hinsicht verdeutlicht. Diese auf dem MoMiG beruhende Regelung lautet: „Satz 1 gilt nicht bei Leistungen, die zwischen den Vertragsteilen eines Beherrschungsoder Gewinnabführungsvertrags (§ 291 des Aktiengesetzes) erfolgen oder durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Gesellschafter gedeckt sind.“ Sie enthält damit5 – die eindeutige Regelung eines Konzernprivilegs für Vertragskonzerne (Rz. 1.42) sowie – die schon bei Rz. 1.65 besprochene Festlegung des § 30 GmbHG auf eine bilanzielle Betrachtungsweise. Für aufsteigende Kreditvergabe („Upstream loans“) bedeutet dies6:

1.76

– In jedem Konzern ist eine Darlehensgewährung an das herrschende Unternehmen zulässig, sofern der Rückgewähranspruch vollwertig ist. – Im Vertragskonzern können an die nach § 302 AktG zum Verlustausgleich verpflichtete Muttergesellschaft nicht nur Kredite, sondern auch echte Ausschüttungen ohne Begrenzung durch § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG geleistet werden. d) Wiederum nicht ausgeschlossen ist allerdings, dass eine Aushöhlung des Ver- 1.77 mögens oder der Liquidität der Tochtergesellschaft gegen Geschäftsführerpflichten (§ 43 GmbHG) verstößt oder eine Haftung von Gesellschaftern wegen existenzvernichtenden Eingriffs nach sich zieht (zu dieser Haftung vgl. Rz. 1.51, 1 Vgl. zur entsprechenden Anwendung des § 43a GmbHG Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1149; Sotiropoulos, Kredite und Kreditsicherheiten der GmbH zu Gunsten ihrer Gesellschafter und nahestehender Dritter, 1996, S. 75 ff.; bezogen auf § 30 GmbHG, Schön, ZHR 159 (1995), 373. 2 Verse in Scholz, § 30 GmbHG Rz. 72 ff.; so bereits Sotiropoulos, Kredite und Kreditsicherheiten der GmbH zu Gunsten ihrer Gesellschafter und nahestehender Dritter, 1996, S. 73; Schön, ZHR 159 (1995), 372. 3 Ausführlicher noch 2. Aufl., Rz. 77; 4. Aufl., Rz. 1.53. 4 Auch dazu 4. Aufl., Rz. 1.53 mit Abgrenzung gegen BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, BGHZ 138, 291 = NJW 1998, 2592 = GmbHR 1998, 935. 5 Eingehend Altmeppen, ZIP 2009, 49 ff. 6 Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 87 ff.

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1.78

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

11.151 ff.)1. Die absteigende Kreditvergabe („Downstream loan“) ist Mittelverwendung in der kreditgebenden Gesellschaft (Rz. 1.73). Allerdings obliegt den Geschäftsführern im Rahmen der Mittelverwendung auch hier die Aufgabe der Vollwertigkeitsprüfung. Besonders hinzuweisen ist auch auf das Verbot, durch Zahlungen an Gesellschafter die Zahlungsunfähigkeit herbeizuführen (Rz. 11.158 ff.). 6. Cash Pool-Probleme 1.78 a) Die Cash Pool-Diskussion resultiert teilweise noch aus dem dem MoMiG vorausgegangenen Recht und brachte sowohl Kapitalaufbringungsprobleme bei Kapitalerhöhungen (dazu Rz. 2.40 ff.) als auch Kapitalerhaltungsprobleme mit sich. Die Rede ist hier vom „echten“, nicht vom bloß rechnerischen („virtuellen“2) Cash Pooling, also von der (wenn die Formulierung bei Buchgeld erlaubt ist) „physischen“ Sammlung der Konzernliquidität auf einem Konto der Muttergesellschaft. Die Schwierigkeit war eine doppelte: Zum einen sah die Rechtsprechung den Cash Pool als einen Kredit an und vernachlässigte die treuhänderische Funktion dieses Sondervermögens. Zum anderen hatte die „Novemberentscheidung“ des BGH aus § 30 GmbHG eine Liquiditätsschutznorm gemacht (dazu oben Rz. 1.63 f.). Der bessere Denkansatz ist der, dass der Cash Pool wirtschaftlich wie ein Gemeinschaftskonto der Konzerngesellschaften funktioniert. Im Cash Pool-System hält gleichsam jede Konzerngesellschaft Buchgeld bei einem Gemeinschaftskonto3. Das Kapitalsicherungsproblem dieser Art Konzernfinanzierung resultiert im Grunde daraus, dass dieser Pool kein der Aufsicht unterliegendes Kreditinstitut ist und dass im Cash Pool die Gefahr einer Quersubventionierung der Gesellschaften und der konkurrierenden Mittelverwendung auch durch die Muttergesellschaft droht. Doch blieb die Rechtlage unsicher. – Unter Kapitalaufbringungsgesichtspunkten hatte der BGH durch Urteil vom 16.1.2006 die Einspeisung der Bareinlagen in einen bei der Muttergesellschaft gehaltenen Cash Pool wegen Fehlens der für die Einlageleistung erforderlichen freien Verfügung als unwirksam angesehen4. Die Gesellschafter hatten die Einlagen von je 750 000 DM auf ein Treuhandkonto der GmbH eingezahlt, und diese hatte sie in den bei der Muttergesellschaft geführten Cash Pool weitergeleitet, wo sie für Schuldentilgungen verwendet wurden. Die Gesellschafter wurden zur nochmaligen Einzahlung verurteilt. Der Leitsatz des BGH-Urteils lautet: „Die in ein Cash Pool-System einbezogenen Gesellschaften mit beschränkter Haftung unterliegen – ohne dass ein Sonderrecht für diese Art der Finanzierung anerkannt werden könnte – bei der Gründung und der Kapitalerhöhung den Kapitalaufbringungsvorschriften des GmbHG und den dazu von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen.“ 1 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 41. 2 Zum „virtuellen“ Cash Pooling („virtual cash pool“) vgl. m.w.N. Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1322 f. 3 Skeptisch allerdings Burg/Westerheide, BB 2008, 62 ff. 4 BGH v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8 = BB 2006, 847 m. Anm. Flitsch/Schellenberger = GmbHR 2006, 477; dazu eingehend m.w.N. Dieter Mayer in FS Priester, 2007, S. 445 ff.; Altmeppen, ZIP 2006, 1025 ff.; Gehrlein, MDR 2006, 789 ff.; Bayer/Lieder, GmbHR 2006, 449 ff.; Cahn, ZHR 166 (2002), 278 ff.; Hentzen, DStR 2006, 948 ff.; Lamb/ Schluck-Amend, DB 2006, 879 ff.; Priester, ZIP 2006, 1557 ff.; Schmelz, NZG 2006, 456 ff.

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Liquiditätsschutz

1.79

Diese Rechtsfolge war dramatisch, der empfohlene Ausweg in Gestalt einer Sachkapitalerhöhung1 wenig praxisnah. – Unter Kapitalerhaltungsgesichtspunkten hatte das „Novemberurteil“ des BGH (Rz. 1.63) auch und gerade hier für Diskussionsstoff gesorgt: Wenn die Ausreichung von Darlehen aus dem zur Deckung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen gegen § 30 GmbHG verstößt2, ist dann die Sammlung der Konzernliquidität bei der Muttergesellschaft verboten und haftungsrechtlich riskant3? Das OLG München hatte entschieden4: „Ein Finanzierungs- und Liquiditätsausgleich zwischen verbundenen Unternehmen (Cash Pool-Management) unter Einbeziehung gebundenen Vermögens verstößt jedenfalls dann gegen § 30 Abs. 1 GmbHG, wenn die Erhaltung des Stammkapitals nicht hinreichend abgesichert ist.“ Andere hingegen hielten das Cash Pooling auch unter dem Regime des „Novemberurteils“ für zulässig5. Der BGH hatte offen gelassen, „ob die Gewährung eines Darlehens aus gebundenem Vermögen ausnahmsweise zulässig sein kann, wenn die Darlehensvergabe im Interesse der Gesellschaft liegt, die Darlehensbedingungen dem Drittvergleich standhalten und die Kreditwürdigkeit des Gesellschafters selbst bei Anlegung strengster Maßstäbe außerhalb jedes vernünftigen Zweifels steht oder die Rückzahlung des Darlehens durch werthaltige Sicherheiten voll gewährleistet ist.“ Dieser Vorbehalt eignete sich allerdings wenig als Grundlage der Rechtfertigung einer Cash Pool-Finanzierung. b) Die GmbH-Reform von 2008 (MoMiG) hat die Cash Pool-Finanzierung in ver- 1.79 schiedener Hinsicht erleichtert, die Diskussion allerdings keineswegs beendet6: – In puncto Kapitalaufbringung durch Zahlung in einen dem Inferenten zuzurechnenden Cash Pool soll § 19 Abs. 5 GmbHG helfen: „Ist vor der Einlage eine Leistung an den Gesellschafter vereinbart worden, die wirtschaftlich einer Rückzahlung der Einlage entspricht und die nicht als verdeckte Sacheinlage im Sinne von Absatz 4 zu beurteilen ist, so befreit dies den Gesellschafter von seiner Einlageverpflichtung nur dann, wenn die Leistung durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt ist, der jederzeit fällig ist oder durch fristlose Kündigung durch die Gesellschaft fällig werden kann. Eine solche Leistung oder die Vereinbarung einer solchen Leistung ist in der Anmeldung nach § 8 anzugeben.“

Ob auf die Kapitalerhöhung unter Verwendung des Cash Pool durchgehend § 19 Abs. 5 GmbHG anzuwenden7 oder ob zwischen den Fällen eines positiven oder negativen Saldos der das Kapital erhöhenden Tochtergesellschaft zu un1 Dazu Dieter Mayer in FS Priester, 2007, S. 445, 463 f.; Cahn, ZHR 166 (2002), 278, 303 ff.; Priester, ZIP 2006, 1557, 1560. 2 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = ZIP 2004, 263 = GmbHR 2004, 302 m. Komm. Bähr/Hoos. 3 Vgl. nur Bender, BB 2005, 1492 ff.; Fuhrmann, NZG 2004, 552 ff.; Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, 689 ff.; Langner, GmbHR 2005, 1017 ff.; Schilmar, DB 2004, 1411 ff.; Seidel, DStR 2004, 1130 ff. 4 OLG München v. 24.11.2005 – 23 U 3480/05, GmbHR 2006, 144; dazu Schilmar, DStR 2006, 568 ff. 5 Schäfer, GmbHR 2005, 133, 135 ff.; Ulmer, ZHR 169 (2005), 1, 3 ff.; Engert, BB 2005, 1951, 1956 f. 6 Dazu Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 19 GmbHG Rz. 160 ff., § 30 GmbHG Rz. 37; Strohn, DB 2014, 1535. 7 Dafür Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 19 GmbHG Rz. 201.

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terscheiden ist, ist allerdings noch umstritten. Die h.M. wendet bei negativem Saldo § 19 Abs. 4 GmbHG an (verdeckte Sacheinlage), bei positivem Saldo am Stichtag dagegen § 19 Abs. 5 GmbHG1. Insgesamt sprechen die Meinungsstreitigkeiten und die praktischen Anwendungsprobleme entschieden gegen eine alsbaldige Einspeisung der auf erhöhtes Stammkapital geleisteten Bareinlage in einen dem Einlageschuldner selbst zuzurechnenden Cash Pool2. – In puncto Kapitalerhaltung hilft der schon behandelte § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG (Rz. 1.62). Danach ist ein vollwertiges Cash Pool-Konto der Gesellschaft sowie ein Cash Management im Vertragskonzern unter dem Gesichtspunkt des § 30 GmbHG problemfrei. Es kommt also darauf an, ob ein Unternehmensvertrag vorliegt bzw. der Anteil der Gesellschaft am Cash Pool vollwertig und nach der Finanzsituation der den Cash Pool betreibenden (Mutter-)Gesellschaft zugunsten der Gesellschaft verfügbar ist3. Dann verstößt die Überführung der Liquidität in den Cash Pool nicht gegen § 30 GmbHG. 1.80 Stets sollten die Beteiligten nach dem Grundsatz handeln, dass das Liquiditätsmanagement im Cash Pool nicht, wie Verfügungen über Bankkonten, bloß als Teil der Mittelverwendung durch die Gesellschaft, sondern im Verhältnis zwischen ihr und dem Gesellschafter (Mutterunternehmen) auch als Bestandteil der Aufbringung und Erhaltung von Stammkapital betrachtet und insoweit an den Maßstäben der §§ 19 und 30 GmbHG gemessen wird. Es ist hier nicht der Ort für Überlegungen, ob das Gesetz dem Cash Pool oder der Cash Pool dem Gesetz nicht gerecht wird. Vor allem, wenn die GmbH kein aktivisches Konto im Cash Pool führt, drohen Kapitaldeckungsrisiken. 7. Verbot solvenzbedrohender Auszahlungen und Kreditbesicherungen? 1.81 a) Auf ein Verbot solvenzbedrohender Entnahmen jenseits des § 30 GmbHG wurde hier schon vor der gesetzlichen Regelung hingewiesen4. Das OLG Karlsruhe hatte im Jahr 1997 rechtskräftig entschieden5: „Die Befugnis zur Disposition über das Vermögen einer GmbH durch den Alleingesellschafter (oder die Gesamtheit aller Gesellschafter) stößt auch jenseits des von § 30 GmbHG gewährten Vermögensschutzes auf das schutzwerte Eigeninteresse der Gesellschaft, wenn es um die Haftung für den Entzug von existenznotwendiger Liquidität geht. Die Disposition des Gesellschafters über das Vermögen der GmbH wird auch außerhalb ge1 BGH v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = GmbHR 2009, 926 m. Komm. Bormann; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 19 GmbHG Rz. 129 ff.; Pentz in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 19 GmbHG Rz. 161, 163; Priester in Scholz, § 56a GmbHG Rz. 37 ff.; Schwandtner in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl., § 19 GmbHG Rz. 336 f.; Veil in Scholz, § 19 GmbHG Rz. 164 ff. m.w.N.; krit. Altmeppen, ZIP 2009, 1545 ff. 2 Vgl. Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 19 GmbHG Rz. 207; Komo, BB 2011, 2307, 2313; Theiselmann, Der Konzern 2009, 460, 462; Theusinger, NZG 2009, 1017, 1018. 3 Ekkenga in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl., § 30 GmbHG Rz. 184 ff., 188; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 30 GmbHG Rz. 37 ff.; bei Bestehen eines Unternehmensvertrags wird auf das Merkmal der Vollwertigkeit verzichtet; vgl. Habersack in Großkommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 89; Pentz in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 30 GmbHG Rz. 62. 4 3. Aufl., Rz. 80: vorgezogener Kapitalschutz nach § 826 BGB? 5 OLG Karlsruhe v. 25.7.1997 – 15 U 131/96, GmbHR 1998, 235.

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1.90

sellschaftsrechtlicher Regeln durch Gesetz und Sittenordnung begrenzt. Auch die eingliedrige GmbH ist bei sittenwidriger Verfügung über ihr Vermögen durch den Alleingesellschafter in den Schutzbereich des § 826 BGB einbezogen“. Seit 2008 gilt § 64 Satz 3 GmbHG, wonach insolvenzauslösende Auszahlungen an Gesellschafter den Geschäftsführer zur Erstattung verpflichten (Rz. 11.158 ff.). Unter Existenzvernichtungsgesichtspunkten kommt auch eine Gesellschafterhaftung in Betracht (dazu Rz. 11.151 ff.). b) Dieser Schutz ist auf die Bestellung von Sicherheiten auszudehnen. Insolvenz- 1.82 auslösende Kreditsicherheiten zu Gunsten von Gesellschaftern dürfen unabhängig von § 30 GmbHG (bzw. § 43a GmbHG) nicht bestellt werden. Dieses Verbot kompensiert eine Schwachstelle des gesetzlichen Solvenzschutzsystems1. Auch ohne bereits als verbotene „Auszahlung“ unter § 30 Abs. 1 GmbHG zu fallen (Rz. 1.66), ist die Verwendung von Gesellschaftsvermögen zur Besicherung von Schulden der Gesellschafter im Innenverhältnis grundsätzlich unerlaubt, soweit dieses Vermögen für die eigene Liquiditätssicherung, insbesondere für die Besicherung von Bankkrediten, unentbehrlich ist. Geschäftsführer haften ggf. nach § 43 GmbHG, Gesellschafter nur in den engeren Grenzen der Existenzvernichtungshaftung (Rz. 11.151 ff.). 8. Fazit § 30 GmbHG bleibt reiner Vermögensschutz. Daneben ergibt sich damit auch 1.83 ohne Überdehnung des § 30 GmbHG ein umfangreiches Liquiditätsschutzarsenal. Für die Geschäftsführung einer GmbH ergeben sich hieraus bereits vor der Krise und erst recht in der Krise strenge Verhaltensregeln: – Ausschüttungen, auch verdeckte und mittelbare Ausschüttungen, unterliegen dem strikten Verbot des § 30 GmbHG, wenn sie eine Unterbilanz herbeiführen oder verschärfen. – Kredite und Kreditsicherheiten zu Gunsten von Gesellschaftern (auch: Muttergesellschaften) sind Gegenstand der Mittelverwendung in der Gesellschaft. Die Ausreichung oder Besicherung von Krediten auch aus dem zur Deckung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen kann unter Kapitalschutzgesichtspunkten zulässig sein, vorausgesetzt, der Rückgewähranspruch ist vollwertig (§ 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n.F.). Die Leistungen müssen aber zurückgefordert bzw. von den Gesellschaftern abgelöst werden, sobald ohne Aktivierung des Rückforderungs- bzw. Freistellungsanspruchs der Gesellschaft eine (fiktive) Unterbilanz entsteht. – Kredite an Geschäftsführer verstoßen gegen § 43a GmbHG, wenn durch sie im Zeitpunkt der Leistung oder später eine fiktive Unterbilanz entsteht. Sinngemäß Gleiches gilt für die Besicherung von Krediten an Geschäftsführer aus Vermögen der Gesellschaft. – Solvenzbedrohende Zahlungen und Kreditbesicherungen sind unabhängig von §§ 30, 43a GmbHG untersagt und verpflichten ggf. den Geschäftsführer zum Ersatz (vgl. § 64 Satz 3 GmbHG, § 43 GmbHG und dazu Rz. 11.151 ff.). vacat

1.84–1.90

1 Vgl. sinngemäß schon vor der Reform 3. Aufl., Rz. 89.

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1.91

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

IV. Liquiditätsvorsorge 1. Rechtliche Vorgaben 1.91 Die „Liquiditätskrise“ ist nach der „Erfolgskrise“ die letzte Stufe in der Kette der Krisenarten vor der Insolvenz (s. oben Rz. 1.2). Im Vergleich mit den anderen Krisenarten trifft die Liquiditätskrise das Unternehmen an der empfindlichsten Stelle: Fehlt es nämlich an ausreichenden liquiden Mitteln, dann droht entweder die Zahlungsunfähigkeit oder sie ist bereits eingetreten. Im ersten Fall ist die Gesellschaft berechtigt (§ 18 InsO), im zweiten Fall verpflichtet, Insolvenzantrag zu stellen (§ 17 InsO). 1.92 Zeichnet sich eine Liquiditätskrise ab, dann bleibt nicht mehr viel Zeit, eine Insolvenz zu vermeiden. Zwar verpflichtet eine (vorübergehende) Zahlungsstockung nicht zur Insolvenzantragstellung. Der BGH hat aber für die Abgrenzung der Zahlungsstockung von der Zahlungsunfähigkeit klare Grenzen gezogen und den Zeitraum der bloßen Zahlungsstockung eingeengt (dazu auch Rz. 5.8 ff.)1. Danach ist eine Zahlungsstockung anzunehmen, wenn der Zeitraum nicht überschritten wird, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die notwendigen Mittel zu leihen. Dafür sind nach Auffassung des BGH drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend. Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird, was im Falle der Insolvenzantragstellung der Gläubiger darlegen und glaubhaft machen müsste. Beträgt die Liquiditätslücke 10 % oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen (widerlegbare Vermutung), sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke zwar nicht innerhalb von zwei bis drei Wochen – dann läge nur eine Zahlungsstockung vor –, jedoch immerhin in überschaubarer Zeit vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. Die Beweislast für diesen Ausnahmefall trägt der Geschäftsführer der GmbH; dazu ist eine Benennung konkreter Umstände erforderlich. 1.93 Der BGH hat seit seinem Urteil vom 24.5.20052 zwar den Zeitraum, innerhalb dessen die Zahlungsstockung beseitigt sein muss, andernfalls sie als Zahlungsunfähigkeit behandelt wird, gegenüber der Rechtsprechung unter der Geltung der Konkursordnung3 und der Gesamtvollstreckungsordnung4 um eine Woche eingeschränkt. Andererseits weist er den Weg, bei nur geringen Liquiditätslücken eine Insolvenz zu vermeiden. Das Geschäftsleben ist nach den Feststellungen des BGH in weiten Teilen dadurch gekennzeichnet, dass Phasen mit guter Umsatzund Ertragslage und Rückschläge sich abwechseln. Insbesondere mittelständische 1 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426 Rz. 15, 30 f. = GmbHR 2005, 1117 m. Komm. Blöse. 2 Seitdem st. Rspr.: BGH v. 8.1.2015 – IX ZR 203/12, NZI 2015, 369 Rz. 13; BGH v. 26.2. 2013 – II ZR 54/12, GmbHR 2013, 482 Rz. 14; BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, NZI 2011, 589 Rz. 20. 3 BGH v. 27.4.1995 – IX ZR 147/94, ZIP 1995, 929, 931 sub II.2.b). 4 BGH v. 25.10.2001 – IX ZR 17/01, ZIP 2001, 2235 sub 2a).

38

|

Sinz

Liquiditätsvorsorge

1.95

Unternehmen mit geringer Eigenkapitalausstattung, etwa Handwerksbetriebe, seien oft darauf angewiesen, dass Kundenzahlungen vollständig und zeitnah erfolgen. Werde ein größerer Auftrag nicht bezahlt, könne dies eine Liquiditätskrise auslösen. Je kleiner die Liquiditätslücke ist, desto begründeter sei die Erwartung, dass es dem Schuldner gelingen werde, das Defizit in absehbarer Zeit zu beseitigen – sei es durch eine Belebung seiner Geschäftstätigkeit, sei es durch die anderweitige Beschaffung neuer flüssiger Mittel, sei es durch Einigung mit Gläubigern –, also die Zahlungsfähigkeit wieder zu erlangen. Sofern die Auftragslage des Schuldners gut ist und künftig mit anderen Zahlungseingängen gerechnet werden könne, wäre es unangemessen, wenn er wegen einer vorübergehenden Unterdeckung von wenigen Prozent, die nicht binnen drei Wochen beseitigt werden kann, Insolvenz anmelden müsste. Der damit verbundene Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen (Art. 12, 14 GG) wäre unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit bedenklich. Der BGH verweist zu Recht auf das Beispiel der Saisonbetriebe. In bestimmten Branchen seien regelmäßig saisonale Flauten zu überbrücken, die teilweise mehrere Monate andauern. Als Beispielsfälle nennt der BGH die Bauwirtschaft, den Fremdenverkehr und die Hersteller typischer Saisonartikel (wie etwa Bademoden, Wintersportgeräte und -bekleidung). Wer sich auf einem derartigen Wirtschaftssektor als Anbieter betätigt, müsse immer wieder mit Liquiditätsengpässen rechnen. Er dürfe jedoch normalerweise mit einer wirtschaftlichen Erholung rechnen, sobald die Saison wieder angelaufen ist. Müsse er trotzdem, sobald die Grenze der Zahlungsstockung überschritten ist, selbst bei prozentual geringfügiger Liquiditätslücke Insolvenz anmelden, würde dies in manchen Wirtschaftszweigen zu erheblichen Problemen führen. Der BGH hat mit seinem Urteil vom 24.5.20051 Vorgaben für die Liquiditätsvor- 1.94 sorge der Unternehmen bestimmter Branchen gemacht. Der Bauunternehmer muss aus der Erfahrung wissen, dass auf Zeiten guter Ertragslage schlechte Jahre folgen können. In schlechten Zeiten darf er aus der Erfahrung auf gute hoffen. Das Wissen um dieses konjunkturelle Auf und Ab in der Baubranche zwingt in guten Zeiten zur Risikovorsorge. In schlechten Zeiten will der BGH dem Bauunternehmer dadurch helfen, dass nicht bereits eine nur geringe Liquiditätsunterdeckung zur Insolvenz führt. Bei den Produzenten und Händlern von Saisonartikeln ist das nicht anders. Auch sie müssen sich liquiditätsmäßig darauf einstellen, dass auf Zeiten mit guten Umsätzen Zeiten geringer Beschäftigung folgen. Wenn der BGH drei Wochen für ausreichend hält, damit eine kreditwürdige Per- 1.95 son sich die zur Behebung der Finanzkrise benötigten Mittel beschaffen kann, so kann diese Aussage dennoch nicht Allgemeingültigkeit beanspruchen. Sicherlich wird dies einer Person gelingen, deren Planung die Rückzahlung der neuen Fremdmittel als sicher erscheinen lässt und die ausreichende Kreditsicherheiten zu bieten hat. Für alle anderen Unternehmen sind drei Wochen zur Lösung finanzieller Probleme recht ambitioniert. Diese Unternehmen müssen mit der Liquiditätsvorsorge viel früher beginnen. Vorrangiges Ziel der Liquiditätsvorsorge muss die unbedingte Vermeidung kurzfristiger Liquiditätsengpässe sein. Die allgemeinen Liquiditätsgrundsätze, nämlich das Streben nach Fristenkongruenz, die Disposition 1 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426 Rz. 21, 23 f., 31 f. = GmbHR 2005, 1117; bestätigt durch: BGH v. 7.5.2013 – IX ZR 113/10, ZIP 2013, 2323 Rz. 15; BGH v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, NZI 2013, 140 Rz. 15.

Sinz

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39

1.96

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

kurzfristig aktivierbarer Zahlungsmittelreserven und die exakte zeit- und volumensmäßige Disposition der Anlage von Zahlungsmittelüberschüssen zur Vermeidung einer Überliquidität ergänzen das Ziel der Vermeidung kurzfristiger Liquiditätsengpässe. 1.96 Eine einmal eingetretene Zahlungsunfähigkeit wirkt grundsätzlich fort und lässt sich nur dadurch beseitigen, dass die Zahlungen an die Gesamtheit der Gläubiger im Allgemeinen wieder aufgenommen werden1. Dazu genügt es nicht, dass der Schuldner nur an einzelne, am meisten drängende Gläubiger Ratenzahlungen leistet, um ihr Stillhalten zu erreichen. Vielmehr müssen auch die Forderungen der anderen, zurückhaltenden Gläubiger in vergleichbarer Weise bedient werden, was der Schuldner bei seiner Liquiditätsvorsorge zu berücksichtigen hat. 2. Betriebswirtschaftliche Umsetzung 1.97 Ausgangspunkt einer zeitweisen oder permanenten Liquiditätsprüfung ist zunächst die Liquiditätsanalyse. Dabei sind zwei Arten von Liquiditätsanalysen gebräuchlich: 1. Analyse der (zeitpunktbezogenen) statischen Liquidität: Bei dieser werden Vermögensteile zu Verbindlichkeiten unter Fristigkeitsgesichtspunkten in Relation gesetzt, um eine Gegenüberstellung von Zahlungsmittelbedarf und Zahlungsmitteldeckung zu ermöglichen (horizontale Bilanzstrukturanalyse). Instrumente sind u.a. die Liquiditätsbilanz2, die Liquiditätskennzahlen und der Anlagendeckungsgrad. Da die mit diesen Methoden gewonnenen Informationen vergangenheits- und stichtagsbezogen sind, ist ihr Aussagewert hinsichtlich der gegenwärtigen und künftigen Unternehmensliquidität allerdings begrenzt. 2. Analyse der (zeitraumbezogenen) dynamischen Liquidität: Sie eröffnet die Möglichkeit der Liquiditätsplanung und auf deren Basis ihre laufende Kontrolle. Instrumente sind u.a. der Finanzplan, die Cash-Flow-Analyse und die Kapitalflussrechnung. 1.98 Um aus der Bilanz Liquiditätsaussagen ableiten zu können, sind Liquiditätskennzahlen zu ermitteln, die auch als Liquiditätsgrade bezeichnet werden. Sie werden durch Gegenüberstellung bestimmter Vermögenspositionen (kurzfristiger Deckungsmittel) und kurzfristiger Verbindlichkeiten gebildet. Die gebräuchlichsten sind3: 1 BGH v. 25.10.2001 – IX ZR 17/01, ZIP 2001, 2235. 2 In einer Liquiditätsbilanz werden die Bilanzpositionen nach dem Grad ihrer Bindung (gebundenes und freies Vermögen, lang- und kurzfristiges Kapital) und nach der Fristigkeit (Dauer der Liquidierbarkeit von Vermögen, Laufzeit des Kapitals) geordnet und in Bilanzgruppen übereinstimmender Fristigkeit zusammengefasst; die flüssigen Mittel stehen am Schluss. 3 Zu weiteren Kennzahlen: Jacobs, Bilanzanalyse, 2. Aufl. 1994, S. 136, 139 f. Working Capital = Umlaufvermögen – kurzfristiges Fremdkapital Net Working Capital = Umlaufvermögen – liquide Mittel – kurzfristiges Fremdkapital Zwischen der Liquidität 3. Grades (L 3) und dem Working Capital (WC) besteht folgender Zusammenhang: L 3 = 1 entspricht WC = 0; L 3 > 1 entspricht WC > 0; L 3 < 1 entspricht WC < 0.

40

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Sinz

Liquiditätsvorsorge

1.100

liquide Mittel ¨ 1: Grades ðcash ratioÞ ¼ banker 0s rule1 : Liquiditat kurzfristiges Fremdkapital # 0;2 ðBarliquiditatÞ ¨

liquide Mittel þ kurzfr: Forderungen ¨ 2: Grades ðquick ratioÞ ¼ Liquiditat banker 0s rule: kurzfristiges Fremdkapital ðLiquiditat ¨ auf kurze SichtÞ # 0;1

liquide Mittel þ kurzfr: Forderungen ¨ ¨ 3: Grades ðcurrent ratioÞ ¼ þ Vorrate Liquiditat banker 0s rule: kurzfristiges Fremdkapital # 0;2 ðLiquiditat ¨ auf mittlere SichtÞ Die Barliquidität soll die Zahlungsverpflichtungen des laufenden Monats sicher- 1.99 stellen, weshalb es genügt, wenn ihr Wert unter 1 liegt; ein Deckungsgrad von 0,2 bis 0,3 wird allgemein als ausreichend angesehen. Zur Abdeckung der Verbindlichkeiten aus dem operativen Geschäft dienen auch die kurzfristig fälligen Forderungen; die Praxis bevorzugt zur Bonitätsbeurteilung daher die Liquidität 2. Grades und verlangt, dass die kurzfristigen Verbindlichkeiten vollständig durch liquide und kurzfristig liquidierbare Mittel gedeckt sind. Dagegen beschreibt die Liquidität 3. Grades eher die Liquiditätsreserven; das Verhältnis des Umlaufvermögens zum kurzfristigen Fremdkapital sollte daher zwei zu eins betragen. Im Rahmen der langfristigen Liquiditätsanalyse gibt der Anlagendeckungsgrad 1.100 an, inwieweit langfristig zur Verfügung stehendes Kapital2 die langfristig gebundenen Vermögensteile finanziell absichert: Anlagedeckungsgrad 1 ¼

Eigenkapitel ' 100 Anlagevermogen ¨

Anlagedeckungsgrad 2 ¼

ðEigenkapital þ langfr: FremdkapitalÞ ' 100 Anlagevermogen ¨

Anlagedeckungsgrad 3 ¼

ðEigenkapital þ langfr: FremdkapitalÞ ' 100 Anlagevermogen þ langfr: Umlaufvermogen ¨ ¨

1 Dazu: Mensch, Finanz-Controlling. Finanzplanung und -kontrolle, Controlling zur finanziellen Unternehmensführung, 2. Aufl. 2008, S. 181. 2 Negatives Eigenkapital ist rechnerisch zu behandeln wie ein durch langfristiges Fremdkapital zu finanzierender langfristiger Vermögenswert (das negative Eigenkapital soll im Zähler unberücksichtigt bleiben und den Nenner erhöhen).

Sinz

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41

1.101

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

1.101 Zur Beurteilung der Fristenkonformität („Goldene Finanzierungsregel“) wird meist der Anlagendeckungsgrad 2 herangezogen. Je deutlicher dieser über 100 % liegt, umso mehr ist neben dem Anlagevermögen auch das Umlaufvermögen durch langfristiges Kapital finanziert und damit eine höhere finanzielle Stabilität des Unternehmens gegeben. Ist hingegen das Anlagevermögen zu einem wesentlichen Teil kurzfristig finanziert (Anlagendeckungsgrad 2 unter 100 %), kann das Unternehmen bei Fälligkeit kurzfristiger Verbindlichkeiten schneller in Zahlungsschwierigkeiten geraten, weil das Umlaufvermögen zur Deckung nicht ausreicht und das Anlagevermögen nicht so schnell liquidierbar ist. 1.102 Während Finanzierungskennzahlen wie der Anlagendeckungsgrad und Verschuldungskoeffizient1 – insb. bei langfristiger Finanzierung – in der Regel auch über den Bilanzstichtag hinaus gelten, beschränkt sich die Aussagekraft von Liquiditätskennzahlen rein auf den zur Bildung der Kennzahl herangezogenen Bilanzstichtag, wobei die Wertansätze durch bilanzpolitische Maßnahmen beeinflusst sein können. Sowohl die liquiden Mittel als auch die kurzfristigen Verbindlichkeiten können sich in der Zwischenzeit bereits wieder verändert haben. Hinzu kommt, dass der Liquiditätsgrad nur das durchschnittliche Deckungsverhältnis angibt, aber nichts über die genaue Fälligkeit und die tatsächlich vorhandene Liquidität zum aktuellen Zeitpunkt aussagt. Vor allem noch nicht bilanzierte zukünftige Zahlungsströme (wie z.B. Lohn- und Zinszahlungen, Steuernachzahlungen) sowie Sicherungsrechte an Vermögenswerten sind nicht berücksichtigt. Aufgrund dieser starken Stichtagsbezogenheit haben Liquiditätskennzahlen nur eine begrenzte Aussagekraft für die künftige Liquiditätsentwicklung eines Unternehmens. 1.103 Eine wertvolle Ergänzung stellen daher Cash-Flow-Prognoserechnungen dar. Zielsetzung der Ermittlung des Cash Flow2 ist die Bereinigung der GuV um alle zahlungsunwirksamen Aufwendungen und Erträge, insb. aus Maßnahmen der Bilanzpolitik, zwecks Feststellung, in welchem Umfang die laufende Betriebstätigkeit innerhalb einer bestimmten Periode zu Einnahmeüberschüssen3 führt. Der Cash Flow ist ein wichtiger Indikator für die Finanz- und Ertragskraft, der zeigt, in welcher Höhe ein Unternehmen oder Unternehmensteil aus eigener Kraft finanzielle Mittel erwirtschaftet hat bzw. künftig erwirtschaften kann. Seine Berechnung kann je nach Untersuchungsziel variieren; üblicherweise wird er mangels verfügbarer unternehmensinterner Zahlen indirekt (retrograd) nach folgender Formel ermittelt4:

1

Fremdkapital

¼

Eigenkapital ' 100 2 Zum Teil auch als liquiditätswirksamer Jahresüberschuss, Zahlungsüberschuss aus dem laufenden Betriebsprozess oder als Kapitalrückfluss aus dem Unternehmensprozess bezeichnet; Siener, Der Cash-Flow als Instrument der Bilanzanalyse, 1991, S. 35. 3 Streng genommen müsste es Einzahlungsüberschüsse heißen. Coenenberg/Haller/ Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 22. Aufl. 2012, S. 1086. 4 Busse von Colbe, Cash Flow, in HWF, 1976, Sp. 241 ff.; Köhler, Cash-Flow, in HWR, 3. Aufl. 2002, Sp. 353 ff.; Küting/Weber, Die Bilanzanalyse, 10. Aufl. 2012, 1.3.1.1.4 (S. 159 ff.). Die direkte (progressive) Methode führt zum gleichen Ergebnis: Cash Flow = einzahlungswirksame Erträge – auszahlungswirksame Aufwendungen.

42

|

Sinz

Liquiditätsvorsorge

1.108

Cash Flow = Jahresergebnis + Abschreibungen – Zuschreibungen + Erhöhung langfr. Rückstellungen – Verminderung langfr. Rückstellungen Wird der so ermittelte Brutto-Cash-Flow auch noch um Gewinnausschüttungen 1.104 bereinigt (Netto-Cash-Flow), gibt diese Kennzahl an, welcher Teil des Jahresergebnisses für Investitionen und zur Schuldentilgung zur Verfügung steht. Gerade bei einem Mehrjahresvergleich ist ein sinkender Cash Flow ein guter Indikator für zunehmende Liquiditätsschwierigkeiten. Zur Insolvenzprognose erfreut sich in der Praxis daher auch die Kennzahl des Entschuldungsgrades großer Beliebtheit: Entschuldungsgrad ¼

Cash Flow Effektivverschuldung1

Dies beruht vor allem darauf, dass in Krisenzeiten die Effektivverschuldung auf- 1.105 grund der schlechten Absatzlage steigt und gleichzeitig der Cash Flow aufgrund des verminderten Jahresüberschusses sinkt2. Die gewonnenen Werte lassen sich unter Berücksichtigung unterschiedlicher Grade der Kapazitätsauslastung zu einer mehrperiodigen Cash-Flow-Prognoserechnung fortschreiben, die sich aus einer Entstehungsrechnung (Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben) und Verwendungsrechnung (für Investitionen, Schuldentilgung, Gewinnsteuern) zusammensetzt3. Eine weitere insb. zur Insolvenzprognose bei jungen Wachstumsunternehmen 1.106 häufig verwendete Kennzahl ist die Cash-burn-Rate4, die darüber Auskunft geben soll, wann bei einem Unternehmen mit dem Verbrauch der vorhandenen Liquidität zu rechnen ist: Cash)burn)Rate ¼

liquide Mittel þ liquiditatsnahe ¨ Mittel negativer Cash Flow

Je niedriger diese Kennziffer ist, desto schneller soll das Unternehmen in Zah- 1.107 lungsschwierigkeiten geraten. Diese Prognose unterstellt, dass das Unternehmen über keine Möglichkeit verfügt, neue Gelder aufzunehmen, und die vergangenheitsorientierten Daten auch für die Zukunft repräsentativ sind. Eine niedrige Cash-burn-Rate kann daher für sich allein keine zuverlässige Aussage zur Überlebensdauer eines Unternehmens treffen, sondern allenfalls Anlass für weitere Analysen der Liquiditäts- und Wettbewerbssituation sein5. Diese Kritik gilt zugleich grundsätzlich gegenüber dem Konzept der Cash-Flow- 1.108 Rechnung, da hier von Zahlungsmittelbewegungen einer abgelaufenen Periode 1 2 3 4

= Fremdkapital – liquide Mittel – kurzfr. Forderungen – Kundenanzahlungen. Hauschildt/Rösler/Gemünden, DBW 1984, 353, 358 f. m.w.N. Eilenberger in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2014, § 229 InsO Rz. 26 ff. Küting/Weber, Die Bilanzanalyse, 10. Aufl. 2012, 1.3.1.2.2 (S. 169 f.). Nicht zu verwechseln mit der Burn-Rate, bei der ein anfallender Verlust ins Verhältnis zum Umsatz gesetzt wird, um Aufschluss darüber zu erhalten, wie viel Verlust pro Einheit Umsatz erwirtschaftet wurde. 5 Schellberg, FB 2001, 184, 187, 191.

Sinz

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43

1.109

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

auf künftige Liquiditätsentwicklungen geschlossen wird. Dies ist nur gerechtfertigt, wenn – die Kennzahlen für mehrere Perioden ermittelt werden, – sich aus dem Mehrjahresvergleich ein signifikanter Trend ableiten lässt und – keine gravierenden Veränderungen der Rahmenbedingungen, insb. an den Beschaffungs- und Absatzmärkten, eingetreten oder zu erwarten sind (Ceteris-Paribus-Vorbehalt)1. 1.109 Die Nachteile einer statischen Analyse, bei der lediglich bestimmte Bilanzpositionen in unterschiedlicher Weise zusammengefasst und ins Verhältnis zueinander gesetzt werden, soll die Kapitalflussrechnung2 vermeiden und eine Beurteilung der Bewegungen dieser Bilanzbestände während zweier Perioden ermöglichen3. Dazu werden zuerst die Differenzen bestimmter Bilanzpositionen aus zwei aufeinander folgenden Bilanzen gebildet; die so entstehende Beständedifferenzenbilanz zeigt die Veränderung der Bilanzposten. Durch die Umgliederung der Bewegungsgrößen der Beständedifferenzenbilanz entsteht die Veränderungsbilanz (Bewegungsbilanz), indem Aktivzunahmen und Passivabnahmen als Mittelverwendung sowie Passivzunahmen und Aktivabnahmen als Mittelherkunft ausgewiesen werden. Erst durch die Einbeziehung der Daten der GuV wird die Bewegungsbilanz (in der lediglich umgegliederte Bilanzdifferenzen ausgewiesen werden) schließlich zu einer zahlungsstromorientierten Kapitalflussrechnung; dazu werden die absoluten Bestandsveränderungen durch die ihnen zugrunde liegenden Soll- und Habenbuchungen und die Veränderungen des Jahreserfolgs durch die entsprechenden Aufwendungen und Erträge ersetzt, zahlungsunwirksame Posten (Doppelerfassungen als Mittelverwendung und Mittelherkunft) sind zu eliminieren. Als letzter Schritt sind die saldierten und bereinigten Posten der erweiterten Bewegungsbilanz entsprechend dem Schema der Kapitalflussrechnung umzugliedern, und zwar in die Bereiche operative (gewöhnliche) Geschäftstätigkeit sowie Investitions- und Finanzierungsbereich4. 1.110 Muster einer Kapitalflussrechnung5: 1 Weitere Kritikpunkte sind: Problematik von (zahlungswirksamen und zahlungsunwirksamen) Mischposten, fehlende Berücksichtigung stiller Reserven, Verzerrungen durch Leasing, eingeschränkter zwischenbetrieblicher Vergleich. Dazu: Siener, Der Cash-Flow als Instrument der Bilanzanalyse, 1991, S. 133 ff.; Küting/Weber, Die Bilanzanalyse, 10. Aufl. 2012, 1.3.1.2.4 (S. 172 ff.). 2 Zum Teil auch als Finanzbewegungsrechnung bezeichnet; so: Küting/Weber, Die Bilanzanalyse, 10. Aufl. 2012, 1.3.1.2.3 (S. 170 f.). Die Offenlegung von Kapitalflussrechnungen erfolgte bis zum Inkrafttreten des KonTraG am 1.5.1998 ausschließlich auf freiwilliger Basis. Gemäß §§ 264 Abs. 1 Satz 2, 297 Abs. 1 Satz 1 HGB wird die Kapitalflussrechnung für bestimmte Kapitalgesellschaften zum Pflichtbestandteil des Jahresabschlusses erhoben. Im internationalen Bereich ist sie in IAS 7 und SFAS 95 geregelt, die Vorlage für den deutschen Rechnungslegungsstandard DRS 2 waren. 3 Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 22. Aufl. 2012, S. 785. Zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Erstellung: Coenenberg/Schmidt, ZfB 1978, 507, 509 ff. 4 Küting/Weber, Die Bilanzanalyse, 10. Aufl. 2012, 1.3.2.3 (S. 183 ff.) und 1.3.2.5 (S. 195 ff., Beispiel). Muster einer Kapitalflussrechnung: Rendels/Zabel in Kübler, HRI, 2. Aufl. 2015, § 52, Anlage 2.2.3. 5 Übernommen von Rendels/Zabel in Kübler, HRI, 2. Aufl. 2015, § 52, Anlage 2.2.3.

44

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Sinz

Cashflow aus der Investitionstätigkeit

184,1 197,7

Zahlungswirksame Veränderungen des Zahlungsmittelbestandes

Finanzmittelbestand am Ende der Periode

–8,0 13,6

Cashflow aus der Finanzierungstätigkeit

Finanmittelbestand am Anfang der Periode

–80,

Aufnahme/Tätigkeit (-) von Darlehnsverbindlichkeiten

0,0

–17,0

Investitionen in das Anlagevermögen Abgänge aus dem Anlagevermögen

Einlagen der Gesellschafter

38,6 –17,0 0,0

Cashflow aus laufender Geschäftsfähigkeit

Sinz

|

177,0

197,7

–20,7

–7,9

–7,9

0,0

–17,0

17,0 0,0

4,2

2,6

98,9

177,0

–78,1

0,0

0,0

0,0

–17,0

17,0 0,0

–61,1

48,9

62,1

98,9

–36,8

0,0

0,0

0,0

–17,0

17,0 0,0

–19,8

114,5

0,0 0,0 0,0 0,0 109,9 –4739 –125,6 –157,7 0,0 0,0 0,0 0,0 1,0 1,0 1,0 1,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 –8,3 4,5 4,2 5,9 0,0 0,0 0,0 –17,6 11,0 10,4 14,5

der Vorträge der Lieferforderunge der sonstigen Vermögensgegenstände der sonstigen Wertpapiere der übrigen Aktiva der Rückstellungen der erhaltenen Anzahlungen der Lieferverbindlichkeiten der Verbindlichkeiten nahest. Unt. der übrigen Passiva

–46,4

(-)/Abnahme (-)/Abnahme (-)/Abnahme (-)/Abnahme (-)/Abnahme (-)/Abnahme (-)/Abnahme (-)/Abnahme (-)/Abnahme (-)/Abnahme

104,5 10,0

Zunahme Zunahme Zunahme Zunahme Zunahme Zunahme Zunahme Zunahme Zunahme Zunahme

38,9 10,0

EUR

04/13

Cash-Earnings

–7,4 10,0

EUR

03/13

–5,4 10,0

EUR

EUR

Monatsergebnis (vor Sanierungsgewinn) Abschreibungen

02/13

01/13

126,2

62,1

64,1

0,0

0,0

0,0

–17,0

17,0 0,0

81,1

0,0 49,1 0,0 1,0 0,0 0,0 0,0 –5,4 0,0 –1,5

49,9

39,9 10,0

EUR

05/13

48,8

38,8 10,0

EUR

07/13

263,7

126,2

137,5

0,0

0,0

0,0

–17,0

17,0 0,0

154,5

228,6

263,7

–35,1

0,0

0,0

0,0

–17,0

17,0 0,0

–18,1

0,0 0,0 253,7 –104,4 0,0 0,0 1,0 1,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 –10,3 10,5 0,0 0,0 –25,4 26,0

–64,5

–74,5 10,0

EUR

06/13

164,0

228,6

–64,6

0,0

0,0

0,0

–17,0

17,0 0,0

–47,6

0,0 –83,1 0,0 1,0 0,0 0,0 0,0 –1,0 0,0 –2,5

38,0

28,0 10,0

EUR

08/13

191,7

181,7 10,0

EUR

10/13

227,5

164,0

63,5

0,0

0,0

0,0

–17,0

17,0 0,0

80,5

139,7

227,5

–87,8

0,0

0,0

0,0

–17,0

17,0 0,0

–70,8

0,0 0,0 137,4 –334,5 0,0 0,0 1,0 1,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 –6,6 20,4 0,0 0,0 –16,2 50,6

–35,1

–45,1 10,0

EUR

09/13

169,9

139,7

30,2

0,0

0,0

0,0

–17,0

17,0 0,0

47,2

0,0 129,7 0,0 1,0 0,0 0,0 0,0 –4,9 0,0 –49,4

–29,2

–39,2 10,0

EUR

11/12

300,5

169,9

130,6

0,0

0,0

0,0

–17,0

17,0 0,0

147,6

0,0 93,9 0,0 1,0 0,0 0,0 0,0 –8,3 0,0 16,6

44,4

34,4 10,0

EUR

12/13

PLAN PLAN PLAN PLAN PLAN PLAN PLAN PLAN PLAN PLAN PLAN PLAN

Entwicklung der Kapitalflussrechnung

Plan-Liquiditätsrechnung 2013 Liquiditätsvorsorge 1.110

45

1.111

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

Plan-Liquiditätsrechnung 2013 Grafische Darstellung des Finanzmittelbestandes

Finanzmittelbestand

Bankguthaben 1200 1000 800 600 400 200 0

01/13

02/13

03/13

04/13

05/13

06/13

07/13

08/13

09/13

10/13

11/13

12/13

– 200 – 400

1.111 Die Prognosewerte des Cash Flow oder einer Kapitalflussrechnung1 leiden ebenfalls daran, dass sie aus vergangenheitsorientierten Daten abgeleitet sind und gleichbleibende Verhältnisse unterstellen. Um die künftig verfügbare Liquidität planen und überwachen zu können, bedarf es somit einer Liquiditätsrechnung, die laufend aktualisiert wird. Dies vermag nur ein detaillierter Finanzplan zu leisten. Darin muss zum Ausdruck kommen, welche Finanzmittel zu welchem Fälligkeitszeitpunkt benötigt werden und aus welchen Quellen diese zu welchen Zeitpunkten kommen sollen. Ausgangspunkt der Finanzplanung ist das Unternehmenskonzept, in dem der geplante Soll-Verlauf des Unternehmens dargestellt wird. In der Prognose können auch bereits festgelegte Sanierungsmaßnahmen berücksichtigt werden wie die Veräußerung nicht betriebsnotwendiger Aktiva oder die Bereitschaft von Gesellschaftern, für die Weiterführung benötigtes Kapital bereitzustellen. Die zugrunde gelegten Prämissen müssen realistisch sein und dürfen nicht auf geschönten Zukunftsprognosen beruhen. Es dürfen nur solche Positionen eingestellt werden, deren Eintritt hinreichend gesichert ist, also z.B. keine bloße vagen Aussichten auf Geschäftsabschlüsse2. Die Planungsperiode sollte dabei das laufende und das darauf folgende Geschäftsjahr, also einen Zeitraum von 12 bis 24 Monaten umfassen (dazu auch Rz. 5.119 f., 5.140 ff.)3. Da die Planungsgenauigkeit mit zunehmendem Abstand vom Betrachtungszeitpunkt sinkt, ist es üblich, die Zahlungsströme nur in den ersten sechs Monaten als Monatswerte darzustellen und in der Folgezeit auf Quartalswerte zu verdichten. Die Überbzw. Unterdeckung der einzelnen Periode wird so schnell sichtbar; die Salden sind auf die nächste Periode vorzutragen.

1 Für Kapitalflussrechnung: Küting/Weber, Die Bilanzanalyse, 10. Aufl. 2012, 1.3.2.2.2 (S. 179). 2 BGH v. 2.6.1997 – II ZR 211/95, ZIP 1997, 1648 sub I.2. = GmbHR 1997, 890. 3 IDW S 11, Tz. 60; Mock in Uhlenbruck, 14. Aufl. 2015, § 18 InsO Rz. 24; Bitter in Scholz, 11. Aufl. 2015, Vor § 64 GmbHG Rz. 78.

46

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Sinz

Liquiditätsvorsorge

1.114

Muster eines Finanzplans (stark vereinfacht): 01 02 03 04 05 06 III.

1.112 IV.

I.

II.

III. IV.

Vorhandene Liquidität eigene1 offene Kontokorrentlinie Einzahlungen Umsatzerlöse Sonstige Erlöse Außerordentliche Erlöse Summe Auszahlungen Materialeinkäufe Personalkosten Miete, Leasing Steuern Sonstige Betriebskosten Kapitaldienst Summe Über-/Unterdeckung

Die tägliche Finanzdisposition erfolgt im Rahmen des Cash-Managements2. Die 1.113 dazu nötigen Informationen sollten zentral in einer Stelle (Treasury) zusammengeführt und mit Buchhaltungs-, Marktinformations- und Auswertungssystemen verknüpft werden. Der Finanzplan als zukunftsorientierte Rechnung gibt nur dann zuverlässig Aus- 1.114 kunft über die künftige Liquidität, wenn er – vollständig3, – termingenau4, 1 Ab 2. Periode: jeweiliger Saldovortrag aus Vorperiode. 2 Ernst/Gleißner, Treasury Management, München 2013, S. 45 ff. 3 Auch erst künftig zu erwartende Verbindlichkeiten müssen enthalten sein (s. dazu auch Rz. 5.128 ff.). Insb. die Umsatzsteuer (§ 18 Abs. 2 Satz 1 und 3 UStG) und die Beiträge an die Berufsgenossenschaft werden in der Liquiditätsplanung von Jungunternehmern häufig vernachlässigt. 4 Die Ein- und Auszahlungen sind für die Periode zu erfassen, in der sie tatsächlich anfallen.

Sinz

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47

1.115

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

– realistisch1 und – ehrlich2 ist. Ferner bedarf es eines permanenten Soll-Ist-Vergleichs als Grundlage für eine aktualisierte Fortschreibung. Aufgabe des Controlling ist es, den kritischen Wert oder die Bandbreite festzulegen3, ab welcher Abweichung der tatsächlichen Liquiditätsentwicklung von der Sollgröße eine Überarbeitung der Liquiditätsplanung erforderlich ist. 1.115 Reichen die Liquiditätsreserven nicht aus, um Engpässe zu überbrücken, ist zu prüfen, welche Maßnahmen zur kurzfristigen Verbesserung der Finanzlage umgesetzt werden können. In Betracht kommen vor allem: – auf der Einzahlungsseite: *

Vereinbarung von Anzahlungen oder Teilzahlungen,

*

schnellere Abrechnung der erbrachten Leistungen,

*

Einräumung kürzerer Zahlungsziele an Kunden (ggf. Lastschrift, Skontogewährung),

*

Verbesserung des Mahnwesens,

*

Sale-and-lease-back, Factoring,

*

Verkauf nicht benötigter Betriebsmittel,

*

Gesellschafterdarlehen,

*

Erhöhung der Kontokorrentlinie,

*

ggf. öffentliche Liquiditätshilfen (wie z.B. DtA-Existenzgründungsprogramm, KfW-Mittelstandsprogramm).

– auf der Auszahlungsseite: *

konsequente Umsetzung von Kostensenkungspotentialen (im Einkauf4, im Produktions-5 und Personalbereich6, im Vertrieb7)

*

Verschiebung von Investitionen (sofern ohne nachteilige Folgen),

*

Vereinbarung längerer Zahlungsziele bei Lieferanten,

*

Konditionenverbesserung durch Umschuldung,

*

Reduzierung von Privatentnahmen.

1 Die Annahmen im Finanzplan müssen plausibel und leicht nachvollziehbar sein. 2 In der Anfälligkeit für Manipulationen liegt die größte Schwachstelle. 3 Zu den Verfahren der Sensitivitätsanalyse: Horváth, Controlling, 12. Aufl. 2011, S. 447, 459. 4 Z.B. Konditionenverbesserung (Skonti, Rabatte, Boni), Senkung der Vorratshaltung (ggf. Outsourcing), Senkung der Transport- und Lagerkosten, Standardisierung der Produkte. 5 Z.B. Optimierung der Losgrößen, Reduzierung der Prozesszeiten, Senkung der Ausschussquote. 6 Z.B. Automatisierung von Prozessen, Outsourcing. 7 Z.B. Standardisierung der Verpackung, Reduzierung der Lagerhaltung, Reduzierung der Transportkosten.

48

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Sinz

Krisenabwehr durch laufende Kontrolle

1.122

3. Rechtspflichten Die Liquiditätsvorsorge obliegt in erster Linie dem Geschäftsführer (den Ge- 1.116 schäftsführern)1. Sie sind die Akteure der Risikokontrolle2. Die Selbstprüfungspflichten der Geschäftsführer (Rz. 1.191 ff.) erschöpfen sich nicht in der Solvenzprüfung. Sie setzen nicht erst im Vorfeld von Krise und Insolvenz ein, sondern sie sind ständige Begleiter des GmbH-Managements. Die Geschäftsführer haben nicht nur Verlustentwicklungen im Auge zu behalten und die Gesellschafter hierüber in Kenntnis zu setzen (§ 49 Abs. 3 GmbHG ist Ausdruck dieser allgemeinen Verpflichtung)3; insoweit müssen sie für eine Organisation sorgen, die ihnen die zur Wahrnehmung ihrer Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht4. Auch die Vermeidung von Forderungsausfällen durch Besicherung der von der Gesellschaft vergebenen Kredite5 und die nachhaltige Bonitätsprüfung gehört zu den Pflichten der Geschäftsführer im Rahmen der Liquiditätsvorsorge und entsprechender Risikokontrolle6. Die ständige Prüfung von Waren- und Kassenbeständen7 sollte sich von selbst verstehen, ebenso das Nachsetzen bei Außenständen. Zur Liquiditätsvorsorge gehört aber auch die rechtzeitige Verhandlung mit der Hausbank über etwa notwendige Kreditlinien und die Einschaltung der Gesellschafter im Fall einer Kreditunfähigkeit. Für Verletzungen dieser Pflichten haftet der Geschäftsführer der Gesellschaft nach § 43 GmbHG auf Ersatz des hierdurch verursachten Schadens im Gesellschaftsvermögen (zu dieser Geschäftsführerhaftung Rz. 11.156). vacat

1.117–1.120

V. Krisenabwehr durch laufende Kontrolle Da der Faktor Zeit bei der Krisenabwehr eine zentrale Rolle spielt, ist eine lau- 1.121 fende Kontrolle derjenigen Bereiche erforderlich, in denen Signale bevorstehender Unternehmenskrisen auftreten können. 1. Bilanzanalyse Das klassische Gebiet zur Diagnose von Unternehmenskrisen ist der Finanz- 1.122 bereich eines Unternehmens. Durch den laufenden Vergleich der verschiedenen Positionen von Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung der letzten Rechnungs1 Vgl. Lutter, GmbHR 2000, 301, 305. 2 Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 96; ihnen obliegt insbesondere auch die Pflicht zur ordnungsgemäßen Buchführung, die gerade den zuverlässigen Überblick über die Finanzlage schafft und so Liquiditätskontrolle und Krisenfrüherkennung ermöglicht (Bellen/Stehl, BB 2010, 2579, 2580 f.); zur Liquiditätsvorsorge vor dem Hintergrund der Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen auch Radtke, GmbHR 2009, 673, 676 (unter II.). 3 Karsten Schmidt hier in 4. Aufl. Rz. 1.72; Zöllner in Baumbach/Hueck, § 49 GmbHG Rz. 20 f. 4 BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, GmbHR 2012, 967, 968 = NZG 2012, 940. 5 Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 8 Rz. 131. 6 Vgl. Wälzholz in GmbH-Handbuch, Rz. I 4144. 7 Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 8 Rz. 131.

Schluck-Amend

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49

1.123

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

perioden1 untereinander (ggf. mittels daraus gebildeter Kennzahlen wie z.B. Eigenkapitalausstattung, Verschuldensgrad, Zinsdeckung und Liquidität; vgl. dazu Rz. 1.234 ff.2) sowie mit den durchschnittlichen Branchenvergleichsdaten lassen sich Unternehmenskrisen zumindest im Stadium der Erfolgskrise identifizieren. 1.123 Oben (Rz. 1.35) wurde dargelegt, dass ein Krisensignal darin zu erblicken ist, dass Verluste das Stammkapital angreifen. Dieser Befund kann sich zunächst aus dem Jahresabschluss der GmbH ergeben, der nach den §§ 242, 264 HGB am Ende eines jeden Geschäftsjahres zu erstellen ist. 1.124 Nach ganz h.M. besteht eine Pflicht zur Einberufung der Gesellschafterversammlung nach § 49 Abs. 3 GmbHG in Anlehnung an § 92 Abs. 1 AktG jedoch schon, sobald das Erreichen der darin beschriebenen Kennzahlen erkennbar wird3. Zu fordern ist somit eine laufende Kontrolle der gesellschaftlichen Vermögenssituation, damit die in § 49 Abs. 3 GmbHG vorgesehene Krisenreaktion, die Einberufung der Gesellschafterversammlung, schnellstmöglich erfolgen kann4. Die Bilanzierung sollte – soweit verhältnismäßig5 – zumindest in monatlichen Abständen erfolgen6. 1.125 Neben den Zahlen aus dem Bereich der Kapitalausstattung geben auch andere bilanzielle Veränderungen mehr oder weniger deutliche Hinweise auf eine mögliche Unternehmenskrise, z.B. die Erhöhung der kurzfristigen Verbindlichkeiten, Umschichtungen im Umlaufvermögen zu Gunsten von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen oder zu Gunsten von Lagerbeständen an Fertigerzeugnissen, der Rückgang von Umsatz7, der Rückgang des ordentlichen betrieblichen Erfolges (ggf. verbunden mit der Erhöhung des Anteils außerordentlicher Erträge am Gesamtergebnis oder der Verminderung der Abschreibungsquote) oder der Anstieg zwingender Sonderabschreibungen. 1.126 Über die klassische Bilanzanalyse hinaus wurden in der Betriebswirtschaft zur Erkennung von Strategiekrisen Frühwarnsysteme auf der Basis von Kennzahlen entwickelt, u.a. die sog. Diskriminanzanalyse8. Näher zum Risikofrüherkennungssystem unten Rz. 1.231. 2. Betriebliche Statistik 1.127 Aus Sicht des Krisenmanagements wichtiger noch als die Analyse des finanzwirtschaftlichen Bereichs eines Unternehmens ist die Untersuchung der leistungswirtschaftlichen Daten, aus denen wertvolle Schlussfolgerungen über die Erfolgs1 Dazu Hauschildt, Erfolgs-, Finanz- und Bilanzanalyse, 3. Aufl. 1996, S. 131 ff. 2 Vgl. hierzu auch Drukarczyk/Schöntag in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 2 Rz. 10, die die Kennzahlen in verschiedene Gruppen einteilen. 3 S. Hüffer/Schürnbrand in Großkommentar zum GmbHG, § 49 GmbHG Rz. 22; Zöllner in Baumbach/Hueck, § 49 GmbHG Rz. 19; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 49 GmbHG Rz. 16; Uhlenbruck, GmbHR 1999, 313, 320. 4 S. Geißler, DZWIR 2011, 309, 310; vgl. auch: BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, GmbHR 2012, 967, 968 = NZG 2012, 940; Zöllner in Baumbach/Hueck, § 49 GmbHG Rz. 20; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 49 GmbHG Rz. 16. 5 Vgl. Kallmeyer, ZGR 1993, 111 f. 6 Hoffmann/Liebs, Der GmbH-Geschäftsführer, Rz. 6004. 7 S. Hess/Groß in Hess, Sanierungshandbuch, Kap. 3 Rz. 162. 8 Drukarczyk/Schöntag in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 2 Rz. 20.

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Schluck-Amend

Krisenabwehr durch laufende Kontrolle

1.130

und Risikopotentiale des Unternehmens im Strategiebereich gezogen werden können1. Eine Krisenfrüherkennung nur anhand einer Bilanzanalyse würde regelmäßig erhebliche Lücken bzw. Nachteile aufweisen2, da das externe Rechnungswesen primär auf eine ordnungsgemäße Rechnungslegung ausgerichtet ist. Demgegenüber kommt dem internen Rechnungswesen eine zentrale Funktion im Hinblick auf die Unterstützung der Geschäftsleitung durch zusätzliche Informationen zu3. Dies gilt insbesondere für Daten aus dem Beschaffungs-, Produktions-, Absatz- und Logistikbereich des Unternehmens, die ggf. mit Hilfe von Kennzahlen statistisch aufzubereiten sind. Insbesondere eine Analyse des Produktsortiments ist aufschlussreich. Haupt- 1.128 augenmerk muss hier der Altersstruktur gelten: Wird der Hauptumsatz mit Produkten erwirtschaftet, deren Produktlebenszyklus bereits die sog. Sättigungsphase erreicht hat, liegt eine strategische Krise des Unternehmens nahe, da mit sinkenden Absatzchancen zu rechnen ist4. In der Betriebswirtschaftslehre wird eine Sortimentsstruktur empfohlen, bei der 40–50 % des Umsatzes auf Produkte entfallen, die sich im Zenit ihres Lebenszyklus, der sog. Reifephase, befinden, während sich die übrigen 50–60 % möglichst gleichmäßig auf die anderen Phasen, Einführungsphase, Wachstumsphase, Sättigungsphase und Degenerationsphase, verteilen sollen5. Viele Unternehmen zögern jedoch, ertragsschwache Produkte rechtzeitig aus dem Produktionsprogramm zu eliminieren oder den Marktbedürfnissen entsprechend zu variieren. Absatzwiderständen, die in der Sättigungsphase des Produktlebenszyklus regelmäßig auftreten, wird stattdessen oft durch verstärkte Absatzbemühungen begegnet. Auch die Erfolgsbeiträge der einzelnen Produkte sind zu untersuchen. Auf- 1.129 schlussreich ist zunächst der Umsatzanteil der verschiedenen Produkte am Gesamtumsatz. Wichtigstes Kriterium des Erfolgsbeitrages ist insoweit jedoch der sog. Deckungsbeitrag, der sich aus der Differenz zwischen den dem Produkt zurechenbaren Erlösen und der auf dieses entfallenden Kosten ergibt6. Darüber hinaus kann eine Analyse der Produktion sinnvoll sein. Analysiert wer- 1.130 den hier die Produktionsverfahren7, die Betriebsmittel8, die Personalsituation9 so1 Vgl. Hauschildt, Erfolgs-, Finanz- und Bilanzanalyse, 3. Aufl. 1996, S. 1; Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 230; Ulrich/Fluri, Management, 7. Aufl. 1995, S. 149 f. 2 Haghani in Bickhoff/Blatz, Die Unternehmenskrise als Chance, 2004, S. 48 f. 3 Winnefeld, Bilanz-Handbuch, 4. Aufl. 2006, Rz. 915 f. 4 Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 197; vgl. weiterhin Haghani in Bickhoff/Blatz, Die Unternehmenskrise als Chance, 2004, S. 54 f. 5 Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 195 ff. 6 Näher Hess/Groß in Hess, Sanierungshandbuch, Kap. 3 Rz. 171 ff.; Harz/Hub/Schlarb, Sanierungs-Management, S. 58, 152 ff.; Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 198 f.; zur Deckungsbeitragsrechnung auch Gras in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 2 Rz. 36 f. 7 U.a. in Bezug auf Flexibilität, Komplexität und Lagerintensität (Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 202 f.). 8 U.a. in Bezug auf Auslastung, Altersstruktur und Qualität (Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 204 f., 230). 9 U.a. in Bezug auf Qualifikation, Fluktuation und Fehlzeiten (Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 205 f.).

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1.131

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

wie die sonstigen Produktionsbedingungen (lokale Infrastruktur, räumliche Verhältnisse, geltende Sicherheits- und Umweltschutzbestimmungen sowie Abgabenlast). Unter strategischen Gesichtspunkten ist des Weiteren eine Analyse im Bereich der Kostensituation, des Marketings und der Forschung und Entwicklung möglich1. 1.131 Auch unternehmensexterne Daten sind, soweit sie für das Unternehmen von Relevanz sein können (Rz. 1.137), von der betrieblichen Statistik zu sammeln, so z.B. Daten zur Entwicklung der Beschaffungs- und Absatzmärkte oder zum Verhalten von Konkurrenzunternehmen2. Gerade in diesem Bereich werden häufig Unternehmenskrisen verursacht, etwa wenn wichtige Entwicklungen am Absatzmarkt, wie beispielsweise Trendwechsel, Änderungen des Nachfrageverhaltens oder technologische Neuerungen, nicht erkannt oder falsch eingeschätzt werden3. 3. Unternehmensplanung 1.132 Finanzanalyse und betriebliche Statistik liefern ausschließlich vergangenheitsbezogene Informationen auf einer mehr oder weniger veralteten Datenbasis. Über dieses Instrumentarium erkannte Unternehmenskrisen befinden sich bereits in einem kritischen Stadium. Aktuelle Fehlentwicklungen im Unternehmen lassen sich zeitnah nur über einen ständigen Soll/Ist-Vergleich auf Basis einer detaillierten Unternehmensplanung ausmachen (vgl. auch Rz. 1.199 ff.)4. 1.133 Unternehmensplanung meint die Vorgabe der Unternehmensaktivitäten im strategischen und operativen Bereich. Während Allein- und Kleinunternehmer weitgehend intuitiv über das zukünftige Unternehmensverhalten zu entscheiden pflegen, ist bei steigendem Komplexitätsgrad der unternehmerischen Verhältnisse eine systematische Vorbereitung der Entscheidungen über künftiges Verhalten für einen nachhaltigen Unternehmenserfolg unabdingbar5. 1.134 Unternehmensplanung ist vor diesem Hintergrund als eine Methode zu verstehen, die Schritte konkret vorauszuplanen, die zur Erreichung der angestrebten Primärziele des Unternehmens erforderlich sind6. Manifestiert sich die Unternehmenskrise darin, dass diese Primärziele nicht erreicht werden, dann ermöglicht eine Kontrolle der Unternehmensplanung die Früherkennung dieser Krisen mit der Aussicht auf rechtzeitige Abwendung7. Eine Reihe von Unternehmenskrisen

1 Hierzu Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 207 ff. 2 Haghani in Bickhoff/Blatz, Die Unternehmenskrise als Chance, 2004, S. 49 f. 3 Eichholz, BC 1998, 49; Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 232. 4 Vgl. Gless, Unternehmenssanierung, 1996, S. 40. 5 Vogelsang, ZfbF 1988, 105; Feddersen, ZGR 1993, 116. 6 Kallmeyer, ZGR 1993, 108 f.; Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 227. 7 Vgl. Ulrich/Fluri, Management, 7. Aufl. 1995, S. 108; Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 228.

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Krisenabwehr durch laufende Kontrolle

1.138

lassen sich dementsprechend auf Mängel in der Unternehmensplanung zurückführen1. Für ein Planungs- und Kontrollsystem dieser Art ist zunächst eine Umwelt- und 1.135 eine Unternehmensanalyse durchzuführen. Auf Grund der gewonnenen Daten ist eine strategische Planung zu erstellen, mit der die Verwirklichung der unternehmenspolitischen Grundsatzentscheide erreicht werden soll. Sie legt die grundsätzliche zukünftige Entwicklung des Unternehmens fest. Dabei hat die strategische Planung die zukünftige Unternehmensentwicklung zu sichern, indem sie die Voraussetzungen späterer andauernder Erfolge schafft2. Die Unternehmensziele sind hierfür klar zu formulieren3. Durch die operative Planung ist sodann die strategische Planung auf regelmäßige Planungsperioden zu übertragen und in operationale Ziele und Maßnahmepläne umzusetzen. Die betrieblichen Aktivitäten sind dazu in detaillierten Plänen und Budgets für alle Teilbereiche des Unternehmens aufeinander abzustimmen4. Die Zielverwirklichung muss mit einem auf die Planung abgestellten Kontroll- 1.136 system auf allen Ebenen laufend überprüft werden, damit Plan- und Budgetabweichungen rechtzeitig erkannt werden und notwendige Korrekturmaßnahmen eingeleitet werden können (Controlling)5. Der Soll/Ist-Vergleich sollte – soweit verhältnismäßig6 – zumindest in monatlichen Abständen erfolgen7. 4. Analyse der Unternehmensumwelt Unter der Annahme, dass die Unternehmenskrise in der Regel aus einer unzurei- 1.137 chenden Anpassung an veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen folgt und zunächst im strategischen Bereich auftritt, ist Krisenfrüherkennung aber auch durch genaue Beobachtung des wirtschaftlichen Umfeldes möglich, das das Unternehmen umgibt8. Ziel ist es, sog. „schwache Signale“ sich ankündigender Veränderungsprozesse frühzeitig zu erkennen, um ausreichende Zeit zur Reaktion zur Verfügung zu haben9. Erforderlich dafür ist die permanente und vor allem ungerichtete, also nicht vorab auf bestimmte Bereiche fixierte Umweltanalyse („Scanning“)10. Je früher ein derartiges Signal jedoch aufgenommen wird, desto schwerer fällt 1.138 seine Interpretation (Beispiel von Bea/Haas11: die Auswirkung bestimmter Fort1 Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 227 f. 2 Ulrich/Fluri, Management, 7. Aufl. 1995, S. 110. 3 Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 227. 4 Ulrich/Fluri, Management, 7. Aufl. 1995, S. 110 f. 5 Ulrich/Fluri, Management, 7. Aufl. 1995, S. 152 f.; Hoffmann/Liebs, Der GmbH-Geschäftsführer, Kap. 6 Rz. 6004. 6 Vgl. Kallmeyer, ZGR 1993, 111 f. 7 Hoffmann/Liebs, Der GmbH-Geschäftsführer, Kap. 6 Rz. 6004. 8 Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 231. 9 Bea/Haas, Strategisches Management, 6. Aufl. 2012, S. 95, 305 ff. und WiSt 1994, 488; Eichholz, BC 1998, 49; weiterhin Wilden in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 2 Rz. 47. 10 Vgl. Rz. 1.121 ff.; Bea/Haas, Strategisches Management, 6. Aufl. 2012, S. 308 und WiSt 1994, 488; Haag, ZfP 1993, 264. 11 Bea/Haas, WiSt 1994, 488.

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1.139

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

schritte in der Mikroelektronik auf die deutsche Uhrenindustrie). Schwache Signale lassen sich auch nicht in Kennziffern ausdrücken1. Oft lässt sich nicht einmal die Wirkungsrichtung dieser Signale (positiv oder negativ) ausmachen2. Neben diesem Interpretationsproblem besteht aber auch ein Implementationsproblem, da wegen der Ungerichtetheit dieser Wahrnehmungsaufgabe spezifische Handlungsanweisungen für deren Umsetzung kaum gegeben werden können3. Aus der unüberschaubaren Menge von Umweltbedingungen sind diejenigen Daten herauszufiltern, die für die gegenwärtige Lage relevant sind oder für die zukünftige Lage des Unternehmens relevant werden können. Entscheidender Erfolgsfaktor dieses Konzeptes ist eine entsprechende Sensibilisierung der Unternehmung für schwache Signale4. Aufgrund der aufgezeigten Schwierigkeiten hinsichtlich der Interpretation und Implementation, sowie des damit verbundenen erheblichen organisatorischen und finanziellen Aufwands einer Krisenfrüherkennung anhand „schwacher Signale“ wird teilweise dafür plädiert, eine Rechtspflicht zur entsprechenden Analyse der Unternehmensumwelt nur für solche Gesellschaften anzunehmen, für die dies aufgrund ihrer Größe verhältnismäßig erscheint5. 1.139–1.140

vacat

VI. Krisenvermeidende Organisation 1.141 Aber auch organisatorische Mängel, z.B. eine ineffiziente Aufbauorganisation6 oder eine schwerfällige Ablauforganisation7, können zur Krisenanfälligkeit des Unternehmens erheblich beitragen und eine durchdachte Organisation andererseits einen wichtigen Beitrag zur Krisenabwehr darstellen. Im Interesse eines präventiven Krisenmanagements sind daher organisatorische Mängel zu beseitigen. 1.142 Vornehmlich in älteren Unternehmen hat sich oftmals ein „Verwaltungswasserkopf“ gebildet, der den Informationsfluss im Unternehmen bremst und hohe Kosten verursacht. Es ist somit bezüglich des nicht unmittelbar am Wertschöpfungsprozess beteiligten Personals zu prüfen, ob eine (zurückzuführende) Überbesetzung vorliegt8. 1 Gless, Unternehmenssanierung, 1996, S. 41. 2 Eine Möglichkeit zur Bewältigung dieses Problems ist die sog. Szenario-Analyse, in der die möglichen Auswirkungen, geordnet nach Eintrittswahrscheinlichkeit, einander gegenübergestellt werden (vgl. Bea/Haas, Strategisches Management, 6. Aufl. 2012, S. 316 ff. und WiSt 1994, 489 ff.). 3 Bea/Haas, WiSt 1994, 488 f. 4 Bea/Haas, Strategisches Management, 6. Aufl. 2012, S. 300. 5 Bork, ZIP 2011, 101, 103. 6 Aufbauorganisation bedeutet die Strukturierung der Unternehmung in organisatorische Einheiten (Jung, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 12. Aufl. 2010, S. 266 ff., 321 f.). 7 Gemeint ist die Gestaltung von Arbeitsprozessen innerhalb des von der Aufbauorganisation bereitgestellten Gerüsts (Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 25. Aufl. 2013, S. 103, 117 f.). 8 Eine von Spiegelberger (Kauf von Krisenunternehmen, 1996, S. 122, 260) durchgeführte Befragung amerikanischer Turnaround-Manager ergab, dass Krisenunternehmen durchschnittlich zu 30 % personell überbesetzt sind.

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Krisenvermeidende Organisation

1.148

In der Unternehmensorganisation ist jedoch auch dafür Sorge zu tragen, dass die 1.143 zur Abwehr von Unternehmenskrisen geeigneten Frühwarnsysteme in die Unternehmensstruktur aufgenommen werden, so dass sie im Unternehmen auch zur tatsächlichen Anwendung kommen. 1. Krisenaverse Organisationsstrukturen Allgemein sind aus Sicht der Krisenprävention flexible und innovationsförderli- 1.144 che Organisationsstrukturen anzustreben, die ein rasches Reagieren auf kurzfristig veränderte Rahmenbedingungen erlauben („Lean Management“)1. Die betriebswirtschaftliche Organisationslehre zählt hierzu u.a. eine flache Hie- 1.145 rarchie mit kurzen Kommunikationswegen, eine starke Dezentralisierung2, geringe Spezialisierung auf Stellen- und Abteilungsebenen und die Minimierung der Stärke zentraler unterstützender Abteilungen (Stäbe)3. Letztlich kann die Zweckmäßigkeit der Unternehmensorganisation jedoch nur 1.146 unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten vor Ort beurteilt werden. Ein steigender Dezentralisationsgrad vergrößert beispielsweise den Koordinationsaufwand. Gerade bei dezentralen Organisationsstrukturen kann eine Unternehmenskrise aber auf mangelnde Koordination zurückzuführen sein4. Bei der Aufbauorganisation ist darauf hinzuwirken, dass sich Aufgabenbereiche, 1.147 Kompetenz und Ergebnisverantwortung möglichst entsprechen5. Generell ist auf eine zweckmäßige Abteilungsgliederung mit klaren Kompetenzabgrenzungen zu achten6. Bei der Ablauforganisation ist ein Gleichgewicht von Stabilität und Elastizität anzustreben, d.h. einerseits müssen gleichartige Aufgaben nach standardisierten Verfahren erledigt werden können, andererseits muss die Organisationsstruktur auch genügend Elastizität bieten, um bei außergewöhnlichen Aufgaben ausreichenden Dispositionsspielraum für flexible Reaktionen zur Verfügung stellen zu können7. Bei der Organisation des Managements ist insbesondere bei kleinen und mittleren 1.148 Betrieben eine unzureichende Aufgabendelegation festzustellen. Dadurch wird 1 Vgl. auch Freilinger/Klis, Organisation 2000, 1994, S. 62 ff. 2 Gemeint ist die Verteilung gleichartiger Aufgaben auf mehrere Stellen (s. Jung, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 12. Aufl. 2010, S. 323, 295). 3 Kieser/Walgenbach, Organisation, 6. Aufl. 2010, S. 393 ff.; Jung, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 12. Aufl. 2010, S. 295 f. 4 Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 223. 5 S. Ulrich/Fluri, Management, 7. Aufl. 1995, S. 174; Vogelsang, ZfbF 1988, 100 f.; Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 233. Insbesondere beim sog. „Stab-Liniensystem“ besteht die Möglichkeit, dass bestimmte Stellen Entscheidungen herbeiführen, die sie nicht verantworten (s. Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 25. Aufl. 2013, S. 110 ff.). Beispiel: Einstellung ungeeigneter Arbeitskräfte durch die Personalabteilung. Ähnliche Probleme entstehen bei der sog. „Matrix-Organisation“ (vgl. Ulrich/Fluri, Management, 7. Aufl. 1995, S. 183 ff.). 6 Hess/Groß in Hess, Sanierungshandbuch, S. 121. 7 Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 222.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

die Geschäftsleitung mit Routinearbeiten überlastet, und die eigentlichen Führungsaufgaben werden vernachlässigt1. 2. Organisation der Unternehmenskontrolle 1.149 Trotz aller Effizienz im Hinblick auf den Unternehmensertrag sind in der Unternehmensorganisation jedoch auch Vorkehrungen zu treffen, welche die Implementation von Krisenfrühwarnsystemen ermöglichen2. Hierzu bedarf es grundsätzlich bestimmter Kontrollinstanzen. a) Statutarische Berichtspflichten der Geschäftsführung 1.150 Die gesetzlich vorgesehene Kontrollinstanz der GmbH ist die Gesellschafterversammlung. Organisatorisch ist dabei zu regeln, auf welcher Grundlage eine derartige Kontrolle erfolgen kann. Der jährlich erstellte Jahresabschluss als gesetzliche Mindestgrundlage der Unternehmenskontrolle ist hierfür unzureichend3. Empfehlenswert ist es deshalb, in den Gesellschaftsvertrag eine dem § 90 AktG entsprechende Klausel aufzunehmen, wonach die Geschäftsführung u.a. verpflichtet ist, der Gesellschafterversammlung vierteljährlich über den Gang der Geschäfte zu berichten, damit der Gesellschafterversammlung genug Informationen zur Verfügung stehen, um Unternehmenskrisen frühzeitig erkennen und darauf reagieren zu können4. Die konkrete Ausgestaltung der Berichtspflicht ist dabei auf die besonderen Verhältnisse der Gesellschaft abzustimmen5. b) Externe Unternehmenskontrolle 1.151 Extern erstellte Prüfungsberichte sind ein gängiges Mittel zur Kontrolle der wirtschaftlichen Entwicklung eines Unternehmens. Nach § 316 HGB besteht für alle Kapitalgesellschaften, die keine kleinen i.S. des § 267 Abs. 1 HGB sind, die zwingende Pflicht, den Jahresabschluss und den Lagebericht durch einen Abschlussprüfer prüfen zu lassen. Kleine Kapitalgesellschaften können sich freiwillig einer Wirtschaftsprüfung unterziehen. Insbesondere bei geplanten Transaktionen oder zum Einsammeln von Fremdkapital sind testierte Abschlüsse regelmäßig erforderlich6. Unstimmigkeiten in Buchführung und Berichterstattung werden im Prüfungsbericht des Abschlussprüfers dokumentiert. 1.152 Ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk des Jahresabschlussprüfers erfolgt nur bei Richtigkeit der finanziellen Berichterstattung. Gemäß § 321 HGB hat der Abschlussprüfer über das Ergebnis seiner Prüfung schriftlich zu berichten 1 Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 223. 2 BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, GmbHR 2012, 967, 968 = NZG 2012, 940; BGH v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, GmbHR 1995, 299 = ZIP 1995, 560. 3 Hommelhoff, ZIP 1983, 386. 4 Vgl. auch Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 143; nach dem durch das TransPuG neu gefassten § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG ist der Bericht des Vorstands an den Aufsichtsrat um Abweichungen von früher berichteten Zielen unter Angabe von Gründen zu erweitern (sog. follow-up). Damit wird eine Soll-Ist-Analyse ermöglicht bzw. erleichtert. 5 In diesem Sinne: Hommelhoff, ZIP 1983, 388 f. 6 Zur Früherkennung durch Kreditinstitute vgl. Rz 1.231 ff.

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Krisenvermeidende Organisation

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(§ 321 Abs. 1 HGB: Prüfungsbericht). Der Abschlussprüfer hat dabei im Hauptteil des Prüfungsberichts die Posten des Jahresabschlusses aufzugliedern und zu erläutern (§ 321 Abs. 2 HGB). Zuvor hat er aber zur Beurteilung der Unternehmenslage durch die Geschäftsleitung Stellung zu nehmen, wobei er insbesondere auf die Beurteilung des Fortbestandes und der künftigen Entwicklung des Unternehmens einzugehen hat. Nach § 321 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 HGB muss der Abschlussprüfer auch berichten, dass bestandsgefährdende oder die Entwicklung des Unternehmens wesentlich beeinträchtigende Maßnahmen vorliegen und welche Auffälligkeiten festgestellt worden sind1. Der Prüfungsbericht kann deshalb wichtige Hinweise auf mögliche Krisensituationen liefern. Krisen, die erst im Rahmen des § 321 HGB entdeckt werden, sind allerdings i.d.R. bereits weit fortgeschritten; eine ausreichende Krisenvorsorge kann durch die externe Wirtschaftsprüfung daher nicht gewährleistet werden. Schließlich hat der Abschlussprüfer durch § 321 Abs. 2 Satz 4 HGB „auch auf wesentliche Bewertungsgrundlagen sowie darauf einzugehen, welchen Einfluss Änderungen in den Bewertungsgrundlagen einschließlich der Ausübung von Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten und der Ausnutzung von Ermessensspielräumen sowie sachverhaltsgestaltende Maßnahmen insgesamt auf die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage haben“2. Um zu gewährleisten, dass der Abschlussprüfer seiner gesetzlichen Berichtspflicht auch tatsächlich nachkommt, insbesondere der nach § 321 Abs. 1 Satz 2 HGB u.a. geforderten Stellungnahme zur Lagebeurteilung, hat der Gesetzgeber in § 321a Abs. 1 HGB, für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Gesellschaftsvermögen oder der Abweisung eines entsprechenden Antrags mangels Masse, ein Recht auf Einsichtnahme in die Prüfungsberichte der letzten drei Geschäftsjahre begründet3. Dieses Recht steht den Gläubigern der Gesellschaft sowie den Gesellschaftern zu, beschränkt sich jedoch auf solche Prüfungsberichte, die aufgrund einer gesetzlichen Prüfungspflicht veranlasst wurden. c) Interne Kontrolle Zur Früherkennung von Unternehmenskrisen ist es deshalb notwendig, organisa- 1.153 torisch eine interne Unternehmenskontrolle zu installieren. Insbesondere bei solchen Frühwarnsystemen, die auf innerbetriebliche Krisenindikatoren abstellen, reicht es in der Praxis nicht aus, dem Geschäftsführer gesetzlich oder statutarisch bestimmte Einberufungs- oder Berichtspflichten aufzuerlegen. Denn dieser wird sich für derartige Fehlentwicklungen i.d.R. in irgendeiner Weise persönlich ver-

1 So Theiss, GmbHR 2002, 231, 235: Ersatz der Negativerklärung zu Gunsten einer Positiverklärung. 2 Die Regierungsbegründung führt eine ganze Reihe von bilanzpolitischen Maßnahmen auf, über die bei wesentlicher Auswirkung zu berichten ist: Abschreibungen bei schlechter wirtschaftlicher Entwicklung oder unterlassene Abschreibungen; Angemessenheit der von der Geschäftsleitung zugrunde gelegten Ertragsaussichten, die gegebenenfalls für den Verkehrswert von Vermögensgegenständen von Bedeutung sind; Auflösung von Rückstellungen auf Grund geänderter Beurteilung der Wahrscheinlichkeit; sachverhaltsgestaltende Maßnahmen wie sale-and-lease-back usw., vgl. Begr. RegE des TransPuG, BR-Drucks. 109/02 v. 8.2.2002, S. 72. 3 Ebke in Münchener Kommentar zum HGB, 3. Aufl. 2013, § 321a HGB Rz. 1 f.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

antwortlich fühlen1. Es besteht also die Gefahr, dass das Krisensignal vom Geschäftsführer – bewusst oder unbewusst – unterdrückt wird und die rechtzeitige Einberufung der Gesellschafterversammlung unterbleibt2. Es bedarf somit eines von der operativen Geschäftsführung organisatorisch getrennten Kontrollsystems, das über die wirtschaftliche Lage der GmbH ständig wacht. 1.154 Zu diesem Zweck muss das Unternehmen über ein internes Kontrollsystem verfügen, dem die Überwachung und Kontrolle der betrieblichen Tätigkeit obliegt (Controlling- und Revisionsabteilung)3. Die speziellen Aufgaben und der Umfang der Überwachung sind je nach Art des Wirtschaftszweiges und der Betriebsgröße unterschiedlich. Die ihr zugedachte Funktion kann diese Kontrollinstanz jedoch nur dann voll ausüben, wenn sie einerseits mit hinreichenden Befugnissen, andererseits mit der nötigen Unabhängigkeit ausgestattet ist4. § 91 Abs. 2 AktG sieht für Aktiengesellschaften die zwingende Einführung eines institutionalisierten Risikokontrollsystems vor5. Inwieweit diese Verpflichtung auch GmbHs betrifft, ist bisher nicht hinreichend geklärt6. Die Gesetzesbegründung spricht von einer „Ausstrahlungswirkung“ des § 91 Abs. 2 AktG auf andere Gesellschaftsformen, ohne dies jedoch zu konkretisieren7. Teilweise wird angenommen, dass die Verpflichtung gemäß § 91 Abs. 2 AktG nur auf große Gesellschaften i.S. des § 267 Abs. 3 HGB zu übertragen sei8. Demnach wäre allerdings die Mehrzahl der GmbHs und GmbH & Co. KGs hiervon auf Grund ihrer Größe nicht betroffen. Die Einführung eines solchen Kontrollsystems könnte daher in diesen Fällen lediglich auf freiwilliger Basis empfohlen werden9. Der in kleineren Wirtschaftseinheiten oftmals anzutreffenden „Kaufmännischen Leitung“ sollten daher ebenfalls Controllingaufgaben zugewiesen werden. Dabei muss aber beachtet werden, dass die Kontrollaufgabe nicht mit dem bloßen Zusammentragen von Daten verwechselt wird und aus den vorhandenen Informationen keine entsprechenden Anstöße gegenüber den anderen Abteilungen bzw. der Geschäftsleitung erfolgen10.

1 Vgl. dazu auch Holzer, NZI 2005, 308, 315, der zu Recht darauf hinweist, dass sich die zuständigen Organe oftmals nicht eingestehen wollen, dass das Unternehmen in die Krise geraten ist; weiterhin Uhlenbruck/Leibner, KTS 2004, 505, 506 f. 2 Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 54. 3 Harz/Hub/Schlarb, Sanierungs-Management, S. 47; Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 224. 4 Ulrich/Fluri, Management, 7. Aufl. 1995, S. 154. 5 Winnefeld, Bilanz-Handbuch, 4. Aufl. 2006, Rz. A 880. 6 Vgl. hierzu Fleischer in Spindler/Stilz, § 92 AktG Rz. 40 m.w.N., Bork, ZIP 2011, 101, 103 ff. m.w.N., sowie Haas, Gutachten E, 66. DJT 2006, S. 105 f., der eine ausdrückliche Regelung für die GmbH nach Vorbild des § 22 des österreichischen GmbHG fordert. 7 Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15. 8 Drygala/Drygala, ZIP 2000, 297, 300. 9 Ein solches internes Kontrollsystem ist auch Voraussetzung dafür, dass die Geschäftsführer bei erfolgter Geschäftsverteilung ihre dennoch bestehende Informations- und Überwachungsverantwortung wahrnehmen können, zu dieser vgl. Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 39. 10 Geißler, DZWIR 2011, 309, 310; zur Definition und den Aufgaben des Controllings auch Gras in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 2 Rz. 73 ff.

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Krisenvermeidende Organisation

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3. Errichtung eines Aufsichtsorgans Dem Bedürfnis nach Kontrolle der Geschäftsführung kann aber auch durch wei- 1.155 tere Maßnahmen im Bereich der Unternehmensverfassung, etwa durch die Einrichtung eines Kontrollorgans, Rechnung getragen werden1. Denn die GmbH verfügt – im Gegensatz zur AG – im Normalfall2 über kein obligatorisches Aufsichtsorgan, das die Tätigkeit der Geschäftsführung laufend zu überwachen hat. Eine effektive Krisenprävention hängt aber davon ab, die Gesellschafterversammlung rechtzeitig über Fehlentwicklungen des Unternehmens zu informieren. Zu diesen Zwecken ist an die Errichtung eines unabhängigen Gesellschaftsorgans, welches zur Kontrolle der Geschäftsführung berufen ist, zu denken3. GmbH-rechtlich handelt es sich dabei stets um einen Aufsichtsrat i.S. des § 52 GmbHG, auch wenn das Organ in der Satzung als Beirat, Gesellschafterausschuss oder Verwaltungsrat bezeichnet wird4. Der Aufsichtsrat hat – neben der Gesellschafterversammlung – die Geschäftsfüh- 1.156 rung auf Legalität, Ordnungsmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zu überwachen und dahin gehend zu beraten5. Diese Aufgabe bezieht sich nicht nur auf die Vergangenheit, sondern ist vor allem auch ex ante-Kontrolle begleitender und vorausschauender Natur6. Satzungsmäßig sollte diesem Organ die Einberufungskompetenz und -pflicht für die Gesellschafterversammlung eingeräumt werden, wenn es im Zuge seiner Tätigkeit auf bestimmte Warnsignale stößt. Um diesem Organ die Möglichkeit des Erkennens solcher Warnsignale zu ermöglichen, sollte über die Satzung zudem ein entsprechendes Berichtswesen implementiert werden, nach dem die Geschäftsführung dem freiwilligen Aufsichtsrat in bestimmten zeitlichen Abständen zu berichten hat. Die konkrete Ausgestaltung der Berichtspflicht ist dabei auf die besonderen Verhältnisse der Gesellschaft abzustimmen (s. auch Berichtspflicht gegenüber der Gesellschafterversammlung Rz. 1.150). Dem Aufsichtsrat sollten fest umrissene Kompetenzen und Verantwortlichkei- 1.157 ten übertragen werden. Die Mitglieder des Aufsichtsrats sollten zumindest nicht 1 Durch das TransPuG wurden eine Reihe von Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex vom 26.2.2002 umgesetzt, abgedruckt in ZIP 2002, 452. Der Kodex enthält auch heute noch in Ziff. 3 umfassende Regelungen zum verstärkten Zusammenwirken von Geschäftsführung und Aufsichtsorgan, insbesondere zu Informationsund Berichtspflichten der Geschäftsführung, vgl. Ziff. 3.4; zum Erreichen guter Governance in Familienunternehmen durch Einrichtung eines Beirats: Koeberle-Schmid/ Groß/Lehmann-Tolkmitt, BB 2011, 888 ff., danach haben 60 % der Familienunternehmen und 80 % der Nicht-Familienunternehmen einen freiwilligen Beirat implementiert. 2 Anders bei der mitbestimmten GmbH (vgl. Uwe H. Schneider in Scholz, § 52 GmbHG Rz. 13 ff., 27 ff.: insbesondere nach § 1 Abs. 1 DrittelbG bei Gesellschaften mit mehr als 500 Arbeitnehmern). 3 Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 223 f. 4 Lutter in Lutter/Hommelhoff, § 52 GmbHG Rz. 4. 5 Raiser/Heermann in Großkommentar zum GmbHG, § 52 GmbHG Rz. 87 f.; Gras in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 2 Rz. 56. 6 Uwe H. Schneider in Scholz, § 52 GmbHG Rz. 93; Raiser/Heermann in Großkommentar zum GmbHG, § 52 GmbHG Rz. 89; BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 130 = AG 1991, 312 zum Aktienrecht.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

ausschließlich aus Gesellschaftern der GmbH bestehen; nach Möglichkeit sollte die Gesellschafterversammlung stattdessen besonders qualifizierte, erfahrene und unabhängige Persönlichkeiten berufen1. Selbst bei kleineren GmbHs muss ein Aufsichtsrat keinen unverhältnismäßig großen Aufwand bedeuten; nach h.M. ist schon ein Ein-Personen-Aufsichtsrat möglich2. 1.158 Nach § 110 Abs. 3 AktG, der sinngemäß über § 52 Abs. 1 GmbHG auch für den Aufsichtsrat der GmbH greift, wird die Sitzungsfrequenz des Aufsichtsrats auf grundsätzlich zwei Sitzungen im Kalenderhalbjahr erhöht, wobei in nicht börsennotierten Gesellschaften der Aufsichtsrat beschließen kann, dass eine Sitzung ausreichend ist. Die Satzung kann die Modalitäten des freiwilligen Aufsichtsrats der GmbH im Einzelnen regeln. 1.159–1.160

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VII. Krisenmanagement 1.161 Sollte sich trotz der laufenden Kontrolle eine Krisensituation des Unternehmens zeigen, so ist ein schnelles und wohl überlegtes Krisenmanagement angezeigt. Hierzu bedarf es zunächst einer Schwachstellenanalyse (1., Rz. 1.162 ff.), anschließend – oder sofern möglich auch parallel – sollten erste Maßnahmen des Krisenmanagements festgelegt und auch durchgeführt werden (2., Rz. 1.165 ff.). 1. Schwachstellenanalyse 1.162 Ausgangsbasis der Schwachstellenanalyse3 ist die Analyse des ganzen Unternehmens. Sie deckt Sachverhalte und Zusammenhänge auf, die sich aus den vorliegenden Daten nicht unmittelbar ergeben. Es kommen hierfür sowohl verschiedene Methoden der Aufbereitung quantitativer Merkmale als auch Verfahren zur Ermittlung qualitativer Daten in Betracht. In Wissenschaft und Praxis sind eine Vielzahl von Methoden und Techniken der Unternehmensanalyse wie z.B. die Konkurrentenanalyse, Szenario-Analyse, Wertanalyse und Portfolio-Methoden entwickelt worden. Die Bestimmung des im Einzelfall anzuwendenden Verfahrens steht im pflichtgemäßen Ermessen des Analysierenden; seinen besonderen Kenntnissen und Erfahrungen kommt daher große Bedeutung zu. Bei der Verfahrensauswahl ist auch zu berücksichtigen, dass Umfang und Tiefe der Analyse durch die geringe Zeit, die im Rahmen der Unternehmenssanierung zur Verfügung steht, begrenzt sind. Die Analyse des Unternehmens erstreckt sich sowohl auf die Lagebeurteilung als auch auf die Analyse der unternehmensinternen Krisenursachen und Schwachstellen. 1.163 Die strategische Ausrichtung des Unternehmens erweist sich schon seit Jahren als einer der gravierenden Schwachpunkte vieler Unternehmenskonzepte. Markt1 Vogelsang, ZfbF 1988, 100. 2 S. Uwe H. Schneider in Scholz, § 52 GmbHG Rz. 208; krit. Lutter in Lutter/Hommelhoff, § 52 GmbHG Rz. 5. 3 Zur Schwachstellenanalyse auch unter Nennung einzelner Sofortmaßnahmen in einzelnen Unternehmensbereichen: Steffan in Oppenländer/Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, § 37 Rz. 54 ff.

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Krisenmanagement

1.166

veränderungen werden entweder überhaupt nicht oder zu spät zur Kenntnis genommen. Der strategischen Analyse kommt deshalb eine herausragende, in vielen Fällen die entscheidende Bedeutung zu. Die strategische Analyse muss der Unternehmensführung die notwendigen betriebsinternen Veränderungen aufzeigen, mit denen sie auf strukturelle Marktveränderungen zu reagieren hat. Ansatzpunkt der strategischen Analyse ist die Erfassung der sich verändernden unternehmensexternen Bedingungen (zur Unternehmensumweltanalyse vgl. Rz. 1.137 ff.). Hierzu gehören im Wesentlichen1 – die Analyse des gesamten Marktes, – die Analyse der eigenen Branche und – die Analyse des Wettbewerbs. Das Unternehmen prüft zweckmäßige Anpassungsmaßnahmen an die sich ver- 1.164 ändernden Marktbedingungen durch – eine Potentialanalyse; sie soll die kurz-, mittel- und langfristig mobilisierbaren Unternehmensressourcen aufzeigen, – eine Stärken-/Schwächenanalyse, mit der insbesondere die möglichen Reaktionen auf das Verhalten des Wettbewerbs untersucht werden, – eine Chancen-/Risikenanalyse in Ergänzung der Stärken-/Schwächenanalyse zur Eingrenzung des möglichen Erfolgs bzw. des Misserfolgs und schließlich eine – Portfolioanalyse, die die „Machbarkeit“ der Anpassungsmaßnahmen zum Untersuchungsgegenstand hat. 2. Strategien a) Krisenmanagement im operativen Bereich Je nach Stadium der eingetretenen Krise eröffnen sich mehrere Stoßrichtungen für 1.165 ein Krisenmanagement. Die Krisendiagnose bietet hierfür den Ausgangspunkt. Ist die Krise bereits so weit fortgeschritten, dass die Insolvenz droht oder unmittelbar bevorsteht, so müssen neben Sanierungsmaßnahmen im operativen Bereich auch rechtliche Sanierungsmaßnahmen im Hinblick auf etwaige Insolvenzgründe eingeleitet werden2. Im fortgeschrittenen Krisenstadium ist es einzelnen Personen meist nicht mehr möglich, die vielfältigen erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten, geschweige denn diese allein umzusetzen. Eine personelle Verstärkung zur Unterstützung der Geschäftsführung ist daher meist unumgänglich. aa) Veränderungen in der Geschäftsleitung Stellen die Gesellschafter einer GmbH fest, dass die bisherige Geschäftsführung 1.166 den veränderten Umständen in der Unternehmenskrise nicht gewachsen ist, so kann die Notwendigkeit bestehen, die Geschäftsführung auszutauschen oder zu1 Vgl. Kußmaul, DStR 1999, 1579, 1583. 2 S. zur Krisenintensität Holzer, NZI 2005, 308, 311.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

mindest durch einen Krisenmanager zu ergänzen1. Solche Personalentscheidungen und insbesondere deren Umsetzung erfordern regelmäßig ein gewisses Fingerspitzengefühl gegenüber den bisherigen Gesellschaftsorganen und gleichzeitig die erforderliche Entschlossenheit. Gefährlich wird die Situation allerdings dann, wenn die bisherige Geschäftsführung lediglich als „Bauernopfer“ abberufen wird. Gewonnen ist damit noch nichts, zumal das Unternehmen dann mit der bisherigen Geschäftsführung oft dringend benötigte Knowhow-Träger verliert. 1.167 Zudem besteht in der Praxis regelmäßig die Problematik, geeignete Krisenmanager zu finden, die auch bereit sind, die Organstellung in der Gesellschaft zu übernehmen. Vor dem Hintergrund einer etwaigen Geschäftsführerhaftung, deren Umfang gerade in Krisensituationen äußerst weit sein kann, neigen viele Krisenmanager dazu, als „Bevollmächtigte“ neben den eigentlichen Geschäftsführern aufzutreten, ohne sich allerdings als Gesellschaftsorgan bestellen zu lassen. Dass für „faktische Geschäftsführer“ grundsätzlich die identischen Haftungsmaßstäbe gelten wie für diejenigen, die im Handelsregister eingetragen sind,2 wird dabei freilich nur allzu oft übersehen. Zu begegnen ist ebenso dem Irrtum, dass die Implementierung eines einzigen Krisenmanagers ausreicht, um der Unternehmenskrise wirksam begegnen zu können. Die vielfältigen und sich z.T. erheblich voneinander unterscheidenden Aufgaben sind meist nur durch eine größere Anzahl von Leistungsträgern zu bewältigen. 1.168 Die Verstärkung der Geschäftsführung durch Krisenmanager führt in vielen Fällen zu einer objektiveren Sicht der tatsächlichen Krisensituation. Die bisherige Geschäftsführung neigt oftmals zu einem zu großen Optimismus. Zudem muss bedacht werden, dass die Unternehmenskrise und die damit einhergehende Insolvenzgefahr automatisch zu einer persönlichen Bedrohung der bisherigen Geschäftsführung wird. Denn die ggf. erforderlich werdende Beantragung eines Insolvenzverfahrens geht oftmals auch mit dem absehbaren Ende der Stellung als Geschäftsführer einher. Die psychologische Hemmschwelle, die einer frühzeitigen Einleitung eines Insolvenzverfahrens entgegensteht, besteht regelmäßig auch bereits bei der tatsächlichen Auseinandersetzung mit der Unternehmenskrise3. Im fortgeschrittenen Stadium einer Krise weicht der eingangs beschriebene Optimismus der Geschäftsführung oftmals einer lähmenden Resignation. Dies führt dazu, dass die Geschäftsleitung die Krise zwar nunmehr in vollem Umfang wahrnimmt oder zumindest zur Kenntnis nehmen muss, gleichzeitig aber nicht mehr davon ausgeht, dass sie die Krise bewältigen kann4. Externe Krisenmanager unterliegen diesen Mechanismen naturgemäß nicht. 1.169 Gleichwohl kann die Implementierung externer Krisenmanager aus anderen Gründen problematisch sein. Um effiziente Sanierungsmaßnahmen einleiten zu können, ist die Geschäftsleitung auf Informationen aus dem Unternehmen 1 Kaufmann in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 20 Rz. 7, spricht sogar von „Schönwetterkapitänen“, deren Managementstil nicht zur Krisenbewältigung tauge. 2 Vgl. dazu mit umfassenden Nachweisen auch zur Gegenansicht: Fleischer in Münchener Kommentar zum GmbHG, Band 2, 2. Aufl. 2015, § 43 GmbHG Rz. 220 ff. 3 Vgl. hierzu auch Lange in Bickhoff/Blatz, Die Unternehmenskrise als Chance, 2004, S. 124. 4 Uhlenbruck/Leibner, KTS 2004, 505, 506 f.

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Krisenmanagement

1.173

und die Unterstützung der Mitarbeiter angewiesen. Gerade hier besteht die Gefahr, dass die wesentlichen Informationen auf Grund fehlenden Vertrauens oder der Angst, selbst Opfer von Sanierungsmaßnahmen zu werden, insbesondere wenn ein früheres Fehlverhalten aufgedeckt werden muss, nicht an externe Krisenmanager weitergeleitet werden. Problematisch sind weiterhin die Fälle, in denen externe Krisenmanager auf 1.170 Druck beteiligter Gläubiger, insbesondere Banken, implementiert werden. Diese Krisenmanager werden oft als „einseitige Interessenvertreter“ wahrgenommen, weshalb ihnen die nötige Akzeptanz im Unternehmen fehlt. Unter diesen Umständen erfordern die Versuche, die Krise zu bewältigen, erhöhte Anstrengungen. bb) Verbesserung der Informationsstruktur zur Ermöglichung der Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen Ausgehend von der Krisendiagnose bzw. Schwachstellenanalyse gilt es in einem 1.171 zweiten Schritt nunmehr, die erforderlichen Maßnahmen in die Wege zu leiten, um die erkannten Schwachstellen zu beseitigen. Im Rahmen eines Sanierungsplans sind die erforderlichen Maßnahmen zu erarbeiten. Gleichzeitig sind Zeitfenster für die Erfüllung der festgelegten Maßnahmen zu definieren. Ebenso nötig ist die Festlegung von regelmäßigen Zwischenkontrollen, um etwaigen Umsetzungsproblemen zeitnah begegnen zu können. Ein maßgeblicher Schritt, um überhaupt die Grundlagen für ein erfolgreiches Kri- 1.172 senmanagement zu legen, ist in vielen Fällen die Veränderung der unternehmensinternen Informationsstruktur. Der Informationsfluss muss straffer und schneller gestaltet werden. Da die Auswertung des externen Rechnungswesens auf Grund der verzögerten Erstellung des Datenmaterials bereits für die Krisenabwehr nur eingeschränkt tauglich ist, ist sie für die Bewältigung einer bereits eingetretenen Krise nahezu unbrauchbar. Anhand des externen Rechnungswesens kann erst hinterher überprüft werden, ob eingeleitete Sanierungsmaßnahmen greifen. Mit der Veränderung der unternehmensinternen Informationsstrukturen muss 1.173 auch eine organisatorische und operative Einbindung des ggf. neuen „KrisenStabs“ einhergehen1. Ebenso sind die jeweiligen Verantwortlichen aus den betroffenen Unternehmensbereichen festzulegen, welche die Umsetzung der jeweiligen Sanierungsmaßnahmen vollziehen sollen. Dies setzt voraus, dass sich die Geschäftsführung „nach unten“ öffnet und die oftmals vernachlässigte oder bewusst schlecht informierte „zweite Ebene“ innerhalb der Unternehmenshierarchie gezielt in das Krisenmanagement mit einbindet. Auch wenn dies für die bisherige Geschäftsführung mit dem unerfreulichen unternehmensinternen Eingeständnis der Krise verbunden sein mag, so ist dieser Schritt in der Mehrzahl der Fälle unerlässlich. Ebenso kann sich die Bildung von Projektgruppen mit Mitarbeitern aus allen Unternehmenshierarchien anbieten, um konkrete Sanierungsmaßnahmen am effizientesten zu gestalten2. 1 Kaufmann in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 20 Rz. 41 ff. 2 Vgl. hierzu Kraus in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 41 ff.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

cc) Kontrollmaßnahmen und Signale 1.174 Um die Umsetzung bzw. das Gelingen der angestrebten Sanierungsmaßnahmen überprüfen zu können, ist es erforderlich, dass die festgelegten Zwischenkontrollen, d.h. der Soll-Ist-Vergleich, strikt eingehalten werden. Krisensituationen ist immanent, dass sie ein hohes Maß an Eigendynamik entwickeln. Umso wichtiger ist es, durch strukturierte Abläufe zu gewährleisten, dass die geplanten Aktionen durchgeführt werden und die Tätigkeit des Krisenmanagements sich nicht in Reaktionen auf ständig neue Problempunkte erschöpft. 1.175 Um die nötige Akzeptanz für Sanierungsmaßnahmen bei der Belegschaft im Krisenunternehmen zu erlangen, kann es angezeigt sein, dass die Geschäftsleitung entsprechende Signale setzt. Gehen den Sanierungsmaßnahmen insbesondere Einschnitte auf der Geschäftsleitungsebene voraus, so wird dies das Vertrauen der ggf. ebenfalls betroffenen Belegschaft in einen ernsthaften Sanierungswillen stärken, der auch vor der „Chef-Etage“ nicht haltmacht. Gleich wenn die Aufgabe von Statussymbolen (z.B. der unternehmenseigene Fahrdienst etc.) in finanzieller Hinsicht – gemessen am gesamten Einsparungsvolumen – nicht entscheidend ins Gewicht fallen werden, so demonstrieren sie dennoch die nötige Entschlossenheit des Krisenmanagements1. b) Krisenmanagement im rechtlichen Bereich 1.176 Hat die Krise ein Stadium erreicht, in dem bereits die Zahlungsunfähigkeit droht (oder gar eingetreten ist) oder eine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne gegeben ist, so gilt es, neben den Sanierungsmaßnahmen im operativen Bereich auch die Insolvenzgründe zu beseitigen oder zu verhindern. 1.177 Dies kann durch Maßnahmen der Gesellschafter oder Dritter kurzfristig erreicht werden. Die nachhaltigste Maßnahme der Gesellschafter ist die Durchführung einer Kapitalerhöhung. Anstelle einer Kapitalerhöhung könnten die Gesellschafter auch eine beschränkte Nachschusspflicht durch Satzungsänderung nach §§ 26, 28 GmbHG einführen. All diese Maßnahmen sind in der Regel nur mittelfristig möglich. Kurzfristig kann die Insolvenz durch mit einem Rangrücktritt versehene Kredite abgewendet werden, im Fall bloßer Überschuldung auch durch den Rangrücktritt an sich oder durch eine harte Patronatserklärung der Gesellschafter. Auch Finanz- und Warenkredite Dritter können mit einem Rangrücktritt versehen werden. 1.178 Bevor aber mit solchen Sanierungsmaßnahmen im rechtlichen Bereich begonnen werden kann, muss meistens „psychologische Vorarbeit“ geleistet werden. Befindet sich ein Unternehmen in der Krise, so ist das Vertrauensverhältnis zwischen der Geschäftsführung und den Gesellschaftern häufig gestört. Wechselseitige Schuldvorwürfe vergrößern den eingetretenen Vertrauensverlust. Dies führt dazu, dass Sanierungskonzepte der Geschäftsführung nicht die nötige Akzeptanz durch 1 Vgl. hierzu Beutin/Ziechmann in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 4. Aufl. 2014, § 9 Rz. 89; in § 87 Abs. 2 AktG ist sogar die Möglichkeit der Anpassung der Vorstandsvergütung in Krisenzeiten ausdrücklich aufgenommen. Mit der Frage der Haftung des Aufsichtsrats im Falle der Nichtanpassung beschäftigt sich Kaiser, RdA 2010, 280 ff.

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Krisenmanagement

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die Gesellschafter erfahren1. Ist zudem eine Kapitalzufuhr erforderlich oder dienlich, so kann dies von der Geschäftsführung nur schwerlich vermittelt werden. Hier kann die Einschaltung externer Berater durch die Geschäftsführung oder durch die Gesellschafter dazu führen, das Vertrauensverhältnis wieder herzustellen. Dieselbe Funktion erfüllt auch ein Krisenmanager, der als weiteres oder neues Gesellschaftsorgan in die Geschäftsleitung eintritt. Auch das Vertrauensverhältnis zwischen finanzierenden Banken, Warenkredit- 1.179 versicherern einerseits und der Geschäftsführung und den Gesellschaftern andererseits ist im Krisenfall regelmäßig gestört. Hier kann es sich ebenfalls anbieten, dass zusätzliche Sanierungsberater vermittelnd tätig werden. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei allerdings, dass die beauftragten Sanierungsberater die nötige Akzeptanz bei der Geschäftsführung genießen2 und gleichzeitig unabhängig von den beteiligten Gläubigern sind. Erst auf Basis dieses wieder gewonnenen Vertrauens können dann konkrete Sanierungsmaßnahmen im rechtlichen Bereich eingeleitet werden. Begleitend zu den Verhandlungen mit Gesellschaftern und Gläubigern ist unter- 1.180 nehmensintern stets dafür Sorge zu tragen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine u.U. schon laufende Antragsfrist. Gerade vor diesem Hintergrund ist darauf zu achten, dass etwaige Zugeständnisse durch Kreditgeber nicht lediglich dazu führen, dass die Insolvenz zu Lasten anderer Gläubiger hinausgezögert wird3. Ist dies der Fall, so können hieraus nicht unerhebliche Schadensersatzansprüche resultieren. 1.181–1.190

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1 Vgl. Kraus/Haghani in Bickhoff/Blatz, Die Unternehmenskrise als Chance, 2004, S. 19 f. 2 Dies impliziert ebenfalls die Notwendigkeit, dass sich Krisenmanager oder Sanierungsberater auch gegen die Interessen der Geschäftsführung und Gesellschafter durchsetzen können müssen, vgl. Kaufmann in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 20 Rz. 20. 3 Uhlenbruck/Leibner, KTS 2004, 505, 508.

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1.191

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

C. Krisenfrüherkennung I. Selbstprüfung und Früherkennung durch die Geschäftsführer 1. Selbstprüfungspflicht der Gesellschaftsorgane 1.191 Die kontinuierliche Kontrolle der Finanzsituation der Gesellschaft gehört zu den „10 Geboten an den Geschäftsführer“1. Sie ist Bestandteil der Corporate Governance in der GmbH. Anders als § 91 Abs. 2 AktG zwingt das Gesetz zwar nicht zur Einrichtung eines betriebswirtschaftlich perfektionierten Krisenwarnsystems; aber das Fehlen einer gesetzlichen Vorschrift entlastet die Geschäftsführer einer GmbH auch nicht von dieser Aufgabe2. Das GmbH-Recht lässt lediglich mehr Flexibilität zu. Durch Satzung oder Gesellschafterbeschluss kann in gleicher Weise ein förmliches Krisenwarnsystem installiert werden3. Die Selbstprüfungsaufgabe ist notwendige Voraussetzung einer erfolgreichen Tätigkeit der Gesellschaft und setzt nicht erst im Vorfeld der Krise ein (zur Liquiditätsvorsorge Rz. 1.91 ff.). Sie wird besonders akut, sobald es um Krisenvermeidung, Sanierung und Insolvenz-Früherkennung geht. Die Verpflichtung eines etwa vorhandenen Aufsichtsrats zur Solvenz- und Sanierungsbedarfsprüfung ist diesem Amt immanent. Auch hier entlastet die Kontrollaufgabe eines Aufsichtsrats den Geschäftsführer ebenso wenig wie das gänzliche Fehlen eines Aufsichtsorgans. Im Vorfeld der Insolvenz bedarf es besonders intensiver Anstrengung der in § 43 Abs. 1 GmbHG apostrophierten „Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns“4. Jeder Sanierungsbedarf, jede Sanierungsstrategie, jede konkrete Sanierungsmaßnahme oder deren Unterlassung bedarf rascher, gewissenhafter und zielorientierter Prüfung. Zur Pflicht, die Gesellschafterversammlung einzuberufen (§ 49 Abs. 2 und 3 GmbHG) vgl. Rz. 1.124. 1.192 Je näher die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit bzw. die Gefahr ihres Eintritts rückt, umso mehr konkretisieren und verschärfen sich die Selbstprüfungspflichten. Die Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) ist zuweilen als ein sanierungsfeindliches Rechtsinstrument missverstanden worden, verbunden mit dem Ruf nach der Abschaffung dieser gesetzlichen Pflicht im Sanierungsinteresse5. Nach richtigem Verständnis handelt es sich um einen Aufruf zur selbstverantwortlichen Solvenz- und Sanierungsprüfung6. Sie bezweckt der Sache nach ein Verbot der Insolvenzverschleppung und ist die deutsche Variante des „wrongful trading“ (vgl. Rz. 11.1)7. Bevor der Geschäftsführer den Weg zum Insolvenzrichter antritt, will § 15a InsO ihn dazu anhalten, im Fall einer Krise die Gesellschaft rechtzeitig zu sanieren oder (!) den Insolvenzantrag zu stellen. Hinter der 1 Lutter, GmbHR 2000, 301, 305. 2 Zum Risikomanagement Uwe H. Schneider in Scholz, 11. Aufl. 2014, § 43 GmbHG Rz. 96; Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2001, S. 386 ff.; Altmeppen, ZGR 1999, 300. 3 Haas/Hossfeld in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 7. 4 Über Fakten vgl. Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999, S. 414 ff. 5 Z. B. Wüst, JZ 1985, 819 ff. 6 Karsten Schmidt in 54. DJT, Band 1, 1982, Gutachten D, S. D 107 f. 7 Karsten Schmidt in Lutter, Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006, S. 201; Karsten Schmidt in Scholz, 11. Aufl. 2015, § 64 GmbHG Rz. 11, 132.

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1.194

vom MoMiG-Gesetzgeber insolvenzrechtlich eingeordneten1 Regel des § 15a InsO verbirgt sich als ungeschriebene unternehmensrechtliche Regel das Gebot der Krisenvermeidung, der Krisenfrüherkennung und der Krisenüberwindung durch frühe Sanierung. Dies hat der Gesetzgeber durch das ESUG nochmals unterstrichen. Versäumt es die Geschäftsführung, durch laufende Selbstprüfung des Unternehmens drohende Krisen abzuwenden oder eingetretene Krisen durch Sanierungsmaßnahmen zu überwinden, so handelt sie gesetzwidrig nicht (nur) durch das Unterlassen eines Insolvenzantrags, sondern (auch) durch die verbotene Fortführung der Geschäfte trotz eingetretener Insolvenz2. 2. Pflichtenkollisionen Die Konfliktsituation der Geschäftsführer im Vorfeld des § 15a InsO ist trotz der 1.193 vorstehenden Erwägungen unbestreitbar. Sie müssen theoretisch punktgenau reagieren und haften bei verspätetem Insolvenzantrag nach § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO den Gläubigern (Rz. 11.8 ff.) bzw. nach § 64 Satz 1 GmbHG, §§ 130a Abs. 2, 177a HGB der Gesellschaft (Rz. 11.31 ff.). Andererseits können sie aber auch bei verfrühtem Insolvenzantrag nach § 43 Abs. 2 GmbHG der Gesellschaft gegenüber haftpflichtig sein. Eine präzise Feststellung, wann genau Zahlungsunfähigkeit eintritt (Rz. 5.25 ff.), ist aber selbst bei seriösester Anstrengung und bei Kenntnis aller relevanten Fakten regelmäßig kaum möglich. Auch ist die Drei-WochenFrist des § 15a InsO kein Freibrief für untätiges Zuwarten, sondern eine letzte Chance für Sanierungsanstrengungen. Eine verspätete Sanierung kann nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist eine Verletzung des § 15a InsO nicht mehr rückgängig machen. Ziel des Geschäftsführerhandelns muss deshalb eine Vermeidung oder Beseitigung einer Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung vor dem Ablauf der Drei-Wochen-Frist sein – schon wenn sich die Krise abzeichnet. Der Geschäftsführer muss alles daran setzen, vor Ablauf der Frist eine positive Fortführungsprognose wieder herzustellen. Allerdings beseitigt die bloße Sanierungshoffnung die Insolvenzantragspflicht ebenso wenig wie eine Niederlegung des Amts als Geschäftsführer vor bereits begangenen Verstößen schützt3. Einer Haftung gegenüber der Gesellschaft aus § 43 GmbHG wegen Versäumung der Geschäftsführerpflichten kann der Geschäftsführer nicht einmal durch rechtzeitige Insolvenzantragstellung zuverlässig ausweichen (vgl. zur sog. Insolvenzverursachungshaftung des Geschäftsführers Rz. 11.151 ff.). Das früher bestehende Dilemma zwischen Zahlungsverbot des § 64 GmbHG 1.194 (Vorrang der Massesicherung)4 einerseits und dem Zahlungsgebot aus den §§ 69 AO und 266a StGB andererseits (Vorrang öffentlich-rechtlicher Pflichten)5 ist in-

1 2 3 4

Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 55 = ZIP-Beilage zu Heft 23/2007, S. 31. Zu den strafrechtlichen Konsequenzen Karsten Schmidt in FS Rebmann, 1989, S. 419 ff. Karsten Schmidt in Scholz, 11. Aufl. 2015, § 64 GmbHG Rz. 171. So noch BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 135 = GmbHR 2001, 190; BGH v. 18.4. 2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026 = GmbHR 2005, 874. 5 So BGH v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678 = GmbHR 2005, 1419; BGH v. 30.7. 2003 – 5 StR 221/03, BGHSt 48, 307 ff. = GmbHR 2004, 122.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

zwischen beseitigt1. Der Geschäftsführer haftet nicht nach § 64 Satz 1 GmbHG, wenn er noch nach Eintritt der Insolvenzreife Umsatz- und Lohnsteuern an das Finanzamt und Arbeitnehmeranteile2 zur Sozialversicherung an die Einzugsstelle zahlt, selbst wenn die Drei-Wochen-Frist bereits überschritten ist oder Rückstände bezahlt werden. Denn es kann dem Geschäftsführer nicht zugemutet werden, wegen des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG auf die Möglichkeit zu verzichten, sich Straffreiheit nach § 266a Abs. 6 Satz 1, 2 StGB oder jedenfalls eine Strafmilderung nach § 46 Abs. 2 Satz 2 a.E. StGB oder eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen Geringfügigkeit nach §§ 153, 153a StPO zu verdienen und sich von dem Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB zu befreien. 1.195 Im Verhältnis zu Insolvenzgläubigern kann ein Konflikt zwischen Vertraulichkeit und Transparenz entstehen. Erst mit Eintritt der materiellen Insolvenz (Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit) bzw. mit dem Ablauf der Drei-WochenFrist wird die GmbH jedoch (durch ihre Geschäftsführer) gegenüber jedem Gläubiger offenbarungspflichtig3. Hier endet ihr berechtigtes Interesse an Vertraulichkeit über die wirtschaftliche Situation. Im Vorfeld der Insolvenz hängen die Offenbarungspflichten teils von den Vereinbarungen mit den Gläubigern ab (über Covenants vgl. Rz. 1.239 ff.), teils von den schuldrechtlichen Treuepflichten, also von der konkreten Verhandlungssituation und vom Umfang des vom Gläubiger eingegangenen Solvenzvertrauens4. 3. Früherkennungssysteme 1.196 Die „Risikovorsorge“ der Unternehmen bzw. Gesellschaften hat durch das am 1.5.1998 in Kraft getretene „Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich“ (KonTraG)5 einen neuen rechtlichen Rahmen und auch neue betriebswirtschaftliche Impulse erhalten. Nach § 91 Abs. 2 AktG hat der Vorstand der Aktiengesellschaft geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft hat der Wirtschaftsprüfer im Rahmen der Jahresabschlussprüfung zu beurteilen, ob der Vorstand die ihm nach § 91 Abs. 2 AktG obliegenden Maßnahmen in einer geeigneten Form getroffen hat und ob das danach einzurichtende Überwachungssystem seine Aufgaben erfüllen kann (§ 317 Abs. 4 HGB). Die Prüfung erfolgt als Systemprüfung6, d.h. es wird auf die zweckmäßige Konzeption (Er1 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, NZI 2007, 477 Rz. 12 = GmbHR 2007, 757 unter Aufgabe Urt. v. 8.1.2001 und 18.4.2005; bestätigt in BGH v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220; BGH v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 Rz. 11 (USt., LSt.) und 17 (AN-Anteile zur Sozialversicherung) = GmbHR 2011, 367; BFH v. 23.9.2008 – VII R 27/07, BStBl. II 2009, 129 = GmbHR 2009, 222. 2 Nicht bei Arbeitgeberanteilen, da dort kein Interessenkonflikt besteht; BGH v. 25.1. 2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 Rz. 19 = GmbHR 2011, 367. 3 BGH v. 27.10.1982 – VIII ZR 187/81, GmbHR 1983, 44 (unter II d); BGH v. 25.1.1984 – VIII ZR 227/82, GmbHR 1985, 51; Karsten Schmidt in Scholz, 11. Aufl. 2015, § 64 GmbHG Rz. 219; a.M. OLG Düsseldorf v. 18.11.1980 – 4 U 99/80, GmbHR 1981, 194. 4 OLG Celle v. 19.11.1993 – 4 U 46/91, GmbHR 1994, 467. 5 BGBl. I 1998, 786. 6 Giese, WPg 1998, 453; Brebeck/Förschle in Saitz/Braun, Das Kontroll- und Transparenzgesetz, 1999, S. 184; IDW PS 340, WPg 1999, 660, Tz. 19.

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Selbstprüfung und Früherkennung durch die Geschäftsführer

1.198

fassungsprüfung, Systemprüfung i.e.S.) und Funktionsfähigkeit (Funktionsprüfung) abgestellt1. Die Prüfung gemäß § 317 Abs. 4 HGB stellt eine erhebliche Ausweitung der gesetzlich vorgeschriebenen Abschlussprüfung dar. Denn sie umfasst neben Buchführung, Rechnungslegung und deren internen Kontrollen alle sonstigen betrieblichen Bereiche, aus denen einzeln oder kumuliert bestandsgefährdende Risiken erwachsen können2. Welche Maßnahmen zur Einrichtung des Risikofrüherkennungssystems (RFS) 1.197 konkret zu ergreifen sind, lässt das Gesetz zu Recht offen, denn die Anforderungen an ein wirksames und zweckmäßiges Risikofrüherkennungssystem sind letztlich unternehmensindividuell zu formulieren. Von großer praktischer Relevanz ist allerdings, dass die Gesetzesbegründung eindeutig und unzweifelhaft von einer Abstrahlung des § 91 Abs. 2 AktG auch auf andere Gesellschaftsformen, insbesondere mittlere und große GmbHs, aber auch Personenhandelsgesellschaften ausgeht. Allgemein wird die Ausweitung der gesetzlichen Verpflichtung zur Einrichtung eines RFS auf alle mittelständischen Unternehmen gefordert3. Die Geschäftsführer der GmbH werden sich also ggf. dafür zu verantworten haben, dass sie ein solches RFS nicht eingerichtet und seine Funktionsfähigkeit nicht überwacht haben. Immer häufiger verlangt auch die Kreditvergabepolitik von Banken in gleicher Weise von kleineren und mittleren Unternehmen ein RFS. Banken sehen in einem RFS offenbar ein Instrument zur Absicherung gegenwärtigen und potentiellen Kreditarrangements. § 91 Abs. 2 AktG ist infolge der Entwicklung von Corporate Governance-Regeln 1.198 entstanden4. Als Corporate Governance wird der rechtliche und faktische Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens verstanden, Corporate Governance-Konzepte stellen Verhaltensregeln für den Vorstand und Aufsichtsrat auf, die über die kodifizierten Vorgaben des Aktiengesetzes hinausgehen5. Der Deutsche Corporate Governance Kodex6 legt in Ziff. 4.1.4 die allgemeine Pflicht des Vorstands fest, für ein angemessenes Risikomanagement und Risikocontrolling im Unternehmen zu sorgen. Der Aufsichtsrat berät und überwacht den Vorstand bei der Leitung des Unternehmens (Ziff. 5.1.1). Der durch das „Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (TransPuG)“ vom 19.7.2002 eingefügte § 161 AktG sieht vor, dass Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft jährlich erklären, ob den vom Bundeministerium der Justiz bekannt gemachten Verhaltens1 Carmichael/Willingham/Schaller, Auditing Concepts and Methods, 6. Aufl. 1996, S. 107 f.; grundlegend zum Ablauf von Systemprüfungen Leffson, Wirtschaftsprüfung, 4. Aufl. 1988, S. 8, 61. 2 Dobler, DStR 2001, 2086. 3 Gras in Nerlich/Kreplin, Insolvenz und Sanierung, 2. Aufl. 2012, § 2 Rz. 59; Korth/ Ball/Biermann, Wirtschaftsprüfer-Kompendium, Bd. 1, 3. Aufl. 2007, S. 7. 4 Hommelhoff, AG 1998, 249 ff. 5 Zu den verschiedenen Corporate Governance-Richtlinien: v. Werder in: Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Kommentar zum Deutschen Corporate Governance Kodex, 5. Aufl. 2014, Rz. 80 ff.; Gabler Wirtschaftslexikon, 18. Aufl. 2013, Corporate Governance, Kap. III.; Lutter in Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 123 ff. 6 Geltende Fassung v. 24.6.2014, abrufbar unter www.corporate-governance-code.de.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

empfehlungen der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ entsprochen wurde und wird oder warum nicht. 1.199 Als Ausfluss der wirtschaftlichen Selbstprüfungspflicht ist die Unternehmensleitung verpflichtet, neben dem Risikofrüherkennungssystem auch ein Überwachungssystem im Unternehmen einzurichten. Dieses umfasst organisatorische Sicherungsmaßnahmen, interne Kontrollen und interne Prüfungen (insbesondere die interne Revision). Das Überwachungssystem hat unter Risikogesichtspunkten zwei Aufgaben zu erfüllen1: – Bestehende und potentielle Risiken sollen vermieden oder zumindest vermindert werden (Präventivfunktion des Überwachungssystems). – Die Funktionsfähigkeit der Maßnahmen des Risikomanagementsystems soll durch umfassende Prüfungen festgestellt und, falls erforderlich, korrigiert werden (Korrekturfunktion des Überwachungssystems). 1.200 Das Risikofrüherkennungssystem ist auf die Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen und damit auf einen wichtigen Teilaspekt des Risikomanagementsystems ausgerichtet. Werden Risiken erkannt, so sind die Informationen unverzüglich an die zuständigen Entscheidungsträger weiterzuleiten, so dass diese in geeigneter Weise reagieren können. Wichtige Teilbereiche des RFS können sein2: – Festlegung der Risikofelder, die zu bestandsgefährdenden Entwicklungen führen können, – Risikoerkennung, – Risikoanalyse, – Risikobewertung, – Risikokommunikation, – Zuordnung von Verantwortlichkeiten und Aufgaben, – Einrichtung des Überwachungssystems. 1.201 Die Beschränkung der Überwachung auf Risiken i.e.S. ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht sinnvoll, klammert sie doch die Möglichkeit zur Erfassung von Chancen aus. Gerade in der heutigen Zeit geht schon vom Nichterkennen einer Chance ein beträchtliches Risikopotential aus. Insofern muss aus betriebswirtschaftlicher Sicht an die Stelle des vom Gesetzgeber verlangten Risikofrüherkennungssystems ein modernes Risikomanagementsystem (RMS) treten, das von einem weiten Risikobegriff ausgeht, der neben Risiken auch Chancen erfasst. Als Risikomanagement kann die Gesamtheit aller organisatorischen Regelungen und Maßnahmen zur Risikoerkennung und zum Umgang mit den Risiken unternehmerischer Betätigung bezeichnet werden3. Das Risikofrüherkennungssystem ist auf die Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen und damit auf einen zwar wichtigen, aber eben nur einen Teilaspekt des Risikomanagements ausgerichtet. Insoweit kann das RFS als Pflicht und das RMS als Kür gelten. Ein RMS bietet weit mehr Chancen als das frühzeitige Erkennen bestandsgefährdender Ri1 Lück, DB 1998, 1925, 1928; Demski in Becker/Schulte-Mattler, Finanzkrise 2.0 und Risikomanagement von Banken, 2012. 2 IDW-FN 1999, 352, 353. 3 IDW-FN 1999, 351; Diederichs, Risikomanagement und Risikocontrolling, 3. Aufl. 2012, S. 12 m.w.N.

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siken: Ein systematisches Management aller wesentlichen Risiken ermöglicht erst eine wert- und erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung1 im Sinne eines gezielten Managements von Chancen und Risiken in einem immer dynamischeren, globalen Umfeld. Weil der Wert eines Unternehmens (als wichtiger Erfolgsmaßstab) sowohl von den zukünftigen Erträgen als auch deren Risiken abhängt, wird ein RMS zum unverzichtbaren Bestandteil jeder strategischen Unternehmensführung. Das Risikomanagementsystem hat durch organisatorische Regelungen – insbesondere durch eine klare Verantwortungszuordnung – sicherzustellen, dass Risiken frühzeitig identifiziert und regelmäßig bewertet werden. Außerdem sind für ein Risikomanagementsystem die Berichtswege zur Unternehmensleitung und etwaigen Aufsichtsgremien festzulegen. Mit dem Begriff „System“ sind alle systematischen Anstrengungen gemeint, die 1.202 die Unternehmensleitung hinsichtlich der Erkennung, Bewertung und Steuerung von Risiken unterstützen sollen2. Eine eindeutig strukturierte Risikolandschaft setzt sich aus den folgenden Bausteinen zusammen3: – Risikoidentifikation, – Risikoanalyse, – Risikobewertung, – Risikoplanung und -steuerung, – Darstellung der Risikosituation des Unternehmens, – Vergleich der Risikosituation mit den Vorgaben der Risikostrategie, – Überarbeitung der Risikostrategie, – Festlegung der Maßnahmen des Risikomanagements. Durch das RMS muss sichergestellt sein, dass die identifizierten, analysierten und 1.203 bewerteten Risiken angemessen gesteuert werden. Um Risiken steuern zu können, müssen Maßnahmen der Risikovermeidung, Risikoverminderung, Risikoüberwälzung und Risikokompensation festgelegt werden. Die Risikosituation des Unternehmens ist in regelmäßigen Zeitabständen darzustellen und mit den Vorgaben der Risikostrategie zu vergleichen, um die bestehende Risikostrategie überarbeiten zu können. Zu unterscheiden sind Systeme zur operativen und solche zur strategischen Früh- 1.204 erkennung von Krisensignalen. Operative Frühwarnsysteme bauen auf „harten“ Informationen über Erfolg und Liquidität des Unternehmens auf. Informationslieferant ist in der Regel die Bilanzanalyse, aus der Kennzahlen und Kennzahlensysteme zur Standortbestimmung entwickelt werden. Der entscheidende Nachteil dieser Systeme, die auch Unternehmensexternen (Gläubigern) zur Verfügung stehen können (Rz. 1.122), ist die Vergangenheitsbezogenheit der Daten. Dieser Hauptmangel der operativen Frühwarnsysteme hat die Verfahren zur strategischen Frühaufklärung gefördert. Im Gegensatz zur vergangenheitsbezogenen operativen Frühwarnung ist die strategische Frühaufklärung zukunftsorientiert. Strategische Frühwarnsysteme verlassen den vergleichsweise engen Planungshorizont der operativen Systeme, der für den Kontroller oder den Produktionsleiter 1 Gleißner/Meier, DSWR 2000, 6. 2 Ertl, DSWR 2000, 3, 4. 3 Lück, DB 1998, 1925, 1926.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

ausreichend war. Der Planungshorizont der Unternehmensführung ist dagegen ein anderer. Er muss sowohl längerfristiger sein als auch solche Signale mit einbeziehen, die schwächer zu empfangen sind als die „harten“ Informationen für die operative Planung. Die strategische Planung bezieht das Gesamtunternehmen ein, die operative Planung kann sich auf Teilbereiche des Unternehmens beschränken. Der Zweck der strategischen Frühaufklärung besteht letztlich darin, die langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens durch entsprechende Weichenstellungen in der Gegenwart zu ermöglichen1. Die frühzeitige Wahrnehmung „schwacher Signale“ ist die primäre Aufgabe bei der strategischen Frühaufklärung. Durch eine permanente Beobachtung des relevanten Umfeldes eines Unternehmens müssen frühzeitig die Signale aufgenommen und verarbeitet werden, die zu strategischen Anpassungsmaßnahmen führen.

II. Früherkennung durch die Gesellschaftsgläubiger 1. Vertragsgläubiger 1.205 Das Problem der Krisenfrüherkennung durch die Vertragsgläubiger liegt für sie als Außenstehende in der Beschaffung betriebsinterner Informationen2. Dies gilt vor allem für die große Zahl der Gläubiger, die nicht ständig und nur in geringem Umfang in Geschäftsbeziehungen zu dem krisengefährdeten Unternehmen stehen. Die Informationen, die sie sporadisch vom Management erlangen, können wahr, halbwahr, unwahr, vollständig, aber auch unvollständig sein. Das Management kann den Informationsgehalt gezielt steuern. Andere Gläubigergruppen, z.B. die Arbeitnehmer, die Hausbanken (vgl. dazu Rz. 1.231), die Finanzverwaltung und die Sozialversicherungsträger, stehen sich vergleichsweise besser. Sie erhalten kraft ihrer rechtlichen und tatsächlichen Gläubigerposition regelmäßige Informationen über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens. Darüber hinaus verfügen sie meistens über geeignete Methoden, mit denen der Wahrheitsgehalt der Informationen verifiziert und die geeigneten und überprüften Informationen systematisch ausgewertet werden können3; Informationslieferant für die Vertragsgläubiger kann der Jahresabschluss des Schuldners sein. Die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften haben den Jahresabschluss unverzüglich nach seiner Vorlage an die Gesellschafter, jedoch spätestens vor Ablauf des zwölften Monats des dem Abschlussstichtag nachfolgenden Geschäftsjahrs, mit dem Bestätigungsvermerk oder dem Vermerk über dessen Versagung zum Handelsregister des Sitzes der Kapitalgesellschaft einzureichen (§ 325 Abs. 1 Satz 1 HGB). 1.206 Neben dem Jahresabschluss sind auch der Lagebericht und der Bericht des Aufsichtsrats zum Handelsregister des Sitzes der Kapitalgesellschaft einzureichen (§ 325 Abs. 1 HGB)4. Einblicke in den Lagebericht können lohnend sein, denn im Lagebericht sind der Geschäftsverlauf einschließlich des Geschäftsergebnisses 1 Nagel/Ley, Unternehmenssignale, 1994. 2 Harz/Hub/Schlarb, Sanierungs-Management, 3. Aufl. 2006, S. 47. 3 Wilden in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 4. Aufl. 2014, § 2 Rz. 6, bezeichnet diesen unterschiedlichen Umfang und die unterschiedliche Werthaltigkeit der Unternehmensinformationen für die einzelnen Gläubigergruppen als Informationsasymmetrie. 4 Das gilt nicht für kleine Kapitalgesellschaften i.S. von § 267 HGB (§ 326 HGB).

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Früherkennung durch die Gesellschaftsgläubiger

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und die Lage der Kapitalgesellschaft so darzustellen, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt wird. Der Lagebericht hat eine ausgewogene und umfassende, dem Umfang und der Komplexität der Geschäftstätigkeit entsprechende Analyse des Geschäftsverlaufs und der Lage der Gesellschaft zu enthalten. In die Analyse sind die für die Geschäftstätigkeit bedeutsamsten finanziellen Leistungsindikatoren einzubeziehen und unter Bezugnahme auf die im Jahresabschluss ausgewiesenen Beträge und Angaben zu erläutern. Ferner ist im Lagebericht die voraussichtliche Entwicklung mit ihren wesentlichen Chancen und Risiken zu beurteilen und zu erläutern. Der Lagebericht soll auch eingehen auf Vorgänge von besonderer Bedeutung, die nach dem Schluss des Geschäftsjahrs eingetreten sind, die Risikomanagementziele und -methoden der Gesellschaft einschließlich ihrer Methoden zur Absicherung aller wichtigen Arten von Transaktionen, die im Rahmen der Bilanzierung von Sicherungsgeschäften erfasst werden, sowie die Preisänderungs-, Ausfall- und Liquiditätsrisiken und die Risiken aus Zahlungsstromschwankungen, denen die Gesellschaft ausgesetzt ist (§ 289 Abs. 1, 2 HGB). Haben die geschäftsführenden Organe die Pflichtangaben nicht oder nicht vollständig erteilt, können sie schadensersatzpflichtig sein. Aus den Jahresabschlüssen können Kennzahlen und Kennzahlensysteme zur Bo- 1.207 nitätsbeurteilung von Unternehmen entwickelt werden1. Kennzahlen sind verdichtete Maßgrößen, die entweder in Form von Verhältniszahlen oder absoluten Zahlen in konzentrierter Form über einen zahlenmäßig erfassbaren Sachverhalt berichten. Die einzelnen Kennzahlen und Kennzahlensysteme lassen sich den folgenden fünf großen Unternehmensbereichen zuordnen: Rentabilität, Innenfinanzierungsvolumen und Finanzierungskraft, Umschlagsgeschwindigkeit, Aufwands- und Ertragsstruktur, Kapital- und Vermögensstruktur. Ihre Zahl ist unübersehbar geworden. Drukarczyk/Schöntag2 schätzen die Zahl der zur Analyse geeigneten Kennzahlen auf 150 bis 200. Eine der gebräuchlichsten Kennzahlen zur Signalisierung einer Krise ist nach wie vor der Cash Flow. Er kann als Indikator sowohl der Ertrags- als auch der Finanzkraft interpretiert werden3. Der Cash Flow soll eine Aussage über den Zahlungsmittelüberschuss bzw. das Zahlungsmitteldefizit des Unternehmens erlauben. Der Begriff wird allerdings unterschiedlich definiert4. In seiner Grundform kann er wie folgt dargestellt werden: Jahresüberschuss +

Aufwendungen, die nicht Auszahlungen der gleichen Periode sind



Erträge, die nicht Einzahlungen der gleichen Periode sind

+

Einzahlungen aus der laufenden Betriebstätigkeit, die nicht Ertrag der gleichen Periode sind



Auszahlungen aus der laufenden Betriebstätigkeit, die nicht Ertrag der gleichen Periode sind

1 Staehle, Kennzahlen und Kennzahlensysteme als Mittel der Organisation und Führung von Unternehmen, 1969, S. 70; Baetge, WPg 1980, 651; Beaver, Financial Ratios as Predictors of Failure, in Empirical Research in Accounting: Selected Studies of Accounting Research 4, 1966, S. 71–111. 2 Drukarczyk/Schöntag in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2010, § 2 Rz. 9. 3 Kußmaul, DStR 1999, 1579; Behringer, Cash-flow und Unternehmensbeurteilung, 3. Aufl. 2010, S. 17. 4 Crone in Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 3. Aufl. 2012, 3.1.5.2.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

1.208 In einem Kennzahlensystem werden einzelne Kennzahlen zu einem System mit Wechselwirkungen kombiniert, um funktionale Abhängigkeiten sichtbar zu machen. Das bekannteste mathematisch-statistische Verfahren zur Gewinnung einer signifikanten Kennzahl zur Unterscheidung gesunder von kranken Unternehmen auf der Basis von Bilanzanalysen ist die Diskriminanzanalyse. Ihre methodischen Grundlagen wurden von Beaver und Altmann gelegt. Die von Beaver angewandte Univariate Diskriminanzanalyse wurde von Altmann zur Multivariaten Linearen Diskriminanzanalyse fortentwickelt1. Letztere hat in der Praxis, vor allem bei den Banken und den Kreditversicherern, große Bedeutung erlangt2. Die Analyse erfolgt in zwei Arbeitsschritten: 1. Schritt: Die beiden Gruppen (Unternehmen, die in die Insolvenz geraten sind; gesunde Unternehmen) werden anhand des bekannten Ausgangs empirisch darauf überprüft, durch welche signifikante Kriterien (Merkmale und Kennzahlen) sie sich voneinander unterscheiden. 2. Schritt: Anschließend wird die Trennungsqualität dieser Merkmale und Kennzahlen analysiert. Das Ziel ist dabei, eine möglichst überschneidungsfreie Zuordnung der Trennungskriterien zu den Teilgruppen vornehmen zu können. Die Trennung erfolgt mittels einer Trennfunktion (sog. Diskriminanzfunktion), die aus einem oder mehreren Merkmalen gebildet wird, sowie der Festlegung eines Trennwertes (sog. cut-off-point), dessen Über- bzw. Unterschreiten über die Zuordnung zu den Gruppen entscheidet. Um eine hohe Trennschärfe zu erreichen, sollte die Varianz (Streuung) innerhalb einer Gruppe möglichst klein sein, da sich sonst die Verteilungen durchmischen und keine klare Zuordnung erlauben. 1.209 In Anlehnung an die Richtlinien der Deutschen Bundesbank zur Beurteilung der Bonität von notenbankfähigen Unternehmen3 hat es sich bewährt, bei der Auswahl und Gewichtung der Einzelkennzahlen eine Unterteilung in verarbeitendes Gewerbe, Handel und sonstige Unternehmen vorzunehmen:

1 Altman, „Financial Ratios, Discriminant Analysis and the Prediction of Corporate Bankruptcy“, in Journal of Finance, 1968, Bd. 23 (4), S. 589–610. 2 Wilden in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 4. Aufl. 2014, § 2 Rz. 20 ff. 3 Deutsche Bundesbank, Beurteilung der Bonität von Unternehmen durch die Deutsche Bundesbank im Rahmen der Geldpolitik des Eurosystems, Stand: August 2012, S. 16.

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Früherkennung durch die Gesellschaftsgläubiger

1.211

Sektorspezifische Kennzahlenauswahl Verarbeitendes Gewerbe

Handel

Sonstige

Umsatzrendite vor a.o. Ergebnis

Umsatzrendite vor a.o. Ergebnis

Betriebsrendite

Einnahmenüberschussquote

Kapitalrückflussquote

Schuldtilgungsfähigkeit

Kurzfristige Kapitalbindung

Kurzfristige Kapitalbindung

Kreditorenumschlag

Eigenmittelquote

Eigenmittelquote

Eigenmittelquote

Quelle: Deutsche Bundesbank

Um eine Verzerrung des Gesamtbildes durch den Einfluss von Zufallsfaktoren oder Sonderverhältnissen auszuschließen, werden für die Werte der einzelnen Kennzahlen Kappungsgrenzen festgelegt und eine Konstante addiert, die die Vergleichbarkeit über die Jahre hinweg gewährleisten soll. Die Kennzahlen und – empirisch ermittelten – Gewichte (einschließlich der Konstanten) sind regelmäßig auf Veränderungen in den tatsächlichen Gegebenheiten zu überprüfen und ggf. zu aktualisieren. Aus den gewichteten Kennzahlen und der Konstanten wird für das zu beurteilende Unternehmen ein erster vorläufiger Gesamtindikator errechnet. Trotz der beachtlichen Ergebnisse, die mit der Diskriminanzanalyse erzielt wur- 1.210 den, darf nicht übersehen werden, dass dieses Verfahren ein Klassifikations- und nicht ein Prognoseverfahren ist. Das Verfahren kann allenfalls als „vorausschauende Klassifikation“ bezeichnet werden1. Im Übrigen hat das Diskriminanzanalyseverfahren die gleichen Mängel, die für alle Bilanzanalyse-Methoden zur Früherkennung von Krisen gelten: Die Klassifizierungsregeln entstehen aus Daten vergangener Abrechnungsperioden. Der Vorschlag von Rösler2, das mathematischstatistische Verfahren der Diskriminanzanalyse mit Prognoseverfahren zu kombinieren, also die Diskriminanzanalyse auf einen prognostizierten Jahresabschluss anzuwenden, hat sich in der Praxis nicht durchgesetzt. Schließlich werden bei dem Diskriminanzanalyseverfahren Finanzierungsgesetzmäßigkeiten unterstellt, die bisher nicht bewiesen sind. Um die Trenngüte des Verfahrens zu steigern, kommt daher häufig im Nachgang 1.211 zur Diskriminanzanalyse ein Expertensystem zum Einsatz, in dem neben quantitativen auch qualitative Faktoren Berücksichtigung finden3. Rechtsform, Größe und Alter eines Unternehmens können Korrekturen des zuvor ermittelten Ge1 Oser, BB 1996, 368. 2 Rösler, Bilanzanalyse durch Vergleich von projizierten und realisierten Jahresabschlüssen – Eine empirische Untersuchung über Projektionstechniken in der Bilanzauswertung und ihre Einsatzmöglichkeiten, Kiel 1986. 3 Vgl. auch Deutsche Bundesbank, Beurteilung der Bonität von Unternehmen durch die Deutsche Bundesbank im Rahmen der Geldpolitik des Eurosystems, Stand: August 2012, S. 18.

Sinz

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1.212

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

samtindikators nach oben oder unten rechtfertigen1; allerdings sind für solche Zuund Abschläge Limite vorgegeben, um den diskriminanzanalytischen Kern des Bonitätsbeurteilungsverfahrens nicht zu verwässern. 1.212 Ein vergleichbarer Ansatz wie bei der Diskriminanzanalyse wird beim ScoringVerfahren gewählt2. Hierbei handelt es sich um ein mathematisch-statistisches Entscheidungsverfahren, mit dem Merkmale eines Unternehmens zu einem Gesamturteil über seine Insolvenzwahrscheinlichkeit zusammengefasst werden (Punktbewertungsverfahren). Die Unterschiede zwischen später in die Insolvenz geratenen und gesunden Unternehmen werden auf der Basis quantitativer (z.B. Jahresabschlusszahlen) und qualitativer (z.B. Qualifikation der Geschäftsleitung) Kriterien analysiert. Die Merkmalsausprägungen werden bewertet und gewichtet zu einem Gesamtpunktwert (Scoringwert) aufaddiert. Auch qualitative Merkmale lassen sich so durch eine Transformation für diese Rechenoperationen nutzen, worin ein leichter Vorteil gegenüber der Diskriminanzanalyse liegt. Der errechnete Punktwert wird für die Zuordnung mit dem Grenzscore (Trennwert oder Cut-off Score) verglichen und erlaubt eine Aussage, ob das Unternehmen zu den insolvenzgefährdeten zählt oder nicht. 1.213 Diejenigen Vertragsgläubiger, denen die Kennzahlensysteme nicht zur Verfügung stehen, müssen auf einfacher zu erlangende Informationen über die wirtschaftliche Situation ihres Geschäftspartners ausweichen. Allgemeine Krisenanzeichen sind3 – Übergang von Skonto- auf Zielzahlung, – Überschreitung vereinbarter Zahlungsziele, – häufige Änderung der Zahlungsweise, – Mahnungen werden nicht mit Zahlungen beantwortet, – steigende Neigung zu Reklamationen, – Stornierung von Aufträgen, – verstärkter Wunsch nach Ratenzahlungen, – häufiger Wechsel der Lieferanten, – kleinere Bestellmengen, – verspätete Bilanzerstellung, – verspätete Einreichung von Unterlagen gemäß § 18 KWG – unabgestimmte Überziehungen. 1.214 Seit dem 1.1.2005 haben kapitalmarktorientierte Unternehmen, von einigen Ausnahmen abgesehen, ihre Konzernabschüsse nach IAS/IFRS zu erstellen und zu veröffentlichen. Für die Konzernabschlüsse nicht kapitalmarktorientierter Unternehmen und für Einzelabschlüsse besteht eine Option der EU-Mitgliedstaaten, IFRS-Abschlüsse wahlweise zuzulassen oder vorzuschreiben. Nächstes Ziel der Rechnungslegung nach internationalen Grundsätzen sind Rechnungslegungsstandards für mittelständische Unternehmen (Accounting Standards for small 1 Z. B. als Wenn-Dann-Beziehung: Wenn Gesamtleistung gestiegen und Umsatzrendite gesunken, dann verringere Gesamtkennzahl. 2 Kamlah, ZVI 2004, 9 ff.; zum Umfang der Auskunftspflicht der SCHUFA über die herangezogenen Daten und die Scoreformel: BGH v. 28.1.2014 – VI ZR 156/13, ZIP 2014, 476. 3 Harz/Hub/Schlarb, Sanierungs-Management, 3. Aufl. 2006, S. 49.

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Früherkennung durch die Gesellschaftsgläubiger

1.216

and medium-sized Entities [SMEs]). Für Unternehmen, die nach IAS/IFRS bilanzieren, ist der seit dem 1.1.2007 geltende IFRS 7 von Bedeutung1. IFRS 7 regelt erstmals die umfassende Berichterstattung über finanzielle Risiken. Nach IFRS sind anzugeben: – die Risikomanagementstrategie, – die hierzu erlassenen Richtlinien, – deren Verfolgung und – deren Auswirkung auf die Risikosituation des Unternehmens. IFRS 7 verlangt ferner Angaben zu – Marktrisiken (IFRS 7.40–42), – Kreditrisiken (IFRS 7.36–38) und – Liquiditätsrisiken (IFRS 7.39). 2. Sozialversicherungsträger/Finanzbehörden Die Sozialversicherungsträger sind „Hauptkunden“ der deutschen Insolvenzge- 1.215 richte2. Der Grund hierfür liegt in der Erleichterung der Antragsvoraussetzungen. Sozialversicherungsträger brauchen zur Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers lediglich Leistungsbescheide oder Beitragsnachweise der Arbeitgeber vorzulegen3. Nur die Vorlage eines einfachen „Kontoauszuges“4 oder die „amtliche Erklärung“, dass die Forderung bestehe5, reicht nicht aus, es sei denn, der Schuldner bestreitet das Bestehen der Forderung nicht6. Grundlage für intensivere Kenntnis der Sozialversicherungsträger von den wirt- 1.216 schaftlichen Verhältnissen können Betriebsprüfungen sein. Die Rentenversicherungsträger führen mindestens alle vier Jahre eine Betriebsprüfung bei den Arbeitgebern durch. Im Wesentlichen geht es dabei um die Überprüfung der korrekten versicherungsrechtlichen Beurteilung sowie der Beitragsberechnung- und -abführung. Der Arbeitgeber ist dabei zur Mitwirkung verpflichtet. Über das Ergebnis der Prüfung erhält der Arbeitgeber einen Prüfbericht. Die Krankenkassen als Einzugsstellen können an den Betriebsprüfungen teilnehmen und sind dabei auf ihr Verlangen hin anzuhören. Der Prüfungszeitraum von vier Jahren steht in engem Zusammenhang mit der sozialversicherungsrechtlichen Vorschrift zur Verjährung 1 Die am 16.12.2011 vom IASB veröffentlichten Änderungen an IFRS 7 (Anhangangaben zu Saldierungsvorgängen) sind erstmalig in der ersten Berichtsperiode eines am oder nach dem 1.1.2013 beginnenden Geschäftsjahres rückwirkend anzuwenden; Verordnung (EU) Nr. 1256/2012 der Kommission v. 13.12.2012, ABl. Nr. L 360 v. 29.12.1912, S. 145. 2 Frind, ZInsO 2001, 1133. 3 BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 256/10, NZI 2011, 712 Rz. 4 – Antrag eines FA; BGH v. 13.6. 2006 – IX ZB 214/05, NZI 2006, 590 Rz. 8 ff. – Antrag eines FA; BGH v. 5.2.2004 – IX ZB 29/03, ZIP 2004, 1466 – Antrag einer KK. Ein Austausch der geltend gemachten Forderung ist zulässig: BGH v. 9.2.2012 – IX ZB 188/11, ZInsO 2012, 593 Rz. 6; BGH v. 5.2. 2004 – IX ZB 29/03, ZIP 2004, 1466 Rz. 12. 4 BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 256/10, NZI 2011, 712 Rz. 4; BGH v. 8.12.2005 – IX ZB 38/05, NZI 2006, 172 Rz. 3 f. 5 Gundlach in Karsten Schmidt, 18. Aufl. 2013, § 14 InsO Rz. 22. 6 BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 256/10, NZI 2011, 712 Rz. 4; BGH v. 9.7.2009 – IX ZB 86/09, ZInsO 2009, 1533 Rz. 3.

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1.217

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

von Beitragsforderungen (§ 25 SGB IV). Es ist nicht bekannt, dass die Sozialversicherungsträger kürzere Prüfungszeiträume allein aus dem Grund fordern, um Informationen über die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers zu erhalten und sich auf diese Situation einzurichten. Ausreichendes Krisenwarnsignal ist für sie aber das Ausbleiben der Beitragszahlungen. 1.217 Die Finanzämter erhalten ständige Informationen über die Krisengefährdung der Steuerpflichtigen durch die Regelmäßigkeit der Steuervorauszahlungen. Die Steuererklärungen unterrichten umfassend über die wirtschaftliche Situation des Bürgers und der Gesellschaften. Reichen die Steuererklärungen den Finanzbehörden nicht aus, können sie sich durch Betriebsprüfungen einen Überblick verschaffen. Den Betriebsprüfungsstellen der Finanzämter können auch Außenprüfungen i.S. des § 193 Abs. 2 AO, Sonderprüfungen sowie andere Tätigkeiten mit Prüfungscharakter, zum Beispiel Liquiditätsprüfungen, übertragen werden; dies gilt nicht für Steuerfahndungsprüfungen (§ 2 Abs. 2 BpO 2000)1. Die Finanzbehörde entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann eine Außenprüfung durchgeführt wird (§ 2 Abs. 3 BpO 2000). 1.218 Liquiditätsprüfungen i.S. von § 2 Abs. 2 BpO 2000 stützten sich als Ermittlungsmaßnahme zum Zwecke der Vollstreckung auf die entsprechende Ermittlungsbefugnis der Finanzbehörden und die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen aus den §§ 88 ff., 249 Abs. 2 AO. Der Liquiditätsprüfer erhält einen schriftlichen Ermittlungsauftrag – vergleichbar mit dem Vollstreckungsauftrag nach § 285 Abs. 2 AO für den Vollziehungsbeamten. Der Ermittlungsauftrag ist eine behördeninterne Entscheidung, die nicht anfechtbar ist. Im Gegensatz zur Außenprüfung gemäß §§ 193 ff. AO oder zur Durchsuchung zum Zwecke der Pfändung gemäß § 287 AO ist die Liquiditätsprüfung grundsätzlich nicht erzwingbar. Soweit erforderlich kann der Liquiditätsprüfer aber von einem Vollziehungsbeamten begleitet werden, dem ein üblicher Vollstreckungsauftrag erteilt wird. In diesen Fällen hat der Vollziehungsbeamte die Federführung in dem Verfahren, so dass es sich um eine reine Vollstreckungsmaßnahme handelt. Soweit der Liquiditätsprüfer gegen den Willen des Steuerpflichtigen dessen Wohn- bzw. Geschäftsräume zum Zwecke der Feststellung der Vermögensverhältnisse durchsuchen möchte, bedarf es dazu eines gerichtlichen Durchsuchungsbeschlusses. 1.219 Im Rahmen der Befugnis zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen und insbesondere zur Ermittlung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Steuerpflichtigen hat der Liquiditätsprüfer folgende Aufgaben: – Ermittlung von Vollstreckungsmöglichkeiten, – Ermittlung anfechtbarer Rechtshandlungen, – Ermittlung möglicher Haftungsschuldner und ggf. der Haftungsquote, – Ermittlungen unter dem Gesichtspunkt „Zahlungsfähigkeit“, – Ermittlungen zu den Gesichtspunkten „Erlass-/Stundungsbedürftigkeit“ im Rahmen von Billigkeitsverfahren, – Prüfung der Werthaltigkeit angebotener Sicherheiten, – Prüfung möglicher Übersicherung anderer Gläubiger (z.B. Banken), 1 BPO zuletzt geändert am 20.7.2011 (BStBl. I 2011, 710); eine Überarbeitung ist lt. BMF seit 2012 in Planung.

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Sinz

Früherkennung durch Kreditinstitute

1.231

– Überprüfung von Sanierungskonzepten – insbesondere von Insolvenzplänen, – Beteiligung an Fahndungsprüfungen – insbesondere wenn der Fall bereits in Vollstreckung ist. Nach Durchführung der Liquiditätsprüfungen kennt niemand die wirtschaftliche 1.220 Situation des Steuerpflichtigen besser als das Finanzamt. Gegenüber Maßnahmen der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) kann deshalb das Finanzamt, soweit es auf die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der wirtschaftlichen Lage der Schuldnerin ankommt, seine Kenntnis zumindest ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in Abrede stellen. Der Regierungsentwurf des „Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“ vom 29.9.2015 sieht insoweit keine Änderungen vor. Der Umstand, dass Zahlungen künftig nicht mehr nach § 131 Abs. 1 InsO als inkongruent anzusehen sind, wenn sie durch Zwangsvollstreckung erwirkt oder zu deren Abwendung getätigt wurden, wird daher in der Praxis keine Konsequenzen haben. vacat

1.221–1.230

III. Früherkennung durch Kreditinstitute 1. Klassische Krisenanzeichen a) Bedeutung und Möglichkeiten der Krisenfrüherkennung für Kreditinstitute Nicht nur für die Geschäftsführung des von einer Insolvenz bedrohten Unterneh- 1.231 mens ist es von überragender Bedeutung, die bevorstehende oder bereits eingetretene Krise möglichst frühzeitig zu erkennen, um den endgültigen Zusammenbruch in der Insolvenz zu vermeiden (dazu Rz. 1.121 ff.). Auch die Gläubiger des Unternehmens haben ein gesteigertes Interesse daran, so rechtzeitig von der Krise zu erfahren, dass sie durch geeignete Maßnahmen einen Ausfall von Forderungen bei einer möglichen Insolvenz ihres Schuldners verhindern können. Dieses Gläubigerinteresse an einer Früherkennung der Krise ist gerade bei Kreditinstituten besonders ausgeprägt. Denn sie sind in der Mehrzahl der Fälle die größten Gläubiger eines bedrohten Unternehmens, haben also bei einer überraschend auftretenden Insolvenz am meisten zu verlieren, sofern sie nicht ausreichend besichert sind. Entsprechend ist den Kreditinstituten auch kraft Gesetzes aufgegeben, sich über die wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Kreditnehmer zu informieren, um Kreditausfälle zu verhindern. § 18 KWG verpflichtet die Kreditinstitute, sich von Kreditnehmern, denen sie insgesamt Kredite von mehr als 750 000 Euro1 oder 10 % ihres nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 71 der CRR2 anrechenbaren Eigenkapitals gewähren, regelmäßig – vor der ersten Kreditvergabe und während der gesamten Laufzeit eines Kredites – die wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere durch Vorlage der Jahresabschlüsse, offen legen zu lassen, wenn nicht das Verlangen nach Offenlegung offensichtlich unbegründet wäre, weil im Hinblick auf die gestellten Sicherheiten oder die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Mitverpflichteten keinerlei 1 Bis zum Jahr 2005 lag die maßgebliche Grenze noch bei 250 000 Euro, sie wurde durch Art. 2 Nr. 3a des Gesetzes zur Neuordnung des Pfandbriefrechts (BGBl. I 2005, 1373) mit Wirkung ab 22.5.2005 auf 750 000 Euro angehoben. 2 Capital Requirement Regulation, Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013, berichtigte Fassung veröffentlicht im ABl. EU Nr. L 321 v. 30.11.2013, S. 6 ff.

Sinz und Kuder/Unverdorben

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1.232

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

vernünftige Zweifel daran aufkommen können, dass die Bedienung des Kredites gewährleistet ist. Darüber hinaus kann das Kreditinstitut von der laufenden Offenlegung insbesondere dann absehen, wenn der Kreditnehmer die geschuldeten Zins- und Tilgungsleistungen störungsfrei erbringt. Gemäß § 25a KWG, konkretisiert in den MaRisk1, sind die Kreditinstitute verpflichtet, alle für das sog. Adressenausfallrisiko eines Kreditengagements bedeutsamen Aspekte herauszuarbeiten und zu beurteilen, und zwar turnusmäßig mindestens jährlich und auch anlassbezogen. 1.232 Um dem Interesse der Gläubiger an einer frühzeitigen Warnung vor einer bevorstehenden Insolvenz ihres Schuldners Rechnung zu tragen, sind in der Literatur zahlreiche Kriterien benannt worden, die auf eine Krise in dem Unternehmen des Schuldners schließen lassen2. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Erkenntnismöglichkeiten der Gläubiger sehr unterschiedlich sind. Daher können beispielsweise Krisenanzeichen, die für Warenlieferanten von Bedeutung sind, für Kreditinstitute ohne Aussagekraft sein, da die Kreditinstitute nicht über die gleichen Informationen wie die Warenlieferanten verfügen3. Vielmehr muss eine Zusammenstellung der „klassischen Krisenanzeichen“ aus Sicht der Kreditinstitute, also eine Sammlung von Indizien, die auch oder ausschließlich für Kreditinstitute erkennbar auf eine drohende Insolvenz des Kreditnehmers hindeuten, solche Informationen heranziehen, die gerade den Kreditinstituten in ihrer Funktion als Kreditgeber und Vermittler des Zahlungsverkehrs zur Verfügung stehen4. b) Kontoführung und Kreditgewährung 1.233 Von erheblicher Bedeutung für Kreditinstitute sind Krisenanzeichen, die sich aus der Kontoführung und aus der sonstigen unmittelbaren Geschäftsbeziehung erkennen lassen. Denn solche Indizien sind einerseits von besonderer Aussagekraft, wenn das durch die Krise bedrohte Unternehmen den gesamten oder überwiegenden Teil seines Zahlungsverkehrs über die Konten der betreffenden Bank abwickelt. Zum anderen handelt es sich dabei um Erkenntnisse, die das kontoführende Kreditinstitut ohne besonderen Aufwand, quasi nebenbei, gewinnen kann. Als solche klassische Krisenanzeichen unmittelbar aus dem Kreditverhältnis und aus der Kontoführung kommen vor allem in Betracht5: – verspätete Zins- und/oder Tilgungsleistungen, – Zahlung von Zins- und/oder Tilgungsraten zu Lasten von Kreditlinien, ohne dass im Anschluss eine entsprechende Rückführung dieser Kreditlinien aus Zahlungseingängen erfolgt, 1 Rundschreiben 10/2012 der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk – vom 14.12.2012, veröffentlicht auch im Internet, http://www.bafin.de. 2 Beispielsweise bei Wilden in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 2 Rz. 1 ff., 14 ff.; Hess, Sanierungshandbuch, Teil B, Rz. 32 ff. 3 So auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.205, 1.208. 4 S. beispielsweise die Indizienkataloge bei Wilden in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 2 Rz. 57 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.206. 5 S. auch Wilden in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 2 Rz. 1 ff., 75 f.

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Kuder/Unverdorben

Früherkennung durch Kreditinstitute

1.234

– Verlangen nach Freigabe von Gesellschafter- und/oder Geschäftsführersicherheiten (zu diesen Sicherheiten s. auch bei Rz. 7.614 ff.), auch im Austausch für Sicherheiten aus dem Vermögen der GmbH, – überraschender Kreditbedarf, – Nichtrückführung von Saison- oder befristeten Zusatzkrediten, – angespannte Kontoführung mit Überziehungstendenz, – Rückgang des Kontoumsatzes, – Abweichungen zwischen angekündigten und tatsächlichen Zahlungsein- und -ausgängen, – hohes Scheckobligo, – verstärkte Einreichung und Rückgabe eigener Schecks, gezogen auf andere Kreditinstitute, mit Gefahr der Scheckreiterei, – auffällig häufige Geltendmachung des Erstattungsanspruchs gemäß § 675x Abs. 2 BGB durch den Zahlungspflichtigen bei vom Kreditnehmer bei dem Kreditinstitut zur Einziehung eingereichten SEPA-Basislastschriften, – Geltendmachung des Erstattungsanspruchs gemäß § 675x Abs. 2 BGB durch den Kreditnehmer bei auf ihn gezogenen SEPA-Basislastschriften, – Zahlungen an Rechtsanwälte und Gerichtsvollzieher, – (Konto-)Pfändungen, insbesondere wegen Steuern und Sozialabgaben, – Häufung von Auskunftsanfragen und Verschlechterung neuer Auskünfte. c) Kreditwürdigkeitsprüfung und Bilanzanalyse Von entscheidender Bedeutung sind daneben Krisenanzeichen, die für die Kredit- 1.234 institute erkennbar sind, wenn sie ihrer Verpflichtung zu einer kontinuierlichen Kreditwürdigkeitsprüfung aus § 18 KWG und § 25a KWG i.V.m. den MaRisk1 nachkommen. Hierzu müssen sie sich vor und während der gesamten Laufzeit eines Kredits die wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Kreditnehmers offen legen zu lassen und eine Beurteilung der Adressausfallrisiken der Kreditnehmer turnusmäßig mindestens jährlich sowie immer dann anlassbezogen unverzüglich durchzuführen, wenn dem Institut aus externen oder internen Quellen Informationen bekannt werden, die auf eine wesentliche negative Änderung der Risikoeinschätzung der Engagements oder der Sicherheiten hindeuten2. Dazu nehmen die Kreditinstitute insbesondere Einsicht in die Jahresabschlüsse der bilanzierungspflichtigen Kreditnehmer3 und lassen sich erforderlichenfalls weitere Unterlagen, insbesondere auch den Prüfungsbericht des Abschlussprüfers, vorlegen, die ein klares Urteil über die wirtschaftlichen Verhältnisse ermöglichen. Dabei sind die für die Beurteilung des Risikos wichtigen Faktoren unter besonderer Berücksichtigung der Kapitaldienstfähigkeit des Kreditnehmers zu analysieren und zu beur1 Rundschreiben 10/2012 der BaFin, Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk – vom 14.12.2012, veröffentlicht auch im Internet, http://www.bafin.de. 2 Zur Krisenfrüherkennung im Rahmen der Kreditwürdigkeitsprüfung s. auch Wilden in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 2 Rz. 57 ff. 3 Zur Durchsetzung der vertraglich vereinbarten Pflicht zur Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnis sind die Kreditinstitute berechtigt, bei unzureichenden Auskünften des Kreditnehmers über seine wirtschaftlichen Verhältnisse letztlich den Kredit zu kündigen, so BGH v. 1.3.1994 – XI ZR 83/93, WM 1994, 838.

Kuder/Unverdorben

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1.235

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

teilen; zugleich müssen die Kreditinstitute auf der Basis quantitativer und qualitativer Risikomerkmale Indikatoren für eine frühzeitige Risikoidentifizierung entwickeln1. 1.235 Als Krisenanzeichen, die sich aus der Vorlage und Auswertung der Jahresabschlüsse und der damit in Zusammenhang stehenden Informationen erkennen lassen, werden vor allem folgende angesehen2: – Verzögerungen bei der Einreichung von Bilanzen, GuV, Statuszahlen oder Inventuren, – Unklarheiten in der Buchhaltung, – Verschiebungen im Bilanzierungszeitpunkt, insbesondere zur Schaffung unterschiedlicher Bilanzierungszeitpunkte bei Mutter- und Tochtergesellschaften (Gefahr von Liquiditätsverschiebungen), – fehlendes oder eingeschränktes Testat des Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters, – fehlende Bilanzunterschrift und Weigerung der Vorlage unterzeichneter Bilanzen im Original, – negative Abweichungen von vorläufigen und endgültigen Zahlen, – Änderung der Abschreibungsmethoden oder sonstige Vermeidung/Reduzierung von Abschreibungen, – Verringerung von Investitionen, – steigende Vorräte ohne Erhöhung der Außenstände, – hohe Forderungen gegen verbundene Unternehmen, – Eigenkapitalmangel, Abzug von Gesellschafterdarlehen und hohe Privatentnahmen, fehlende Einlagen (zur Kapitalausstattung und zur Eigenkapitalaufzehrung als Krisenwarnsignal s. auch Rz. 1.31 ff., 1.122 ff.), – mangelnde Fristenkongruenz; langfristigen Forderungen stehen kurzfristige Verbindlichkeiten gegenüber, – Auflösung von Reserven (Wertberichtigungen, Rückstellungen, Rücklagen), – Aufdeckung stiller Reserven (z.B. sale-and-lease-back, auch Betriebsaufspaltung), – Umbuchungen von Posten des Umlaufvermögens in das Anlagevermögen (Bilanzierung zu Anschaffungs-/Herstellungskosten statt zum Niederstwertprinzip). d) Kundenbesuche/Sicherheitenprüfungen 1.236 Kreditinstitute haben auch die Möglichkeit, Einblick in den betrieblichen Bereich ihres Kunden zu nehmen, beispielsweise bei Kundenbesuchen und Sicherheitenprüfungen3. Wird diesen Erkenntnisquellen besondere Aufmerksamkeit ge1 Rundschreiben 10/2012 der BaFin, Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk – vom 14.12.2012, veröffentlicht auch im Internet, http://www.bafin.de. 2 S. auch Wilden in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 2 Rz. 62 ff. 3 Zur Sicherheitenprüfung durch die Kreditinstitute Wittig in Lwowski/Fischer/Langenbucher, Das Recht der Kreditsicherung, 9. Aufl. 2011, S. 513 Rz. 15, S. 680 Rz. 14; Cartano in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/354 ff. (für die Sicherungsübereignung).

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Kuder/Unverdorben

Früherkennung durch Kreditinstitute

1.237

schenkt, können aus folgenden Anzeichen Rückschlüsse auf eine drohende oder eingetretene Krise gezogen werden: – Verschiebung von Gesprächsterminen bzw. Terminen für Sicherheitenprüfungen, – vermehrte Eintragung von Grundschulden, – Rückgang des Sicherheitenwertes beim Umlaufvermögen (Globalzession der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und Sicherungsübereignung von Warenlagern), Abweichungen zwischen den Bestandsmeldungen und dem bei der Sicherheitenprüfung festgestellten Bestand des Sicherungsgutes, – Fehler im Management (fehlende Qualifikation der Geschäftsleitung, häufiger Wechsel – insbesondere im Finanz- und Rechnungswesen –, mangelnde Erfahrung, schlechter Führungsstil, unzureichende Nachfolgeregelung), – überraschender Austausch der Geschäftsführung, insbesondere durch offensichtlich nicht qualifizierte Personen, – Verlegung des Unternehmenssitzes, insbesondere unter Änderung der Firma1, – falsche Geschäftspolitik und Markteinschätzung, vor allem zu große Exportabhängigkeit, zu geringe Diversifikation, zu große Abhängigkeit von Lieferanten/Abnehmern, – mangelnde kaufmännische Effizienz: Rechnungswesen, Planung und Kalkulation unzureichend, – hohe Personalkosten, unqualifiziertes Personal, Personalfluktuation, fehlende Motivation des Personals, – Mängel im Einkauf, in der Lagerhaltung, Produktion und im Absatz, – Umsatz-Rückgänge, Absatzeinbußen wegen falscher Produkt-, Preis- und Sortimentspolitik, Ausfall von Forderungen, Verluste im Betrieb, aus Beteiligungen, Bürgschaften, – mangelnde Kapazitätsauslastung, unrationelle Produktion, veraltete Anlagen, schlechte Materialwirtschaft, fehlende Qualitätskontrolle, – fehlender Versicherungsschutz, – Gesellschafter-Streitigkeiten. e) Geschäftsbeziehungen des Kreditnehmers zu Dritten Schließlich können Kreditinstitute Erkenntnisse aus den Geschäftsbeziehungen 1.237 ihres Kreditnehmers zu seinen Lieferanten, Abnehmern und anderen Banken gewinnen. Für das kreditgebende Institut erkennbare Krisenanzeichen in diesem Bereich können insbesondere sein: 1 Um unlautere „Firmenbestattungen“ – die Beseitigung gescheiterter GmbH außerhalb eines geordneten Insolvenz- oder Liquidationsverfahrens – zumindest zu erschweren, wurden durch das MoMiG die Zustellung von Schriftstücken und der Zugang von Willenserklärungen erheblich erleichtert. Zudem wurden die Bestellungshindernisse für Geschäftsführer erweitert, die Haftung der Gesellschafter, die einer von der Geschäftsführerstellung ausgeschlossenen Person die Führung der Geschäfte überlassen, eingeführt und die Insolvenzantragspflicht auch auf die Gesellschafter erstreckt. Vgl. hierzu im Überblick Kindler, NJW 2008, 3249, 3254 f. (s. auch Rz. 5.202 f.).

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1.238

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

– Lieferanten: Verschärfung der Liefer- und Zahlungsmodalitäten (Vorauskasse, Avalstellung), Ausdehnung des Lieferantenkreises, Reklamationen gegenüber den Lieferanten, Sicherheitenpoolung durch Kreditversicherer, – Abnehmer: Abhängigkeit von wenigen Abnehmern, Zahlungsverzögerungen und Insolvenzen im Kreis der Abnehmer, – Kreditinstitute: Ablösungswünsche für Kredite anderer Institute, Überleitung in die speziellen Betreuungseinheiten für Engagements mit erhöhtem Kreditrisiko anderer Kreditinstitute, Kreditkündigungen, Kreditsicherungen zu Gunsten anderer Institute, Aufnahme weiterer Bankverbindungen. f) Begrenzte Erkenntnismöglichkeiten auf Grund der Krisenanzeichen 1.238 Die Problematik dieser klassischen Krisenanzeichen liegt allerdings darin, dass keines der Indizien für sich allein die zwingende Erkenntnis liefert, dass bei dem Kreditnehmer die Insolvenz und damit ein Kreditausfall droht. Denn für die meisten der genannten Anhaltspunkte kann es auch andere Erklärungen als eine bevorstehende Krise geben. Deshalb kann allenfalls eine Gesamtbetrachtung aller verfügbaren Informationen über den Kreditnehmer, bei der die genannten Anzeichen herangezogen werden, Rückschlüsse auf eine krisenhafte Entwicklung zulassen. Diese Beurteilung wird noch erschwert dadurch, dass angesichts der wesentlichen Bedeutung der Bankverbindung und der gewährten Bankkredite für die Vermeidung oder Überwindung einer Krise die Kreditnehmer häufig besonderes Augenmerk darauf richten, dass ihre Kreditfähigkeit und Kreditwürdigkeit durch die Kreditinstitute nicht in Frage gestellt wird, dass also die Krisenanzeichen den kreditgebenden Instituten verborgen bleiben. Dementsprechend kommt es vor, dass im Kreis der Lieferanten oder Wettbewerber die Krise eines Unternehmens schon lange bekannt ist, während dieser Umstand den Kreditinstituten verborgen bleibt, weil ihr Kreditnehmer seine Verpflichtungen ihnen gegenüber noch vertragsgetreu erfüllt, vor allem Zins- und Tilgungsleistungen pünktlich erbringt. Daher kann keine Rede davon sein, dass die Kreditinstitute gegenüber den anderen Gläubigern regelmäßig einen Informationsvorsprung genießen1. 2. Financial Covenants als Krisenindikatoren a) Grundlagen 1.239 Kreditinstitute versuchen, die Kreditwürdigkeit ihrer Kreditnehmer und die Kreditrisiken während der Laufzeit der Kredite enger zu überwachen, als dies durch Beobachtung der vorgenannten klassischen Krisenanzeichen möglich ist. Dabei ist das Ziel nicht nur, die sich anbahnende Krise früher erkennen zu können, sondern die Kreditgeber wollen auf verschlechterte Kreditrisiken auch schneller mit Maßnahmen zur Begrenzung des Kreditrisikos reagieren, vor allem Nachbesiche-

1 So auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.208.

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Kuder/Unverdorben

Früherkennung durch Kreditinstitute

1.242

rung verlangen oder notfalls ihre Kredite durch Kündigung vorzeitig fällig stellen. Eines der Instrumente dazu ist die Vereinbarung von Financial Covenants1. Financial Covenants werden zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer als Be- 1.240 standteile des Kreditvertrages vereinbart. Dabei werden regelmäßig die eigentlichen Financial Covenants (Festlegung der einzuhaltenden Finanzkennzahlen und Definition der dabei verwandten Begriffe) durch eine Reihe weiterer Klauseln (Kontinuität der Bilanzierung, Information, Sanktionen bei Verletzung der Financial Covenants) ergänzt2. Grundlage für die Festlegung der Financial Covenants sind die von dem Kreditnehmer bei der Verhandlung des Kreditvertrages vorgelegten Abschlüsse, Zwischenberichte und Planungen. Die Financial Covenants definieren für die gesamte Laufzeit des Kredits die von dem Kreditnehmer einzuhaltenden Bilanzrelationen und Finanzkennzahlen3. Sie sind dadurch gekennzeichnet, – dass sie sich auf die finanzielle Situation des Kreditnehmers bzw. seines Wirtschaftsunternehmens insgesamt beziehen, – dass sie Mindestanforderungen an die Vermögenssituation (Eigenkapital und Verschuldung), den Ertrag oder die Liquidität des Kreditnehmers stellen und – dass sie diese Mindestanforderungen durch Zahlen festlegen; absolut oder in Form von Verhältnisangaben. Bei der Definition der einzelnen Finanzkennzahlen berücksichtigt das Kredit- 1.241 institut in der Regel einen „Sicherheitsabstand“ (sog. Headroom), damit nicht jede kleinere Abweichung von der Planung des Kreditnehmers zu einer Verletzung der Financial Covenants führt4. Der Kreditnehmer ist verpflichtet, in regelmäßigen Abständen, üblicherweise quartalsweise zusammen mit der Vorlage der Quartalsberichte, die Einhaltung der Financial Covenants zu bestätigen. Dies geschieht durch die Vorlage eines von den Geschäftsführern des Kreditnehmers unterzeichneten (ggfls. zusätzlich von den Abschlussprüfern bestätigten) Bestätigungsschreibens (Compliance Certificate), in dem hinreichend detailliert dargelegt wird, ob und wie der Kreditnehmer die Financial Covenants eingehalten hat5. Financial Covenants werden als Indikatoren zur Früherkennung von Krisen bei 1.242 dem Kreditnehmer herangezogen, weil ihnen der Gedanke zugrunde liegt, dass eine verschlechterte wirtschaftliche Lage des Kreditnehmers frühzeitig daran erkennbar sein sollte, dass die vereinbarten Financial Covenants nicht eingehalten

1 Zu Financial Covenants s. Hornuf/Reps/Schäferling, ZBB 2013, 202; Nouvertné, ZIP 2012, 2139; Hannen, DB 2012, 2233; Merkel/Tetzlaff in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 98 Rz. 174 ff.; Rossbach in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 11.112 ff.; Kampshoff, GmbHR 2010, 897; Hoffmann, ZBB 2007, 413; Wittig, WM 1996, 1381; Sundermeier/Wilhelm, DStR 1997, 1127; Fleischer, ZIP 1998, 313. 2 Zu einer etwas abweichenden Unterscheidung dieser Bestandteile von Financial Covenants Thießen, ZBB 1996, 19. 3 Rossbach in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 11.112. 4 Rossbach in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 11.112. 5 Rossbach in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 11.118.

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1.243

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

werden können1. Zugleich sollen Financial Covenants Kreditrisiken auf ein für den Kreditgeber akzeptables Maß beschränken. Denn um ihre Funktion als Krisenindikatoren erfüllen zu können, werden mit Financial Covenants die vereinbarten Mindestanforderungen an die wirtschaftliche Lage des Kreditnehmers in der Weise festgelegt, dass die laufende Bedienung des Kredites sowie seine endgültige Rückführung als sicher erscheinen und das Kreditrisiko gering bleibt, solange die festgelegten Grenzen eingehalten werden. b) Inhalt typischer Financial Covenants 1.243 Financial Covenants können die finanzielle Lage des Kreditnehmers und das daraus resultierende Kreditrisiko an einer Vielzahl von Kennzahlen messen. Darüber hinaus werden die maßgeblichen Kennzahlen (z.B. für die höchstzulässige Verschuldung) durch Financial Covenants in verschiedener Weise (z.B. für die Verschuldung durch absolute Beträge oder im Verhältnis zum Eigenkapital) festgelegt. Die üblicherweise vereinbarten Finanzkennzahlen sollen zum einen eine angemessene Liquidität und zum anderen eine angemessene Eigenkapitalausstattung des Kreditnehmers sicherstellen2. Hierzu werden häufig folgende Financial Covenants verwendet: – Eigenkapitalausstattung (Rz. 1.244 f.) – Verschuldung (Rz. 1.246 ff.) – Ertrag (Rz. 1.249 f.) – Liquidität des Kreditnehmers oder seines Konzerns (Rz. 1.251 f.) aa) Eigenkapitalausstattung 1.244 Die am häufigsten zu findende Klausel zur Eigenkapitalausstattung (Net Worth Requirement) verlangt, dass das Eigenkapital des Kreditnehmers einen bestimmten, in absoluten Zahlen festgelegten Betrag nicht unterschreitet. Oft wird dabei vorgesehen, dass der vereinbarte Mindestbetrag während der Laufzeit des Kredites ansteigt, und zwar in Stufen für jedes Geschäftsjahr des Kreditnehmers3. 1.245 Das in der Bilanz ausweisbare Eigenkapital repräsentiert denjenigen Betrag, der idealerweise dem Kreditnehmer verbleiben sollte, nachdem sämtliche Aktiva zu Buchwerten liquidiert und aus den Erlösen sämtliche Verbindlichkeiten, insbesondere die Forderungen des Kreditgebers, zurückgeführt worden sind. Solange (positives) Eigenkapital ausgewiesen werden kann, sollte also theoretisch jederzeit, selbst im Liquidationsfall, die Rückführung des Kredites möglich sein. Anders ausgedrückt: Solange die Anforderungen dieser Eigenkapitalklausel erfüllt 1 Knecht/Haghani in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 18 Rz. 84 ff.; Merkel/Tetzlaff in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 98 Rz. 174; Rossbach in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 11.119; Baetge, DB 2002, 2281; Fleischer, ZIP 1998, 313, 314; Thießen, ZBB 1996, 19. 2 Zu Besonderheiten bei der Finanzierung von Sachen wie Immobilien, Flugzeugen oder Schiffen (sog. Asset-Finanzierungen) s. Rossbach in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 11.113. 3 Knecht/Haghani in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 18 Rz. 76; Rossbach in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 11.112; Wittig, WM 1996, 1381, 1382.

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Früherkennung durch Kreditinstitute

1.248

werden, sollte keine Überschuldung des Kreditnehmers vorliegen können. Darüber hinaus dient das Eigenkapital dazu, mögliche Verluste aufzufangen, ohne dass es zur Überschuldung kommt. Wird diese Grenze unterschritten, ist dies ein Indikator für das gestiegene Kreditrisiko. bb) Verschuldung Eine typische Verschuldungsgradklausel (Gearing Ratio) zieht Grenzen für den 1.246 relativen Verschuldungsgrad, indem sie dem Kreditnehmer auferlegt, dass die Summe der Verbindlichkeiten im Verhältnis zum Eigenkapital eine vereinbarte Obergrenze nicht übersteigen darf. Die absolute Obergrenze für die zugelassene Verschuldung ist damit abhängig von der Eigenkapitalausstattung, d.h. mit einem Wachsen des Eigenkapitals (z.B. durch Gewinnthesaurierung oder Kapitalerhöhung) ist dem Kreditnehmer eine proportional entsprechende Ausweitung seiner Verschuldung möglich, während umgekehrt eine geschmälerte Eigenkapitalbasis (durch Verluste) eine Rückführung der Verschuldung verlangt1. Eine Begrenzung der Verschuldung relativ zum Eigenkapital enthält zugleich eine 1.247 Festlegung, zu welchem Anteil an der Bilanzsumme Eigenkapital zur Verfügung stehen soll, um Verluste auszugleichen und damit eine Insolvenz auf Grund der Überschuldung des Kreditnehmers zu verhindern (zur Bedeutung der Eigenkapitalausstattung für die Krisenvermeidung bei der GmbH s. auch Rz. 1.31 ff.). Daneben erlaubt der Verschuldungsgrad den Rückschluss, wie sensibel Gewinn bzw. Verlust des Kreditnehmers auf seinen größeren bzw. geringeren geschäftlichen Erfolg reagieren. Denn während Zinsen für die Verschuldung (zumindest für den überwiegenden, verzinslichen Teil der Verbindlichkeiten) unabhängig davon gezahlt werden müssen, ob der Kreditnehmer geschäftlich erfolgreich war, braucht das Eigenkapital nur dann durch Gewinnausschüttungen verzinst zu werden, wenn tatsächlich Gewinne erwirtschaftet wurden. Anders ausgedrückt: Ein Rückgang des Ertrages vor Zinsen mag bei einem in hohem Grad durch Eigenkapital finanzierten Unternehmen lediglich den Gewinn aufzehren, so dass keine Dividende gezahlt werden kann. Dagegen müssen bei einem sehr viel stärker durch Fremdkapital finanzierten Unternehmen in der gleichen Situation trotz des Ertragsrückganges die Kreditzinsen bezahlt und deshalb Verluste ausgewiesen werden, die zur Überschuldung und damit zum Kreditausfall in der Insolvenz führen können. Häufig anzufinden ist auch eine Verschuldungsgradklausel (Leverage Ratio), die 1.248 als Quotient aus Netto-Finanzverbindlichkeiten und EBITDA berechnet wird. Dabei werden als Netto-Finanzverbindlichkeiten alle zinstragenden Verbindlichkeiten des Kreditnehmers abzüglich Bankguthaben, Kassenbestand und des Buchwerts bestimmter liquider Wertpapiere zu einem bestimmten Stichtag ins Verhältnis zum operativen Ergebnis vor Zinsen, Steuern, und Abschreibungen gesetzt2. Dieser Wert dient als Indikator für die Fähigkeit des Kreditnehmers seine Verbindlichkeiten künftig aus seinen operativen Erträgen zurückzahlen zu können. 1 Knecht/Haghani in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 18 Rz. 77; Rossbach in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 11.117. 2 Rossbach in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 11.115.

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1.249

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

cc) Ertrag 1.249 Die in dieser Gruppe häufig zu findende Zinsdeckungsklausel (EBITDA Interest Cover Ratio ), mit der bestimmte Anforderungen an die Ertragslage des Kreditnehmers gestellt werden, sieht vor, dass der Gewinn des Kreditnehmers vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände (EBITDA) im Verhältnis zum gesamten Zinsaufwand nicht unter eine bestimmte Mindestgröße, ausgedrückt als Verhältniszahl, fallen darf. 1.250 Im Gegensatz zu den Messgrößen der Eigenkapitalausstattung und des Verschuldungsgrades dient die Zinsdeckungsklausel als Maßstab, ob während der Laufzeit des Kredites die wiederkehrenden Zinszahlungen durch den Kreditnehmer erbracht werden können1. Ist der Kreditnehmer nicht in der Lage, so profitabel zu wirtschaften, dass er seine Zinsverpflichtungen bedienen kann, so sind nicht nur Verluste zu erwarten und eine Insolvenz wegen Überschuldung zu befürchten. Vielmehr ist auch die Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers gefährdet, und diese Gefahr wird verstärkt durch drohende Kreditkündigungen. Weiterhin zeigt das Verhältnis zwischen dem Gewinn vor Zinsaufwendungen und dem Zinsaufwand, wie empfindlich die Ertragslage des Kreditnehmers auf Steigerungen des allgemeinen Zinsniveaus oder Rückgänge des Gewinns reagieren wird. Schließlich werden in aller Regel demjenigen Kreditnehmer, dessen Gewinne vor Zinsen den Zinsaufwand nicht deutlich übersteigen, auf Dauer die Mittel für Neuinvestitionen und vor allem für die Kredittilgung fehlen. dd) Liquidität 1.251 Eine sehr gebräuchliche Liquiditätsklausel (Current Ratio), mit der die Einhaltung bestimmter Liquiditätsanforderungen vereinbart wird, sieht vor, dass während der Laufzeit des Kredites beim Kreditnehmer die kurzfristig realisierbaren Mittel um ein festgelegtes Maß, als Verhältniszahl ausgedrückt, die kurzfristigen Verbindlichkeiten übersteigen müssen2. 1.252 Neben der Eigenkapitalausstattung, der Verschuldung und der Ertragskraft bestimmt die Liquidität des Kreditnehmers entscheidend – vor allem kurzfristig – das Kreditrisiko. Denn selbst bei einer im Übrigen guten wirtschaftlichen Situation führt die Zahlungsunfähigkeit des Kreditnehmers zum Insolvenzverfahren. Hintergrund dieser Klausel, die sich auf die – in der Terminologie der Bilanzanalyse – „Liquidität zweiten Grades“ bezieht, ist die Überlegung, dass zur Begleichung der kurzfristig fällig werdenden Verbindlichkeiten dem Kreditnehmer jeweils ausreichende Zahlungsmittel zur Verfügung stehen müssen, um ein Insol1 Knecht/Haghani in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 18 Rz. 78. 2 Knecht/Haghani in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 18 Rz. 79; Rossbach in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 11.116. Statt der Current Ratio finden sich häufig auch Financial Covenants, die ein bestimmtes Working Capital verlangen. In der Sache liegt darin aber kein prinzipieller Unterschied, denn zur Ermittlung des Working Capital wird lediglich an Stelle des Quotienten aus kurzfristig realisierbaren Mitteln und kurzfristigen Verbindlichkeiten die Differenz dieser beiden Werte gebildet.

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Kuder/Unverdorben

Früherkennung durch Kreditinstitute

1.255

venzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Die erforderlichen Zahlungsmittel kann sich der Kreditnehmer verschaffen, sofern sie ihm nicht schon als flüssige Mittel zur Verfügung stehen, indem er seinerseits die kurzfristigen Forderungen einzieht und sein Vorratsvermögen umsetzt. Solange die „Current Assets“ die „Current Liabilities“ übersteigen, sollte also die Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers nicht gefährdet sein. c) Folgen der Nicht-Einhaltung Neben der Verpflichtung des Kreditnehmers, die näher definierten Finanzkenn- 1.253 zahlen jederzeit oder zu bestimmten Stichtagen einzuhalten1, werden auch die Sanktionen bei der Verletzung der Verpflichtung zur Einhaltung der Finanzkennzahlen im Kreditvertrag vereinbart. In der Regel steht dem Kreditinstitut in diesem Fall (ggfls. nach Ablauf einer im Hinblick auf bestimmte oder auf alle Finanzkennzahlen vereinbarten Heilungsfrist) das Recht zur außerordentlichen Kündigung des Kredits aus wichtigem Grund zu. Es kann aber auch vereinbart sein, dass das Kreditinstitut zunächst berechtigt ist, die Verstärkung der Sicherheiten für den Kredit zu verlangen und erst nach dem fruchtlosen Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist eine Kündigung aussprechen kann. In der Praxis kommt es aber bei der Nichteinhaltung der Finanzkennzahlen in den 1.254 meisten Fällen nicht zur Kündigung, sondern zur Erteilung eines sog. Waivers. Dieser Verzicht des Kreditinstituts auf die Ausübung des Kündigungsrechts kann bei unkritischen Verstößen gegen die Financial Covenants ohne weitere Maßnahmen erteilt werden. Bei ernsteren Verstößen oder wenn die Finanzkennzahlen voraussichtlich dauerhaft nicht eingehalten werden können, kommt es zu Nachverhandlungen des Kreditvertrages. In kritischen Fällen wird das Kreditinstitut wegen des bestehenden Kündigungsrechts möglicherweise zunächst bis zum Abschluss dieser Verhandlungen auch die Kreditlinien einfrieren und keine weiteren Inanspruchnahmen zulassen. Üblicherweise ist für den mit der Erteilung eines Waivers verbundenen erhöhten Aufwand des Kreditinstituts die Zahlung eines bestimmten Entgelts (Waiver Fee) im Kreditvertrag vereinbart2. d) Bewertung von Financial Covenants als Krisenindikatoren Mit Financial Covenants werden Kennzahlen für die wirtschaftliche Situation des 1.255 Kreditnehmers in einer solchen Weise festgelegt, dass bei Einhaltung der Kennzahlen der wirtschaftliche Fortbestand des Unternehmens nicht gefährdet und daher die Bedienung der ausgereichten Kredite möglich ist. Werden beispielsweise Financial Covenants in der oben gezeigten Weise vereinbart, kann es im Grundsatz weder zur Überschuldung noch zur Zahlungsunfähigkeit des Kreditnehmers und damit zu keinem Insolvenzverfahren kommen, solange die vereinbarten Financial Covenants nicht verletzt werden. Die bloße Vereinbarung von Kennzahlen bleibt aber als Mittel der Risikobegrenzung bedeutungslos. Denn ob die ver1 Eine übliche Vereinbarung ist, dass die Finanzkennzahlen auf konsolidierter, rollierender Ist-Zahlen Basis für jede an einem Quartalsende endende 12-Monatsperiode einzuhalten sind. 2 Nouvertné, ZIP 2012, 2139, 2141 f.; Knecht/Haghani in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 18 Rz. 80 ff.

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1.256

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

abredeten Financial Covenants eingehalten werden, steht nicht in der Macht des Kreditnehmers, sondern hängt zwingend von seinem wirtschaftlichen Erfolg ab. Kommt es beispielsweise zu einem Verlust, der das Eigenkapital des Kreditnehmers übersteigt, hat dies die Überschuldung zur Folge, selbst wenn in Financial Covenants vereinbart worden ist, dass der Kreditnehmer stets ein bestimmtes Eigenkapital aufweisen muss. Dementsprechend leisten Financial Covenants nach üblicher Einschätzung ihren Beitrag zur Begrenzung des Kreditrisikos auch nicht, solange der Kreditnehmer die vereinbarten Kennzahlen mühelos einhält, sondern dann, wenn diese Kennzahlen verletzt werden oder die Verletzung droht1. 1.256 Der Beitrag von Financial Covenants zur Begrenzung von Kreditrisiken liegt in ihrer Funktion als Früherkennungsinstrument, weil eine Nichteinhaltung der vereinbarten Finanzkennzahlen erkennen lässt, dass sich die Geschäfte bei dem Kreditnehmer zumindest nicht nach Plan entwickeln. Dies gibt dem Kreditgeber die Möglichkeit, auf die sich anbahnende Verschlechterung des Kreditrisikos zu reagieren, bevor die Krise in ein Insolvenzverfahren und den damit verbundenen Kreditausfall mündet2. Überbewerten sollte man Financial Covenants als Krisenindikatoren aber aus den folgenden Erwägungen nicht. 1.257 Financial Covenants beziehen sich auf die Zahlen aus der Bilanz und der GuV oder aus vergleichbaren Zahlenwerken. Anhand dieser Zahlenwerke kann nur derjenige Teilbereich des unternehmerischen Handelns beurteilt werden, der in Form von Geldbeträgen in das Zahlenwerk eingeht. Die Zahlenwerke erlauben aber (zumindest unmittelbar) kein Urteil über andere wesentliche, nicht bezifferbare Erfolgsfaktoren, z.B. über Produktionsprogramme, Sortimente, Stellung am Markt, technische Stärken, Innovationskraft, Kundentreue, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Belegschaft, Schlagkraft der Organisation oder Leistungs- und Leitungsfähigkeit des Managements, sondern bieten allenfalls Anhaltspunkte zur Beurteilung solcher Potentiale, die für die Leistungsfähigkeit des Kreditnehmers und damit für seine Kreditwürdigkeit wenigstens mittelfristig ausschlaggebend sind3. 1.258 Weiterhin messen Financial Covenants die wirtschaftliche Situation des Kreditnehmers lediglich an Zahlen, die sich auf einen vergangenen Stichtag bzw. auf einen abgelaufenen Zeitraum beziehen. Krisenhafte Entwicklungen finden aber zum einen Einfluss in dieses Zahlenwerk erst mit Verspätung, also u.U. zu spät, um die eingetretene Krise an der Verletzung der Financial Covenants erkennen zu können, bevor sie zur Insolvenz führt4. Zum anderen sind zahlreiche bedeutsame, für die zukünftige Entwicklung wesentliche Risiken, bei deren Verwirklichung die Insolvenz des Kreditnehmers drohen kann, aus den Bilanzzahlen nicht ersichtlich, zumindest solange der bilanzierende Kreditnehmer darauf verzichtet, für diese Risiken Rückstellungen zu bilden. Insoweit ist von besonderer Bedeutung auch, dass in der Praxis häufig bei einer sich verschärfenden Krise des Kreditnehmers die vorzeitige Fälligstellung von Bankkrediten durch außerordentliche Kün1 Ausführlich dazu aus betriebswirtschaftlicher Sicht Thießen, ZBB 1996, 19. 2 Knecht/Haghani in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 18 Rz. 84 ff.; Thießen, ZBB 1996, 19. 3 Hauschildt, Erfolgs-, Finanz- und Bilanz-Analyse, 3. Aufl. 1996, S. 1. 4 Aus dem gleichen Grund sehr kritisch zum Wert von Financial Covenants für die Krisenfrüherkennung Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.213.

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Kuder/Unverdorben

Insolvenzprognoseverfahren

1.265

digung mehr oder weniger plötzlich die Zahlungsunfähigkeit des Kreditnehmers herbeiführt. Dieses Risiko ist aber aus den Bilanzzahlen des Kreditnehmers nicht ablesbar. Daneben muss der Kreditgeber bedenken, dass die Einhaltung von Financial Co- 1.259 venants in gewissem Umfang vom Kreditnehmer gestaltet werden kann. Denn bei der unternehmerischen Rechnungslegung hat der Kreditnehmer maßgebliche Entscheidungen zu treffen, z.B. zur Bewertung der Vorräte oder über den Umfang der Rückstellungen für zweifelhafte Forderungen. Weil dem Kreditnehmer damit erheblicher Einfluss auf die Aussage seiner Rechnungslegung zum jeweiligen Stichtag verbleibt, ist es wichtig, ihm bei der Vereinbarung von Financial Covenants aufzuerlegen, dass stets die gleichen Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden beibehalten werden, um zumindest willkürliche und wechselnde Bewertungen zu untersagen. Doch selbst bei gleichmäßiger Bewertung und Bilanzierung hat der Kreditnehmer einen gewissen Spielraum, seine Bilanz oder andere maßgebliche Zahlenwerke für den jeweiligen Stichtag so zu gestalten, dass Financial Covenants eingehalten werden. Gleichwohl hat die Vereinbarung von Financial Covenants für die Kreditinstitute 1.260 große Bedeutung insbesondere bei strukturierten Konsortialkreditverträgen mit Unternehmen erlangt. Sie stellen – neben anderen Indikatoren – ein wichtiges Instrument zur Beobachtung und Steuerung von Kreditrisiken dar1. vacat

1.261–1.264

IV. Insolvenzprognoseverfahren Die Motivation für die Entwicklung von Insolvenzprognoseverfahren liegt sowohl 1.265 im volkswirtschaftlichen Interesse (Sicherung der Stabilität des Bankensystems, Grundlage für Gläubigerschutzvorschriften) als auch im individuellen Interesse der Gläubiger, sich rechtzeitig vor Ausfällen zu schützen. Ziel solcher Verfahren ist es, Wahrscheinlichkeiten zu bestimmen, mit denen Unternehmen innerhalb eines bestimmten Zeitraums (meist ein Jahr) insolvent werden. In der Wissenschaft hat sich bisher keines der zahlreichen Verfahren als überlegen bewährt. Einen Überblick gibt folgendes Schaubild2:

1 So auch Rossbach in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 11.119. 2 Bemmann, Entwicklung und Validierung eines stochastischen Simulationsmodells für die Prognose von Unternehmensinsolvenzen, Diss. 2007, S. 6.

Kuder/Unverdorben und Sinz

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91

1.266

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

Insolvenzprognoseverfahren

informell

individuelle Analyse ohne Verfahrensunterstützung

formell

individuelle Analyse auf Basis von Leitfäden/ Checklisten

empirischstatische Verfahren

induktive Verfahren

Scoringmodelle

Expertensysteme

parametr. Verfahren

nichtparam. Verfahren

strukturelle Modelle

basierend auf Anleihespreads Optionspreisansatz

Diskriminanzanalyse

linear

quatratisch

Regressionsanalyse

linear

logistisch

Entscheidungsbaumverfahren

künstliche neuronale Netze

deterministische Simulationsmodelle stochastische Simulationsmodelle

1.266 Während die informellen Verfahren auf Intuition und persönlicher Erfahrung beruhen, basieren formelle Verfahren auf explizit festgeschriebenen Verfahrensregeln. Als Datenquelle bevorzugt der Geschäftsverkehr harte Daten, weil diese methoden- und personenunabhängig erhoben werden können; sie sind daher objektiv und eindeutig belegbar. Typische harte quantitative Daten sind Jahresabschlussdaten, das Kontoführungsverhalten und Finanzmarktdaten; als harte qualitative Daten sind vor allem die Rechtsform, Branchenzugehörigkeit und Sicherheiten zu nennen1. Dagegen unterliegen weiche Daten subjektiven Beurteilungen; sie sind daher stärker manipulierbar. Aus dem Bereich der quantitativen Daten sind besonders Branchenwachstumsprognosen und Planungsdaten des Unternehmens von Bedeutung; weiche qualitative Daten erfassen Erfolgspotentiale wie die Qualität der Unternehmensführung und des Rechnungswesens sowie die Marktposition. 1.267 Die Schätzgüte eines Insolvenzprognoseverfahrens (Grad der Übereinstimmung der Insolvenzprognose mit den tatsächlich eingetretenen Insolvenzereignissen) hängt zum einen davon ab, ob sie sich im Wesentlichen auf Kennzahlenanalysen beschränkt und wie aktuell diese Daten sind, zum anderen von der (Branchen-)Erfahrung des Analysten, insbesondere wenn es um die Validierung weicher Daten geht. Das Maß zur Bestimmung der Trennschärfe wird häufig auf der Basis einer Lorenzkurve oder einer ROC-Kurve (Receiver Operating Characteristic) berech1 So sind z.B. die Insolvenzquoten der Kapitalgesellschaften des Baugewerbes in Deutschland laut Statistik etwa fünfzehnmal höher als bei Einzelunternehmen des Dienstleistungsgewerbes; Quelle: Destatis, monatliche Insolvenzstatistiken. Zu Frühwarnindikatoren aus Konto- und Systemdaten: Adelmeyer/Littkemann in Becker/ Berndt/Klein, Risikofrüherkennung im Kreditgeschäft, 2012, Rz. 562 ff.

92

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Sinz

Warnpflichten und Haftung von WP, StB, RA

1.272

net1. Dennoch ist keines der heute verwendeten Insolvenzprognoseverfahren auch nur annähernd in der Lage, derart trennscharfe und gleichzeitig stets korrekte Prognosen zu erstellen2. Zu unterscheiden sind Fehler des Typs I (á-Fehler: tatsächliche Ausfälle, die als Nicht-Ausfälle prognostiziert wurden) und Fehler des Typs II (â-Fehler: tatsächliche Nicht-Ausfälle, die als Ausfälle prognostiziert wurden). Fehler des Typs I können erhebliche Ausfallkosten nach sich ziehen, während Fehler des Typs II sich i.d.R. auf den entgangenen Gewinn beschränken; zwischen beiden besteht ein Zielkonflikt. Die optimale („kostenminimale“) Fehlerkombination wird letztlich durch subjektive Zielvorgaben bestimmt. vacat

1.268–1.270

V. Warnpflichten und Haftung von Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, Rechtsanwälten? 1. Hinweispflichten Hinweispflichten können sich entweder als Hauptpflicht aus dem ausdrück- 1.271 lichen Auftrag oder als Nebenpflicht aus anderslautenden Aufträgen ergeben. Bei einem ausdrücklich die Insolvenzprüfung betreffenden Mandat ist der Hinweis auf den (drohenden) Eintritt eines Insolvenzgrundes zentraler Leistungsgegenstand des Beratungsvertrages. Grundlage ist in solchen Fällen ein Werkvertrag, dessen Schlechterfüllung zum Schadensersatz verpflichtet (§§ 633, 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB)3. Probleme bereiten in der Praxis nur die Warnpflichten gelegentlich anderer dienst- oder werkvertraglicher Tätigkeiten, die nicht unmittelbar auf die Krisenprüfung gerichtet sind (Anlasshinweise). Sie können den Steuerberater treffen, der die Bilanz erstellt, genauso wie den Wirtschaftsprüfer, der die erstellte Bilanz prüft, oder den Rechtsanwalt, der mit Gläubigern Vergleiche aushandeln soll. Die Haftung für die Verletzung von Hinweispflichten ist zu unterscheiden von der Haftung für insolvenzspezifische Folgen anderer Vertragsverletzungen. Der Hauptfall ist die Ausweisung eines überhöhten Eigenkapitals durch einen Buchhaltungsfehler. Unterlässt der Geschäftsführer deshalb eine Insolvenzprüfung, haftet der Berater für den durch den verzögerten Insolvenzantrag entstandenen Schaden4. Für den Steuerberater hat der BGH 2013 gegen die teilweise in Literatur5 und von 1.272 Instanzgerichten6 vertretene Auffassung entschieden, dass ein „steuerberatendes Dauermandat“ für eine GmbH „bei üblichem Zuschnitt“ keine Hinweispflicht 1 Boehme/Straube in Becker/Berndt/Klein, Risikofrüherkennung im Kreditgeschäft, 2012, Rz. 473 ff. 2 Bemmann, Verbesserung der Vergleichbarkeit von Schätzgüteergebnissen von Insolvenzprognosestudien, in Dresden Discussion Paper Series in Economics 08/2005, S. 73 ff. 3 BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, GmbHR 2012, 1004, BGH v. 6.2.2014 – IX ZR 53/13, GmbHR 2014, 375 („Rückläufer“ der Sache aus 2012). 4 BGH v. 18.2.1987 – IVa ZR 232/85, GmbHR 1987, 463. 5 U.a. Gräfe, DStR 2010, 618, 621; Mutschler, DStR 2012 539, 540; Schwarz, NZI 2012, 869, 870 f.; Wagner/Zabel, NZI 2008, 660, 663 f. 6 LG Saarbrücken v. 28.11.2011 – 9 O 261/10, ZInsO 2012, 330; LG Wuppertal v. 6.7.2011 – 3 O 359/10, NZI 2011, 877; OLG Schleswig v. 2.9.2011 – 17 U 14/11, NZG 2012, 307.

Sinz und Spliedt

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93

1.273

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

bezüglich einer möglichen Insolvenzreife begründe. Erst recht müsse er eine Prüfung des Insolvenzgrundes nicht selbst vornehmen1, auch wenn dazu ein „äußerer Verdacht“ bestehe2. Zwar habe der Steuerberater den Mandanten auf Fehlentscheidungen, die für ihn offen zutage träten, aufmerksam zu machen. Das gelte aber nur in den Grenzen des Mandats, das sich regelmäßig auf steuerrechtliche, nicht aber auf insolvenz- und gesellschaftsrechtliche Fragen erstrecke. Weise die Handelsbilanz eine Überschuldung aus, sei es Aufgabe des Geschäftsführers und nicht des Steuerberaters, hieraus die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen im Rahmen der Selbstprüfung, die er Kraft seiner Organstellung vornehmen müsse3. Im Vergleich zu seinen betrieblichen Kenntnissen habe der Steuerberater kein überlegenes Wissen, aus dem sich eine Hinweispflicht ergeben könne4. 1.273 Die Frage wird künftig lauten, wann beim steuerberatenden Dauermandat eine Überschreitung des üblichen Zuschnitts vorliegt. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Dauermandat den Steuerberater auch jenseits der konkret bearbeiteten Angelegenheit verpflichten kann, ungefragt über steuer- und zivilrechtliche Gestaltungen zu beraten5. Zwar hatte dies in den vom BGH entschiedenen Fällen jeweils nur steuerrechtliche Auswirkungen6. Die Tätigkeit des Steuerberaters muss jedoch nicht auf die Steuerberatung beschränkt sein, sondern umfasst häufig die Buchführungshilfe bis zur Bilanzerstellung (§ 33 Satz 2 StBerG). So wie beim steuerrechtlichen Dauermandat eine Hinweispflicht aus den ungünstigen steuerlichen Auswirkungen einer Gestaltung folgen kann7, kann sie bei der Buchführungshilfe für die Insolvenzgründe aus der Fortführungsprognose folgen, von der die handelsrechtliche Bewertung abhängt (§§ 252 Abs. 1 Nr. 2, 264 Abs. 1 HGB), was wiederum Auswirkungen auf die Ertragsteuer hat (§ 5 Abs. 1 EStG, § 8 Abs. 1 KStG). Zwar betont der BGH8 zutreffend, dass die bilanzielle Überschuldung nicht identisch ist mit der insolvenzrechtlichen. Das Ausmaß der bilanziellen Überschuldung hängt aber wiederum davon ab, ob eine die Fortführung hindernde und weitere Bewertungskorrekturen erfordernde insolvenzrechtliche Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Somit sollte auch nach den bei Rz. 1.272 erwähnten BGH-Entscheidungen gelten: Beschränkt sich der Auftrag an den Steuerberater auf rein steuerrechtliche Vorgänge bzw. bei der Buchfüh1 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, GmbHR 2013, 543; so schon vorher OLG Celle v. 10.10. 2012 – 4 U 36/12, GmbHR 2012, 1245; BGH v. 6.4.2011 – 3 U 190/10, DStR 2012, 539; OLG Köln v. 19.7.2012 – 8 U 55/11 (unveröffentlicht). 2 BGH v. 6.2.2014 – IX ZR 53/13, GmbHR 2014, 375; BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, GmbHR 2013, 543. 3 U.a. BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, GmbHR 2012, 967. 4 S. zum Ganzen die Erläuterungen der Senatsmitglieder Fischer, DB 2013, 2010, 2012 f., Kayser, ZIP 2014, 597, 601 ff. und Gehrlein, WM 2014, 226, 231. 5 BGH v. 23.2.2012 – IX ZR 92/08, GmbHR 2012, 643; BGH v. 21.7.2005 – IX ZR 6/02, DStR 2006, 160; BGH v. 19.7.2001 – IX ZR 246/00, ZIP 2001, 1819; BGH v. 11.5.1995 – IX ZR 140/94, NJW 1995, 2108; OLG Koblenz v. 15.4.2014 – 3 U 633/13, juris; OLG Köln v. 16.1.2014 – 8 U 7/13, DStR 2014, 1355. 6 BGH v. 23.2.2012 – IX ZR 92/08, GmbHR 2012, 643; BGH v. 11.5.1995 – IX ZR 140/94, NJW 1995, 2108; ebenso bei BGH v. 20.11.1997 – IX ZR 62/97, NJW 1998, 1221 und BGH v. 20.10.2005 – IX ZR 127/04, ZIP 2006, 1538. 7 BGH v. 23.2.2012 – IX ZR 92/08, GmbHR 2012, 643; BGH v. 20.10.2005 – IX ZR 127/04, ZIP 2006, 1538; BGH v. 20.11.1997 – IX ZR 62/97, NJW 1998, 1221. 8 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, GmbHR 2013, 543 Rz. 16, 18.

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rungshilfe darauf, die vom Mandanten übermittelten Daten nur technisch zu verarbeiten und zu einer Bilanz zu aggregieren, trifft ihn nach Auffassung des BGH keine insolvenzspezifische Informationspflicht. Lautet sein Auftrag hingegen, eine Bilanz zu erstellen, die i.S. von § 264 Abs. 2 HGB ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt, muss der Steuerberater im Rahmen der Fortführungsprognose gewonnene Erkenntnisse über eine Insolvenzgefahr mitteilen1. Dafür genügt der Hinweis auf einen näheren Untersuchungsbedarf, wenn ein Insolvenzgrund nicht evident ist. Der Steuerberater überschreitet damit keineswegs die Grenze zur unerlaubten Rechtsberatung2. Für sie hat er die Annexbefugnis des § 5 Abs. 1 RDG. In diesem Rahmen ist der Steuerberater sogar zur wirtschaftsberatenden und gutachterlichen Tätigkeit befugt (§ 57 Abs. 3 Nr. 3 StBerG). Die Sanierungs- und Insolvenzberatung zählt der BGH zum Berufsbild des Steuerberaters und des Wirtschaftsprüfers3. Eine Hinweispflicht besteht erst recht, wenn der Steuerberater den Eindruck er- 1.274 weckt, sich mit den Insolvenzgründen auseinandergesetzt zu haben. Beispielsweise macht die Empfehlung eines Rangrücktritts für eine Forderung nur Sinn, wenn dadurch ein Insolvenzantrag vermieden wird. Wer sich konkludent zum Insolvenzgrund äußert, muss dies wie bei einer ausdrücklichen Frage vollständig und richtig tun4. Insbesondere beinhaltet auch die Erklärung des Steuerberaters, eine im Jahresabschluss ausgewiesene Überschuldung sei „nur“ bilanzieller Natur, konkludent die Aussage, es sei keine insolvenzrechtliche Überschuldung gegeben. Trifft das nicht zu, haftet der Berater5. Es handelt sich bei solchen Erklärungen keineswegs nur um eine unverbindliche Gefälligkeit. Wegen der Bedeutung6 solcher Erklärungen muss der Mandant darauf vertrauen dürfen7. Maßgebend für Hinweispflichten ist stets das „gelebte“ Mandat. Bei mittelstän- 1.275 dischen Unternehmen ist der Steuerberater häufig der wirtschaftliche „Hausarzt“ des Unternehmens. Seine Tätigkeit geht nicht selten weit über die Buchhaltung und die Steuerberatung hinaus, indem er die Initiative zu betrieblichen Umstrukturierungen oder zu Vermögens- oder Nachfolgeplanungen ergreift. Hat sich der Steuerberater in der Vergangenheit als jemand geriert, der die Vermögensfürsorge für den Unternehmer und das Unternehmen betreibt, kann der Unternehmer auch erwarten, dass der Berater ihn auf einen Prüfungsbedarf für die Insolvenzgründe hinweist, wenn es dem Berater bekannte Anhaltspunkte für eine Krise gibt. Die Rolle des unternehmensinternen „Hausarztes“ geht weit über den üblichen Zuschnitt eines rein steuerberatenden Mandats hinaus, bei dem der BGH eine Information nicht für geboten hält.

1 2 3 4

Zugehör, WM 2013, 1965 ff.; Smid, ZInsO 2014, 1127, 1141. Baumert, ZIP 2013, 1851; Kayser, ZIP 2014, 597. BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, GmbHR 2013, 543 Rz. 20. Dazu BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, GmbHR 2013, 543 Rz. 23. Der BGH hatte aus der Empfehlung des Rangrücktritts nur deshalb keine Haftung hergeleitet, weil der Kläger sich nicht auf einen dadurch verursachten Irrtum berufen hatte. 5 BGH v. 6.2.2014 – IX ZR 53/13, GmbHR 2014, 375; BGH v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, GmbHR 2013, 934 Rz. 13. 6 Zu dieser Haftungsvoraussetzung: BGH v. 22.6.1956 – I ZR 198/54, BGHZ 21, 102. 7 BGH v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, GmbHR 2013, 934 Rz. 13.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

1.276 Was für die Steuerberater gilt, gilt für den Abschlussprüfer umso mehr, hat er doch gemäß § 322 Abs. 2 HGB im Bestätigungsvermerk sogar auf die Risiken für den Fortbestand des Unternehmens einzugehen1. Eine solche Gefährdung kann schon erheblich vor dem Eintritt der materiellen Insolvenz vorliegen. Aber nicht erst der Inhalt des Bestätigungsvermerks gibt Anlass für Hinweise auf eine Insolvenzgefahr. Originärer Gegenstand schon der vorangegangenen Prüfung ist, ob die gesetzlichen Bewertungsvorschriften eingehalten wurden (§ 317 Abs. 1 HGB). Dazu gehören insbesondere die Fortführungsprognose bei der Bewertung im Rahmen von § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB und die Darstellung aller wesentlichen Chancen und Risiken im Lagebericht (§§ 289 Abs. 1, 317 Abs. 2 HGB). Zwar ist über die Erteilung des Bestätigungsvermerks erst am Ende der Prüfung zu entscheiden, eine Redepflicht besteht aber schon vorher, da es wegen des Handlungsbedarfs keinen Grund gibt, den Redezeitpunkt hinauszuschieben. 1.277 Im Unterschied zu den Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern werden einem Rechtsanwalt die tatsächlichen Verhältnisse für den Eintritt der materiellen Insolvenz anlässlich anderer Tätigkeiten regelmäßig nicht bekannt sein. Erfährt er aber, dass der Mandant eine Verbindlichkeit nur zum Vorwand bestreitet, sie in Wirklichkeit aber gar nicht zahlen kann, muss der Anwalt über die insolvenzrechtliche Bedeutung dieses Unvermögens informieren; denn ihm obliegt die umfangreiche Wahrnehmung der rechtlichen Interessen, zu denen auch die Vermeidung der Insolvenzverschleppung gehört, wenn diese Gefahr für den rechtskundigen Berater naheliegt. Ein solcher Anlasshinweis ist unabhängig davon zu erteilen, ob der Anwalt weiß, welchen Anteil diese Verbindlichkeit an den fälligen Gesamtverbindlichkeiten hat. Im Übrigen gilt auch hier wie beim Steuerberater, dass sich aus einem Dauermandat Hinweispflichten ergeben können, wenn die Insolvenzgefahr eine Berührung zum Beratungsgegenstand hat. Das wird bei einem auf das öffentliche Recht oder das Urheberrecht beschränkten Dauermandat seltener der Fall sein als bei der laufenden unternehmensrechtlichen Betreuung. Ausgeschlossen ist eine entsprechende Obliegenheit aber auch bei den anderen Spezialmandaten nicht, bspw. wenn dem Anwalt bekannt wird, dass wegen fehlender öffentlich-rechtlicher Genehmigungen oder Lizenzen die Unternehmensfortführung gefährdet ist. 1.278 Erst recht geschuldet sind die Anlasshinweise bei einer Sanierungsberatung2, unabhängig davon, welcher Profession der Berater angehört. Sie ist nur so lange erlaubt, solange außerhalb des Insolvenzverfahrens Sanierungsmaßnahmen ergriffen werden dürfen. Das ist nicht mehr der Fall, wenn die Insolvenzantragsfrist abgelaufen ist. Allerdings muss auch hier das Insolvenzereignis in einem sachlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit stehen. Das ist sowohl wegen der Zulässigkeit rechtlicher Beratung i.S. von § 5 RDG erforderlich als auch und vor allem wegen der berechtigten Erwartung des Auftraggebers. Der allein mit der leistungswirtschaftlichen Effizienzsteigerung beauftragte Berater schuldet keinen Hinweis. Das kann sich ändern, je mehr er in die finanzwirtschaftliche Beratung „rutscht“. Je näher der Berater auftragsgemäß an den Informationen ist, die auf den Eintritt 1 Vgl. IDW PS 400, Rz. 77 ff. 2 In der Regel ist die Sanierungsberatung ein Dienstvertrag mit Geschäftsbesorgungscharakter, so dass die Haftung wegen Schlechterfüllung aus §§ 611, 675 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB folgt, Kayser, ZIP 2014, 597, 598 f.

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der Insolvenz deuten, umso stärker ist seine Hinweispflicht. Ist er beispielsweise beauftragt, Erlassvergleiche oder Moratorien mit den Gläubigern zu verhandeln, muss er darüber informieren, dass diese Verhandlungen nur innerhalb der drei Wochen des § 15a Abs. 1 InsO zulässig sind und diese Frist auch nicht durch eine wie auch immer geartete Fortführungsprognose unterlaufen werden darf1 (s. Rz. 11.2). Eine Aufklärungspflicht besteht nur bei einem entsprechenden Belehrungsbedarf. 1.279 Wer davon ausgehen darf, dass der Mandant seine Obliegenheiten kennt, muss ihn nicht informieren. Der Hinweispflichtige muss i.d.R. von der Belehrungsbedürftigkeit des Mandanten ausgehen2, und zwar auch dann, wenn der Mandant durch Dritte wie bspw. einen Genossenschaftsverband (allgemein) betreut wird3. Ist der Berater aus tatsächlichen Gründen der Auffassung, dass der Mandant die erforderlichen Kenntnisse hat, trifft ihn die Beweislast4. Maßgebend für den Belehrungsbedarf des Mandanten ist nicht dessen Ausbildungsniveau, sondern dessen konkrete Befassung mit dem Insolvenzgrund. Belehrungsbedürftig ist deshalb auch ein Rechtsanwalt, der auf die Aussagen des Beraters vertraut5, wie umgekehrt der Belehrungsbedarf fehlt, wenn der Mandant einen Dritten mit der insolvenzrechtlichen Beratung beauftragt hat. Dann greift eine Hinweispflicht nur ein, wenn der Berater positiv weiß, dass der Mandant ein Risiko nicht erkannt hat6 Sind hingegen mehrere Dienstleister im Rahmen ihrer Aufgaben informationspflichtig, haften sie als Gesamtschuldner7. Ein Ausgleich findet zwischen den Beratern statt. Der eine Berater darf dem Mandanten das Mitverschulden des anderen nicht entgegenhalten. Anders ist es bei abgestuften Pflichtenkreisen, wenn der erste Berater dem zweiten die Informationen liefert, auf denen der Zweitberater aufbauen soll. Die Tätigkeit des ersten muss dann aber der Mitwirkungspflicht des Mandanten ähneln, was bspw. auch der Fall ist, wenn er die Kontrollpflicht übernimmt, die eigentlich der Geschäftsführer8 zu erledigen hat9, wie die Plausibilitätsprüfung eines Gutachtens über Insolvenzgründe. Der Adressat des Hinweises muss ein rangangemessener Repräsentant in der Hie- 1.280 rarchie der beratenen Gesellschaft sein10. Nur ausnahmsweise reicht es aus, dass die Informationen einem anderen Dienstleister oder einem unterhalb der Geschäftsführungsebene tätigen Mitarbeiter erteilt werden. Der Berater muss aufgrund der besonderen Umstände davon ausgehen dürfen, dass die Einschaltung der Mittelsperson auch die Entgegennahme solch grundlegender Hinweise umfasst und überdies zu erwarten ist, dass sie an die handlungspflichtigen Adressa1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

BGH v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99, ZIP 2001, 33. BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, GmbHR 2012, 1009. BGH v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99, ZIP 2001, 33. BGH v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99, ZIP 2001, 33. BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, GmbHR 2012, 1009. BGH v. 21.7.2005 – IX ZR 6/02, WM 2005, 1904; BGH v. 19.7.2001 – IX ZR 246/00, ZIP 2001, 1819; BGH v. 4.5.2000 – IX ZR 142/99, WM 2000, 1591. BGH v. 19.7.2001 – IX ZR 246/00, ZIP 2001, 1819; BGH v. 20.1.1994 – IX ZR 46/93, NJW 1994, 1211; Smid, ZInsO 2014, 1127, 1139. Dazu BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, GmbHR 2012, 967. Vgl. BGH v. 20.1.1994 – IX ZR 46/93, NJW 1994, 1211; BGH v. 3.5.2001 – IX ZR 46/00, NJW 2001, 2169; BGH v. 29.11.2001 – IX ZR 278/00, NJW 2002, 1117. BGH v. 23.2.2012 – IX ZR 92/08, GmbHR 2012, 643 Rz. 12.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

ten weitergeleitet werden1. In der Praxis hat das nicht nur Bedeutung, wenn der Kontakt auf den Leiter der Buchhaltung beschränkt ist, sondern insbesondere auch dann, wenn allein mit einem von mehreren Geschäftsführern gesprochen wird, obwohl alle den insolvenzspezifischen Pflichten und Haftungen unterworfen sind. 2. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 1.281 Die Verletzung von Beratungs- und Hinweispflichten führt außer bei der GmbH als der Auftraggeberin vor allem bei deren Geschäftsführern wegen einer Insolvenzverschleppung bzw. eines Verstoßes gegen § 64 GmbHG zu Schäden. Ebenso können Gesellschafter Investitionen oder Gläubiger Forderungen verlieren. Eine vertragliche Haftung besteht in der Regel nur gegenüber dem Vertragspartner. Einen eigenen Anspruch haben Dritte nur dann, wenn sie in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen werden. Für den Berater kann das wegen einer Vervielfachung der Haftungsgläubiger und der Haftungshöhe zu einem unkalkulierbaren Risiko führen. Deshalb ist die drittschützende Wirkung des Vertrages nur unter engen Voraussetzungen anzunehmen. Entwickelt wurde der Schutz für Konstellationen, in denen der Vertragsgläubiger für das Wohl und Wehe des Dritten Sorge trägt. Von diesem personenrechtlichen Einschlag einer Fürsorge hat sich die Rechtsprechung zugunsten einer objektivierenden Betrachtung aus der Sicht verständiger Vertragspartner gelöst. Danach kommt eine Haftung gegenüber Dritten in Betracht, wenn sie bestimmungsgemäß mit dem Leistungsgegenstand in Kontakt geraten (Leistungsnähe), einen Schutzbedarf haben und ein berechtigtes Interesse des Vertragsgläubigers an deren Schutz angenommen werden kann. All das muss für den Vertragsschuldner zudem erkennbar und kalkulierbar gewesen sein2. Maßgebend ist eine verständige Würdigung des Parteiverhaltens, so dass es letztlich eine Frage der Auslegung im Rahmen der §§ 133, 157 BGB ist, ob der Vertrag Schutzwirkung für Dritte entfaltet3. 1.282 Die Haftung besonders sachkundiger Personen wird mit dem Schlagwort der „Expertenhaftung“ versehen. Sie kann zulasten derjenigen eingreifen, die wegen ihrer besonderen Fachkenntnis Erklärungen abgeben, damit Dritte darauf Vermögensdispositionen stützen4. Das gilt üblicherweise für Experten, deren Fachkenntnis durch eine besondere Zulassung bestätigt wurde. Notwendig ist die Zulassung jedoch nicht, so dass auch Unternehmensberater einer Expertenhaftung ausgesetzt sein können5. Die Einzelheiten hängen jedoch immer von der Auftragsformulierung ab, nicht von der Funktions- oder Berufsbezeichnung. 1.283 Bei einem direkt die Insolvenzprüfung betreffenden Auftrag kann der Berater je nach den Umständen im Einzelfall wissen, dass davon Kreditentscheidungen 1 BGH v. 23.2.2012 – IX ZR 92/08, GmbHR 2012, 643 Rz. 12. 2 BGH v. 13.10.2011 – IX ZR 193/10, GmbHR 2012, 97 (grundlegend); BGH v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, ZIP 2014, 972 Rz. 3 ff.; BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, GmbHR 2013, 543 Rz. 25 f.; BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, GmbHR 2012, 1009 Rz. 13 ff.; BGH v. 7.5. 2009 – III ZR 277/08, ZIP 2009, 1166. 3 BGH v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, ZIP 2014, 972 Rz. 9, 14; BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, GmbHR 2012, 1009 Rz. 19. 4 BGH v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, ZIP 2014, 972. 5 BGH v. 20.4.2004 – X ZR 250/02, ZIP 2004, 1814.

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oder Investitionen abhängen. Hingegen weiß der Berater bei originär andere Aufgaben betreffenden Tätigkeiten, aus denen sich nur die Pflicht zu Anlasshinweisen ergibt, nicht, wer von seiner Unterlassung konkret betroffen ist. Dann versagt das für den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zentrale Auslegungskriterium der erkennbaren Zweckbestimmung des Tätigkeitsergebnisses für Entscheidungen von Dritten hier. Anders sieht es nur für die Organe der Gesellschaft aus, die schon qua lege eine Entscheidung treffen müssen, wenn eine Insolvenzgefahr besteht. Die Einbeziehung weiterer Personen in den Schutzbereich des Vertrages, aus dem sich nur Pflichten zu Anlasshinweisen ergeben, weil der originäre Beratungsgegenstand nicht die Insolvenzgefahr ist, kommt deshalb nur in Betracht, wenn es dafür im Beratungsverhältnis weitere Anhaltspunkte gibt1. Zur Einbeziehung Dritter in den zwischen einer GmbH und ihrem Steuerberater 1.284 bestehenden Vertrag hat sich der BGH grundlegend in 2011 geäußert2 und in späteren Entscheidungen einige Ergänzungen vorgenommen3. Danach ist der Geschäftsführer in den Schutzbereich des Vertrages, der ausdrücklich die Prüfung eines Insolvenzgrundes bezweckt, genauso einbezogen wie der Gesellschafter; denn sowohl das Haftungsrisiko des Geschäftsführers als auch die Einbeziehung der Gesellschafter in eine Sanierung sind typische Begleiterscheinungen einer Beratung über die Einleitung bzw. Vermeidung des Insolvenzverfahrens4. Dadurch wird der Haftungsumfang zwar erheblich erweitert. So kann der Geschäftsführer einen Ausgleich für den Masseschaden i.S. von § 64 GmbHG verlangen, obwohl kein Schaden der Gesellschaft eintritt5 (s. Rz. 11.15 ff.). Gegenüber dem Gesellschafter kann eine Haftung beispielsweise bei einer sinnlosen Kapitalerhöhung eingreifen, obwohl sie bei der Gesellschaft als der eigentlichen Mandantin zu einer Vermögensmehrung führt. Ebenso kann ein Gesellschafter geltend machen, dass er die Beteiligung an der später insolventen GmbH nicht erworben hätte, wenn der Abschlussprüfer keine falsche Bilanz testiert hätte, obwohl er wusste, dass das Testat für die Entscheidung eines konkreten Investors ausschlaggebend ist6. Auch hier tritt der Schaden nur bei dem Gesellschafter, nicht aber bei der GmbH ein, deren Bilanz geprüft wurde. Das vergrößerte Schadensrisiko ist jedoch Haftungsfolge, nicht Haftungsvoraussetzung. Es spielt nur insofern eine Rolle, als es um die Frage geht, ob sich der Vertragsschuldner nach Treu und Glauben darauf einlassen muss, steht aber der Haftung nicht a priori entgegen. Maßgebend bleibt das Kriterium der Vorhersehbarkeit und Kalkulierbarkeit. Deshalb wird die Einbeziehung aller Geschäftspartner oder künftigen Investoren7 der GmbH in den ge1 Z.B. Erörterung von Sanierungsmöglichkeiten, BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, GmbHR 2012, 1009. 2 BGH v. 13.10.2011 – IX ZR 193/10, GmbHR 2012, 97. 3 S. die Erläuterungen der Mitglieder des 9. Zivilsenats: Fischer, DB 2012, 1489 ff. und DB 2013, 2070, 2073, Gehrlein, DStR 2014, 226, 228 ff. und NZG 2013, 961, 963 ff., Kayser ZIP 2014, 599 ff. 4 BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, GmbHR 2012, 1009 Rz. 25, 30. 5 Ebenso kann es sich mit der Geschäftsführerhaftung gemäß §§ 69, 34 AO verhalten, die nicht mit einem Schaden der Gesellschaft korrelieren muss, BGH v. 13.10.2011 – IX ZR 193/10, GmbHR 2012, 97. 6 BGH v. 2.4.1998 – III ZR 245/96, GmbHR 1998, 600. 7 Ablehnend: BGH v. 6.4.2006 – III ZR 256/04, ZIP 2006, 954; BGH v. 15.12.2005 – III ZR 424/04, ZIP 2006, 854.

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schützten Personenkreis abgelehnt. Das würde die Haftung auf einen unvorhersehbaren Umfang erweitern. Ebenso wenig können sich die Neugläubiger (zum Begriff s. Rz. 11.8) gegenüber dem Berater darauf berufen, dass bei pflichtgemäßem Verhalten des Beraters ein Insolvenzantrag gestellt und ein Forderungsausfall vermieden worden wäre1. Allerdings können diese Gläubiger ihren Schaden mittelbar beim Berater liquidieren, wenn sie sich einen gegen ihn gerichteten Regressanspruch des Geschäftsführers abtreten oder im Wege der Zwangsvollstreckung überweisen lassen2. 1.285 Soll hingegen ein im Vorhinein – nicht unbedingt auch schon namentlich bekannter3 – konkretisierbarer Kreis von Geschäftspartnern das Leistungsergebnis bestimmungsgemäß als vertrauensbildende Maßnahme erhalten, haftet der Berater diesen Personen gegenüber. Das ist bspw. der Fall, wenn er mit der Prüfung des Insolvenzgrundes beauftragt wird und das Gutachten in Bankenverhandlungen verwendet werden soll, und er weiß, dass seine Stellungnahme gerade deshalb erforderlich ist, weil die Bank den Aussagen allein des Geschäftsführers nicht vertraut4. Wer eine Entscheidungsgrundlage für Dritte liefert, ist auch ihnen gegenüber im Obligo5. Die Unbestimmtheit des Personenkreises tritt als Kriterium in den Hintergrund, wenn sich das Haftungsvolumen durch eine Mehrzahl von Gläubigern im Vergleich zu einem von vornherein bestimmten Personenkreis nicht erhöht. Wird durch die Stellungnahme eines Sachverständigen eine vorher noch nicht bekannte Anzahl von Kapitalanlegern für eine Projektfinanzierung geworben, die auch eine Bank hätte übernehmen können, greift die Haftung ihnen gegenüber genauso ein wie sie gegenüber der Bank eingegriffen hätte6; denn die Kalkulierbarkeit des Haftungsrisikos ist gegeben, wenn eine bestimmte Kapitalsumme in Rede steht, so dass dem Berater eine Haftung zugemutet werden kann7. Gleiches gilt für die Verwendung einer Stellungnahme gegenüber Interessenten für eine Beteiligung an der GmbH, wenn der Berater weiß, dass Dritte auf die Richtigkeit vertrauen8. Die Gegenläufigkeit der Interessen hindert die Annahme eines Drittschutzes nicht9. Geht es nur um die Argumentationsfunktion eines Gutachtens, die dem Mandanten eine Durchsetzung seiner Interessen erleichtern

1 BGH v. 18.2.1987 – IVa ZR 232/85, GmbHR 1987, 463; OLG Köln v. 19.7.2012 – 8 U 55/11 (n.v.). Anders verhält es sich mit der deliktischen Haftung, wenn der Berater an einer vorsätzlichen Insolvenzverschleppung mitwirkt (§§ 823 Abs. 2, 830 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO). 2 Der Regressanspruch rührt daher, dass der Geschäftsführer den Neugläubigern gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO auf Schadensersatz haftet (Rz. 11.8 ff.). 3 BGH v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, ZIP 2014, 972; BGH v. 20.4.2004 – X ZR 250/02, ZIP 2004, 1814; BGH v. 13.11.1997 – X ZR 144/94, ZIP 1998, 556. 4 Vgl. BGH v. 19.12.1996 – IX ZR 327/95, ZIP 1997, 419. 5 BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, ZIP 2012, 1353 Rz. 18 = GmbHR 2012, 1009. 6 BGH v. 20.4.2004 – X ZR 250/02, ZIP 2004, 1814. 7 BGH v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, ZIP 2014, 972. 8 BGH v. 6.4.2006 – III ZR 256/04, ZIP 2006, 954; BGH v. 2.4.1996 – III ZR 245/96, ZIP 1998, 826 = GmbHR 1998, 600. 9 BGH v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, ZIP 2014, 972. Zu den drittschützenden Wirkungen und dem Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen einer von einem Rechtsanwalt erarbeiteten „Third Party Legal Opinion“: Ganter, NJW 2014, 1771, 1772 ff.

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Warnpflichten und Haftung von WP, StB, RA

1.288

soll, werden die Interessen allein des Mandanten, nicht des Dritten wahrgenommen. Zur Haftung des Erstellers der Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 InsO s. Rz. 9.100 ff. Eine der häufigsten Verletzungen der Hinweispflichten tritt im Zusammenhang 1.286 mit der Abschlussprüfung auf, weil die Fortführungswerte nur angesetzt werden dürfen, wenn keine Insolvenz droht. § 323 Abs. 1 Satz 3 HGB nennt als einzige ersatzberechtigte Dritte nur verbundene Unternehmen. Einer Haftung gegenüber anderen Dritten steht das jedoch nicht entgegen. Sie beruht auf einer im Wege der Auslegung gewonnenen Vertragserweiterung, die allerdings wegen der die beiderseitigen Erwartungen prägenden gesetzlichen Haftungsbegrenzung nur mit Zurückhaltung angenommen werden darf1. Da der Dritte in den Schutzbereich des Vertrages „hineingeholt“ wird, an dessen 1.287 Abschluss er nicht beteiligt ist, muss er sich auch gefallen lassen, dass im Vertrag die Dritthaftung ausgeschlossen oder begrenzt wird2. Ein Ausschluss durch AGB wird freilich an § 307 Abs. 1 BGB scheitern; denn die Grundlage der Dritthaftung ist letztlich die Auslegung des Vertrages gemäß §§ 133, 157 BGB. Was sich aber nach Treu und Glauben als Haftung ergibt, kann nicht zugleich via AGB ohne Verstoß gegen Treu und Glauben ausgeschlossen werden3. Das gilt jedenfalls für den Schutzbereich in persönlicher Hinsicht. Der Höhe nach ist eine Haftungsbegrenzung auch in AGB möglich, wenn dies nicht treuwidrig zu einem Leerlaufen der Dritthaftung führt. Gesetzliche Haftungsbeschränkungen wie die in § 323 Abs. 2 HGB für den Abschlussprüfer gelten auch gegenüber dem Dritten, weil gegenüber ihm nicht umfangreicher gehaftet werden kann als gegenüber der zu prüfenden Gesellschaft4. Auch sind individualvertragliche Haftungsbegrenzungen zulässig, solange ein Dritter nicht im Vertrauen auf die Einbeziehung in den Schutzbereich getäuscht wird. 3. Schaden Der Schaden der GmbH infolge unterbliebener oder falscher Hinweise besteht 1.288 meist – zu Ausnahmen s. sogleich bei der Kausalität – in der Vermögensminderung, die durch einen früher gestellten Insolvenzantrag vermieden worden wäre. Zwar hat eine wegen Überschuldung antragspflichtige GmbH kein (positives) Reinvermögen mehr, so dass ein „Überschuldungsvertiefungsschaden“5 wirtschaftlich allein zu Lasten der Gläubiger geht. Der Schaden ist jedoch normativ zu bemessen6. Eine überschuldete GmbH ist genauso wenig wie eine überschuldete natürliche Person ein ungeschützter „Outlaw“. Da jeder Schuldner seine Verbindlichkeiten erfüllen muss, hat er trotz Überschuldung ein rechtliches Interesse an einer möglichst hohen Quote, zumal damit die Aussichten auf einen In1 BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, GmbHR 2012, 1009; BGH v. 6.4.2006 – III ZR 256/04, ZIP 2006, 954; BGH v. 2.4.1998 – III ZR 245/96, ZIP 1998, 826 = GmbHR 1998, 600. 2 BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, GmbHR 2012, 1009. 3 BGH v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, ZIP 2014, 972. 4 BGH v. 2.4.1998 – III ZR 245/96, ZIP 1998, 826 = GmbHR 1998, 600. 5 BGH v. 20.3.2014 – IX ZR 293/12, juris. 6 Vgl. die ähnlichen Überlegungen zu §§ 30 f. GmbHG: BGH v. 5.2.1990 – II ZR 114/89, ZIP 1990, 451 = GmbHR 1990, 249.

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1.289

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

solvenzplan steigen. Der gemäß § 249 BGB zu ermittelnde Schaden entspricht der Differenz zwischen dem Ergebnis eines hypothetisch früheren und dem tatsächlich späteren Insolvenzverfahren1. Es reicht nicht etwa aus, wie bei der Vorbelastungshaftung2 das bilanzielle Eigenkapital an zwei Stichtagen gegenüberzustellen. Maßgebend sind nicht die Buchwerte, sondern die im Insolvenzverfahren realisierbaren Werte. Ein solcher Vergleich ist ähnlich wie die Ermittlung des Quotenverringerungsschadens, den die Insolvenzgläubiger durch eine Insolvenzverschleppung erleiden (s. Rz. 11.17), mit erheblichen Unsicherheiten belastet. Die Planung der alternativen Szenarien ist aufwendig und scheitert in der Praxis nicht selten an unzulänglichen Daten und vor allem an den Kosten, die aus der Masse nicht gedeckt werden können. Nur bei weitgehend statischen Vermögensverhältnissen ohne laufenden Geschäftsbetrieb ist die Ermittlung relativ einfach. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Forderungen, die ein früher tätig gewordener Verwalter noch realisiert hätte, wegen Verjährung nicht mehr durchsetzbar sind, oder wenn neue Verbindlichkeiten auflaufen, die bei einer Kündigung vermieden worden wären, wobei dann allerdings zu berücksichtigen ist, dass bei Laufzeiten, die die insolvenzrechtliche Kündigungsfrist überschreiten, der Vermieter den Verfrühungsschaden als Insolvenzforderung geltend machen kann (§ 113 InsO). Da der Schaden bei der GmbH auf einem Gesamtvermögensvergleich beruht, kommt es nicht allein auf die Verringerung der künftigen Insolvenzmasse an. Insofern unterscheidet sich der Überschuldungsvertiefungsschaden vom Quotenverringerungsschaden. Ein weiterer Unterschied ist, dass insolvenzspezifische Ansprüche bspw. Ansprüche aufgrund von § 64 GmbHG oder insolvenzrechtlicher Anfechtung zwar die Masse und damit die Quote erhöhen, nicht aber das hier zugrunde zu legende Reinvermögen verändern, soweit die Haftungsschuldner im Gegenzug zur Zahlung an die Masse eine Insolvenzforderung in gleicher Höhe erhalten (z.B. § 144 InsO; § 64 GmbHG s. Rz. 11.38). 1.289 Wesentlich einfacher ist der Schaden Dritter zu ermitteln, der bei einer drittschützenden Wirkung des Beratungsvertrages geltend gemacht werden kann. Das betrifft vor allem die Geschäftsführer wegen der Belastung mit persönlichen Haftungsverbindlichkeiten aufgrund eines Verstoßes gegen § 64 GmbHG bzw. der Verletzung der gläubigerschützenden Insolvenzantragspflicht, das betrifft aber auch die Gesellschafter wegen (eigenkapitalersetzender) Leistungen, die sie bei rechtzeitiger Information über die Insolvenzgefahr vermieden hätten. In der Praxis lässt sich regelmäßig der Insolvenzverwalter diese Rückgriffsansprüche abtreten oder im Wege der Zwangsvollstreckung überweisen, weil die der schuldnerischen GmbH nahestehenden Dritten wegen der Belastung mit anderen Verbindlichkeiten häufig nicht leistungsfähig sind. Anders ist das bei außenstehenden Dritten wie insbesondere Kreditgebern, deren Schaden durch Forderungsausfall zudem leicht beziffert werden kann. 4. Kausalität, Beweislast 1.290 In der Praxis bilden Äußerungen zum Insolvenzgrund bei bilanzieller Überschuldung den Regelfall. Deshalb ist die Informationspflicht eher eine Nachweis- als eine Rechtsfrage. Die Beweislast für das Bestehen einer Hinweispflicht liegt 1 BGH v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, GmbHR 2013, 934 Rz. 28. 2 Dazu Karsten Schmidt in Scholz, § 11 GmbHG Rz. 144.

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Warnpflichten und Haftung von WP, StB, RA

1.292

beim Geschädigten. Dem kann er leicht nachkommen, wenn der Auftrag ausdrücklich die Insolvenzprüfung betrifft. Schwierig wird es hingegen bei der Verpflichtung zur Erteilung von Anlasshinweisen. Dazu muss der Umfang des „gelebten Mandats“ nachgewiesen werden. Ebenso muss der Geschädigte beweisen, dass der Berater die erforderlichen Hinweise nicht erteilt hat, wobei es im Rahmen der sekundären Behauptungslast erst einmal dessen Aufgabe ist darzulegen, wann und in welcher Form er seiner Pflicht nachgekommen sein will1. Erst wenn er das getan hat, kommt die Beweislast beim Geschädigten für das Gegenteil zum Tragen. Für die haftungsbegründende Kausalität zwischen Beratungsfehler und Schaden 1.291 gilt die Vermutung beratungsgemäßen Verhaltens2. Dieser Anscheinsbeweis versagt allerdings bei Verhaltensalternativen, wenn außer dem Insolvenzantrag auch noch eine Sanierung in Betracht gekommen wäre3. Dann muss der Schadensersatzgläubiger darlegen, welche Maßnahme ergriffen worden wäre, wobei gemäß § 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO eine Vernehmung des Geschäftsführers auch als Partei zulässig ist4, wenn nicht der Insolvenzverwalter ohnehin den Prozess führt, in dem der Geschäftsführer Zeuge ist. Eine Sanierung kann von vornherein bspw. wegen eines fehlenden Sanierungswillens scheitern, oder fehlender Sanierungsbeiträge der Gesellschafter bzw. Gläubiger ausgeschlossen sein. In der Praxis wird eine Verweigerung von Sanierungsbeiträgen wegen der „Rückschauverzerrung“5 häufig leicht nachzuweisen sein, weil im Nachhinein keiner behaupten wird, er hätte angesichts der tatsächlich eingetretenen Insolvenz vorher auf Forderungen verzichtet bzw. neue Einlagen erbracht. Ist die Drei-Wochen-Frist des § 15a Abs. 1 InsO im Zeitpunkt der Pflichtverletzung schon verstrichen, bleibt als Verhaltensalternative nur der Insolvenzantrag, ggfls. nach einer vorgeschalteten gesonderten Prüfung des Insolvenzgrundes. Geschäftsführer beantragen die Insolvenzeröffnung allerdings häufig auch dann nicht, wenn ihnen die Verpflichtung später bekannt wird. Der Anscheinsbeweis wird dadurch entkräftet. Es kann nicht unterstellt werden, dass der Geschäftsführer nur wegen zu später Kenntnis keinen Insolvenzantrag gestellt hätte, wohl aber bei früherer, weil dann im Rahmen des Insolvenzverfahrens noch höhere Sanierungschancen bestanden hätten. Die naturwissenschaftliche Kausalität eines Beratungsfehlers wird durch die wer- 1.292 tende Betrachtungsweise der Adäquanz und des Schutzzwecks der Norm begrenzt6. Eine Vertiefung der Überschuldung durch eine Geschäftsführung, die grob gegen die Sorgfaltsanforderung des § 43 Abs. 1 GmbHG verstößt, indem wirtschaftlich unvertretbare Risiken eingegangen werden, ist nicht ausgleichspflichtig7. 1 BGH v. 11.5.2006 – III ZR 205/05, ZIP 2006, 1449; Buck-Heeb, ZIP 2013, 1401, 1406; a.A. Einsele, ZRP 2014, 190, 191. 2 BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, GmbHR 2012, 1009 Rz. 39. 3 BGH v. 16.7.2015 – IX ZR 197/14, WM 2015, 1622; BGH v. 15.5.2014 – IX ZR 267/12, ZIP 2014, 1490; BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, GmbHR 2012, 1009 Rz. 40; s. auch OLG Koblenz v. 15.4.2014 – 3 U 633/13, DStR 2015, 965; OLG Köln v. 16.1.2014 – 8 U 7/13, DStR 2014, 1355. 4 BGH v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, GmbHR 2013, 934 Rz. 17. 5 Zur psychologischen Bedeutung rückwirkender Beurteilungen: Falk/Alles, ZIP 2014, 1209. 6 BGH v. 10.7.2012 – VI ZR 127/11, NJW 2012, 2964 Rz. 12 f. 7 BGH v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, GmbHR 2013, 934 Rz. 24.

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1.293

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

1.293 Bei der haftungsausfüllenden Kausalität, also dem durch den Beratungsfehler verursachten Schadensumfang, wird die Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten durch die Möglichkeit der Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO erleichtert, die zu nutzen der BGH gerade im Zusammenhang mit der Beraterhaftung betont1. 5. Mitverschulden 1.294 Jede Haftung kann wegen Mitverschuldens gemindert werden (§ 254 BGB). Natürlich darf ein Auftragnehmer, der die Insolvenzantragspflicht prüfen soll, nicht einwenden, dass auch die Geschäftsführung ihre Selbstprüfungspflicht verletzt und er deshalb nur einen Teil des Schadens zu tragen habe. Es wäre widersprüchlich, einerseits die Delegation dieser Aufgabe zu akzeptieren, die Haftung dann aber via Mitverschulden zurück zu delegieren2. Anders ist es, wenn die GmbH den Auftragnehmer unvollständig informiert oder bei der erforderlichen Plausibilitätskontrolle3 erkennbare Fehler nicht moniert. Von diesen Ausnahmen abgesehen, kommt eine Haftungsminderung bei direkt die Insolvenzprüfung betreffenden Aufträgen nicht in Betracht. Die Aufträge hingegen, aus denen die Verpflichtung zu Anlasshinweisen erwachsen, sind gerade nicht auf die Insolvenzprüfung gerichtet. Die GmbH muss sich hier ein Mitverschulden der Geschäftsführer gemäß § 31 BGB zurechnen lassen. Sind auch Dritte befasst mit der Sache, aus deren Bearbeitung die Pflichtverletzung des Beraters resultiert (Angestellte, andere Berater), erfolgt die Zurechnung über § 278 BGB. Anders verhält es sich, wenn Dritte als Berater in einem eigenen Pflichtenkreis (z.B. Bilanzersteller und Bilanzprüfer) tätig sind. Sie haften als Gesamtschuldner mit Ausgleich untereinander, nicht aber mit Haftungsminderung durch Mitverschulden des Mandanten (s. Rz. 1.279). 1.295 Die Haftungsquote beruht auf einer Abwägung zwischen den normativen Anforderungen an die eigene Sorgfalt, insbesondere also auf die Abwägung zwischen der in der Krise eingreifenden Selbstprüfungspflicht der Geschäftsführung, und der Schwere des Beratungsfehlers. Auch wenn der Geschäftsführer nicht weiß, dass er in der Krise ständig die Antragspflicht prüfen muss, gehört dies dennoch zur normativ geforderten Sorgfalt4, deren Verletzung ihm angelastet werden kann. Je stärker der Mandant auf eine Belehrung durch den Berater vertrauen darf, umso weiter tritt die Selbstprüfungspflicht hinter die Belehrungspflicht zurück. Von dieser normativen Betrachtung der Anforderungen an die eigene Sorgfalt des Mandanten zu unterscheiden ist der Belehrungsbedarf. Er betrifft nicht erst das Mitverschulden, sondern schon den Haftungsgrund, die Frage nämlich, ob der Berater den Mandanten überhaupt aufklären muss (oben Rz. 1.279). 1.296 Beratungsfehler außerhalb insolvenzbezogener Anlasshinweise, bei deren Vermeidung der Geschäftsführer einen Anlass zur eigenen Prüfung der Insolvenzreife gehabt hätte, werden in der Regel nur von einem geringen Mitverschulden begleitet sein, so bspw. wenn statt einer bilanziellen Überschuldung ein so hohes Eigen1 BGH v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, GmbHR 2013, 934 Rz. 25. 2 Vgl. BGH v. 19.2.2015 – III ZR 90/14, ZIP 2015, 934 Rz. 13 (zur Anlageberatung). 3 Zur Informations- und Überprüfungspflicht s. BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, GmbHR 2012, 746. 4 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, GmbHR 2013, 543 Rz. 21; BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, GmbHR 2012, 967.

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Warnpflichten und Haftung von WP, StB, RA

1.299

kapital bescheinigt wird, dass der Geschäftsführer keine Veranlassung zur Krisenprüfung hat. Gleiches gilt für einen Anwalt, der fehlerhaft den rechtlichen Bestand grundlegender Betriebsgenehmigungen oder für einen technischen Berater, der fehlerhaft die Funktionsfähigkeit von Betriebsanlagen bestätigt. Von Bedeutung wird all das nur bei einer Haftung des Beraters gegenüber Dritten sein, weil es beim Geschäftsführer schon am Verschulden für eine insolvenzspezifische Haftung fehlt. Eine Haftungsminderung wegen Mitverschuldens der GmbH wirkt sich nicht nur 1.297 auf deren eigene Ansprüche aus, sondern gleichermaßen auch auf die Ansprüche Dritter, die in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen werden; denn Grundlage der Haftung bleibt der zweiseitige Vertrag mit den zweiseitigen Rechten und Pflichten von Berater und GmbH1. 6. Verjährung Ein Insolvenzgrund tritt häufig lange vor dem Insolvenzantrag auf. Bis zur Bear- 1.298 beitung der Haftungsansprüche durch den Insolvenzverwalter können Jahre vergehen. Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre. Die früheren spezialgesetzlichen Regelungen für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte gibt es nicht mehr. Die Frist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erlangt bzw. ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Zu den anspruchsbegründenden Umständen gehört auch die Kenntnis von der Pflichtverletzung des Steuerberaters. Der Schadensersatzgläubiger muss also wissen können, dass der Berater auf einen Insolvenzgrund hätte hinweisen sollen bzw. den erforderlichen Hinweis unterlassen hat2. Da der Laie in der Regel nicht gehalten ist, die Rechtsanwendung des Beraters zu überprüfen3, wird die Verjährung erst beginnen, wenn er weitere Anhaltspunkte hat. Allein der Eintritt eines Schadens reicht dafür nicht aus. Der Geschädigte muss auch noch wissen können, dass dieser Schaden auf einer Pflichtverletzung beruht. Deshalb wird dem Insolvenzverwalter eine grob fahrlässige Kenntnis der Pflichtwidrigkeit eher anzulasten sein, so dass ein Haftungsanspruch der Masse gegen den Berater durchaus früher verjähren kann als ein etwaiger Rückgriffsanspruch eines im Schutzbereich des Beratungsvertrages stehenden Dritten. Außer der Pflichtwidrigkeit als dem haftungsbegründenden Umstand muss auch 1.299 der Schaden bekannt sein können, wobei es ausreicht, dass eine Feststellungsklage für einen erst noch zu beziffernden Schaden zulässig ist4. Besteht der Schaden in einer Verbindlichkeit z.B. aufgrund einer Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG, steht der Geschäftsführer vor dem Dilemma, zur Vermeidung des Verjährungseintritts den Steuerberater etc. in Anspruch zu nehmen, obwohl der Verwalter noch keine Ansprüche geltend gemacht hat; denn im Verhältnis zum Verwalter gilt eine (kenntnisunabhängige) längere Verjährung von fünf Jah1 BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, GmbHR 2012, 1009 Rz. 35. 2 BGH v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, ZIP 2014, 972; BGH v. 6.2.2014 – IX ZR 217/12, ZIP 2014,1030; BGH v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, ZIP 2014, 624. 3 BGH v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, ZIP 2014, 972 Rz. 26. 4 St. Rspr., u.a. BGH v. 27.5.2008 – XI ZR 132/07, ZIP 2008, 1268 Rz. 32.

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1.300

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

ren (§ 64 GmbHG i.V.m. § 43 Abs. 4 GmbHG). Eine Inanspruchnahme durch ihn ist für den Beginn der Verjährungsfrist gegenüber dem Berater nicht maßgebend, weil der Schaden bereits mit der Belastung durch die Haftung eingetreten ist. Der Geschäftsführer muss also entweder eine Feststellungsklage auf Befreiung von der drohenden Verbindlichkeit einreichen – selbst auf die Gefahr, dass er den Verwalter dann erst darauf hinweist – oder einen Einredeverzicht mit dem Berater vereinbaren. 1.300 Beim Vertrag zugunsten Dritter reicht für den Verjährungsbeginn ebenfalls das Kennenkönnen des Schadens und der Pflichtverletzung. Da ein Schadensersatzgläubiger nicht zusätzlich auch die rechtliche Würdigung über den Bestand eines Haftungsanspruchs vornehmen muss, muss der Dritte nicht wissen, dass er in den Schutzbereich des mit der GmbH geschlossenen Vertrages einbezogen ist1. Allerdings muss er die diese Einbeziehung rechtfertigenden Tatsachen kennen können. 1.301–1.310

vacat

1 BGH v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, ZIP 2014, 972 Rz. 26.

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Bankgeschäfte – Grundlagen

1.313

D. Bankgeschäfte in der Unternehmenskrise I. Grundlagen 1. Die maßgeblichen Themen Spätestens mit dem Eintritt der Krise bei einer GmbH stellt sich für das Kredit- 1.311 institut, das die Bankgeschäfte für diesen Kunden abwickelt, die Frage, ob und inwieweit Bankgeschäfte im Insolvenzverfahren der GmbH rechtsbeständig bleiben würden. Grund sind insbesondere die insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften der §§ 129 ff. InsO, die nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens dem Insolvenzverwalter erlauben, Geschäftsvorfälle, die vorher – also in der Krise – abgewickelt wurden, rückgängig zu machen. In der Praxis betrifft dies vor allem den Zahlungsverkehr der anschließend insolventen GmbH und die für die Kreditverbindlichkeiten der GmbH gestellten Sicherheiten. In fast jedem Insolvenzverfahren wird der Insolvenzverwalter auf Grundlage der Anfechtungsvorschriften versuchen, Zahlungsverkehrsvorgänge sowie die Bestellung von Kreditsicherheiten aus Zeiten der Krise vor der Verfahrenseröffnung im dann eröffneten Verfahren rückgängig zu machen. Daher müssen vorausschauend der Zahlungsverkehr (unten bei Rz. 1.312 ff.) und die Kreditbesicherung mit einer GmbH (unten bei Rz. 1.353 ff.) in der Krise daraufhin betrachtet werden, welche Auswirkungen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf diese Geschäfte hätte. Soweit das Kreditinstitut der insolvenzbedrohten GmbH mit Darlehen zur Verfügung steht, ist auch zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung möglich ist (unten bei Rz. 1.449 ff.), um so einen drohenden Ausfall bei Eintritt der Insolvenz des Kreditnehmers zu vermeiden. 2. Zahlungsverkehr in der Krise Angesichts der großen Bedeutung, die dem bargeldlosen Zahlungsverkehr – also 1.312 der Abwicklung von Zahlungsein- und -ausgängen über Konten bei Kreditinstituten – im Wirtschaftsleben zukommt, ist es nicht verwunderlich, dass Insolvenzverwalter fast immer prüfen, ob die Abwicklung des Zahlungsverkehrs des Schuldners vor dem Insolvenzverfahren in der Krise rechtmäßig und insolvenzfest erfolgt ist. Im Verhältnis zwischen der GmbH als Kontoinhaber und dem kontoführenden Kreditinstitut geht es meist um zwei Fragen: Erstens ist zu prüfen, ob und bis zu welchem Zeitpunkt das kontoführende Kreditinstitut die bei ihm zu Gunsten der GmbH eingegangenen Zahlungen „behalten“, also mit einem Sollsaldo oder einer sonstigen Kreditverbindlichkeit der GmbH insolvenzfest verrechnen kann. Zweitens muss beantwortet werden, inwieweit der Insolvenzverwalter Zahlungsausgänge, die auftrags des Kontoinhabers zu Lasten eines Kontoguthabens der GmbH oder durch Krediterhöhung erfolgt sind, gegen die Masse gelten lassen muss (zum Zahlungsverkehr im Insolvenzeröffnungsverfahren s. unten Rz. 5.265 ff. und im eröffneten Verfahren s. unten Rz. 7.531 ff.).

II. Zahlungseingänge Gehen zu Gunsten des Kontos einer GmbH, die sich in der Krise befindet, bei dem 1.313 kontoführenden Kreditinstitut Zahlungen ein, stellen sich zwei Fragen: Kuder/Unverdorben

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1.314

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

– Zum einen muss geklärt werden, ob das kontoführende Kreditinstitut die eingehende Zahlung dem Konto der GmbH noch gutschreiben muss bzw. darf. – Zum anderen fragt sich, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet worden ist, ob und bis zu welchem Zeitpunkt das Kreditinstitut eingehende Zahlungen mit einem debitorischen Kreditsaldo oder mit anderen Forderungen insolvenzfest verrechnen durfte1. 1. Berechtigung und Verpflichtung zur Gutschrift des Zahlungseingangs 1.314 Werden an eine GmbH in der Krise Zahlungen von Dritten bargeldlos auf ein Konto der GmbH geleistet, so ist das kontoführende Kreditinstitut gegenüber der GmbH berechtigt und verpflichtet, die Gelder gutzuschreiben2. Dies folgt aus dem der Kontoführung zu Grunde liegenden Zahlungsdiensterahmenvertrag im Sinne des § 675f Abs. 2 BGB, wie das Gesetz heute den klassischen Girovertrag bezeichnet. Ergänzt wird der Zahlungsdiensterahmenvertrag um eine Kontokorrentabrede (§ 355 HGB entsprechend), durch die eine Verrechnung der einzelnen Buchungsposten erst am Ende der vereinbarten Rechnungsperiode im Rahmen eines Rechnungsabschlusses erfolgt, der dann einen kausalen Saldo zu Gunsten des Kontoinhabers oder zu Gunsten des Kreditinstituts ausweist; die aus den Kontoauszügen oder online ersichtliche fortlaufende Saldierung bedeutet noch keine Verrechnung, sondern lediglich eine Information über die Buchungsposten3. Der Zahlungsdiensterahmenvertrag verpflichtet das Kreditinstitut, den Zahlungsdienstleister, für den Kunden, den Zahlungsdienstnutzer, ein Konto, das Zahlungskonto, einzurichten, eingehende Zahlungen auf dem Konto gutzuschreiben4 und erteilte Überweisungsaufträge zu Lasten dieses Kontos abzuwickeln5. Dieser Zahlungsdiensterahmenvertrag bleibt in der Krise bestehen, selbst nach einem Antrag des Kontoinhabers auf Insolvenzeröffnung und Anordnung eines Verfügungsverbot, denn der Zahlungsdiensterahmenvertrag ist eine besondere Form des Geschäftsbesorgungsvertrages. Für solche Verträge ordnen §§ 115, 116 InsO das Erlöschen erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens an6. 2. Unanfechtbare Verrechnung von Zahlungseingängen 1.315 Da das kontoführende Kreditinstitut berechtigt und verpflichtet ist, eingehende Zahlungen dem Konto der insolvenzbedrohten GmbH gutzuschreiben, stellt sich weiter die Frage, inwieweit das Kreditinstitut solche Zahlungseingänge mit 1 Dazu im Überblick auch Brandes/Lohmann in Münchener Kommentar zur InsO, § 96 InsO Rz. 32 ff.; Stapper/Jacobi, BB 2007, 2017. 2 Dazu eingehend Steinhoff, ZIP 2000, 1141; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.1 ff. 3 Mayen in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 47 Rz. 68 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.1. 4 Zur Berechtigung des Kreditinstituts zur Gutschrift im Verhältnis zum Überweisungsauftraggeber ausführlich Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.100 ff.; zur Verpflichtung des Kreditinstituts zur Gutschrift im Verhältnis zum Überweisungsbegünstigten ausführlich Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.136 ff. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.7 ff. 6 BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 47/05, WM 2008, 1442; BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 227/04, WM 2006, 194 ff.

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Kuder/Unverdorben

Bankgeschäfte – Zahlungseingänge

1.316

einem debitorischen Saldo des Kontoinhabers verrechnen darf und ob eine solche Verrechnung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch gegenüber dem Insolvenzverwalter zu Lasten der Masse Bestand hat1. Dabei gilt im Ausgangspunkt, dass die Verrechnung mit einem debitorischen Saldo auf demjenigen Konto, auf dem die Zahlungen eingehen, zunächst automatisch mit dem nächsten Rechnungsabschluss auf Grund der antizipierten Verrechnungsabrede aus dem Zahlungsdiensterahmenvertrag erfolgt. Ist die antizipierte Verrechnungsabrede wegen der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots im Antragsverfahren erloschen, bleibt dem Kreditinstitut die Möglichkeit, die Verrechnung durch ausdrückliche Erklärung der Aufrechnung vorzunehmen. Beide Möglichkeiten der Verrechnung laufen jedoch im Ergebnis auf das gleiche wirtschaftliche Ergebnis hinaus, da stets zu prüfen ist, ob zum Zeitpunkt des Zahlungseingangs der Verrechnung Anfechtungsgründe entgegenstanden. Denn liegt ein Anfechtungsgrund vor, kann entweder die Verrechnung auf Grund der Kontokorrentabrede angefochten werden, oder die Aufrechnung ist nach § 96 Nr. 3 InsO ausgeschlossen, da das Kreditinstitut die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Eine Anfechtung scheidet von vorneherein aus, wenn das Konto bei Zahlungseingang ein Guthaben aufweist oder es sich bei dem Zahlungseingang um die Wiedergutschrift eines widerrufenen Überweisungsauftrags handelt2. Im Fall des Einsatzes einer Kreditkarte als Barzahlungsersatz ist die Deckungsanfechtung nur gegen das Vertragsunternehmen und nicht gegen das die Karte ausstellende Kreditinstitut möglich3. Im Übrigen ist die Anfechtung der Verrechnung ausgeschlossen, wenn die Forderung, auf die der Überweisungsauftraggeber zahlt, an das Kreditinstitut abgetreten ist oder das Kreditinstitut den Kontoinhaber in Höhe der Zahlungseingänge wieder verfügen lässt. a) Sicherungsabtretung der Zahlungsansprüche Die Anfechtbarkeit der Verrechnung eines Zahlungseingangs zu Gunsten der 1.316 GmbH mit einem debitorischen Saldo auf deren Konto ist zum einen stets ausgeschlossen, wenn die Forderung, die der Zahlungsauftraggeber begleichen wollte, dem kontoführenden Kreditinstitut anfechtungsfrei zur Sicherheit abgetreten war4. Denn alle Anfechtungstatbestände setzen gemäß § 129 InsO voraus, dass die Insolvenzgläubiger in ihrer Gesamtheit objektiv benachteiligt werden. Hieran fehlt es, wenn ein Gläubiger Befriedigung oder Deckung erhält, die nach der besonderen Fallgestaltung auch der Insolvenzverwalter hätte gewähren müssen, denn dann erhält der betreffende Gläubiger nicht etwas zu Lasten der Masse. Dementsprechend scheidet eine Anfechtung aus, wenn das kontoführende Kreditinstitut durch die Verrechnung des Zahlungseingangs nur das erhalten hat, was dem Institut auf Grund der Sicherungszession ohnehin zugestanden hätte. 1 2 3 4

Dazu im Überblick auch Zuleger, ZInsO 2002, 49 ff. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.141. BGH v. 23.10.2014 – IX ZR 290/13, ZInsO 2014, 2359 mit Anm. Huber, NZI 2015, 24. BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 47/05, WM 2008, 1442; BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 144/05, WM 2008, 1512; BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 360/99, WM 2002, 2369. Im Überblick Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 108d, 150, 156. Ausführlich zur Bedeutung einer Sicherungszession für die Anfechtung von Zahlungseingängen im Kontokorrent Streit/Jordan, Anfechtbarkeit von Kontokorrentverrechnungen und Sicherungs-Globalzession in der Insolvenz des Kontoinhabers, DZWIR 2004, 441, 446 ff.

Kuder/Unverdorben

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1.317

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

Weil schon die Grundvoraussetzung jeglicher Insolvenzanfechtung nach § 129 InsO, nämlich die Gläubigerbenachteiligung fehlt1, kommt es im Übrigen nicht darauf an, ob der Zahlungseingang auf die abgetretene Forderung wegen Fälligkeit des Kreditsaldos eine kongruente oder mangels Fälligkeit eine inkongruente Deckung war2. Ebenso ist es unerheblich, ob die Zession im Zeitpunkt des Zahlungseingangs bereits aufgedeckt war oder noch still behandelt wurde. Denn dies ist nur für die Frage von Bedeutung, ob der Drittschuldner durch die Zahlung auf das Konto seines ursprünglichen Gläubigers mit befreiender Wirkung gegenüber dem Zessionar leisten konnte und ob etwaige verlängerte Eigentumsvorbehalte untergehen, hat aber auf die materielle Berechtigung des Kreditinstituts keinen Einfluss. Zwar erlischt bei einer stillen Zession auf Grund der Zahlung des Drittschuldners auf das Konto seines Gläubigers die abgetretene Forderung; gleichzeitig erwirbt das Kreditinstitut jedoch ein Pfandrecht nach Nr. 14 Abs. 1 AGB Banken an dem Anspruch aus der Gutschrift3. Der Tausch der einen Sicherheit gegen eine andere gleichwertige Sicherheit benachteiligt die Gläubiger nicht4. 1.317 Erfolgt ein Zahlungseingang von einem Drittschuldner des Kontoinhabers auf eine Forderung, die dem kontoführenden Kreditinstitut zur Sicherheit abgetreten ist, insbesondere im Wege der Globalzession, scheidet daher eine Anfechtbarkeit wegen fehlender Gläubigerbenachteiligung aus. Etwas anderes kann ausnahmsweise nur dann gelten, wenn das Kreditinstitut auch schon sein Absonderungsrecht auf Grund der Zession in anfechtbarer Weise erworben hat. Soweit es sich um eine Globalzession handelt, die auch die Abtretung künftiger Forderungen vorsieht, ist dabei maßgeblicher Zeitpunkt nicht (nur) der Abschluss des Globalzessionsvertrages. Vielmehr ist gemäß § 140 Abs. 1 InsO auch später für jede einzelne von der Globalzession erfasste Forderung zu prüfen, ob zum Zeitpunkt ihrer Entstehung oder ihres Werthaltigwerdens die Abtretung oder das Werthaltigmachen der Forderung5 anfechtbar sind. Dabei scheidet aber eine Anfechtung nach § 131 InsO aus, weil es sich bei der Abtretung der einzelnen Forderungen unter einem Globalzessionsvertrag jeweils um eine kongruente Deckung handelt6.

1 Die Bedeutung der Gläubigerbenachteiligung gerade auch für die Anfechtbarkeit bei der Verrechnung von Zahlungsein- und -ausgängen betont BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, WM 2002, 951. 2 Die eine Insolvenzanfechtung ausschließende Bedeutung der fehlenden Gläubigerbenachteiligung bei Zahlungseingängen und sicherungshalber abgetretene Forderungen übersieht Feuerborn, ZIP 2002, 290, 294 ff., die deshalb fälschlich nach Fälligkeit des Kreditsaldos differenzieren will. 3 BGH v. 12.2.2004 – IX ZR 98/03, ZInsO 2004, 342; BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 47/05, ZInsO 2008, 803; Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 156. 4 Kreft in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 40; Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 108d; BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 67/09, WM 2012, 1200 Rz. 26; BGH v. 17.3.2011 – IX ZR 63/10, WM 2011, 762 Rz. 32; BGH v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, WM 2010, 87 Rz. 16; BGH v. 9.12.1999 – IX ZR 318/99, WM 2000, 262; BGH v. 17.9.1998 – IX ZR 300/97, WM 1998, 2160. 5 Dazu BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 47/05, WM 2008, 1442 ff.; BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 144/05, WM 2008, 1512; BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 165/05, WM 2008, 363 ff. 6 Grundlegend BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, WM 2008, 204 ff.; bestätigt durch BGH v. 17.1.2008 – IX ZR 134/07, DZWiR 2008, 253.

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Bankgeschäfte – Zahlungseingänge

1.319

b) Bargeschäft bei Zahlungsein- und -ausgängen Die Privilegierung des Bargeschäfts schließt die Anfechtbarkeit der Verrechnung 1.318 von Zahlungseingängen nach den praktisch besonders relevanten Tatbeständen der §§ 130, 131 InsO auch dann aus, wenn das kontoführende Kreditinstitut eine bestehende Kreditlinie offen gehalten und dem Kontoinhaber in Höhe der eingegangenen Beträge Verfügungen gestattet hat1. Das kontoführende Kreditinstitut ist objektiv nicht begünstigt und die übrigen Gläubiger werden nicht benachteiligt, wenn im Rahmen der Kontoverbindung die Zahlungseingänge in entsprechender Höhe durch Zahlungsausgänge ausgeglichen sind und damit der Kreditsaldo insgesamt nicht zurückgeführt wird. Dementsprechend hat der BGH entschieden, dass es sich bei den Verrechnungen um ein Bargeschäft handelt, wenn den Zahlungseingängen ohne Saldorückführung in engem wirtschaftlichen, rechtlichen und zeitlichen Zusammenhang Zahlungsausgänge gegenüberstehen, die das Kreditinstitut seinen vertraglichen Verpflichtungen entsprechend gegenüber dem Schuldner zulässt2. Solche Bargeschäfte sind gemäß § 142 InsO grundsätzlich nicht anfechtbar. Es bleibt damit nur die Anfechtbarkeit insoweit, wie Zahlungseingänge per Saldo trotz dagegenstehender Zahlungsausgänge zu einer Verringerung des Debetsaldos des Schuldners geführt haben. Entscheidend für das Vorliegen eines Bargeschäfts ist nicht die Reihenfolge von 1.319 Zahlungseingängen und -ausgängen, sondern ein so enger zeitlicher Zusammenhang, dass noch von einem „unmittelbaren“ Leistungsaustausch i.S. von § 142 InsO gesprochen werden kann. Dies ist nach der Rechtsprechung jedenfalls dann der Fall, wenn zwischen den kontokorrentmäßig zu verrechnenden Sollund Habenbuchungen weniger als zwei Wochen vergehen3. Im Übrigen dürfen nur solche Ein- und Ausgänge in die Betrachtung einbezogen werden, die inner-

1 BGH v. 25.2.1999 – IX ZR 353/98, WM 1999, 781; BGH v. 25.1.2001 – IX ZR 6/00, WM 2001, 689; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, WM 2002, 951; BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 360/99, WM 2002, 2369; BGH v. 17.6.2004 – IX ZR 124/03, WM 2004, 1576; BGH v. 11.10.2007 – IX ZR 195/04, WM 2008, 222; BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 47/05, WM 2008, 1442; BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, WM 2013, 708 Rz. 16 = GmbHR 2013, 464 m. Komm. Bormann; BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 116/13, NZI 2014, 309 Rz. 2 = GmbHR 2014, 476. Dazu im Überblick auch Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, § 142 InsO Rz. 13a, 13b. 2 BGH v. 25.2.1999 – IX ZR 353/98, WM 1999, 781; BGH v. 25.1.2001 – IX ZR 6/00, WM 2001, 689; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, WM 2002, 951; BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 360/99, WM 2002, 2369; BGH v. 17.6.2004 – IX ZR 124/03, WM 2004, 1576; BGH v. 11.10.2007 – IX ZR 195/04, WM 2008, 222; BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 47/05, WM 2008, 1442; BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, WM 2013, 708 Rz. 16 = GmbHR 2013, 464 m. Komm. Bormann; BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 116/13, NZI 2014, 309 Rz. 2 = GmbHR 2014, 476. 3 BGH v. 25.2.1999 – IX ZR 353/98, WM 1999, 781; BGH v. 25.1.2001 – IX ZR 6/00, WM 2001, 689; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, WM 2002, 951; BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 360/99, WM 2002, 2369; BGH v. 17.6.2004 – IX ZR 124/03, WM 2004, 1576; BGH v. 11.10.2007 – IX ZR 195/04, WM 2008, 222; BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 47/05, WM 2008, 1442; BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, WM 2013, 708 = GmbHR 2013, 464 m. Komm. Bormann. Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, § 142 InsO Rz. 18a, stellt auf den Gesamteindruck eines laufenden wiederkehrenden Zahlungsverkehrs ab, dessen Abstände höchstens bis zu einem Monat schwanken dürfen.

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1.320

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

halb des von der Anfechtung erfassten Zeitraums liegen1. Betrachtet wird hierbei der gesamte Zeitraum, auf den sich die Anfechtung erstrecken kann, also der Zeitraum, indem der jeweilige Anfechtungstatbestand gemäß §§ 130, 131 InsO erfüllt war – maximal der Zeitraum von drei Monaten; die aus Sicht des Insolvenzverwalters günstigere Anfechtung der Saldoreduzierung, die sich bei Betrachtung lediglich eines Ausschnitts des gesamten Anfechtungszeitraums ergäbe, ist nicht zulässig2. 1.320 Für die Annahme eines Bargeschäfts i.S. von § 142 InsO reicht allein die objektive Gleichwertigkeit der ausgetauschten Leistungen aus. Eine solche gleichwertige Leistung erbringt das Kreditinstitut aber mit den Zahlungsausgängen selbst bei offener Kreditlinie, da das Kreditinstitut nicht mit Einräumung einer Kreditlinie oder mit einer Krediterhöhung dem Kunden eine Leistung gewährt, sondern auch insoweit, als es ihn einen schuldrechtlich versprochenen Kredit tatsächlich ausnutzen lässt. Wollte man dagegen bei offener Kreditlinie die Anfechtung zulassen, würde dies nicht dem Sinn des Bargeschäfts gerecht. § 142 InsO soll es dem Schuldner ermöglichen, auch in der Zeit seiner wirtschaftlichen Krise noch Rechtsgeschäfte, welche die Insolvenzgläubiger nicht unmittelbar benachteiligen, zeitnah abzuwickeln. Bei keinem Kreditinstitut kann die Bereitschaft unterstellt werden, trotz nicht voll ausgeschöpfter Kreditlinie weitere Verfügungen des Schuldners über sein Konto zuzulassen, wenn es damit das Risiko eingeht, Zahlungen des Schuldners an Dritte später aus eigenen Mitteln an die Insolvenzmasse erstatten zu müssen. Mit Kenntnis auch nur der Gefahr einer wirtschaftlichen Krise des Schuldners würde es daher erfahrungsgemäß sofort den diesem zuvor eingeräumten Kredit fristlos kündigen. Damit würde dem Schuldner im Ergebnis schon die Chance genommen, in einer zwar riskanten, aber noch nicht aussichtslosen Lage planmäßig weiteren Kredit in Anspruch zu nehmen, sogar wenn eingehende Gutschriften wieder einen gewissen Spielraum bis zur Kreditobergrenze eröffneten. 1.321 Aber auch dann, wenn ausnahmsweise kein Bargeschäft vorliegt, können die Rückführungen einer Kontokorrentkreditlinie nicht über den dem Kreditnehmer eingeräumten Kreditbetrag hinaus angefochten werden, da das Kreditinstitut regelmäßig eine darüber hinausgehende Inanspruchnahme nicht zugelassen hätte. Ohne die einzelnen Rückführungen hätte der Kreditnehmer keine weiteren Inanspruchnahmen der Kreditlinie mehr tätigen können. Mehr als der vollständig in Anspruch genommene Kreditbetrag der Kreditlinie war im Vermögen des Schuldners nie vorhanden und für die Gläubigerbefriedigung verfügbar3. 1.322 Allerdings ist die Anfechtung dann möglich, wenn die Belastungsbuchungen im wirtschaftlichen Sinn gar keine Zahlungsausgänge, also keine Zahlungen an Dritte zur Erfüllung von Vertragspflichten sind, sondern lediglich interne Überweisungen an das kontoführende Kreditinstitut selbst zur Tilgung eigener, auf an1 BGH v. 25.2.1999 – IX ZR 353/98, WM 1999, 781; bestätigt durch BGH v. 25.1.2001 – IX ZR 6/2000, WM 2001, 689. 2 BGH v. 15.11.2007 – IX ZR 212/06, WM 2008, 169; BGH v. 27.3.2008 – IX ZR 29/07, BeckRS 2008, 05759; Kirchhof, ZInsO 2003, 15. 3 BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 116/13, NZI 2014, 309 Rz. 2 = GmbHR 2014, 476; BGH v. 7.3. 2013 – IX ZR 7/12, WM 2013, 708 Rz. 16 = GmbHR 2013, 464 m. Komm. Bormann; Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 174a.

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Bankgeschäfte – Zahlungseingänge

1.325

deren Konten verbuchter Kreditforderungen1. Denn in einem solchen Fall erfolgt entgegen dem Wesen des Bargeschäfts nicht eine bloße Umschichtung im Vermögen des Kontoinhabers, durch die andere Gläubiger nicht benachteiligt werden, sondern die entsprechenden „Zahlungsausgänge“ kommen einzig dem kontoführenden Kreditinstitut zugute und führen dessen Forderungen zurück. c) Cash-Pool Gehört die GmbH einem Konzern an, wird ihr Konto häufig als Ursprungskonto 1.323 in einen Cash-Pool eingebunden sein, der die Liquidität des Konzerns optimieren soll, indem diese auf dem Zielkonto, das in der Regel bei der Muttergesellschaft geführt wird, konzentriert wird. Die in den Cash-Pool eingebundenen Ursprungskonten werden dabei täglich am Tagesanfang auf Null gestellt, indem vorhandene Guthaben auf das Zielkonto übertragen und vorhandene Sollsalden zu Lasten des Zielkontos ausgeglichen werden. Entsteht auf einem solchen Ursprungskonto der GmbH durch untertägige Belastungsbuchungen ein Sollsaldo, ist dieser Saldo nicht als Kredit zu werten, sondern als Aufwendung des Kreditinstituts, mit dem dieses untertägig in Vorleistung getreten ist und für die sie einen täglichen Ausgleich als Aufwendungsersatz gemäß § 670 BGB nach den Bestimmungen des Cash-Pool-Vertrages verlangen kann. Ein entsprechender Zahlungseingang auf dem Konto ist folglich kongruent und als Bargeschäft nicht gegenüber dem Kreditinstitut anfechtbar2. Handelt es sich bei dem Konto der GmbH um das Zielkonto des Cash-Pools, sind 1.324 die einzelnen Verrechnungen von Zahlungseingängen auf dem Konto, die durch die Umbuchung von Guthaben der Ursprungskonten erfolgen, ebenfalls nicht gegenüber dem Kreditinstitut anfechtbar. Soweit das Kreditinstitut auf dem Zielkonto eine eingeräumte Kreditlinie offengehalten und Verfügungen über die Zahlungseingänge zugelassen hat, gilt das oben bei Rz. 1.318 ff. Gesagte; es ergeben sich insoweit keine Besonderheiten gegenüber Konten, die nicht in einen CashPool eingebunden sind. 3. Anfechtbare Verrechnung von Zahlungseingängen Anfechtbar kann somit die Verrechnung von Zahlungseingängen nur in den übri- 1.325 gen Fällen sein, wo Gutschriften auf dem Konto der GmbH im Insolvenzvorfeld zur Rückführung eines debitorischen Saldos auf dem Konto oder zur Tilgung anderer Kredite verrechnet worden sind, ohne dass das Kreditinstitut die Zahlungseingänge auf Grund eines Sicherungsrechts beanspruchen konnte oder ihnen Zahlungsausgänge gegenüberstanden. Hier ist stets gemäß §§ 129 ff. InsO zu prüfen, ob die Verrechnung im Kontokorrent anfechtbar bzw. die Aufrechnung wegen der anfechtbaren Erlangung der Aufrechnungslage nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO aus-

1 BGH v. 17.6.2004 – IX ZR 124/03, WM 2004, 1576, 1577; BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 46/02, NZI 2005, 630; BGH v. 11.10.2007 – IX ZR 195/04, WM 2008, 222; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, § 142 InsO Rz. 13b; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.183 ff. 2 BGH v. 13.6.2013 – IX ZR 259/12, NZI 2013, 896 Rz. 20.

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1.326

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

geschlossen ist. Dazu muss danach differenziert werden, in welchem Zeitraum vor dem Insolvenzantrag der Zahlungseingang erfolgt ist1. a) Eingänge bis zu 10 Jahren vor Insolvenzantrag 1.326 Von den Anfechtungsmöglichkeiten reicht die Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung nach § 133 Abs. 1 InsO am weitesten zurück. Theoretisch kann die Verrechnung von Zahlungseingängen, die in den letzten 10 Jahren vor dem Insolvenzantrag eingegangen sind, in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren angefochten werden, wenn der Kontoinhaber bei Eingang der Zahlung den Vorsatz hatte, seine Gläubiger zu benachteiligen und das kontoführende Kreditinstitut dies wusste. Aus praktischen Gründen ist der zeitliche Anwendungsbereich der Absichtsanfechtung jedoch deutlich beschränkt2. 1.327 Einen Benachteiligungsvorsatz kann nämlich der Schuldner nur dann hegen, wenn im Zeitpunkt des Zahlungseingangs sein Vermögen nicht mehr ausreicht, seine Gläubiger sämtlich zu befriedigen, wenn er also schon überschuldet ist oder wenn er schon einen Anlass hatte, mit dem baldigen Eintritt einer Krise und einer nachfolgenden Insolvenz zu rechnen3. Im Ergebnis führt dies also dazu, dass nach 1 Der maßgebliche Zeitpunkt wird dabei nicht durch Gutschrift auf dem Empfängerkonto, sondern durch den Zahlungseingang bei dem Kreditinstitut bestimmt, BGH v. 20.6. 2002 – IX ZR 177/99, WM 2002, 1690. 2 Insbesondere in der Literatur und von den Wirtschaftsverbänden wurde in den letzten Jahren die Tendenz der Rechtsprechung des BGH kritisiert, die Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO mehr und mehr zu erleichtern. Dies hat inzwischen dazu geführt, dass die Bundesregierung die Kritik aufgegriffen und einen Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“ vorgelegt hat (veröffentlicht unter http://www.bmjv.de/Sha redDocs/Downloads/DE/pdfs/Gesetze/RegE_Anfechtungsrecht.html;jsessionid=496A 0F60594F07A006E747991433BFA8.1_cid324?nn=3433226). Ziel des Gesetzes soll es sein, „den Wirtschaftsverkehr und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Rechtsunsicherheiten zu entlasten, die von der derzeitigen Praxis des Insolvenzanfechtungsrechts ausgehen“. Hierzu soll vor allem auch das Recht der Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO neu justiert werden. Der Gesetzentwurf sieht insbesondere folgende Änderungen vor: – Für die Vorsatzanfechtung von Deckungshandlungen soll der Anfechtungszeitraum auf vier Jahre verkürzt werden (§ 133 Abs. 2 InsO-RegE). – Die Anfechtung kongruenter Deckungen soll nur dann möglich sein, wenn der Gläubiger erkannt hat, dass der Schuldner bereits zahlungsunfähig war; die Kenntnis der bloß drohenden Zahlungsunfähigkeit soll nicht mehr ausreichen (§ 133 Abs. 3 Satz 1 InsO-RegE). – Die Gewährung von Zahlungserleichterungen soll für sich genommen keine Vorsatzanfechtung mehr begründen. Der Gesetzentwurf enthält insofern eine Vermutung zu Gunsten des Gläubigers, dass er bei den später erhaltenen Zahlungen die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte (§ 133 Abs. 3 Satz 2 InsORegE). Der Insolvenzverwalter müsste dann das Gegenteil beweisen. – Bargeschäfte sollen weitgehend aus der Vorsatzanfechtung ausgenommen werden. Eine Anfechtung gemäß § 133 InsO soll nur dann möglich sein, wenn der Schuldner unlauter handelte und der Gläubiger dies erkannt hat (§ 142 Abs. 1 InsO-RegE). Zur vorangegangenen Diskussion in der Literatur vgl. statt vieler die umfassende Darstellung von Marotzke, ZInsO 2014, 417 ff. 3 Die reine Zahlungsunwilligkeit des Schuldners reicht nicht aus; Zahlungsunwilligkeit liegt aber nur vor, wenn gleichzeitig Zahlungsfähigkeit gegeben ist, BGH v. 10.7.2014 – IX ZR 287/13, ZInsO 2014, 1661.

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Kuder/Unverdorben

Bankgeschäfte – Zahlungseingänge

1.330

§ 133 Abs. 1 InsO eine Anfechtung nur dann in Betracht kommt, wenn zumindest schon die Krise des Kontoinhabers eingetreten war. Sodann müssen für eine erfolgreiche Anfechtung subjektive Umstände, nämlich 1.328 der Benachteiligungsvorsatz des Kontoinhabers und die Kenntnis des Kreditinstituts von diesem Vorsatz, festgestellt werden, was im Anfechtungsprozess zu erheblichen Schwierigkeiten führt. Allerdings wird diese Anfechtung durch die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO erleichtert: Wenn das kontoführende Kreditinstitut nämlich wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Kunden drohte und die Handlung dessen Gläubiger benachteiligte, wird seine Kenntnis von dem entsprechenden Vorsatz des Kontoinhabers vermutet. Das Kreditinstitut muss also lediglich die tatsächlichen Umstände kennen, aus denen sich bei zutreffender Betrachtung die zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit des Kontoinhabers zweifelsfrei ergibt1. Ist das Kreditinstitut aber so gut besichert, dass es im Hinblick auf den Wert der Sicherheiten und der besicherten Forderung davon ausgehen durfte, dass es auch im Fall einer Insolvenz des Kreditnehmers auf Grund der Sicherungsrechte umfassende Befriedigung erhält, ist eine Kenntnis von einem etwaigen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ausgeschlossen2. Nach der von der Rechtsprechung entwickelten Lehre von den Beweisanzeichen3 1.329 stellt die Tatsache, dass der Zahlungseingang zu einer inkongruenten Deckung4 führt, ein starkes Indiz für einen Benachteiligungsvorsatz dar. Hingegen ist eine kongruente Deckung ein Anzeichen dafür, dass der Kontoinhaber in erster Linie seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommen wollte und nicht mit dem Vorsatz, seine anderen Gläubiger zu benachteiligen, gehandelt hat5. Trotz der Kenntnis solcher Umstände scheidet eine Vorsatzanfechtung im Fall 1.330 einer bargeschäftsähnlichen Lage aber gleichwohl aus. Zwar findet das Bargeschäft nach dem Wortlaut des § 142 InsO unmittelbar keine Anwendung bei der Anfechtung nach § 133 InsO. Gleichwohl geht die Rechtsprechung davon aus, dass sich der Schuldner selbst bei erkannter schon eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit nicht bewusst ist, dass auch ein in einem engen zeitlichen Zusammenhang erfolgter gleichwertiger Leistungsaustausch zu einer mittelbaren Gläubigerbenachteiligung führt6. Damit liegt in einem solchen Fall kein Benachteiligungsvorsatz vor. 1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.204. 2 Für den Fall dinglicher Besicherung BGH v. 3.7.2014 – IX ZR 233/12, juris; BGH v. 9.2. 2012 – IX ZR 48/11, NZI 2012, 514 Rz. 3 ff. 3 Ausführlich hierzu Huber, ZInsO 2012, 53 ff. 4 Zum Begriff der Kongruenz und der Inkongruenz vgl. Rz. 1.333 ff. 5 Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 133 InsO Rz. 29 ff. 6 BGH v. 17.7.2014 – IX ZR 240/13, ZInsO 2014, 1655 Rz. 29; BGH v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, NZI 2014, 775 Rz. 44; Kayser, NJW 2014, 422, 427; Kayser, WM 2013, 293, 298. Anders aber, wenn der Schuldner trotz Belieferung zu marktgerechten Preisen fortlaufend unrentabel arbeitet und sich dadurch der mittelbaren Gläubigerbenachteiligung bewusst wird, BGH v. 12.2.2015 – IX ZR 180/12, ZInsO 2015, 628 m. Anm. Hiebert, ZInsO 2015, 621. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eines „Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“ v. 29.9.2015 soll die Vorsatzanfechtung bei Bargeschäften noch weitergehend eingeschränkt werden. Eine Anfechtung gemäß § 133 InsO soll nur dann möglich sein, wenn der Schuldner unlauter handelte und der Gläubiger dies erkannt hat (§ 142 Abs. 1 InsO-RegE); vgl. oben Fn. 2 zu Rz. 1.326.

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1.331

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

1.331 Liegen diese Voraussetzungen vor, scheitert die Anfechtbarkeit einer Verrechnung von Überweisungseingängen nicht in jedem Fall daran, dass die Gutschrift auf Zahlungsaufträge von Drittschuldnern zurückgeht, während nach § 133 InsO nur Rechtshandlungen des Schuldners anfechtbar sind. Vielmehr genügt für § 133 InsO eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung. Damit kommen als Anknüpfungspunkt für eine Anfechtbarkeit wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung alle Handlungen des Schuldners in Betracht, die unter Inkaufnahme einer mindestens mittelbaren Benachteiligung seiner übrigen Gläubiger darauf gerichtet sind, für einen das Kreditinstitut begünstigenden Zahlungseingang auf dem Girokonto zu sorgen. Damit kann eine Anfechtbarkeit insbesondere dann gegeben sein, wenn der Schuldner in Phasen angespannter Liquidität seine Drittschuldner mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz zur Zahlung auf ein bestimmtes Girokonto auffordert und dem kontoführenden Institut diese Absicht im maßgebenden Zeitpunkt, nämlich bei Eingang der buchmäßigen Deckung bei ihm, bekannt war. b) Eingänge in den letzten drei Monaten vor Insolvenzantrag 1.332 Erhält ein Kreditinstitut einen Zahlungseingang zu Gunsten einer GmbH, deren Konto einen debitorischen Saldo aufweist, innerhalb der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag, so ist das Kreditinstitut auf Grund des Zahlungsdiensterahmenvertrages zur Gutschrift verpflichtet. Die damit verbundene Verrechnung im Kontokorrent kann jedoch unter Umständen nach den Tatbeständen der Deckungsanfechtung (§§ 130, 131 InsO) angefochten werden. Diese Tatbestände der Deckungsanfechtung haben für den Zahlungsverkehr in der Praxis die größte Bedeutung. Denn einerseits liegt angesichts des größtmöglichen Anfechtungszeitraums von drei Monaten vor dem Insolvenzantrag eine hinreichende zeitliche Nähe zur Krise des Schuldners vor, die dem Insolvenzverwalter den Nachweis der Anfechtungsvoraussetzungen in objektiver und subjektiver Hinsicht, sofern diese vorliegen, erlaubt. Zum anderen beruht der Gegenstand der Anfechtung, nämlich die Herbeiführung einer oder mehrerer Verrechnungslagen, meist nicht auf Handlungen des Schuldners, sondern seiner Drittschuldner, die Zahlungen zu Gunsten des Schuldners auf sein Konto bei einem Kreditinstitut leisten. Die Rückführung eines Kontokorrentkredits beruht aber immer auch auf einer Rechtshandlung des Schuldners, weil Zahlungen Dritter immer nur nach der Maßgabe der zwischen dem Schuldner und dem Kreditinstitut getroffenen Kontokorrentabrede Tilgungswirkung entfalten1. 1.333 Wegen der unterschiedlichen Voraussetzung der Anfechtung einer kongruenten Deckung nach § 130 InsO oder einer inkongruenten Deckung nach § 131 InsO muss dabei zunächst als Vorfrage geklärt werden, ob und unter welchen Voraussetzungen die Verrechnung eines Zahlungseingangs als kongruente oder inkongruente Sicherung oder Befriedigung anzusehen ist. Inkongruente Deckungen sind gemäß § 131 Abs. 1 InsO solche Zahlungseingänge, die das kontoführende Kreditinstitut nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte. Umgekehrt handelt es sich demnach um eine kongruente Deckung, wenn das Kreditinstitut auf die Zahlung in der konkreten Form einen fälligen Anspruch hatte. Da bei Zahlungseingängen auf ein Konto im Soll das Kreditinstitut einen 1 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, NZI 2014, 321 Rz. 9 = GmbHR 2014, 417; BGH v. 4.7. 2013 – IX ZR 229/12, NZI 2013, 804 Rz. 15 = GmbHR 2013, 1034 m. Komm. Farian.

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Kuder/Unverdorben

Bankgeschäfte – Zahlungseingänge

1.336

Betrag in der eingegangenen Höhe und in der empfangenen Art zu beanspruchen hatte, hängt die Antwort auf diese Frage, ob die Rückführung eines debitorischen Saldos durch Verrechnung von Zahlungseingängen eine inkongruente Deckung oder eine kongruente Deckung darstellt, im Wesentlichen davon ab, ob das Kreditinstitut die Deckung auch zu dieser Zeit verlangen konnte. Maßgebend ist also, ob das Institut gegen den Kontoinhaber einen dem Zahlungseingang entsprechenden fälligen Zahlungsanspruch hatte. Dies wiederum richtet sich danach, welcher Art die Forderung des Kreditinstituts ist1: Handelt es sich um eine nur geduldete, nicht aber vereinbarte oder zugesagte 1.334 Überziehung des Girokontos oder handelt es sich um die nicht vereinbarte oder zugesagte Überziehung einer Kreditlinie, so kann das Kreditinstitut jederzeit Rückführung auf den vereinbarten Saldo verlangen; das Institut hat einen fälligen Anspruch auf Zahlung bis zum Ausgleich der Überziehung2. Es liegt also in einem solchen Fall beim Eingang einer Zahlung eine kongruente Deckung vor3. Allerdings kann auch bei einer zunächst bloß geduldeten Überziehung eine vertragliche Vereinbarung zur Duldung der Überziehung stillschweigend zu Stande kommen, so dass ein fälliger Anspruch des kontoführenden Kreditinstituts erst entsteht, wenn eine Kündigung erfolgt ist4. Ist der Darlehnsvertrag wirksam gekündigt worden, stellt eine anschließende Rückzahlung des Darlehens aber wiederum eine kongruente Deckung dar5. Handelt es sich dagegen um einen fest zugesagten und für eine bestimmte Zeit zur 1.335 Verfügung gestellten Kredit, so erhält das Kreditinstitut durch Rückführung des Kredits aus den Zahlungseingängen eine Deckung, die es zu dieser Zeit nicht zu beanspruchen hatte, mithin eine inkongruente Deckung6. Dies gilt insbesondere auch für Annuitätendarlehen und sonstige Ratenkredite, die nicht auf dem laufenden Konto gewährt werden und bei denen keine Verrechnung, sondern allenfalls eine Aufrechnung in Betracht käme. Ausnahmsweise wäre hier jedoch die Aufrechnung nur als kongruente Deckung anfechtbar, wenn eine fällige Rate (für Zins oder Tilgung) aussteht und durch den Überweisungseingang gedeckt wird7. Gleiches gilt bei einer zugesagten Kontokorrentkreditlinie, auch wenn diese bis 1.336 auf weiteres, d.h. unbefristet, zugesagt war. Zwar kann eine solche Kreditlinie nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Kreditgewerbes (Nr. 19 Abs. 2 AGB-Banken, Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen) durch das Kreditinstitut jederzeit ohne Gründe ordentlich gekündigt werden8. Solange die Kreditlinie jedoch nicht 1 Eingehend zu der nachfolgenden Differenzierung BGH v. 13.1.2005 – IX ZR 457/00, WM 2005, 319; BGH v. 17.6.1999 – IX ZR 62/98, WM 1999, 1577 ff. S. dazu im Überblick auch Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 131 InsO Rz. 44 f. 2 BGH v. 13.1.2005 – IX ZR 457/00, WM 2005, 319; OLG München v. 21.12.2001 – 23 U 4002/01, ZIP 2002, 608. 3 Brandes/Lohmann in Münchener Kommentar zur InsO, § 96 InsO Rz. 33. 4 BGH v. 13.1.2005 – IX ZR 457/00, WM 2005, 319; BGH v. 17.6.1999 – IX ZR 62/98, WM 1999, 1577, 1578. 5 OLG Köln v. 15.9.2000 – 11 W 56/00, NZI 2001, 262. 6 BGH v. 13.1.2005 – IX ZR 457/00, WM 2005, 319; Brandes/Lohmann in Münchener Kommentar zur InsO, § 96 InsO Rz. 33. 7 So BGH v. 17.6.1999 – IX ZR 62/98, WM 1999, 1577. 8 Die Wirksamkeit des ordentlichen Kündigungsrechts gemäß Nr. 19 Abs. 1 AGB-Banken bestätigt BGH v. 15.1.2013 – XI ZR 22/12, NJW 2013, 1519 Rz. 11 ff.

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1.337

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

gekündigt wurde, konnte das Institut die Rückführung zum Zeitpunkt des Zahlungseingangs nicht verlangen. Eine Verrechnung eingehender Zahlungen kann daher, auch bei unbefristeten Kreditlinien, nur als kongruente Deckung angesehen werden, wenn und soweit zum maßgeblichen Zeitpunkt nach erfolgter Kündigung oder hinsichtlich einer Überziehung ein fälliger Anspruch des Kreditinstituts auf Rückführung der Kreditinanspruchnahme bestand1. 1.337 Soweit dagegen bei ungekündigter Kreditlinie Zahlungseingänge zu einer Rückführung des Kreditsaldos im maßgeblichen Anfechtungszeitraum führen, ist die darin liegende Kredittilgung als inkongruente Deckung anfechtbar, weil schon die Herstellung der Verrechnungslage auf Grund der Zahlungseingänge die anderen Insolvenzgläubiger des Kontoinhabers benachteiligt2. Die Höhe der anfechtbaren Verrechnungen ergibt sich dabei aus dem Betrag, um den während des gesamten Anfechtungszeitraums die verrechneten Einzahlungen die Auszahlungen überstiegen; der höchste Saldo im Anfechtungszeitraum ist unerheblich3. Soweit dagegen keine Rückführung des Kreditsaldos im Anfechtungszeitraum erfolgt ist, weil das Kreditinstitut die Kontokorrentabrede eingehalten, den Giroverkehr fortgesetzt und insbesondere unter Offenhaltung der eingeräumten Kreditlinie Zahlungsausgänge zugelassen hat, sind auch die Zahlungseingänge vertragsgemäße, also kongruente Deckungen4. 1.338 Nach der Klärung der Vorfrage, ob es sich bei dem Zahlungseingang um eine kongruente oder eine inkongruente Deckung handelt, können die Voraussetzungen, unter denen eine Anfechtung erfolgen kann, betrachtet werden. Ist der Zahlungseingang zu Gunsten der GmbH in der Krise bei dem kontoführenden Kreditinstitut als kongruente Deckung anzusehen, so ist dies nach § 130 InsO nur anfechtbar, wenn die GmbH zurzeit der Handlung zahlungsunfähig war und das Kreditinstitut die Zahlungsunfähigkeit kannte. Der positiven Kenntnis des Kreditinstituts von der Zahlungsunfähigkeit der GmbH steht dabei die Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen, gleich (§ 130 Abs. 2 InsO). Damit ist die Anfechtung eines Zahlungseingangs als kongruente Deckung im Vorfeld des Insolvenzantrags nur dann möglich, wenn sich die Krise des Schuldners schon so verfestigt hat, dass eine objektive Voraussetzung erfüllt ist, nämlich die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners vorliegt, und wenn auf Seiten des Gläubigers zusätzlich eine subjektive Voraussetzung erfüllt wird. 1.339 Handelt es sich dagegen bei dem Zahlungseingang zu Gunsten der GmbH in der Krise um eine inkongruente Deckung, ist die Verrechnung des Zahlungseingangs 1 BGH v. 14.10.2010 – IX ZR 160/08, WM 2010, 2368 Rz. 6; BGH v. 7.5.2009 – IX ZR 140/08, WM 2009, 1101 Rz. 9; BGH v. 17.6.1999 – IX ZR 62/98, WM 1999, 1577, 1578; KG v. 15.11.2010 – 24 U 103/09, WM 2011, 1184 (B, II, 4, a); Thole in Heidelberger Kommentar zur InsO, 7. Aufl. 2014, § 131 InsO Rz. 17; Steinhoff, ZIP 2000, 1141, 1144. 2 BGH v. 14.10.2010 – IX ZR 160/08, WM 2010, 2368 Rz. 6; BGH v. 7.5.2009 – IX ZR 140/08, WM 2009, 1101 Rz. 9; BGH v. 15.11.2007 – IX ZR 212/06, ZInsO 2008, 159; BGH v. 13.1.2005 – IX ZR 457/00, WM 2005, 319; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, WM 2002, 951. 3 BGH v. 7.7.2011 – IX ZR 100/10, WM 2011, 1523 Rz. 8; BGH v. 15.11.2007 – IX ZR 212/06, WM 2008, 169; BGH v. 27.3.2008 – IX ZR 29/07, juris; KG v. 15.11.2010 – 24 U 103/09, WM 2011, 1184 (B, II, 4, a); Kirchhof, ZInsO 2003, 15. 4 Hierzu ausführlich oben bei Rz. 1.318 ff.

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Bankgeschäfte – Zahlungsausgänge

1.346

nach § 131 InsO unter wesentlich erleichterten Voraussetzungen anfechtbar. Ist der Zahlungseingang innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Insolvenzantrag der GmbH erfolgt und war die GmbH zu dieser Zeit bereits zahlungsunfähig, so ist die Anfechtung möglich, ohne dass es auf den Kenntnisstand des Anfechtungsgegners ankommt (§ 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Ebenso ist die Anfechtung von Zahlungseingängen in diesem Zeitraum möglich, wenn die GmbH bei Zahlungseingang noch nicht zahlungsunfähig oder überschuldet, aber dem kontoführenden Kreditinstitut bekannt war, dass die Insolvenzgläubiger der GmbH benachteiligt werden (§ 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Der Insolvenzverwalter muss in diesem Fall also beweisen, dass dem Kreditinstitut als Anfechtungsgegner die Benachteiligung der anderen Gläubiger positiv bekannt war. Ebenso reicht für die Anfechtung der Nachweis, dass das Kreditinstitut Kenntnis von Umständen hatte, die zwingend auf die Benachteiligung schließen lassen (§ 131 Abs. 2 InsO). Schließlich ist die Verrechnung von Zahlungseingängen, die zu Gunsten des Kontos der GmbH im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag erfolgt sind, bei Inkongruenz nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO grundsätzlich anfechtbar. Subjektive Momente sind für diesen Anfechtungstatbestand nicht erforderlich. Damit ist in jedem Fall einer inkongruenten Rückführung des Kontosaldos durch Zahlungseingänge im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag die Verrechnung auf Grund eines späteren Kontoabschlusses anfechtbar und eine spätere Aufrechnung nach § 96 Nr. 3 InsO nicht mehr möglich. Die aus den Überweisungen eingegangenen Zahlungen müssen gemäß § 143 InsO an den Insolvenzverwalter zu Gunsten der Masse herausgegeben werden. 4. Eingänge in der Insolvenz Zu Überweisungseingängen nach Stellung des Insolvenzantrags s. unten 1.340 Rz. 5.266 ff. Zu Überweisungseingängen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens s. unten Rz. 7.532 ff. vacat

1.341–1.344

III. Zahlungsausgänge Während bei Zahlungseingängen zu Gunsten der GmbH in der Krise bei anschlie- 1.345 ßender Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu prüfen ist, ob das kontoführende Kreditinstitut diese Eingänge „behalten“, also mit einem Debetsaldo auf dem Konto oder mit sonstigen Forderungen verrechnen darf, stellt sich bei Zahlungsaufträgen der GmbH, die zu Zahlungsausgängen führen, eine umgekehrte Frage. Hier wird nämlich im Insolvenzverfahren darum gestritten, ob solche Zahlungsausgänge vom Kreditinstitut wirksam von einem Guthaben des Kontoinhabers und Schuldners „abgezogen“, also damit verrechnet werden können oder ob dem Insolvenzverwalter ein Anspruch auf Auszahlung des ungekürzten Guthabens in die Insolvenzmasse zusteht. 1. Grundstrukturen am Beispiel der Überweisung Für die insolvenzrechtliche Betrachtung werden alle Zahlungsaufträge, die ein 1.346 Kreditinstitut im Auftrag des Kontoinhabers zu Lasten des Kontos ausführt, Kuder/Unverdorben

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1.347

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

von der Rechtsprechung als Verfügungen des Schuldners über sein Vermögen, also das Kontoguthaben bei seinem Kreditinstitut angesehen1. Dies gilt auch für die Überweisung. 1.347 Nach dem seit 2009 geltenden Zahlungsdiensterecht bildet der Zahlungsdiensterahmenvertrag (Girovertrag) gemäß § 675f Abs. 2 BGB die Grundlage der Überweisung. Bei der einzelnen Überweisung handelt es sich um eine auftragsrechtliche Weisung des Zahlungsdienstnutzers gemäß § 665 BGB im Rahmen des Zahlungsdiensterahmenvertrages an seinen Zahlungsdienstleister. 1.348 Der im Rahmen eines Zahlungsdiensterahmenvertrages erteilte Überweisungsauftrag ist – im Unterschied zu der zwischen 1999 und 2009 geltenden Rechtslage, die einen Überweisungsvertrag konstruierte – eine einseitige Weisung und bedarf keiner Annahme. Er beinhaltet zugleich die nach § 675j Abs. 1 BGB erforderliche Autorisierung des Zahlungsvorgangs2. Das Kreditinstitut ist auf Grundlage des Zahlungsdiensterahmenvertrages gemäß § 675f Abs. 2 Satz 1 BGB verpflichtet, den ihm erteilten Zahlungsauftrag auszuführen, sofern die vereinbarten Ausführungsbedingungen erfüllt und die Ausführung nicht gegen sonstige Rechtsvorschriften verstößt (§ 675o Abs. 2 BGB). 2. Ausführung vor Zahlungsunfähigkeit und Insolvenzantrag 1.349 Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der Bankkunde, sofern kein allgemeines Verfügungsverbot erlassen ist (§§ 21, 24 InsO), unbeschränkt über sein Vermögen verfügen. Demgemäß kann die GmbH auch noch in der Krise wirksam Zahlungsaufträge, insbesondere auch Überweisungsaufträge, erteilen. Das Kreditinstitut ist auf Grund des Zahlungsdiensterahmenvertrages (§ 675f Abs. 2 BGB) verpflichtet, bei ausreichender Deckung bzw. verfügbarer Kreditlinie den Zahlungsauftrag auszuführen. Führt das Kreditinstitut diese Zahlungsaufträge noch vor der Zahlungsunfähigkeit der GmbH oder ihrem Insolvenzantrag aus, so erwirbt das Kreditinstitut – unanfechtbar – einen Aufwendungsersatzanspruch, den das Institut in das Kontokorrent einstellen kann3. In Höhe dieses Aufwendungsersatzanspruchs ermäßigt sich ein etwaiger Guthabensaldo; ein debitorischer Saldo erhöht sich entsprechend4. 1.350 Ist das Konto der GmbH als Ursprungskonto in einen Cash-Pool eingebunden und werden Guthaben von diesem Konto im Rahmen des Cash-Pool-Vertrages am Tagesende auf das für eine andere Konzerngesellschaft geführte Zielkonto übertragen (zum umgekehrten Fall eines Zahlungseingangs s. oben Rz. 1.323 f.), ist die Umbuchung gegenüber dem Kreditinstitut nicht als Deckungsanfechtung gemäß §§ 130, 131 InsO anfechtbar, da das Kreditinstitut hier lediglich als Leistungsmittler eingeschaltet ist5. In Frage kommt nur eine Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung unter den engen Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO. Sofern sich jedoch das Kreditinstitut auf seine reine Zahlstellenfunktion beschränkt 1 Für die Gleichstellung von Überweisung und Barauszahlung direkt an den Schuldner ausdrücklich BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 227/04, WM 2006, 194 ff. 2 Mayen in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 49 Rz. 2 ff. 3 BGH v. 7.5.2009 – IX ZR 140/08, WM 2009, 1101 Rz. 11; Lange/Obermüller in Hellner/ Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 15/128. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.8. 5 BGH v. 13.6.2013 – IX ZR 259/12, NZI 2013, 896 Rz. 22.

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Kreditbesicherung in der Krise

1.355

und sich jeglicher steuernder Eingriffe in den Cash-Pool enthält, ist für den Vorwurf einer vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung kein Raum1. Das Gleiche gilt in der Konstellation, dass es sich bei dem Konto der GmbH um das Zielkonto des Cash-Pools handelt: Zahlungsausgänge können gegenüber dem Kreditinstitut nur angefochten werden, wenn dieses seine Rolle als reine Zahlstelle verlassen hat und die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO vorliegen. 3. Ausführung in der Insolvenz Zur Ausführung von Zahlungsaufträgen nach Zahlungsunfähigkeit und Insol- 1.351 venzantrag s. unten Rz. 5.269 ff.; zur Ausführung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens s. unten Rz. 7.534 ff. 4. Besonderheiten im Lastschriftverkehr Zu Besonderheiten im Lastschriftverkehr s. unten Rz. 5.285 ff. und Rz. 7.539 ff.

1.352

IV. Kreditbesicherung in der Krise Mit der Krise der GmbH geht eine gravierende Verschlechterung ihrer Kredit- 1.353 würdigkeit einher. Deshalb suchen Kreditinstitute (und andere Gläubiger) der GmbH in der Krise des Schuldners nach Wegen zur Begrenzung des Kreditrisikos. Eine der Möglichkeiten, die sich hier anbieten, ist die Hereinnahme von (zusätzlichen) Kreditsicherheiten. Dabei müssen sich die Kreditinstitute aber im Klaren sein, dass spätestens mit dem Eintritt der Krise das Gesetz, vor allem im Interesse der Gleichstellung aller Gläubiger, aber auch zum Erhalt der wirtschaftlichen Freiheit des Kreditnehmers, Grenzen für die wirksame Besicherung zieht. Diese finden ihre Ausprägung in den Tatbeständen der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) und dem allgemeinen Verbot sittenwidrigen Handelns (§ 138 BGB). Um diese Grenzen der Kreditbesicherung in der Krise zu beurteilen, muss – vor 1.354 allen Dingen im Hinblick auf die Anfechtung – zwischen der Besicherung von neu oder zusätzlich ausgereichten Krediten (dazu Rz. 1.355 ff.) und der nachträglichen Besicherung von bereits gewährten Darlehen (dazu Rz. 1.361 ff.) unterschieden werden. Soweit die Kreditbesicherung im Zeitraum vor der Insolvenz auch an die allgemeine Wirksamkeitsschranke der Sittenwidrigkeit (dazu Rz. 1.432 ff.) stößt, ist diese Unterscheidung von geringerer Bedeutung (zur Kreditbesicherung im Insolvenzeröffnungsverfahren s. unten Rz. 5.307 f. und zur Kreditbesicherung im eröffneten Insolvenzverfahren s. unten Rz. 7.561 ff.). 1. Besicherung neu gewährter Kredite Im Hinblick auf Anfechtungstatbestände ist eine Besicherung in der Krise weit- 1.355 gehend unproblematisch, wenn der Kreditgeber angesichts des gestiegenen Kreditrisikos die Bestellung von Sicherheiten für neu zu gewährende Kredite von der GmbH verlangt. Hier ist nämlich, obwohl die Sicherheitenbestellung schon 1 BGH v. 13.6.2013 – IX ZR 259/12, NZI 2013, 896 Rz. 23 ff.

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1.356

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

in der Krise der GmbH erfolgt, die Anfechtung in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren der GmbH in der Regel ausgeschlossen, weil ein Bargeschäft vorliegt. 1.356 Die Insolvenzordnung regelt in § 142 InsO ausdrücklich, dass eine Anfechtung ausgeschlossen ist, wenn für die Leistung des Schuldners unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in dessen Vermögen gelangt. Dabei hat sich der Gesetzgeber entscheidend von der wirtschaftlichen Überlegung leiten lassen, dass ein Schuldner, der sich in der Krise befindet, praktisch vom Geschäftsverkehr ausgeschlossen wäre, wenn selbst die von ihm abgeschlossenen Bargeschäfte mit dem Risiko der Anfechtung behaftet wären1. 1.357 Für die Besicherung von Krediten, die in der Krise neu gewährt werden, bedeutet dies, dass die Bestellung von Sicherheiten in aller Regel nicht anfechtbar ist, wenn sie in engem zeitlichem Zusammenhang zur Kreditgewährung erfolgt2. Dies ist gerade bei der Bestellung von Sicherheiten für Sanierungskredite von Bedeutung. Denn damit ist die Anfechtung ausgeschlossen, wenn der Wert der für den Sanierungskredit bestellten Sicherheiten die Höhe des Kredites nicht wesentlich übersteigt, und zwar selbst dann, wenn die Sanierung scheitert und zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Kreditbetrag im Schuldnervermögen nicht mehr vorhanden ist. Eine Anfechtung kommt aber da in Betracht, wo sich der Kreditgeber für den Sanierungskredit Sicherheiten bestellen lässt, deren Wert außer Verhältnis zur Kredithöhe steht3. Bei Umlaufsicherheiten wie der Sicherungsübereignung eines Warenlagers oder der Globalzession der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen ist dabei bei der Beurteilung der Gleichwertigkeit ein in der Praxis üblicher Risikozuschlag von 50 % des Schätzwertes hinzunehmen4. Ebenso geht die Rechtsprechung davon aus, dass insgesamt kein Bargeschäft, sondern ein in vollem Umfang anfechtbares Rechtsgeschäft vorliegt, wenn eine Kreditsicherheit zugleich ein im Gegenzug neu gewährtes Darlehen und andere Forderungen des Kreditgebers aus schon früher gewährten Krediten abdecken soll, ohne dass festzustellen ist, ob und in welchem Umfang sich die Sicherheitenbestellung auf bestimmte Ansprüche bezieht. Eine andere Beurteilung ist nur gerechtfertigt, falls ein Rangverhältnis in der Weise festgelegt ist, dass die Sicherheit vorrangig die Forderung aus dem Sanierungskredit abdecken soll5. 1 Ausführlich zu dieser Überlegung des Gesetzgebers Begründung zum Regierungsentwurf der Insolvenzordnung (RegE), BR-Drucks. 1/92, § 161 RegE, S. 167. 2 BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, NZI 2010, 339 Rz. 13; BGH v. 26.1.1977 – VIII ZR 122/75, NJW 1977, 718; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, § 142 InsO Rz. 13c; Ede/Hirte in Uhlenbruck, § 142 InsO Rz. 9, 45 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.88 ff. Zum Nichtvorliegen eines Bargeschäfts bei revolvierenden Kreditsicherheiten BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, WM 2008, 204 Rz. 40 ff. 3 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, § 142 InsO Rz. 13c, 13f; Ede/Hirte in Uhlenbruck, § 142 InsO Rz. 45 f. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.92. 5 BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, WM 1993, 270; OLG Hamburg v. 26.10.1984 – 11 U 168/83, WM 1984, 1616; zur Rechtslage auf Grund dieser Entscheidungen auch Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, § 142 InsO Rz. 12 ff., § 143 InsO Rz. 18. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.103, geht auf Grund BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 257/92, ZIP 1994, 40, davon aus, dass eine bloße Teilanfechtung nur der Besicherung des Altkredits auch ohne Vereinbarung eines Rangverhältnisses dann in Betracht kommt, wenn das Rechtsgeschäft der Sicherheitenbestellung teilbar ist.

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Kuder/Unverdorben

Kreditbesicherung in der Krise

1.360

Zu beachten ist weiterhin, dass gerade die vereinbarten Leistungen erbracht wer- 1.358 den müssen. Dabei können die Beteiligten ihre Vereinbarungen längstens bis zu dem Zeitpunkt abändern, in dem die erste Leistung erbracht wird1. Für die Kreditbesicherung in der Krise bedeutet dies, dass kein unanfechtbares Bargeschäft vorliegt, wenn zunächst der Kredit ausgezahlt und anschließend – selbst in engem zeitlichem Zusammenhang – einvernehmlich eine andere als die vereinbarte Sicherheit bestellt wird2. Hinsichtlich des zeitlichen Zusammenhangs gilt, dass der Leistungsaustausch 1.359 nicht Zug um Zug erfolgen muss; eine für die Bestellung der jeweiligen Sicherheit übliche, kurze Verzögerung, schadet nicht3. Insbesondere bei Besicherung eines Kredites durch Grundschulden ist die noch zulässige Zeitspanne zwischen Kreditauszahlung und der maßgeblichen Grundbucheintragung großzügig zu bemessen. So wurde beispielsweise ein unanfechtbares Bargeschäft auch dann noch angenommen, als ein Kredit gegen Grundschuldbesicherung gewährt und die Grundschuld erst zweieinhalb Monate oder sogar vier Monate nach Auszahlung des Kredits im Grundbuch eingetragen wurde, sofern die Beteiligten die Verzögerung nicht zu vertreten hatten4. Nach dem Wortlaut des § 142 InsO ist der Bargeschäftseinwand bei der Vorsatz- 1.360 anfechtung nach § 133 InsO nicht anwendbar. Gleichwohl scheidet eine Anfechtung der Bestellung von Kreditsicherheiten gemäß § 133 InsO aus, wenn die oben dargestellten Voraussetzungen eines Bargeschäfts vorliegen. Denn der gemäß § 133 Abs. 1 InsO erforderliche Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ist auch im Fall einer bargeschäftsähnlichen Lage nicht gegeben5 (s. auch oben Rz. 1.330). Liegen bei der Bestellung von Kreditsicherheiten die Voraussetzungen für ein Bargeschäft gemäß § 142 InsO vor, liegen ebenfalls die Voraussetzungen einer bargeschäftsähnliche Lage im Sinne der Rechtsprechung zu § 133 InsO vor. Keine Absicht zur Gläubigerbenachteiligung liegt ebenfalls dann vor, wenn der neue Kredit auf der Basis eines schlüssigen Sanierungskonzepts zu einem Sanierungsversuch beiträgt, der im Interesse des Kreditnehmers und allen Gläubigern liegt6. 1 Zur Bedeutung der Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung durch die Parteivereinbarung s. Begründung zum Regierungsentwurf der Insolvenzordnung (RegE), BRDrucks. 1/92, § 161 RegE, S. 167. 2 BGH v. 30.9.1993 – IX ZR 227/92, WM 1993, 2099; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.102. 3 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, § 142 InsO Rz. 18. 4 BGH v. 26.1.1977 – VIII ZR 122/75, WM 1977, 254; OLG Hamburg v. 26.10.1984 – 111 U 168/83, WM 1984, 1616; OLG Brandenburg v. 21.3.2002 – 8 U 71/01, ZInsO 2002, 929 ff. Ein Zeitraum von sechs Monaten zwischen Kreditgewährung und Abtretung einer Grundschuld ist nach Ansicht des BGH v. 8.5.2008 – IX ZR 116/07, MittBayNot 2009, 61 m. Anm. Kesseler, aber zu lang. 5 BGH v. 17.7.2014 – IX ZR 240/13, ZInsO 2014, 1655 Rz. 29; BGH v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, NZI 2014, 775 Rz. 44; Kayser, NJW 2014, 422, 427; Kayser, WM 2013, 293, 298. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eines „Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“ v. 29.9.2015 soll die Vorsatzanfechtung bei Bargeschäften noch weitergehend eingeschränkt werden. Eine Anfechtung gemäß § 133 InsO soll nur dann möglich sein, wenn der Schuldner unlauter handelte und der Gläubiger dies erkannt hat (§ 142 Abs. 1 InsO-RegE); vgl. oben Fn. 2 zu Rz. 1.326. 6 BGH v. 3.4.2014 – IX ZR 201/13, WM 2014, 1009; BAG v. 12.9.2013 – 6 AZR 980/11, ZIP 2014, 37; BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, WM 2013, 763 = GmbHR 2013, 529 m.

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1.361

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

2. Anspruch auf Nachbesicherung bestehender Kredite 1.361 Gerät der Kreditnehmer in eine Krise, so werden die Kreditgeber aber nicht nur für neue Kredite (sofern diese überhaupt noch gewährt werden) eine Besicherung fordern, sondern zur Verringerung des Kreditrisikos regelmäßig erwägen, die Bestellung bzw. Verstärkung von Sicherheiten auch für bereits bestehende Kredite zu verlangen. Dabei können sich Kreditinstitute auf die Regelungen in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen (Nr. 13 Abs. 2 AGB-Banken, Nr. 22 Abs. 1 AGB-Sparkassen) stützen1. Denn dort ist vereinbart, dass das Kreditinstitut auch dann, wenn bei der Kreditgewährung zunächst von der Bestellung von Sicherheiten ganz oder teilweise abgesehen worden ist, die Bestellung oder Verstärkung von Sicherheiten nachträglich verlangen kann. Voraussetzung ist, dass Umstände eintreten oder bekannt werden, die eine erhöhte Risikobewertung der Ansprüche gegen den Kunden rechtfertigen, insbesondere falls sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kunden nachhaltig verändert haben oder zu verändern drohen, also eine Krise eingetreten ist. Die Rechtswirksamkeit dieses Nachbesicherungsanspruchs hat die Rechtsprechung in mehreren Entscheidungen anerkannt, weil die Kreditinstitute ein schutzwürdiges Interesse an der Sicherung ihrer Kredite haben2. Der Nachbesicherungsanspruch besteht nur dann nicht, wenn vereinbart ist, dass der Kunde keine oder ausschließlich im Einzelnen benannte Sicherheiten zu bestellen hat3. Für die Kreditpraxis ist besonders wichtig, dass eine solche Vereinbarung außerhalb des Verbraucherkreditrechts nicht schon dann stillschweigend getroffen ist, wenn im Kreditvertrag keine oder lediglich bestimmte Sicherheiten vereinbart sind4. Jedoch sollten Kreditgeber auf Bestimmungen im Kreditvertrag verzichten, nach denen der Kredit „blanko“ oder „unbesichert“ gewährt wird, da darin ein individualvertraglicher Ausschluss des AGBNachbesserungsanspruchs gesehen werden kann.

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Komm. Blöse; KG v. 20.10.2000 – 14 U 9911/99, WM 2001, 2054; Ganter, NZI 2014, 673, 675; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.89. Dazu Bunte, AGB-Banken, 4. Aufl. 2015, Rz. 275 ff.; Bunte in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 18 Rz. 18 ff.; Gößmann in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/356 ff. BGH v. 19.9.1979 – III ZR 93/76, WM 1979, 1176; BGH v. 18.12.1980 – III ZR 157/78, WM 1981, 150; BGH v. 9.6.1983 – III ZR 105/82, WM 1983, 926; OLG Celle v. 15.10. 1983 – 3 U 16/83, mit zust. BGH-Beschluss v. 28.5.1984 – III ZR 231/82, WM 1984, 1175; alle Urteile noch zu Nr. 19 AGB-Banken alter Fassung, die der Bank sogar „jederzeit“ einen nicht an objektive Voraussetzungen geknüpften Anspruch auf die Bestellung von Sicherheiten gab. Die Wirksamkeit der Regelung in Nr. 13 Abs. 2 AGB-Banken wird anerkannt durch BGH v. 3.12.1998 – IX ZR 313/97, WM 1999, 12, 14; OLG Nürnberg v. 31.7.2012 – 14 U 1737/11, WM 2012, 1866 (implizit); OLG Hamm v. 7.5.2001 – 31 U 196/00, WM 2001, 2438 (implizit). So die ausdrückliche Regelung in Nr. 13 Abs. 2 AGB-Banken im Anschluss an die frühere Rechtsprechung zu Nr. 19 AGB-Banken a.F.: BGH v. 19.9.1979 – III ZR 93/76, WM 1979, 1176; BGH v. 18.12.1980 – III ZR 157/78, WM 1981, 150; BGH v. 9.6.1983 – III ZR 105/82, WM 1983, 926; OLG Celle v. 15.10.1983 – 3 U 16/83, WM 1984, 1175, mit zust. BGH-Beschluss v. 28.5.1984 – III ZR 231/82, WM 1984, 1175. BGH v. 18.12.1980 – III ZR 157/78, WM 1981, 150; BGH v. 19.9.1979 – III ZR 93/76, WM 1979, 1176; BGH v. 9.6.1983 – III ZR 105/82, WM 1983, 926; OLG Celle v. 15.10.1983 – 3 U 16/83, mit zust. BGH-Beschluss v. 28.5.1984 – III ZR 231/82, WM 1984, 1175.

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Kuder/Unverdorben

Kreditbesicherung in der Krise

1.364

Allerdings müssen die Kreditinstitute, wenn sie ihren Nachbesicherungs- 1.362 anspruch für bereits ausgereichte Kredite durchsetzen, die Risiken der Anfechtung genauso in Kauf nehmen wie sonstige Kreditgeber, die eine Nachbesicherung auf Grund von Verhandlungen erreichen. Denn in diesen Fällen erfolgt die Besicherung ohne unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang nach der Kreditgewährung, so dass kein Bargeschäft vorliegt und die Bestellung der Kreditsicherheit anfechtbar sein kann. Ein unberechtigtes Nachbesicherungsverlangen löst aber keine Schadensersatzpflichten aus, weil darin keine Verletzung von Vertragspflichten durch das Kreditinstitut zu sehen ist1. 3. Bestellung von Drittsicherheiten Die Anfechtung der nachträglichen Besicherung in der Insolvenz der kreditneh- 1.363 menden GmbH ist ausgeschlossen, sofern die Sicherheit nicht aus dem Vermögen der von der Krise bedrohten GmbH selbst, sondern von Dritten bestellt wird. Denn gemäß § 129 InsO sind nur solche Rechtshandlungen anfechtbar, die die Insolvenzgläubiger benachteiligen. Drittsicherheiten werden in der Praxis häufig entweder von den Gesellschaftern und/oder Geschäftsführern der GmbH sowie deren Angehörigen (zur Sicherheitenbestellung durch diesen Personenkreis s. ausführlich unten Rz. 7.614 ff.) bestellt. Insbesondere bei Konzernfinanzierungen stellen aber auch Tochtergesellschaften oder sonstige zum Konzern des Kreditnehmers gehörende Gesellschaften Sicherheiten, sog. Upstream-Sicherheiten (s. hierzu ausführlich unten Rz. 1.366 ff.). a) Keine Anfechtung Eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger liegt nur vor, wenn sie in ihrer Ge- 1.364 samtheit objektiv benachteiligt werden, weil die haftende Aktivmasse des Schuldnervermögens durch belastende Verfügungen oder sonstige Beeinträchtigungen verkleinert und damit die Befriedigungsmöglichkeit der Gläubiger beeinträchtigt wird. Damit ist in einem Insolvenzverfahren überhaupt nur die Besicherung aus dem Vermögen des jeweiligen Schuldners anfechtbar. Die Bestellung so genannter Drittsicherheiten, die nicht vom Kreditnehmer (= Schuldner des Insolvenzverfahrens), sondern durch Dritte bestellt werden, kann dagegen in der Insolvenz des Kreditnehmers nicht angefochten werden, weil die Bestellung von Sicherheiten durch Dritte die Haftungsmasse für die Gläubiger des insolventen Schuldners nicht verkürzt2. Auch wenn der Dritte im Fall der Inanspruchnahme der Sicherheit einen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Kreditnehmer erwirbt, sind die Gläubiger nicht benachteiligt, da es sich insoweit dann lediglich um einen wertneutralen Gläubigerwechsel handelt3. Zahlungen und Leistungen des Drittsicherungsgebers können auch nicht als mittelbare Zuwendung des Kreditnehmers angefochten werden4. 1 OLG Hamm v. 7.5.2001 – 31 U 196/00, WM 2001, 2438. 2 So im Ergebnis auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.87. 3 BGH v. 10.7.2008 – IX ZR 142/07, ZIP 2008, 1695; BGH v. 11.3.2004 – IX ZR 160/02, ZIP 2004, 1060; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.87. 4 Gehrlein, ZInsO 2012, 197.

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1.365

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

1.365 Eine Anfechtung kommt allerdings selbst bei Drittsicherheiten in Betracht, wenn nicht nur ein Insolvenzverfahren für die kreditnehmende GmbH, sondern daneben ein weiteres Insolvenzverfahren über das Vermögen des Drittsicherungsgebers eröffnet wird1. Denn die Sicherheitenbestellung für die Verbindlichkeiten der GmbH verkürzt natürlich die Insolvenzmasse in diesem Insolvenzverfahren und benachteiligt damit die Insolvenzgläubiger des Sicherungsgebers. Tatsächlich hat dieses Anfechtungsrisiko für die Kreditgeber eine erhebliche Bedeutung, da im Rahmen der Insolvenzordnung häufig damit gerechnet werden muss, dass es parallel zum Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH auch zu einem Insolvenzverfahren über das Vermögen der typischen Drittsicherungsgeber, nämlich der Gesellschafter und/oder Geschäftsführer sowie deren Angehörigen, kommt. Denn mit der Möglichkeit der Restschuldbefreiung nach Abwicklung eines (Verbraucher-)Insolvenzverfahrens ist für diesen Personenkreis ein starker Anreiz geschaffen worden, der Mithaft für die Verbindlichkeiten der insolventen GmbH durch ein separates Insolvenzverfahren über ihr eigenes Vermögen ledig zu werden. b) Upstream-Sicherheiten und Limitation Language 1.366 Sofern eine GmbH (Gleiches gilt für eine GmbH & Co. KG oder eine Aktiengesellschaft) bei Konzern- oder Akquisitionsfinanzierungen Sicherheiten für einen Kredit an ihre direkten oder indirekten Gesellschafter (sogenannte Upstream-Sicherheiten) oder – in der Regel auf Weisung der gemeinsamen Muttergesellschaft – eine Schwestergesellschaft (sogenannte Cross-stream-Sicherheiten) stellt, kann dies gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften (§§ 30, 31 GmbHG) und gegen die Liquiditätserhaltungsvorschriften (§ 64 Satz 3 GmbHG) verstoßen. Da beide Konstellationen rechtlich gleich zu betrachten sind, werden beide aus Gründen der Übersichtlichkeit im Folgenden als Upstream-Sicherheiten bezeichnet. aa) Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften 1.367 Die Bestellung einer Upstream-Sicherheit stellt im Sinne der Kapitalerhaltungsvorschriften eine Leistung an den Gesellschafter dar, obwohl die Sicherheit nicht dem Gesellschafter, sondern einem Dritten bestellt wird. Der Gesellschafter hätte aber ohne die Stellung der Upstream-Sicherheit den Kredit nicht oder nur zu ungünstigeren Bedingungen erhalten2. Ein Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsregeln liegt dann nicht vor, wenn durch die Bestellung der Upstream-Sicherheit das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen i.S. des § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG nicht angegriffen wird oder einer der Ausnahmetatbestände des § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG vorliegt: Besteht im Zeitpunkt der drohenden Verwertung (s. dazu nachfolgend Rz. 1.368) der Upstream-Sicherheit zwischen der GmbH und dem Gesellschafter ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag oder hat die GmbH gegen den Gesellschafter einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgriffsanspruch wegen der Gewährung der Upstream-Sicherheit, sind die Kapitalerhaltungsvorschriften nicht verletzt. 1 Ausführlich zur Anfechtung von Sicherungsleistungen Dritter in deren Insolvenz, insbesondere nach § 134 InsO: Wittig, NZI 2005, 606. 2 Pleister, ZIP 2015, 1097, 1098; Undritz/Degenhardt, NZI 2015, 348, 349; Heidinger in Ziemons/Jaeger, BeckOK-GmbHG, § 30 Rz. 69.2.

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Kuder/Unverdorben

Kreditbesicherung in der Krise

1.370

Auf welchen Zeitpunkt es bei der Beurteilung, ob die Bestellung der Upstream-Si- 1.368 cherheit gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften verstößt, ankommt, ist in der Literatur umstritten. Während ein Teil der Literatur den Zeitpunkt der Bestellung der Sicherheit als maßgeblich ansieht1, stellt ein anderer Teil auf den Zeitpunkt der drohenden Verwertung der Sicherheit ab2. Teilweise wird auch nach der Art der Sicherheit differenziert3. Da das Gesetz bei der Kapitalerhaltung von einer bilanziellen Betrachtung ausgeht, ist zutreffend auf den Zeitpunkt der drohenden Verwertung der Sicherheit abzustellen. Denn erst ab diesem Zeitpunkt muss bei der GmbH eine Rückstellung für die Sicherheit gebildet werden und ist ein Rückgriffsanspruch gegen den Gesellschafter zu aktivieren4. Nur in dem Fall, dass bereits bei der Bestellung der Upstream-Sicherheit die Verwertung droht, ist schon in diesem Zeitpunkt eine Rückstellung zu bilden und wäre bei der Prüfung, ob die Bestellung der Sicherheit die Kapitalerhaltung beeinträchtigt, auf diesen Zeitpunkt abzustellen. Eine solche Konstellation kann im Einzelfall dann vorliegen, wenn mit der Upstream-Sicherheit ein Sanierungskredit an die Muttergesellschaft, die sich in der Krise befindet, besichert werden soll. Ebenso umstritten ist die Frage, ob bei einem bestehenden Beherrschungs- oder 1.369 Gewinnabführungsvertrag über den Wortlaut des § 30 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GmbHG hinaus der durch die Inanspruchnahme der Sicherheit eventuell entstehende Anspruch der GmbH auf Verlustausgleich durch den Gesellschafter vollwertig sein muss. Die Befürworter dieser Auffassung5 übersehen, dass der Gesetzgeber in § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG zwei unterschiedliche Ausnahmetatbestände aufgenommen hat. Dabei wurde das Erfordernis der Vollwertigkeit nur für die zweite Alternative formuliert, obwohl der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren die bereits zu diesem Zeitpunkt bestehende Auffassung in der Literatur kannte, die auch bei einem bestehenden Unternehmensvertrag die Vollwertigkeit des Verlustausgleichsanspruchs forderte. Wäre auch in der ersten Alternative die Vollwertigkeit des Ausgleichsanspruchs erforderlich, hätte diese einen rein deklaratorischen Charakter6. Auch wenn die Bestellung einer Sicherheit gegen die Kapitalerhaltungsvorschrif- 1.370 ten verstößt, ist die Sicherheit im Verhältnis zu dem Kredit gewährenden Kreditinstitut wirksam, weil die Kapitalerhaltungsvorschriften auf das Kreditinstitut 1 OLG Frankfurt a.M. v. 8.11.2013 – 24 U 80/13, NZI 2014, 363, 365; LG Darmstadt v. 25.4.2013 – 16 O 195/12, NZI 2014, 367; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 30 GmbHG Rz. 96; Pleister, ZIP 2015, 1097, 1100. 2 Undritz/Degenhardt, NZI 2015, 348, 349; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 30 GmbHG Rz. 85, 124 f. 3 Ekkenga in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 140 f. 4 In diesem Sinne auch BGH v. 18.6.2007 – II ZR 86/06, NJW-RR 2008, 51; Undritz/Degenhardt, NZI 2015, 348, 349. 5 Fastrich in Baumbach/Hueck, § 30 GmbHG Rz. 45; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 30 GmbHG Rz. 101; Altmeppen, NZG 2010, 361, 364; Altmeppen, ZIP 2009, 49, 55; Spliedt, ZIP 2009, 149, 152. 6 OLG Frankfurt a.M. v. 8.11.2013 – 24 U 80/13, NZI 2014, 363, 365; LG Darmstadt v. 25.4.2013 – 16 O 195/12, NZI 2014, 367; Pleister, ZIP 2015, 1097, 1099 m.w.N. zum Stand der Diskussion; Ekkenga in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 270; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 30 GmbHG Rz. 48; Winkler/Becker, ZIP 2009, 2361, 2366.

Kuder/Unverdorben

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1.371

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

als Nichtgesellschafter keine Anwendung finden1. Dies gilt sowohl bei Konzernals auch bei Akquisitionsfinanzierungen2. bb) Verstoß gegen die Liquiditätserhaltungsvorschriften 1.371 Gegen die Liquiditätserhaltungsvorschriften (§ 64 Satz 3 GmbHG) verstößt eine Upstream-Sicherheit dann nicht, wenn die GmbH spätestens im Zeitpunkt der Verwertung der Sicherheit einen mindestens gleichwertigen liquiden Vermögenszufluss erhalten hat, der ihr im Zeitpunkt der Verwertung der Sicherheit auch noch zur Verfügung steht3. Ein solcher Vermögenszufluss liegt vor, wenn die Muttergesellschaft den besicherten Kredit mindestens in Höhe des Werts der Sicherheit an die GmbH weitergeleitet hat oder die GmbH in solcher Höhe Liquidität aus einem Cash Pool mit der Muttergesellschaft entnommen hat4. Ein Vermögenzufluss ist hingegen nicht in dem Rückgriffsanspruch zu sehen, den die GmbH durch die Bestellung der Sicherheit gegen die Muttergesellschaft erworben hat, da dieser Rückgriffsanspruch im Zeitpunkt der Verwertung der Sicherheit nicht mehr werthaltig ist – anderenfalls wäre es überhaupt nicht zur Verwertung der Sicherheit gekommen. Ein Verstoß gegen die Liquiditätserhaltungsvorschriften liegt auch dann nicht vor, wenn die Sicherheit illiquide ist. Dies ist der Fall, wenn sie sich nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Wochen verwerten lässt5. cc) Limitation-Language 1.372 Um jedoch einen Verstoß gegen die Kapitalerhaltungs- und Liquiditätserhaltungsvorschriften und damit eine eventuelle persönliche Haftung der Geschäftsführer der GmbH von vorne herein zu vermeiden, wird eine GmbH bei der Bestellung einer Upstream-Sicherheit regelmäßig von dem Kreditinstitut eine vertragliche Beschränkung des Rechts des Kreditinstituts, die Upstream-Sicherheit zu verwerten, fordern. Solche vertragliche Verwertungsbeschränkungen werden in der Praxis als Limitation Language bezeichnet. Im Kern beinhaltet eine Limitation Language stets die Vereinbarung, dass die Verwertung der Sicherheit ausgeschlossen ist (oder entsprechende Beträge zurückerstattert werden), wenn und insoweit der Sicherungsgeber nachweist, dass die Inanspruchnahme der Sicherheit dazu führt, dass das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen angegriffen wird, indem das Reinvermögen des Sicherungsgebers unter den Betrag des 1 BGH v. 19.8.1998 - IX ZR 22/97, NJW 1998, 2592; Ekkenga in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 30 GmbHG Rz. 280; Pleister, ZIP 2015, 1097, 1100; Anm. Friese zu OLG Frankfurt a.M. v. 8.11.2013 – 24 U 80/13, NZI 2014, 363, 366. 2 Lediglich bei der Akquisition von Anteilen an einer Aktiengesellschaft kann die Zielgesellschaft keine Upstream-Sicherheiten für den dem Erwerber gewährten Kredit zur Finanzierung des Anteilskaufpreises bestellen; eine solche Upstream-Sicherheit ist wegen § 71a Abs. 1 AktG nichtig. 3 Begr. RegE MoMiG v. 27.7.2007, BT-Drucks. 16/6140, S. 46 und 47, zu Nr. 43 (Änderung von § 64); BGH v. 31.3.2003 – II ZR 150/02, NJW 2003, 2316; BGH v. 14.10.1985 – II ZR 276/84, WM 1986, 237, 239; BGH v. 18.3.1974 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089; Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 70 ff.; Seulen/Osterloh, ZInsO 2010, 881, 883; Weitzel/Socher, ZIP 2010, 1069. 4 Kollmorgen/Santelmann/Weiß, BB 2009, 1818, 1821 f. 5 Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 98; Seulen/Osterloh, ZInsO 2010, 881, 882.

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Kuder/Unverdorben

Kreditbesicherung in der Krise

1.409

Stammkapitals absinkt (Unterbilanz) oder sich eine bereits bestehende Unterbilanz weiter vertieft. Umstritten ist, ob die mit der Limitation Language vereinbarten Verwertungs- 1.373 beschränkungen auch in der Insolvenz des Sicherungsgebers noch gelten oder entfallen. Diejenigen, nach deren Ansicht die Limitation Language auch im Fall der Insolvenz greift, argumenieren, Hauptzweck des Kapitalerhaltungsrechts sei der Schutz des Gesellschaftsvermögens im Interesse der Gesellschaftsgläubiger als eine Befriedigungsreserve. Dieser Zweck entfalle auch nicht in der Insolvenz der Gesellschaft, da gerade das Insolvenzverfahren der Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger diene. Bei der Leistung auf eine Upstream-Sicherheit handele es sich wirtschaftlich um eine Leistung an einen Gesellschafter, was mit dem Zweck des Insolvenzverfahrens nicht vereinbar sei, solange nicht alle Insolvenzgläubiger befriedigt seien1. Die Gegenauffassung betont hingegen, dass Sinn und Zweck der Limitation Language einerseits die Erhaltung des Stammkapitals und andererseits der Schutz des Geschäftsführers vor einer persönlichen Haftung sei2. Bei einem eröffneten Insolvenzverfahren bedürften Dritte aber keines Schutzes mehr hinsichtlich der Erhaltung des Stammkapitals, da die Gesellschaft bereits zahlungsunfähig und/oder überschuldet und das Stammkapital folglich bereits verloren sei. Die Gesellschaft sei aufgelöst (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG) und an die Stelle des Geschäftsführers trete der Insolvenzverwalter, der nicht der persönlichen Haftung gemäß §§ 43 Abs. 3, 64 Satz 3 GmbHG unterliege3. Dem ist zuzustimmen. Bei rein wirtschaftlicher Betrachtung handelt es sich bei Upstream-Sicherheiten nicht um Leistungen an den Gesellschafter, weil die Kreditgewährung an die Muttergesellschaft regelmäßig auch im Interesse der Tochtergesellschaft liegt. Vielmehr liegt das wirtschaftliche Interesse an der Sicherheit spätestens im Zeitpunkt der Verwertung beim Sicherungsnehmer. Die Kreditinstitute lassen sich auf die Limitation Language, die zu einer für sie nicht kalkulierbaren Entwertung der gestellten Upstream-Sicherheiten führen kann, nur im Hinblick auf das schutzwürdige Interesse der Vermeidung einer persönlichen Haftung der Geschäftsführer des Sicherungsgebers ein; dies ist die Geschäftsgrundlage für die Vereinbarung der Verwertungsbeschränkung. Wenn aber mit der Insolvenz des Sicherungsgebers diese Geschäftsgrundlage entfällt, besteht kein Grund mehr für die Anwendung der Verwertungsbeschränkung. vacat

1.374–1.408

4. Anfechtbarkeit nachträglicher Besicherung aus dem Vermögen der GmbH Wie vorstehend (Rz. 1.355 ff., 1.363 ff.) erläutert, können in einem Insolvenzver- 1.409 fahren über das Vermögen der GmbH überhaupt nur solche in der Krise vorgenommenen Sicherungsgeschäfte angefochten werden, bei denen die GmbH aus ihrem eigenen Vermögen nachträglich für bereits bestehende Verbindlichkeiten Sicherheiten gestellt hat, wenn also weder ein Bargeschäft noch die Bestellung von Drittsicherheiten vorliegt. Denn nur in diesem Fall benachteiligt die nachträgli1 Undritz/Degenhardt, NZI 2015, 348, 353. 2 LG Darmstadt v. 25.4.2013 – 16 O 195/12, NZI 2014, 367, 368 f. 3 OLG Frankfurt a.M. v. 8.11.2013 – 24 U 80/13, NZI 2014, 363, 365 m. Anm. Friese; LG Darmstadt v. 25.4.2013 – 16 O 195/12, NZI 2014, 367, 368 f.; Pleister, ZIP 2015, 1097, 1100 f.

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1.410

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

che Besicherung i.S. von § 129 InsO die anderen Insolvenzgläubiger1. Für die Anfechtung dieser nachträglichen Bestellung von Sicherheiten sind in der Praxis die Tatbestände der Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO)2 und der allgemeinen Insolvenzanfechtung (§§ 130, 131 InsO) von besonderer Bedeutung. Daneben kann bei einer Gesellschafterbeteiligung des Kreditgebers an der kreditnehmenden GmbH der Anfechtungstatbestand für Gesellschafterdarlehen (§ 135 InsO) einschlägig sein. Demgegenüber spielt die Anfechtung unentgeltlicher Leistungen (§ 134 InsO) praktisch kaum eine Rolle. Im Einzelnen gilt für die Anfechtungstatbestände Folgendes: a) Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO 1.410 Nach den Regelungen der Insolvenzordnung ist die Bestellung von Sicherheiten in den letzten zehn Jahren vor dem Eröffnungsantrag anfechtbar, wenn der Schuldner dabei mit dem Vorsatz handelte, seine Gläubiger zu benachteiligen, und der Kreditgeber den Vorsatz des Schuldners kannte. Für die Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) einer nachträglichen Sicherheitenbestellung ergeben sich die folgenden Grundsätze3: 1.411 Voraussetzung für die Anfechtung nach § 133 InsO ist, dass die angefochtene Rechtshandlung objektiv zu einer Benachteiligung der Insolvenzgläubiger geführt hat, wobei eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung genügt4. Da die Bestellung einer Sicherheit aus dem Vermögen der GmbH den mit dem Sicherungsrecht belasteten Vermögensgegenstand dem Zugriff der Insolvenzgläubiger entzieht, liegt eine solche objektive Benachteiligung bei einer nachträglichen Besicherung von Krediten stets vor. 1.412 Für die Anfechtung nach § 133 InsO ist aber neben der objektiven Benachteiligung weiter erforderlich, dass der Schuldner die Rechtshandlung mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger im Allgemeinen zu benachteiligen. Dabei genügt, wenn der Schuldner mit bedingtem Vorsatz eine Gläubigerbenachteiligung wenigstens als notwendige (Neben-)Folge seines Handelns billigend in Kauf nimmt5. 1.413 Mit Benachteiligungsvorsatz handelt der Kreditnehmer, wenn im Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung sein Vermögen nicht mehr ausreicht, alle Gläubiger zu befriedigen (also Überschuldung vorlag), oder wenn er schon Anlass hatte, mit dem baldigen Eintritt der Krise und einer nachfolgenden Insolvenz zu rechnen6. Der 1 Dabei kommt es nur auf den Nachteil für die Insolvenzmasse und nicht auf den Sicherheitenwert für den gesicherten Gläubiger an; so OLG Hamburg v. 9.5.2001 – 8 U 8/01, ZIP 2001, 1332. 2 Zum Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“ v. 29.9.2015 s. oben Fn. 2 zu Rz. 1.326. 3 Zur Vorsatzanfechtung der nachträglichen Sicherheitenbestellung Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.114 ff. 4 Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 133 InsO Rz. 11. 5 Dazu BGH v. 24.5.2007 – IX ZR 97/06, NZI 2007, 512; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.115. 6 OLG Düsseldorf v. 30.6.1983 – 6 U 120/81, AG 1983, 250 = WM 1983, 873; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.116.

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Kuder/Unverdorben

Kreditbesicherung in der Krise

1.415

Kreditnehmer muss also entweder wissen, dass er neben dem Anfechtungsgegner nicht alle Gläubiger innerhalb angemessener Zeit befriedigen kann, oder aber sich diese Folge als möglich vorstellen, sie aber in Kauf nehmen, ohne sich durch die Vorstellung dieser Möglichkeit von seinem Handeln abhalten zu lassen1. Ist dagegen der Schuldner auf Grund konkreter Vorstellungen davon überzeugt, dass ein Insolvenzverfahren so gut wie ausgeschlossen ist und dass er alle seine Gläubiger in absehbarer Zeit befriedigen kann, ist ein Benachteiligungsvorsatz ausgeschlossen2. Lediglich fahrlässige Unkenntnis der Gläubigerbenachteiligung als Folge der Rechtshandlung genügt aber für die Anfechtung nach § 133 InsO nicht3. Nach der von der Rechtsprechung entwickelten Lehre von den Beweisanzeichen 1.414 stellt der Umstand, dass es sich bei der angefochtenen Bestellung von Sicherheiten um eine inkongruente Deckung handelt, ein starkes Beweisanzeichen für einen Benachteiligungsvorsatz dar4. Allerdings kann der Benachteiligungsvorsatz nicht allein aus dem Umstand abgeleitet werden, dass der Schuldner dem Gläubiger eine Sicherheit bestellt5. Bei einer sofort wirksamen (und nicht auf den Eintritt des Insolvenzfalls bedingten) Sicherheitenbestellung kann nur dann ein Benachteiligungsvorsatz angenommen werden, wenn die Beteiligten den Eintritt der Insolvenz während der Dauer des Sicherungsgeschäfts für konkret wahrscheinlich halten6. Werden im Rahmen eines ernsthaften Sanierungsversuchs auf Grundlage eines 1.415 tragfähigen Sanierungskonzepts Sicherheiten auch für schon früher gewährte Kredite gewährt, so ist das in der inkongruenten Deckung liegende Beweisanzeichen für den Beteiligungsvorsatz des Schuldners entkräftet, wenn das Sanierungskonzept zumindest in seinen Anfängen schon in die Tat umgesetzt war und ernsthafte Aussicht auf Erfolg bestand7. Dabei schließt ein ernsthafter Sanierungsversuch, bei dem die Ausgangslage und die Durchführbarkeit von einem unvoreingenommenen, branchenkundigen Fachmann sachgerecht geprüft worden sind, schon objektiv eine Gläubigerbenachteiligung aus, auch wenn die Sanierung letztlich scheitert. Dies ist insbesondere auch dann der Fall, wenn der Schuldner die sichere Erwartung haben durfte, dass die Sanierungsverhandlungen in Kürze erfolgreich abgeschlossen, seine Kredite verlängert oder mit frischen Mitteln ge1 BGH v. 24.5.2007 – IX ZR 97/06, NZI 2007, 512. 2 BGH v. 24.5.2007 – IX ZR 97/06, NZI 2007, 512; BGH v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, WM 1998, 245 = GmbHR 1998, 185; BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, WM 1998, 968 = GmbHR 1998, 935. 3 Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 133 InsO Rz. 13 ff. 4 BGH v. 2.12.2009 – IX ZR 412/98, ZIP 2000, 82; BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 121/06, WM 2008, 223; BGH v. 20.6.2002 – IX ZR 177/99, ZIP 2002, 1408, 1412; BGH v. 11.3.2004 – IX ZR 160/02, ZIP 2004, 1060; BGH v. 30.9.1993 – IX ZR 227/92, ZIP 1993, 1653; Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 133 InsO Rz. 29 ff. m.w.N. 5 BGH v. 7.11.2013 – IX ZR 248/12, NZI 2014, 68 Rz. 17. 6 BGH v. 7.11.2013 – IX ZR 248/12, NZI 2014, 68 Rz. 17. 7 BGH v. 10.1.2013 – IX ZR 13/12, NZI 2013, 133 Rz. 17; BGH v. 10.1.2013 – IX ZR 28/12, NZI 2013, 249 Rz. 19; BGH v. 21.2.2013 IX ZR 52/10, NZI 2013, 500 Rz. 11 = GmbHR 2013, 529 m. Komm. Blöse; BGH v. 19.9.2013 – IX ZR 232/12, WM 2013, 1995; BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, WM 1993, 270; Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 133 InsO Rz. 37; Ganter, NZI.2014, 673, 674; Hagemann, NZI 2014, 210; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.117.

Kuder/Unverdorben

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1.416

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

tilgt und auch die übrigen Zahlungsverpflichtungen erfüllt werden können1. Und selbst wenn die Sanierungsbemühungen nicht diese Qualität erreichen, weil z.B. nur ein Überbrückungskredit ohne fachmännische Prüfung des Sanierungskonzepts der GmbH ausgereicht wird, so fehlen die subjektiven Anfechtungsvoraussetzungen (Gläubigerbenachteiligungsvorsatz beim Schuldner, Kenntnis beim Anfechtungsgegner), falls die Beteiligten redlich und mit aus ihrer Sicht tauglichen Mitteln die Sanierung anstreben2. 1.416 Bei einer kongruenten Besicherung (dazu unten Rz. 1.423 f.) hingegen reicht das Bewusstsein des Schuldners, dass die Bestellung der Sicherheiten zu Gunsten des Kreditinstituts seine übrigen Gläubiger benachteiligt, in der Regel nicht aus, um von einem Benachteiligungsvorsatz auszugehen3. Vielmehr liegt die Annahme näher, dass es dem Kreditnehmer auf die Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung ankam. Selbst das Bewusstsein des Schuldners, dass er in der Folge nicht mehr alle anderen Gläubiger vollständig befriedigen kann, und sogar die Kentnnis des Gemeinschuldners von seiner Überschuldung reichen regelmäßig nicht aus, um bei einer kongruenten Deckung die Abnahme des Benachteiligungsvorsatzes zu rechtfertigen4. 1.417 Schließlich muss für die Vorsatzanfechtung festgestellt werden, dass der Anfechtungsgegner Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners hatte. Ein unlauteres Zusammenwirken zwischen Schuldner und Anfechtungsgegner ist nicht erforderlich5. Dazu muss der Anfechtungsgegner gewusst haben, dass der Schuldner seine Handlung für Gläubiger benachteiligend hielt und eine solche Folge auch wenigstens billigend in Kauf genommen hat. Hatte dagegen allein der Anfechtungsgegner die Benachteiligung der anderen Gläubiger beabsichtigt, so reicht dies für die Anfechtung nach § 133 InsO nicht aus, wenn ein Benachteiligungsvorsatz beim Schuldner nicht gegeben war6. Wusste aber der Anfechtungsgegner, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger objektiv benachteiligte, so wird seine Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO vermutet. b) Anfechtung der Sicherheitenbestellung für Gesellschafterdarlehen nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO 1.418 Nur für Kredite an eine Tochtergesellschaft von Interesse ist die Anfechtungsvorschrift des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Nach dieser Vorschrift kann die Bestellung von Sicherheiten angefochten werden, die die Gesellschaft zur Besicherung eines Gesellschafterdarlehens bestellt hat, sofern die Sicherheitenbestellung in den 1 BGH v. 22.11.2012 – IX ZR 62/10, ZInsO 2013, 76. 2 BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, WM 1998, 248. 3 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, = ZIP 1984, 572 = GmbHR 1984, 343; BGH v. 5.5.1959 – VIII ZR 221/57, WM 1959, 1007; Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 133 InsO Rz. 33 ff. 4 OLG Frankfurt v. 30.6.1959 – 5 U 331/58, WM 1959, 1079; BGH v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, = WM 1984, 625 = GmbHR 1984, 343; BGH v. 18.4.1991 – IX ZR 149/90, WM 1991, 1273. 5 BGH v. 17.7.2003 – IX ZR 272/02, WM 2003, 1923. 6 Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 133 InsO Rz. 19.

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Kreditbesicherung in der Krise

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letzten zehn Jahren vor dem Insolvenzantrag erfolgt ist. Die Regelung wird behandelt bei Rz. 2.127. Gleichfalls für die kreditgebende Bank von geringem Interesse ist der Tatbestand 1.419 der §§ 44a, 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsO (dazu Rz. 2.148). c) Schenkungsanfechtung nach § 134 InsO In den letzten vier Jahren vor dem Insolvenzantrag können nach § 134 InsO un- 1.420 entgeltliche Leistungen des Schuldners angefochten werden. Der Begünstigte muss beweisen, dass die Schenkung vor dem Anfechtungszeitraum lag. Jedoch kann die Bestellung von Sicherheiten durch die GmbH aus ihrem Gesell- 1.421 schaftsvermögen für eigene Verbindlichkeiten der GmbH nicht gemäß § 134 InsO als unentgeltliche Verfügung angefochten werden1. Unabhängig davon nämlich, ob die GmbH als Kreditnehmer auf Grund des Kreditvertrages zur Bestellung der konkreten Sicherheit verpflichtet ist, das Kreditinstitut einen allgemeinen Anspruch auf die Bestellung der Sicherheiten aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen hatte (Nr. 13 AGB-Banken; Nr. 22 Abs. 1 AGB-Sparkassen) oder ob der Kreditnehmer ohne rechtliche Verpflichtung die Sicherheiten bestellt hat, liegt bei der Bestellung von Sicherheiten durch den Kreditnehmer jedenfalls kein unentgeltliches Rechtsgeschäft i.S. der Anfechtungsvorschriften vor2. Darauf, ob die besicherte Forderung im Zeitpunkt der Besicherung werthaltig war oder nicht, kommt es nicht an3. d) Anfechtung der Sicherheitenbestellung für nahestehende Personen nach § 133 Abs. 2 InsO Anfechtbar sind entgeltliche Verträge mit nahestehenden Personen in den letzten 1.422 beiden Jahren vor dem Eröffnungsantrag nach § 133 Abs. 2 InsO, sofern sie die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligen und sofern dem begünstigten Gläubiger nicht der Beweis gelingt, dass er keine Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners hatte4. Für Kreditinstitute kommt dieser Anfechtungstatbestand im Kreditgeschäft mit einer GmbH praktisch nur in Betracht, wenn sie über eine Kapitalbeteiligung an der GmbH verfügen, wobei diese ausnahmsweise bei dem Vorliegen besonderer Umstände auch unterhalb der 25 %-Grenze gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO liegen kann5. In der Regel ist allerdings bei einer geringeren Beteiligung die Anfechtung nach dieser Bestimmung ausgeschlossen, selbst wenn der Kreditgeber auf Grund gesellschaftsrechtlicher oder vertraglicher Regelungen umfangreiche Informationsmöglichkeiten hat. Gesellschafter, die weniger als 25 % am Kapital der GmbH halten, sind grundsätzlich auch dann keine nahestehenden Personen, wenn sie auf Grund von Regelungen im Gesellschaftsver1 BGH v. 22.7.2004 – IX ZR 183/03, WM 2004, 1837; ausführlich zur Anfechtung von Sicherungsleistungen nach § 134 InsO Wittig, NZI 2005, 606. 2 BGH v. 20.12.2012 – IX ZR 21/12, ZInsO 2013, 240; BGH v. 6.12.2012 – IX ZR 105/12, ZInsO 2013, 73; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.120 f. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.120. 4 Dazu und insbesondere zum Begriff der nahestehenden Person detailliert Kirchhof, ZInsO 2001, 825. 5 BGH v. 15.11.2012 – IX ZR 205/11, ZInsO 2012, 2335.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

trag, beispielsweise wegen Zustimmungserfordernissen für bestimmte Rechtsgeschäfte, weiter gehenden Einfluss auf die Geschäfte der Gesellschaft haben. Andere, nicht durch gesellschaftsrechtliche, sondern durch geschäftliche Beziehungen begründete Informationsmöglichkeiten qualifizieren den Kreditgeber nicht als nahestehende Person, weil die Regelung des § 138 InsO verlangt, dass die in Betracht kommenden Personen besondere Informationsmöglichkeiten durch ihre Tätigkeit gerade innerhalb des Schuldnerunternehmens haben müssen1. Deshalb können z.B. auch sehr umfangreiche Informationspflichten im Kreditvertrag nicht die Anfechtung nach § 133 Abs. 2 InsO rechtfertigen. e) Allgemeine Insolvenzanfechtung nach §§ 130, 131 InsO aa) Kongruente und inkongruente Besicherung 1.423 Die Voraussetzungen der allgemeinen Insolvenzanfechtung sind in §§ 130, 131 InsO differenziert geregelt für kongruente und inkongruente Besicherungen. Eine Sicherung ist nur dann als kongruent anzusehen, wenn der Kreditgeber einen fälligen Anspruch gerade auf die konkrete Sicherheit hat. Erforderlich sind dazu Vereinbarungen, die auf bestimmte Gegenstände gerichtet sind. Absprachen, die es dem freien Belieben des Schuldners überlassen, welche konkrete Sicherheit gestellt wird, sind dagegen nicht geeignet, die Besserstellung des Gläubigers im Insolvenzverfahren zu rechtfertigen2. Solche auf die Stellung bestimmter Sicherheiten gerichtete Vereinbarungen können im Kreditvertrag, aber auch in einer besonderen Vereinbarung, z.B. einer sog. Positiverklärung, begründet sein3. Demgegenüber genügt der generelle Anspruch der Kreditinstitute auf die Bestellung oder Verstärkung bankmäßiger Kreditsicherheiten auf Grund allgemeiner Geschäftsbedingungen (Nr. 13 AGB-Banken; Nr. 22 Abs. 1 AGB-Sparkassen) nicht für eine kongruente Besicherung4. Ein Kreditinstitut, das in der Krise der GmbH auf Grund des Nachbesicherungsanspruchs in seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen nachträglich die Bestellung oder Verstärkung von Sicherheiten verlangt, hat daher das Risiko zu tragen, dass diese Nachbesicherung nach den wesentlich schärferen Regelungen für inkongruente Deckungen anfechtbar ist. 1.424 Dagegen ist die fortlaufende Entstehung und Abtretung der künftigen Einzelforderungen unter einem Globalzessionsvertrag nur als kongruente Deckung anfechtbar5. Zwar sind im Zeitpunkt des Globalabtretungsvertrages die künftig entstehenden Forderungen nicht konkret bestimmt6. Die Begründung zukünftiger Forderungen ist jedoch – anders als bei Sicherheiten gemäß Nr. 13 bis 15 AGBBanken – nach Inhalt und Sinn des Globalzessionsvertrages dem freien Belieben 1 BGH v. 11.12.1997 – IX ZR 278/96, WM 1998, 304. 2 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, WM 2008, 2004; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, WM 2002, 951 ff. 3 Zur Positiverklärung Wittig/Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/3078 ff. 4 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, WM 2008, 2004; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.132 f. 5 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, WM 2008, 2004; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.134 ff. S. dazu Kuder, ZIP 2008, 289; Jacoby, ZIP 2008, 385; Heinze, DZWIR 2008, 185. 6 Kuder, ZInsO 2006, 1065.

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Kreditbesicherung in der Krise

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des Schuldners entzogen. Vielmehr beruht die getroffene Sicherungsvereinbarung gerade darauf, dass die Vertragspartner davon ausgehen, der Kreditnehmer werde den Geschäftsbetrieb im bisherigen Umfang fortsetzen und daher ständig neue Ansprüche gegen Kunden erwerben, die dann abgetreten sind. Der Umfang der in Zukunft auf das gesicherte Kreditinstitut übergehenden Forderungen des Schuldners sind dabei in abstrakter Form bereits rechtlich bindend festgelegt1. Dies gilt in gleicher Weise für sämtliche revolvierenden Kreditsicherheiten, d.h. auch für Raumsicherungsübereignungen eines Warenlagers, für Mantelzessionen und Mantelübereignungen sowie für Markierungsverträge. bb) Anfechtbarkeit inkongruenter Besicherung nach § 131 InsO Inkongruente Sicherheitenbestellungen, also die nachträgliche Bestellung von Si- 1.425 cherheiten in den Fällen, wo der Kreditgeber keinen fälligen Anspruch auf die konkrete Sicherheit hatte, sind gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO immer dann anfechtbar, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und der Sicherungsgeber zum Zeitpunkt der Besicherung zahlungsunfähig war. Eine Zahlungsunfähigkeit liegt regelmäßig dann vor, wenn die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr beträgt, soweit nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass diese Lücke innerhalb von drei Wochen (fast) vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein solches Zuwarten zuzumuten ist2. Dabei ist eine Forderung dann – abweichend vom zivilrechtlichen Fälligkeitsbegriff – im insolvenzrechtlichen Sinn als fällig anzusehen, wenn der Gläubiger diese ernsthaft einfordert; dies ist dann der Fall, wenn aus einer Gläubigerhandlung, z.B. der Übersendung einer Rechnung, im Allgemeinen der Wille ergibt, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen3. Dabei kommt es für die Anfechtung von inkongruenten Besicherungen durch ei- 1.426 nen zahlungsunfähigen Kreditnehmer auf subjektive Elemente beim Kreditgeber überhaupt nicht an, sondern allein der Umstand, dass die Sicherheitenbestellung nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit erfolgt ist, führt zur Anfechtbarkeit nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Diese Regelung wurde vom Gesetzgeber getroffen, weil wegen der besonderen Verdächtigkeit des inkongruenten Erwerbs von einem zahlungsunfähigen Schuldner die sonst erforderlichen subjektiven Voraussetzungen auf Seiten des Anfechtungsgegners unwiderleglich zu vermuten seien4. Es ob

1 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, WM 2008, 2004. 2 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, WM 2012, 2286 Rz. 8 = GmbHR 2013, 31 m. Komm. Wenzler; BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, WM 2012, 1124 Rz. 10 = GmbHR 2012, 746 m. Komm. Blöse; BGH v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, WM 2007, 1616 Rz. 37; BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, WM 2006, 2312 Rz. 27; BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, WM 2005, 1468 = GmbHR 2005, 1117 m. Komm. Blöse; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 7. Aufl. 2014, § 17 InsO Rz. 21. 3 BGH v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, WM 2013, 174 Rz. 26; BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, ZInsO 2008, 273 Rz. 21; BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666 Rz. 19; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 7. Aufl. 2014, § 17 InsO Rz. 8 ff.; Eilenberger in Münchener Kommentar zur InsO, § 17 InsO Rz. 7a. 4 Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 146 RegE, S. 158 f.

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liegt aber dem Insolvenzverwalter, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners darzulegen und zu beweisen1. 1.427 Nach § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist eine inkongruente Besicherung in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag außerdem auch dann anfechtbar, wenn der Schuldner noch nicht zahlungsunfähig war, sondern dem Gläubiger zurzeit der Handlung die Benachteiligung der Insolvenzgläubiger bekannt war. § 131 Abs. 2 InsO lässt für die Anfechtung in subjektiver Hinsicht auf Seiten des Anfechtungsgegners statt positiver Kenntnis von der Benachteiligung anderer Insolvenzgläubiger auch die Kenntnis von Umständen genügen, die zwingend auf die Benachteiligung schließen lassen. Dabei darf aber nicht allein die Inkongruenz als ein Umstand angesehen werden, der zwingend auf die Benachteiligung der Insolvenzgläubiger schließen lässt; denn da die Inkongruenz der Deckung für § 131 InsO schon objektives Tatbestandsmerkmal ist, wäre sonst das subjektive Tatbestandsmerkmal immer zu bejahen und hinfällig2. 1.428 Schließlich ist eine inkongruente Kreditbesicherung nach der Insolvenzordnung (§ 131 Nr. 1 InsO) auf jeden Fall anfechtbar, wenn die Sicherheit im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestellt worden ist. Irgendwelche weiteren Voraussetzungen in objektiver oder subjektiver Hinsicht müssen dafür weder auf Seiten des Schuldners noch auf Seiten des Kreditgebers erfüllt sein. 1.429 Der Gesetzgeber hat den Grund für diese scharfen Anfechtungsvorschriften darin gesehen, dass der Gläubiger, der eine ihm nicht oder nicht zu der Zeit oder nicht in der Art zustehende Sicherung oder Befriedigung, also eine inkongruente Deckung, erhält, ohnehin wenig schutzwürdig sei. Die von der Rechtsprechung anerkannte besondere Verdächtigkeit einer inkongruenten Deckung rechtfertige es, den Anfechtungszeitraum auf einen Monat vor Eröffnungsantrag auszudehnen und auf subjektive Voraussetzungen beim Anfechtungsgegner völlig zu verzichten3. cc) Anfechtbarkeit kongruenter Besicherung 1.430 Nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Bestellung von kongruenten Sicherheiten beginnend mit den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nur dann anfechtbar, wenn zurzeit der Bestellung der Sicherheit einerseits der Schuldner zahlungsunfähig war und andererseits der Kreditgeber die Zahlungsunfähigkeit kannte. Zahlungsunfähigkeit liegt nach der auch für § 130 Abs. 1 InsO maßgeblichen Legaldefinition in § 17 Abs. 2 InsO vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen4.

1 Dazu BGH v. 12.7.2007 – IX ZR 210/04, WM 2007, 1886; Thole in Heidelberger Kommentar zur InsO, 7. Aufl. 2014, § 131 InsO Rz. 31; Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 131 InsO Rz. 61. 2 BGH v. 18.12.2003 – IX ZR 199/02, NZI 2004, 201; Paulus, WM 2000, 2225, 2229; Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 131 InsO Rz. 63. 3 So die Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 146 RegE, S. 158 f. 4 Zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit s. oben Rz. 1.425.

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Kreditbesicherung in der Krise

1.433

Hinsichtlich der subjektiven Anforderungen beim Anfechtungsgegner verschärft 1.431 § 130 Abs. 2 InsO die Anfechtungsregelung. Danach steht es der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit gleich, wenn der Anfechtungsgegner die Kenntnis von Umständen hatte, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Dafür ist aber eine allgemeine Kenntnis von schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen des Kreditnehmers, die ein Kreditinstitut – vor allem auf Grund der nach § 18 KWG vorgeschriebenen laufenden Bonitätsprüfung – erlangt hat, nicht ausreichend1, da zum einen die Zahlungsunfähigkeit gegenüber der bloßen Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse eine wesentliche Verschärfung der Krise erfordert und zum anderen der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit durch die Kreditnehmer oft verschleiert wird2. Demgegenüber lässt der Umstand, dass ein Schuldner, der mit seinen laufenden Verbindlichkeiten seit mehreren Monaten zunehmend in Rückstand geraten ist, lediglich eine Teilzahlung leistet, ohne dass konkreten Anhaltspunkte für eine schnelle Zahlung aller fälligen Forderungen bestehen, zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners schließen3. Bloße fahrlässige Unkenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder auch die Kenntnis von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit schaden dem Anfechtungsgegner aber nicht4. 5. Sittenwidrigkeit der Besicherung Hat der Kreditgeber der GmbH einen ungesicherten oder nicht ausreichend gesi- 1.432 cherten Kredit eingeräumt, so sind der nachträglichen Bestellung oder Verstärkung von Sicherheiten nicht nur Grenzen gesetzt durch die spezifisch insolvenzrechtlichen Anfechtungsregelungen. Vielmehr kann gerade in der Krise der GmbH die nachträgliche Sicherheitenbestellung auch nach der allgemeinen Regelung des § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein. Dabei kann auch bei den wegen Sittenwidrigkeit nichtigen Rechtsgeschäften statt oder neben der Nichtigkeit die Anfechtung geltend gemacht werden5. Umgekehrt wird die Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit nicht durch die Vorschriften über die Anfechtung gläubigerbenachteiligender Rechtsgeschäfte ausgeschlossen6. Der Umstand allein, dass es sich um eine nachträgliche Besicherung in der Krise 1.433 der Gesellschaft handelt, führt noch nicht zur Sittenwidrigkeit der Sicherheitenbestellung, weil die nachträgliche Besicherung von bis dahin ohne Sicherheit gewährten oder nicht ausreichend gesicherten Krediten grundsätzlich zulässig ist7. Vielmehr verlangt § 138 Abs. 1 BGB das Hinzutreten weiterer Umstände, die im Hinblick auf die Größe der einer unbestimmten Vielzahl von Gläubigern drohen1 In der Tendenz anders Paulus, WM 2000, 2225, 2228. 2 So im Ergebnis auch Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 130 InsO Rz. 39. 3 BGH v. 9.1.2003 – IX ZR 175/02, WM 2003, 400; Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 130 InsO Rz. 38 f. 4 BGH v. 19.2.2009 – IX ZR 62/08, NZI 2009, 228 Rz. 22; Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 130 InsO Rz. 34; Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu § 145 RegE, BT-Drucks. 12/7302, S. 173. 5 Dazu im Detail Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, vor §§ 129 bis 147 InsO Rz. 50 ff.; Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 134 f. 6 BGH v. 16.3.1995 – IX ZR 72/94, WM 1995, 995. 7 BGH v. 14.4.1964 – VI ZR 219/62, WM 1964, 671.

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den Gefahr und der gewissenlosen Einstellung des Sicherungsnehmers sogar über die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung hinausgehen1. Welche besonderen Merkmale dies sind, lässt sich abstrakt kaum abschließend bestimmen. Denn während die Anfechtbarkeit einer Kreditbesicherung anhand der durch die gesetzlichen Regelungen klar umrissenen Tatbestände zu beurteilen ist, kann nicht schon stets beim Vorliegen bestimmter typischer Merkmale die Sittenwidrigkeit bejaht und bei ihrem Fehlen die Sittenwidrigkeit verneint werden. Vielmehr ist erst auf Grund einer umfassenden Würdigung der objektiven Verhältnisse, unter denen ein Kredit- und Sicherungsvertrag geschlossen wurde, und der für den Vertragsschluss leitenden Absichten und Beweggründe der Parteien ein Urteil möglich, ob eine Kreditbesicherung gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Kaufleute verstößt und deshalb wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB nichtig ist2. Immerhin lassen sich aber Fallgruppen bilden, in denen die Sittenwidrigkeit der nachträglichen Sicherheitenbestellung typischerweise zumindest nahe liegt. Diese sollen hier unter den häufig verwandten Stichworten der „Knebelung“ (Rz. 1.434 ff.) und „Gläubigergefährdung“ (Letztere häufig auch als „Gläubigerbenachteiligung“ oder „Kredittäuschung“ bezeichnet) (Rz. 1.442 ff.) erörtert werden3. a) Knebelung 1.434 Ein Sicherungsvertrag kann wegen Knebelung sittenwidrig und damit nichtig sein, wenn der Sicherungsnehmer den Sicherungsgeber durch die Inanspruchnahme der Sicherheiten in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit übermäßig einengt; sei es, weil dem Sicherungsgeber keine freien Mittel zur eigenen freien Verfügung mehr verbleiben, oder sei es, weil dem Sicherungsgeber in anderer Weise die Möglichkeit zu wirtschaftlich selbständigem Handeln genommen wird4. Die Knebelung kann sowohl durch den Umfang der Sicherheitenbestellung als auch durch die Einflussnahme auf den Geschäftsbetrieb des Kreditnehmers seitens des Kreditgebers herbeigeführt werden5. 1.435 Der Umstand allein, dass sich der Kreditgeber das wesentliche freie Vermögen des Unternehmens als Sicherheit hat übertragen lassen, führt nicht zur sittenwidrigen Knebelung, solange der Umfang der Sicherheitenbestellung in einem ange1 BGH v. 16.3.1995 – IX ZR 72/94, WM 1995, 995; BGH v. 23.4.2002 – XI ZR 136/01, WM 2002, 1186. 2 So BGH v. 20.12.1957 – VI ZR 188/56, WM 1958, 249; BGH v. 4.3.1958 – VIII ZR 213/57, WM 1958, 590; Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/142 ff. 3 Schon das Reichsgericht hat diese beiden Tatbestände als Fallgruppen benannt, in denen Sicherungsverträge wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein können: RG v. 21.12.1933 – VI 196/33, RGZ 143, 48; zusammenfassend zur Sittenwidrigkeit wegen Knebelung und Gläubigergefährdung s. auch Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, vor §§ 129–147 InsO Rz. 68 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.4 ff. 4 So BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, WM 1998, 968 = GmbHR 1998, 935; s. auch OLG Celle v. 30.6.1982 – 3 U 258/81, ZIP 1982, 942; Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/144. 5 Für einen Gesamtüberblick zur Knebelung durch die Bestellung von Kreditsicherheiten s. auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.8 ff.; Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/142 ff.

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Kreditbesicherung in der Krise

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messenen Verhältnis zur Höhe der Kredite steht1 und dem Kreditnehmer noch genügend wirtschaftliche Bewegungsfreiheit zur Führung seines Unternehmens verbleibt2. Dieses notwendige Mindestmaß an Bewegungsfreiheit ist gewährleistet, wenn – dem Kreditnehmer für die Bestellung der Sicherheiten „Gegenwerte“ in Form von Krediten zufließen, durch die er sein Geschäft weiter betreiben kann3, oder wenn – der Kreditnehmer in seiner Entscheidung, durch freiwillige Leistung auch andere Gläubiger zu befriedigen, nicht beeinträchtigt wird4 oder wenn – der Kreditnehmer über die zur Sicherung übertragenen Forderungen und Gegenstände in seinem Geschäftsbetrieb weiter verfügen kann, solange das Kreditverhältnis ungestört verläuft5. Im Hinblick auf den letzten Gesichtspunkt führt die Belastung des gesamten An- 1.436 lagevermögens als Sicherheit für Bankkredite nicht zu einer sittenwidrigen Knebelung, da das Anlagevermögen gerade nicht zur Veräußerung bestimmt ist, sondern nachhaltig die Erträge erwirtschaften soll, aus denen die Fremdfinanzierung eines Unternehmens zu bedienen ist6. Vielmehr kommt es bei einer Sicherheitenbestellung, die nahezu das gesamte Vermögen des Kreditnehmers umfasst, zur Vermeidung der Sittenwidrigkeit darauf an, dass der unternehmerisch tätige Kreditnehmer in seinem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb insbesondere über sein Umlaufvermögen verfügen kann, auch wenn das Umlaufvermögen, also vor allem die Forderungen aus Lieferung und Leistung, und die Vorräte im Wege der Globalzession und der (Raum-)Sicherungsübereignung mit Sicherungsrechten belastet worden sind. Denn nur in diesem Fall kann der Kreditnehmer seinen Betrieb ungehindert fortführen7. Die im Kreditgewerbe eingesetzten Standardverträge tragen diesem Umstand Rechnung. So sehen die üblichen Verträge für die Vereinbarung einer Globalzession vor, dass der Sicherungsgeber die zur Sicherung abgetretenen Forderungen im Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebs einziehen kann, solange das gesicherte Kreditverhältnis ungestört verläuft (sog. Einziehungsbefugnis)8. In vergleichbarer Weise bleibt dem Sicherungsgeber bei dem im Kreditgewerbe gebräuchlichen Mustervertrag für eine Raumsicherungsüber1 Werden Sicherheiten in solchem Umfang hereingenommen, dass bereits bei Vertragsschluss ein auffälliges Missverhältnis zwischen deren realisierbarem Wert und dem gesicherten Kredit feststeht, kann die Besicherung auch ohne Knebelung wegen ursprünglicher Übersicherung sittenwidrig und damit nach § 138 BGB unwirksam sein; dazu BGH v. 12.3.1998 – IX ZR 74/95, WM 1998, 856. 2 BGH v. 11.10.1961 – VIII ZR 113/60, WM 1961, 1297; BGH v. 4.3.1958 – VIII ZR 213/57, WM 1958, 590. 3 BGH v. 21.11.1955 – II AZR 1/55, WM 1955, 1666; BGH v. 4.3.1958 – VIII ZR 213/57, WM 1958, 590. 4 BGH v. 20.12.1957 – VI ZR 188/56, WM 1958, 249; BGH v. 21.11.1955 – II AZR 1/55, WM 1955, 1666; BGH v. 4.3.1958 – VIII ZR 213/57, WM 1958, 590. 5 BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, WM 1998, 968 = GmbHR 1998, 935; BGH v. 11.10. 1961 – VIII ZR 113/60, WM 1961, 1297; BGH v. 4.3.1958 – VIII ZR 213/57, WM 1958, 590; BGH v. 4.3.1955 – I ZR 183/53, WM 1955, 914. 6 OLG Celle v. 30.6.1982 – 3 U 258/81, ZIP 1982, 942. 7 So für die Sicherung des Warenkreditgebers durch verlängerten Eigentumsvorbehalt BGH v. 4.3.1955 – I ZR 183/53, WM 1955, 914. 8 Huber in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/595 ff.

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1.437

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

eignung die Befugnis erhalten, über das Sicherungsgut im Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebes zu verfügen1. 1.437 Neben dem Umfang der Sicherheitenbestellung kann auch die Einflussnahme des Kreditgebers auf den Geschäftsbetrieb des Kreditnehmers dazu führen, dass Sicherungsverträge wegen Knebelung des Kreditnehmers sittenwidrig sind. Voraussetzung dafür ist ein solcher Grad an Einflussnahme, dass der Kreditgeber die so genannte stille Geschäftsinhaberschaft übernommen hat, weil – so die Definition des Reichsgerichts2 – „der Sicherungsnehmer den Schuldner zu seinem bloßen Strohmann erniedrigt, der nur noch nach außen hin als Inhaber des Geschäfts erscheint, ihm gegenüber in Wirklichkeit nur noch die Stellung eines abhängigen Verwalters hat, und zwar so, dass der ganze Gewinn des Geschäfts dem Sicherungsnehmer zufließt, ein etwaiger Verlust aber von ihm nicht getragen und jede Haftung für die Geschäftsschulden auch bei fehlender Deckung von ihm abgelehnt wird“. 1.438 Fälle, in denen der Kreditgeber die Geschäftsführung des Kreditnehmers seinen Weisungen unterwirft, um sämtliche Liquidität aus dem Geschäft zur Tilgung seiner eigenen Forderungen an sich zu ziehen, während alle übrigen Gläubiger leer ausgehen, werden in der Praxis des Kreditgeschäfts die Ausnahme bleiben. Aber die Rechtsprechung sieht die o.g. Definitionen des Reichsgerichts für sittenwidriges Handeln von Kreditinstituten bei der Besicherung von Krediten im Insolvenzvorfeld nur als beispielhafte, nicht aber abschließende Aufzählung an, so dass in jedem Einzelfall die Gesamtheit der Beschränkungen, denen der Kreditnehmer durch einen Sicherungsvertrag in Verbindung mit der sonstigen Einflussnahme des Kreditgebers unterliegt, und den Geist, in dem der Kreditgeber seine Rechte ausübt, beurteilt werden muss3. Insbesondere führt nicht jede Entsendung von Mitarbeitern oder Vertrauenspersonen in das Unternehmen des Kreditnehmers, die der Geschäftsführung mit Rat und Tat zur Seite stehen und den Kreditgeber über die Entwicklung des bedrohten Unternehmens unterrichten, zur sittenwidrigen Knebelung. Auch hier ist die Grenze zur Sittenwidrigkeit erst überschritten, wenn der Kreditgeber den Kunden, z.B. durch Drohung mit der Kreditkündigung, veranlasst, eine solch weit gehende Überwachung seiner geschäftlichen Tätigkeit zu dulden, dass jede Verfügung über Vermögenswerte von der Zustimmung des Kreditgebers abhängig ist4. Im Übrigen muss zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit neben dem Umfang der Sicherheitenbestellung in Betracht gezogen werden, welche Möglichkeiten dem Kreditnehmer verbleiben, trotz der Sicherungsübertragung über sein Vermögen auf Grund eigener geschäftlicher Entscheidung zu verfügen, ob der Kreditnehmer selbständig über die Begleichung seiner Verbindlichkeiten gegenüber dritten Gläubigern entscheidet, ob der Kreditnehmer frei bleibt, 1 So das Muster für einen Raumsicherungsübereignungsvertrag in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/378; vgl. dazu auch Cartano in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/333 ff. 2 RG v. 9.4.1932 – IX 74/31, RGZ 136, 247. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.19, weist deshalb zu Recht darauf hin, dass es Kreditinstituten damit schwer fällt, in der Krise des Kreditnehmers zu entscheiden, welche Maßnahmen noch zulässig sind. 4 BGH v. 14.4.1964 – VI ZR 219/62, WM 1964, 671; BGH v. 9.2.1965 – VI ZR 153/63, WM 1965, 475.

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Kreditbesicherung in der Krise

1.441

im Rahmen der ihm eingeräumten Kreditlinie Waren oder Rohstoffe nach eigener Entscheidung zu beziehen, ob er seine Waren und Fertigprodukte nach eigenem Gutdünken verkaufen kann, ob er in der Einstellung und Entlassung des Personals Beschränkungen unterliegt und in welchem Umfang der Kreditgeber auf die Unternehmensplanung Einfluss nimmt1. Hat der Kreditgeber mit dem Kreditnehmer nacheinander mehrere Sicherungsver- 1.439 träge für die Deckung von Krediten abgeschlossen, mag zwar jeder Sicherungsvertrag für sich allein rechtmäßig sein. Doch kann der Kreditgeber auf diese Weise nach und nach das gesamte als Sicherheit verwertbare Vermögen in die Hand bekommen, so dass beim Hinzutreten weiterer Umstände durch die Verträge in ihrer Gesamtheit der Tatbestand der Knebelung erfüllt wird. Das hat aber nicht zur Folge, dass nunmehr auch frühere Sicherungsverträge, soweit sie weder für sich allein noch in ihrer Gesamtheit sittenwidrig waren, durch das Hinzutreten des weiteren Vertrages sittenwidrig und damit nichtig werden. Denn frühere Verträge, die zurzeit ihres Abschlusses einwandfrei waren, werden nicht dadurch sittenwidrig, dass durch später getroffene, im Voraus nicht geplante Maßnahmen die Gesamtwirkung zu sittenwidrigem Handeln führt. Eine andere Beurteilung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn zwar die Sicherheiten auf Grund von solchen Einzelverträgen gewährt werden, aber diese nur die Erfüllung eines von vornherein auf die Bestellung übermäßiger Sicherheiten gerichteten Gesamtvertrages darstellen2. Rechtsfolge der Knebelung ist nach § 138 Abs. 1 BGB die Nichtigkeit des Siche- 1.440 rungsvertrages wegen Sittenwidrigkeit. Nichtig ist in einem solchen Fall das dingliche Rechtsgeschäft der Sicherheitenbestellung, so dass die gewollte Rechtsänderung zu Gunsten des Kreditnehmers nicht eintritt und der Sicherungsgeber Eigentümer des Sicherungsgutes bzw. Inhaber der Forderungen bleibt. Die Sicherungsgegenstände und Verwertungserlöse, die dem Kreditgeber auf Grund des nichtigen Vertrags zugeflossen sind, können vom Kreditnehmer bzw. dessen Insolvenzverwalter zurückgefordert werden3. Dagegen können dritte Gläubiger wegen der Knebelung keine Schadensersatz- 1.441 ansprüche gegen den gesicherten Kreditgeber geltend machen, da die Dritten nicht schon dadurch einen Schaden erleiden, dass die wirtschaftliche Freiheit des Schuldners – wenn auch in sittenwidriger Weise – eingeschränkt wird. Erst wenn weitere durch die Rechtsordnung missbilligte Umstände hinzutreten, insbesondere wenn der Knebelungsvertrag gleichzeitig auch zu einer Gläubigergefährdung geführt hat, kommen Schadensersatzansprüche der anderen Gläubiger in Betracht4. 1 Beispiele für solche Abwägungen bei BGH v. 3.3.1956 – VI ZR 334/55, WM 1956, 527; BGH v. 14.4.1964 – VI ZR 219/62, WM 1964, 671; BGH v. 9.2.1965 – VI ZR 153/63, WM 1965, 475. 2 BGH v. 8.7.1958 – VIII ZR 201/57, WM 1958, 1369; Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/145; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.33. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.31 f.; Wenzel/Gratias in Hellner/ Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/148. 4 Uhlenbruck, Gläubigerberatung in der Insolvenz, S. 117; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.34.

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1.442

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

b) Gläubigergefährdung 1.442 Sicherungsverträge können auch, selbst wenn der Tatbestand der Knebelung nicht verwirklicht ist, wegen Gläubigergefährdung sittenwidrig sein1. Zwar bringt jede Bestellung von Kreditsicherheiten für einen bestimmten Gläubiger, insbesondere in zeitlicher Nähe zu einer Insolvenz bei ungünstiger Vermögenslage des Kreditnehmers, die Gefahr für die übrigen (ungesicherten) Gläubiger mit sich, dass ihre Zugriffsmöglichkeiten auf das Schuldnervermögen vermindert werden. Dies allein führt aber noch nicht zur Sittenwidrigkeit der Besicherung, selbst wenn der Kreditnehmer fast sein gesamtes freies Vermögen zur Sicherung überträgt2. Hinzutreten muss vielmehr das Element der Täuschungsabsicht oder des Schädigungsvorsatzes3, d.h. die ausbedungene Sicherung muss gerade durch ihre Undurchsichtigkeit die Gefahr mit sich bringen, dass andere Gläubiger Schaden erleiden, und die Parteien (Sicherungsgeber und Kreditgeber) müssen eine solche Schädigung bewusst in Kauf nehmen4. 1.443 Diese Voraussetzungen der Gläubigergefährdung sind erfüllt, wenn5 – der Schuldner sein letztes zur Gläubigerbefriedigung taugliches Vermögen an einen bestimmten Kreditgeber überträgt und – dadurch gegenwärtige und künftige Gläubiger über die Kreditwürdigkeit des Schuldners getäuscht werden und – beide Vertragspartner bei dieser Täuschung zusammengewirkt haben. Die Täuschung muss allerdings nicht der Zweck ihres Handelns sein, sondern es genügt, wenn sie mit der Möglichkeit gerechnet haben, dass andere Gläubiger geschädigt werden. Kennt der begünstigte Kreditgeber die Umstände, die einen bevorstehenden Zusammenbruch des Schuldners nahe legen, handelt er schon dann sittenwidrig, wenn er sich über die Erkenntnis, dass andere Gläubiger möglicherweise geschädigt werden, mindestens grob fahrlässig hinwegsetzt. 1.444 Sittenwidrig können danach insbesondere Kreditsicherungsverträge sein, durch die der Kreditnehmer sein verbliebenes freies Vermögen ganz oder nahezu vollständig einem Kreditgeber in einer solchen Weise zur Sicherheit überträgt, dass wegen der Undurchsichtigkeit der Besicherung den anderen Gläubigern und Geschäftspartnern die wirtschaftliche Lage des Schuldners verborgen bleibt und sie auf diese Weise über die Liquidität des Kreditnehmers getäuscht werden6. 1.445 Die Gefahr der Undurchsichtigkeit besteht letztlich allerdings nur bei den publizitätslosen Mobiliarsicherheiten wie Sicherungsübereignung und Sicherungszession. Die Vereinbarung solcher publizitätsloser Sicherheiten ist inzwischen aber 1 Für einen Überblick zur Gläubigergefährdung durch die Bestellung von Sicherheiten in der Krise des Kreditnehmers s. auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.40 ff.; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, vor §§ 129–147 InsO Rz. 74 f. 2 BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, WM 1998, 968 = GmbHR 1998, 935; BGH v. 4.3.1958 – VIII ZR 213/57, WM 1958, 590; dazu auch Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/149. 3 BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, WM 1998, 968 = GmbHR 1998, 935. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.52 f. 5 BGH v. 16.3.1995 – IX ZR 72/94, WM 1995, 995; BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, WM 1998, 968 = GmbHR 1998, 935. 6 Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/151.

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Kreditbesicherung in der Krise

1.447

so verbreitet und durch das Gesetz anerkannt (§§ 51 Nr. 1, 166 InsO), dass jeder Geschäftspartner des Sicherungsgebers davon ausgehen muss, dass solche Sicherheiten bestellt wurden. Die Rechtsprechung zur Undurchsichtigkeit der Besicherung kann daher heute allenfalls noch bei ungewöhnlichen Sicherheitenkonstruktionen in Frage kommen, die es dem Kreditinstitut erlauben, auf die üblichen Sicherungsübereignungen, Sicherungsabtretungen und Grundpfandrechte zu verzichten1. Der Kreis der möglichen Geschädigten beschränkt sich nicht auf Gläubiger, deren 1.446 Forderungen erst nach Abschluss des beanstandeten Vertrages mit dem Kreditinstitut zu Stande kommen, andererseits werden auch nicht sämtliche dieser Gläubiger gefährdet. Allgemeine Grundsätze lassen sich auch hier nicht aufstellen, vielmehr muss stets anhand des Einzelfalles geprüft werden, welche Gläubiger überhaupt gefährdet werden können. Gläubiger, die bei Abschluss des beanstandeten Vertrages bereits ausreichend gesichert sind, können nachträglich nicht mehr gefährdet werden. Das Gleiche gilt für Gläubiger, denen der Kreditnehmer nach Abschluss des beanstandeten Vertrages noch Sicherheiten durch verlängerten Eigentumsvorbehalt bestellt, wenn er dazu auf Grund einer dinglichen und nicht nur schuldrechtlichen Teilverzichtsklausel in Verhältnis zu dem Kreditinstitut berechtigt ist. Eine Gläubigergefährdung ist auch dann ausgeschlossen, wenn die schlechte wirtschaftliche Lage des Kreditnehmers in den betreffenden Kreisen bereits bekannt war oder wenn die Gläubiger auf Grund der allgemeinen Situation in der betreffenden Branche oder Region davon ausgehen müssen, dass durchweg das vorhandene Vermögen derartiger Unternehmen nicht einmal ausreicht, um die kreditgewährenden Banken zu sichern2. Steht fest, dass die Sicherungsverträge durch ihren Umfang und ihre Undurch- 1.447 sichtigkeit objektiv zur Gefährdung dritter Gläubiger geeignet waren, so kann dem besicherten Kreditgeber ein sittenwidriges Verhalten schon dann vorgeworfen werden, wenn er die Auswirkungen auf andere Gläubiger kannte oder wenn ihm zwar diese Gefahren nicht bewusst waren, er sich aber über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers mangelhaft unterrichtet und sich aus grober Nachlässigkeit der Erkenntnis verschlossen hat, dass Dritte hierdurch Schaden erleiden können. Dabei muss der Kreditgeber desto sorgfältiger die Auswirkungen der Sicherheitenbestellung auf das Vermögen des Schuldners prüfen, je größer und konkreter die Gefahr des wirtschaftlichen Zusammenbruchs ist. Unterlässt er diese Prüfung, trifft ihn der Vorwurf, sich leichtfertig über die Gefährdung der anderen Gläubiger durch Kredittäuschung hinweggesetzt zu haben3. Umgekehrt kann den Kreditgeber der Vorwurf sittenwidrigen Handelns dann nicht treffen, wenn er nach sachgerechter Prüfung annehmen durfte, dass mit der Bestellung der Sicherheiten für Dritte keine Gefahren verbunden sind, weil das Unternehmen des Kreditnehmers nicht existentiell bedroht erscheint oder noch über hinreichend anderes, freies Vermögen verfügt4.

1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.52 f. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.59 ff. 3 BGH v. 16.3.1995 – IX ZR 72/94, WM 1995, 995 = WuB IV A § 138 BGB – 1.95 Wittig; Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/148. 4 Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/148.

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1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

1.448 Ist der Vorwurf der sittenwidrigen Gläubigergefährdung gerechtfertigt, so haben als Rechtsfolge dritte Gläubiger gegen den besicherten Kreditgeber aus § 826 BGB Schadensersatzansprüche. Daneben führt die Gläubigergefährdung nach Auffassung der Rechtsprechung1 und weit verbreiteter Ansicht in der Literatur2 gemäß § 138 Abs. 1 BGB zur Nichtigkeit der Sicherungsverträge. Diese Auffassung ist aber abzulehnen, weil kein Bedürfnis besteht, wegen der Gefährdung anderer Gläubiger den Vertrag auch für den Schuldner, der bei dieser Gefährdung Dritter mitgewirkt hat, als nicht verbindlich anzuerkennen. Wurde mit dem Abschluss von Sicherungsverträgen nur der Tatbestand der Gläubigergefährdung erfüllt, ist daher das Vertragswerk, das den Vorwurf der Gläubigergefährdung begründet, nicht nichtig, und weder der Kreditnehmer noch dessen Insolvenzverwalter können auf Grund der Gläubigergefährdung Ansprüche gegen den besicherten Kreditgeber herleiten3. Allerdings wird eine Gläubigergefährdung häufig mit anderen Tatbeständen einhergehen, die die Nichtigkeit der Verträge auslösen, wie z.B. mit der Knebelung.

V. Kreditkündigung 1.449 Kreditinstitute, die einer GmbH in der Krise mit Darlehen zur Verfügung stehen, müssen angesichts des gestiegenen Kreditrisikos und der dargestellten (s. vorstehend bei Rz. 1.409 ff.) rechtlichen Probleme, das erhöhte Kreditrisiko durch eine insolvenzfeste Nachbesicherung auszugleichen, darüber nachdenken, ob der bei Insolvenz des Darlehensnehmers drohende Ausfall durch Kündigung der Darlehensverträge verhindert oder zumindest begrenzt werden kann, weil so die ausgereichten Kreditmittel noch vor Insolvenz zurückgefordert werden oder zumindest eine Inanspruchnahme noch offener Kreditlinien verhindert wird. Dies erfordert aber eine sorgfältige Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine – ordentliche oder außerordentliche – Kündigung vorliegen, da eine unberechtigte Kündigung das Kreditinstitut zum Schadensersatz verpflichten kann. 1. Ordentliches Kündigungsrecht 1.450 Ist für den Kredit keine feste Laufzeit vereinbart, so steht jedem Kreditinstitut ein ordentliches Kündigungsrecht zu. Dieses Kündigungsrecht folgt – sofern es nicht ausdrücklich in der Kreditvereinbarung niedergelegt ist – aus § 488 Abs. 3 BGB; die Kündigungsfrist beträgt drei Monate. In aller Regel werden Kreditinstitute ihre Kreditkündigung aber auf die speziellen Vereinbarungen in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen stützen. Nr. 19 Abs. 2 AGB-Banken bzw. – im Ergebnis weitgehend übereinstimmend – Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen berechtigen die Kreditinstitute, Kredite und Kreditzusagen, für die weder eine Laufzeit noch eine abweichende Kündigungsregelung vereinbart ist, jederzeit ohne Einhaltung

1 BGH v. 16.3.1995 – IX ZR 72/94, WM 1995, 995 = WuB IV A § 138 BGB – 1.95 Wittig. 2 So z.B. Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/150. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.65.

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Kreditkündigung

1.452

einer Kündigungsfrist zu kündigen1. Die Kündigung kann sowohl für schon ausgezahlte als auch für bislang lediglich zugesagte Kredite ausgesprochen werden2. Dieses in den AGB der Kreditwirtschaft vereinbarte Recht, das bis auf weiteres, 1.451 also nicht für eine festgelegte Laufzeit, zugesagte Darlehen ohne Einhaltung einer Frist kündigen zu können, hat die Rechtsprechung stets für wirksam erachtet3 und Einschränkungen nur über das Verbot der Kündigung zur Unzeit erreicht (dazu sogleich bei Rz. 1.457 ff.). Eine vertragliche Vereinbarung, die die gesetzliche Kündigungsfrist von drei Monaten aus § 488 Abs. 3 Satz 2 BGB für die ordentliche Kündigung eines bis auf weiteres zugesagten Darlehens verkürzt, ist wirksam, da die gesetzliche Regelung nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers dispositiv sein soll4. Ebenso bleibt die Vereinbarung vertraglicher, ordentlicher Kündigungsrechte, wie sie sich z.B. aus Nr. 19 Abs. 2 AGB-Banken bzw. Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen ergeben, von den Regelungen der außerordentlichen Kündigungsrechte in § 490 BGB unberührt5. Insbesondere wegen der dem Darlehensnehmer nach Nr. 19 Abs. 5 AGB-Banken einzuräumenden angemessenen Abwicklungsfrist verstößt das vereinbarte Recht zur ordentlichen fristlosen Kündigung in Nr. 19 Abs. 2 AGB-Banken bzw. Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen nicht ein gesetzliches Leitbild und benachteiligt daher auch nicht im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB den Darlehensnehmer unangemessen6. 2. Außerordentliches Kündigungsrecht Kreditinstituten steht auch bei Krediten, die für eine bestimmte Laufzeit ver- 1.452 geben worden sind oder für die das Recht zur ordentlichen Kündigung ausgeschlossen worden ist, ein Kündigungsrecht auf Grund der allgemeinen Geschäftsbedingungen des Kreditgewerbes zu. Die Kündigung solcher Kredite kann aber nur als (fristlose) außerordentliche Kündigung erfolgen, wozu ein wichtiger Grund vorliegen muss. Ein wichtiger Grund in diesem Sinne ist nach der Regelung in Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken (ähnlich Nr. 26 Abs. 2 AGB-Sparkassen) gegeben, wenn dem Kreditgeber, auch unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Kreditnehmers, die Fortsetzung des Kreditverhältnisses unzumutbar ist. Als „Regelbeispiele“ für solch einen wichtigen Grund nennt Nr. 19 Abs. 3 AGBBanken, 1 Zur Kündigung nach Nr. 19 Abs. 2 AGB-Banken ausführlich Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/559 ff., mit Nachweis der Rechtsprechung. 2 K. P. Berger in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 488 BGB Rz. 233. 3 Zuletzt zu Nr. 19 Abs. 1 AGB-Banken: BGH v. 15.1.2013 – XI ZR 22/12, NJW 2013, 1519 Rz. 11 ff.; zum heutigen Nr. 19 Abs. 2 AGB-Banken: BGH v. 30.5.1985 – III ZR 112/84, WM 1985, 1136; BGH v. 5.4.1984 – III ZR 2/83, ZIP 1984, 676; OLG Köln v. 22.1.1999 – 6 U 70/98, WM 1999, 1004; LG Bonn v. 25.2.1998 – 26 O 90/97, WM 1998, 1067. 4 K. P. Berger in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 488 BGB Rz. 223; Wittig/Wittig, WM 2002, 145; Begr. Fraktionsentwurf, BT-Drucks. 14/6040 v. 14.5.2001, zu § 488, S. 253. 5 Begr. Fraktionsentwurf, BT-Drucks. 14/6040 v. 14.5.2001, zu § 490, S. 254. 6 Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/559; Hopt in Baumbach/ Hopt, HGB, 36. Aufl. 2014, AGB-Banken (8) Nr. 19 Rz. 3; Obermüller, ZInsO 2002, 97; Grundmann, BKR 2001, 66, 69.

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1.453

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

– wenn der Kreditnehmer unrichtige Angaben über seine Vermögenslage gemacht hat, die für das Kreditinstitut bei der Entscheidung über die Kreditgewährung von erheblicher Bedeutung waren, – wenn der Kunde seiner Verpflichtung zur Bestellung oder Verstärkung von Sicherheiten, die sich aus Nr. 13 Abs. 2 AGB-Banken oder einer sonstigen Vereinbarung ergibt, nicht innerhalb der von dem Kreditinstitut gesetzten angemessenen Frist nachkommt, oder – wenn eine wesentliche Verschlechterung der Vermögenslage des Kreditnehmers oder in der Werthaltigkeit einer für das Darlehen gestellten Sicherheit eintritt oder einzutreten droht und dadurch die Erfüllung der Verbindlichkeiten des Kreditnehmers gegenüber dem Kreditinstitut gefährdet ist. 1.453 In der Krise ist naturgemäß der letztgenannte Kündigungsgrund, also die Gefährdung der Rückzahlung des Darlehens, von besonderer Bedeutung. Mit den Regelungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Kreditwirtschaft wird weitgehend wörtlich das außerordentliche Kündigungsrecht des § 490 Abs. 1 BGB übernommen1. Für die Rechtmäßigkeit einer Kündigung sind danach ausdrücklich auch die für das Darlehen bestellten Sicherheiten zu berücksichtigen: Zum einen kann die (drohende) Verschlechterung in der Werthaltigkeit der Sicherheit schon ausreichender Kündigungsgrund sein, sofern dadurch die Rückerstattung des Darlehens gefährdet wird2. Zum anderen ist für die Frage, ob die Rückerstattung des Darlehens gefährdet ist, auch eine Verwertung der Sicherheiten und die Rückführung aus Verwertungserlösen einzubeziehen3. Darauf ist unten bei Rz. 1.460 ff. noch einzugehen. Voraussetzung jeder Kündigung nach dieser Regelung ist aber, dass die Umstände, die die Rückzahlung gefährden, erst im Verlauf der Kreditbeziehung eintreten oder einzutreten drohen. Dagegen besteht kein Recht zur außerordentlichen Kündigung, wenn die Umstände, die zur Kündigung herangezogen werden, dem Kreditgeber bereits im Zeitpunkt der Kreditgewährung bekannt waren4. 1.454 Die benannten Kündigungsgründe sind nicht abschließend, wie durch die „insbesondere“-Formulierung in Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken verdeutlicht wird. Dies wird durch die ausdrückliche gesetzliche Regelung in § 490 Abs. 3 BGB gestützt, wonach das Kündigungsrecht des Darlehensgebers wegen Gefährdung der Rückerstattung aus § 490 Abs. 1 Satz 1 BGB keine abschließende Regelung darstellt, sondern daneben das allgemeine Recht zur Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund gemäß § 314 BGB unberührt bleibt. Mit dieser Norm hat der Gesetzgeber den schon früher allgemein anerkannten Grundsatz, dass auch Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden können, generell normiert. Damit bleibt z.B. die Kündigung aus wichtigem 1 Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/575 f.; Mülbert, WM 2002, 465 ff.; Wittig/Wittig, WM 2002, 145 ff.; Freitag, WM 2001, 2370 ff.; Obermüller, ZInsO 2002, 97 ff.; Wittig, NZI 2002, 633. 2 So auch schon OLG Köln v. 15.9.2000 – 11 W 56/00, NZI 2001, 262. Eine Kreditkündigung wegen Wegfalls einer Sicherheit scheidet dagegen aus, wenn die Sicherheit ohnehin von Anfang an nicht werthaltig war: OLG Frankfurt/M. v. 15.2.2002 – 24 U 5/01, ZIP 2002, 1030. 3 Dazu aus grundsätzlichen Gründen sehr kritisch Freitag, WM 2001, 2370, 2374. 4 Dazu BGH v. 7.5.2002 – XI ZR 236/01, WM 2002, 26.

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Kuder/Unverdorben

Kreditkündigung

1.455

Grund bei Zahlungsverzug des Darlehensnehmers möglich, auch wenn keine Verschlechterung in den Vermögensverhältnissen des Schuldners oder in der Werthaltigkeit einer Sicherheit eingetreten ist1. Soweit jedoch seine Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, ist § 490 Abs. 1 BGB im Verhältnis zu § 314 BGB lex specialis2, so dass § 490 Abs. 1 BGB abschließend das Kündigungsrecht des Darlehensgebers regelt, wenn kein anderer Kündigungsgrund als die Gefährdung des Rückzahlungsanspruchs vorliegt3. Weitere Gründe, bei deren Eintritt dem Kreditgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung zusteht, werden häufig in den Kreditverträgen ausdrücklich vertraglich vereinbart. Insbesondere bei strukturierten Konsortialkrediten ist es inzwischen marktüblich, dass sich der Kreditnehmer verpflichtet, bestimmte Finanzkennzahlen und Finanzrelationen, sog. Financial Covenants4, insbesondere hinsichtlich Eigenkapitalausstattung, Verschuldung, Ertrag und Liquidität einzuhalten; verstößt er gegen diese Verpflichtung, haben die Kreditgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung des Kreditvertrages5. Sofern eine außerordentliche Kündigung aus einem sonstigen, nicht ausdrücklich 1.455 vertraglich oder durch AGB vereinbarten wichtigen Grund erfolgen soll, ist diese nur dann möglich, wenn der sonstige Grund qualitativ gleich schwerwiegend ist, so dass noch nicht jede Vertragsverletzung Kreditinstitute zur außerordentlichen Kreditkündigung berechtigt. Für das Kreditgeschäft mit einer insolvenzbedrohten GmbH oder einem sonstigen Kreditnehmer in der Krise ist aber entscheidend, dass eine Berechtigung zur Kreditkündigung in einem solchen Fall nahezu immer gegeben sein sollte, weil die Rechtsprechung das Recht zur außerordentlichen Kreditkündigung wegen schwerwiegender Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen in typischen Fällen, die einer Insolvenz vorausgehen, bejaht hat, so z.B. wenn der Kreditnehmer die ihm eingeräumten Kreditlinien nachhaltig überschreitet, wenn er die Kreditmittel abredewidrig verwendet oder Zahlungen „umleitet“, an denen der Kreditgeber Sicherungsrechte geltend machen kann, wenn der Kreditnehmer mit der Zahlung von Zinsen in Verzug gerät6, wenn er Zins- oder sogar Tilgungszahlungen verweigert oder wenn er damit droht, seine Zahlungsunfähigkeit zu erklären und die Zahlungen völlig einzustellen7.

1 Mülbert, WM 2002, 465, 473. 2 Begr. Fraktionsentwurf, BT-Drucks. 14/6040 v. 14.5.2001, Vorbemerkung zu § 314, S. 177. 3 Zur Konkurrenz beider Vorschriften ausführlich Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/575 f., 1/578; Mülbert, WM 2002, 465, 473; Wittig/Wittig, WM 2002, 145 ff. Dagegen mit Kritik an der gesetzlichen Regelung Freitag, WM 2001, 2370, 2377. 4 Zu Financial Covenants s. ausführlich oben Rz. 1.239 ff.; Hornuf/Reps/Schäferling, ZBB 2013, 202; Hannen, DB 2012, 2233; Kampshoff, GmbHR 2010, 897; Hoffmann, ZBB 2007, 413. 5 Bruchner/Krepold in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 79 Rz. 219 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.154. 6 Zur außerordentlichen Kündigung wegen Verzugs mit Zinsraten OLG Köln v. 30.1. 2002 – 13 U 32/01, BKR 2002, 999; OLG Schleswig v. 27.4.2006 – 5 U 176/05, WM 2006, 1338. 7 Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/595 mit Nachweisen der Rechtsprechung.

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1.456

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

1.456 Die Zulässigkeit des ordentlichen wie des außerordentlichen Kündigungsrechts ist von der Rechtsprechung allgemein anerkannt1. Daran hat auch die Entscheidung des BGH zur Unwirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln2 nichts geändert3. Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken und Nr. 26 Abs. 2 AGB-Sparkassen knüpfen nicht, jedenfalls aber nicht ausschließlich, an die Insolvenz des Kreditnehmers an, sondern generell an die Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Kreditnehmers. Selbst wenn im konkreten Fall der Eintritt der Insolvenz ausdrücklich als Kündigungsgrund im Kreditvertrag vereinbart ist, ist diese Klausel zulässig, da sie einer gesetzlich vorgesehenen Lösungsmöglichkeit (vgl. § 41 InsO; §§ 490 Abs. 1, 314 Abs. 1, 321 BGB) entspricht4 und deren Wirkungen nur vorwegnimmt. Wie bei jeder anderen Rechtsposition gilt aber auch bei der Ausübung des Kündigungsrechts das allgemeine Willkürverbot, d.h. ein Kreditinstitut darf sein Kündigungsrecht nicht willkürlich ausüben, sondern unterliegt gewissen Schranken5. 3. Einschränkung des Kündigungsrechts mit Rücksicht auf die Schuldnerinteressen 1.457 Kreditinstitute dürfen ihr Kündigungsrecht nicht ohne Rücksicht darauf ausüben, ob dem Kreditnehmer ein vermeidbarer und durch eigene Interessen des Kreditinstituts nicht gerechtfertigter Nachteil zugefügt wird6. Auf Grund dieser Einschränkungen ist aber die Kündigung in den für das Kreditgeschäft mit einer insolvenzbedrohten GmbH besonders relevanten Fällen nicht ausgeschlossen. Denn hier wird regelmäßig ein Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bestehen. Dieses ist mit dem Recht zur ordentlichen Kündigung strukturell nicht vergleichbar, weil gerade wegen des wichtigen Grundes die Fortsetzung des Kreditverhältnisses dem Kreditgeber unzumutbar geworden ist. Daher kommt eine Einschränkung des außerordentlichen Kündigungsrechts wegen berechtigter Belange des Kreditnehmers nur in ganz seltenen Ausnahmefällen in Betracht, da andernfalls der Kreditgeber zu einer Kreditversorgung des Unternehmens in der Krise verpflichtet wäre, zu der noch nicht einmal die Gesellschafter verpflichtet sind7. 1.458 So ist insbesondere dann, wenn die GmbH oder ein anderer Kreditnehmer eingeräumte Kreditlinien überschreitet, das Kreditinstitut unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, eine solche länger andauernde erhebliche Kontoüberziehung trotz wiederholter Abmahnung hinzunehmen8. Nur wenn der Kredit1 BGH v. 10.3.2009 – XI ZR 492/07, BeckRS 2009, 10673; BGH v. 20.5.2003 – XI ZR 50/02, WM 2003, 1416; BGH v. 10.11.1977 – III ZR 39/76, WM 1978, 234, 237. 2 BGH v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZInsO 2013, 292 mit Anm. Raeschke-Kessler/Christopeit, WM 2013, 1592. 3 Huber, ZIP 2013, 493; Obermüller, ZInsO 2013, 476. 4 BGH v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZInsO 2013, 292. 5 BGH v. 7.2.1956 – I ZR 43/54, WM 1956, 530; dazu Rümker, KTS 1981, 493, 495 ff.; Uhlenbruck, Gläubigerberatung in der Insolvenz, S. 107. 6 Dazu BGH v. 10.11.1977 – III ZR 39/76, WM 1978, 234, 237; BGH v. 19.9.1979 – III ZR 93/76, WM 1979, 1179; OLG Zweibrücken v. 21.9.1984 – 1 U 244/82, ZIP 1984, 1334; ausführlich dazu Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/568 ff. 7 Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/596. 8 OLG Schleswig v. 3.5.2010 – 5 U 29/10, WM 2011, 460.

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Kreditkündigung

1.461

geber häufige Überziehungen der Kreditlinie unbeanstandet hingenommen hat, kann er eine erneute Überziehung nicht ohne weiteres zum Anlass für eine Kündigung nehmen. Vielmehr muss er die kreditnehmende GmbH, genau wie jeden anderen Kreditnehmer, vorher warnen, weil sich das Kreditinstitut andernfalls in unzulässiger Weise widersprüchlich verhalten und ein zuvor in zurechenbarer Weise geschaffenes Vertrauen verletzen würde1. Auch bei einem Kredit, der für die wirtschaftliche Existenz der GmbH notwendig 1.459 ist, verbietet die Rücksichtnahme auf die Interessen des Kreditnehmers nicht jede Kündigung des Kredits. Vielmehr kann auch ein solcher Kredit von dem Kreditinstitut jedenfalls dann fristlos gekündigt werden, wenn objektive Umstände die Annahme rechtfertigen, dass der wirtschaftliche Zusammenbruch des Kreditnehmers durch Zwangsmaßnahmen Dritter unvermeidlich geworden ist2. 4. Einschränkung des Kündigungsrechts wegen ausreichender Sicherheiten § 490 Abs. 1 BGB, der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Kreditwirt- 1.460 schaft (Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken, Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen) fast wörtlich übernommen wurde, legt ausdrücklich fest, dass für die Feststellung dieses Kündigungsgrundes auch eine Verwertung der Sicherheiten und die Rückführung aus Verwertungserlösen einzubeziehen ist3. Dazu weisen die Gesetzesmaterialien darauf hin, dass bei Vorliegen hinreichender Sicherheiten trotz einer wesentlichen Verschlechterung in den Vermögensverhältnissen des Darlehensnehmers der Darlehensgeber kein Kündigungsrecht habe, weil die Gefährdung der Rückerstattung durch die Sicherheiten ausgeschlossen sei. Für die Beurteilung des Sicherheitenwertes sollen bei Sachsicherheiten die Werthaltigkeit der als Sicherheit gestellten Sache und bei Personalsicherheiten Dritter, insbesondere bei der Bürgschaft, die Vermögensverhältnisse des dritten Sicherungsgebers maßgeblich sein4. Damit Sicherheiten in dieser Weise den Ausschluss der Kündigung rechtfertigen, 1.461 ist aber erforderlich, dass sie nach dem Urteil eines unbeteiligten, sachkundigen und unterrichteten Beobachters im Hinblick auf die Gesamtumstände zur Deckung des vollen Kreditrisikos ausreichen und ohne nennenswerte Schwierigkeiten verwertbar sind5. Dazu sind strenge Anforderungen zu erfüllen: 1 BGH v. 10.11.1977 – III ZR 39/76, WM 1978, 234, 237; BGH v. 14.7.1983 – III ZR 176/82, WM 1983, 1038; BGH v. 12.7.1984 – III ZR 32/84, WM 1984, 1273; BGH v. 28.2.1985 – III ZR 223/83, WM 1985, 769; OLG Zweibrücken v. 21.9.1984 – 1 U 244/82, ZIP 1984, 1334; dazu auch Rümker, KTS 1981, 493; Hopt, ZHR 143 (1979), 139; Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/598. 2 BGH, EWiR Nr. 17 AGB Banken 2/85, 533; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.157. 3 Dazu Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/562; Mülbert, WM 2002, 465 ff.; Wittig/Wittig, WM 2002, 145 ff.; Freitag, WM 2001, 2370 ff.; Obermüller, ZInsO 2002, 97 ff.; Wittig, NZI 2002, 633; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.145 f. 4 Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/6857 v. 31.8.2001, zu Nr. 110, S. 64. 5 So auch Obermüller, ZInsO 2002, 97, 100, unter Berufung auf BGH v. 5.5.1981 – 1 StR 487/80, NStZ 1981, 351.

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1.462

1. Teil: Krisenvermeidung, Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung

– Der Wert der gestellten Sicherheiten darf nicht nur für den Kapitalbetrag und die schon aufgelaufenen Zinsen reichen. Vielmehr ist auch zu berücksichtigen, für welchen Zeitraum durch die Sicherheiten auch die weiter anfallenden Zinsen gedeckt sind. Ist dagegen zu befürchten, dass ohne eine Verbesserung der finanziellen Verhältnisse des Darlehensnehmers das Kreditinstitut durch den Ausfall mit weiterhin auflaufenden Zinsen einen Verlust erleiden wird, so ist es nicht zumutbar, die Kündigung des Darlehens bis dahin zurückzustellen1. – Bei Hinausschieben der Kündigung darf keine Beeinträchtigung des Wertes der zur Verfügung stehenden Sicherheiten zu befürchten sein. Denn § 490 Abs. 1 BGB lässt für die außerordentliche Kündigung schon genügen, dass in der Werthaltigkeit einer für das Darlehen gestellten Sicherheit eine wesentliche Verschlechterung erst einzutreten droht. – Die Sanierungsfähigkeit des Kreditnehmers muss grundsätzlich gegeben sein2. Denn ist eine Insolvenz ohnehin unvermeidbar, kann dem gesicherten Kreditinstitut mangels eines schutzwürdigen Interesses des Kreditnehmers an der Fortführung des Darlehensvertrages nicht zugemutet werden, die Rückführung des Darlehens durch Verwertung der Sicherheiten bis zum endgültigen Eintritt der Insolvenz hinauszuschieben. Denn damit würde dem Kreditinstitut das Risiko einer zwischenzeitlichen Wertminderung oder gar eines Verlustes der Sicherheiten (z.B. bei der besitzlosen Sicherungsübereignung durch Untreuehandlungen des Kreditnehmers) auferlegt. 1.462 Sind diese engen Voraussetzungen einer Einschränkung des Kündigungsrechts wegen ausreichender Besicherung nicht gegeben, kann das Kreditinstitut nach der Kündigung auf die gestellten Sicherheiten zumindest bei Unternehmen sofort zurückgreifen und zu diesem Zweck auch Verwertungsmaßnahmen ergreifen, die an die Öffentlichkeit dringen, also vor allem eine Globalzession offen legen. Wird der Kreditnehmer als Folge dieser Verwertungsmaßnahmen gezwungen, einen Insolvenzantrag zu stellen, so ist das Kreditinstitut bei einer berechtigten Kündigung weder dem Kreditnehmer noch gegenüber dessen Gläubigern zum Schadensersatz verpflichtet3. 5. Einschränkung des Kündigungsrechts bei Sanierungskrediten 1.463 Bei der Kündigung von Sanierungskrediten sind weitere Einschränkungen zu beachten: Bei der Gewährung eines Sanierungskredits – zu dessen Gewährung das Kreditinstitut nicht verpflichtet war – lässt sich das Kreditinstitut auf der Basis eines ernsthaften Sanierungskonzepts4 auf die besondere Situation einer Sanierung ein5. Wesentlich für das Gelingen einer Sanierung ist, dass alle daran Betei1 Obermüller, ZInsO 2002, 97, 100. 2 So schon OLG Celle v. 30.6.1982 – 3 U 258/81, ZIP 1982, 942. Ebenso Obermüller, ZInsO 2002, 97, 100. 3 Uhlenbruck, Gläubigerberatung in der Insolvenz, S. 107. 4 Zu den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung an ein Sanierungsgutachten: Ganter, NZI 2014, 673; zu den Voraussetzungen der Insolvenzverschleppungshaftung, wenn diese Anforderungen bei der Gewährung von Sanierungskrediten nicht eingehalten werden, Rusch, GWR 2011, 151. 5 Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/599.

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Kreditkündigung

1.464

ligten solange mitwirken, bis die Sanierung erfolgreich gelungen ist oder feststeht, dass sie gescheitert ist1. Mit seiner Beteiligung an der Sanierung ist das Kreditinstitut nicht nur gegenüber dem Kreditnehmer, sondern auch den anderen Gläubigern gegenüber verpflichtet, die auf seine Mitwirkung vertrauen und deswegen ihrerseits eigene Risiken eingehen2. Dies bedeutet, dass die Kündigung eines Sanierungskredits nur dann zulässig ist, wenn es zu solchen negativen Abweichungen von dem in dem Sanierungsgutachten getroffenen Annahmen kommt, dass auf Grundlage einer sorgfältigen Untersuchung der neuen Situation nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass die Sanierung erfolgreich abgeschlossen werden kann3. Diese Einschränkung gilt in der Regel auch dann, wenn das Kreditinstitut nur mit einer geringen Quote an der Finanzierung der sich in Sanierung befindlichen GmbH beteiligt ist. Denn auch wenn die Kündigung eines verhältnismäßig kleinen Betrages für sich genommen nicht die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens bedeutete, werden die übrigen Beteiligten nicht bereit sein, weiter die Sanierung zu begleiten, wenn sich ein Kreditgeber einseitig aus der Sanierungsgemeinschaft zurückziehen möchte4. 6. Rechtsfolgen unzulässiger Kündigung Ist die Kündigung nach den oben dargelegten Grundsätzen unzulässig, so sind 1.464 Schadensersatzansprüche Dritter ausgeschlossen5. Der Kreditnehmer kann jedoch der Kündigung entgegentreten und Schadensersatz vom Kreditgeber wegen einer zur Unzeit ausgesprochenen Kündigung fordern. Dabei erfasst der Schadensersatzanspruch auch den durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens entstandenen Schaden des Kreditnehmers, sofern die unzeitige Kündigung das Insolvenzverfahren adäquat-kausal verursacht hat6. War die Kündigung zudem unwirksam, kann das Kreditinstitut auch keine Sicherheiten verwerten, weil es keinen zur Rückzahlung fälligen Anspruch hat7.

1 BGH v. 14.9.2004 – XI ZR 184/03, WM 2004, 2200; BGH v. 6.7.2004 – XI ZR 254/02, WM 2004, 1676. 2 Veith, BankPraktiker 2006, 300; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.145 f.; Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/599. 3 BGH v. 6.7.2004 – XI ZR 254/02, WM 2004, 1676. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.164; Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/599. 5 BGH v. 3.3.1956 – IV ZR 301/55, WM 1956, 597. 6 Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/600; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.183. 7 BGH v. 14.9.2004 – XI ZR 184/03, WM 2004, 2200; BGH v. 6.7.2004 – XI ZR 254/02, WM 2004, 1676.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung A. Grundlagen, Konzepte, Strategien I. Chancen und Grenzen einer außergerichtlichen (freien) Sanierung Seit dem Inkrafttreten des ESUG steht die außergerichtliche Sanierung im echten 2.1 „Wettbewerb der Insolvenzrechte“1. Obwohl das deutsche Recht für die „freie“ Unternehmenssanierung keinen Rechtsrahmen vorsieht und die Akkordstörerproblematik oftmals für einzelne Gläubiger erhebliches „Erpressungspotenzial“ bietet, wurde bislang der privatautonomen Gestaltung der vorinsolvenzlichen Sanierung eine deutliche Überlegenheit über die Sanierung im Rahmen eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens attestiert2. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) 2011 heißt es, die Vor- und Nachteile der jeweiligen Verfahrensart sorgfältig gegeneinander abzuwägen, was einen Sanierungsberater unverzichtbar machen kann3. Eigenverwaltung, Insolvenzplan und Schutzschirmverfahren sind Instrumente, die durch Erhaltung des schuldnerischen Unternehmens zur bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger führen. Die Sanierung (Restrukturierung, Reorganisation) ist nicht eigenständiges Verfahrensziel, sondern Mittel zum Zweck4. Der primäre Verfahrenszweck bleibt auch im gesetzlich geregelten Sanierungsverfahren immer die Befriedigung der Gläubigerforderungen5. Allerdings ist die Insolvenzordnung kein Hindernis für die freie Sanierung6. 1. Chancen einer außergerichtlichen (freien) Sanierung Die außergerichtliche (freie) Sanierung bietet für das Krisenunternehmen und 2.2 seine organschaftlichen Vertreter, aber auch für die Gläubiger Vorteile, die allerdings durch das ESUG teilweise kompensiert worden sind. Zu den Vorteilen gehören u.a. Diskretion, Flexibilität, größere Effizienz, geringere Kosten und kür1 Vgl. Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 15; Madaus, NZI 2011, 622, 628 f. 2 Undritz/Knof in Kübler, HRI, § 3 Rz. 6; vgl. auch Niering/Hillebrand, Wege durch die Unternehmenskrise, 3. Aufl. 2012; Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 4; Undritz in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2009, Kap. 29, Rz. 26 f.; Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt liquidieren. Neue Möglichkeiten der Sanierung durch Insolvenz nach dem ESUG, S. 20 f.; Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999, S. 338 ff.; Eidenmüller, ZHR 160 (1996), 343 ff. 3 Vgl. Bierbach in Kübler, HRI, § 11 Rz. 82 ff. Zu den Vorteilen einer außergerichtlichen Sanierung s. Spliedt, InsVZ 2010, 27 ff.; Uhlenbruck, BB 2001, 1641 ff.; Liebig/Witt, DB 2011, 1929 ff.; Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999, S. 331 ff. 4 Vgl. Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 1 InsO Rz. 4; Pape in Uhlenbruck, 13. Aufl., § 1 InsO Rz. 1; kritisch Buchalik, ZInsO 2015, 484 ff.; Undritz in Kübler, HRI, § 2 Rz. 9; Ganter/Lohmann in Münchener Kommentar zur InsO, § 1 InsO Rz. 85. 5 Vgl. Buchalik, ZInsO 2015, 484 ff. 6 Pape in Uhlenbruck, 14. Aufl., § 1 InsO Rz. 6.

Uhlenbruck

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2.3

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

zere Verfahrensdauer1 sowie für die Gläubiger der Wegfall der Kostenbeiträge nach den §§ 170, 171 InsO2. 2.3 Eine erfolgreiche außergerichtliche (freie) Sanierung vermindert das strafrechtliche Risiko der Geschäftsführung3. Eine Bestrafung wegen Bankrottdelikts nach §§ 283, 283a-d StGB kommt meist nicht in Betracht, weil nach § 283 Abs. 6 StGB die Tat nur strafbar ist, wenn die GmbH ihre Zahlungen eingestellt hat oder über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse (§ 26 InsO) abgewiesen worden ist (objektive Bedingung der Strafbarkeit). Die Tatbestände der Verletzung der Buchführungspflicht (§ 283b StGB), der Gläubigerbegünstigung (§ 283c StGB) und der Schuldnerbegünstigung (§ 283d StGB) werden oftmals nicht geahndet, weil es entweder an der objektiven Bedingung der Strafbarkeit (§ 283 Abs. 6 StGB) fehlt oder weil die Staatsanwaltschaft keinen Anlass zur Strafverfolgung sieht, wenn die Sanierung gelingt. Eine bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung kann im Einzelfall ungeahndet beseitigt werden, obwohl der Tatbestand der strafbaren Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4, 5 InsO erfüllt ist. Doch kann diese Hoffnung kein ernsthafter strategischer Ratschlag sein. Dieser muss auf Sanierung ohne Verschleppung zielen. 2.4 Ein Vorteil für den GmbH-Geschäftsführer liegt bei der freien Sanierung darin, dass er zwar von der Gesellschafterversammlung abberufen und gekündigt werden kann, nicht aber der kurzen Kündigungsfrist im Insolvenzverfahren nach § 113 InsO ausgesetzt ist4. Die außergerichtliche (freie) Sanierung vermindert schließlich auch das haftungsrechtliche Risiko der Geschäftsführer (Binnenhaf1 Undritz/Knof in Kübler, HRI, § 3 Rz. 6; Falckenberg/Dony in Buth/Hermanns, Restrukturierung Sanierung Insolvenz, 4. Aufl. 2014, § 1; Uhlenbruck, BB 2001, 1641 ff.; Uhlenbruck, Außergerichtliche Sanierung, in Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Recht der Sanierungsfinanzierung, § 5 Rz. 11 ff.; Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999, S. 331 ff.; Maus in Römermann, Steuerberater Handbuch Neue Beratungsfelder, 2005, Rz. 86 S. 744; Oberle, Außergerichtliche Sanierung oder Sanierung in der Insolvenz? – Ansätze für eine Vergleichsrechnung, in FS Wellensiek, 2011, S. 72, 74 f.; Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 1 ff.; Undritz in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2009, Kap. 29 Rz. 5 ff.; Undritz/Knof in Kübler, HRI, § 3 Rz. 6 ff.; Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt liquidieren. Neue Möglichkeiten der Sanierung durch Insolvenz nach dem ESUG, S. 20 f.; Niering/Hillebrand, Wege durch die Unternehmenskrise, S. 17 ff.; Leithaus/Kreplin in Nerlich/Kreplin, Münchener Anwalts-Hdb. Insolvenz und Sanierung, § 9 Rz. 82 ff.; Liebig/ Witt, DB 2011, 1929 ff.; Tautorus/Janner in Münchener Anwalts-Hdb. Insolvenz und Sanierung, § 20 Rz. 127 ff.; Kreplin, ebd., § 1 Rz. 9 ff.; Bornheimer, ebd., § 7 Rz. 13 ff.; Morshäuser/Falkner, NZG 2010, 881 ff.; Kolmann, Schutzschirmverfahren, 2014, S. 5 ff. Rz. 18 ff.; Spliedt, InsVZ 2010, 27 ff.; Zipperer, NZI 2008, 208; Kluth, NZI 2002, 1 ff.; Falk/ Schäfer, ZIP 2004, 1337 ff.; Bitter/Rauhut, KSI 2007, 258, 259 f.; Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157 ff.; Besau, KSI 2011, 202 ff.; Niesert/Hohler, NZI 2010, 127 ff. Zu den verschiedenen Aspekten außergerichtlicher Sanierungsentscheidungen s. Drukarczyk/Schöntag in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2010, § 3. 2 S. Bornheimer in Nerlich/Kreplin, Münchener Anwalts-Hdb. Insolvenz und Sanierung, § 7 Rz. 29. 3 Zu den strafrechtlichen Grenzen einer freien Sanierung s. Undritz/Knof in Kübler, HRI, § 3 Rz. 10 f. 4 Die schlechte wirtschaftliche Lage oder die drohende Insolvenz des Arbeitgebers ist kein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung des Geschäftsführers. Vgl. BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 453/11.

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Uhlenbruck

Grundlagen, Konzepte, Strategien

2.5

tung), denn die Sanierungsentscheidungen fallen grundsätzlich in den Kompetenzbereich der Gesellschafter1. Allerdings müssen diese auch einberufen und um strategische Entscheidungen befragt werden (dazu Rz. 2.203). 2. Grenzen und Risiken einer außergerichtlichen (freien) Sanierung2 a) Sanierungsbemühungen und Insolvenzantragspflicht Mit dem objektiven Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung stoßen 2.5 Sanierungsversuche an faktische, aber auch rechtliche Grenzen. Die Drei-Wochen-Frist in § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO verschafft zwar dem Geschäftsführer trotz Vorliegens eines Insolvenzgrundes den zeitlichen Spielraum, eine Erfolg versprechende Sanierung zunächst zu versuchen3. Die gesetzliche Frist ist aber in den meisten Fällen zu kurz und daher ein Stressfaktor. Selbst aussichtsreiche Sanierungsbemühungen führen nicht zu einer Verlängerung der gesetzlichen Drei-Wochen-Frist für die Insolvenzantragsstellung. Richtig ist lediglich, dass die GmbHGeschäftsführer während und innerhalb der Drei-Wochen-Frist Sanierungschancen gewissenhaft zu prüfen haben4. Obgleich der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (noch) nicht gilt5 und die Beteiligung sämtlicher Gläubiger nicht erforderlich ist, hat ein GmbH-Geschäftsführer im Rahmen einer vorinsolvenzlichen Sanierung bereits die allgemeinen Regeln und Grundsätze des Gesellschaftsund Insolvenzrechts zu beachten6, wie z.B. die Anzeige- und Einberufungspflichten gemäß § 49 GmbHG, das Zahlungsverbot nach § 64 Satz 3 GmbHG oder das Verbot einer Rückgewähr von Einlagen (§ 30 GmbHG)7. 1 Vgl. Haas, Gutachten E z. 66. DJT 2006, S. E108 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 43 GmbHG Rz. 36; Veil, ZGR 2006, 374, 380; Westermann, DZWiR 2006, 485, 487; s. auch C. Schäfer, Sanieren oder Ausscheiden, in FS Ganter, 2010, S. 33 ff. 2 Zu den Grenzen und Risiken einer freien Sanierung s. auch BGH v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 157, 138; BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, ZIP 1998, 248, 251 ff.; Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 118; Uhlenbruck, BB 2001, 1641 ff.; Uhlenbruck, Risiken vorinsolvenzlicher übertragender Sanierung und Anschlussinsolvenzverfahren, in FS Haarmeyer, 2013, S. 301 ff.; Uhlenbruck, Risiken vorinsolvenzlicher übertragender Sanierung und Anschlussinsolvenzverfahren, ZInsO 2013, 2033 ff.; Niering/Hillebrand, Wege durch die Unternehmenskrise, S. 23 ff.; Rhode in Nerlich/Kreplin, Sanierung und Insolvenz, § 4 Rz. 121 ff. 3 Vgl. Preuß in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 55; Kleindiek in Heidleberger Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 12–14; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 51; Altmeppen in Roth/Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 80, 81. 4 Altmeppen in Roth/Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 81; s. auch Mackebrandt/Jung, KSI 2014, 5 ff.; Bremen in Graf-Schlicker, § 15a InsO Rz. 6, 7; s. auch BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZInsO 2007, 375, 376 = GmbHR 2007, 482 m. Komm. Poertzgen; BGH v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 = GmbHR 2007, 599. 5 Sinn und Zweck des Zahlungsverbots in § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. (§ 64 Satz 1 und 2 GmbHG n.F.) ist es aber, die verteilungsfähige Vermögensmasse nach Insolvenzreife im Interesse der Gesamtheit der Gesellschaftsgläubiger zu erhalten und eine bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern (BGH v. 25.1.2010 – II ZR 258/08, GmbHR 2010, 428 m. Komm. Podewils). 6 Vgl. Undritz in Kölner Schrift zur InsO, 3. Aufl. 2009, Kap. 29 Rz. 19 f.; Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 6 ff.; Undritz in Kübler, HRI, § 3 Rz. 8. 7 Einzelheiten bei Undritz/Knof in Kübler, HRI, § 3 Rz. 8.

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2.6

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

b) Akkordstörer und Sondervorteile 2.6 Grundsätzlich müssen im Rahmen einer (freien) außergerichtlichen Sanierung, sobald in Forderungsrechte eingegriffen wird, alle Gläubiger zustimmen1. Regeln, wonach die Mehrheit der Gläubiger entscheidet, existieren nicht. Ein sog. Akkordstörer ist selbst dann nicht zum Abschluss eines Vergleichs verpflichtet, wenn die übrigen Gläubiger mit erheblicher Mehrheit dem Vergleich zugestimmt haben2. Die Akkordstörerproblematik stellt die gebotene Verteilungsgerechtigkeit infrage, wenn einzelne Gläubiger das Sanierungskonzept torpedieren und zum Nachteil der übrigen Gläubiger ausnutzen3. Da der außergerichtliche Sanierungs- oder Liquidationsvergleich kein mehrseitiges Rechtsgeschäft darstellt, sondern das Ergebnis einer Vielzahl von Einzelvergleichen zwischen dem Schuldner und den einzelnen Gläubigern ist, ist die Beteiligung sämtlicher Gläubiger zwar juristisch nicht zwingend4. Im Zweifel ist aber anzunehmen, dass die Zustimmung jeden einzelnen Gläubigers zu dem außergerichtlichen Sanierungskonzept unter der aufschiebenden Bedingung (§ 158 BGB) erfolgt, dass „mindestens diejenigen Gläubiger das Sanierungsvorhaben ebenfalls durch den Abschluss eines Vergleichs unterstützen, deren Beteiligung zur Durchführung der vereinbarten Sanierungsmaßnahmen erforderlich ist“ (Undritz)5. Bei der außergerichtlichen Sanierung ist im Regelfall die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger „Vergleichsgrundlage“6. Letztlich entfaltet der außergerichtliche Sanierungs- oder Liquidationsvergleich seine rechtliche Bindungswirkung nur für diejenigen Gläubiger, die ihn geschlossen haben7. Die Gläubiger, deren Zustimmung zu dem Sanierungskonzept fehlt, sind nicht gehindert, ihre Ansprüche gegen das Schuldnerunternehmen uneingeschränkt mittels Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durchzusetzen. Werden einzelnen Gläubigern im Rahmen einer außergerichtlichen Sanierung Sondervorteile geboten („heimliches Privileg“), so kann dies zur Folge haben, dass der gesamte Sanierungsvergleich nach § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist8. 1 Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt Liquidieren, 2012, S. 21. 2 Vgl. BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319; Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999, S. 344 ff.; Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 10; a.A. Habscheid, Zur rechtlichen Problematik des außergerichtlichen Sanierungsvergleichs, in GS Rudolf Bruns, 1980, S. 262. 3 Vgl. Undritz in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2009, Kap. 29 Rz. 17; Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 5; Bornheimer in Nerlich/Kreplin, Münchener Anwalts-Hdb. Insolvenz und Sanierung, § 7 Rz. 27 ff.; Undritz/Knof in Kübler, HRI, § 3 Rz. 7. 4 Vgl. BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319; Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 7. 5 Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 7. Vgl. auch Habersack in Münchener Kommentar zum BGB, § 779 BGB Rz. 55; Marburger in Staudinger, § 779 BGB Rz. 61. 6 KG v. 28.4.1980 – 20 U 310/80, ZIP 1980, 963; Undritz in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2009, Kap. 29 Rz. 18; Ebenroth/Grashoff, BB 1992, 865 ff.; Habersack in Münchener Kommentar zum BGB, § 779 BGB Rz. 54. 7 Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 9. 8 Vgl. Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 12; Hess/ Fechner/Freund/Körner, Sanierungshandbuch, Teil E, Rz. 150 f.; Bornheimer in Nerlich/Kreplin, Münchener Anwalts-Hdb. Insolvenz und Sanierung, § 7 Rz. 21.

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Grundlagen, Konzepte, Strategien

2.9

c) Schwierigkeiten bei übertragender Sanierung Der Verkauf des Unternehmens oder von Unternehmensanteilen zur Vermeidung 2.7 einer Insolvenz steht jedoch oftmals unter erheblichem zeitlichen Druck, vor allem, wenn der Erwerb des Unternehmens durch Beteiligungsgesellschaften, wie z.B. Venture-Capital-Gesellschaften, Fonds-Gesellschaften, Private Equity oder Hedgefonds erfolgen soll. Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit haben gezeigt, dass Hedgefonds bzw. deren Mitarbeiter nicht selten erheblichen Druck auf die am Sanierungsprozesse beteiligten Gläubiger, vor allem Banken, setzen1. 3. Rechtsfolgen einer gescheiterten freien Sanierung Mit dem Scheitern einer freien Sanierung holen sich die Gesellschaft und alle Be- 2.8 teiligten genau die Beschwerlichkeiten ins Haus, denen sie hatten ausweichen wollen. Im Vordergrund steht dann das Anfechtungsrecht. Ein keineswegs unerhebliches Risiko für beteiligte Gläubiger liegt bei einer freien 2.9 Sanierung darin, dass bei einem Scheitern der Sanierungsbemühungen bereits erfolgte Leistungen gemäß § 133 Abs. 1 InsO im Wege der Insolvenzanfechtung von einem Insolvenzverwalter zurückgefordert werden können. Die Gläubiger sind dem Risiko ausgesetzt, weiterhin Leistungen erbringen zu müssen und hinsichtlich der Gegenleistung auf eine quotale Befriedigung verwiesen zu werden2. Einer späteren Insolvenzanfechtung von Zahlungen und Vorwegausschüttungen auf die Quote nach den §§ 129 ff. InsO bei gescheitertem Sanierungsversuch entgehen die Beteiligten nur, wenn ein von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehendes Sanierungskonzept vorgelegen hat, das mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt war und beim Schuldner die ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertigte3. Der frühere Vorsitzende des Insolvenzrechtssenats des BGH, Ganter4, hat die Frage gestellt, ob die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO eine „sanierungsfeindliche Wunderwaffe“ sei. Nach seiner Auffassung müssen weder Schuldner noch Berater eine Vorsatzanfechtung fürchten, wenn sie sich der Sanierung ernsthaft und redlich widmen. Trotzdem bleibt das Anfechtungsrisiko bei einem Scheitern der Sanierung erheblich5. 1 So Niering/Hillebrand, Wege durch die Unternehmenskrise, S. 37. 2 Vgl. Kolmann, Schutzschirmverfahren, 2014, S. 17 Rz. 73 ff.; Ganter/Weinland in Karsten Schmidt, § 133 InsO Rz. 4, 12; Uhlenbruck in FS Haarmeyer, 2013, S. 301 ff.; Undritz/Knof in Kübler, HRI, § 3 Rz. 9. 3 Vgl. BGH v. 8.1.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137, 138; BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, ZIP 1998, 248; OLG Düsseldorf v. 19.12.2003 – I-17 U 77/03, ZIP 2004, 508 = GmbHR 2004, 564. Zu den inhaltlichen Anforderungen an ein Sanierungskonzept s. auch BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, ZIP 1993, 276; BGH v. 16.10.2008 – IX ZR 183/06, ZIP 2009, 91 ff.; Undritz in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2009, Kap. 29 Rz. 32 ff.; J. Weber, ZInsO 2011, 904 ff.; Frege, NZI 2006, 545, 546; Kolmann, Schutzschirmverfahren, 2014, S. 17 f. Rz. 73 ff., 141 ff.; Ganter/Weinland in Karsten Schmidt, § 133 InsO Rz. 4, 12. 4 Ganter, WM 2009, 1441 ff. 5 Vgl. Spliedt, InsVZ 2010, 27, 31; Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 117 ff.; Kreft in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 18. Entgegen der Auffassung des BGH geht die überwiegende Literaturmeinung heute davon aus, dass die Veräußerung eines Unternehmens als Ganzes anfechtbar

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2.10

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.10 Das Scheitern einer freien Sanierung ist mit erheblichen Schadensersatzrisiken für die Geschäftsführer verbunden. Schuldhafte Insolvenzverschleppung kann den Geschäftsführer intern nach §§ 43 Abs. 2, 49 Abs. 3 GmbHG gegenüber der Gesellschaft ebenso zum Schadensersatz verpflichten wie extern nach §§ 30, 33, 43 Abs. 3, 64 GmbHG, § 823 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO (dazu Rz. 11.1 ff., 6.31), oder eine Haftung wegen Existenzvernichtung gegenüber Gesellschaftern und/oder Gesellschaftsgläubigern (dazu Rz. 1.51, 11.151)1. 2.11 Besondere Haftungsgefahren verbinden sich mit dem Scheitern einer übertragenden Sanierung2. Das Risiko einer Insolvenzanfechtung lässt sich nur minimieren, wenn der Erwerber für die übernommenen Aktiva eine angemessene Gegenleistung zur Insolvenzmasse erbringt3. Ein wesentlicher Nachteil der Veräußerung des Schuldnervermögens vor Insolvenzantragstellung ist, dass der Erwerber der Gefahr einer Inanspruchnahme aus § 25 HGB und § 75 AO ausgesetzt ist (s. oben zu Rz. 2.232 ff.). Außer einer umfangreichen Altlastenhaftung (§ 4 Abs. 4 BBodSchG) läuft der Erwerber zudem Gefahr, zur Rückzahlung staatlicher Beihilfen verpflichtet zu sein4. Die Bezeichnung der vorinsolvenzlichen außergerichtlichen übertragenden Sanierung als „Erfolgsmodell“, dem eine „Überlegenheit“ gegenüber den gerichtlichen Insolvenzverfahren zukommt5, dürfte angesichts der Sanierungsmöglichkeiten, die das ESUG eröffnet, nicht mehr zutreffen (s. Rz. 2.233). Die übertragende Sanierung vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens

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ist und nicht nur die Übertragung der einzelnen Vermögensbestandteile. Vgl. Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 94; Kreft in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 16; Karsten Schmidt, BB 1988, 5 ff.; Rogge/Leptien in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 129 InsO Rz. 50. Einzelheiten bei Bitter, Haftung von Gesellschaftern und Geschäftsführern in der Insolvenz ihrer GmbH, ZInsO 2010, 1505 ff. und 1561 ff.; Blöse, GmbHR 2012, 471, 474 f. Zur Strafbarkeit des Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung s. BGH v. 21.8.2013 – 1 StR 665/12, GmbHR 2013, 1206. Vgl. Rz. 2.232; Karsten Schmidt, ZIP 1980, 328, 337; Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, 1990, S. 1385; Uhlenbruck, Risiken vorinsolvenzlicher übertragender Sanierung und Anschlussinsolvenzverfahren, in FS Haarmeyer, 2013, S. 301 ff.; Undritz in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2009, Kap. 29 Rz. 10 ff.; Undritz in Kübler, HRI, § 2 Rz. 11 ff.; Tautorus/Janner in Nerlich/Kreplin, Münchener Anwalts-Hdb. Insolvenz und Sanierung, § 20 Rz. 127 ff.; Zipperer, NZI 2008, 206 ff.; Bitter/Rauhut, KSI 2007, 258, 259 f.; Kluth, NZI 2002, 1 ff.; Morshäuser/Falkner, NZG 2010, 881 ff. Zutr. Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 122; Undritz/Knof in Kübler, HRI, § 3 Rz. 9; Spliedt, InsVZ 2010, 27, 30; Jacoby, KTS 2009, 3, 18 f. S. auch BGH v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, ZIP 2006, 279 = GmbHR 2006, 311 m. Komm. Bormann; BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, ZIP 1993, 276; BGH v. 24.5. 2007 – IX ZR 97/06, ZIP 2007, 1511. Zur Unanfechtbarkeit von Zahlungen im Rahmen eines ernsthaften Sanierungsversuchs und den Anforderungen an ein Sanierungskonzept s. auch BGH v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137. Vgl. Tautorus/Janner in Nerlich/Kreplin, Münchener Anwalts-Hdb. Insolvenz und Sanierung, § 20 Rz. 131; Uhlenbruck in FS Haarmeyer, S. 301, 305; s. auch die Entscheidung der EG-Kommission v. 11.4.2000 über die staatliche Beihilfe Deutschlands zugunsten der System Microelectronic Innovation GmbH – K(2000) 1063 endg., ZIP 2000, 1682 ff. m. Anm. Ehricke, ZIP 2000, 1656. Vgl. hierzu Undritz, ZGR 2010, 201, 205; Undritz in Kübler, HRI, § 2 Rz. 11; Seagon in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 27 Rz. 74.

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Grundlagen, Konzepte, Strategien

2.17

ist letztlich mit einem hohen strafrechtlichen Risiko verbunden, wenn sich die Übertragung der Assets eines Schuldnerunternehmens als Bankrottdelikt i.S. von § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellt1. 2.12–2.15

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II. Interne und externe Sanierung 1. Begriffsbildung Im Rahmen der freien Sanierung wird traditionell unterschieden zwischen inter- 2.16 ner (autonomer) Sanierung und externer Sanierung2. Der Begriff der internen bzw. externen Sanierung ist kein mit wissenschaftlicher Schärfe zu präzisierender terminus technicus. Die interne Sanierung ist eine Sanierung aus eigener Kraft durch Maßnahmen im leistungswirtschaftlichen, organisatorischen, finanzwirtschaftlichen oder rechtlichen Bereich des Krisenunternehmens. Die Varianten interner Sanierung sind zahlreich3. Bei der externen Sanierung handelt es sich um Sanierungsmaßnahmen, durch die Dritte, vor allem die Gläubiger der GmbH, in das Sanierungskonzept einbezogen werden. Bei der externen Sanierung bringen demgemäß nicht nur Gesellschafter und Arbeitnehmer Opfer zu Gunsten einer nachhaltigen Unternehmenssanierung, sondern vor allem Gesellschaftsgläubiger. Das muss für den Abgrenzungszweck genügen, obwohl z.B. die Zufuhr von Kapital oder Liquidität aus Gesellschafterhand durchaus externe Züge aufweist. 2. Praxis In der Praxis pflegt eine Sanierung aus einem Paket aufeinander abgestimmter 2.17 Maßnahmen zu bestehen, die teils mit den Kräften des Unternehmens und der an ihm beteiligten Gesellschafter, teils mit Hilfe vorhandener und neuer Gläubiger geleistet werden4. In diesem Sinne ist, wenn man „interne Sanierung“, „externe Sanierung“ und „kombinierte Sanierung“ unterscheiden will, die typische Sanierung eine „kombinierte“, nämlich aus internen und externen Maßnahmen zusammengesetzte Unternehmenssanierung5. Typischerweise erfolgt eine Krisenvermeidung (also die Abwendung einer Krise) rein intern, eine die Krise überwindende Sanierung dagegen gleichzeitig intern und extern. Je später eine Sanierung einsetzt, umso weniger wird sie eine rein interne Sanierung bleiben können. Besser als die traditionelle Unterscheidung zwischen internen und externen Sa1 Vgl. Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 116; Mohr, Bankrottdelikte und übertragende Sanierung, 1993; Tiedemann, Insolvenzstrafrecht, § 283 StGB Rz. 25; Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. 2015, § 87 Rz. 11 ff. 2 Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 1 ff. u. Rz. 50 ff.; Hess, Sanierungshandbuch, Kap. 1 Rz. 15 ff.; Uhlenbruck, Außergerichtliche Sanierung, in Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Recht der Sanierungsfinanzierung, 2005, § 5 Rz. 2. 3 Kraus in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 29 ff. 4 Über typische Abläufe vgl. Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999, S. 288 ff. 5 Maßnahmenkataloge bei Fechner in Hess/Fechner/Freund/Körner, Sanierungshandbuch, Teil E; Kraus in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4; Undritz/Knof in Kübler, HRI, § 3 Rz. 65 ff.

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2.18

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

nierungen wäre insofern die Unterscheidung zwischen internen und externen Sanierungsmaßnahmen. Gleichwohl soll es hier bei der traditionellen Terminologie bleiben. Immerhin bleiben ja auch Fälle, in denen sich die Sanierung wirklich auf interne Maßnahmen beschränkt, insbesondere wenn sich eine Unternehmenskrise als Resultat von Mängeln der Eigenkapitalfinanzierung oder von Liquiditätslücken oder gar nur von Organisationsmängeln erweist, die von innen behebbar sind. 3. System der internen Sanierungsmaßnahmen 2.18 a) Die folgende Darstellung konzentriert sich neben leistungswirtschaftlichen Maßnahmen (Rz. 2.21 ff.) auf finanzielle Maßnahmen und weist neben deren Chancen und rechtlichen Möglichkeiten auch auf deren spezifische Risiken hin. Klassische finanzielle Sanierungsmaßnahme ist die Kapitalzufuhr: entweder durch Deckung erhöhten Eigenkapitals, typischerweise in Gestalt einer Kapitalerhöhung (Rz. 2.31 ff.), oder durch Zuführung bloßer Liquidität, typischerweise in Gestalt von Gesellschafterdarlehen oder gesellschafterbesicherten Drittdarlehen (Rz. 2.91 ff.). 2.19 b) Strukturändernde Eingriffe in die Organisation der Gesellschaft kommen hinzu (Rz. 2.201 ff.), ebenso und mit großer Brisanz Maßnahmen im Personalbereich (Rz. 2.271 ff.). 2.20 c) Eine erfolgreiche Sanierung ist ein plangesteuerter Vorgang. Alle Sanierungsmaßnahmen haben sich an das Sanierungskonzept zu halten, das für das Gesamtunternehmen oder für Unternehmensbereiche erstellt wurde. Ihr Einsatz richtet sich danach, ob sie möglichst schnell wirken sollen, um beispielsweise gravierende Liquiditätsprobleme zu lösen, oder ob sie Teil einer Strategie zur mitteloder langfristigen Anpassung an sich verändernde Marktbedingungen sind. Auch bei Maßnahmen, die „auf den ersten Blick“ schnelle Wirkung zeigen, z.B. bei Personalentlassungen, sind die Folgekosten zu beachten, die mittel- und langfristig wirken und den Anfangserfolg in Frage stellen können. Hinzu kommt, dass das steuernde Sanierungskonzept seinerseits der Steuerung und möglichen Korrekturen unterliegt. 4. Typologie leistungswirtschaftlicher Maßnahmen 2.21 Der Einsatz geeigneter Sanierungsmaßnahmen richtet sich naturgemäß nach den Besonderheiten der jeweiligen Unternehmenssituation. Die folgende Checkliste kann deshalb nicht abschließend sein, soll vielmehr eine Vorstellung von einem an den Einzelfall anzupassenden Maßnahmenkatalog geben. 2.22 Sanierungsmaßnahmen im leistungswirtschaftlichen Bereich1: 1. Personalbereich a) Einstellungsstop b) Überstundenstop c) Kurzarbeit d) Aufhebungsverträge 1 Im Anschluss an die 4. Aufl. (Maus) Rz. 2.12 ff.

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Grundlagen, Konzepte, Strategien

2.30

e) Vorzeitige Pensionierungen f) Sanierungsgerechte Urlaubsplanung g) Umwandlung von Voll- in Teilzeitarbeitsverträge h) Kündigung von Dienstverträgen freier Mitarbeiter 2. Produktionsbereich und Vertrieb a) Konzentration der Fertigung durch Aufgabe von Fertigungsstätten b) Kündigung von Verträgen mit Subunternehmern c) Produktivitätssteigerung durch Verbesserung der Produktionsanlagen, Verbesserung der Arbeitsabläufe, Verminderung der von Fertigungslöhnern ausgeführten Gemeinkostenarbeiten, Verbesserung der Lohnsysteme, Kürzung der Vorgabezeiten d) Reduzierung der Materialkosten und Fremdleistungen durch Reduzierung des Mengengerüstes in der Konstruktionsphase und die Durchführung von Produktwertanalysen e) Neuorganisation des Vertriebs 3. Entwicklungsbereich a) Materialbereich (Lagerabbau) b) Vertriebsbereich – Ersetzung von Handelsvertretern durch Mitarbeiter des Unternehmens – Verzicht auf Belieferung bestimmter Märkte oder Handelsstufen – Konzentration der Werbeaktivitäten – Überprüfung der Preisgestaltung c) Managementbereich – Auswechselung des Unternehmensmanagements durch Krisenmanagement – Reorganisation der Entscheidungsprozesse Als besonders schnell wirkende Sanierungsmaßnahmen im leistungswirtschaftli- 2.23 chen Bereich können namentlich in Betracht kommen1: – Einstellungs- und Investitionsstopp – Senkung der Bestände – Aktives Debitorenmanagement – Verlängerung der Zahlungsziele – Abbau von Komfort- und Serviceleistungen Langfristige Maßnahmen sind vorrangig solche, die die Wettbewerbsfähigkeit 2.24 stärken, z.B.2: – Bereinigung der Produktpalette – Einführung innovativer Produkte – Neupositionierung des Unternehmens am Markt – Eliminierung der Kostenantriebskräfte 2.25–2.30

vacat 1 Im Anschluss an die 4. Aufl. (Maus) Rz. 2.13. 2 Im Anschluss an die 4. Aufl. (Maus) Rz. 2.14.

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2.31

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

B. Interne Sanierung I. Eigenkapitalmaßnahmen 1. Kapitalerhöhung und Kapitalschnitt a) Ordentliche Kapitalerhöhung 2.31 aa) Die effektive Kapitalerhöhung (§§ 55 ff. GmbHG)1 führt zur Einbringung neuer Bar- oder Sachmittel ohne Belastung durch Verbindlichkeiten (zum Sonderfall des Debt Equity Swap vgl. Rz. 2.59 ff., Rz. 2.380 ff.). Die Kapitalerhöhung führt zu einer Erhöhung des nach § 30 GmbHG gebundenen und im Insolvenzfall letztrangigen (vgl. § 199 InsO) Eigenkapitals. Die Kapitalerhöhung wird grundsätzlich durch satzungsändernden Beschluss bewirkt (§§ 53, 55 GmbHG), der der Anmeldung und Eintragung beim Handelsregister bedarf (§ 57 GmbHG). Seit der Reform von 2008 lässt das Gesetz auch genehmigtes Kapital zu, also die Ermächtigung der Geschäftsführung zur Kapitalerhöhung (§ 55a GmbHG)2. Es ist noch nicht festzustellen, ob § 55a GmbHG in der Praxis Bedeutung erlangen wird. In Sanierungssituationen wird eine ungenutzte Ermächtigung jedenfalls kaum je vorliegen. Das Gesetz unterscheidet Barkapitalerhöhungen (§ 55 GmbHG) und Sachkapitalerhöhungen (§ 56 GmbHG) und verweist für die der Eintragung vorausgehenden Mindestleistungen auf das erhöhte Stammkapital auf die Gründungsvorschrift des § 7 Abs. 2 GmbHG (§ 56a GmbHG). Entgegen der früher vorherrschenden Auffassung lässt die Praxis die nachträgliche Umwandlung eines Kapitalerhöhungsbeschlusses in eine Sachkapitalerhöhung zu, und zwar auch nach der Eintragung des ursprünglichen Beschlusses und nicht nur zum Zweck der Heilung verdeckter Sacheinlagen3. Strategische Bedeutung kann das Bezugsrecht der Gesellschafter haben, genauer: der Bezugsrechtsausschluss für die Gewinnung eines Sanierungsinvestors. Diese Frage wird bei Rz. 2.240 behandelt. 2.32 bb) Einlagepflichten entstehen nicht schon durch den Kapitalerhöhungsbeschluss (dies wäre mit § 53 Abs. 3 GmbHG unvereinbar), sondern erst durch den Abschluss eines formgerechten Übernahmevertrags (§ 55 GmbHG)4. Die Gesellschafter sind grundsätzlich zur quotengerechten Übernahme neuer Stammeinlagen berechtigt (Bezugsrecht bei der GmbH)5, sofern nicht das Bezugsrecht aus Sachgründen ausdrücklich oder stillschweigend ausgeschlossen wird (Sanierung 1 Eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln nach § 57c GmbHG bleibt in Krise und Sanierung außer Betracht. 2 Zu § 55a GmbHG vgl. Priester in Scholz, § 55a GmbHG Rz. 3; Katschinski/Rawert, ZIP 2008, 1993, 1997; Priester, GmbHR 2008, 1177. 3 KG v. 26.10.2004 – 1 W 21/04, GmbHR 2005, 95; OLG Hamburg v. 29.4.2005 – 2 Wx 75/03, GmbHR 2005, 997; LG Stuttgart v. 4.3.2004 – 32 T 1/04 KfH, GmbHR 2004, 666; Lieder in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 56 GmbHG Rz. 37; Priester in Scholz, § 56 GmbHG Rz. 34. 4 Vgl. nur Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, § 55 GmbHG Rz. 31 ff. 5 Zum Bezugsrecht bei der GmbH BGH v. 18.4.2005 – II ZR 151/03, GmbHR 2005, 925; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, § 55 GmbHG Rz. 20 ff.; Gummert in Henssler/ Strohn, § 55 GmbHG Rz. 16; grundlegend Priester, DB 1980, 1925 ff.; ausführlich und mit umfassenden Nachweisen jetzt Priester in Scholz, § 55 GmbHG Rz. 42 ff.; krit. Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 55 GmbHG Rz. 33 ff.

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durch einen Sanierungsinvestor1. Zum Bezugsrecht bei der Kapitalherabsetzung auf null vgl. Rz. 2.35. Eine Verpflichtung zu quotengerechter Beteiligung am erhöhten Stammkapital besteht grundsätzlich nicht, auch nicht aufgrund der Treupflicht (vgl. allerdings zum Konzept „Sanieren oder Ausscheiden“ Rz. 2.37)2. Vorverträge (Übernahmeverpflichtungsverträge) bedürfen der Form des § 55 GmbHG3. Die bloß treuwidrige Enttäuschung von Verhandlungsvertrauen (widersprüchliches Verhalten) kann äußerstensfalls zum Schadensersatz zugunsten der in ihrem Vertrauen enttäuschten Mitgesellschafter führen, nicht zur Einlagepflicht. Scheitert die Sanierung nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss und nach Abschluss des Übernahmevertrags, so bleiben die Übernehmer gebunden. Bis zur Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister wird ihnen indes ein Rücktrittsrecht aus wichtigem Grund zuerkannt4. Eine hierauf gegründete außerordentliche Kündigung des Übernahmevertrags wird allerdings nicht anerkannt, wenn der Kapitalerhöhungsbeschluss in Kenntnis der Krise gefasst wurde5. b) Vereinfachte Kapitalherabsetzung aa) Die sanierende Kapitalerhöhung geht typischerweise – vor allem bei disquo- 2.33 taler Kapitalerhöhung – einher mit einer nominellen Kapitalherabsetzung (sog. Kapitalschnitt). Diese Kombination verhindert eine Quersubventionierung des entwerteten Altkapitals durch das Neukapital und sie verbessert als Bilanzbereinigung im Blick auf § 30 GmbHG die Aussicht auf künftige Ausschüttungen. Betriebswirtschaftlich verbinden sich mit dem Kapitalschnitt schwierige Bewertungsprobleme. In rechtlicher Hinsicht war der sog. Kapitalschnitt bei der GmbH bis 1994 dadurch erschwert, dass neben einer Kapitalerhöhung eine vereinfachte Kapitalherabsetzung nach dem Vorbild der §§ 229 ff. AktG noch nicht möglich war. Das GmbHG unterschied in seinem § 58 nicht zwischen der effektiven und der nominellen Kapitalherabsetzung. Das Gesetz verstand die Kapitalherabsetzung nach diesem Stand als eine Teil-Liquidation und verlangte deshalb im Gläubigerinteresse den Gläubigeraufruf, die Einhaltung eines Sperrjahrs etc. Die Rechtsprechung lehnte einen Verzicht auf die Einhaltung des Sperrjahrs und des Mindeststammkapitals ab6, weshalb sogar sanierungsbedürftige Gesellschaften mbH nur um der vereinfachten Kapitalherabsetzung willen in Aktiengesellschaften umgewandelt wurden7. Umso bedeutsamer war auf Grund nachhaltiger rechtspolitischer Forderungen8 die Einführung der §§ 58a ff. GmbHG (verein1 Dazu etwa Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, § 55 GmbHG Rz. 25 ff.; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 55 GmbHG Rz. 37 f. 2 BGH v. 18.4.2005 – II ZR 151/03, GmbHR 2005, 925 m. Komm. Werner = ZIP 2005, 985 = EWiR 2005, 599 (Priester); Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, § 55 GmbHG Rz. 41. 3 Dazu Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, § 55 GmbHG Rz. 40. 4 KG v. 8.12.1983 – 2 U 2521/83, GmbHR 1984, 124; OLG Hamm v. 15.6.1988 – 8 U 2/88, GmbHR 1989, 162; Priester in Scholz, § 55 GmbHG Rz. 98. 5 BGH v. 7.11.1994 – II ZR 248/93, GmbHR 1995, 113; Priester in Scholz, § 55 GmbHG Rz. 91. 6 LG Frankfurt v. 15.5.1991 – 3/11 T 9/91, GmbHR 1992, 381; LG Saarbrücken v. 11.6. 1991 – 7 T 3/91 IV, GmbHR 1992, 380. 7 Dazu Karsten Schmidt, AG 1985, 150 ff. 8 Zuerst wohl Karsten Schmidt in Verhandlungen des 54. DJT, Band I, 1982, S. D 110; Karsten Schmidt, ZGR 1982, 533 f.

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fachte Kapitalherabsetzung) im Jahr 1994 im Zuge der Insolvenzrechtsreform1. Damit ist, wie im Aktienrecht, für eine Sanierung durch vereinfachte Kapitalherabsetzung gesorgt. Es bedarf keines Gläubigeraufrufs, und auch ein Sperrjahr braucht nicht abgewartet zu werden. 2.34 Die Regelung über das gesetzliche Mindeststammkapital bleibt von § 58a GmbHG unberührt2. Bemerkenswert ist, dass gleichwohl eine Stammkapitalherabsetzung unter 25 000 Euro zulässig ist, wenn die uno actu beschlossene effektive Kapitalerhöhung das Stammkapital wieder auf den gesetzlichen Mindestbetrag bringt (§ 58a Abs. 4 GmbHG)3. Ältere Literatur und Rechtsprechung zu dieser Frage ist dadurch überholt. Nicht zulässig ist ein Wechsel in eine mit einem Stammkapital von weniger als 25 000 Euro ausgestattete UG (haftungsbeschränkt)4, denn eine UG muss als solche gegründet sein (vgl. § 5a Abs. 1 GmbHG). Im Wesentlichen gelten folgende Grundsätze5: – Eine vereinfachte Kapitalherabsetzung muss der Verlustdeckung dienen und setzt die Auflösung der offenen Eigenkapitalposten voraus (§ 58a Abs. 1, 2 GmbHG). – Die aus der Kapitalherabsetzung und der Rücklagenauflösung gewonnenen Beträge dürfen nur zur Verlustdeckung und für die Kapitalrücklage verwendet werden (§ 58b Abs. 1 und 2 GmbHG), und zwar einschließlich solcher Beträge, deren Vorhandensein sich nachträglich bei der Rechnungslegung für das Geschäftsjahr herausstellt (§ 58c GmbHG: Nichteintritt erwarteter Verluste). – Die in die Kapitalrücklage eingestellten Beträge unterliegen einer Ausschüttungssperre von fünf Jahren (§ 58b Abs. 3 GmbHG), und künftige Gewinne dürfen nur in begrenztem Umfang ausgeschüttet werden (§ 58d GmbHG). 2.35 Zulässig ist sogar eine Kapitalherabsetzung auf null6. Bei der mit ihr notwendig verbundenen Kapitalerhöhung müssen aber Treupflichten gegenüber der Minderheit beachtet werden. Diese darf in einem solchen Fall grundsätzlich nicht vom Bezugsrecht ausgeschlossen, also nicht auf kaltem Wege aus der Gesellschaft eliminiert werden7. Dieser Grundsatz ist im Fall des Kapitalschnitts im Insolvenz1 Art. 48 Nr. 4 EGInsO v. 5.10.1994, BGBl. I 1994, 2911; eingehend dazu Sommer, Die sanierende Kapitalherabsetzung bei der GmbH, 1993; Hirte, Die vereinfachte Kapitalherabsetzung bei der GmbH, 1997; Geißler, GmbHR 2005, 1102 ff.; Naraschewski, GmbHR 1995, 637 ff.; Maser/Sommer, GmbHR 1996, 22 ff.; Wirth, DB 1996, 867 ff. 2 Priester in Scholz, § 58a GmbHG Rz. 38. 3 Dazu Geißler, GmbHR 2005, 1102, 1105; Maser/Sommer, GmbHR 1996, 26, 29 f.; Roth in Roth/Altmeppen, § 58a GmbHG Rz. 22; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 58a GmbHG Rz. 15; Priester in Scholz, § 58a GmbHG Rz. 21. 4 Vgl. nur Fastrich in Baumbach/Hueck, § 5a GmbHG Rz. 16; Roth in Roth/Altmeppen, § 5a GmbHG Rz. 8. 5 Näher Priester in Scholz, Vor § 58a GmbHG Rz. 7 ff.; Maser/Sommer, GmbHR 1996, 26 ff. 6 BGH v. 18.4.2005 – II ZR 151/03, GmbHR 2005, 925 m. Komm. Werner = ZIP 2005, 985 = EWiR 2005, 599 (Priester); Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 58a GmbHG Rz. 15; zum Erlöschen von Pfandrechten LG Kiel v. 30.4.2015 – 16 O 42/14, ZIP 2015, 1731. 7 Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 58a GmbHG Rz. 27, im Anschluss an BGH v. 5.7.1999 – II ZR 126/98, BGHZ 142, 167 = NZG 1999, 1158 m. Anm. Rottnauer = AG 1999, 517.

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2.37

planverfahren umstritten (Rz. 8.32). Außerhalb eines Insolvenzverfahrens kann es nicht hingenommen werden, wenn fortsetzungswillige Gesellschafter durch Kapitalschnitt vom Fortführungswert des Unternehmens ausgeschlossen werden1. Zu den steuerrechtlichen Folgen der Kapitalerhöhung s. Rz. 2.573 ff. bb) Als Maßnahme der Sanierung impliziert die vereinfachte Kapitalherabsetzung 2.36 eine strategische Komponente, vor allem im Zusammenhang mit der regelmäßig mit ihr einhergehenden effektiven Kapitalerhöhung. Aber nach dem auf die Aktiengesellschaft bezogenen „Sachsenmilch“-Urteil des BGH vom 9.2.19982 bedarf ein Beschluss über die vereinfachte Kapitalherabsetzung keiner sachlichen Rechtfertigung. Die Legitimation liegt grundsätzlich in der gesetzlichen Regelung, die auf einer abstrakten Abwägung der Aktionärsbelange und des Interesses der Gesellschaft an der Maßnahme beruht. Gleichfalls entschieden wurde (allerdings für den Fall eines eröffneten Insolvenzverfahrens)3: „Kann durch die zum Zwecke der Verlustdeckung beschlossene Kapitalherabsetzung eine Überschuldung oder Unterbilanz der Gesellschaft nicht vollständig beseitigt werden, so braucht die Kapitalherabsetzung jedenfalls dann nicht mit einem Kapitalerhöhungsbeschluss verbunden zu werden, wenn eine solche Maßnahme absehbar nicht zu einer erfolgreichen Sanierung der Gesellschaft führen würde.“ cc) Grundsätzlich gilt also: Jeder Gesellschafter kann nach eigenem Ermessen für 2.37 oder gegen eine sanierende Kapitalherabsetzung stimmen4, so wie er auf der anderen Seite auch für oder gegen die Kapitalerhöhung stimmen kann (über Treupflichten vgl. Rz. 2.32) und grundsätzlich nicht zur Übernahme neuer Stammeinlagen verpflichtet ist. Allerdings ist dieses Ermessen durch Treupflichten gebunden. Demgemäß kann die Abgabe einer Nein-Stimme, wenn diese dem Gesellschafter keinen Vorteil und die Kapitalerhöhung keinen unzumutbaren Nachteil bringt, ausnahmsweise treupflichtwidrig sein5. Auch gilt bei der GmbH sinngemäß die vom BGH6 für Personengesellschaften entwickelte Regel „Sanieren oder Ausscheiden“7: Im Rahmen eines realisierungsfähigen Sanierungskonzepts kann es den Gesellschaftern einer sanierungsbedürftigen GmbH zuzumuten sein, zwischen dem Ausscheiden zum Liquidationswert (ggf. auch zu null!) und der Teilnahme an der Sanierung durch Zeichnung jungen Stamm1 So wohl auch Priester in Scholz, § 58a GmbHG Rz. 41; s. aber BGH v. 18.4.2005 – II ZR 151/03, GmbHR 2005, 925 m. Komm. Werner = EWiR 2005, 599 (Priester). 2 BGH v. 9.2.1998 – II ZR 278/96, BGHZ 138, 71 = AG 1998, 284; dazu Priester in Scholz, § 58a GmbHG Rz. 16; Hirte, ZInsO 1999, 616 ff.; Krieger, ZGR 2000, 885. 3 BGH v. 9.2.1998 – II ZR 278/96, BGHZ 138, 71 = AG 1998, 284; dazu Priester in Scholz, § 58a GmbHG Rz. 17; Hirte, ZInsO 1999, 616 ff.; Krieger, ZGR 2000, 885. 4 Zusammenfassend Altmeppen, ZIP 2005, 119; Kessler, GmbHR 2005, 257, 261; Geißler, GmbHR 2005, 1102, 1106. 5 Vgl. zur AG BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 = NJW 1995, 1739 m. Anm. Altmeppen = GmbHR 1995, 665; dazu Priester in Scholz, § 58a GmbHG Rz. 18; Lutter, JZ 1995, 1053; Lutter, ZHR 162 (1998), 164, 170. 6 BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 = GmbHR 2010, 32 = NJW 2010, 65 = ZIP 2009, 2289; bestätigend BGH v. 9.6.2015 – II ZR 429/13, ZIP 2015, 1626; dazu Stephan Schneider, Gesellschafter-Stimmpflichten bei Sanierungen, 2014, S. 282 ff.; Schäfer in Münchener Kommentar zum BGB, § 705 BGB Rz. 11; Grunewald in FS Roth, 2011, S. 187 ff.; Haas, NJW 2010, 984; Karsten Schmidt, JZ 2010, 125; Schöne, ZIP 2015, 501. 7 Priester in Scholz, § 58 GmbHG Rz. 92; J. Vetter in Münchener Kommentar zum GmbHG, Vor § 58 GmbHG Rz. 68 ff., 74 ff.; Priester, ZIP 2011, 497, 499 ff.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

kapitals im Zuge der Kapitalerhöhung zu wählen. Dieses Instrument stellt Anforderungen an die Beschlussvorlage1, zumal es faktisch die Wirkung eines bedingten Ausschlusses aus der Gesellschaft hat2. Im Zeitpunkt der Beschlussfassung müssen für die strategische Einschätzung des Gesellschafters Daten vorliegen über: – die Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsfähigkeit der Gesellschaft, – die Eignung des Sanierungskonzepts, – die Kapitalstruktur der Gesellschaft im Fall der Bezugsrechtsausübung, – die erwarteten Folgen einer Liquidation und – die Angemessenheit der (ggf. Zu-Null-)Abfindung in Ausscheidensfällen c) Besonderheiten bei der GmbH & Co. KG 2.38 Bei der GmbH & Co. KG empfiehlt es sich, das GmbH-Kapital unverändert zu lassen. Wird es erhöht und führt die GmbH die neue eingezahlte Einlage dem Vermögen der Kommanditgesellschaft zu, so droht nach einer für die Praxis kaum akzeptablen3 Rechtsprechung des BGH4 die Gefahr einer doppelten Einzahlungspflicht (dazu krit. Rz. 2.51 f.). Empfehlenswert ist eine andere Technik: Erhöht wird nur das Kommanditkapital. Einer Eintragung in das Handelsregister bedarf es hierfür nicht5. Die zu beachtenden Regeln (Einstimmigkeit? Qualifizierte Mehrheit? Bezugsrechte?) richten sich nach dem Gesellschaftsvertrag und nach den im Einzelfall zu beachtenden Treupflichten. Grundsätzlich sind Gesellschafter nicht verpflichtet, Nachschüsse zu leisten. Vertragsklauseln über Nachschusspflichten der Gesellschafter sind unwirksam, wenn sie zu unabsehbaren Risiken führen, insbesondere keine Obergrenze enthalten6. Die Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes durch das BGH-Urteil vom 21.10.20147 hat hieran nichts geändert, denn sie betrifft nur die formelle Mehrheitskompetenz als solche und lässt den Individualschutz der Gesellschafter gegen Mehrheitsentscheidungen unberührt. Anwendbar ist dagegen das bei Rz. 2.37 geschilderte Prinzip „Sanieren oder Ausscheiden“8. 2.39 Nehmen nicht alle Kommanditisten quotenidentisch an der Erhöhung des Kommanditkapitals teil, so empfiehlt sich eine Kombination mit einer Herabsetzung der Alt-Kapitalanteile, die die Aufgabe einer vereinfachten Kapitalherabsetzung übernimmt (Herabsetzung der Festkapitalkonten). Die Haftsummen der Altkom1 Die Anforderungen sind geringer als im Fall einer oHG oder GbR, bei der im Ausscheidensfall, wie das BGH-Urteil „Sanieren oder Ausscheiden“ zeigt, auch die Nachschusspflicht wegen Altverbindlichkeiten kalkulierbar sein muss; vgl. dazu Karsten Schmidt, JZ 2010, 125, 128 ff. 2 Treffend insofern die Grundsatzkritik bei Schöne, ZIP 2015, 501 ff. 3 Dazu krit. Karsten Schmidt, ZIP 2008, 481 ff. 4 BGH v. 10.12.2007 – II ZR 180/06, BGHZ 174, 370 = BB 2008, 181 m. Anm. Witt = GmbHR 2008, 203. 5 § 175 HGB meint mit der „Einlage“ die Haftsumme. 6 BGH v. 3.12.2007 – II ZR 304/06, ZIP 2008, 695; BGH v. 5.11.2007 – II ZR 230/06, ZIP 2007, 2413; BGH v. 19.3.2007 – II ZR 73/06, ZIP 2007, 812; BGH v. 5.3.2007 – II ZR 282/05, GmbHR 2007, 535. 7 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = BB 2015, 328 m. Anm. Grunewald = GmbHR 2014, 1303 m. Komm. Ulrich = NJW 2015, 859 = ZIP 2014, 2231. 8 Karsten Schmidt, ZGR 2012, 566 ff.; a.M. Stephan Schneider, Gesellschafter-Stimmpflichten bei Sanierungen, 2014, S. 233.

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manditisten können mit Wirkung gegenüber den Gläubigern allerdings nur für Neuverbindlichkeiten der Gesellschaft ab Eintragung herabgesetzt werden1. 2. Risiken der Kapitalerhöhung a) Grundsätzliches aa) Die Durchführung der sanierenden Kapitalerhöhung führt neben Bewertungs- 2.40 problemen (Rz. 2.393 ff.) immer wieder zu spezifischen Kapitalaufbringungsproblemen und damit zum Risiko einer Doppelleistung, wenn die Einlagen auf erhöhtes Stammkapital nicht wirksam erbracht sind. Neben den Fällen des Hinund Herzahlens und der verdeckten Sacheinlage (Rz. 2.50 ff.) ist besonders hinzuweisen auf die Praxis zur Zahlung auf debitorische Konten (Rz. 2.42), zur Zahlung in einen Cash Pool, zur Mittelverwendung vor Eintragung der Kapitalerhöhung (Rz. 2.43), zur Leistung an Gesellschaftsgläubiger (Rz. 2.45), zur bestimmungsmäßigen Verwendung (Rz. 2.46) und zur Vorauszahlung auf geplante Kapitalerhöhung (Rz. 2.47 ff.). Alle diese Gesichtspunkte spielen bei der sanierenden Kapitalerhöhung eine erhebliche Rolle. Alle stehen in Zusammenhang mit dem vormals extrem streng gehandhabten Gebot der „freien Verfügung der Geschäftsführer“ über die zu leistenden Einlagen, das früher wörtlich verstanden wurde2, jedoch nur bedeutet, dass der Mitteltransfer wirklich vollzogen und ein Zugriff des leistenden Gesellschafters ausgeschlossen sein muss3. Das Merkmal der „freien Verfügung“ darf nicht buchstäblich-gegenständlich, sondern nur in dem Sinne verstanden werden, dass die Kapitalaufbringung beendet und das Stadium der Kapitalverwendung erreicht sein muss. bb) Die Haftungsrisiken einer Kapitalerhöhung treffen über § 24 GmbHG nicht 2.41 nur diejenigen Alt- oder Neugesellschafter, die neue Stammeinlagen übernommen haben, sondern auch die Mitgesellschafter4. Diese in Anbetracht des Mehrheitsprinzips bei einer Kapitalerhöhung nicht unproblematische, aber dem Solidaritätsgedanken des § 24 GmbHG entsprechende Auffassung stellt vor allem Altgesellschafter vor schwer übersehbare Haftungsrisiken. Selbst auf überstimmte Mitgesellschafter, die gegen eine Kapitalerhöhung oder gegen einen Bezugsrechtsausschluss gestimmt haben, wird die Bestimmung angewandt5. Dem überstimmten Gesellschafter wird zur Abwendung eines drohenden Ausfallhaftungsrisikos nur ein Austrittsrecht zugebilligt, das er alsbald auszuüben hat6. Es ist also nicht 1 Oder ab Kenntnis; vgl. Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 174 HGB Rz. 17. 2 Vgl. zur Herkunft des Begriffs Karsten Schmidt, AG 1986, 106 ff. 3 BGH v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197 = ZIP 2002, 799 = AG 2002, 456. 4 LG Mönchengladbach v. 23.10.1985 – 7 O 45/85, GmbHR 1986, 312; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 24 GmbHG Rz. 5; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 24 GmbHG Rz. 9; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 24 GmbHG Rz. 17; Roth in Roth/Altmeppen, § 55 GmbHG Rz. 7; Emmerich in Scholz, § 24 GmbHG Rz. 16 f.; Priester in Scholz, § 55 GmbHG Rz. 16. 5 Fastrich in Baumbach/Hueck, § 24 GmbHG Rz. 5; Emmerich in Scholz. § 24 GmbHG Rz. 16; Priester in Scholz, § 55 GmbHG Rz. 16. 6 LG Mönchengladbach v. 23.10.1985 – 7 O 45/85, ZIP 1986, 306 = GmbHR 1986, 312; Emmerich in Scholz, § 24 GmbHG Rz. 17; Priester in Scholz, § 55 GmbHG Rz. 22; krit. Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 24 GmbHG Rz. 31.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

nur im Interesse des Sanierungszwecks, sondern auch im Interesse mitbetroffener Gesellschafter, tunlichst für Volleinzahlung zu sorgen (zum Haftungsumfang nach § 24 GmbHG vgl. Rz. 1.49). b) Typische Szenarien 2.42 aa) Die Einzahlung der Bareinlage auf ein debitorisch geführtes Bankkonto kann befreiende Wirkung haben1. Die Rechtsprechung verlangte lange Zeit, dass bei Zahlungseingang weder die Kreditlinie überschritten noch der Überziehungskredit fällig gestellt sei2. Der Gedanke besteht darin, dass eine Bareinlage Liquidität verschaffen muss und nicht bloß durch Zahlung an die Bank als Gläubiger die Verbindlichkeiten der Gesellschaft reduzieren darf3. Vorsorglich sollten sich die Beteiligten nach wie vor auf diese Rechtsprechung einrichten, was bedeutet: Der Geschäftsführer sollte vor dem Eingang neuer Bareinlagen vorsorglich ein neues, aktivisches Konto einrichten oder mit der Bank über die Kreditlinie verhandeln. Denn es genügt, dass der Geschäftsführer auf Grund der Einzahlung über den Betrag verfügen kann4. Das ist sicherlich nicht der Fall, wenn die Bank den eingehenden Betrag, statt ihn als Liquidität nutzbar zu machen, lediglich mit dem Debet der Gesellschaft verrechnet5. Auch eine bloß geduldete Kontoüberziehung soll nach der traditionellen Ansicht nicht ausreichen6. In einzelnen Fällen ist der BGH aber großzügiger verfahren. So lässt ein Urteil von 2004 die stillschweigend gestattete Überziehung des Kontos ausreichen7. Es soll auch genügen, wenn die Bank auf Grund der Einzahlung einen Kreditspielraum auf einem anderen Konto eingeräumt hat8. Die Prüfung dieser schwierigen Voraussetzungen ist in erster Linie Sache des (hoffentlich hinreichend sachkundigen oder sachkundig beratenen) Geschäftsführers bei der Einforderung der Zahlungen. Im Sinne der Klarheit und Einfachheit ist zu wünschen, dass der BGH in Fortschreibung der bereits anerkannten Fälle die Einzahlung der Einlage auf ein debitorisches Konto für die Befreiung allgemein ausreichen lässt. Damit ist der Kapitaltransfer vollzogen. Doch ist zu Vorsicht zu mahnen. Besonderes gilt, wenn die kontoführende Bank selbst eine Bareinlage auf das erhöhte Kapital gezeichnet hat. Grundsätzlich kann zwar auch die Bank befreiend auf ein debitorisches Konto der Gesellschaft zahlen, 1 BGH v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197 = ZIP 2002, 799 = AG 2002, 456. 2 BGH v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, NJW 1991, 226; BGH v. 3.12.1990 – II ZR 215/89, ZIP 1991, 445 = GmbHR 1991, 152; BGH v. 21.6.1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1467 = GmbHR 1996, 772; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 7 GmbHG Rz. 11; Zimmermann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, 4. Aufl., § 57 GmbHG Rz. 7; Veil in Scholz, § 7 GmbHG Rz. 40. 3 Dazu Karsten Schmidt, AG 1986, 106. 4 BGH v. 8.11.2004 – II ZR 362/02, GmbHR 2005, 229; Prister in Scholz, § 56a GmbHG Rz. 7; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 7 GmbHG Rz. 23; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 57 GmbHG Rz. 8; Ulmer/Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 7 GmbHG Rz. 34. 5 Ulmer/Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 7 GmbHG Rz. 35 m.w.N. 6 OLG Dresden v. 23.8.1999 – 2 U 1449/99, GmbHR 1999, 1035; Veil in Scholz, § 7 GmbHG Rz. 40; großzügiger wohl OLG Hamm v. 25.2.1992 – 8 U 247/91, GmbHR 1992, 750, 751. 7 BGH v. 8.11.2004 – II ZR 362/02, GmbHR 2005, 229, 230; Priester in Scholz, § 56a GmbHG Rz. 7; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 57 GmbHG Rz. 8. 8 Goette, DStR 2003, 887, 891.

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Eigenkapitalmaßnahmen

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wenn sie ihr hierdurch Liquidität zuführt. Eine Zahlung, auf die sie als Inferentin selbst wieder zurückgreifen kann, stellt jedoch einen Fall des Hin- und Herzahlens dar und befreit nur unter den engen Voraussetzungen des § 19 Abs. 5 GmbHG (Rz. 2.54 f.). Wesentlich ist also, dass die Bank als Inferentin die Verfügung über das Konto zulässt. Auch ist zu ergänzen, dass sich der Geschäftsführer nach § 43 GmbHG schadensersatzpflichtig machen kann, wenn er durch die Einziehung von Einlagen auf ein debitorisches Bankkonto die beabsichtigte Liquiditätszufuhr vereitelt. bb) Die Mittelverwendung vor Eintragung der Kapitalerhöhung schloss nach der äl- 2.43 teren Rechtsprechung die Anerkennung einer zur freien Verfügung der Geschäftsführer stehenden Einlage aus1. Schuldrechtliche Verwendungsabreden, wie sie bei Kapitalerhöhungen an der Tagesordnung sind, wurden allerdings als rechtens angesehen, sofern sie nicht auf eine Rückgewähr an den Einlagepflichtigen zielten2. Erst Schritt für Schritt wurde das traditionelle Thesaurierungsgebot aufgegeben3. Die Rechtsprechung bis 2002 verlangte noch die Garantie einer „wertgleichen Deckung“ im Eintragungszeitpunkt. Dieses Prinzip lief darauf hinaus, dass eingezahlte Beträge nur gegen aktivierungsfähige Wirtschaftsgüter eingetauscht oder für den Abbau von Gesellschaftsschulden verwendet werden durften. Nach einer aktienrechtlichen Grundlagenentscheidung von 1992 sollte die Erklärung über die freie Verfügung auch die Versicherung enthalten, dass der eingezahlte Betrag wertmäßig im Gesellschaftsvermögen gedeckt ist4. Dieses sog. Erfordernis der wertgleichen Deckung wurde durch zwei Urteile vom 18.3.2002 vollständig aufgegeben5: „a) Bei einer Kapitalerhöhung ist die Bareinlage schon dann zur (endgültig) freien Verfügung der Geschäftsführung geleistet worden, wenn sie nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss in ihren uneingeschränkten Verfügungsbereich gelangt ist und nicht an den Einleger zurückfließt (Aufgabe von BGHZ 119, 177 Leitsätze a und b). b) Bei der Anmeldung der Kapitalerhöhung zur Eintragung in das Handelsregister hat die Geschäftsführung zu versichern, dass der Einlagebetrag für die Zwecke der Gesellschaft zur (endgültig) freien Verfügung der Geschäftsführung eingezahlt und auch in der Folge nicht an den Einleger zurückgezahlt worden ist.“

Ausreichend ist seither, dass die Einlage nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss in 2.44 den uneingeschränkten Verfügungsbereich der Geschäftsführung gelangte und nicht an den Einleger zurückfloss6. Das war i.S. der Sanierungspraxis eine klare 1 Vgl. noch OLG Koblenz v. 28.5.1986 – 6 U 140/86, 6 U 141/86, ZIP 1986, 1559, 1561 = AG 1987, 88; Henze, ZHR 154 (1990), 117 f. 2 BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 348 = NJW 1991, 1754, 1757 = GmbHR 1991, 255; BGH v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, GmbHR 1990, 554, 556; BGH v. 22.6.1992 – II ZR 30/91, GmbHR 1992, 601, 603; Schnorbus in Rowedder/SchmidtLeithoff, § 57 GmbHG Rz. 14; Veil in Scholz, § 7 GmbHG Rz. 36, 39. 3 Überblick bei Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 57 GmbHG Rz. 11 f. 4 BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177 = NJW 1992, 3300 = ZIP 1992, 1387 = GmbHR 1993, 225; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 57 GmbHG Rz. 12. 5 BGH v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197 = ZIP 2002, 799 = AG 2002, 456; BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 993; Prister in Scholz, § 57 GmbHG Rz. 11; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 57 GmbHG Rz. 11. 6 BGH v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197 = ZIP 2002, 799 = AG 2002, 456; BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 993; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 57 GmbHG Rz. 11.

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2.45

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

Verbesserung. Ein alsbaldiger Rückfluss der eingelegten Mittel vor der Beschlussfassung – auch als Darlehen – war und blieb aber unzulässig1. Dasselbe gilt für den umgekehrten Fall, dass die Gesellschaft die Einlage durch einen Kredit an den Zeichner der Bareinlage vorfinanziert2. Die weitere Liberalisierung durch das MoMiG von 2008 (§§ 56a, 19 Abs. 5 GmbHG und dazu Rz. 2.54 f.) wird bei einer sanierenden Kapitalerhöhung kaum zum Zuge kommen (zu den Folgerungen vgl. Rz. 2.55). 2.45 cc) Die Zahlung an einen Dritten, insbesondere an einen Gesellschaftsgläubiger, befreit den Einlageschuldner nach der bis heute herrschenden Auffassung auch dann nicht, wenn sie auf Weisung des Geschäftsführers erfolgt3. Diese jedenfalls für die Mindesteinzahlung von 1/4 der Kapitalerhöhungssumme vorherrschende Auffassung beruht gleichfalls auf der Vorstellung, dass die Bareinlage verwertbare Liquidität beschaffen muss und nicht bloß die Verbindlichkeiten der Gesellschaft verringern darf. Sie wird außerdem auf eine sinngemäße Anwendung des § 54 Abs. 3 AktG und auf ein hierzu ergangenes Grundsatzurteil des BGH4 gestützt5. So diskussionswürdig dieser Standpunkt ist, der Geschäftsführer sollte ihn doch bei der Einforderung der Einlagezahlung als eiserne Regel behandeln. Wie in Fällen der Zahlung auf ein debitorisches Bankkonto ist die Gerichtspraxis aber aufgerufen, diese Regel zu lockern. Wenn dem Geschäftsführer Verwendungsvorgaben gemacht werden können (vgl. Rz. 2.46), sollte auch eine vom Geschäftsführer veranlasste, evtl. sogar von den Gesellschaftern beschlossene Zahlung an einen Gesellschaftsgläubiger für Rechnung der Gesellschaft als befreiende Einlageleistung ausreichen. Ein Sonderfall ist die Wiederauszahlung an den Inferenten. Hier gilt § 19 Abs. 5 GmbHG, der in der Sanierung kaum hilft (Rz. 2.44). Zur Einzahlung auf ein debitorisches Bankkonto vgl. Rz. 2.42. 2.46 dd) Verwendungsabsprachen oder entsprechende Weisungen der Gesellschafter schließen eine wirksame Einlageleistung „zur freien Verfügung“ nicht aus6. Sie sind zulässig und in Fällen der Kapitalerhöhung geradezu charakteristischerweise mit Investitions- oder Sanierungsstrategien verbunden. Anderes gilt nur, wenn die vorbestimmte Verwendung ihrerseits eine die Anerkennung einer wirksamen

1 BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, NJW 2003, 825 = GmbHR 2003, 231; zweifelnd Priester in Scholz, § 57 GmbHG Rz. 11. 2 BGH v. 12.6.2006 – II ZR 334/04, GmbHR 2006, 982 = WuB II C § 55 GmbHG 1.07; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 19 GmbHG Rz. 128. 3 BGH v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197, 200 = ZIP 2002, 799 = AG 2002, 456; Priester in Scholz, § 56a GmbHG Rz. 14; Veil in Scholz, § 7 GmbHG Rz. 33; Ulmer/Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 7 GmbHG Rz. 42 m.w.N.; a.M. Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 7 GmbHG Rz. 16. 4 BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177 = NJW 1992, 3300 = ZIP 1992, 1387; dazu Koch in Hüffer, § 54 AktG Rz. 12. 5 Vgl. nur Fastrich in Baumbach/Hueck, § 19 GmbHG Rz. 13; Priester in Scholz, § 56a GmbHG Rz. 14; Ulmer/Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 7 GmbHG Rz. 42. 6 BGH v. 22.3.2004 – II ZR 7/02, GmbHR 2004, 896; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1177; Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 109 f.; jetzt wohl h.M.; vgl. Fastrich in Baumbach/Hueck, § 19 GmbHG Rz. 27; im Ansatz a.M. Ulmer/Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 7 GmbHG Rz. 57.

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2.48

Einzahlung hindernde Maßnahme – z.B. eine Rückzahlung des Einlagebetrags an den Einlageschuldner – darstellt1. ee) Anders verhält es sich mit Vorleistungen auf eine noch nicht beschlossene Ka- 2.47 pitalerhöhung. Gegenüber einem solchen – bei Sanierungs- wie bei Investitionsvorgängen durchaus nicht seltenen – Vorgehen ist eine dringende Warnung angebracht. Der BGH hat für Sacheinlagen entschieden2: „Gegenstände und Sachwerte, deren Besitz einer GmbH bereits vor dem Kapitalerhöhungsbeschluss überlassen worden ist, können nur dann als Sacheinlage eingebracht werden, wenn sie zumindest im Zeitpunkt des Kapitalerhöhungsbeschlusses noch gegenständlich im Gesellschaftsvermögen vorhanden sind. Ist das nicht der Fall, kommt als Sacheinlage lediglich eine dem Gesellschafter zustehende Erstattungs- oder Ersatzforderung in Betracht (im Anschluss an BGHZ 51, 157 = NJW 1969, 840). Ob die Vorleistung von im Zeitpunkt der Kapitalerhöhung nicht mehr vorhandenen Gegenständen und Sachwerten im Sanierungsfall unter bestimmten engen Voraussetzungen als Sacheinlage anerkannt werden kann, bleibt offen.“ Bei Bareinlagen ist die Rechtslage nicht weniger problematisch. Wenn der Zeichner einen Vorschuss auf das noch zu erhöhende Kapital leistet, wäre dies zunächst nur ein Kredit. Die sich aus diesem Transfer ergebende Forderung wäre tauglicher Gegenstand einer Sacheinlage, und eine Verrechnung wäre mit dem Risiko versehen, dass sie als verdeckte Sacheinlage angesehen würde3. Eine solche befreit aber selbst nach der Neufassung des § 19 Abs. 4 GmbHG durch das MoMiG nur, wenn die statt Barzahlung verrechnete Forderung des Gesellschafters im Zeitpunkt der Registeranmeldung oder der etwa noch später liegenden Verrechnung noch vollwertig ist, und genau hierauf können sich die Beteiligten in Sanierungsfällen nicht verlassen. Die sich umso dringender stellende Frage, ob eine Vorauseinzahlung unmittelbar 2.48 als befreiende Bareinlage anerkannt werden kann, ist im Grundsatz klar zu verneinen. Der BGH hatte die genauen Voraussetzungen einer solchen Vorausleistung noch im Jahr 2000 unentschieden gelassen4. Fest stand zunächst nur, dass es sich um einen Sanierungsfall handeln5, die Voreinzahlung zur Krisenbewältigung notwendig sein6 und ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang mit einer bevorstehenden, mit aller gebotenen Beschleunigung eingeleiteten Kapitaler-

1 So offenbar im Ergebnis auch Ulmer/Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 7 GmbHG Rz. 56–58; charakteristisch auch BGH v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, BGHZ 185, 44, 49 Rz. 14 = GmbHR 2010, 700 = NZG 2010, 702. 2 BGH v. 18.9.2000 – II ZR 365/98, BGHZ 145, 150 = GmbHR 2000, 1198. 3 Zur verdeckten Sacheinlage vgl. eingehend Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1122 ff.; Veil in Scholz, § 19 GmbHG Rz. 116 ff.; Priester in Scholz, § 56 GmbHG Rz. 52 ff.; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 56a GmbHG Rz. 20. 4 BGH v. 18.9.2000 – II ZR 365/98, BGHZ 145, 150, 154 = GmbHR 2000, 1198, 1200; vgl. bereits BGH v. 7.11.1994 – II ZR 248/93, GmbHR 1995, 113. 5 BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83 = ZIP 1992, 995 = AG 1992, 312; BGH v. 7.11.1994 – II ZR 248/93, ZIP 1995, 28 = GmbHR 1995, 113; BGH v. 21.6.1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466 = GmbHR 1996, 772. 6 BGH v. 7.11.1994 – II ZR 248/93, ZIP 1995, 28 = GmbHR 1995, 113.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

höhung bestehen musste1. Klarheit schufen dann zwei Urteile von 20042 und 20063. Beide unterstreichen die Haftungsdramatik der Voreinzahlungsfälle: In dem 2004 entschiedenen Fall hatte der beklagte Gesellschafter den bar zu erbringenden Teil der auf erhöhtes Stammkapital zu leistenden Einlage wenige Tage vor dem Kapitalerhöhungsbeschluss eingezahlt. Der Insolvenzverwalter der GmbH verlangte nochmalige Einzahlung von umgerechnet etwa 700 000 Euro, und der BGH gab ihm Recht. Der Leitsatz des Urteils lautet4: „Im Kapitalaufbringungssystem der GmbH bildet der Kapitalerhöhungsbeschluss die maßgebliche Zäsur. Voreinzahlungen auf die künftige Kapitalerhöhung haben schuldtilgende Wirkung nur dann, wenn der eingezahlte Betrag im Zeitpunkt der Fassung des Erhöhungsbeschlusses noch als solcher im Vermögen der Gesellschaft vorhanden ist. Dem steht es nicht gleich, dass auf ein debitorisches Konto der Gesellschaft eingezahlt wird und die Bank nach Verrechnung der Gutschrift eine Verfügung über den Einlagebetrag zulässt (Klarstellung von BGH v. 21.6.1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466 = GmbHR 1996, 772).“ Im Urteil von 2006 war das Kapital einer GmbH sukzessiv um nahezu 1 Mio. DM erhöht worden, und wiederum waren Vorleistungen vor den Erhöhungsbeschlüssen geleistet worden. Die vom Insolvenzverwalter zunächst auf 100 000 Euro begrenzte Teilklage hatte Erfolg. Der Leitsatz dieses BGH-Urteils lautet5: „Voreinzahlungen auf eine künftige Kapitalerhöhung haben grundsätzlich nur dann Tilgungswirkung, wenn der eingezahlte Betrag im Zeitpunkt der Beschlussfassung und der mit ihr üblicherweise verbundenen Übernahmeerklärung als solcher noch im Gesellschaftsvermögen zweifelsfrei vorhanden ist (Bestätigung von BGH v. 15.3.2004 – II ZR 210/01, BGHZ 158, 283 = GmbHR 2004, 736 m. Komm. Heidinger). Ausnahmsweise können Voreinzahlungen unter engen Voraussetzungen als wirksame Erfüllung der später übernommenen Einlageschuld anerkannt werden, wenn nämlich die Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung im Anschluss an die Voreinzahlung mit aller gebotenen Beschleunigung nachgeholt wird, ein akuter Sanierungsfall vorliegt, andere Maßnahmen nicht in Betracht kommen und die Rettung der sanierungsfähigen Gesellschaft scheitern würde, falls die übliche Reihenfolge der Durchführung der Kapitalerhöhungsmaßnahme betrachtet werden müsste.“ 2.49 Der BGH hat diese Rechtsprechung im Jahr 2008 bestätigt6. Sein Standpunkt verdient Zustimmung. Differenzierungsvorschläge, die im Prozessfall helfen mögen7, sind als Grundlage für die Gestaltungspraxis wenig verlässlich. In der typi1 BGH v. 7.11.1994 – II ZR 248/93, ZIP 1995, 28 = GmbHR 1995, 113. 2 BGH v. 15.3.2004 – II ZR 210/01, BGHZ 158, 283 = GmbHR 2004, 736 m. Komm. Heidinger; dazu eingehend Blöse, DB 2004, 1140 ff. 3 BGH v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, BGHZ 168, 201 = GmbHR 2006, 1328 m. Komm. Werner. 4 BGH v. 15.3.2004 – II ZR 210/01, BGHZ 158, 283 = GmbHR 2004, 736 m. Komm. Heidinger. 5 BGH v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, BGHZ 168, 201 = GmbHR 2006, 1328 m. Komm. Werner. 6 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, GmbHR 2008, 483; BGH v. 24.4.2008 – III ZR 223/06, GmbHR 2008, 766, 767. 7 Für vorsichtige Lockerung Lieder in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 56a GmbHG Rz. 26 ff.; Priester in Scholz, § 56a GmbHG Rz. 20 f.; Schnorbus in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 56a GmbHG Rz. 14 ff.

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Eigenkapitalmaßnahmen

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schen GmbH wird – anders als beim langen Vorlauf einer AG-Hauptversammlung – die Notwendigkeit einer Vorauszahlung nicht ohne Weiteres ersichtlich sein. In den für Voreinzahlungen ernstlich in Betracht kommenden Fällen ist nämlich ein förmlicher Kapitalerhöhungsbeschluss ohne Verzug leicht zu bewerkstelligen oder, wo dies zweifelhaft ist, umso weniger als verlässliche Basis der Vorauszahlung geeignet. Für die Sanierungspraxis erweist sich deshalb eine dem Kapitalerhöhungsbeschluss vorausgehende Zahlung, sofern nicht die vom BGH anerkannte Ausnahmesituation eindeutig gegeben sein sollte, als ein Kunstfehler. Verstöße gegen diese Vorsichtsregel kommen allerdings immer noch erstaunlich oft vor. Im Fall von 20061 hatte sogar der – notariell beurkundete! – Kapitalerhöhungsbeschluss dahin gelautet, dass die Bareinlage „bereits erbracht“ sei. Noch weniger geht es an, dass sich die Barkapitalerhöhung nach der Bezuschussung durch den Gesellschafter nur mehr als Befreiung von einem Gesellschafterdarlehen erscheint2. In Fällen dringenden Liquiditätsbedarfs ist an ein Doppelkonto3 oder an die Aufnahme eines vorübergehend durch den Gesellschafter besicherten Überbrückungskredits bei der Hausbank zu denken4. Es ist aber nicht auszuschließen, dass die Rechtsprechung in einer solchen Umgehung einen unerlaubten Rückfluss an den Inferenten sieht. Es bleibt damit bei der generellen Warnung. 3. Veränderte Risiken bei Hin- und Herzahlen sowie bei verdeckter Sacheinlage Das Hin- und Herzahlen sowie Fragen der sog. verdeckten Sacheinlage sind typi- 2.50 sche Kapitalerhöhungsprobleme (nicht Gründungsprobleme), und diese werden gerade in Sanierungsfällen virulent, weil im ungünstigsten Fall hinterher ein Insolvenzverwalter vor der Tür steht. Die Neuregelung beider Fragenbereiche durch das MoMiG von 2008 hat zu einer Entschärfung der Haftungsgefahren geführt. Aber sie ist komplex und rechtfertigt schon aus diesem Grund keine Entwarnung. a) Rechtslage bis 2008 aa) Nach der für das bis 2008 geltende Recht ständigen Rechtsprechung des BGH 2.51 befreite sich ein Gesellschafter nicht von der Einlagepflicht, wenn der Einlagebetrag, z.B. als Kredit, alsbald wieder an ihn zurückfloss (Hin- und Herzahlung)5. Das galt auch dann, wenn der Rückfluss nicht dem Gesellschafter selbst, sondern 1 BGH v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, BGHZ 168, 201 = GmbHR 2006, 1328 m. Komm. Werner. 2 Vgl. Priester in Scholz, § 56a GmbHG Rz. 19; s. auch Karsten Schmidt, ZGR 1982, 519, 530. 3 Blöse, DB 2004, 1140. 4 Wird dieser Kredit durch den künftigen Einlagenschuldner besichert, so ist mit dem Risiko zu rechnen, dass die Besicherung im etwaigen Insolvenzfall unter § 44a InsO fällt und, wenn der Kredit mit Mitteln der Einlage abgelöst wurde, der Anfechtung nach § 135 Abs. 2 InsO unterliegt (zur Privilegierung von Überbrückungskrediten vgl. aber Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.605). 5 Vgl. nur BGH v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113 = GmbHR 2006, 43; BGH v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, BGHZ 165, 352 = ZIP 2003, 211 = GmbHR 2006, 306 m. Komm. Emde.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

einer von ihm beherrschten Gesellschaft zugeleitet wurde1. Eine spiegelbildliche Situation liegt vor, wenn die Gesellschaft dem Gesellschafter im Voraus ein Darlehen gewährt und diese Kreditmittel für die Einlagezahlung verwendet werden2. Der BGH verneinte in diesen Fällen eine Einlageleistung „zur freien Verfügung“ der Geschäftsführer3. Erst wenn auf die nach der Einschätzung des BGH nichtige Darlehensabrede gezahlt worden war, erkannte der BGH diese Zahlung als befreiende Einlageleistung an4. 2.52 bb) Um verdeckte Sacheinlagen handelt es sich, wenn eine Geldeinlage durch Kombination mit einem Rechtsgeschäft zwischen dem Einleger und der Gesellschaft ganz oder teilweise Sacheinlageeffekte herbeiführt (vgl. § 19 Abs. 4 Satz 1 GmbHG). Risiken aus verdeckter Sacheinlage drohen bei nahezu allen mit der Kapitalerhöhung kombinierten Geschäften zwischen der Gesellschaft und dem Einlageschuldner. Nur echte Umsatzgeschäfte sind von diesem Risiko grundsätzlich frei5. Entgeltliche Transfers6 sind ebenso gefährlich wie Verrechnungen7 oder Schaukelfinanzierungen zwischen gesellschafteridentischen Gesellschaften8. Eine verdeckte Einlage wurde auch in einem Fall angenommen, in dem die von der Muttergesellschaft (also der herrschenden Gesellschafterin) auf erhöhtes Stammkapital eingezahlte Liquidität dafür verwendet worden war, den Erwerb eines Betriebs von einer Schwestergesellschaft zu finanzieren9. Rechtsfolge war nach der bis 2008 ständigen Rechtsprechung, dass die Bareinlageschuld als nicht getilgt galt, die Bareinlage also nochmals zu zahlen war10. Die haftungsrechtliche 1 BGH v. 21.2.1994 – II ZR 60/93, BGHZ 125, 141, 144 = ZIP 1994, 701, 702 = GmbHR 1994, 394; BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, BGHZ 153, 107, 111 = ZIP 2003, 211, 212 = GmbHR 2003, 231; BGH v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 815 = ZIP 2006, 665, 667 = GmbHR 2006, 477 m. Komm. Langner; BGH v. 20.11.2006. – II ZR 176/05, BGHZ 170, 47, 53 = ZIP 2007, 178, 180 = AG 2007, 121; BGH v. 10.12.2007 – II ZR 180/06, BGHZ 174, 370 = ZIP 2008, 174 = GmbHR 2008, 203 m. Komm. Rohde. 2 BGH v. 12.6.2006 – II ZR 334/04, GmbHR 2006, 982 = ZIP 2006, 1633. 3 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113, 116 = GmbHR 2006, 43. 4 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113 = GmbHR 2006, 43; s. auch BGH v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, BGHZ 165, 352 = ZIP 2003, 211 = GmbHR 2006, 306 m. Komm. Emde; anders noch OLG Schleswig v. 27.1.2005 – 5 U 22/04, ZIP 2005, 1827 = GmbHR 2005, 357 m. Komm. Emde. 5 OLG Hamm v. 17.8.2004 – 27 U 189/03, AG 2005, 444 = ZIP 2005, 1138. 6 Vgl. nur BGH v. 7.7.2003 – II ZR 235/01, BGHZ 155, 329 = ZIP 2003, 1540 = GmbHR 2003, 1051 m. Komm. Bormann. 7 Vgl. nur BGH v. 16.9.2003 – II ZR 1/00, BGHZ 152, 37 = BB 2002, 2347 = GmbHR 2002, 1193 m. Komm. Müller; s. auch BGH v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, BB 1996, 813 = GmbHR 1996, 351. 8 BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, BGHZ 153, 107 = GmbHR 2003, 231. 9 OLG München v. 6.10.2005 – 23 U 2381/05, GmbHR 2005, 1606. 10 BGH v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47 = BB 1990, 382 (AG) = AG 1990, 298; BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335 = GmbHR 1991, 255; BGH v. 4.3. 1996 – II ZB 8/95, BGHZ 132, 141 = GmbHR 1996, 351; BGH v. 4.3.1996 – II ZR 89/95, GmbHR 1996, 283; BGH v. 2.12.1999 – IX ZR 415/98, GmbHR 2000, 131; BGH v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, GmbHR 2008, 483; s. auch BGH v. 18.2.2008 – II ZR 132/06, BGHZ 175, 265 = AG 2008, 383 (verdeckte gemischte Sacheinlage bei der AG); Überblick bei Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1122 ff.; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 19 GmbHG Rz. 49 ff.; Ulmer/Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 19 GmbHG Rz. 104 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 19 GmbHG Rz. 54 ff.; Priester in Scholz, § 56 GmbHG Rz. 52 ff.

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Eigenkapitalmaßnahmen

2.54

Härte dieser dem MoMiG vorausgegangenen Rechtsprechung fand neben vielen Befürwortern auch Kritik1, weil sie keine Rücksicht auf die Vollwertigkeit der verdeckten Sacheinlage nahm, also selbst dann zur Neueinzahlungspflicht führte, wenn die beanstandete Transaktion zu einer uneingeschränkten Kapitaldeckung geführt hatte2. Einzelne Stimmen wollten dem Gesellschafter den Beweis der Vollwertigkeit gestatten3. Durchgesetzt hatte sich dieser Vorschlag vor der Reform von 2008 nicht4. Der BGH ließ zwar die Heilung verdeckter Sacheinlagen durch formgerechte Umwandlung der Barkapitalerhöhung in eine Sachkapitalerhöhung zu5, aber eine solche Abhilfe funktioniert nur, solange sich die Gesellschaft noch nicht in der Krise befindet, denn sie setzt Vollwertigkeit voraus6. Die Vollwertigkeit wird bei der Heilung verdeckter Sacheinlagen nämlich nicht – wie allerdings vorgeschlagen worden ist7 – für den Zeitpunkt des verdeckten Vermögenstransfers, sondern für den Zeitpunkt des Heilungsverfahrens festgestellt8. Dann aber ist der Gegenstand der verdeckten Sacheinlage (z.B. eine Forderung) häufig entwertet oder nicht mehr vorhanden. Die Heilung verdeckter Sacheinlagen ist ein Schönwetterinstrument. Sie taugt als Haftungsprophylaxe für den Gesellschafter, nicht dagegen als Sanierungsinstrument für die Gesellschaft. Außer Acht lassen sollte man sie bei Sanierungsaktivitäten allerdings nicht. Soweit nach geglückter Sanierung festgestellt wird, dass im Zuge dieser Sanierungen verdeckte Sachkapitalerhöhungen stattgefunden haben, sollte die Chance der Heilung nicht ungenutzt bleiben. Das bedeutet: Die Heilung verdeckter Sacheinlagen gehört in das Vorfeld der Krise und in die Phase der Konsolidierung nach geglückter Sanierung. In diesem Sinne kann sie trotz des komplizierten Beschluss- und Eintragungsverfahrens genutzt werden. Aber sobald und solange die Insolvenz droht, stößt diese Abhilfe auf Grenzen. b) Die GmbH-Reform 2008 (MoMiG) Die Reform von 2008 brachte sowohl bezüglich der verdeckten Sacheinlagen als 2.53 auch hinsichtlich des Hin- und Herzahlens substantielle Veränderungen mit sich. aa) Die Regelung bezüglich des Hin- und Herzahlens findet sich in § 19 Abs. 5 2.54 i.V.m. § 56a GmbHG: 1 Besonders exponiert die Kritik bei Meilicke, Die verschleierte Sacheinlage – eine deutsche Fehlentwicklung, 1989; Mildner, Bareinlage, Sacheinlage und ihre „Verschleierung“ im Recht der GmbH, 1989. 2 Vgl. dazu auch Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1178; Karsten Schmidt in Blaurock (Hrsg.), Das Recht der Unternehmen in Europa, 1993, S. 116 ff.; Kübler, ZHR 157 (1993), 209. 3 So namentlich Grunewald in FS Rowedder, 1994, S. 117 f.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, 5. Aufl. 2005, § 19 GmbHG Rz. 61; Einsele, NJW 1996, 2681 ff. 4 Eingewandt wurde, diese Auffassung entspreche den Prinzipien des KG-Rechts (vgl. BGH v. 25.6.1973 – II ZR 133/70, BGHZ 61, 59), nicht des Kapitalgesellschaftsrechts. 5 BGH v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, BGHZ 132, 141 = GmbHR 1996, 351; BGH v. 24.7.2000 – II ZR 202/98, GmbHR 2001, 31; dazu ; Priester, JbFSt. 1996/97, S. 254 ff.; Priester, ZIP 1996, 1025 ff. 6 Näher Fastrich in Baumbach/Hueck, § 19 GmbHG Rz. 33a. 7 Sernetz, ZIP 1995, 188 ff. 8 BGH v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, BGHZ 132, 141 = GmbHR 1996, 351, 356.

Karsten Schmidt

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2.55

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

„Ist vor der Einlage eine Leistung an den Gesellschafter vereinbart worden, die wirtschaftlich einer Rückzahlung der Einlage entspricht und die nicht als verdeckte Sacheinlage im Sinne von Absatz 4 zu beurteilen ist, so befreit dies den Gesellschafter von seiner Einlageverpflichtung nur dann, wenn die Leistung durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt ist, der jederzeit fällig ist oder durch fristlose Kündigung durch die Gesellschaft fällig werden kann. Eine solche Leistung oder die Vereinbarung einer solchen Leistung ist in der Anmeldung nach § 8 anzugeben.“

2.55 Diese Neuerungen waren im Zuge der GmbH-Reformdiskussion durchaus umstritten1. Sie kommen der Gründungs- und Kapitalerhöhungspraxis durch Teillegalisierung der inkriminierten Transaktionen, durch Verringerung von Haftungsrisiken und durch Entformalisierung des Kapitalaufbringungsrechts entgegen2. Die rein formale Betrachtung der Kapitalgarantie wird durch eine Wertdeckungsgarantie mit Beweislast des Einlageschuldners ersetzt. Die auf die Verwendung der Bareinlage für eine Zahlung an den einlegenden Gesellschafter gemünzte Regel gilt auch für den umgekehrten Fall der Vorfinanzierung der Einlage durch Zahlung an den Gesellschafter („Her- und Hinzahlen“)3. Für Barkapitalerhöhungen in Sanierungsfällen sind aber diese Haftungserleichterungen wenig hilfreich. Das hat faktische Gründe (Liquiditätsabfluss an den Einlageschuldner!), vor allem aber auch rechtliche Gründe. Die Unterdeckungsrisiken sind in der Krise der Gesellschaft hoch. Vor allem sind sie zusätzlich durch ein Alles-oder-Nichts-Prinzip belastet4: Jedes messbare Ausfallrisiko bezüglich der Forderung gegen den Einlageschuldner lässt das Privileg des § 19 Abs. 5 GmbHG ganz entfallen. Insgesamt hat die Regelung bei der Legalisierung der Kapitalerhöhung durch Einzahlung in einen Cash Pool geholfen (dazu Rz. 1.79), jedoch wenig bei der Krisenbewältigung. Insgesamt sollte die Grundtendenz weiterhin lauten: Hände weg von der Hin- und Herzahlung! 2.56 bb) Die verdeckte Sacheinlage ist seit dem MoMiG in dem folgenden § 19 Abs. 4 GmbHG i.V.m. § 56 Abs. 2 GmbHG geregelt5: „Ist eine Geldeinlage eines Gesellschafters bei wirtschaftlicher Betrachtung und auf Grund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Geldeinlage getroffenen Abrede vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten (verdeckte Sacheinlage), so befreit dies den Gesellschafter nicht von seiner Einlageverpflichtung. Jedoch sind die Verträge über die Sacheinlage und die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung nicht unwirksam. Auf die fortbestehende Geldeinlagepflicht des Gesellschafters wird der Wert des Vermögensgegenstandes im Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister oder im Zeitpunkt seiner Überlassung an die Gesellschaft, falls diese 1 Vgl. insbesondere Bormann/Ulrich, GmbHR 2008, 119; Büchel, GmbHR 2007, 1065; ähnlich Priester, ZIP 2008, 55. 2 Vgl. Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 19 GmbHG Rz. 178 f.; Veil in Scholz, § 19 GmbHG Rz. 173; Karsten Schmidt, GmbHR 2007, 1072, 1073. 3 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 19 GmbHG Rz. 128; Veil in Scholz, § 19 GmbHG Rz. 178 m.w.N. 4 Dazu Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 19 GmbHG Rz. 178; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, § 19 GmbHG Rz. 124. 5 Dazu z.B. Lieder in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 56 GmbHG Rz. 56 ff.; Schwandtner in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl., § 19 GmbHG Rz. 162 ff.; Bormann, GmbHR 2007, 897; Noack, DB 2007, 1395, 1397; Karsten Schmidt, GmbHR 2007, 1072, 1073; Veil, ZIP 2007, 1241, 1243; abl. freilich z.B. Büchel, GmbHR 2007, 1065, 1067; Wirsch, GmbHR 2007, 736 ff.

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Eigenkapitalmaßnahmen

2.59

später erfolgt, angerechnet. Die Anrechnung erfolgt nicht vor Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister. Die Beweislast für die Werthaltigkeit des Vermögensgegenstandes trägt der Gesellschafter.“

Der im Dienste der Praxis und in guter Absicht formulierte Tatbestand zeigt, wie 2.57 ein Gesetz nicht verfasst sein sollte. Die wichtigsten Fälle der verdeckten Sacheinlage sind bei Rz. 2.52 aufgezählt. Dass die verdeckte Sacheinlage nicht befreit (Satz 1), aber vertraglich wirksam (Satz 2) und nach der Eintragung (Satz 4) auf die fortbestehende Einlagepflicht anzurechnen ist (Satz 3), hat im Wesentlichen einen einzigen Grund: Die verdeckte Sacheinlage soll verboten, der Geschäftsführer, wenn er die Leistung der Bareinlage versichert, sogar strafbar bleiben (§ 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG). Aber selbst für die Gesellschafter gilt wegen des Unterdeckungsrisikos nach wie vor: Hände weg, auch wenn die Rechtsfolgen nicht mehr so scharf sind! Für die Heilung verdeckter Sacheinlagen gelten nach wie vor die bei Rz. 2.52 dargestellten Voraussetzungen1. 4. Konsequenzen Was lehren hiernach Gesetzgebung und Gerichtspraxis für die Durchführung in- 2.58 terner Sanierungen? – Die Umwandlung von Forderungen in haftendes Kapital (Rz. 2.81 ff.) kann Bestandteil eines Sanierungskonzepts sein, sollte aber nur im Wege der Sachkapitalerhöhung erfolgen, die freilich immer noch das Differenzhaftungsrisiko des § 9 GmbHG mit sich bringt (Rz. 2.63). Wo dies nicht akzeptiert wird, sollte die Sachkapitalerhöhung überhaupt vermieden oder in ein Insolvenzverfahren verlegt werden (Rz. 2.395, 8.26 ff.). Altgläubiger der Gesellschaft fahren, wenn sie einen Sanierungsbeitrag leisten wollen, mit einem Rangrücktritt mit Besserungsabrede (dazu Rz. 2.372) haftungsrechtlich besser als mit der Verwendung ihrer Forderungen für eine Kapitalerhöhung. – Auch Gesellschafter sollten, was den Einsatz ihrer Forderungen für die Sanierung anlangt, den Rangrücktritt vorziehen (dazu Rz. 2.364 ff.). – Nur nach geglückter Sanierung sind verdeckte Sachkapitalerhöhungen heilbar und sollten geheilt werden. Bei Kapitalerhöhungen im Zuge einer Sanierung gilt es auch unter dem neuen Recht ein Hin- und Herzahlen ebenso zu vermeiden wie eine verdeckte Sacheinlage. 5. Anteilserwerb und Forderungsumwandlung in Beteiligung (Debt Equity Swap) Die Teilnahme von Gläubigern an sanierenden Kapitalmaßnahmen kann nicht 2.59 nur im Erlass, in der Stundung oder in der Subordinierung von Ansprüchen bestehen (dazu Rz. 2.351 ff.), sondern auch in der Kontrollübernahme. Diese kann auf sehr unterschiedliche Weise zustande kommen: – durch Anteilserwerb (Rz. 2.60), – durch Teilnahme an einer Barkapitalerhöhung (Rz. 2.61) oder – durch Umwandlung von Forderungen in haftendes Kapital im Wege der Sachkapitalerhöhung (Debt Equity Swap nach Rz. 2.62, 2.380 ff.). 1 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 19 GmbHG Rz. 95 ff.

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2.60

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.60 a) Die externe Sanierung durch Anteilserwerb (im äußersten Fall im Wege der Übernahme des Unternehmens durch einen externen Investor) ist nur die Kehrseite der bei Rz. 2.240 geschilderten Aufnahme neuer Gesellschafter. Mit dem Anteilserwerb pflegen zusätzliche finanzielle Engagements einherzugehen. Soweit es sich um Kredite und um gestundete Forderungen handelt, kommt dem Investor das Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO zugute (dazu Rz. 2.106 ff.). 2.61 b) Anteilserwerb und Kapitalerhöhung können zusammentreffen, etwa indem derselbe Sanierungsinvestor alle vorhandenen Anteile erwirbt und im Wege der Kapitalerhöhung neue Anteile schafft. Die Chancen und Risiken einer solchen Sanierung sind rein betriebswirtschaftlicher Art, wenn der Weg des Anteilserwerbs und (oder) der Barkapitalerhöhung gewählt wird und hierbei kein technischer Fehler gemacht wird. Hier wird Geld an die Anteilseigner (Anteilserwerb) bzw. in das Gesellschaftsvermögen (Barkapitalerhöhung) gezahlt, und die Frage ist nur, ob dieses Geld der richtige Preis für die Sanierungschance ist oder ob es am Ende verloren geht, weil die Sanierung scheitert. 2.62 c) Spezifisch juristische Risiken bringt der Debt Equity Swap mit sich, also die Umwandlung von Forderungen in haftendes Kapital1: Der Gläubiger verwendet – im buchstäblichen oder im wirtschaftlichen Sinne! – seine Forderungen für die Erhöhung des Stammkapitals (im Fall einer KG: des Kommanditkapitals). 2.63 Debt Equity Swaps machen aus bloßen Forderungen Unternehmensbeteiligungen. Als strategische Optionen werden sie nicht selten im Sinne einer ultima ratio geschildert, zu der der Gläubiger greift, wenn alle anderen Sanierungsmaßnahmen gescheitert sind2. Genau dann ist aber das Risiko hoch, dass die gegen Anteile einzutauschenden Forderungen nicht vollwertig sind (dazu Rz. 2.393 ff.). Gesicherte Gläubiger werden zögern, sich auf diese Weise zu beteiligen, denn sie tauschen Sicherheiten gegen Haftungsrisiken ein3. Ungesicherte Gläubiger werden über diese Strategie nachdenken, wenn der Fortführungswert des Unternehmens höher ist als der Zerschlagungswert4. Aber genau hierher rühren die Haftungsrisiken aus zweifelhafter Wertdeckung. Fehlt es an dieser, so kann die Eintragung der Sachkapitalerhöhung verweigert werden (Rz. 2.391), und es besteht eine Differenzhaftung in Höhe des fehlenden Werts der Stammeinlage (Rz. 2.392). Eine solche Differenzhaftung besteht im Übrigen auch, wenn bei der GmbH & Co. KG eine erhöhte Kommanditeinlage mit einer gegen die Gesellschaft gerichteten Forderung belegt wird5: Deckt die Einlage nicht die im Handelsregister eingetragene Haf1 Dazu Beck in Beck/Depré, § 10 Rz. 49 f.; Knecht/Haghani in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 18 Rz. 45 ff.; Kestler/Striegel/Jesch, Distressed Debt Investments, 2006; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.1318 ff.; Sinhart in Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, § 16 Rz. 83c ff.; Patrick Schulz, Der Debt Equity Swap in der Insolvenz, 2015, S. 81-94; Wälzholz in GmbH-Handbuch (Stand: 2012), Rz. I 4073 ff.; Redeker, BB 2007, 673 ff.; Wittig in FS Uhlenbruck, 2000, S. 685 ff. 2 Vgl. Redeker, BB 2007, 673 mit Hinweis auf FINANCE-Magazin Juni 2006, 38 ff.: „letzte Rettung“. 3 Vgl. Wittig in FS Uhlenbruck, 2000, S. 701. 4 Redeker, BB 2007, 673. 5 Vgl. Sassenrath in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Loseblatt (Stand: März 2013), Rz. I 2812, I 2915.

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Eigenkapitalmaßnahmen

2.65

tungssumme, so haftet der Kommanditist nach § 171 Abs. 1 HGB auf die Differenz (näher Rz. 2.397 ff.)1. d) Wichtig ist, dass der Debt Equity Swap als offene Sacheinlage vollzogen wird. 2.64 Gegen das Risiko der Neueinzahlungspflicht wegen verdeckter Sacheinlage (Rz. 2.51) hilft seit der Reform von 2008 (MoMiG) dem Gesellschafter (nicht dem anmeldenden Geschäftsführer!) zwar die gesetzliche Anrechnungslösung (Rz. 2.56): Der Gesellschafter haftet nicht, soweit er die Werthaltigkeit der Forderung nachweist (§ 19 Abs. 4 GmbHG n.F.). Aber das Unterdeckungsrisiko bleibt gravierend. Eine zusätzliche Frage bestand in Fällen bis 2008 darin, ob das Eigenkapitalersatzrecht einen Debt Equity Swap hinderte2, und zwar vor allem in Fällen des sog. Distressed Debt Purchase (dazu Rz. 2.380). Bei diesem erwirbt der Investor die gegen die Gesellschaft gerichteten Forderungen (z.B. von Banken oder Lieferanten), um sie sodann in Eigenkapital umzuwandeln (Debt Equity Swap)3. Nach der damaligen BGH-Praxis konnten eigenkapitalersetzende Gesellschafterforderungen nicht für eine Sachkapitalerhöhung verwendet werden4. Wer als Drittinvestor durch Debt Equity Swap einstieg, war in dieser Hinsicht im Vorteil5. Durch das Sanierungsprivileg (§ 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG a.F., § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO n.F.) bevorzugt war allerdings ein Gesellschafter, der erst im Zuge der Sanierung Gesellschafter wurde, denn das Privileg befreite auch von der analogen Anwendung des § 30 GmbHG6. Nach dem durch das MoMiG reformierten Recht der Gesellschafterdarlehen hat sich diese Frage erledigt (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG). Das Recht der Gesellschafterdarlehen ist deshalb kein Hindernis mehr für den Debt Equity Swap. Aber die anderen Probleme bleiben (Rz. 2.387). 6. Sofortmaßnahmen a) Die Geschäftsführer werden – soweit irgend möglich mit der Rückendeckung 2.65 einer nach § 49 Abs. 2 GmbHG einzuberufenden Gesellschafterversammlung, – jedenfalls unter Information der Gesellschafter – auf Grund der Schwachstellenanlyse Sofortmaßnahmen einleiten. Diese Sofortmaßnahmen müssen sowohl an die Gesamtsituation der Gesellschaft als auch untereinander angepasst, also planvoll angelegt sein. Insbesondere wird die Geschäftsführung – einen Bericht an die Gesellschafter verfassen, – die Liquidität sichern bzw. wiederherstellen7, 1 Vgl. BGH v. 25.6.1973 – II ZR 133/70, BGHZ 61, 59, 72 = NJW 1973, 1691, 1694 f.; Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, §§ 171, 172 HGB Rz. 55. 2 Dazu etwa Redeker, BB 2007, 673, 676. 3 Himmelsbach/Achsnick, NZI 2006, 561, 562. 4 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 14/84, BGHZ 90, 370, 376 = GmbHR 1984, 313; BGH v. 8.7. 1985 – II ZR 269/84, BGHZ 95, 188, 191 = GmbHR 1986, 21 zur GmbH & Co. KG; OLG Schleswig v. 14.12.2000 – 5 U 182/98, NZG 2001, 566. 5 Eingehend Himmelsbach/Achsnick, NZI 2006, 561 ff.; Redeker, BB 2007, 673, 676 f.; Redeker, BB 2007, 673, 677. 6 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, BGHZ 165, 106 = GmbHR 2006, 311. 7 Kraus in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 12; s. auch Thiele in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 14 Rz. 24; Buth/ Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 16.

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2.66

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

– logistische Voraussetzungen für die Unternehmensfortführung schaffen1, – die Versilberung nicht betriebsnotwendigen Anlagevermögens einleiten2, – arbeitsrechtliche Notmaßnahmen, z.B. Kurzarbeit, in die Wege leiten3, – einen vorläufigen Sanierungs-Businessplan vorbereiten und mit den Gesellschaftern abstimmen4. 2.66 Der Business-Plan unterliegt einer ständigen Kontrolle, Bereinigung und Aktualisierung. Wohl bedacht sein muss die Einschaltung von Sanierungshelfern sowie die Beratung mit Gläubigern. Die Umstände des Einzelfalls müssen darüber entscheiden, wie lange bei einer internen Sanierung auf die Einschaltung Dritter verzichtet werden kann. Auch ist die Zuziehung von Sanierungsexperten Vertrauenssache und setzt eine sorgsame Vorprüfung voraus. Wiederum wird sich die Geschäftsführung der Rückendeckung seitens der Gesellschafter vergewissern. Die bloße Fühlungnahme mit einem Mehrheitsgesellschafter – ein sehr verbreitetes Vorgehen! – kann bei Vorüberlegungen helfen, ersetzt aber nicht die Einschaltung der Gesellschaftergesamtheit, insbesondere die Einladung der Versammlung nach § 49 GmbHG (dazu Rz. 1.124). 2.67 b) Die Gesellschafter können – auf die zeitnahe Abhaltung einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung dringen, falls diese nicht vom Geschäftsführer einberufen wird (vgl. § 50 GmbHG), – Information über die wirtschaftliche Situation und ihre Ursachen einfordern (§ 51a GmbHG), – ggf. auch einen Geschäftsführerwechsel beschließen (§ 46 Nr. 5 GmbHG). 2.68 Die letztere Maßnahme, vor allem als Abberufung aus wichtigem Grund, will wohlbedacht sein (auch wegen der Außenwirkung). Ggf. ist auch eine Auflösung des Dienstvertrags durch Kündigung zu erwägen (dazu Rz. 2.201). Die Abberufung der Geschäftsführer ohne Neubestellung versetzt die Gesellschaft in den Stand der Führungslosigkeit mit den hieraus für die Gesellschafter folgenden Risiken (z.B. aus § 15a Abs. 3 InsO; dazu Rz. 7.204 ff.). Der Eintritt der Führungslosigkeit sollte unbedingt vermieden werden. Handelt es sich um den alleinigen Gesellschafter und Geschäftsführer, so stellt sich die Frage, ob die Amtsniederlegung überdies wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam ist (vgl. Rz. 2.221)5. 2.69 c) Auch bei Sofortmaßnahmen ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit des Gesellschafterkreises mit der Geschäftsführung essentiell, z.B. bei der Auswahl von Sanierungsberatern, bei der Verständigung über Rangrücktritte (Rz. 2.364) sowie bei der Vorbereitung von Kapitalmaßnahmen (zu ihnen Rz. 2.31). 2.70 vacat 1 2 3 4

Hermanns in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 10. Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 16 Rz. 52 f. Seefelder, Unternehmensfinanzierung, 3. Aufl. 2012, S. 190. Über Businesspläne und Maßnahmenmanagement vgl. Kraus in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4. 5 OLG Köln v. 1.2.2008 – 2 Wx 3/08, BB 2008, 638 = GmbHR 2008, 544 = ZIP 2008, 646.

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Karsten Schmidt

Atypische Risikokapitalerhöhung

2.73

II. Atypische Risikokapitalerhöhung Kapitalmaßnahmen zur außergerichtlichen Unternehmenssanierung können 2.71 auch über die Einschaltung von Private Equity-Gesellschaften oder die Zuführung von Mezzanine-Kapital erreicht werden. Während die Zuführung von MezzanineKapital die Gesellschafterstruktur des Krisenunternehmens unberührt lässt, wird bei Hinzuziehung von Private Equity-Gesellschaften in der Regel in die Gesellschafterstruktur eingegriffen1. 1. Private Equity Nach der Definition der European Venture Capital and Private Equity Association 2.72 (EVCA) kann mit dem Oberbegriff Private Equity der gesamte Markt für privates – nicht börsliches – Beteiligungskapital umschrieben werden. Hauptmerkmal des Private Equity-Modells ist, dass liquide Mittel eines Investors in das Eigenkapital (engl.: Equity) einer Gesellschaft fließen und der Gesellschaft damit für ihre Geschäftsaktivitäten zur Verfügung stehen. Da das Kapital von Unternehmen außerhalb des über die Börse organisierten Markts zur Verfügung gestellt wird, wird diese Beteiligungsform als „Private“ bezeichnet2. Innerhalb der Branche wird der Begriff Private Equity auch in Abgrenzung zu Venture Capital (dt.: Risikooder Wagniskapital), einem bedeutenden Teilbereich des Private Equity-Markts, verwendet. Venture Capital wird in erster Linie zur Startfinanzierung junger Technologiefirmen mit guten Zukunftsaussichten eingesetzt. Der Begriff Venture Capital bezieht sich auf Early Stage-Finanzierungen (Frühphasenfinanzierungen: Seed und Start up)3, während für Later Stage-Finanzierungen (Expansionsfinanzierungen) in der späteren Unternehmenshistorie der Begriff Private Equity verwendet wird4. Weiter – wohl am häufigsten – findet sich Private Equity-Engagement im Zusammenhang mit Unternehmensübernahmen (Buy-outs)5. Venture Capital- und Private Equity-Gesellschaften fungieren als Kapitalsammel- 2.73 stelle und damit als Vermittler zwischen Investoren und kapitalsuchenden Unternehmen. Private Equity-Gesellschaften übernehmen in dieser Funktion die Suche nach geeigneten Zielgesellschaften, z.B. auch Krisenunternehmen, und deren Bewertung (Due Diligence). Im Falle des erfolgreichen Erwerbs der Zielgesellschaft übernehmen sie das Beteiligungsmanagement bis zum Ausstieg aus der Zielgesellschaft, dem Exit6 (Rz. 2.76). 1 Private Equity umfasst im weiteren Sinne auch Mezzanine-Finanzierungen, die Grenzen sind fließend: Baisch in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, § 11 Rz. 5, 17. 2 Baisch in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 11 Rz. 3 f. 3 Feldhaus in Frankfurter Kommentar zu Private Equity, 1. Aufl. 2009, Kap. 1 Rz. 8; Gabrysch in Kompendium Gesellschaftsrecht, 1. Aufl. 2010, § 2 Rz. 63. 4 Baisch in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 11 Rz. 21 f.; Gabrysch in Kompendium Gesellschaftsrecht, 1. Aufl. 2010, § 2 Rz. 63. 5 Das Volumen von Buy-outs ist im Jahr 2010 im Gegensatz zum Jahr 2009 erheblich zurückgegangen, vgl. BVK-Jahrbuch 2011, S. 514; zum Management Buy-out, das auch häufig unter Beteiligung von Private Equity-Gesellschaften erfolgt Rz. 2.236 f. Nach einer Statistik der Deutsche Beteiligungs AG befindet sich die Anzahl der Buy-outs seit 2011 wieder auf stabilem Niveau von etwa 3000 pro Jahr, www.dbag.de/pres se/pressemeldungen/?cms_press_id=1906. 6 Feldhaus in Frankfurter Kommentar zu Private Equity, 1. Aufl. 2009, Kap. 1 Rz. 51.

Schluck-Amend

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2.74

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.74 Investoren stellen Private Equity-Gesellschaften voll haftendes Eigenkapital zur Verfügung, für das kein Rückzahlungsanspruch besteht. Anlagen in Private Equity-Gesellschaften sind Risikoanlagen, bei denen der Investor stets mit einem Totalausfall rechnen muss1. In Private Equity-Gesellschaften investieren in der Regel institutionelle Investoren – etwa Pensionskassen, Banken, Versicherungen – aber zuweilen auch die öffentliche Hand, große Unternehmen oder vermögende Privatleute2. 2.75 In Deutschland sind Private Equity-Gesellschaften überwiegend als KG, GmbH & Co. KG oder aber GmbH strukturiert. Daneben gibt es wenige an der Börse notierte Private Equity-Gesellschaften, z.B. die Deutsche Beteiligungs AG3. Private Equity-Gesellschaften können kategorisiert werden in solche, bei denen ein Mehrheitsgesellschafter die Gesellschafterstruktur beherrscht (captive), z.B. 100%ige Tochterunternehmen institutioneller Anleger, solche mit einem kleinen und überschaubaren Gesellschafterkreis (semi-captive) und solche ohne dominierende Stellung eines Gesellschafters (independent)4. Zudem strukturieren Private Equity-Gesellschaften allein oder gemeinsam mit anderen Private EquityGesellschaften Private Equity-Fonds meist in der Rechtsform der GmbH & Co. KG, an denen sich die (institutionellen) Anleger gegen Gewährung eines Kommanditanteils beteiligen können5. Ein Recht auf Rückgabe des Fondsanteils bzw. des gewährten Gesellschaftsanteils gegen Auszahlung des Geldwerts seitens der Investoren besteht nicht. Das in den Fonds investierte Kapital ist entweder bis zur Ausschüttung der Realisierungsgewinne oder aber zur Liquidation des Fonds gebunden6. Die Private Equity-Fonds werden für ihre Tätigkeit in der Regel durch einen Gewinn-Vorab aus dem Fonds zur Abdeckung der laufenden Kosten des Fondsmanagements (Management Fee) sowie eine Gewinnbeteiligung (Carried Interest) vergütet7. 2.76 Die Private Equity-Gesellschaften oder -Fonds stellen (Krisen-)Unternehmen (Zielunternehmen, target) Eigenkapital zur Verfügung, indem sie sich an diesem – gegebenenfalls über eine weitere zu diesem Zweck gegründete Gesellschaft (NewCo) – offen und direkt beteiligen. Erreicht wird diese Beteiligung durch eine Kapitalerhöhung bei dem (Krisen-)Unternehmen durch echte Kapitalerhöhung, Einzahlung in die Kapitalrücklage oder aber den Erwerb von Anteilen von Altgesellschaftern8. Der Private Equity-Geber wird also zeitlich befristet Mitgesellschafter des (Krisen-)Unternehmens. In der Regel sind Private Equity-Inves1 Richter/Steinmüller/Gollan in Rechtshandbuch Private Equity, 1. Aufl. 2010, S. 6; Baisch in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 11 Rz. 48. 2 Feldhaus in Frankfurter Kommentar zu Private Equity, 1. Aufl. 2009, Kap. 1 Rz. 50; Baisch in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 11 Rz. 28 ff. 3 Feldhaus in Frankfurter Kommentar zu Private Equity, 1. Aufl. 2009, Kap. 1 Rz. 51. 4 Baisch in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 11 Rz. 31 f. 5 Veith in Frankfurter Kommentar zu Private Equity, 1. Aufl. 2009, Kap. 1 Rz. 60 f.; Feldhaus in Frankfurter Kommentar zu Private Equity, 1. Aufl. 2009, Kap. 1 Rz. 162 f.; Richter/Steinmüller/Gollan in Rechtshandbuch Private Equity, 1. Aufl. 2010, S. 6 f. 6 Richter/Steinmüller/Gollan in Rechtshandbuch Private Equity, 1. Aufl. 2010, S. 7. 7 Richter/Steinmüller/Gollan in Rechtshandbuch Private Equity, 1. Aufl. 2010, S. 8; Eilers/Koffka in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2. Aufl. 2012, Einl. Rz. 15. 8 Baisch in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 11 Rz. 5.

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Schluck-Amend

Atypische Risikokapitalerhöhung

2.77

titionen mittelfristig auf einen Zeitraum von zwei bis acht Jahren angelegt1. Das Ziel des Private Equity-Gebers ist erreicht, wenn das (Krisen-)Unternehmen restrukturiert ist und die Beteiligung mit möglichst hohem Gewinn veräußert werden kann (Exit). Der Exit der Private Equity-Gesellschaft aus dem (Krisen-)Unternehmen kann unterschiedlich ausgestaltet sein, z.B. als Verkauf an einen strategischen Investor (Trade Sale), an einen weiteren Finanzinvestor (Secondary Sale), an den ehemaligen Gesellschafter oder das verbliebene frühere Management (Buy-back), als Börsengang (Going-public) oder im gescheiterten Fall in Form der Liquidation des Investments (Write off)2. Private Equity-Gesellschaften investieren durchaus auch in Krisenunternehmen, 2.77 die sich in einer wirtschaftlichen Schieflage befinden3, und helfen dem Unternehmen so den Turnaround zu schaffen4. Hierfür gelten besondere wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen5. Aus Sicht von Private Equity-Gesellschaften und ihren Investoren haben Investitionen, insbesondere Unternehmenskäufe (Buy-outs), in Zeiten der Unternehmenskrise einen besonderen Reiz, da mit ihnen die Erwartung verbunden ist, ein erhebliches Wertsteigerungspotential realisieren zu können, wenn auch gleichzeitig in dieser Phase des Unternehmens Investitionen ein erhöhtes Verlustrisiko aufweisen6. Für das kapitalsuchende Krisenunternehmen wird die Schwierigkeit, insbesondere wegen des beherrschenden Zeitmoments, darin bestehen, aus den vielen potentiellen Private Equity-Gebern den geeigneten Partner auszuwählen und diesen wiederum von dem eigenen Geschäftskonzept zu überzeugen7. Bei der Auswahl des geeigneten Partners wird für das Krisenunternehmen neben der Ausgestaltung der gewünschten Beteiligung (Maß der Mitbestimmung) der durch die Zusammenarbeit mit dem Private Equity-Geber – durch Unterstützung des Managements – erreichbare Wertzuwachs (Added Value) eine Rolle spielen8. Bei der Entscheidung für eine Beteiligung an dem Krisenunternehmen wird aus Sicht des Private Equity-Gebers von Relevanz sein, ob der Krisenfall z.B. auf eine einmalige Fehlinvestition zurückzuführen ist und sich allein durch die Eigenkapitalzufuhr beheben lässt, oder aber sich die Krise aufgrund eines langjährigen Missmanagements entwickelt hat9. Im letzteren Fall muss das alte Management in der Regel ausgetauscht, jedenfalls aber ergänzt werden10, so dass wiederum die Expertise und die Kapazitäten des Private Equity-Gebers eine große Rolle spielen, da dessen Mitarbeiter diese Funktionen

1 Baisch in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 11 Rz. 7; Eilers/Koffka in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2. Aufl. 2012, Einl. Rz. 20: drei bis sieben Jahre. 2 Gabrysch in Kompendium Gesellschaftsrecht, 1. Aufl. 2010, § 2 Rz. 63. 3 Baisch in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 11 Rz. 22; Rhein in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2. Aufl. 2012, Teil III. Rz. 1. 4 Knecht in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz,, § 19 Rz. 96. 5 Zu den vergleichbaren Risiken eines Unternehmenserwerbs im vorläufigen Insolvenzverfahren: Rz. 5.563 ff. 6 Rhein in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2. Aufl. 2012, Teil III. Rz. 3. 7 Ähnl. Göckeler, Beck’sches Handbuch der AG, 2. Aufl. 2009, § 21 Rz. 114. 8 Ähnl. Göckeler, Beck’sches Handbuch der AG, 2. Aufl. 2009, § 21 Rz. 115. 9 Brandes in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 21 Rz. 13 f. 10 Brandes in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 21 Rz. 14.

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2.78

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

des Sanierungsmanagers übernehmen sollen1. Nicht zu verkennen ist auch, dass der Private Equity-Geber im Gegensatz zur Beteiligung an gesunden Unternehmen bei der Beteiligung an Krisenunternehmen auch gezwungen sein kann, für das Krisenunternehmen zur Aufrechterhaltung des operativen Geschäfts neue Fremdkapitalgeber zu suchen und mit früheren Fremdkapitalgebern aktiv an einer Reduzierung ihrer Forderungen zu arbeiten2. Kommt es zu einer Beteiligung des Private Equity-Gebers an dem Krisenunternehmen, muss – unter aktiver Beteiligung des Private Equity-Gebers am operativen Geschäft – sofort mit der Umsetzung des Restrukturierungskonzepts begonnen werden. Nach der Umsetzungs- und Restrukturierungsphase und Überwindung der Krise sollte seitens des Private Equity-Gebers seine Beteiligung am operativen Geschäft des (vormaligen) Krisenunternehmens langsam reduziert und auf Kontrollfunktionen beschränkt werden, um sich auf die Ausarbeitung des Exit-Konzepts zu konzentrieren und etwaig erforderliche gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen vorzubereiten3. 2.78 Private Equity-Gesellschaften werden oft kritisiert, weil ihre einzige Zielsetzung ihre eigene Gewinnoptimierung darstellt. Andere Beweggründe (wie z.B. die Erhaltung oder Schaffung von Arbeitsplätzen) treten i.d.R. zu Gunsten möglichst hoher Renditen in den Hintergrund. Als störend wird auch die relativ kurze Verweildauer des Investors im Unternehmen angesehen. Misstrauisch wird die Tendenz zu so genannten Quick Flips beobachtet, bei denen die Private Equity-Firmen nicht zwei bis acht Jahre im Unternehmen bleiben, sondern sehr schnell weiterziehen. Insbesondere Gesellschafter von Familienunternehmen wollen die Kontinuität ihrer Unternehmen sicherstellen. Gerade in Krisenzeiten werden diese Erwägungen jedoch eher in den Hintergrund treten, geht es doch zunächst darum, das Unternehmen auf lange Sicht zu sichern. 2. Mezzanine-Kapital 2.79 Mezzanine-Instrumente4 sind hybride, sehr flexible Finanzierungsinstrumente, die bilanziell zwischen dem Eigenkapital und dem Fremdkapital stehen5. Finanzierungstechnisch bieten Mezzanine-Instrumente die Möglichkeit, die Elemente der Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung optimal miteinander zu verbinden. Den Unternehmen wird diese Kapitalart in einer Phase zugeführt, in der eigentlich die Zuführung neuen Eigenkapitals erforderlich ist, Altgesellschafter oder Investoren zur Eigenkapitalzuführung jedoch nicht in der Lage oder bereit sind und zur Absicherung der klassischen Fremdfinanzierung über Banken erforderliche Sicherheiten nicht zur Verfügung stehen6; mithin in der typischen Krisensituation. Der große Vorteil von Mezzanine besteht darin, dass die Unternehmen ihre Eigenkapitalbasis verstärken können, ohne dafür Gesellschafterrechte gewähren zu 1 2 3 4

Brandes in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 21 Rz. 14, 29. Brandes in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 21 Rz. 16. Brandes in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 21 Rz. 34 ff. Der Begriff Mezzanine stammt ursprünglich aus dem Italienischen und meint ein Zwischengeschoss in der Architektur. 5 Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Grundzüge der Unternehmensfinanzierung, 11. Aufl. 2013, S. 286. 6 Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 212.

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Atypische Risikokapitalerhöhung

2.81

müssen. Es findet also keine Stimmrechtsverwässerung statt. Weiterer Vorteil der Mezzanine-Finanzierung ist die Schonung noch vorhandener Mittel durch Aufteilung der Zinsen in einen auszahlungswirksamen sowie einen auflaufenden Anteil oder aber die Nutzung eines Equity Kickers1. Mezzanine kann eher eigenkapitalnah (equity mezzanine) oder eher fremdkapitalnah (debt mezzanine) ausgestaltet sein2. Mezzanine-Gestaltungen gemein ist üblicherweise ihre Nachrangigkeit gegenüber anderen Gläubigern in der Insolvenz, ihre Vorrangigkeit gegenüber dem „echten“ Eigenkapital und die zeitliche Befristung der Kapitalüberlassung3. Steigende Bedeutung hat die Mezzanine-Finanzierung für die Anwendung der seit 2007 geltenden Kreditsicherheitslinien für Banken („BASEL II“), weil sie – je nach Ausgestaltung im Einzelnen – die Bilanzstruktur zu Gunsten des Eigenkapitals verbessern kann und damit die Kreditwürdigkeit des Unternehmens gegenüber Fremdkapitalgebern erhöht wird4. Mezzanine-Finanzierungen können in Form von Nachrangdarlehen, Vendor Loans, 2.80 Genussscheinen oder Genussrechten, partiarischer Darlehen oder durch stille Beteiligungen begeben werden. Denkbar sind auch Mezzanine-Finanzierungen in Form von Wandel- oder Optionsanleihen sowie Gewinnschuldverschreibungen5. Nachrangdarlehen zählen zum debt mezzanine, d.h. zum fremdkapitalnahen 2.81 Mezzanine6. Als Mezzanine-Instrument sind sie der klassischen Kreditfinanzierung noch am ähnlichsten7. Nachrangdarlehen werden in der Regel nicht oder nur nachrangig besichert. Sie werden von Gesellschaftern oder aber Dritt-Darlehensgebern/Mezzanine-Darlehensgebern gewährt8. Da das Risiko des Darlehensgebers dem eines Eigenkapitalgebers angenähert ist, fällt die Verzinsung regelmäßig höher aus als bei besicherten Darlehen und ist als feste, zum Teil laufend, zum Teil am Ende der Laufzeit zu entrichtende Verzinsung ausgestaltet9. Zusätzlich erhält der Darlehensgeber am Ende der Laufzeit eine erfolgsabhängige Vergütung in Form von Gesellschaftsanteilen (Equity Kicker) oder Sonderzahlungen (virtueller oder Non Equity Kicker). Eine Teilnahme am Verlust der Gesellschaft durch den Dritt-Darlehensgeber findet in der Regel nicht statt10. In der Insolvenz 1 Weinheimer in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil XII Rz. 12.27. 2 Weinheimer in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil XII Rz. 12.25. 3 Weinheimer in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil XII Rz. 12.25; Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 213. 4 Knecht in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 19 Rz. 89. 5 Weinheimer in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil XII Rz. 12.25. 6 Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Auf 2012, § 10 Rz. 213. 7 Knecht in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 19 Rz. 110. 8 Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 214. 9 Insoweit ist auf die Einhaltung des Zinseszinsverbots zu achten (§ 248 BGB): Ruby/ Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 214. 10 Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 214.

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2.82

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

der GmbH besteht ein gesetzlicher Nachrang der von Gesellschaftern gewährten Darlehen nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, sofern nicht das Kleinbeteiligten- oder das Sanierungsprivileg nach § 39 Abs. 4 – 5 InsO greift. Auch zu beachten ist die Insolvenzanfechtbarkeit von Zahlungen auf Gesellschafterdarlehen nach § 135 InsO1. Die Grenze zwischen Nachrangdarlehen Dritter und der Beteiligung als stiller Gesellschafter sind fließend2. Um eine Passivierung der Verbindlichkeit aus dem Nachrangdarlehen im Überschuldungsstatus zu vermeiden, muss nach § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO ein Nachrang der Forderung des Darlehensgebers hinter sämtlichen in § 39 Abs. 1 Nr. 1 – 5 InsO genannten Forderungen vereinbart werden. 2.82 Beim Verkäuferdarlehen (Vendor Loan) gibt der Verkäufer dem Erwerberunternehmen einen individuell aushandelbaren Kredit, der einer Kaufpreisreduzierung entspricht3. Hierdurch wird das Vertrauen des Erwerberunternehmens in das Zielunternehmen gestärkt, da der Verkäufer seinen Glauben an das Unternehmen zum Ausdruck bringt. Gerade in der Krise der verkaufenden Gesellschaft wird diese Finanzierungsform jedoch wohl nicht mehr in Betracht kommen. 2.83 Partiarische Darlehen sind Darlehen i.S. von § 488 BGB und bieten anstatt oder in Ergänzung zu einer festen Verzinsung auch eine variable, erfolgsabhängige Verzinsungskomponente. Im Insolvenzfall sind Ansprüche des Darlehensgebers Fremdkapitalansprüche4. 2.84 Über stille Beteiligungen kann das Krisenunternehmen eine Kapitalzufuhr durch Neuinvestoren erreichen. Die flexiblen Gestaltungsmöglichkeiten und die individuelle Kombinationsmöglichkeit von eigen- und fremdkapitalähnlichen Merkmalen kann die Finanzierungsbereitschaft im Krisenfall erhöhen5. Wie jede Personengesellschaft ist auch die stille Gesellschaft durch die gemeinschaftliche Zweckverfolgung geprägt. Diese kann auch zur Abgrenzung von anderen Finanzierungsformen herangezogen werden. Der stille Gesellschafter nimmt stets am Gewinn des Unternehmens teil (§ 231 Abs. 2 HGB), während eine Verlustbeteiligung vertraglich vollumfänglich ausgeschlossen werden kann6. Wird die Verlustbeteiligung vertraglich nicht ausgeschlossen, so ist sie doch nach dem Gesetz auf die Einlage begrenzt (§ 232 Abs. 2 HGB). Im Falle der Insolvenz kann der stille Gesellschafter seine Einlage als Insolvenzgläubiger geltend machen, soweit sie den Betrag des auf ihn entfallenden Anteils am Verlust übersteigt (§ 236 Abs. 2 HGB). Im Sanierungsfall – und so für Mezzanine-Instrumente üblich – wird die Nachrangigkeit der Forderung im Insolvenzfall vereinbart. Unterschieden wird zwischen der typischen, fremdkapitalähnlichen stillen Beteiligung und der atypi1 Dazu Schluck-Amend in Pape/Uhländer, § 135 InsO. 2 Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 217. 3 Weinheimer in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil XII Rz. 12.27. 4 Raupach in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil III Rz. 215. 5 Knecht/Haghani in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 18 Rz. 60. 6 Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 244; Knecht/Haghani in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 18 Rz. 56.

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Schluck-Amend

Atypische Risikokapitalerhöhung

2.85

schen, eigenkapitalähnlichen stillen Beteiligung1. Bei typischen stillen Gesellschaften bleiben die folgenden spezifischen, gesetzlichen Merkmale erhalten: Der stille Gesellschafter ist am Vermögen des Geschäftsinhabers nicht beteiligt und es existiert kein Gesamthandsvermögen, die Einlage geht vielmehr in das Vermögen des Geschäftsinhabers über; die Geschäfte werden allein durch den Geschäftsinhaber geführt und es existiert keine verbandsähnliche Organisationsstruktur. Bei der atypischen stillen Gesellschaft hingegen wird der stille Gesellschafter am Vermögen der Gesellschaft beteiligt, ihm werden weitergehende Kontrollrechte und Mitwirkungsbefugnisse eingeräumt und es existiert eine verbandsähnliche Organisationsstruktur zwischen dem Geschäftsinhaber und einer Vielzahl von stillen Gesellschaftern2. Der atypische stille Gesellschafter ist Mitunternehmer3. Dementsprechend kann der atypische stille Gesellschafter im Unterschied zum typischen stillen Gesellschafter seinen Anspruch auf Rückerstattung der Einlage im Insolvenzverfahren unabhängig von einem erklärten Rangrücktritt gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO stets nur nachrangig geltend machen4. Um eine Passivierung der Verbindlichkeit im Überschuldungsstatus zur vermeiden, muss nach § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO allerdings auch hier ein Nachrang der Forderung des atypischen stillen Gesellschafters hinter den anderen in § 39 Abs. 1 Nr. 1 – 5 InsO genannten Forderungen vereinbart werden. Genussrechte können rechtsformunabhängig ausgegeben werden und stehen da- 2.85 mit auch bei der GmbH zur Verfügung5. Sie vermitteln regelmäßig keine Mitgliedschaftsrechte an der Gesellschaft, begründen jedoch auf schuldrechtlicher Basis vermögensrechtliche Ansprüche gegen die Gesellschaft, die den Vermögensrechten von Gesellschaftern angenähert oder gleichgestellt sind6. Die Verzinsung lässt sich zum Teil gewinnabhängig ausgestalten, so dass die Gesellschaft in Krisenzeiten nur in geringerem Umfang mit Finanzierungskosten belastet wird7. In der Finanzierungspraxis haben sich Genussrechts-Modelle mit und ohne Verlustbeteiligung herausgebildet8. Als Mezzanine-Instrument sind die Ansprüche aus Genussrechten in der Regel auch nachrangig ausgestaltet und rücken damit im Falle der Vereinbarung einer Verlustbeteiligung in Eigenkapitalnähe9. Während 1 Knecht/Haghani in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 18 Rz. 56 f.; Weinheimer in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil XII Rz. 12.25. 2 Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 248. 3 Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 258; Weinheimer in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil XII Rz. 12.28. 4 BGH v. 28.6.2012 – IX ZR 191/11, BGHZ 193, 378 = GmbHR 2012, 1181. 5 Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 239, 241. 6 Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 225; Weinheimer in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil XII Rz. 12.28. 7 Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 226, 231. 8 Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 233. 9 Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 226, 233.

Schluck-Amend

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2.86

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

die Verzinsung in der Regel laufend erfolgt, ist das begebene Genussrechtskapital typischerweise in Summe am Ende der Laufzeit von üblicherweise 5 bis 10 Jahren fällig1. Denkbar ist auch die Vereinbarung eines Wandlungsrechts am Ende der Laufzeit (Genussrechte mit Equity Kicker)2. Für Krisenunternehmen dürfte die Begebung von Genussrechten aufgrund des hohen Gestaltungsaufwands vor dem Hintergrund des beherrschenden Zeitmoments eher nicht geeignet sein. 2.86 Lediglich der Vollständigkeit halber sei auch kurz auf die Options- und die Wandelanleihe eingegangen, die für Krisenunternehmen aufgrund des hohen Gestaltungsaufwands vor dem Hintergrund des beherrschenden Zeitmoments ebenfalls nicht geeignet sein dürften. Bei der Optionsanleihe erhält der Investor/Gläubiger zusätzlich zur eigentlichen Anleihe/Schuldverschreibung das Recht, innerhalb eines bestimmten Zeitraums und zu einem vorab bestimmten Preis, eine bestimmte Anzahl an Aktien des Unternehmens des Käufers oder der zum Zwecke des Erwerbs gegründeten Erwerbsgesellschaft (NewCo) zu erwerben; der Rückzahlungsanspruch aus der Schuldverschreibung bleibt daneben bestehen. Bei Wandelanleihen erhält der Investor/Gläubiger das Recht, die Schuldverschreibung innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu erwerben und unter bestimmten Konditionen in Aktien des Schuldners umzuwandeln. Der Anspruch auf Rückzahlung geht mit Ausübung des Umwandlungsrechts unter3. Macht der Investor/Gläubiger von seinem Recht keinen Gebrauch, muss der Schuldner den gewährten Betrag zurückzahlen. 2.87–2.90

vacat

III. Kreditfinanzierung und Nutzungsüberlassung durch Gesellschafter 1. Das Recht der Gesellschafterfinanzierung nach dem MoMiG im Überblick 2.91 Die Gesellschafter haben in den Grenzen des gesetzlichen Mindestkapitals die Wahl, ob sie der Gesellschaft das benötigte Kapital in Form von Eigen- oder Fremdkapital zur Verfügung stellen. Außerhalb der Insolvenz verschafft die Finanzierung mittels Fremdkapital den Gesellschaftern insofern eine größere Flexibilität, als sogenannte Gesellschafterdarlehen gemäß § 31 Abs. 1 Satz 3 GmbHG nicht dem Ausschüttungsverbot des § 30 Abs. 1 GmbHG (Rz. 1.38 ff.) unterliegen. Im Insolvenzverfahren werden allerdings Ansprüche aus Gesellschafterdarlehen und vergleichbaren Finanzierungsformen nicht als normale Insolvenzforderungen behandelt. Für sie gelten vielmehr die Sonderregeln der §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 44a, 135, 143 Abs. 3 InsO. Der Gesetzgeber wahrt durch diese Regelung einerseits die vorinsolvenzliche Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter, er stellt aber andererseits sicher, dass aus der Entscheidung für die Finanzierung durch Darlehen seitens des Gesellschafters in der Insolvenz keine negativen Effekte für die Gläubiger resultieren. Die sich aus den genannten insolvenzrechtlichen Regelungen 1 Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 234. 2 Ruby/Seibold in Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, § 10 Rz. 234; Weinheimer in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil XII Rz. 12.27. 3 Habersack in Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 221 AktG Rz. 29.

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Schluck-Amend und Brinkmann

Gesellschafterfinanzierung nach dem MoMiG – Überblick

2.93

ergebenden Risiken (Nachrang der Rückzahlungsansprüche, Anfechtbarkeit vorinsolvenzlicher Rückzahlungen etc.) müssen die Gesellschafter schon bei der Darlehensgewährung im Auge haben, selbst wenn sich zu diesem Zeitpunkt noch keine Insolvenz abzeichnen sollte. Nur so können sie das Risiko einer Finanzierung mittels Darlehens richtig einschätzen. Erst recht müssen die §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 44a 135, 143 Abs. 3 InsO berücksichtigt werden, wenn es um die Gewährung von Sanierungskrediten geht. Dabei ist vor Umgehungsversuchen zu warnen, denn der BGH hat mehrfach gezeigt, dass er solchen Strategien mit einer extensiven Handhabung der Vorschriften begegnet. a) Überblick Im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft erhält der Gesell- 2.92 schafter nach § 199 Satz 2 InsO nur dann Ausschüttungen auf seine Beteiligung am Gesellschaftskapital, wenn nach der vollständigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger noch ein Überschuss vorhanden ist (vgl. zu § 199 InsO auch Rz. 7.835). Haftungsrechtlich kaum besser stehen Ansprüche auf Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen. Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sind diese Darlehensrückzahlungsansprüche nachrangige Insolvenzforderungen. Der Nachrang des Darlehensrückzahlungsanspruchs korrespondiert mit der Anfechtbarkeit von vorinsolvenzlichen Darlehensrückzahlungen und Sicherungen nach § 135 Abs. 1 InsO (Rz. 2.120 ff.)1. Ergänzend regeln § 135 Abs. 2, § 44a und § 143 Abs. 3 InsO die Gewährung von Sicherheiten seitens eines Gesellschafters für Darlehen von Dritter Seite (Rz. 2.127 ff.) und § 135 Abs. 3 InsO die Nutzungsüberlassung durch Gesellschafter (Rz. 2.156 ff.). b) Die Reform des Rechts der Gesellschafterfinanzierung durch das MoMiG Das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von 2.93 Missbräuchen (MoMiG), das am 1.11.2008 in Kraft getreten ist, hat das Recht der Gesellschafterdarlehen tiefgreifend verändert2. Zwar sah auch das frühere Recht in § 32b GmbHG einen Nachrang für Gesellschafterdarlehen vor, jedoch nur sofern diese Darlehen „eigenkapitalersetzenden“ Charakter hatten. Dieses Erfordernis kennt das neue Recht nicht mehr. Es kommt damit für den Nachrang des Rückzahlungsanspruchs oder die Anfechtbarkeit etwaiger Rückzahlungen nicht mehr darauf an, ob sich die Gesellschaft schon in der Krise befand, als das Darlehen gewährt, stehengelassen oder zurückgewährt wurde3. Ferner wurden die so genannten Novellenregeln (§§ 32a, b GmbHG a.F.) ins Insolvenzrecht verlagert, um sicherzustellen, dass die Vorschriften auch auf Auslandsgesellschaften 1 BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, BGHZ 196, 220 = GmbHR 2013, 410. Anders Thole, ZHR 176 (2012), 513, 528 ff., der zwischen Nachrang und erleichterter Anfechtbarkeit keinen teleologischen Zusammenhang sieht. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO sei ein Fall der Deckungsanfechtung gegen Insider. 2 Altmeppen, NJW 2008, 3601 ff.; Gehrlein, BB 2008, 846 ff.; Goette/Kleindiek, Gesellschafterfinanzierung nach MoMiG und das Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 2010; Habersack, ZIP 2007, 2145; Ulbrich, Die Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts der GmbH, 2011. 3 BGH v. 30.5.2015 – IX ZR 196/13, ZIP 2015, 1130 = GmbHR 2015, 704 Rz. 5.

Brinkmann

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2.94

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

angewendet werden können1. Schließlich schaffte der Gesetzgeber durch die Einführung des § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG die so genannten „Rechtsprechungsregeln“ ab. Das alte Recht wird hier nicht mehr vertieft behandelt; insoweit sei auf die Darstellung in der 4. Auflage verwiesen2. 2.94 Den zeitlichen Anwendungsbereich des neuen Rechts bestimmt Art. 103d EGInsO. Danach sind auf Insolvenzverfahren, die vor dem Inkrafttreten des MoMiG am 1.11.2008 eröffnet worden sind (sog. Altverfahren), die bis dahin geltenden gesetzlichen Vorschriften weiter anzuwenden. Auf Neuverfahren ist dagegen grundsätzlich das MoMiG anwendbar. Privilegiert sind allerdings Rechtshandlungen, die vor dem 1.11.2008 vorgenommen wurden: Diese sind dann unanfechtbar, wenn sie nach altem Insolvenzrecht, zu dem auch die §§ 32a, 32b GmbHG a.F. zählen3, anfechtungsfest waren. c) Die gemeinsame Legitimationsgrundlage der Regeln über Finanzierungsmaßnahmen der Gesellschafter 2.95 Seit dem MoMiG ist der Normzweck des Rechts der Gesellschafterdarlehen umstritten. Uneinigkeit besteht insbesondere über die Frage, ob dieser – wie unter dem früheren Recht – in der Verwirklichung der Finanzierungsfolgenverantwortung der Gesellschafter liegt4. Nach der Gegenauffassung soll die Regelung einem „Missbrauch der Haftungsbeschränkung“ vorbeugen5. Beide Formeln bleiben für sich die Erklärung schuldig, warum im Fall des Gesellschafterdarlehens ein Verstoß gegen die Finanzierungsverantwortung bzw. ein „Missbrauch der Haftungsbeschränkung“ vorliegen soll6. Dies wird erst deutlich, wenn man betrachtet, welche Risikoanreize für den Gesellschafter bestünden, wenn von ihm gewährte Darlehen nicht nachrangig wären: Die Gesellschafter haben grundsätzlich die Wahl, ob sie der Gesellschaft Fremdoder Eigenkapital zuführen. Die insolvenzrechtliche Subordination von Gesellschafterkrediten stellt vor dem Hintergrund dieser Finanzierungsfreiheit sicher, dass die Finanzierungsentscheidungen der Gesellschafter keine externen Effekte zu Lasten der Gläubiger erzeugen. Denn ohne den gesetzlich angeordneten Nachrang könnte der Gesellschafter mit seinem Darlehensrückzahlungsanspruch an Verteilungen im Insolvenzverfahren wie ein normaler Insolvenzgläubiger partizipieren und so seine Verluste teilweise auf die anderen Insolvenzgläubiger abwälzen7. Dies ver1 BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 185/10, BGHZ 190, 364 = GmbHR 2011, 1087. 2 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4. Aufl. 2009, Rz. 2.52 ff. 3 BGH v. 4.7.2013 – IX ZR 229/12, ZIP 2013, 1629 = GmbHR 2013, 1034 Rz. 26. 4 So Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3602; Bork, ZGR 2007, 250, 257, 269; Hölzle, ZIP 2010, 913, 914 ff.; Hölzle, ZIP 2009, 1939, 1940 ff.; Kolmann in Saenger/Inhester, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 45; Schäfer, ZInsO 2010, 1311, 1313; Karsten Schmidt, ZIP 2010 Beilage Nr. 39, S. 15, 19 ff.; Spliedt, ZIP 2009, 149, 153; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 135 InsO Rz. 8a; zur Kontroverse Jacoby, ZGR 2007, 271 f.; strikt abl. U. Huber, ZIP 2010 Beilage Nr. 39, S. 7, 13 mit Fn. 50 a.E. 5 Habersack, ZIP 2007, 2145, 2147; Huber in FS Priester, 2007, S. 259, 277 f. 6 Bitter, ZIP 2010, 1, 5, 9. 7 Ähnlich U. Huber, ZIP 2010 Beilage Nr. 39, S. 7, 14: Der Gesellschafter soll nicht die Risikoverteilung zu seinen Gunsten durch die Finanzierung mit Fremdkapital verschieben können.

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Brinkmann

Finanzierungsmaßnahmen der Gesellschafter

2.97

stieße gegen den in § 199 Abs. 2 InsO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, dass in allererster Reihe die Gesellschafter die Verluste tragen müssen. Wäre der Darlehensrückzahlungsanspruch des Gesellschafters eine normale Insolvenzforderung, würde es dem Gesellschafter ermöglicht, die Risikoverteilung zu seinen Gunsten und damit zu Lasten der Gläubiger zu verschieben. Der Gesellschafter könnte auf Kosten der Gläubiger spekulieren1, so dass Anreize bestünden, zu hohe Risiken einzugehen: „Indem [die Gesellschafter] ihre Gesellschaft mit Fremd- statt Eigenkapital finanzieren, wird es in bestimmten Fällen für sie lohnend, bei der Führung des Unternehmens hohe Risiken auch dann einzugehen, wenn dies den Unternehmenswert insgesamt schmälert.“2 Der Ansicht, dass die Regelung die verhaltenssteuernde Funktion des Eigenkapitals schützt, hat sich auch der BGH angeschlossen3. 2. Der gegenständliche Anwendungsbereich der Regeln über Finanzierungsmaßnahmen der Gesellschafter a) Darlehensgewährung seitens eines Gesellschafters aa) Erfasste Gesellschaften und Gesellschafter Die Regeln über Gesellschafterdarlehen sind gemäß § 39 Abs. 4 Satz 1 InsO an- 2.96 wendbar auf „Gesellschaften, die weder eine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter noch eine Gesellschaft als persönlich haftenden Gesellschafter haben, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.“4 Auf die GmbH sowie die GmbH & Co. KG finden die Vorschriften danach Anwendung. Bei letzterer sind sowohl Darlehen seitens der Kommanditisten wie seitens der Komplementär-GmbH erfasst5. Auf eine Beteiligung der Komplementär-GmbH am Kapital der KG kommt es jedenfalls bei beteiligungsidentischen GmbH & Co. KG nicht an. Eine KG mit einem Komplementär als natürlicher Person fällt dagegen nicht in 2.97 den Anwendungsbereich6. Das ist angesichts des telos der Regelung konsequent: Da der Kommanditist nicht zur Geschäftsführung befugt ist, besteht nicht die Gefahr, dass er – im Schutz seiner beschränkten Haftung – die KG zu übermäßig riskanten Geschäften veranlasst. Der Komplementär wird solche Geschäfte schon im Hinblick auf seine persönliche Haftung nicht vornehmen.

1 Engert, ZGR 2012, 835 ff. S. auch Bitter, ZIP 2010, 1, 9. 2 Engert, ZGR 2012, 835, 857. 3 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, BGHZ 198, 64 = ZIP 2013, 1579 Rz. 19 = GmbHR 2013, 980. 4 Die Vorschriften sind insolvenzrechtlich zu qualifizieren (Brinkmann in Karsten Schmidt, InsO, Art. 4 EuInsVO Rz. 9), so dass auch Gesellschaften mit ausländischer Rechtsform in den Anwendungsbereich fallen, sofern sie den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen i.S. von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO in Deutschland haben. 5 BGH v. 28.6.2012 – IX ZR 191/11, GmbHR 2012, 1181 = ZIP 2012, 1869 Rz. 15. 6 Krit. Haas, ZInsO 2007, 617, 628; Lüdtke in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 39 InsO Rz. 24.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.98 Der Darlehensgeber muss zugleich Gesellschafter sein. Eine (fremd- oder eigennützige) treuhänderische Beteiligung genügt1. Maßgeblich ist, ob die Doppelrolle Gesellschafter/Kreditgeber in einem beliebigen Zeitpunkt während des durch § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO bestimmten Ein-Jahres-Zeitraums vorlag2. Scheidet der Darlehensgeber früher als ein Jahr vor der Antragstellung aus der Gesellschaft aus, unterliegt sein Darlehensrückzahlungsanspruch nicht mehr den Bindungen aus §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO3. Bei einem Erwerb eines Gesellschaftsanteils durch Erbfall ist auf den Zeitpunkt der Annahme der Erbschaft abzustellen. Gewähren mehrere Darlehensgeber als Gesamtgläubiger (§ 428 BGB) ein Darlehen und ist nur einer von ihnen Gesellschafter der darlehensnehmenden Gesellschaft, so sind die Regeln über Gesellschafterdarlehen anteilig entsprechend dem Verhältnis der Berechtigungen der Gläubiger zueinander anwendbar (§ 430 BGB). Der Verwalter kann also nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO etwaige Tilgungen in einer Höhe gegenüber dem Gesellschafter anfechten, die seinem Anteil im Innenverhältnis entspricht4. bb) Darlehen von Dritten, Abtretungen und Treuhandabreden 2.99 Nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 2. Alt. InsO sind auch Darlehen seitens gesellschaftergleicher Dritter nachrangig. Die Gleichstellung des Dritten mit einem Gesellschafter kann entweder wegen einer besonderen Beziehung des dritten Kreditgebers zum Gesellschafter oder zur Gesellschaft selbst geboten sein. 2.100 Die Nähe zum Kreditgeber steht im Vordergrund, wenn es um die Frage geht, ob auch der Zessionar des Rückzahlungsanspruchs aus einem Gesellschafterdarlehen nur nachrangiger Insolvenzgläubiger ist, auch wenn er selbst nicht Gesellschafter der schuldnerischen Gesellschaft ist5. Diese Frage ist zu bejahen, denn „der für ein Gesellschafterdarlehen durch § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO angeordnete Nachrang kann nicht ohne Weiteres dadurch unterlaufen werden, dass der Gesellschafter als Darlehensgeber seine Beteiligung an der Gesellschaft aufgibt oder die Darlehensforderung an

1 BGH v. 19.9.1988 – II ZR 255/87, BGHZ 105, 168 = ZIP 1988, 1248 = GmbHR 1989, 19 (HSW-Urteil). Bitter (in Scholz, Anh. § 64 GmbHG Rz. 205 f.) will § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO auf fremdnützige Treuhandgesellschafter nicht anwenden. Eine solche teleologische Reduktion überzeugt allenfalls, wenn eine Bank – wie etwa im Rahmen von Börsengängen – neue Anteile als fremdnütziger Treuhänder für einen kurzen Zeitraum übernimmt, um die Aktien anschließend am Kapitalmarkt zu platzieren. Außerhalb solcher und vergleichbarer Fälle würde die von Bitter vorgeschlagene teleologische Reduktion Umgehungsstrategien ermöglichen. 2 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, ZIP 2014, 584 = GmbHR 2014, 417 Rz. 15. 3 BGH v. 15.11.2011 – II ZR 6/11, GmbHR 2012, 206 = ZIP 2012, 86, 88; so zuvor schon Schlösser/Klüber, BB 2009, 1594, 1595 ff. 4 Vgl. BGH v. 16.6.1997 – II ZR 154/96, GmbHR 1997, 793 = ZIP 1997, 1375 für Nutzungsüberlassung durch Bruchteilsgemeinschaft. 5 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 12; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 135 InsO Rz. 16; Schlößer/Klüber, BB 2009, 1594, 1595 ff.; Haas, ZInsO 2007, 617, 626; Habersack, ZIP 2007, 2145, 2149; Hirte in Uhlenbruck, § 39 InsO Rz. 46; anders Kebekus/Zenker in FS Wellensiek, 2011, S. 475, 485 ff.: zu prüfen sei, ob die Abtretung anfechtbar sei.

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2.101

einen Nichtgesellschafter abtritt1. Das Nachrangrisiko muss der Zessionar mangels der Möglichkeit eines gutgläubigen einredefreien Erwerbs gemäß § 404 BGB gegen sich gelten lassen.“2

Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Abtretung weniger als ein Jahr vor der Antragstellung erfolgte. Nach Auffassung des BGH kann der Insolvenzverwalter Darlehensrückzahlungen an den Zessionar sowohl gegenüber diesem als auch gegenüber dem Gesellschafter (= Altgläubiger) anfechten, Zessionar und Gesellschafter seien Gesamtschuldner des Anspruchs aus § 143 Abs. 1 InsO3. Der BGH begründet diese Auffassung damit, dass die „schier unerschöpfliche Gestaltungsphantasie der Gesellschafter und ihrer Berater“4 eine wirtschaftliche Betrachtungsweise erforderlich mache, die auch Umgehungsversuche erfasse. Bisher nicht geklärt ist die Frage, ob die gesamtschuldnerische Haftung auch dann greift, wenn – wie etwa im Rahmen eines Unternehmenskaufs – mit dem Darlehen auch die Beteiligung übertragen wurde5. Zu den nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 2. Alt. InsO gleichzustellenden Gläubigern zählen 2.101 ferner atypische stille Gesellschafter6 und atypische Pfandgläubiger7 sowie Darlehensgeber, die mittelbar an der Gesellschaft beteiligt sind, sofern sie ähnlich wie ein Gesellschafter auf die Geschicke der GmbH Einfluss nehmen können (sog. „Gesellschafter-Gesellschafter“)8. Bei solchen vertikalen Beteiligungen genügt es, wenn der Darlehensgeber mittelbar mit mehr als 10 Prozent (§ 39 Abs. 5 InsO) an der Darlehensnehmerin beteiligt ist9. Auch Darlehen, welche die Gesellschafter einer Komplementär-GmbH der KG gewähren, entsprechen wirtschaftlich einem Darlehen, das ein unmittelbar beteiligter Gesellschafter gewährt10. Dies ist selbstverständlich für die personenidentische GmbH & Co. KG, weil der Darlehensgeber dann zugleich Kommanditist, also selbst Gesellschafter der Darlehensnehmerin ist. Doch auch bei nicht-personenidentischen GmbH & Co. KG sind Darlehen eines GmbH-Gesellschafters solchen eines Kommanditisten gleich-

1 Anderes gilt bei der Übertragung von (Gesellschafter-)Anleihen, weil hier wegen § 796 BGB § 404 BGB nicht anwendbar ist, d’Avoine, NZI 2013, 321 ff. 2 BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, BGHZ 196, 220 = ZIP 2013, 582 Rz. 24 = GmbHR 2013, 410. 3 BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, BGHZ 196, 220 = ZIP 2013, 582 Rz. 28 = GmbHR 2013, 410. 4 BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, BGHZ 196, 220 = ZIP 2013, 582 Rz. 31 = GmbHR 2013, 410. 5 Hierzu Reinhard/Schützler, ZIP 2013, 582. 6 BGH v. 13.2.2006 – II ZR 62/04, GmbHR 2006, 531 = ZIP 2006, 703, 705; BGH v. 28.6. 2012 – IX ZR 191/11, GmbHR 2012, 1181 = ZIP 2012, 1869. 7 BGH v. 13.7.1992 – II ZR 251/91, BGHZ 119, 191 = ZIP 1992, 1300 = GmbHR 1992, 656. 8 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, BGHZ 198, 64 = NJW 2013, 3035 Rz. 22 ff.; BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, BGHZ 196, 220, NJW 2013, 2282 Rz. 16 ff. = GmbHR 2013, 410. Vgl. zum alten Recht BGH v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, BGHZ 165, 106 = GmbHR 2006, 311 = ZIP 2006, 279 Rz. 20. 9 Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 39 InsO Rz. 42; Bitter in Scholz, Anh. § 64 GmbHG Rz. 263 f.; in diese Richtung auch BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, BGHZ 196, 220 = GmbHR 2013, 410 Rz. 22. 10 RegE MoMiG BT-Drucks. 16/6140, S. 57.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

zustellen1, und zwar unabhängig davon, ob die GmbH am Kapital der KG beteiligt ist. Die Gegenansicht2 läuft auf eine teleologische Reduktion der § 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 5 InsO hinaus, die zu Umgehungsstrategien einladen würde. 2.102 Einem Darlehen eines Gesellschafters gleichzustellen sind auch Darlehen, die von einer Schwestergesellschaft gewährt werden, wenn also Darlehensnehmerin und -geberin über eine gemeinsame (Groß)Muttergesellschaft verbunden sind. Voraussetzung ist aber, dass die Muttergesellschaft an der darlehensgebenden Gesellschaft „maßgeblich“ beteiligt ist3. Nach Auffassung des BGH ist dies der Fall, „wenn der Gesellschafter auf die Entscheidungen der Kredit gebenden Gesellschaft, nämlich auf die Gewährung oder auf den Abzug der Kredithilfe, einen bestimmenden Einfluss ausüben, insbesondere dem Geschäftsführungsorgan der Hilfe gewährenden Gesellschaft durch Gesellschafterbeschlüsse gem. § 46 Nr. 6 GmbHG entsprechende Weisungen erteilen kann.“4 Bei einer GmbH ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn der Gesellschafter der Schuldnerin entweder mit mehr als 50 Prozent an der darlehensgebenden Gesellschaft beteiligt ist oder er nur 50 Prozent der Anteile hält, aber zugleich alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Darlehensgeberin ist5. Wurde das fragliche Darlehen dagegen von einer (Schwester-)Aktiengesellschaft begeben, so ist die Unabhängigkeit des Vorstands zu berücksichtigen, die einer Zurechnung aufgrund der bloßen Beteiligung entgegensteht6. Der bestimmende Einfluss auf die Darlehensgeberin, der zur planmäßigen Umgehung der §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO erforderlich ist, muss dann im Einzelfall nachgewiesen werden7. 2.103 Eine einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechende Rechtshandlung ist auch dann gegeben, wenn das Darlehen zwar durch einen Dritten vergeben wurde, die Mittel aber wirtschaftlich aus dem Vermögen eines Gesellschafters stammen. Das ist nicht nur bei Treuhandabreden der Fall, sondern auch dann, wenn im Innenverhältnis ein Freistellungsanspruch des Darlehensgebers gegen den Gesellschafter besteht. Eine Vermutung für eine solche Verbindung wird nicht schon durch ein Näheverhältnis i.S. von § 138 InsO ausgelöst. Denn § 138 InsO zielt auf eine Vermutung hinsichtlich des Vorliegens bestimmter subjektiver Tatbestandsmerkmale und hat insofern einen anderen Regelungszweck. Auch ein Anscheinsbeweis wird in diesen Situationen nicht zugelassen. Die Darlehensgewährung durch den Ehegatten des Gesellschafters unterliegt also nicht ohne Weiteres dem Nachrang. Der Insolvenzverwalter muss vielmehr beweisen, dass die familiäre Nähe entweder dazu geführt hat, dass die Darlehensgewährung wirtschaftlich aus dem Vermögen des an der Gesellschaft beteiligten Ehegatten oder aus gemeinsamem Vermögen der Ehegatten erfolgte oder dass der Nicht-Ge1 Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 39 InsO Rz. 49. 2 Lüdtke in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 39 InsO Rz. 40. 3 BGH v. 5.5.2008 – II ZR 108/07, ZIP 2008, 1230 Rz. 10 = GmbHR 2008, 758 m. Komm. Blöse; BGH v. 11.10.2011 – II ZR 18/10, ZIP 2011, 2253 Rz. 11 = GmbHR 2011, 1316 m. Komm. Blöse. Anders Geist, ZIP 2014, 1662, 1665, der meint, dass Adressat der Anfechtung die Muttergesellschaft sein müsse. 4 BGH v. 28.2.2012 – II ZR 115/11, ZIP 2012, 865 Rz. 16 = GmbHR 2012, 641. 5 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, BGHZ 198, 64 = ZIP 2013, 1579 Rz. 24. 6 Geist, ZIP 2014, 1662, 1667. 7 Vgl. schon BGH v. 5.5.2008 – II ZR 108/07, AG 2008, 541 = ZIP 2008, 1230 = GmbHR 2008, 758 Rz. 9 f.

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Finanzierungsmaßnahmen der Gesellschafter

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sellschafter/Ehegatte „auf Weisung“ des an der Gesellschaft beteiligten Ehegatten gehandelt hat. b) Ausnahmen vom Anwendungsbereich aa) Kleinbeteiligte Darlehen eines Gesellschafters, der mit nicht mehr als 10 % am Haftkapital (also 2.104 dem statuarisch bestimmten Grund- bzw. Stammkapital) beteiligt ist, unterliegen nach § 39 Abs. 5 InsO den Regeln über Gesellschafterdarlehen nur, wenn der Gesellschafter die Geschäfte der Gesellschaft führt (sog. Kleinbeteiligtenprivileg)1. Bei der Feststellung der Beteiligungsquote ist die Zurechnungsregel des § 16 Abs. 4 AktG entsprechend anzuwenden. Sofern auch hiernach die Beteiligung die Mindestgrenze nicht überschreitet, ist zu prüfen, ob die Kredite mehrerer Kleingesellschafter koordiniert vergeben wurden2. Eine solche Koordination kann bei Treuhandverhältnissen oder Stimmbindungsverträgen vermutet werden. Ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen zwei Gesellschaftern rechtfertigt eine solche Vermutung dagegen nicht. Die Voraussetzungen des Kleinbeteiligtenprivilegs müssen während des gesam- 2.105 ten durch § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO bestimmten Ein-Jahres-Zeitraums vor Antragstellung vorliegen. Macht die Beteiligung zu Beginn dieses Zeitraums mehr als 10 Prozent aus, führt ein späteres Absinken oder die Aufgabe der Organstellung daher nicht zur Anwendbarkeit des Privilegs3. Umgekehrt fallen die Voraussetzungen der Privilegierung fort, wenn die Beteiligung während dieser Zeit die Schwelle von 10 Prozent überschreitet oder der darlehensgebende Gesellschafter das Amt des Geschäftsführers übernimmt. bb) Begründung der Gesellschafterstellung i.R. eines Sanierungsversuchs Eine weitere Ausnahme ergibt sich aus dem Sanierungsprivileg nach § 39 Abs. 4 2.106 Satz 2 InsO (§ 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG a.F4.): Erwirbt ein Darlehensgeber oder ein gleichgestellter Kreditgeber, der zuvor weder Gesellschafter noch gesellschaftergleicher Dritter ist5, Geschäftsanteile der insolvenzreifen Gesellschaft, sind seine bestehenden oder neugewährten Kredite dann nicht den Regeln über Gesellschafterdarlehen unterworfen, sofern er die Anteile „zum Zwecke der Überwindung der Krise“ übernimmt. Dieses Sanierungsprivileg soll Anreize für den Anteilserwerb durch Gesellschaftsgläubiger setzen und könnte künftig praktische 1 Eine Komplementär-GmbH, die keinen Kapitalanteil an der KG hält, kann sich wegen der ihr nach §§ 161 Abs. 2, 114 HGB zustehenden Geschäftsführungsbefugnis nicht auf § 39 Abs. 5 InsO berufen. 2 BGH v. 9.5.2005 – II ZR 66/03, ZIP 2005, 1316, 1318 = GmbHR 2005, 1135; Fastrich in Baumbach/Hueck, Anh. § 30 GmbHG Rz. 32; Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 39 InsO Rz. 43; Thiessen in Bork/Schäfer, Anh. § 30 GmbHG Rz. 46; Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 39 InsO Rz. 64. 3 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 129. 4 S. zum alten Recht den Überblick bei Barth, Der Anwendungsbereich des Eigenkapitalersatzrechts nach § 32a Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 GmbHG, 2001, S. 151 f. 5 Zur Anwendung des Sanierungsprivilegs nur auf Neugesellschafter, Karsten Schmidt/ Herchen in Karsten Schmidt, § 39 InsO Rz. 45.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

Bedeutung im Zusammenhang mit solchen Debt to Equity Swaps (dazu Rz. 2.380 ff., 8.26 ff.) erlangen, bei denen der Gläubiger nicht seine gesamte Forderung einbringt, sondern mit einem Teil Gläubiger bleibt. Ein solcher Gesellschafter/Gläubiger kann dann im Falle des Scheiterns der Sanierung mit seinem Darlehensrückzahlungsanspruch als normaler Insolvenzgläubiger am Verfahren teilnehmen; trotz seiner Gesellschafterstellung ist der Anspruch nicht nachrangig. 2.107 Privilegiert ist nach § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO nur der Erwerb zu Sanierungszwecken. Diese Motivation kann durch ein dokumentiertes Sanierungskonzept belegt werden. Dieses muss schlüssig in dem Sinn sein, dass – die Gesellschaft nach der pflichtgemäßen Einschätzung eines objektiven Dritten im Augenblick des Anteilserwerbs objektiv sanierungsfähig ist – und die für ihre Sanierung konkret in Angriff genommenen Maßnahmen zusammen objektiv geeignet sind, die Gesellschaft in überschaubarer Zeit durchgreifend zu sanieren. Die Privilegierung hängt (selbstverständlich) nicht davon ab, dass die Sanierung erfolgreich ist. Gerade umgekehrt ist sie überhaupt nur für den Fall des Scheiterns relevant, denn nur dann stellt sich die Frage des Rangs der Forderung oder die der Anfechtbarkeit etwaiger Tilgungen nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO. 2.108 In zeitlicher Hinsicht sind alle Darlehen privilegiert, die bis zur „nachhaltigen Sanierung“ gewährt werden. Eine derartige dauerhafte Sanierung ist nicht schon dann erreicht, wenn kein Insolvenzgrund mehr besteht, sondern erst, wenn die Gesellschaft für eine gewisse Zeit wieder kreditwürdig ist1. Wird die Gesellschaft vor ihrer nachhaltigen Sanierung erneut insolvent und wird das Verfahren eröffnet, so greift die Privilegierung nach wie vor ein. Gerät die Gesellschaft dagegen erst später, also nach einer erfolgreichen Sanierung, wieder in Schwierigkeiten, kann sich der Gesellschafter auch hinsichtlich der in der ersten Krise gewährten und stehengelassenen Darlehen nicht auf das Privileg berufen. cc) Finanzplankredite und Darlehenszusagen 2.109 Eine Sonderbehandlung so genannter Finanzplankredite ist nach neuem Recht nicht mehr erforderlich, denn die Anwendbarkeit der Regeln über Gesellschafterdarlehen hängt nicht von der vertraglichen Finanzplanbindung ab, sondern ergibt sich schon aus dem Charakter als Darlehensrückzahlungsanspruch2. Auf einen sich aus der Finanzplanvereinbarung ergebenden Rücktritt in den Rang des § 39 Abs. 2 InsO kommt es nur an, wenn es darum geht, ob die Forderung gemäß § 19 Abs. 2 Satz InsO im Überschuldungsstatus anzusetzen ist (Rz. 2.369 f., 5.137).

1 Nach Wittig (in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1743, 175) ist eine nachhaltige Sanierung immer dann anzunehmen, wenn die Kreditwürdigkeit der Gesellschaft über einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten wiederhergestellt wurde. Im Ergebnis zustimmend Preuß in Kübler/Prütting/Bork, § 39 InsO Rz. 63. 2 Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 39 InsO Rz. 36; Hirte in Uhlenbruck, § 39 InsO Rz. 71; Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 39 InsO Rz. 51.

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Finanzierungsmaßnahmen der Gesellschafter

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Darlehenszusagen, die sich aus einem Finanzplan ergeben, unterfallen nicht 2.110 §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 Abs. 1 InsO1. Sie können daher auch in der Krise gekündigt2 werden, ohne dass die Kündigung nach § 135 Abs. 1 InsO anfechtbar wäre3. In Betracht kommt allenfalls eine Anfechtung nach §§ 132, 133 InsO, wobei hier eine Beteiligung des Schuldners an der Aufhebung der Zusage erforderlich ist. Eine einverständliche Aufhebung des Darlehensversprechens in der Krise dürfte daher anfechtbar sein4, die Ausübung eines einseitigen Kündigungsrechts durch den Gesellschafter dagegen nicht5. dd) Darlehen von Unternehmensbeteiligungsgesellschaften Ebenfalls vom Anwendungsbereich der insolvenzrechtlichen Regeln über Gesell- 2.111 schafterdarlehen und wirtschaftlich entsprechende Finanzierungshilfen ausgenommen sind nach § 24 des Gesetzes über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften (UBGG) Darlehen, die eine Unternehmensbeteiligungsgesellschaft i.S. von § 1a Abs. 1 UBGG oder ein an ihr beteiligter Gesellschafter einem Unternehmen gewährt, an dem die Unternehmensbeteiligungsgesellschaft beteiligt ist. In relativer und absoluter Hinsicht ist allerdings der Anteil der Fremdfinanzierung der Gesellschaft durch eine Beteiligungsgesellschaft durch § 4 Abs. 7 UBGG beschränkt. Doch auch mit dieser Begrenzung bleibt die rechtspolitische Rechtfertigung für die Begrenzung des Privilegs zweifelhaft. Wieso es zur Verbesserung des Zugangs mittelständischer Unternehmen zu den organisierten Märkten für Eigenkapital6 erforderlich sein soll, die Kapitalgeber auch insoweit zu privilegieren, wie sie dem Unternehmen Fremdkapital zur Verfügung stellen, ist nicht ohne Weiteres ersichtlich. Der Verbesserung der Ausstattung mit Eigenkapital – auch das ein Ziel des Gesetzes – dient die Regelung jedenfalls nicht unmittelbar. Ferner hat der Gesetzgeber in § 18 FMStBG7 eine umfassende Privilegierung zugunsten des Finanzmarktstabilisierungsfonds geschaffen, die das Sanierungsprivileg erheblich ausweitet8. 1 Zur abweichenden Rechtslage vor dem MoMiG Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, 18. Aufl. 2006, § 32a GmbHG Rz. 52 ff. 2 Nach der früheren Rechtsprechung zu Finanzplankrediten war es ausgeschlossen, dass sich der Gesellschafter auf das Kündigungsrecht aus § 490 BGB berief. Vieles spricht dafür, dass die Rechtsprechung diese auch nach dem MoMiG im Hinblick auf Finanzplankredite als ausgeschlossen ansehen wird (Verse in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 30 GmbHG Rz. 109; Bitter in Scholz, 11. Aufl. 2015, Anh. § 64 GmbHG Rz. 382). Die Parteien sollten angesichts dieser Zweifel das Kündigungsrecht ausdrücklich regeln (Thiessen in Bork/Schäfer, § 30 GmbHG Rz. 146; Bitter in Scholz, 11. Aufl. 2015, Anh. § 64 GmbHG Rz. 382). 3 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 19. 4 Buschmann, NZG 2009, 91, 93. 5 Zur Auslegung der Vereinbarung BGH v. 20.9.2010 – II ZR 296/08 – STAR 21, BGHZ 187, 69 = AG 2010, 870 = GmbHR 2010, 1204 = ZIP 2010, 2092 Rz. 34 (die dort in Rede stehende Vereinbarung wurde vom BGH allerdings zu Recht nicht als Finanzplanvereinbarung eingeordnet). 6 So die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drucks. 10/4551, S. 1. 7 Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds – FMS“ vom 17.10.2008, BGBl. I 2008, 1982. 8 Näher Thiessen in Bork/Schäfer, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 56 ff.

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2.112

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

c) Gesellschafterdarlehen entsprechende Rechtshandlungen aa) Darlehensäquivalente Rechtshandlungen 2.112 § 39 Abs. 1 Nr. 5 2. Alt. InsO erweitert den Anwendungsbereich der Regeln über Gesellschafterdarlehen nicht nur in persönlicher Hinsicht, weil Darlehen seitens gesellschaftergleicher Dritter einbezogen werden (Rz. 2.99), sondern auch in gegenständlicher Hinsicht, indem andere Finanzierungsformen als die Gewährung eines Kredits erfasst werden. Zu wirtschaftlich entsprechenden Rechtshandlungen gehören neben stillen Einlagen1, Kreditlinien für Ansprüche aus Lieferungen und Leistungen2 auch (tatsächlich) gestundete3 Ansprüche auf Nutzungsentgelt4. bb) Ansprüche des Gesellschafters aus Lieferungen und Leistungen 2.113 Eine einem Darlehen gleichzustellende Quasi-Kreditlinie des Gesellschafters für Lieferungen und Leistungen liegt vor, wenn es der Gesellschafter hinnimmt, dass Ansprüche, die ihm wegen der Gesellschaft erbrachten Lieferungen oder Leistungen zustehen, in verkehrsunüblicher Weise nicht sofort beglichen werden. Ob die nicht sofortige Zahlung auf einer Stundungsabrede5 beruht oder auf einer bloßen Duldung des Gesellschafters, ist unbeachtlich. Es genügt, wenn der Gesellschafter die Verspätung wenigstens toleriert, bloßer Zahlungsverzug ist jedoch nicht ausreichend6. cc) Ansprüche des Gesellschafters auf Nutzungsentgelt 2.114 Auch Ansprüche auf Nutzungsentgelt sind unter den soeben skizzierten Voraussetzungen nachrangig gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 2. Alt. InsO. Hierunter fallen Ansprüche des Gesellschafters aus Miet-, Pacht-, Leasing- oder Lizenzverträgen aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung. Diese Ansprüche sind nur nachrangig, wenn die Entgeltforderungen in Vereinbarungsdarlehen umgewandelt oder durch Stehenlassen wenigstens in darlehensähnliche Finanzleistungen umgewandelt worden sind Dies ist nicht zu verwechseln mit der Fallgruppe, die unter dem alten Recht unter dem Stichwort „eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung“ behandelt wurde. Hierbei wurden nicht die gestundeten Ansprüche, sondern der Nutzungswert des überlassenen Gegenstands für die betreffende Nutzungsdauer in Eigenkapital umqualifiziert7. Diese Rechtsprechung zur eigenkapitalersetzenden Nut1 BGH v. 28.6.2012 – IX ZR 191/11, GmbHR 2012, 1181 = ZIP 2012, 1869, dazu Haas/Vogel, NZI 2012, 875 ff.; BGH v. 8.11.2004 – II ZR 300/02, GmbHR 2005, 232 = ZIP 2005, 182. 2 BGH v. 28.11.1994 – II ZR 77/93, LM § 30 GmbHG, Nr. 46 m. Anm. Roth = GmbHR 1995, 35. 3 Allgemein zur Kreditierung einer aus einem Verkehrsgeschäft herrührenden Gesellschafterforderung: OLG Schleswig v. 29.5.2013 – 9 U 15/13, ZIP 2013, 1485 ff. 4 OLG Hamm v. 21.11.2013 – 18 U 145/12, ZInsO 2014, 243, 245. 5 Das OLG Schleswig verlangt eine „verkehrsunübliche Stundungsabrede“, wobei es sich an den zu § 142 InsO entwickelten Grundsätzen orientiert, OLG Schleswig v. 29.5.2013 – 9 U 15/13, ZIP 2013, 1485. 6 Karsten Schmidt, NJW 2015, 1057 1058. 7 BGH v. 11.7.1994 – II ZR 146/92 – Lagergrundstück III, BGHZ 127, 1 = GmbHR 1994, 612; BGH v. 11.7.1994 – II ZR 162/92 – Lagergrundstück IV, BGHZ 127, 17 = GmbHR 1994, 691.

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Finanzierungsmaßnahmen der Gesellschafter

2.115

zungsüberlassung kann unter dem neuen Recht nicht fortgeführt werden, da § 135 Abs. 3 InsO insoweit gänzlich andere Rechtsfolgen vorsieht (hierzu unten Rz. 2.156 ff.)1. Ansprüche auf Nutzungsentgelt können nur dann wie Darlehensforderungen be- 2.115 handelt werden, wenn der Gesellschafter diese Ansprüche wenigstens faktisch kreditiert hat2. Die Gegenauffassung3 will demgegenüber jeden Anspruch auf Zahlung von Nutzungsentgelt einem Gesellschafterdarlehen gleichstellen und verzichtet insofern auf das Erfordernis der Kreditierung. Dem ist nicht zu folgen. Denn nur wenn man das Kreditierungselement im Tatbestand des § 135 Abs. 1 InsO bzw. § 6 AnfG prüft, gelingt die Abgrenzung zu § 135 Abs. 3 InsO widerspruchsfrei:4 Die Sonderregeln für Gesellschafterdarlehen zielen darauf, die Zurverfügungstellung von Fremd- bzw. von Eigenkapital durch den Gesellschafter haftungsrechtlich gleichzubehandeln. Eine Ausstattung mit Fremdkapital liegt immer dann vor, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft Kapital nicht nur zur Nutzung überlässt, sondern das Kapital mit seinem Substanzwert Teil des Gesellschaftsvermögens wird. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zur Nutzungsüberlassung, die unter § 135 Abs. 3 InsO fällt: Bei der Nutzungsüberlassung bleibt die überlassene Sache vermögens- und haftungsrechtlich dem Gesellschaftervermögen zugeordnet. Am deutlichsten wird der Unterschied beim Vergleich von Sachdarlehen und Miete: Das Sachdarlehen fällt unter § 39 Abs. 1 Nr. 5 1. Alt. InsO, da hier die Darlehensnehmerin Eigentümerin des Gegenstands wird5. Die Miete fällt jedoch unter § 135 Abs. 3 InsO, weil der Vermieter/Gesellschafter grundsätzlich ein Aussonderungsrecht hat, dessen Ausübung durch § 135 Abs. 3 InsO gesperrt wird (Rz. 2.161 ff.)6. Eine hierüber hinausgehende insolvenzrechtliche Beschlagnahme des Nutzungswerts ist nicht gerechtfertigt7. Begleicht der Insolvenzschuldner vor Verfahrenseröffnung fällige Ansprüche des Gesellschafters auf die Zahlung von Nutzungsentgelt, kann der Insolvenzverwalter diese Zahlungen nur dann nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechten, wenn der Gesellschafter die Ansprüche wenigstens faktisch gestundet hatte. Die Gesellschafter sind vor diesem Hintergrund sowie im Hinblick auf die Höhe eines etwaigen Augleichsanspruchs nach § 135 Abs. 3 Satz 2 InsO (Rz. 2.163) gut beraten, 1 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NJW 2015, 1109 = GmbHR 2015, 420 Rz. 38 ff. 2 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NJW 2015, 1109 = GmbHR 2015, 420 Rz. 69; OLG Hamm v. 21.11.2013 – 18 U 145/12, ZIP 2014, 186 ff.; OLG Schleswig v. 13.1.2012 – 4 U 57/11, GmbHR 2012, 1130 = ZIP 2012, 885, 887 unter Berufung auf die Gesetzesbegründung und nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der Gegenauffassung; Karsten Schmidt in FS Wellensiek, 2011, S. 551, 557 f.; Karsten Schmidt, DB 2008, 1727; Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 29; Thiessen in Bork/Schäfer, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 84 f.; Preuß in Kübler/Prütting/Bork, § 135 InsO Rz. 16; Bitter in Scholz, Anh. § 64 GmbHG Rz. 351; Bitter, ZIP 2010, 10; Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 328. 3 de Bra in Braun, § 135 InsO Rz. 22 ff.; Marotzke, ZInsO 2008, 1281, 1284 f.; Marotzke, ZInsO 2009, 2073; Hölzle, ZIP 2010, 913, 914; Henkel, ZInsO 2010, 2209, 2210. 4 Karsten Schmidt in FS Wellensiek, 2011, S. 551, 558. 5 Thiessen in Bork/Schäfer, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 9. 6 Vgl. Bitter, ZIP 2010, 1, 7; s. auch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des BT, BT-Drucks. 16/9737, S. 59. 7 Wie hier Thiessen in Bork/Schäfer, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 85; de Bra in Braun, § 135 InsO Rz. 24.

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2.116

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

trotz der Krise auf der zeitnahen und vollständigen Begleichung ihrer Ansprüche zu beharren1. dd) Gesellschaftersicherheiten 2.116 Auch die Stellung einer Sicherheit durch einen Gesellschafter für einen Kredit, den ein Dritter der Gesellschaft gegeben hat, entspricht wirtschaftlich einem Darlehen. Die Freistellungs- und Regressansprüche (§§ 670, 774, 1143, 1225 BGB) des Sicherungsgebers/Gesellschafters gegen die Darlehensschuldnerin, also die Gesellschaft, sind in der Insolvenz der Gesellschaft nachrangige Verbindlichkeiten nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO2. Tilgt die Gesellschaft vor Verfahrenseröffnung den Darlehensrückzahlungsanspruch, kann die für die Gesellschaftersicherheit befreiende Wirkung dieser Leistung nach § 135 Abs. 2 InsO angefochten werden (dazu unten Rz. 2.149). 3. Die Regelungen für Gesellschafterdarlehen im Einzelnen a) Die Bilanzierung von Gesellschafterdarlehen 2.117 In der Handelsbilanz sind Darlehen eines Gesellschafters wie andere Fremdverbindlichkeiten zu passivieren. Dass es sich bei der Verbindlichkeit um ein Gesellschafterdarlehen handelt, wirkt sich insoweit nicht aus. Grundsätzlich dasselbe gilt auch für die Aufstellung der Überschuldungsbilanz. Nur wenn Gesellschaft und Gesellschafter einen Rangrücktritt i.S. von § 39 Abs. 2 InsO vereinbart haben (Rz. 2.364 ff.), muss das Darlehen gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO im Überschuldungsstatus nicht passiviert werden (s. Rz. 2.369). Der Rücktritt muss dafür allerdings in einen Rang noch hinter die Forderungen des § 39 Abs. 1 InsO erfolgen, also insbesondere hinter solche Gesellschafterdarlehen, für die kein ausdrücklicher Rangrücktritt besteht. Der Rangrücktritt kann zwar formlos erfolgen, die Beteiligten sind jedoch gut beraten, den Rangrücktritt ausdrücklich und schriftlich zu vereinbaren. Nur dann können sie in der Krise sicher sein, eine etwaige Überschuldung durch die Darlehensgewährung abzuwenden. Hinsichtlich der exakten Formulierung des Rangrücktritts kommt ihnen die Zweifelsregel des § 39 Abs. 2 InsO zu Gute. Sofern Gesellschaft und Gesellschafter nichts anderes vereinbaren, erfolgt hiernach der Rücktritt hinter die Forderungen, die § 39 Abs. 1 InsO unterfallen, so dass den Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO Genüge getan ist (Rz. 2.369). b) Gesellschafterdarlehen als nachrangige Insolvenzforderungen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) 2.118 Aus der Einordnung in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO folgt, dass der Darlehensgeber mit seinem Rückzahlungsanspruch erst dann an Verteilungen partizipiert, wenn alle Masseverbindlichkeiten (§ 53 InsO), alle Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) und alle nachrangigen Insolvenzforderungen, die den Nrn. 1–4 des § 39 Abs. 1 InsO 1 Karsten Schmidt, NJW 2015, 1057, 1060. 2 Karsten Schmidt, BB 2008, 1966, 1970; Thiessen in Bork/Schäfer, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 80. Zum alten Recht: Thonfeld, Eigenkapitalersetzende Gesellschaftersicherheiten und der Freistellungsanspruch der Gesellschaft, 2004, S. 124 f.

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Gesellschafterdarlehen

2.121

zuzuordnen sind, vollständig befriedigt wurden. An Abschlagsverteilungen sollen diese Forderungen daher nicht teilnehmen (§ 187 Abs. 2 Satz 2 InsO). Dies gilt gemäß § 39 Abs. 3 InsO auch für Ansprüche auf Zahlung rückständiger Zinsen. Die Nachrangigkeit wirkt sich nicht nur im Hinblick auf die Verteilung der Insol- 2.119 venzmasse aus, sondern auch auf die Verfahrensrechte der Gläubiger. Zwar sind auch nachrangige Insolvenzgläubiger befugt, einen Insolvenzantrag zu stellen, selbst, wenn sie keine Befriedigung durch das Verfahren zu erwarten haben1, sie können aber ihre Forderungen nur auf entsprechende Aufforderung des Insolvenzgerichts anmelden (§ 174 Abs. 3 InsO). Die Verfahrensrechte werden ferner durch § 75 Abs. 1 Nr. 3, 4, § 77 Abs. 1 Satz 2, § 78 Abs. 1 InsO beschnitten. Im Insolvenzplanverfahren gelten nachrangige Insolvenzforderungen im Zweifel als erlassen (§ 225 Abs. 1 InsO). Sofern die nachrangigen Gläubiger dem Plan nicht zustimmen und ihre Zustimmung auch nicht durch § 246 InsO fingiert wird, kommt eine Fiktion nach § 245 InsO in Betracht. c) Die Anfechtung von Befriedigungen nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 AnfG) aa) Der Tatbestand des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO Die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen durch Zahlung vor Verfahrenseröff- 2.120 nung kann gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO (bzw. § 6 Abs. 1 Nr. 2 AnfG) vom Verwalter angefochten werden, wenn die Rückzahlung innerhalb des letzten Jahres vor Antragstellung erfolgte. Wann die Rechtshandlung vorgenommen wurde, bestimmt sich nach § 140 InsO, die Jahresfrist wird nach § 139 InsO berechnet. Es kommt nicht darauf an, ob sich die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Rückzahlung schon in der Krise befand2. Das Kleinbeteiligtenprivileg und das Sanierungsprivileg aus § 39 Abs. 4 und Abs. 5 InsO sind gemäß § 135 Abs. 4 InsO auch bezüglich der Anfechtbarkeit anwendbar. Für Befriedigungen die nicht nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO angefochten werden können, bleibt eine etwaige Anfechtbarkeit nach § 133 InsO unberührt3. Der Rückzahlung eines Darlehens ist wie im Rahmen von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO 2.121 die Befriedigung eines Anspruchs aus einer wirtschaftlich entsprechenden Rechtshandlung (hierzu oben Rz. 2.110) gleichgestellt. Ein bloßes Darlehensversprechen ist allerdings keine solche wirtschaftlich entsprechende Rechtshandlung, so dass seine Kündigung nicht nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO angefochten werden kann4 (s. schon Rz. 2.112). Weil aus dem Darlehensversprechen selbst keine (nachrangige) Insolvenzforderung resultiert, so dass § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht anwendbar ist, kommt auch eine Anwendung von § 135 Abs. 1 InsO 1 BGH v. 23.9.2010 – IX ZB 282/09, ZIP 2010, 2055 = GmbHR 2010, 1217; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 17.13, Fn. 38. 2 BGH v. 30.5.2015 – IX ZR 196/13, ZIP 2015, 1130 = GmbHR 2015, 704 Rz. 5. 3 U. Huber, ZIP 2010 Beilage Nr. 39, S. 7, 10. Zur Vorsatzanfechtung bei der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen auch: Bangha-Szabo, ZIP 2013, 1058 ff. 4 Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 135 InsO Rz. 18; Nerlich in Nerlich/Römermann, § 135 InsO Rz. 39; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 19.

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2.122

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nicht in Betracht. Dasselbe gilt für Darlehensversprechen, die sich aus einer (harten) Patronatserklärung ergeben1. 2.122 Die vorinsolvenzliche Zahlung von Zinsen auf Gesellschafterdarlehen ist nicht ohne Weiteres nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar2. Zwar sind aufgelaufene und während des Verfahrens entstehende Zinsansprüche nach § 39 Abs. 3 InsO genau wie der Darlehensrückzahlungsanspruch selbst nachrangige Forderungen. Dadurch werden die Zinsen jedoch nicht zu Darlehen oder gleichgestellten Forderungen i.S. von § 135 Abs. 1 InsO. Vorinsolvenzliche Zinszahlungen unterfallen nur dann dem Anwendungsbereich von § 135 Abs. 1 InsO, wenn sie auf solche Ansprüche erfolgen, die in verkehrsunüblicher Weise gestundet wurden, wenn sie mit anderen Worten auf rückständige Zinsansprüche erfolgt sind. 2.123 Ob die Befriedigung von Ansprüchen, für die Gläubiger und Schuldner einen Rücktritt in den Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO vereinbart haben (gewillkürter Rangrücktritt), analog § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar ist, hängt davon ab, ob sich die Vereinbarung in einem bloßen Rangrücktritt erschöpft, oder ob sich der Gläubiger ganz allgemein den Regeln unterwirft, die für Gesellschafterdarlehen gelten. Nur im zweiten Fall ist die Analogie zu befürworten3. bb) Gläubigerbenachteiligung 2.124 Die nach § 129 InsO für jede Anfechtung erforderliche Gläubigerbenachteiligung ist bei Darlehensrückzahlungen praktisch immer gegeben, denn ohne die Befriedigung wäre der Gläubiger auf seine (nachrangige) Forderung verwiesen gewesen und hätte daher nur dann Ausschüttungen erhalten, wenn alle besserrangigen Insolvenzgläubiger vollständig befriedigt worden wären. Der Gesellschafter kann die eingetretene Benachteiligung beseitigen, indem er den erhaltenen Betrag der Masse vor Verfahrenseröffnung wieder zur Verfügung stellt4. 2.125 Allerdings vertritt Spliedt die Ansicht, dass es an der Gläubigerbenachteiligung fehle, wenn für die Forderung eine (unanfechtbare) Sicherheit bestanden habe, 1 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 19; Blum, NZG 2010, 1331, 1332. A.A. OLG München v. 22.7.2004 – 19 U 1867/04, ZIP 2004, 2102, 2106; Hirte in Uhlenbruck, § 135 InsO Rz. 11. 2 Mylich, ZGR 2009, 474, 483 ff.; Fastrich in Baumbach/Hueck, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 67; nunmehr auch Thiessen in Bork/Schäfer, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 66; Bitter in Scholz, Anh. § 64 GmbHG Rz. 129; a.A. Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 19; Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 26; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 135 InsO Rz. 17; Clemens, Das neue Recht der Gesellschafterfremdfinanzierung nach dem MoMiG, 2012, S. 241; Habersack in Großkommentar zum GmbHG, Ergänzungsband zum MoMiG, § 30 GmbHG Rz. 58. 3 Gegen eine Analogie Bitter, ZIP 2013, 2 ff. Die entsprechende Anwendung wird befürwortet von Bork, ZIP 2012, 2277, 2279. Bork befürwortet darüber hinaus eine Anwendung der Vorschrift auch dann, wenn der Rücktritt in den Rang zwischen § 39 Abs. 1 Nr. 4 und 5 InsO erfolgt. Ebenso Leithaus in Andres/Leithaus, § 39 InsO Rz. 10; Ehricke in Münchener Kommentar zur InsO, § 39 InsO Rz. 62. 4 BGH v. 4.7.2013 – IX ZR 229/12, BGHZ 198, 77 = GmbHR 2013, 1034. Erfolgt die Rückzahlung auf ein im Soll geführtes Konto der Gesellschaft bei einer Bank, für das der Gesellschafter eine Sicherheit bestellt hat oder als Bürge haftet, kann die Rückführung des Saldos gemäß § 135 Abs. 2 InsO anfechtbar sein, Rz. 15.

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die nun frei werde1. Diese Auffassung übersieht, dass die Sicherheit für eine in der Insolvenz nachrangige Forderung bestellt war, so dass der Gesellschafter sein Absonderungsrecht in der Insolvenz nicht hätte durchsetzen können (näher unten Rz. 2.131 ff.). Insofern hindert die Besicherung der Forderung die Gläubigerbenachteiligung selbst dann nicht, wenn die Sicherheit ausnahmsweise nicht nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar war. cc) Unanwendbarkeit des Bargeschäftsprivilegs Das Bargeschäftsprivileg (§ 142 InsO) ist auf Anfechtungen nach § 135 Abs. 1 2.126 Nr. 2 InsO nach richtiger Auffassung nicht anwendbar. Die Befriedigung eines Darlehens kann kein Bargeschäft sein, da bei einem Darlehen Vermögenszuund Vermögensabfluss nie in dem von § 142 InsO vorausgesetzten „unmittelbaren Zusammenhang“ stehen. Das dem Darlehen sowie wirtschaftlich entsprechenden Rechtshandlungen innewohnende Kreditierungselement (siehe auch Rz. 2.111 ff.) steht daher der Anwendung des § 142 InsO jedenfalls auf Befriedigungen entgegen2. Zur abzulehnenden Anwendung des § 142 InsO auf die Anfechtung auf die Bestellung von Sicherheiten s. Rz. 2.128, zur Behandlung des Cash Poolings s. Rz. 2.143. d) Die Anfechtung von Sicherungen für Gesellschafterdarlehen nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 AnfG) aa) Der Tatbestand des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO Die Bestellung einer Sicherheit für ein Gesellschafterdarlehen oder für Ansprüche 2.127 aus diesem gleichgestellten Rechtshandlungen kann nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO und § 6 Abs. 1 Nr. 1 AnfG angefochten werden. Erfasst sind nur dingliche Sicherheiten am Gesellschaftsvermögen3. Der Anfechtungszeitraum beträgt zehn Jahre vor Antragstellung, auch hier sind für die Berechnung der Frist die §§ 139, 140 InsO einschlägig. bb) Unanwendbarkeit des Bargeschäftsprivilegs § 142 InsO ist auf die Besicherung von Gesellschafterdarlehen richtigerweise 2.128 nicht anzuwenden4. Andernfalls wären insbesondere anfängliche Sicherheiten der Anfechtbarkeit entzogen. Denn solche Sicherheiten, die bereits bei Kreditaus1 Spliedt, ZIP 2009, 149, 153. 2 Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 135 InsO Rz. 35; Ganter/ Weinland in Karsten Schmidt, § 142 InsO Rz. 10; Gehrlein in FS Kübler, 2015, S. 181, 186; Henkel, ZInsO 2010, 2209, 2212 f.; Henkel, ZInsO 2009, 1577, 1578 f.; Haas, ZInsO 2007, 617, 624. 3 Verbürgt sich die Gesellschaft für eine Verbindlichkeit ihres Gesellschafters gegenüber einem Dritten (sog. upstream guarantee), kommt die Anfechtung gegenüber dem Gesellschafter nach den Grundsätzen über mittelbare Leistungen in Betracht. Hierzu van Bömmel, Insolvenzanfechtung von upstream guarantees im GmbH-Konzern, 2009, S. 114 ff.; Brinkmann in Kübler/Prütting/Bork, Anh. I zu § 145 InsO Rz. 87. 4 Gehrlein in FS Kübler, 2015, S. 181, 187 f.; Spliedt, ZIP 2009, 149, 151, 153; Hölzle, ZIP 2013, 1992, 1995; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 15 f.

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kehrung versprochen werden, sind nach allgemeinen Regeln als Bargeschäfte nach § 142 InsO anfechtungsfest1. Die Gegenansicht2 macht für die Anwendbarkeit des Bargeschäftsprivilegs i.R. von § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor allem geltend, dass die Vergabe eines Kredits gegen die Bestellung einer Sicherheit einem so genannten „Drittvergleich“ standhalte, die Gesellschaft den Kredit also auch von dritter Seite hätte bekommen können3. Es sei nicht ersichtlich, wieso in einem solchen Fall der Gesellschafter schlechter als ein anderer Kreditgeber zu behandeln sein soll. Diese Argumentation verkennt den Normzweck der §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 Abs. 1 InsO4. Die Vorschriften sollen verhindern, dass für den Gesellschafter Anreize bestehen, zu hohe Risiken einzugehen, die den Unternehmenswert insgesamt schmälern. Der BGH betont zu Recht, dass diese Fehlanreize bei der Besicherung eines Gesellschafterdarlehens besonders stark sind: „Ein gesicherter Gesellschafter, der anders als im Falle der Gabe ungesicherter Darlehensmittel nicht um die Erfüllung seines Rückzahlungsanspruchs fürchten muss, wird in Wahrnehmung der Geschäftsführung zur Eingehung unangemessener, wenn nicht gar unverantwortlicher, allein die ungesicherten Gläubiger treffender geschäftlicher Wagnisse neigen5. Die Gewährung von Gesellschafterdarlehen, die durch das Gesellschaftsvermögen gesichert werden, ist darum mit einer ordnungsgemäßen Unternehmensfinanzierung nicht vereinbar.“6

2.129 Dies gilt unabhängig davon, ob die Sicherheit anfänglich oder nachträglich gewährt wurde, denn in beiden Fällen liefe die verhaltenssteuernde Funktion des Eigenkapitals leer. Die ratio des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO gebietet es also, die Vorschrift auch auf anfängliche Sicherheiten anzuwenden. Methodisch ist dieses Ergebnis durch eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs von § 142 InsO zu erreichen. Diese ist zulässig und geboten, weil der Gesetzgeber das Problem nicht gesehen hat, wie schon ein Blick auf die parallele Problematik im Anfechtungsgesetz zeigt: Hier führte die wortlautgetreue Anwendung des Gesetzes gerade umgekehrt zur Anfechtbarkeit anfänglicher Sicherheiten, denn der Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 1 AnfG entspricht § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO, ein Bargeschäftsprivileg kennt das AnfG jedoch nicht. Diese widersprüchliche Gesetzeslage ist durch die beschriebene Rechtsfortbildung aufzulösen. cc) Rechtsfolge der Anfechtbarkeit 2.130 Anfechtbar gewährte Sicherheiten hat der Gesellschafter der Masse nach § 143 InsO zurückzugewähren. Der Insolvenzverwalter kann vom Anfechtungsgegner 1 BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 237/91, ZIP 1993, 271 = BB 1993, 464; näher Bork in Kübler/ Prütting/Bork, Anh. I zu § 147 InsO Rz. 34; Hirte in Uhlenbruck, § 142 InsO Rz. 9; Riggert in Braun, § 142 InsO Rz. 4. 2 Bitter, ZIP 2013, 1583; Schröder, Die Reform des Eigenkapitalersatzrechts durch das MoMiG, 2012, S. 44; Ganter/Weinland in Karsten Schmidt, § 142 InsO Rz. 10. Für eine Privilegierung anfänglicher Sicherheiten auch Mylich, ZHR 176 (2012), 547, 569. 3 Bitter in Scholz, Anh. § 64 GmbHG Rz. 147. 4 Auf den Normzweck stellt auch Gehrlein in FS Kübler, 2015, S. 181, 187 f. entscheidend ab. 5 Vgl. Engert, ZGR 2004, 813, 831; Cahn, AG 2005, 217, 225. 6 BGH v. 17.7.2013 – IX ZR 219/11, BGHZ 198, 64 = ZIP 2013, 1579 = GmbHR 2013, 980 Rz. 19.

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Gesellschafterdarlehen

2.132

Freigabe der Sicherheit verlangen1. An die Stelle des Freigabeanspruchs tritt ein Wertersatzanspruch nach § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 818 Abs. 2, 4 BGB, wenn die Sicherheit nicht mehr herausgegeben kann, weil sie schon vor Verfahrenseröffnung verwertet wurde2. Nach der Entscheidung des BGH vom 18.7.2013 besteht dieser Wertersatzanspruch auch dann, wenn die Verwertung länger als ein Jahr vor der Antragstellung erfolgte3. Der BGH stellt überzeugend darauf ab, dass § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO keine Sperrwirkung in dem Sinn entfaltet, dass der Gesellschafter Befriedigungen, die er durch Verwertung einer (anfechtbaren) Sicherheit vor dem Beginn der Jahresfrist erlangt hat, endgültig behalten könnte. Zwar sei in diesem Fall die Befriedigung nicht nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar, dies lasse aber die Anfechtung der Stellung der Sicherheit nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO unberührt. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich kein Vorrang der Nr. 2 gegenüber der Nr. 1, weshalb die Gewährung der Sicherheit auch dann anfechtbar sein könne, wenn die (durch Verwertung der Sicherheit erlangte) Befriedigung anfechtungsfest ist. dd) Behandlung unanfechtbarer Sicherheiten Ist die Sicherheit unanfechtbar, weil sie außerhalb der Zehnjahresfrist bestellt 2.131 wurde, kommt ein Freigabeanspruch aus § 143 InsO nicht in Betracht. Ob dies allerdings bedeutet, dass die Sicherheit im Insolvenzverfahren zur abgesonderten Befriedigung berechtigt, ist heftig umstritten4. Richtigerweise ist die Durchsetzbarkeit unanfechtbarer Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen zu verneinen. Es wäre wenig überzeugend, wenn der Gesellschafter die Nachrangigkeit seines Rückzahlungsanspruchs dadurch umgehen könnte, dass er sich – außerhalb des Zehnjahreszeitraums – eine Sicherheit bestellten lässt. Denn die Aussage des BGH, dass die Gewährung von Gesellschafterdarlehen, die durch das Gesellschaftsvermögen gesichert werden, „mit einer ordnungsgemäßen Unternehmensfinanzierung nicht vereinbar“ sind5, trifft in gleicher Weise auf Darlehen zu, die früher als zehn Jahre vor der Antragsstellung besichert wurden. Dagegen führt Bitter6 zugunsten der Durchsetzbarkeit des Sicherungsrechts an, 2.132 dass Sicherheiten für Ansprüche auf laufende Zinsen, die nach § 39 Abs. 1 1 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, § 143 InsO Rz. 43. 2 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, BGHZ 198, 64 = ZIP 2013, 1579 Rz. 10; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, § 142 InsO Rz. 92. 3 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, BGHZ 198, 64 = ZIP 2013, 1579 Rz. 8. 4 Verneinend Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, Anh. § 30 GmbHG Rz. 69; Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 9 ff.; Görner in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 30 GmbHG Rz. 128; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Anh. §§ 32a, b GmbHG Rz. 59; Altmeppen, NZG 2013, 441, 442; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 18; Ganter/Weinland in Karsten Schmidt, § 142 InsO Rz. 10; Kummer/Schäfer/Wagner, Rz. H 72; Hölzle, ZIP 2013, 1992, 1995; Azara Das Eigenkapitalersatzrecht der GmbH nach dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), 2010, S. 706 f.; Lüneborg, Das neue Recht der Gesellschafterdarlehen, 2010, S. 157. A.A. Bitter, ZIP 2013, 1497, 1502; ihm folgend Thole, NZI 2013, 746. 5 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, ZIP 2013, 1579 = GmbHR 2013, 980 Rz. 19. 6 Bitter, ZIP 2013, 1497, 1502; Bitter in Scholz, Anh. § 64 GmbHG Rz. 151.

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2.133

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

Nr. 1 InsO nachrangig sind, auch in der Insolvenz durchsetzbar sind1. Allein aus dem Nachrang der gesicherten Forderung resultiert also nicht automatisch die Undurchsetzbarkeit einer Sicherheit. Aus der Entscheidung zu Gunsten der Durchsetzbarkeit von Sicherheiten für nachrangige Zinsansprüche kann aber richtigerweise nichts für die Frage gewonnen werden, wie Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen zu behandeln sind. Denn zwischen § 39 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 InsO ist zu differenzieren, weil der Nachrang jeweils aus ganz unterschiedlichen Gründen angeordnet ist: Bei Nr. 1 geht es „bloß“ darum, die Quotenberechnung zu vereinfachen, die durch sich laufend erhöhende Zinsansprüche erheblich erschwert würde2. Eine Wertung ist insofern mit dem Nachrang der Zinsforderungen nicht verknüpft. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO hat dagegen eine verhaltenssteuernde Funktion, die auch bei der Frage der Durchsetzbarkeit von Sicherheiten zu berücksichtigen ist: Die Gefahr von Fehlanreizen bei der Verwendung einer durch eine Grundschuld besicherten Kreditlinie wird nicht dadurch beseitigt, dass die Sicherheit (zufällig) schon vor elf Jahren bestellt wurde. Der telos des Nachrangs der Forderung erfasst insofern – gerade anders als bei Nr. 1 – auch das Vorgehen aus der Sicherheit. 2.133 Dogmatisch lässt sich die Undurchsetzbarkeit für akzessorische Sicherheiten, die Gesellschafterdarlehen sichern, wie folgt herleiten: Forderungen, die § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO unterfallen, sind solange nicht durchsetzbar, wie das Gericht nicht die Gläubiger gemäß § 177 Abs. 3 InsO zur Anmeldung der Forderung aufgefordert hat. Diese Undurchsetzbarkeit hat jedenfalls in Bezug auf Gesellschafterdarlehen nicht nur eine verfahrensrechtliche Komponente3, sondern ist auch auf materiellrechtlicher Ebene zu berücksichtigen, denn anders als der Nachrang von Zinsansprüchen beruht die Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen nicht auf verfahrensrechtlichen, sondern auf normativ-materiellrechtlichen Wertungen. Materiellrechtlich werden Gesellschafterdarlehen insofern zu unvollkommenen Verbindlichkeiten, wenn endgültig feststeht, dass auf sie keine Verteilungen entfallen werden. Dies wirkt sich auch auf die Sicherheit aus, denn akzessorische Sicherheiten für unvollkommene Verbindlichkeiten sind unwirksam4. 2.134 Für nicht-akzessorische Sicherheiten, insbesondere für die Sicherungsgrundschuld, gilt im Ergebnis nichts anderes. Hier folgt die Undurchsetzbarkeit nicht aus der dogmatischen Konstruktion des Sicherungsrechts, sondern aus der Sicherungsabrede, die dem Sicherungsgeber eine Einrede gegen die Verwertung der Sicherheit gibt, solange die gesicherte Forderung undurchsetzbar ist5. 2.135 Um eine effiziente Verwertung des belasteten Massegegenstands zu erleichtern, wird man dem Verwalter bereits dann einen Rückübertragungsanspruch hinsichtlich der Sicherheit gewähren müssen, wenn endgültig feststeht, dass die gesicherte Forderung im Zuge des Verfahrens erlöschen wird. Der Verwalter kann daher auch schon vor der Liquidation des Rechtsträgers bzw. der Bestätigung des In1 2 3 4

BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 132/07, ZIP 2008, 1539, 1540 Rz. 9. Henckel in Jaeger/Henckel, § 39 InsO Rz. 11. So aber Bitter, ZIP 2013, 1497, 1501. Zur Unwirksamkeit von Sicherheit, die für unvollkommene Verbindlichkeiten Siber, Jherings Jb. 70, 223, 244; Olzen in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, Einl. zum SchuldR Rz. 245. 5 Wolfsteiner in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, Vorbem. zu §§ 1191 ff. Rz. 108.

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Kontokorrentkredite, Cash Pooling, revolvierende Kredite

2.136

solvenzplans die Rückübertragung der für den Gläubiger wertlosen Sicherheit verlangen, so dass der Insolvenzverwalter das Sicherungsgut unbelastet veräußern kann. Gegen die Anerkennung eines solchen Anspruchs spricht auch nicht, dass so die Zehnjahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO leer liefe. Anfechtbarkeit und materiellrechtliche Undurchsetzbarkeit sind zweierlei. Denn der Weg über §§ 135 Abs. 1 Nr. 1, 143 InsO ist für den Verwalter vor allem in prozessualer Hinsicht einfacher: Er ist nicht an etwaige Schiedsvereinbarungen gebunden1, die Gerichte des Verfahrensstaates sind auch für Anfechtungsklagen international zuständig2 und er trägt eine geringere Darlegungslast, weil er nur die Voraussetzungen des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO darzulegen hat und nicht auch die Tatsache, dass auf die Forderung sicher keine Verteilungen entfallen werden3. Nicht zuletzt spielt auch eine etwaige Abtretung des Rückgewähranspruchs an einen Dritten für den Anspruch aus § 143 InsO keine Rolle. Dieser Vergleich des Anspruchs aus § 143 InsO mit dem Rückgewähranspruchs nach materiellem Recht erklärt auch, warum die methodischen Bedenken gegen die hier befürwortete Ansicht nicht zu überzeugen vermögen: Leitet man die Undurchsetzbarkeit der Sicherheit aus der materiellrechtlichen Konstruktion des Sicherungsrechts her, wird die anfechtungsrechtliche Wertung, dass eine mehr als zehn Jahre alte Sicherheit unanfechtbar ist, nicht tangiert. 4. Kontokorrentkredite, Cash Pooling, revolvierende Kredite a) Grundsätze Viele Detailfragen hinsichtlich der insolvenzrechtlichen Behandlung von Kon- 2.136 tokorrenten, Cash Management Systemen und von revolvierenden Krediten sind streitig und noch nicht höchstrichterlich geklärt (vgl. auch Rz. 2.143). Die insolvenzfeste Ausgestaltung solcher Konstruktionen ist daher mit großer Unsicherheit verknüpft. Der unstreitige Ausgangspunkt ist, dass auch ein Kontokorrentkredit, den ein Gesellschafter seiner Gesellschaft einräumt, den Regeln über Gesellschafterdarlehen unterliegt, denn der Gesellschafter ermöglicht es der Gesellschaft, jeweils in Höhe des offenen Saldos mit Fremdkapital zu arbeiten4. Nach wie vor ist nicht vollständig geklärt, inwieweit zwischenzeitliche Rückzahlungen benachteiligende Wirkung i.S. von § 129 InsO haben. Es geht um die Frage, ob im Rahmen der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu berücksichtigen ist, dass die Gesellschaft nur aufgrund der Rückführung des Saldos weitere Abrufungen in entsprechender Höhe vornehmen konnte, dass also ein Bedingungszusammenhang zwischen den Rückzahlungen und weiteren Auszahlungen bestand. In seiner Entscheidung vom 7.3.2013 hat der Bundesgerichtshof für einen Staffelkredit entschieden, dass „die Anfechtung wie bei einem Kontokorrentkredit auf die Verringerung des Schuldsaldos im Anfechtungszeitraum beschränkt“ ist5. In einem Be1 BGH v. 17.1.2008 – III ZB 11/07, SchiedsVZ 2008, 148; BGH v. 17.10.1956 – IV ZR 137/56, NJW 1956, 1920; Heydn, SchiedsVZ 2010, 182. 2 EuGH v. 12.2.2009 – Rs. C-339/07, ZIP 2009, 427 = NZI 2009, 199. 3 Insoweit greift allerdings ein Anscheinsbeweis zu Gunsten des Insolvenzverwalters ein, BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, ZIP 2014, 321 = GmbHR 2014, 417 Rz. 19. 4 Karsten Schmidt in FS Wellensiek, 2011, S. 551, 557. Vgl. auch BGH v. 28.11.1994 – II ZR 77/93, LM § 30 GmbHG, Nr. 46 m. Anm. Roth = GmbHR 1995, 35. 5 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, ZIP 2013, 734 = GmbHR 2013, 464 Ls. 1.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

schluss vom 16.1.2014 hat der BGH im Anschluss hieran entschieden, dass in einem echten Kontokorrent mit vereinbarter Kreditobergrenze eine Gläubigerbenachteiligung durch einzelne Kreditrückführungen ausscheide, weil ohne sie die Kreditmittel, die der Schuldner danach tatsächlich noch erhalten hat, ihm nicht mehr zugeflossen wären. Anfechtbar seien solche Kreditrückführungen daher nicht in ihrer Summe, sondern bis zu der eingeräumten Kreditobergrenze1. 2.137 Die Beratungspraxis kann danach für Kontokorrentkredite und vergleichbare Kreditverhältnisse davon ausgehen, dass eine Anfechtung nur insoweit in Betracht kommt, wie die Gesellschaft tatsächlich Mittel in Anspruch genommen hat. Keinesfalls kann der Insolvenzverwalter die Summe aller Abbuchungen zurückverlangen2. Aus der Erwähnung der „vereinbarten Obergrenze“ sollte nicht geschlossen werden, dass in dieser Höhe auch dann angefochten werden kann, wenn diese Obergrenze während des Anfechtungszeitraums nie erreicht war. Denn in der Entscheidung vom 7.3.2013 heißt es auch, dass „[m]ehr als die ausgeschöpften Mittel der Kreditlinie“ im Schuldnervermögen nie vorhanden und für die Gläubigerbefriedigung einsetzbar waren. Der Ausgangspunkt muss also der höchste Sollsaldo während des Anfechtungszeitraums sein3. Würde man darüber hinaus gehen, drohte die Gefahr, dass der Masse mehr zurückgewährt wird, als die Schuldnerin jemals hatte4. 2.138 Umstritten ist, ob zur Ermittlung der Höhe des Anfechtungsanspruchs der niedrigste Sollsaldo vom höchsten Sollsaldo abzuziehen ist oder ob der höchste Sollsaldo mit dem Saldo am Tag der Verfahrenseröffnung zu vergleichen ist. Auf diese Frage kommt es z.B. an, wenn der höchste Sollsaldo zwischendurch ausgeglichen wurde, das Konto aber am Tag der Verfahrenseröffnung wieder ein Soll ausweist. Der BGH hatte das Problem bisher nicht zu entscheiden. In der Staffelkreditentscheidung stellte sich das Problem nicht, weil hier der Saldo am Tag der Verfahrenseröffnung ausgeglichen war, so dass das Darlehen (= höchster Sollsaldo) an diesem Tag vollständig zurückgezahlt war. Allerdings lässt sich aus der Urteilsbegründung erkennen, dass der BGH dazu tendiert, auf die Differenz zwischen höchstem und niedrigstem Saldo abzustellen. Dort heißt es, dass der „Umfang des höchsten zurückgeführten Darlehensstandes“ maßgeblich sei5. Nach dem ersten Leitsatz kommt es „auf die Verringerung des Schuldsaldos im Anfechtungszeitraum“ an6. 2.139 Stellt man unter Berufung auf diese Formulierungen auf die Differenz zwischen höchstem und niedrigstem Sollsaldo ab, weicht man von der Behandlung von Kontokorrentkrediten außerhalb des Rechts der Gesellschafterdarlehen ab, denn bei „normalen“ Kontokorrentkrediten ist der Betrag maßgeblich, um den die verrechneten Einzahlungen die berücksichtigungsfähigen Auszahlungen im Anfechtungszeitraum übersteigen; der höchste erreichte Sollstand ist „grundsätzlich un1 2 3 4

BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 116/13, ZIP 2014, 785 = GmbHR 2014, 476 Rz. 2. BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 116/13, ZIP 2014, 785 = GmbHR 2014, 476 Rz. 2. BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, ZIP 2014, 584 = GmbHR 2014, 417 Rz. 23. Zum Staffelkredit BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, ZIP 2013, 734 = GmbHR 2013, 464 Rz. 16. Ähnlich Bitter in Scholz, Anh. § 64 GmbHG Rz. 122 a.E. 5 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, ZIP 2013, 734 = GmbHR 2013, 464 Rz. 26. 6 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, ZIP 2013, 734 = GmbHR 2013, 464 Ls. 1.

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Kontokorrentkredite, Cash Pooling, revolvierende Kredite

2.142

erheblich“1. Die unterschiedliche Behandlung eines Kontokorrents zwischen einer Bank und ihrem Kunden und einem solchen zwischen einem Gesellschafter und einer Gesellschaft ist konsequent und lässt sich damit erklären, dass der BGH die Irrelevanz zwischenzeitlicher Saldenstände in ständiger Rechtsprechung mit dem Rückgriff auf das Bargeschäftsprivileg rechtfertigt2. Da § 142 InsO aus den oben (Rz. 2.126) dargelegten Gründen im Rahmen von § 135 Abs. 1 InsO nicht anwendbar ist, ist folgerichtig beim Gesellschafterkontokorrent auf die Differenz zwischen höchstem Sollsaldo und danach eingetretenem niedrigsten Sollsaldo abzustellen, denn insoweit wurde der „höchste Darlehensstand zurückgeführt“. b) Verbundene Kredite Weitgehend ungeklärt ist die Frage, auf welche Fälle jenseits des „echten Kon- 2.140 tokorrents“ diese Rechtsprechung anzuwenden ist, wann also verschiedene Auszahlungen seitens des Gesellschafters und Rückzahlungen seitens der Gesellschaft nicht als mehrere Darlehen (mit der Folge der anfechtungsrechtlichen Aufsummierung der Rückzahlungen), sondern als ein (revolvierendes) Darlehen behandelt werden können. In der Staffelkreditentscheidung vom 7.3.2013 hat der Bundesgerichtshof eine Situation, in der der Schuldnerin von der Gesellschafterin fortlaufend Kredite gewährt wurden, einem Kontokorrent gleichgestellt. Entscheidend sei die wirtschaftliche Funktion der Zahlungen und nicht die Frage, ob die wechselseitigen Zahlungen formal in einer laufenden Rechnung verbucht wurden. Die vom BGH seinerzeit verwendeten Kriterien waren – die gleich bleibenden Bedingungen und der gleiche Zweck der Auszahlungen, – der enge zeitliche Zusammenhang der Rück- und Neuauszahlungen sowie – das zwischen den Parteien bestehende Gesellschaftsverhältnis, das den Gesellschafter kraft der Treuepflicht u.U. zu einer Offenhaltung der Kreditlinie verpflichtete. Handelt es sich um zwei zeitlich nicht zusammenhängende Zahlungen von un- 2.141 terschiedlicher Höhe und zu unterschiedlichen Bedingungen, die keinem bestimmten Zweck dienten, sondern den allgemeinen Liquiditätsbedarf der Gesellschaft decken, liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so dass die Rückzahlungen nach Ansicht des BGH zu addieren sind3. Für die Beratungspraxis bleibt erhebliche Unsicherheit. Gesellschaftern kann nur 2.142 geraten werden, schon vor der ersten Auszahlung Vereinbarungen zu treffen, die die Kriterien des BGH erfüllen. Dabei muss die Deckung des allgemeinen Liquiditätsbedarfs nicht notwendig ein „schädlicher“ Zweck sein. Denn wenn die Vereinbarung eine Obergrenze enthält, ist die Funktion des Zweckbindungskriteriums erfüllt. Die Praxis wird sich darauf einstellen müssen, dass der BGH Versuchen, mehrere Darlehen im Nachhinein als ein revolvierendes Darlehen zu charakterisieren, sehr kritisch gegenüber stehen wird4. Vor diesem Hintergrund 1 BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122 = ZIP 2002, 812, 814 f.; BGH v. 15.11. 2007 – IX ZR 212/06, ZIP 2008, 235. 2 BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122 = ZIP 2002, 812, 814 f.; BGH v. 26.4. 2012 – IX ZR 67/09, ZIP 2012, 1301 Rz. 11. 3 BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 116/13, ZIP 2014, 785 = GmbHR 2014, 476. 4 Für eine Saldierung bei jeder Kreditlinie mit wechselnden Inanspruchnahmen Bitter in Scholz, Anh. § 64 GmbHG Rz. 123.

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2.143

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

empfiehlt es sich, die Vereinbarungen notariell zu beurkunden, um Beweisprobleme von vornherein zu vermeiden. c) Cash Pooling 2.143 Offen ist insbesondere die Frage, ob und inwieweit die für das Kontokorrent erarbeiteten Grundsätze auf physische Cash Pooling-Systeme zu übertragen sind. Bei solchen Systemen werden die Konten der angeschlossenen Gesellschaften am Ende eines jeden Bankarbeitstages auf null gestellt. Dabei wird ein etwaiger Habensaldo auf das meist von der Mutter geführte „Master-Account“ gebucht, ein Debetsaldo wird zu Lasten dieses Kontos ausgeglichen (Rz. 1.323). Verengt man die Betrachtung auf das Verhältnis der Tochtergesellschaft zur Muttergesellschaft, die das Master-Account führt, lässt sich der Ausgleich eines Sollsaldos auf dem Konto der Tochter zu Lasten der Mutter als Darlehensgewährung seitens der Mutter begreifen („downstream-loan“). Wird dieser Kredit zurückgeführt, indem ein später entstehender Habensaldo auf das Master-Account der Mutter gebucht wird, dann könnte hierin eine nach § 135 Abs. 1 InsO anfechtbare Tilgung oder Sicherung eines Gesellschafterdarlehens liegen. Ließe man die Anfechtung zu – gar in Höhe der Summe aller einzelnen Umbuchung eines Habensaldos während des letzten Jahres vor Antragstellung! – so wäre der Versuch des Gesetzgebers, das Cash Pooling vor dem so genannten November-Urteil (dazu Rz. 1.63 ff.) zu retten, missglückt: Statt die Umbuchungen mit dem NovemberUrteil als verbotene Einlagenrückzahlungen zu ächten, wären sie nunmehr nach dem MoMiG als Tilgungen von Gesellschafterdarlehen anfechtbar. Vieles spricht jedoch dafür, dass die Kassandrarufe, die das Ende des Cash Pools verkünden1, unbegründet sind. 2.144 Zu fragen ist zunächst, ob bzw. wann die Zurverfügungstellung von Liquidität im Rahmen des konkreten Cash Pool Systems überhaupt als „Darlehen“ i.S. des § 135 Abs. 1 InsO einzuordnen ist2. Außerhalb des Cash Pools, also im Rahmen gewöhnlicher Kontokorrentkonten, ist unstreitig, dass ein negativer Saldo als Darlehen zu charakterisieren ist3, und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen Dispositionskredit oder um einen Überziehungskredit handelt4. Diese Einordnung ist gerechtfertigt, weil die Glattstellung des Saldos nicht sofort erfolgt, sondern der Rückzahlungsanspruch für eine gewisse Zeit rechtlich oder faktisch gestundet wird. Diese Grundsätze müssen auch die Behandlung des Cash Pools leiten: Führt die Muttergesellschaft (oder ein gesellschaftergleicher Dritter) das Master-Account und duldet sie es, dass sich dieses für eine gewisse Zeit im Soll befindet, gewährt sie der Tochtergesellschaft in dieser Höhe ein Darlehen, dessen Rückführung grundsätzlich nach § 135 Abs. 1 InsO anfechtbar ist5. Es kommt insofern darauf an, inwieweit die Liquiditätsüberlassung Finanzierungsfunktion 1 Dass das MoMiG dem Cash-Pooling den Todesstoß versetze, suggerieren Klinck/Gärtner, NZI 2008, 457. In dieselbe Richtung auch Burg/Westerheide, BB 2008, 62. 2 Ebenso Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 21. 3 Brocker/Rockstroh, BB 2009, 730, 731; Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1318; Priester, ZIP 2006, 1557. 4 Berger in Münchener Kommentar zum BGB, Vorbemerkung Titel 3 Rz. 52 f. 5 Altmeppen, NZG 2010, 401, 404; Gehrlein in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 135 InsO Rz. 4.

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hatte. Dies wird man jedenfalls dann bejahen können, wenn der Saldo über mehrere Tage stehenbleibt. Denn das Stehenlassen eines Sollsaldos kann nach der Staffelkredit-Entscheidung des BGH vom 7.3.2013 auch dann als Darlehen zu behandeln sein, wenn es sich um einen „kurzfristigen Überbrückungskredit“ handelt1. „Ausreißer“, also Fälle, in denen ein sehr hoher Sollsaldo nur für z.B. 24 Stunden bestand, wird man u.U. mit dem Argument ausschließen können, dass der telos des Rechts der Gesellschafterdarlehen nicht einschlägig sei, weil es ausgeschlossen ist, dass eine derart kurzfristige Überlassung des Kapitals Risikofehlsteuerungen ausgelöst hat. Eine Umbuchung auf das Master-Account ist als Befriedigung nach § 135 Abs. 1 2.145 Nr. 2 InsO anfechtbar. Der für die Ermittlung der Differenz zwischen höchstem Sollsaldo und danach eingetretenem niedrigsten Sollsaldo maßgebliche Zeitraum ist daher das letzte Jahr vor Antragstellung. Die Gegenauffassung hält § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO für anwendbar – mit der Konsequenz, dass der Zehn-Jahreszeitraum maßgeblich wäre. Diese Ansicht stellt darauf ab, dass die Umbuchung der Konzernmutter eine Aufrechnungsmöglichkeit verschaffe, die einer Sicherung gleichkomme2. Hierbei wird die insolvenzrechtliche Erfüllungsäquivalenz einer Aufrechnungsmöglichkeit nicht genügend beachtet3. Weil die Verschaffung der Aufrechnungsmöglichkeit wie eine Erfüllung wirkt, ist die Umbuchung als Befriedigung i.S. von § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu charakterisieren4. Hinsichtlich der Gläubigerbenachteiligung gelten die zum Kontokorrentkredit 2.146 gemachten Ausführungen (Rz. 2.136): Die Gläubiger sind benachteiligt, insoweit der höchste Sollsaldo (ohne Berücksichtigung von „Ausreißern“) während des Anfechtungszeitraums zurückgeführt wurde5. Die Ansicht, dass Abbuchungen im Wege des Cash Pooling keine benachteiligende Wirkung hätten und schon deswegen der Anfechtung entzogen seien6, überzeugt nicht. Die „wirtschaftliche Betrachtungsweise“, die dieser Argumentation zugrunde liegt, ist für die Ermittlung einer Gläubigerbenachteiligung gerade nicht angezeigt. Dem hinter dieser Ansicht stehenden Anliegen, den Cash Pool mit Finanzierungsfunktion von einem bloßen Liquiditätsmanagement System zu unterscheiden, wird schon dadurch Rechnung getragen, dass die einzelnen Rückzahlungen nicht aufsummiert werden, sondern nur die Differenz zwischen höchstem Sollsaldo und dem danach eintretenden niedrigsten Sollsaldo maßgeblich ist. Auch ein Abstellen auf den durchschnittlichen Sollsaldo7 ist nicht mit der Rechtsprechung des BGH vereinbar. Denn nach der Staffelkreditentscheidung reicht eben auch die kurzfristige Über1 2 3 4

BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, ZIP 2013, 734 = GmbHR 2013, 464 Rz. 14. Klinck/Gärtner, NZI 2008, 457, 459. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 19.02; Windel, KTS 2000, 215, 220 ff. Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 36; Hamann, NZI 2008, 667 ff.; Thole, ZInsO 2011, 1425, 1430; Reuter, NZI 2011, 921, 924; Göcke/Rittscher, DZWIR 2012, 355, 355. 5 Ebenso Göcke/Rittscher, DZWIR 2012, 355, 357. 6 Reuter, NZI 2011, 921, 925 f. 7 Hierfür Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 39; Schall, ZGR 2009, 126, 145; Willemsen/Rechel, BB 2009, 2215, 2218; Altmeppen, NZG 2010, 401, 404; Reuter, NZI 2011, 921, 926. Zahrte, NZI 2010, 596, 598 will auf die Höhe der der Tochter eingeräumten Kreditlinie abstellen. Dagegen spricht, dass es im Rahmen von § 135 InsO auf die tatsächliche Überlassung von Gesellschaftervermögen ankommt.

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2.147

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

lassung von Mitteln, so dass es nicht maßgeblich ist, wie viele Mittel der Gesellschafter der Gesellschaft bezogen auf den Durchschnitt des ganzen Jahres vor Antragstellung im Schnitt eingeräumt hat. Mit diesen Grundsätzen wäre es auch unvereinbar, einen Gesamtsaldo zwischen allen Abbuchungen und allen Zuflüssen im Betrachtungszeitraum zu bilden. 2.147 Schließlich ist auch die Anwendbarkeit von § 142 InsO auf Befriedigungen von Gesellschafterdarlehen im Rahmen eines Cash Pools umstritten. Richtigerweise ist sie zu verneinen, denn § 142 InsO ist generell nicht im Rahmen von § 135 Abs. 1 InsO anwendbar1. Unabhängig von dieser Kontroverse (hierzu Rz. 2.128) scheidet die Anwendung von § 142 InsO im Rahmen des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO schon aus tatbestandlichen Gründen aus, denn die Rückführung eines Darlehens kann nie ein Bargeschäft sein (vgl. Rz. 2.126). Die Erfüllung des Rückzahlungsanspruchs ist „eine einseitige Deckungshandlung, der keinerlei ausgleichende Leistung“ der kontoführenden Gesellschaft gegenüber steht2. Dem Zusammenhang zwischen Ein- und Auszahlungen ist nicht durch die Anwendung des Bargeschäftsprivilegs Rechnung zu tragen3, sondern dadurch, dass die einzelnen Rückzahlungen nicht aufsummiert werden4. 5. Gesellschafterbesicherte Drittdarlehen 2.148 Auf die Stellung einer Sicherheit seitens eines Gesellschafters für ein Darlehen, das der Gesellschaft von dritter Seite gewährt wurde, sind die §§ 135 Abs. 2, 44a, 143 Abs. 3 InsO anwendbar. Der Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass die Gewährung eines Kredits und die Stellung einer Sicherheit durch den Gesellschafter haftungsrechtlich gleich zu behandeln sind, weil es im Hinblick auf die für den Gesellschafter bestehenden Risikoanreize keinen Unterschied macht, ob er der Gesellschaft ein Darlehen gewährt oder ob er sein Vermögen einsetzt, um der Gesellschaft die Kreditaufnahme bei einem Dritten zu ermöglichen5. Die vom Gesellschafter gewährte Sicherheit wird daher haftungsrechtlich wie Gesellschaftsvermögen behandelt6. Die Vorschriften erfassen alle Personal- und alle Sachsicherheiten. Neben Bürgschaften7, Schuldbeitritten, Garantieerklärungen, selb-

1 Henkel, ZInsO 2009, 1577, 1578 f.; Henkel, ZInsO 2010, 2209, 2212 f.; Haas, ZInsO 2007, 617, 624; Hölzle, ZIP 2010, 913, 915 f.; a.A. Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 135 InsO Rz. 35; Hirte in Uhlenbruck, § 135 InsO Rz. 10; de Bra in Braun, § 135 InsO Rz. 23; Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 29; Rühle, ZIP 2009, 1358, 1360; Bitter, ZIP 2010, 1, 10. 2 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, ZIP 2013, 734 = GmbHR 2013, 464 Rz. 27; s. auch BGH v. 7.5. 2013 – IX ZR 271/12, NZI 2013, 816. So auch Spliedt, ZIP 2009, 149, 151. 3 Anders wohl Bitter in Scholz, Anh. § 64 GmbHG Rz. 128. 4 Zahrte, NZI 2010, 596, 598; Göcke/Rittscher, DZWIR 2012, 355, 356; Gehrlein in Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier, § 135 InsO Rz. 4. A.A. Willemsen/Rechel, BB 2009, 2215, 2218; grds. auch Thole, ZInsO 2011, 1425, 1431. 5 BGH v. 20.2.2014 – II ZR 164/13, NZI 2014, 321 Rz. 18; Thiessen in Bork/Schäfer, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 76. 6 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, ZIP 2014, 321 = GmbHR 2014, 417 Rz. 18. 7 BGH v. 27.11.1989 – II ZR 310/88, ZIP 1990, 95 = BB 1990, 87 = GmbHR 1990, 125 für Prozessbürgschaft.

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Gesellschafterbesicherte Drittdarlehen

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ständigen Schuldversprechen und (harten) Patronatserklärungen1 sind daher auch Hypotheken, Grundschulden2 und Sicherungsnießbrauchsbestellungen, Sicherungsübereignungen3 und Pfandrechtsbestellungen seitens eines Gesellschafters oder eines gesellschaftergleichen Drittens betroffen. Auch die Einräumung einer Option kann Sicherungscharakter haben4. a) Die Anfechtung der Tilgung des Drittdarlehens, § 135 Abs. 2 i.V.m. § 143 Abs. 3 InsO (§ 6a i.V.m. § 11 Abs. 3 AnfG) Zahlt der Geschäftsführer oder vorläufige Insolvenzverwalter5 vor Verfahrens- 2.149 eröffnung das vom Gesellschafter besicherte Darlehen zurück, wird die vom Gesellschafter gewährte Sicherheit hierdurch frei. In dieser Situation ermöglicht § 135 Abs. 2 InsO dem Insolvenzverwalter die Anfechtung der Befreiungswirkung6 unter denselben Voraussetzungen, unter denen die Befriedigung eines Gesellschafterdarlehens anfechtbar gewesen wäre. Erforderlich ist danach insbesondere, dass die Erfüllung innerhalb der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfolgt ist (zur Berechnung oben Rz. 2.120). Eine Berufung auf das Bargeschäftsprivileg kommt nicht in Betracht, weil seine Voraussetzungen in den von § 135 Abs. 2 InsO erfassten Konstellationen nie vorliegen können: Infolge der Tilgung des Darlehensrückzahlungsanspruchs erhält die Gesellschaft keine surrogierende Gegenleistung. Nach § 143 Abs. 3 Satz 1 InsO (bzw. § 11 Abs. 3 AnfG) muss der Gesellschafter 2.150 der Gesellschaft das erstatten, was diese dem Gläubiger zur Befriedigung des Darlehensrückzahlungsanspruchs (oder der gleichgestellten Verbindlichkeit) geleistet hat. Hintergrund der Sonderregel ist, dass bei der Anfechtung nach § 135 Abs. 2 InsO Empfänger der Leistung und Anfechtungsgegner auseinander fallen, weil der Insolvenzverwalter gegenüber dem Gesellschafter anficht, die Gesellschaft aber an den Darlehensgläubiger gezahlt hat. § 143 Abs. 3 Satz 2 InsO beschränkt den Ersatzanspruch der Höhe nach auf den Wert der Sicherheit, soweit sie tatsächlich frei geworden ist. Ferner kommt ein Anspruch nur insoweit in Betracht, wie der Darlehensrückzahlungsanspruch tatsächlich von der Gesellschaft befriedigt wurde7. Nach § 143 Abs. 3 Satz 3 InsO kann der Gesellschafter seiner Verpflichtung auch nachkommen, indem er der Insolvenzmasse das Sicherungsgut „zur Verfügung stellt“8. 1 Thonfeld, Eigenkapitalersetzende Gesellschaftersicherheiten und der Freistellungsanspruch der Gesellschaft, 2004, S. 38. 2 BGH v. 26.6.2000 – II ZR 21/99, GmbHR 2000, 931 = ZIP 2000, 1489. 3 BGH v. 18.11.1991 – II ZR 258/90, ZIP 1992, 177 = BB 1992, 593 = GmbHR 1992, 168. 4 Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 44a InsO Rz. 6. 5 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, ZIP 2014, 584 = GmbHR 2014, 417 Rz. 10 ff. 6 Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 43; anders Thiessen in Bork/Schäfer, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 80, nach dem die Zahlung an den Darlehensgeber zugleich eine anfechtbare Leistung auf den Freistellungsanspruch sei. Wäre diese Sichtweise zutreffend, hätte es § 135 Abs. 2 InsO nicht bedurft, weil die Leistung dann als gleichgestellte Rechtshandlung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar gewesen wäre. 7 OLG Stuttgart v. 14.3.2012 – 14 U 28/11, GmbHR 2012, 573, 575 = ZIP 2012, 834, 836. 8 Kreft in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 143 InsO Rz. 41; Jacoby in Kübler/Prütting/Bork, § 143 InsO Rz. 81.

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b) Die Situation des Darlehensgebers in der Insolvenz der Gesellschaft (§ 44a InsO) 2.151 Für den Fall, dass die durch den Gesellschafter besicherte Forderung gegen die Gesellschaft im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch (teilweise) offen ist, verweist § 44a InsO den Gläubiger zunächst auf die Verwertung der Sicherheit und gestattet ihm in der Gesellschaftsinsolvenz die Anmeldung der Forderung nur in der Höhe, in der er bei der Verwertung der Sicherheit ausgefallen ist. Hierdurch wird die Regel des § 52 InsO, die das Ausfallprinzip für Sicherheiten an schuldnereigenem Vermögen normiert, auch auf Sicherheiten an Gesellschaftervermögen erstreckt1. § 44a InsO ist insofern lex specialis zu § 43 InsO2, der für die Haftung mehrerer das Prinzip der Doppelberücksichtigung vorsieht. Schon § 32a Abs. 2 GmbHG a.F. sah das Ausfallprinzip vor, nahm jedoch anders als § 44a InsO nicht Bezug auf einen „Gläubiger nach Maßgabe des § 39 Abs. 1 Nr. 5“3. Der in § 44a InsO nunmehr enthaltene Zusatz ist missverständlich, weil der Gläubiger des Darlehensrückzahlungsanspruchs gerade kein nachrangiger Gläubiger i.S. von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist. Nachrangig ist vielmehr der Gesellschafter mit seinem Regressanspruch (Rz. 2.116). Der Verweis auf § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist richtigerweise so zu verstehen, dass die Vorschrift nur dann anwendbar ist, wenn die Besicherung des Darlehens eine Rechtshandlung ist, die einem Gesellschafterdarlehen gleichsteht. Sanierungs- und Kleinbeteiligtenprivileg (§ 39 Abs. 4 und 5 InsO, Rz. 2.104 ff.) finden daher Anwendung. 2.152 Der Verwalter kann der Anmeldung der Forderung in voller Höhe widersprechen und den Gläubiger zunächst auf die Geltendmachung der Sicherheit verweisen. So entsteht ein Zwang für den Gläubiger, zuerst beim Gesellschafter Befriedigung zu suchen, da der Gläubiger seinen Ausfall gegenüber dem Verwalter darlegen und ggf. beweisen muss. Entsprechend kann der Verwalter die Anmeldung der Forderung zurückweisen, wenn der Ausfall auf einem Verzicht des Gläubigers auf die (werthaltige) Sicherheit oder auf einer Vereinbarung mit dem Gesellschafter beruht4. Bei einem Prozessvergleich wird man die Erfolgsaussichten der Klage und eines etwaigen Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen haben. c) Analoge Anwendung des § 143 Abs. 3 InsO auf Doppelsicherheiten aa) Wahlrecht des Gläubigers 2.153 Stellt nicht nur der Gesellschafter, sondern auch die Gesellschaft eine Sicherheit für die Forderung, hat der Gläubiger die freie Wahl, aus welchem Sicherungsrecht er zuerst vorgeht5. § 44a InsO regelt nur die Frage, in welcher Höhe der Gläubiger eine Insolvenzforderung im Gesellschaftsinsolvenzverfahren anmelden kann, betrifft aber nicht die Frage, ob der Gläubiger eine vom Gesellschafter gestellte Si1 Im Ergebnis auch Spliedt, ZIP 2008, 149, 155 f. Für Doppelberücksichtigung dagegen Gehrlein, BB 2008, 846, 852. 2 Thiessen in Bork/Schäfer, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 79. 3 Karsten Schmidt, BB 2008, 1966, 1969. 4 Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 44a InsO Rz. 9. 5 Frege/Nicht/Schildt, ZInsO 2012, 1961, 1962. Für eine Pflicht zum vorrangigen Zugriff auf die Gesellschaftersicherheit Karsten Schmidt, BB 2008, 1966, 1970; Thiessen in Bork/ Schäfer, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 79.

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cherheit verwerten muss, bevor er auf eine von der Gesellschaft gestellte Sicherheit zugreifen kann. bb) Vorgehen des Gläubigers aus Gesellschaftssicherheit Geht der Dritte zuerst gegen die Gesellschaft vor – nämlich aus der Sicherheit –, 2.154 ist der Gesellschafter analog § 143 Abs. 3 Satz 1 InsO verpflichtet, der Gesellschaft den vom Gläubiger durch die Verwertung der Gesellschaftssicherheit erzielten Betrag zu erstatten. Zwar ist § 135 Abs. 2 InsO nicht anwendbar, da er nur Situationen erfasst, in denen die Forderung vor Verfahrenseröffnung von der Gesellschaft befriedigt wurde, es wäre aber nicht überzeugend, den Gesellschafter in der Situation der Doppelsicherheit in den vollen Genuss der Befreiungswirkung kommen zu lassen. Der BGH hat daher in seinem Urteil vom 1.12.20111 § 143 Abs. 3 Satz 1 InsO analog angewendet. Methodisch lässt die Entscheidung manche Wünsche offen2. Im Ergebnis kann man mit ihr leben, weil sie sowohl die Interessen des Dritten wahrt, dem aus dem Nachrang des Ausgleichsanspruchs des Gesellschafters keine Nachteile erwachsen sollen, als auch die der Masse, die auch in dieser Konstellation Regress beim Gesellschafter nehmen kann3. cc) Konsequenzen in der Doppelinsolvenz Das Konzept ermöglicht auch in der Doppelinsolvenz von Gesellschaft und Ge- 2.155 sellschafter – nicht selten in Konzernsituationen – ein überzeugendes Ergebnis, denn der Anspruch ist in der Insolvenz des Gesellschafters eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO4. Der Anspruch aus § 143 Abs. 3 InsO trägt bereicherungsrechtliche Züge, in dem Sinn, dass die Masse des Gesellschafters ungerechtfertigt dadurch bereichert wurde, dass die Haftung des Gesellschaftervermögens für die Gesellschaftsschuld erloschen ist. Der Gesellschafter erlangt etwas – nämlich Befreiung von der durch seine Sicherheit begründeten Haftung –, das ihm insolvenzrechtlich nicht zusteht. Den bereicherungsrechtlichen Charakter des Anspruchs bestätigt auch die Verweisung des § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO. 6. Gebrauchsüberlassungen durch Gesellschafter (§ 135 Abs. 3 InsO) Das MoMiG hat das Recht der Nutzungsüberlassung in § 135 Abs. 3 InsO grund- 2.156 legend neu geregelt5. Nach § 135 Abs. 3 InsO kann der Gesellschafter in der Insolvenz der Gesellschaft solche Gegenstände nicht aussondern, die er der Gesellschaft vor Verfahrenseröffnung überlassen hatte und die für die Fortführung des Unternehmens von erheblicher Bedeutung sind6. Diese Aussonderungssperre 1 BGH v. 1.12.2011 – IX ZR 11/11, BGHZ 192, 9 = GmbHR 2012, 86 = ZIP 2011, 2417 Rz. 18 ff. So zuvor schon OLG Hamm v. 7.4.2011 – I-27 U 94/10, ZIP 2011, 1226; Neußner in Graf-Schlicker, § 44a InsO Rz. 10. 2 Mikolajczak, ZIP 2011, 1285, 1290. 3 Zu Problemen in grenzüberschreitenden Verfahren Frege/Nicht/Schildt, ZInsO 2012, 1961, 1965 f. 4 Mit etwas anderer Begründung Mikolajczak, ZIP 2011, 1285, 1291. 5 Karsten Schmidt, NJW 2015, 1057, 1058. Zum alten Recht vgl. die ausführliche Darstellung in der 4. Auflage sowie Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 30. 6 Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 57; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 32.

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währt höchstens ein Jahr ab Verfahrenseröffnung und verschafft dem Verwalter für diese Zeit ein (entgeltliches) Nutzungsrecht. Der BGH hat in einem Urteil vom 29.1.2015 wesentliche Orientierungspunkte für den Umgang mit dem neuen Recht markiert und dabei die Beschränkung der Rechte des Gesellschafters aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht abgeleitet1. Die hier interessierenden ersten drei Leitsätze des Urteils lauten: 1. Nach Wegfall des Eigenkapitalersatzrechts besteht kein Anspruch des Insolvenzverwalters auf unentgeltliche Nutzung von Betriebsanlagen, die der Gesellschafter seiner Gesellschaft vermietet hat. 2. Eine Aussonderungssperre kann in der Insolvenz einer Gesellschaft auch gegenüber einem mittelbaren Gesellschafter geltend gemacht werden. Das hierfür zu entrichtende Nutzungsentgelt bemisst sich nach dem Durchschnitt des im letzten Jahr vor Stellung des Insolvenzantrages anfechtungsfrei tatsächlich Geleisteten. Eine Aussonderungssperre scheidet aus, wenn der Überlassungsvertrag fortwirkt und der Gesellschafter gegenüber dem Insolvenzverwalter keine Aussonderung verlangen kann.( 3. Die Zahlung eines Nutzungsentgelts kann gegenüber dem Gesellschafter nicht als Befriedigung eines Darlehens, sondern nur als Befriedigung einer darlehensgleichen Forderung angefochten werden. 2.157 Schon diese Leitsätze zeigen, dass sich bei der Anwendung des neuen Rechts jede Orientierung am alten Recht verbietet2. Für Altfälle gilt, dass Erstattungsansprüche, die vor Inkrafttreten des MoMiG entstanden sind, auch in solchen Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können, die nach dem Stichtag eröffnet wurden (Rz. 2.94)3. Ansprüche auf unentgeltliche Weiternutzung des überlassenen Gegenstands kann es jedoch auch in Altverfahren nicht mehr geben4. a) Voraussetzungen der Aussonderungssperre 2.158 Die Voraussetzungen der Aussonderungssperre entsprechen denen für Gesellschafterdarlehen. Das Kleinbeteiligtenprivileg des § 39 Abs. 5 InsO (Rz. 2.104) ist zu berücksichtigen5. § 135 Abs. 3 InsO ist auch auf gesellschaftergleiche Dritte i.S. von § 39 Abs. 1 Nr. 5 2. Alt. InsO anwendbar6. Dass in § 135 Abs. 3 InsO der Verweis auf „wirtschaftlich entsprechende“ Rechtshandlungen fehlt, ist ein gesetzgeberisches Versehen. Eine analoge Anwendung ist geboten, wenn ein von dem Dritten hypothetisch gewährtes Darlehen einem Gesellschafterdar-

1 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NJW 2015, 1109 = GmbHR 2015, 420 Rz. 54. Ausführlich zu dieser Entscheidung Karsten Schmidt, NJW 2015, 1057 ff. 2 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NJW 2015, 1109 = GmbHR 2015, 420 Rz. 38 ff. 3 Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 Rz. 49. 4 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 29. 5 Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 48. Rechtspolitisch kritisch Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 34. 6 Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 55; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 36; T. Fleischer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 135 InsO Rz. 10.

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lehen gleichzustellen wäre1. Daher ist die Vorschrift auch gegenüber einem Dritten anzuwenden, der den Gegenstand innerhalb der Jahresfrist von einem Gesellschafter (oder einem gesellschaftergleichen Dritten) erworben hat. Die Aussonderungssperre betrifft nur solche Gegenstände, die für die vom Ver- 2.159 walter beabsichtigte Fortführung des Unternehmens von erheblicher Bedeutung sind. Paradigma ist das Betriebsgrundstück, in Betracht kommen aber auch Nutzungsrechte an Immaterialgüterrechten oder bestimmte Maschinen und Werkzeuge. Maßgeblich ist – wie bei § 21 Abs. 1 Nr. 5 InsO –, ob der Betriebsablauf ohne die Verfügbarkeit des zuvor überlassenen Gegenstands nicht unerheblich gestört würde. Nicht entscheidend ist, ob und zu welchen Kosten ein dem überlassenen Gegenstand funktional entsprechender Gegenstand von dritter Seite beschafft werden könnte2. Es genügt, wenn es im Falle des Entzugs des überlassenen Gegenstands aus betrieblichen Gründen sinnvoll wäre, einen Ersatz zu beschaffen, weil sonst die Fortführung nicht unerheblich beeinträchtigt würde. Darlegungs- und beweisbelastet ist insoweit der Verwalter3. § 135 Abs. 3 InsO ist nur anwendbar, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft 2.160 den Gegenstand vor Verfahrenseröffnung tatsächlich zur Nutzung überlassen hat, so dass die Gesellschaft den Gegenstand bereits vor der Verfahrenseröffnung nutzen konnte. Entscheidend ist die faktische vorinsolvenzliche Nutzungsmöglichkeit durch die Gesellschaft. Wurde zwar vor Verfahrenseröffnung ein Mietvertrag geschlossen, die Mietsache der Gesellschaft aber noch nicht überlassen, so ist § 135 Abs. 3 InsO unanwendbar, da ein etwaiges Aussonderungsrecht noch nicht entstanden ist4. Wurde die Nutzungsmöglichkeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet, kann diese Rechtshandlung nach §§ 132–134 InsO anfechtbar sein5. Die Deckungsanfechtung kommt nicht in Betracht, da der Gesellschafter mit seinem Rückforderungsanspruch hinsichtlich des überlassenen Gegenstands kein Insolvenzgläubiger gewesen wäre6. b) Rechtsfolgen aa) Nutzung für die Masse oder Rückgabe Der Verwalter kann wählen, ob er das Aussonderungsbegehren des Gesellschaf- 2.161 ters zurückweist und den Gegenstand im Rahmen der Fortführung des Unternehmens nutzt, oder ob er den Gegenstand herausgibt und so das andernfalls zu zahlende Nutzungsentgelt spart. Dieses Wahlrecht aus § 135 Abs. 3 InsO ist von dem 1 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NJW 2015, 1109 = GmbHR 2015, 420 Rz. 48; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 36; Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 56; Rühle, ZIP 2009, 1358, 1365; Hirte in Uhlenbruck, § 135 InsO Rz. 21; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 135 InsO Rz. 61; Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 503; a.A. Spliedt, ZIP 2009, 149, 156. 2 Anders Bitter, ZIP 2010, 1, 12. 3 Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 135 InsO Rz. 76. 4 Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 51. 5 Rühle, ZIP 2009, 1358, 1364. 6 A.A. Schäfer, NZI 2010, 505, 507; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 135 InsO Rz. 55.

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Wahlrecht aus §§ 103 ff. InsO zu unterscheiden: § 135 Abs. 3 InsO ist als Aussonderungssperre zu verstehen. Die Anwendung der Vorschrift setzt also einen durchsetzbaren, zur Aussonderung berechtigenden Anspruch des Gesellschafters voraus. An einem solchen fehlt es, wenn der Verwalter im Rahmen von §§ 103 ff. InsO die Erfüllung gewählt hat oder das Nutzungsrecht trotz der Verfahrenseröffnung ohnehin fortbesteht (§ 108 InsO)1. In diesem Fall hat der Verwalter das vertraglich geschuldete Entgelt als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO) zu zahlen, § 135 Abs. 3 Satz 1 und 2 InsO finden keine Anwendung2. Der gesamte Mechanismus des § 135 Abs. 3 InsO ist nur dann anwendbar, wenn entweder die Nutzungsüberlassung ohne vertragliche Grundlage erfolgte (so dass deswegen die §§ 103 ff. InsO nicht anwendbar sind) oder das Nutzungsrecht infolge der Erfüllungsablehnung (§ 103 Abs. 2 InsO) oder Kündigung (§ 109 Abs. 1 InsO) seitens des Verwalters erloschen ist3. Der Verwalter verhält sich somit keineswegs widersprüchlich, wenn er beispielsweise für die insolvente Lizenznehmerin die Erfüllung eines Lizenzvertrages nach § 103 Abs. 2 InsO ablehnt, aber zugleich von der Option aus § 135 Abs. 3 InsO gegenüber der Lizenzgeberin/Gesellschafterin Gebrauch macht. Ein derartiges Verhalten ist insbesondere dann sinnvoll, wenn das nach § 135 Abs. 3 InsO zu zahlende Nutzungsentgelt niedriger ist als die vertraglich vereinbarte Vergütung oder der auf dem Markt für die Lizenz zu zahlende Preis4. 2.162 Entscheidet sich der Verwalter dafür, den Gegenstand zu nutzen und verweigert er entsprechend die Erfüllung des Aussonderungsanspruchs, entsteht ein gesetzliches Schuldverhältnis, kraft dessen der Verwalter den massefremden Gegenstand für maximal ein Jahr ab Verfahrenseröffnung nutzen darf. Der Gesellschafter kann im Gegenzug einen gesetzlichen Ausgleichsanspruch geltend machen. Gesellschafter und Verwalter können das gesetzliche Nutzungsverhältnis durch ein vertragliches ersetzen und so auch die Nutzung über den Jahreszeitraum hinaus ermöglichen. bb) Der Ausgleichsanspruch des Gesellschafters bei Nutzung durch den Verwalter 2.163 Der Ausgleichsanspruch nach § 135 Abs. 3 Satz 2 InsO ist eine Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO)5. Nach dem Wortlaut des Gesetzes bestimmt sich seine Höhe nach dem Durchschnitt der Zahlungen in den letzten zwölf Monaten vor Verfahrenseröffnung. Die Phase nach der Stellung des Insolvenzantrags (sog. Eröffnungsverfahren) wäre danach in die Berechnung einzubeziehen. Der BGH und die h.M. gehen allerdings davon aus, dass es sich bei der Formulierung um 1 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NJW 2015, 1109 Rz. 57 ff.; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 135 InsO Rz. 56. Ansprüche des Gesellschafters nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind Masseverbindlichkeiten, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist ebenso unanwendbar wie § 135 Abs. 3 Satz 2 InsO. 2 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NJW 2015, 1109 Rz. 58. 3 OLG Hamm v. 21.11.2013 – 18 U 145/12, ZInsO 2014, 243, 245; Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 51; a.A. Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 92 Rz. 507. 4 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 40. 5 Gehrlein in Münchener Kommentar zur InsO, § 135 Rz. 49.

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Gebrauchsüberlassungen durch Gesellschafter

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ein Redaktionsversehen handelt und stellen daher auf die Zahlungen ab, die in den zwölf Monaten vor Antragstellung geleistet wurden1. Hierdurch erhöht sich der nach § 135 Abs. 3 Satz 2 InsO zu zahlende Betrag2, denn während des Eröffnungsverfahrens kann der vorläufige Verwalter regelmäßig die Herausgabe des überlassenen Gegenstands unter Berufung auf § 21 Abs. 1 Nr. 5 InsO verweigern und hat hierfür während der ersten drei Monate keine Nutzungsentschädigung zu zahlen, sondern nur einen durch die Nutzung eingetretenen Wertverlust auszugleichen. Hält man diesen Zeitraum entgegen dem Wortlaut des Gesetzes für irrelevant, ergibt sich ein höherer Durchschnittsbetrag. Das für diese Berechnung angeführte Argument, dass es auch sonst im Anfechtungsrecht auf den Zeitraum vor Antragstellung ankomme3, überzeugt nicht, weil § 135 Abs. 3 InsO nichts mit einer Anfechtung zu tun hat, sondern eine Aussonderungssperre normiert. Überzeugender ist das Argument, dass die gesellschaftsrechtliche Treupflicht – die die Legitimationsgrundlage des § 135 Abs. 3 InsO bildet – keine insolvenzrechtlichen Sonderopfer des Gesellschafters zu rechtfertigen vermag4. Insofern ist es plausibel, Nichtzahlungen infolge der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs nicht zu berücksichtigen. Maßgeblich sind die konkret gezahlten Beträge und nicht das vereinbarte Nut- 2.164 zungsentgelt. Zu berücksichtigen sind jedoch nur solche Zahlungen, die dem Gesellschafter haftungsrechtlich tatsächlich zustanden5. Hat die Gesellschaft ein überhöhtes Nutzungsentgelt gezahlt, kann die Vereinbarung nach § 132 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar sein, so dass nur ein nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zu berechnender Wertersatz anzurechnen ist. Im Übrigen kommt nach allgemeinen Regeln grundsätzlich auch die Deckungsanfechtung entsprechender Zahlungen in Betracht6. Bei angemessenem Entgelt wird die Deckungsanfechtung jedoch am Bargeschäftsprivileg scheitern7. Zahlungen von Nutzungsentgelt an einen Gesellschafter können trotz der Rege- 2.165 lung in § 135 Abs. 3 InsO der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns entsprechen, so dass der Geschäftsführer nicht nach § 64 Satz 1 GmbHG zur Rückzahlung ver1 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NJW 2015, 1109 = GmbHR 2015, 420 Rz. 56; Preuß in Kübler/Prütting/Bork, § 135 InsO Rz. 52; Hirte in Uhlenbruck, § 135 InsO Rz. 23; Gehrlein in Münchener Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 49; G. Fischer in FS Wellensiek, 2011, S. 448; Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 330. Auf den Zeitpunkt der Anordnung einer Verfügungsbeschränkung gemäß § 21 InsO stellen ab Spliedt, ZIP 2009, 149, 157; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 135 InsO Rz. 70. Für eine wortlautkonforme Anwendung des Gesetzes Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 58; Bitter, ZIP 2010, 1, 12. 2 G. Fischer in FS Wellensiek, 2011, S. 443, 448. Dagegen Bitter in Scholz, Anh. § 64 GmbHG Rz. 345. 3 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NJW 2015, 1109 = GmbHR 2015, 420 Rz. 56; Hirte in Uhlenbruck, § 135 InsO Rz. 23. 4 BT-Drucks. 16/9737, S. 42, 56; BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NJW 2015, 1109 = GmbHR 2015, 420 Rz. 43. 5 Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 59; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 135 InsO Rz. 70; Bitter, ZIP 2010, 1, 11. 6 Marotzke, ZInsO 2008, 1281, 1286; Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 330; Thiessen in Bork/ Schäfer, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 91; a.A. Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 48. 7 Habersack, ZIP 2007, 2145, 2150; G. Fischer in FS Wellensiek, 2011, S. 443, 449.

Brinkmann

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2.166

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

pflichtet ist1. Die Gegenansicht stellt darauf ab, dass Zahlungen an den Gesellschafter, die in der Insolvenz (vom Geschäftsführer) zu erstatten sind, keine Masseverbindlichkeit der Gesellschaft begründen können2. Diese Ansicht ist abzulehnen, weil aus ihr widersprüchliche Pflichten des Geschäftsführers resultieren: Einerseits muss er an den Gesellschafter das Nutzungsentgelt zahlen, um der Gesellschaft die Nutzungsmöglichkeit zu erhalten, andererseits muss er fürchten, dass er die Zahlungen nach § 64 Satz 1 GmbHG zu erstatten hat. cc) Vorrang von Absonderungsrechten Dritter 2.166 Absonderungsrechte Dritter an einem überlassenen Gegenstand, die Forderungen des Dritten gegen den Gesellschafter sichern, haben Vorrang vor dem Nutzungsrecht des Verwalters3. Daher kann ein Grundpfandgläubiger das vom Gesellschafter der Gesellschaft überlassene Betriebsgrundstück unbelastet von dem Nutzungsrecht verwerten, denn das Nutzungsrecht endet im Moment der Beschlagnahme zu Gunsten des Grundpfandgläubigers4. Es begründet kein dingliches Recht an der überlassenen Sache. Ist auch der Gesellschafter insolvent, endet das Nutzungsrecht analog § 110 InsO mit Ablauf des Monats, welcher der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Gesellschafters folgt5. 2.167–2.200

vacat

IV. Eingriffe in Organisation und Struktur 1. Auswechselung und Abfindung von Geschäftsführern in der Unternehmenskrise a) Abberufung, Kündigung und Auswechselung 2.201 Die Analysen der Insolvenzursachen bei der GmbH zeigen seit vielen Jahren, dass der Unternehmenszusammenbruch oftmals auf innerbetrieblichen Schwachstellen, nicht selten sogar persönlichem Verschulden der Geschäftsführer beruht6. 1 Karsten Schmidt, ZIP 2010 Beilage Nr. 39, S. 15, 25; Karsten Schmidt, NJW 2015, 1057; 1060; Thiessen in Bork/Schäfer, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 90; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 48. 2 Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 59. 3 Hirte in Uhlenbruck, § 135 InsO Rz. 22; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 135 InsO Rz. 40. 4 Für das alte Recht BGH v. 7.12.1998 – II ZR 382/96, BGHZ 140, 147 = GmbHR 1999, 175 = ZIP 1999, 65. Zu Recht für die Fortführung dieser Rechtsprechung Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 60; Preuß in Kübler/Prütting/Bork, § 135 InsO Rz. 38; jetzt auch Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 135 InsO Rz. 62; a.A. Neußner in Graf-Schlicker, § 135 InsO Rz. 38; Göcke/Henkel, ZInsO 2009, 170, 172. 5 Thiessen in Bork/Schäfer, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 92. Zum alten Recht BGH v. 28.4. 2008 – II ZR 207/06, GmbHR 2008, 761 = ZIP 2008, 1176, 1177. 6 Zu den sog. endogenen Krisenursachen vgl. WP-Hdb. 2014 Bd. II Kap. I Rz. 28; Heß, Sanierungshandbuch, Kap. 2 Rz. 41; Reske/Brandenburg/Mortsiefer, Insolvenzursachen mittelständischer Betriebe – Eine empirische Studie, Nr. 70 der Schriften zur Mittel-

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Brinkmann und Uhlenbruck

Auswechselung/Abfindung von Geschäftsführern

2.202

Demgemäß besteht in der Krise der Gesellschaft oftmals die Notwendigkeit, die Geschäftsführung schnellstens auszuwechseln, die Anstellungsverträge zu kündigen und neue Geschäftsführer einzusetzen, um ein Vertrauen bei Banken und Lieferanten wieder herzustellen und sicherzustellen, dass die Anordnung einer beabsichtigten oder beantragten Eigenverwaltung den Umständen nach keine nachteiligen Auswirkungen auf die Gläubigerinteressen befürchten lässt (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Vor allem bei Großinsolvenzen werden in zunehmendem Maße renommierte Insolvenzfachleute (Insolvenzverwalter oder Sanierungsberater) in den Vorstand oder in die Geschäftsführung des Krisenunternehmens eingewechselt1. Der Sanierungs-Geschäftsführer vereinigt in sich die Kompetenz des Sanierungsberaters und die Organ-Verantwortung des Interimsmanagers2. Zu unterscheiden ist zwischen der Organstellung und dem Anstellungsverhältnis 2.202 eines Geschäftsführers3. Der „wichtige Grund“ für die Abberufung nach § 38 Abs. 2 GmbHG ist nicht notwendig auch ein „wichtiger Grund“ für die Kündigung des Anstellungsverhältnisses nach § 626 Abs. 1 BGB (dazu unten Rz. 2.206). standsforschung; H. Keiser, Betriebswirtschaftliche Analyse von Insolvenzen bei mittelständischen Einzelhandlungen, 1966, S. 99 ff.; Niering/Hillebrand, Wege durch die Unternehmenskrise, 3. Aufl. 2012, S. 67; Kihm in Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen: Ursachen – Sanierungskonzepte – Krisenvorsorge – Steuern, 2006, Rz. 47 ff.; Zöller, ebd., Rz. 14; Zabel in Kübler, HRI, § 4 Rz. 36 ff.; Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 32 ff.; Bertl, Insolvenzursachen – Insolvenzprophylaxe – IRÄG, in Bertl, Insolvenz – Sanierung – Liquidation, Wien 1998, S. 1 ff.; H.-G. Kantner, Die nationale und internationale Insolvenzentwicklung, in B. Feldbauer-Durstmüller/Schlager, Krisenmanagement – Sanierung – Insolvenz, Wien 2002, S. 1289, 1291, 1320; Krystek, Krisenarten und Krisenursachen, in Hutzschenreuter/Griess-Nega, Krisenmanagement, 2006, S. 41, 51 ff. 1 S. AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, ZInsO 2002, 1046, 1047; AG Köln v. 22.8. 2005 – 71 IN 426/05, ZInsO 2005, 1006, 1008; Görg, Grundzüge der finanziellen Restrukturierung der Philipp Holzmann AG im Winter 1999/2000, in FS Uhlenbruck, 2000, S. 117, 123 f.; Görg/Stockhausen, Eigenverwaltung für Großinsolvenzen?, in FS Metzeler, 2003, S. 105, 111 f.; Specovius, Die Rolle des Sanierungsgeschäftsführers im Rahmen einer Eigenverwaltung mit dem Ziel der Sanierung über ein Insolvenzplanverfahren, S. 23; Hommel in Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 104; Wuschek, ZInsO 2012, 110, 111; Thiele, ZInsO 2015, 877 ff. u. 977 ff.; Bierbach in Kübler, HRI, § 11 Rz. 178 ff.; Uhlenbruck in FS Kirchhof, 2003, S. 499; Uhlenbruck, GmbHR 2005, 817, 825; Uhlenbruck, NJW 2002, 3219, 3220; Linkert in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 9 Rz. 20 f.; Fiebig in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 270 InsO Rz. 22 ff.; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 270 InsO Rz. 44; kritisch Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, vor §§ 270 ff. InsO Rz. 7; Frind, ZInsO 2002, 745, 752. 2 Zutr. Loeber/Weniger, Der Sanierungs-Geschäftsführer in der Unternehmenskrise, KSI 2008, 53. S. auch Linkert in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 9 Rz. 20 ff.; Thiele, ZInsO 2015, 877 ff. u. 977 ff. Zur Organaußenhaftung analog §§ 60, 61 InsO s. Mönning in FS Kübler, 2015, S. 431 ff. u. Kebekus/Zenker in FS Kübler, S. 331 ff. 3 Vgl. BGH v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, ZIP 2011, 122, 123 Rz. 7 = GmbHR 2011, 82; BGH v. 28.10.2002 – II ZR 146/02, GmbHR 2003, 100, 101 m. Komm. Haase, Haase, GmbHR 2012, 614; Jacoby in Bork/Schäfer, § 35 GmbHG Rz. 13 u. § 38 GmbHG Rz. 8; Moll in FS Schwerdtner, 2003, S. 453, 545 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 GmbHG Rz. 25; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 32–36a; Hoffmann/Liebs, Der GmbH-Geschäftsführer, Rz. 265 ff. S. 118 ff.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 5.

Uhlenbruck

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2.203

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

Die organschaftliche Stellung und der Anstellungsvertrag können jeweils unterschiedliche rechtliche Schicksale haben1. Aus der rechtlichen Trennung folgt, dass beide Rechtsverhältnisse (Organ- und Anstellungsverhältnis) nach den jeweiligen dafür geltenden Vorschriften beendet werden. 2.203 Mangels gesellschaftsvertraglicher anderer Regelung ist für die Abberufung eines Geschäftsführers grundsätzlich die Gesellschafterversammlung zuständig (§ 46 Nr. 5 GmbHG)2. Das gilt nicht nur für die Organstellung, sondern auch für sonstige Eingriffe in den Geschäftsführervertrag3. Während die Abberufung von Geschäftsführern gemäß § 46 Nr. 5 GmbHG grundsätzlich durch Gesellschafterbeschluss erfolgt, wird diese Befugnis bei der mitbestimmten GmbH vom Aufsichtsrat wahrgenommen (§ 31 MitbestG)4. Grundsätzlich sind im Fall eines wichtigen Grundes alle Gesellschafter verpflichtet, aufgrund ihrer Treuepflicht einer Abberufung zuzustimmen5. Die Satzung kann aber auch das Recht zur Abberufung einem einzelnen Gesellschafter anvertrauen6. Bei der GmbH & Co. KG hat die KG in der Regel keinen Einfluss auf die Abberufung des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH7. 2.204 Trotz Abberufung, Suspendierung oder Kündigung bleibt der GmbH-Geschäftsführer gemäß §§ 101, 97, 98 InsO in einem binnen zweier Jahre beantragten Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH auskunftspflichtig hinsichtlich aller das Verfahren betreffender Verhältnisse, auch wenn er selbst sein Amt niedergelegt hat. Der abberufene Geschäftsführer hat bei fortbestehendem Anstellungsverhältnis keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung in einer seiner früheren Tätigkeit vergleichbaren leitenden Funktion8.

1 BGH v. 14.2.2000 – II ZR 218/98, ZIP 2000, 667 = GmbHR 2000, 431; BGH v. 23.1.2003 – IX ZR 39/02, ZIP 2003, 485 = GmbHR 2003, 472; Jacoby in Bork/Schäfer, § 35 GmbHG Rz. 13 u. § 38 GmbHG Rz. 8, 9; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 180. 2 Vgl. Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 20; Florian Jacoby in Bork/Schäfer, § 38 GmbHG Rz. 10 ff. Zu den „Trittbrettfahrern“ s. Schöne, ZIP 2015, 501 ff. 3 Vgl. nur BGH v. 8.1.2007 – II ZR 267/05, GmbHR 2007, 606,607; Karsten Schmidt in Scholz, § 46 GmbHG Rz. 70. 4 Vgl. Ulmer/Habersack/Henssler, § 31 MitbestG Rz. 5 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 46 GmbHG Rz. 24; Binz/Sorg, GmbH & Co. KG, 11. Aufl. 2010, § 14 Rz. 7; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 38 GmbHG Rz. 8. 5 Vgl. Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 20; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 11, 12. 6 Uwe H. Schneider/Sven Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 23. 7 Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 21. Aufl. 2016, Rz. 4.24; Jacoby in Bork/Schäfer, § 38 GmbHG Rz. 14 m. Angabe abw. Meinungen. S. auch OLG München v. 19.11.2003 – 7 U 4505/03, GmbHR 2004, 587. 8 BGH v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, ZIP 2011, 122 f.; Hess, Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2013, § 113 InsO Rz. 122; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 39 GmbHG Rz. 101; KotheHeggemann/Schelp, GmbHR 2011, 75 ff.; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 75 ff.

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Uhlenbruck

Auswechselung/Abfindung von Geschäftsführern

2.208

b) Kündigung und Abberufung mit oder ohne wichtigen Grund Nach § 38 Abs. 1 GmbHG ist die Bestellung eines Geschäftsführers zu jeder Zeit 2.205 widerruflich, dies jedoch unbeschadet der Entschädigungsansprüche aus bestehenden Verträgen. § 38 Abs. 1 GmbHG gilt demnach nicht für die Beendigung des Geschäftsführervertrags1. Auch für Gesellschafter-Geschäftsführer ist das freie Abberufungsrecht nicht eingeschränkt2. Etwas anderes gilt nur, wenn Treuepflichten als Mitgesellschafter einer Abberufung oder Amtsniederlegung entgegenstehen3. Anders als die Abberufung nach § 38 Abs. 1 GmbHG ist eine fristlose Kündigung 2.206 des Geschäftsführervertrags nur aus wichtigem Grund nach § 626 BGB möglich, wofür bloßer Vertrauensentzug ohne ein Verschulden nicht ausreicht4. Der wichtige Grund für eine außerordentliche Kündigung braucht nicht zwingend in der Person des Geschäftsführers zu liegen, sondern kann auch auf anderen Umständen beruhen, wie z.B. Reorganisation, Geschäftsrückgang oder Fusion5. Der Gesellschaftsvertrag kann die Abberufung von einem wichtigen Grund ab- 2.207 hängig machen (§ 38 Abs. 2 GmbHG). Solchenfalls darf der Geschäftsführer z.B. bei grober Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung bzw. Unfähigkeit zur Sanierung abberufen werden (§ 38 Abs. 2 Satz 2 GmbHG). Der Gesellschaftsvertrag kann die wichtigen Gründe nicht einschränkend konkretisieren, wohl aber bestimmte Gründe als wichtig qualifizieren, die es bei objektiver Betrachtungsweise nicht sind6. Streitig ist, ob die Überschuldung der Gesellschaft (§ 19 InsO) bzw. Verschuldung 2.208 des Geschäftsführers ein wichtiger Grund für die Abberufung ist7. Der Ver1 Statt vieler Uwe-H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 2, 33. 2 Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 18. 3 OLG Saarbrücken v. 10.10.2006 – 4 U 382/05–169, GmbHR 2007, 143, 150; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 18; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 GmbHG Rz. 2; Stephan/Tieves in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 38 GmbHG Rz. 12. 4 Vgl. hierzu Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 38 GmbHG Rz. 46 und die dort in Fn. 196 angegebene Literatur und Rechtsprechung; Altmeppen in Roth/ Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 6; Reiserer, DB 2006, 1787 ff.; Freund, GmbHR 2010, 117, 118 f. 5 Einzelheiten bei Paefgen in Großkommentar zum GmbHG, § 38 GmbHG Rz. 16, 23 ff.; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 38 GmbHG Rz. 13; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 34 ff.; Voigt, Die Entlassung des GmbH-Geschäftsführers aus wichtigem Grund, 2001, S. 99 ff.; Neu, Die Beendigung der Anstellungsverhältnisse von GmbH-Geschäftsführern, 2000, S. 71 f.; Freund, GmbHR 2010, 117. Zur fristlosen Kündigung des Dienstvertrages eines Geschäftsführers s. Lohr, NZG 2001, 826. 6 Vgl. Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 38 GmbHG Rz. 9; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 35; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 276a InsO Rz. 27 ff. S. auch Eckardt, Die Beendigung der Vorstands- und Geschäftsführerstellung in Kapitalgesellschaften, 1989, S. 96 ff. 7 Bejahend BGH v. 25.1.1960 – II ZR 207/57, WM 1960, 291; OLG Hamburg v. 27.8.1954 – 1 U 395/53, BB 1954, 978; einschränkend Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 GmbHG Rz. 21; verneinend Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 38 GmbHG Rz. 14; bejahend für die Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens OLG Stuttgart v. 26.10.2005 – 14 U 50/05, GmbHR 2006, 1258 m. Komm. Dollmann.

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2.209

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

mögensverfall eines Geschäftsführers stellt wohl nur dann einen wichtigen Grund für die Abberufung dar, wenn seine wirtschaftlichen Verhältnisse, vor allem eine Insolvenzeröffnung über sein Vermögen, eine ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben nicht mehr gewährleisten1. Ist die Zulässigkeit des Widerrufs nicht gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 GmbHG auf wichtige Gründe beschränkt, führt die freie Widerruflichkeit (§ 38 Abs. 1 GmbHG) dazu, dass im Einzelfall die Abberufung auch in der Krise aus „offenbar unsachlichen Gründen“ ausgesprochen werden kann2. c) Wichtige Gründe für eine Abberufung in der Unternehmenskrise 2.209 Die Gründe, die zur Krise der Gesellschaft geführt haben, sind oftmals wichtige Gründe i.S. von § 38 Abs. 2 GmbHG3, vor allem, wenn sie zu einem Vertrauensverlust bei den Gesellschaftern, Mitarbeitern und Geschäftspartnern geführt haben4. Ein wichtiger Grund für die Abberufung ist u.a. gegeben, wenn der Geschäftsführer pflichtwidrig oder gar schuldhaft gehandelt hat und der Gesellschaft durch dieses Verhalten ein existenzgefährdender Schaden entstanden ist5. Wichtige Gründe sind beispielsweise Fälschung von Buchungsunterlagen, langjährige Bilanzmanipulationen, Steuerhinterziehung, zerrüttete Vertrauensbasis6 sowie schuldhafte Insolvenzverschleppung (§ 15a InsO)7. Die Forderung der Hausbank, einen Geschäftsführer abzuberufen, andernfalls eine für die GmbH oder GmbH & Co. KG lebenswichtige Kreditlinie nicht verlängert werde, kann bei Insolvenzreife der Gesellschaft ein wichtiger Grund für eine Abberufung des Geschäftsführers sein8. Auf ein Verschulden kommt es nicht immer an9. Ein wichtiger Grund kann auch der Verstoß gegen § 49 Abs. 3 GmbHG (Einberufungspflicht) sein, vor allem, wenn den Gesellschaftern durch die Unterlassung rechtzeitiger Information die Möglichkeit genommen wurde, frühzeitig Sanierungsmaßnahmen ein1 Vgl. Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 48; Florian Jacoby in Bork/Schäfer, § 38 GmbHG Rz. 36. 2 Zum (einstweiligen) Rechtsschutz in Abberufungsstreitigkeiten s. Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 4 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 38 GmbHG Rz. 60 ff., 69 ff.; Terlau in Michalski, § 38 GmbHG Rz. 72 ff., 75 ff. 3 Vgl. Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 20; Florian Jacoby in Bork/Schäfer, § 38 GmbHG Rz. 10 ff. 4 Vgl. Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 39; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 GmbHG Rz. 20 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 38 GmbHG Rz. 11 ff.; Terlau/Schäfers in Michalski, § 38 GmbHG Rz. 44; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 43 ff.; Paefgen in Großkommentar zum GmbHG, § 38 GmbHG Rz. 6; Freund, GmbHR 2010, 117. 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.6.1988 – 6 U 310/87, NJW 1989, 172 = GmbHR 1988, 484; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 GmbHG Rz. 20, 21; Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 59. 6 Einzelheiten bei Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 39; Jacoby in Bork/ Schäfer, § 38 GmbHG Rz. 26 ff.; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 43, 46 mit Einzelfällen Rz. 47 ff. 7 Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 49 unter Berufung auf BGH v. 20.6.2003 – II ZR 18/03, DStR 2005, 1370. 8 So BGH v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, ZIP 2007, 119 = AG 2007, 125 für das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft. 9 Vgl. Picker, GmbHR 2011, 629 ff. (Krankheit); Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 59; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 34.

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Uhlenbruck

Auswechselung/Abfindung von Geschäftsführern

2.212

zuleiten1. Es kommt letztlich eine Vielzahl von Sachverhalten in Betracht, die sich unter Berücksichtigung der gesamten Umstände als Grund für eine Abberufung ergeben2. So kann z.B. schon der Verlust des Vertrauens von Kunden und Kreditgebern in die Person des Geschäftsführers ausreichen, selbst wenn dieser keinen Grund hierfür gesetzt hat3. Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Geschäftsführer und den Gesellschaf- 2.210 tern über schwebende, nicht ganz aussichtslose Sanierungsbemühungen und Insolvenzantragspflicht reichen für eine Abberufung ohne wichtigen Grund nach § 38 Abs. 1 GmbHG aus, sind aber nicht ohne Weiteres ein „wichtiger Grund“ nach § 38 Abs. 2 GmbHG bzw. § 626 BGB. Meint der GmbH-Geschäftsführer, wegen Vorliegens eines Insolvenzgrundes für die Gesellschaft Insolvenzantrag stellen zu müssen, so sind entgegenstehende Weisungen der Gesellschafter für ihn nicht verbindlich, denn die Insolvenzantragspflicht ist eine öffentliche Pflicht, hinsichtlich derer die Gesellschafter keine bindenden Weisungen erteilen können4. Das Einverständnis der Gesellschafter oder Gläubiger mit einer Insolvenzverschleppung lässt die Pflichten aus § 15 InsO nicht entfallen. Etwas anderes gilt bei Niederlegung des Amtes als Geschäftsführer oder Liquidator5. Der wichtige Grund für eine Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers 2.211 entscheidet bei Existenz einer entsprechenden Klausel in der Satzung zugleich auch über seinen Ausschluss als Gesellschafter6. d) Die Abberufung von Geschäftsführern mit Sonderrechten Bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer mit Geschäftsführungssonderrechten7 2.212 reicht ein wichtiger Grund allein für eine Abberufung in der Unternehmenskrise 1 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 49 GmbHG Rz. 22; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 123 ff. u. S. 151 ff.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 37; Paefgen in Großkommentar zum GmbHG, § 38 GmbHG Rz. 23. 2 Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 49b u. Einzelfälle Rz. 47 ff. 3 Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 52; anders BGH v. 25.1. 1960 – II ZR 207/57, WM 1960, 289, 292; s. auch Grunewald, Die Abberufung von Gesellschafter-Geschäftsführern in der GmbH, in FS Zöllner, 1998, S. 177; Westermann/ Pöllath, Abberufung und Ausschließung von Gesellschaftern/Geschäftsführern in Personengesellschaften und GmbH, 4. Aufl. 1988. 4 Vgl. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 84 u. § 37 GmbHG Rz. 5; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 168 f.; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 85 ff. 5 BGH v. 24.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82, 93 – GmbHR 1980, 273; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 170; Haas in Baumbach/Hueck, § 64 Rz. 3; Palzer, Fortwirkende organschaftliche Pflichten des Geschäftsführers der GmbH, 2001, S. 236. 6 Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 4. S. auch Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 432 f. u. Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 36. Zur Abberufung im eröffneten Insolvenzverfahren s. OLG Hamm v. 2.9.2014 – 27 W 97/14, GmbHR 2015, 143. 7 S. hierzu BGH v. 6.3.2012 – II ZR 6/11, ZIP 2012, 824, 826; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 Rz. 10; Tebben in Michalski, § 6 GmbHG Rz. 113; Fastrich in Baumbach/ Hueck, § 3 GmbHG Rz. 26, 45; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 41.

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2.213

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

nicht aus (§ 38 Abs. 2 GmbHG, § 35 BGB). Vielmehr ist zu prüfen, ob im Einzelfall nicht die Reduzierung auf mildere Mittel, wie z.B. Herabstufung „Zölibatsgeschäftsführer“ als Reduzierung auf die Wahrnehmung der obligatorischen Mindestaufgaben nach §§ 41, 43 Abs. 3, 49 Abs. 3, 15a Abs. 1 InsO in Betracht kommen1. Hat ein Gesellschafter ein gesellschaftsvertragliches Geschäftsführer-Sonderrecht, so muss er auch in der Krise der GmbH seiner Abberufung zustimmen. Bei Sonderrechten ist die Abberufung ohne Zustimmung nur aus besonders wichtigem Grund zulässig, wie z.B. bei Unfähigkeit, grober Pflichtverletzung2, bei Fälschung von Belegen3 oder bei Verlangen der Hausbank4. e) Formalien 2.213 Ist der abzuberufende Geschäftsführer gleichzeitig Gesellschafter, hat er bei der Beschlussfassung über eine Abberufung ohne wichtigen Grund (§ 38 Abs. 1 GmbHG) ein Stimmrecht bei der Beschlussfassung, dagegen kein Stimmrecht bei der Abberufung aus wichtigem Grund nach § 38 Abs. 2 GmbHG (§ 47 Abs. 4 GmbHG)5. Er ist aber berechtigt, gegen den Beschluss der Gesellschafterversammlung, der seine Kündigung beinhaltet, Anfechtungsklage zu erheben. Schon vor der Erhebung einer Anfechtungsklage kann ein Gesellschafter-Geschäftsführer einstweiligen Rechtsschutz gegen seine Abberufung beantragen6. 2.214 In Ausnahmefällen ist in der Abberufungserklärung zugleich auch die Kündigung des Anstellungsvertrages zu sehen7. Um Unklarheiten zu vermeiden, sollten beide Erklärungen jedoch voneinander getrennt werden. Grundsätzlich enthält 1 Vgl. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 GmbHG Rz. 10, 23; § 37 GmbHG Rz. 39; Lutter, ZIP 1986, 1196; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 34 ff., 41; Lutter in FS Schwartz, 2009, S. 271 ff.; Jacoby in Bork/Schäfer, § 38 GmbHG Rz. 27; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 38 GmbHG Rz. 19; kritisch Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 37 GmbHG Rz. 22; Terlau in Michalski, § 38 GmbHG Rz. 53. Zum Schadensersatzanspruch des Geschäftsführers bei fristloser Eigenkündigung wegen Einschränkung seiner Kompetenzen s. BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, ZIP 2012, 824 = GmbHR 2012, 638. 2 BGH v. 10.9.2001 – II ZR 1400, GmbHR 2001, 115 m. Komm. Teigelkötter. 3 Vgl. auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 38 GmbHG Rz. 12, 13; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 28 ff. 4 BGH v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, ZIP 2007, 119 = AG 2007, 125. 5 BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, GmbHR 2009, 770 m. Komm. Podewils, BGH v. 21.6. 2010 – II ZR 230/08, GmbHR 2010, 977 m. Komm. Münnich, BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, ZIP 1992, 760 = GmbHR 1992, 299. S. Eckardt/van Zwoll, Der Geschäftsführer der GmbH, 2004, 1.2.1.2 S. 35; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 45 u. § 6 GmbHG Rz. 132; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 38 GmbHG Rz. 18; Grunewald in FS Zöllner, 1998, Bd. I, S. 177, 183; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, § 38 GmbHG Rz. 17, 17a; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 38 GmbHG Rz. 30 ff. 6 Beyer, GmbHR 2001, 467; Littbarski, DStR 1994, 906; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 75 ff.; Lutz, BB 2000, 833; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 GmbHG Rz. 36 ff.; Jacoby in Bork/Schäfer, § 38 GmbHG Rz. 56 ff. 7 Vgl. OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 43, 48; Koppensteiner/ Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 38 GmbHG Rz. 31, 44, 50; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 288 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 44; Bauer/Diller, GmbHR 1998, 809, 810.

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Auswechselung/Abfindung von Geschäftsführern

2.215

die Abberufung mit sofortiger Wirkung nicht zugleich auch die Erklärung, der Anstellungsvertrag werde außerordentlich gekündigt1. In einer Kündigungserklärung ist, vor allem bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer, nicht unbedingt eine konkludente Abberufung enthalten2. Im Geschäftsführervertrag kann die Abberufung als Geschäftsführer als eine auflösende Bedingung für das Anstellungsverhältnis vereinbart werden3. Allerdings dürfen durch eine Kopplung zwischen Abberufung und Beendigung des Anstellungsvertrages die Mindestkündigungsfristen des § 622 Abs. 1 BGB nicht unterlaufen werden. Nur für den Unternehmer-Geschäftsführer gilt die kürzere Frist gemäß § 621 Nr. 3 BGB4. Die Kündigung des Fremd-Geschäftsführers durch die Gesellschaft aus wichti- 2.215 gem Grund kann auch in der Krise der GmbH nur innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis des für die außergerichtliche Kündigung maßgeblichen Sachverhalts erfolgen (§ 626 Abs. 2 BGB). Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB beginnt nicht vor der Beendigung des pflichtwidrigen Dauerverhaltens5. Die Frist für die außerordentliche Kündigung eines GmbH-Geschäftsführers beginnt erst ab Kenntnis des zuständigen Gesellschaftsgremiums vom Kündigungsgrund6. Zwar genügt dafür nach Auffassung des BGH die Verletzung des § 15a 1 So Hoffmann/Liebs, Der GmbH-Geschäftsführer, Rz. 267 sub 1. S. 120; Koppensteiner/ Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 38 GmbHG Rz. 50; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 6, 7; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 34. 2 Vgl. BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41 = AG 1981, 73; BGH v. 21.9. 1981 – II ZR 104/80, NJW 1982, 383 = AG 1982, 72 = GmbHR 1982, 133; OLG Frankfurt v. 18.2.1994 – 10 U 16/93, GmbHR 1994, 549; s. auch Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 85, 86 ff.; Freund, GmbHR 2010, 117, 118; Eckardt, Die Beendigung der Vorstands- und Geschäftsführerstellung in Kapitalgesellschaften, 1989; Voigt, Die Entlassung des GmbH-Geschäftsführers aus wichtigem Grund, 2001, S. 79 ff. 3 Vgl. BGH v. 28.5.1990 – II ZR 245/89, GmbHR 1990, 345, 346; Bauer/Diller, GmbHR 1998, GmbHR 1998, 809, 810; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 44; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 38 GmbHG Rz. 44.; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 288 ff.; Eckardt, Die Beendigung der Vorstands- und Geschäftsführerstellung in Kapitalgesellschaften, 1989, S. 147 ff.; Eckardt, AG 1989, 431 ff.; Goette, DStR 1999, 1745 f.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 45; Freund, GmbHR 2010, 117, 118. Zur Beendigung des Dienstvertrages durch Verlust der Organstellung s. OLG Saarbrücken v. 8.5.2013 – 1 U 154/12–43, GmbHR 2013, 758. 4 BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, BGHZ 79, 291, 293 = GmbHR 1981, 158; OLG Hamm v. 27.1.1992 – 8 U 200/91, ZIP 1992, 418 = GmbHR 1992, 378; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 35 GmbHG Rz. 243; Paefgen in Großkommentar zum GmbHG, § 38 GmbHG Rz. 37 f.; Schrader/Schubert, BB 2007, 1617 ff.; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 38 GmbHG Rz. 42; offen lassend Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 448; str., a.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 53 und Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 GmbHG Rz. 123, die unter Berufung auf BGHZ 91, 217, 220 § 622 BGB unabhängig von der Beteiligung oder Beherrschung anwenden. 5 So BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, NZG 2005, 1714, 1716 = GmbHR 2005, 1049 m. Komm. Haase/Sommermeyer. 6 BGH v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 = GmbHR 2013, 645 m. Komm. Brötzmann. Zur Kündigung des Geschäftsführers einer Komplementär-GmbH in der Einheits-KG s. OLG Hamburg v. 22.3.2013 – 11 U 27/12, ZIP 2013, 881 = GmbHR 2013, 580 m. Komm. Haase.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

Abs. 1 InsO (§ 64 Abs. 1 GmbHG a.F.) für sich allein nicht; maßgebend ist vielmehr, ob der Gesellschaft unter Berücksichtigung aller Umstände die Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses wegen der Pflichtverletzung nicht mehr zugemutet werden kann1. Das Nachschieben von Kündigungsgründen durch die Gesellschafter ist zulässig2. Eine vorherige Abmahnung ist nicht erforderlich3. Für eine Verdachtskündigung gelten Besonderheiten4. Offenkundige Verdachtsmomente können aber zu einer Suspendierung führen. f) Prozessfragen 2.216 Gegen einen mangels fristgerechter Anfechtung gesellschaftsrechtlich verbindlichen Abberufungsbeschluss der Gesellschafterversammlung einer GmbH kann sich ein abberufener Fremdgeschäftsführer nicht mit der allgemeinen Feststellungsklage (§ 256 ZPO), gerichtet auf Feststellung der Unwirksamkeit des Beschlusses, wehren. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Beschluss nichtig ist5. 2.217 Eine Klage ist auch in den Grenzen einer Verwirkung zulässig6. Zweifelhaft ist, welcher Rechtsweg für Klagen (ehemaliger) GmbH-Geschäftsführer gegen die Gesellschaft gegeben ist. Das BAG hat in zwei aktuellen Entscheidungen7 festgestellt, dass der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nur dann ausgeschlossen ist, wenn der Geschäftsführer noch nicht abberufen ist oder sein Amt als Geschäftsführer noch nicht niedergelegt hat8. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG und des BGH ist auch hier zu unterscheiden zwischen der Organstellung und dem zugrunde liegenden freien Dienstverhältnis. Auf letzteres finden die §§ 611 ff. BGB Anwendung, so dass es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis handelt 1 Paefgen in Großkommentar zum GmbHG, § 38 GmbHG Rz. 41, 42; Freund, GmbHR 2010, 117, 119. 2 BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, NZG 2005, 714, 716 = ZIP 2005, 1365, 1367 = GmbHR 2005, 1049 m. Komm. Haase/Sommermeyer, BGH v. 25.6.1979 – II ZR 219/78, BGHZ 75, 209, 211 = GmbHR 1980, 27; Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 127; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 43; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 63; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 35 GmbHG Rz.235. 3 BGH v. 2.7.2007 – II ZR 71/06, GmbHR 2007, 936 ff. = AG 2007, 699; BGH v. 14.2.2000 – II ZR 218/98, GmbHR 2000, 431; BGH v. 10.9.2010 – II ZR 14/00, GmbHR 2001, 1158; Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 462–464; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 61a; Uwe H. Schneider, GmbHR 2003, 1 ff.; Freund, GmbHR 2010, 117, 118. 4 BAG v. 10.9.2005 – 2 AZR 189/04, NZA 2015, 1056 f.; Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 479; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 38 GmbHG Rz. 48; Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 161, 163; J. Koch, ZIP 2005, 1621 ff.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 72; str., a.A. OLG Celle v. 5.3.2003 – 9 U 111/02, GmbHR 2003, 773; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 35 GmbHG Rz. 220; Teigelkötter, GmbHR 2001, 1160 f. 5 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426; OLG Stuttgart v. 19.12.2012 – 14 U 10/12, GmbHR 2013, 414. S. auch Freund, GmbHR 2010, 117, 122. 6 Vgl. Freund, GmbHR 2010, 117, 122. Zum einstweiligen Rechtsschutz im GmbHRecht s. Liebscher/Alles, ZIP 2015, 4 ff. 7 BAG v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14, GmbHR 2015, 27 m. Komm. Pröpper, BAG v. 3.12. 2014 – 10 AZB 98/14, GmbHR 2015, 250 m. Komm. Haase. 8 Vgl. Graef/Heilemann, Das Bundesarbeitsgericht und der GmbH-Geschäftsführer – eine Rechtsprechungsanalyse, GmbHR 2015, 225 ff.

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Auswechselung/Abfindung von Geschäftsführern

2.220

mit der Folge, dass die ordentlichen Gerichte zuständig sind1. Mit der Beendigung des der Organbestellung zu Grunde liegenden Dienstverhältnisses wird dieses nicht etwa automatisch zum Arbeitsverhältnis2. Nach wie vor ist rechtlich nicht abschließend geklärt, welcher Rechtsweg in wel- 2.218 chen Fällen bei Klagen gekündigter Geschäftsführer gegeben ist3. Für einen Rechtsstreit zwischen dem Vertretungsorgan und der juristischen Person ist trotz der Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben, wenn die Klagepartei Ansprüche aus einem auch während der Zeit als Geschäftsführer nicht aufgehobenen Arbeitsverhältnis nach Abberufung als Organmitglied geltend macht4. Nach Auffassung des BAG5 ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen auch dann gegeben, wenn ein Geschäftsführer erst nach Zustellung einer Kündigungsschutzklage abberufen wird, sofern nicht vorher eine rechtskräftige Entscheidung über die Rechtswegzuständigkeit ergeht. Ob der Geschäftsführer gegen seine Abberufung Rechtsschutz im Wege der einst- 2.219 weiligen Verfügung suchen kann, ist umstritten6. Mit dem Zugang der Abberufungserklärung wird die Abberufung wirksam, so dass die Geschäftsführungsbefugnisse erlöschen. Vor allem im Hinblick auf die Insolvenzantragspflicht (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO), die keinen Aufschub duldet, genießt ein abberufener Geschäftsführer nur beschränkten Rechtsschutz. Etwas anderes gilt aber, wenn einem abberufenen Geschäftsführer Sonderrechte zustehen oder wenn er einen wesentlichen Gesellschaftsanteil hält7. Die Rechtsprechung lässt in diesen Fällen weitgehend einstweiligen Rechtsschutz zu8. Besteht Streit über die Wirksamkeit der Abberufung eines GmbH-Geschäftsfüh- 2.220 rers, kann durch einstweilige Verfügung ein Tätigkeitsverbot und ein Verbot der Ausübung der Organtätigkeit ausgesprochen werden, wenn glaubhaft gemacht ist, dass wichtige Gründe für eine sofortige Abberufung des Geschäftsführers vorlagen und die Abberufung wirksam beschlossen worden ist9.

1 Vgl. BGH v. 8.1.2007 – II ZR 267/05, GmbHR 2007, 606; BAG v. 21.2.1994 – 2 AZB 28/93, GmbHR 1994, 547. 2 BGH v. 8.1.2007 – II ZR 267/05, GmbHR 2007, 606. 3 Vgl. auch Hützen, EWiR 5/2015, S. 163 f.; vgl. auch BAG v. 10.12.1996 – 5 AZB 20/96, ZIP 1997, 690. 4 BAG v. 26.10.2012 – 10 AZB 60/12, ZIP 2013, 335 = GmbHR 2013, 83 m. Komm. Haase. 5 BAG v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14, GmbHR 2015, 27 = NZA 2015, 60. 6 Vgl. Heller, GmbHR, 2002, 1227, 1231; Littbarski, DStR 1994, 906; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, § 38 GmbHG Rz. 36 ff.; Freund, GmbHR 2010, 117, 122; Jacoby in Bork/ Schäfer, § 38 GmbHG Rz. 52 ff., Rz. 56, 57. 7 Einzelheiten bei Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 72 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 GmbHG Rz. 36 ff.; Jacoby in Bork/Schäfer, § 38 GmbHG Rz. 52 ff. 8 BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 183 = GmbHR 1983, 149; OLG Hamm v. 7.10.1992 – 8 U 75/92, GmbHR 1993, 743; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 78. 9 OLG München v. 10.12.2012 – 23 U 4354/12, GmbHR 2013, 714; OLG München v. 17.1.2013 – 23 U 4421/12, GmbHR 2013, 369.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

g) Amtsniederlegung in der Unternehmenskrise 2.221 Die Niederlegung des Geschäftsführeramtes ist grundsätzlich auch in der Unternehmenskrise zulässig und sofort wirksam, wenn nicht ein Fall des Rechtsmissbrauchs oder eine Niederlegung zur Unzeit gegeben ist1. Selbst die Amtsniederlegung des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers im eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft ist nur dann missbräuchlich, wenn kein neuer Geschäftsführer bestellt wird2. Letztlich beurteilt sich die Frage, ob eine Amtsniederlegung in der Unternehmenskrise zur Unzeit erfolgt oder missbräuchlich ist, nach einer sorgfältigen Abwägung der Interessen der Gesellschaft und des Gläubigerschutzes. Eine missbräuchliche Amtsniederlegung zur Unzeit liegt entgegen früher vertretenen Auffassungen3 nicht schon dann vor, wenn die GmbH durch die Niederlegung geschäftsführerlos wird oder wenn sich der Geschäftsführer hierdurch seinen verfahrensrechtlichen Pflichten zu entziehen sucht, denn der MoMiG-Gesetzgeber hat dem durch die Regelungen in den § 35 Abs. 1 GmbHG, §§ 10, 15 Abs. 1, 15a Abs. 3, 20, 101 Abs. 1 Satz 2, 3 InsO vorgebeugt4. Allerdings kann sich ein Geschäftsführer durch Abberufung oder Amtsniederlegung nicht der Verantwortung für begangene Pflichtverletzungen entziehen5. 2.222 Der Geschäftsführer sollte trotz seines weitgehenden Rechts zur Amtsniederlegung triftige Gründe anführen, um dem Vorwurf einer organschaftlichen Treuepflichtverletzung zu entgehen. Aufgrund seiner Treuepflicht kann insbesondere ein niederlegender Gesellschafter-Geschäftsführer verpflichtet sein, für Notmaßnahmen Sorge zu tragen6. Der ausgeschiedene Geschäftsführer ist z.B. verpflichtet, seine Mitgeschäftsführer oder seinen Nachfolger im Amt über die Insolvenzantragspflicht zu informieren. Nicht dagegen muss er sie zur Stellung eines Insolvenzantrages anhalten7. Ein Geschäftsführer verletzt jedenfalls seine aus dem Anstellungsvertrag resultierende Treuepflicht, wenn er sein Amt innerhalb der ge1 Vgl. Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 90; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 83; Link, Die Amtsniederlegung durch Gesellschaftsorgane, 2003, S. 159 ff.; Haas/Hossfeld in Gottwald, InsolvenzrechtsHandbuch, § 92 Rz. 141; Uhlenbruck, NZI 2002, 401, 403. 2 So zutr. OLG Frankfurt v. 11.11.2014 – 20 W 317/11, GmbHR 2015, 363. S. auch OLG Düsseldorf v. 6.12.2000 – 3 Wx 393/00, GmbHR 2001, 144; OLG München v. 16.3.2011 – 31 Wx 69/11, BB 2011, 1105 u. v. 29.5.2012 – 31 Wx 188/12, DNotZ 2012, 795. 3 Vgl. Trölitzsch, GmbHR 1995, 857, 859 f.; Uhlenbruck, NZI 2002, 401 ff. 4 Zutr. Haas/Hossfeld in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 146, 147, 150 ff., 207 ff., 280 ff.; Haas/Ziemons in Michalski, § 43 GmbHG Rz. 93; Terlau in Michalski, § 38 GmbHG Rz. 84. 5 Haas/Hossfeld in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 148. Zu weitgehend aber Rz. 93a, wonach eine Verletzung der Treuepflicht nahe liegt, wenn sich die Gesellschaft in einer wirtschaftlichen Krise befindet und der Geschäftsführer sein Amt niederlegt. 6 S. Haas/Ziemons in Michalski, § 43 GmbHG Rz. 93 unter Berufung auf BGH v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, BGHZ 121, 257 = AG 1993, 280 = GmbHR 1993, 216. S. auch BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/09, ZIP 2010, 2444 = GmbHR 2011, 83 m. Komm. Münnich, OLG Düsseldorf v. 6.12.2000 – 3 WX 393/00, ZInsO 2001, 323; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 38 GmbHG Rz. 86 ff. 7 So. z.B. Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 115; krit. Palzer, GmbHR 2001, 53 ff.; Link, Die Amtsniederlegung durch Gesellschaftsorgane, 2003, S. 159 ff.

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Auswechselung/Abfindung von Geschäftsführern

2.224

setzlichen Dreiwochenfrist des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO niederlegt, oder wenn er sich abberufen lässt, um seiner Insolvenzantragspflicht zu entgehen1. h) Suspendierung (Freistellung) von Geschäftsführern Eine nur vorläufige Amtsenthebung (Suspendierung, Freistellung) ist keine Abberu- 2.223 fung, sondern als Eilmaßnahme nur eine Anordnung der Gesellschafter, dass sich der Geschäftsführer ab sofort jeglicher Ausübung seines Amtes zu enthalten hat2. Überwiegend wird in der Literatur3 die Auffassung vertreten, dass eine echte Suspendierung bzw. vorläufige Amtsenthebung durch die Gesellschafter unzulässig ist. Die GmbH könne mit einem Geschäftsführer aber vereinbaren, dass er nach einer Kündigung bis zum Ausscheiden von der Geschäftsführertätigkeit freigestellt wird4. Bejaht man die Zulässigkeit einer einseitigen Suspendierung, müssen im Einzelfall schwerwiegende Gründe vorliegen, die eine als Eilmaßnahme sofortige Beendigung der Geschäftsführertätigkeit erfordern5, z.B. wenn strafbare Handlungen eines Geschäftsführers aufgedeckt werden, durch die die GmbH geschädigt oder gar ruiniert worden ist. Eine vorläufige Amtsenthebung (Suspendierung) kann auch angezeigt sein, wenn ein Geschäftsführer aus Sorge vor einer Insolvenzverschleppungshaftung Insolvenzantrag zu stellen beabsichtigt, während das Vorliegen eines Insolvenzgrundes von den Gesellschaftern oder/und Mitgeschäftsführern mit guten Gründen verneint wird. Der suspendierte Geschäftsführer ist nicht mehr berechtigt oder verpflichtet, einen Insolvenzantrag für die GmbH zu stellen6. Zu seinem Schutz wird man in diesen Fällen auf eine Suspendierung nicht verzichten können7. i) Die Rechtsstellung des Sanierungs-Geschäftsführers aa) Ein eingewechselter Sanierungs-Geschäftsführer ist echter Geschäftsführer. Er 2.224 ist damit allen rechtlichen Risiken eines Geschäftsführers ausgesetzt, z.B. aus 1 BGH v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82, 92 = GmbHR 1980, 270; BGH v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, BGHZ 121, 257, 262 = GmbHR 1993, 216; Haas/Ziemons in Michalski, § 42 GmbHG Rz. 93a; Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 38. 2 Vgl. Hoffmann/Liebs, Der GmbH-Geschäftsführer, Rz. 214 S. 90; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 94, 95; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 35 GmbHG Rz. 35; Neu, Die Beendigung der Anstellungsverhältnisse der GmbH-Geschäftsführer, 2000, S. 143 ff. 3 So z.B. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 GmbHG Rz. 39; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 38 GmbHG Rz. 32; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 94 f.; Neu, Die Beendigung des Anstellungsverhältnisses von GmbH-Geschäftsführern, 2000, S. 146 ff.; a.A. Franzer in Anwaltkommentar BGB, § 626 BGB Rz. 8 unter Berufung auf BAG AP Nr. 14 zu § 611 BGB; wie hier mit Einschränkungen Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 38 GmbHG Rz. 73. 4 Vgl. OLG Düsseldorf v. 28.12.1984 – 8 U 64/84, EWiR § 35 GmbHG 1/85, 299 (Semler); Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 38 GmbHG Rz. 95. 5 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 35 GmbHG Rz. 35; Vollmer, GmbHR 1984, 5, 11. 6 Vgl. Palzer, Fortwirkende organschaftliche Pflichten des Geschäftsführers der GmbH, 2001, S. 236; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 38 GmbHG Rz. 102. 7 Zur Schadensersatzpflicht wegen verfrühten Insolvenzantrags (§ 43 Abs. 2 GmbHG) s. Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 12; Goette in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 123, 137; Meyke, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 5. Aufl. 2007, Rz. 102 S. 54.

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2.225

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

§ 64 GmbHG, § 266a StGB oder § 283c StGB1. Der Sanierungs-Geschäftsführer erlangt im Schutzschirmverfahren oder in der Eigenverwaltung nicht den Status eines Insolvenzverwalters mit entsprechender Honorierung nach der InsVV. Er unterliegt den gesetzlichen Insolvenzantragspflichten wie jeder andere Vorstand oder Geschäftsführer. Überhöhte Vergütungen laufen in einem später eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH Gefahr, nach den §§ 129 ff. InsO angefochten zu werden (vgl. sinngemäß Rz. 2.226). 2.225 bb) Maßgebliche Haftungsgrundlage für die schuldhafte Verletzung von Organpflichten bleibt § 43 GmbHG oder die Verletzung dienstvertraglicher Pflichten. Da der eingewechselte Geschäftsleiter nicht in die Position eines Insolvenzverwalters überwechselt, scheidet eine Haftung nach §§ 60, 61 InsO aus2. j) Abfindungsvereinbarungen und Anfechtungsrisiko 2.226 Die einvernehmliche Beendigung des Anstellungsvertrages durch Aufhebungsvertrag ist jederzeit möglich3. § 623 BGB, wonach der Auflösungsvertrag zu seiner Wirksamkeit der Schriftform bedarf und die elektronische Form ausgeschlossen ist, findet auf den Aufhebungsvertrag keine Anwendung4. Im Rahmen einer einvernehmlichen Beendigung können alle offenen und streitigen Punkte geregelt werden, z.B. Abfindung, Urlaub, Niederlegung des Geschäftsführeramtes sowie die Niederlegung weiterer Ämter, die mit der Stellung als Geschäftsführer verbunden sind5. Wird einvernehmlich eine Abfindung als Entschädigung für die vorzeitige Beendigung des Anstellungsvertrages vereinbart, besteht die Gefahr, dass in einem späteren Insolvenzverfahren der Insolvenzverwalter die Abfindungszahlung nach den §§ 129 ff. (§§ 131, 133) InsO anficht6. Es liegt insoweit kein Bargeschäft i.S. von § 142 InsO vor. Soweit Rückzahlungen auf den Gesellschaftsanteil erfolgt sind, ergibt sich eine Rückzahlungspflicht unter den Voraussetzungen der §§ 30 Abs. 1 Satz 1, 31 Abs. 1 GmbHG. Der Anfechtungsanspruch kann 1 Vgl. Thiele, ZInsO 2015, 877 ff. u. 977 ff.; Jacoby, Die Haftung des Sanierungsgeschäftsführers in der Eigenverwaltung, in FS Vallender, 2015, S. 261 ff.; Loeber/Weniger, KSI 2008, 53, 56; Fechner/Kober, Praxis der Unternehmenssanierung, 2004, S. 305 ff. Zu den Haftungsrisiken s. Uhlenbruck in FS Görg, 2010, S. 515 ff. 2 Vgl. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 482 ff., S. 147 ff.; Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, 2006, S. 99 ff.; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, 2014, Rz. 434 ff., 498, S. 125 ff.; Uhlenbruck in FS Kirchhof, 2003, S. 479, 500; Flöther in Kübler, HRI, § 18 Rz. 8, 9; A. Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369; Siemon/Klein, ZInsO 2012, 2009; Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097 ff., die die Vorschrift des § 60 Abs. 1 InsO über die Verweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auch auf den Schuldner im Eigenverwaltungsverfahren für anwendbar halten. 3 Vgl. Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 GmbHG Rz. 129; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, § 35 GmbHG Rz. 256; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 38 GmbHG Rz. 38. 4 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 35 GmbHG Rz. 256; Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 431; Neu, Die Beendigung der Anstellungsverhältnisse von GmbH-Geschäftsführern, 2000, S. 134 ff. 5 Tebben in Michalski, § 6 GmbHG Rz. 247 unter Berufung auf BGH v. 1.2.1993 – II ZR 1/92, DB 1993, 875. 6 Zur Beschränkung des Schadensersatzanspruchs eines unkündbaren GmbH-Geschäftsführers bei Kündigung in der Insolvenz (Verfrühungsschaden) s. BAG v. 16.5. 2007 – 8 AZR 772/06, ZIP 2007, 1829.

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Uhlenbruck

Auswechselung/Abfindung von Geschäftsführern

2.227

mit einem Schadensersatzanspruch z.B. nach § 64 Satz 1 GmbHG gegen den GmbH-Geschäftsführer konkurrieren (dazu Rz. 6.39 f.)1. War eine Abfindung bereits im Anstellungsvertrag vereinbart, empfiehlt sich in der Krise der GmbH die Prüfung, ob es sich insoweit um eine unzulässige und damit nichtige Vereinbarung handelt, die die Kündigung aus wichtigem Grund erschwert2. Ein tarifvertraglicher Abfindungsanspruch ist selbst dann bloße Insolvenzforderung, wenn die Kündigung nach Verfahrenseröffnung erfolgt3. Eine unzulässige Einschränkung des Kündigungsrechts aus § 626 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn der Anstellungsvertrag für den Fall der Kündigung des Vertrages aus wichtigem Grund eine Abfindung vorsieht4. Daneben haften gemäß § 64 Satz 3 GmbHG die Mitgeschäftsführer der GmbH für Zahlungen an Gesellschafter-Geschäftsführer, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten und sie sich nicht exkulpieren können (eingehend Rz. 9.146). Besonderheiten gelten für Abfindungen i.S. von § 3 BetrAVG5. Danach können 2.227 unverfallbare Anwartschaften im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und laufende Leistungen nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BetrAVG abgefunden werden. Durch Art. 6 Nr. 4 des Gesetzes zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz) vom 5.7.20046 hat der Gesetzgeber die Abfindungsmöglichkeiten neu geregelt. Laufende Versorgungsleistungen können, soweit der Rentenbeginn nach dem 31.12.2004 liegt, nur noch in den Grenzen des § 3 BetrAVG abgefunden werden7. Scheitert die Sanierung und wird über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet, scheidet eine Anfechtbarkeit der Abfindungszahlung nach §§ 129 ff. InsO aus, weil es sich um eine Gegenleistung für geleistete Arbeit handelt. Erfolgte die Abfindung, ohne dass die Voraussetzungen des § 3 BetrAVG vorliegen, ist die Abfindung wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB unwirksam8. Die Umwandlung einer Rentenversicherung in eine pfändungsgeschützte Versicherung ist gegenüber der Versicherungsgesellschaft anfechtbar, wenn die Umwandlung

1 Vgl. BGH v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, BGHZ 131, 325 ff. = GmbHR 1996, 211; Kreft in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 77, 78; Flöther/Korb, NZG 2012, 2333; Schmidt in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, Anh. zu § 35 InsO Rz. 26. Zur Nichtigkeit einer Abfindungsvereinbarung s. auch BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, BB 2000, 1751, 1752 f. = GmbHR 2000, 876 m. Komm. Haase. 2 Vgl. Eckardt/van Zwoll, Der Geschäftsführer der GmbH, 2004, 5.1. S. 92. 3 BAG v. 24.4.2006 – 6 AZR 364/05, ZIP 2006, 1962. 4 BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, ZIP 2000, 1442, 1444 = GmbHR 2000, 876 m. Komm. Haase; BAG, AP Nr. 1 zu § 626 BGB (Kündigungserschwerung); BAG, AP Nr. 27 zu § 626 BGB; Schwerdtner in Münchener Kommentar zum BGB, § 626 BGB Rz. 70; Franzen in Anwaltkommentar BGB, § 626 BGB Rz. 11. 5 Zur Abfindung von Betriebsrenten in der Insolvenz s. Hinrichs/Plitt, ZInsO 2011, 2109 ff.; Gantenberg/Hinrichs/Janko, ZInsO 2009, 1000 ff. 6 BGBl. I 2004, 1427 ff. Vgl. auch Riewe, DB 2010, 2503 ff.; Hinrichs/Plitt, ZInsO 2011, 2109, 2114. 7 Vgl. Kisters-Kölkes in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 3 BetrAVG Rz. 1 ff., 74, 83; Kemper, ebd., § 1 BetrAVG Rz. 87; Heubeck in Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, Teil IV Rz. 35 ff. S. 624 ff. 8 Kisters-Kölkes in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 3 BetrAVG Rz. 5 u. 98 ff.

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2.228

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

nach dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorgenommen wurde und die Versicherung Kenntnis vom Insolvenzantrag hatte1. 2.228 Wenn die Gesellschaft als Arbeitgeber in der Unternehmenskrise eine nichtige Abfindungszahlung vorgenommen hat, wird sie von ihrer Leistungspflicht nicht befreit2. Der Arbeitnehmer, der die Abfindung zu Unrecht erhalten hat, ist gemäß § 817 Abs. 2 BGB verpflichtet, den Abfindungsbetrag an den Arbeitgeber zurückzuzahlen3. vacat

2.229–2.230

2. Übertragende Sanierung a) Chancen und Risiken 2.231 aa) Die übertragende Sanierung4, auch als „Distressed M&A“ bezeichnet5, setzt nicht beim Unternehmensträger – also z.B. nicht bei der GmbH oder GmbH & Co. KG – an, sondern beim Unternehmen oder Betrieb und besteht in dessen Überführung auf einen neuen oder bereits vorhandenen Rechtsträger gegen Entgelt (eher nicht gegen Gewährung von Anteilen). Regelmäßig liegt also ein Asset Deal vor6. Erwerberin ist meistens eine Auffanggesellschaft. Die übertragende Sanierung gilt bis heute als ein Hauptinstrument der Sanierung von Unternehmen und Unternehmensteilen7. Diese Sanierungstechnik ist im eröffneten Insolvenzverfahren – und zwar gleichermaßen im Regelverfahren, im Verfahren der Eigenverwaltung und im Insolvenzplanverfahren – als Erfolgsmodell anerkannt8 und verfahrensrechtlich ohne Zweifel durch die Beteiligung der Gläubigergremien legitimiert (dazu unten Rz. 7.141 ff.). An übertragenden Sanierungen außerhalb des Insolvenzverfahrens gibt es Kritik in der Literatur, gerade auch vom Verfasser die1 AG Köln v. 31.5.2012 – 130 C 25/12, ZIP 2012, 1976. 2 Kisters-Kölkes in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 3 BetrAVG Rz. 5. 3 Vgl. BAG v. 17.10.2000 – 3 AZR 7/00, EzA § 3 BetrAVG Nr. 7 = DB 2001, 2201; KistersKölkes in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 3 BetrAVG Rz. 100; str. a.A. Andresen/Förster/Rößler/Rühmann, Arbeitsrecht der betrieblichen Altersversorgung, Teil 10 DRZ 382; Blomeyer/Rolfs/Otto, § 3 BetrAVG Rz. 43. 4 Die Bezeichnung geht auf den Verfasser zurück (vgl. ZIP 1980, 328, 337; näher dazu Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 1385; Karsten Schmidt in Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, S. 67 ff.; Falk/Schäfer, ZIP 2004, 1337 ff.). 5 Vgl. Arends/Hafert-von Weiss, BB 2009, 641; Sondry/Schwenkel, GWR 2010, 366. 6 Ausführlich Cavaillès in Dietmar Schulz (Hrsg.), Restrukturierungspraxis, 2010, Kap. 6 Rz. 1.2, 1.7 = S. 153 ff. 7 Eingehend Bertram in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 106; Cavaillès, Übertragende Sanierung, in Dietmar Schulz (Hrsg.), Restrukturierungspraxis, 2010, S. 153 ff.; Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, 2. Aufl. 1988; Hermanns in Buth/ Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 14 Rz. 16 f.; Hess/Fechner/ Freund/Körner, Sanierungshandbuch, Rz. E III 250 ff.; Sinhart in Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, § 16 Rz. 82; Undritz in Kübler, HRI, § 2 Rz. 11 ff.; Besau, KSI 2011, 202 ff.; Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157; Hölzle, DStR 2004, 1433 ff.; MüllerFeldhammer, ZIP 2009, 2186 ff. (rechtsvergleichend); Niesert/Hohler, NZI 2010, 127 ff. (strafrechtlich). 8 Undritz in Kübler, HRI, § 2 Rz. 11; Undritz, ZGR 2010, 201, 205; einschränkend Görg/ Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 157 InsO Rz. 16 f.

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Uhlenbruck und Karsten Schmidt

Übertragende Sanierung

2.232

ses Textes1. Solche Kritik ist unpopulär2, weil sie als sanierungsfeindlich gilt und weil Anteilseigner, Geschäftsführung, Arbeitnehmerschaft und Großgläubiger bei übertragenden Sanierungen an einem Strang zu ziehen pflegen. Indes: Es geht nicht darum, ein bestimmtes Sanierungskonzept für „gut“ oder „böse“ zu erklären, sondern es geht um die Legitimation der Sanierung gegenüber denen, die die Sanierungsopfer erbringen. Das sind bei der übertragenden Sanierung die Gläubiger in ihrer Gesamtheit, wenn ihnen nur der Zerschlagungswert des Unternehmens als Teilungsmasse angeboten wird, während der Ertragswert, losgelöst von den Schulden, in der Auffanggesellschaft realisiert werden soll. Ob eine solche Loslösung des Unternehmens von den Schulden und vice versa die Loslösung der Schulden von dem in neue Trägerschaft übergegangenen Unternehmen ohne Mitwirkung der Gläubiger zulässig ist – das ist das Problem! Unabhängig von der rechtspolitischen Einschätzung ist auch die Ratsamkeit der 2.232 übertragenden Sanierung außerhalb des Insolvenzverfahrens zweifelhaft, und zwar durchaus auch für den Unternehmenserwerber (i.d.R. also die Auffanggesellschaft). Als ein Problem hat sich beispielsweise die Überführung öffentlich-rechtlicher Betriebsberechtigungen und ähnlicher Rechte erwiesen3. Haftungsrisiken auf der Erwerberseite kommen hinzu. Sowohl § 613a BGB als auch § 25 HGB und § 75 AO können zum Zuge kommen (vgl. Rz. 5.584 ff.; zu § 613a BGB vgl. Rz. 3.46 ff.). Die materielle Insolvenz des Unternehmens (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) schließt die Haftung des Erwerbers für Altverbindlichkeiten nicht aus (zur Rechtslage im eröffneten Verfahren vgl. dagegen Rz. 7.142)4. Die Haftung des Unternehmenserwerbers nach § 25 HGB setzt allerdings nach der dem klaren Gesetzeswortlaut folgenden herrschenden Auffassung die Fortführung der Firma durch den übernehmenden Rechtsträger voraus5. Die Firmenfortführung wird deshalb in der Sanierungspraxis vermieden, was heute wesentlich leichter als früher ist, weil die Firmenbildung seit dem Handelsrechtsreformgesetz wesentlich freier ist als bis 1998 (§§ 18 ff. HGB)6 und weil die Firmenfortführung für den Unternehmenswert in der Wirtschaftspraxis neben der Marke nicht mehr dieselbe Bedeutung hat wie früher. Die Rechtsprechung lässt aber von Fall zu Fall die bloße Firmenähnlichkeit und die Fortsetzung eines identifizierenden Produkt-Logos für die Haftung aus § 25 HGB genügen7, und der Verfasser will entgegen der herrschenden Ansicht auf das Erfordernis der Firmenfortführung sogar ganz verzichten8. Zuverlässigen Schutz gibt die Eintragung eines Nicht-Haftungsvermerks in das Handelsregister (§ 25 Abs. 2 HGB), aber auch sie schützt nicht 1 Karsten Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 7 Rz. 110; Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 141 ff.; Karsten Schmidt in Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, S. 67 ff. 2 Ablehnend etwa Stürner, ZIP 1982, 769 f.; Canaris, ZIP 1989, 1163. 3 Eingehend Bitter/Laspeyres, ZIP 2011, 467 ff. 4 BGH v. 28.11.2005 – II ZR 355/03, ZIP 2006, 367 = DB 2006, 444. 5 Statt vieler Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 25 HGB Rz. 4 ff.; dagegen aber Karsten Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 8 Rz. 32; Karsten Schmidt, ZGR 2014, 844 ff. 6 Gesetz zur Neuregelung des Kaufmanns- und Firmenrechts (Handelsrechtsreformgesetz) v. 22.6.1998, BGBl. I 1998, 1474. 7 BGH v. 4.11.1991 – II ZR 85/91, NJW 1992, 911; dazu Karsten Schmidt, ZGR 1992, 621 ff. 8 Karsten Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 8 Rz. 32.

Karsten Schmidt

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2.233

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

gegen § 613a BGB (Übernahme von Arbeitsverhältnissen) und gegen die steuerliche Haftung des Erwerbers nach § 75 AO. Beteiligt sich die sanierungsbedürftige Gesellschaft selbst an der Auffanggesellschaft, so muss nach dem „Rheinmöve“-Urteil des BGH vom 18.2.2008 sogar mit der Beurteilung der diesen Vorgang finanzierenden Kapitalerhöhung als gemischte verdeckte Sacheinlage gerechnet werden1. Mit Recht wird also gegenüber der übertragenden Sanierung außerhalb des Insolvenzverfahrens zur Vorsicht ermahnt2. 2.233 bb) Auch spezifisch insolvenzrechtliche Risiken im Fall einer Insolvenzverfahrenseröffnung dürfen nicht vernachlässigt werden. Hingewiesen wird vor allem auf die Möglichkeit einer Anfechtung der Unternehmensübertragung durch den Insolvenzverwalter als eines die Gläubiger benachteiligenden Geschäfts nach §§ 129 ff., 132 Abs. 1 Nr. 2, 143 InsO3. Die Anfechtung würde zur Rückführung des übertragenen Unternehmens oder Unternehmensteils als Gesamtheit in die Insolvenzmasse führen4. Dass damit in der Realität zu rechnen wäre, ist zwar unwahrscheinlich. Aber schon der Lästigkeitswert einer vom Verwalter drohenden Klage und die im Raum stehende Möglichkeit einer Geldkompensation in Gestalt eines Vergleichs ist für den Unternehmenserwerber eine fragwürdige Perspektive. 2.234 cc) Nicht zu vernachlässigen ist schließlich die Gefahr einer Altlasten-Erwerberhaftung. Soweit nach § 4 Abs. 3 BBodSchG der Inhaber der tatsächlichen Gewalt oder nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz der Abfallbenutzer verantwortlich ist, kann die Übernahme von Betriebsgrundstücken bzw. von nicht entsorgtem Umlaufvermögen den Erwerber der ordnungsrechtlichen Verantwortung unterwerfen5. b) Mitwirkung der Gesellschafter 2.235 Alle Maßnahmen der übertragenden Sanierung setzen außerhalb eines Insolvenzverfahrens eine Mitwirkung der Gesellschafter voraus. Es handelt sich um Grundlagengeschäfte. Für Kapitalerhöhung und Kapitalherabsetzung sowie für Umwandlungsmaßnahmen (§ 53 GmbHG, §§ 13, 125 UmwG) ist die Zuständigkeit der Gesellschafter als der Herren der Satzung gesetzlich vorgeschrieben. Aber auch darüber hinaus sind die Geschäftsführer verpflichtet, Grundlagenentscheidungen den Gesellschaftern zur Beschlussfassung vorzulegen6. Insbesondere gelten die Grundsätze der zum Aktienrecht ergangenen Urteile „Holzmüller“7 und 1 BGH v. 18.2.2008 – II ZR 132/06, BGHZ 175, 265 = BB 2008, 1026 m. Anm. Krause = AG 2008, 383; dazu Böttcher, NZG 2008, 416. 2 Zusammenfassend Hölzle, DStR 2004, 1433 ff. 3 Cavaillès in Dietmar Schulz (Hrsg.), Restrukturierungspraxis, 2010, Kap. 6 Rz. 3.15 = S. 165 ff.; Henckel in Jaeger, § 129 InsO Rz. 71; Menke, BB 2003, 1133. 4 Dazu Karsten Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 5 Rz. 83 ff.; die entgegenstehende Entscheidung des BGH v. 27.11.1963 – VIII ZR 278/62, WM 1964, 114, gilt allgemein als überholt. 5 Vgl. nur BVerwG v. 22.7.2004 – 7 C 17.03, ZIP 2004, 1766, 1767. 6 BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, GmbHR 1991, 197; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 37 GmbHG Rz. 15 ff.; Karsten Schmidt in Scholz, § 46 GmbHG Rz. 115; krit. Zitzmann, Die Vorlagepflichten des GmbH-Geschäftsführers, 1991, S. 35 ff., 85 ff. 7 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158.

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Karsten Schmidt

Management Buy-out

„Gelatine“1 in wesentlich verschärfter Form für die weisungsgebundenen und deshalb vorlagepflichtigen Geschäftsführer einer GmbH bzw. GmbH & Co. KG (s. auch Rz. 2.253). Die übertragende Sanierung setzt i.d.R. einen gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG gefassten Auflösungsbeschluss (dazu Rz. 3.3) und einen Beschluss über die (Teil-)Betriebsveräußerung voraus (vgl. Rz. 3.16), der in einem mit der Auflösung beschlossenen Liquidationsplan (Rz. 3.3, 3.8) enthalten sein kann. Als allgemeiner, nicht nur aktienrechtlicher Grundsatz verdient vor allem der Gedanke des § 179a AktG Respekt2: Eine Gesamtvermögensveräußerung ist ohne Zustimmung der Gesellschafter nicht nur unzulässig, sondern das Fehlen dieser Zustimmung macht das Verpflichtungsgeschäft sogar unwirksam. 3. Management Buy-out a) Bedeutung als Sanierungsinstrument In Deutschland haben die Buy-outs vor allem durch Unternehmensverkäufe der 2.236 Treuhandanstalt bzw. Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BVS) Bedeutung erlangt. In letzter Zeit gewinnen die Buy-out-Aktivitäten vor allem auch im Bereich von Private Equity zwecks Finanzierung innovativer Unternehmen wieder an Relevanz3. Bei einem Management Buy-out (MBO) erfolgt die Übernahme des Unternehmens durch seine Geschäftsführer bzw. sonstige (leitende) Mitarbeiter („Management“). Buy-out-Modelle bieten sich nicht zuletzt auch für die Sanierung von Krisenunternehmen an. Die Manager des Krisenunternehmens verfügen oftmals zwar über spezifische Unternehmens- und Sanierungskenntnisse über das notwendige Kapital für die Finanzierung des Kaufpreises des Übernahmeobjekts und/oder die sich anschließende neue Anschubfinanzierung („working capital“). Daher wird der MBO meist mit Hilfe von Investoren oder Kreditgebern fremdfinanziert4. Bei den Investoren handelt es sich oftmals um Beteiligungsgesellschaften, z.B. Private Equity-Gesellschaften, die sich in Form von Mezzanine-Darlehen oder Minderheitsbeteiligungen mit Sperrminorität engagieren. Die meisten MBO werden daher in Form eines Leveraged Buy-out (LBO) durchgeführt5. Ein LBO liegt vor, wenn das übernehmende Management aufgrund des hohen Finanzierungsanteils weniger als 10 Prozent der Anteile hält6. Ähnliches und häufig im Zusammenhang mit dem MBO genanntes Instrument ist das Management Buy-in (MBI), das den Unternehmenserwerb durch mehrere 1 BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 3 = AG 2004, 384 = DStR 2004, 922 m. Anm. Goette = ZIP 2004, 568 m. Anm. Altmeppen. 2 BGH v. 9.1.1995 – II ZR 24/94, DB 1995, 621 = GmbHR 1995, 306; dazu Karsten Schmidt, ZGR 1995, 675 ff.; krit. Bredol/Natterer, ZIP 2015, 1419 ff. 3 Vgl. Weitnauer, Management Buy-Out, 2013, Teil A. II. Rz. 73 S. 28; Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rz. 514; Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, § 4 Rz. 595 ff.; Hohaus, BB 1995, 1291; Schockenhoff, ZIP 2005, 1009. 4 Uhlenbruck hier in der 4. Aufl. Rz. 2.137; Kühne in Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, 2. Aufl. 2014, Rz. 1599. 5 Raupach in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil III Rz. 3.76. 6 Uhlenbruck hier in der 4. Aufl. Rz. 2.137; Lachmann in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 8 Rz. 108.

Karsten Schmidt und Schluck-Amend

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

nicht unternehmenszugehörige Manager bezeichnet1. Demgegenüber liegt ein Spin-off vor, wenn das Management einer Konzerngesellschaft aus dem Konzern einen Betriebsteil herauskauft und ihn in eine von ihm gegründete und geführte Gesellschaft eingliedert2. b) Durchführung 2.237 Gesellschaftsrechtlich unterscheidet man verschiedene Stufen des MBO. Beim einstufigen MBO erfolgt der unmittelbare Erwerb der Zielgesellschaft, ohne dass eine Übernahmegesellschaft eingeschaltet wird, die die Zielgesellschaft kauft3. Die Regel ist der zweistufige MBO. Hier erwirbt eine Übernahmegesellschaft, an der die Manager, Kreditgeber und/oder Investoren beteiligt sind, in der ersten Stufe die Gesellschaftsanteile des Zielunternehmens. Da es bei einem Share Deal grundsätzlich nicht möglich ist, die im Kaufpreis enthaltenen stillen Reserven der Zielgesellschaft in Abschreibungspotential zu verwandeln, wird in einer zweiten Stufe entweder das Gesellschaftsvermögen im Wege der Einzelübertragung auf die Übernahmegesellschaft transferiert (Asset Deal-Modell)4, oder die Zielgesellschaft wird in eine GmbH & Co. KG umgewandelt (Umwandlungsmodell)5. Bei Krisenunternehmen werden im Rahmen des MBO oftmals erhebliche Abschläge vom Kaufpreis vereinbart, möglicherweise sogar ein negativer Kaufpreis, z.B. zur Abdeckung von Sozialplanansprüchen der Arbeitnehmer oder anderer Sanierungskosten6. Im Regelfall wird bei einem MBO von der Erwerbergruppe eine GmbH gegründet, die ihrerseits als Käufer auftritt. Ist an dem MBO die oder ein Teil der Geschäftsführung des Insolvenzschuldners beteiligt, so bedarf die Veräußerung der Zustimmung der Gläubigerversammlung nach §§ 160, 162 Abs. 1 Nr. 1 InsO7. c) Finanzierungsmodelle 2.238 Für die Finanzierung des MBO sind in der Praxis unterschiedliche Finanzierungsmodelle entwickelt worden, das Darlehensmodell, das Sicherheitenmodell und das Verpfändungsmodell8. Handelt es sich bei der übernommenen Gesellschaft um eine GmbH, so hat das übernehmende Management die Kapitalerhaltungsvorschrift des § 30 Abs. 1 GmbHG sowie das Kreditgewährungsverbot des § 43a GmbHG zu beachten. Dies bedeutet, dass eine Darlehens- und Sicherheitengewährung zu Lasten des GmbH-Vermögens eine unzulässige Auszahlung an die übernehmenden Gesellschafter darstellt, wenn dies zu einer Unterbilanz bei der 1 Vgl. Raupach in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Teil III Rz. 3.76.; Gabrysch in Kompendium Gesellschaftsrecht, 1. Aufl. 2010, § 2 Rz. 64; Hess, Sanierungshandbuch, Kap. 14 Rz. 278. 2 Einzelheiten bei Weitnauer, Management Buy-Out, 2013, Teil A.I. Rz. 14 ff. S. 7 f. 3 Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, § 4 Rz. 608. 4 Dazu auch Beisel in Beisel/Klumpp, Der Unternehmenskauf, Kap. 13 Rz. 17. 5 Einzelheiten hierzu bei Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, § 4 Rz. 609 ff. 6 Vgl. Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rz. 601. 7 Kühne in Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, 2. Aufl. 2014, Rz. 1600. 8 Eingehend hierzu Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, § 4 Rz. 615 ff.

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Schluck-Amend

Aufnahme neuer Gesellschafter

2.240

GmbH führt1. Die Bestellung von Sicherheiten steht einer Auszahlung i.S. von § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG gleich2. Ohne auf Einzelheiten der gesellschaftsrechtlichen Problematik näher einzugehen, ist festzustellen, dass der MBO für die Beteiligten zugleich auch strafrechtliche Risiken birgt. Kaufen z.B. die Geschäftsführer der zu übernehmenden GmbH deren Anteile von den Gesellschaftern und wird der Kaufpreis direkt von der übernommenen Gesellschaft beglichen, liegt ungeachtet der Zustimmung aller Gesellschafter der übernommenen GmbH der Untreuetatbestand des § 266 StGB (dazu Rz. 11.81 ff.) vor, wenn durch die Zahlung aus dem GmbH-Vermögen eine Unterbilanz entsteht. Erfolgt die Finanzierung aus dem GmbH-Vermögen dagegen darlehensweise unter Verbuchung einer entsprechenden Forderung gegen die Gesellschafter, so entscheidet die Werthaltigkeit des Rückforderungsanspruchs gegen die Gesellschafter darüber, ob die in der Darlehensgewährung liegende „Auszahlung“ zu einer Unterbilanz führt. Aus strafrechtlicher Sicht soll es nicht darauf ankommen, ob im Einzelfall § 43a GmbHG anwendbar ist3. d) Problem der Hinauskündigung Ein besonderes Problem bei einer MBO ist die freie Hinauskündigung von Mit- 2.239 gesellschaftern. Grundsätzlich ist die Vereinbarung von Hinauskündigungsklauseln unzulässig und nach § 138 BGB nichtig4. Allerdings kann im Einzelfall eine vertragliche Hinauskündigungsklausel bei der MBO sachdienlich und gerechtfertigt sein. Allerdings kann ein Liquiditätsproblem entstehen, wenn die übernehmende Gesellschaft dem ausscheidenden Gesellschafter den wirtschaftlichen Wert (Verkehrswert) des Geschäftsanteils zu erstatten hat. 4. Aufnahme neuer Gesellschafter a) Kapitalmaßnahmen Die Aufnahme neuer Gesellschafter im Zuge der Kapitalerhöhung stellt einen 2.240 meist unentbehrlichen Bestandteil eines Sanierungskonzepts dar. Sie macht aus der „internen“ eine „externe“ Sanierung (vgl. Rz. 2.351 f.). In der Regel besteht die Schwierigkeit darin, einen solchen Investor zu gewinnen, weniger darin, ihn zur Kapitalerhöhung zuzulassen. Es ist allerdings zu beachten, dass nach der heute wohl schon h.M. der GmbH-Gesellschafter bei einer Kapitalerhöhung ein Bezugsrecht hat, obwohl dieses im GmbH-Gesetz (anders als in § 186 AktG) nicht gere1 Vgl. BGH v. 10.12.2001 – II ZR 30/00, GmbHR 2002, 329 = ZIP 2002, 436 f.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 30 GmbHG Rz. 128; Weitnauer, ZIP 2005, 790, 792; Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97 ff.; Kerber, WM 1989, 473, 475 ff. u. 513 ff.; Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, § 4 Rz. 619. 2 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 30 GmbHG Rz. 34 f.; a.A. nach ist die Sicherheitenbestellung, sofern nicht die Inanspruchnahme der Sicherheit von vornherein droht, bilanzneutral: Heckschen in Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, 1. Aufl. 2012, N. Rz. 466. 3 Einzelheiten bei C. Schäfer, GmbHR 1993, 780, 795 f. 4 Vgl. BGH v. 19.9.2005 – II ZR 173/04, GmbHR 2005, 1558; BGH v. 14.3.2005 – II ZR 153/03, ZIP 2005, 706 = GmbHR 2005, 620 m. Komm. Werner; s. auch Benecke, ZIP 2005, 1437; Gehrlein, NJW 2005, 1969; Battke/Grünberg, GmbHR 2006, 225 ff.

Schluck-Amend und Karsten Schmidt

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2.241

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

gelt ist1. Die prinzipielle Geltung des Bezugsrechts bei der GmbH bedarf kaum noch der Diskussion. Auch der Bundesfinanzhof geht von einem solchen Bezugsrecht aus2, ebenso der österreichische OGH3. Anhaltende Diskussionen um das Bezugsrecht4 betreffen im Wesentlichen nur noch rechtstechnische Details5 und vor allem den Bezugsrechtsausschluss: Ist er entsprechend § 186 Abs. 3 AktG Teil des Kapitalerhöhungsbeschlusses und bedarf er dementsprechend der qualifizierten Mehrheit6 oder genügt hierfür der mit einfacher Mehrheit und keiner Form bedürftige Beschluss über die Zulassung zur Übernahme neuer Geschäftsanteile (§ 55 Abs. 2 GmbHG)7. So oder so könnte sich das Bezugsrecht als ein Sanierungshindernis erweisen. Als ein den Bezugsrechtsausschluss rechtfertigender Grund wird aber der Fall anerkannt, dass ein Gesellschafter oder ein Dritter im Gegensatz zu den übrigen Gesellschaftern bereit ist, über den Wert des neuen Anteils hinaus Sonderleistungen zu erbringen, z.B. in Gestalt von Zuschüssen oder Bürgschaften8. Auch die gebotene Schnelligkeit der Sanierung kann dafür sprechen, unter Hintanstellung der vorhandenen Gesellschafter einen liquiden Dritten zur Übernahme von Stammeinlagen zuzulassen. Ein zusätzlicher Gesellschafter als „Sanierungshelfer“ kann also nach Lage des Falls im Wege der Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss aufgenommen werden, wenn dies die Sanierungserwartung signifikant erhöht9. Die vorhandenen Gesellschafter können sich einem Bezugsrechtsausschluss nicht widersetzen, sofern sie nicht eine gleichwertige Sanierung finanzieren können. Zur Kapitalerhöhung vgl. im Übrigen Rz. 2.31 ff. 2.241 Bereits im Zusammenhang mit der „internen Sanierung“ besprochen ist auch die „Umwandlung“ von Geldforderungen in haftendes Kapital (vgl. zum Debt Equity Swap Rz. 2.380 ff.). Diese müsste im Wege der Sachkapitalerhöhung geschehen (§ 56 GmbHG) und ist mit dem Differenzhaftungsrisiko nach § 9 GmbHG i.V.m. § 56 Abs. 2 GmbHG verbunden. Forderungen gegen die sanierungsbedürftige Gesellschaft sind als Einlagegegenstände aber regelmäßig nur zu einem erheblich wertberichtigten Betrag geeignet. Kein Ausweg ist die Verrechnung im Wege der Barkapitalerhöhung, denn wiederum kommen die Grundsätze über sog. verdeckte Sacheinlagen, seit der Reform 2008 (MoMiG) insbesondere die Differenzhaftung nach § 19 Abs. 4 i.V.m. § 56 Abs. 2 GmbHG zum Zuge (zu dieser Regelung vgl. Rz. 2.56). Die Erwartung eines Gesellschaftsgläubigers, durch Beteiligung an einer Barkapitalerhöhung zur Sanierung beizutragen und gleichzeitig 1 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1170 f.; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, § 55 GmbHG Rz. 20; eingehend Priester in Scholz, § 55 GmbHG Rz. 42 ff.; im Ergebnis auch Roth in Roth/Altmeppen, § 55 GmbHG Rz. 20 ff. 2 BFH v. 8.4.1992 – I R 128/88, BStBl. II 1992, 761, 762 = GmbHR 1992, 697. 3 OGH Österreich v. 16.12.1980 – 5 Ob 649/80, GmbHR 1984, 235 m. Komm. Nowotny. 4 Überblick bei Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, § 55 GmbHG Rz. 20; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 5 GmbHG Rz. 34 ff., wo das Bezugsrecht „dezidiert“ abgelehnt wird. 5 Vgl. insoweit auch Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 55 GmbHG Rz. 34. 6 So namentlich Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, § 55 GmbHG Rz. 20; Priester in Scholz, § 55 GmbHG Rz. 61 ff.; grundlegend Priester, DB 1980, 1925 ff. 7 Hierfür Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 55 GmbHG Rz. 35. 8 Priester in Scholz, § 55 GmbHG Rz. 57. 9 Enger wohl Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, § 55 GmbHG Rz. 27: „wenn anders Sanierung nicht erreichbar“.

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Karsten Schmidt

Aufnahme neuer Gesellschafter

2.243

durch Verrechnung seine gefährdete Forderung zum Nennwert zu verwerten, kann sich als schwerer Kunstfehler erweisen. Über § 24 GmbHG können sich aus einer fehlgehenden Kapitalerhöhung Haftungsrisiken auch für die Altgesellschafter ergeben (dazu oben bei Rz. 2.41). Gleichzeitig haftet nach der vorherrschenden Auffassung ein durch Kapitalerhöhung hinzugetretener Gesellschafter gemäß § 24 GmbHG seinerseits für ausstehende Alt-Stammeinlagen1. Dieses doppelseitige Haftungsrisiko darf bei der Sanierung nicht vernachlässigt werden. Ihm kommt man am sichersten durch Volleinzahlung aller Alt- und Neu-Stammeinlagen zuvor. b) Stille Beteiligungen Nur von der Aufnahme neuer GmbH-Gesellschafter war bisher die Rede. Es ist 2.242 aber auch an strategische Alternativen zu denken. Z.B. kann die Begründung stiller Beteiligungen zur Sanierung beitragen. Zu bemerken ist allerdings, dass die Zuführung typischer stiller Einlagen nach der gesetzgeberischen Wertung (vgl. § 236 HGB) Kreditzufuhr und nicht Zufuhr haftenden Kapitals ist. Die Aufnahme typischer stiller Gesellschafter beseitigt demgemäß allenfalls die Zahlungsunfähigkeit, nicht auch eine Überschuldung. Als zusätzliche Sanierungsmaßnahme kann sich deshalb auch hier ein Rangrücktritt mit Besserungsklausel empfehlen (vgl. zu diesen Maßnahmen Rz. 2.364 ff.). Handelt es sich bei dem stillen Gesellschafter nicht um einen Dritten, sondern um einen Gesellschafter der zu sanierenden GmbH, so kann die typische stille Einlage den Regeln über Gesellschafterdarlehen unterliegen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 InsO)2. Auch in diesem Fall empfiehlt sich jedoch eine Rangrücktrittsvereinbarung, weil sie die Geschäftsführer der Passivierungspflicht im Überschuldungsstatus enthebt (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO und dazu Rz. 2.117, 2.369). Von der typischen stillen Beteiligung zu unterscheiden ist die „Umwandlung“ der 2.243 sanierungsbedürftigen Gesellschaft in eine „GmbH & Still“3. Diese kann das Gesicht einer „Innen-KG“ erhalten, in der die GmbH nur noch im Außenverhältnis als Unternehmensträgerin erscheint, im Innenverhältnis dagegen für Rechnung einer „virtuellen Kommanditgesellschaft“, bestehend aus stillen Gesellschaftern als Mitunternehmern (§ 15 EStG) und der GmbH als treuhänderische Quasi-Komplementärin, agiert4. Die Maßnahme überführt das GmbH-Vermögen treuhänderisch in eine mit Eigenkapital ausgestattete nichtrechtsfähige Quasi-KG, setzt allerdings eine Zweckänderung bei der GmbH und die Konstituierung einer organisierten Innengesellschaft mit Kapitalkonten der stillen Gesellschafter voraus. Dann kann die GmbH als Treuhänderin Aufwendungsersatz zu Lasten des stillen Kapitals verlangen (vgl. sinngemäß § 670 BGB, § 110 HGB). Die stillen Einlagen sind bei dieser 1 Emmerich in Scholz, § 24 GmbHG Rz. 16; Priester in Scholz, § 55 GmbHG Rz. 16. 2 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 136 InsO Rz. 25; Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 236 HGB Rz. 25 ff.; vgl. darüber hinaus BGH v. 7.11.1988 – II ZR 46/88, GmbHR 1989, 152. 3 Vgl. zur GmbH & Still Schulze zur Wiesche, Die GmbH & Still, 6. Aufl. 2013. 4 Dazu eingehend Karsten Schmidt, ZHR 177 (2014), 10 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2014, 1457; zur Anerkennung dieser Gestaltung vgl. BGH v. 19.11.2013 – II ZR 383/12, BGHZ 199, 104 = ZIP 2013, 2355 = AG 2014, 41; OLG Hamburg v. 31.10.2014 – 11 U 57/13, ZIP 2015, 688.

Karsten Schmidt

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2.244

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

Gestaltung – auch noch nach der Einführung des § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG durch das MoMiG – analog § 30 GmbHG gebunden (vgl. Rz. 2.93)1. Erfahrungen mit dieser bei Fondsstrukturen bewährten Gestaltung als Sanierungsinstrument sind noch nicht vorhanden. c) Genussrechtsausgabe 2.244 Bei der GmbH wenig verbreitet2, aber als Sanierungsinstrument grundsätzlich tauglich3, ist die Einräumung von Genussrechten gegen Finanzierungsbeiträge. Es handelt sich hierbei, ähnlich den atypisch stillen Beteiligungen (Rz. 2.243), um Mezzaninkapital, das Beteiligungsrechte auf der Grundlage einer schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen dem Inhaber und der Gesellschaft gewährt4. Die Genussrechtseinräumung bedarf grundsätzlich der Zulassung durch den Gesellschaftsvertrag oder durch Beschluss der Gesellschafter5. Das gilt nur umso mehr für sog. Wandelgenussrechte, die dem Inhaber ein Recht zum Umtausch in Anteile bzw. ein Bezugsrecht auf erhöhtes Stammkapital verleihen6. 5. Restrukturierung, insbesondere Umwandlung/Verschmelzung/ Sanierungsfusion a) Rechtliche und betriebswirtschaftliche Fragen 2.245 Die Restrukturierung stand bei der Diskussion um die Insolvenzrechtsreform im Zentrum der Sanierungsdiskussion. Klarheit muss darüber bestehen, dass die Restrukturierung eines der Sanierung oder der Insolvenzprophylaxe bedürftigen Unternehmens in erster Linie ein betriebswirtschaftliches und erst in zweiter Linie ein juristisches Thema ist (vgl. deshalb Rz. 1.162 ff.). Was die rechtliche Seite der Restrukturierung anlangt, so ist sie zunächst Spiegelbild der betriebswirtschaftlichen Seite und weist deshalb eine große Vielfalt auf: Betriebsführungsverträge, Unternehmensverträge, Umbauten im Konzern (z.B. das „Umhängen“ von Konzerntöchtern), Änderungen der Binnenorganisation (Beiratsverfassung), Austausch des Managements und arbeitsrechtliche Maßnahmen, all dies können Bausteine nicht nur einer Insolvenzprophylaxe, sondern auch einer Sanierung sein7. Die Umwandlung i.S. von § 1 UmwG erfasst nur einen Teilbereich der Restrukturierungsmöglichkeiten, und vor allem kann auch sie immer nur Teil eines umfassenden Sanierungskonzepts sein (zum Steuerrecht vgl. Rz. 2.626 ff.). Im Hinblick auf das Umwandlungsgesetz wird man feststellen dürfen8: 1 Vgl. BGH v. 7.11.1988 – II ZR 46/88, BGHZ 106, 7 = NJW 1989, 982 = GmbHR 1989, 152; BGH v. 13.2.2006 – II ZR 62/04, GmbHR 2006, 531, 532 = ZIP 2006, 703, 706; Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 230 HGB Rz. 171; Harbarth in Staub, § 236 HGB Rz. 24 ff.; Karsten Schmidt, ZHR 177 (2014), 10, 47. 2 Seibt in Scholz, § 14 GmbHG Rz. 67. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.1309 m.w.N. 4 Eingehend Seibt in Scholz, § 14 GmbHG Rz. 67 ff. 5 Differenzierend Seibt in Scholz, § 14 GmbHG Rz. 69. 6 Dazu Drukarczyk/Schöntag in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 3 Rz. 121 ff. 7 Vgl. dazu etwa Brandstätter, Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit notleidender Unternehmen, S. 249 ff. 8 Hermanns in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 17 Rz. 25 ff.; s. auch Kurney/Stenzel, ebd., § 23 Rz. 14 ff.

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Karsten Schmidt

Restrukturierung

2.246

– Der Formwechsel nach §§ 190 ff. UmwG spielte vor der Einführung der §§ 58a ff. GmbHG als Sanierungskonzept eine gewisse Rolle (vgl. Rz. 2.33); nach wie vor kann er aber im Verein mit betrieblichen Umstrukturierungen eine Sanierungshilfe sein, z.B. in Gestalt der Beseitigung von Sonderrechten durch Umwandlung in eine AG (Suhrkamp), die freilich außerhalb des Insolvenzverfahrens nur mit Zustimmung möglich ist (§ 241 Abs. 2 UmwG). Im Mittelpunkt steht der Formwechsel nicht, weil er das Bild von Bilanz und Cashflow als solches nicht berührt. – Die Verschmelzung (§§ 2 ff. UmwG) kann ein Sanierungsinstrument sein, insbesondere bei der Verschmelzung durch Aufnahme seitens einer gesunden Gesellschaft (kartellrechtlich: Problem der Sanierungsfusion1, bei der es sich aber nicht um eine gesellschaftsrechtliche Verschmelzung handeln muss). Der Gläubigerschutz nach § 22 UmwG wird hingegen nicht selten ein faktisches Verschmelzungshindernis sein, so dass sich für einen Investor eher eine Übernahme von Anteilen oder eine Kapitalerhöhung empfehlen wird (Rz. 2.240). Erhöht die übernehmende Gesellschaft zur Durchführung einer Verschmelzung ihr Stammkapital, so wird nach §§ 57a i.V.m. 9c Satz 2 GmbHG die Werthaltigkeit des durch Verschmelzung eingebrachten Unternehmens geprüft2. – Zu denken ist an die Spaltung, insbesondere an die Aufspaltung oder Ausgliederung als Sanierungsinstrument (§§ 123 ff. UmwG). Regelmäßig wird es aber nur mit Zustimmung der Großgläubiger gelingen, die Verbindlichkeiten der spaltungsbeteiligten Unternehmen auch rückwirkend zu entzerren. Überdies haften nach § 133 UmwG für die Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers, die vor dem Wirksamwerden der Spaltung begründet worden sind, die an der Spaltung beteiligten Rechtsträger fünf Jahre lang als Gesamtschuldner. Hinzu kommt, dass im Umwandlungsgesetz die §§ 25 ff. HGB ausdrücklich als unberührt bezeichnet werden (§ 133 Abs. 1 Satz 2 UmwG), weshalb eine Trennung zusammengehöriger Aktiva und Passiva durch Spaltung des Unternehmens als Sanierungsstrategie ausscheiden sollte3. Als Instrument, um auf Dauer lebensunfähige, später zu liquidierende Unternehmensteile frühzeitig von nachhaltig erfolgreichen Unternehmensteilen zu lösen, ist dagegen die Spaltung tauglich. Das Umwandlungsrecht mit dem durch dieses Gesetz vermittelten Gläubiger- 2.246 schutz4 lässt es nicht zu, Altverbindlichkeiten auf Kosten der Gläubiger abzuschütteln, sucht dies vielmehr sogar zu verhindern. Die im Umwandlungsrecht vorgesehenen Umstrukturierungen taugen deshalb eher als Maßnahmen der Insolvenzprophylaxe für die künftige Wirtschaftstätigkeit eines Unternehmens oder Unternehmensteils und als Wege zur langfristigen Segmentierung von Risi1 Vgl. nur BGH v. 12.12.1978 – KVR 6/77, BGHZ 73, 65, 78 f. = WuW/E BGH 1533, 1539 (Erdgas Schwaben); Thomas in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. II/1, 5. Aufl. 2014, § 36 Rz. 733. 2 Zimmermann in Kallmeyer, 5. Aufl. 2013, § 53 UmwG Rz. 11; M. Winter/J. Vetter in Lutter, 5. Aufl. 2014, § 55 UmwG Rz. 26 ff. 3 Gegen ein Trennungsverbot allerdings Schwab in Lutter, 5. Aufl. 2014, § 133 UmwG Rz. 15 (in kritischer Auseinandersetzung mit Karsten Schmidt, ZGR 1993, 386, 391 ff.). 4 Dazu Petersen, Der Gläubigerschutz im Umwandlungsrecht, 2001; Ihrig, GmbHR 1995, 623; Karsten Schmidt, ZGR 1993, 366 ff.; die Verweisung des § 133 Abs. 1 Satz 2 UmwG auf §§ 25 ff. HGB geht auf den Vorschlag des Verf. in ZGR 1990, 598 ff. zurück.

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2.247

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

ken denn als echte Sanierungsinstrumente. Immerhin können sie Bestandteile eines umfassenden Umstrukturierungskonzepts auch im Sanierungsfall sein. b) Rechtstechnische Varianten 2.247 Soweit ein Sanierungskonzept auf Umwandlungsmaßnahmen hinausläuft, bedarf stets der Prüfung, ob die Umwandlung – nach dem Umwandlungsgesetz oder – durch Verschmelzung von Personengesellschaften außerhalb dieses Gesetzes oder schließlich – durch Einzelübertragung stattfinden soll. Verschmelzungsvorgänge lassen die Verbindlichkeiten allerdings auf den Ziel-Rechtsträger übergehen. Die Verschmelzung einer Personengesellschaft durch Übertragung aller Anteile auf eine andere Gesellschaft hat gegenüber dem Umwandlungsgesetz den Vorteil, dass die Beteiligten den Zeitpunkt einer Verschmelzung exakt bestimmen können (die Registereintragung wirkt hier nur deklaratorisch). Die Verschmelzung nach §§ 2 ff. UmwG ist in dieser Hinsicht schwerfälliger: Sie wird erst mit der Eintragung wirksam (§ 20 UmwG). Hieraus kann sich aber auch die Chance einer „Notbremsung“ ergeben: Der Bundesgerichtshof hat im Jahr 1995 entschieden, dass die aufnehmende Gesellschaft, wenn der Eintragungsantrag zurückgenommen oder zurückgewiesen und auf diese Weise die Eintragung vermieden wird, bei einer solchen steckengebliebenen Verschmelzung weder nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft noch nach dem vormaligen Recht gemäß § 419 BGB a.F. (Vermögensübernahme) haftet1. Von der Verschmelzung zu unterscheiden ist die Einzelübertragung des Betriebsvermögens oder von Betriebsteilen durch Asset Deal, die einen automatischen Übergang aller Verbindlichkeiten auf den übernehmenden Rechtsträger vermeidet, jedoch die schon besprochenen Haftungsprobleme nach § 25 HGB, § 613a BGB, § 75 AO aufwirft (Rz. 2.32). 6. Sanierung von Konzernunternehmen 2.248 Die Sanierung im Konzern kann unterschiedlich ansetzen. Das beginnt mit der Frage, ob sich die Unternehmensgruppe insgesamt in einer Krise befindet, oder ob einzelne Krisenherde innerhalb der Unternehmensgruppe noch eingegrenzt bleiben können. Im ersten Fall entziehen sich die Sanierungsvarianten in ihrer Vielfalt der Beschreibung. Dagegen kann die Konzernstruktur eine große Hilfe sein, wenn die Krisenherde segmentiert, also auch die Sanierungseingriffe segmentierbar sind. a) Sanierung von Tochtergesellschaften 2.249 Charakteristische Mittel der Sanierung von Tochtergesellschaften sind etwa: – strategische Maßnahmen der Muttergesellschaft (dazu allgemein Rz. 2.253), 1 BGH v. 18.12.1995 – II ZR 294/93, AG 1996, 713 = GmbHR 1996, 125; dazu Karsten Schmidt, DB 1996, 1859 ff.

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Sanierung von Konzernunternehmen

2.252

– organisatorische Umstrukturierungen und Neubesetzung des Managements (dazu Rz. 2.201 ff.), – Kapitalerhöhungen (Rz. 2.31 ff.) mit Einlagen der Muttergesellschaft oder mit Hilfe von Drittinvestoren, – im letzteren Fall auch die Beteiligung einer weiteren Muttergesellschaft (Umgestaltung der Tochtergesellschaft zu einem Joint Venture), – Gesellschafterdarlehen oder Bereitstellung von Sicherheiten (Rz. 2.96 ff.), – Patronatserklärungen und Liquiditätszusagen (Rz. 2.250). Patronatserklärungen können reine Liquiditätsgarantien sein, vermögen aber 2.250 nicht nur die Zahlungsunfähigkeit, sondern aufgrund ihrer Prognosewirkung auch die Überschuldung zu beheben (dazu Rz. 5.135)1. Im Zusammenhang mit Patronatserklärungen stellt sich nicht selten die Frage eines Ausstiegs der Muttergesellschaft aus dem Sanierungsengagement. Ein solcher Ausstieg ist grundsätzlich nur mit Wirkung für die Zukunft und nur im Einklang mit konzernrechtlichen Regeln sowie mit der Treupflicht als Mehrheitsgesellschafterin zulässig2. Der Bundesgerichtshof hat in dem Urteil „STAR 21“ entschieden3: „Verspricht eine Muttergesellschaft in einer (Patronats-)Erklärung gegenüber ihrer bereits in der Krise befindlichen Tochtergesellschaft, während eines Zeitraums, der zur Prüfung der Sanierungsfähigkeit erforderlich ist, auf Anforderung zur Vermeidung von deren Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung deren fällige Verbindlichkeiten zu erfüllen, kann diese Erklärung mit Wirkung für die Zukunft gekündigt werden, wenn die Parteien nach den Umständen des Einzelfalles ein entsprechendes Kündigungsrecht vereinbart haben.“ Die Sanierung einer Tochtergesellschaft im Konzern kann aber nicht nur durch 2.251 organisatorische oder finanzielle Hilfen der Mutter bewerkstelligt werden, sondern auch durch Herauslösung aus dem Konzern, also durch Verkauf der Anteile (share deal) bzw. – sofern dies haftungsrechtlich vertretbar ist – durch Unternehmensverkauf (asset deal). Eine solche Sanierungsmaßnahme vermeidet, ähnlich wie die Kapitalerhöhung mit Hilfe von Drittinvestoren, zugleich eine Gefährdung der Muttergesellschaft. b) Sanierung der Muttergesellschaft Eine Sanierung der Muttergesellschaft ist u.a. möglich durch

2.252

– Organisations- und Kapitalmaßnahmen bei der Muttergesellschaft (insbesondere Kapitalerhöhung), – Teilveräußerungen von Anteilen an Tochtergesellschaften, – Teilliquidation im Konzern. 1 Eingehend Keßler, Interne und externe Patronatserklärungen als Instrumente zur Insolvenzvermeidung, 2015, S. 57 ff. 2 Vgl. dazu Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 7. Aufl. 2013, § 302 AktG Rz. 11. 3 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 296/08, BGHZ 187, 169 = NJW 2010, 3442 = ZIP 2010, 2092; dazu Keßler, Interne und externe Patronatserklärungen als Instrumente zur Insolvenzvermeidung, 2015, S. 66 ff.; Andreas Schmidt, BB 2010, 2752.

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2.253

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.253 c) Alle Maßnahmen der vorstehenden Art setzen eine Mitwirkung der Gesellschafter voraus, auch wo das Gesetz dies nicht, wie bei Kapitalerhöhung und Kapitalherabsetzung oder bei Umwandlungsmaßnahmen (§ 53 GmbHG, §§ 13, 125 UmwG), vorschreibt. Die Geschäftsführer sind verpflichtet, Grundlagenentscheidungen den Gesellschaftern zur Beschlussfassung vorzulegen1. Insbesondere gelten Grundsätze der zum Aktienrecht ergangenen Urteile „Holzmüller“ und „Gelatine“ – Vorlagepflicht bei elementaren Eingriffen in Gesellschafterrechte2 – nur noch mehr auch für die Geschäftsführer einer GmbH (vgl. schon Rz. 2.235). Die früher umstrittene Frage nach der erforderlichen Mehrheit3 ist für Maßnahmen der Umstrukturierung durch das aktienrechtliche „Gelatine“-Urteil geklärt4: Hier bedarf es einer qualifizierten (3/4) Mehrheit5. Dieses Erfordernis betrifft nicht den Konzern insgesamt, sondern nur die jeweils von der Maßnahme betroffene Gesellschaft. Die Pflicht der Geschäftsführer zur Befragung der Gesellschafter beginnt schon im Vorfeld der („Gelatine“-)Zone der „faktischen Satzungsänderungen“. Ungewöhnliche, insbesondere strategische Maßnahmen gehören generell in die Gesellschafterversammlung, die dann allerdings mit einfacher Mehrheit entscheiden kann6. Diese Mitwirkungsrechte der Gesellschafter bestehen auch in einer Gesellschaft (z.B. Holdinggesellschaft), die nicht unmittelbar Gegenstand der zu beschließenden Maßnahme, von dieser aber schwerwiegend betroffen ist. Dass von den Stimmrechten nur in den Grenzen der Treupflicht Gebrauch gemacht werden darf und dass die Treupflicht auch in Sanierungsrichtung gehen kann, versteht sich, nachdem der Bundesgerichtshof im „Girmes“-Urteil7 sogar Minderheitsaktionären und im Urteil „Sanieren oder Ausscheiden“8 sogar unbeschränkt haftenden Personengesellschaften ein Obstruktionsverbot bei der Beschlussfassung über sachgerechte Sanierungsmaßnahmen auferlegt hat (zum Obstruktionsverbot beim Insolvenzplan vgl. Rz. 8.34 ff.). Mit den Mitwirkungsrechten gehen also Treupflichten einher, bis hin zu der den Gesellschaftern im Urteil „Sanieren oder Ausscheiden“ angesonnenen Wahl zwischen zwei Übeln, sofern ein konsistent angelegter Kapitalschnitt Sanierung verspricht (Rz. 2.37). Grundsätzlich zu verneinen sind dagegen Leistungspflichten, insbesondere Nachschusspflichten der Gesellschafter (Rz. 1.34). 2.254–2.270 vacat 1 BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, GmbHR 1991, 197; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 37 GmbHG Rz. 12 ff.; Karsten Schmidt in Scholz, § 46 GmbHG Rz. 115; krit. Zitzmann, Die Vorlagepflichten des GmbH-Geschäftsführers, 1991, S. 35 ff., 85 ff. 2 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 – „Holzmüller“, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30 = AG 2004, 384 = DStR 2004, 922 m. Anm. Goette = ZIP 2004, 568 m. Anm. Altmeppen. 3 Ausführlich noch in der 3. Aufl., Rz. 383. 4 BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 – „Gelatine“, BGHZ 159, 30 = AG 2004, 384 = DStR 2004, 922 m. Anm. Goette = ZIP 2004, 568 m. Anm. Altmeppen. 5 So hier schon 3. Aufl., Rz. 383. 6 Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 37 GmbHG Rz. 15 ff.; Karsten Schmidt in Scholz, § 46 GmbHG Rz. 115. 7 BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 = NJW 1995, 1739 m. Anm. Altmeppen = GmbHR 1995, 665; zust. Lutter, JZ 1995, 1053 ff.; Marsch-Barner, ZIP 1996, 853 ff.; Häsemeyer, ZHR 160 (1996), 109 ff.; scharf abl. Flume, ZIP 1996, 161 ff. 8 BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 = GmbHR 2010, 32 = NZG 2009, 1347 = ZIP 2009, 2289.

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Karsten Schmidt

Arbeitsrechtliche Aspekte: Personalabbau

2.272

V. Arbeitsrechtliche Aspekte der Sanierung: Personalabbau 1. Ausgangspunkt und Regelungskomplexe Arbeitsrechtliche Aspekte der Sanierung ergeben sich in zweierlei Hinsicht. Zum 2.271 einen kann eine Reduzierung von Leistungen an die Arbeitnehmer erwogen werden1. Das Bundesarbeitsgericht hat die diesbezüglichen Grundsätze wie folgt zusammengefasst2: Ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Änderung der Arbeitsbedingungen i.S. der §§ 2 Satz 1, 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG kommt in Betracht, wenn die Parteien Nebenleistungen vereinbart haben, deren Gewährung an Umstände anknüpft, die nicht notwendig während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses vorliegen. Tritt eine wesentliche Änderung der maßgebenden äußeren Verhältnisse ein, die für die Vereinbarung einer Nebenleistung bestimmend waren und die außerhalb kündigungsschutzrechtlicher Regelungen als möglicher Wegfall oder als mögliche Störung der Geschäftsgrundlage geprüft werden, kann dies je nach den Umständen geeignet sein, eine Änderung der betreffenden Nebenabrede sozial zu rechtfertigen. Eine Nebenabrede in diesem Sinne liegt nur vor, wenn die fraglichen Leistungen einen Randbereich der vertraglichen Vereinbarungen betreffen. Will der Arbeitgeber die dem Arbeitnehmer zugesagte Vergütung insgesamt und grundlegend umgestalten, ist der Eingriff in das vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung allenfalls gerechtfertigt, wenn bei Aufrechterhaltung der bestehenden Gehaltsstruktur nicht mehr auffangbare Verluste entstünden, die absehbar zu einer Reduzierung der Belegschaft oder sogar zu einer Schließung des Betriebs führen müssten. Zum anderen ist die Sanierung regelmäßig mit Rationalisierungen und Umstruk- 2.272 turierungen verbunden, die sich auf den Bestand und den Inhalt von Arbeitsverhältnissen auswirken. Es kommt regelmäßig zu Änderungs- ebenso wie Beendigungskündigungen. Ein Personalabbau erfordert die Beachtung von vier Regelungskomplexen: – Die das jeweilige Arbeitsverhältnis betreffende Maßnahme muss den Anforderungen des Individualarbeits- bzw. Kündigungsschutzrechts genügen, d.h. eine Versetzung muss vom Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt, etwaige Änderungs- und Beendigungskündigungen müssen aus betriebsbedingten Gründen nach den Maßgaben des Kündigungsschutzgesetzes sozial gerechtfertigt sein, soweit dieses nach seinem persönlichen und sachlichen Geltungsbereich anwendbar ist (§ 1 Abs. 1 KSchG und § 23 KSchG). – Rationalisierungen und Umstrukturierungen können Betriebsänderungen i.S. der §§ 111 ff. BetrVG darstellen, so dass die diesbezüglichen Beteiligungsrechte des Betriebsrats zu beachten sind. 1 Vgl. zum Abbau von Arbeitsbedingungen etwa Preis (Hrsg.), Innovative ArbeitsformenFlexibilisierung von Arbeitszeit, Arbeitsentgelt, Arbeitsorganisation, 2005; Lindemann, Flexible Gestaltung von Arbeitsbedingungen nach der Schuldrechtsreform, 2003. S. zur Änderungskündigung zwecks Arbeitszeitverlängerung oder Entgeltherabsetzung etwa BAG v. 26.6.2008 – 2 AZR 139/07, DB 2008, 2141; Bauer/Winzer, BB 2006, 266 ff.; Berkowsky, NZA 2006, 607 ff.; Gaul, DB 1998, 1913 ff. S. zu Tarifregelungen zwecks Arbeitszeitverkürzung und Entgeltminderung etwa BAG v. 25.10.2000 – 4 AZR 438/99, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Internationaler Bund = DB 2001, 547. 2 Vgl. BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 396/12, DB 2014, 190.

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2.273

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

– Die Häufung arbeitsrechtlicher Entlassungsmaßnahmen kann dazu führen, dass es sich im Einzelfall um eine Massenentlassung i.S. der §§ 17 ff. KSchG handelt, so dass Anzeigepflichten sowie Unterrichtungs- und Beratungspflichten zu erfüllen sind. – Die Durchführung der einzelnen personellen Maßnahmen bedarf der Beteiligung des Betriebsrats nach den §§ 99 ff. BetrVG. Dies gilt insbesondere für die Zustimmung zu Versetzungen und für die Anhörung bei Kündigungen. Schwerpunkt der folgenden Ausführungen sind die Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes für den Ausspruch und die Wirksamkeit betriebsbedingter Kündigungen. Die unter dem Gesichtspunkt der Betriebsänderung zu beachtenden betriebsverfassungsrechtlichen Erfordernisse werden später anzusprechen sein (Rz. 3.57 ff.). 2. Betriebsbedingte Kündigung 2.273 Die betriebsbedingte Kündigung1 setzt voraus, dass erstens Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer auf Grund dringender betrieblicher Erfordernisse entfallen (Rz. 2.274 ff.) und dass zweitens soziale Gesichtspunkte bei der Auswahl des von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmers ausreichend berücksichtigt worden sind (Rz. 2.292 ff.). Dem Arbeitnehmer steht ein Wiedereinstellungsanspruch zu, wenn während der Kündigungsfrist die betrieblichen Kündigungsgründe wegfallen2. a) Dringende betriebliche Erfordernisse (§ 1 Abs. 2 KSchG) 2.274 Die Prüfung dringender betrieblicher Erfordernisse vollzieht sich nach folgendem Darlegungs- und Prüfungsschema3: – Liegt überhaupt ein „an sich“ betriebsbedingter Kündigungsgrund vor? – Liegt der Kündigung eine unternehmerische Entscheidung zugrunde? – Liegen die angeführten inner- und außerbetrieblichen Ursachen, die zur unternehmerischen Entscheidung geführt haben, vor? – Bedingt die unternehmerische Entscheidung den verringerten Personalbedarf (wirkt sie sich auf den Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers aus)? – Fällt der Arbeitsplatz spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist weg bzw. besteht der verringerte Personalbedarf mindestens bis dahin (Prognose)? – Ist die Kündigung erforderlich oder ist ein geeignetes milderes Mittel vorhanden? – Ist das betriebliche Erfordernis auch „dringend“ i.S. des § 1 Abs. 2 KSchG? 1 S. als Überblick etwa Bauer, NZA 2004, Sonderbeilage zu Heft 18, 38 ff.; Däubler, NZA 2004, 177 ff.; Hoß, MDR 2000, 305 ff.; Hunold, NZA-RR 2013, 57 ff.: Kleinebrink, DB 2008, 1858 ff.; Kleinebrink, DB 2013, 2448 ff.; Schiefer, NZA-RR 2005, 1 ff.; Seel, MDR 2012, 1449 ff.; Tschöpe, BB 2000, 2630 ff.; Wank, RdA 2012, 139 ff. 2 Vgl. BAG v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. S. dazu etwa Boewer, NZA 1999, 1177 ff.; Günzel, DB 2000, 1227 ff.; Kaiser, ZfA 2000, 205 ff.; Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87 ff.; Raab, RdA 2000, 147 ff. 3 Vgl. U. Preis, NZA 1995, 241, 244; J. Vetter, NZA 2005, Beilage 1, S. 64, 72.

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Arbeitsrechtliche Aspekte: Personalabbau

2.275

Jeder betriebsbedingten Kündigung liegt eine unternehmerische Entscheidung zu- 2.275 grunde, auf Grund derer Arbeitsplätze entfallen. Ausgangspunkt für die Begründung der betriebsbedingten Kündigung ist, dass nach den konzeptionellen, strukturellen Entscheidungen des Arbeitgebers keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr gegeben sind1. Die unternehmerische Entscheidung kann durch außeroder innerbetriebliche Gründe veranlasst sein2. Sie ist nicht auf ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Sie muss aber endgültig und ernsthaft sein. Die Arbeitsgerichte haben die unternehmerische Entscheidung hinzunehmen, die zum Wegfall einer Beschäftigungsmöglichkeit führt. Sie können nicht Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit der unternehmerischen Entscheidung prüfen, sondern lediglich eine Missbrauchskontrolle dahin gehend anstellen, ob die unternehmerische Entscheidung offensichtlich unsachlich oder willkürlich ist3. Die Missbräuchlichkeit hat der Arbeitnehmer darzulegen4. Es ist daher unzutreffend, wenn das LAG Berlin den Arbeitgeber beschränkt5, eine Fremdvergabe von Reinigungsarbeiten vorzunehmen, um Arbeitsplätze für „unkündbare“ Arbeitnehmer zu erhalten. Eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit Auslauffrist kann dann in Betracht kommen, wenn die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung ausgeschlossen ist und dies dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer andernfalls trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für Jahre vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstünde. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in keiner Weise mehr sinnvoll einsetzen kann. Dies stellt keine Umgehung des vereinbarten Schutzes vor einer ordentlichen Kündigung dar. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann durch eine (tarif-)vertragliche Vereinbarung nicht beschränkt werden. Der Ausschluss der ordentlichen Kündigung begründet keinen absoluten Schutz vor einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus betrieblichem Anlass, sofern die Voraussetzungen vorliegen, die an einen wichtigen Grund zu stellen sind. Ein wichtiger Grund i.S. von § 626 Abs. 1 BGB kann sich auch aus dem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit aufgrund innerbetrieblicher, von äußeren Faktoren nicht „erzwungener“ Maßnahmen ergeben. Der Arbeitgeber muss von einer solchen Maßnahme regelmäßig auch dann nicht absehen, wenn dadurch einem ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitsverhältnis die Grundlage entzogen wird. Der in Tarifverträgen an eine bestimmte Dauer der Betriebszugehörigkeit und ein bestimmtes Lebensalter geknüpfte Ausschluss der ordentlichen Kündigung ist in der Regel nicht dahin zu verstehen, dass damit mittelbar die unternehmerische Entscheidungsfreiheit ein1 Vgl. BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 456/98, DB 1999, 2117; BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 522/98, DB 1999, 1910; BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 141/99, DB 1999, 1909 (für die Ausdünnungs- und Stellenabbauentscheidung als unternehmerische Maßnahme grundlegend). 2 Vgl. BAG v. 26.6.1975 – 2 AZR 499/74, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 7.12.1978 – 2 AZR 155/77, DB 1979, 650. 3 Vgl. BAG v. 30.4.1987 – 2 AZR 184/86, DB 1987, 2207; BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 183/89, DB 1990, 1773; BAG v. 26.9.2002 – 2 AZR 636/01 (Ausgliederungsfall bei finanziell, organisatorisch und wirtschaftlich eingegliederter Tochtergesellschaft zur Verselbständigung von Serviceleistungen); Berscheid, Anwaltsblatt 1995, 8, 12; Bitter/Kiel, RdA 1994, 333, 347; Schrader/Siebert, NZA-RR 2013, 113 ff. 4 Vgl. BAG v. 23.4.2008 – 2 AZR 1110/06, DB 2008, 1631. 5 Vgl. LAG Berlin v. 3.4.2001 – 3 Sa 2778/00.

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2.276

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

geschränkt werden soll1. Es gehört zum Kern der unternehmerischen Freiheit, die betriebliche Organisation zu gestalten und festzulegen, an welchem Standort welche arbeitstechnischen Zwecke und Ziele verfolgt werden sollen. Der gesetzliche Kündigungsschutz verpflichtet den Arbeitgeber nicht, eine bestimmte betriebliche Organisationsstruktur beizubehalten2. Die Rechtsprechung hat Rechtsmissbräuchlichkeit angenommen, wenn ein Arbeitnehmer durch die Bildung separater betrieblicher Organisationsstrukturen bei unverändertem Beschäftigungsbedarf aus dem Betrieb gedrängt wird, indem die tatsächlichen Arbeitsabläufe unangetastet bleiben und nur pro forma in ein zu diesem Zweck erdachtes rechtliches Gefüge eingepasst werden3. Es wird vermutet, dass eine beschlossene und durchgeführte OutsourcingMaßnahme nicht rechtsmissbräuchlich ist, auch wenn nur der Arbeitsplatz eines einzelnen, ordentlich unkündbaren Arbeitsnehmers betroffen ist4. Es kann Fälle einer betriebsbedingten Kündigung geben, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind. Die ansonsten berechtigte Vermutung, die fragliche Entscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, kann in diesen Fällen nicht unbesehen greifen. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Daran fehlt es, wenn die Kündigung zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbleibenden Personals führen würde oder die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung lediglich Vorwand dafür wäre, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird5. Das Arbeitsgericht prüft nach, ob die von dem Arbeitgeber geltend gemachten außerbetrieblichen oder innerbetrieblichen Gründe vorliegen und ob sich auf Grund der insoweit getroffenen gerichtsfreien unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers ergibt, dass kein Bedürfnis mehr für die Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern besteht6. 2.276 Die außer- oder innerbetrieblichen Umstände müssen dauerhaft zur Reduzierung des betrieblichen Arbeitskräftebedarfs führen. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen näher darzulegen, aus denen sich ergeben soll, dass zukünftig auf Dauer mit einem reduzierten Arbeitsvolumen und Beschäftigungsbedarf zu rechnen ist; das Vorliegen von nur kurzfristigen Produktions- oder Auftragsschwankungen muss ausgeschlossen sein. Der Arbeitgeber hat den dauerhaften Rückgang des Arbeitsvolumens nachvollziehbar darzustellen, in dem er die einschlägigen Daten aus re1 Vgl. BAG v. 22.11.2012 – 2 AZR 673/11, NZA 2013, 730; BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 379/12, NZA 2014, 139; BAG v. 18.6.2015 – 2 AZR 480/14, DB 2015, 2092. 2 Vgl. BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 163/11, NZA-RR 2013, 74. 3 Vgl. BAG v. 23.4.2008 – 2 AZR 1110/06, DB 2008, 1631. 4 Vgl. BAG v. 18.6.2015 – 2 AZR 480/14, DB 2015, 2092. 5 Vgl. BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 522/98, BAGE 92, 61 = AP KSchG 1969 § 1 Nr. 102 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 16.12.2010 – 2 AZR 770/09, DB 2011, 879; BAG v. 23.2.2012 – 2 AZR 548/10, NZA 2012, 852; BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 124/11, DB 2012, 2402 = NZA 2012, 1223; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 5.3.2013 – 5 Sa 106/12, LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 40. 6 Vgl. BAG v. 7.12.1978 – 2 AZR 155/77, DB 1979, 650.

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Arbeitsrechtliche Aspekte: Personalabbau

2.277

präsentativen Referenzperioden miteinander vergleicht. Ein nur vorübergehender Arbeitsmangel kann eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen1. Jegliche Beschäftigungsmöglichkeit entfällt evident mit einer Betriebsstilllegung2. Erforderlich ist, dass der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst hat, den Betrieb endgültig und nicht nur vorübergehend stillzulegen3. Das bloße Auslaufen eines Auftrags rechtfertigt eine betriebsbedingte Kündigung nicht ohne Weiteres, es sei denn, es liegen objektive Anhaltspunkte dafür vor, dass zwingend mit keiner Auftragsvergabe durch einen Dritten gerechnet werden muss4. Der Entschluss des Arbeitgebers, ab sofort keine neuen Aufträge mehr anzunehmen, allen Arbeitnehmern zum nächstmöglichen Kündigungstermin zu kündigen, zur Abarbeitung der vorhandenen Aufträge eigene Arbeitnehmer während der jeweiligen Kündigungsfristen einzusetzen und so den Betrieb schnellstmöglich stillzulegen, ist als unternehmerische Entscheidung grundsätzlich zur Rechtfertigung betriebsbedingter Kündigungen geeignet. Das gleiche gilt selbst dann, wenn zunächst eine kleinere Betriebsabteilung fortgeführt werden soll. Es kommt für die Frage nach dem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung maßgeblich auf das Schließungskonzept des Arbeitgebers an. Entschließt sich der Arbeitgeber zur schnellstmöglichen, dauerhaften Aufhebung der Betriebsund Produktionsgemeinschaft, entfällt die Beschäftigungsmöglichkeit mit dem Ablauf der individuellen Kündigungsfrist. Die Unternehmerentscheidung kann (außerbetrieblich) an Absatzschwierigkei- 2.277 ten oder Auftragsmangel anknüpfen. Der Arbeitgeber kann feststellen, dass angesichts des Arbeitsanfalls die Belegschaft überbesetzt ist. Ertragsverschlechterung oder Kostenerhöhungen können für den Arbeitgeber Anlass sein, betriebliche Maßnahmen zur Verbesserung der Situation zu ergreifen, etwa Produktionsbereiche aufzugeben oder einzuschränken, Hierarchieebenen zu bereinigen oder Personal- und Stellenstrukturen zu straffen. Witterungsgründe können ebenfalls Ausgangspunkt für eine unternehmerische Entscheidung über einen Stellenabbau sein5. Macht der Arbeitgeber einen Umsatzrückgang geltend, der die Einschränkung eines Produktionsbereichs oder eine Herabsetzung der Belegschaft erfordert, so wird er die Umsatzentwicklung aufzeigen und darstellen, wie er im Einzelnen auf diesen Umsatzrückgang reagiert hat, d.h. wie sich aus den von ihm getroffenen Dispositionen der Arbeitsplatzwegfall ergibt6. Der Arbeitgeber, der sich zur Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung auf einen Rückgang des Beschäftigungsvolumens infolge eines verringerten Auftragsbestands beruft, muss darlegen, dass nicht nur eine kurzfristige Abwärtsbewegung vorliegt, sondern eine dauerhafte Auftragseinbuße zu erwarten ist. Die Möglichkeit einer „normalen“, im Rahmen des Üblichen liegenden Auftragsschwankung muss prognostisch aus1 Vgl. BAG v. 23.2.2012 – 2 AZR 548/10, DB 2012, 1630. 2 Vgl. BAG v. 18.1.2001 – 2 AZR 514/99, DB 2001, 1370; BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 447/04, DB 2005, 2474; BAG v. 29.9.2005 – 8 AZR 647/04, DB 2006, 846. 3 Vgl. BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465. 4 Vgl. BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 543/06, NZA 2008, 821. 5 Vgl. BAG v. 7.3.1996 – 2 AZR 180/95, DB 1996, 1523. 6 Vgl. BAG v. 30.5.1985 – 2 AZR 321/84, AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 11.9.1986 – 2 AZR 564/85, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 54; ArbG Bielefeld v. 13.8.2012 – 4 Ca 2374/10.

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2.278

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

geschlossen sein; dazu bedarf es regelmäßig eines Vergleichs der maßgebenden Daten aus repräsentativen Referenzperioden1. 2.278 Personalabbau und Stellenreduzierung können auch ohne äußere Anlässe die betriebsbedingte Kündigung begründen. Der Entschluss des Arbeitgebers zur Stellenreduzierung führt zu dem für die betriebsbedingte Kündigung maßgeblichen Stellenwegfall2. Es gehört zum Kern der unternehmerischen Freiheit, die betriebliche Organisation zu gestalten und festzulegen, an welchem Standort welche arbeitstechnischen Zwecke und Ziele verfolgt werden sollen3. Der gesetzliche Kündigungsschutz verpflichtet den Arbeitgeber nicht, eine bestimmte Organisationsstruktur beizubehalten. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber entscheidet, die Belegschaft generell um eine bestimmte Anzahl zu verkleinern4. Der Arbeitgeber ist bei Abnahme des Arbeitsvolumens nicht gehalten, nur solche Folgerungen zu ziehen, die lediglich auf eine proportionale Stellenreduzierung hinauslaufen. Eine Stellenreduzierung kommt auch dann in Betracht und ist als unternehmerische Maßnahme zu respektieren, wenn damit eine „Leistungsverdichtung“ einhergeht5. Ein bloßer Einsparungs- oder Kostenreduzierungsbeschluss genügt nicht6. Die Entscheidung muss in eine betrieblich-organisatorische Maßnahme münden. Beispiele: Einführung eines rollierenden Einsatzsystems7, Einführung einer Halbtagsstelle statt einer Vollzeitstelle8, Entfallen einer Hierarchiestufe und Umgestaltung von Führungsstrukturen9, Einführung eines rollierenden Einsatzsystems10, Ausgliederung/Fremdvergabe11, Produktionsver-

1 Vgl. BAG v. 23.2.2012 – 2 AZR 482/11. 2 Vgl. LAG Köln v. 10.2.1995 – 13 Sa 708/94, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 30; LAG Köln v. 12.5.1995 – 13 Sa 1184/94, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 32; LAG Köln v. 9.8.1996 – 11 Sa 271/96, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 41; Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rz. 474; B. Preis, NZA 1997, 625 ff. S. aber kritisch U. Preis, NZA 1997, 1073, 1079. 3 Vgl. BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 163/11, NZA-RR 2013, 74. 4 Vgl. LAG Köln v. 8.5.1996 – 7 Sa 764/95, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 38. 5 Vgl. BAG v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, AP Nr. 42 zu § 2 KSchG = DB 1997, 1776; LAG Düsseldorf v. 11.10.2001 – 13 (14) Sa 997/01, NZA-RR 2002, 353; LAG Baden-Württemberg v. 12.8.2004 – 22 Sa 99/03; Hümmerich/Spirolke, NZA 1998, 797 ff. 6 Vgl. LAG Baden-Württemberg v. 24.4.1995 – 15 Sa 162/94, LAGE § 2 KSchG Nr. 18. 7 Vgl. LAG Düsseldorf v. 26.5.1999 – 9 Sa 335/99, DB 2000, 1029. 8 Vgl. BAG v. 23.11.2000 – 2 AZR 617/99, AP Nr. 63 zu § 2 KSchG 1969 = NZA 2001, 500. 9 Vgl. BAG v. 27.9.2001 – 2 AZR 176/00, DB 2002, 1163. 10 Vgl. LAG Düsseldorf v. 26.5.1999 – 9 Sa 335/99, DB 2000, 500. 11 Vgl. BAG v. 21.2.2002 – 2 AZR 556/00, DB 2002, 2276 (Übertragung der Aufgaben von „Field-Koordinatoren“ von einem Pharmaunternehmen auf ein Drittunternehmen); BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 740/00, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 117; BAG v. 27.6.2002 – 2 AZR 489/01, NZA 2002, 1304 (Fremdvergabe von Laborleistungen); BAG v. 16.12.2004 – 2 AZR 66/04, NZA 2005, 761 (Übertragung der Aufgaben von Produktionsleitern einer Zeitung auf „Team-Dispatcher“ eines Drittunternehmens); BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13, DB 2015, 1105 (Fremdvergabe von Hausmeisterdiensten); LAG Rheinland-Pfalz v. 23.2.2012 – 10 Sa 503/11 (Auflösung des internen Reinigungsdienstes).

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Arbeitsrechtliche Aspekte: Personalabbau

2.279

lagerung z.B. ins Ausland1, Ersetzung abhängiger Arbeitnehmer durch selbständige Unternehmer oder freie Mitarbeiter2, Betriebsstilllegung3, Druckkündigung4. Dem Arbeitgeber ist überlassen, wie er sein Unternehmensziel kostengünstig und zweckmäßig am Markt verfolgt, und er kann unter diesem Gesichtspunkt auch das System und die Vertragsformen für Mitarbeiter im Außendienst umorganisieren5. Die Unternehmensentscheidung muss allerdings konkrete organisatorische Auswirkungen haben. Eine bloß etikettenmäßige, formale Umbenennung genügt nicht6. Eine unternehmerische Entscheidung zur Reorganisation kann auch ein Gesamtkonzept beinhalten, das sowohl die Umgestaltung aller bisherigen Arbeitsplätze als auch die Reduzierung des bisherigen Arbeitsvolumens zum Gegenstand hat. Ein solches Gesamtkonzept ist nicht zu beanstanden und nimmt an der nur auf Missbrauch beschränkten gerichtlichen Kontrolle teil7. Die organisatorische Maßnahme braucht bei Kündigungszugang noch nicht umgesetzt zu sein: Es reicht aus, wenn sich die künftige Entwicklung konkret und greifbar abzeichnet8. Hängt der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs von unternehmerisch-organisatorischen Maßnahmen des Arbeitgebers ab, die bei Zugang der Kündigung faktisch noch nicht umgesetzt worden sind, müssen zumindest die Absicht und der Wille des Arbeitgebers, diese Maßnahmen vorzunehmen, zu diesem Zeitpunkt schon vorhanden und abschließend gebildet worden sein9. Der Arbeitgeber kann (und muss) bei der Geltendmachung eines Arbeitskräfte- 2.279 überhangs darlegen, dass und wie er eine bestimmte Arbeitsmenge nunmehr auf eine geringere Anzahl von Arbeitnehmern verteilt. Der Arbeitgeber kann sich dabei arbeitswissenschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse bedienen. Er kann auf Messziffernsysteme Bezug nehmen; je differenzierter und fallbezogener ein derartiges Messziffernsystem ist, desto plausibler kann dem Arbeitsgericht ein Arbeitskräfteüberhang dargetan werden10. Der Arbeitgeber kann auch Vergleichsrechnungen zwischen der früheren und der jetzigen Arbeitsmenge aufzeigen, um darzutun, dass die bisherige Belegschaft gegenüber der verbliebenen Arbeitsmenge überdimensioniert ist. Es geht letztlich um eine Plausibilitätskontrolle11. Macht der Arbeitgeber geltend, dass er zur Kostenersparnis und Verbesserung der Wirtschaftlichkeit eine Hierarchiestraffung konzipiert hat, so muss er dartun, dass er die Entscheidung getroffen hat, die Arbeit und Funktionen auf 1 Vgl. BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 809/12, DB 2014, 663. 2 Vgl. BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, DB 2008, 1575. 3 Vgl. BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 154/12, DB 2013, 2687 (Beschlussfassung kündigungsrechtlich durch Geschäftsführer möglich auch ohne Gesellschafterbeschluss). 4 Vgl. BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 420/12, DB 2013, 2934. 5 Vgl. BAG v. 9.5.1996 – 2 AZR 438/95, AP Nr. 79 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung = DB 1996, 2033 (Umstellung von Arbeitsverträgen auf „Partnerverträge“). 6 Vgl. BAG v. 26.9.1996 – 2 AZR 200/96, AP Nr. 80 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 1997, 178 („Austauschkündigung“); BAG v. 16.12.2004 – 2 AZR 66/04, NZG 2005, 761. 7 Vgl. BAG v. 22.9.2005 – 2 AZR 208/05, AP Nr. 141 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 2006, 1118. 8 Vgl. BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13, DB 2015, 1105. 9 Vgl. BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, DB 2015, 133. 10 Vgl. BAG v. 26.6.1975 – 2 AZR 499/74, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 11 Vgl. LAG Düsseldorf v. 11.10.2001 – 13 (14) Sa 997/01, NZA-RR 2001, 187.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

beispielsweise drei anstatt fünf Ebenen zu verteilen, und er muss nachvollziehbar machen, dass es sich dabei nicht nur um eine fiktive, irreale Überlegung handelt, sondern um eine solche, die zu einem anderen (möglichen) Betriebsablauf und Organisationsplan führt, so dass Beschäftigungsmöglichkeiten in der bisherigen Form nicht mehr gegeben sind1. Der Arbeitgeber muss etwa bei Abbau einer Hierarchieebene oder bei Streichung einzelner Arbeitsplätze in Verbindung mit einer Umverteilung der Aufgaben konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten künftig entfallen2. Läuft die unternehmerische Entscheidung nur auf den Abbau von Arbeitsplätzen oder gar die Entlassung eines Arbeitnehmers hinaus und wird dies verbunden mit einer Neuverteilung der den betroffenen Arbeitnehmern bisher zugewiesenen Arbeitsaufgaben, so hat der Arbeitgeber zur Begründung einer betriebsbedingten Kündigung darzulegen, welche konkreten Arbeitsaufgaben mit welchem Arbeitsvolumen auf andere Arbeitnehmer zu einem bestimmten Zeitpunkt übertragen werden. Er hat im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast die Auswirkungen seiner unternehmerischen Planungen und Vorgaben auf das zu erwartende Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darzustellen und anzugeben, wie die anfallenden Arbeiten erledigt werden können3. Der Arbeitgeber hat darzulegen, welche Arbeitsaufgaben mit welchen Arbeitszeitvolumina bisher die Arbeitnehmer durchgeführt haben, auf die durch die Neuverteilung neue Arbeitsaufgaben übertragen werden, damit die bisherige und zukünftige Entwicklung der Arbeitsmenge ohne überobligationsmäßige Leistungen des verbliebenen Personals festgestellt werden kann4. In welcher Weise ein Arbeitgeber darlegt, dass die Umverteilung von Arbeitsaufgaben nicht zu einer überobligatorischen Beanspruchung im Betrieb verbliebener Arbeitnehmer führt, bleibt ihm überlassen. Handelt es sich um nicht taktgebundene Arbeiten, muss nicht in jedem Fall und minutiös dargelegt werden, welche einzelnen Tätigkeiten die fraglichen Mitarbeiter künftig mit welchen Zeitanteilen täglich zu verrichten haben. Es kann je nach Einlassung des Arbeitnehmers ausreichend sein, wenn der Arbeitgeber die getroffenen Vereinbarungen zu Umfang und Verteilung der Arbeitszeit darstellt und Anhaltspunkte dafür darlegt, dass Freiräume für die Übernahme zusätzlicher Aufgaben vorhanden sind5. b) Ultima-Ratio-Prinzip 2.280 Die Beendigungskündigung ist das äußerste und letzte Mittel: ultima ratio. Ein betriebliches Erfordernis bedingt die Entlassung nur dann, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, entweder durch eine andere Beschäftigung den betroffenen Arbeitnehmer unterzubringen oder durch eine andere Maßnahme dem betrieblichen Erfordernis Rechnung zu tragen, um so die Entlassung zu vermeiden; nur wenn derartige andere Mittel nicht zur Verfügung stehen, ist der betriebliche 1 Vgl. Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rz. 542 ff. 2 Vgl. BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 124/11, DB 2012, 2402. 3 Vgl. BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 124/11, DB 2012, 2402. 4 Vgl. BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 1041/06, DB 2008, 1689; LAG Berlin v. 22.8.2003 – 2 Sa 810/03, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; LAG Köln v. 2.2.2005 – 3 Sa 1045/04, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 73. 5 Vgl. BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 124/11, DB 2012, 2402.

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Arbeitsrechtliche Aspekte: Personalabbau

2.282

Grund so dringend, dass er die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt1. Eine Kündigung ist nur dann i.S. von § 1 Abs. 2 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, dem bei Ausspruch der Kündigung absehbaren Wegfall des Beschäftigungsbedarfs durch andere Maßnahmen als durch eine Beendigungskündigung zu entsprechen. Das Merkmal der „Dringlichkeit“ der betrieblichen Erfordernisse ist Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Aus ihm folgt, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus eine sowohl diesem als auch ihm selbst objektiv mögliche anderweitige Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz – ggf. im Wege der Änderungskündigung – anbieten muss. Dieses in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b Satz 3 KSchG konkretisierte Erfordernis gilt unabhängig davon, ob in dem Beschäftigungsbetrieb ein Betriebsrat besteht und dieser der Kündigung widersprochen hat2. Die Weiterbeschäftigung muss, damit die Dringlichkeit ausgeschlossen wird, sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Arbeitnehmer objektiv möglich sein. Dies setzt voraus, dass ein freier Arbeitsplatz zu gleichwertigen/vergleichbaren oder zu geänderten/ schlechteren Bedingungen zur Verfügung steht3. Dies ist bei einem dauerhaft arbeitsunfähigen Arbeitnehmer fraglich4. Die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf einem anderen, freien und gleich- 2.281 wertigen Arbeitsplatz steht einer betriebsbedingten Kündigung entgegen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b KSchG). Es ist zu prüfen, ob ein freier Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens vorhanden ist. Eine Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz eines anderen Unternehmens ist zu berücksichtigen, wenn dieser sich in einem Gemeinschaftsbetrieb des kündigenden und des anderen Unternehmens befindet5. Das Kündigungsschutzgesetz ist nicht konzernbezogen. Eine konzernbezogene Weiterbeschäftigungspflicht besteht nur ausnahmsweise unter besonderen Voraussetzungen6. Zum einen muss sich ein anderes Konzernunternehmen ausdrücklich zur Übernahme des Arbeitnehmers bereit erklären oder eine Unterbringungsverpflichtung unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag, einer sonstigen vertraglichen Absprache oder der in der Vergangenheit geübten Praxis folgen. Zum anderen muss ein bestimmender Einfluss des vertragsschließenden Unternehmens auf die „Versetzung“ bestehen. Die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung auf einem anderen, freien und gleich- 2.282 wertigen Arbeitsplatz ist auch dann gegenüber der Entlassung vorrangig, wenn dies erst nach zumutbaren Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen möglich ist (§ 1 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 KSchG). Der Fortbildungs- oder Umschulungsaspekt bezieht sich allerdings nur auf das Leistungsprofil des Arbeitnehmers in der Brei1 Vgl. BAG v. 25.6.1989 – 2 AZR 600/88, AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 1989, 2384. S. zum Verhältnismäßigkeitsprinzip bei der betriebsbedingten Kündigung eingehend Wank, RdA 2012, 139 ff. 2 Vgl. BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 809/12, DB 2014, 663. 3 Vgl. BAG v. 25.10.2012 – 2 AZR 552/11, NZA-RR 2013, 632. 4 Vgl. BAG v. 21.9.2000 – 2 AZR 440/99, AP Nr. 112 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; LAG Berlin v. 14.1.2000 – 6 Sa 1547/98, NZA-RR 2001, 187. 5 Vgl. BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277; BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, DB 2013, 586. 6 S. dazu näher etwa BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277; BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, DB 2013, 586.

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2.283

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

te. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer zumutbare Umschulungs- oder Fortbildungsmöglichkeiten anzubieten, besteht nur, wenn im Kündigungszeitpunkt feststeht, dass spätestens nach Durchführung der Qualifizierungsmaßnahme ein geeigneter Arbeitsplatz im Unternehmen vorhanden und frei ist. Der Arbeitgeber ist von Gesetzes wegen nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer allein zum Zwecke der Qualifikation weiter zu beschäftigen1. 2.283 Vorrang vor der Entlassung hat schließlich die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung auf einem anderen, freien Arbeitsplatz zu geänderten Arbeitsbedingungen (§ 1 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 KSchG). Der Arbeitgeber hat, soweit rechtlich möglich, dem Arbeitnehmer eine entsprechende Beschäftigung kraft des Direktionsrechts zuzuweisen oder, soweit die Maßnahme vom Direktionsrecht nicht gedeckt ist, ein Änderungsangebot zu unterbreiten2. Es gilt in allen Fällen der Grundsatz des Vorrangs der Änderungskündigung vor der Beendigungskündigung als Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. 2.284 Die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit ist auch dann zu beachten, wenn nach dem unternehmerischen Konzept nur eine vorübergehende Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz in Betracht kommt3. 2.285 Arbeitsplätze sind frei, wenn sie zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind4. Der Arbeitgeber kann sich allerdings nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB nicht auf einen von ihm selbst treuwidrig durch eine vorgezogene Stellenbesetzung verursachten Wegfall freier Arbeitsplätze im Kündigungszeitpunkt berufen5. Ein freier vergleichbarer (gleichwertiger) Arbeitsplatz oder ein freier Arbeitsplatz zu geänderten (schlechteren) Arbeitsbedingungen ist nur dann in die Betrachtung einzubeziehen, wenn der Arbeitnehmer über die hierfür erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt. Das Anforderungsprofil bestimmt der Arbeitgeber bis zur Grenze der offensichtlichen Unsachlichkeit (Beispiel: Berufserfahrung)6. Etwas anderes gilt für rein persönliche Merkmale ohne Bezug zur konkreten Arbeitsaufgabe. Ein Arbeitsplatz kann nicht als frei angesehen werden, solange ein zur Erledigung der dort anfallenden Arbeit dem Arbeitgeber arbeitsvertraglich verpflichteter Arbeitnehmer vorhanden ist. Daran ändert auch eine Krankheit bzw. vorübergehende Arbeitsunfähigkeit nichts. Selbst wenn wahrscheinlich ist oder feststeht, dass der erkrankte Arbeitnehmer nicht zurückkehren wird, ist allein dadurch der betreffende Arbeitsplatz nicht als frei anzusehen, solange der Arbeitsvertrag mit dem Erkrankten besteht. Es ist bis zur Grenze des Missbrauchs Sache des Arbeitgebers, darüber zu bestimmen, ob und ggf. wie lange er eine Krankheitsvakanz auf einen bestimmten Arbeitsplatz hinnimmt und ob

1 Vgl. BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1001/12. 2 Vgl. BAG v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 3 Vgl. BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 417/14, NZA 2015, 1083. 4 Vgl. BAG v. 2.2.2006 – 2 AZR 38/05, NZA 2007, 352. 5 Vgl. BAG v. 25.4.2002 – 2 AZR 260/01, DB 2003, 158. 6 Vgl. BAG v. 24.6.2004 – 2 AZR 326/03, DB 2004, 2431; BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 399/04, DB 2006, 341; BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 107/07, NZA 2008, 1180.

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Arbeitsrechtliche Aspekte: Personalabbau

2.287

und wie er sie überbrückt1. Freie Stellen in ausländischen Betrieben sind nicht zu berücksichtigen2. Dem Arbeitnehmer muss keine Stelle mit einer höherwertigen Qualifikation oder 2.286 auf einer höherwertigen Funktionsebene eingeräumt werden, auch wenn diese frei ist. Einen Anspruch auf Beförderung gibt es nicht3. Ein Anspruch auf Beförderung und damit auf Qualifizierung für höherwertige Aufgaben wird insbesondere auch durch § 1 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 KSchG nicht begründet4. Der Arbeitgeber kann anlässlich einer Umgestaltung des Arbeitsablaufs und einer Verlagerung von Arbeiten in andere Betriebe oder Betriebsabteilungen nur dann geltend machen, dass eine Besetzung der insoweit neu geschaffenen Stellen mit den früheren Arbeitsplatzinhabern nicht in Betracht komme, weil es sich um „Beförderungsstellen“ handele, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit andere, neue Tätigkeiten beinhaltet und nicht letztlich die alten Verrichtungen fortgesetzt werden; im letztgenannten Fall handelt es sich um gleichartige, vergleichbare Arbeitsplätze5. Wenn der Arbeitgeber Beschäftigungsmöglichkeiten von einem Betrieb oder Betriebsteil in einen anderen verlegt, so folgt aus einer höheren Vergütung für die neuen Positionen nicht, dass es sich um Beförderungsstellen handelt, wenn die Tätigkeit ganz überwiegend gleich geblieben ist6. Die (unternehmensbezogene) Weiterbeschäftigungspflicht (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b KSchG) kann dazu führen, dass mehrere Arbeitnehmer aus verschiedenen Betrieben um denselben Arbeitsplatz in einem der Betriebe konkurrieren: Der Arbeitgeber hat dann bei seiner Entscheidung über die Besetzung dieses Arbeitsplatzes die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen7. Der Abbau von Leiharbeitnehmern ist jedenfalls dann nicht vorrangig, wenn diese 2.287 (nur) zum Auffangen von Arbeitsspitzen oder zu Vertretungszwecken eingesetzt werden8. Arbeitsplätze sind allerdings dann als frei anzusehen, wenn auf ihnen Leiharbeitnehmer tätig sind, die nicht zur Abdeckung von Vertretungsbedarf („Personalreserve“) oder von Auftragsspitzen tätig sind, sondern wenn es sich um (sonstige) dauerhafte Arbeitsplätze handelt, die der Arbeitgeber mit Leiharbeitnehmern besetzt hat9.

1 Vgl. BAG v. 2.2.2006 – 2 AZR 38/05, AP Nr. 142 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 2 Vgl. BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 809/12, DB 2014, 663; Fuhlrott, DB 2014, 1198 ff. 3 Vgl. BAG v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, DB 1991, 173. 4 Vgl. BAG v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, DB 1991, 173; BAG v. 7.2.1991 – 2 AZR 205/90, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Umschulung. 5 Vgl. BAG v. 10.11.1994 – 2 AZR 242/94, DB 1995, 1285. 6 Vgl. BAG v. 5.10.1995 – 2 AZR 269/95, DB 1996, 281. 7 Vgl. BAG v. 15.12.1994 – 2 AZR 320/94, DB 1995, 878; BAG v. 21.9.2000 – 2 AZR 385/99, DB 2001, 1207. 8 Vgl. BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 4/04, AP Nr. 71 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; LAG Hamm v. 5.3.2007 – 11 Sa 1338/06, DB 2007, 1701; LAG Hamm v. 24.7.2007 – 12 Sa 320/07, NZA-RR 2008, 239. S. dazu ausf. Moll/Ittmann, RdA 2008, 321 ff. 9 Vgl. BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 289/11, NZA-RR 2013, 68; BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, DB 2012, 1445; Hessisches LAG v. 6.3.2012 – 19 Sa 1342/11.

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2.288

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.288 Der Abbau von Überstunden kann im Einzelfall eine Erwägung im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sein1. Die Verteilung der durch die Überstunden erledigten Arbeit auf die zu entlassenden Arbeitnehmer muss aber tatsächlich und rechtlich möglich sein. Dies ist nicht möglich, wenn der zu entlassende Arbeitnehmer nicht in dem Bereich beschäftigt werden kann, in dem Überstunden geleistet werden. Es ist auch nicht möglich, wenn die Arbeitsmenge deshalb nicht anders verteilt werden kann, weil es allein um die Einhaltung bestimmter Liefertermine geht, ohne dass ansonsten das Arbeitsvolumen für mehr Arbeitnehmer ausreichend ist. Betriebsbedingte Kündigungen in einem Bereich eines Unternehmens sind also durchaus unabhängig davon möglich, ob in einem anderen Bereich des Unternehmens Überstunden geleistet werden. 2.289 Die Einführung von Kurzarbeit als Mittel zur Vermeidung von betriebsbedingten Kündigungen ist umstritten2. Das Bundesarbeitsgericht hat früher angenommen, dass eine umfassende Interessenabwägung auch die Prüfung erfordere, ob der Arbeitgeber betriebsbedingte Kündigungen durch die Einführung von Kurzarbeit abwenden könne3. Es hat dies später jedoch abgeschwächt4. Die Einführung von Kurzarbeit als Mittel zur Vermeidung von Entlassungen ist aus zwei Gründen abzulehnen. Zum einen stellt Kurzarbeit eine vorübergehende Maßnahme dar, während die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers mit der Folge des Wegfalls von Beschäftigungsmöglichkeiten eine Neu- und Umstrukturierung zum Inhalt hat, die auf Dauer angelegt ist, so dass Kurzarbeit eine entsprechend begründete betriebsbedingte Kündigung nicht erübrigen kann. Zum anderen entsteht bei einer Einbeziehung von Kurzarbeit in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ein unauflösbarer Widerspruch zur grundsätzlich anerkannten Gerichtsfreiheit der unternehmerischen Maßnahme, aus der sich ergibt, dass das Bedürfnis für die Beschäftigung von Arbeitnehmern entfällt. Es gehört im Kern zur unternehmerischen Prärogative zu entscheiden, ob innerbetriebliche Anpassungsmaßnahmen erfolgen oder ob diese nicht erfolgen und die Folgen einer Nichtanpassung bzw. eines Nichtstrukturwandels lediglich durch Kurzarbeit (vorübergehend) wirtschaftlich abgemildert werden. Hat der Arbeitgeber Kurzarbeit eingeführt, so kann dies allerdings ein Indiz dafür sein, dass der Arbeitgeber nur von einem vorübergehenden Arbeitsmangel ausgegangen ist, also kein Entfallen einer Beschäftigungsmöglichkeit vorliegt, das eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen könnte. Der Arbeitgeber kann dieses Indiz jedoch durch konkreten, substantiierten Sachvortrag entkräften und dartun, dass Beschäftigungsmöglichkeiten für in Kurzarbeit befindliche Arbeitnehmer dauerhaft entfallen sind5. Entfällt der Beschäftigungsbedarf für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer auf1 Vgl. Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, 6. Aufl. 2008, § 6 Rz. 193 f. 2 Vgl. Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, 6. Aufl. 2008, § 6 Rz. 195 ff.; Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rz. 570 ff.; Griebeling in Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 10. Aufl. 2013, § 1 KSchG Rz. 531; Wank, RdA 1987, 129, 142; jew. m.w.N. 3 Vgl. BAG v. 25.6.1964 – 2 AZR 382/63, DB 1964, 958. 4 Vgl. BAG v. 7.2.1985 – 2 AZR 91/84, DB 1986, 436; BAG v. 4.3.1986 – 1 ABR 15/84, DB 1986, 1395; BAG v. 11.9.1986 – 2 AZR 564/85, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 54. 5 Vgl. BAG v. 26.6.1997 – 2 AZR 494/96, DB 1997, 2079.

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Arbeitsrechtliche Aspekte: Personalabbau

2.291

grund weiterer, später eingetretener Umstände dauerhaft, kann trotz der Kurzarbeit ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung vorliegen. Dies setzt voraus, dass der Arbeitgeber die Möglichkeiten zur Reduzierung der geschuldeten Arbeitszeit, die ihm die Regelungen zur Kurzarbeit bieten, in vollem Umfang ausgeschöpft hat1. Der Arbeitgeber ist nicht gehalten, eine Politik der Arbeitsstreckung zu betreiben, 2.290 um Arbeitsplätze zu erhalten, für die auf der Grundlage seiner konzeptionellen und strukturellen Unternehmerentscheidung kein Bedürfnis besteht2. Das Bundesarbeitsgericht hat es dem Arbeitgeber überlassen (und ihn insoweit nicht nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt), ob er im Falle des Wegfalls von Beschäftigungsmöglichkeiten entweder eine geringere Anzahl von Beendigungskündigungen oder eine größere Anzahl von Änderungskündigungen ausspricht, um Arbeitskapazität/Arbeitszeit an die Veränderungen bei Art und Volumen der zu verrichtenden Aufgaben anzupassen3. c) Interessenabwägung Es ist umstritten, ob dann, wenn das Bedürfnis für die Tätigkeit eines Arbeitneh- 2.291 mers auf Grund dringender betrieblicher Gründe entfallen ist, noch zusätzlich eine Interessenabwägung stattfinden kann oder muss, um endgültig zu bestimmen, ob die Entlassung als sozial (un)gerechtfertigt anzusehen ist. Das Bundesarbeitsgericht hat ausgeführt, dass eine betriebsbedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt sei, wenn die für den Arbeitgeber von der Kündigung zu erwartenden Vorteile in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Nachteilen stehen, die sich für den Arbeitnehmer aus der Kündigung ergeben4. Eine „an sich“ begründete betriebsbedingte Kündigung kann danach in Ausnahmefällen auf Grund der Interessenabwägung unwirksam sein. Die Interessenabwägung ist abzulehnen5. Das dringende betriebliche Erfordernis führt nur zur Kündigung, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer entfallen ist und keine andere, mildere Maßnahme zur Verfügung steht (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz). Es verbleibt bei der Ableitung der betriebsbedingten Kündigung aus der gerichtsfreien unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers einerseits und dem sich unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ergebenden Fehlen der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den betroffenen Arbeitnehmer andererseits kein Raum für eine allgemeine, darüber hinausgehende Interessenabwägung.

1 Vgl. BAG v. 23.2.2012 – 2 AZR 548/10, DB 2012, 1630. 2 S. dazu etwa Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, 6. Aufl. 2008, § 6 Rz. 191 ff. 3 Vgl. BAG v. 19.5.1993 – 2 AZR 584/92, AP Nr. 31 zu § 2 KSchG 1969 = DB 1993, 1879; Griebeling in Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 10. Aufl. 2013, § 1 KSchG Rz. 530. 4 Vgl. BAG v. 30.4.1987 – 2 AZR 184/86, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung = DB 1987, 2207; Griebeling in Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 10. Aufl. 2013, § 1 KSchG Rz. 547. 5 Vgl. BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 183/89, AP Nr. 27 zu § 2 KSchG 1969 (B I 2c der Gründe) = DB 1990, 1773; U. Preis, NZA 1997, 1073, 1078.

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2.292

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

d) Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) 2.292 Steht auf Grund der dringenden betrieblichen Erfordernisse fest, dass Beschäftigungsmöglichkeiten entfallen sind und dass für eine Anzahl von Arbeitnehmern kein Bedürfnis einer Weiterbeschäftigung mehr besteht, so ist auf Grund der sozialen Auswahl zu entscheiden, welcher von mehreren Mitarbeitern zu entlassen ist1. Eine Kündigung ist, auch wenn dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu entlassenden Arbeitnehmers die Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG). Grundlage der Prüfung ist, welcher Arbeitnehmer durch die Kündigung am wenigsten hart betroffen wird, d.h. welcher Arbeitnehmer auf seinen Arbeitsplatz am wenigsten angewiesen ist2. Dem können im Einzelfall berechtigte betriebliche Interessen entgegenzuhalten sein (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG). 2.293 Die Feststellung des auf Grund der sozialen Auswahl zu entlassenden Arbeitnehmers vollzieht sich in mehreren Schritten. Als Erstes ist der in die Auswahl einzubeziehende Arbeitnehmerkreis festzulegen. Als nächstes geht es darum, die Auswahl unter den betriebsangehörigen und vergleichbaren Arbeitnehmern zu treffen. Diese Auswahl betrifft zwei Fragen, die Bestimmung der Schutzwürdigkeit und die Berücksichtigung betrieblicher Interessen. Die „betriebswichtigen“ Arbeitnehmer sind nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen, wenn berechtigte betriebliche Interessen gegeben sind, die gewichtig genug sind, um Schutzwürdigkeitspräferenzen außer Kraft zu setzen3. aa) Einzubeziehende Arbeitnehmer 2.294 Die Sozialauswahl erfolgt nach der Rechtsprechung betriebsweit4. Sie ist nicht, wie von Wank sinnvoll vorgeschlagen worden ist5, auf den Bereich beschränkt, in dem jeweils die Ursache für den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit gesetzt worden ist. Bezugspunkt der Sozialauswahl ist der Betrieb6. Eine Beschränkung der Sozialauswahl auf Abteilungen oder Bereiche findet nicht statt. Dies gilt auch bei räumlich weit entfernt liegenden Betriebsteilen7. Die Sozialauswahl ist nur dann auf einen Betriebsteil beschränkt, wenn der Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag nicht im Wege des Direktionsrechts in andere Betriebsteile versetzt werden kann8. Die Sozialauswahl ist nach Ansicht des Bundesarbeits1 S. dazu etwa Bröhl, BB 2006, 1050 ff.; Lunk, NZA 2005, Beilage 1, S. 41 ff.; Müller, MDR 2002, 491 ff.; Schiefer, NZA-RR 2002, 169 ff. 2 Vgl. BAG v. 4.5.2006 – 8 AZR 299/05, NZA 2006, 1096. 3 S. dazu näher Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rz. 747 ff.; Bader, NZA 1996, 1125, 1129; Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und Insolvenz, 1997, Rz. 107 ff.; Leinemann, BB 1996, 1381, 1383; Löwisch, NZA 1996, 1009, 1010; B. Preis, DB 1998, 1761, 1766; U. Preis, NJW 1996, 3369, 3371. 4 Vgl. BAG v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, DB 2004, 604. 5 Vgl. Wank, Anm. zu BAG v. 15.6.1989, AR-Blattei D, Kündigungsschutz, Entscheidung 304. 6 Vgl. BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 154/12, DB 2013, 2687; Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, 6. Aufl. 2008, § 7 Rz. 96 ff.; Berkowsky in Münchener Handbuch Arbeitsrecht, Band 1, 3. Aufl. 2009, § 113 Rz. 22 ff.; jew. m.w.N. 7 Vgl. BAG v. 3.6.2004 – 2 AZR 577/03, DB 2005, 231. 8 Vgl. BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 333/04, DB 2005, 2696.

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Arbeitsrechtliche Aspekte: Personalabbau

2.297

gerichts auch auf solche Betriebsteile zu erstrecken, die veräußert werden, so dass Arbeitnehmer einzubeziehen sind, die im Zeitpunkt der Kündigungserklärung dem zur Veräußerung vorgesehenen Betriebsteil angehören1. Die Rechtsprechung hat bei Filialen angenommen, dass die Gesamtheit aller Verkaufsstellen zusammen mit der Zentrale einen Betrieb i.S. des Kündigungsschutzgesetzes bilde2. Die Sozialauswahl hat in einem derartigen Fall daher über die Gesamtheit der Filialen hinweg zu erfolgen, wenn nicht der Einsatzbereich des Arbeitnehmers auf Grund des Arbeitsvertrags auf eine konkrete Filiale beschränkt ist. Die Betriebsbezogenheit der Sozialauswahl ist auch für den Gemeinschaftsbetrieb maßgeblich, und zwar unabhängig davon, wie viele Arbeitgeber den Gemeinschaftsbetrieb bilden3. Die unternehmensübergreifende Sozialauswahl im Gemeinschaftsbetrieb entfällt, wenn eines der Unternehmen seinen Teil stilllegt oder wenn der Gemeinschaftsbetrieb aufgelöst wird4. Dies gilt dann und deshalb, wenn und weil die einheitliche Leitung entfällt. Dies gilt auch bei betriebsbedingten Kündigungen von Leiharbeitnehmern. Diese gehören dem Betrieb des Verleiharbeitgebers an, so dass die Sozialauswahl alle (vergleichbaren) Arbeitnehmer des Verleiharbeitgebers erfasst (jedenfalls dann, wenn ein Austausch im Verhältnis zum Entleiher nicht ausgeschlossen ist)5. Ob eine betriebsüberschreitende Sozialauswahl stattfinden kann und muss, wenn 2.295 der Arbeitnehmer betriebsüberschreitend einsetzbar ist oder eingesetzt worden ist, d.h. insbesondere, wenn der Arbeitgeber sich das Direktionsrecht vorbehalten hat, den Arbeitnehmer auch in anderen Betrieben einzusetzen, ist problematisch. Die Beschränkung der Sozialauswahl auf den Betrieb besteht richtigerweise auch dann, wenn der Arbeitgeber sich kraft Direktionsrechts einen betriebsüberschreitenden Einsatz vorbehalten hat6. Etwas anderes kann gelten, wenn der Einsatz tatsächlich in mehreren Betrieben erfolgt. Die Sozialauswahl kann in keinem Falle weiter reichen als der Bereich der Arbeits- 2.296 pflicht des Arbeitnehmers7. Der Arbeitsvertragsinhalt der einzelnen Arbeitnehmer beschränkt die für die Sozialauswahl relevante Vergleichbarkeit8. Eine Sozialauswahl kommt daher nur insoweit in Betracht, wie ein Arbeitnehmer auf Grund seines Arbeitsvertrags ohne Änderungskündigung eingesetzt werden kann. Ausgangspunkt für die Feststellung der Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern ist 2.297 der Arbeitsplatz. Es ist festzustellen, welche Arbeitsplätze entfallen und welche in Anbetracht des für die Arbeitsplätze geltenden Anforderungsprofils vergleich1 Vgl. BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, DB 2005, 673. 2 Vgl. BAG v. 26.8.1971 – 2 AZR 233/70, AP Nr. 1 zu § 23 KSchG 1969 = DB 1971, 2319. 3 Vgl. z.B. BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 48/03, DB 2004, 2759; BAG v. 24.2.2005 – 2 AZR 214/04, DB 2005, 1523. 4 Vgl. BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 763/06, ZIP 2008, 1598. 5 Vgl. BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 271/12, DB 2013, 1674. 6 Vgl. BAG v. 2.6.2005 – 2 AZR 158/04, DB 2005, 2196; BAG v. 15.12.2005 – 6 AZR 199/05, DB 2006, 1326; Griebeling in Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 10. Aufl. 2013, § 1 KSchG Rz. 608. 7 Vgl. Griebeling in Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 10. Aufl. 2013, § 1 KSchG Rz. 621 ff. 8 Vgl. Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rz. 684.

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2.298

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

baren Arbeitsplätze vorhanden sind1. Die Vergleichbarkeit wird dadurch begründet, dass Arbeitnehmer auf Grund arbeitsplatzbezogener Merkmale austauschbar sind2. Dies richtet sich sowohl nach dem Arbeitsplatz als auch nach dem Arbeitsvertrag des jeweiligen Arbeitnehmers. Arbeitnehmer und Arbeitsplätze sind als vergleichbar anzusehen, wenn Arbeitnehmer die Arbeitsaufgabe ohne Weiteres übernehmen können, wobei völlige Identität nicht erforderlich ist. Der betroffene Arbeitnehmer muss in der Lage sein, ohne eine erhebliche Einarbeitungszeit den anderen Arbeitsplatz auszufüllen3. Eine Vergleichbarkeit besteht nicht, wenn die andere Tätigkeit nicht kraft Direktionsrecht angewiesen werden kann, weil die bisherige Tätigkeit arbeitsvertraglich festgeschrieben ist4. Soweit Tätigkeiten nicht identisch, sondern verschieden sind, und der Arbeitnehmer meint, er könne auch genauso gut eine anderweitige Tätigkeit ausüben, so ist dem nachzugehen. Es kommt nicht auf eine wechselseitige Austauschbarkeit an, sondern allein darauf, welche Tätigkeit der Arbeitnehmer wahrnehmen kann, dessen Arbeitsplatz entfallen ist. Berufsausbildung und Eingruppierung sind in aller Regel taugliche Anknüpfungspunkte5. Erfahrungen und Tätigkeitsinhalte im Laufe der Berufsentwicklung können jedoch die Ausbildung insbesondere angesichts einer Spezialisierung in den Hintergrund treten lassen, so dass eine Vergleichbarkeit nicht (mehr) besteht. Der Arbeitgeber muss jedoch bei gleichen Ausbildungsstufen oder Studienabschlüssen im Einzelnen dartun, welche Anforderungen oder Entwicklungen den Mangel an Vergleichbarkeit begründen6. Ein bloßer Routinevorsprung ist unerheblich. Die Einarbeitungszeit darf nicht erheblich, sondern allenfalls kurzfristig sein7. Die Grenzziehung ist in der Rechtsprechung der Instanzgerichte nicht immer sicher auszumachen und hängt auch von der Dauer des Arbeitsverhältnisses ab. Eine Wechselwirkung zwischen Einarbeitungszeit und Kündigungsfristen besteht aber nicht, weil Einarbeitungszeiten jedenfalls von drei Monaten über das Zumutbare hinausgehen. 2.298 Ob Vergleichbarkeit zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten oder zwischen Teilzeitbeschäftigten mit unterschiedlichen Wochenarbeitszeiten besteht, ist von der unternehmerischen Konzeption abhängig8. 1 Vgl. BAG v. 15.6.1989 – 2 AZR 580/88, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1990, 380; BAG v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 1991, 173; BAG v. 3.6.2004 – 2 AZR 577/03, DB 2005, 231; BAG v. 2.2.2006 – 2 AZR 38/05, AP Nr. 142 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; Krause in v. Hoyningen-Huene/Linck, Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz, 15. Aufl. 2013, § 1 KSchG Rz. 916 ff. 2 Vgl. BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 271/12, DB 2013, 1674. 3 Vgl. BAG v. 5.5.1994 – 2 AZR 917/93, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1994, 1827; BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, DB 2008, 2143. 4 Vgl. BAG v. 27.9.2001 – 2 AZR 246/00, NZA 2002, 696; BAG v. 23.11.2004 – 2 AZR 38/04, DB 2005, 1225; BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, DB 2008, 2143. 5 Vgl. BAG v. 2.2.2006 – 2 AZR 38/05, AP Nr. 142 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 6 Vgl. BAG v. 5.5.1994 – 2 AZR 917/93, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1994, 1827. 7 Vgl. Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rz. 683 m.w.N. 8 Vgl. BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 341/98, AP Nr. 39 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1999, 487; BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 12/99, AP Nr. 44 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 2000, 228; BAG v. 15.7.2004 – 2 AZR 376/03, DB 2004, 2375.

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Arbeitsrechtliche Aspekte: Personalabbau

2.301

Arbeitnehmer, die gesetzlich „unkündbar“ sind, sind mit Arbeitnehmern ohne 2.299 solchen Sonderkündigungsschutz nicht vergleichbar1. Die Behandlung von arbeitsvertraglich oder kollektivvertraglich „unkündbaren“ Arbeitnehmern wird ausführlich diskutiert2. Eine Sozialauswahl findet jedenfalls innerhalb der Gruppe derartig „unkündbarer“ Arbeitnehmer statt3. Die tarifliche „Unkündbarkeits“-Regelungen haben die Diskriminierungsverbote des AGG zu beachten und setzen sich gegenüber ansonsten vergleichbaren Arbeitnehmern nur insoweit durch, wie die dadurch herbeigeführte Abgrenzung der Arbeitnehmer bei der Sozialauswahl nicht zu einer grob fehlerhaften Auswahl führt (§ 10 Satz 1 AGG, § 1 Abs. 3 und 4 KSchG)4. Die soziale Auswahl hat horizontal zu erfolgen, d.h. es können nur solche Arbeit- 2.300 nehmer einbezogen werden, die sich auf derselben hierarchischen Ebene befinden5. Eine vertikale Verdrängung von oben nach unten findet nicht statt. Erst recht kann ein betroffener Arbeitnehmer nicht eine soziale Auswahl im Hinblick auf besser gestellte bzw. qualifizierte Arbeitnehmer geltend machen. bb) Soziale Schutzbedürftigkeit Die Bestimmung der konkreten Rangfolge bei der sozialen Schutzbedürftigkeit 2.301 hat bestimmte Grunddaten zu berücksichtigen: Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG)6. Die Rechtsprechung lehnt abstrakte Vorgaben für die Gewichtung ab und betont, dass die Einzelfallumstände maßgeblich sind und keinem Kriterium ein genereller Vorrang zukommt7. Dem Arbeitgeber steht ein Beurteilungsspielraum im Rahmen 1 Vgl. BAG v. 8.8.1985 – 2 AZR 464/84, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rz. 700. 2 Vgl. BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, AP Nr. 143 zu § 626 BGB; BAG v. 17.9.1998 – 2 AZR 419/97, AP Nr. 148 zu § 626 BGB; BAG v. 13.4.2000 – 2 AZR 259/99, AP Nr. 162 zu § 626 BGB; BAG v. 7.3.2002 – 2 AZR 173/01, DB 2002, 1724; BAG v. 13.6.2002 – 2 AZR 391/01, DB 2003, 210; BAG v. 27.6.2002 – 2 AZR 367/01, AP Nr. 3 zu § 55 BAT; BAG v. 8.4.2003 – 2 AZR 355/02, AP Nr. 181 zu § 626 BGB = NZA 2003, 856; BAG v. 25.3.2004 – 2 AZR 153/03, BB 2004, 2303; BAG v. 6.10.2005 – 2 AZR 362/04, DB 2006, 1278; BAG v. 18.5.2006 – 2 AZR 207/05, DB 2006, 1851; BAG v. 22.11.2012 – 2 AZR 673/11, AP Nr. 2 zu § 626 BGB Unkündbarkeit; BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 453/11, AP Nr. 242 zu § 626 BGB; BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 379/12, AP Nr. 4 zu § 626 BGB Unkündbarkeit; BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 372/13, AP Nr. 6 zu § 626 BGB Unkündbarkeit; BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13; ArbG Cottbus v. 17.5.2000 – 6 Ca 38/00, DB 2000, 1817; Bröhl, Die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist, 2005; Kiel, NZA 2005, Beilage 1, 18 ff.; Moll in FS Wiedemann, 2002, S. 333, 355 ff.; Oetker, ZfA 2001, 287, 311 ff.; Preis/Hamacher in FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, 1999, S. 245 ff. 3 Vgl. BAG v. 17.9.1998 – 2 AZR 725/97, AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 4 Vgl. BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 295/12, DB 2014, 186; Sprenger, BB 2014, 1781 ff. 5 Vgl. BAG v. 7.2.1985 – 2 AZR 91/84, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1986, 436; BAG v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 1991, 173. 6 S. zur Kanalisierung der Sozialdaten z.B. Löwisch, BB 2004, 154, 155; Richardi, DB 2004, 486, 487. 7 Vgl. BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, NZA 2003, 791; BAG v. 16.3.2005 – 2 AZR 4/04, DB 2005, 1390.

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2.301

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

einer Gesamtabwägung zu1. Die Betriebszugehörigkeit hat nach den Grundwertungen des Kündigungsschutzgesetzes allerdings nennenswertes Gewicht. Ihr kommt Bedeutung im Auswahlvorgang zu2. Eine Anrechnung von Beschäftigungszeiten ist bis zur Missbrauchsgrenze möglich3. Die Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit hat allerdings den Gleichranggrundsatz zu wahren, so dass z.B. 3 Jahre längere Betriebszugehörigkeit nicht 3 Unterhaltspflichten aufwiegen4. Die Gewichtung des Lebensalters steht demgegenüber regelmäßig zurück5. Das Lebensalter wird als ambivalente Größe angesehen6. Es wird geltend gemacht, dass nicht einzusehen sei, dass der individuelle Besitzstand und die konkrete Schutzbedürftigkeit wesentlich durch das Lebensalter geprägt seien7. Das Lebensalter ist nicht zuletzt deshalb im Gewicht mit Augenmaß zu handhaben, weil es in Zeiten eines schwachen Arbeitsmarktes für alle Altersgruppen Probleme bereitet, einen neuen Arbeitsplatz zu finden8. Die Berücksichtigung des Lebensalters ist unter Geltung des AGG hinterfragt worden. Das Verbot der Altersdiskriminierung gilt auch im Kündigungsschutzgesetz. Es steht der Berücksichtigung des Lebensalters in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG allerdings nicht entgegen9. Das Alterskriterium wird bei angemessener Handhabung den Anforderungen des § 10 Satz 1 und 2 AGG gerecht. Dies gilt insbesondere dann, wenn Raum für Besonderheiten des Einzelfalles insbesondere im Hinblick auf die Arbeitsmarktchancen bleibt. Es ist dabei wichtig, dass im Zusammenspiel mit anderen Kriterien keine Überbewertung des Lebensalters stattfindet10. Das Alterskriterium ist im Zusammenspiel mit den anderen Kriterien angemessen. Die Unterhaltsverpflichtungen spielen eine erhebliche Rolle. Die betriebliche Praxis bringt für Personen mit Unterhaltspflichten („Familienväter“) regelmäßig Verständnis auf. Unterhaltspflichten sind nach dem Prognoseprinzip für den Ablauf der Kündigungsfrist zu beurteilen11. Ein Doppelverdienst ist richtigerweise zu berücksichtigen12. Die Berücksichtigung 1 Vgl. BAG v. 18.10.1984 – 2 AZR 543/83, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1985, 1083; BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1990, 1335. 2 Vgl. BAG v. 12.10.1979 – 7 AZR 959/77, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 1980, 502. 3 Vgl. BAG v. 2.6.2005 – 2 AZR 480/04, DB 2006, 110. 4 Vgl. BAG v. 29.1.2015 – 2 AZR 164/14, DB 2015, 812. 5 Vgl. BAG v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 1983, 830; BAG v. 20.10.1983 – 2 AZR 211/82, AP Nr. 13 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 1984, 563; BAG v. 8.8.1985 – 2 AZR 464/84, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1986, 1577. 6 Vgl. Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG, Rz. 717. 7 Vgl. Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, 6. Aufl. 2008, § 7 Rz. 179. 8 Vgl. BAG v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 1983, 830; Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rz. 717. 9 Vgl. BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, DB 2009, 626; BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, DB 2012, 1445. 10 Vgl. BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, DB 2009, 626; BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, DB 2012, 1445. 11 Vgl. ArbG Berlin v. 16.2.2005 – 9 Ca 27525/04, BB 2006, 1455; Moll/Steinbach, MDR 1997, 711 ff. 12 Vgl. BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, NZA 2003, 791; LAG Düsseldorf v. 4.11.2004 – 11 Sa 957/04, DB 2005, 454 (§§ 1360 ff., 1569 ff., 1601 ff. BGB: Erkundigungspflicht!).

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Arbeitsrechtliche Aspekte: Personalabbau

2.303

des Doppelverdiensts bei der Sozialauswahl ist sachlich gerechtfertigt, da dieser Gesichtspunkt in einem Zusammenhang mit den zu beachtenden Unterhaltsverpflichtungen steht, die sich nach familienrechtlichen Bestimmungen der §§ 1360 ff., 1569 ff., 1601 ff. BGB richten. Berücksichtigt man bei der Sozialauswahl zugunsten eines Arbeitnehmers Unterhaltspflichten, muss man auch mögliche Unterhaltsansprüche aus § 1360 BGB gegenüber dem mitverdienenden Ehegatten beachten. Dies ist kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG1. Ob und im Hinblick auf welche Gesichtspunkte der Arbeitgeber sich auf Eintragungen in der Lohnsteuerkarte verlassen darf oder ob ihn eine Erkundigungspflicht trifft, ist umstritten2. Das BAG geht davon aus, dass der Arbeitgeber auf die ihm bekannten Daten vertrauen kann, wenn er keinen Anlass zu der Annahme hat, sie könnten nicht zutreffen3. Die Rechtsprechung geht insgesamt davon aus, dass die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten Sozialkriterien im Grundsatz gleiches Gewicht haben und keinem eine Priorität gegenüber dem anderen zukommt4. Der Sozialauswahl braucht nicht Rechnung getragen zu werden, soweit der Arbeit- 2.302 geber bei einer Betriebsschließung die Belegschaftsangehörigen auf der Grundlage der von ihm getroffenen Stilllegungsentscheidung gemäß den jeweiligen Kündigungsfristen entlässt5. Eine Stilllegungsentscheidung mit dem Inhalt der Einstellung der werbenden Tätigkeit und Entlassung aller Arbeitnehmer mit der für sie geltenden Kündigungsfrist lässt für die Sozialauswahl keinen Raum. cc) Betriebliche Interessen Dass eine Bestimmung der zu entlassenden Arbeitnehmer allein nach Gesichts- 2.303 punkten der sozialen Schutzbedürftigkeit die Funktionsfähigkeit eines intakten Betriebs beeinträchtigt und die Sanierung eines angeschlagenen Betriebs erschwert, wenn nicht vereitelt, liegt auf der Hand. Eine alte, kranke und unqualifizierte Arbeitnehmerschaft wird die geretteten Arbeitsplätze nicht erhalten können. Das Gesetz lässt daher zu, dass Arbeitnehmer nicht in die soziale Auswahl einbezogen werden, wenn ihre Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse liegt, insbesondere wegen ihrer Fähigkeiten, Kenntnisse und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Es ist unsicher, welches Gewicht die betrieblichen Belange haben müssen, die einer Sozialauswahl entgegenstehen. Ein bloßer Nützlichkeitsaspekt oder Zweckmäßigkeitsgesichtspunkt reicht nicht aus. Es ist aber nicht erforderlich, dass der Betrieb ohne den Arbeitnehmer in eine Zwangslage kommt, dass also das „Wohl und Wehe“ des Betriebs von der Weiterbeschäftigung des Arbeit1 Vgl. LAG Düsseldorf v. 4.11.2004 – 11 Sa 957/04, DB 2005, 454. 2 Vgl. LAG Hamm v. 6.7.2000 – 4 Sa 233/00, ZInsO 2001, 336 (u.U. sind fehlende Punkte auf Grund fehlender Angaben nachzutragen); LAG Schleswig-Holstein v. 10.8.2004 – 5 Sa 93/04, NZA-RR 2004, 582; LAG Köln v. 29.7.2004 – 5 Sa 63/04, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 45a; LAG Düsseldorf v. 4.11.2004 – 11 Sa 957/04, DB 2005, 454; LAG Hamm v. 29.3.1985 – 2 Sa 560/85, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 1; ArbG Darmstadt v. 6.4.2004 – 4 Ca 669/03; Kleinebrink, DB 2005, 2522 ff. 3 Vgl. BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 405/06, DB 2008, 1688. 4 Vgl. BAG v. 29.1.2015 – 2 AZR 164/14, DB 2015, 812. 5 Vgl. BAG v. 18.1.2001 – 2 AZR 514/99, AP Nr. 115 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 2001, 1370.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

nehmers abhängt. Das Bundesarbeitsgericht hat in der Vergangenheit darauf abgestellt, ob die Weiterbeschäftigung eines bestimmten Arbeitnehmers erforderlich ist1. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ist eine im Interesse des Arbeitgebers und der Allgemeinheit liegende Regelung2. Ein Arbeitnehmer kann weder gegenüber dem Arbeitgeber noch gegenüber einem Arbeitskollegen geltend machen, dass er aus der Sozialauswahl herauszunehmen sei, weil seine Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse liege. Ob ein Arbeitnehmer aus diesem Grunde aus der Sozialauswahl herausgenommen wird, beurteilt und entscheidet der Arbeitgeber3. Entsprechendes muss richtigerweise gelten, wenn es mehrere Arbeitnehmer gibt, die – möglicherweise – aus der Sozialauswahl ausgeklammert werden könnten, weil sie vergleichbare Fertigkeiten und Vorzüge haben; weder können diese Arbeitnehmer geltend machen, dass sie im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern nicht in die Sozialauswahl einbezogen werden, noch kann ein Einzelner dieser Arbeitnehmer geltend machen, dass er und nicht ein anderer, entsprechender Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herauszunehmen ist. 2.304 § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG nimmt solche Arbeitnehmer von der Sozialauswahl aus, deren Beschäftigung „im berechtigten betrieblichen Interesse liegt“. Die diesbezüglichen Tatsachen muss der Arbeitgeber konkret und substantiiert vortragen. Der Arbeitgeber muss das betriebliche Interesse an dem bevorzugten Leistungsträger mit den sozialen Belangen des schwächeren Arbeitnehmers abwägen. Je schwerer das soziale Interesse wiegt, um so gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein4. Die generelle Herausnahme von so genannten Leistungsträgern aus der Sozialauswahl verstößt gegen die in § 1 Abs. 3 KSchG enthaltenen Grundsätze, weil eine einzelfallbezogene Interessenabwägung stattzufinden hat5. 2.305 Die folgenden Gesichtspunkte können im Rahmen von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG erheblich sein6: – Abkehrwille. – Erforderlichkeit der Qualifikation eines Arbeitnehmers für bestimmte technische Arbeitsabläufe oder für selten vorkommende Arbeiten. – Erforderlichkeit eines Arbeitnehmers für die Wahrnehmung von Führungsaufgaben. – Fähigkeiten beim Umgang mit Mitarbeitern. 1 Vgl. BAG v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung = DB 1983, 830; BAG v. 27.9.2001 – 2 AZR 246/00, EzA § 2 KSchG Nr. 41. 2 Vgl. BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, DB 2012, 1445. 3 Vgl. Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rz. 749; Bader, NZA 2004, 65, 74; Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und Insolvenz, 1997, Rz. 131; Griebeling in Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 10. Aufl. 2013, § 1 KSchG Rz. 631; Thüsing/Wege, RdA 2009, 12, 13. 4 Vgl. BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 706/00, DB 2002, 2277; BAG v. 22.3.2012 – 2 AZR 167/11, NZA 2012, 1040. 5 Vgl. LAG Köln v. 24.3.2005 – 6 Sa 1364/04, NZA-RR 2006, 20. 6 S. dazu näher Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rz. 750 ff.; Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, 6. Aufl. 2008, § 7 Rz. 302 ff.; Berscheid, Anwaltsblatt 1995, 8, 13 ff.

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Arbeitsrechtliche Aspekte: Personalabbau

2.305

– Beziehungen zu Kunden und Lieferanten auf Grund besonderer, spezieller Fähigkeiten oder Kontakte. – Fähigkeiten, Kenntnisse, Leistungsschwäche, Leistungsstärke, Qualifikationsunterschiede, Schlechtarbeit, Zuspätkommen1. – Eine Verbesserung der Ertragslage und Stärkung der Leistungsfähigkeit des Betriebs kann es insbesondere in Krisensituationen erforderlich machen, dass ein eingearbeiteter Stamm an leistungsfähigen Arbeitnehmern als unentbehrlich erhalten bleibt2. – Ein berechtigter betrieblicher Belang liegt bei Massenentlassungen darin, dass das Ausmaß der auf Grund von Sozialauswahlerwägungen erwogenen Austauschmaßnahmen innerhalb der Belegschaft nicht über das hinausgeht, was in einzelnen Abteilungen bzw. Untereinheiten möglich ist, ohne deren Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen. Betriebliche Ablaufstörungen können eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten entwickeln. Der Arbeitgeber kann von einem innerbetrieblichen Austausch auf Grund der Sozialauswahl absehen, soweit entweder durch die Sprengung notwendiger personeller Einheiten oder durch das Gesamtausmaß der einzeln jeweils unerheblichen Einarbeitungszeiten ein ordnungsgemäßer Betriebsablauf beeinträchtigt oder gefährdet wird3. Der Arbeitgeber hat darzulegen, wie viele Arbeitnehmer der unterschiedlichen Qualifikationsstufen in einer Abteilung oder Untereinheit bei Durchführung einer betriebsweiten sozialen Auswahl ausgetauscht werden können, ohne dass der Arbeitsprozess in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Sozialauswahl beschränkt sich dann auf diese Arbeitnehmer. Die mit jeder sozialen Auswahl bei einer Massenkündigung im Rahmen der Stilllegung eines Betriebsteils verbundenen Schwierigkeiten können zwar berechtigte betriebliche Interessen i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG begründen; diese Schwierigkeiten erlauben es dem Arbeitgeber aber nicht, völlig von einer Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten abzusehen. Er muss vielmehr darlegen und ggf. unter Beweis stellen, wie viele vergleichbare Arbeitnehmer zwischen den verschiedenen Betriebsteilen ausgetauscht werden können, ohne dass der ordnungsgemäße Ablauf des Betriebs gestört wird. Auf diese Zahl von Arbeitnehmern beschränkt sich die soziale Auswahl. Eine Herausnahme von 70 % der Belegschaft aus der Sozialauswahl begründet eine Vermutung der Fehlerhaftigkeit eines solchen Vorgehens4. – Arbeitsunfähigkeitszeiten und Gesundheitsprobleme sind von der Rechtsprechung früher als relevant angesehen worden, wenn sie ein Ausmaß erreichen, welches für den Ausspruch einer darauf gestützten personenbedingten Kündigung ausreicht5. Im Schrifttum ist teilweise sogar vertreten worden, dass 1 S. dazu etwa BAG v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 2 Vgl. BAG v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung = DB 1983, 830. 3 Vgl. BAG v. 25.4.1985 – 2 AZR 140/84, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1985, 2205; BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, DB 2008, 1106; B. Preis, DB 1994, 2244 ff. 4 Vgl. BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, DB 2003, 1909 (Plausibilisierung). 5 Vgl. BAG v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung.

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2.305

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

krankheitsbedingte Fehlzeiten des sozial schutzwürdigeren Arbeitnehmers in die Prüfung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG selbst dann einbezogen werden könnten, wenn sie nicht die Bedeutung eines Kündigungsgrundes haben, da es bei der Prüfung berechtigter betrieblicher Bedürfnisse nicht darum gehe, ob diese Gründe die Kündigung bedingten und deshalb ihrerseits eine Kündigung rechtfertigen könnten1. Demgegenüber betont das Bundesarbeitsgericht heute zutreffend, dass der Arbeitgeber sich zur Begründung seines berechtigten betrieblichen Interesses nicht auf die „Nachteile“ des zu kündigenden und sozial schutzwürdigen Arbeitnehmers berufen kann. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG fördert keine Negativauswahl2. Eine solche widerspräche Systematik sowie Sinn und Zweck der Regelung. Etwaige negative Eigenschaften des sozial schutzwürdigeren Arbeitnehmers sind ggf. nach den Grundsätzen der personen- oder verhaltensbedingten Kündigung zu würdigen3. Im Rahmen von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG kann allenfalls die Krankheitsunanfälligkeit des eigentlich zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmers relevant sein, wenn sie nach Abwägung mit den Interessen des sozial schutzwürdigeren Arbeitnehmers zur Annahme berechtigter betrieblicher Interessen führt4. Davon kann beispielsweise auszugehen sein, wenn die Arbeit aufgrund ihrer Komplexität oder notwendiger Kenntnisse und Erfahrungen im Krankheitsfall nicht kurzfristig von einem anderen Arbeitnehmer übernommen werden kann. Gleiches gilt im Beratungsund Dienstleistungssektor, wo Kunden einen festen Ansprechpartner erwarten, so dass bei dessen häufiger unvorhergesehener Abwesenheit ernsthaft zu befürchten ist, dass sie zur Konkurrenz abwandern5. – Ein berechtigter betrieblicher Belang ist auch in der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur zu sehen6. Der Gesichtspunkt der Personalstruktur ist nicht auf den Altersaspekt begrenzt, wird für diesen jedoch besonders nachhaltig diskutiert. Es ist allerdings nicht geklärt, was als ausgewogene Personalstruktur anzusehen ist: Vermeidung einer Vergreisung, Nutzbarmachung langjähriger und verlässlicher Erfahrung sowie Heranbildung eines guten Nachwuchses sind ins Verhältnis zu setzende Gesichtspunkte7. Begrifflich kommen 1 Vgl. Bütefisch, Die Sozialauswahl, 2000, S. 301, 308 f.; Löwisch/Spinner, Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz, 9. Aufl. 2004, § 1 KSchG Rz. 392. 2 Vgl. BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 306/06, AP Nr. 93 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; Krause in v. Hoyningen-Huene/Linck, Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz, 15. Aufl. 2013, § 1 KSchG Rz. 994. 3 Vgl. Griebeling in Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 10. Aufl. 2013, § 1 KSchG Rz. 636. 4 Vgl. Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rz. 755. 5 Vgl. Preis in Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 11. Aufl. 2015, Rz. 1113. 6 S. zu diesem Gesichtspunkt BAG v. 23.11.2000 – 2 AZR 533/99, AP Nr. 114 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 20.4.2005 – 2 AZR 201/04, DB 2005, 1691; BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 442/05, NZA 2007, 139; BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12; BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13; Bauer/Lingemann, NZA 1993, 625, 628; Berkowsky, DB 1996, 778, 779; Berscheid, Anwaltsblatt 1995, 8, 14; Buchner, DB 1994, 504, 509; Göpfert/Stark, ZIP 2015, 155 ff.; Moll, NJW 1994, 499, 500; Stindt, DB 1993, 1363 ff.; jew. m.w.N. 7 Vgl. Berscheid, Anwaltsblatt 1995, 8, 14.

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Arbeitsrechtliche Aspekte: Personalabbau

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weitere Gesichtspunkte in Betracht, etwa befristete und unbefristete Arbeitsverhältnisse, Voll- und Teilzeitarbeitsverhältnisse oder die Geschlechterquote1. Die Anforderungen werden teilweise dahin gehend umschrieben, dass dargetan werden müsse, dass ohne die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur der Betrieb keine „Überlebenschancen“ habe2. Dieser Maßstab erscheint unter Zugrundelegung der allgemeinen Grundsätze des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG als zu streng. Es ist nicht zu verlangen, dass „Wohl und Wehe“ des Betriebs in Rede stehen. Es muss genügen, dass die Entwicklung des Betriebs sowohl im Hinblick auf Effektivität als auch im Hinblick auf Nachwuchsplanung ohne die Sicherung der Personalstruktur Schaden nimmt. Ein berechtigtes betriebliches Interesse an der Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur ist zu bejahen, wenn die Gefahr besteht, dass es zu erheblichen negativen Verschiebungen in der Altersstruktur kommt, die im betrieblichen Interesse nicht hinnehmbar sind3. Die Altersstruktur darf nicht „verbessert“ werden, und es muss möglich sein, die Kündigungen auf die Altersgruppen proportional zu verteilen4. Die im konkreten Fall vorgenommene Altersgruppenbildung muss geeignet sein, eine ausgewogene Personalstruktur zu sichern, damit das berechtigte betriebliche Interesse i.S. des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG bejaht werden kann5. Anhaltspunkte mögen von den Verhältnissen anderer Unternehmen in der Branche oder aus etwaigen Grundsätzen der Personalpolitik abzuleiten sein. Die Ausgewogenheit ist im Hinblick auf die jeweiligen Arbeitnehmergruppen herzustellen. Es kommt dabei auf die Beibehaltung der bisherigen Verhältnisse an. Die Erhaltung der Altersstruktur erfolgt durch die Bildung von Altersgruppen6. Die Kündigungen werden verhältnismäßig auf die Altersgruppen verteilt. Die Sozialauswahl kann dann innerhalb der Altersgruppen vorgenommen werden. Der Arbeitgeber kann innerhalb des zur Auswahl anstehenden Personenkreises nach sachlichen Kriterien Altersgruppen bilden und die Gesamtzahl der Kündigungen anteilig verhältnismäßig auf die Gruppen verteilen7. Die Altersgruppen müssen nach sachlichen Kriterien innerhalb einer Vergleichsgruppe gebildet und die Kündigung prozentual auf die Altersgruppen verteilt werden8. Eine derartige Altersgruppenbildung ist nach § 10 Satz 1 und 2 AGG gerechtfertigt. Die konkrete Altersgruppenbildung muss zur Sicherung der bestehenden Altersstruktur der Belegschaft geeignet sein. Sind mehrere Gruppen vergleichbarer Arbeitnehmer von den Entlassungen betroffen, muss 1 2 3 4 5 6 7

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Vgl. Thüsing/Wege, RdA 2005, 12, 23. Vgl. Warrikoff, BB 1994, 2338, 2343. Vgl. BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 442/05, NZA 2007, 139. Vgl. BAG v. 23.3.2012 – 2 AZR 167/11, NZA 2012, 1040; BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 86; BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, NZA 2014, 46. S. dazu Lunk/Seidler, NZA 2014, 455 ff. Vgl. BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, DB 2014, 66. Vgl. BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 442/05, NZA 2007, 139; BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 387/06, NZA 2008, 405. Vgl. BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste = DB 2012, 1445; BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, AP Nr. 182 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 468/08, AP Nr. 184 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 2010, 2230; BAG v. 23.11.2000 – 2 AZR 533/99, AP Nr. 114 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 2001, 1042. Vgl. BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

auch innerhalb der jeweiligen Vergleichsgruppe eine proportionale Berücksichtigung der Altersgruppen an den Entlassungen möglich sein. Die betriebsweite Sicherung der bestehenden Altersstruktur muss die Folge der proportionalen Beteiligung der Altersgruppen an den Entlassungen innerhalb der einzelnen Vergleichsgruppen sein1. Es wird abzuwarten sein, welche Altersgruppeneinteilung und welche Gewichtung sich letztlich in der Praxis unter dem Gesichtspunkt der Ausgewogenheit herausbilden werden2. Unter dem Gesichtspunkt der Leistungsstärke der Belegschaft wird eine Einteilung in fünf Gruppen erwogen3: Altersgruppe unter 25 Jahren, Altersgruppe 25–35 Jahre, Altersgruppe 35–45 Jahre, Altersgruppe 45–55 Jahre, Altersgruppe über 55 Jahre. Unter dem Gesichtspunkt effektiver Führungsstrukturen wird für die Leitungsebene eine Dreiteilung der Altersgruppen vorgeschlagen4: Altersgruppe unter 35 Jahren, Altersgruppe 35–50 Jahre, Altersgruppe über 50 Jahre. Andere Altersgruppeneinteilungen sind denkbar. Die Kontrollmöglichkeit der Arbeitsgerichte im Hinblick darauf, was eine ausgewogene Altersstruktur sei, ist ungeklärt. Dem Arbeitgeber wird man insoweit eine entsprechende Entscheidungskompetenz einräumen müssen, wie sie im Falle der Betriebsorganisation und der Stellenstruktur besteht5. Die Entscheidung des Arbeitgebers unterliegt der Missbrauchskontrolle. Die Herausnahme einzelner Beschäftigter aus der Sozialauswahl ohne eine abstrakte starre Gruppeneinteilung erscheint auch möglich. Die Personalstruktur wird bei Einzelkündigungen nicht berührt, so dass der Gesichtspunkt der ausgewogenen Personalstruktur nur bei einer Mehrheit von Kündigungen anwendbar ist6, auch wenn man nicht das Erfordernis des Vorliegens einer Massenentlassung aufstellen kann. 2.306 Die Berücksichtigung der Altersstruktur im Rahmen von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ist von der Rechtsprechung davon abhängig gemacht worden, es sei in jedem Einzelfall eine konkrete Darlegung dazu erforderlich, dass und warum die Personalstruktur im berechtigten betrieblichen Interesse liegt, d.h. welchen Nachteil der Betrieb erleidet, wenn sich die Personalstruktur ändert7. Dies ist – über die allgemeinen Gesichtspunkte zu dieser Problematik hinaus – praktisch kaum zu leisten, so dass der Personalstrukturaspekt zu § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG damit letztlich leerzulaufen droht8. Die Rechtsprechung dürfte sich an Plausibilität ausrichten9: Es genügt, wenn erkennbar wird, dass ganz überwiegend jüngeren Beschäf1 Vgl. BAG v. 22.3.2012 – 2 AZR 167/11, NZA 2012, 1040. 2 S. auch unten Rz. 7.413 ff. 3 Vgl. Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl.2012, § 1 KSchG Rz. 771; Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, 6. Aufl. 2008, § 7 Rz. 296 ff.; Berscheid, Anwaltsblatt 1995, 8, 14; Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und Insolvenz, 1997, Rz. 153 ff. 4 Vgl. Berscheid, Anwaltsblatt 1995, 8, 14. 5 Vgl. Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 125 InsO Rz. 71. 6 Vgl. Bader, NZA 1996, 1125, 1129; Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und Insolvenz, 1997, Rz. 142; Wlotzke, BB 1997, 414, 418. 7 Vgl. BAG v. 20.4.2005 – 2 AZR 201/04, DB 2005, 1691; BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 468/08, DB 2010, 2230. 8 S. kritisch zutreffend Wank, RdA 2006, 239 ff. 9 Vgl. BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 442/05, NZA 2007, 139; BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 387/06, NZA 2008, 405.

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Arbeitsrechtliche Aspekte: Personalabbau

2.308

tigten gekündigt werden müsste und das Durchschnittsalter etwa auf über 50 Jahre anstiege oder dass der jüngste Arbeitnehmer 41 Jahre alt gewesen und das Durchschnittsalter erheblich gestiegen wäre. Ebenso: Ohne die Altersgruppenbildung würden kaum noch unter 30-jährige im Betrieb verbleiben und die Hälfte der etwa 35-jährigen entlassen1. Dem Arbeitgeber kommen, wenn die Anzahl der Entlassungen innerhalb der Gruppe der vergleichbaren Arbeitnehmer die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreicht, Erleichterungen zugute: Das berechtigte betriebliche Interesse wird dann (widerlegbar) indiziert2. Das Bundesarbeitsgericht hat bislang offengelassen, ob für den Fall, dass sich die Massenkündigungen auf mehrere Gruppen vergleichbarer Arbeitnehmer verteilen, die Erleichterung bei der Darlegung des berechtigten betrieblichen Interesses auch dann berechtigt ist, wenn zwar die Anzahl der insgesamt zu entlassenden Arbeitnehmer die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreicht, nicht aber die der Entlassungen innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer3. dd) Gesamtwürdigung Der Arbeitgeber hat eine Gesamtwürdigung vorzunehmen. Die Rechtsprechung 2.307 räumt dem Arbeitgeber bei der Gewichtung der Sozialkriterien einen Wertungsspielraum ein4. Dies wird damit begründet, dass das Gesetz (nur) eine ausreichende Berücksichtigung der sozialen Gesichtspunkte vorschreibt5. Die Auswahl muss lediglich sozial vertretbar sein; nur deutlich schutzwürdige Arbeitnehmer können mit Erfolg die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl rügen. Die Rechtsprechung hat es dementsprechend zu Recht abgelehnt, dass die Arbeitsgerichte die Überprüfung der Sozialauswahl nach von ihnen konzipierten Auswahlschemata oder Punktetabellen vornehmen6. Dies ist konsequent, weil anderenfalls der Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers im Rahmen von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG gegenstandslos würde. Geringfügige Unterschiede führen nicht ohne weiteres dazu, dass soziale Gesichtspunkte „nicht oder nicht ausreichend“ berücksichtigt sind. ee) Rechtsfolge einer fehlerhaften Sozialauswahl Die Rechtsprechung hat früher angenommen, dass dann, wenn auch nur einem 2.308 Arbeitnehmer nicht gekündigt worden ist, den unter Heranziehung der Grundsätze des § 1 Abs. 3 KSchG die Kündigung treffen müsste, sich alle (anderen) betroffenen Arbeitnehmer auf diese fehlerhafte soziale Auswahl berufen können7. 1 Vgl. BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, DB 2012, 1445. 2 Vgl. BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, DB 2012, 1445; BAG v. 22.3.2012 – 2 AZR 167/11, NZA 2012, 1040. 3 Vgl. BAG v. 22.3.2012 – 2 AZR 167/11, NZA 2012, 1040. 4 Vgl. BAG v. 18.10.1984 – 2 AZR 543/83, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1985, 1083; BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1990, 1335; BAG v. 22.3.2012 – 2 AZR 167/11, NZA 2012, 1040; U. Preis, DB 1998, 1761, 1763. 5 Vgl. Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rz. 737 m.w.N. 6 Vgl. BAG v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 1983, 830. 7 Vgl. BAG v. 18.10.1984 – 2 AZR 543/83, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1985, 1083.

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2.309

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

Dies hat bedeutet, dass unter Umständen eine große Anzahl von Kündigungen unwirksam ist, nur weil in einem einzigen Fall der „falsche“ Arbeitnehmer die Kündigung erhalten hat. Die Rechtsprechung hat teilweise mit einzelfallbezogenen Lösungen „geholfen“1. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Rechtsprechung jedenfalls bei der Sozialauswahl mittels Auswahlrichtlinie (Punkteschema) aufgegeben2: Es ist daher bei jedem einzelnen Arbeitnehmer, der eine fehlerhafte soziale Auswahl geltend macht, zu prüfen, ob er bei ordnungsgemäßer Sozialauswahl tatsächlich den Vorrang erhalten und (deshalb) mit seiner Kündigungsschutzklage obsiegt hätte; ist dies nicht der Fall, „nützt“ ihm der Sozialauswahlfehler des Arbeitgebers nichts. ff) Besonderheiten der sozialen Auswahl bei der Änderungskündigung 2.309 Die soziale Auswahl bei der Änderungskündigung hat darauf abzustellen, für welchen Arbeitnehmer die Änderung der Arbeitsbedingungen in sozialer Hinsicht am ehesten zumutbar ist3. Ausgangspunkt sind zwar die klassischen Auswahlkriterien. Diese können jedoch bei der Zuweisung anderer Tätigkeiten an Gewicht verlieren. Es ist auch bedeutsam, welchem Arbeitnehmer die Umstellung nach seinen Eigenschaften, seiner Tätigkeit und seiner Vorbildung leichter oder schwerer fällt4. Die Sozialauswahl hat dabei nicht nur darauf abzustellen, ob die Arbeitnehmer auf ihren bisherigen Arbeitsplätzen miteinander vergleichbar sind. Es muss vielmehr hinzukommen, dass die Arbeitnehmer auch im Hinblick auf die den Gegenstand des Änderungsangebots bildende Tätigkeit wenigstens annähernd gleich geeignet sind; die Austauschbarkeit muss sich auf den mit der Änderungskündigung angebotenen Arbeitsplatz beziehen5. Konkurrieren mehrere vergleichbare, von einem Arbeitsplatzwegfall betroffene Arbeitnehmer um Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf anderen – freien – Arbeitsplätzen, die teils mehr und teils weniger einschneidende Änderungen der bisherigen Vertragsbedingungen erfordern, ist im Rahmen einer sozialen Auswahl analog § 1 Abs. 3 KSchG zu entscheiden, welchem Arbeitnehmer das günstigere und welchem das weniger günstige Änderungsgebot zu unterbreiten ist6. e) Auswahlrichtlinien (§ 1 Abs. 4 KSchG) 2.310 Die im Rahmen der Sozialauswahl gebotene Gesamtwürdigung wird in der Praxis vielfach mit Hilfe von Punkteschemata vorgenommen7. 1 Vgl. BAG v. 7.12.1995 – 2 AZR 1008/94, AP Nr. 29 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1996, 783. 2 Vgl. BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, DB 2007, 1087. 3 Vgl. Hromadka, NZA 1996, 1, 8 m.w.N.; Rost/Kreft in Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 10. Aufl. 2013, § 2 KSchG Rz. 1036 m.w.N. 4 Vgl. BAG v. 13.6.1986 – 7 AZR 623/84, AP Nr. 13 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1987, 335. 5 Vgl. BAG v. 13.6.1986 – 7 AZR 623/84, AP Nr. 13 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1987, 335. 6 Vgl. BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 163/11, NZA-RR 2013, 74. 7 S. dazu ausführlich Moll in Henssler/Moll, Kündigung und Kündigungsschutz in der betrieblichen Praxis, 2000, S. 141, 150 ff.

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Arbeitsrechtliche Aspekte: Personalabbau

2.316

Punkteschemata sind Richtlinien über die personelle Auswahl i.S. von § 95 Abs. 1 2.311 BetrVG. Die Aufstellung einer Auswahlrichtlinie ist nach § 95 Abs. 1 BetrVG nur mit Zustimmung des Betriebsrats möglich. Dies gilt auch dann, wenn sich die Aufstellung (nur) auf konkrete bevorstehende Kündigungen bezieht1. Der Betriebsrat kann nach § 95 Abs. 2 BetrVG in Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmern die Aufstellung von Auswahlrichtlinien kraft eigenen Initiativrechts verlangen. Die Auswahlrichtlinien können nicht von den Vorgaben des § 1 Abs. 3 KSchG ab- 2.312 weichen und nicht die Rechtsprechungsgrundsätze zur Sozialauswahl durchbrechen2. § 1 Abs. 4 KSchG bestimmt, dass die soziale Auswahl nur auf grobe Fehlerhaftig- 2.313 keit überprüft werden kann, wenn in einer Betriebsvereinbarung einer Personalvertretungsrichtlinie oder in einem Tarifvertrag geregelt wird, wie die sozialen Gesichtspunkte i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG im Verhältnis zueinander bewertet werden. Die Begründung des Gesetzentwurfs führt dazu aus, dass dadurch eine bessere Berechenbarkeit der Zulässigkeit von Kündigungen zu erzielen sei3. § 1 Abs. 4 KSchG bestätigt damit, dass in kollektiven Regelungen die Gewichtung der sozialen Gesichtspunkte zur Durchführung der Sozialauswahl generell erfolgen kann. Die Beschränkung der Überprüfung der sozialen Auswahl auf grobe Fehlerhaftig- 2.314 keit bedeutet, dass zu fragen ist, ob die Gewichtung der Sozialdaten jede Ausgewogenheit vermissen lässt4. Der Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit eröffnet einen über den im Rahmen von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bestehenden Wertungsspielraum des Arbeitgebers hinausgehenden Spielraum. Die Grenze der groben Fehlerhaftigkeit ist überschritten, wenn eines der in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten Kriterien gänzlich vernachlässigt wird. Entscheidend ist in § 1 Abs. 4 KSchG mithin, ob bei Berücksichtigung aller Sozialerwägungen die Gesichtspunkte des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG in einer Weise beachtet sind, die erkennen lässt, dass keiner von ihnen gänzlich vernachlässigt worden ist. Die kollektive Regelung i.S. von § 1 Abs. 4 KSchG hat die Gesichtspunkte nach § 1 2.315 Abs. 3 Satz 1 KSchG zu bestimmen und zu bewerten, stellt also auf Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderungen ab. Sie kann darüber hinausgehende Gesichtspunkte nicht ohne weiteres berücksichtigen, sondern nur insoweit, wie sie in einem engen Zusammenhang mit den Kriterien des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG stehen, d.h. diese letztlich ausgestalten. § 1 Abs. 4 KSchG eröffnet zu Gunsten von Kollektivregelungen zwar einen weiter gehenden Spielraum, ändert aber nichts am Ausgangspunkt des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Die Privilegierung der Auswahlrichtlinie durch § 1 Abs. 4 KSchG bezieht sich auf 2.316 die soziale Auswahl. Ob damit auch die Feststellung des Kreises der vergleich1 Vgl. BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, DB 2014, 66. 2 Vgl. BAG v. 11.3.1976 – 2 AZR 43/75, AP Nr. 1 zu § 95 BetrVG 1972; BAG v. 15.6.1989 – 2 AZR 580/88, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1990, 1335. 3 Vgl. BT-Drucks. 13/4612, S. 9. S. auch BT-Drucks. 13/5107, S. 30. 4 Vgl. BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, DB 2003, 1909; BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 405/06, AP Nr. 96 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; BT-Drucks. 13/4012, S. 9; Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rz. 779 ff.

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2.317

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

baren Arbeitnehmer erfasst ist, ist unsicher und und wird von der Rechtsprechung verneint1. Die Privilegierung ist auch nicht im Hinblick auf die Feststellung und Würdigung berechtigter betrieblicher Interessen i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG anwendbar2. 2.317 Der Arbeitgeber hat die Auswahlrichtlinie korrekt anzuwenden. Eine abschließende Abwägung der Einzelfallumstände ist im Anschluss an die Neufassung des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG seit dem 1.1.2004 bei der Anwendung einer Punktetabelle nach § 1 Abs. 4 KSchG nicht mehr erforderlich3. Das Punktesystem einer Auswahlrichtlinie muss keine individuelle Abschlussprüfung des Arbeitgebers vorsehen und der Arbeitgeber braucht neben den in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ausdrücklich bezeichneten Grunddaten keine weiteren Gesichtspunkte zu berücksichtigen4. Der Arbeitgeber kann bei Anwendung der Auswahlrichtlinie auch nicht durch abschließende Bewertung einseitig von den sich aus dieser ergebenden Auswahlresultaten abweichen. Eine andere Frage ist, ob die Auswahlrichtlinie eine Abweichung von der mathematischen Berechnung der Punkte gestatten kann; dies wird man in engen Grenzen (nur) für einige Ausnahme- und Härtefälle annehmen können (Bsp.: Arbeitsunfall, Berufskrankheit)5. Dem Arbeitgeber wird man dies wegen der damit verbundenen Risiken und Unsicherheiten – Abweichung von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG – allerdings kaum raten! 2.318 Das Arbeitsgericht prüft nach, ob der Arbeitgeber die Auswahlrichtlinie richtig angewandt hat. Weicht der Arbeitgeber von der Auswahlrichtlinie ab, ist die Kündigung unwirksam; die Sozialauswahl ist bei Verstoß gegen eine Auswahlrichtlinie fehlerhaft6. Die Auswahlrichtlinie kann unwirksam sein. Dies besagt allerdings noch nichts zwingend für das Ergebnis des Sozialauswahlvorgangs. Die Ergebnisse des Sozialauswahlvorgangs sind ohne Anwendung der Auswahlrichtlinie auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Der Privilegierungseffekt des § 1 Abs. 4 KSchG kommt nicht zum Tragen. Ob die tatsächlich getroffene Sozialauswahl rechtmäßig ist oder nicht, ist in jedem Einzelfall unter Zugrundelegung des § 1 Abs. 3 KSchG zu überprüfen. Die Unwirksamkeit der Auswahlrichtlinie beseitigt nur die Privilegierungswirkungen des § 1 Abs. 4 KSchG. Die Sozialauswahl kann gleichwohl nach § 1 Abs. 3 KSchG rechtmäßig sein. Entsprechendes gilt, wenn die Auswahlkriterien und deren Gewichtung die Grenze zur groben Fehlerhaftigkeit überschreiten7. 1 Vgl. BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, DB 2008, 2143. 2 Vgl. BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, DB 2008, 2143; Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und Insolvenz, 1997, Rz. 244; Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rz. 774. S. aber demgegenüber U. Preis, NJW 1996, 3369, 3372. 3 Vgl. BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, AP Nr. 87 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl = DB 2007, 1087. 4 Vgl. BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, DB 2014, 66. Anders früher BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = DB 1990, 1335. Beispiele für Punkteschemata finden sich u.a. bei Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, 6. Aufl. 2008, § 7 Rz. 238. 5 Vgl. Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rz. 781; Gaul/Lunk, NZA 2004, 184, 188; Preis, RdA 1999, 311, 320. 6 Vgl. LAG Sachsen v. 21.9.2000 – 6 Sa 153/00, NZA-RR 2001, 586; Moll in Henssler/ Moll, Kündigung und Kündigungsschutz in der betrieblichen Praxis, 2000, S. 141, 164. 7 Vgl. BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 473/05, DB 2007, 922.

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Eingriffe in die Vergütung/Ruhegehaltsansprüche

2.322

Arbeitgeber und Betriebsrat können Auswahlrichtlinien i.S. von § 1 Abs. 4 2.319 KSchG später oder zeitgleich etwa bei Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste ändern. Setzen sich die Betriebsparteien in einem bestimmten Punkt gemeinsam über die Auswahlrichtlinie hinweg, gilt die Namensliste1. f) Namensliste (§ 1 Abs. 5 KSchG) § 1 Abs. 5 KSchG regelt nach dem Vorbild des § 125 InsO die Möglichkeit eines 2.320 Interessenausgleichs (§ 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) mit Namensliste. Die Regelung enthält ebenso wie § 125 InsO eine Vermutungswirkung hinsichtlich des Fehlens von Beschäftigungsmöglichkeiten und die Beschränkung der Sozialauswahlüberprüfung auf grobe Fehlerhaftigkeit. Wegen der Einzelheiten kann auf die Ausführungen zu § 125 InsO verwiesen werden (Rz. 7.392 ff.). Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG nur die Erhaltung der bisherigen Personalstruktur privilegiert, während § 125 InsO die Prüfung auch auf die Schaffung einer neuen Personalstruktur erstreckt. Die Beteiligung der einzelnen Altersgruppen am Personalabbau hat im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG streng proportional zu erfolgen2. 3. Eingriffe in die Vergütung und Ruhegehaltsansprüche von Geschäftsführern In jeder Krise einer GmbH bzw. GmbH & Co. KG stellt sich die Frage, ob und in 2.321 welchem Umfang der Geschäftsführer (auch Gesellschafter-Geschäftsführer) Eingriffe in seine Bezüge und Ruhegehaltsansprüche im Interesse einer nachhaltigen Sanierung der in der Krise befindlichen Gesellschaft hinzunehmen hat3. Bei den Versorgungsberechtigten ist zu unterscheiden,

2.322

Arbeitnehmer-Geschäftsführer4

– ob es sich um einen handelt, für den die Vorschriften des Betriebsrentengesetzes eingreifen, oder – ob der Geschäftsführer, dem gegenüber die Versorgungszusage abgegeben wurde, statt des Versorgungsanspruchs nur eine Anwartschaft auf die Versorgungsleistungen besitzt, die entweder verfallbar oder unverfallbar ist5. 1 Vgl. BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, DB 2014, 66. 2 Vgl. BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13. 3 Dieser Eingriffsgrund ist nicht zu verwechseln mit der Anpassung der laufenden Leistungen einer betrieblichen Altersversorgung und der dabei zu berücksichtigenden wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers nach § 16 BetrAVG. Vgl. Huber in Kemper/KistersKölkes/Berenz/Huber, § 16 BetrAVG Rz. 67–77. 4 Zum Begriff des Geschäftsführers als Arbeitnehmer vgl. Huber in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 17 BetrAVG Rz. 6; Kemper, ebd., § 1 BetrAVG Rz. 44 ff.; Blomeyer/Rolfs/Otto, § 17 BetrAVG Rz. 4 ff., 77 ff.; Höfer, § 17 BetrAVG Rz. 5517 ff. 5 Vgl. Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar zur InsO, § 45 InsO Rz. 12 ff.; Lüdtke in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 45 InsO Rz. 14 ff.; Thonfeld in Karsten Schmidt, § 45 InsO Rz. 9; Bertram in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 107 Rz. 87 ff. u. § 109 Rz. 9 und 23 ff.; Ganter, NZI 2013, 769 ff.; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Sadus, Insolvenzrecht, Kap. 9, Rz. 26 ff.; Hess, Sanierungshandbuch, § 34 Rz. 66 ff.; Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, § 30 Rz. 23 ff.; Pluta/Heidrich in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 30, S. 1058 ff.; Höfer/Kemper, BB 1973, 731, 732.

Moll und Uhlenbruck

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2.323

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

Im Folgenden wird vom Fall eines Geschäftsführers ohne oder mit einer geringen Kapitalbeteiligung (unter 50 %) ausgegangen, der dem Arbeitnehmerbegriff i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1, 2 BetrAVG unterfällt und die Anwartschaft auf die Versorgungsbezüge unverfallbar ist1. Alleingesellschafter, Mehrheitsgesellschafter oder Geschäftsführer, die über eine Minderheitsbeteiligung verfügen, jedoch über einen Stimmbindungsvertrag insgesamt mehr als 50 % der Anteile präsentieren, unterfallen nicht dem Arbeitnehmerbegriff, weil die betriebliche Altersversorgung in diesen Fällen nicht durch ein Arbeitsverhältnis veranlasst ist2. Nicht behandelt wird die Frage, ob im Rahmen der Ruhegehaltsansprüche ähnlich den Vorstandsgehältern bei einer AG die Ansprüche eines GmbH-Geschäftsführers entsprechend § 18 SGB IV in der Krise der GmbH durch eine Höchstgrenze des Dreifachen der Bezugsgröße gedeckelt werden können. a) Herabsetzung der Geschäftsführervergütung 2.323 Bei einer existenzbedrohenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft kann der Geschäftsführer aufgrund seiner Treuepflicht ausnahmsweise verpflichtet sein, einer zeitweisen Herabsetzung seiner festen Bezüge zuzustimmen3. Das gilt insbesondere, wenn durch die Fortzahlung der Bezüge in bisheriger Höhe der Gesellschaft Mittel entzogen würden, auf die sie zum Überleben dringend angewiesen ist4. Zwar ist umstritten, ob die Vorschrift des § 87 Abs. 2 AktG für die GmbH entsprechende Anwendung findet5, doch lässt sich aus der Bestimmung jedenfalls das „allgemeine Rechtsprinzip entnehmen, dass die Bezüge der organschaftlichen Vertreter bei einer grundlegenden Verände1 Zur Verfallbarkeit der Anwartschaft Höfer/Kemper, BB 1973, 731, 732; Ganter, NZI 2013, 769 ff.; Pluta/Heidrich in Beck/Depré, Praxis in der Insolvenz, § 30 Rz. 129 ff.; Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 11. Aufl. 2010, § 9 Rz. 45 ff.; vgl. auch PSV-Merkblatt 300/M 1/3.10 Ziff. 3.2.4.1.a sowie PSV-Merkblatt 300/M 1/3.10.3.3.1.3, b bb. 2 Vgl. Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 385; Kemper in Kemper/ Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 1 BetrAVG Rz. 44 ff.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 GmbHG Rz. 99; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 38 f. 3 Vgl. BGH v. 15.6.1992 – II ZR 88/91, GmbHR 1992, 605; OLG Düsseldorf v. 7.12.2011 – I-16-U 19/10, GmbHR 2012, 332, 335 m. Komm. Blöse; OLG Köln v. 6.11.2007 – 18 U 131/07, ZIP 2009, 36 = GmbHR 2008, 1216; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 GmbHG Rz. 93; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 34a; Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 368 ff.; Lindemann, GmbHR 2009, 737 ff. 4 BGH v. 15.6.1992 – II ZR 88/91, GmbHR 1992, 605 = NJW 1992, 2894; OLG Naumburg v. 16.4.2003 – 5 U 12/03, GmbHR 2004, 423; OLG Köln v. 6.11.2007 – 18 U 131/07, AG 2008, 828 = GmbHR 2008, 1216; OLG Düsseldorf v. 7.12.2011 – I 16 U 19/10, GmbHR 2012, 332 m. Komm. Blöse, Goette, DStR 1998, 1138; Bauder, BB 1993, 369 ff.; H.-F. Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 84 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 34a; Heyder in Michalski, § 6 GmbHG Rz. 152; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 GmbHG Rz. 101; Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 370g; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 35 GmbHG Rz. 97, 100; Fleck in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 197, 219. 5 So z.B. Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 371; Koppensteiner/ Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 35 GmbHG Rz. 97; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 GmbHG Rz. 93; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 34a; Gaul/Jantz, GmbHR 2009, 959, 961.

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Uhlenbruck

Eingriffe in die Vergütung/Ruhegehaltsansprüche

2.324

rung der Verhältnisse entsprechend anzupassen sind“1. Nach Auffassung des OLG Naumburg2 kommt eine Zustimmungspflicht nur in Betracht, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft in so wesentlichem Maße verschlechtert haben, dass die Herabsetzung der Bezüge für die Gesellschaft wegen der existenzgefährdenden Notlage objektiv erforderlich und für den Geschäftsführer zumutbar ist3. Die Treue- und Loyalitätspflicht (§ 242 BGB) verpflichtet einen Geschäftsführer in der Krise der GmbH nicht nur, einer Herabsetzung seiner Vergütung zuzustimmen, sondern u.U. selbst die Initiative zur Herabsetzung zu ergreifen4. Zwingende weitere Voraussetzung ist jedoch, dass die Herabsetzung zur Herbeiführung einer nachhaltigen Sanierung der Gesellschaft beizutragen geeignet ist. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür hat die Gesellschaft5. Fremdgeschäftsführer unterliegen der Anpassung ihrer Vergütung ohne entsprechenden Vorbehalt nur bei langfristig und fest abgeschlossenen Anstellungsverträgen6. Auch in der Eigenverwaltung kann die eigenverwaltende Geschäftsführung verpflichtet sein, eine Schmälerung der Bezüge zum Zwecke der Sanierung des Unternehmens hinzunehmen (s. dazu Rz. 7.707). Zur Vermeidung des Moral-Hazard-Problems liegt es nahe, den Sachwalter analog § 280 InsO mit dieser Aufgabe zu betrauen7. Der Umfang der Herabsetzung ist eine im Einzelfall zu beurteilende Tatfrage. 2.324 Handelt es sich um einen Gesellschafter-Geschäftsführer, so sind nach Auffassung des OLG Naumburg8 die diesem gewährten Leistungen mit dem Gehalt zu vergleichen, das ein Fremdgeschäftsführer unter denselben Umständen für die gleiche Tätigkeit erhalten hätte9. Bei der Herabsetzung ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsführer ohnehin seine gesamte variable Vergütung in der Krise einbüßt, so dass sich die Herabsetzung auf das Festgehalt bezieht. Insoweit sind strenge Maßstäbe anzulegen10. Ist die Vergütung unter Berücksichtigung aller Umstände als Entgelt für die Geschäftsführertätigkeit angemessen, so liegt kein Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG vor11. 1 BGH v. 15.6.1992 – II ZR 88/91, GmbHR 1992, 605 = NJW 1992, 2894; H.F. Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 84; Gaul/Janz, GmbHR 2009, 959 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 35 GmbHG Rz. 187; Jaeger in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 35 GmbHG Rz. 324; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 34a. 2 OLG Naumburg v. 16.4.2003 – 5 U 12/03, GmbHR 2004, 423; Bauder, BB 1993, 369, 370. 3 Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 371; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, 2014, Rz. 173 ff. 4 Vgl. OLG Köln v. 6.11.2007 – 18 U 131/07, ZIP 2009, 36; Lindemann, GmbHR 2009, 737, 741. Zur Herabsetzung der Vergütung im eröffneten Verfahren s. Uhlenbruck, BB 2003, 1185, 1189 ff. 5 So Fleck in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 219; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 34a. 6 So Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 370; Jaeger in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 35 GmbHG Rz. 323. 7 Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 176. 8 OLG Naumburg v. 16.4.2003 – 5 U 12/03, GmbHR 2004, 423; OLG Düsseldorf v. 7.12. 2011 – I 16 U 19/10, GmbHR 2012, 332 m. Komm. Blöse. 9 Vgl. auch BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224, 227; OLG Düsseldorf v. 7.12.2011 – I 16 U 19/10, GmbHR 2012, 332 m. Komm. Blöse. 10 Jaeger in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 35 GmbHG Rz. 325. 11 BGH v. 15.6.1992 – II ZR 88/91, GmbHR 1992, 605; OLG Naumburg v. 16.4.2003 – 5 U 12/03, GmbHR 2004, 423, 424.

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2.325

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.325 Die Herabsetzung der Vergütung ist grundsätzlich auf die notwendige Dauer zu befristen1. Eine unbefristete Herabsetzung ist nur angemessen, wenn sich die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft nicht absehen lässt2. Gelingt die Sanierung oder scheitert sie, lebt der ursprüngliche Vergütungsanspruch in voller Höhe wieder auf und genießt, wenn es sich um einen abhängigen Geschäftsführer handelt, den Insolvenzschutz nach dem BetrAVG3. 2.326 Die Grundsätze über die Herabsetzung der Vergütung eines Geschäftsführers gelten nicht für den Sanierungsgeschäftsführer. Bei den vor Verfahrenseröffnung eingewechselten Sanierungsgeschäftsführern kann sogar eine „Gefahrenzulage“ angezeigt sein, denn von ihnen wird verlangt, aus der Organstellung heraus den Sanierungsprozess zu begleiten und das Unternehmen eigenverantwortlich fortzuführen4. b) Kürzung oder Widerruf von Ruhegehaltsansprüchen 2.327 Die Kürzung von Ruhegehaltsansprüchen eines Geschäftsführers, auch Gesellschafter-Geschäftsführers, bedarf grundsätzlich der Zustimmung des Betroffenen. Die Zahlung von Ruhegeld kann nicht einseitig von der Gesellschaft eingestellt oder gekürzt werden5. Zuständig für die Änderung einer Ruhegeldzulage der GmbH ist die Gesellschafterversammlung6. Die Anpassung erfordert eine Vertragsänderung (Anpassungsvertrag). Nur in Ausnahmefällen des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ und der „unzulässigen Rechtsausübung“ kommt entsprechend § 313 BGB bzw. § 242 BGB ein einseitiger Widerruf in Betracht (dazu aber unten Rz. 2.330)7. 2.328 Hält man die Vorschrift des § 87 Abs. 2 AktG für GmbH-Geschäftsführer für entsprechend anwendbar (Rz. 2.323), so können Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art nur in den ersten drei Jahren nach dem Ausscheiden aus der Gesellschaft herabgesetzt werden. § 87 Abs. 2 AktG wirft schon für die Ruhegehälter von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft erhebliche Zweifelsfragen auf8. Das gilt in besonderem Maße für den Geschäftsführer einer GmbH. 1 Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 371. 2 OLG Naumburg v. 16.4.2003 – 5 U 12/03, GmbHR 2004, 423, 424. 3 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 39 a.E.; Altmeppen in Roth/ Altmeppen, § 6 GmbHG Rz. 101. 4 So Bauder, BB 1993, 369, 372; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 174; Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 570; Thiele, ZInsO 2015, 877 ff., 979 ff. 5 So z.B. Kemper in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 1 BetrAVG Rz. 373 f. Zur Abfindung von Betriebsrenten in der Insolvenz s. Hinrichs/Plitt, ZInsO, 2011, 2109 ff. 6 Vgl. Samwer, Zur Zuständigkeit der Gesellschafter(versammlung) der GmbH bei Erteilung und Änderung von Ruhegeldzusagen an Geschäftsführer, in FS H.-J. Lüer, 2008, S. 295 ff. 7 Vgl. Blomeyer/Otto/Rolfs, Anh. § 1 BetrAVG Rz. 486. Zu steuerlich wirksamen Verfahren zur befreienden Umstrukturierung von Pensionszusagen beherrschender Gesellschafter-Geschäftsführer, Siebert, GmbHR 2013, 1130 ff. 8 Vgl. Kemper in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 1 BetrAVG Rz. 371 ff.; Göcke/ Greubel, ZIP 2009, 2086 ff.; Uhlenbruck, BB 2003, 1185, 1190.

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Eingriffe in die Vergütung/Ruhegehaltsansprüche

2.329

c) Wegfall der „wirtschaftlichen Notlage“ als Sicherungsfall Die ältere Praxis, wonach eine existenzbedrohende Notlage der Gesellschaft den 2.329 Geschäftsführer nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) verpflichten kann, in die Herabsetzung des Ruhegehaltsanspruchs einzuwilligen1, kann in dieser Allgemeinheit nicht mehr aufrechterhalten werden. Durch Art. 8 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung v. 16.12.1997 (BGBl. I 1997, 2998) hat der Gesetzgeber in § 7 BetrAVG den Sicherungsfall der wirtschaftlichen Notlage des Arbeitgebers ersatzlos gestrichen2. Nach einem Urteil des BAG vom 17.6.20033 besteht seither kein aus den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage entwickeltes Recht zum Widerruf insolvenzgeschützter betrieblicher Versorgungsrechte wegen wirtschaftlicher Notlage mehr4. Die Bundesregierung hat im Gesetzgebungsverfahren (BT-Drucks. 12/3803, S. 109, 110) die Auffassung vertreten, dass der Tatbestand der wirtschaftlichen Notlage neben dem des außergerichtlichen Vergleichs als gesonderter Sicherungsfall entbehrlich sei. Aufgrund des untrennbaren Zusammenhangs zwischen der Berechtigung zum Widerruf einer Anwartschaft und der Eintrittspflicht des PSVaG sei ein einseitiger Widerruf auch arbeitsrechtlich nicht mehr zulässig. Nach der Gesetzesbegründung verbietet sich auch die Annahme, der Arbeitgeber dürfe zumindest dann wegen wirtschaftlicher Notlage widerrufen, wenn seine Bemühungen um einen außergerichtlichen Vergleich unter Einschaltung des PSVaG gescheitert seien5. Das Gesetz habe für wirtschaftliche Notlagen die Möglichkeit eines außergerichtlichen Vergleichs unter Einschaltung des Trägers der Insolvenzsicherung offen gelassen und verweise den Arbeitgeber ansonsten auf den Weg eines Insolvenzverfahrens6. 1 BGH v. 8.12.1960 – II ZR 107/59, WM 1961, 299, 300; BGH v. 19.10.1978 – II ZR 42/77, WM 1979, 250, 251; BGH v. 11.2.1985 – II ZR 194/84, ZIP 1985, 760, 762; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 GmbHG Rz. 101; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/SchmidtLeithoff § 35 GmbHG Rz. 97, die auf § 242 BGB abstellen; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 39, leitet die Pflicht zur einstweiligen Einstellung oder Kürzung von Versorgungsleistungen aus der den Geschäftsführer bindenden Treuepflicht her. 2 Art. 91 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung v. 5.10.1994, BGBl. I 1994, 2911, 2947; Kemper in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 1 BetrAVG Rz. 302, 303. 3 BAG v. 17.6.2003 – 3 AZR 396/02, EzA BetrAVG § 7 Nr. 69. 4 S. auch BAG v. 31.7.2007 – 3 AZR 372/06, NZA 2008, 320; LAG Hessen v. 4.3.2009 – 8 Sa 968/08, ZInsO 2009, 2063, 2064. Vgl. Schwerdtner, Die Kürzung oder Einstellung betrieblicher Versorgungsleistungen wegen wirtschaftlicher Notlage des Arbeitgebers, in FS Uhlenbruck, 2000, S. 799 ff.; Kemper in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 1 BetrAVG Rz. 302 f.; Berenz, ebd., § 7 BetrAVG Rz. 22; Blomeyer, NZA 1998, 911; Wohlleben, Die Insolvenzsicherung von Betriebsrenten, in Höfer, Die Novellierung des Betriebsrentengesetzes, 1998, S. 130; Uhlenbruck, KSI 2006, 121 ff.; Heß, Sanierungshandbuch, Kap. 34 Rz. 215 ff. 5 So aber Diller, ZIP 1997, 765, 772; Boemke, NJW 2009, 2491. 6 Dies entspricht im Ergebnis auch dem Vorschlag von Höfer (§ 7 BetrAVG Rz. 4388), wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, sich um einen außergerichtlichen Vergleich mit dem PSVaG zu bemühen, wenn er sich auf sein Leistungsverweigerungsrecht wegen wirtschaftlicher Notlage berufen wolle. Lehne der PSVaG den außergerichtlichen Vergleich ab, wäre der Arbeitgeber verpflichtet, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, denn das Berufen auf die wirtschaftliche Notlage lasse erkennen, dass

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2.330

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.330 Gleichwohl wird noch die Auffassung vertreten, eine Kürzungsmöglichkeit wegen wirtschaftlicher Notlage bleibe zulässig, wenn mit einer erfolgreichen Sanierung des Unternehmens gerechnet werden könne1. Nach Auffassung von R. Höfer2 ist bei nicht dem gesetzlichen Insolvenzschutz unterfallenden Versorgungsrechten auch weiterhin ein Widerruf zulässig, wenn eine wirtschaftliche Notlage beim Arbeitgeber vorliegt. Das ergibt ein Umkehrschluss aus der vom Gesetzgeber gewollten zwingenden Verknüpfung von Widerrufsrecht und gesetzlichem Insolvenzschutz. Bei ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Arbeitgebers sei es gerechtfertigt, zu seinen Gunsten auch weiterhin die Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) anzuwenden. Doch kann seit der Streichung des Sicherungsfalls der wirtschaftlichen Notlage (§ 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG a.F.) ein Recht zum Widerruf insolvenzgeschützter betrieblicher Versorgungsrechte wegen wirtschaftlicher Notlage nicht mehr anerkannt werden. Auch R. Höfer3 und K. Heubeck4 gehen davon aus, dass die Lösung der Problematik über einen außergerichtlichen Vergleich zu suchen ist. Der außergerichtliche Vergleich stellt einen Sicherungsfall i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 4 BetrAVG dar. Der PSVaG wird dem außergerichtlichen Vergleich (Stundungs-, Quotenoder Liquidationsvergleich) aber nur zustimmen, wenn der Arbeitgeber in seinem Antrag auf Zustimmung substantiiert darlegt, dass Art und Ausmaß der geplanten Maßnahmen in Form einer Stundung, Kürzung oder Einstellung laufender Leistungen zur Fortführung des Betriebes unumgänglich notwendig sind und dass realistische Erfolgsaussichten auf eine nachhaltige Sanierung und damit zur Vermeidung eines Insolvenzverfahrens bestehen5. Einem Arbeitnehmer-Geschäftsführer ist ebenso wie jedem anderen Arbeitnehmer nicht zuzumuten, ohne ein Opfer auch der übrigen Gläubiger ein Sonderopfer zu bringen. d) Außergerichtlicher Vergleich als Sicherungsfall 2.331 Der außergerichtliche Vergleich des Arbeitgebers mit seinen Gläubigern ist ein Sicherungsfall i.S. von § 7 BetrAVG, wenn der PSVaG dem Vergleich zustimmt6. Der PSVaG ist nicht verpflichtet, dem außergerichtlichen Vergleich des Schuldner-

1 2 3 4 5 6

ein Eröffnungsgrund i.S. der §§ 17–19 InsO vorliege. Vgl. auch Kemper in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 1 BetrAVG Rz. 303; Berenz in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 7 BetrAVG Rz. 22; Bertram in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 109 Rz. 36. So z.B. H.-F. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 83; Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 103; Drukarczyk, ZGR 1979, 571; Höfer, § 7 BetrAVG Rz. 4386 ff.; a.A. Pluta/Heidrich in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 30 Rz. 48. Höfer, § 7 BetrAVG Rz. 4389.4. Vgl. demgegenüber aber Goette in FS Wiedemann, 2002, S. 879, 882 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 38; Blomeyer/Rolfs/Otto, Anh. zu § 1 BetrAVG Rz. 486; Boemke, NJW 2009, 2491. Höfer, § 7 BetrAVG Rz. 4385 ff. K. Heubeck in Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, Teil IV/II Rz. 56 S. 634 f. Vgl. auch Heß, Sanierungshandbuch, Kap. 34 Rz. 215 ff. So zutr. Berenz in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 7 BetrAVG Rz. 39; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 35 GmbHG Rz. 97. Vgl. Berenz in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 7 BetrAVG Rz. 37; Merkblatt 110; M1 des PSVaG. Zur Rechtsstellung des PSVaG im außergerichtlichen Vergleich vgl. Uhlenbruck, KSI 2006, 121.

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Eingriffe in die Vergütung/Ruhegehaltsansprüche

2.333

unternehmens zuzustimmen1. Der PSVaG wird einem außergerichtlichen Vergleich nur zustimmen, wenn „eine die wirtschaftliche Lage und geeignete Abhilfemöglichkeiten feststellende sachverständige betriebswirtschaftliche Analyse“ vorgelegt wird, der Widerruf also Teil eines „ausgewogenen Sanierungskonzepts“ ist2. Der PSVaG ist nicht verpflichtet, einem außergerichtlichen Vergleich zuzustim- 2.332 men. Wenn er nicht zustimmt, bestehen die Versorgungsansprüche der Begünstigten unverändert gegenüber dem Arbeitgeber3. Stimmt der PSVaG einem außergerichtlichen Fortführungsvergleich zu, so endet nicht ohne weiteres das Versorgungsverhältnis zwischen dem Versorgungsberechtigten und dem Schuldnerunternehmen als Arbeitgeber. Es bleibt vielmehr in dem Umfang bestehen, in dem der PSVaG die betriebliche Altersversorgung nicht übernimmt. Werden Ansprüche von Versorgungsberechtigten vom Arbeitgeber nicht erfüllt, so können die Versorgungsberechtigten den PSVaG nur dadurch zur Leistung verpflichten, dass sie einen Insolvenzantrag gegen ihren Arbeitgeber stellen und das Insolvenzverfahren von dem zuständigen Gericht eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse abgewiesen wird4, Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG gehen Ansprüche oder Anwartschaften des Berechtigten gegen den Arbeitgeber auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, die den Anspruch gegen den Träger der Insolvenzsicherung begründen, im Fall eines Insolvenzverfahrens mit dessen Eröffnung, in den übrigen Sicherungsfällen dann auf den Träger der Insolvenzsicherung über, wenn dieser nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG dem Berechtigten die ihm zustehenden Ansprüche oder Anwartschaften mitteilt. Wird eine Pensionszusage durch eine Rückdeckungsversicherung vom Unterneh- 2.333 men finanziert und wird diese Versicherung zur Sicherung der Versorgungsansprüche an den Gesellschafter-Geschäftsführer verpfändet (sog. Verpfändungsmodell), so sind diese Ansprüche „insolvenzfest“5. Keine Insolvenzfestigkeit besteht dagegen bei einem widerruflichen Bezugsrecht6. Ist die Pfandreife zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht eingetreten, ist der Insolvenzverwalter berechtigt, die Versicherung zu kündigen7. 1 Berenz in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 7 BetrAVG Rz. 41; Blomeyer/Rolfs/ Otto, § 7 BetrAVG Rz. 103 ff.; Höfer, § 7 BetrAVG Rz. 4356. 2 So BAG v. 17.6.2003 – 3 AZR 396/02, EzA BetrAVG § 7 Nr. 69. Instruktiv auch Prütting, Der rechtliche Hintergrund des IDW S 6 zur Erstellung von Sanierungskonzepten, KSI 2013, 101 ff.; Groß, WPg 2011, Sonderheft S. 1; Groß in FS Wellensiek, 2011, S. 23; Wohlleben in Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 32 Rz. 23; Berenz in Kemper/Kisters-Kölkes/Berens/Huber, § 7 BetrAVG Rz. 39 ff. 3 BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, ZIP 1992, 1991; Höfer, § 7 BetrAVG Rz. 4352; Berenz in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 7 BetrAVG Rz. 41. 4 Berenz in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 7 BetrAVG Rz. 41. 5 S. BGH v. 10.7.1997 – IX ZR 161/96, BGHZ 136, 220, 224 ff. = GmbHR 1997, 936, 938; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 9 Rz. 37; Ganter, VersR 2013, 1078 ff.; Ganter, NZI 2013, 769, 771 f.; Flitsch/Herbst, BB 2003, 317 ff.; Brinkmann in Uhlenbruck, § 47 InsO Rz. 89a; Elfring, BB 2004, 617 ff.; Jenal, KSI 2012, 167 ff.; Uwe H. Schneider/ Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 370; Arteaga, ZIP 1998, 276, 277 f.; Ganter, NZI 2013, 769, 772 m. Ausführungen zum Contractual Trust Arrangement (CTA). Zum CTA s. Rolfs/Schmid, ZIP 2010, 701 ff. 6 Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 GmbHG Rz. 100. 7 Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 GmbHG Rz. 100 unter Berufung auf BGH v. 7.4. 2005 – IX ZR 138/04, NJW 2005, 2231; Ellring, NJW 2005, 2192.

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2.334

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.334 Hinsichtlich der nicht insolvenzgeschützten Versorgungsrechte eines Geschäftsführers ist ein ausdrücklicher Widerrufsvorbehalt zulässig und beachtlich1. Ein Widerruf wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten ist bei einer Unterstützungskassenversorgung nur so lange zulässig, wie eine Sanierung beabsichtigt ist2. Im Insolvenzfall brauchen die Versorgungsberechtigten nicht zur Befriedigung von Insolvenzgläubigern beizutragen3. Soweit ein Widerruf von durch das Betriebsrentengesetz geschützten Ruhegeldansprüchen und unverfallbaren Anwartschaften der abhängigen Geschäftsführer wegen existenzbedrohender wirtschaftlicher Notlage des Unternehmens ausgeschlossen ist, bleibt der GmbH nichts anderes übrig, als sich um einen außergerichtlichen Vergleich zu bemühen und den PSVaG rechtzeitig einzuschalten (§ 7 Abs. 4 Nr. 2 BetrAVG). e) Die Rolle des PSVaG im Besonderen 2.335 Vorinsolvenzlich sind die Ansprüche des PSVaG nicht selten ein erhebliches Sanierungshindernis oder sogar ein Grund für die Insolvenzantragsstellung. Deshalb gilt es, den PSVaG rechtzeitig in die Verhandlungen mit den Großgläubigern einzubinden und die Zustimmung für den Insolvenzplan frühzeitig einzuwerben4. Dies ist für den Sanierungserfolg meist unverzichtbar5. Zu beachten ist aber der Hinweis von Berenz6, dass sich der PSVaG erst nach dem Eintritt der Insolvenz eines Arbeitgebers mit der konkret bestehenden betrieblichen Altersversorgung unter Berücksichtigung der dann gegebenen Rechtslage im Einzelnen befasst. Wie bei einem außergerichtlichen Vergleich hat das Schuldnerunternehmen gegenüber dem PSVaG substantiiert darzulegen, dass Art und Ausmaß der geplanten Maßnahmen in Form einer Stundung, Kürzung oder Einstellung laufender Leistungen zur Fortführung des Betriebs unumgänglich notwendig sind und dass realistische Erfolgsaussichten auf Vermeidung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und auf Wiederherstellung der Ertragskraft (Sanierung) bestehen7. 2.336 Der PSVaG ist nicht verpflichtet, der notleidenden GmbH die Versorgungslast auf Dauer abzunehmen. Deshalb soll z.B. in einem Insolvenzplan vorgesehen werden, dass bei einer nachhaltigen Besserung der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers die vom PSVaG zu erbringenden Leistungen ganz oder teilweise vom Arbeitgeber oder sonstigen Träger der Versorgung wieder übernommen werden (§ 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG)8. Die Höhe der Sanierungsbeiträge und der Zeitraum, in dem 1 Höfer, § 7 BetrAVG Rz. 4389.6; Blomeyer/Rolfs/Otto, Anh. § 1 BetrAVG Rz. 486; Langohr-Plato, Betriebliche Versorgungszusagen ZAP Nr. 7 Fach 17 S. 1115, 1126. 2 Langohr-Plato, ZAP Fach 17 S. 1127. 3 BAG v. 10.11.1989 – 3 AZR 1134/78, AP BetrAVG § 7 Widerruf Nr. 1; BAG v. 29.9.2010 – 3 AZR 107/08, NZA-RR 2011, 208. 4 Vgl. Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt Liquidieren, 2012, 17.6, S. 129. Fehlt in einem Insolvenzplan die Berücksichtigung des PSVaG, führt dies von Amts wegen zur Zurückweisung des Plans nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO. 5 Vgl. auch Paulsdorff/Wohlleben in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2000, S. 1660 ff. Rz. 21 ff.; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 9 Rz. 26 ff.; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, 2. Aufl. 2015, Rz. 229. 6 Berenz in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 14 BetrAVG Rz. 14. 7 Wörtlich Berenz in Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, § 7 BetrAVG Rz. 39. 8 Vgl. Rieger, NZI 2013, 671 ff.; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, 2. Aufl. 2015, Rz 227, 230; Schöne in Kübler, HRI, § 29 Rz. 19 ff.

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Eingriffe in die Vergütung/Ruhegehaltsansprüche

2.350

der PSVaG Sanierungsbeiträge zu leisten hat, hängen von den Umständen des Einzelfalls ab1. Die Umwandlung einer Rentenversicherung in eine pfändungsgeschützte Ver- 2.337 sicherung ist anfechtbar, wenn die Umwandlung nach dem Antrag auf Insolvenzeröffnung vorgenommen wurde und die Versicherungs-Gesellschaft Kenntnis von dem Insolenzantrag hatte2. Entgeltumwandlungszusagen genießen nach dem BetrAVG grundsätzlich den 2.338 gleichen Rechtsschutz wie arbeitgeberfinanzierte Zusagen3. 2.339–2.350

vacat

1 Vgl. BAG v. 16.3.1993 – 3 AZR 299/92, ZIP 1993, 1330, 1332 = AG 1994, 371; Hess, Sanierungshandbuch, Kap. 34 Rz. 225, 289 ff. u. Rz. 309 ff.; Berenz, BetrAV 1999, 149, 151 f.; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 222 InsO Rz. 44; Langohr-Plato, Betriebliche Altersversorgung, 2010, Rz. 845 ff.; Hess, Insolvenzrecht, Band III, Anh. E § 7 BetrAVG Rz. 243. Zu den Aufteilungsmöglichkeiten der Versorgungslasten in einem Insolvenzplan s. Wohlleben in Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, 2. Aufl. 2015, § 32 Rz. 73 ff.; Pluta/Heidrich in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 2. Aufl. 2010, § 30 Rz. 119 ff. 2 AG Köln v. 31.5.2012 – 130 C 25/17, ZVI 2012, 385. 3 Zu den Differenzierungen hinsichtlich der Alt- und Neuzusagen (ab 31.12.2001) s. Langohr-Plato, ZAP Fach 17 S. 1099, 1106 f.

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2.351

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

C. Externe Sanierung I. Sanierungsbeiträge der Gesellschaftsgläubiger 1. Gläubigerhilfen als externe Sanierungsmaßnahmen 2.351 Im Rahmen der freien Sanierung wird unterschieden zwischen interner (autonomer) Sanierung und externer Sanierung (dazu oben Rz. 2.16). Bei der externen Sanierung1 werden Dritte, vor allem Gläubiger der GmbH, in das Sanierungskonzept einbezogen. Besser ist von externen Sanierungsmaßnahmen zu sprechen, denn die typische „externe Sanierung“ ist eine kombinierte Sanierung, die sich aus internen und externen Elementen zusammensetzt (auch dazu Rz. 2.17). Wirtschaftlich sind Gläubigerhilfen i.d.R. nur sinnvoll, wenn sie im Zusammenhang mit anderen Sanierungsmaßnahmen vorgenommen werden. 2.352 Gläubigerhilfen können individuell oder kollektiv vereinbart werden. Im letzteren Fall kann von einem außergerichtlichen Vergleich gesprochen werden (vgl. dazu auch Rz. 2.361)2. 2.353 Rechtlich ist im Grundsatz kein Gläubiger verpflichtet, einem Unternehmen Forderungen oder Zinsen zu stunden. Es gibt außerhalb des Insolvenzverfahrens kein Obstruktionsverbot, auch nicht bei einem außergerichtlichen Vergleich, dem alle übrigen Gläubiger dem Vergleich zustimmen (vgl. zum Akkordstörerproblem auch Rz. 2.361)3. Hier liegt ein ganz wesentlicher Unterschied zur Sanierung im Insolvenzplanverfahren. 2. Forderungsstundung (Moratorium) 2.354 a) Das echte Moratorium ist eine vertragliche Forderungsstundung4. Das Schuldnerunternehmen vereinbart mit einem oder mehreren Gläubigern, dass die Fälligkeit der Rückzahlung aufgeschoben wird. Üblicherweise wird als Moratorium die kollektive Forderungsstundung in Gestalt eines außergerichtlichen Vergleichs bezeichnet5. Der sachliche Unterschied ist zwingend, der terminologische nicht. Eine Stundungsvariante ist der so genannte Ratenvergleich. Dieser stellt ebenfalls eine Stundung dar, jedoch erfolgt die Bezahlung in vertraglich bestimmten Raten zu aufeinander folgenden Terminen. 1 Von „heterogener Sanierung“ spricht Hess, Sanierungshandbuch, 5. Aufl. 2011, Kap. 4 Rz. 19. 2 Dazu etwa Nerlich/Rhode in Münchener Anwaltshandbuch Sanierung und Insolvenz, § 4 Rz. 268 ff.; grundlegend Künne, Außergerichtliche Vergleichsordnung, 7. Aufl. 1968. 3 Vgl. BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319 = ZIP 1992, 191; h.M.; anders Eidenmüller, ZHR 160 (1996), 343, 354 ff. 4 Drukarczyk/Schöntag in Insolvenzrechts-Hdb., § 3 Rz. 105; Kohler-Gehrig, Außergerichtlicher Vergleich, 1987, S. 11; Künne, Außergerichtliche Vergleichsordnung, 7. Aufl. 1968, S. 56; Nerlich/Rhode in Münchener Anwaltshandbuch Sanierung und Insolvenz, § 4 Rz. 264; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.214 ff.; Uhlenbruck, Gläubigerberatung in der Insolvenz, S. 155 ff. 5 Vgl. nur Drukarczyk/Schöntag in Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb., § 3 Rz. 105; Nerlich/ Rhode in Münchener Anwaltshandbuch Sanierung und Insolvenz, § 4 Rz. 265 ff.

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2.356

b) Wirtschaftlich gesehen verwandelt die Forderungsstundung (das Moratorium) 2.355 kurzfristig fällige Verbindlichkeiten in langfristige Schulden. Die Forderungsstundung verschafft Spielraum für das Liquiditätsmanagement. Rechtlich kann es zu einer Aufschiebung oder Aufhebung der Insolvenzantragspflicht (Rz. 11.1 ff.) beitragen. Insofern führt der Stundungs- oder Ratenvergleich zum Aufschub oder zur zeitweiligen Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit i.S. von § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO. Gleiches gilt für ein so genanntes Stillhalteabkommen (Rz. 2.402 ff.) zwischen dem Schuldnerunternehmen und seinen Gläubigern bzw. einem Hauptgläubiger, dessen Forderung mehr als 10 % der Gesamtverbindlichkeiten ausmacht. Ein erst nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vereinbartes Moratorium beseitigt nicht die Zahlungsunfähigkeit, solange das Schuldnerunternehmen nicht die Zahlungen im Allgemeinen wieder aufnimmt1. Bezogen auf eine Überschuldungslage kann die Stundung zwar nicht die bilanzielle Überschuldung beheben, wohl allerdings die Liquiditätsprognose (Rz. 5.140) verbessern und damit zur Behebung einer Überschuldung i.S. von § 19 Abs. 2 InsO beitragen. c) Die Stundung ist ein Vertrag, der von Rechts wegen formlos, eventuell sogar 2.356 konkludent, geschlossen werden kann. Eine verlässliche Sanierungshilfe kann die aufgeschobene Fälligkeit einer Forderung im Rahmen der Zahlungsunfähigkeitsprüfung allerdings nur gewährleisten, wenn die Stundung ausdrücklich vereinbart worden ist2. Geduldete Nichtzahlung bzw. geduldete verspätete Zahlung genügt nicht. Durch bloßes Versteckspiel kann das Schuldnerunternehmen eine Stundung nicht erzwingen, auch nicht im Lichte von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Ebenso wenig reicht es aus, dass Gläubiger von fruchtlosen Klagen und aussichtslosen Vollstreckungsmaßnahmen absehen (sog. erzwungene Stundung)3. Das so genannte Stillhalten von Banken, also das stillschweigende Stehenlassen von bereits gewährten Krediten ohne deren Kündigung lässt nicht ohne weiteres eine bestehende Zahlungsunfähigkeit des Schuldnerunternehmens entfallen (vgl. auch Rz. 2.402 ff.). Einem regelrechten Stillhalteabkommen kann dagegen Stundungswirkung zukommen (Rz. 2.410 ff.), doch besteht in diesem Fall die Gefahr, dass andere Gläubiger die Zeit nutzen, sich wegen ihrer Forderung vorzugsweise Sicherheiten oder eine Befriedigung zu verschaffen. Teilweise bleiben im Rahmen der Zahlungsfähigkeitprüfung solche Verbindlichkeiten außer Betracht, bezüglich derer ein Gläubiger sich von vornherein und unbeanstandet mit Teilzahlungen zufrieden gibt (Rz. 5.14). Gleiches gilt, wenn Gläubigerbanken die eingeräumten Kreditlinien unbeanstandet überziehen lassen4. Die Unternehmensleitung ist jedoch i.d.R. schlecht beraten, wenn sie die Grauzone zwischen Stundungsvereinbarung und bloßer Gläubigerapathie bei der Liquiditätsprüfung zu nutzen ver1 BGH v. 25.10.2001 – IX ZR 17/01, BGHZ 149, 101, 109; BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 188; BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, NZI 2007, 36, 37 m. Anm. Gundlach/Frenzel = ZIP 2007, 2222, 2224; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 17 InsO Rz. 9, 45; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 17 InsO Rz. 45. 2 So Uhlenbruck, 13. Aufl., § 17 InsO Rz. 8; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 17 InsO Rz. 15. 3 Vgl. Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 17 InsO Rz. 13c mit Hinweis auf BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, ZInsO 2008, 273. 4 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 17 InsO Rz. 11; Harz, ZInsO 2001, 194 f.

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sucht (vgl. diesbezüglich zum Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit Rz. 5.13 f.). Ihre Aufgabe ist es, den schlagartigen Wechsel aus der nur drohenden (§ 18 Abs. 2 InsO) in die akute Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 InsO) abzuwenden. 2.357 d) Ein vereinbartes Moratorium wird zweckmäßigerweise zeitlich befristet1. Gewährt allein die kreditgebende Hausbank zwecks Überwindung der Unternehmenskrise einen Zahlungsaufschub bzw. ein Moratorium, so handelt es sich ebenso wie bei der Stundung von Zinsraten, um einen Teilvergleich. Über die Prolongation von Bankkrediten sowie die Stundung von Zins- und/oder Tilgungsraten durch die kreditgebende Bank vgl. näher Rz. 2.410 ff. Bezogen auf den Zins ist vertragliche Klarheit geboten. Wird für die Zeit der Stundung ein Verzicht auf Zinszahlungen vereinbart, so ist zwischen einer bloßen Stundung, die den Zinslauf unberührt lässt, und einem Verzicht auf die während der Dauer der Stundung anfallenden Zinsen zu unterscheiden. Im letzten Fall handelt es sich insoweit um einen echten Forderungserlass. Vor einem völligen Zinsstopp über längere Zeit wird mit Recht gewarnt2. Er entspricht im Zweifel auch nicht dem Willen beider Vertragspartner. 2.358 e) Wie immer bei finanzierungsbezogenen Sanierungsmaßnahmen ist auf Anfechtungsrisiken zu achten. Eine Forderungsstundung ist zwar als solche nicht gläubigerbenachteiligend3. Aber Gegenleistungen im Rahmen einer Stundungsvereinbarung können anfechtbare Gläubigerbenachteiligungen mit sich bringen4. So kann die Stundung von Steuerforderungen gegen Abtretung einer Forderung der Gesellschafter nach Auffassung des BGH5 auch dann eine inkongruente Deckung bewirken, wenn sich die Forderung der Gesellschaft des Schuldners ebenfalls gegen einen Träger hoheitlicher Gewalt richtet. 2.359 f) Charakteristisch für das Moratorium ist der Fortbestand der Verbindlichkeit und damit – die fortbestehende Passivierungspflicht im Überschuldungsstatus (dazu näher Rz. 5.128 ff.) und – das Fortbestehen akzessorischer Sicherheiten (dazu Rz. 2.415) und – die Anmeldung als Insolvenzforderung im eröffneten Verfahren (§ 41 InsO). Steuerrechtlich generiert die Stundungsabrede keinen schädlichen Buchgewinn nach § 5 Abs. 2a EStG (dazu Rz. 2.647). 3. Forderungsverzicht und Besserungsschein 2.360 a) Im Gegensatz zur bloß liquiditätswirksamen Forderungsstundung (Moratorium) ist der Forderungsverzicht ein geeignetes Mittel, eine bilanzielle Überschul1 Nerlich/Rhode in Münchener Anwaltshandbuch Sanierung und Insolvenz, § 4 Rz. 265 2 S. Uhlenbruck, Gläubigerberatung in der Insolvenz, S. 156. 3 BGH v. 11.1.2007 – IX ZR 31/05, BGHZ 170, 276, 279 Rz. 10 = ZIP 2007, 435, 436; Schäfer in Kummer/Schäfer/Wagner, Rz. B 464. 4 Vgl. statt vieler Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 163 ff. 5 BGH v. 29.9.2005 – IX ZR 184/04, ZIP 2005, 2025; dazu Schäfer in Kummer/Schäfer/ Wagner, Rz. D 29.

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dung der Gesellschaft zu verringern oder zu beseitigen1. Der vollständige oder teilweise Forderungsverzicht einzelner oder sämtlicher Gläubiger des Krisenunternehmens stellt einen Erlassvertrag zwischen Gläubigern und dem Schuldnerunternehmen gemäß § 397 Abs. 1 BGB dar. Es kann sich bei dem Gläubiger selbstverständlich auch um einen Gesellschafter, bei der erlassenen Forderung um eine Gesellschafterforderung handeln. Da die Forderung mit dem Erlassvertrag erlischt, werden akzessorische Sicherheiten frei, und nicht-akzessorische Sicherheiten sind freizugeben (Rz. 2.363). Bilanziell führt der Forderungsverzicht zu einem Wegfall der betroffenen Verbindlichkeiten im Überschuldungsstatus mit der Folge, dass die Passivseite entlastet und eine drohende oder schon eingetretene bilanzielle Überschuldung verringert, verhindert oder beseitigt wird. Schon aus Beweisgründen sollte der Erlassvertrag, auch wenn er zwischen dem Schuldnerunternehmen und nur einzelnen Gläubigern zustande kommt, schriftlich abgeschlossen werden2. Ein Erlassvertrag kann auch unter einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung vereinbart werden (vgl. zur Besserungsabrede sogleich Rz. 2.362). Zur steuerlichen Behandlung des sich aus dem Forderungsverzicht ergebenden bilanziellen Sanierungsgewinns s. unten Rz. 2.563 ff. b) Seinem Ziel nach lässt sich der individuelle und der kollektive Forderungsver- 2.361 zicht unterscheiden (vgl. schon Rz. 2.352). Der individuelle Forderungsverzicht ist Sache eines (Groß-)Gläubigers oder einzelner Gläubiger, der kollektive Forderungsverzicht betrifft die Gläubigergesamtheit oder eine bestimmte Gläubigergruppe (z.B. Gesellschafter oder Lieferanten oder eine Gruppe von Finanzinstituten). Eine Gläubigergruppe kann in einem solchen Fall – muss dies aber nicht – ein Konsortium bilden3. Das Akkordstörerproblem (Rz. 2.353 ff.) tritt auch hier in Erscheinung, hat aber u.U. andere Folgen als sonst. Soll der Forderungserlass sämtlicher Gläubiger im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs vereinbart werden, kommt der Erlassvertrag im Zweifel nur zustande, wenn sämtliche Gläubiger dem Vergleich zustimmen. Scheitert dies an einem „Akkordstörer“, so muss der Vergleich ggf. auch unter den Zustimmenden neu ausgehandelt werden. c) Da sich die Gläubiger die Chance einer späteren Befriedigung ihrer Forderungen 2.362 erhalten und die erhoffte Sanierung nur vorfinanzieren wollen, wird der Forderungsverzicht zweckmäßigerweise mit einer Besserungsvereinbarung verknüpft4. Als Bedingung der Besserungsabrede wird regelmäßig vereinbart, dass sich die Vermögensverhältnisse des Schuldnerunternehmens in einer vertraglich bestimmten Weise bessern, insbesondere aus durch zukünftige Gewinne frei wer-

1 Vgl. BGH v. 14.2.1995 – XI ZR 65/94, WM 1995, 695 = ZIP 1995, 574; Herlinghaus, Forderungsverzichte und Besserungsvereinbarungen zur Sanierung von Kapitalgesellschaften, 1994; Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 16 Rz. 47; Nerlich in Münchener Anwaltshandbuch Sanierung und Insolvenz, § 4 Rz. 252 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.218 ff.; Wittig, NZI 2001, 169, 170. 2 Vgl. Herlinghaus, Forderungsverzichte und Besserungsvereinbarungen zur Sanierung von Kapitalgesellschaften, 1994, S. 6; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.219. 3 Vgl. Ulmer/Schäfer in Münchener Kommentar zum BGB, vor § 705 BGB Rz. 60: Sanierungskonsortium, Stillhaltekonsortium. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.1333.

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dendem Vermögen oder aus einem etwaigen Liquidationserlös1. Der Erlassvertrag steht dann unter der auflösenden Bedingung, dass bei Eintritt der vereinbarten Besserung der Vermögensverhältnisse die Erlasswirkung wieder entfällt2. Mit Eintritt der Vermögensverbesserung lebt also die Gläubigerforderung – je nach Vereinbarung ganz oder teilweise – wieder auf3. Zur Vermeidung einer steuerschädlichen Auflösung der Verbindlichkeit vgl. Rz. 2.660 ff. 2.363 d) Da die erlassenen Forderungen erloschen sind, werden auch bei Vereinbarung eines Besserungsscheins akzessorische Sicherheiten frei4. Nicht-akzessorische Sicherheiten sind freizugeben5. Da erst mit der vertraglich bestimmten Besserung der Vermögensumstände die erlassenen Forderungen wieder aufleben, sind sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht zu verzinsen, es sei denn, dass die Parteien ausdrücklich eine andere Abrede treffen6. Wird die Freigabe vertraglich ausgeschlossen, so kann es sich nur um ein pactum de non petendo handeln, also um die Vereinbarung einer aufschiebenden Zahlungsbedingung. Im eröffneten Insolvenzverfahren begründen erlassene Forderungen keine Anmeldungsfähigkeit. Das Scheitern der mit dem Forderungsverzicht verbundenen Sanierungserwartungen lässt sie nicht kraft Gesetzes als Insolvenzforderungen aufleben, denn § 41 InsO ist nicht anwendbar. Eine ausdrückliche Abrede, nach der die Forderung im Fall eines Insolvenzantrags oder im Fall der Verfahrenseröffnung ebenso wie im Fall der Besserung auflebt, wäre als Teil eines Sanierungskonzepts unbrauchbar, weil sie die bilanzielle Überschuldung nicht beheben könnte. 4. Rangrücktritt 2.364 a) Als eine Rechtsfigur zwischen dem Erlassvertrag (Rz. 2.360) und der bloßen Stundung (Rz. 2.356) hat sich mehr und mehr der Rangrücktritt etabliert7. Ziel der Rangrücktrittsvereinbarung ist typischerweise 1 Formulierungsvorschläge bei Nerlich/Rhode in Münchener Anwaltshandbuch Sanierung und Insolvenz, § 4 Rz. 257. 2 Einzelheiten bei Herlinghaus, Forderungsverzichte und Besserungsvereinbarungen zur Sanierung von Kapitalgesellschaften, 1994, S. 83 ff.; Schrader, Die Besserungsabrede, 1995; Wittig, NZI 2001, 169, 170; Nerlich/Rhode in Münchener Anwaltshandbuch Sanierung und Insolvenz, § 4 Rz. 256 f.; Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung und Insolvenz, § 16 Rz. 34, 47. 3 Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 16 Rz. 34; Nerlich/Rhode in Münchener Anwaltshandbuch Sanierung und Insolvenz, § 4 Rz. 256; Wittig, NZI 2001, 169, 170; nach Auffassung von Herlinghaus (Forderungsverzicht und Besserungsvereinbarungen zur Sanierung von Kapitalgesellschaften, 1994, S. 83 ff.) stellt die Besserungsvereinbarung ein abstraktes Schuldanerkenntnis dar, „dessen Fälligkeit durch die Besserungsabrede aufgeschoben wird, so dass im Ergebnis von einer Stundungsvereinbarung auszugehen ist“ (S. 182); für eine Einordnung als pactum de non petendo Schrader, Die Besserungsabrede, 1995, S. 37 ff. 4 Wittig, NZI 2001, 169, 170. 5 Karsten Schmidt, GmbHR 1999, 9, 11; Wittig, NZI 2001, 169. 6 Einzelheiten bei Herlinghaus, Forderungsverzicht und Besserungsvereinbarungen zur Sanierung von Kapitalgesellschaften, 1994, S. 136 f. mit Nachweisen von Rechtsprechung und Literatur. 7 Dazu umfassend Fleischer, Finanzplankredite und Eigenkapitalersatz im Gesellschaftsrecht, 1995; Chr. Mayer, Der vertragliche Nachrang von Forderungen, 2007; Röhricht in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 2001, S. 16 ff.; Teller/Steffan, Rangrück-

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– die Abwehr oder Beseitigung von Eröffnungsgründen und Insolvenzantragspflichten (§§ 19, 17, 15a InsO) – bei gleichzeitiger Vermeidung steuerschädlicher Buchgewinne (vgl. § 5 Abs. 2a EStG und dazu Rz. 2.648 ff.). Aus diesen Hauptaufgaben des Rangrücktritts ergibt sich die Hauptschwierigkeit seiner richtigen Formulierung, nämlich die Tiefe des Rangrücktritts1. Dieser – muss einerseits eine ausreichende Tiefe haben, um die bilanzielle Überschuldung der Gesellschaft zu vermeiden, also die Nicht-Passivierung der Verbindlichkeit im Überschuldungsstatus zu erlauben, – darf aber anderseits nicht durch seine Tiefe die Passivierung in der Steuerbilanz ausschließen, darf also m.a.W. keinen Buchgewinn generieren. Die erste Frage ist eine solche des § 19 Abs. 2 InsO, die zweite eine solche des § 5 2.365 Abs. 2a EStG (dazu Rz. 2.648 ff.). Zu beiden Fragen gibt es eine umfangreiche, nicht immer vollständig konsistente Rechtsprechung der Zivil- und Finanzgerichte2, auf die die Handbücher mit immer neuen Formulierungsempfehlungen reagiert haben3. Die Befolgung solcher Empfehlungen kann im Optimierungsinteresse, insbesondere zur Ausschöpfung steuerrechtlicher Optionen von Nutzen sein. Sie bindet aber Kraft und Arbeitszeit, ohne doch letzte und dauernde Sicherheit zu versprechen. Oberstes Ziel der Rechtsprechung sollte deshalb das Bestreben sein, den im auf Rechtstreue gerichteten Interessen der Beteiligten durch Auslegung unspezifizierter Rangrücktrittserklärungen einen Sinn beizugeben, der die Passivierung im Überschuldungsstatus ohne steuerrechtlich nachteilige Rechtsfolgen ohne übermäßigen Gestaltungsaufwand vermeidet4, denn die Sorgfalt der Geschäftsführungsorgane ist in der Krise typischerweise auf andere Ziele gerichtet als auf die Wahl zwischen streitenden Formulierungsvorschlägen. Das sogleich zu behandelnde BGH-Urteil vom 5.3.20155 ebnet den Weg zu einer interessengerechten Auslegung. Ein ohne akademischen Gestaltungsaufwand formulierter Rangrücktritt unterliegt einer interessengerechten Auslegung, und für diese hilft überdies § 39 Abs. 2 InsO. Die funktionsgerechte Auslegung auch unspezifizierter Rangrücktrittserklärungen ist als eine „Bringschuld“ der Gerichtspraxis gegenüber der Geschäftsführungs- und Sanierungspraxis bezeichnet worden6.

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trittsvereinbarungen zur Vermeidung der Überschuldung bei der GmbH, 3. Aufl. 2003; Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 63; Bitter, ZIP 2015, 345; Kahlert/Gehrke, DStR 2007, 227; Karsten Schmidt in FS Frotscher, 2013, S. 36; Karsten Schmidt, DB 2015, 600; Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901 ff. Zusammenfassend Karsten Schmidt, DB 2015, 600 ff. Vgl. namentlich BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = GmbHR 2001, 190 m. Komm. Felleisen; BFH v. 10.11.2005 – IV R 13/04, BStBl. 2006, 2037 = GmbHR 2006, 158 m. Komm. Hoffmann = ZIP 2006, 249 m. Anm. Kahlert; BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10, BStBl. II 2012, 232 = ZIP 2012, 570; dazu Berg/J. Schmidt, GmbHR 2012, 408; Weitemeyer, GmbHR 2006, 270. Vgl. nur Kahlert in Kübler, HRI, § 57 Rz. 211 ff. Karsten Schmidt in FS Frotscher, 2013, S. 535 ff.; Karsten Schmidt, DB 2015, 600 ff. BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 = GmbHR 2015, 472 m. Komm. Farian = ZIP 2015, 638 m. Anm. Bitter/Heim; eingehend dazu Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901 ff. Karsten Schmidt, DB 2015, 600 ff.

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2.366 b) Abgesehen von diesem Balanceakt hat die Rangrücktrittsvereinbarung trotz ihrer vielfältigen Verwendung in der Praxis eine Reihe bis heute umstrittener Rechtsfragen aufgeworfen1: – 1. Frage: Um welche Art Rechtsgeschäft handelt es sich? (Rz. 2.367) – 2. Frage: Besteht Vertragsfreiheit über den Inhalt des Rangrücktritts? (Rz. 2.368) – 3. Frage: Ist der Rangrücktritt für die Vermeidung einer bilanziellen Überschuldung notwendig? (Rz. 2.369) – 4. Frage: Welches ist die hierfür gebotene Rangtiefe? (Rz. 2.370) – 5. Frage: Genügt die dem Rangrücktritt nach § 39 Abs. 2 InsO beigegebene Wirkung im eröffneten Insolvenzverfahren, oder muss dem Rangrücktritt darüber hinaus eine vorinsolvenzliche Wirkung zukommen? (Rz. 2.371) – 6. Frage: Wie lange hält der Rangrücktritt an? (Rz. 2.372) – 7. Frage: Unterliegt der Rangrücktritt der freien Aufhebung durch die Vertragsparteien (Gläubiger und Gesellschaft) und lässt er vielleicht sogar eine dem Rangrücktritt zuwiderlaufende Zahlung an den Gläubiger ohne Aufhebung der Rangrücktrittsabrede zu? (Rz. 2.373) – 8. Frage: Welche Folgen hat eine vor der Zeit erfolgte Zahlung auf die zurückgetretene Verbindlichkeit? (Rz. 2.374 f.) 2.367 aa) Die erste Frage (Rz. 2.366) nach der rechtlichen Einordnung der Rangrücktrittsvereinbarung ist umstritten. Sicher ist, dass es um einen Vertrag und nicht nur um eine einseitige Erklärung des Gläubigers handelt2. Doch kann der Vertrag nach § 151 BGB durch schlichte Billigung einer Rangrücktrittserklärung des Gläubigers seitens der Geschäftsführung zustande kommen. Das Meinungsbild über die Rechtsnatur des Vertrags reicht von einem bloßen pactum de non petendo3 bis hin zu einem die Forderung „dinglich“ ändernden Schuldabänderungsvertrag als Verfügungsgeschäft4, während eine Einordnung als auflösend bedingter Erlassvertrag5 nicht mehr vertreten wird. Der Bundesgerichtshof6 und mit ihm die h.M.7 lehnt die Einordnung als bloßes pactum de non petendo ab, weil diese Rechtskonstruktion dem nötigen und auch von den Parteien intendierten Gläubigerschutz nicht gerecht werde. Für die Praxis ist die rechtsdogmatische Einordnung des Vertrags weniger wichtig als das daraus sprechende Verständnis der eintretenden Wirkungen. Beides steht aber in engem Zusammenhang, und dieser legt die Annahme eines pactum de non petendo nahe (vgl. Rz. 2.371). 1 Ausführlich Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901 ff. 2 Hirte in Uhlenbruck, § 39 InsO Rz. 54. 3 Vgl. Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 35; zusammenfassend Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, 907, 909 m.w.N.; s. auch Hirte in Uhlenbruck, § 39 InsO Rz. 53; Martinek/Omlor, WM 2008, 617, 620. 4 BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, GmbHR 2015, 472 m. Komm. Farian = ZIP 2015, 638 m. Anm. Bitter/Heim, mit Angaben zur h.M. in Rz. 2.32; so statt vieler auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 42 GmbHG Rz. 49; Knobbe-Keuk, ZIP 1983, 127, 129; Peters, WM 1988, 685, 689; Habersack, ZGR 2000, 384, 403; Wittig, NZI 2001, 169, 170; Hoos/ Köhler, GmbHR 2015, 729, 731. 5 So noch Priester, DB 1977, 2429, 2432 ff. 6 BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 = GmbHR 2015, 472 m. Komm. Farian = ZIP 2015, 638 m. Anm. Bitter/Heim. 7 Zusammenfassend Hoos/Köhler, GmbHR 2015, 729, 731.

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bb) Der Inhalt der Rangrücktrittsvereinbarung (Frage Nr. 2, Rz. 2.366) ist ganz 2.368 dem Parteiwillen überlassen, aber er ist, wie das Grundlagenurteil des Bundesgerichtshofs vom 5.3.20151 zeigt, durch gesetzliche Mindestanforderungen an einen insolvenzvermeidenden Rangrücktritt geprägt2. Dieser sich aus zwingendem Recht ergebende Hintergrund ist für die Auslegung einer Rangrücktrittsabrede von höchster Bedeutung, weil ein für die mit ihm verbundenen Ziele nicht erreichender Rangrücktritt, wenn auch nicht unwirksam, so doch wertlos ist. Dies ändert aber nichts am Primat der Vertragsfreiheit. Das gilt z.B. auch für die Frage nach Zinslauf und Zinsleistungen unter dem Rangrücktritt. Der Zinslauf wird, weil die Verbindlichkeit als solche vom Rangrücktritt unberührt bleibt, vorbehaltlich anderer Vereinbarung weder unterbrochen noch aufgeschoben. Die sich hieraus ergebenden Zinsforderungen sind aber im Zweifel vom Rangrücktritt mit erfasst3. Es empfiehlt sich allerdings, dies – wie im Fall des BGH-Urteils vom 5.3.20154 – ausdrücklich klarzustellen, denn zwingend ist auch diese durchaus sinnvolle Rechtsfolge in Anbetracht der Vertragspraxis nicht. cc) Die dritte Frage (Rz. 2.366), gerichtet auf die Notwendigkeit des Rangrück- 2.369 tritts für die Nicht-Passivierung der Verbindlichkeit im Überschuldungsstatus, ist leicht zu beantworten (vgl. schon Rz. 2.177). Sie war ehedem für (kapitalersetzende) Gesellschafterdarlehen, die nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO schon vor dem MoMiG kraft Gesetzes als Insolvenzforderungen nachrangig waren, umstritten5. Noch unter dem damals geltenden Recht hatte aber das Urteil BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235 vom 8.1.2001 treffend entschieden6, dass für die Eliminierung der Verbindlichkeit aus dem Insolvenzstatus auf den Rangrücktritt nicht verzichtet, die Verbindlichkeit also nicht einfach unter Hinweis auf den gesetzlichen Nachrang auf der Passivseite weggelassen werden kann7. Das gilt nach § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO ausdrücklich auch nach dem Inkrafttreten des MoMiG8. Ob dasselbe für Drittgläubiger gilt, die nicht Gesellschafter sind, war vor dem Urteil vom 5.3. 2015 Gegenstand einer überflüssigen Diskussion9. Die Frage ist ohne gesetzliche Klarstellung eindeutig zu bejahen. Ein Gegenschluss aus § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO ist von vornherein nicht möglich, weil sich diese Bestimmung nur mit Verbind1 BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 = GmbHR 2015, 472 m. Komm. Farian = ZIP 2015, 638 m. Anm. Bitter/Heim. 2 Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, 903 ff. 3 Vgl. m.w.N. BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, Rz. 17, BGHZ 204, 231 = GmbHR 2015, 472 m. Komm. Farian = ZIP 2015, 638, 639 f. m. Anm. Bitter/Heim, insbes. S. 647. 4 BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, Rz. 17, BGHZ 204, 231 = GmbHR 2015, 472 m. Komm. Farian = ZIP 2015, 638, 639 f. m. Anm. Bitter/Heim, insbes. S. 647; insofern war hier, anders als vom BGH dargestellt, nichts auszulegen; vgl. Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, 905. 5 Gegen die Notwendigkeit eines Rangrücktritts OLG München v. 8.7.1994 – 3 Ws 87/94, NJW 1994, 3112 = GmbHR 1995, 458; Fleischer, Finanzplankredite, S. 335 ff.; Lutter, ZIP 1999, 641, 645. 6 Dazu auch 4. Aufl. (Wittig) Rz. 2.262; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 18 III 2, S. 528. 7 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235 = GmbHR 2001, 190 m. Komm. Felleisen. 8 Der Regierungsentwurf des MoMiG hatte dies noch für überflüssig gehalten, indessen zu Unrecht; vgl. Karsten Schmidt, BB 2008, 461 gegen BR-Drucks. 354/07, S. 536, 544. 9 Meinungsbild bei Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 69; Bitter/Rauhut, ZIP 2014, 1005, 1012 ff.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

lichkeiten befasst, die kraft Gesetzes nachrangig sind und deshalb die Frage aufwerfen, ob sie auch unter den Passiva im Überschuldungsstatus nichts zu suchen haben. Diese vor dem MoMiG den Gerichten überlassene Frage ist in der Vorschrift geklärt. Für Drittforderungen ist selbstverständlich, dass sie, soweit nicht erlassen, nur durch Rangrücktritt aus dem Überschuldungsstatus eliminiert werden können1. Es bedarf hierfür keiner analogen Anwendung des § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO2. Der Rangrücktritt ist und bleibt unentbehrlich. 2.370 dd) Die auf die gebotene Rangtiefe zielende vierte Frage (Rz. 2.366) ist de lege lata gleichfalls leicht zu beantworten. Der BGH hatte vor dem MoMiG – zu weitgehend3 – einen „qualifizierten“ Rangrücktritt in den Rang statutarischen Eigenkapitals verlangt4. Heute lässt § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO den in § 39 Abs. 2 InsO beschriebenen Nachrang nach den gesetzlich nachrangigen Insolvenzverbindlichkeiten genügen, um die Passivierung der Verbindlichkeit im Überschuldungsstatus zu vermeiden. Das ist eine entschiedene Entlastung der Vertrags- und Sanierungspraxis, denn ausweislich der in § 39 Abs. 2 InsO enthaltenen Auslegungsregel ist eine Präzisierung im Vertrag nicht einmal mehr erforderlich (vgl. über den unspezifizierten Rangrücktritt schon Rz. 2.365). Eine vertragliche Gleichstellung mit den Verbindlichkeiten nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, was durchaus plausibel wäre, genügt nach dem klaren Gesetzeswortlaut dagegen nicht. 2.371 ee) Gleichfalls leicht zu beantworten ist die fünfte Frage (Rz. 2.366) nach den vorinsolvenzlichen Wirkungen des Rangrücktritts. Sie war verwunderlicherweise vor dem BGH-Urteil vom 5.3.20155 umstritten6. Aber die Notwendigkeit einer vorinsolvenzlichen Wirkung ergibt sich vernünftigerweise von selbst, wenn die Passivseite des Überschuldungsstatus entlastet werden soll7. Eine auf den Rang der Forderung im Insolvenzverfahren beschränkte Rangrücktrittsvereinbarung bewirkt als solche zunächst nicht mehr, als dass die von ihr betroffene Forderung im Insolvenzfall ohne besondere Aufforderung nicht als Insolvenzforderung angemeldet (§ 174 Abs. 3 InsO) und im Rang sogar noch nach den Forderungen nach § 39 Abs. 1 InsO berücksichtigt wird (§ 39 Abs. 2 InsO). Aber ein Rangrücktritt, der nicht schon vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wirkt, kann eine überschuldungsfreie Fortführung des Unternehmens nicht gewährleisten, die Fortführung ohne Insolvenzantrag also nicht legalisieren. Ob diese praktisch unerlässliche Vereinbarung einen vom Rangrücktritt zu unterscheidenden separaten Vertrag bildet8, ist eine eher akademische Frage9. Jedenfalls ist die Vorwirkung des 1 Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, 903. 2 A. M., jedoch im praktischen Ergebnis nicht anders als der Text, Bitter/Heim, ZIP 2015, 644, 645 m.w.N. 3 Zusammenfassend Karsten Schmidt, DB 2015, 600, 601 f. 4 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 246 = ZIP 2001, 235 = GmbHR 2001, 190 m. Komm. Felleisen. 5 BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 = GmbHR 2015, 472 m. Komm. Farian = ZIP 2015, 638 m. Anm. Bitter/Heim. 6 Verneinend z.B. Adolff in FS Hellwig, 2010, S. 433, 441; Kahlert/Gehrke, DStR 2010, 227, 229. 7 Vgl. Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 65 f.; Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 39 InsO Rz. 22; Haas, DStR 2009, 326, 327. 8 So Bitter/Rauhut, ZIP 2014, 1005, 1013 ff.; Bitter, ZIP 2015, 345, 346. 9 Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, 904.

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Sanierungsbeiträge der Gesellschaftsgläubiger

2.373

Rangrücktritts, wenn die Passivierung im Überschuldungsstatus vermieden werden soll, unerlässlich und deshalb konkludent miterklärt. Der Rangrücktritt begründet eine Durchsetzungssperre1, berechtigt also den Geschäftsführer, die Zahlung auf die im Rang zurückgetretene Schuld zu verweigern. Dazu passt die Einordnung der Vereinbarung als pactum de non petendo (zur Frage, ob auch ein Zahlungsverbot daraus folgt, vgl. Rz. 2.373, 5.130). ff) Die sechste Frage (Rz. 2.366), nämlich die nach der Dauer der Durchsetzungs- 2.372 sperre, sollte im Rangrücktrittsvertrag möglichst genau geklärt werden. Fehlt es daran, so ergibt die Auslegung des Vertrags, dass die Durchsetzungssperre jedenfalls so lange anhält, wie dies zur Abwehr der Insolvenzantragspflicht erforderlich ist. Die Forderung wird, falls dies nicht genauer geregelt ist, erst wieder durchsetzbar, wenn die Gesellschaft weder bilanziell überschuldet ist noch durch die Zahlung in Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit geriete. Dies ist die Mindestwirkung, ohne die keine überschuldungsvermeidende Wirkung möglich ist (Rz. 2.371). Im Fall des BGH-Urteils vom 5.3.2015 hatten die Parteien die Sperrwirkung sogar andauern lassen, solange durch die Zahlung eine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit „zu entstehen droht“. Zu einer solchen Erweiterung durch klarstellende Besserungsklausel ist entschieden zu raten. Sie erlaubt es der Geschäftsführung, sich bei andauernder Krise schützend vor die Gesellschaft und deren Gläubiger zu stellen. gg) Abzulehnen ist dagegen – dies zur siebenten Frage (Rz. 2.366) – das vom BGH in 2.373 dem Urteil vom 5.3.2015 aus dem Rangrücktritt abgeleitete Zahlungsverbot2. Der BGH leitet dies teils aus dem Verfügungscharakter des Rangrücktrittsvertrags her, teils folgert er dessen zwingende Wirkung zugunsten Dritter (§ 328 BGB), nämlich aller gegenwärtigen und künftigen Gesellschaftsgläubiger3. Gegen diese Annahme bestehen rechtsdogmatische Einwände, vor allem aber Einwände aus dem Grundverständnis des Rangrücktritts (Rz. 5.130, 5.137). Mit diesem will das Management sich selbst vor dem Vorwurf der Insolvenzverschleppung und das Unternehmen vor einem vermeidbaren Insolvenzantrag schützen, aber nicht den Gläubigern unentziehbare Rechte einräumen4. Die Rangrücktrittsvereinbarung setzt die Geschäftsführung instand, sich gegenüber der Forderung schützend vor die Gesellschaft und ihre Gläubiger zu stellen, zwingt aber weder sie noch die Gesellschaft dazu. Dem Gläubigerschutz dient die Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO (Rz. 11.1 ff.). Geschäftsführer, die von dem sich aus dem Rangrücktritt ergebenden Leistungsverweigerungsrecht keinen Gebrauch machen und die Überschuldungsabwendung durchqueren, können diesen gesetzlichen (!) Schutz zu spüren bekommen5. Sie machen sich auch nach § 43 GmbHG schadensersatzpflichtig, wenn sie diese Abwehrmöglichkeit gegen den Willen der Gesellschafter missachten. Ein dem § 30 GmbHG entsprechendes Zahlungsverbot ergibt sich dagegen nicht aus der 1 So mit unterschiedlichen Begründungen Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 65; Bitter, ZIP 2015, 345, 346; Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, 904. 2 Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, 907 ff.; wie der BGH aber Bitter/Heim, ZIP 2015, 644 ff.; Hoos/Köhler, GmbHR 2015, 729, 731 f. (unter bloßer Wiederholung der Entscheidungsgründe). 3 Vgl. BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, Rz. 26 ff., BGHZ 204, 231 = GmbHR 2015, 472 m. Komm. Farian = ZIP 2015, 638, 641 f. m. Anm. Bitter/Heim. 4 Eingehend Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, 908 ff. 5 Vgl. Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, 907 ff.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

bloß zweiseitigen Rangrücktrittsvereinbarung zwischen der Gesellschaft und ihrem Gläubiger. Das gilt für Gesellschaftergläubiger ebenso wie für Drittgläubiger. Eine vom bloßen Rangrücktritt zu unterscheidende Frage ist, ob durch Konsortialvereinbarungen unter den Gesellschaftern eine dem früheren Eigenkapitalersatzrecht und damit dem § 30 GmbHG entsprechende Finanzplanbindung von Mezzaninkapital herbeigeführt werden kann (vgl. Rz. 2.79 ff.). 2.374 hh) Auch die Rechtsfolgen einer vorzeitigen Zahlung (dies ist die achte Frage, Rz. 2.366) sind andere als vom BGH angenommen. Der BGH lässt den Empfänger einer vor dem Eintritt des Besserungsfalls geleisteten Zahlung – aus § 812 BGB als Empfänger einer nicht geschuldeten Leistung und – aus § 134 InsO aus Schenkungsanfechtung haften. 2.375 Diese harte Konsequenz einer „Verletzung“ des Rangrücktritts hat Zustimmung gefunden1, aber schwerlich mit Recht. Für beide Ansprüche fehlen die Grundlagen2. Die angebliche Rechtsgrundlosigkeit der Zahlung dient dem BGH im Wesentlichen zur Begründung einer anfechtungsrechtlichen Unentgeltlichkeit der Leistung. Die Annahme, es handle sich um die Zahlung auf eine Nichtschuld, widerspricht der durchaus richtigen Einschätzung, dass der Rangrücktritt die Gesellschaftsschuld als solche unberührt lässt, und lässt sich auch mit dem angeblichen Zahlungsverbot (Rz. 2.373) nicht begründen. Wer auf eine im Rang zurückgetretene Schuld zahlt, zahlt im Sinne von § 813 Abs. 2 BGB auf eine betagte Verbindlichkeit und deshalb nicht ohne Rechtsgrund. Die Behandlung des Vorgangs als unentgeltlich i.S. von § 134 InsO ist demgegenüber nicht a limine zurückzuweisen, doch bleibt die Annahme, dass eine in beiderseitiger Kenntnis des Sachverhalts vorgenommene inkongruente Deckung (§ 131 InsO) ohne Weiteres anfechtungsrechtlichen Schenkungscharakter erhält und nach § 134 InsO anfechtbar ist, schwer begründbar3. Den Vorzug verdient – auch im Vergleich mit dem gesetzlichen Rangrücktritt bei Gesellschafterdarlehen – eine analoge Anwendung des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO4. Die Frage hat praktische Bedeutung gerade auch für Gesellschafterdarlehen. Die vorzeitige Rückführung eines nach § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO durch Rangrücktritt zurückgetretenen (Gesellschafter-)Darlehens bzw. die Zahlung entsprechender Zinsen kann nach der BGH-Lösung noch angefochten werden, wenn vor Ablauf von vier Jahren das Insolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen beantragt wird, während bei Anwendung des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Anfechtung binnen Jahresfrist verfristet. Man mag diese Frist rechtspolitisch als zu kurz ansehen5, aber sie ist geltendes Recht. Und wer zur Überschuldungsabwendung im Rang zurücktritt, hat nicht ohne Weiteres eine schlechtere Behandlung verdient als ein kraft Gesetzes nachrangiger Gesellschaftergläubiger, denn diese Gleichstellung ist – wenn man von dem nur akademisch relevanten Rangunterschied zwischen § 39 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 InsO absieht – Inhalt und Botschaft des Rangrücktritts. 1 Vgl. nur Bitter/Heim, ZIP 2015, 644, 645 f.; Bork, EWiR 2015, 219, 220; Farian, GmbHR 2015, 478, 479 f.; Hoos/Köhler, GmbHR 2015, 729, 734. 2 Vgl. neuerlich Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, 907 ff. 3 Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, 910. 4 Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, 910 f. 5 Bitter in Scholz, Anh. § 64 GmbHG Rz. 130; Bitter/Heim, ZIP 2015, 644, 648.

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Sanierungsbeiträge der Gesellschaftsgläubiger

2.379

5. Konsequenzen für Vertragsgestaltung und Liquiditätsmanagement a) Im Wettbewerb der Gläubigerhilfen (Rz. 2.351 ff.) gebührt in den meisten Fällen 2.376 dem bloßen Rangrücktritt der Vorzug. Weitergehende Vereinbarungen (Stundung und Erlass) können ihren Wert für sich haben, wollen aber genau überdacht sein. b) Die Formulierung von Rangrücktrittsvereinbarungen kann mit großem Raf- 2.377 finement aus Handbuchvorschlägen abgelesen werden, die aber mit den wechselnden Entscheidungen des BGH und des BFH Jahr um Jahr wechseln1. Die Reaktion auf das Urteil vom 5.3.20152 könnte – sollte aber nicht! – dazu führen, die in diesem Urteil angenommenen Regeln einschließlich des Zahlungsverbots möglichst genau im Rangrücktrittsvertrag abzubilden. Eine solche Vertragspraxis würde die Ergebnisse des Urteils unumkehrbar machen. Dagegen dürfte sprechen, dass die Diskussion noch nicht abgeschlossen, der Standpunkt des BGH nicht in Stein gemeißelt ist. Die entscheidende Hilfeleistung des Urteils für die Praxis besteht in der darin vorgenommenen zweckgerichteten Auslegung von Rangrücktrittsvereinbarungen (Rz. 2.365, 2.369). Hierin liegt eine Chance für den spezifizierten Rangrücktritt (Rz. 2.365). Gerade deshalb sollten die Einzelheiten des Urteils nicht in den Wortlaut der Klausel aufgenommen und hierdurch zementiert werden. Detailregelungen über die Tiefe des Rangrücktritts, wie sie lange Zeit angeraten wurden, sind möglich, wollen aber wohl bedacht sein (auch hierzu Rz. 2.365). Sinnvoll ist dagegen die Klarstellung, – dass Zinsen vom Rangrücktritt mit erfasst sind, – dass der Rangrücktritt mit einer Durchsetzungssperre einhergeht, – dass der Rangrücktritt im Besserungsfall erst endet, wenn Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit eindeutig und nachhaltig ausgeschlossen sind. c) Von Vertragsempfehlungen zu unterscheiden sind Handlungsempfehlungen. 2.378 Für das Liquiditätsmanagement ist unbedingt dazu zu raten, den Rangrücktritt wie ein Zahlungsverbot zu behandeln, solange die Gefahr von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht überwunden ist. Dies empfiehlt sich – im Hinblick darauf, dass nach dem Stand der Rechtsprechung ein Zahlungsverbot sogar objektiv und zwingend vorliegt (Kritik dazu in Rz. 2.373), – auch unabhängig von der Überzeugungskraft des Urteils im Hinblick auf eine drohende Haftung der Gesellschaftsorgane (§§ 43, 64 GmbHG, § 15a InsO). Strategisch kann hierbei das problematische Urteil vom 5.3.20153 sogar nützlich 2.379 sein. Wer als Geschäftsführer von dem im Rang zurückgetretenen Gläubiger gedrängt wird, trotz fortbestehender Krise Teilzahlungen oder Zinszahlungen zu leisten, kann solche Forderungen nicht nur unter Berufung auf die Vereinbarung und auf eigene Geschäftsführerpflichten, sondern auch unter Berufung auf ein beide Teile treffendes vom BGH aus dem Rangrücktritt abgeleitetes Zahlungsverbot zurückweisen. An den gegen das Urteil bestehenden Bedenken ändert dieser eigentlich nur taktische Vorteil nichts. 1 Kritik bei Karsten Schmidt, DB 2015, 600. 2 BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 = GmbHR 2015, 472 m. Komm. Farian = ZIP 2015, 638 m. Anm. Bitter/Heim. 3 BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 = GmbHR 2015, 472 m. Komm. Farian = ZIP 2015, 638 m. Anm. Bitter/Heim.

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2.380

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

II. Debt Equity Swap im Besonderen 1. Der Tatbestand 2.380 a) Der Debt Equity Swap – auch: Debt to Equity Swap – besteht in der Verwendung von Forderungen gegen die Gesellschaft als Sacheinlagen zur Deckung erhöhten Stammkapitals1. Der Debt Equity Swap ist eine das Aktivvermögen unberührt lassende atypische Sachkapitalerhöhung. Bilanziell handelt es sich nicht um die Zuführung neuer Aktiva, sondern um einen Umtausch (Swap) von Verbindlichkeiten (Debts) in gezeichnetes Kapital (Equity). Diese Verringerung der Verbindlichkeiten wird dem Zufluss von Aktiven kapitalaufbringungsrechtlich gleichgestellt, und zwar juristisch ebenso wie wirtschaftlich2. Schuldrechtlich wird die Erbringung der Sacheinlage vollzogen durch Abtretung der Forderung an die Gesellschaft (Erlöschen der Forderungen durch Konfusion), durch Forderungserlass oder durch Verrechnung mit dem Einlageanspruch der Gesellschaft3. In jedem Fall handelt es sich um eine Sacheinlage, die auch als eine solche im Kapitalerhöhungsbeschluss ausgewiesen sein muss. Die Einhaltung der Sacheinlagevorschriften ist essentiell. Werden sie nicht eingehalten, so kann es sich im Verrechnungsfall um eine unzulässige Aufrechnung (§ 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG), sonst je nach Lage des Falls um eine verdeckte Sacheinlage (§ 19 Abs. 4 GmbHG und dazu Rz. 2.50 ff.) oder um ein Hin- und Herzahlen handeln (§ 19 Abs. 5 GmbHG und dazu Rz. 2.50 ff.)4. 2.381 b) Der Debt Equity Swap geht nicht selten mit der Strategie des sog. Distressed Debt Purchase einher5: Ein finanzkräftiger Investor (Gesellschafter oder Nichtgesellschafter) erwirbt einen wesentlichen Teil der gegen die Gesellschaft gerichteten, vielleicht von den Gläubigern schon weitgehend abgeschriebenen Forderungen und bietet der Gesellschaft einen Umtausch der Forderungen in Beteiligungen an. Basis dieses Umtauschs ist auch dann eine Sachkapitalerhöhung mit Zulassung des Investors zur Übernahme neuer Geschäftsanteile durch Einbringung des hinreichend genau beschriebenen Forderungspakets. Die Bedeutung dieser schon in den Vorauflagen beschriebenen Praxis6 hat offenbar abgenommen. 1 Vgl. zusammenfassend Krumbholz in Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 2012, Rz. 5/26 ff.; Schlitt/Ries in Theiselmann (Hrsg.), Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 2010, Kap. 9 Rz. 16 ff.; Dietmar Schulz u.a., Restrukturierungspraxis, 2010, S. 183 ff.; Ekkenga, ZGR 2009, 581; Ekkenga, DB 2012, 321; Koppensteiner in FS Torggler, Wien 2013, S. 627; Löbbe in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 428; Maier-Reimer in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, 2012, S. 107; Priester, DB 2010, 1445; Wiedemann in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1385. 2 Lieder in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 56 GmbHG Rz. 7; Priester in Scholz, § 56 GmbHG Rz. 13. 3 BGH v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 60 = NJW 1990, 982, 985 = AG 1990, 298; BGH v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, BGHZ 132, 155 = GmbHR 1996; Priester in Scholz, § 56 GmbHG Rz. 14. 4 Priester in Scholz, § 56 GmbHG Rz. 15. 5 Dazu etwa Kestler/Striegel/Jesch, Distressed Debt Investments, 2006; Himmelsbach/ Achsnick, NZI 2006, 561, 562; Redeker, BB 2007, 673, 676; zur Übernahme der Gesellschaft im Insolvenzplanverfahren nach einem Distressed Debt Purchase vgl. Karsten Schmidt, ZIP 2012, 2085. 6 Vgl. 4. Aufl., Rz. 2.225; Himmelsbach/Achsnick, NZI 2006, 561, 562; Redeker, BB 2007, 673, 676.

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Debt Equity Swap

2.385

c) Der Debt Equity Swap geht typischerweise mit einer nominellen Kapitalherab- 2.382 setzung einher1. Die Bilanzbereinigung trifft in der Regel nicht nur die den Umtausch vornehmenden Gläubiger (Beteiligung unter dem Nominalwert ihrer Forderungen), sondern auch die Altgesellschafter. Handelt es sich um die Umwandlung von Gesellschafterforderungen, so kann auch das Konzept „Sanieren oder Ausscheiden“ (dazu Rz. 2.37) zum Zuge kommen, wenn nicht alle Gesellschafter zur Übernahme neuer Geschäftsanteile bereit sind. d) Dem Debt Equity Swap lediglich verwandt ist der sog. Debt Mezzanine Swap2. 2.383 Hier werden Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht in Eigenkapital umgewandelt, sondern lediglich in Quasi-Eigenkapital: in Genussrechte, atypische stille Einlagen etc. Eine Kapitalerhöhung ist hierfür nicht erforderlich, wie auch schon der erste Schritt in Richtung auf Mezzaninekapital – der Rangrücktritt des Gläubigers – zeigt (vgl. zum Rangrücktritt Rz. 2.364 ff.). e) Kein Debt Equity Swap ist die Abtretung der Forderung gegen einen Dritten als 2.384 Sacheinlage. Hier gelten die allgemeinen Sacheinlageregeln. Durch die Abtretung wird der Gesellschaft aktivierbares und verwertbares Umlaufvermögen zugeführt. In anderer Richtung vom Debt Equity Swap zu unterscheiden ist der sog. Debt Asset Swap, bei dem der Gläubiger gegen Forderungsverzicht Gegenstände des Anlage- oder Umlaufvermögens erhält3. Regelmäßig ist dies eine Verwertungsmaßnahme, die als eine die Gesamtgläubigerschaft beeinträchtigende Maßnahme Anfechtungsrisiken nach §§ 129 ff. InsO ausgesetzt ist. Wird das lebende Unternehmen erworben, so kann es sich allerdings um eine übertragende Sanierung handeln, die jedoch ihrerseits keine Sanierung der Gesellschaft darstellt (dazu Rz. 2.231). 2. Rechtliche Grundlagen a) Der Debt Equity Swap ist durch das seit März 2012 geltende Gesetz zur wei- 2.385 teren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vor allem ein Thema der Sanierung im Insolvenzplanverfahren geworden (dazu Rz. 2.8 ff.). Nach wie vor zulässig ist aber auch der Debt Equity Swap als Technik der Sanierung außerhalb eines Insolvenzplans. Er basiert auf folgenden Elementen: – Kapitalerhöhungsbeschluss in notarieller Form mit Festlegung des Sacheinlagegegenstands (§§ 55, 56 GmbHG), ggf. auch mit Bezugsrechtsausschluss (vgl. Rz. 2.240) und Zulassung des (der) Inferenten zur Übernahme (§ 55 Abs. 2 GmbHG), – Übernahmeerklärung(en) des (der) Sacheinleger(s) in notarieller oder notariell beglaubigter Form mit Festsetzung des Sacheinlagegegenstands (§§ 55 Abs. 1, 56 Abs. 1 Satz 2 GmbHG), – Einbringungsvertrag (Forderungsabtretung bzw. Erlass), 1 Vgl. Undritz in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 29 Rz. 105 ff.; J. Vetter in Münchener Kommentar zum GmbHG, vor § 58 GmbHG Rz. 86 ff.; Karsten Schmidt, ZGR 2012, 566, 571. 2 Vgl. dazu Schlitt/Ries in Theiselmann (Hrsg.), Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 2010, Kap. 9 Rz. 12 ff., 51 ff.; s. auch bezogen auf Genussrechte Kahlert in Kübler, HRI, § 57 Rz. 228. 3 Dazu Schlitt/Ries in Theiselmann (Hrsg.), Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 2010, Kap. 9 Rz. 8, 47 ff.

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2.386

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

– Registeranmeldung mit den durch § 57 GmbHG geforderten Versicherungen und Unterlagen, – Sachkapitalerhöhungsbericht analog § 5 Abs. 4 Satz 2 GmbHG (str.)1, – Eintragung in das Handelsregister. 2.386 b) Rechtliche Grundlage des Debt Equity Swap ist die Anerkennung aller werthaltigen Gegenstände – unter Einschluss von Forderungen eines Gesellschafters und vor allem von Forderungen gegen die Gesellschaft – als taugliche Sacheinlagen2. Auch nachrangige Forderungen – z.B. solche aus Gesellschafterdarlehen und Forderungen mit Rangrücktritt (vgl. § 39 InsO) – können als Sacheinlagen dienen3. Hier lag nach der vor dem MoMiG (also bis 2008) bestehenden Rechtslage wegen des Eigenkapitalersatzrechts ein großes Problem, und zwar sowohl bei der Umwandlung von Gesellschafterdarlehen in haftendes Kapital als auch in Fällen des sog. Distressed Debt Purchase (zu diesem vgl. Rz. 2.426). Nach der BGH-Praxis waren eigenkapitalersetzende Gesellschafterforderungen als Sacheinlagen ungeeignet, weil sie in sinngemäßer Anwendung des § 30 GmbHG während der Krise nicht durch Rückzahlung beglichen4, also auch nicht für eine Sachkapitalerhöhung verwendet werden konnten5. Das bedeutete: Ein Gesellschafter, der bereits mit mehr als 10 % am Stammkapital beteiligt war oder Geschäftsführungsbefugnisse hatte (vgl. § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG a.F., nunmehr § 39 Abs. 5 InsO: Kleinbeteiligungsprivileg), konnte die Kredite nicht für die Kapitalerhöhung verwenden6. Durch das Sanierungsprivileg (§ 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG a.F., § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO n.F.) bevorzugt war ein Gläubiger, der erst im Zuge der Sanierung Gesellschafter wurde, denn das Privileg befreite auch von der analogen Anwendung des § 30 GmbHG7. Wer als Drittinvestor durch Debt Equity Swap einstieg, war in dieser Hinsicht im Vorteil8. 2.387 c) Seit dem MoMiG von 2008 hat sich diese Einschränkung erledigt (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG)9. Das Recht der Gesellschafterdarlehen ist kein Hindernis mehr für den Debt Equity Swap. Sie sind von der Umwandlung in haftendes Ka1 Meinungsstand bei Priester in Scholz, § 56 GmbHG Rz. 38 f. 2 BGH v. 13.10.1954 – II ZR 182/53, BGHZ 15, 52 = NJW 1954, 1842; BGH v. 26.3.1984 – II ZR 14/84, BGHZ 90, 374 = GmbHR 1984, 313; BGH v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 60 = NJW 1990, 982 = AG 1990, 298; BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 341 = GmbHR 1991, 255; OLG Brandenburg v. 1.7.1998 – 7 U 17/98, GmbHR 1998, 1033; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 56 GmbHG Rz. 3; Priester in Scholz, § 56 GmbHG Rz. 13. 3 Vgl. nur Roth in Roth/Altmeppen, § 56 GmbHG Rz. 3a; Zöllner/Fastrich in Baumbach/ Hueck, § 56 GmbHG Rz. 7; Priester in Scholz, § 56 GmbHG Rz. 13; a.M. Hölzle in Kübler, HRI, § 31 Rz. 61. 4 Grundlegend BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 272 f. = GmbHR 1960, 43. 5 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 14/84, BGHZ 90, 370, 376 = GmbHR 1984, 313; BGH v. 8.7. 1985 – II ZR 269/84, BGHZ 95, 188, 191 = GmbHR 1986, 21 zur GmbH & Co. KG; OLG Schleswig v. 14.12.2000 – 5 U 182/98, NZG 2001, 566, 567. 6 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 269/84, BGHZ 95, 188, 191 = GmbHR 1986, 21 zur KG; OLG Schleswig v. 14.12.2000 – 5 U 182/98, NZG 2001, 567, 568; Redeker, BB 2007, 673, 676. 7 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, BGHZ 165, 106 = GmbHR 2006, 311. 8 Eingehend Himmelsbach/Achsnick, NZI 2006, 561 ff.; Redeker, BB 2007, 673, 676 f.; Redeker, BB 2007, 673, 677. 9 Priester in Scholz, § 56 GmbHG Rz. 13; a.M. Hölzle in Kübler, HRI, § 31 Rz. 61.

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Karsten Schmidt

Debt Equity Swap

2.389

pital ebenso wenig ausgeschlossen wie andere nach § 39 Abs. 1 InsO nachrangige Forderungen. Zweifelhaft ist dies bei Forderungen mit vereinbartem Rangrücktritt (vgl. § 39 2.388 Abs. 2, § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO), namentlich im Fall einer Unterbilanz. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in seinem Grundlagenurteil vom 5.3.20151 entschieden, dass eine mit Rangrücktrittsvereinbarung belegte Forderung gegen die Gesellschafter im Stadium der materiellen Insolvenz einem zwar nur auf Vereinbarung beruhenden, jedoch gleichwohl zwingenden Rückzahlungsverbot unterliegt (dazu auch Rz. 2.373 ff.). Daraus müsste gefolgert werden, dass eine im Rang zurückgetretene Forderung von einem Debt Equity Swap von vornherein ausgeschlossen ist, sobald und solange eine Überschuldung vorliegt. Die Überschuldung könnte durch eine solche Umwandlung nicht behoben werden. Doch sollte die Gesellschaftsrechtspraxis, da die Grundannahme des IX. Zivilsenats schwerwiegenden Bedenken ausgesetzt ist (Rz. 2.365 ff.)2, dem nicht folgen. Auch die im Rang durch Vereinbarung zurückgetretene Forderung kann jederzeit aus dem Rangrücktritt freigegeben, also auch wirksam beglichen werden und ist demnach nicht a limine untauglich für die Umwandlung in gezeichnetes Kapital. Anderes kann nur für Mezzaninkapital gelten, das – z.B. als atypisch stille Einlage in einer „GmbH & Still“3 oder Quasi-Einlage in einer „Innen-KG“4 – bereits wie gezeichnetes Kapital einer virtuellen Kommanditgesellschaft, also nicht als Gesellschaftsverbindlichkeit behandelt wird5. Diese Forderungen unterliegen, den Kommanditeinlagen in einer GmbH & Co. KG ähnlich (dazu Rz. 1.59), auch nach dem MoMiG der Kapitalbindung nach § 30 GmbHG6 und taugen insoweit nicht als Sacheinlagen. Für einfache Verbindlichkeiten der GmbH, auch aus Gesellschafterdarlehen und auch im Fall eines vereinbarten Rangrücktritts, gilt diese Besonderheit nicht. Sie sind allesamt tauglich für die Umwandlung in haftendes Kapital, was zu einer kapitalmäßigen Bindung führt. Gegen ihre Verwendung für einen Debt Equity Swap kann allerdings neben der geschilderten Rechtsunsicherheit die Vollwertigkeitsfrage sprechen (Rz. 2.390 ff.). d) Erheblich ist schließlich der Einfluss des ESUG auf das Recht des Debt Equity 2.389 Swap. Nach § 225a Abs. 2 Satz 1 InsO kann seit 2012 im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgesehen werden, dass Forderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte an der Schuldnergesellschaft umgewandelt werden, und nach § 254 Abs. 4 InsO können dann aus einer Überbewertung von Forderungen keine Ansprüche geltend gemacht werden (dazu Rz. 2.395). Klarheit muss darüber be1 BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 = GmbHR 2015, 472 m. Komm. Farian = ZIP 2015, 638 m. Anm. Bitter/Heim; dazu Bork, EWiR 2015, 219; Kahlert, DStR 2015, 734; Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901 ff. 2 Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, 905 ff. 3 Vgl. zu dieser Blaurock, Handbuch Stille Gesellschaft, 7. Aufl. 2010, § 21 Rz. 75 ff.; Schulze zur Wiesche, Die GmbH & Still, 6. Aufl. 2013, Rz. 8 ff. 4 Karsten Schmidt, ZHR 177 (2014), 10 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2014, 1457 ff. 5 Dazu etwa Fleischer, Finanzplankredite und Eigenkapitalersatz im Gesellschaftsrecht, 1995, S. 208 ff.; Bitter in Scholz, Anh. § 64 GmbHG Rz. 37 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 1999, 1241, 1249 f. 6 BGH v. 13.2.2006 – II ZR 62/04, GmbHR 2006, 531, 532 = ZIP 2006, 703, 705; Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 230 HGB Rz. 171; Karsten Schmidt, ZHR 177 (2014), 10, 47.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

stehen, dass diese Gesetzesänderungen ohne direkten Einfluss auf das Recht des Debt to Equity Swap außerhalb eines Insolvenzverfahrens sind, wohl aber Bedeutung für die strategische Wahl zwischen der freien Sanierung und dem Insolvenzplanverfahren haben (dazu sogleich Rz. 2.396). 3. Die Vollwertigkeitsfrage 2.390 a) Für den Debt Equity Swap als Variante der Sachkapitalerhöhung gelten die allgemeinen Regeln. Das gilt insbesondere für das Gebot der Vollwertigkeit des Sacheinlagegegenstands. Dieses Gebot gilt entgegen einer von namhaften Autoren vertretenen Auffassung1 auch für den Debt Equity Swap, der m.a.W. keine Einbringung jeder Forderung zum Nennwert gestattet2. Das Kapitalgesellschaftsrecht erlaubt nicht die Ausgabe neuer Geschäftsanteile im Tausch gegen eine ihren Wert nicht deckende Sacheinlage. Die erforderliche Vollwertigkeit bezieht sich nicht auf den Nominalwert der Forderung, sondern auf die Höhe der gegen die Forderung eingetauschten Geschäftsanteile (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 5, § 56 Abs. 1 Satz 1 GmbHG): Der Einbringungswert, nicht der Forderungsnennwert, muss gedeckt sein. 2.391 b) Im Registerverfahren findet eine Werthaltigkeitsprüfung statt, die nach §§ 57a, 9c Abs. 1 Satz 2 GmbHG zur Ablehnung der Eintragung führen kann. Aus diesem Grund scheint, obgleich im Gesetz nicht geregelt, analog § 5 Abs. 4 Satz 2 GmbHG ein Sachkapitalerhöhungsbericht geboten (str.)3. Hierauf sollte sich die Praxis einrichten. 2.392 c) Eine unentdeckt gebliebene Überbewertung der Forderung macht die eingetragene Kapitalerhöhung nicht unwirksam. Aber die Differenzhaftung nach §§ 9, 56 GmbHG im Fall der Überbewertung der eingelegten Forderung findet Anwendung (anders nur im Insolvenzplanverfahren nach § 254 Abs. 4 InsO)4. Sie kann nach Maßgabe des bei Rz. 2.41 Ausgeführten über § 24 GmbHG auch die Mitgesellschafter als Ausfallschuldner treffen. 4. Bewertungen und strategische Optionen 2.393 a) Jedes Debt-Equity-Swap-Szenario – nicht nur in Fällen des Distressed Debt Purchase – ist zugleich Ursache und Resultat schwieriger Bewertungsaufgaben (vgl. schon Rz. 2.63). Um ein gerechtes Gleichgewicht zwischen den Altanteilen und den Neuanteilen ohne Verwässerungs- und Trittbrettfahrereffekte zu erzielen, bedarf es einer 1 Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629; Maier-Reimer in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, 2012, S. 107, 122 ff.; Welf Müller in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 835, 843 ff. 2 Vgl. nur Priester in Scholz, § 56 GmbHG Rz. 13; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 56 GmbHG Rz. 9; Arnold in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 29 ff.; Ekkenga, DB 2012, 331 ff.; Kleindiek in FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 551 ff.; Koppensteiner in FS Torggler, 2013, S. 636 ff.; Priester, BB 1987, 208, 209. 3 Vgl. die Angaben bei Priester in Scholz, § 56 GmbHG Rz. 38; anders die wohl h.M.; vgl. Gummert in Henssler/Strohn, § 56 GmbHG Rz. 5; Schnorbus in Rowedder/SchmidtLeithoff, § 56 GmbHG Rz. 30. 4 Vgl. nur Patrick Schulz, Der Debt Equity Swap in der Insolvenz, 2015, S. 64 f., 88; Priester in Scholz, § 56 GmbHG Rz. 15; J. Vetter in Münchener Kommentar zum GmbHG, vor § 58 GmbHG Rz. 88.

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Debt Equity Swap

2.395

– Bewertung des Unternehmens und damit der vorhandenen Anteile und einer – Bewertung der einzubringenden Forderungen, zusätzlich belastet durch die Frage, ob diese Bewertung going concern oder zu Liquidationswerten stattfinden soll. Einem natürlichen Interesse der Gesellschafter, das Unternehmen selbst noch bei Sanierungsbedarf hoch zu bewerten, steht ein ebenso natürliches Interesse der Inferenten gegenüber, den Wert des auf den Debt Equity Swap angewiesenen Unternehmens gering anzusetzen, die Werthaltigkeit ihrer gegen die Gesellschaft gerichteten Forderungen jedoch möglichst nah am Nennwert zu belassen. Hier kann sich das Angewiesensein der Gesellschaft auf die Bilanzbereinigung auf der einen und das Differenzhaftungsrisiko der Gläubiger auf der anderen Seite als ein strategisch ausgleichender Faktor erweisen, der auf einen wirtschaftlich beiderseits akzeptablen und damit objektiv belastbaren Kompromiss hinwirkt. b) Unabhängig von den Stakeholderstrategien leidet die Bewertung unter dem 2.394 krassen Gegensatz der relevanten Bewertungsprämissen, denn das Ergebnis ist offen: Erfolg oder Scheitern? Und je nachdem, welches dieser Ergebnisse sich am Ende verwirklicht, tritt die eine wie die andere Prognose ex post überdeutlich hervor1: – Ist die Sanierung erfolgreich, fällt der Blick auf mögliche Fehlbewertungen im nunmehr veränderten Gesellschafterkreis. Selbst unter der Prämisse eines Sanierungserfolgs ist ja – wenn man nicht die Anteile der Altgesellschafter auf null herunterbewertet2 – das Wertverhältnis zwischen ihren Anteilen und den durch Forderungsverrechnung von den Gläubigern geleisteten Einlagen nur in Grenzen berechenbar. – Im Fall eines Scheiterns der Sanierung steht eine persönliche Haftung der vormaligen Gläubiger als Sacheinleger im Raum, weil ihre Forderungen als Sacheinlagen regelmäßig unter der Annahme eines Sanierungserfolgs kalkuliert, aus der rückschauenden Sicht also potentiell überbewertet worden sind. – In beiden Fällen ist die ex post maßgebliche ex-ante-Prognose, also der im Zeitpunkt der Verrechnung „richtige“ Forderungswert, nur unter Schwierigkeiten feststellbar, die Feststellung deshalb durch Rückschaufehler belastet. c) Die durch das ESUG geschaffene Sondersituation im Insolvenzplan (Rz. 8.26 ff.) 2.395 besteht im Wesentlichen – erstens in der Bildung neuer Allianzen für die Beschlussfassung (§ 244 InsO), – zweitens im Wirkungsmechanismus des Obstruktionsverbots (§ 245 InsO) und – drittens im Wegfall des gesellschaftsrechtlichen Überbewertungsrisikos der durch Debt Equity Swap beitretenden Gläubiger (§ 254 Abs. 4 InsO). Es liegt hiernach auf der Hand, dass die Anreize sowohl bezüglich des Ob als auch des Wie eines Debt Equity Swaps in der freien Sanierung und im Insolvenzplanverfahren durchaus unterschiedlich sind, denn 1 Zum Folgenden vgl. Karsten Schmidt, ZGR 2012, 566, 574. 2 Dafür z.B. Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 544 f.; Bitter, ZGR 2010, 147, 186 ff.; Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 657; Verse, ZGR 2010, 299, 319; dagegen aber Madaus, ZGR 2011, 749, 756.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

– erstens tritt an die Stelle der qualifizierten Gesellschaftermehrheit (§ 54 Abs. 2 GmbHG) die in § 244 InsO bestimmte Mehrheit in den beteiligten Stakeholdergruppen, – zweitens hilft im Obstruktionsfall der implizit in das Verfahren der Planbestätigung eingehende Cram-Down-Effekt des § 245 InsO, der tendenziell zu Lasten opponierender Anteilseigner wirkt, – drittens ist das bei Rz. 2.393 geschilderte Gleichgewicht der Interessen durch § 254 Abs. 4 InsO zum Vorteil der Gläubiger gestört. Sie können ihr Interesse an einer hohen Bewertung der einzubringenden Forderungen, soweit diese gegenüber den Abstimmungsgruppen und im gerichtlichen Planbestätigungsverfahren durchsetzbar ist, verfolgen, ohne durch Haftungsrisiken eingeschüchtert oder gemäßigt zu werden. 2.396 d) Die mit dem ESUG begonnene Praxis wird offenbaren, inwieweit sich unter diesen vollständig veränderten Spielregeln der sanierende Debt Equity Swap außerhalb des Insolvenzverfahrens weiter behauptet. Möglicherweise wird sein Hauptanwendungsbereich in der Umwandlung von Gesellschafterdarlehen in haftendes Kapital bestehen, während eine Einbeziehung dritter Investoren eher auf das Insolvenzplanverfahren verweist, das ihre Risiken kalkulierbar macht. 5. Besonderheiten bei der GmbH & Co. KG 2.397 a) Bei der GmbH & Co. KG geht es um einen Debt Equity Swap in der Kommanditgesellschaft1, vollzogen durch2 – Herabsetzung der Festkapitalkonten der Altgesellschafter (nicht zwingend geboten, aber regelmäßig für die Neuverteilung der Kapitalanteile erforderlich), – Schaffung neuer bzw. Aufstockung vorhandener Kapitalanteile (Festkapitalkonten) und – Zulassung von Gesellschaftsgläubigern zur Zeichnung junger Kapitalanteile und Leistung von Sacheinlagen durch Forderungseinbringung. 2.398 b) Ob hierfür eine einverständliche Änderung des Gesellschaftsvertrags erforderlich ist oder ob ein Mehrheitsbeschluss ausreicht, richtet sich nach dem Gesellschaftsvertrag und ist ggf. durch Auslegung einer etwa vorhandenen Mehrheitsklausel zu ermitteln3. Das vom BGH für die OHG auf der Grundlage der Treupflicht entwickelte Konzept „Sanieren oder Ausscheiden“ (Rz. 2.37)4 kann auch hier zur Anwendung kommen (Rz. 2.38). 1 Dazu Priester in Scholz, § 58 GmbHG Rz. 95 ff.; ausf. Karsten Schmidt, ZGR 2012, 566 ff. 2 Ebd., 573. 3 Vgl. dazu BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = GmbHR 2014, 1303 m. Komm. Ulrich = EWIR 2015, 71 (Priester); dazu etwa Wertenbruch, DB 2014, 2875; Ulmer, ZIP 2015, 657; Schäfer, NZG 2014, 1401. 4 BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 = GmbHR 2010, 32 = NJW 2010, 65 = ZIP 2009, 2289; bestätigend BGH v. 9.6.2015 – II ZR 420/13, ZIP 2015, 1626; dazu Stephan Schneider, Gesellschafter-Stimmpflichten bei Sanierungen, 2014, S. 282 ff.; Schäfer in Münchener Kommentar zum BGB, § 707 BGB Rz. 11; Grunewald in FS Roth, 2011, S. 187 ff.; Haas, NJW 2010, 984; Karsten Schmidt, JZ 2010, 125 ff.; Schöne, ZIP 2015, 501 (krit.).

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Karsten Schmidt

Rolle der Kreditinstitute

2.402

c) Die Bewertungsschwierigkeiten und Bewertungsstrategien bezüglich des Un- 2.399 ternehmenserwerbs und des Werts eingebrachter Forderungen entsprechen denjenigen bei der Sanierung einer GmbH (dazu Rz. 2.394). Ein Unterschied liegt in dem Haftungsrisiko der Gläubiger als Sacheinleger. Eine Differenzhaftung bei Einbringung überbewerteter Forderungen als Sacheinleger gibt es auch für den Kommanditisten1. Da aber das Kommanditgesellschaftsrecht nur ein Haftungsrisiko, nicht dagegen eine Kapitaldeckungspflicht kennt (§ 171 Abs. 1 HGB) und die Haftsumme nicht mit dem Kapitalanteil übereinstimmen muss2, besteht eine einfache Abwehr des Haftungsrisikos darin, dass bei der Festlegung der Haftsumme für einen als Kommanditisten beitretenden Gläubiger eine pessimistische Bewertung der einzubringenden Forderungen zugrunde gelegt wird. Denn bei der Kommanditgesellschaft muss die Sacheinlage nur die eingetragene Haftsumme decken. Die Deckung des eingetauschten Kapitalanteils ist nur eine Frage des Innenverhältnisses. Wird gleichzeitig nach Art eines Kapitalschnitts mit den Kapitalanteilen der Altkommanditisten auch deren Haftsumme herabgesetzt, so wirkt diese Haftungsbeschränkung vorbehaltlich der Enthaftungsregel des § 160 HGB nur gegenüber Neugläubigern3. 2.400

vacat

III. Die Rolle der Kreditinstitute Bei nahezu jeder Sanierung sind die Kreditinstitute Gläubiger, deren Beiträge für 2.401 das Gelingen des Sanierungskonzepts wesentlich sind. Wie bei jedem anderen Gläubiger kann der Sanierungsbeitrag der Kreditinstitute in der Stundung von Zins- und Tilgungsraten (dazu oben Rz. 2.354 ff.), dem Verzicht auf Forderungen – ggf. mit Vereinbarung eines Besserungsscheins – (dazu oben Rz. 2.360 ff.), der Vereinbarung eines Rangrücktritts (dazu oben Rz. 2.364 ff.) oder der Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital (Debt Equity Swap) (s. ausführlich Rz. 2.59 ff., 2.380 ff., 8.26 ff.) bestehen. Weitere typische Sanierungsbeiträge von Kreditinstituten sind daneben das „Stillhalten“ (dazu nachstehend bei Rz. 2.402 ff.), die Gewährung zusätzlicher Kredite (dazu nachstehend bei Rz. 2.416 ff.), der Verkauf von Forderungen an institutionelle Investoren (dazu nachstehend bei Rz. 2.426 ff.) sowie das Poolen von Kreditsicherheiten (dazu nachstehend bei Rz. 2.445 ff.). 1. Stillhalten a) Fallgestaltungen des Stillhaltens Wenn von „Stillhalten“ die Rede ist, ist es immer ratsam zu hinterfragen, was ge- 2.402 nau damit gemeint ist. Unter den Begriff des Stillhaltens werden nämlich sehr unterschiedliche Dinge gefasst: 1 BGH v. 25.6.1973 – II ZR 133/70, BGHZ 61, 59, 62 = NJW 1973, 1691; dazu Karsten Schmidt, ZGR 2012, 566, 575 f. 2 KG v. 15.12.2008 – 23 U 132/08, WM 2009, 2177; Roth in Baumbach/Hopt, § 171 HGB Rz. 1; Haas/Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 171 HGB Rz. 10; Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, §§ 171/172 HGB Rz. 23. 3 Vgl. Priester in Scholz, § 58 GmbHG Rz. 97.

Karsten Schmidt und Kuder/Unverdorben

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2.403

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

aa) Verzicht auf die Ausübung eines Kündigungsrechts 2.403 Häufig wird mit Stillhalten gemeint sein, dass ein Kreditinstitut ausdrücklich oder stillschweigend darauf verzichtet, ein bestehendes gesetzliches oder vertraglich vereinbartes Recht zur ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung der von ihm gewährten Kredite mit noch nicht beendeter Laufzeit zu verzichten1. 2.404 Dies kann insbesondere auch die Aufrechterhaltung einer unbefristet zugesagten Betriebsmittelkreditlinie2 oder einer befristeten Betriebsmittelkreditlinie, deren Laufzeit aber noch nicht beendet ist, bedeuten. Die Nichtausübung eines Kündigungsrechts ist auch ohne Weiteres zulässig, da das Kreditinstitut auch in der Krise des Kreditnehmers nicht zu einer Kündigung verpflichtet ist. Vielmehr ist das Kreditinstitut auf Grund des bestehenden Vertrages umgekehrt dazu verpflichtet, den Kreditnehmer weiterhin in voller Höhe über den zugesagten Kreditbetrag verfügen zu lassen3. Etwas anderes kann nur gelten, wenn vertraglich bestimmte Inanspruchnahmevoraussetzungen vereinbart sind, die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sämtlich erfüllt sind. Dann hat das Kreditinstitut das Recht, weitere Inanspruchnahmen der Kreditlinie zu verweigern; man spricht dann auch von einem „Einfrieren“ oder „Sistieren“ der Linie. Der Verzicht auf die Berufung auf nicht erfüllte Inanspruchnahmevoraussetzungen ist nicht als Gewährung eines neuen Kredits, sondern wie der Verzicht auf die Ausübung eines Kündigungsrechts zu werten4. bb) Nicht ernsthaftes Einfordern einer fälligen Forderung 2.405 Als Stillhalten wird auch verstanden, wenn ein Gläubiger eine zur Rückzahlung fällige Forderung nicht ernsthaft bei dem Schuldner einfordert. Dies hilft der GmbH insofern, als solche Forderungen bei der Prüfung, ob eine Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 InsO vorliegt, nicht zu berücksichtigen sind5. Besteht die Geschäftsführung der GmbH aber im Hinblick auf ihre Insolvenzantragspflichten auf einer ausdrücklichen Erklärung des Gläubigers, wird diese Erklärung in der Regel als eine Stundung der Forderungen zu verstehen sein (hierzu hierzu nachstehend Rz. 2.410). cc) Prolongation von Krediten 2.406 Hinter dem Begriff der Prolongation eines Kredits verbergen sich vor allem zwei Fallgestaltungen: Zum einen die erneute Ziehung eines Roll-over-Kredits, zum anderen die Verlängerung der Laufzeit eines befristeten Kredits. 2.407 Bei einem Roll-over-Kredit6 kann der Kreditnehmer nach Ablauf der vertraglich vereinbarten Zinsperiode den Kredit zurückführen oder bei Vorliegen der Zie1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.200 f. 2 Zu Betriebsmittelkrediten vgl. Rossbach in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2011, Rz. 11.166 ff. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.202. 4 Stohrer, CRP 2014, 234; Hess in Hess, Sanierungshandbuch, 6. Aufl. 2013, Kap. 11 Rz. 89; Rusch, GWR 2011, 151, 153. 5 Eilenberger in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2013, § 17 InsO Rz. 7a. 6 Zum Roll-over-Kredit vgl. Rossbach in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2011, Rz. 11.44.

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Kuder/Unverdorben

Rolle der Kreditinstitute

2.408

hungsvoraussetzungen eine erneute Ziehung in gleicher Währung zur Refinanzierung der ausstehenden Ziehung tätigen. Bei der erneuten Ziehung handelt es sich nicht um einen neuen Kredit, für den die Voraussetzungen eines Sanierungskredits gelten1. Vielmehr bleibt auch bei der Prolongation eines Roll-over-Kredits der Kreditvertrag mit der vereinbarten Laufzeit und mit dem vereinbarten Rückzahlungstermin unverändert bestehen; es wird bei der Prolongation am Roll-overTermin lediglich die Bestimmung der neuer Zinsperiode zu dem dann gültigen vertraglich vereinbarten Zinssatz vorgenommen2. Häufig wird in einem entsprechenden Kreditvertrag vereinbart sein, dass an jedem Roll-over-Termin bestimmte Ziehungsvoraussetzungen vorliegen müssen. Sind diese wegen der Krise der GmbH an einem Roll-over-Termin nicht mehr gegeben, hat das Kreditinstitut das Recht, eine erneute Ziehung des Kredits zu verweigern. Verzichtet das Kreditinstitut hingegen darauf, dass sämtliche Ziehungsvoraussetzungen erfüllt sind (sog. „waiver“), gilt dasselbe wie bei dem Verzicht auf die Ausübung des Kündigungsrechts: Auch wenn nicht mehr sämtliche vertraglich vereinbarten Ziehungsvoraussetzungen erfüllt sind, darf das Kreditinstitut weitere Ziehungen des Roll-over-Kredits zulassen, ohne dass es sich damit um einen neuen Kredit handelt. Ob es sich bei der Verlängerung eines befristeten Kreditvertrages vor Ablauf des vertraglich vereinbarten Laufzeitendes noch um ein Stillhalten oder bereits um die Gewährung eines Neukredits handelt, ist hingegen strittig und höchstrichterlich nicht entschieden. Die Prolongation führt in dieser Fallgestaltung zu einer echten Erweiterung des Kapitalnutzungsrechts. Für eine Einordnung als Neukredit spricht das Argument, dass es keinen Unterschied machen könne, ob das Kreditinstitut die Verlängerung ablehne und einen unzweifelhaft dem Rechtsprechungsregime für Sanierungskredite unterfallenden neuen Kredit schließe oder den auslaufenden Kredit verlängere3. Bei einem bereits vollständig oder zu beträchtlichen Teilen ausgezahlten Kredit erlangt der Kreditnehmer allerdings kein neues Kapitalnutzungsrecht. Es wird nur das ihm bereits eingeräumte Kapitalnutzungsrecht zeitlich in einer Situation verlängert, in der das Kreditinstitut wegen der Krise des Kreditnehmers eine Rückzahlung des Kapitals am ursprünglich vereinbarten Fälligkeitstermin nicht erwarten konnte4. Aus diesem Grund handelt es sich auch bei der Verlängerung der Laufzeit eines befristeten Kreditvertrages vor dem Ablauf der ursprünglich vereinbarten Kreditlaufzeit um keinen Sanierungskredit, sondern um das Stehenlassen eines bereits vor der Krise gewährten Kredits5. b) Ausnahmen Zum Stillhalten berechtigt ist das Kreditinstitut in jedem Fall dann, wenn es 2.408 dritte Gläubiger nicht zu einer Kreditgewährung an die GmbH veranlasst und auf die Entscheidungen der GmbH und ihrer Geschäftsführung keine erhebliche 1 Stohrer, CRP 2014, 234; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.205. 2 BGH v. 22.3.1979 – III ZR 22/78, WM 1979, 455; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.204. 3 Einen Sanierungskredit bejaht Häuser in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHandbuch, 4. Aufl. 2011, § 85 Rz. 38; Bitter/Alles, WM 2013, 537, 540. 4 Stohrer, CRP 2014, 234; so im Ergebnis auch OLG Stuttgart v. 26.9.2012 – 9 U 65/12, ZInsO 2012, 2051. 5 So auch Huber, NZI 2015, 489, 493 f.

Kuder/Unverdorben

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

Einflussnahme ausübt1. Lässt sich das Kreditinstitut für einen nicht oder nicht ausreichend gesicherten Kredit als „Gegenleistung“ noch (neue) Sicherheiten bestellen, so sind diese möglicherweise in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren anfechtbar. Unter bestimmten Voraussetzungen handelt das Kreditinstitut hierbei sogar sittenwidrig2. c) Stillhaltevereinbarung 2.409 In der Grundkonstellation ist das Stillhalten ein tatsächliches Verhalten des Gläubigers, das sich auch jederzeit ändern kann. Im Hinblick auf die Insolvenzantragspflichten wird die Geschäftsführung der GmbH in der Krise aber in der Regel Wert darauf legen, dass sich der Gläubiger gegenüber der GmbH verbindlich zum Stillhalten verpflichtet; hierbei handelt es sich dann um eine Stillhaltevereinbarung. Aber auch der Gläubiger wird sein Stillhalten seinerseits häufig davon abhängig machen wollen, dass auch die anderen wesentlichen Gläubiger der GmbH stillhalten. Dies kann dadurch geschehen, dass der Gläubiger entweder seine Stillhalteerklärung unter der aufschiebenden Bedingung erklärt, dass auch bestimmte weitere Gläubiger ihrerseits entsprechende Erklärungen abgegeben haben, oder dass eine Vereinbarung zwischen allen wesentlichen Gläubigern und der GmbH geschlossen wird, in der sich die Gläubiger gegenseitig und gegenüber der GmbH zum Stillhalten verpflichten3. Für Kreditinstitute, deren Forderungen durch Dritte besichert sind, kann es in bestimmten Konstellationen erforderlich sein, auch von diesen Dritten die Zustimmung zum Stillhalten einzuholen4. 2. Stundung 2.410 Ein wirksamer Beitrag zur Überwindung einer (drohenden) Zahlungsunfähigkeit der GmbH ist die Stundung von Zins- und/oder Tilgungsraten durch die kreditgebenden Kreditinstitute (zum Begriff und zu den Wirkungen der Forderungsstundung s. ausführlich oben Rz. 2.354 ff.). Für die Kreditinstitute stellt die Stundung einen Sanierungsbeitrag dar, der ihnen ein nur geringes wirtschaftliches Opfer abverlangt und insbesondere auch nicht den Ertrag des Kreditinstituts belastet, sofern sich der Verzicht auf Wertberichtigungen für die gestundeten Forderungen rechtfertigen lässt. 2.411 Da die Stundung ausschließlich liquiditätsmäßige Wirkung hat, ist sie als Sanierungsbeitrag für eine überschuldete GmbH aber weitgehend ungeeignet. 2.412 Sinnvoll kann es sein, für die Zeit der Stundung zusätzlich einen Verzicht auf Zinszahlungen zu vereinbaren. Wird das Moratorium mit einem Verzicht auf die während der Dauer der Stundung fällig werdenden Zinsen verbunden, handelt es sich insoweit um einen echten Forderungserlass. 2.413 Festzustellen ist, dass kein Gläubiger gezwungen ist, einem Krisenunternehmen Forderungen oder Zinsen zu stunden. Auch Kreditinstitute sind aus den oben 1 Zu den Grenzen der Einflussnahme auf Dritte und der Eingriffe in die Geschäftsführung der GmbH s. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.212 ff. 2 Hierzu ausführlich Rz. 1.432 ff. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.229 ff. 4 Vgl. hierzu Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.230.

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Rolle der Kreditinstitute

2.415

(Rz. 2.353) genannten Gründen selbst dann nicht verpflichtet, Tilgungs- oder Zinsstundungen zu gewähren, wenn ein langjähriges Kreditverhältnis zu dem insolventen Unternehmen bestand und die zu überbrückende Zahlungsunfähigkeit möglicherweise nur vorübergehend ist1. Problematisch kann die Stundung für ein Kreditinstitut sein, wenn für die gestun- 2.414 deten Kreditforderungen Drittsicherheiten gestellt sind, beispielsweise Bürgschaften, Pfandrechte oder Grundschulden Dritter. Da bei einer Stundung die Forderung bestehen bleibt, haften die für diese Forderung gestellten Sicherheiten trotz Stundung weiter. Zwar hat der BGH entschieden2, dass der prolongierte Kredit nicht mehr durch eine für den ursprünglichen Kredit übernommene Bürgschaft abgesichert ist, sofern es sich bei der Prolongationsvereinbarung um einen neuen, selbständigen Vertrag handelt. Der Bürge oder ein anderer Sicherungsgeber wird dadurch aber nicht aus seiner Haftung vollkommen frei, sondern die Haftung besteht für den ursprünglich besicherten Kredit in Höhe der Forderungen des Kreditinstituts zum Zeitpunkt der Prolongation fort3. Nur für Forderungen, die den Kreditbetrag erst nach dem ursprünglich vereinbarten Schlusstag des Kredites erhöhen, also vor allem für die danach entstehenden Zinsen, aber auch für nachträgliche Ausnutzungen freier Linien, haftet der Bürge nicht4. Wird ein Kontokorrentkredit in einen Tilgungskredit „bankintern umgeschuldet“, was zur Ausnutzung günstigerer Zinsen gerade bei der Stundung häufig geschieht, ist darin regelmäßig keine Schuldumschaffung, sondern nur die Änderung des bestehenden Vertragsverhältnisses zu sehen, selbst wenn der umgeschuldete Kredit unter einer anderen Kontonummer verbucht wird, so dass die Bürgenhaftung in dem Umfang bestehen bleibt, wie sie begründet war5. Wird aber ein Kontokorrentkredit „gestundet“, indem er in gleicher Höhe als Kre- 2.415 ditlinie verlängert wird, bleibt das Risiko, dass jeder Zahlungseingang nach Prolongation die Bürgenhaftung ermäßigt, ohne dass erneute Verfügungen des Kreditnehmers dagegen gerechnet werden können. Auch dann, wenn ein Tilgungskredit oder ein endfälliger Kredit gestundet wird, haftet der Sicherungsgeber nicht mehr für die nach der Stundungsvereinbarung anfallenden Zinsen. Um bei einer Stundung die Drittsicherheiten für diese Ansprüche nicht zu verlieren, sollten Kreditinstitute daher möglichst darauf bestehen, dass Drittsicherheiten für den gestundeten Kredit neu bestellt bzw. darauf ausdrücklich erstreckt werden. Letzteres kann wohl nicht von vornherein formularmäßig vereinbart werden6. Eine solche 1 OLG Karlsruhe v. 3.8.1990 – 10 U 168/89, WM 1990, 1332. 2 BGH v. 15.7.1999 – IX ZR 243/98, WM 1999, 1761 = GmbHR 1999, 975 m. Komm. Bärwaldt. 3 BGH v. 15.7.1999 – IX ZR 243/98, WM 1999, 1761 = GmbHR 1999, 975 m. Komm. Bärwaldt; BGH v. 30.9.1999 – IX ZR 287/98, WM 1999, 2251. Zuvor aber missverständlich BGH v. 18.5.1995 – IX ZR 108/94, WM 1995, 1397; BGH v. 7.11.1995 – XI ZR 235/94, WM 1995, 2180. Dazu auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.46a. 4 Und erst recht haftet der Bürge nicht für nachträgliche Kreditaufstockungen, selbst wenn die Haftung für den ursprünglichen Kreditbetrag bestehen bleibt, LG München I v. 24.11.1998 – 29 O 7360/98, WM 1999, 1971. 5 BGH v. 30.9.1999 – IX ZR 287/98, WM 1999, 2251. 6 BGH v. 15.7.1999 – IX ZR 243/98, WM 1999, 1761, 1762 = GmbHR 1999, 975 m. Komm. Bärwaldt verlangt vom Bürgen „eine entsprechend konkretisierte Ergänzung seiner Willenserklärung“.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

Erneuerung der Drittsicherheiten kann aber unterbleiben, falls ein weiter Sicherungszweck, der alle Verbindlichkeiten des Kreditnehmers aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung erfasst, bereits bei der Bestellung der Drittsicherheiten wirksam vereinbart worden ist. Denn der Drittsicherungsgeber als Geschäftsführer und/oder Mehrheitsgesellschafter war in der Lage, eine Erweiterung der besicherten Verbindlichkeiten durch den Kreditnehmer zu verhindern1. 3. Gewährung zusätzlicher Kredite a) Konzept des Sanierungsbeitrags 2.416 Die existenzbedrohende Krise eines Unternehmens reduziert sich im Endstadium stets auf die Frage der Zahlungsfähigkeit. Kann diese nicht aufrechterhalten werden, so muss die Geschäftsführung nach den gesetzlichen Regelungen, wie unten (Rz. 5.36) dargestellt, den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellen. Daraus ergibt sich, dass die Zuführung neuer Liquidität durch Gewährung zusätzlicher Kredite als Sanierungsbeitrag der Kreditinstitute in der Krise der GmbH oder eines anderen Unternehmens regelmäßig von zentraler Bedeutung ist und damit die Kreditinstitute in zahlreichen Fällen über Sein oder Nichtsein eines Unternehmens entscheiden, indem sie ihre Kredite offen halten und ausweiten oder kündigen2. 2.417 Die Bereitstellung zusätzlicher Kreditmittel kann in der technischen Abwicklung durch schlichte Duldung von Überziehungen, durch förmliche Zusage neuer Kreditlinien oder im Rahmen eines Sanierungskonzepts durch Konsortialkredite aller kreditgebenden Banken erfolgen. Mit diesem Sanierungsbeitrag kann in kürzester Zeit der erforderliche schnelle Erfolg erzielt, nämlich die Zahlungsfähigkeit des insolvenzbedrohten Kreditnehmers wieder hergestellt werden. Selbst eine Besicherung des neugewährten Sanierungskredites aus dem Vermögen des Kreditnehmers ist möglich, da die Bestellung solcher Sicherheiten als Bargeschäft nach § 142 InsO nicht angefochten werden kann3 (s. dazu oben bei Rz. 1.398 ff.). 2.418 Allerdings kann durch die Zufuhr neuer Liquidität mit der Gewährung neuer oder zusätzlicher Kredite lediglich die Zahlungsunfähigkeit vermieden oder beseitigt werden. Die Einräumung der neuen Kredite beseitigt nicht die drohende oder eingetretene Überschuldung, da dem durch die Zuführung der liquiden Mittel entstehenden Aktivposten auf der Passivseite der Bilanz bzw. des Überschuldungsstatus eine entsprechende Verbindlichkeit gegenübersteht. Darüber hinaus führt die Einräumung neuer Kredite auch langfristig nicht zu einer Überwindung der Krise, da mit dem Zinsaufwand für die zusätzlichen Kredite auch die Kosten des sanie1 So im Grunde auch BGH v. 15.7.1999 – IX ZR 243/98, WM 1999, 1761 = GmbHR 1999, 975 m. Komm. Bärwaldt; BGH v. 30.9.1999 – IX ZR 287/98, WM 1999, 2251. Zu den Ausnahmefällen, in denen für Drittsicherheiten ein weiter Sicherungszweck formularmäßig wirksam vereinbart werden kann: BGH v. 18.1.1996 – XI ZR 69/95, WM 1996, 436; BGH v. 18.5.1995 – IX ZR 108/94, WM 1995, 1397; BGH v. 27.6.1995 – XI ZR 213/94, WM 1995, 1663. 2 Zum Sanierungskredit im Überblick auch Häuser in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 85; Wallner/Neuenhahn, NZI 2006, 553; Schäffler, BB 2006, 56; Wittig, NZI 1998, 49. 3 Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 151, 168; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.70.

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Rolle der Kreditinstitute

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rungsbedürftigen Unternehmens für seine Fremdfinanzierung steigen. Darum wird in aller Regel die Zuführung neuer Liquidität durch Kreditvergabe nur Bestandteil eines umfassenderen Sanierungskonzeptes sein können. b) Insolvenzverschleppung durch das Kreditinstitut? Kreditinstitute werden darüber hinaus auf die Einbettung der neuen Kreditver- 2.419 gabe in ein Gesamtkonzept zur Sanierung der krisenbedrohten GmbH bestehen, um sich nicht Schadensersatzansprüchen anderer Gläubiger aus § 826 BGB wegen sittenwidriger Insolvenzverschleppung auszusetzen. Denn bei der Gewährung neuer Kredite besteht grundsätzlich das Risiko, dass die Sanierung des Kreditnehmers misslingt. Dies kann zu einer Schädigung anderer Gläubiger führen, die auf Grund der Kreditgewährung und der damit verbundenen Liquiditätszufuhr die Lage des Kreditnehmers zu günstig beurteilt haben und deshalb ihre bestehenden Forderungen nicht rechtzeitig eingezogen oder gesichert haben bzw. noch neue Geschäfte eingegangen sind. Deshalb hat die Rechtsprechung Grundsätze entwickelt, die Kreditinstitute wegen Insolvenzverschleppung in die Haftung nehmen, wenn sie den Betrieb des an sich insolvenzreifen Kreditnehmers mit der Gewährung neuer Kredite ohne Sanierungsaussichten noch eine Zeit lang aufrechterhalten, um eigennützige Ziele zu verfolgen, z.B. um bereits früher gewährte Kredite noch zurückzuführen, Sicherheiten hereinzunehmen, Anfechtungsfristen zu überwinden oder Sicherheiten ungestört zu verwerten1. aa) Abgrenzung zwischen Sanierungskredit und Insolvenzverschleppung Allerdings fällt dem Kreditinstitut nicht bei jeder Kreditgewährung in der Krise 2.420 der Vorwurf sittenwidrigen Handelns zur Last, bloß weil die Möglichkeit des Misslingens der Sanierung und damit einer Schädigung der anderen Gläubiger besteht. Denn grundsätzlich ist ein Kreditinstitut auch dann noch zur Vergabe neuer Kredite berechtigt, wenn ein Unternehmen sich in der Krise befindet oder sogar schon insolvenzreif ist2. Die Kreditgewährung in einer solchen Situation kann nur dann als sittenwidrige Schädigung anderer Gläubiger i.S. von § 826 BGB angesehen werden, die zu einer Schadensersatzpflicht führt, wenn absehbar ist, dass mit der Vergabe neuer Kredite der Zusammenbruch des Kreditnehmers nicht auf Dauer verhindert werden kann, sondern das Kreditinstitut die Insolvenz des krisenbedrohten Kreditnehmers nur hinausschieben will, um sich dadurch eigennützig die Gelegenheit zu verschaffen, die eigene Stellung gegenüber anderen Gläubigern zu verbessern3. Demgegenüber handelt es sich bei der Vergabe neuer Kredite an sanierungsbedürf- 2.421 tige Unternehmen dann um keine Insolvenzverschleppung, sondern um einen 1 Dazu Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, Rz. 235; Neuhof, NJW 1998, 3225, 3228 ff.; Wenzel, NZI 1999, 294 ff.; Ahnert, BKR 2002, 254, 256 ff. 2 BGH v. 3.3.1956 – IV ZR 334/55, WM 1956, 527; BGH v. 21.6.1961 – VIII ZR 139/60, WM 1961, 1106; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.30; Hess/Fechner/ Freund/Körner, Sanierungshandbuch, Teil G, Rz. 10. 3 S. dazu die Ausgangsentscheidung BGH v. 9.7.1953 – IV ZR 242/52, BGHZ 10, 228. Aus der Rechtsprechung auch BGH v. 24.5.1965 – VII ZR 46/63, WM 1965, 918. Zusammenfassende Überblicke zur Rechtslage bei Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.30 ff.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

ernsthaften Sanierungsversuch, wenn der Zweck der Kreditvergabe die Sanierung des Unternehmens ist und die Kreditvergabe zur Sanierung objektiv geeignet und ausreichend ist. Denn der Vorwurf sittenwidrigen Verhaltens ist unbegründet, wenn Kreditgeber und Kreditnehmer auf Grund einer sachkundigen und sorgfältigen Prüfung der Lage des Schuldners und besonders der Geschäftsaussichten davon überzeugt sein durften, dass das Sanierungsvorhaben Erfolg haben und damit eine Schädigung dritter Gläubiger letztlich nicht eintreten wird1. Dabei ist nicht erforderlich, dass die Möglichkeit des Fehlschlagens der Sanierung von vornherein auszuschließen war. Vom Erfolg der Sanierung darf das Kreditinstitut vielmehr schon dann überzeugt sein, wenn keine ernsthaften Zweifel am Gelingen des Sanierungsversuches bestehen2. bb) Anforderungen an eine Sanierungsprüfung 2.422 Voraussetzung für einen ernsthaften Sanierungsversuch ist aber mindestens ein in sich schlüssiges Konzept, das von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht und das mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt worden ist und beim Schuldner die ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertigt3. Für die Erstellung und Überprüfung eines solchen Sanierungskonzepts gibt es Standards und Handlungsempfehlungen, etwa vom Institut der Wirtschaftsprüfer e.V.4. Entscheidend für einen Kreditgeber ist indes, ob das Sanierungskonzept, auf dessen Grundlage er der GmbH einen Sanierungskredit zur Verfügung stellt, den folgenden Anforderungen der Rechtsprechung an den Inhalt von Sanierungskonzepten entspricht5: – Das Sanierungskonzept muss auf der Grundlage vorgeschriebener oder üblicher Buchhaltungsunterlagen erstellt werden, die zeitnah vorliegen. – Sowohl für die Frage der Erkennbarkeit der Ausgangslage als auch für die Prognose der Durchführbarkeit ist dabei auf die Beurteilung eines unvoreingenommenen – nicht notwendigerweise unbeteiligten – branchenkundigen Fachmanns (in der Regel eines Unternehmensberaters und/oder Wirtschaftsprüfers) abzustellen. – Das Konzept analysiert die wirtschaftliche Lage des Schuldners im Rahmen seiner Wirtschaftsbranche und die Krisenursachen. 1 BGH v. 9.7.1953 – IV ZR 242/52, BGHZ 10, 228; BGH v. 24.5.1965 – VII ZR 46/63, WM 1965, 918; OLG Düsseldorf v. 30.6.1983 – 6 U 120/81, AG 1983, 250 = WM 1983, 873. 2 BGH v. 10.11.1978 – V ZR 181/76, WM 1979, 253; BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, WM 1979, 878; OLG Düsseldorf v. 30.6.1983 – 6 U 120/81, AG 1983, 250 = WM 1983, 873. 3 BGH v. 10.1.2013 – IX ZR 13/12, ZInsO 2013, 179 Rz. 14; OLG Düsseldorf v. 25.4.2013 – I-12 U 45/12, ZInsO 2013, 1195; BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, WM 1998, 248. Übersicht bei Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.49 ff.; Wallner/Neuenhahn, NZI 2006, 553. Zu den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung an eine zuverlässige Fortführungsprognose Huber, NZI 2015, 447; Huber, NZI 2015, 489; Ganter, NZI 2014, 673; Weber, ZInsO 2011, 904. 4 IDW S6 „Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten“ (Stand 20.8.2012), FN-IDW 12/2012, S. 719 ff.; zur Frage, ob der IDW S 6 über die Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinausgeht oder dahinter zurückbleibt vgl. Huber, NZI 2015, 489, 490; Ganter, NZI 2014, 673; Hagemann, NZI 2014, 210; Pohl, ZInsO 2011, 207. 5 Huber, NZI 2015, 489; Ganter, NZI 2014, 673; Weber, ZInsO 2011, 904; Pohl, ZInsO 2011, 207.

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Rolle der Kreditinstitute

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– Die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens sind zu erfassen1. – Das Konzept muss objektiv dazu geeignet sein, das Unternehmen zu sanieren und das Unternehmen muss sanierungsfähig sein2. Es enthält das Leitbild des sanierten Unternehmens, das auf der Grundlage produktbezogener, marktbezogener oder funktionaler Ertragspotenziale entwickelt wurde3. Erforderlich ist also, dass ein objektiver Dritter bei der Prüfung nach seiner pflichtgemäßen Einschätzung auf Grund einer ex-ante-Betrachtung zu dem Ergebnis kommt, dass die Gesellschaft objektiv sanierungsfähig ist und die für ihre Sanierung konkret in Angriff genommenen Maßnahmen zusammen objektiv geeignet sind, die Gesellschaft in überschaubarer Zeit durchgreifend zu sanieren4. Aus Sicht des Kreditgebers dürfen im Zeitpunkt der Gewährung des Sanierungskredits keine ernsthaften Zweifel am Gelingen des Sanierungsversuch bestehen. Hier ist es erforderlich, dass der Kreditgeber das Sanierungskonzept auf dessen Plausibilität positiv geprüft und diese Prüfung dokumentiert hat und dass der Sanierungsbeitrag des Kreditgebers den Vorgaben des Sanierungskonzepts nicht zuwider läuft5. Diese Anforderungen gelten im Übrigen grundsätzlich auch für Sanierungsversuche bei kleineren Unternehmen, denn auch dort können Gläubiger in für sie beträchtlichem Umfang geschädigt werden. Jedoch kann das Ausmaß der Prüfung dem Umfang des Unternehmens und der verfügbaren Zeit angepasst werden6. c) Überbrückungskredit Eine solche Prüfung des Sanierungskonzepts durch unvoreingenommene, bran- 2.423 chenkundige Experten ist allerdings nicht nur wegen der damit verbundenen Kostenbelastung für das ohnehin liquiditätsschwache Krisenunternehmen in einem Sanierungsfall problematisch, sondern erfordert in aller Regel auch mehr Zeit als die drei Wochen, die gemäß § 15a Abs. 1 InsO nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bei der GmbH dafür zur Verfügung stehen7. Weil aber auch eine Ablehnung des dringend erforderlichen Sanierungskredites in einem solchen Fall angesichts des drohenden Zusammenbruchs des Unternehmens mit der Zerschlagung seiner Vermögenswerte und dem Verlust von Arbeitsplätzen nicht leichtfertig erfolgen darf, ist es nicht als sittenwidrige Insolvenzverschleppung anzusehen, wenn das Kreditinstitut bei einer bereits eingeleiteten Prüfung der Sanierungsaussichten zusätzliche Kredite in einem solchen Umfang gewährt, wie sie zur Aufrechterhal1 BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, WM 1998, 248. 2 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, NJW 2006, 1283, 1284 = GmbHR 2006, 311 m. Komm. Bormann. 3 OLG Köln v. 24.9.2009 – 18 U 134/05, ZInsO 2010, 238 = GmbHR 2010, 251 m. Komm. Blöse. 4 So BGH v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, WM 2006, 399 = GmbHR 2006, 311 m. Komm. Bormann zu den Voraussetzungen des früheren Sanierungsprivilegs aus § 32a Abs. 3 GmbHG für kapitalersetzende Darlehen. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.62; Huber, NZI 2015, 489, 492. 6 BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, WM 1998, 248 m.w.N. 7 Batereau, WM 1992, 1517; Hess/Fechner/Freund/Körner, Sanierungshandbuch, Teil F., Rz. 16 ff.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

tung der Zahlungsfähigkeit der GmbH während des Zeitraums bis zum Abschluss der Prüfung erforderlich sind, selbst wenn das Kreditinstitut dabei auch eigennützige Motive, nämlich die Rettung seiner bereits gewährten Kredite, mitverfolgt1. Voraussetzung dafür, dass bei solchen Überbrückungskrediten der Vorsatz der Gläubigerschädigung verneint und subjektiv redliches Handeln bejaht werden kann, ist aber, dass die Beteiligten ernsthaft und mit aus ihrer Sicht tauglichen Mitteln die Sanierung anstreben2. d) Insolvenzverschleppung durch Bankkredite 2.424 Als Rechtsfolge der Insolvenzverschleppung3 durch Gewährung zusätzlicher Kredite drohen dem Kreditinstitut Schadensersatzansprüche dritter Gläubiger aus § 826 BGB. Dabei können die Altgläubiger, die schon vor der Gewährung des Kredites Forderungen gegen die zusammengebrochene GmbH besaßen, als Schaden nur den Unterschiedsbetrag geltend machen zwischen der Insolvenzquote, die sie bei früherer Verfahrenseröffnung ohne die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit erzielt hätten, und der tatsächlich gezahlten Quote. Neugläubiger, die erst nach Gewährung des Kredites im Vertrauen auf die Kreditwürdigkeit der tatsächlich nicht zu rettenden GmbH Forderungen durch ihre Leistungen erworben haben, können dagegen Ersatz ihres gesamten negativen Interesses – abzüglich der Insolvenzquote – verlangen4, haben also einen Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als ob sie wegen des ohne die Insolvenzverschleppung früher eröffneten Insolvenzverfahrens das betreffende Geschäft mit der GmbH nicht vorgenommen hätten. Auch der Insolvenzverwalter kann Schadensersatzansprüche geltend machen, jedoch nur insoweit, wie die Insolvenzmasse insgesamt verkürzt worden ist. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die durch den sittenwidrigen Neukredit gewonnene Zeit von dem Kreditinstitut dazu genutzt worden ist, zu Lasten der Insolvenzmasse früher gewährte Kredite zurückzuführen. Darüber hinaus kann der Insolvenzverwalter die für den Neukredit bestellten Sicherheiten zurückverlangen, da im Falle der Insolvenzverschleppung nicht nur der Kreditvertrag, sondern auch die dafür erfolgte Sicherheitenbestellung nach § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist. e) Kündigung des Sanierungskredits 2.425 Wird ein Sanierungskredit einmal gewährt, ist seine Kündigung nur unter wesentlich engeren Voraussetzungen möglich (s. dazu auch oben bei Rz. 1.463), als sie für die Kündigung sonstiger Kredite gelten (dazu oben bei Rz. 1.449 ff.)5. Grundsätzlich gilt, dass bei einem Sanierungskredit durch den von den Vertragspartnern vereinbarten Sanierungszweck die ordentliche Kündigung zumindest konkludent 1 OLG Schleswig v. 2.10.1981 – 11 U 160/80, WM 1982, 25; Huber, NZI 2015, 447, 449; Hess/Fechner/Freund/Körner, Sanierungshandbuch, Teil G., Rz. 18; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.68 f. 2 BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, WM 1998, 248. 3 Im Überblick dazu Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.72 ff.; Huber, NZI 2015, 447, 450 f.; Wenzel, NZI 1999, 294, 298 f.; Wittig, NZI 1998, 49, 51 f. jeweils mit Nachweisen der Rechtsprechung. 4 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, WM 1998, 944 = GmbHR 1998, 594. 5 Dazu auch Wallner/Neuenhahn, NZI 2006, 553.

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Rolle der Kreditinstitute

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ausgeschlossen ist1. Dagegen bleibt eine außerordentliche, fristlose Kündigung möglich, wenn in den Vermögensverhältnissen des Darlehensnehmers seit dem Zeitpunkt, in dem das Kreditinstitut seine Mitwirkung an der Sanierung zugesagt hat, eine wesentliche Verschlechterung eingetreten ist, die die Sanierung als nicht mehr aussichtsreich erscheinen lässt2. Einer Verschlechterung steht es gleich, wenn sich erst nach Gewährung des Sanierungskredits herausstellt, dass die Sanierungsaussichten bei Einräumung des Kredits falsch eingeschätzt wurden und die Voraussetzungen für eine Sanierung von Anfang objektiv nicht gegeben waren3. Ebenso ist das Kreditinstitut auch dann zur Kündigung eines Sanierungskredits berechtigt, wenn das sanierungsbedürftige Unternehmen von dem Sanierungsplan abweicht und deshalb die Sanierung zu scheitern droht4. 4. Distressed Debt – Verkauf von Kreditforderungen a) Einleitung In der Vergangenheit hatten Kreditinstitute Darlehen grundsätzlich gewährt, um 2.426 sie für die gesamte Laufzeit in den eigenen Büchern zu halten, und dabei unvermeidlich in Kauf genommen, in einer finanziellen Krise des Kreditnehmers selbst die Sanierung betreuen und bei einer Insolvenz die Abwicklung des Kreditengagements selbst durchführen zu müssen. Seit einigen Jahren finden sich aber institutionelle Investoren (vielfach aus dem Ausland), die bereit sind, von den Kreditinstituten notleidende Kredite entgeltlich zu übernehmen. Kreditinstitute nutzen diese Gelegenheiten zum Ausstieg aus den notleidenden Engagements. Es existiert ein Markt für den Handel mit notleidenden Krediten, bezeichnet als distressed debt trading oder auch als Handel mit non-performing loans bzw. impaired debt5. Die Übernahme von Kreditforderungen durch Distressed Debt-Investoren bietet 2.427 nicht nur Risiken für den Kreditnehmer, sondern kann auch Chancen für eine Sanierung eröffnen. Denn Distressed Debt-Investoren verfolgen naturgemäß eine Politik der Wertmaximierung. Doch sie sind dabei – manchmal eher als die ursprünglichen Kreditgeber – auch bereit, für die Sanierung des Darlehensnehmers zusätzliche Kreditmittel zur Verfügung zu stellen oder sogar Eigenkapitalpositionen zu übernehmen6. Hinzu kommt, dass Distressed Debt-Investoren, die ihrer1 BGH v. 6.7.2004 – XI ZR 254/02, WM 2004, 1676; BGH v. 14.9.2004 – XI ZR 184/03, WM 2004, 220. Im Detail dazu Häuser in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHandbuch, 4. Aufl. 2011, § 85 Rz. 62 ff. 2 BGH v. 14.9.2004 – XI ZR 184/03, WM 2004, 220; BGH v. 20.12.1955 – I ZR 171/53, WM 1956, 217. 3 Wallner/Neuenhahn, NZI 2006, 553; Häuser in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 85 Rz. 74. 4 Häuser in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 85 Rz. 75. 5 Dazu z.B. Nobbe, ZIP 2008, 97 ff.; Bredow/Vogel, BKR 2008, 271 ff.; Zimmermann, BKR 2008, 95 ff.; Köchling, ZInsO 2008, 232 ff.; Schulz/Schröder, DZWIR 2008, 177; Wittig, Distressed Debt Trading – Handel mit notleidenden Krediten unter besonderer Berücksichtigung von Bankgeheimnis und aufsichtsrechtlichen Anforderungen, in Bankrechtstag 2005, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 25, 2006, S. 145 ff. 6 Zur Übernahme von Eigenkapitalpositionen durch einen Debt Equity Swap s. ausführlich Rz. 2.59 ff., 2.380 ff., 8.26 ff.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

seits die Darlehensforderungen mit einem Abschlag übernommen haben, eher Sanierungen mit einem sinnvollen Forderungsverzicht unterstützen können, als dies die ursprünglichen Kreditgeber tun, die zumindest emotional – selbst wenn Wertberichtigungen erfolgt sind – eine Rückführung des Darlehens zum Nominalwert erwarten. Deshalb kann es dem Kreditnehmer nicht selten leichter fallen, mit dem neuen Kreditgeber Einigkeit über eine Sanierung zu erzielen als mit den ursprünglichen Kreditgebern. Denn die neuen Investoren haben bewusst eine Entscheidung zur Finanzierung des Unternehmens in der Krise getroffen, während Entscheidungen der bisherigen Kreditgeber vielfach von der Enttäuschung über das fehlgeschlagene Kreditengagement mitbestimmt werden. b) Motive und Strategien der Investoren 2.428 Letztendliches Motiv der institutionellen Investoren beim Erwerb von Kreditforderungen ist die Erwartung, mit diesem Investment Gewinn zu erzielen. Zur Erreichung dieses Zieles werden unterschiedliche Strategien verfolgt1. 2.429 Zum einen finden sich sog. passive Investoren. Der passive Investor ist dadurch gekennzeichnet, dass er selbst keine besonderen Anstrengungen unternimmt, um einen Wertzuwachs für die erworbenen notleidenden Kredite zu generieren. Vielmehr vertraut der passive Investor darauf, dass der Verkäufer den Wert der veräußerten Forderungen zu gering einschätzt, z.B. weil Zweifel an den Erfolg von Sanierungsbemühungen beim Kreditnehmer bestehen oder der Wert von Kreditsicherheiten anders beurteilt wird, und dass im Ergebnis, z.B. nach erfolgreicher Sanierung oder vorteilhafter Liquidation der Kreditsicherheiten, eine Wertsteigerung eintritt. Dieser passive Investor setzt darauf, eine solche Wertsteigerung dann als Handelsgewinn durch den Weiterverkauf der nunmehr höher bewerteten Darlehen, aus dem Sicherheitenerlös oder durch die Rückzahlung des Kredits zum Nominalbetrag bei der planmäßigen Fälligkeit oder im Rahmen einer Refinanzierung zu realisieren. 2.430 Im Gegensatz dazu strebt der sog. aktive Investor als Erwerber von Unternehmenskrediten danach, den Wertzuwachs durch aktives Management seines Investments selbst zu schaffen2. Ein typisches Mittel dafür ist z.B. die Entwicklung und Umsetzung eigener Sanierungskonzepte für ein notleidendes Kreditengagement, mit dem ein Ausfall der erworbenen Darlehensforderung verhindert werden soll. Dabei kann der typische aktive Investor im Vergleich zum ursprünglichen Darlehensgeber Vorteile nutzen: Zum einen wird, da keine Rücksicht genommen werden muss auf gewachsene Geschäftsverbindungen, die Sanierung häufig stringenter und umfassender angestrebt; bis hin – trotz aller damit verbun1 Dazu ausführlich Bergjan, ZIP 2012, 1997; Schalast/Grieser/Wulfken, KTS 2011, 129; Reuter/Buschmann, ZIP 2008, 1003 ff.; Schalast, BKR 2006, 193; Wörner/Flacke/Lotz, ZIP 2005, 426; zu umsatzsteuerlichen Entwicklungen s. Thielo, BB 2007, 2487; EuGH v. 27.10.2011 – Rs. C-93/10, ZIP 2012, 477; BFH v. 26.1.2012 – V R 18/08, ZIP 2012, 873; zur Einordnung als steuerbaren Leistungsaustausch im Sinne eines echten Factoring s. BFH v. 4.7.2013 – V R 8/10, ZIP 2013, 2316 (ein Unternehmer, der ein Portfolio von zahlungsgestörten Forderungen erwirbt, erbringt an den Forderungsverkäufer grundsätzlich selbst dann keine entgeltliche Leistung, wenn er diesen von der weiteren Verwaltung und Vollstreckung der Forderungen entlastet). 2 Zu diesen Strategien Reuter/Buschmann, ZIP 2008, 1003 ff.

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Rolle der Kreditinstitute

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denen rechtlichen Probleme – zur Einsetzung eines Chief Restructuring Officers (CRO), der das Vertrauen des Distressed Debt-Investors genießt, in die Geschäftsleitung des Kreditnehmers. Zum anderen strebt der Investor häufig danach, die Bankverschuldung des Kreditnehmers (nahezu) vollständig zu übernehmen, so dass Sanierungskonzepte aus einer Hand, ohne Abstimmungsbedarf mit sanierungsunwilligen anderen Kreditinstitute entwickelt und umgesetzt werden können. Und schließlich ist der typische Distressed Investor häufig auch bereit, im Rahmen eines Gesamtkonzepts zur Sanierung des Kreditnehmers mit zusätzlichen Krediten („fresh money“) zur Verfügung zu stehen, da ja eine bewusste Entscheidung zum Einstieg in ein notleidendes Engagement getroffen worden ist, während die bisherigen Kreditgeber eher dazu neigen, dem vermeintlich „schlechten Geld kein gutes Geld mehr hinterher zu werfen.“ Typischerweise strebt der aktive Investor als Erwerber von Unternehmenskrediten danach, als Bestandteil des Sanierungskonzepts oder nach gelungener Sanierung die erworbenen Darlehen in einer Eigenkapitalbeteiligung zu wandeln (Debt-to-Equity-Swap – s. dazu bei Rz. 2.59 ff., 2.380 ff., 8.26 ff.) und den Wertzuwachs durch den Verkauf des sanierten Unternehmens zu realisieren. c) Transaktionsstrukturen Die typische Transaktion zwischen einem deutschen Kreditinstitut und Dis- 2.431 tressed Debt-Investoren spielt sich häufig in zwei Stufen ab1. Im ersten Schritt übernimmt der Investor gegen Zahlung des Kaufpreises durch eine (stille) Unterbeteiligung von dem abgebenden Kreditinstitut bereits wirtschaftlich sämtliche Chancen und Risiken aus dem Kreditverhältnis2. Veräußerer und Erwerber vereinbaren, dass der Erwerber im Innenverhältnis durch den Veräußerer so gestellt wird, als sei der Erwerber bereits in sämtliche Rechte und Pflichten aus dem Darlehensverhältnis eingetreten. Der Veräußerer hält also nach Vereinbarung der Unterbeteiligung die betreffenden Forderungen und die dafür bestellten Sicherheiten treuhänderisch weiter im eigenen Namen, jedoch für Risiko und Rechnung des Erwerbers. Der Veräußerer bleibt aber im Außenverhältnis zum Schuldner mit sämtlichen Rechten und Pflichten Darlehensgeber. In einem zweiten Schritt, nämlich nach Erfüllung aller erforderlichen „Formali- 2.432 täten“ (dazu zugleich) übernimmt dann der Distressed Debt Investor auch im Außenverhältnis die Stellung als Darlehensgeber, tritt also die Rechtsnachfolge des ursprünglichen Kreditgebers an. Soweit es sich bei dem distressed asset, das Gegenstand der Veräußerung ist, um einen voll ausgezahlten, nicht revolvierend ausnutzbaren Kredit, also eine reine Darlehensforderung handelt, kann der Rechtsübergang durch bloße Abtretung von dem Veräußerer an den Erwerber auch ohne Zustimmung des Darlehensnehmers erfolgen. Handelt es sich dagegen um eine Kreditlinie, aus der der Darlehensnehmer Anspruch auf weitere Ziehun1 Zu Transaktionsstrukturen auch Litten, ZInsO 2014, 473; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.1385 ff.; Nobbe, ZIP 2008, 97 ff.; Wittig, Distressed Debt Trading – Handel mit notleidenden Krediten unter besonderer Berücksichtigung von Bankgeheimnis und aufsichtsrechtlichen Anforderungen, in Bankrechtstag 2005, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 25, 2006, S. 145 ff. 2 Zur Ausgestaltung der stillen Unterbeteiligung s. auch Kristen/Kreppel, NPL-Transaktionen aus Sicht des Verkäufers – Risiken und Lösungsansätze, BKR 2005, 123, 125.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

gen (zumindest nach vorübergehender Rückführung) in Höhe einer offenen Kreditlinie hat, oder ist das Darlehen noch nicht voll valutiert, so muss eine – gesetzlich nicht ausdrücklich geregelte – Vertragsübernahme erfolgen. Dafür ist eine dreiseitige Vereinbarung zwischen dem Veräußerer des notleidenden Darlehens, dem Erwerber und dem Kreditnehmer erforderlich. Da nicht selten die Zustimmung des Erwerbers erst eingeholt werden muss, nachdem sich der Veräußerer und der Erwerber bereits über die Transaktion einig geworden sind, wird regelmäßig die (stille) Unterbeteiligung der Vertragsübernahme vorgeschaltet. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann eine Vertragsübernahme für Darlehensverträge gemäß § 309 Nr. 10 BGB nur sehr eingeschränkt vorab vereinbart werden1. 2.433 Aber auch dann, wenn eine bloße Abtretung reicht, um das distressed asset vollständig auf den Investor zu übertragen, sind häufig noch Zustimmungen Dritter erforderlich. In der Praxis spielt dabei bei Unternehmenskrediten die Zustimmung der anderen Kreditgeber deshalb eine überaus wichtige Rolle, weil üblicherweise in der Krise des Schuldnerunternehmens die finanzierenden Kreditinstitute einen Sicherheitenpool bilden. Die vorherige Vereinbarung der bilateralen (stillen) Unterbeteiligung dient in dieser Konstellation auch der Überbrückung des Zeitraums, bis die Zustimmung der anderen Kreditinstitute eingeholt ist. Ebenso ergibt sich z.B. ein zu überbrückender Zeitraum, wenn Darlehen durch Buchgrundschulden besichert sind. Hier kann zwar die Darlehensforderung sofort abgetreten werden, die Rechte aus der Buchgrundschuld können aber im ersten Schritt zunächst nur treuhänderisch durch den Veräußerer für den Erwerber gehalten werden, bis auch die Übertragung der Buchgrundschuld auf den Erwerber durch Eintragung im Grundbuch vollzogen ist2. d) Wirksamkeit der Abtretung trotz Bankgeheimnis und Datenschutz 2.434 Der Handel mit notleidenden Krediten erzwingt häufig schon wegen § 18 KWG eine Einsichtnahme des Erwerbers in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers. Außerdem ist eine umfassende Unterrichtung des Erwerbers über die Bonität des Schuldners und die Qualität der gestellten Sicherheiten auch praktisch fast immer unerlässlich für die Transaktionen, da eine umfassender Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Darlehensnehmers durch den Erwerber Voraussetzung für die Investitionsentscheidung ist. Schließlich muss der Veräußerer spätestens nach Abtretung der notleidenden Kreditforderungen an den Erwerber diesem gemäß § 402 BGB als dem neuen Gläubiger die zur Geltendmachung der Forderung nötigen Auskünfte erteilen und ihm die zum Beweis der Forderung dienenden Urkunden, also z.B. den Darlehensvertrag und die Sicherheitenverträge, übergeben. 1 Zu dieser durch das Risikobegrenzungsgesetz 2008 neu eingeführten Regelung s. Köchling, ZIP 2008, 848, 851. 2 Zur Übertragung von Sicherungsgrundschulden beim Handel mit Non-Performing Loans Heemann/Grieser, Die Abtretung von Grundschulden beim Verkauf notleidender Kredite, Syndikus 2003, 22 ff.; Hofmann/Walter, Die Veräußerung notleidender Kredite – aktives Risikomanagement der Bank im Spannungsverhältnis zwischen Bankgeheimnis und Datenschutz, WM 2004, 1566, 1569 f.; Kristen/Kreppel, NPL-Transaktionen aus Sicht des Verkäufers – Risiken und Lösungsansätze, BKR 2005, 123, 126.

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Rolle der Kreditinstitute

2.436

Diese Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers steht 2.435 aber im Konflikt mit den Vertraulichkeitsverpflichtungen des Kreditgebers auf Grund des Bankgeheimnisses und der datenschutzrechtlichen Regelungen. Daher war in der Vergangenheit intensiv diskutiert worden, ob Bankgeheimnis und Bundesdatenschutzgesetz eine wirksame Abtretung notleidender Forderungen verhindern. Vereinzelt wurde dabei vertreten, dass die Abtretung notleidender Darlehensforderungen gemäß § 134 BGB wegen des damit zwangsläufig verbundenen Verstoßes gegen das Bankgeheimnis nichtig sei1. Nach anderer Auffassung sollten die Verschwiegenheitsverpflichtung des Kreditinstituts aus dem Bankgeheimnis oder auf Grund datenschutzrechtlicher Regelungen Grund eines stillschweigend vereinbarten Abtretungsverbotes sein, so dass eine Abtretung notleidender Darlehensforderungen gemäß §§ 399, 400 BGB unwirksam wäre2. Dazu hat aber der BGH in Fortsetzung seiner früheren Rechtsprechung3 entschie- 2.436 den, dass die Vertraulichkeitspflichten von Kreditinstituten aus dem Bankgeheimnis und nach datenschutzrechtlichen Regeln der wirksamen Abtretung von Darlehensforderungen nicht entgegenstehen4. Nach Auffassung des BGH verstößt die Abtretung nicht gegen ein gesetzliches Abtretungsverbot i.S. von § 134 BGB, da sich ein solches weder aus der (unanwendbaren) strafrechtlichen Vertraulichkeitsschutzregel des § 203 Abs. 2 Nr. 1 StGB5 noch aus dem Bankgeheimnis als Gewohnheitsrecht noch aus dem Bundesdatenschutzgesetz ergibt. Auch können Bankgeheimnis und Datenschutzregeln nicht so interpretiert werden, dass damit ein stillschweigend vereinbartes vertragliches Abtretungsverbot anzunehmen ist. Denn ein solcher Abtretungsausschluss widerspräche – für den Kunden erkennbar – den berechtigten Interessen des Kreditinstituts, das an einer freien Abtretbarkeit der Kreditforderungen zum Zwecke der Refinanzierung oder der Risiko- und Eigenkapitalentlastung interessiert ist. Diese Auffassung ist durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden, da Bankgeheimnis und Bundesdatenschutzgesetz auch im Lichte des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) der wirksamen Abtretung einer Darlehensforderung nicht entgegenstehen6. 1 So tendenziell OLG Frankfurt v. 25.5.2004 – 8 U 84/04, WM 2004, 1386, 1387 f. Andererseits hatte aber der BGH bereits 1982 eine Abtretung von Darlehensforderungen zu Beitreibungszwecken für wirksam gehalten, ohne allerdings die Problematik von Vertraulichkeitspflichten zu erörtern: BGH v. 13.5.1982 – III ZR 164/80, WM 1982, 839 ff. 2 So OLG Frankfurt v. 25.5.2004 – 8 U 84/04, WM 2004, 1386, 1387 f. Dagegen richtigerweise LG Frankfurt a.M. v. 17.12.2004 – 2/21 O 96/02, WM 2005, 1120 ff.; LG Koblenz v. 25.11.2004 – 3 O 496/03, ZIP 2005, 21, 22 ff.; Nobbe, Bankgeheimnis, Datenschutz und Abtretung von Darlehensforderungen, WM 2005, 1537, 1540 ff.; Kuder, Bankgeheimnis als Abtretungsverbot?, ZInsO 2004, 903, 904; Bruchner, Kein stillschweigender Abtretungsausschluss bei Bankforderungen, BKR 2004, 394, 395 f. 3 BGH v. 27.1.1998 – XI ZR 208/97. 4 BGH v. 27.2.2007 – XI ZR 195/05, BGHZ 171, 180 ff.; bestätigt durch BGH v. 5.7.2007 – IX ZB 166/06 (veröffentlicht in Juris). Dazu auch Nobbe, ZIP 2008, 97 ff.; Lieth, BKR 2007, 198 ff. Ebenso schon früher Nobbe, Bankgeheimnis, Datenschutz und Abtretung von Darlehensforderungen, WM 2005, 1537, 1545. Ablehnend Schwintowski/Schantz, NJW 2008, 472 ff. 5 Zur Situation bei öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten Schulz/Schröder, DZWIR 2008, 177 ff. 6 BVerfG v. 11.7.2007 – 1 BvR 1025/07, WM 2007, 1694 ff.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.437 Damit kann sich die Unwirksamkeit einer Abtretung nur aus einem für den Einzelfall vereinbarten vertraglichen Abtretungsverbot ergeben. Mit dem Risikobegrenzungsgesetz1 hat der Gesetzgeber § 354a HGB um einen Absatz 2 dahingehend ergänzt, dass auch im kaufmännischen Geschäftsverkehr vertragliche Abtretungsverbote ausnahmsweise Wirksamkeit entfalten, wenn sie Forderungen aus einem Darlehensvertrag betreffen, bei dem Kreditgeber ein Kreditinstitut i.S. des Kreditwesengesetzes ist2. Damit kann auch die GmbH als Kreditnehmerin mit ihrem Kreditinstitut wirksam ein vertragliches Abtretungsverbot vereinbaren. e) Verletzung des Bankgeheimnisses? 2.438 Ungeachtet der Wirksamkeit der Abtretung von Darlehensforderungen beim Distressed Debt-Trading kann aber auf schuldrechtlicher Ebene ein damit verbundener Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht des Kreditinstituts eine Schadensersatzpflicht wegen positiver Vertragsverletzung aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB auslösen3. Einigkeit besteht aber, dass das Bankgeheimnis nicht uneingeschränkt zur Vertraulichkeit des Kreditinstituts gegenüber jedermann und in jeder Situation verpflichtet, sondern dass die Vertraulichkeitsverpflichtung Grenzen hat, und zwar über die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Kreditgewerbes genannten Ausnahmen hinaus4. 2.439 Dazu gilt nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB insbesondere, dass derjenige nicht die Einhaltung vertraglicher Pflichten seines Vertragspartners verlangen darf, der selber vertragsuntreu geworden ist, weil sonst Rechtsmissbrauch vorläge5. Diese zutreffende Schranke für das Bankgeheimnis rechtfertigt eine Offenlegung zum Zwecke der Beitreibung fälliger Forderungen, zumindest nach Mahnung. Und da der Verkauf fälliger, nicht bezahlter Forderungen eine Form der Beitreibung ist, ergibt sich, dass die Veräußerung notleidender Kredite und die damit verbundene Offenlegung von Kundeninformationen zumindest dann ohne Verstoß gegen das Bankgeheimnis erfolgen kann, wenn eine echte Beitreibungssituation eingetreten ist, also der Darlehensnehmer insolvent geworden ist oder seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen, auch soweit die Fälligkeit durch berechtigte Kündigung herbeigeführt werden, nicht nachkommt. 2.440 Darüber hinaus erscheint es wegen der engen Verknüpfung der Vertraulichkeitspflichten aus Bankgeheimnis und Datenschutz richtig, den Rechtsgedanken des 1 Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz), BGBl. I 2008, 1666 ff. 2 Dazu und zu den weiteren Schutzvorschriften für Darlehensnehmer nach dem Risikobegrenzungsgesetz s. Köchling, Die Neuregelungen zur Kreditverkäufen im Risikobegrenzungsgesetz, ZInsO 2008, 848 ff. 3 BGH v. 27.2.2007 – XI ZR 195/05, BGHZ 171, 180 ff. 4 Für alle: Cahn, Bankgeheimnis und Forderungsverwertung, WM 2004, 2041, 2046. 5 Zur Interessenabwägung beim Handel mit notleidenden Krediten nach § 242 BGB auch Nobbe, Bankgeheimnis, Datenschutz und Abtretung von Darlehensforderungen, WM 2005, 1537, 1547; Kuder, Bankgeheimnis als Abtretungsverbot?, ZInsO 2004, 903; Kristen/Kreppel, NPL-Transaktionen aus Sicht des Verkäufers – Risiken und Lösungsansätze, BKR 2005, 123, 131; Klüwer/Meister, Forderungsabtretung und Bankgeheimnis, WM 2004, 1157, 1162.

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Rolle der Kreditinstitute

2.442

§ 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG als generelle Schranke für die datenschutzrechtliche Vertraulichkeit und das Bankgeheimnis anzusehen1. Entsprechend hat der BGH 1985 in seiner Entscheidung zur Schufa-Klausel erkennen lassen, dass die datenschutzrechtliche Interessenabwägung nach (damals) § 24 BDSG (jetzt § 28 BDSG) die Übermittlung von Informationen zum Kreditnehmer auch im Hinblick auf die Vertraulichkeitspflichten des Bankgeheimnisses rechtfertigen kann2. Gemäß § 28 BDSG ist die Übermittlung von Informationen, selbst wenn es sich um datenschutzrechtlich geschützte personenbezogene Daten handelt, dann und soweit zulässig, wie es zur Wahrung berechtigter Interessen der zur Vertraulichkeit verpflichteten Stelle erforderlich ist und schutzwürdige Interessen des Betroffenen an der Wahrung der Vertraulichkeit nicht überwiegen. Nimmt man diese Interessenabwägung bei der Veräußerung verschiedener Kategorien notleidender Kredite vor, so kann festgestellt werden, dass vielfach eine Offenlegung von Informationen über das Darlehensverhältnis und den Kreditnehmer an den Erwerber ohne Verstoß gegen die Vertraulichkeitspflichten aus dem Bankgeheimnis und den datenschutzrechtlichen Regelungen möglich ist. aa) Darlehensforderungen gegen insolvente Kreditnehmer Hat der Kreditnehmer selbst einen Insolvenzantrag gestellt oder steht die mate- 2.441 rielle Insolvenz des Kreditnehmers nach einem Drittantrag auf Grund Verfahrenseröffnung oder Ablehnung mangels Masse fest, so kann der Kreditgeber Erwerbsinteressenten Informationen über das Darlehensverhältnis ohne Verstoß gegen Vertraulichkeitspflichten aus Bankgeheimnis und Datenschutz offenbaren und die (Insolvenz-)Forderungen aus dem Darlehensverhältnis rechtmäßig veräußern. Denn mit der Insolvenz steht fest, dass der Kreditnehmer seine Forderungen nicht mehr selbst vollumfänglich bedienen wird, so dass der Kreditgeber ein berechtigtes Interesse an der bestmöglichen Beitreibung seiner Forderung hat, soweit dies noch möglich ist. Andererseits sind spätestens mit Einleitung des Insolvenzverfahrens keine schutzwürdigen Interessen des Kreditnehmers an der Wahrung der Vertraulichkeit zu erkennen. Denn in einem Insolvenzverfahren werden ohnehin die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers öffentlich, und der Kreditgeber muss ohne Veräußerung seiner Darlehensforderungen jedenfalls diese zur öffentlichen Tabelle anmelden. bb) Darlehensforderungen nach Kündigung oder bei Nichtzahlung trotz Fälligkeit Eine vergleichbare Interessenabwägung rechtfertigt die Offenlegung von Informa- 2.442 tionen zum Darlehensverhältnis und zum Darlehensnehmer auch dann, wenn der Kreditnehmer mit seinen Zahlungsverpflichtungen aus dem Darlehen in Verzug ist, sei es nach Kündigung oder nach vertragsgemäßer Fälligkeit3. Denn einerseits hat das Kreditinstitut in einem solchen Fall ein berechtigtes Interesse daran, alle 1 Ebenso Schulz/Schröder, DZWIR 2008, 177. Kritisch Nobbe, Bankgeheimnis, Datenschutz und Abtretung von Darlehensforderungen, WM 2005, 1537, 1546. 2 BGH v. 19.9.1985 – III ZR 213/83, WM 1985, 1305 ff. 3 OLG Celle v. 10.9.2003 – 3 U 137/03, WM 2004, 1384, 1385; LG Mainz v. 24.6.2003 – 3 S 42/03, Rz. 11.

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2.443

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

Maßnahmen zur Durchsetzung der fälligen Forderung zu ergreifen – und die Veräußerung gegen Entgelt stellt der Sache nach eine solche Form der Beitreibung dar. Andererseits könnte das Kreditinstitut nach Verzug des Darlehensnehmers seine Forderung auch durch eine Klage beitreiben, wozu eine Offenlegung der maßgeblichen Informationen im öffentlichen Gerichtsverfahren notwendig wäre. Schon aus diesem Gesichtspunkt fehlt für den Kreditnehmer ein schutzwürdiges Interesse an der Wahrung von Vertraulichkeit seiner Informationen1. Darüber hinaus kann das Interesse des Darlehensnehmers in diesen Fällen auch deshalb nicht vollumfänglich als schutzwürdig angesehen werden, weil der Darlehensnehmer sich mit Nichtzahlung trotz Fälligkeit selbst nicht vertragsgerecht verhält2. Entsprechend hatte der BGH bereits 1982 die Abtretung einer fälligen Darlehensforderung zu Beitreibungszwecken für wirksam gehalten, ohne allerdings die Problematik von Vertraulichkeitspflichten zu erörtern3. cc) Darlehensforderungen bei Kündbarkeit wegen Zahlungsverzug oder wesentlicher Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse 2.443 Eine Abtretung mit Offenlegung von Informationen zum Darlehensnehmer kann ohne Verstoß gegen Vertraulichkeitspflichten auch dann erfolgen, wenn das Darlehensverhältnis noch nicht gekündigt worden ist, sondern „nur“ eine Kündbarkeit vorliegt, weil der Darlehensnehmer einzelne Zahlungen nicht geleistet hat oder eine wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Darlehensnehmers eingetreten ist, die eine Kündigung rechtfertigen4. Denn die tatsächliche Kündigung und Gesamtfälligstellung würde regelmäßig zu einer Wertminderung der Darlehensforderung führen, da zumindest juristische Personen und die gleichgestellten Personengesellschaften wegen Zahlungsunfähigkeit nach Kündigung gezwungen sein können, Insolvenzantrag zu stellen und die Insolvenz nahezu ausnahmslos zu einer Vernichtung von Werten beim Darlehensnehmer führt. Deshalb nimmt ein Kreditinstitut berechtigte Interessen wahr, wenn es in diesen Fällen statt der Kündigung die notleidende Darlehensforderung unter Offenlegung von Informationen veräußert. Und schutzwürdige Interessen des Darlehensnehmers stehen dem nicht entgegen, da einerseits ja spätestens nach der Kündigung zur gerichtlichen Beitreibung oder im Insolvenzverfahren die Informationen ohnehin offenbar würden. Andererseits erscheint in einer solchen Situation die Veräußerung der notleidenden Forderung auch für den Dar1 Im Ergebnis ebenso Krepold in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 39 Rz. 60 ff.; Nobbe, Bankgeheimnis, Datenschutz und Abtretung von Darlehensforderungen, WM 2005, 1537, 1547; Bomhard/Kessler/Dettmeier, Wirtschafts- und steuerrechtliche Gestaltungsfragen bei der Ausplatzierung Not leidender Immobilienkredite, BB 2004, 2085, 2086. 2 LG Frankfurt/M v. 17.12.2004 – 2/21 O 96/02, WM 2005, 1120, 1123. 3 BGH v. 13.5.1982 – III ZR 164/80, WM 1982, 839 ff. 4 Im Ergebnis ebenso Nobbe, Bankgeheimnis, Datenschutz und Abtretung von Darlehensforderungen, WM 2005, 1537, 1547, der allerdings bei Kündbarkeit wegen wesentlicher Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse vor Weitergabe zumindest personenbezogener Daten ein Fristsetzung zur Nachbesicherung und damit Abwendung der Kündbarkeit fordert. Enger Bomhard/Kessler/Dettmeier, Wirtschafts- und steuerrechtliche Gestaltungsfragen bei der Ausplatzierung Not leidender Immobilienkredite, BB 2004, 2085, 2086.

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Rolle der Kreditinstitute

2.446

lehensnehmer häufig als das mildere Mittel gegenüber einer Kündigung, weil damit u.U. die Insolvenz vermieden werden kann, sofern der Erwerber bereit ist, das Darlehensverhältnis ohne Kündigung fortzusetzen1. dd) Sonstige Darlehensforderungen Sonstige Darlehensforderungen können übertragen werden, wenn das Kreditinsti- 2.444 tut und der Kreditnehmer die Abtretung mit Weitergabe von Informationen in den Vertragsbedingungen ausdrücklich vereinbart haben2. 5. Poolen von Sicherheiten a) Konzept des Sanierungsbeitrags In einem Sicherheitenpoolvertrag schließen sich Kreditinstitute (oder andere 2.445 Gläubiger, zumeist Warenlieferanten) zusammen, um mit Einverständnis des Kreditnehmers Sicherheiten zu poolen, um also die Gesamtheit der einbezogenen Sicherheiten (Sicherheitenpool) quotal zur Sicherung aller einbezogenen Kreditforderungen zu nutzen, ohne dass es darauf ankommen soll, welche Sicherheit für welches Kreditinstitut bestellt ist3. Dabei können neben bereits bestellten auch bei Abschluss des Sicherheitenpoolvertrags neu bestellte oder künftige Sicherheiten in den Poolvertrag einbezogen sein, und der Sicherheitenpoolvertrag kann außer bereits vereinbarten auch zusätzliche, neu zu gewährende Kredite besichern. Sicherheitenpoolverträge zwischen und mit Kreditinstituten werden meist in 2.446 einer der beiden folgenden Situationen abgeschlossen: – Hat ein Unternehmen einen außergewöhnlich großen Kreditbedarf, etwa für Investitionszwecke, so werden üblicherweise solche Kredite syndiziert beziehungsweise als Konsortialkredit zur Verfügung gestellt, d.h. in Teilbeträgen von mehreren Kreditinstituten gewährt, um damit für jedes beteiligte Kreditinstitut das Kreditrisiko zu verringern4. Bei einer solchen Kreditsyndizierung wird zur Vereinfachung der Verwaltung und ggf. der Verwertung der Sicherheiten häufig in einem Sicherheitenpoolvertrag („Finanzierungspoolvertrag“) vereinbart, dass die für den Gesamtkredit bestellten Sicherheiten allen beteiligten 1 Zu diesem Aspekt auch Hofmann/Walter, Die Veräußerung notleidender Kredite – aktives Risikomanagement der Bank im Spannungsverhältnis zwischen Bankgeheimnis und Datenschutz, WM 2004, 1566, 1573. 2 Dazu, insbesondere auch zur AGB-rechtlichen Zulässigkeit, s. Hofmann, BKR 2008, 241 ff. 3 Zum Sicherheitenpoolvertrag auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.180 ff.; Martinek in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 97 Rz. 1 ff.; Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/284a ff.; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2003, 142; Wenzel, WM 1996, 561; Serick, KTS 1989, 743. Aus der Rechtsprechung zur grds. Zulässigkeit des Sicherheitenpoolvertrags BGH v. 2.6.2005 – IX ZR 181/03, ZInsO 2005, 932; BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, WM 1998, 968 = GmbHR 1998, 935; BGH v. 3.11.1988 – IX ZR 213/87, WM 1988, 1784. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.181; Wenzel/Gratias in Hellner/ Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/284c.

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2.447

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

Kreditgebern wirtschaftlich gleichrangig haften sollen, aber technisch nur einem einzigen Kreditinstitut, dem Poolführer oder Sicherheitentreuhänder („Collateral Agent“), bestellt werden, das die Poolsicherheiten für die übrigen Kreditgeber treuhänderisch mitverwaltet1. – Daneben werden Sicherheitenpoolverträge für Unternehmen zwischen den finanzierenden Kreditinstitute häufig dann abgeschlossen, wenn sich in den wirtschaftlichen Verhältnissen des Kreditnehmers eine Krise abzeichnet (Sanierungspoolvertrag). 2.447 Der Sanierungspoolvertrag stellt einen Beitrag zur Sanierung des Unternehmens dar, weil er zur Aufrechterhaltung bestehender Kredite beiträgt und die Grundlage für die Ausreichung neuer Kredite in der Krise schaffen kann2. Dies wird mit dem Sicherheitenpoolvertrag zum einen deshalb erreicht, weil er tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der verschiedenen Sicherheiten (z.B. Sicherungsübereignungen, Eigentumsvorbehalte) zwischen den Kreditinstituten beseitigt, für die Kreditinstitute damit die Durchsetzung und Verwertung der Sicherheiten erleichtert und so das Vertrauen der Kreditinstitute stärkt, dass bestehende und neue Kredite auf der Grundlage wirksamer und ggf. durchsetzbarer Sicherheiten ausgereicht sind. Zum anderen hat der Sicherheitenpoolvertrag den Vorteil, dass nicht jedes Kreditinstitut gesondert den üblichen Abschlag in der Sicherheitenbewertung vornimmt und daran die Höhe seiner Kreditlinie bemisst. Damit erhöht sich der Beleihungswert vorhandener Sicherheiten, der dann als Grundlage zusätzlicher Kredite dienen kann. Schließlich erlaubt es der Sicherheitenpoolvertrag problemlos, freie Spitzen des Beleihungswerts einzelner Sicherheiten, die sonst nur sehr schwierig als Kreditgrundlage für zusätzliche Kredite mobilisiert werden könnten, z.B. durch nachrangige Verpfändung, unkompliziert zur Besicherung einer weiteren Finanzierung heranzuziehen. Der Sicherheitenpoolvertrag führt so durch die gleichrangige Teilhabe aller beteiligten Kreditinstitute an den gepoolten Sicherheiten dazu, dass das Unternehmen in der Krise alle bestehenden Möglichkeiten zur Mittelbeschaffung ausschöpfen und eine optimale Nutzung seiner Kreditsicherheiten erreichen kann3. b) Inhalt des Sicherheitenpoolvertrags4 2.448 Ausgangspunkt und Grundlage der im Sicherheitenpoolvertrag getroffenen Regelungen ist die Bezeichnung der einbezogenen Kreditforderungen mit den jeweiligen Kreditgebern sowie der einbezogenen Kreditsicherheiten. Dabei kann sich der Sicherheitenpoolvertrag als Sanierungsbeitrag sowohl nur auf bereits gewährte Kredite und bestellte Kreditsicherheiten beziehen als auch die Ausreichung neu1 Martinek in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 97 Rz. 4; Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/284c; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.181. 2 Dazu auch Martinek in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 97 Rz. 8 ff. 3 Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/284c. 4 Zu den typischen Vertragsinhalten auch Martinek in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 97 Rz. 12 ff. Muster für Sicherheitenpoolverträge bei Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/287; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.192.

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Kuder/Unverdorben

Rolle der Kreditinstitute

2.451

er, zusätzlicher Kredite oder die Bestellung neuer, zusätzlicher Kreditsicherheiten vorsehen. Kennzeichen gerade des Sanierungspoolvertrages ist die Verpflichtung der Kreditinstitute untereinander, sämtliche einbezogenen Kredite zu gewähren, für die Dauer des Sicherheitenpoolvertrags aufrechtzuerhalten und Reduzierungen oder Streichungen der Kredite nur im gegenseitigen Einvernehmen vorzunehmen. Damit leistet der Sanierungspoolvertrag unmittelbar einen wesentlichen Beitrag zur Rettung des Unternehmens, indem er die Kreditversorgung sicherstellt. Denn regelmäßig kann die Sanierung angeschlagener Unternehmen nur gelingen, wenn alle wesentlichen Kreditgeber sich in ihrem Sanierungswillen einig sind und die Rettung gemeinsam versuchen1. Grundsätzliche und wichtigste Regelung des Sicherheitenpoolvertrags ist die 2.449 Festlegung und Erweiterung des Sicherungszwecks für alle einbezogenen Kreditsicherheiten. Dazu sieht der Sicherheitenpoolvertrag vor, dass sämtliche im Poolvertrag genannten, nicht-akzessorischen Sicherheiten zur Besicherung sämtlicher genannter, in den Poolvertrag einbezogenen Kredite der beteiligten Kreditinstitute dienen, unabhängig davon, welchem Kreditinstitut diese Kreditsicherheiten bestellt worden sind. Sollen auch akzessorische Sicherheiten, z.B. Pfandrechte an laufenden Kontoguthaben, einbezogen sein, müssen diese entweder zusätzlich zu Gunsten aller beteiligten Kreditinstitute neu vereinbart werden, damit gesicherte Forderung und Berechtigung aus dem jeweiligen Sicherungsvertrag in der Person des gesicherten Gläubigers zusammenfallen, oder, auch wenn dies in der Praxis weniger gebräuchlich ist, die Kreditforderungen der ungesicherten Gläubiger könnten an den durch ein akzessorisches Sicherungsrecht gesicherten Gläubiger bzw. Poolführer abgetreten werden; üblicher ist inzwischen allerdings die Vereinbarung einer sog. Parallel Debt, d.h. eines abstrakten Schuldversprechens gegenüber dem Sicherheitentreuhänder, für das die dem Sicherheitentreuhänder bestellten akzessorischen Sicherheiten haften2. Den zweiten wesentlichen Kernbestandteil des Sicherheitenpoolvertrags bilden 2.450 Regelungen, die dafür sorgen, dass die beteiligten Kreditinstitute quotal gleichmäßig im Verhältnis ihrer einbezogenen Kredite durch die Poolsicherheiten besichert sind. Dazu sehen Poolverträge im ersten Schritt vor, dass der Kreditnehmer möglichst alle einbezogenen Kredite gleichmäßig quotal bei den Kreditinstituten in Anspruch nehmen soll. Im Verwertungsfall erfolgt darüber hinaus ein Saldenausgleich, bei dem die Kreditinstitute untereinander im Auftrag des Kreditnehmers ihre Kreditforderungen so übertragen, dass bei sämtlichen Kreditinstituten die Kreditinanspruchnahme im Verhältnis der einbezogenen Kredite steht. Im zweiten Schritt erfolgte dann im Verwertungsfall eine Verteilung des Erlöses aus der Verwertung der Sicherheiten an die Kreditinstitute gleichrangig im Verhältnis der Kreditinanspruchnahmen nach Saldenausgleich. Daneben finden sich zahlreiche mehr technische Regelungen, zum Beispiel zur 2.451 Verwaltung und Verwertung der Sicherheiten durch ein als Poolführer benanntes Kreditinstitut, zu den Kosten und Steuern, zur Information der beteiligten Kredit1 Berner, KTS 2006, 359; Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/284b. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.202; zur Parallel Debt Hoffmann, WM 2009, 1492; Danielewsky/Dettmar, WM 2008, 713.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

institute untereinander, zu Befristung und Kündigung sowie zu Gerichtsstand und anzuwendendem Recht1. 2.452 Der Sicherheitenpoolvertrag wird üblicherweise abgeschlossen zwischen den finanzierenden Kreditinstituten. Sie bilden eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts2. Der Kreditnehmer unterzeichnet regelmäßig ebenfalls den Sicherheitenpoolvertrag, seine Unterschrift führt aber nicht zu seinem Eintritt als Poolmitglied, sondern dient nur der Bekundung seines Einverständnisses mit denjenigen Vertragsänderungen, die mit dem Abschluss eines Sicherheitenpoolvertrags zwangsläufig verbunden sind, also insbesondere für die Erweiterung des Sicherungszwecks auf alle Poolkredite3. c) Bestandskraft des Sicherheitenpoolvertrags bei Insolvenz des Kreditnehmers 2.453 Die Vereinbarung des Sicherheitenpoolvertrags und der Saldenausgleich verstoßen nicht gegen das Verbot des „Unter-Deckung-Nehmen“ von ungesicherten Forderungen. Grundsätzlich steht zwar der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB Konstruktionen entgegen, bei denen sich ein gesicherter Gläubiger mit einer wertmäßig nicht ausgeschöpften Sicherheit die Forderungen eines ungesicherten Gläubigers abtreten lässt, um sie unter die Deckung der Sicherheiten zu nehmen4. Mit dem Abschluss des Sicherheitenpoolvertrags wird aber zum einen durch den Kreditnehmer der Sicherungszweck der Kreditsicherheiten gerade zu Gunsten aller beteiligten Kreditinstitute erweitert, so dass keine ungesicherten Forderungen bestehen. Eine solche Aufnahme von Ansprüchen dritter, bisher ungesicherter Gläubiger in den Sicherungszweck einer nicht-akzessorischen Sicherheit ist aber rechtlich möglich und allenfalls anfechtbar5. Zum anderen stellen mit der wirksamen Erweiterung des Sicherungszwecks alle am Pool beteiligten Kreditinstitute einen Gesamtkredit zur Verfügung, den der Schuldner durch die gestellten Sicherheiten insgesamt absichert. Beim Saldenausgleich wird deshalb lediglich eine gesicherte (Teil-)Forderung gegen eine andere gesicherte (Teil-)Forderung getauscht, und trotz Saldenausgleich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden die Poolsicherheiten nicht in einem höheren Ausmaß in Anspruch genommen, als dies ohne Saldenausgleich der Fall wäre6. 2.454 Die Bildung des Sicherheitenpools kann in der Insolvenz des Kreditnehmers anfechtbar nach §§ 129 ff. InsO sein, sofern damit andere, nicht beteiligte Gläubiger benachteiligt werden. Eine solche Benachteiligung liegt vor, wenn die in den Pool 1 Muster für Sicherheitenpoolverträge bei Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/287. 2 Ausführlich zu dieser h.M. Martinek in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHandbuch, 4. Aufl. 2011, § 97 Rz. 17 f.; Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/284d. So auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.195. A.A. (Gemeinschaft) Stürner, ZZP 94 (1981), 263, 275 f. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.195. 4 BGH v. 20.3.1991 – IV ZR 50/90, WM 1991, 846; BGH v. 31.1.1983 – II ZR 24/82, WM 1983, 537; BGH v. 27.2.1981 – V ZR 48/80, WM 1981, 518. Dazu auch Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/199 f. 5 BGH v. 21.2.2008 – IX ZR 255/06, WM 2008, 602. 6 Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/285l; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.230 ff.

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Kuder/Unverdorben

Rolle der Kreditinstitute

2.456

eingebrachten Sicherungsrechte im Falle ihrer individuellen Geltendmachung deshalb nicht durchsetzbar gewesen wären, weil es bis zur Einbringung in den Pool an den rechtlichen Voraussetzungen fehlte, unter denen sie als genügend bestimmbar angesehen werden konnten. Denn dann führt erst die Poolbildung, die die mangelnde Bestimmtheit beseitigt, zum Übergang des Sicherungsgutes von dem Kreditnehmer auf die im Pool zusammengeschlossenen Kreditgeber. Ebenso ist eine Benachteiligung anderer Gläubiger gegeben, wenn durch den Poolvertrag teilweise ungesicherte Forderungen einerseits mit nicht voll valutierten Sicherungsrechten andererseits verknüpft werden. Denn die Poolbildung unter Zustimmung des Kreditnehmers führt zu dessen Verzicht auf seinen schuldrechtlichen Anspruch, im Fall der Befriedigung eines der beteiligten Kreditinstitute von diesem die Rückgabe der gewährten Sicherheiten zu verlangen. Unanfechtbar bleibt dagegen eine bloße Beseitigung von Beweisproblemen, die sich ohne Poolvertrag ergeben könnten, weil unklar ist, für welches der finanzierenden Kreditinstitute die Sicherheit bestellt war. Darin liegt keine Benachteiligung anderer Gläubiger i.S. von § 129 InsO, da es lediglich zu einem Gleichlauf der materiellen Rechtslage mit der prozessualen Durchsetzbarkeit kommt1. Neben der Anfechtung der Poolbildung kommt auch die Anfechtung solcher Si- 2.455 cherheiten in Betracht, die bei Abschluss des Poolvertrages neu bestellt werden2. Voraussetzung der Insolvenzanfechtung des Sicherheitenpoolvertrags oder der einzelnen Sicherheit ist aber immer, dass auch die weiteren Umstände des jeweiligen Anfechtungstatbestands vorliegen, also zum Beispiel der Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung beim Kreditnehmer für die Anfechtung nach § 133 InsO. Maßgeblicher Zeitpunkt ist insoweit der Abschluss des Sicherheitenpoolvertrags bzw. die Bestellung der einzelnen Sicherheit. Im Übrigen wird die Anfechtung nicht schon nach § 142 InsO wegen des Vorliegens eines Bargeschäfts ausgeschlossen, falls mit dem Sicherheitenpoolvertrag auch die Gewährung neuer Kredite vereinbart wird. Denn wenn der Sicherheitenpoolvertrag gleichrangig auch die Erweiterung des Sicherungszwecks für alle einbezogenen Kreditsicherheiten auf die bereits gewährten Kredite vorsieht, handelt es sich um ein insgesamt inkongruentes, in vollem Umfang anfechtbares Deckungsgeschäft, wenn nicht festgestellt werden kann, ob und in welchem Umfang sich die Sicherungen auf bestimmte Ansprüche beziehen. Anders ist dagegen die Rechtshandlung zu beurteilen, sofern die Sicherheit vorrangig die Forderung aus den im Gegenzug neu gewährten Krediten abdecken soll3, was deshalb in der Praxis so vorgesehen wird. Im Hinblick auf die Anfechtbarkeit der Verrechnung von Zahlungseingängen auf 2.456 Sicherheiten eines Poolpartners gilt folgendes: Geht der Zahlungseingang auf dem Konto der GmbH bei der Poolbank ein, der auch die Forderung, auf die die Zahlung geleistet wird, zur Sicherung abgetreten ist (meist die Poolführerin), ist die Verrechnung des Zahlungseingangs mit Forderungen dieser Poolbank stets unanfechtbar. Insofern handelt es sich nämlich um einen unanfechtbaren Sicherheitentausch4. Die abgetretene Forderung erlischt auf Grund der Erfüllung durch 1 Obermüller in FS Lüer, 2008, S. 415, 420 f. 2 Zu einem solchen Fall BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, WM 1998, 968 = GmbHR 1998, 935. 3 BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, WM 1993, 270. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.245.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

die Zahlung; die Poolbank erwirbt aber gleichzeitig gemäß Nr. 14 AGB Banken ein Pfandrecht an dem Anspruch der GmbH auf und aus Gutschrift des Zahlungseingangs. 2.457 Erfolgt der Zahlungseingang aber nicht bei der Poolführerin, der die Forderung abgetreten ist, ist nach der Rechtsprechung des BGH die Verrechnung des Zahlungseingangs als inkongruente Deckung anfechtbar, obwohl auch die Forderungen der kontoführenden Bank auf Grund der Sicherungszweckvereinbarung im Sicherheitenpoolvertrag durch diese Forderung besichert sein sollen1. Zur Begründung führt der BGH an, dass durch die Erweiterung des Sicherungszwecks den anderen Poolpartnern keine dingliche Mitberechtigung an der angetretenen Forderung zukommen kann. Aus diesem Grund kommt es zu keinem unanfechtbaren Sicherheitentausch, da zum einem die an die Poolführerin abgetretene Forderung erlischt, zum anderen aber die kontoführende Bank ein (als inkongruente Deckung anfechtbares) Pfandrecht an dem Anspruch auf und aus Gutschrift erwirbt. 2.458 Ein die Gläubigerbenachteiligung ausschließender Sicherheitentausch kommt aber gleichwohl zustande, wenn der Poolführerin im Sicherheitenpoolvertrag der Anspruch auf und aus Gutschrift des Zahlungseingangs bei der kontoführenden Bank, der auf eine der Poolführerin abgetretene Forderung erfolgt, abgetreten oder verpfändet wurde. Dann entsteht nämlich wieder eine Kette unanfechtbarer Sicherungsrechte: Die an die Poolführerin abgetretene Forderung erlischt durch den Zahlungseingang bei der kontoführenden Bank; gleichzeitig erwirbt aber die Poolführerin durch die Abtretung oder Verpfändung des Anspruchs auf und aus der Gutschrift ein Recht an dem Zahlungseingang2. Aus diesem Grund sehen die Muster für Sicherheitenpoolverträge eine entsprechende Bestimmung vor, durch die der Bank, der die Forderungen durch eine Globalzession dinglich abgetreten sind, auch die Ansprüche auf und aus Gutschriften abgetreten werden, soweit diese auf Zahlungseingänge auf die abgetretenen Forderungen erfolgen3. Für die Anfechtung kommt es damit auf den Zeitpunkt des Entstehens und Werthaltigmachens der Forderung an. Im Übrigen erfüllt nach dem Globalzessionsurteil des BGH4 ein Globalzessionsvertrag auch hinsichtlich der künftigen, im Zeitpunkt des Abschlusses des Globalzessionsvertrags noch nicht individualisierbaren, Forderungen die Voraussetzungen einer kongruenten Deckung. 2.459–2.500

vacat

IV. Finanzierungshilfen der öffentlichen Hand (Beihilfen) 2.501 Gerät eine GmbH in die Krise, greift der Staat nicht selten direkt oder indirekt ein, um die Krisensituation abzuwenden oder die Insolvenz zu verhindern5. Mit den 1 BGH v. 2.6.2005 – IX ZR 181/03, ZInsO 2005, 932. 2 Ganter, NZI 2009, 265; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.248. 3 Vgl. § 2 Abs. 1 des bei Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.192, abgedruckten Mustervertrages. 4 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, ZInsO 2008, 91. 5 Im Jahr 2012 vergaben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union insgesamt (jedoch ohne Hilfen für den Eisenbahn- und den Finanzsektor, sog. „Krisenbeihilfen“) 67 Mrd. Euro an Beihilfen; davon entfielen auf Deutschland annähernd 12 Mrd. Euro an Sub-

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Kuder/Unverdorben und Vallender

Finanzierungshilfen der öffentlichen Hand

2.503

Beihilfen staatlicher Stellen können erhebliche wettbewerbsverzerrende Implikationen verbunden sein, weil sie den Beihilfeempfängern Vorteile bringen, die den Konkurrenten nicht zuteil werden1. Die Unterstützung von Sanierungsbemühungen existenzbedrohter Unternehmen durch die öffentliche Hand in Form von Subventionen bzw. Beihilfen kommt indes nur in Betracht, wenn Unternehmen, Gesellschafter und Gläubiger zuvor alle Möglichkeiten zur Sanierung voll ausgeschöpft haben. Die staatliche Hilfe stellt den Ausnahmefall dar und wird nur unter engen Voraus- 2.502 setzungen gewährt2. Nur bei Vorliegen eines überzeugenden Sanierungskonzepts besteht die Möglichkeit der Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GA), die allerdings nicht in allen Bundesländern zur Verfügung steht. Darüber hinaus können Investitionshilfen über die im Juli 2003 aus der Fusion der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und der Deutschen Ausgleichsbank (DStA) hervorgegangenen KfW-Mittelstandsbank in Anspruch genommen werden. Auch die Übernahme von Bürgschaften durch die öffentliche Hand ist eine Form der Finanzierungshilfe. Sie setzt indes voraus, dass für die GmbH ein Sanierungskonzept besteht, nach dem das Unternehmen über ausreichend Haftkapital verfügt, und ein Kreditinstitut zur Kreditvergabe bereit ist3. 1. Subventionen und Beihilfen Nach herrschender Auffassung in der Literatur4 sind unter Subventionen5 ver- 2.503 mögenswerte Zuwendungen zu verstehen, die ein Träger öffentlicher Verwaltung einer Privatperson ohne eine entsprechende Gegenleistung gewährt, um durch deren Verhalten einen im öffentlichen Interesse liegenden Zweck zu fördern, ohne dass hierfür eine marktmäßige Gegenleistung erfolgt. Beihilfen im europarechtlichen Sinne6 gehen über den Subventionsbegriff des nationalen Rechts

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ventionen und Zuwendungen (Quelle: Statistik „Non-crisis state aid, excluding railways – million EUR“ von Eurostat). Ursächlich dafür ist vor allem der Umstand, dass es den Mitgliedstaaten der EU immer mehr verwehrt ist, die heimische Wirtschaft vor Konkurrenz aus dem europäischen Ausland durch Zölle und andere Handelshemmnisse zu schützen. Stattdessen fördern die Mitgliedstaaten inländische Unternehmen durch Beihilfen, meistens mit der Intention, Arbeitsplätze zu erhalten. Nationale Begünstigungen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens sind grundsätzlich beihilferechtskonform, es sei denn, dass der Staat das spezielle Regime des Insolvenzverfahrens nutzt, um ein Unternehmen über längere Zeit rechtsmissbräuchlich, insbesondere zu Lasten der Neugläubiger lebensfähig zu erhalten (vgl. EuGH v. 12.10. 2000 – C-480/08 [„Megafesa“], ZIP 2000, 1938; Wessely, EWiR 2000, 425 ff.). Picot/Aleth in Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, VIII Rz. 110. Näher zu Bürgschaften der öffentlichen Hand s. Ausführungen Rz. 2.504, 2.517 f. Vgl. R. Schmidt, Wirtschaftspolitik, Wirtschaftsverwaltungsorganisation, Wirtschaftsförderung, in Achterberg/Püttner/Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht Band I, 2. Aufl. 2000, S. 3 ff. Rz. 149; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011. Zum Subventionsbetrug s. LG Saarbrücken v. 14.1.2014 – 2 KLs 23/13. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt die Qualifizierung als „Beihilfe“ i.S. von Art. 107 Abs. 1 AEUV, dass alle in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen erfüllt sind (Urteil Kommission/Deutsche Post, C-399/08 P, EU:C:2010:481, Rz. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung). Als Beihilfen gelten

Vallender

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2.504

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

hinaus1. Sie umfassen – anders als der Subventionsbegriff des nationalen Wirtschaftsverwaltungsrechts – neben positiven Zuwendungen (direkten Subventionen, Leistungssubventionen), Realförderungen und den staatlichen Verzicht auf vom Beihilfenbegünstigten geschuldete Leistungen, wie etwa Abgaben (indirekte Subventionen, Verschonungssubventionen)2. Als Empfänger einer Beihilfe kommen auch öffentliche Unternehmen in Betracht3. 2. Formen der Beihilfe zur Unternehmensfinanzierung 2.504 Beihilfen zur Unternehmensfinanzierung können zu unterschiedlichen Zwecken und in unterschiedlichen Formen gewährt werden. Zu unterscheiden sind Erhaltungsbeihilfen, Anpassungsbeihilfen, Produktivitätshilfen und sonstige Hilfen4. Die staatliche Hilfe kann wiederum in verschiedenen Vergabeformen erfolgen. Bei der Leistungssubvention5 gewährt die staatliche Stelle verlorene Zuschüsse als Finanzhilfen, Prämien, Zinszuschüsse, Kreditzuschüsse, Spenden oder Investitionszuschüsse oder in Form von Darlehen. Im Falle einer indirekten Subventionsfinanzierung, die auch als Verschonungs- oder Belastungssubvention bezeichnet wird6, fehlt es an einem Mittelzufluss. Bei dieser Finanzierungshilfe werden Finanzmittel dadurch erspart, dass eine Steuer- oder Abgabenreduzierung gewährt wird oder eine Realförderung erfolgt durch verbilligten oder kostenlosen Bezug von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen oder durch Bevorzugung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, durch staatliche Marktregulierung oder die Übernahme von Garantien und Bürgschaften für die Gewährung von Sanierungskrediten durch Kreditinstitute7. Kommunen und Zweckverbände benötigen für die Übernahme einer Bürgschaft eine Genehmigung der Kommunalaufsichtsbehörde; die noch nicht genehmigte Bürgschaft ist schwebend unwirksam8. Die eine Beihilfe gewährende Stelle kann das Beihilfeverhältnis dem öffentlichen oder dem privaten

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namentlich Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat, und die somit zwar keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen (Urteil Bouygues und Bouygues Télécom/Kommission u.a. und Kommission/ Frankreich u.a., C-399/10 P und C-401/10 P, EU:C:2013:175, Rz. 101 und Ministerio de Defensa Navantia SA/Cencollo de Ferrol, C-522/13, Rz. 22). Nach wie vor offen ist, ob die Begrenzung des Verlustvortrags gemäß § 8c KStG („Sanierungsklausel“) gegen EU-Beihilferecht verstößt; s. dazu EuGH v. 3.7.2014 – C-102/13P; Vorinstanz: EuG v. 18.12.2012 – T-205/11; Kommission Beschl. v. 25.1.2011, ABl. Nr. L 235 v. 10.9.2011, S. 26 ff. Schluck-Amend, Die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen in ihren Auswirkungen auf das nationale Gesellschafts- und Insolvenzrecht, 2004, S. 65. Schluck-Amend, Die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen in ihren Auswirkungen auf das nationale Gesellschafts- und Insolvenzrecht, 2004, S. 65 m.w.N. Haverkate in R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht Besonderer Teil I, 2. Aufl. 2007, S. 331 ff. § 4 Rz. 4.9. Schluck-Amend, Die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen in ihren Auswirkungen auf das nationale Gesellschafts- und Insolvenzrecht, 2004, S. 66. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 18. Aufl. 2014, § 31 III. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 18. Aufl. 2014, § 31 III. Schluck-Amend, Die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen in ihren Auswirkungen auf das nationale Gesellschafts- und Insolvenzrecht, 2004, S. 66. BGH v. 10.6.1999 – IX ZR 409/97, BGHZ 142, 51 = ZIP 1999, 1346.

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Finanzierungshilfen der öffentlichen Hand

2.506

Recht unterstellen1. Möglich ist aber auch ein gemischt öffentlich-privatrechtliches Beihilfeverhältnis. Erfolgt die Beihilfegewährung durch direkte Subventionierung (verlorener Zuschuss), kommt die Bewilligung in Form eines Verwaltungsaktes in Betracht. Erschöpft sich die Beihilfebewilligung nicht in der einmaligen Bewilligung, sondern tritt – wie bei der Gewährung von Darlehen oder Bürgschaften – noch ein privatrechtliches Rechtsverhältnis hinzu, das den Bewilligungsbescheid vollzieht, liegt eine zweistufige Beihilfebewilligung vor2. Daneben können Beihilfen auch durch öffentlich-rechtlichen Vertrag gewährt werden. Die entsprechenden Vorgaben für den Abschluss verwaltungsrechtlicher Verträge finden sich in §§ 54 ff. VwVfG. Auch bei privat-rechtlicher Beihilfegewährung bleibt die Verwaltung nach Art. 1 2.505 Abs. 3 GG gebunden; sie ist in jeder Form ihres Handelns öffentlich-rechtlichen Bindungen unterworfen3. Die privat-rechtliche Beihilfevergabe ist Verwaltungsprivatrecht4. Zur Unternehmensfinanzierung kann die staatliche Stelle die Beihilfe in Form 2.506 von Darlehen, Bürgschaften, Beteiligung an Kapitalerhöhungen bzw. Übernahme von Geschäftsanteilen, Garantien pp. privatrechtlich gewähren. Die Finanzierungsleistung hat indes nur dann Beihilfecharakter, wenn sie eine Begünstigung darstellt, es also an einer entsprechenden marktüblichen Gegenleistung fehlt. Um sicherzugehen, dass keine unzulässige Beihilfe i.S. von Art. 107 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorliegt (näher dazu Rz. 2.507), ist zunächst zu prüfen, ob ein wettbewerbsorientiertes privatwirtschaftliches Unternehmen diesen Beitrag zur Unternehmensfinanzierung unter denselben Marktbedingungen geleistet hätte („market economy investor“-test5). Nur wenn dies nicht der Fall ist, liegt überhaupt eine Beihilfe vor, die zur Prüfung der Voraussetzungen der Art. 107 ff. AEUV führt mit der eventuellen Folge einer Rückforderungsanordnung durch die Kommission. Gleiches gilt, wenn die Beihilfevergabe 1 S. VG Berlin v. 23.8.2012 – 20 K 136/12. 2 Die Zweistufentheorie stößt immer mehr auf Kritik, weil sie einen einheitlichen Lebenssachverhalt in zwei Bereiche zerreißt und diese unterschiedlichen Rechtswegen zuweist (vgl. Schluck-Amend, Die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen in ihren Auswirkungen auf das nationale Gesellschafts- und Insolvenzrecht, 2004, S. 67). Der Bundesgerichtshof (v. 7.11.1996 – IX ZB 15/96, NJW 1997, 328 ff.) nimmt die zweistufige Gewährung von Beihilfen allerdings nach wie vor als eine vor allem bei Bürgschaften und Garantien noch übliche Form der Beihilfegewährung hin. Die Verwaltung kann indes mittels Verwaltungsakt das Darlehen auch rein öffentlich-rechtlich gewähren. Der Verwaltungsakt begründet ein Dauerrechtsverhältnis, das den Charakter eines öffentlich-rechtlichen Darlehensverhältnisses hat (Zulegg, Die Zweistufenlehre, in Oberdorfer, Verwaltung im Dienste von Wirtschaft und Gesellschaft, in FS Fröhler, 1980, S. 275, 286 ff.). 3 Vgl. Ehlers in Erichsen/Ehlers/Burgi, Allg. Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2006, § 2 Rz. 77 ff. m.w.N.; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 216 ff.; Pietzker, AöR 107 (1982), 61, 71 ff. 4 Gewährt ein von der öffentlichen Verwaltung eingeschaltetes Unternehmen die Beihilfe in Privatrechtsform vertraglich, ist die Anwendbarkeit des Verwaltungsprivatrechts mit seiner öffentlich-rechtlichen Bindung umstritten (näher dazu SchluckAmend, Die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen in ihren Auswirkungen auf das nationale Gesellschafts- und Insolvenzrecht, 2004, S. 67). 5 Vgl. EuGH v. 21.3.1991 – C-305/89 („Alfa Romeo“), Slg. 1991, I-1603, 1640 Rz. 20.

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2.507

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

in Form von Eigenkapital und kapitalersetzenden Leistungen erfolgt. Auch insoweit ist darauf abzustellen, ob auch ein privater Investor in einer vergleichbaren Situation diesen Beitrag zur Unternehmensfinanzierung geleistet hätte. 3. Beihilfen im europarechtlichen Sinne 2.507 Staatliche Förderungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen sich am Unionsrecht messen lassen1. Art. 107 bis 109 AEUV regeln das Beihilfeaufsichtsverfahren der Europäischen Union, dem 10 staatliche Beihilfen unterliegen. Durch die Beihilfeaufsicht sollen mögliche Wettbewerbsverzerrungen im Gemeinsamen Markt in erster Linie unterbunden, und sofern sie bereits eingetreten sind, dann wenigstens beseitigt werden2. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, jede beabsichtigte Einführung bzw. Umgestaltung von Beihilfen zu notifizieren, d.h. der Kommission zu melden (Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV, Art. 2 VerfVO3). Die Notifizierungspflicht ist gewahrt, wenn bei der Bewilligung der Beihilfe deren Auszahlung von einer Genehmigung der Kommission abhängig gemacht wird und anschließend die Anmeldung erfolgt4. 2.508 Nach Art. 107 AEUV5 sind solche staatlichen oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, wenn sie durch Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder den Handel zwischen den EU-Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Die Förderung einzelner Unternehmen gilt dabei als Beschränkung der anderen Unternehmen in ihren Wettbewerbsmöglichkeiten. Sollen solche Beihilfen gewährt werden, müssen sie gemäß Art. 107, 108 AEUV der Europäischen Kommission von dem betreffenden Mitgliedstaat bzw. für diesen von der Beihilfe gewährenden Stelle vorab notifiziert werden. Die Kommission ist im Rahmen der Prüfung einer Beihilferegelung befugt, ihre Prüfung auf die allgemeinen und abstrakten Merkmale dieser Regelung zu beschränken, ohne dass sie die besondere Lage der einzelnen Begünstigten zu untersuchen hätte6. Die Beihilfe darf dann erst gewährt werden, wenn die Europäische Kommission sie als mit dem Gemeinsamen 1 Am 9.7.2014 hat die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission neue Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten als Teil des modernisierten Beihilferechts mitgeteilt. Diese sind am 1.8.2014 in Kraft getreten. Sie ersetzen die Leitlinien aus dem Jahre 2004. In diesen Leitlinien erläutert die Kommission, unter welchen Voraussetzungen staatliche Beihilfen auf der Grundlage des Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden können. Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien sind nur anwendbar, wenn eine staatliche Sanierungsmaßnahme als Beihilfe zu notifizieren ist. 2 Schluck-Amend, Die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen in ihren Auswirkungen auf das nationale Gesellschafts- und Insolvenzrecht, 2004, S. 21; Cranshaw, Einflüsse des Europäischen Rechts auf das Beihilfeverfahren, 2006, S. 41 ff. 3 Verordnung (EG) Nr. 659/99 des Rates, ABl. Nr. L 83 v. 27.3.1999, S. 1. 4 KomE v. 15.11.2000, Solar Tech, ABl. Nr. L 292 v. 2001, S. 45. 5 Nach Auffassung des OLG Köln (v. 30.3.2012 – I-1 U 77/11, MietRB 2012, 259) ist ein Urkundsprozess nicht gerechtfertigt, wenn die eigentliche Kernfrage, nämlich der Streit darüber, ob das auf Zahlung der Mietzinsforderung gerichtete Rechtsschutzbegehren zugleich den Tatbestand einer rechtswidrigen Beihilfe i.S. des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt, zwischen den Parteien offen bleiben muss. 6 EuG v. 20.9.2011 – T-394/08, Rz. 144, Celex-Nr. 62008TJ0394.

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Finanzierungshilfen der öffentlichen Hand

2.511

Markt vereinbar erklärt hat oder wenn seit der Notifizierung zwei Monate verstrichen sind1. Das beihilferechtliche Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV ist zugunsten der Wettbewerber des Beihilfeempfängers Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs. 2 BGB2. Wird das Prozedere des Art. 108 Abs. 3 Satz 1 und 3 AEUV nicht eingehalten, so 2.509 kann die Europäische Kommission, wenn sie später die Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt feststellt, den Mitgliedstaat zur Rückabwicklung auffordern3. Eine entgegen diesem Verfahren gewährte Beihilfe ist rechtswidrig, ein ihr zu Grunde liegender Vertrag nichtig4. Ausgenommen von der Notifizierungspflicht sind „geringfügige Beihilfen“. Die 2.510 Höhe dieser Beihilfen ist allgemein auf 200 000 Euro innerhalb von drei Steuerjahren, für Unternehmen im Straßentransportsektor auf 100 000 Euro, begrenzt (DeMinimis-Regelung)5. Als „De-Minimis“ können nur „transparente“ Beihilfen angesehen werden, d.h. solche Beihilfen, deren Höhe im Voraus ohne eine Risikobewertung berechnet werden kann6. Zu beachten ist ferner die seit dem 29.4. 2012 in Kraft getretene neue De-Minimis-Verordnung für Beihilfen im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse7. Dort wird für öffentliche Zuwendungen an Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI) erbringen, also im Bereich der Daseinsvorsorge tätig sind, eine Geringfügigkeitsgrenze von 500 000 Euro festgelegt. Unterhalb dieser Schwelle ist im Bereich der DAWI das Beihilfenverbot aus Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht anwendbar. Ziel der „De-Minimis“-Regel ist die Vereinfachung der Verwaltungsverfahren so- 2.511 wohl im Interesse der Empfänger von verhältnismäßig unbedeutenden Beihilfen, die daher den Wettbewerb nicht verfälschen können, als auch der Kommission, die ihren Personaleinsatz auf die Fälle von wirklicher Bedeutung auf Unionsebene konzentrieren können muss. Die Zulassung der Aufteilung einer Beihilfe, um ei1 Nach dem Bericht der Kommission, Anzeiger für Staatliche Beihilfen 2012, Bericht über staatliche Beihilfen der EU-Mitgliedstaaten v. 21.12.2012, genehmigte die Kommission im Jahre 2011 Beihilfen in Höhe von 274,4 Mrd. Euro (3 % des EU-BIP). 2 BGH v. 10.2.2011 – I ZR 136/09, ZIP 2011, 732. 3 Für eine solche Aufforderung zur Rückabwicklung s. Europäische Kommission v. 29.5. 1996 – 96/475/EG, ABl. Nr. L 246 v. 27.9.1996, S. 43 ff. („Jadekost“); s. ferner Europäische Kommission v. 21.6.2000 – 2000/796 EG, ABl. Nr. L 318 v. 16.12.2000, S. 6; s. ferner Bekanntmachung der Kommission, Rechtswidrige und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfen: Gewährleistung der Umsetzung von Rückforderungsentscheidungen der Kommission in den Mitgliedstaaten v. 15.11.2007 (2007/C/272/05). 4 BGH v. 4.4.2003 – V ZR 314/02, EuZW 2003, 444, 445. 5 Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 der Europäischen Kommission v. 15.12.2006 über die Anwendung der Art. 87 und 88 EG auf „De-Minimis“-Beihilfen. 6 De-Minimis-Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 v. 18.12.2013, ABl. Nr. L 325 v. 24.12. 2013, S. 1. 7 BeihilfenVerordnung (EU) Nr. 360/2012 der Kommission vom 25.4.2012 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-Minimis-Beihilfen an Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbringen. Die neue Verordnung ist am 26.4.2012 im ABl. Nr. L 114, S. 8 veröffentlicht worden und bleibt bis zum 31.12.2018 in Kraft.

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2.512

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

nen Teil der „De-minimis“-Regel unterstellen zu können, dient nicht der Verfolgung des genannten Ziels. Mithin findet die Entbindung von der Notifikationspflicht gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV nicht auf Verträge Anwendung, die Teil einer Beihilfe sind, deren Gesamtbetrag den Schwellenwert von 200 000 Euro für einen Zeitraum von drei Jahren übersteigt1. 2.512 Die Struktur der Beihilfekontrolle hat im Laufe der Jahre einen grundlegenden Wandel erfahren. Inzwischen werden rund 88 % der Beihilfen für den Sekundärund den Dienstleistungssektor nicht mehr einzeln von der Kommission geprüft, sondern auf der Grundlage zuvor genehmigter Beihilferegelungen oder einer Gruppenfreistellung gewährt. Die Generaldirektion Wettbewerb überwacht die Durchführung der Beihilferegelungen durch die Mitgliedstaaten2. 2.513 Von der Notifikationspflicht befreit sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die in Freistellungsverordnungen von der Notifizierungspflicht ausgenommen wurden3. Unternehmen gelten als kleine und mittlere Unternehmen im Sinne der EU, wenn sie festgelegte Schwellenwerte nicht überschreiten. Als KMU sind Unternehmen anzusehen mit weniger als 250 Mitarbeitern, die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 43 Mio. Euro beläuft4. 2.514 Für KMU, die bereits sanierungsbedürftig sind, können sich die Mitgliedstaaten allgemeine Rettungs- und Umstrukturierungsregelungen von der Kommission genehmigen lassen5. Im Rahmen solcher Programme können individuelle Beihilfen an KMU vergeben werden, ohne dass dies von der Kommission erneut notifiziert werden muss. Die meisten Bundesländer haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Nach Ansicht von Möhlenkamp6 werden vor allem KMU von den neuen Leitlinien 2014 der EU-Kommission für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten7 profitieren, wenn die Mitgliedstaaten ihre Programme anpassen und Mittel bereitstellen wollen. 2.515 Art. 107–109 AEUV enthalten kein absolutes Beihilfeverbot (vgl. Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV). Allerdings sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH alle Ausnahmen von dem in Art. 107 Abs. 1 AEUV niedergelegten allgemeinen Grundsatz der Unvereinbarkeit staatlicher Beihilfen mit dem gemeinsamen Markt eng auszulegen8. Bei der Auslegung einer Unionsvorschrift sind nicht nur deren Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. 1 EuG v. 20.9.2011 – T-394/08, Rz. 310. 2 S. 13 des Berichts der der Kommission, Anzeiger für Staatliche Beihilfen 2012, Bericht über staatliche Beihilfen der EU-Mitgliedstaaten v. 21.12.2012. 3 Näher dazu Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 109 Rz. 6. 4 Empfehlung der Kommission v. 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (ABl. Nr. L 124 v. 20.5.2003, S. 36), Anhang Titel I Art. 2 Abs. 1. 5 Näher dazu Fischer, WM 2001, 277 ff. 6 Beilage 3 zu ZIP 44/2014, S. 8. 7 ABl. Nr. C 249 v. 31.7.2014, S. 1. 8 EuGH v. 19.9.2000 – C-156/98, Slg. 2000, 6857 Rz. 49 = EuZW 2000, 723; EuGH v. 29.4. 2004 – C 277/00 Rz. 20, NZI 2004, 392.

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Finanzierungshilfen der öffentlichen Hand

2.518

Die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung im Bereich staatlicher Beihilfe ist an- 2.516 hand der Auskünfte zu beurteilen, über die die Kommission zum Zeitpunkt ihres Erlasses verfügte. Ein Mitgliedstaat kann sich für die Anfechtung der Rechtmäßigkeit nicht auf Umstände berufen, die er der Kommission im Verwaltungsverfahren nicht zur Kenntnis gebracht hat1. 4. Sanierungskredit und staatliche Beihilfe in Form von Bürgschaften und Garantien Nicht nur wegen der u.U. drohenden Insolvenzverschleppung, sondern auch auf 2.517 Grund des erheblichen Kreditrisikos fällt es Kreditinstituten schwer, einer insolvenzbedrohten GmbH noch einen Sanierungskredit einzuräumen. Denn Sicherheiten aus dem Vermögen des zu sanierenden Unternehmens stehen im Krisenfall kaum zur Verfügung. Soweit die öffentliche Hand, und zwar die Gebietskörperschaften, bereit sind, für die Sanierungskredite eine Bürgschaft oder Garantie zu übernehmen, ist die Wirksamkeit von Haftungen der öffentlichen Hand möglicherweise dadurch in Frage gestellt, dass Bürgschaften und Gewährleistungen Beihilfen i.S. von Art. 107 AEUV sein können. Für Kreditinstitute besteht danach das Risiko, dass Bürgschaften, Garantien oder 2.518 sonstige Gewährleistungen der öffentlichen Hand keine tauglichen Kreditsicherheiten in einem Sanierungsfall einer GmbH für neu zu gewährende Sanierungskredite bilden, sofern nicht eine Notifizierung erfolgt. Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung vom 20.6.2008 über die Anwendung der Art. 87 und 88 des EG-Vertrags (Art. 107 und 108 AEUV) auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften2 zu den Auswirkungen von Art. 87, 88 EG (jetzt Art. 107, 108 AEUV) auf die Bestandskraft von Garantien der öffentlichen Hand eine zurückhaltende und differenzierte Haltung eingenommen. Darin wird anerkannt, dass eine staatliche Garantie als Beihilfe gewöhnlich nur den Kreditnehmer begünstigt (Nr. 2.2) und nur unter bestimmten Umständen (auch) der Kreditgeber von der Beihilfe profitiert (Nr. 2.3.1). Ein solcher Ausnahmefall soll insbesondere vorliegen, wenn für einen gewährten Kredit eine staatliche Garantie übernommen wird, ohne dass die Konditionen des Kredits entsprechend angepasst werden. Dies gilt nach Auffassung der Europäischen Kommission entsprechend, wenn ein mit einer Garantie versehener Kredit dazu benutzt wird, um einen anderen, nicht garantierten Kredit an dasselbe Kreditinstitut zurückzuzahlen. In solchen Fällen kann nach Auffassung der Kommission die Garantie auch eine Beihilfe für den Kreditgeber darstellen, da seine Kredite stärker gesichert werden. Dies sei geeignet, den Kreditgeber zu begünstigen und den Wettbewerb zu verzerren, und soll somit auch im Hinblick auf den Kreditgeber in den Anwendungsbereich von Art. 107 AEUV fallen. 1 Vgl. EuGH v. 14.9.1994 – C-278/92, C-279/92 u. C-280/92, Slg. 1994 – I-4103 Rz. 31 = EuZW 1994, 701. 2 ABl. Nr. C 155 v. 20.6.2008, S. 10. S. ferner Berichtigung der Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Art. 87 und 88 des EG-Vertrags auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften (ABl. Nr. C 244 v. 25.9.2008, S. 32). Die Mitteilung vom 20.6.2008 ersetzt die Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Art. 87 und 88 des EG-Vertrags auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften (ABl. Nr. C 71 v. 11.3.2000, S. 14).

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2.519

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.519 In kritischen Fällen wird der Kreditgeber auf der Notifizierung bestehen, zumal dies den Kreditgebern auch von der Europäischen Kommission empfohlen wird1. Dabei begegnen Kreditsicherheiten, die für Sanierungskredite gestellt werden, nur dann Bedenken im Hinblick auf Art.107 AEUV, wenn folgende fünf Kriterien erfüllt sind2: – Bei der gestellten Sicherheit handelt es sich um eine staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Leistung. – Der Beihilfebegünstigte, also der Kreditnehmer des Sanierungskredits, ist ein Unternehmen, wobei jedes öffentliche oder private Produktions-, Dienstleistungs- oder Handelsunternehmen in Betracht kommt, nicht jedoch Privatpersonen, kirchliche oder karitative Einrichtungen oder sonstige gemeinnützige Organisationen. – Es liegt eine Begünstigung gerade des Kreditnehmers vor (sogen. Beihilfeelement), also keine allgemeine Maßnahme der Konjunktur- oder Wirtschaftspolitik. Gesetzliche oder sonstige öffentliche Bürgschaftsprogramme sind jedoch keine solchen allgemeinen Maßnahmen, vielmehr ist jede darunter ausgestellte einzelne Gewährleistung auf ihre Beihilferelevanz zu prüfen, sofern nicht, wie im Regelfall, die Bürgschaftsprogramme der Europäischen Kommission bereits notifiziert und von dieser genehmigt worden sind. – Die Sicherheitenbestellung verfälscht den Wettbewerb oder droht ihn zu verfälschen. – Mit der Sicherheitenbestellung erfolgt eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten. 2.520 Im Rahmen der sorgfältigen Prüfung der vorstehend genannten fünf Kriterien am konkreten Einzelsachverhalt unter Berücksichtigung aller bekannten sowie erkennbaren Gesamtumstände wird die Vereinbarkeit einer staatlichen Kreditsicherheit für Sanierungskredite an eine insolvenzbedrohte GmbH sich in der Regel an der Frage des Wettbewerbsverfälschungs- bzw. des Handelsbeeinflussungspotenzials entscheiden, sofern im Einzelfall das Beihilfeelement von 200 000 Euro überschritten ist. Führt die Prüfung zum Ergebnis, dass möglicherweise eine Beihilfe vorliegt, wird in der Praxis der Kreditgeber vor der Vergabe von Sanierungskrediten, die auf staatliche Bürgschaften oder sonstige Kreditsicherheiten der öffentlichen Hand abgestellt sind, auf eine Bestätigung des Sicherungsgebers bestehen müssen, dass eine Notifizierung der Europäischen Kommission erfolgt ist und entweder die Europäische Kommission die Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt oder die Sicherheitsleistung innerhalb von zwei Monaten nicht aufgegriffen hat. 2.521 Der Beihilfetatbestand ist auch gegeben, wenn eine Bürgschaft, Garantie oder sonstige Gewährleistung der Stützung und Restrukturierung von Banken selbst dient3. Nach Ansicht von Horn4 trifft dies für Maßnahmen in Folge der interna1 Europäische Kommission in Nr. 2.3.2 der Mitteilung über die Anwendung der Art. 87 und 88 EG (Art. 107 und 108 AEUV) auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften v. 20.6.2008, ABl. Nr. C 155 v. 20.6.2008, S. 10. 2 Ausführlich dazu Hopt/Mestmäcker, WM 1996, 753, die allerdings nach drei Tatbestandsmerkmalen abgrenzen. Ähnlich wie hier Scherer/Schödermeier, ZBB 1996, 165; Fischer, WM 2001, 277, 278 ff. 3 Horn in Staudinger, 16. Aufl. 2012, Vorbemerkungen zu §§ 765–778 BGB Rz. 97. 4 In Staudinger, 16. Aufl. 2012, Vorbemerkungen zu §§ 765–778 BGB Rz. 97.

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Finanzierungshilfen der öffentlichen Hand

2.524

tionalen Finanzmarktkrise 2007/09 nach dem FinanzmarktstabilisierungsfondsG zu1, das u.a. Garantien (§ 6) für Schuldtitel vorsah, die von gefährdeten Banken begeben wurden. Die EU-Kommission hat diese Beihilfen gebilligt2. 5. Rückforderung zu Unrecht gewährter staatlicher Zuwendungen a) Rückforderung fehlgeschlagener Subventionen durch nationale Stellen Nach einem Widerruf eines Zuwendungsbescheids auf Grund nationaler Vor- 2.522 schriften kann die Verwaltung die Rückforderung einer Subvention mittels allgemeiner verwaltungsrechtlicher Leistungsklage geltend machen, wenn sie sich bei der Zuwendung vorbehalten hat, aus dem öffentlich-rechtlichen Vertragsverhältnis auch mittels Leistungsbescheids vorzugehen3. Eine öffentlich-rechtliche Forderung, die auf der Rückabwicklung einer Subvention wegen Zweckverfehlung beruht, ist nicht erst dann „begründet“ im Sinne des § 38 InsO, wenn die zuständige Behörde den Rückforderungsbescheid erlassen hat, sondern regelmäßig schon dann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rücknahme bzw. den Widerruf des Zuwendungsbescheides objektiv gegeben sind. Dies gilt jedenfalls in Fällen, in denen das Widerrufs- bzw. Rücknahmeermessen intendiert ist4. Für die Rückforderung maßgeblich sind die Förderrichtlinien, die sich wiederum 2.523 an die Vorgaben der EU-Kommission halten müssen. Dies gilt insbesondere dann, wenn mitgliedstaatliche Mittel gewährt werden, die das strikte Beihilfeverbot der Art. 107 ff. AEUV und die Entscheidungsprärogative der EU-Kommission in diesem Kontext beachten müssen. Die Rückforderung entspricht in erster Linie dem Bestreben der Vermeidung einer Fehlverwendung. Gleichzeitig soll sie auch die Verzerrung des Wettbewerbs vermeiden helfen. Diese Prämissen gelten auch in der Insolvenz des Zuwendungsempfängers5. Der Anspruch auf Rückforderung ist Insolvenzforderung. b) Rückforderung zu Unrecht gewährter staatlicher Beihilfen Die Durchführung des Systems der Kontrolle staatlicher Beihilfen obliegt der 2.524 Kommission und den staatlichen Gerichten6. Die rechtliche Grundlage für die Rückforderung zu Unrecht gewährter staatlicher Beihilfen schafft Art. 108 Abs. 2 AEUV. Dort heißt es: „Stellt die Kommission fest, nachdem sie den Beteiligten eine Frist zur Äußerung gesetzt hat, dass eine von einem Staat oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe mit dem Binnenmarkt nach Art.1087 unvereinbar ist oder dass sie missbräuchlich angewandt 1 Art. 1 FinanzmarktstabilisierungsG v. 17.10.2008, BGBl. I 2008, 1982; Horn, BKR 2008, 452 ff. 2 Entscheidung der Kommission v. 27.10.2008, Staatliche Beihilferegelung Nr N 512/2008 „Rettungspaket für Kreditinstitute in Deutschland“ und v. 12.12.2008, Staatliche Beihilferegelung Nr N 625/2008 „Rettungspaket für Finanzinstitute in Deutschland“. 3 VG Berlin v. 23.8.2012 – 20 K 136/12, juris mit Anm. Cranshaw, jurisPR-InsR 22/2012 Anm. 3. 4 OVG Berlin-Brandenburg v. 2.4.2014 – OVG 6 B 16/12, ZInsO 2014, 1162. 5 Cranshaw, juris-PR-InsR 22/2012 Anm. 3. 6 EuGH v. 8.12.2011 – C-275/10 („Residex Capital IV NV gegen Gemeente Rotterdam“), WM 2012, 926 = EuZW 2012, 106 Rz. 25 ff.

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2.525

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

wird, so beschliesst sie, dass der betreffende Staat sie binnen einer von ihr bestimmten Frist aufzuheben oder umzugestalten hat.“

2.525 Ergänzend gilt die Verfahrensordnung in Beihilfesachen1. Gelangt die Kommission nach Durchführung eines förmlichen Prüfverfahrens zu dem Ergebnis, dass bestimmte von einem Mitgliedstaat gewährte Beihilfen nicht genehmigungsfähig sind, entscheidet sie, dass diese nicht eingeführt werden dürfen (sogen. „Negativentscheidung“ nach Art. 7 Abs. 4 der Verordnung 659/1999). In diesem Fall ordnet die Kommission an, dass der betreffende Mitgliedstaat alle notwendigen Maßnahmen ergreifen muss, um die Beihilfen vom Empfänger zurückzufordern (Art. 14 Abs. 1 der Verordnung 659/1999)2. Eine an die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Kommissionsentscheidung, eine gegen das Unionsrecht verstoßende Beihilfe zurückzufordern, ist öffentlich-rechtlicher Natur und gestaltet das Rückforderungsverhältnis gegenüber dem betroffenen Beihilfeempfänger ebenfalls öffentlich-rechtlich aus3. 2.526 Die Rückforderungsverpflichtung entsteht erst mit der Kommissionsentscheidung. Der Verstoß gegen das – formelle – Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV allein führt noch nicht dazu, dass die Beihilfe endgültig zurückzufordern ist (vgl. Art. 13 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 7 Abs. 5, Art. 14 Abs. 1 EG-VO 659/1999). Die Kommissionsentscheidung erschöpft sich nicht in der Aufforderung an den Mitgliedstaat, die Beihilfe zurückzufordern, sondern stellt darüber hinaus fest, dass die Beihilfen von Anfang an wettbewerbsverzerrend und deshalb mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar waren4. 2.527 Eine Rückforderungsmöglichkeit kommt nur dann nicht in Betracht, wenn dies „absolut unmöglich“ ist bzw. wenn andere Bestimmungen des Unionsrechts (z.B. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) verletzt würden5. Der beklagte Staat darf sich nicht darauf beschränken, die Kommission über die mit der Umsetzung der Entscheidung verbundenen rechtlichen, politischen oder praktischen Schwierigkeiten zu unterrichten, ohne gegenüber den betroffenen Unternehmen tatsächlich Schritte zur Rückforderung der Beihilfe zu unternehmen und ohne der Kommission andere Modalitäten zur Durchführung der Entscheidung vorzuschlagen, die es ermöglicht hätten, die Schwierigkeiten zu überwinden6. Die Zahlungsunfähigkeit oder die Beantragung bzw. Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Begünstigten oder wirtschaftliche Schwierigkeiten infolge der Rückforderung sind nach der Rechtsprechung des EuGH keine solche Gründe, die zur absoluten Unmöglichkeit führen würden7. 2.528 Die Aufhebung einer rechtswidrigen Beihilfe im Wege der Rückforderung ist die logische Folge der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit und zielt auf die Wiederher1 Verordnung (EG) Nr. 658/1999 v. 22.3.1999, ABl. Nr. L 83 v. 27.3.1999, S. 1; s. ferner Verordnung (EG) Nr. 794/2004 v. 21.4.2004, ABl. Nr. L 140 v. 30.4.2004, S. 1. 2 Vgl. EuGH v. 12.7.1973 – 70/72, Slg. 1973, I-813 Rz. 20. 3 OVG Berlin-Brandenburg v. 7.11.2005 – 8 S 93.05, NVwZ 2006, 104. 4 BGH v. 5.7.2007 – IX ZR 256/06, GmbHR 2007, 1146 Rz. 30. 5 Vgl. EuGH v. 15.1.1986 – C-52/84, Kommission gegen Belgien, Slg. 1986, 89 ff. 6 EuGH v. 14.4.2011 – C-331/09, Rz. 70. 7 Kommission, Bekanntmachung über Rückforderungsentscheidungen in den Mitgliedstaaten, ABl. Nr. C 272 v. 15.11.2007, S. 4, Rz. 13 ff.; vgl. ferner EuGH v. 7.6.1988 – 63/87, Kommission gegen Griechenland, Slg. 1988, 2875.

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Finanzierungshilfen der öffentlichen Hand

2.530

stellung der früheren Lage ab1. Die Durchführung der Rückforderung richtet sich nach nationalem Recht des Mitgliedstaates (Art. 14 Abs. 3 Verordnung 659/1999). Beihilfen sind nach Art. 2 Abs. 1 und 2, Art. 4 der Entscheidung der Kommission v. 21.6.20002 von der Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe des deutschen Rechts zurückzufordern. Der Staat muss sich mithin bei der Rückforderung so verhalten, wie er sich verhalten würde, wenn es um die rein innerstaatliche Beitreibung staatlicher Forderungen, wie etwa Steuer- oder Sozialversicherungsschulden, ginge. Er erlangt die Stellung eines Insolvenzgläubigers, wenn über das Vermögen des Unternehmens, das rechtwidrige Beihilfen erhalten hat, das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist3. Die nationalen Gerichte sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Eu- 2.529 ropäischen Union verpflichtet, sämtliche Folgerungen bezüglich der Rückforderung der finanziellen Unterstützungen, die unter Verletzung des Durchführungsverbots gewährt wurden, zu ziehen4. Jede andere Auslegung würde die Missachtung dieser Vorschrift durch den betreffenden Mitgliedstaat begünstigen und ihr die praktische Wirksamkeit nehmen5. Die Anwendbarkeit des nationalen Rechts wird vom Effektivitätsgrundsatz bestimmt („effet utile“-Vorbehalt). Die unionsrechtlich vorgeschriebene Rückforderung darf beispielsweise nicht durch nationale Regelungen praktisch unmöglich gemacht werden6. Dem widerspräche es, wenn im Hinblick auf den Rückforderungsanspruch kurze nationale Verjährungsfristen eingreifen würden. Denn die beihilfegewährenden Stellen können möglicherweise erst durch ein rechtskräftiges Urteil zur Rückforderung angehalten werden7. Ein solches Urteil wird sich häufig nicht innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) erstreiten lassen8. Aus dem unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit folgt indes, dass es 2.530 auch im Hinblick auf die effiziente Durchsetzung des Beihilferechts nicht geboten ist, Beihilfeempfänger zeitlich unbegrenzt auf Grund von gegen die Beihilfegeber gerichteten Konkurrentenklagen in Anspruch nehmen zu können. Der BGH verlangt, dass die Klage auf Rückforderung gegen den Beihilfegeber innerhalb der Verjährungsfrist erhoben und vom Kläger nicht verzögert wird. Ist dies der Fall, muss dem Beihilfegeber nach Rechtskraft des ihn zur Rückforderung verpflichtenden Urteils eine angemessene Frist eingeräumt werden, die Rückforderungsklage gegen den Beihilfeempfänger zu erheben. Dabei könnte eine analoge Anwendung der Dreimonatsfrist in § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB in Betracht kommen. Erfolgt die Klage danach rechtzeitig, ist es dem Beihilfeempfänger nach § 242 BGB in Verbindung mit Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV versagt, sich auf eine zwischenzeitlich eingetretene Verjährung des Rückforderungsanspruchs zu berufen9. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. EuGH v. 8.5.2003 – C-328/99 u. C-399/00, Slg. 2003, I-4035 Rz. 66 = EuZW 2003, 368. ABl. Nr. L 318, S. 62, 78. Ehricke, ZIP 2000, 1656, 1659, 1660. EuGH v. 27.10.1992 – C-240/90 („FNCE“); EuGH v. 21.11.1991 – Rs. C-354/90, NJW 1993, 49 Rz. 12; EuGH v. 12.2.2008 – C-199/06 („CELF I“), EuZW 2008, 145 Rz. 41. EuGH v. 27.10.1992 – C-240/90 („FNCE“); EuGH v. 21.11.1991 – Rs. C-354/90, NJW 1993, 49 Rz. 16; EuGH v. 12.2.2008 – C-199/06 („CELF I“), EuZW 2008, 145 Rz. 40. Vgl. EuZW 2006, 65 Rz. 45 – Transalpine Ölleitung, m.w.N. Vgl. EuGH v. 20.3.1997 – C-24/95 („Alcan“), Slg. 1997, I-1591 = NJW 1998, 47 Rz. 37. BGH v. 10.2.2011 – I ZR 136/09, ZIP 2011, 732. BGH v. 10.2.2011 – I ZR 136/09, ZIP 2011, 732 Rz. 46.

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2.531

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.531 Die Verhandlung eines Rechtsstreits, der die Rückforderung einer unter Verstoß gegen die Notifizierungs- und Wartepflicht (Art. 108 Abs. 3 Satz 1 und 2 AEUV) gewährten Beihilfe zum Gegenstand hat, darf grundsätzlich nicht ausgesetzt werden, bis eine bestandskräftige Entscheidung der Europäischen Kommission oder des Gerichts der Europäischen Union über die materiellrechtliche Vereinbarkeit der Zuwendung mit dem Gemeinsamen Markt vorliegt1. 2.532 Erfolgte die Beihilfegewährung durch einen Verwaltungsakt, richtet sich die Rückabwicklung nach § 48 VwVfG. Unklar ist demgegenüber die Rechtslage bei einer Beihilfegewährung durch einen privatrechtlichen Vertrag. Während eine Auffassung2 den Rückforderungsanspruch auf § 812 BGB stützt, weil mit Annahme der Nichtigkeit des Vertrages nach § 134 BGB die rechtliche Grundlage für die Subventionierung entfallen sei, zieht eine zweite Auffassung3 die Rechtsfigur eines faktischen Beihilfeempfängers zur Begründung des Rückforderungsanspruchs heran. 2.533 Soweit Beihilfen vor abschließender Prüfung seitens der Kommission „illegal“ gewährt worden sind („formell rechtswidrige Beihilfe“), nehmen der EuGH und der BGH4 Nichtigkeit gegenüber dem Beihilfeempfänger an5. Bei einer Beihilfegewährung durch Verwaltungsakt eröffnet dies die Möglichkeit des Widerrufs, der praktisch wegen des fehlenden Vertrauensschutzes unbefristet möglich ist6. aa) Rückforderung bei Übertragung von Sachgesamtheiten auf eine Nachfolgegesellschaft im Wege der übertragenden Sanierung 2.534 Zu der Problematik der Übertragung von Sachgesamtheiten auf eine Nachfolgegesellschaft im Wege der übertragenden Sanierung hat der EuGH Stellung genommen. Seinem Urteil vom 29.4.20047 in Sachen System Microelectronic Innovation GmbH (SMI) lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde8: Der Insolvenzverwalter hatte im eröffneten Verfahren eine Auffanggesellschaft – SiMi – 1 BGH v. 13.9.2012 – III ZB 3/12, MDR 2012, 1306. Bartosch (RIW 2013, 168) stimmt dem Entscheidungsergebnis zwar dem Grunde nach zu, bemängelt jedoch hinsichtlich der sich aus dem Beschluss ergebenden Praxisfolgen, das nach wie vor viele Zweifelsfragen weiterhin offen gelassen worden seien. Dies gelte insbesondere für die bislang ungelöste Problematik der Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen widersprechenden Entscheidungen der Kommission einerseits und den nationalen Gerichten andererseits. Dies hat das OLG Koblenz (v. 30.5.2012 – 9 U 759/07, EuZW 2012, 760) veranlasst, dem EuGH gemäß Art. 267 AEUV u.a. die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob eine nicht angefochtene Entscheidung der Kommission, das förmliche Prüfungsverfahren nach Art. 108 Abs. 3 Satz 2 AEUV einzuleiten, zur Folge hat, dass ein nationales Gericht in einem Klageverfahren, das auf die Rückforderung geleisteter Zahlungen und auf Unterlassung künftiger Zahlungen gerichtet ist, hinsichtlich der Beurteilung des Beihilfecharakters an die Rechtsauffassung der Kommission gebunden ist. 2 BGH v. 20.1.2004 – XI ZR 53/03, WM 2004, 468; vgl. ferner BGH v. 5.7.2007 – IX ZR 256/06, GmbHR 2007, 1146; Koenig, BB 2000, 573. 3 Ehricke, ZIP 2000, 1656, 1666. 4 BGH v. 20.1.2004 – XI ZR 53/03, WM 2004, 468; vgl. ferner BGH v. 5.7.2007 – IX ZR 256/06, GmbHR 2007, 1146. 5 S. Cranshaw, Einflüsse des Europäischen Rechts auf das Insolvenzverfahren, 2006, S. 348. 6 Cranshaw, Einflüsse des Europäischen Rechts auf das Insolvenzverfahren, 2006, S. 348. 7 C-277/00, ZIP 2004, 1013. 8 Näher dazu Mairose, DZWIR 2004, 141 ff.

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Finanzierungshilfen der öffentlichen Hand

2.550

gegründet, deren Anteile er an den Übernehmer (MD&D) veräußerte. Dieser erwarb sogleich das mobile Anlagevermögen der Insolvenzschuldnerin SMI. Sowohl SMI als auch SiMi hatten – rechtswidrige – Beihilfen erhalten. Fraglich war, ob diese Konstruktion darauf angelegt war, die Rückforderungsansprüche zu umgehen. Die Kommission hat die Frage bejaht. Die Entscheidung lautete auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beihilfen und auf Verpflichtung der Bundesrepublik zur Rückforderung. Rückzahlungsschuldner sei dabei das Unternehmen, dass die Beihilfen unmittelbar erhalten habe sowie jedes Unternehmen, dem die Vermögenswerte der Beihilfeschuldnerin übertragen worden sind, um die Konsequenzen der Rückforderungsentscheidung zu umgehen – hier also die SiMi und die MD&D. Der EuGH hat mit seinem vorgenannten Urteil die Entscheidung der Kommission in Bezug auf die Erstreckung der Haftung der SiMi und der MD&D für Beihilfen der SiMi aufgehoben. Dabei bezog sich das Gericht auf seine ständige Rechtsprechung. Werde ein Un- 2.535 ternehmen, das eine rechtswidrige staatliche Beihilfe erhalten hat, zum Marktpreis erworben, das heißt zum höchsten Preis, den ein privater Investor unter normalen Wettbewerbsbedingungen für diese Gesellschaft in der Situation, in der sie sich – insbesondere nach dem Erhalt staatlicher Beihilfen – befand, zu zahlen bereit war, werde das Beihilfeelement zum Marktpreis bewertet und in den Kaufpreis einbezogen. Unter diesen Umständen könne der Erwerber nicht als Nutznießer eines Vorteils gegenüber den übrigen Marktteilnehmern angesehen werden1. Behalte also das Unternehmen, dem rechtswidrige staatliche Beihilfen gewährt wurden, seine Rechtspersönlichkeit und übe weiterhin für eigene Rechnung die mit den staatlichen Beihilfen subventionierten Tätigkeiten aus, verbleibe normalerweise der mit der fraglichen Beihilfe verbundene Wettbewerbsvorteil bei diesem Unternehmen, so dass ihm die Verpflichtung obliege, einen Betrag in Höhe dieser Beihilfen zurückzuzahlen. Vom Erwerber könne daher die Rückzahlung solcher Beihilfen nicht verlangt werden. bb) Anwendbarkeit der §§ 129 ff. InsO im Falle der Rückforderung wettbewerbsverzerrender Beihilfen Bei Empfängern einer für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärten Bei- 2.536 hilfe, die insolvent geworden sind, kann die Wiederherstellung der früheren Lage und die Beseitigung der aus den rechtswidrig gezahlten Beihilfen resultierenden Wettbewerbsverzerrung grundsätzlich durch Anmeldung der Forderung nach Rückerstattung der betreffenden Beihilfe zur Insolvenztabelle erfolgen2. Auf die Rückforderung der Beihilfe sind die jeweiligen nationalen Insolvenzvorschriften anzuwenden. Da die Insolvenzanfechtung die effektive und sofortige Erfüllung der Rückforderungsverpflichtung nicht verhindert, sind die §§ 129 ff. InsO im Falle der Rückforderung wettbewerbsverzerrender Beihilfen anwendbar. Der Rückforderungsanspruch ist anfechtungsrechtlich wie jede andere Forderung zu behandeln3. vacat

2.537–2.550

1 EuGH v. 20.9.2001 – C-390/98, Slg. 2001, I-6117 Rz. 77. 2 EuGH v. 14.4.2011 – C-331/09, Slg. 2011, I-2933–2962 Rz. 60. 3 BGH v. 5.7.2007 – IX ZR 256/06, GmbHR 2007, 1146. Der EuGH hat die Konkursanfechtung in dem italienischen Fall Seleco (Urt. v. 8.5.2003 – C-328/99, EuGHE 2003, 4035 Rz. 75 ff.) im Ergebnis ausdrücklich zugelassen.

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2.551

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

D. Steuerrechtliche Folgen der Sanierung I. Steuersystematische Grundlagen 2.551 Das deutsche Ertragsteuerrecht ist prinzipiell auf Gewinnsituationen zugeschnitten, demgegenüber es bei den hier interessierenden Krisen- bzw. Insolvenzkonstellationen in erster Linie um die Frage geht, ob der bei der Gesellschaft oder bei dem Gesellschafter eingetretene Verlust steuerrechtlich im Wege eines innerperiodischen Verlustausgleichs, eines Verlustrücktrags oder eines Verlustvortrags genutzt werden kann. Das hängt letztlich von der steuerrechtlichen Qualifikation der jeweils getroffenen Maßnahmen ab. Im Übrigen ist bei der steuerrechtlichen Betrachtung der Kapitalgesellschaft/GmbH und ihres Anteilseigners davon auszugehen, dass das Steuerrecht hier – anders als bei Personengesellschaften (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) – an das zivilrechtliche Trennungsprinzip anknüpft. Zwar löste sich das frühere Körperschaftsteuersystem (1977) mit seiner Vollanrechnung auf der Anteilseignerebene (bei unbeschränkt Steuerpflichtigen) von einer strikten Trennungsbetrachtung, wenn es um ausgeschüttete Gewinne der Kapitalgesellschaft ging, doch änderte auch dies nichts daran, dass es sich bei der Körperschaftsteuer auf thesaurierte Gewinne um eine echte Besteuerung des Einkommens von Körperschaften handelte und dass das kapitalgesellschaftsrechtliche Mitgliedschaftsrecht des Anteilseigners ein steuerrechtlich eigenes Schicksal hatte. 2.552 Die Anknüpfung des Steuerrechts an das Trennungsprinzip bei der juristischen Person wird durch die gegenwärtige Rechtslage noch intensiviert. Die Körperschaftsteuerbelastung mit 15 v.H. nach § 23 Abs. 1 KStG ist eine Definitivbelastung auf Gesellschaftsebene, so dass es im Prinzip bei ausgeschütteten Gewinnen zu einer Doppelbelastung mit Körperschaftsteuer und Einkommensteuer des Anteilseigners kommt, wenn Letzterer denn eine natürliche Person ist. Im Einzelnen ist die Besteuerungssituation durch das einkommensteuerrechtliche Abgeltungsteuersystem 2009 verkompliziert worden. 2.553 Zunächst ist danach zu unterscheiden, ob der Anteilseigner der Kapitalgesellschaft die kapitalgesellschaftsrechtliche Beteiligung in einem Privatvermögen oder in einem Betriebsvermögen hält. Handelt es sich um eine private Beteiligung, dann sind Dividenden nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerpflichtig, doch kommt es über § 32d Abs. 1 EStG zu einer Quellenbesteuerung mit Abgeltungswirkung von 25 v.H. Im Gegenzug wird der Werbungskostenabzug durch § 20 Abs. 9 EStG eingeschränkt. Möglich ist nur noch der Abzug des Sparer-Pauschbetrags von 801,– Euro; im Übrigen ist der Abzug der tatsächlichen Werbungskosten ausgeschlossen. Davon gibt es eine Ausnahme, wenn die Voraussetzungen des § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG vorliegen. Grundsätzlich anders liegt es, wenn die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft in einem Betriebsvermögen liegt. Hier schließt die Konkurrenzregel des § 20 Abs. 8 EStG das Abgeltungsteuersystem aus, so dass ausgeschüttete Dividenden nach § 3 Nr. 40 lit. a EStG zu 40 v.H. steuerfrei sind, so dass im Ergebnis 60 v.H. der Dividende besteuert werden. Kommt dieses sog. Teileinkünfteverfahren zur Anwendung, dann ist auch § 3c Abs. 2 EStG anwendbar, so dass bei der Einkunftsermittlung nur 60 v.H. der Aufwendungen geltend gemacht werden können. Ist der Anteilseigner nicht natürliche Person, vielmehr seinerseits Körperschaft, dann gilt wieder ein anderes System: Nach § 8b Abs. 1 340

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Satz 1 KStG bleiben Dividendenerträge zunächst „außer Ansatz“, doch zeigt dann § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG, dass 5 v.H. der Bezüge als nichtabziehbare Betriebsausgaben qualifiziert werden sollen, so dass im Ergebnis eine Steuerbefreiung in Höhe von 95 v.H. stattfindet. Handelt es sich um sog. Streubesitz nach § 82 Abs. 4 KStG, dann ist die Dividende allerdings voll steuerpflichtig. Eine wesentliche Folge des Einkunftsartensystems des § 2 Abs. 2 EStG ist die un- 2.554 terschiedliche Behandlung bzw. Steuerbarkeit von realisierten Wertsteigerungen des Vermögens. Die Zuordnung von Einkünften zu einer Einkunftsart entscheidet über die Art der Einkunftsermittlung und auch darüber, ob der durch Eigenkapitalvergleich ermittelte Gewinn (§§ 4 ff. EStG) oder nur die Einnahmen (§ 8 EStG) der Besteuerung zugrunde zu legen sind. Bei der Gewinnermittlung nach §§ 4 ff. EStG, die über § 8 Abs. 1 KStG auch für die steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften gilt, ist eine Vermögensrechnung vorzunehmen. Veräußert also ein Steuerpflichtiger Gegenstände des Betriebsvermögens und erzielt er einen Veräußerungserlös, der über dem letzten Bilanzansatz liegt, dann fließt der Mehrerlös in die Gewinnermittlung ein und ist damit grundsätzlich steuerbar. Liegt demnach ein GmbH-Geschäftsanteil in einem Betriebsvermögen des Anteilseigners, also in einem einzelunternehmerischen Betriebsvermögen, im Gesamthandsvermögen einer gewerblich tätigen oder gewerblich geprägten Personengesellschaft (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 EStG) oder im Vermögen einer anderen Kapitalgesellschaft, dann ist die Beteiligung über den Eigenkapitalvergleich der §§ 4 ff. EStG in der Weise steuerverstrickt, dass ein etwaiger Veräußerungsgewinn oder Veräußerungsverlust steuerrechtlich schon aufgrund der Gewinnerermittlung prinzipiell erheblich ist. Ist der Anteilseigner eine Kapitalgesellschaft, die stets Betriebsvermögen hat (§ 8 2.555 Abs. 2 KStG), dann wird durch § 8b Abs. 2 KStG die prinzipielle Steuerfreiheit von Dividenden auch auf die Veräußerung der Beteiligung, des Betriebsvermögens, ausgedehnt. Der innere Grund für diese Maßnahme des Gesetzgebers liegt in der Überlegung, dass der Veräußerungsgewinn einbehaltene oder zukünftige Dividenden repräsentiert, die erst dann steuerpflichtig sein sollen, wenn sie auf die Ebene einer einkommensteuerpflichtigen natürlichen Person weitergeleitet werden1. Allerdings schränkt § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG dies – wie bei den Dividenden – so ein, dass im Ergebnis nur 95 v.H. außer Ansatz bleiben. Nach aktuellen Plänen soll auch der Vermögensgewinn bei sog. Streubesitz voll steuerpflichtig werden. Anders ist die Rechtslage, wenn es sich um Privatvermögen des Anteilseigners 2.556 handelt, also um Konstellationen, bei denen die GmbH-Beteiligung nicht unternehmerisch gebunden ist. Liegt in diesen Fällen eine qualifizierte Beteiligung nach § 17 EStG vor, ist also der jeweilige Anteilsinhaber zu mindestens 1 v.H. unmittelbar oder mittelbar an der Kapitalgesellschaft beteiligt (§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG), dann bleibt es zwar dabei, dass es sich um Privatvermögen handelt, doch fingiert § 17 EStG in diesen Fällen gewerbliche Einkünfte bzw. Verluste, wenn die qualifizierte Beteiligung veräußert oder „liquidiert“ wird. Auch im Anwendungsbereich privat gehaltener kapitalgesellschaftsrechtlicher Beteiligungen ist die Rechtslage durch das Abgeltungsteuersystem 2009 unübersichtlich geworden. Sind die Voraussetzungen des § 17 EStG gegeben, dann zeigt § 20 Abs. 8 EStG, 1 Crezelius, DB 2001, 221; Kanzler, FR 2000, 1245.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

dass die Abgeltungsteuerregeln nicht anzuwenden sind. Es kommt daher in Veräußerungssituationen zur Besteuerung nach §§ 17, 3 Nr. 40 lit. c EStG, so dass bei einem realisierten Gewinn 60 v.H. steuerpflichtig sind. Andererseits zeigt dann § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG, dass auch nur 60 v.H. der Verluste geltend gemacht werden können. Bleibt der Anteilsinhaber unter der Beteiligungsschwelle des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG, dann sind Veräußerungsgewinne in den Anwendungsbereich der Abgeltungsteuer einbezogen, unterliegen also dem Pauschalsteuersatz von 25 v.H. (§§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 32d Abs. 1 EStG). Für Verlustsituationen sind dann die Einschränkungen in § 20 Abs. 6 EStG zu beachten. 2.557 Eine praktisch wichtige Sonderkonstellation findet sich im Bereich des UmwStG1. Es geht um diejenige Umstrukturierungsvariante, in der ein Personenunternehmen (Einzelunternehmen, Mitunternehmeranteil nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten in eine Kapitalgesellschaft eingebracht wird und die aufnehmende Kapitalgesellschaft das eingebrachte Vermögen nicht mit dem gemeinen Wert ansetzt (§§ 20 ff. UmwStG). Für konkrete Sachverhalte ist danach zu unterscheiden, wann sich die Umstrukturierung vollzogen hat: 2.558 Ob altes oder neues Recht anzuwenden ist, richtet sich nach § 27 UmwStG. Nach § 27 Abs. 1 UmwStG sind die Neuregelungen erstmals auf Umwandlungen und Einbringungen anzuwenden, bei denen die Anmeldung zur Eintragung in das für die Wirksamkeit maßgebende öffentliche Register nach dem 12.12.2006 erfolgt. Ist eine Handelsregistereintragung nicht nötig, dann ist das neue Recht anzuwenden, wenn das wirtschaftliche Eigentum an den eingebrachten Wirtschaftsgütern nach dem 12.12.2006 übergegangen ist. Wenn das alte Recht Anwendung findet, dann kommt es, und zwar auf Dauer (!), zu sog. einbringungsgeborenen Anteilen nach § 21 UmwStG a.F. Diese einbringungsgeborenen Anteile sind hinsichtlich ihrer realisierten Wertsteigerungen und Wertverluste steuerverstrickt, so dass bei einem Veräußerungstatbestand oder ihnen gleichgestellten Sachverhalten (§ 21 Abs. 2 UmwStG a.F.) die aufgedeckten stillen Reserven oder Verluste einkommensteuerrechtlich erheblich sind2. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die einbringungsgeborenen Anteile des bisherigen Rechts sowohl nach dem weiterhin anwendbaren § 3 Nr. 40 Satz 3, 4 EStG a.F. als auch nach § 8b Abs. 4 KStG a.F. einem Sonderrecht unterliegen. Sowohl das Halbeinkünfteverfahren des § 3 Nr. 40 EStG a.F. als auch die Steuerfreiheit nach § 8b Abs. 2 KStG sind grundsätzlich erst dann anwendbar, wenn die einbringungsgeborenen Anteile 7 Jahre nach dem Zeitpunkt der Einbringung veräußert werden. Das ist steuersystematisch kaum überzeugend, weil dasjenige Steuersubjekt, welches sich in den Anwendungsbereich des Körperschaftsteuersystems durch einen Einbringungsvorgang nach § 20 UmwStG begibt, nicht durch eine Behaltefrist benachteiligt sein dürfte. 2.559 Sind die neuen Vorschriften der §§ 20 ff. UmwStG für den Umwandlungsvorgang anzuwenden, dann existieren heute sog. sperrfristbehaftete Anteile, soweit in den Fällen einer Sacheinlage unter dem gemeinen Wert (§ 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG) der Einbringende die erhaltenen Anteile innerhalb eines Zeitraums von 7 Jahren 1 Dazu BMF, BStBl. I 2011, 314. 2 Ausführlich Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 21 UmwStG a.F. passim; Crezelius in FS Haas, 1996, S. 79.

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Steuerrechtliche Folgen

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nach dem Einbringungszeitpunkt veräußert. Findet dies statt, dann ist der Gewinn aus der Einbringung rückwirkend im Wirtschaftsjahr der Einbringung als Gewinn des Einbringenden nach § 16 EStG zu versteuern. Beispiel: Frau F bringt im Jahre 2015 ihr Einzelunternehmen (Buchwert 300 000 Euro, gemeiner Wert 1 Mio. Euro) zum Buchwert gegen Gesellschaftsrechte in die X-GmbH ein. Die GmbH setzt den Buchwert an. 2018 veräußert F ihren Anteil für 1,5 Mio. Euro.

Die Besteuerung des Anteilseigners wird in § 22 UmwStG geregelt1. Die Anteils- 2.560 veräußerung mit dann erfolgender Besteuerung des sog. Einbringungsgewinns I ist ein rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (§ 22 Abs. 1 Satz 2 UmwStG), so dass es rückwirkend und fiktiv zu gewerblichen Einkünften kommt, ohne dass die Privilegien der §§ 16 Abs. 4, 34 EStG eingreifen. Das eigentlich Neue des § 22 UmwStG besteht darin, dass sich der Einbringungsgewinn um jeweils ein Siebtel für jedes seit dem Einbringungsvorgang abgelaufene Zeitjahr vermindert (§ 22 Abs. 1 Satz 3 UmwStG). Diese Siebtelungsregelung ist offenbar von der Idee des Steuergesetzgebers getragen, dass die bei Einbringung des Personenunternehmens in die Kapitalgesellschaft vorhandenen und nicht aufgedeckten stillen Reserven sich durch Zeitablauf gleichsam verflüchtigen. Allerdings dürfte die Regelung außerordentlich unpraktisch und vor allem streitträchtig sein, weil nämlich die Ermittlung des gemeinen Werts des zunächst erfolgsneutral eingebrachten Betriebsvermögens erst später, bei Veräußerung stattfinden soll2. Kommt es zu einer Besteuerung des Einbringungsgewinns I, dann hat das Auswirkungen für spätere Anteilsveräußerungen. Insoweit verringert sich auch der spätere Gewinn aus der Anteilsveräußerung. Nach § 22 Abs. 1 Satz 4 UmwStG führt der Einbringungsgewinn I zu nachträglichen Anschaffungskosten der nach § 20 UmwStG ausgegebenen Anteile, letztlich also zu einem niedrigeren Veräußerungsgewinn nach §§ 17 Abs. 1 Satz 1, 3 Nr. 40 lit. c EStG. Im Gesetz nicht unmittelbar geregelt sind die hier interessierenden Verlustsitua- 2.561 tionen. Wenn in dem oben gebildeten Beispielsfall die Anteilseignerin ihren Geschäftsanteil zu 150 000 Euro veräußert, dann gelten die normalen Regeln der Besteuerung des Einbringungsgewinns I. Es ist somit bezogen auf den Einbringungszeitpunkt der gemeine Wert zu ermitteln; der Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens ist dann abzuziehen (im Beispiel ergibt dies 700 000 Euro). Sodann ist die Siebtelungsregelung anzuwenden. Der sich dann ergebende Betrag führt beim Gesellschafter zu Einkünften aus § 16 EStG. Erst in einem zweiten Schritt ist der tatsächliche Veräußerungsverlust zu ermitteln. Vom Veräußerungspreis ist der Buchwert der Anteile abzuziehen, so dass sich im Beispiel ein Negativbetrag von 150 000 Euro ergibt. Zu diesem Betrag sind die nachträglichen Anschaffungskosten aus dem Einbringungsgewinn I hinzuzuaddieren (4/7 aus 700 000 Euro), so dass sich ein Veräußerungsverlust von 550 000 Euro ergibt, der dann wiederum den Beschränkungen des § 3c Abs. 2 EStG unterliegt. Speziell für die im vorliegenden Zusammenhang bedeutsamen Verlustkonstella- 2.562 tionen ist auf das Grundproblem der § 3c Abs. 2 EStG, § 8b Abs. 3 KStG hin1 Näher BMF, BStBl. I 2011, 1314 Tz. 22.01 ff. 2 Kritisch Dötsch/Pung, DB 2006, 2763, 2766.

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2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

zuweisen. Wenn Erträge aus kapitalgesellschaftsrechtlichen Beteiligungen einkommensteuerrechtlich dem Teileinkünfteverfahren unterliegen, sollen nach Auffassung des Gesetzgebers auch Betriebsvermögensminderungen, Anschaffungskosten, Betriebsausgaben und Werbungskosten, die mit der kapitalgesellschaftsrechtlichen Beteiligung im Zusammenhang stehen, nur 60 v.H. gegengerechnet werden. Dies ist äußerst kritisch zu betrachten1, weil die Idee des Teileinkünfteverfahrens in der Abmilderung der körperschaftsteuerrechtlichen und einkommensteuerrechtlichen Doppelbelastung zu sehen ist; damit hat die Teilabzugsfähigkeit des § 3c Abs. 2 EStG nichts zu tun. Im Übrigen liegt hier ein Verstoß gegen das steuerrechtliche Nettoprinzip vor, der besonders deutlich wird, wenn es um einen Veräußerungsverlust im Körperschaftsteuerbereich geht, der nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG unberücksichtigt bleiben soll. Auch hier ist der Gesetzgeber der Auffassung, dass dann, wenn der Gewinn nach § 8b Abs. 2 KStG nicht (in voller Höhe) besteuert wird, im Gegenzug auch der realisierte Verlust unerheblich sein soll. Das ist steuersystematisch wenig folgerichtig, weil § 8b Abs. 2 KStG allein eine mehrfache Besteuerung auf Grund des Körperschaftsteuersystems verhindern will, eine Überlegung, die mit der Verlustgeltendmachung überhaupt nichts zu tun hat.

II. Gesetzliche Sanierungshindernisse: Besteuerung von Sanierungsgewinnen und Zinsschranke 1. Sanierungsgewinne 2.563 Vielfach werden einem (überschuldeten) Unternehmen von seinen Gläubigern die Schulden ganz oder teilweise erlassen, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Damit fällt auf der Passivseite des bilanzierenden Unternehmens eine Verbindlichkeit weg, so dass es buchmäßig zu einem Gewinn kommt. Nach früherer Rechtslage war ein derartiger Sanierungsgewinn nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. steuerbefreit. Allerdings ist § 3 Nr. 66 EStG ab dem Veranlagungszeitraum 1998 gestrichen worden2. Das ist auch aus steuersystematischen Gründen zu bedauern. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass es sich bei dem Gewinn auf Grund des Schuldenerlasses gleichsam um eine Vermögensmehrung extra commercium handelt, bei der es wenig einsichtig ist, dass sie besteuert werden soll. 2.564 Handelt es sich um einen Sanierungsgewinn, dann sind allerdings steuerrechtliche Billigkeitsmaßnahmen möglich3. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Maßnahme materiellen Rechts, vielmehr kommt nur die Steuerstundung oder der Steuererlass nach §§ 163, 222, 227 AO in Betracht. Für die Praxis ergeben sich daraus Schwierigkeiten, weil selbst dann, wenn ein Sanierungsgewinn gegeben ist, sachliche Billigkeitsgründe vorliegen müssen. Im Übrigen ergibt sich aus dem BMF-Schreiben, dass die Billigkeitsmaßnahme von einem Verwaltungsakt abhängig ist, so dass jedenfalls unmittelbar keine Konsequenzen für den Überschuldungsstatus zu ziehen sind. Anders formuliert: Soweit der „Billigkeitsbescheid“ der Finanzverwaltung noch nicht existiert, muss in einem eventuellen 1 Anders BFH v. 19.6.2007 – VIII R 69/05, BStBl. II 2008, 551 = GmbHR 2007, 1284; vgl. auch Heinicke in Schmidt, § 3c EStG Rz. 25. 2 Zur Entwicklung Kanzler, FR 2003, 480. 3 BMF, BStBl. I 2003, 240; dazu Heinicke in Schmidt, § 3 EStG „Sanierungsgewinn“.

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Steuerrechtliche Folgen

2.565

Überschuldungsstatus eine Rückstellung für Steuern gebildet werden. Im Übrigen ergeben sich aus dem BMF-Schreiben zu Billigkeitsmaßnahmen bei Sanierungsgewinnen grundsätzliche Fragen zum Verhältnis zwischen Finanzverwaltung und Steuergesetzgebung. Es ist zweifelhaft, ob der Sanierungserlass der Finanzverwaltung eine gesetzmäßige Rechtsgrundlage für Erlassmaßnahmen nach der AO für unternehmensbezogene Sanierungen darstellt, obwohl § 3 Nr. 66 EStG a.F. aufgehoben worden ist1. In einer Kostenentscheidung meint der VIII. Senat des BFH2, es sei zweifelhaft, ob die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen durch Forderungsverzicht von Gläubigern allein wegen sachlicher Unbilligkeit aufgrund des zitierten BMF-Schreibens beansprucht werden könne. Im Rahmen der bei einer Kostenentscheidung vorzunehmenden summarischen Prüfung sei es von vornherein nicht ausgeschlossen, dass angesichts der Streichung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. ein genereller Wille des Steuergesetzgebers abzulehnen sei, allein aufgrund der Sanierungssituation zu Billigkeitsmaßnahmen zu gelangen. Mittlerweile hat der X. Senat des BFH3 den Großen Senat des BFH angerufen, und zwar mit der Frage, ob der Sanierungserlass des BMF dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entspricht. Der vorlegende Senat bejaht dies, weil das BMFSchreiben lediglich konkrete Ermessenserwägungen festgeschrieben habe und von einer Ermessenreduzierung auf Null ausgehe. Im Übrigen stelle der Sanierungserlass auch keine europarechtswidrige Beihilfe dar. Was die Voraussetzungen für die Annahme eines Sanierungsgewinns angeht, 2.565 nimmt das BMF-Schreiben4 auf die früheren Voraussetzungen des § 3 Nr. 66 EStG Bezug, also auf die Elemente der Sanierungsbedürftigkeit, der Sanierungsfähigkeit, der Sanierungseignung und der Sanierungsabsicht. Vor diesem Hintergrund sind Entscheidungen zur früheren Rechtslage auch weiterhin von Bedeutung5. Nach einer nicht rechtskräftigen Entscheidung des FG München6 kann es nicht zu Billigkeitsmaßnahmen kommen, wenn dem Grunde nach ein begünstigungsfähiger Sanierungsgewinn nicht gegeben ist, wenn es also an den Voraussetzungen des früheren § 3 Nr. 66 EStG fehlt. Insbesondere soll es dem Steuerpflichtigen verwehrt sein, sich auf persönliche Billigkeitsgründe zu berufen. Das dürfte zutreffend sein, weil eine Billigkeitsmaßnahme dann nicht in Betracht kommen sollte, wenn selbst bei unterstellter materieller Steuerfreiheit die Voraussetzungen eines Sanierungsgewinns nicht gegeben sind. In welchen konkreten Fallkonstellationen die Billigkeitsmaßnahmen seitens der Finanzverwaltung in Betracht kommen können, ist im Einzelnen ungeklärt7. Es geht insbesondere darum, ob ein Unternehmen steuerrechtlich mit Hilfe des Sanierungserlasses saniert und im Anschluss liquidiert werden kann oder ob der Sanierungsgewinn Ertragsteuern auslöst, die in der Folge dann zur insolvenzrechtlichen Zahlungsunfähigkeit führen könnten. In der Rechtsprechung ist bislang kein Fall behandelt, in 1 Bejahend BFH v. 14.7.2010 – X R 34/08, BStBl. II 2010, 916; Eilers/Bühring, Sanierungsrecht, 2012, Rz. 2.51; zum Streitstand Heinicke in Schmidt, § 3 EStG „Sanierungsgewinn“. 2 BFH v. 28.2.2012 – VIII R 2/08, BFH/NV 2012, 1135. 3 BFH v. 25.3.2015 – X R 23/13, DStR 2015, 1443. 4 BStBl. I 2003, 240 Tz. 4. 5 BFH v. 10.4.2003 – IV R 63/01, BStBl. II 2004, 9; auch Crezelius, NZI 2006, 573. 6 FG München v. 12.12.2007 – 1 K 4487/06, DB 2008, 1291. 7 Ebbinghaus/Neu, DB 2012, 2831.

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2.566

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

dem ein Unternehmen qua Forderungsverzicht saniert werden sollte, um es im Anschluss daran zu liquidieren. 2.566 Zusätzlich zu den traditionellen Voraussetzungen des Sanierungsgewinns verlangt die Finanzverwaltung, dass die Sanierungsgewinne zunächst mit allen denkbaren Verlusten sowie Verlustvorträgen und Verlustrückträgen des Steuerpflichtigen verrechnet werden. Der danach verbleibende Betrag soll ein Sanierungsgewinn sein, und nur die darauf entfallende Steuer soll erlassen werden. Vor diesem Hintergrund ist es empfehlenswert, Gewinne aus anderen Sanierungsmaßnahmen, beispielsweise Notverkäufen, vorzuziehen1. 2. Zinsschranke 2.567 Mit der Zinsschrankenregelung des § 4h EStG findet ein erheblicher Eingriff in das steuerrechtliche Nettoprinzip statt. Nach der Grundidee der Zinsschranke sind betrieblich veranlasste Schuldzinsen prinzipiell nur noch bis zur Höhe von 30 v.H. des Gewinns vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) als Betriebsausgaben abziehbar2. Auf Grund der Zinsschranke nichtabziehbare Schuldzinsen werden in die steuerlichen Folgeperioden vorgetragen. 2.568 Die Zinsschranke wird betriebsbezogen angewendet (§ 4h Abs. 1 Satz 1 EStG). Dabei bleibt im Wortlaut des Gesetzes offen, was unter Betrieb zu verstehen ist. Maßgeblich dürfte der Betriebsbegriff der §§ 6 Abs. 3, 16 EStG, §§ 20, 24 UmwStG sein. Eine Kapitalgesellschaft hat stets nur einen Betrieb3. 2.569 Die Zinsschrankenregelung kennt drei Ausnahmen (§ 4h Abs. 2 EStG): – Ausgenommen von der Abzugsbegrenzung sind Betriebe, bei denen der Überschuss der Schuldzinsen über die Erträge weniger als 3 Mio. Euro beträgt. – Trotz Überschreitens der Freigrenze unterliegen die Betriebe nicht dem § 4h EStG, die nicht oder nur anteilsmäßig zu einem Konzern gehören, wenn denn keine schädliche Gesellschafter-Fremdfinanzierung nach § 8a KStG vorliegt. – Auch bei konzernierten Betrieben wird die Zinsschranke nicht angewendet, wenn deren Eigenkapitalquote die durchschnittliche Eigenkapitalquote des Konzerns nicht unterschreitet; bei Kapitalgesellschaften darf aber auch hier kein Fall des § 8a KStG gegeben sein. 2.570 § 4h Abs. 1 EStG erfasst alle betrieblichen Zinsaufwendungen, soweit sie die in derselben Periode erzielten Zinserträge übersteigen. Zu den Zinsaufwendungen gehören alle Vergütungen für Fremdkapital, die den maßgeblichen Gewinn gemindert haben (§ 4h Abs. 3 Satz 2 EStG). Die nach § 4h EStG nicht abziehbaren Zinsen werden vorgetragen und nach § 4h Abs. 4 EStG durch das Betriebsfinanzamt gesondert festgestellt. In den Vortragsjahren können die vorgetragenen Zinsen, soweit sie zusammen mit den in diesen Jahren angefallenen Schuldzinsen die Zinserträge im Vortragsjahr übersteigen, wiederum nur in den Grenzen des § 4h EStG genutzt werden. 1 Düll/Fuhrmann/Eberhard, DStR 2003, 862. 2 Näher BMF, BStBl. I 2008, 718; Rödder/Stangl, DStR 2007, 479; Loschelder in Schmidt, § 4h EStG passim; Töben/Fischer, BB 2007, 974. 3 BFH v. 9.8.1989 – X R 130/87, BStBl. II 1989, 901.

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Steuerrechtliche Folgen

2.574

Nach § 4h Abs. 5 EStG kommt es in Sachverhalten der Aufgabe oder der Übertra- 2.571 gung des Betriebs zu einem Untergang des Zinsvortrags, also zu einer endgültigen Vernichtung des steuersystematisch eigentlich zulässigen Verlustvortrags. Die vorstehend skizzierten Zinsschrankenregeln machen speziell bei Krisen- 2.572 unternehmen Schwierigkeiten1. Handelt es sich um ein sanierungsbedürftiges Konzernunternehmen mit einer ertragsstarken Muttergesellschaft, dann liegt die Eigenkapitalquote des Tochterunternehmens regelmäßig unter der Konzerneigenkapitalquote, so dass die Ausnahmeregel (Rz. 2.569) nicht greift. Und weiterhin: Da Krisenunternehmen in aller Regel eine hohe Verschuldungsquote aufweisen, wird der negative Zinssaldo häufig die Freigrenze von 3 Mio. Euro übersteigen2. Und weiterhin: § 4h EStG hat auch zur Folge, dass bei Aufgabe oder Übertragung des Betriebs ein nicht verbrauchter Zinsvortrag untergeht3. Nach Auffassung der Finanzverwaltung4 sollen bei unterjährig eintretenden Ereignissen, die den teilweisen oder vollständigen Untergang der Vorträge zur Folge haben, die Zinsvorträge nicht mit den zum Zeitpunkt des schädlichen Ereignisses aufgelaufenen positiven Erträgen verrechnet werden können. Dies steht im Gegensatz zur Auffassung des BFH, der – insoweit vergleichbar – bei einem im Grundsatz schädlichen unterjährigen Beteiligungserwerb nach § 8c Abs. 1 KStG entschieden hat, dass ein Verlustvortrag nach § 10d Abs. 2 EStG mit den bis zu dem Zeitpunkt des Anteilseignerwechsels entstandenen Gewinnen verrechnet werden kann5.

III. Kapitalerhöhung und Kapitalherabsetzung 1. Kapitalerhöhung a) Grundsätze Eine GmbH kann ihr Stammkapital (Nennkapital) entweder durch Einlagen ihrer 2.573 Anteilseigner oder aus eigenen, vorhandenen Mitteln erhöhen. Je nachdem, welcher Weg im Einzelfall gewählt wird, können sich unterschiedliche Konsequenzen auch für das Eigenkapital der Gesellschaft und die steuerrechtliche Behandlung der Anteilseigner ergeben. Handelt es sich um eine Kapitalerhöhung, dann kommt es zu einer Erhöhung des Nennkapitals, ohne dass sich körperschaftsteuerrechtliche Konsequenzen ergeben. Es handelt sich um einen steuerrechtlich erfolgsneutralen Vorgang. Dies gilt sowohl für die effektive Kapitalerhöhung durch Einlagen als auch für die nominelle Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln. Eine unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft hat die nicht in das Nennkapital 2.574 geleisteten Einlagen, mithin die handelsrechtlichen Kapitalrücklagen, dem steuerrechtlichen Einlagekonto zuzuschreiben (§ 27 Abs. 1 Satz 1 KStG). Der Bestand des Einlagekontos wird gesondert festgestellt. Dieses Einlagekonto ist grundsätz1 2 3 4 5

Näher Eickhorst, BB 2007, 1707. Herzig/Bohn, DB 2007, 8. Näher Loschelder in Schmidt, § 4h EStG Rz. 1, 32. FinMin. Schleswig-Holstein, DB 2012, 1897; dagegen Liekenbrock, DB 2012, 2488. BFH v. 30.11.2011 – I R 14/11, BStBl. II 2012, 360 = GmbHR 2012, 410 m. Komm. Suchanek.

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2.575

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

lich keine steuerrechtliche Sonderrechnung, vielmehr wird es regelmäßig mit der handelsrechtlichen Kapitalrücklage des § 272 Abs. 2 HGB übereinstimmen1. 2.575 All dies ist materiell-rechtlich einsichtig, weil der Betrag einer Stammkapitalerhöhung nicht für Ausschüttungen verwendet werden kann und der in die Kapitalrücklage geleistete Betrag (gleichfalls) kein von der Kapitalgesellschaft verdientes Einkommen darstellt, mithin beide Größen auf der Ebene der Gesellschaft körperschaftsteuerrechtlich ohne Auswirkungen sein müssen. 2.576 Was die Ebene des Anteilseigners angeht, sind die im Zuge einer Kapitalerhöhung geleisteten Einlagen zunächst ohne ertragsteuerrechtliche Auswirkungen. Handelt es sich um eine (traditionell) steuerverstrickte Beteiligung, mithin um einen GmbH-Geschäftsanteil in einem anderen Betriebsvermögen oder um eine qualifizierte Beteiligung nach § 17 EStG, dann kommt es insoweit zu Anschaffungskosten, die einen späteren Veräußerungsgewinn mindern oder einen späteren Veräußerungsverlust erhöhen2. Barkapitalerhöhungen führen in Höhe der übernommenen Stammeinlagen, eventuell zuzüglich Agio, zu nachträglichen Anschaffungskosten. Bei Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln sind die Anschaffungskosten für die Altanteile auf diese und die neuen Anteile aufzuteilen. Diese Grundsätze gelten entsprechend für Beteiligungen, die nicht von § 17 EStG, sondern von § 20 Abs. 2 EStG erfasst werden. 2.577 In jedem Fall sollten die Anschaffungskosten des jeweiligen Geschäftsanteils festgehalten werden, da es in Zukunft im Zuge einer steuerrechtlichen Zusammenrechnung (§ 17 Abs. 1 Satz 4 EStG) von GmbH-Geschäftsanteilen zu einer qualifizierten Beteiligung des bislang nur unwesentlich Beteiligten kommen kann, beispielsweise durch einen Erbfall. In einer derartigen Konstellation sind die Geschäftsanteile mit der Folge steuerverstrickt, dass die ursprünglichen Anschaffungskosten der vorher unwesentlichen Beteiligung im Fall eines Veräußerungsgewinns oder eines Veräußerungsverlusts nach den Regeln des § 17 EStG erheblich sind. 2.578 Liegt es so, dass bezüglich der GmbH eine steuerverstrickte Beteiligung nach § 17 EStG oder nach § 21 UmwStG a.F., § 22 UmwStG vorliegt, dann können durch eine Kapitalerhöhung gegen Bareinlage die alten Anteile verwässert werden. Nach früherer Ansicht der Finanzverwaltung3 wurde in dieser Variante ein Veräußerungstatbestand bezüglich der steuerverstrickten Anteile fingiert. Das ist mittlerweile überholt, weil nach der Rechtsprechung des BFH4 das Überspringen stiller Reserven nicht als Gewinnrealisierung aufgefasst wird. Soweit stille Reserven auf die neuen Anteile übergehen, gelten diese als partiell steuerverstrickt. Die Auffassung des BFH führt zu einem wirtschaftlich vernünftigen Ergebnis, welches methodisch aber nicht unangreifbar ist. Zwar ist dem BFH zuzustimmen, dass unmittelbar kein Veräußerungstatbestand gegeben ist, doch ist es nicht ohne Bedenken, wenn im Ergebnis die durch Kapitalerhöhung entstandenen Anteile als teilweise unentgeltlich erworbene angesehen werden. Für die Gründung bzw. die Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen/Anteilstausch findet sich nunmehr 1 2 3 4

Näher und zu Ausnahmen Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Loseblatt, § 27 KStG Rz. 35. Vgl. Gosch in Kirchhof, § 17 EStG Rz. 87. BMF, BStBl. I 1978, 235 Tz. 66. BFH v. 10.11.1992 – VIII R 40/89, BStBl. II 1994, 222 = GmbHR 1994, 271.

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Steuerrechtliche Folgen

2.580

ausdrücklich eine gesetzliche Regelung der Mitverstrickung in § 22 Abs. 7 UmwStG. Kommt es im Zuge einer Sanierung der Kapitalgesellschaft nicht zu einer (tech- 2.579 nischen) Kapitalerhöhung, werden vielmehr nur Leistungen in das Vermögen der GmbH erbracht, die auf der Passivseite der Bilanz als Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 HGB ausgewiesen werden, dann ist der schenkungsteuerrechtliche Sondertatbestand des § 7 Abs. 8 ErbStG zu beachten. Als Schenkung gilt demnach auch die Werterhöhung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die eine an der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligte natürliche Person durch die Leistung einer anderen Person an die Gesellschaft erlangt. Freigebig sind auch Zuwendungen zwischen Kapitalgesellschaften, wenn sie in der Absicht getätigt werden, Gesellschafter zu bereichern, und soweit an diesen Gesellschaften nicht unmittelbar oder mittelbar dieselben Gesellschafter zu gleichen Teilen beteiligt sind. § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG ist eine verobjektivierte Fiktion, so dass es im Grundtatbestand auf eine Bereicherungsabsicht nicht ankommt. Hat die Leistung in die Kapitalrücklage demnach zur Folge, dass es zu einer Werterhöhung in der Beteiligung eines Mitgesellschafters kommt, dann löst dies Schenkungsteuer aus! Dies gilt auch für typische Sanierungskonstellationen. Zwar hat die Finanzverwaltung erkannt, dass der Wortlaut des § 7 Abs. 8 ErbStG zu weit reicht1, doch wird die schlichte Leistung in die Kapitalrücklage in dem erwähnten Erlass nicht erörtert. Im Schrifttum2 wird geltend gemacht, dass ein Kapitalgesellschafter unter fremdüblichen Bedingungen keine disquotale Sanierungsleistung erbringen werde. Das ist unzutreffend, weil die Praxis zeigt, dass häufig nur ein Gesellschafter Leistungen in die Kapitalrücklage erbringt, um die Liquidität der Kapitalgesellschaft zu gewährleisten. Und wenn weiter argumentiert wird, der leistende Gesellschafter könnte die Leistung als Stammkapitalerhöhung erbringen, so dass im Ergebnis keine disquotale unter § 7 Abs. 8 ErbStG fallende Leistung anzunehmen sei, dann wird übersehen, dass dies in der Praxis häufig nicht gewünscht wird, weil die spätere Kapitalherabsetzung (§§ 58 ff. GmbHG) komplizierter durchzuführen ist als die Auflösung einer Kapitalrücklage. Nach alldem sollte § 7 Abs. 8 ErbStG restriktiv ausgelegt werden3, soweit der wirtschaftliche Kontext und die Zielrichtung der Leistung nicht in der Bereicherung eines Mitgesellschafters zu sehen sind. Für die Praxis kann § 7 Abs. 8 ErbStG dadurch vermieden werden, dass eine „schuldrechtlich gebundene Kapitalrücklage“ vereinbart wird, und zwar in der Weise, dass im Fall der Auflösung der Kapitalrücklage der zuvor geleistete Betrag an denjenigen Gesellschafter ausgekehrt wird, der die Rücklage erbracht hat4. In dieser Variante tritt keine Werterhöhung in der Beteiligung des Mitgesellschafters ein, so dass § 7 Abs. 8 ErbStG schon vom Wortlaut her nicht gegeben ist. b) Verwendung von Gesellschafterdarlehen Eine Sondersituation ergibt sich (auch) aus steuerrechtlicher Sicht, soweit eine 2.580 Kapitalerhöhung mit Gesellschafterdarlehen (eines Anteilseigners der GmbH) vorgenommen wird. Die handelsbilanzrechtliche und steuerbilanzielle Ausgangs1 2 3 4

Gleichlautender Ländererlass, BStBl. I 2012, 331. Van Lishaut/Ebber/Schmitz, Ubg 2012, 1. So Viskorf, ZEV 2012, 442. Näher Priester in GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 293.

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2.581

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

situation ist die, dass auf der Passivseite der Bilanz der GmbH das Darlehen eines Gesellschafters als Fremdkapital ausgewiesen ist. 2.581 Wenn der tatsächliche Wert des Gesellschafterdarlehens den Nominalbetrag der von dem betreffenden Gesellschafter im Zuge der Kapitalerhöhung übernommenen Einlage entspricht, dann kommt es bei der GmbH aus bilanzieller Sicht zu einem erfolgsneutralen Tausch von Passiva. Eine Fremdverbindlichkeit fällt weg, und im Gegenzug erhöht sich im gleichen Umfang das Nennkapital der GmbH. Das für Ausschüttungen zur Verfügung stehende Eigenkapital der GmbH wird nicht berührt, da auf Grund der Kapitalerhöhung eine Zuordnung zum Nennkapital erfolgt. 2.582 Auf der Ebene des Anteilseigners geht es ebenfalls um einen erfolgsneutralen „Aktivtausch“, weil die Darlehensforderung gegenüber der GmbH erlischt und an ihre Stelle der aus der Kapitalerhöhung resultierende GmbH-Geschäftsanteil tritt1. Handelt es sich in der Person des GmbH-Gesellschafters um eine steuerverstrickte Beteiligung, dann erhöht sich insoweit das Volumen der Anschaffungskosten. Wird auf Grund der Kapitalerhöhung ein neuer GmbH-Geschäftsanteil gebildet, dann entsprechen die steuerrechtlich erheblichen Anschaffungskosten dem vormaligen Wert des Darlehens, welches zur Kapitalerhöhung verwendet worden ist. 2.583 Liegt es – wie in der Krise regelmäßig – im Einzelfall so, dass die Darlehensforderung aus der Sicht des Gesellschafters nicht mehr vollwertig ist, weil sich die GmbH beispielsweise kurz vor der Überschuldung befindet, dann kommt es zu Gewinnauswirkungen, die nach den Grundsätzen der Entscheidung des Großen Senats des BFH v. 9.6.19972 zu beurteilen sind. Auf der Ebene der GmbH ist die Darlehensforderung in einen werthaltigen und einen nichtwerthaltigen Teil aufzuspalten. Zwar erlischt die Darlehensverbindlichkeit der GmbH durch die Verwendung des Darlehens als Sacheinlage in voller Höhe. Der Einlagewert ist jedoch nur in der Höhe anzunehmen, in der das Darlehen noch werthaltig gewesen ist. Der nichtwerthaltige Teil des Darlehens führt zum Erlöschen einer Darlehensverbindlichkeit und damit zu einem Gewinn der GmbH. Insoweit kommt es entweder zur körperschaftsteuerrechtlichen Definitivbelastung nach § 23 Abs. 1 KStG oder zum Verbrauch eines eventuell vorhandenen Verlustvortrags nach § 8 Abs. 1 KStG, § 10d EStG. Handelt es sich bei der Darlehensforderung um eine Forderung aus einem (anderen) Betriebsvermögen des GmbH-Gesellschafters, dann kommt es auf Grund des Erlöschens der Darlehensforderung zu einem Verlust in Höhe des nichtwerthaltigen Teils. Im Gegenzug kommt es zu Anschaffungskosten bezüglich des durch die Kapitalerhöhung erlangten GmbH-Geschäftsanteils in Höhe des werthaltigen Teils des zur Kapitalerhöhung eingesetzten Darlehens. Hier ist dann allerdings bei natürlichen Personen als Anteilseigner § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG für zukünftige Veräußerungskonstellationen zu beachten. 2.584 Ist der betrieblich beteiligte Anteilseigner seinerseits Körperschaft, dann war es nach früherer Rechtslage umstritten, ob Verluste aus Gesellschafterdarlehen von der Verlustausgleichsbeschränkung des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG a.F. erfasst 1 BFH v. 25.1.1984 – I R 183/81, BStBl. II 1984, 422 = GmbHR 1984, 914; BFH v. 11.9.1991 – XI R 15/90, BStBl. II 1992, 404 = GmbHR 1992, 547. 2 BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = GmbHR 1997, 851.

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Steuerrechtliche Folgen

2.586

werden. Hintergrund dieses Problems ist/war die Möglichkeit, unter Umständen durch die Hingabe eines Darlehens § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG vermeiden zu können. Den Befürwortern einer Einbeziehung von Gesellschafterdarlehen in § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG1 ist/war entgegenzuhalten, dass Darlehensforderungen eines Gesellschafters auch dann, wenn sie nach gesellschaftsrechtlicher Rechtslage funktionales Eigenkapital sind/waren, Fremdkapital darstellen. Erst wenn es zu einer Gewinnminderung des Darlehens kommt, ist zu klären, ob dieser Betrag in den Anwendungsbereich des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG fällt. Dies ist zu verneinen2. Die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft und das (zusätzliche) Gesellschafterdarlehen sind zwei separate Wirtschaftsgüter, so dass § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG nicht eingreifen kann. Mittlerweile ist § 8b KStG jedoch geändert worden. Nach § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG3 wird das Verlustausgleichsverbot konstitutiv auf gesellschaftsrechtlich veranlasste Darlehen und Sicherheiten erweitert. Durch die Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG wird eine körperschaftsteuerrechtliche Berücksichtigung einer Gewinnminderung auf gesellschaftsrechtlich veranlassten Darlehen und Sicherheiten in Zukunft nicht mehr möglich sein. Eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung wird bei Darlehen, die der zu mehr als 25 v.H. beteiligte Gesellschafter oder eine ihm nahe stehende Person an die Gesellschaft gibt, vermutet. Allerdings besteht die Möglichkeit des Gegenbeweises durch Drittvergleich (§ 8b Abs. 3 Satz 6 KStG). Die Neuregelung betrifft allein die Ebene des Anteilseigners, der an die GmbH ein Darlehen ausgereicht hat. Handelt es sich um ein Darlehen, welches von einem betrieblich beteiligten Ein- 2.585 kommensteuersubjekt ausgereicht worden ist, so ist wie folgt zu unterscheiden: Nach früherer Rechtslage galt hier das Teilabzugsverfahren des § 3c Abs. 2 EStG nicht, weil die Beteiligung als solche und das Darlehen zwei separate Wirtschaftsgüter darstellen, so dass § 3c Abs. 2 EStG allein die Beteiligung ergreifen kann/ konnte. Für Steuerperioden, die nach dem 31.12.2014 beginnen, ist § 3c Abs. 2 EStG ergänzt worden4. Das Teilabzugsverfahren gilt entsprechend den Regelungen in § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG nunmehr auch für ein Gesellschafterdarlehen, welches ein betrieblich beteiligter Gesellschafter ausgereicht hat5. Im Einzelfall kommt es darauf an, ob ein fremder Dritter das Darlehen ebenfalls gewährt oder nicht zurückgefordert hätte; nur dann greift das Teilabzugsverfahren ein (§ 3c Abs. 2 Satz 3 EStG). Im Übrigen werden auch Nutzungsüberlassungen erfasst (§ 3c Abs. 2 Satz 6 EStG). Im Unterschied zu § 8b Abs. 3 Satz 5 KStG sind allerdings dem Gesellschafter nahestehende Personen nicht in den Anwendungsbereich des § 3c Abs. 2 EStG einbezogen. Ist die im Zuge der Kapitalerhöhung eingelegte Sacheinlage (Gesellschafterdarle- 2.586 hen) überbewertet worden, handelt es sich also um eine Differenz zwischen dem wahren Wert der Darlehensforderung im Zeitpunkt der Anmeldung der Kapital1 Z.B. Buchna/Sombrowski, DB 2005, 1539. 2 Vgl. BFH v. 16.5.2001 – I B 143/00, BStBl. II 2002, 436 = GmbHR 2001, 822 m. Komm. Eilers/Wienands; BFH v. 20.4.2005 – X R 2/03, BStBl. II 2005, 694 = GmbHR 2005, 1193 m. Komm. Hoffmann; BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = GmbHR 2009, 490; Crezelius in FS Raupach, 2006, S. 327, 336 ff.; Roser in Gosch, § 8 KStG Rz. 123 ff. 3 Ausführlich Nöcker in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8b KStG Rz. J 07-5 ff. 4 BGBl. I 2014, 2417. 5 Kritisch Ortmann-Babel/Gauß, DB 2015, 14.

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2.587

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

erhöhung im Handelsregister und einem höheren Nennwert der übernommenen Stammeinlage, dann bleibt die Einlageverpflichtung des Anteilseigners als Bareinlageverpflichtung bestehen. Werden auf Grund dieser Differenzhaftung Bareinlagen durch den Gesellschafter geleistet, dann handelt es sich aus steuerrechtlicher Sicht gleichfalls um Leistungen auf das Nennkapital. Sowohl auf der Ebene der GmbH als auch auf der Anteilseignerebene ist dies ein erfolgsneutraler Vorgang, der das körperschaftsteuerrechtliche Eigenkapital nicht berührt. c) ESUG 2.587 Aufgrund der Neuregelungen durch das ESUG kann ein sog. Debt-Equity-Swap im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens vorgenommen werden (Rz. 8.26 ff.)1. Nach § 225a Abs. 2 Satz 1 InsO können mit dem Insolvenzplan Forderungen der Gläubiger in Mitgliedschaftsrechte an einer Kapitalgesellschaft umgewandelt werden. Der Insolvenzplan kann also eine Kapitalherabsetzung oder Kapitalerhöhung, die Leistung von Sacheinlagen, den Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an Ausscheidende vorsehen (§ 225a Abs. 2 Satz 3 InsO). Aus steuerrechtlicher Sicht ist es bemerkenswert, dass die insolvenzrechtlichen Neuregelungen des Debt-Equity-Swap steuerrechtlich nicht begleitet worden sind. Folge davon ist, dass aufgrund der Konfusion von Verbindlichkeit (der Kapitalgesellschaft) und Forderung (des bisherigen Gläubigers) bei sanierungsbedürftigen Kapitalgesellschaften ein steuerpflichtiger Ertrag in Höhe des wertlosen Teils der umstrukturieren Forderung entsteht. Im Ergebnis behandelt das Steuerrecht einen Debt-Equity-Swap also wie einen Forderungsverzicht eines Gesellschafters2. 2.588 Eine Variante ist der sog. Debt-Mezzanine-Swap. Hier wird die bisherige Verbindlichkeit des Unternehmens durch Änderung der Kautelen in ein Genussrecht oder ein vergleichbares mezzanines Instrument umgewandelt, ohne dass eine Beteiligung am Liquidationserlös eingeräumt wird. Zweck dieser Variante ist es, dass es handelsrechtlich zum Ausweis von Eigenkapital kommt, gleichzeitig aber die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, der auf den Liquidationserlös abstellt, vermieden werden sollen. Hierzu hat sich aus steuerrechtlicher Sicht die OFD Rheinland3 geäußert. Immer dann, wenn es handelsbilanzrechtlich zur Umqualifizierung von Eigenkapital kommt, müsse dem auch steuerbilanziell Rechnung getragen werden, so dass es insofern ebenfalls zu Gewinnauswirkungen kommt4. Die OFD Rheinland meint, dass § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG keine Aussage zur steuerbilanzrechtlichen Behandlung eines Genussrechts beinhalte. Es sei daher davon auszugehen, dass die handelsbilanzielle Umqualifizierung einer Verbindlichkeit in Eigenkapital aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzips der § 8 Abs. 1 KStG, § 5 Abs. 1 EStG auch die steuerbilanzielle Umqualifizierung in Eigenkapital nach sich ziehe. Daher sei sowohl handelsrechtlich als auch steuerrechtlich von einem Ertrag auszugehen, der im Falle fehlender Werthaltigkeit der Forderung (des bisherigen Gläubigers) nicht durch den Abzug einer verdeckten Einlage kompensiert werden könne. Die Grundsatzfrage besteht nach allem darin, ob auch im 1 2 3 4

Dazu Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632; DB 2011, 693; Schneider/Höpfner, BB 2012, 87. Vgl. BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = GmbHR 1997, 851. OFD Rheinland, DB 2012, 21. Kritisch Kroener/Momen, DB 2012, 829.

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Crezelius

Steuerrechtliche Folgen

2.591

Rahmen der Sonderregel des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG der Grundsatz der Maßgeblichkeit des Handelsbilanzrechts gelten soll. Wenn § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG dem Wortlaut nach darauf abstellt, dass es zu einer Gewinnkorrektur nur kommt, wenn auch eine Beteiligung am Liquidationserlös vereinbart ist, dann müsste daraus im Umkehrschluss gefordert werden, dass ohne Beteiligung am Liquidationserlös die Korrektur nicht vorzunehmen ist. 2. Kapitalherabsetzung Was die Ebene der GmbH angeht, so richtet sich die steuerrechtliche Behandlung 2.589 einer Kapitalherabsetzung danach, ob das heruntergesetzte Kapital von den Gesellschaftern im Wege der Bareinlage oder der Sacheinlage aufgebracht worden oder ob es durch die Umwandlung von Rücklagen entstanden war. Ist das Stammkapital ausschließlich durch Bareinlage oder Sacheinlage aufgebracht worden, dann gehört das Nennkapital nicht zum ausschüttungsfähigen Eigenkapital. Infolgedessen vollzieht sich in diesen Konstellationen die Kapitalherabsetzung allein auf der Vermögensebene, und sie wirkt sich auch nicht auf das steuerpflichtige Einkommen der Gesellschaft aus. Eine Ausnahme gibt es aber bei Kapitalrückzahlungen in Sachwertform, soweit dabei wegen der Aufgabe der Qualität als Betriebsvermögen der Kapitalgesellschaft stille Reserven aufgedeckt werden1. Die vorstehend geschilderte (traditionelle) Sichtweise hat sich nach der Abschaf- 2.590 fung des sog. Anrechnungsverfahrens nicht geändert. Es ist weiterhin danach zu differenzieren, ob das von der Herabsetzung betroffene Kapital aus Erträgen der Gesellschaft erwirtschaftet ist oder von den Anteilseignern zur Verfügung gestellt wurde. Die Rückzahlung der von den Gesellschaftern geleisteten Einlagen ist bei den Anteilseignern prinzipiell keine steuerpflichtige Einnahme. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG formuliert das so, dass es nicht zu Kapitalvermögenseinkünften kommt, soweit die Bezüge des Anteilseigners aus Ausschüttungen stammen, die aus dem steuerrechtlichen Einlagekonto des § 27 KStG stammen. Das ist in der Sache zutreffend, weil es sich insoweit nicht um eine Bereicherung des Anteilseigners handeln kann. Andererseits unterliegt die Auskehrung im Nennkapital umgewandelter Gewinnrücklagen nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG der Besteuerung. Dabei ist dann aber wieder danach zu differenzieren (Rz. 2.551 ff.), ob der Empfänger dieser Bezüge in den Anwendungsbereich des Abgeltungsteuersystems oder unter die Regeln des Teileinkünfteverfahrens fällt. Nach allem sind Einlagen von Gewinnrücklagen abzugrenzen. U.a. deshalb wird 2.591 das Einlagekonto nach § 27 KStG geführt. §§ 27, 28 KStG machen deutlich, dass das Einlagekonto von denjenigen Gewinnrücklagen abzugrenzen ist, die in Nennkapital umgewandelt wurden. Diese separate Erfassung der Einlagen und der in Nennkapital umgewandelten Gewinnrücklagen ist erforderlich, weil Gewinnausschüttungen, und zwar unabhängig davon, ob dieser Betrag bei der GmbH steuerpflichtig oder steuerbefreit ist, beim Anteilseigner einkommensteuerpflichtig ist bzw. unter den Voraussetzungen des § 8b KStG steuerfrei gestellt wird.

1 Winter, GmbHR 1993, 577.

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2.592

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

IV. Sog. Mantelkauf/§ 8c KStG 1. Entwicklung 2.592 Steuerrechtlich kann der Erwerb von GmbH-Geschäftsanteilen u.a. auch im Hinblick auf den ertragsteuerrechtlichen Verlustabzug von Interesse sein. Da der Verlustabzug nach § 8 Abs. 1 KStG, § 10d EStG nur demjenigen Steuersubjekt zusteht, welches den Verlust erlitten hat, sind die Verluste einer Kapitalgesellschaft nicht mehr ausgleichsfähig, wenn sie ihren Betrieb einstellt und liquidiert wird. Diese Konsequenz könnte vermieden werden, wenn der Mantel einer liquidationsreifen Körperschaft erworben wird. Der Mantelkäufer könnte die Kapitalgesellschaft finanziell wiederbeleben und einen gewinnbringenden Betrieb in sie einbringen und die Altverluste mit den in Zukunft anfallenden Gewinnen ausgleichen. 2.593 Mit mehreren Entscheidungen aus dem Jahre 1986 hatte der BFH bezüglich der Berechtigung zum Verlustabzug allein auf die rechtliche Identität der Kapitalgesellschaft vor und nach dem Gesellschafterwechsel abgestellt1. Der Steuergesetzgeber hatte auf diese Rechtsprechung mit § 8 Abs. 4 KStG a.F. reagiert. Die Norm ist dann mehrfach geändert worden2. 2.594 Mit dem UntStReformG 2008 wird § 8 Abs. 4 KStG a.F. durch die Neuregelungen in § 8c KStG ersetzt. § 8c KStG findet erstmals mit dem Veranlagungszeitraum 2008 und auf Anteilsübertragungen nach dem 31.12.2007 Anwendung (§ 34 Abs. 7b KStG). § 34 Abs. 6 KStG regelt aber, dass der „gestrichene“ § 8 Abs. 4 KStG a.F. zeitweise neben § 8c KStG anwendbar ist, nämlich letztmals, wenn mehr als die Hälfte der Anteile innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren übertragen werden, der vor dem 1.1.2008 beginnt, wenn denn der Verlust der wirtschaftlichen Identität vor dem 1.1.2013 eintritt. 2.595 Im Ergebnis können sich daher das alte und das neue Recht überlappen3. Das Ergebnis der nebeneinander möglichen Anwendung von § 8 Abs. 4 KStG a.F. einerseits und § 8c KStG andererseits besteht darin, dass innerhalb der Übergangsphase sowohl der komplette Wegfall des Verlustabzugs nach § 8 Abs. 4 KStG a.F. in Betracht kommt4, aber auch der vollständige oder teilweise Wegfall des Verlustabzugs nach § 8c KStG möglich ist. Da es sich bei der Übergangsregelung um eine schematisierende Anordnung handelt, könnte das Übermaßverbot verletzt sein, weil sowohl § 8 Abs. 4 KStG a.F. als auch § 8c KStG letztlich Missbrauchskonstellationen verhindern wollen, dabei aber das Übergangsrecht weit über das Ziel hinausschießt. Dem könnte allerdings entgegengehalten werden, dass nach Absicht des Steuergesetzgebers die Neuregelung in § 8c KStG bezweckt, die Rechtsanwendungsschwierigkeiten des früheren Rechts zu beseitigen. Im Übrigen meint man, einen Paradigmenwechsel in der Weise vollzogen zu haben, dass an Stelle der kodifizierten Missbrauchsregel in § 8 Abs. 4 KStG a.F. eine 1 BFH v. 29.10.1986 – I R 202/82, BStBl. II 1987, 308 = GmbHR 1987, 175; BFH v. 29.10. 1986 – I R 318/83, I R 319/83, BStBl. II 1987, 310 = GmbHR 1987, 173. 2 Zur Entwicklung Roser in Gosch, § 8 KStG Rz. 1390 ff. 3 Kritisch Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStG J 07-4; Korn, Beratungsbrennpunkt Unternehmensteuerreform 2008, 2007, S. 63. 4 BT-Drucks. 16/5491, S. 22.

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Steuerrechtliche Folgen

2.601

schlichte Verlustvernichtungsregel getreten ist1. Nach hier vertretener Auffassung sind das mehr oder weniger rein plakative Begründungen, hinter denen sich allein fiskalische Erwägungen verbergen, weil insbesondere § 8c KStG als Gegenfinanzierungsmaßnahme zur Steuersatzsenkung des § 23 Abs. 1 KStG dienen soll2. Steuersystematisch schwerwiegender ist der Hinweis darauf, dass sowohl § 8 2.596 Abs. 4 KStG a.F. als auch § 8c KStG einen Verstoß gegen das Nettoprinzip als Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips darstellen, so dass insoweit der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sein dürfte3. Diese steuersystematischen/verfassungsrechtlichen Zweifel werden noch durch das Zusammenspiel mit der Mindestbesteuerung der § 8 Abs. 1 KStG, § 10d Abs. 2 EStG verstärkt. Nach der Mindestbesteuerung ist eine unbeschränkte Verlustverrechnung mit einem Verlustvortrag nur bis zur Höhe von 1 Mio. Euro möglich. Das übersteigende Volumen kann nur noch bis zu 60 v.H. mit Verlusten aus vergangenen Zeiträumen verrechnet werden. Hat eine GmbH also in der Vergangenheit vor dem Hintergrund der Mindestbesteuerungsregel keinen unbeschränkten Verlustausgleich vornehmen können, dann kann dieser künstlich gestreckte Verlustvortrag nach den körperschaftsteuerrechtlichen Sonderregeln des alten und neuen Rechts vollkommen untergehen. 2.597–2.600

vacat 2. § 8c KStG a) Konzept

Der für Anteilsübertragungen nach dem 31.12.2007 anzuwendende4 § 8c Abs. 1 2.601 KStG wählt eine neue Technik, um den Wegfall der Verlustvortragsposition nach § 10d EStG bei Kapitalgesellschaften zu beeinträchtigen. Werden innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 25 v.H. des gezeichneten Kapitals der Mitgliedschaftsrechte an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen übertragen oder liegt ein vergleichbarer Sachverhalt vor, sind insoweit die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzten Verluste nicht mehr abziehbar. Werden innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 50 v.H. übertragen, dann sind die bis zum Erwerb noch nicht genutzten Verluste der Gesellschaft vollständig nicht mehr abziehbar. Im Ergebnis handelt es sich – wie schon bei § 8 Abs. 4 KStG a.F. – um eine Durchbrechung des zivilrechtlichen Trennungsprinzips und der steuerrechtlichen Subjektfähigkeit einer Körperschaft5. Diesen grundsätzlichen rechtssystematischen Einwand versucht der Steuergesetzgeber mit der Begründung zu überspielen, dass die wirtschaftliche Identität einer Gesellschaft durch den Anteilseignerwechsel und das wirtschaftliche Engagement eines anderen Anteilseigners geändert werde6. Das ist eine kaum 1 2 3 4 5

BT-Drucks. 16/4841, S. 75. Vgl. BT-Drucks. 16/4841, S. 75. Vgl. Hey, BB 2007, 1303; Lenz/Ribbrock, BB 2007, 587; Suchanek/Herbst, FR 2007, 863. S. § 34 Abs. 7b KStG. Kritisch Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStG J 07-2; Schwedhelm, GmbHR 2008, 404, 405 f. 6 BT-Drucks. 16/4841, S. 76.

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2.602

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

hinnehmbare Begründung, weil es gerade die Eigenart einer juristischen Person ist, dass die rechtliche und wirtschaftliche Identität vom Wechsel des Anteilseignerbestandes unabhängig ist. Auch steuersystematisch ist die Neuregelung bedenklich, weil ihr eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrunde liegt, die letztlich dazu führt, dass jedenfalls in Verlustkonstellationen und im Anwendungsbereich des § 8c KStG eine transparente Behandlung wie bei Personengesellschaften/Mitunternehmerschaften stattfindet. Das FG Hamburg1 hat § 8c KStG dem BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegt2. b) Entwicklung 2.602 Nach § 8c Abs. 1a KStG ist ein zwecks Sanierung erfolgender Beteiligungserwerb unschädlich, obwohl im Grundsatz die Voraussetzungen des § 8c Abs. 1 KStG vorliegen3. Mit Beschluss vom 26.1.2011 hat die EU-Kommission entschieden, dass § 8c Abs. 1a KStG als unzulässige Beihilfe nach Art. 103 Abs. 3 AEUV zu qualifizieren ist. § 8c Abs. 1a KStG sei vom deutschen Gesetzgeber aufzuheben. In der Sache wird der Beschluss der EU-Kommission an der Grundregel des § 8c Abs. 1 KStG gemessen. Der dort geregelte Verlustuntergang erfasse alle Kapitalgesellschaften, demgegenüber die Sanierungsklausel nur für wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen Anwendung finde und daher selektiv sei. Das ist wenig überzeugend, weil der Grundfehler der EU-Kommission darin besteht, dass nicht § 8c KStG das maßgebende Referenzsystem ist, vielmehr die steuerrechtliche Rechtslage ohne die Sondernorm. Im Ergebnis kehrt § 8c Abs. 1 KStG lediglich zur Grundregel der Verlustverrechnung (Nettoprinzip) zurück4. Gegen den Beschluss der EU-Kommission haben mehrere (deutsche) Unternehmen Klage vor dem Gericht der Europäischen Union erhoben. Wenn die Klage Erfolg hat, dann gelten die Rechtsfolgen für alle betroffenen Kapitalgesellschaften. Dies hat aber nur Auswirkungen, wenn steuerrechtliche Änderungsbescheide noch nicht ergangen sind oder angefochten oder aus anderen Gründen verfahrensrechtlich noch nicht bestandskräftig sind. 2.603 Mittlerweile hat der deutsche Steuergesetzgeber § 8c Abs. 1a KStG suspendiert (§ 34 Abs. 7c Satz 3, 4 KStG). Steuerbescheide, in denen der Verlust nach § 8a Abs. 1 KStG nicht untergegangen ist, sind zu ändern. Das ist unproblematisch, wenn der Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung des § 164 Abs. 1 AO stand. Liegt kein Vorbehalt der Nachprüfung vor, dann soll eine Änderung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2d AO möglich sein, weil die Regeln der AO aufgrund § 1 Abs. 1 Satz 2 AO nur vorbehaltlich Europarechts anzuwenden seien. Nach europäischer Rechtslage soll auch eine sich aus nationalem Recht ergebende Bestandskraft oder Verjährung unbeachtlich sein5. Auch auf Vertrauensschutz können sich die Steuerpflichtigen nicht berufen, wenn die Beihilfe – so liegt es bei § 8c Abs. 1a KStG – bei der Kommission nicht angemeldet worden war6. Der 1 FG Hamburg v. 4.4.2011 – 2 K 33/10, DStR 2011, 1172 = GmbHR 2011, 711 m. Komm. Roser. 2 Für Verfassungswidrigkeit auch Lang, GmbHR 2012, 57. 3 Einzelheiten bei Ernst & Young/Lang, § 8c KStG Rz. 143 ff. m.w.N. 4 Breuninger/Ernst, GmbHR 2010, 561; Drüen, DStR 2011, 289. 5 EuGH v. 5.10.2006 – Rs. 403/06 P, ABl. EU Nr. C 294 v. 2.12.2006, S. 32. 6 BFH v. 30.1.2009 – VII B 180/08, BFH/NV 2009, 857.

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Steuerrechtliche Folgen

2.608

BFH steht auf dem Standpunkt, dass es den Steuerpflichtigen zuzumuten sei, sich zu vergewissern, dass die europarechtlichen Vorgaben eingehalten worden sind! Daraus ergeben sich unmittelbar bilanzielle Konsequenzen, weil eine betroffene 2.604 Kapitalgesellschaft die drohende Rückzahlungsverpflichtung als Rückstellung zu passivieren hat. Wenn handelsbilanzrechtlich aufgrund des bestehen gebliebenen Verlustvortrags nach § 272 Abs. 1 HBG latente Steuern gebildet worden waren, so sind diese aufzulösen. Es kommt dann zu einer Hinzurechnung der Zuführungen zu Rückstellungen nach § 10 Nr. 2 KStG. 2.605

vacat c) Teleologie

Zwar geht der Steuergesetzgeber in der Begründung zu § 8c KStG davon aus, dass 2.606 es sich um eine vollkommen neue Grundkonzeption handelt, doch wird andererseits ausgeführt, dass § 8c KStG als Nachfolgenorm zu § 8 Abs. 4 KStG a.F. zu begreifen ist. § 8 Abs. 4 KStG a.F. war aber eine typisierte Missbrauchsvorschrift1. In seiner Wirkungsweise geht § 8c KStG aber weit über den Missbrauchsverhinderungsgedanken hinaus, weil die Voraussetzungen der Norm in Einzelnen zeigen, dass auch Sachverhalte erfasst werden, bei denen es wirtschaftlich nicht um „Verlusterwerbskonstellationen“ geht. Das zeigt sich insbesondere daran, dass es schwer nachvollziehbar ist, dass bei einem Anteilseignerwechsel zwischen 25 v.H. und 50 v.H. ein missbräuchlicher Verlusterwerb angenommen werden soll, weil nämlich eine derartige Beteiligungsquote nicht immer wesentlichen Einfluss auf die Kapitalgesellschaft vermitteln muss2. Nach allem ist § 8c KStG eine allein von fiskalischen Erwägungen bestimmte „Verlustvernichtungsnorm“3. Maßgebliches Kriterium ist demnach allein der Anteilseignerwechsel, wobei § 8c 2.607 Abs. 1 KStG zweistufig aufgebaut ist: Es kommt zu einem quotalen Untergang des Verlustabzugs bei Anteils- oder Stimmrechtsübertragungen von mehr als 25 v.H. bis einschließlich 50 v.H. Wird diese Quote überschritten, dann geht der Verlust vollständig unter. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BFH4 können die schädlichen Übertragungen sowohl unmittelbar als auch mittelbar erfolgen. 2.608

Beispiel: A ist im Jahre 2015 Alleingesellschafter der X-GmbH. Er überträgt in jedem der Folgejahre 20 v.H. seiner Anteile an den Neugesellschafter B. Am ersten der Veräußerung vorausgehenden Stichtag existiert ein Verlust von 800 000 Euro. Jährlich wird ein Verlust von 100 000 Euro erwirtschaftet. Die erste schädliche Veräußerung erfolgt im Jahre 2017, so dass der zum 31.12.2014 festgestellte Verlust von 900 000 Euro zu 40 v.H. untergeht. Die Übertragung im Jahre 2016 lässt den Verlust vollständig untergehen. 1 Vgl. BFH v. 14.3.2006 – I R 8/05, BStBl. II 2007, 602 = GmbHR 2006, 767 m. Komm. Suchanek. 2 Meyer, BB 2007, 1415; Schwedhelm, GmbHR 2008, 404, 406. 3 Hey, BB 2007, 1303, 1306; Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStG J 07-2; Wiese, DStR 2007, 741, 744. 4 BFH v. 20.8.2003 – I R 61/01, BFH/NV 2003, 1672 = GmbHR 2003, 1441 m. Komm. Roser.

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2.609

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.609 Nach § 10a Satz 10 GewStG ist § 8c KStG auf vortragsfähige Gewerbeverluste analog anwendbar. Allerdings hat § 8c KStG bei einer Kapitalgesellschaft als Mitunternehmerin einer Personengesellschaft im Grundsatz keinen Einfluss auf den vortragsfähigen Gewerbeverlust des § 10a Satz 1 GewStG der Mitunternehmerschaft für die Frage der Unternehmeridentität, da hier zivilrechtliche Maßstäbe angelegt werden, ob der Gewerbebetrieb im Abzugsjahr von demselben Unternehmer betrieben wird1. § 10a Satz 10 GewStG ordnet aber an, dass § 8c KStG auch für den Gewerbeverlust gilt, soweit er einer Mitunternehmerschaft zuzuordnen ist, dazu aber einer beteiligten Körperschaft oder einer mittelbar über eine andere Personengesellschaft beteiligten Körperschaft zuzurechnen ist. d) Erwerb der Beteiligung 2.610 Nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG muss die (schädliche) Übertragung an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen erfolgen. Dabei ist das Kriterium des Nahestehens nur im Verhältnis der Erwerber zueinander, nicht im Verhältnis des bisherigen Gesellschafters zu dem Erwerber oder den Erwerbern maßgebend2. Umstritten ist, ob der Begriff der nahe stehenden Person nach den Kriterien des § 1 Abs. 2 AStG oder nach der Dogmatik der Figur der verdeckten Gewinnausschüttung zu bestimmen ist3. Nach hier vertretener Auffassung kann es allein auf die Begrifflichkeiten des § 1 Abs. 2 AStG ankommen, weil Sinn und Zweck der Figur der verdeckten Gewinnausschüttung mit § 8c KStG nichts zu tun hat. 2.611 Nahestehende Personen nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG sind damit alle natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften, die einem Näheverhältnis stehen4. Kommt es im Einzelfall zu einer potentiellen Zusammenrechnung der Anteile von Ehegatten, dann führt die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG5. 2.612 Da es nahe liegt, dass beispielsweise vier einander nicht nahe stehende Erwerber zu gleichen Teilen 25 v.H. eine Kapitalgesellschaft mit Verlustvortrag erwerben, um § 8c KStG zu vermeiden, sollen derartige Strukturen zusammengefasst werden6. Voraussetzung muss aber sein, dass der Erwerb der Anteile auf Grund gleichgerichteter Interessen erfolgt; in diesem Zusammenhang verweist die Gesetzesbegründung auf den Umstand, dass die Kapitalgesellschaft von den Erwerbern gemeinsam beherrscht wird. Dabei sollte es allerdings auf das tatsächliche Beherrschen ankommen, nicht auf die reine Möglichkeit. Für diese Lösung spricht schon die Überlegung, dass bei einer Erwerbergruppe, die sich untereinander fremd ist und nicht nahe steht, bei einem Erwerb von mehr als 50 v.H. immer die faktische Möglichkeit besteht, die Gesellschaft zu beherrschen, so dass § 8c KStG immer erfüllt wäre. Nach Auffassung der Finanzverwaltung7 müssen sich die gleichge1 BFH (GrS) v. 3.5.1993 – GrS 3/92, BStBl. II 1993, 616. 2 Beuß, DB 2007, 1549. 3 Vgl. Lang, DStZ 2007, 652, 653; Meyer, BB 2007, 1415, 1418; Neumann, GmbH-StB 2007, 249. 4 Einzelheiten bei Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStG J 07-15. 5 Vgl. BVerfG v. 3.10.1989 – 1 BvL 78/86, 1 BvL 79/86, BVerfGE 81, 1, 6. 6 BT-Drucks. 16/5491, S. 22; auch Lang, DStZ 2007, 652, 653 f. 7 BMF, BStBl. I 2008, 736 Tz. 27.

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Steuerrechtliche Folgen

2.615

richteten Interessen auf den Erhalt des Verlustvortrags der Kapitalgesellschaft richten; dafür soll die gemeinsame Beherrschung indizielle Bedeutung haben. e) Anteilseignerwechsel § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG geht im Grundtatbestand davon aus, dass eine kapitalge- 2.613 sellschaftsrechtliche Beteiligung übertragen wird. § 8c Abs. 1 Satz 4 KStG regelt dann ausdrücklich, dass eine Kapitalerhöhung der Übertragung des gezeichneten Kapitals gleichsteht, soweit sie zu einer Veränderung der Beteiligungsquoten am Kapital der Gesellschaft führt. Diese Gleichstellung der Kapitalerhöhung (mit neuen Anteilen) mit dem Grundtatbestand des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG führt insbesondere in Sanierungskonstellationen dazu, dass der Hinzutritt von Neugesellschaftern einen existenten Verlustvortrag der GmbH beeinträchtigen bzw. vernichten kann. Die quantitativen Voraussetzungen des § 8c KStG beziehen sich auf das gezeich- 2.614 nete Kapital, die Mitgliedschaftsrechte, die Beteiligungsrechte oder die Stimmrechte. Dabei sollte von einem zivilrechtlichen Verständnis ausgegangen werden, weil der Begriff der Übertragung im zivilrechtlichen Sinne als rechtsgeschäftliche Übertragung zu verstehen ist. Im Grundsatz kommt es also auf die Übertragung des Mitgliedschaftsrechts an. Wenn zusätzlich auf die Stimmrechte abgestellt wird, dann handelt es sich um Sachverhalte, in denen zwar nicht mehr als 25 v.H. der jeweiligen Beteiligung, aber mehr als 25 v.H. der Stimmrechte der betroffenen Gesellschaft übertragen werden. Damit wird allein auf Grund des Stimmrechts die wirtschaftliche Identität vor und nach dem Vorgang verneint. Im Anwendungserlass zu § 8c KStG meint die Finanzverwaltung1, dass derjenige Vorgang maßgebend sei, der „die weitestgehende Anwendung des § 8c KStG erlaubt“; das ist eine nicht mehr hinnehmbare schlichtweg profiskalische Auslegung des Gesetzes. Von besonderer Bedeutung und auch streitträchtig dürfte sein, dass § 8c Abs. 1 2.615 Satz 1 KStG auch „vergleichbare Sachverhalte“ erfasst. Das ist eine sehr unbestimmte Anordnung2, die in der Unsicherheit des Steuergesetzgebers begründet ist. Rechtsmethodologisch sollte der Auffangtatbestand des „vergleichbaren Sachverhalts“ nur angenommen werden können, wenn die Maßstäbe der Beteiligungsübertragung zu einer Vergleichbarkeit führen. Dass das neue Tatbestandsmerkmal des „vergleichbaren Sachverhalts“ problematisch ist, zeigt sich darin, dass im Schrifttum in folgenden Konstellationen über die Frage diskutiert wird, ob § 8c KStG einschlägig ist3: – quotenverändernde Kapitalherabsetzung; – Erwerb eigener Anteile; – Stimmrechtsverzichte und Einstimmigkeitsabreden; – disquotale Gewinnverteilungsregeln; – Beherrschungsvertrag. 1 BMF, BStBl. I 2008, 736 Tz. 5. 2 Kritisch zu Recht Schwedhelm, GmbHR 2008, 404, 407. 3 Näher Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStG J 07-17; Meyer, BB 2007, 1415; auch BMF, BStBl. I 2008, 736 Tz. 7.

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2.616

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.616 In der Praxis besonders häufig ist die atypisch stille Beteiligung an einer GmbH. Hier ist zu fragen, ob die Begründung einer atypisch stillen Gesellschaft mit der GmbH als vergleichbarer Sachverhalt nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG zu qualifizieren ist. Dafür könnte sprechen, dass das atypisch stille Gesellschaftsverhältnis so ausgestaltet ist, dass der atypisch stille Gesellschafter Mitwirkungsrechte und eine Beteiligung an den Verlusten und den stillen Reserven eingeräumt bekommt. Letztlich ist die Anwendung des § 8c KStG aber zu verneinen, weil die atypisch stille Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft eine Mitunternehmerschaft des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zwischen der Kapitalgesellschaft und dem stillen Gesellschafter ist1. Da der atypisch stille Gesellschafter echte Beteiligungsrechte allein in der Mitunternehmerschaft erwirbt, aber nicht an der GmbH, bei der die Verluste vorhanden sind, kann es sich nicht um einen vergleichbaren Sachverhalt nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG handeln. 2.617 Da § 8c Abs. 1 KStG vom Wortlaut her außerordentlich weit gefasst ist, indem er unmittelbare und mittelbare Erwerbe regelt und zusätzlich auf vergleichbare Sachverhalte abstellt, ist zu überlegen, die Vorschrift teleologisch zu reduzieren2. Das sollte möglich sein und ist im Übrigen in der Rechtsprechung des BFH angelegt, der darauf abstellt, dass es ungeachtet des kapitalgesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzips um die wirtschaftliche Identität einer Gesellschaft durch das wirtschaftliche Engagement eines anderen Anteilseigners geht3. Auch das FG Brandenburg4 hat die Einschränkung des Wortlauts des § 8c Abs. 1 KStG für die Fallgruppe der Verkürzung einer Beteiligungskette angenommen. Dabei ist aber im Grundsatz zu klären, ob sich die möglichen Restriktionen des Wortlauts des § 8c Abs. 1 KStG darauf gründen lassen, dass es sich bei § 8c KStG um eine Missbrauchsvermeidungsnorm handelt5. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass im Falle einer einschränkenden Auslegung des § 8c KStG die Frage der Verfassungsmäßigkeit keine Rolle mehr spielt (Rz. ó). f) Unmittelbare und mittelbare Übertragungen 2.618 Wie schon bisher bei § 8 Abs. 4 KStG a.F. ist die unmittelbare Anteilsübertragung ein möglicher schädlicher Tatbestand. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich bei dem neuen Anteilseigner um eine natürliche Person, eine Kapitalgesellschaft oder eine Personengesellschaft handelt6. 2.619 Wird strikt auf den Wortlaut des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG abgestellt, dann können Erwerber der Anteile auch schon beteiligte Gesellschafter sein. Unerheblich ist es, auf wie viele Erwerber und wie viele Erwerbsvorgänge sich die übertragenen Anteile verteilen. Maßgebend ist allein die von § 8c KStG statuierte Schädlichkeitsquote. 1 BFH v. 28.5.1997 – VIII R 25/96, BStBl. II 1997, 724 = GmbHR 1997, 1013. 2 So Altrichter-Herzberg, GmbHR 2012, 724; Roth, DB 2012, 1768. 3 BFH v. 30.11.2011 – I R 14/11, BStBl. II 2012, 360 = GmbHR 2012, 410 m. Komm. Suchanek. 4 FG Berlin-Bdb. v. 18.10.2011 – 8 K 8311/10, BB 2012, 1327; Revision beim BFH anhängig. 5 Zum Meinungsstand Roth, DB 2012, 1768, 1770 f. 6 Vgl. BFH v. 20.8.2003 – I R 81/02, BStBl. II 2004, 614 = GmbHR 2004, 126; BMF, BStBl. I 1999, 455 Tz. 28; Lang, DStZ 2007, 652, 655.

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Steuerrechtliche Folgen

2.623

Neu und verschärfend erfasst § 8c Abs. 1 Satz 1, 2 KStG nunmehr auch mittelbare 2.620 Übertragungen. Der BFH1 hat zum früheren Recht die Auffassung vertreten, dass mittelbare Anteilsübertragungen nicht § 8 Abs. 4 KStG a.F. subsumierbar sind, weil eine wirtschaftliche Vergleichbarkeit fehle, wenn sich innerhalb einer mehrstufigen Beteiligungsstruktur die Mehrheitsverhältnisse auf einer höheren Ebene verändern. Das neue Recht erfasst nun ausdrücklich auch die Änderung mittelbarer Beteiligungsverhältnisse. Ein mittelbarer Anteilseignerwechsel kann auch vorliegen, wenn es sich bei der zwischengeschalteten Gesellschaft um eine Personengesellschaft handelt. Beispiel: Die A-GmbH ist zu 100 v.H. an der T-GmbH beteiligt, die ihrerseits zu 100 v.H. an der E-GmbH, die über einen Verlustvortrag verfügt, beteiligt ist. Wenn die A ihre Beteiligung an T an den Dritten D veräußert, bleibt der unmittelbare Anteilseigner der Verlustgesellschaft unverändert, doch geht der Verlust unter.

Bei mittelbaren Anteilsübertragungen können sich Probleme ergeben, wie bei 2.621 einer nicht 100 v.H. betragenden Beteiligung die schädliche Übertragungsquote zu berechnen ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung2 soll in Fällen einer mittelbaren Anteilsübertragung die auf die Verlustgesellschaft durchgerechnete Beteiligungsquote zugrunde gelegt werden. In diesem Zusammenhang ist aber ungeklärt, bis zu welcher Beteiligungsstufe mittelbare Anteilsübertragungen schädlich sind. Lang3 meint, dass zwar der Wortlaut des § 8c KStG keine Beschränkung enthalte, doch sollten nur dreistufige Konzerne erfasst werden, weil nur dann dem Sinn und Zweck des § 8c KStG (missbräuchliche Verlustnutzungen) Genüge getan werde4. Mit der Frage der mittelbaren Anteilsübertragungen ist das Grundproblem ver- 2.622 knüpft, ob es bei konzerninternen Umstrukturierungen speziell aufgrund von Verlustsituationen eines Konzernunternehmens zum Verlustuntergang nach § 8c KStG kommen kann5. Bis einschließlich 2009 erfasste der Wortlaut des § 8c Abs. 1 KStG auch lediglich konzerninterne Umstrukturierungen. Mittlerweile ist § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG eingefügt worden. Danach liegt ein schädlicher Beteiligungserwerb dann nicht vor, wenn an dem übertragenen und dem übernehmenden Rechtsträger dieselbe Person zu jeweils 100 Prozent mittelbar oder unmittelbar beteiligt ist. Entgegen den Formulierungen des § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG besteht im Schrifttum Übereinstimmung, dass die Sonderregeln nicht nur für konzerninterne Umstrukturierungen, sondern auch für entgeltlich Übertragungsfälle (Kauf, Tausch) angewendet werden kann6. Dies folgt aus dem Umkehrschluss der Parallelregelung in § 6a GrEStG, die sich ausdrücklich nur auf technische Umwandlungsvorgänge bezieht. Über die Konzernklausel hinaus findet sich für Erwerbe nach dem 31.12.2009 eine 2.623 weitere Erleichterung in § 8c Abs. 1 Satz 6–8 KStG. Ein nicht abziehbarer und 1 2 3 4 5 6

BFH v. 20.8.2003 – I R 81/02, BStBl. II 2004, 614 = GmbHR 2004, 126. BR-Drucks. 220/07, S. 126. Lang, DStZ 2007, 652, 655. Anders wohl BMF, BStBl. I 2008, 736 Tz. 11 f. Dazu schon Sistermann/Brinkmann, DStR 2008, 897. Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 8c KStG Rz. 59b.

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2.624

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

nicht genutzter Verlust kann abweichend von der Grundregel des § 8c Abs. 1 KStG abgezogen werden, soweit er bei einem schädlichen Beteiligungserwerb die anteiligen bzw. die gesamten zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs vorhandenen im Inland steuerlichen stillen Reserven des Betriebsvermögens der Körperschaft nicht übersteigt. Hintergrund der Regelung ist die Überlegung, dass in Höhe der stillen Reserven kein Verlustverrechnungspotential übergeht1. Dem ist zuzustimmen, weil aufgrund der Existenz von stillen Reserven kein „Mantel“ vorliegt, so dass die Verlust-Kapitalgesellschaft die aufgelaufenen Verluste selbst nutzen kann. g) Rechtsfolgen 2.624 § 8c KStG enthält ein nicht unmittelbar einsichtiges Rechtsfolgensystem: Werden innerhalb des Zeitraums von fünf Jahren mehr als 25 v.H. und bis zu 50 v.H. der Anteile schädlich übertragen, dann geht der Verlust quotal (beispielsweise zu 30 v.H.) unter. Aus dem Umkehrschluss des § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG ergibt sich, dass weitere Erwerbe eines zunächst quotal schädlichen Erwerbvorgangs, die unterhalb der Grenze des § 8c Abs. 1 Satz 2 EStG bleiben, in der Folgezeit unschädlich sind. Es kommt also nur insoweit zur Rechtsfolge des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG als die 25 v.H. überschritten sind. Nachfolgende Übertragungen werden nicht hinzuaddiert, vielmehr lösen sie einen neuen fünfjährigen Beobachtungszeitraum aus, wenn denn nicht die Grenze des § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG überschritten wird. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, in einem ersten Schritt mehr als 25 v.H. der Anteile zu übertragen, später dann weitere Anteile zu übertragen, die aber nicht mehr als 50 v.H. der Beteiligung ausmachen2. 2.625 Vom Verlustuntergang erfasst ist derjenige Verlust, der im Zeitpunkt des schädlichen Anteileignerwechsels besteht. Hier ist ungeklärt, ob mit der Bezugnahme des Gesetzes auf die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzten Verluste bei unterjährigem Anteileignerwechsel auch die bis zu diesem Stichtag erwirtschafteten negativen Einkünfte betrifft3. Zwar scheint der Wortlaut dafür zu sprechen, dass auch die unterjährigen Verluste betroffen sind, doch ergibt sich bei systematischer Lösung Folgendes: § 8c KStG betrifft den Verlustvortrag einer Kapitalgesellschaft, der auf Grund §§ 8 Abs. 1 KStG, 5 Abs. 1 Satz 1 EStG, 238 ff. HGB im rechtlichen Sinne erst dann existiert, wenn er bilanzmäßig festgestellt wird (§ 46 Nr. 1 GmbHG). Der unterjährige Verlust entsteht also im Rechtssinne erst mit dem Bilanzfeststellungsbeschluss im Folgejahr. Daraus ist zu folgern, dass der unterjährige Verlust trotz schädlichen Beteiligungswechsels erhalten bleibt. Der I. Senat des BFH4 hat ähnlich entschieden, und zwar gegen die bisherige Auffassung der Finanzverwaltung5. Erfolgt der den Verlustuntergang des § 8c Abs. 1 KStG auslösende Erwerb im Laufe des aktuellen Wirtschaftsjahres, so kann also ein bis zu diesem Zeitpunkt in diesem Jahr erwirtschafteter Gewinn mit dem bisher noch 1 BT-Drucks. 17/15, S. 28. 2 Lang, DStZ 2007, 652, 657; Meyer, BB 2007, 1415, 1417. 3 Bejahend BMF, BStBl. I 2008, 736 Tz. 31; zum Problem u. m.w.N. Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStG J 07-18. 4 BFH v. 30.11.2011 – I R 14/11, BStBl. II 2012, 360 = GmbHR 2012, 410 m. Komm. Suchanek. 5 BMF, BStBl. I 2008, 736 Tz. 31.

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Steuerrechtliche Folgen

2.628

nicht genutzten Verlust gegengerechnet werden. Der BFH stellt insbesondere darauf ab, dass es bei § 8c KStG darum geht, das wirtschaftliche Ergebnis der Kapitalgesellschaft nach dem schädlichen Erwerb von dem vor diesem Zeitpunkt erwirtschafteten, negativen Ergebnis abzugrenzen. Daher spreche nichts dafür, bei dieser separierenden Betrachtung ein vor diesem Zeitpunkt erzieltes positives Ergebnis auszusparen. Der bisher nicht ausgewiesene Verlust (Verlustvortrag) werde in Höhe eines bis zum schädlichen Beteiligungserwerb erzielten Gewinns eben nicht für das neue, vielmehr noch für das frühere wirtschaftliche Engagement genutzt.

V. Umwandlungen 1. UmwStG Als Sanierungsmittel kommen auch Umwandlungen in Betracht, die sich steuer- 2.626 rechtlich nach dem UmwStG richten. Durch das SEStEG v. 7.12.20061 haben sich einige Änderungen ergeben. Das frühere Umwandlungssteuerrecht behandelte bei den Umwandlungskonstellationen der Verschmelzung und der Spaltung von Kapitalgesellschaften prinzipiell nur inländische Umstrukturierungsvorgänge und war nur bei Beteiligung unbeschränkt steuerpflichtiger Rechtsträger anwendbar. Durch das SEStEG ist das Umwandlungssteuerrecht europäisiert worden. Einzelheiten ergeben sich aus § 1 UmwStG2. Der Anwendungsbereich der steuerrechtlichen Regelungen über die Verschmelzung und über die Spaltung (§§ 3 ff., 11 ff., 15 ff. UmwStG) betrifft auch Verschmelzungen und Spaltungen einer nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats der EU oder des EWR gegründeten und in einem dieser Staaten mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung ansässigen Körperschaft auf eine andere Körperschaft im EU- oder EWR-Bereich. Dabei ist aber darauf hinzuweisen, dass internationale Aufspaltungen und Abspaltungen gesellschaftsrechtlich derzeit nicht möglich sind3. Soll eine GmbH im Zuge einer Sanierung umstrukturiert werden, dann geht es in 2.627 erster Linie um die Verschmelzung, wobei danach zu unterscheiden ist, ob es sich um eine Verschmelzung einer Kapitalgesellschaft auf eine andere Kapitalgesellschaft handelt oder um eine Verschmelzung auf ein Personenunternehmen. 2. Verschmelzung a) Verschmelzung GmbH auf GmbH Die Verschmelzung im Rahmen einer Sanierung sieht vor, dass ein Krisenunter- 2.628 nehmen von einem „gesunden“ Unternehmen oder umgekehrt aufgenommen wird (Verschmelzung zur Aufnahme) oder beide Unternehmen auf eine neue Gesellschaft verschmolzen werden (Verschmelzung zur Neugründung). Die zweite Möglichkeit wird in der Praxis seltener gewählt, beispielsweise aus Kostengründen. Bei der Verschmelzung zur Aufnahme sind regelmäßig durch Kapitalerhöhungen neue Geschäftsanteile bei der Übernehmerin zu schaffen, die den Gesellschaftern der übertragenen Gesellschaft zu gewähren sind. 1 BGBl. I 2006, 2782; dazu BMF, BStBl. I 2011, 1314. 2 Ausführlich Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 1 UmwStG passim. 3 Vgl. Bodden, FR 2007, 265, 266; Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1524, 1534.

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2.629

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.629 Als Sanierungsinstrument hatte die Verschmelzung in der Vergangenheit deshalb besondere Bedeutung, weil nach § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG a.F. ein verbleibender Verlustabzug nach § 10d EStG von der übertragenen Kapitalgesellschaft auf die übernehmende Kapitalgesellschaft übergehen konnte. Durch die Neufassung der §§ 12 Abs. 3 Satz 1, 4 Abs. 2 UmwStG gehen verrechenbare Verluste, verbleibende Verlustvorträge oder vom übertragenden Rechtsträger nicht ausgeglichene negative Einkünfte nicht mehr auf die übernehmende Gesellschaft über1. Obwohl es bei der Verschmelzung zu einer Gesamtrechtsnachfolge kommt und das Verlustvortragsvolumen in der deutschen Körperschaftsteuersphäre bleibt, sollen Verlustvorträge und Verluste des Übertragungsjahres der übertragenden Kapitalgesellschaft nur noch im Rahmen einer etwaigen Wertaufstockung in der Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft nutzbar sein können. Begründet wird dies mit der (zweifelhaften) Befürchtung, es könne zu einem Import ausländischer Verluste kommen2. Die Rechtsfolge des Verlustübernahmeverbots ist europarechtlich und verfassungsrechtlich nicht unbedenklich. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass der EuGH in der Rechtssache „Marks & Spencer“3 hervorgehoben hat, dass ein Verlust in erster Linie in dem Staat verrechnet werden muss, in dessen Hoheitsgebiet er entstanden ist. Für die nationale, verfassungsrechtliche Situation verstößt der Verlustuntergang im Zuge einer Verschmelzung gegen die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit in Form des objektiven Nettoprinzips4. Als Ausweg bleibt auch nicht der umgekehrte Weg der Verschmelzung einer GewinnKapitalgesellschaft auf die Verlust-Kapitalgesellschaft, weil in dieser Variante § 8c KStG (Rz. 2.601 ff.) eingreifen wird5. 2.630 Von diesem Sonderproblem des Verlustübergangs abgesehen kommt es bei der Verschmelzung der einen auf die andere Kapitalgesellschaft zu keinen größeren steuerrechtlichen Problemen, weil beide Rechtsträger im Binnensystem der deutschen Körperschaftsbesteuerung bleiben. Die Verschmelzung kann ohne Ertragsteuerbelastung durchgeführt werden, soweit die Besteuerung der in der untergehenden Kapitalgesellschaft ruhenden stillen Reserven gewährleistet bleibt. Nach der durch das SEStEG eingeführten neuen Besteuerungstechnik ist ein Antrag der übertragenden Gesellschaft erforderlich, wenn sie in ihrer steuerrechtlichen Schlussbilanz einen Wert unter dem neuerdings grundsätzlich maßgeblichen gemeinen Wert ansetzen möchte (§ 11 Abs. 2 UmwStG). Die Vermeidung der Besteuerung der stillen Reserven im Falle der Verschmelzung ist nach § 11 Abs. 1 UmwStG an die Voraussetzungen geknüpft, dass die Besteuerung der stillen Reserven, die in den übergehenden Wirtschaftsgütern liegen, später sichergestellt ist und eine Gegenleistung nicht gewährt wird oder die gewährte Gegenleistung allein in Gesellschaftsrechten besteht. Wenn eine sanierungsbedürftige GmbH als übertragende Gesellschaft nicht über stille Reserven verfügt, ergeben sich keine Probleme. Ein grundsätzlich bei der untergehenden Gesellschaft mit Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer (§ 19 Abs. 1 UmwStG, § 7 GewStG) belasteter 1 Wisniewski in Haritz/Menner, § 12 UmwStG Rz. 109; Rödder in Rödder/Herlinghaus/ van Lishaut, § 12 UmwStG Rz. 104. 2 Näher Dörfler/Rautenstrauch/Adrian, BB 2006, 1657; Wisniewski in Haritz/Menner, § 12 UmwStG Rz. 101. 3 EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03 – „Marks & Spencer“, IStR 2006, 19. 4 Bodden, FR 2007, 265, 276; Körner, DStR 2006, 469, 470. 5 Wisniewski in Haritz/Menner, § 12 UmwStG Rz. 102.

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Steuerrechtliche Folgen

2.635

steuerpflichtiger Übertragungsgewinn kommt dann nicht in Betracht. Die Wirtschaftsgüter sind in der Schlussbilanz der untergehenden Gesellschaft mit Buchwerten, die dem gemeinen Wert entsprechen, zu bilanzieren. Die übernehmende Gesellschaft hat die auf sie übergehenden Wirtschaftsgüter 2.631 mit den Wertansätzen der untergehenden Gesellschaft zu übernehmen (§§ 12 Abs. 1, 4 Abs. 1 UmwStG1). Bei der Verschmelzung kann sich ein Gewinn der übernehmenden Gesellschaft 2.632 ergeben, weil infolge des Vermögensübergangs Forderungen und Verbindlichkeiten, die zwischen den zu verschmelzenden Gesellschaften bestehen, durch Konfusion untergehen. Auf diesen Übernahmefolgegewinn wird auf Grund § 12 Abs. 4 Satz 2 UmwStG § 6 Abs. 1, 2 UmwStG entsprechend angewandt. Die übernehmende Kapitalgesellschaft ist berechtigt, für einen Übernahmefolgegewinn eine gewinnmindernde Rücklage einzustellen, die innerhalb von drei Jahren jeweils mit einem Drittel gewinnerhöhend aufzulösen ist. Eine gewinnmindernde Rücklage darf nicht für die Gewinne gebildet werden, die durch die Auflösung von Rückstellungen entstanden sind, die wegen der Verschmelzung aufgelöst werden. Die übernehmende Kapitalgesellschaft kann die AfA auf die Wertansätze vorneh- 2.633 men, die sie von der untergehenden Kapitalgesellschaft übernommen hat. Eine Neufestsetzung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer ist nicht erforderlich. Nach § 4 Abs. 2 Satz 3 UmwStG, auf den § 12 Abs. 3 UmwStG verweist, ist für die Frage der Dauer der Zugehörigkeit eines Wirtschaftsguts zum Betriebsvermögen die Vorbesitzzeit der untergehenden Körperschaft bei der übernehmenden anzurechnen. Das ist praktisch wichtig, weil damit die Verschmelzung nicht die Vergünstigungen nach § 2 InvZulG gefährdet. Im Übrigen tritt die übernehmende Gesellschaft nach § 12 Abs. 3 Satz 1 UmwStG auch bezüglich der erhöhten Absetzungen und anderer Sonderabschreibungen in die Rechtsposition der untergehenden Gesellschaft ein. Die Besteuerung der Anteilseigner der übertragenden Gesellschaft wird in § 13 2.634 UmwStG geregelt. § 13 UmwStG geht davon aus, dass die Anteile an der übertragenen Körperschaft, die Altanteile an einer GmbH, als zum gemeinen Wert veräußert und die Anteile an der übernehmenden Körperschaft (Neuanteile) zum selben Wert als angeschafft gelten. Allerdings können auf Antrag die neuen Anteile nach § 13 Abs. 2 Satz 1 UmwStG zu Buchwerten (Betriebsvermögen) oder zu Anschaffungskosten (Privatvermögen) angesetzt werden, wenn die deutsche Steuerverstrickung erhalten bleibt. b) Verschmelzung GmbH auf Personengesellschaft Wird eine Kapitalgesellschaft auf eine Personengesellschaft verschmolzen, so ist 2.635 zwischen einer Verschmelzung durch Aufnahme und einer Verschmelzung durch Neugründung zu unterscheiden. Die Verschmelzung kann zulässigerweise auf eine OHG oder KG vorgenommen werden. Das steuerrechtliche Problem des Vermögensübergangs von einer Kapitalgesellschaft auf eine Personengesellschaft ist darin begründet, dass das Betriebsvermögen einer zu verschmelzenden GmbH den Bereich der Körperschaftsteuer verlässt, also auch das System der Definitiv1 Wisniewski in Haritz/Menner, § 12 UmwStG Rz. 14.

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2.636

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

besteuerung des § 23 Abs. 1 KStG. Das gilt sowohl für den Fall der Verschmelzung der Kapitalgesellschaft auf eine Personengesellschaft als auch für den Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft. Die bisherigen Gesellschafter der untergehenden Kapitalgesellschaft werden Mitunternehmer des neuen Rechtsträgers (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Anders als für das Zivilrecht ist steuerrechtlich also zu entscheiden, ob es steuerrechtlich zur Anwendung der Liquidationsregeln des § 11 KStG kommt. 2.636 Nach der Besteuerungssystematik der §§ 3 ff. UmwStG ist die übertragende Kapitalgesellschaft im Ausgangspunkt verpflichtet, die Wirtschaftsgüter in ihrer steuerlichen Schlussbilanz mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Auf Antrag ist jedoch ein Buchwertansatz oder ein Zwischenwertansatz möglich (§ 3 Abs. 2 UmwStG), wobei das Recht zur Buchwertfortführung regelmäßig voraussetzt, dass eine spätere Versteuerung der stillen Reserven in Deutschland gewährleistet ist. Daher fordert das Gesetz, dass das übergehende Vermögen der zu verschmelzenden GmbH bei der aufnehmenden Personengesellschaft zu steuerrechtlichem Betriebsvermögen wird. 2.637 Nach § 37 KStG wird das frühere System der ausschüttungsbedingten Gutschrift eines Körperschaftsteuerguthabens (alten Rechts) in Form einer Körperschaftsteuerminderung durch eine ratierliche Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens ersetzt. Der Auszahlungszeitraum reicht bis 2017; der Anspruch ist unverzinslich und deswegen abgezinst zu aktivieren. Der abgezinste Betrag ist in der Schlussbilanz der übertragenen Körperschaft auszuweisen, hat aber keinen Einfluss auf deren Einkommen. Nach Verschmelzung steht der Auszahlungsanspruch der übernehmenden Personengesellschaft als Rechtsnachfolgerin zu. 2.638 Bei der Besteuerung der übernehmenden (Personen-)Gesellschaft geht § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwStG vom Prinzip der Wertverknüpfung aus, so dass das übernehmende Personenunternehmen die von der GmbH übergegangenen Wirtschaftsgüter mit denen in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Körperschaft enthaltenen Wert zu übernehmen, zu bilanzieren hat. Dadurch wird die spätere Versteuerung der stillen Reserven gewährleistet, wenn diese nicht bereits bei der abgebenden Gesellschaft aufgedeckt worden sind. 2.639 Für Sanierungskonstellationen besonders wichtig ist, dass § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG anordnet, dass ein Verlustabzug nach § 10d EStG, der bei der untergehenden Kapitalgesellschaft existierte, nicht auf das übernehmende Personenunternehmen übergeht. Das ist in der Praxis eine erhebliche „Sanierungsbremse“, weil die Umstrukturierung der GmbH in ein Personenunternehmen zur Verlustvernichtung führt. In praktischen Fällen ist daher daran zu denken, dass nach § 3 Abs. 2 UmwStG vorgegangen wird und zumindest ein Wert aufgedeckt wird, der den bestehenden Verlustvortrag abdeckt, wenn denn stille Reserven im Vermögen der untergehenden GmbH vorhanden sind. 2.640 Im Übrigen tritt die übernehmende Personengesellschaft bezüglich der AfA, der Sonderabschreibungen usw. in die Rechtsstellung der übertragenden GmbH steuerbilanzrechtlich ein. Sind die Wirtschaftsgüter in der Schlussbilanz der übertragenden GmbH mit den Buchwerten angesetzt, so wird die bisher geltende Abschreibungsdauer in der übernehmenden Personengesellschaft fortgesetzt. Aus dem Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge folgt auch, dass beim übernehmenden 366

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Steuerrechtliche Folgen

2.643

Rechtsträger Vorbesitzzeiten angerechnet und Haltefristen nicht unterbrochen werden. Da das Vermögen jedoch im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergeht, liegt keine Anschaffung der übergehenden Wirtschaftsgüter vor, so dass beispielsweise (neue) Investitionszulagen nicht gewährt werden können. Bezüglich der Besteuerung der Anteilseigner der übertragenden Kapitalgesell- 2.641 schaft, die nunmehr Mitunternehmer nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG werden, hat sich durch das SEStEG die Neuerung ergeben, dass nunmehr die Besteuerung der offenen Rücklagen anlässlich der Umwandlung statt durch die Ermittlung des Übernahmeergebnisses vorrangig durch eine sog. Ausschüttungsfiktion erfolgt. Der steuerrechtliche Ausgangspunkt ist § 7 UmwStG. Die offenen Rücklagen werden den Anteilseignern als Einnahmen aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zugerechnet; im Ergebnis kommt es zur Anwendung der § 3 Nr. 40 lit. d EStG, § 8b KStG. Bei der Ermittlung des Übernahmeergebnisses nach § 4 Abs. 4 Satz 1 EStG sind die Bezüge nach § 7 UmwStG als Abzugsposten zu berücksichtigen (§ 4 Abs. 5 Satz 2 UmwStG). Das ist steuersystematisch richtig, weil es sonst zu einer doppelten Belastung der offenen Rücklagen kommen würde. Da nach der Konzeption des Gesetzes steuerverstrickte Anteile an der Kapitalge- 2.642 sellschaft nach § 4 UmwStG als in die Personengesellschaft eingelegt gelten und damit fiktiv zum Betriebsvermögen der Personengesellschaft gehören, ergibt sich nach § 4 Abs. 4 UmwStG infolge des Vermögensübergangs ein Übernahmegewinn oder ein Übernahmeverlust. dabei handelt es sich um den Unterschiedsbetrag zwischen dem Wert, mit dem die übergegangenen Wirtschaftsgüter zu übernehmen sind und dem Buchwert/den Anschaffungskosten der Anteile an der übertragenen Kapitalgesellschaft. Da der übernehmende Rechtsträger steuerrechtlich transparent behandelt wird (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG), ist das Übernahmeergebnis für jeden der nunmehrigen Personengesellschafter separat zu ermitteln. Seinem Anteilswert nach § 5 UmwStG ist der anteilige Wert des von der Personengesellschaft angesetzten Betriebsvermögens der vormaligen Kapitalgesellschaft gegenüberzustellen. Das heißt, dass der Übernahmegewinn oder der Übernahmeverlust gesellschafterbezogen ermittelt wird. Dabei wird es auf Grund der individuell zu beachtenden Besonderheiten jeden Gesellschafters regelmäßig zu einer Ermittlung unterschiedlicher Übernahmeergebnisse kommen. Das Übernahmeergebnis zählt dann zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG und ist von dem für die Personengesellschaft zuständigen Feststellungsfinanzamt einheitlich und gesondert nach §§ 179, 180 AO festzustellen. Allerdings regelt § 4 Abs. 6 UmwStG, dass ein Übernahmeverlust außer Ansatz bleibt, wenn er auf eine Kapitalgesellschaft als Mitunternehmerin der Personengesellschaft entfällt. Das ist steuersystematisch konsequent, weil dies den Wertungen des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG entspricht.

VI. Darlehen von Gesellschaftern, insbesondere Rangrücktritt und Forderungsverzicht 1. Rangrücktritt Hinzuweisen ist zunächst darauf, dass es bei einer Vereinbarung zwischen der 2.643 GmbH und ihrem Gesellschafter, die möglicherweise als Rangrücktritt zu qualifizieren ist, nicht darauf ankommt, wie die Vereinbarung bezeichnet wird (iura Crezelius

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2.644

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

novit curia). Entscheidend ist – auch für das Steuerrecht – allein, ob die Vereinbarung lediglich schuldrechtlichen Charakter hat oder ob dinglich in den Stand der Verbindlichkeit/Forderung eingegriffen wird. 2.644 Bei dem (schuldrechtlichen) Rangrücktritt handelt es sich um eine Vereinbarung, welche zivilrechtlich nicht zu einem Erlöschen der Darlehensverbindlichkeit der GmbH führt, die vielmehr in erster Linie den Zweck hat, die Überschuldung der Kapitalgesellschaft zu verhindern oder zu beseitigen, indem die Verbindlichkeit so modifiziert wird, dass sie im Überschuldungsstatus nicht zu passiveren ist. Wird also beispielsweise von den Parteien in der Rangrücktrittsvereinbarung lediglich der Wortlaut des früheren § 32a Abs. 1 GmbHG wiederholt, dann hat diese Vereinbarung keinen Einfluss auf die Existenz der Verbindlichkeit. Die Abrede verändert den Inhalt der Forderung nur dergestalt, dass die Durchsetzung in der Insolvenzsituation einstweilen ausgeschlossen ist und erst wieder möglich sein soll, wenn die jeweils beschriebene Krise beendet ist1. 2.645 Handelsrechtlich sind Gesellschafterdarlehen im Jahresabschluss der GmbH gesondert auszuweisen oder im Anhang anzugeben (§ 42 Abs. 3 GmbHG). Für das Steuerbilanzrecht gilt für unverzinsliche Darlehen, die am Bilanzstichtag eine Restlaufzeit von 12 Monaten oder mehr besitzen, ein Abzinsungsverbot auf Grund § 6 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 1 Nr. 2 EStG. Wenn für den handelsrechtlichen Jahresabschluss für eine unter einen Rangrücktritt fallende Verbindlichkeit grundsätzlich eine Passivierungspflicht als Fremdkapital besteht2, dann ist diese Betrachtungsweise deshalb konsequent, weil es auf Grund des schuldrechtlichen Rangrücktritts dabei bleibt, dass das Darlehen als Verbindlichkeit und damit als Belastung der GmbH weiterhin existiert. Im Übrigen ist zu bedenken, dass die Kapitalersatzregeln des früheren Rechts und die Neuregelung in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO auf die Insolvenzsituation zugeschnitten sind, so dass die schlichte Vereinbarung des Rangrücktritts an der Passivierungsfähigkeit als Verbindlichkeit nichts ändern kann. 2.646 Für die steuerrechtliche Behandlung eines mit einer Rangrücktrittsvereinbarung versehenen Gesellschafterdarlehens ist im Grundsatz die zivilrechtliche bzw. die handelsrechtliche Sichtweise maßgebend3. Aufgrund dessen ist eine Rangrücktrittsvereinbarung, die nur schuldrechtlich in die Darlehensabrede „eingreift“ und bei der es im Wesentlichen darum geht, den Ausweis einer Überschuldung im Überschuldungsstatus zu vermeiden, weiterhin als Verbindlichkeit zu passivieren, also nicht gewinnerhöhend aufzulösen. Zwar ist vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BGH4 die Auffassung vertreten worden, dass der vom BGH für die Nichtberücksichtigung im Überschuldungsstatus erforderliche „qua1 Vgl. Schulze-Osterloh, WPg 1996, 97 f. 2 BGH v. 6.12.1993 – II ZR 102/93, GmbHR 1994, 176; BFH v. 30.3.1993 – IV R 57/91, BStBl. II 1993, 502. 3 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = GmbHR 2001, 190 m. Komm. Felleisen; BFH v. 5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532; BFH v. 30.3.1993 – IV R 57/91, BStBl. II 1993, 502; BFH v. 16.5.2001 – I B 143/00, BStBl. II 2002, 436 = GmbHR 2001, 822 m. Komm. Eilers/Wienands; Crezelius in FS Raupach, 2006, S. 327, 332 ff.; Ernst & Young/ Lang, Loseblatt, § 8 KStG Rz. 548.7; Weber-Grellet in Schmidt, § 5 EStG Rz. 550 „Gesellschafterfinanzierung“. 4 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = GmbHR 2001, 190 m. Komm. Felleisen.

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Steuerrechtliche Folgen

2.647

lifizierte Rangrücktritt“ (vgl. § 199 InsO) steuerrechtliche Konsequenzen habe1, doch ist der BFH dabei geblieben, dass eigenkapitalersetzende Darlehen des früheren Rechts steuerrechtlich Fremdkapital sind2. Zu berücksichtigen ist, dass die zitierte Entscheidung des BFH zeitlich nach derjenigen des BGH liegt, so dass davon auszugehen ist, dass der BFH in Kenntnis der Rechtsprechung des BGH zum qualifizierten Rangrücktritt bei seiner Auffassung geblieben ist, dass Gesellschafterdarlehen steuerrechtlich Fremdkapital darstellen, auch wenn sie mit einer Rangrücktrittserklärung versehen sind. Entscheidend ist, dass die Rangrücktrittsvereinbarung den Bestand der Forderung rechtlich unangetastet lässt, so dass sowohl für den handelsrechtlichen Jahresabschluss als auch für die steuerrechtliche Gewinnermittlung eine Passivierungspflicht als Fremdkapital besteht3. In der Folgezeit hat es Bestrebungen der Finanzverwaltung gegeben, die Kon- 2.647 sequenzen eines Rangrücktritts anders zu sehen, als dies von der BFH-Rechtsprechung vertreten wird. Das BMF-Schreiben v. 18.8.20044 knüpft zwar an die Rechtsprechung des BFH an und akzeptiert die Bilanzierung des Gesellschafterdarlehen als Fremdkapital trotz Rangrücktrittsvereinbarung. Wenn aber bei einer solchen Vereinbarung eine Bezugnahme auf die Möglichkeit einer Tilgung auch aus sonstigem freien Vermögen fehle, soll eine aus künftigen Gewinnen zu erfüllende Verbindlichkeit vorliegen, die nach § 5 Abs. 2a EStG auszubuchen sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass § 5 Abs. 2a EStG nach seinem Sinn und Zweck und seiner Entstehungsgeschichte nur Verbindlichkeiten erfasst, die von Beginn an aus künftigen Einnahmen oder Gewinnen zu erfüllen sind (vgl. dazu Rz. 2.649)5. Im Übrigen bleibt bei dieser Ansicht offen, welche Konsequenzen sich aus der Auffassung der Finanzverwaltung ergeben sollen. Es könnte zu den gleichen Rechtsfolgen kommen wie bei einem Forderungsverzicht gegen Besserungsschein (Rz. 2.650 ff.) also zunächst zu einer Gewinnrealisierung in Höhe des nicht werthaltigen Teils des Darlehens. Es ist sowohl zivilrechtlich als auch steuersystematisch unzutreffend, bei einem qualifizierten Rangrücktritt von einer (teilweisen) Umwandlung in Eigenkapital auszugehen. Ein Verzicht oder ein Verzicht mit Besserungsabrede einerseits und der lediglich schuldrechtlich wirkende Rangrücktritt andererseits sind dogmatisch und wirtschaftlich nicht vergleichbar und können daher steuerbilanzrechtlich nicht identisch behandelt werden. Das nur mit einem Rangrücktritt versehene Darlehen bleibt existent und letztlich in seiner wirtschaftlichen Verursachung unverändert bestehen. Dem muss das Steuerbilanzrecht Rechnung tragen. Im Übrigen ist die restriktive Auffassung der Finanzverwaltung durch das BFH-Urteil v. 10.11.20056 überholt. Dort hat der BFH deutlich ausgeführt, dass ein Rangrücktritt auch ohne präzise Bezugnahme auf das zugreifbare Vermögen nicht zu einer Gewinnrealisierung bei der Gesellschaft führt. Dem hat sich nunmehr auch die Finanzverwaltung angeschlossen7. Einschränkend ist aber darauf 1 Vogt, DStR 2001, 1881. 2 BFH v. 16.5.2001 – I B 143/00, BStBl. II 2002, 436 = GmbHR 2001, 822 m. Komm. Eilers/ Wienands. 3 Näher m.w.N. Hölzle, GmbHR 2005, 852. 4 BStBl. I 2004, 850. 5 Vgl. Weber-Grellet in Schmidt, § 5 EStG Rz. 315. 6 BFH v. 10.11.2005 – IV R 13/04, BStBl. II 2006, 618 = GmbHR 2006, 158 m. Komm. Hoffmann. 7 BMF, BStBl. I 2006, 496.

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2.648

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

aufmerksam zu machen, dass die BFH-Entscheidung ausführt, dass es je nach Formulierung der Rangrücktrittsvereinbarung doch zu einer Anwendung des § 5 Abs. 2a EStG kommen kann und daher die Ausgestaltung des Rangrücktritts zwecks Vermeidung einer Überschuldung auf der einen Seite und die Anwendung des § 5 Abs. 2a EStG auf der anderen Seite abgewogen werden müssen1. 2.648 Nach Inkrafttreten des MoMiG zeigt schon § 30 Abs. 1 GmbHG, dass es grundsätzlich bei Fremdkapital bleibt. Offen ist derzeit nur, wann im Einzelfall § 5 Abs. 2a EStG eingreift2. Das ist deshalb von praktischer Bedeutung, weil im Fall der Ausbuchung der Verbindlichkeit des Gesellschafters ein Gewinn mit entsprechenden Steuerverbindlichkeiten/Steuerrückstellungen entsteht, der insolvenzrechtlich wiederum in die Überschuldung führen könnte. § 5 Abs. 2a EStG ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn die Begleichung der Verbindlichkeit zeitlich aufschiebend bedingt – bis zur Krisenabwendung – verweigert werden kann3. Auch wenn es sich um eine qualifizierte Rangrücktrittsvereinbarung im Sinne der BGH-Rechtsprechung handelt, liegt keine Besserungseinrede vor. Der Zugriff des einen qualifizierten Rangrücktritt erklärenden Gesellschafters auf den Liquidationsüberschuss oder das sonstige freie Vermögen wird prinzipiell nicht eingeschränkt, vielmehr wird eine zeitliche Reihenfolge vorgegeben, nämlich nach der Befriedigung sämtlicher Gesellschaftsgläubiger nicht vor, sondern nur zugleich mit den Einlagerückgewähransprüchen der Mitgesellschafter bedient zu werden. 2.649 Eine Entscheidung des I. Senats des BFH v. 30.11.20114 hat eine differenzierende Betrachtungsweise entwickelt. Im Fall hatte der Gesellschafter einer GmbH eine Rangrücktrittsvereinbarung abgeschlossen, in der vorgesehen war, dass sich die aus dem jeweiligen Saldo des Darlehens-Verrechnungskontos ergebende Forderung im Fall des Eintritts einer Überschuldung in Höhe des Betrags der Überschuldung im Rang hinter die Forderungen aller übrigen Gläubiger zurücktritt. Im Übrigen konnte die Darlehensgeberin die Befriedigung ihrer Forderung nur aus künftigen Jahresüberschüssen verlangen, soweit sie bestehende Verlustvorträge übersteigen, oder gegebenenfalls aus einem Liquidationsüberschuss. In dieser Variante meint der BFH, es sei keine aktuelle wirtschaftliche Belastung gegeben, so dass die Verbindlichkeit nicht auszuweisen sei; es kommt damit zu einer Gewinnerhöhung! Der BFH weist darauf hin, dass er nicht der Meinung folgt, dass § 5 Abs. 2a EStG für Sachverhalte einer Rangrücktrittsvereinbarung generell nicht einschlägig ist. Das ist deshalb nicht unproblematisch, weil bei einem Rangrücktritt die Forderung rechtlich bereits entstanden ist5. Die Auffassung ist deshalb kritisch zu betrachten, weil damit der schuldrechtliche Rangrücktritt letztlich wie ein dinglicher Forderungsverzicht behandelt wird. Für die Praxis sollte vor steuerrechtlichem Hintergrund auf die Formulierung der Rangrücktrittsvereinbarung besonderer Wert gelegt werden. Aus der zitierten BFH-Entscheidung ist nämlich abzulesen, dass ein steuerrechtliches Passivierungsverbot beim Rangrücktritt immer dann nicht eingreift, wenn die konkrete Forderung ausdrücklich 1 2 3 4

Zu möglichen Formulierungen Wälzholz, GmbH-StB 2006, 76. Dazu m.w.N. Weber-Grellet in Schmidt, § 5 EStG Rz. 315. BMF, BStBl. I 2006, 496 Tz. 7; Ernst & Young/Lang, Loseblatt, § 8 KStG Rz. 551.10 f. BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10, BStBl. II 2012, 332 = GmbHR 2012, 406 m. Komm. Berg/Schmich; dazu Görden, GmbH-StB 2012, 107; Rätke, StuB 2012, 338; Schmid, FR 2012, 837; vgl. auch Kahlert, DStR 2015, 734. 5 Zum Meinungsstand Weber-Grellet in Schmidt, § 5 EStG Rz. 315.

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Steuerrechtliche Folgen

2.653

auch aus sonstigem freien Vermögen zu tilgen ist1. Bei einer derartigen Abrede ist auch der I. Senat des BFH der Meinung, dass der Passivposten steuerbilanzrechtlich existent bleibt. Neuerdings wendet der BFH § 5 Abs. 2a EStG unmittelbar an2, wenn die Voraussetzungen der Norm aufgrund der Rangrücktrittsvereinbarung gegeben sind. Neu ist Folgendes: Wenn die insofern wegfallende Verbindlichkeit werthaltig ist, kommt es zu einer den Gewinn neutralisierenden Einlage. Damit kommt es zu den gleichen Folgen wie bei einem Forderungsverzicht. 2. Forderungsverzicht a) Erlass Entschließt sich ein Gesellschafter der GmbH in der Krise der Gesellschaft, die 2.650 Gesellschaft finanziell durch Zuführung von Kapital zu stützen, dann muss er prinzipiell Eigenkapital und nicht Fremdkapital zuführen. Führt er gleichwohl Letzteres zu, dann wird das zugeführte Fremdkapital nach den früheren Regeln der §§ 32a, b GmbHG a.F., § 135 InsO a.F. bzw. den Rechtsprechungsregeln des BGH zum Eigenkapitalersatz unterworfen. Nach der neuen Rechtslage wird nicht mehr danach unterschieden, ob das Darlehen des Gesellschafters eigenkapitalersetzend war oder nicht. Es kommt allein darauf an, dass es sich um Gesellschafterdarlehen handelt, welches nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO behandelt wird. Was die Ebene der GmbH angeht, so bereitet der Erlass der Darlehensverbindlich- 2.651 keiten durch den Gesellschafter keine Schwierigkeiten, wenn diese im Zeitpunkt des Erlöschens voll werthaltig gewesen ist. Handelsrechtlich geht es dann um einen Fall des § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB (Kapitalrücklage), steuerrechtlich handelt es sich um eine nicht steuerbare verdeckte Einlage, soweit der Forderungserlass mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis durchgeführt wird. Allerdings dürfte die vorstehend beschriebene Konstellation der Ausnahmefall sein, da in einer Krisensituation der GmbH das Darlehen des Gesellschafters regelmäßig nicht mehr voll werthaltig ist. Nach früher gängiger Auffassung führte ein Forderungsverzicht des Gesellschaf- 2.652 ters, weil er formal zum Wegfall einer Verbindlichkeit führt und der Verzicht aus Gründen zu erklären ist, die im Anteilseignerverhältnis liegen, zu einer Einlage, die mit dem Nennwert der weggefallenen Verbindlichkeit zu bewerten war. Steuerrechtlich folgte daraus für die Gesellschaftsebene, dass der Nennwert der Verbindlichkeit ebenfalls als Einlage zu qualifizieren war, da die Verbindlichkeit um diesen Betrag gemindert wurde. Nach überwiegender handelsrechtlicher Ansicht können nur aus der Sicht des 2.653 Gläubigers vollwertige Forderungen Gegenstand einer offenen Sacheinlage sein3. Daraus ergibt sich die weitere handelsrechtliche Frage, ob aus einer fehlenden Sacheinlagefähigkeit zu folgern ist, dass ein Ausweis in der Kapitalrücklage des § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB ausscheidet. Steuerrechtlich resultiert daraus das Problem, ob die durch den Forderungserlass bewirkte Vermögensmehrung auf Gesell1 Korn, KÖSDI 2012, 17837. 2 BFH v. 15.4.2015 – I R 44/14, GmbHR 2015, 881. 3 Z.B. Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 56 GmbHG Rz. 9 ff.

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2.654

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schaftsebene tatsächlich einen erfolgsneutralen Finanzierungsvorgang oder einen steuerbaren Gewinn darstellt1. 2.654 Maßgebend ist heute die Grundsatzentscheidung des Großen Senats des BFH aus dem Jahre 19972. In dem Beschluss ist über die Rechtsfolgen des Forderungsverzichts eines GmbH-Gesellschafters entschieden worden, soweit es die Steuerrechtsebene der GmbH angeht. Danach führt ein aus dem Gesellschaftsverhältnis beruhender Verzicht eines Gesellschafters auf seine nicht mehr vollwertige Forderung gegenüber einer Kapitalgesellschaft bei der Kapitalgesellschaft (GmbH) zu einer Einlage in Höhe des Teilwerts der Forderung. Das gilt auch dann, wenn die entsprechende Verbindlichkeit auf abziehbare Aufwendungen zurückgeht. Der Verzicht des Gesellschafters auf eine Forderung gegenüber seiner Kapitalgesellschaft im Wege der verdeckten Einlage führt korrespondierend beim Gesellschafter zum fiktiven Zufluss des werthaltigen Teils der Forderung. Im Übrigen kann eine verdeckte Einlage auf der Ebene der Kapitalgesellschaft auch dann anzunehmen sein, wenn der Forderungsverzicht von einer dem Gesellschafter nahestehenden Person ausgesprochen wird. In dieser Variante wird der Erlass also steuerrechtlich so beurteilt, als habe der Dritte die Forderung auf den Gesellschafter übertragen und dieser der GmbH die Forderung erlassen. War in dieser Konstellation die Darlehensforderung durch den Gesellschafter besichert, dann ist dieser Absicherung bei der Ermittlung des werthaltigen Teils der Forderung nicht zu berücksichtigen. Entscheidend ist allein, in welcher Höhe die Forderung für den Gesellschafter werthaltig ist. 2.655 Mit der Entscheidung des Großen Senats des BFH ist die Rechtslage für den Verzicht auf nicht vollwertige Forderungen gegenüber der Kapitalgesellschaft durch den Anteilseigner prinzipiell verändert worden. Bei der Kapitalgesellschaft ist allein der werthaltige Teil der Forderung Einlage und damit dem steuerrechtlichen Einlagekonto des § 27 KStG zuzuschreiben. Der Unterschiedsbetrag zwischen werthaltigem Teil und Nennbetrag des bislang bei der Kapitalgesellschaft als Fremdkapital passivierten Gesellschafterdarlehens ist steuerbares Einkommen der Kapitalgesellschaft, welches nach Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG (Rz. 2.353 ff.) auch nicht als steuerfreier Sanierungsgewinn begünstigt werden kann. In Konsequenz davon kommt es entweder zu einer Körperschaftsbesteuerung des nicht werthaltigen Teils nach § 23 Abs. 1 KStG oder zu einem Verbrauch des körperschaftsteuerrechtlichen Verlustvortrags durch den nicht werthaltigen Teil des erlassenen Gesellschafterdarlehens. 2.656 Im Ergebnis ist die sich aus der Auffassung des Großen Senats des BFH ergebende Dogmatik eine konsequente Fortsetzung des Grundsatzes, dass ein zivilrechtliches Gesellschafterdarlehen – nach altem und neuem Recht – für die laufende Besteuerung zunächst irrelevant ist. Erst dann, wenn der Anteilseigner dinglich in den Bestand der Verbindlichkeit eingreift, wird das formale Fremdkapital in Eigenkapital umqualifiziert, allerdings entsprechend dem Grundsatz, dass nur werthaltige Forderungen einlagefähig sind, nur in Höhe des Betrages, der noch werthaltig ist. Dieses Ergebnis entspricht sowohl der gesellschaftsrechtlichen als auch der steuerrechtlichen Interessenlage. Vor der Verzichtsvereinbarung ist das Darlehen bei der GmbH Fremdkapital. Kommt es zum Verzicht, dann wird der potentielle Eigenkapitalcharakter des Darlehens so berücksichtigt, das bei der Prüfung, 1 Dazu grundlegend Thiel, GmbHR 1992, 20; Wassermeyer, DB 1990, 2288. 2 BFH (GrS) v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = GmbHR 1997, 851.

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Steuerrechtliche Folgen

2.660

in welcher Höhe das Darlehen werthaltig ist, die wirtschaftliche Situation der GmbH maßgebend ist. Die daraus resultierende Eigenkapitalverstärkung (Rücklage) wird aus Gläubigerschutzgesichtspunkten nur in Höhe der Werthaltigkeit der ehemaligen Verbindlichkeit angenommen. Auf der Ebene des Gesellschafters führt der Erlass in Höhe des werthaltigen Teils 2.657 der Forderung zu einer Erhöhung der Anschaffungskosten der Beteiligung, sofern es sich um eine steuerverstrickte Beteiligung handelt (Betriebsvermögen, §§ 17, 20 Abs. 2 EStG, § 22 UmwStG). Wenn die Darlehensforderung, auf die der Gesellschafter verzichtet hat, zu einem Betriebsvermögen des Gesellschafters gehört, dann kann der Erlass beim Gesellschafter, je nach dem Buchwert der Forderung, entweder zu einem Verlust oder zu einem Gewinn führen, es kann sich aber auch um einen erfolgsneutralen Vorgang handeln. Entspricht der Buchwert des Darlehens in der Bilanz des an der GmbH beteiligten Gesellschafters dem Nominalwert der Darlehensforderung, dann entsteht durch den Erlass des Gesellschafterdarlehens ein Verlust des nicht werthaltigen Teils der Forderung, der auf der Ebene der GmbH zu einem steuerbaren Gewinn geführt hat. War der Buchwert der Darlehensforderung schon gesunken, dann führt der Erlass auf dieses Darlehen zu einem Gewinn in der Bilanz des Gesellschafters, soweit der Wert der Einlage höher ist als der Buchwert. Entspricht der Buchwert des Darlehens der Bilanz des GmbH-Anteilseigners der Werthaltigkeit, dann ist der Erlass erfolgsneutral, weil der Buchwert mit dem Wert der verdeckten Einlage korrespondiert. Kommt es in Betriebsvermögensfällen zu einem Verlust, dann ist danach zu un- 2.658 terscheiden, ob der Gesellschafter Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuersubjekt ist. Bei Körperschaftsteuersubjekten ist dies der Anwendungsbereich des § 8b Abs. 3 Satz 3 ff. KStG, bei Einkommensteuersubjekten ist/war umstritten, ob das Teilabzugsverbot des § 3c Abs. 2 EStG eingreift (Rz. 7.664 ff.). Da in einem Betriebsvermögen die Beteiligung als solche und das Gesellschafterdarlehen separate Wirtschaftsgüter darstellen und im Bereich des EStG eine Sonderregel wie die des § 8b Abs. 3 Satz 3 ff. KStG fehlt, musste nach hier vertretener Auffassung die volle Verlustgeltendmachung möglich sein. Nach dem neugefassten § 30 Abs. 2 EStG gilt aber jetzt auch hier das Teilabzugsverfahren (Rz. 2.562). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein unbedingter Erlass auf ein Gesell- 2.659 schafterdarlehen gegenüber der GmbH aus steuerrechtlicher Sicht nicht zu empfehlen ist, soweit die Darlehensforderung nicht mehr voll werthaltig ist bzw. das Darlehen zum nicht steuerverstrickten Privatvermögen des Anteilseigners gehört. Im ersten Fall kommt es zu einer Körperschaftsbesteuerung der GmbH oder zu einer Minderung des körperschaftsteuerrechtlichen Verlustvortrags. In der zweiten Variante kann ein Verlust auf Gesellschafterebene nur in Fällen der Steuerverstrickung und dann auch nur bei einer Veräußerung geltend gemacht werden, dann aber mit den Folgeproblemen der § 3c Abs. 2 EStG, § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG. Aus steuerrechtlicher Sicht ist daher in jedem Fall der schuldrechtliche Rangrücktritt vorzugswürdig. b) Besserungsabreden Eine Sondersituation ergibt sich, wenn die Parteien die Forderungen zwar dinglich 2.660 erlassen wollen, jedoch den Erlass mit einer Besserungsvereinbarung verknüpfen1. 1 Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 41/87, BStBl. II 1991, 588 = GmbHR 1991, 73; BMF, BStBl. I 2003, 648; Weber-Grellet in Schmidt, § 5 EStG Rz. 550 „Gesellschafterfinanzierung“.

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2.661

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

Dogmatisch handelt es sich dabei um einen Erlass, der unter der auflösenden Bedingung vereinbart ist, dass die Wirkungen des Erlasses enden, wenn die GmbH wieder in die Lage versetzt ist, das Darlehen zu tilgen und zu verzinsen. Aus §§ 158 Abs. 2, 159 BGB ergibt sich, dass im Grundsatz der Eintritt der Bedingung keine Rückwirkung hat, dass jedoch schuldrechtlich vereinbart werden kann, dass der Bedingungseintritt zurückwirkt. Eine Vereinbarung mit schuldrechtlicher Rückwirkung schon in dem ursprünglichen Erlassvertrag hat Bedeutung, wenn die Darlehenzinsen auch mit steuerrechtlicher Wirkung für die Zeit der Krise an den Gläubiger/Gesellschafter nachgezahlt werden sollen. 2.661 Auch für den Erlass mit Besserungsvereinbarungen ergeben sich die Konsequenzen aus der Entscheidung des Großen Senats des BFH1. Ist der Erlass mit Besserungsvereinbarung durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und die Forderung – wie regelmäßig – nicht mehr in voller Höhe werthaltig, dann kommt es ebenso wie bei einem Erlass ohne Besserungsvereinbarung auf der Ebene der GmbH zu einem steuerbaren Gewinn in Höhe des nicht mehr werthaltigen Teils des Darlehens. Für die Verpflichtung auf Grund der Besserungsvereinbarung darf auf Ebene der Gesellschaft keine Rückstellung gebildet werden, weil es sich um eine aufschiebend bedingte Verbindlichkeit handelt, die erst aus künftigen Gewinnen zu tilgen ist2. In Höhe des werthaltigen Teils ist auch der Erlass mit Besserungsvereinbarung eine Einlage, die das steuerrechtliche Einlagekonto des § 27 KStG bei der Kapitalgesellschaft erhöht. Im Gegenzug erhöht dieser werthaltige Teil die Anschaffungskosten der Beteiligung des Gesellschafters. Es ergeben sich also ganz andere Konsequenzen als beim Rangrücktritt (Rz. 2.643 ff.). Das ist zutreffend, weil der Forderungsverzicht mit Besserungsabrede und der Rangrücktritt sowohl dogmatisch als wirtschaftlich nicht vergleichbar sind und deshalb auch steuerbilanziell nicht identisch behandelt werden können. Die Eigenart des Rangrücktritts ist seine lediglich schuldrechtliche Wirkung und der bestehen bleibende Erfüllungszwang, demgegenüber beim Forderungsverzicht mit Besserungsvereinbarung die aktuelle Belastung wegfällt. 2.662 Eine Konstellation des Eintritts der auflösenden Bedingungen hat der BFH schon im Jahre 1990 entschieden3. Nach Auffassung der Rechtsprechung führt der auflösend bedingte Forderungsverzicht zunächst für die Dauer der Krise zur Bildung von Eigenkapital der Gesellschaft. Im Zeitpunkt des Bedingungseintritts wandelt sich das Eigenkapital wieder in Fremdkapital um. Die Umwandlung des Eigenkapitals in Fremdkapital stellt nach Ansicht des BFH keine Gewinnausschüttung, vielmehr eine Art negative Einlage dar. Bei Eintritt der Bedingung kommt es zur automatischen Umwandlung in Fremdkapital. Vor dem Hintergrund der späteren Rechtsprechung es BFH4 ist der Betrag mit ex nunc-Wirkung vom steuerrechtlichen Einlagekonto des § 27 KStG abzuziehen, der im Zeitpunkt des Erlasses auf Grund der Werthaltigkeit das Einlagekonto erhöht hatte. Hatte der Erlass bei der GmbH in Höhe des wertlosen Teils des Darlehens zu Gewinn geführt (Rz. 2.655), dann mindert sich in der Rechnungsperiode des Eintritts der Bedingung der Gewinn der GmbH durch die erneute Passivierung des Darlehens als Fremdkapital. 1 2 3 4

BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = GmbHR 1997, 851. Groh, BB 1983, 1882. BFH v. 30.3.1990 – I R 41/87, BStBl. II 1991, 588 = GmbHR 1991, 73. BFH (GrS) v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = GmbHR 1997, 851.

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Steuerrechtliche Folgen

2.664

Dem folgt auch die Finanzverwaltung1: Im Zeitpunkt des Bedingungseintritts, im Zeitpunkt der Erfüllung der Besserungsabrede sind die geleisteten Zahlungen gezielt vom Einlagekonto abzuziehen, auch wenn dieses negativ wird. Zu fragen ist aber, ob diese Beurteilung auch nach dem Inkrafttreten des SEStEG beizubehalten ist2. Hintergrund der Problematik ist § 27 Abs. 1 Satz 3, 4 KStG, wonach die Verrechnung mit dem Einlagekonto unabhängig von der handelsrechtlichen Einordnung der Leistung ist und das Einlagekonto nicht negativ werden kann. Nach hier vertretener Auffassung bleibt es bei der bisherigen Rechtslage, weil die Erfüllung des Besserungsversprechens keine Leistung des § 27 Abs. 1 KStG darstellt. Wenn der BFH3 im Zeitpunkt des Verzichts des Anteilseigners auf eine gegen die GmbH gerichtete Forderung gegen Besserungsabrede eine Einlage annimmt, die im Einlagekonto zu erfassen ist, dann geschieht dies allein auf Grund der Besonderheiten des Erlasses mit Besserungsvereinbarung. Die in das Einlagekonto zugeführte Leistung ist letztlich nur temporäres Eigenkapital, welches bei Eintritt des Besserungsfalls zum Wiederaufleben der Gesellschafterforderung führt. Diese negative Einlage ist nach § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG vom Einlagekonto abzuziehen. Auf der Gesellschafterebene mindern sich die nachträglichen Anschaffungskos- 2.663 ten einer steuerverstrickten Beteiligung im Zeitpunkt des Bedingungseintritts, des Wiederauflebens der Darlehensforderung, soweit der vorherige Erlass in Höhe des werthaltigen Teils zu Anschaffungskosten geführt hatte. Diese eher unproblematische Rechtslage wird kompliziert, wenn ein GmbH-Gesellschafter mit einer steuerverstrickten Beteiligung, beispielsweise ein nach § 17 EStG qualifiziert Beteiligter, seinen GmbH-Geschäftsanteil zu einem Zeitpunkt vor Eintritt der auflösenden Bedingung veräußert hat. Im Zeitpunkt der Veräußerung ist in der Person des Beteiligten entweder ein Veräußerungsgewinn oder ein Veräußerungsverlust (nach § 17 EStG) entstanden. Da die auflösende Bedingung nicht zurückwirkt, ist daran zu denken, dass die auf Grund des Erlasses erhöhten Anschaffungskosten bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns oder des Veräußerungsverlustes zu berücksichtigen sind. Sowohl für die Rechtslage nach § 8 Abs. 4 KStG a.F. als auch im Anwendungs- 2.664 bereich des § 8c KStG (Rz. 2.601 ff.) stellt sich die Frage, ob durch einen Erlass mit Besserungsvereinbarung der Verlustvortrag in eine andere Steuerperiode verlagert, mithin „gerettet“ werden kann. Im Einzelnen geht es darum, dass durch einen Erlass mit Besserungsabrede und nicht vorhandener Werthaltigkeit des Gesellschafterdarlehens ein Gewinn entsteht, der durch einen Verlustvortrag kompensiert werden kann. Zum Zeitpunkt des Eintritts der Besserungsvoraussetzungen entsteht das Gesellschafterdarlehen wieder als Fremdverbindlichkeit, und zwar als erfolgsneutraler (Rz. 2.662) Vorgang. Zu fragen ist, ob diese Konstruktion geeignet ist, auch nach einem Anteilseignerwechsel, der heute die Voraussetzungen des § 8c KStG erfüllt, einen Verlustvortrag der GmbH zu transferieren4. Für diese Konstellation vertritt die Finanzverwaltung folgende Auffassung5: Wenn zwischen dem Zeitpunkt der Ausbuchung und der Wiedereinbuchung der Verbindlichkeit 1 2 3 4 5

BMF, BStBl. I 2003, 366 Tz. 29. Zum Problem Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Loseblatt, § 27 KStG Rz. 63. BFH v. 30.3.1990 – I R 41/87, BStBl. II 1991, 588 = GmbHR 1991, 73. Näher Pohl, DB 2008, 1531. BMF, BStBl. I 2003, 648.

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2.665

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

„eigentlich“ der Tatbestand des § 8b KStG a.F. erfüllt wurde, dann soll davon ausgegangen werden, dass der sich aus der Wiedereinbuchung ergebende steuerrechtliche Aufwand, der Unterschied zwischen dem Nennbetrag und dem Teilwert der Forderung im Verzichtszeitpunkt, nicht abzugsfähig sei, da insoweit der Verlust verloren gegangen sei. Die Auffassung der Finanzverwaltung ist weder für das frühere Recht1 als auch für potentielle Anwendungsfälle des § 8c KStG2 vom Wortlaut des Gesetzes gedeckt. § 8c KStG ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn im Zeitpunkt des Anteilseignerwechsels ein technischer Verlustvortrag des § 10d EStG nicht vorhanden ist. Auch § 42 AO kann nicht anwendbar sein, weil die Rechtsprechung mehrfach entschieden hat, dass die Nutzung eines bestehenden Verlustes nicht zu beanstanden ist3. Auch aus dem Zusammenwirken von Erlass mit Besserungsvereinbarung einerseits und Anteilsübertragung andererseits kann kein Missbrauch hergeleitet werden4, weil der Forderungserlass mit Besserungsvereinbarung ein gebräuchliches Sanierungsmittel darstellt. Aber selbst wenn der Missbrauchsvorwurf erhoben wird, kann die steuerpflichtige Gesellschaft über § 42 Abs. 2 Satz 2 AO außersteuerliche Gründe für die gewählte Gestaltung darlegen. 2.665 Die hier vertretene Auffassung ist auch die, die der I. Senat des BFH in der Entscheidung vom 12.7.20125 vertritt. Der BFH stellt in erster Linie darauf ab, dass ein Missbrauch des § 42 AO schon deshalb nicht angenommen werden kann, weil die gewählte Gestaltung nicht vom Wortlaut des § 8 Abs. 4 KStG a.F. – der im Sachverhalt hätte einschlägig sein können – erfasst werde; es gehe bei § 8 Abs. 4 KStG a.F. eben nicht um die neuerliche Passivierung einer Verbindlichkeit. Offen bleibt aber, ob die Rechtsgrundsätze der zitierten BFH-Entscheidung auch für die aktuelle Regelung in § 8c KStG anzuwenden sind. Dies ist zu bejahen, weil auch § 8c KStG nur solche Verlustvortragspositionen erfasst, die bis zu einem schädlichen Beteiligungserwerb nach § 8c Abs. 1 KStG nicht genutzt worden sind. Es geht bei § 8c KStG nicht um steuerrechtlich entstehenden Aufwand/Betriebsaufgaben, die nach einer Anteilsübertragung oder einem gleichgestellten Sachverhalt entstehen. Hinzuweisen ist aber darauf, dass die Rechtslage für § 8c KStG insoweit nicht eindeutig geklärt ist. c) Forderungsverzicht bei GmbH & Co. KG 2.666 Steuerrechtliche Probleme durch einen Forderungsverzicht des Gesellschafters können auch im Bereich der Personengesellschaften, insbesondere bei der GmbH & Co. KG zu lösen sein. Im Grundsatz ist darauf hinzuweisen, dass die Besteuerung der Personengesellschaften/der Mitunternehmerschaften des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG transparent ist, also nicht – wie im Körperschaftsteuerrecht – dogmatisch zwischen der Besteuerungsebene der Kapitalgesellschaft und derjenigen des Anteilseigners zu unterscheiden ist. 1 Boeck, GmbHR 2004, 221; Hoffmann, DStR 2004, 293. 2 Pohl, DB 2008, 1531. 3 BFH v. 19.8.1999 – I R 77/96, BStBl. II 2001, 43 = GmbHR 1999, 1258; BFH v. 17.10.2001 – I R 97/00, BFH/NV 2002, 240 = GmbHR 2002, 169 m. Komm. Eilers/Schneider; BFH v. 7.8.2002 – I R 64/01, BFH/NV 2003, 205 = GmbHR 2003, 183. 4 A.A. Pohl, DB 2008, 1531, 1532 f. 5 BFH v. 12.7.2012 – I R 23/11, BFH/NV 2012, 1901 = GmbHR 2012, 1188 gegen BMF, BStBl. I 2003, 648.

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Steuerrechtliche Folgen

2.669

Personengesellschaftsrechtlich liegt es zweifelsfrei so, dass auch der Personenge- 2.667 sellschafter mit „seiner“ Gesellschaft in schuldrechtliche Beziehungen treten kann. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG macht aber nicht nur deutlich, dass bei einer Personengesellschaft/einer steuerrechtlichen Mitunternehmerschaft der einzelne Gesellschafter als Steuersubjekt zu qualifizieren ist, vielmehr zeigt die Norm auch, dass schuldrechtliche Beziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter steuerrechtlich im Ergebnis nicht anerkannt werden. Daraus soll aber nicht die Folgerung zu ziehen sein, dass eine Forderung eines Mitunternehmers gegen die Personengesellschaft in eine Forderung gegen sich selbst und gegen die übrigen Gesellschafter/die Gesellschaft aufzuspalten ist1. Ist also eine Darlehenshingabe durch den Gesellschafter an die Personengesellschaft im weitesten Sinne gesellschaftsrechtlich veranlasst2, dann wird die Darlehensforderung des Gesellschafters steuerrechtlich als Sonderbetriebsvermögen I eingeordnet und in der Sonderbilanz des betreffenden Mitunternehmers in der Mitunternehmerschaft aktiviert3. Korrespondierend kommt es in der Bilanz der Personengesellschaft, also auf Gesamthandsebene, zu einer Fremdverbindlichkeit, und zwar unabhängig davon, ob dem Kredit ein eigenständiger und vom Gesellschaftsverhältnis unabhängiger Vertrag zugrunde liegt oder ob er als gesellschaftsrechtlicher Beitrag des Personengesellschafters geschuldet wird4. Zu einer Aktivierung in der Sonderbilanz des darlehensgewährenden Gesellschaf- 2.668 ters kommt es auch dann, wenn die Forderung bei diesem Gesellschafter eigentlich zu einem eigenen, anderen Betriebsvermögen gehören würde5. Dabei ist nicht ganz geklärt, ob dieser Vorrang des Sonderbetriebsvermögens vor einem eigenen Betriebsvermögen des Mitunternehmers auch dann einschlägig ist, wenn es sich um Forderungen des Gesellschafters aus dem eigenen Betrieb und laufende Lieferungen und Leistungen handelt6. Bei laufenden Lieferungen und Leistungen zwischen einem anderen Betriebsvermögen und der Mitunternehmerschaft kann bezweifelt werden, ob sich dies noch als Verwirklichung des Gesellschaftsverhältnisses im weitesten Sinn darstellt. Wird davon ausgegangen, dass die Darlehensverbindlichkeit der GmbH & Co. KG 2.669 bzw. die Darlehensforderung des Gesellschafters der GmbH & Co. KG zur Gesamtbilanz der Mitunternehmerschaft zählen, dann sind die auf das Darlehen von der Gesellschaft gezahlten Zinsen Betriebsausgaben und entsprechend beim Gesellschafter nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu erfassende Sonderbetriebseinnahmen. Im Ergebnis führt das dazu, dass der Anspruch des Gesellschafters zwar nicht zu dem in der Bilanz der Gesellschaft auszuweisenden Eigenkapital gehört, wohl aber zum Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters, welches in der aus der Gesellschaftsbilanz und der Sonderbilanz zu bildenden Gesamtbilanz der Mitunternehmerschaft als Eigenkapital behandelt wird7. 1 2 3 4 5

BFH v. 8.12.1982 – I R 9/79, BStBl. II 1983, 570; Wacker in Schmidt, § 15 EStG Rz. 540. Vgl. Woerner, DStZ 1980, 203. BFH v. 28.3.2000 – VIII R 28/98, BStBl. II 2000, 347, 348 = GmbHR 2000, 570. BFH v. 13.10.1998 – VIII R 78/97, BStBl. II 1999, 163, 166 = GmbHR 1999, 199. BFH v. 7.12.2000 – III R 35/98, BStBl. II 2001, 316, 319 = GmbHR 2001, 358; Brandenberg, FR 1997, 88. 6 Näher Wacker in Schmidt, § 15 EStG Rz. 549. 7 BFH v. 5.6.2003 – IV R 36/02, BStBl. II 2003, 871, 874 = GmbHR 2003, 1294 m. Komm. Hoffmann.

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2.670

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

2.670 Verzichtet der Personengesellschafter auf die in seiner Sonderbilanz aktivierte Forderung, dann ist zu entscheiden, ob es zu vergleichbaren Rechtsfolgen kommt wie beim Forderungsverzicht eines Kapitalgesellschafters. Wird auf die Forderung des Gesellschafters auf Grund gesellschaftsrechtlicher Veranlassung verzichtet, dann handelt es sich um eine Einlage in Höhe des Nennwerts der Forderung1. Wird unterstellt, dass der Gesellschafter aus eigenbetrieblichem Interesse auf die Darlehensforderung verzichtet, um beispielsweise seine Geschäftsbeziehungen zu der Personengesellschaft aufrecht zu erhalten, dann wird vertreten, dass auch in dieser Variante eine gesellschaftsrechtlich vereinlasse Einlage anzunehmen ist2. Nach anderer Auffassung soll es hier zu einer Parallele zum Forderungsverzicht des Kapitalgesellschafters kommen3. Dann ist nur in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung bei der Personengesellschaft eine Einlage anzunehmen, beim Gesellschafter kommt es zu einer Entnahme und in Höhe des Volumens des nicht mehr werthaltigen Teils bei der Personengesellschaft zu steuerpflichtigem Ertrag und korrespondierend beim Mitunternehmer zu abzugsfähigem Aufwand in seiner Sondergewinnermittlung. Letztlich geht es darum, ob der Verzicht auf Grund eigenbetrieblicher Motivation des Gesellschafters zu einem Ergebnis führt, welches der Rechtslage bei der vom Trennungsprinzip bestimmten Kapitalgesellschaft entspricht. Anders formuliert: Es ist gut begründbar, dass dann, wenn der Verzicht aus eigenbetrieblichen Gründen erfolgt, der Gedanke der transparenten Mitunternehmerbesteuerung zurückzutreten hat. 2.671 Wird ein Forderungsverzicht des Gesellschafters der GmbH & Co. KG als Einlage auf Gesellschaftsebene, auf Gesamthandsebene behandelt, dann kommt es zu einer erfolgsneutralen Erhöhung des Eigenkapitals in der Steuerbilanz der Personengesellschaft. Maßgebend ist der Buchwert/Nennbetrag der bislang passivierten Verbindlichkeit. Im Gegenzug mindert sich dann das Kapital des verzichtenden Gesellschafters in der Sonderbilanz erfolgsneutral um denselben Betrag. Aus dieser korrespondierenden Betrachtungsweise zwischen Sonderbilanz des Gesellschafters und Bilanz der Gesellschaft sollte auch zu folgern sein, dass die Erhöhung des Kapitals auf der Personengesellschaftsebene grundsätzlich dem Gesellschafter zugute kommen muss, der auf die Forderung verzichtet hat. 2.672 Sollte es im Einzelfall so liegen, dass die bislang in der Sonderbilanz des Gesellschafters aktivierte Forderung von dem derzeitigen Gesellschafter zu einem unter Nennwert liegenden Preis von einem Dritten erworben worden ist, dann sollte die Forderung in der Sonderbilanz mit den Anschaffungskosten aktiviert werden4. Das ist daraus zu folgern, dass das Anschaffungskostenprinzip auch für Aktivierungen in der Sonderbilanz gelten muss5. Folgt man dem, dann wird die Verbindlichkeit auf Gesellschaftsebene mit dem Nennwert passiviert, in der Sonderbilanz des Gesellschafters dagegen nur mit den niedrigeren Anschaffungskosten. Das könnte mit der korrespondierenden Bilanzierung zwischen Gesellschaftsbilanz und Sonderbilanz kollidieren, doch ist zu berücksichtigen, dass dieser Grundsatz darauf abzielt, dass eine Forderung des Mitunternehmers im Ergebnis innerhalb der Mitunternehmerschaft nicht mit Gewinnauswirkung wertberichtigt werden kann. 1 2 3 4 5

Wacker in Schmidt, § 15 EStG Rz. 550. Ley, KÖSDI 2005, 14815, 14822. Wacker in Schmidt, § 15 EStG Rz. 550. Zutreffend Ley, KÖSDI 2005, 14815, 14822. BFH v. 31.10.2000 – VIII R 85/94, BStBl. II 2001, 185 = GmbHR 2001, 205.

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Crezelius

Steuerrechtliche Folgen

2.676

3. Verzicht auf Pensionsanwartschaft Gerade in Krisensituation der GmbH wird es vielfach so liegen, dass der Gesell- 2.673 schafter, der zugleich Geschäftsführer ist und dem eine Pensionszusage gewährt worden ist, auf diesen Vermögenswert verzichten will, um die Kapitalgesellschaft zu sanieren. Auch hier ist zu entscheiden, wie sich der Wegfall des Passivpostens „Pensionsrückstellung“ bei der GmbH und bei ihrem Gesellschafter auswirkt. Mit einer Entscheidung aus dem Jahre 1993 hatte der BFH entschieden, dass der 2.674 Verzicht eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH auf die ihm zugesagte Pension nicht zu einer Einlage in das Vermögen der GmbH führt1. Der BFH hat damals die Lösung des Problems nicht auf der Anteilseignerebene, sondern auf der Ebene der Kapitalgesellschaft gesucht. Wenn es sich nicht um eine Einlage in das Eigenkapital der GmbH handelt, kommt es zwangsläufig zu einem steuerbaren Gewinn in Höhe des weggefallenen Passivpostens, der Pensionsrückstellung. Die vorstehend referierte Entscheidung des I. Senats des BFH ist durch die Ent- 2.675 scheidung des Großen Senats des BFH zum Forderungsverzicht (ebenfalls) überholt2. Der Große Senat des BFH ist heute der Meinung, dass ein durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasster Verzicht zu einer Realisierung der Pensionsanwartschaft führe und dass demnach der Gesellschafter-Geschäftsführer prinzipiell Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) erzielen könne. Im Ergebnis ist also auch bei einem Verzicht auf eine Pensionsanwartschaft für die Ebene der GmbH zu fragen, ob und in welcher Höhe das Anwartschaftsrecht des pensionsberechtigten Gesellschafters werthaltig war oder nicht. In Höhe des werthaltigen Teils kommt es zu einer Einlage des Gesellschafter-Geschäftsführers und körperschaftsteuerrechtlich zu einer Erhöhung des Einlagekontos des § 27 KStG. Ist der Teilwert der Einlage im Einzelfall höher als die auf Grund § 6a EStG berechnete und passivierte Pensionsrückstellung, dann kommt es auf Grund des Verzichts des Gesellschafters in Höhe der Differenz zwischen dem Teilwert des Pensionsanwartschaftsrechts und der Rückstellung nach § 6a EStG zu einer Gewinnminderung auf der Gesellschaftsebene. Liegt der Einlagewert unterhalb des Werts nach § 6a EStG, dann entsteht in Höhe des Unterschiedsbetrags ein zu versteuernder Gewinn3. Der Teilwert ist unter Beachtung der allgemeinen Teilwertermittlungsgrundsätze im Zweifel nach den Wiederbeschaffungskosten zu ermitteln. Es kommt also darauf an, welchen Betrag der Gesellschafter im Zeitpunkt des Verzichts hätte aufwenden müssen, um eine gleichhohe Pensionsanwartschaft gegen einen vergleichbaren Schuldner zu erwerben. Auf der Ebene des auf die Pensionsanwartschaft verzichtenden Gesellschafters 2.676 kommt es zu erstaunlichen Ergebnissen: Der Verzicht auf das Anwartschaftsrecht führt in Höhe des werthaltigen Teils zu einer Einlage, durch die sich korrespondierend die Anschaffungskosten einer steuerverstrickten Beteiligung erhöhen. In entsprechender Höhe soll der Verzicht nach Auffassung des BFH aber auch zu Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) führen. Im Ergebnis wird damit ein Zufluss nach § 11 EStG fingiert. Hinsichtlich des nicht werthaltigen Teils des 1 BFH v. 19.5.1993 – I R 34/92, BStBl. II 1993, 804. 2 BFH (GrS) v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = GmbHR 1997, 851. 3 BFH v. 15.10.1997 – I R 58/93, BStBl. II 1998, 305 = GmbHR 1998, 289.

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2.677

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

Anwartschaftsrechts hat der Verzicht für den Gesellschafter-Geschäftsführer keine steuerrechtlichen Konsequenzen. 2.677 Die Auffassung der Rechtsprechung, dass der werthaltige Teil der Pensionsanwartschaft im Falle eines Verzichts zu Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit beim Gesellschafter führt, ist steuersystematisch bedenklich. Zunächst ist es fraglich, ob hier tatsächlich ein Zufluss nach § 11 EStG fingiert werden kann, obgleich der verzichtende Gesellschafter den Wert des Pensionsanwartschaftsrechts tatsächlich gar nicht erhält. Im Übrigen ergibt sich die überraschende Konsequenz, dass der werthaltige Teil zugleich zu Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 EStG und in gleicher Höhe zu nachträglichen Anschaffungskosten bei einer steuerverstrickten Beteiligung führt. Das erscheint ungereimt, weil bei kapitalgesellschaftsrechtlichen Beteiligungen, die in einem Privatvermögen gehalten werden, der Betrag der Anschaffungskosten grundsätzlich aus versteuertem Einkommen gebildet wird, so dass keine Korrespondenz zwischen zufließenden Einnahmen, die zu versteuern sind, und dem Anschaffungskostenvolumen besteht. 2.678 Der Forderungsverzicht als gesellschaftsrechtlich veranlasst verdeckte Einlage ist von einer betrieblich veranlassten Sanierungsmaßnahme abzugrenzen1. Maßstab ist die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns. Ein Forderungsverzicht ist gesellschaftsrechtlich und nicht betrieblich veranlasst, wenn der Anteilseigner bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns die Schulden nicht erlassen hätte. Indiz für die gesellschaftsrechtliche Veranlassung des Forderungsverzichts ist es, wenn sich fremde Gläubiger nicht an der Sanierung beteiligen, wobei es im Wesentlichen auf das Verhalten von Großgläubigern ankommt. 2.679 Fraglich ist, ob die dargestellten Grundsätze auch für die Fallgruppe des sog. Future Service anzuwenden sind, also in der Variante, in der ein Gesellschafter-Geschäftsführer allein auf die künftig noch zu erdienenden Pensionsanwartschaften verzichtet. Dazu hat die Finanzverwaltung Stellung genommen2. Aus dem BMFSchreiben wird deutlich, dass der Verzicht auf den Future Service so ausgestaltet werden kann, dass der Wert einer verdeckten Einlage Null Euro beträgt. Das ergibt sich daraus, dass es die Finanzverwaltung nicht beanstandet, wenn als erdienter Teil der Versorgungsleistungen bei einer Leistungszusage an einen beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer der Teilanspruch aus den bisher zugesagten Versorgungsleistungen angesetzt wird, der dem Verhältnis ab der Erteilung der Pensionszusage bis zum Verzichtszeitpunkt abgeleisteten Dienstzeit einerseits und der ab Erteilung der Pensionszusage bis zu der in der Zusage vorgesehenen Altersgrenze andererseits entspricht. Im Ergebnis kann damit der fiktive Zufluss beim Gesellschafter vermieden werden, wenn sich durch den Teilverzicht der Barwert des Versorgungsanspruchs nicht ändert. Offen bleibt allerdings, in welchem Rahmen darüber hinaus Umstrukturierungen der Pensionsabrede, beispielsweise unterschiedliche Veränderungen der Leistungsbestandteile, möglich sind3. Wichtig ist auch, dass das BMF-Schreiben keine detaillierte Aussage zu den Folgen des Teilverzichts auf Kapitalgesellschaftsebene enthält. vacat

2.680–2.700

1 Vgl. BFH v. 29.7.1997 – VIII R 57/94, BStBl. II 1998, 652 = GmbHR 1998, 93; Ernst & Young/Lang, Loseblatt, § 8 KStG Rz. 528 ff. 2 BMF, DStR 2012, 1706; dazu Dernberger/Lenz, DB 2012, 2308; Schwetlik, StB 2012, 330. 3 Dazu Dernberger/Lenz, DB 2012, 2308.

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Crezelius

Wegweiser nach dem Scheitern einer außergerichtlichen Sanierung

2.703

E. Wegweiser nach dem Scheitern einer außergerichtlichen Sanierung I. Optionen 1. Anhaltende Selbstprüfungspflichten a) Kann die Krise nicht mehr abgewendet und auch nicht mehr durch Sanierung 2.701 überwunden werden, so engt dies die Handlungsoptionen ein. Das Scheitern der außergerichtlichen Restrukturierung der GmbH kommt i.d.R. nicht unversehens. Es kündigt sich durch Signale an. Die unter Rz. 1.116, Rz. 1.191 ff. herausgestellten unternehmerischen Selbstprüfungspflichten bestehen während der Sanierungsanstrengungen in Gestalt einer laufenden Kontrolle des Sanierungsprozesses fort und verschärfen sich sogar. Nach außen geht es darum, wie lange ohne Verstoß gegen § 15a InsO (Insolvenzantragspflicht) an einem Sanierungskonzept festgehalten werden kann (dazu Rz. 5.82, 5.109). Nach innen (§ 43 GmbHG) geht es um die unablässige Prüfung und Optimierung oder Beendigung des eingeschlagenen Weges zur Unternehmens-Restrukturierung. b) Die Wahlmöglichkeiten sind im Lichte der § 15a InsO, § 43 GmbHG in dieser 2.702 Situation nur noch beschränkt. Ist keine freie Sanierung mehr möglich, so stehen die Beteiligten vor der Alternative einer freien gesellschaftsrechtlichen Regel folgenden Liquidation oder der Einleitung eines Insolvenzverfahrens (Rz. 2.704 f.). Nicht selten geht das Scheitern der freien Sanierung mit dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung einher (z.B. weil die Prognose negativ wird). Dann bleibt i.d.R. nur die Stellung eines Insolvenzantrags, denn die Dreiwochenfrist des § 15a Abs. 1 InsO kann, wenn keine Sanierungschance besteht, nicht genutzt werden. Aber auch außerhalb der Insolvenzantragspflicht handelt der Geschäftsführer unter einem Regime strenger Pflichtbindung. Dieser Pflichtbindung kann der Geschäftsführer i.d.R. nur durch Einbeziehung der Gesellschafter in strategische Überlegungen gerecht werden (vgl. auch zu den Risiken eines Eigenantrags nach § 18 InsO Rz. 5.53). Aus der situativen Einberufungspflicht im Interesse der Gesellschaft (§ 49 Abs. 2 GmbHG) wird in der Phase insolvenzabwendender Sanierungsanstrengungen eine kontinuierliche Berichts- und ggf. Vorlagepflicht der Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftern1. Die Geschäftsführer müssen jede strategische Entscheidung, soweit diese nicht direkt durch gesetzliche Pflichten vorgegeben ist, im Benehmen mit den Gesellschaftern (nicht nur mit einem Mehrheitsgesellschafter) treffen (vgl. auch Rz. 2.235). Eine vertrauensbildende Verständigung mit den Hauptgläubigern kommt hinzu, ersetzt aber in keinem Fall die Solvenzprüfung und die Einschaltung der Gesellschafter. 2. Sanierung im Insolvenzverfahren? Die vorsorgende Strategie im Vorfeld der Insolvenz ist eine entscheidende Auf- 2.703 gabe, wenn noch die Restchance einer Sanierung trotz Insolvenzverfahrenseröffnung bleiben soll (dazu Rz. 4.9 ff.). Das gilt sowohl für die übertragende Sanierung im Insolvenzverfahren (Rz. 7.141 ff.) als auch für die Unternehmensfortführung in 1 BGH v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, GmbHR 1995, 299, 300; Seibt in Scholz, § 49 GmbHG Rz. 23.

Karsten Schmidt

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2.704

2. Teil: Außergerichtliche Unternehmenssanierung

Eigenverwaltung (Rz. 9.1) und für die Sanierung im Insolvenzplanverfahren nach §§ 217 ff., 225a InsO (Rz. 8.1 ff.). Die Geschäftsführung sollte deshalb – auch dies in ständigem Kontakt mit den Gesellschaftern und eventuell mit den Großgläubigern – vorausschauend nicht nur die Alternative „Geschäftsfortführung oder Insolvenzverfahren?“ im Auge haben, sondern bei allen Sanierungsanstrengungen auch deren „Anschlussfähigkeit“ unter Insolvenzbedingungen mit bedenken. Hieran kann ein Interesse auch dann bestehen, wenn die Chance gewahrt werden soll, begonnene Sanierungsanstrengungen auch nach einem Eintritt der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit unter dem Schutzschirm gemäß § 270 InsO in Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO im Insolvenzverfahren fortzusetzen (dazu Rz. 9.1 ff.).

II. Zerschlagungsstrategien 1. Zerschlagung durch Liquidation 2.704 Eine Zerschlagung des Unternehmens im Liquidationsverfahren setzt die Auflösung durch Auflösungsbeschluss nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG – im Fall einer GmbH & Co. KG nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB – voraus (dazu Rz. 3.3). In Anbetracht der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO kommt eine Liquidation nach §§ 65 ff. GmbHG aber nur in Betracht, solange weder Überschuldung noch Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist (zum Sonderfall der masselosen Liquidation vgl. Rz. 6.1 ff., 6.31 ff.). Ein Auflösungsbeschluss setzt eine sorgsame strategische Vorbereitung voraus, weil die Abwicklung sehr unterschiedliche Wege gehen kann, von der Totalversilberung bis hin zur Teilveräußerung (zur Abwicklung nach Plan vgl. Rz. 3.3 f.). Selbst nach begonnener Liquidation bestehen die Selbstprüfungspflichten der Unternehmensleitung und das Insolvenzverschleppungsverbot fort. 2. Zerschlagung durch Insolvenzverfahren 2.705 Auch eine Zerschlagung durch Insolvenzverfahren kann durchaus unterschiedliche Wege gehen und muss nicht in einer Totalversilberung bestehen (Rz. 4.1). Deshalb muss ein Eigenantrag der Gesellschaft gleichfalls strategisch vorbereitet werden. Das gilt nicht nur für den Eigenantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO (dazu vgl. Rz. 5.38 ff.), sondern auch für einen Eigenantrag, der unter dem Druck der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO steht. Zwar gibt die Geschäftsführung mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Durchführung des Verwertungsprozesses aus der Hand (§§ 80, 148 ff., 156 ff. InsO). Aber es ist selbst noch im Vorfeld des Insolvenzantrags wichtig, die Vorbedingungen für eine optimale Verwertung auch noch im Insolvenzverfahren zu schaffen. Ein Geschäftsführer, der diese Aufgabe vernachlässigt, handelt pflichtwidrig und kann sich schadensersatzpflichtig machen (§ 43 GmbHG).

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Karsten Schmidt

3. Teil: Liquidation A. Tatbestände und gesellschaftsrechtliche Folgen der Auflösung I. Auflösungstatbestände und Typen der Liquidation 1. Die gesellschaftsrechtlichen Tatbestände Die wichtigsten Auflösungstatbestände sind in § 60 GmbHG geregelt1. Neben der 3.1 Eröffnung des Insolvenzverfahrens, auf die unter Rz. 5.1 ff., Rz. 5.151 ff. und 7.1 ff. einzugehen sein wird, stehen im Vordergrund: – der Auflösungsbeschluss (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG; bei der GmbH & Co. KG §§ 131 Abs. 1 Nr. 2, 161 Abs. 2 HGB) und – die Masselosigkeit (§ 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG; bei der GmbH & Co. KG §§ 131 Abs. 2 Nr. 1, 161 Abs. 2 HGB). Dagegen ist Vermögenslosigkeit, obwohl in § 60 Abs. 1 Nr. 7 GmbHG behandelt, 3.2 kein Auflösungs-, sondern ein Erlöschenstatbestand: Die wegen Vermögenslosigkeit nach § 394 FamFG gelöschte Gesellschaft erlischt, soweit sie wirklich vermögenslos ist, mit der konstitutiv wirkenden Löschung (Rz. 6.33). Stellt sich heraus, dass doch noch Vermögen vorhanden ist, ist sie nur scheinbar erloschen und wird abgewickelt wie eine wegen Insolvenzablehnung mangels Masse aufgelöste Gesellschaft (vgl. § 66 Abs. 5 GmbHG resp. §§ 145 Abs. 3, 161 Abs. 2 HGB; zur masselosen Abwicklung vgl. Rz. 6.1 ff.). a) Der Auflösungsbeschluss bedarf nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG einer Mehr- 3.3 heit von Dreiviertel der abgegebenen Stimmen. Der notariellen Beurkundung nach § 53 Abs. 2 GmbHG bedarf er nicht, denn es liegt keine Satzungsänderung vor2. Der Beschluss unterliegt grundsätzlich keiner Inhaltskontrolle3, kann allerdings im Einzelfall wegen Treupflichtwidrigkeit anfechtbar sein4. Der Beschluss kann ganz unterschiedliche wirtschaftliche Gründe haben und verschiedenartige strategische Zwecke verfolgen. Er kann beispielsweise der Umstrukturierung, der Zerschlagung oder der Teilliquidation von Unternehmen dienen. Die Liquidation der Gesellschaft kommt nicht ohne weiteres einer Liquidation des Unternehmens gleich (vgl. auch zur übertragenden Sanierung Rz. 2.231 ff., 7.141 ff.). Die Auflösung als solche ist ein wenig zielführender Beschlussgegenstand. Die einem Auflösungsbeschluss typischerweise vorausgehenden strategischen Beratungen 1 Eingehend zum Folgenden auch Eller, Liquidation der GmbH, 2009; Passarge/Torwegge, Die GmbH in der Liquidation, 2. Aufl. 2014. 2 RG v. 6.3.1907 – I 329/06, RGZ 65, 266; RG v. 10.12.1920 – II 245/20, RGZ 101, 78; BayObLG v. 2.11.1994 – 3 Z BR 152/94, GmbHR 1995, 54 = NJW-RR 1995, 1001; OLG Karlsruhe v. 30.3.1982 – 11 W 22/82, GmbHR 1982, 276 f. 3 BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352 = NJW 1980, 1278 = GmbHR 1981, 111; zur AG vgl. BGH v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184 = AG 1988, 135 = JR 1989, 443 m. Anm. Wiedemann = JR 1988, 505 m. Anm. Bommert = NJW 1988, 1579 m. Anm. Timm. 4 BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 355 = NJW 1980, 1278 = GmbHR 1981, 111; Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 17.

Karsten Schmidt

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3.4

3. Teil: Liquidation

unter den Gesellschaftern finden in einem auf die Auflösung der Gesellschaft begrenzten Beschluss nicht hinreichend Ausdruck. Zweckmäßigerweise wird deshalb mit der Auflösung ein Liquidationsplan beschlossen1. Dieser konkretisiert das Ziel der Liquidation und die Aufgaben und Pflichten der Liquidatoren. Der Gesetzeswortlaut kennt einen solchen Liquidationsplan und seine Rechtsverbindlichkeit für die Abwicklungsprozedur nicht, sieht ihn auch nicht als Bestandteil des Auflösungsbeschlusses an. Das Gesetz unterwirft die Beschlussfassung über den Liquidationsplan also auch nicht der qualifizierten Mehrheit nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG. Demgemäß kann der Liquidationsplan mit einfacher Mehrheit geändert werden, auch wenn er tatsächlich gemeinsam mit dem Auflösungsbeschluss mit qualifizierter Mehrheit beschlossen wurde2. Doch wird man unterscheiden müssen: Die Beschlussfassung über Liquidationsmaßnahmen bedarf i.d.R. nur der einfachen Mehrheit. Grundlagenentscheidungen über die Liquidationsstrategie (z.B. Unternehmensverkauf, Einbringung in eine – evtl. vom Mehrheitsgesellschafter gegründete – Auffanggesellschaft oder Zerschlagung) können im Einzelfall Bestandteile des Auflösungsbeschlusses sein, insbesondere wenn über sie als Alternativen zur Fortsetzung der aufgelösten Gesellschaft beraten wird (vgl. Rz. 3.7). Ihre Änderung kann dann wie eine „faktische“ Satzungsänderung wirken und einer (qualifizierten?) Mehrheit bedürfen (vgl. sinngemäß Rz. 2.253)3. Bei Verhandlungen und Beschlussfassungen über diese Gegenstände sind die Gesellschafter der Treupflicht unterworfen. 3.4 b) Der Liquidationsplan kann auch als allseitige Gesellschaftervereinbarung vereinbart werden. Eine solche Gesellschaftervereinbarung hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs korporativ bindende Kraft4, kann allerdings durch einen bloßen Mehrheitsbeschluss weder hergestellt noch aufgehoben werden. Die durch allseitigen Konsens hergestellte Sicherheit wird allerdings durch eine andere Unsicherheit erkauft: Das große Geheimnis der satzungsbegleitenden Nebenabreden ist die Frage, wie lange sie binden, insbesondere ob sie nach § 723 BGB kündbar sind5. Im Fall eines Liquidationsplans ist davon auszugehen, dass die Bindung anhält, solange die Prämissen des Liquidationsplans – z.B. Teil-Fortführung betrieblicher Einheiten, Bereitstehen von Auffanggesellschaften, Unternehmensveräußerungsmöglichkeit – halten. Im Fall einer Geschäftsgrundlagenänderung (§ 313 BGB) kann nach Lage des Falls einem Gesellschafter ein Recht zur Kündigung oder ein Recht auf Nachverhandlungen zustehen. Im Übrigen steht der Liquidationsplan auch hier unter dem Vorbehalt der Treupflicht.

1 Karsten Schmidt in Scholz, § 70 GmbHG Rz. 5. 2 Zur erforderlichen Mehrheit bei Aufhebungsbeschlüssen vgl. Karsten Schmidt in Scholz, § 45 GmbHG Rz. 33. 3 Klärende Rechtsprechung ist nicht ersichtlich. 4 BGH v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, GmbHR 1983, 196 = BB 1983, 996; BGH v. 27.10.1986 – II ZR 240/85, GmbHR 1987, 94 = BB 1987, 218; str., näher Zöllner in Baumbach/ Hueck, § 47 GmbHG Rz. 118; Emmerich in Scholz, § 3 GmbHG Rz. 114 ff.; Karsten Schmidt in Scholz, § 45 GmbHG Rz. 116, § 47 GmbHG Rz. 55; ablehnend z.B. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 47 GmbHG Rz. 44; Ulmer/Löbbe in Großkommentar zum GmbHG, § 3 GmbHG Rz. 119; Hüffer/Schürnbrand in Großkommentar zum GmbHG, 2. Aufl., § 47 GmbHG Rz. 92. 5 Vgl. dazu Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 95.

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Karsten Schmidt

Gesellschaftsrechtliche Folgen der Auflösung

3.7

2. Der insolvenzrechtliche Tatbestand der Masselosigkeit a) Ganz anderer Art ist die Liquidation wegen Masselosigkeit (§ 60 Abs. 1 Nr. 5 3.5 GmbHG). Bei ihr handelt es sich der Sache nach um ein verunglücktes Insolvenzverfahren, so dass sowohl der Auflösungsgrund als auch richtigerweise die Abwicklung selbst insolvenzrechtlich gedacht werden muss (dazu unten Rz. 6.31 ff.). Nach § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG ist die Gesellschaft mit der Rechtskraft eines Beschlusses aufgelöst, durch den die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist (vgl. § 26 InsO). Wird ein eröffnetes Insolvenzverfahren mangels Masse eingestellt (§ 207 InsO), so bleibt es bei der durch die Verfahrenseröffnung eingetretenen Auflösung. Aber die nun wieder gesellschaftsrechtliche Abwicklung folgt auch in diesem Fall den bei Masselosigkeit geltenden Grundsätzen (vgl. wiederum Rz. 6.34 ff.). b) Masselosigkeit liegt vor, wenn das Gesellschaftsvermögen voraussichtlich 3.6 nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens zu decken (§ 26 Abs. 1 InsO; dazu Rz. 6.1). Die Abgrenzung dieses Begriffs und die Feststellung im Einzelfall ist schwierig und mit einer Fülle unsicherer Prognosen belastet1, zumal die Massekostendeckung häufig eine Frage der Realisierbarkeit und Liquidierbarkeit von Forderungen und Sachwerten ist2. Im Insolvenzeröffnungsverfahren wird die Frage, ob eine unzulängliche Masse vorliegt, durch unabhängige Gutachter geprüft (dazu Rz. 6.2 ff.). Im schon eröffneten Verfahren ist zwischen dem Fall der Masselosigkeit (§ 207 InsO) und der bloßen Masseunzulänglichkeit (§ 208 InsO) zu unterscheiden (unten Rz. 7.804 ff.).

II. Gesellschaftsrechtliche Folgen der Auflösung 1. Allgemeine Regeln Nach § 69 GmbHG (im Fall einer GmbH & Co. KG nach § 156 HGB) gelten die 3.7 allgemeinen Vorschriften zunächst weiter. Die Gesellschaft verfolgt nach wie vor ihren unternehmerischen Zweck. Ihre Organe bestehen weiter (an Stelle der Geschäftsführer treten die regelmäßig mit ihnen identischen Liquidatoren; vgl. Rz. 3.11). Die Gesellschaft kann nach wie vor durch Bevollmächtigte und sogar Prokuristen vertreten werden3. Das wurde in der Rechtsprechung und Literatur vormals bestritten, ist jetzt aber h.M.4. Durch Beseitigung des Auflösungsgrunds und Fassung eines Fortsetzungsbeschlusses können die Gesellschafter das Auflösungsstadium beenden (Fortsetzung der aufgelösten Gesellschaft; vgl. Rz. 3.8). Auch die Treupflicht der Gesellschafter besteht fort5. Dies bedeutet, dass sowohl die Verzögerung der Abwicklung als auch die Verhinderung einer sinnvollen Fortsetzung treupflichtwidrig sein kann. Ähnlich wie ein Insolvenzverfahren kann die gesellschaftsrechtliche Liquidation auf eine Zerschlagung oder Reorganisa1 Umfassende Angaben bei Vallender in Uhlenbruck, § 26 InsO Rz. 6 ff. 2 Vgl. Vallender in Uhlenbruck, § 26 InsO Rz. 13. 3 Karsten Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 16 Rz. 16; Karsten Schmidt, BB 1989, 229 ff. 4 Vgl. nur Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 69 GmbHG Rz. 1 ff. 5 BGH v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276, 283 = GmbHR 1986, 426, 427; BGH v. 23.3.1987 – II ZR 244/86, GmbHR 1987, 349.

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3.8

3. Teil: Liquidation

tion der Gesellschaft hinauslaufen, regelmäßig allerdings in Zerschlagungsrichtung. Ein Kompromiss ist auch hier die übertragende Sanierung. Aber für sie gelten die bei Rz. 2.231 dargestellten Grundsätze, nicht die Sonderregeln der übertragenden Sanierung im Insolvenzverfahren (dazu Rz. 7.141). Die „Richtung der Treupflicht“ (Zerschlagungsrichtung oder Fortsetzungsrichtung) hängt von den Gegebenheiten des Einzelfalls, insbesondere von der Fortführungsfähigkeit des Unternehmens ab. Wie bei Rz. 3.3 f. festgestellt, können sich die Gesellschafter, wenn die Auflösung auf Beschluss beruht, durch einen „Liquidationsplan“ auf eine bestimmte Richtung der Liquidation festlegen und die Liquidatoren entsprechend binden. Die Gesellschaft kann, solange die Fortsetzung beschlossen werden kann, nach wie vor Umwandlungsbeschlüsse fassen (§ 3 Abs. 3 sowie § 191 Abs. 3 UmwG). Das A und O dieser Regelung ist die Fortsetzungsfähigkeit der Gesellschaft und die Fassung eines wirksamen Fortsetzungsbeschlusses1. Aber der Formwechsel ist kein tauglicher Liquidationsersatz, denn: – Ein Formwechsel ist nur möglich, wenn gleichzeitig die Fortsetzung der Gesellschaft beschlossen und den Gründungsregeln der neuen Rechtsform entsprochen wird (vgl. § 197 UmwG). Das wiederum bedeutet: Der Formwechsel kann nur Bestandteil einer Unternehmenssanierung sein. – Eine Abspaltung oder Ausgliederung (§ 123 Abs. 2, 3 UmwG) setzt gleichfalls voraus, dass die aufgelöste Gesellschaft fortgesetzt wird und als Schwesteroder Muttergesellschaft für die Verbindlichkeiten der der Spaltung unterzogenen Unternehmensteile weiterhaften kann (§ 133 UmwG). – Eine Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 UmwG) vermag die Liquidation nicht wirklich zu ersetzen. Sie führt zwar formal zum Erlöschen der aufgespaltenen Gesellschaft (§ 131 Abs. 1 Nr. 2 UmwG), lässt aber die Zielrechtsträger gesamtschuldnerisch haften (§ 133 UmwG). 3.8 Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen sind weiterhin möglich (umstritten allerdings für die Kapitalherabsetzung)2. Möglich ist vor allem die Fortsetzung der Gesellschaft, also die Beendigung des Auflösungsstadiums3. Diese setzt einen Fortsetzungsbeschluss und eine Beseitigung des Auflösungsgrundes voraus und ist nach Beginn der Vermögensverteilung nicht mehr zulässig4. Liquidationspflicht und Fortsetzungschance bestimmen die strategischen Eckpunkte in der Auflösungssituation. Die Gesellschafter einer aufgelösten GmbH müssen auch hier planvoll agieren. Sie sind gehalten, dem Abwicklungsverfahren eine bestimmte Richtung – Abwicklung durch Zerschlagung des Unternehmens? Abwicklung durch Unternehmensveräußerung? Fortsetzung der Gesellschaft? – zu geben und hierdurch die in vielen Auflösungsfällen störende Schwebelage zu beenden5. Auch das Konzept „Sanieren oder Ausscheiben“ (Rz. 2.37) kann in der Liquidation noch eine Chance erhalten.

1 Vgl. Drygala in Lutter, 5. Aufl. 2014, § 3 UmwG Rz. 23. 2 Näher (für Zulässigkeit auch der Kapitalherabsetzung) Karsten Schmidt in Scholz, § 69 GmbHG Rz. 4. 3 Eingehend Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 79 ff.; Fichtelmann, GmbHR 2003, 67 ff. 4 Einzelheiten bei Gsell in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 60 GmbHG Rz. 65 ff. 5 Vgl. Paura, Liquidation und Liquidationspflichten, 1995, S. 77 ff.

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Gesellschaftsrechtliche Folgen der Auflösung

3.11

Als verhängnisvoll kann sich allerdings die Verwendung des noch bestehenden 3.9 GmbH-Mantels für eine sog. Wirtschaftliche Neugründung1 erweisen, also die Verwendung als Träger eines neuen Unternehmens. Davon ist bereits deshalb abzuraten, weil durch den Fortbestand etwa bekannt gebliebener Gesellschaftsverbindlichkeiten das Unternehmen mit Altschulden belastet wird. Hinzu kommt, dass die vom BGH praktizierte gründungsähnliche Haftung in Fällen „wirtschaftlicher Neugründung“ ausdrücklich auch in Liquidationsverfahren gilt2. Dies ist, wie immer man über diese Rechtsprechung denkt3, ein weiterer Grund, von einer Verwendung der in Auflösung begriffenen Gesellschaft für eine Mantelgründung abzuraten. 2. Kapitalbindung in der Liquidation Der Gläubigerschutz wird im Liquidationsverfahren in mehrfacher Hinsicht ver- 3.10 schärft4, nicht zuletzt durch die Sperrjahrsvorschrift des § 73 GmbHG. Bis zum Ablauf des Sperrjahrs darf nach dieser Bestimmung keine Verteilung an Gesellschafter vorgenommen werden. § 73 GmbHG ist – anders als § 30 GmbHG (Rz. 1.161) – nicht bloß Vermögensschutz, sondern auch Liquiditätsschutz. § 73 GmbHG verbietet deshalb nicht nur echte Ausschüttungen, sondern auch eine Vorfinanzierung einer erwarteten Liquidationsquote durch Ausreichung von Darlehen an die Gesellschafter der aufgelösten Gesellschaft, selbst wenn diese solvent sind5. Beträge, die entgegen § 73 GmbHG an die Gesellschafter ausgekehrt worden sind, müssen in die Liquidationsmasse zurückerstattet werden6. Die Geschäftsführer sind verpflichtet, diese Beträge zurückzufordern. Eine Strafbarkeit nach § 266 StGB wird man allerdings nur anzunehmen haben, wenn die Liquidatoren – über eine bloße Gläubigergefährdung hinaus – das Vermögen der Gesellschaft durch verbotene Auszahlungen vorsätzlich schädigen. Insbesondere die nach § 73 GmbHG verbotene Ausreichung von Darlehen als Vorschuss auf die Liquidationsquote erfüllt noch nicht ohne weiteres den Straftatbestand. 3. Gesellschaftsorgane in der Liquidation a) Die Liquidation erfolgt im Zweifel durch die Geschäftsführer als Liquidatoren 3.11 (§ 66 GmbHG). Diese sind nach § 67 GmbHG zur Eintragung im Handelsregister anzumelden, auch wenn es sich um die bereits eingetragenen Geschäftsführer handelt7. Einzutragen ist auch die Vertretungsbefugnis (Allein- oder Gesamtver1 Dazu Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 3 GmbHG Rz. 13 ff. 2 BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, GmbHR 2012, 639 m. Komm. Gerdinghagen/Rulf = NJW 2012, 1875; BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317; eingehend Priester in JFStR 2013/2014, 372 ff. 3 Ablehnend Karsten Schmidt, ZIP 2010, 857. 4 Karsten Schmidt, ZIP 1981, 1 ff.; Karsten Schmidt, DB 2009, 1971 ff.; Karsten Schmidt in Scholz, § 73 GmHG Rz. 2 ff. 5 Dazu BGH v. 2.3.2009 – II ZR 264/07, GmbHR 2009, 712 = ZIP 2009, 1111; Karsten Schmidt in Scholz, § 73 GmbHG Rz. 2; Karsten Schmidt, DB 1994, 2013 ff.; zust. Förschle/Deubert in Budde/Förschle/Winkeljohann, Sonderbilanzen, 4. Aufl. 2008, Rz. T 79; Haas in Baumbach/Hueck, § 73 GmbHG Rz. 2; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 73 GmbHG Rz. 25. 6 OLG Rostock v. 11.4.1996 – 1 U 265/94, NJW-RR 1996, 1185 = GmbHR 1996, 621. 7 Karsten Schmidt in Scholz, § 67 GmbHG Rz. 3.

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3.12

3. Teil: Liquidation

tretung), und zwar selbst dann, wenn nur ein Liquidator vorhanden ist1. Während in der Vergangenheit die aufgelöste Gesellschaft gleichsam nur noch als Schatten des vormaligen Rechtsträgers angesehen wurde, ist heute von einem Modell der modifizierten Kontinuität auszugehen2. Die Liquidatoren sind nicht nur Geschäftsführungs-, sondern auch Vertretungsorgane der aufgelösten Gesellschaft (vgl. § 70 GmbHG). Ihre Vertretungsmacht ist nach früher bestrittener, heute herrschender Auffassung grundsätzlich nicht auf liquidationszweckdienliche Geschäfte beschränkt3. Aber sie sind im Innenverhältnis gehalten, Entscheidungen von grundsätzlicher Tragweite den Gesellschaftern zur Entscheidung vorzulegen (über weiter gehende Grenzen bei Betriebsveräußerungen vgl. Rz. 3.16)4. Im Einzelnen erkennt die Rechtsprechung das Kontinuitätskonzept immer noch nicht als durchgehendes Prinzip an5. Umstritten ist namentlich, ob eine satzungsmäßige Alleinvertretungsbefugnis oder Befreiung der Geschäftsführer von § 181 BGB im Liquidationsstadium ohne weiteres fortgilt6. Der Geschäftsführer und nunmehrige Liquidator sollte in jedem Zweifelsfall eine besondere Ermächtigung der Gesellschafter einholen. Wie bei den Geschäftsführern (§ 35 Abs. 2 Satz 2 GmbHG) gilt nach § 68 Abs. 1 Satz 2 GmbHG der Grundsatz der Gesamtvertretung. Wiederum ist umstritten, ob ein zuvor alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer auch ohne weiteres als Liquidator alleinvertretungsberechtigt bleibt7. Die Liquidatoren haben mit dem Zusatz „GmbH i. Liqu.“ oder ähnlich zu zeichnen (§ 68 GmbHG). Auf die Notwendigkeit richtiger Angaben auf den Geschäftsbriefen und auf die mit jeder Versäumung verbundenen Haftungsgefahren ist nachdrücklich hinzuweisen (§ 71 Abs. 5 GmbHG). 4. Rechnungslegung 3.12 Die Liquidationsrechnungslegung (§ 71 GmbHG) wurde herkömmlich dahin verstanden, dass die periodische Rechnungslegung der aufgelösten Gesellschaft mit ihrer Auflösung ende. Dieser Standpunkt scheint auf den ersten Blick zu dem Ermittlungs- und Veranlagungszeitraum bei der Körperschaftsteuer (Rz. 3.104 ff.) zu passen8. Bilanzrechtlich ist er indes überholt9: Es gibt eine periodische Rech1 So BGH v. 7.5.2007 – II ZB 21/06, GmbHR 2007, 877 m. Komm. Wachter; a.M. OLG Hamm v. 31.3.2005 – 15 W 189/04, GmbHR 2005, 1308. 2 Dazu Karsten Schmidt in Scholz, § 69 GmbHG Rz. 1. 3 Haas in Baumbach/Hueck, § 70 GmbHG Rz. 2; Karsten Schmidt in Scholz, § 70 GmbHG Rz. 3. 4 Karsten Schmidt in Scholz, § 70 GmbHG Rz. 4. 5 Zusammenfassend BGH v. 27.10.2008 – II ZR 255/07, GmbHR 2009, 212 = ZIP 2009, 34. 6 Die h.M. verneint dies: BGH v. 27.10.2008 – II ZR 255/07, GmbHR 2009, 212 = ZIP 2009, 34; BayObLG v. 19.10.1995 – 3 Z BR 218/95, GmbHR 1996, 56, 57; OLG Rostock v. 6.10.2003 – 3 U 188/03, NZG 2004, 288 = GmbHR 2004, 590; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, § 68 GmbHG Rz. 4; bejahend demgegenüber Karsten Schmidt in Scholz, § 68 GmbHG Rz. 5. 7 Auch dies wird überwiegend verneint; OLG Hamm v. 2.1.1997 – 15 W 195/96, GmbHR 1997, 553; Gesell in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 66 GmbHG Rz. 3; dagegen Karsten Schmidt in Scholz, § 68 GmbHG Rz. 5. 8 Kritik an § 11 KStG bei Karsten Schmidt in FS Ludwig Schmidt, 1993, S. 236 ff. 9 Vgl. Förster/Döring, Liquidationsbilanz, 4. Aufl. 2005; Förschle/Deubert in Budde/Förschle/ Winkeljohann, Sonderbilanzen, Teil T; Scherrer/Heni, Liquidationsrechnungslegung, 3. Aufl. 2009; Karsten Schmidt, Liquidationsbilanzen und Konkursbilanzen, 1989.

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Gesellschaftsrechtliche Folgen der Auflösung

3.16

nungslegung auch im Liquidationsstadium, und von ihr handelt der seit dem Bilanzrichtliniengesetz geltende § 71 GmbHG. Die Rechnungslegung der Liquidatoren gegenüber den Beteiligten, die herkömmlich in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt wurde, ist von dieser periodischen Rechnungslegung der aufgelösten GmbH zu unterscheiden1. Für den Insolvenzverwalter gilt sinngemäß Gleiches (dazu Rz. 7.111 ff.). Das bedeutet: a) Die Liquidatoren haben nach §§ 71 Abs. 1, 74 Abs. 1 GmbHG eine Liquidations- 3.13 eröffnungsbilanz mit einem Bericht und eine Liquidationsschlussbilanz für die Dokumentation der Liquidationsprozedur und der Vermögensverteilung zu erstellen. Der Bilanzzweck ist ein vollständig anderer als der der Jahresrechnungslegung der Gesellschaft. Es handelt sich um einen Liquidationseröffnungsplan und eine Schlussrechnung der Liquidatoren2. Dieser Dokumentation liegen Bewertungskonten zugrunde, die Neubewertungen und Abwicklungen dokumentieren3. b) Die periodische Rechnungslegungspflicht der Gesellschaft besteht daneben 3.14 fort4. Sie wird nur durch die Liquidationseröffnungsbilanz mit dem Erläuterungsbericht auf einen neuen Bilanzstichtag – jeweils der Tag der Auflösung – umgestellt5. Die Jahresrechnungslegung unterliegt den handelsrechtlichen Vorschriften über den Jahresabschluss. Die Gesellschafter bleiben für die Bilanzfeststellung zuständig (§ 71 Abs. 2 Satz 1 GmbHG). § 71 Abs. 2 Satz 3 GmbHG ermöglicht allerdings Neubewertungen für Vermögensgegenstände, deren Veräußerung beabsichtigt ist6. c) Soweit die Gesellschaft der Pflichtprüfung nach § 316 HGB unterliegt, kann das 3.15 Gericht sie hiervon nach § 71 Abs. 3 GmbHG befreien (zur Insolvenz, vgl. Rz. 7.128)7. 5. Betriebs- und Teilbetriebsveräußerung a) Wenig geklärt ist, unter welchen Voraussetzungen die Liquidatoren das Unter- 3.16 nehmen veräußern dürfen. Außerhalb der Liquidation gelten die bei Rz. 2.231 ff. 1 So die damals ungewohnte, heute akzeptierte These bei Karsten Schmidt, Liquidationsbilanzen und Konkursbilanzen, 1989, S. 38; zust. Förschle/Deubert in Budde/Förschle/ Winkeljohann, Sonderbilanzen, Rz. T 33, T 280 ff.; Förster/Döring, Liquidationsbilanz, 4. Aufl. 2005, Rz. 43; Scherrer/Heni, Liquidationsrechnungslegung, 3. Aufl. 2009, S. 9 ff.; Gesell in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 71 GmbHG Rz. 3 f.; krit. Haas in Baumbach/Hueck, § 71 GmbHG Rz. 8; H.-F. Müller in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 71 GmbHG Rz. 8. 2 Karsten Schmidt in Scholz, § 71 GmbHG Rz. 31 ff. 3 Dazu Winnefeld, Bilanz-Handbuch, 5. Aufl. 2015, Rz. N 765 ff. 4 Haas in Baumbach/Hueck, § 71 GmbHG Rz. 23 ff.; Karsten Schmidt in Scholz, § 71 GmbHG Rz. 7 ff., 16 ff. 5 BayObLG v. 14.1.1994 – 3 Z BR 307/93, GmbHR 1994, 331; Haas in Baumbach/Hueck, § 71 GmbHG Rz. 14, 23; Karsten Schmidt in Scholz, § 71 GmbHG Rz. 12, 18; Förster/ Döring, Liquidationsbilanz, 4. Aufl. 2005, Rz. 36 ff.; Scherrer/Heni, Liquidationsrechnungslegung, 3. Aufl. 2009, S. 33 ff.; Förschle/Deubert in Budde/Förschle/Winkeljohann, Sonderbilanzen, 4. Aufl. 2008, Rz. T 30, T 90 f.; a.M. noch Förschle/Deubert, WPg 1993, 399. 6 Dazu Karsten Schmidt in Scholz, § 71 GmbHG Rz. 24. 7 Haas in Baumbach/Hueck, § 71 GmbHG Rz. 32.

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3.17

3. Teil: Liquidation

geschilderten Pflichten zur Vorlage an die Gesellschafterversammlung. Hinzu kommen die umstrittenen „Ausstrahlungswirkungen des Umwandlungsgesetzes“1, aus denen sich Gesellschafterkompetenzen bei strukturändernden Maßnahmen ergeben. Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass sich dieses Problem im Auflösungsstadium etwa nicht stellte, weil mit dem Eintritt in dieses Stadium die Strukturänderung bereits vollzogen wäre. Im Gegenteil2: Gerade in Auflösungsfällen stehen für die Gesellschafter Richtungsentscheidungen außerhalb des operativen Geschäfts an. Das bedeutet im Grundsatz: Die Liquidatoren müssen bei wesentlichen Eingriffen in die Rechte der Gesellschafter einen Gesellschafterbeschluss herbeiführen und können insbesondere das Gesamtvermögen der GmbH nicht ohne Zustimmung der Gesellschafter übertragen (vgl. schon Rz. 2.235)3. Im Rahmen der Liquidation wurde herkömmlich angenommen, dass die angebliche Zweckänderung der aufgelösten Gesellschaft die Kompetenzen der Liquidatoren erweitert und insbesondere auch die Unternehmensveräußerung zulässt. Darin steckt ein richtiger Kern. Man wird aber differenzieren müssen4: Ein Liquidationsbeschluss kann eine entsprechende Kompetenzerweiterung für die Geschäftsführer (Liquidatoren) zum Inhalt haben; dann kann der Liquidator das Unternehmen nach pflichtgemäßem Ermessen veräußern oder evtl. zerschlagen. Einen Gesellschafterbeschluss hierüber kann er zu seiner Rückendeckung einholen, muss ihn jedoch grundsätzlich nicht einholen. Zweckmäßigerweise enthält ein Auflösungsbeschluss ohnehin einen Liquidationsplan (Rz. 3.3 f.), der dann den Liquidator an die beschlossene Vorgehensweise bindet. Wird die Gesellschaft auf andere Weise als durch Beschluss aufgelöst, so ist die Liquidatoren-Vertretungsmacht ähnlich begrenzt wie die des Geschäftsführers: Er muss vor der Gesamtveräußerung des Unternehmens oder vor der Veräußerung wesentlicher Betriebsteile jedenfalls sicherstellen, dass die Gesellschafter nicht willens oder nicht imstande sind, die Gesellschaft ohne Unternehmensveräußerung zu sanieren. Die Hauptprobleme der Betriebs- oder Teilbetriebsveräußerung sind allerdings arbeitsrechtlicher Art. Auf sie wird bei Rz. 3.41 ff. eingegangen. 3.17 b) Besondere Regeln sind bei der Übertragung des Unternehmens bzw. von Betriebsteilen auf eine Auffanggesellschaft (Fortführungsgesellschaft) zu beachten (dazu auch Rz. 2.231). Der Auflösungsbeschluss als solcher unterliegt zwar keiner Inhaltskontrolle (Rz. 3.3). Treuwidrig ist aber seine Verwendung für eine Art kalten Squeeze-out5. Dieser Effekt entsteht, wenn einzelne Gesellschafter der aufgelösten Gesellschaft allein oder unter Mithilfe dritter Investoren die Auffanggesellschaft okkupieren, ohne fortführungsbereiten Mitgesellschaftern quotengerechten Zugang zu dieser Gesellschaft anzubieten. Aus der Treupflicht ergibt sich also eine Art Bezugsrecht der Gesellschafter, von dem nur aus sachlichen Gründen abgewichen werden darf.

1 Dazu umfassend Lutter/Bayer in Lutter, UmwG, 5. Aufl. 2014, Einl. Rz. 57 ff. 2 Vgl. im Einzelnen Karsten Schmidt in Scholz, § 70 GmbHG Rz. 14. 3 Vgl. dazu Karsten Schmidt, ZGR 1995, 675 ff. (betr. Personengesellschaften); zugrunde lag BGH v. 9.1.1995 – II ZR 24/94, DB 1995, 621 = GmbHR 1995, 306; zu diesem Urteil vgl. aber auch Bredol/Natterer, ZIP 2015, 1419 ff. 4 Torsten Meyer, Liquidatorenkompetenzen und Gesellschafterkompetenzen in der aufgelösten GmbH, 1996. 5 Näher Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 17.

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Besonderheiten der GmbH & Co. KG

3.21

III. Besonderheiten der GmbH & Co. KG 1. Auflösungstatbestände a) Bei der GmbH & Co. KG ist auf Koordinierung der Organisation beider Gesell- 3.18 schaften zu achten. Für die Komplementär-GmbH gelten die §§ 60 ff. GmbHG. Hinsichtlich der Kommanditgesellschaft bedarf der Auflösungsbeschluss nach der gesetzlichen Regel (§§ 119 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB) der Einstimmigkeit. Die meisten GmbH & Co. KG-Verträge enthalten allerdings Vertragsklauseln über Mehrheitsbeschlüsse, die sich zweckmäßigerweise am Recht der GmbH orientieren1. Die demonstrative „Abschaffung“ des sog. Bestimmtheitsgrundsatzes für Mehrheitsregelungen durch die neuere Rechtsprechung2 ändert nichts an der Notwendigkeit, gesellschaftsrechtlich zu klären, ob eine Mehrheitsklausel auch den Auflösungsfall umfasst und welche Mehrheit erforderlich ist. Zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit kann sich auch hier eine unter Mitwirkung aller Gesellschafter abgeschlossene Gesellschaftervereinbarung (Rz. 3.4) empfehlen. b) Weitere Auflösungstatbestände für die Kommanditgesellschaft ergeben sich 3.19 aus § 131 Abs. 1 und 2 HGB. Ein gesetzlich nicht geregelter Auflösungstatbestand ist der Fortfall des einzigen Komplementärs, bei der typischen GmbH & Co. KG also das Erlöschen oder Ausscheiden der Komplementär-GmbH3, richtigerweise auch ihre bloße Auflösung4. 2. Abwicklung a) Die Kommanditgesellschaft und die GmbH bleiben auch in der Abwicklung als 3.20 Rechtsträger getrennt, aber doch funktionell verbunden. b) Im Fall der GmbH & Co. KG ist die Gestaltungspraxis aufgerufen, eine koor- 3.21 dinierte Abwicklung beider Gesellschaften zu ermöglichen. Der Gesetzgeber hat hierfür keine Vorsorge getroffen. Nach §§ 146, 161 Abs. 2 HGB erfolgt die Liquidation bei der Handels-Personengesellschaft – auch bei der KG5 – im Zweifel durch sämtliche Gesellschafter, bei der Kommanditgesellschaft also durch Komplementäre und Kommanditisten. Doch ist die durchgehende Anwendung des § 146 HGB im Fall einer GmbH & Co. KG nicht sachgerecht. Hier sind die Kommanditisten als Liquidatoren berufen, wenn die Komplementär-GmbH aus der 1 Eingehend Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1647 f.; Karsten Schmidt in Scholz, Anh. § 45 GmbHG Rz. 16 ff. 2 Vgl. BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = BB 2015, 328 m. Anm. Grunewald = GmbHR 2014, 1303 m. Komm. Ullrich = ZIP 2014, 2231; dazu Schäfer, NZG 2014, 1401; Ulmer, ZIP 2015, 657; Wertenbruch, DB 2014, 2875; zuvor das „Otto“-Urteil BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 = GmbHR 2007, 437; dazu Karsten Schmidt, ZGR 2008, 1 ff. 3 BGH v. 12.11.1952 – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35, 37 f.; BayObLG v. 10.3.2000 – 3 Z BR 385/99, BB 2000, 1211, 1212 = ZIP 2000, 1214, 1215. 4 Sehr streitig; vgl. Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 131 HGB Rz. 47. 5 BGH v. 24.9.1982 – V ZR 188/79, WM 1982, 1170; BayObLG v. 21.9.1994 – 3 Z BR 177/94, ZIP 1994, 1768; OLG Hamm v. 5.9.1996 – 15 W 125/96, NJW-RR 1997, 33; OLG Hamm v. 5.3.2003 – 8 U 130/02, NZG 2003, 627; Roth in Baumbach/Hopt, § 146 HGB Rz. 2; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 146 HGB Rz. 3.

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3.22

3. Teil: Liquidation

KG ausgeschieden ist. In anderen Fällen sollten im Zweifel die Liquidatoren der GmbH auch als Liquidatoren der Kommanditgesellschaft agieren1. Da eine solche Regel bisher von der herrschenden Auffassung nicht anerkannt wird, empfiehlt sich eine entsprechende Vertragsregelung im Gesellschaftsvertrag2. Wo es daran fehlt, sollten die Gesellschafter einen einstimmigen Beschluss dieses Inhalts fassen. Der Grundsatz der Selbstorganschaft steht, wie § 146 HGB zeigt, im Stadium der Auflösung nicht entgegen. 3.22 c) Bezüglich der Rechnungslegung (vgl. Rz. 3.12 ff.) ist auch hier zwischen der Jahresrechnungslegung der Gesellschaft (§§ 238 ff. HGB) und der Rechnungslegung der Liquidatoren gegenüber der Gesellschaft (§ 154 HGB) zu unterscheiden3. 3.23 d) Bei der Verwendung und Verteilung des Gesellschaftsvermögens der GmbH & Co. KG ist über die Vorschriften des § 155 HGB hinaus auf die Einhaltung des Sperrjahrs zu achten, denn – ähnlich wie der Kapitalschutz nach den §§ 30 f. GmbHG – ist auch § 73 GmbHG auf die Verteilung des KG-Vermögens analog anzuwenden4. Es gelten sinngemäß die bei Rz. 3.10 geschilderten Grundsätze. Ist die GmbH – wie in der Regel – am KG-Vermögen nicht beteiligt, so erhält sie aus dem Abwicklungsvermögen der Kommanditgesellschaft nur ein ihr etwa belassenes Darlehen zurück5, ist aber nicht an der Auszahlung von Liquidationsquoten beteiligt6. 3.24–3.40

vacat

1 Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 146 HGB Rz. 14; Karsten Schmidt in Scholz, § 66 GmbHG Rz. 59. 2 Vgl. Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 11. Aufl. 2010, § 7 Rz. 11. 3 Eingehend Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 154 HGB Rz. 15 ff., 24 ff. 4 Karsten Schmidt, GmbHR 1989, 141 ff.; jetzt h.M.; vgl. die Angaben bei Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 155 HGB Rz. 49. 5 Diese Darlehensgewährung ist gebräuchlich, wenn auch vom BGH missbilligt; vgl. dazu BGH v. 10.12.2007 – II ZR 180/06, BGHZ 174, 370 = ZIP 2008, 174 = GmbHR 2008, 203 m. Komm. Rohde; krit. Karsten Schmidt, ZIP 2008, 481 ff. 6 Karsten Schmidt in Scholz, § 72 GmbHG Rz. 24.

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Stilllegung oder Veräußerung

3.45

B. Arbeitsrecht der Liquidation I. Abgrenzung: Stilllegung oder Veräußerung Arbeitsrechtliche Folgen der Liquidation hängen davon ab, ob der Betrieb im Rah- 3.41 men der Liquidation stillgelegt oder veräußert wird. Im Stilllegungsfall werden die Arbeitsverhältnisse betriebsbedingt und daher so- 3.42 zial gerechtfertigt gekündigt. Die Stilllegung ist – arbeitsrechtlich – eine Entscheidung des für die Geschäftsführung zuständigen Gesellschaftsorgans1. Die Entscheidung der Geschäftsführung kann im Innenverhältnis einem Zustimmungsvorbehalt eines anderen Gesellschaftsorgans unterliegen. Dies berührt die Kündigungen wegen Betriebsstilllegung allerdings nicht2. Die Stilllegungsentscheidung ist von der Auflösung der Gesellschaft zu unterscheiden, für die in jedem Falle die Gesellschafter zuständig sind. Die Sozialauswahl entfällt bei einer Stilllegung zu einem einzigen Termin. Sie ist ansonsten, wenn der Betrieb stufenweise geschlossen wird, im Grundsatz einzuhalten3. Der Arbeitgeber kann die Sozialauswahl nicht mit der Begründung vermeiden, dass der Betrieb letztlich stillgelegt werde und es deshalb nicht darauf ankomme, wem früher und wem später gekündigt werde. Etwas anderes gilt allerdings, wenn der Stilllegungsbeschluss beinhaltet, dass allen Arbeitnehmern frühestmöglich gekündigt wird4, d.h., wenn der Betrieb schnellstmöglich stillzulegen ist und der Arbeitgeber die Entlassungen sukzessive entsprechend den in den einzelnen Arbeitsverhältnissen anwendbaren Kündigungsfristen vornimmt5. Bei der Stilllegung sind die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Betriebsänderungen (§§ 111 ff. BetrVG) sowie die Anzeige- und Konsultationspflichten nach §§ 17 ff. KSchG und die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen (§§ 99 ff. BetrVG) zu beachten. Im Veräußerungsfall scheiden Kündigungen wegen einer Beendigung der Betriebs- 3.43 tätigkeit dagegen aus. Die Arbeitsverhältnisse gehen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber über. Betriebsstilllegung und Betriebsübergang schließen sich gegenseitig aus.

3.44

1. Betriebsveräußerung Es kommt insbesondere darauf an, ob die für den Betrieb wesentlichen Betriebs- 3.45 mittel der Leitungs- und Organisationsmacht eines Nachfolgers überantwortet werden; dies ist betriebsspezifisch zu beurteilen unter Berücksichtigung der Eigenarten und Wertschöpfungsgrundlagen des jeweiligen Betriebs. Der Betriebsübergang setzt den Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit voraus im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit. Ob dies der 1 Vgl. BAG v. 11.3.1998 – 2 AZR 414/97, DB 1998, 1568. 2 Vgl. BAG v. 11.3.1998 – 2 AZR 414/97, DB 1998, 1568; BAG v. 7.12.2000 – 2 AZR 391/99, DB 2001, 1154; BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 696/99, DB 2001, 1782. S. aber demgegenüber Däubler, DB 2012, 2100, 2103. 3 Vgl. BAG v. 16.9.1982 – 2 AZR 271/80, DB 1983, 504. 4 Vgl. BAG v. 18.1.2001 – 2 AZR 514/99, DB 2001, 1370. 5 Vgl. BAG v. 18.1.2001 – 2 AZR 514/99, DB 2001, 1370.

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3.46

3. Teil: Liquidation

Fall ist, hängt von der Eigenart des Betriebs/Unternehmens ab und ist aufgrund der Einzelfallumstände im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu bestimmen. Die Gesamtbetrachtung hat im Wesentlichen die folgenden Kriterien zu berücksichtigen1: Art des betreffenden Betriebs/Unternehmens, Ähnlichkeit der Tätigkeit vor und nach dem Übergang, Arbeitsorganisation, Betriebs- bzw. Produktionsmethoden, Betriebsmittel (immaterielle/materielle), Führungskräfte und Personal (Hauptbelegschaft), Außenbeziehungen und Kundschaft, Unterbrechung der Betriebstätigkeit. 3.46 Ein Betriebsübergang i.S. des § 613a BGB erfordert den Übergang einer auf Dauer angelegten wirtschaftlichen Teileinheit (vgl. auch zur übertragenden Sanierung Rz. 2.232). 3.47 Ein Betriebsübergang setzt die im Wesentlichen unveränderte Fortführung einer wirtschaftlichen Einheit unter Wahrung ihrer Identität voraus2. Diesbezüglich ist im Ausgangspunkt erforderlich, dass Betriebsmittel betrieblich oder teilbetrieblich organisiert sind3. Ein Betriebsteil liegt nur dann vor, wenn es sich um eine Einheit handelt, die aus einer hinreichend strukturierten und selbständigen Gesamtheit von Personen oder Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck handelt4. Es genügt nicht, dass ein Erwerber mit einzelnen Betriebsmitteln ein Betrieb gründet, die bislang nicht betrieblich oder teilbetrieblich organisiert gewesen sind5. Ein Betrieb oder Betriebsteil geht nur dann über, wenn er beim Erwerber fortgeführt wird. Dies ist beispielsweise nicht der Fall, wenn ein Bewirtschaftungsbetrieb vollständig in die eigene Organisationsstruktur eines anderen Unternehmens eingegliedert wird (Bistros von Interregio-Zügen)6. Ein Betriebsübergang ist nicht bejaht worden, wenn die Aufgaben künftig im Rahmen einer wesentlich anderen Organisationsstruktur durchgeführt werden und die wesentlichen betrieblichen Strukturen nicht beibehalten werden7. Die Identität kann allerdings auch dann gewahrt werden, wenn nicht die konkrete Organisation der verschiedenen übertragenen Produktionsfaktoren fortgeführt wird, sondern nur die funktionelle Verknüpfung der Wechselbeziehung und gegenseitigen Ergänzung zwischen diesen Faktoren beibehalten wird, da ein solcher Funktionszusammenhang es dem Erwerber erlaubt, diese Faktoren auch in der/einer anderen Organisationsstruktur zu nutzen, um derselben oder einer gleichwertigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen8. Es bleibt aber in allen Fällen dabei, dass beim Veräußerer eine organisatorische (Teil-)Einheit bestanden 1 Vgl. EuGH v. 11.3.1997 – C-13/93, Slg. I 1997, 1259; EuGH v. 14.4.1994 – C-392/92 – Christel Schmidt, Slg. 1994, 1311; EuGH v. 11.3.1997 – Rs. C-13/95 – Ayse Süzen, Slg. 1997, 1259; BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, AP Nr. 154 zu § 613a BGB; BAG v. 11.9. 1997 – 8 AZR 555/95, AP Nr. 16 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187; BAG v. 19.3.1998 – 8 AZR 737/96. 2 Vgl. BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 150/14, DB 2015, 2030. 3 Vgl. BVerfG v. 15.1.2015 – 1 BvR 499/12; BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/14. 4 Vgl. BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, NZA 2015, 167. 5 Vgl. BAG v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/06, NZA 2008, 112 (Dachdeckerbetrieb); BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10, DB 2012, 1690. 6 Vgl. BAG v. 6.4.2006 – 8 AZR 249/04, DB 2006, 2127. 7 Vgl. BAG v. 13.5.2004 – 8 AZR 331/03, AP Nr. 273 zu § 613a BGB; BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 1043/06, AP Nr. 325 zu § 613a BGB. 8 Vgl. EuGH v. 12.2.2009 – C-466/07, NZA 2009, 251; BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07, NZA 2009, 905; BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10, DB 2012, 1690.

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Stilllegung oder Veräußerung

3.50

haben muss und eine bloße Auftrags- bzw. Funktionsnachfolge allein keinen Betriebsübergang begründet1. Ausgangspunkt sind die betriebsspezifischen Umstände des Einzelfalles. Die 3.48 Rechtsprechung hat drei Fallgruppen entwickelt, die eine erste Orientierung darüber ermöglichen, worauf abzustellen ist, wenn es um die Beurteilung der Frage geht, ob in der erforderlichen Weise die spezifischen Betriebsmittel übertragen worden sind: Produktionsbetriebe, Dienstleistungs- und Handelsbetriebe, Mischbetriebe2. Entscheidend ist der Übergang der für die Erfüllung der arbeitstechnischen Zwecke wesentlichen Produktionsmittel3. Was wesentlich ist, beurteilt sich nach der Eigenart des jeweiligen Betriebs und damit danach, woran die Arbeitsplätze konkret gebunden sind, d.h. worauf die Betriebstätigkeit beruht. Von der Betriebsveräußerung ist die Funktionsverlagerung einerseits und die Veräußerung von Wirtschaftsgütern andererseits abzugrenzen. Die zum Betriebsbegriff entwickelte Differenzierung zwischen Produktionsbetrieben und Dienstleistungs- bzw. Handelsbetrieben ist auch nach dem Konzeptionswechsel bedeutsam, da die für die Identitätswahrung relevanten Aspekte je nach Betriebs- oder Unternehmensart unterschiedliches Gewicht und unterschiedliche Prägung haben. Entscheidend für Produktionsbetriebe bleibt die Übernahme der materiellen Be- 3.49 triebsmittel (Einrichtungsgegenstände und Maschinen)4. Deren Übertragung lässt regelmäßig die Herstellung derselben Produkte durch den neuen Inhaber zu5. Know-how und Schutzrechte können im Einzelfall ebenfalls berücksichtigungsfähig sein. Hilfs- und Rohstoffe sind demgegenüber unerheblich. Bei betriebsmittelarmen Einheiten sind andere Erwägungen wie „Ähnlichkeit der Tätigkeit nach und vor dem Übergang“, „Führungskräfte und Personal“, „Außenbeziehungen und Kundenbindungen“ zu berücksichtigen. Die Beurteilung bei Dienstleistungs- und Handelsbetrieben hat neben den imma- 3.50 teriellen Betriebsmitteln (Übertragung von Kundenlisten, Konzessionen, Firmennamen, Geschäftspapieren) vor allem die menschliche Arbeitskraft zu berücksichtigen6. Die übernommenen Betriebsmittel müssen den Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs betreffen, was nicht schon allein deshalb der Fall ist, wenn sie zur Erbringung der Dienstleistung erforderlich sind7. Ein klassisches Dienstleistungsunternehmen, bei dem die menschliche Ar1 Vgl. EuGH v. 20.1.2011 – C-463/09, ZIP 2011, 488 = NZA 2011, 148; EuGH v. 6.3.2014 – C-458/12, ZIP 2014, 791; BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 455/10, ZIP 2012, 488; Moll in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2014, § 324 UmwG Rz. 4; Willemsen, NZA 2014, 1010 ff. 2 Vgl. BAG v. 27.7.1994 – 7 ABR 37/93, DB 1995, 431; Moll/Reufels in GmbH-Handbuch, Rz. IV 325 ff. 3 Vgl. BAG v. 26.2.1987 – 2 AZR 321/86, DB 1987, 1997. 4 Vgl. BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, DB 2002, 2552. S. zur Übernahme eines Kinos LAG Köln v. 8.3.2004 – 4 Sa 1115/03, NZA-RR 2004, 464 ff. 5 Vgl. BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, AP Nr. 39 zu § 613a BGB; BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 54/94, AP Nr. 117 zu § 613a BGB. 6 S. dazu etwa Schipp, NZA 2013, 238 ff. 7 Vgl. BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10, DB 2012, 1690 (für ein Reisebüro, das allgemeine, auch durch das Internet ohne Weiteres beziehbare Reiseleistungen vertreibt und keine spezialisierte Marktausrichtung hat, kann seine räumliche Lage ein wichtiger identitätsprägender Faktor sein).

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3. Teil: Liquidation

beitskraft im Vordergrund steht, verliert diese Eigenschaft nicht dadurch, dass Hilfsmittel unverzichtbar sind1. Solche Hilfsmittel sind für den Betrieb nicht prägend. Das Bundesarbeitsgericht hat bereits früh die Bedeutung der Arbeitnehmer und der Belegschaft für die Annahme eines Betriebsübergangs betont. Erstens ist das Bundesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass eine Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern oder eine Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern als Indizien für einen Betriebsübergang herangezogen werden können2. Zweitens hat das Bundesarbeitsgericht hervorgehoben, dass mit dem Arbeitnehmerwechsel die Übertragung von Betriebsmitteln verbunden sein könne, die etwa in Fachkenntnissen, Goodwill, Know-how und Kundenbeziehungen liegen3. Dies ist durch die vom EuGH entwickelte Erkenntnis zu ergänzen, dass der Hauptbelegschaft als identitätswahrendes Merkmal erhebliche Bedeutung zukommt. Die für den Betriebsübergang maßgebende wirtschaftliche Einheit kann dann, wenn nur minimale Betriebsmittel eine Rolle spielen, in der organisierten Gesamtheit von Arbeitnehmern liegen, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind. Der Betriebsübergang knüpft in diesen Fällen daran an, dass der Auftragnehmer sowohl die frühere Tätigkeit weiterführt, als auch darüber hinaus einen nach Anzahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt4. Dementsprechend kann in Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine wirtschaftliche Einheit darstellen (Reinigungspersonal). Die Wahrung ihrer Identität ist anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals (Hauptbelegschaft) übernimmt. Die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen Auftragnehmer (Funktionsnachfolger) stellt keinen Betriebsübergang dar5. Es hängt von der Struktur des Betriebs oder Betriebsteils ab, welcher nach Zahl und Sachkunde zu bestimmende Teil der Belegschaft übernommen werden muss, um einen Betriebsübergang nach § 613a BGB anzunehmen. Entscheidend ist, ob der weiterbeschäftigte Belegschaftsteil, insbesondere aufgrund seiner Sachkunde, seiner Organisationsstruktur und nicht zuletzt auch seiner relativen Größe, im Grundsatz funktionsfähig bleibt6. Die Fremdvergabe eines Reinigungsauftrags mit Übernahme von 60 % der Reinigungskräfte ist noch keine Übernahme der Hauptbelegschaft7. Eine Übernahme der Hauptbelegschaft liegt auch nicht vor, wenn bei der Auftragsnachfolge eines Bewachungsauftrags 14 von 36 Vollzeitbeschäftigten und 5 von 12 Aushilfskräften im Wachdienst weiterbeschäftigt werden8. Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn eine Service GmbH alle Reinigungskräfte übernimmt 1 Vgl. BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 150/14, DB 2015, 2030. 2 Vgl. BAG v. 19.11.1996 – 3 AZR 394/95, AP Nr. 152 zu § 613a BGB. 3 Vgl. BAG v. 10.6.1988 – 2 AZR 801/87, AP Nr. 82 zu § 613a BGB; BAG v. 29.9.1988 – 2 AZR 107/88, AP Nr. 76 zu § 613a BGB; BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 781/93, AP Nr. 104 zu § 613a BGB. S. zum Know-how-Aspekt kritisch Waas, ZfA 2001, 377, 388 ff. 4 Vgl. EuGH v. 11.3.1997 – Rs. C-13/95, Slg. 1997, 1268; BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, AP Nr. 172 zu § 613a BGB; BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6. 5 Vgl. BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 150/14, DB 2015, 2030. 6 Vgl. BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6; BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/14 (Bewachungsgewerbe). 7 Vgl. BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 333/04, NZA 2006, 31. 8 Vgl. BAG v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07.

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Stilllegung oder Veräußerung

3.51

und dann in gleicher Weise wie bisher einsetzt1. Werden mehr als die Hälfte der in einem IT-Service-Betrieb beschäftigten IT-Servicetechniker, EDV-Servicemitarbeiter und Führungskräfte übernommen, so kann dies aufgrund des hohen Qualifikationsgrades die Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals darstellen2. Bedeutung neben der nach Anzahl und Sachkunde wesentlichen Belegschaft hat – auch hier – die Frage nach den betrieblichen Abläufen und der organisatorischen Zusammenfassung3. Ein Einsatz von (früheren) Belegschaftsangehörigen in einer geänderten, neuen Ablauf- und Arbeitsorganisation spricht gegen einen Betriebsübergang. Wann der nach Anzahl und Sachkunde zu bestimmende Belegschaftsanteil so wesentlich wird, dass ein Betriebsübergang an ihn angeknüpft wird, kann nur im Einzelfall aufgrund einer Gesamtbewertung aller Umstände beurteilt werden und hängt maßgeblich von den Strukturen und Tätigkeiten ab4. Je ähnlicher die Abläufe und Strukturen bleiben, desto eher ist in Verbindung mit einem Belegschaftsteil ein Betriebsübergang anzunehmen. Je geringer die Qualifikation von Arbeitnehmern ist, desto höher muss der Prozentsatz des übernommenen Personals sein. Je höher die Qualifikation von Arbeitnehmern ist, desto eher ist auf möglicherweise zahlenmäßig nicht so sehr ins Gewicht fallende qualifizierte Personen abzustellen5. So kann bei einfachen Hol- und Bringtätigkeiten in einem Krankenhaus (Abholen von Müll, Wechseln der Betten, Transport von Essen, Getränken und Medikamenten) ein Anteil von 75 % der früheren Belegschaft nicht ausreichen, um die Übernahme der Hauptbelegschaft feststellen zu können6. Übernimmt ein Leiharbeitnehmer von einem anderen Leiharbeitsunternehmen lediglich die bei einem bestimmten Entleiher eingesetzten Leiharbeitnehmer und setzt diese nunmehr aufgrund des ebenfalls übernommenen Arbeitnehmerüberlassungsvertrags weiterhin bei diesem Entleiher ein, so stellt dies keinen Betriebsteilübergang dar7. Ob mit der Zurverfügungstellung von Betriebsmitteln an einen Dienstleister ein 3.51 Betriebsübergang verbunden ist, hängt nicht davon ab, ob diese dem Dienstleister zur eigenwirtschaftlichen Nutzung überlassen werden, sondern ist auf der Grundlage anderer Faktoren als des Kriteriums der Eigenwirtschaftlichkeit zu beurteilen, und zwar solcher, die direkt dem Dienstleister zuzurechnen sind, wie etwa die Prägungskraft der Betriebsmittel und der Übergang eines wesentlichen Teils des Personals8. Ein Betriebsübergang kann vorliegen, wenn nach öffentlicher Ausschreibung der neue Auftragnehmer der Personen- und Gepäckkontrolle an einem Flughafen unter Nutzung der bisherigen Kontrollgeräte mit fast 50 % der besonders ausgebildeten und bewährten Mitarbeiter des früheren Auftragnehmers alle Tätig1 Vgl. BAG v. 21.5.2008 – 8 AZR 481/07. 2 Vgl. BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6. 3 Vgl. Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 451; Wank in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2009, § 102 Rz. 54. 4 Vgl. BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/14 (Bewachungsgewerbe). 5 Vgl. BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, AP Nr. 172 zu § 613a BGB; Baeck/Lingemann, NJW 1997, 2492, 2494; Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 451; Moll, RdA 1999, 233, 236; Wank in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2009, § 102 Rz. 54. 6 Vgl. BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 676/97, AP Nr. 187 zu § 613a BGB. 7 Vgl. BAG v. 12.12.2013 – 8 AZR 1023/12, EzA § 613a BGB 2002 Nr. 148. 8 Vgl. EuGH v. 15.12.2005 – C-232/04 – Güney-Görres/Securicor Aviation, DB 2006, 395; BAG v. 27.10.2005 – 8 AZR 568/04, AP Nr. 292 zu § 613a BGB. S. dazu Schlachter, NZA 2006, 80, 82 ff.

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3. Teil: Liquidation

keiten ausgeführt und er mit der Übernahme dieser Mitarbeiter die Grundlage der Fortsetzung für die unverändert gebliebene Sicherungstätigkeit geschaffen hat1. Die Übernahme eines Objektschutzauftrags kann dann einen Betriebsübergang i.S. des § 613a BGB darstellen, wenn der Auftraggeber verlangt, dass der neue Auftragnehmer ein auf das zu bewachende Unternehmen zugeschnittenes zentrales Alarmmanagementsystem benutzt, welches bereits das bisherige Objektschutzunternehmen eingesetzt hat und das im Eigentum des Auftraggebers steht2. 3.52 Eine wesentliche Änderung der prägenden Faktoren der Einheit lässt die Identität verloren gehen3, z.B., wenn die Art der Dienstleistung, ein Produktinhalt oder ein Verkaufskonzept geändert wird4. Es kann einen Unterschied machen, ob bei einem Tankstellenbetrieb der Pächter unter Beibehaltung des Betriebszwecks am selben Standort wechselt und Betriebsmittel ersetzt werden, die in die Jahre gekommen sind, oder ob die Mineralölgesellschaft den Standort schließt, in der Nähe einen neuen Tankstellenbetrieb errichtet und diesen an einen anderen Pächter vergibt5. Der bloße Umstand, dass die nacheinander von dem alten und dem neuen Auftragnehmer erbrachten Leistungen einander ähnlich sind, lässt nicht auf den Übergang einer solchen Teileinheit schließen. Ob ein Betriebsübergang oder eine bloße Funktionsnachfolge vorliegt, hängt davon ab, ob der neue Inhaber einen bereits vom bisherigen Inhaber rationalisierten Betrieb übernommen hat oder ob die bisherigen Geschäfte i.S. einer bloßen Funktionsnachfolge mit einem kleineren, mit weniger Personal neu organisierten Betrieb fortgeführt werden6. 3.53 Eine Betriebsfortführung mit Arbeitnehmern, die das Arbeitsverhältnis beendet haben, in eine Transfergesellschaft gewechselt sind und von dort zur Tätigkeit in den Betrieb ausgeliehen werden, stellt keinen Betriebsübergang dar, da kein Inhaberwechsel stattfindet7. 2. Betriebsstilllegung 3.54 Eine Betriebsstilllegung und keine Betriebsveräußerung liegt vor, wenn die zwischen Arbeitgeber und Belegschaft bestehende Betriebs- und Produktionsgemeinschaft aufgelöst wird. Dies findet sichtbaren Ausdruck und tatsächliche Veranlassung darin, dass der Arbeitgeber die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Weiterverfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne aufzugeben8. 3.55 Die Feststellung einer Betriebsstilllegung im Gegensatz zu einer Betriebsveräußerung erfolgt nach den konkreten Sachverhaltsumständen im Einzelfall9. Die Ab1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. BAG v. 13.6.2006 – 8 AZR 271/05, NZA 2006, 1101. Vgl. BAG v. 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, DB 2013, 2336. Vgl. BAG v. 13.5.2004 – 8 AZR 331/03, AP Nr. 273 zu § 613a BGB. Vgl. BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 331/05, AP Nr. 313 zu § 613a BGB (Möbeleinzelhandel). Vgl. BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 733/13, NZA 2015, 97. Moll/Reufels in GmbH-Handbuch, Rz. IV 325.3. Vgl. LAG Köln v. 27.6.2011 – 2 Sa 1369/10, ZInsO 2012, 2348. Vgl. BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, DB 1985, 1399; BAG v. 3.7.1986 – 2 AZR 68/85, DB 1987, 99; BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, DB 1988, 126. 9 S. dazu näher Hillebrecht, NZA 1989, Beilage 4, S. 10, 17; Loritz, RdA 1987, 65, 71; Moll, Anwaltsblatt 1991, 282, 291 ff.; Pietzko, Der Tatbestand des § 613a BGB, 1988, S. 78 ff.; Annuß in Staudinger, Neubearbeitung 2011, § 613a BGB Rz. 91 ff.

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Stilllegung oder Veräußerung

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grenzung zwischen Betriebsstilllegung und Betriebsübergang hat zwischen der Entscheidung, die eigene unternehmerische Tätigkeit aufzugeben, und der Entscheidung, den Betrieb einzustellen, zu unterscheiden1. Die Betriebsstilllegung in Abgrenzung zum Betriebsübergang setzt voraus, dass der Arbeitgeber den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst hat, den Betrieb endgültig und nicht nur vorübergehend stillzulegen. Der Beginn einer Betriebsänderung liegt nicht bereits in der Einstellung der Produktion oder der Freistellung von Arbeitnehmern. Es kommt darauf an, ob unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der Betriebsorganisation getroffen werden2. Die Fortführung des Betriebs durch einen Betriebserwerber begründet eine gegen die Stilllegungsabsicht sprechende Vermutung, die der Arbeitgeber dadurch widerlegen kann, dass er substantiiert darlegt, die Veräußerung sei zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung weder voraussehbar noch geplant gewesen3. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Veräußerung vor oder nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt. Die Gesamtwürdigung der Einzelfallumstände hat auch in diesem Zusammenhang betriebsspezifisch zu erfolgen. Je mehr Einzelteile gesondert veräußert werden, desto eher liegt eine Betriebsstilllegung vor. Je kürzer die Zeitspanne zwischen der Einstellung und der Fortsetzung der Betriebstätigkeit ist, desto mehr kann die Annahme nahe liegen, dass eine endgültige, ernsthafte Stilllegung nicht stattgefunden hat4. Die folgenden Unterbrechungszeiträume sind in den jeweiligen Einzelfällen als erheblich angesehen worden: 5/ 9 Monate (Gaststättenbetrieb)5, 3 Monate (Kindertagesstätte)6. Zwar sind Interessenausgleich und Sozialplan allein kein ausreichendes Indiz für eine Betriebsstilllegung bzw. eine Stilllegungsabsicht, doch wird man im Gesamtzusammenhang diese Maßnahmen zu berücksichtigen haben. 3. Verlegungsfälle Abgrenzungsprobleme treten insbesondere beim Abtransport von Wirtschafts- 3.56 gütern bzw. Betriebsverlegungen7 auf. Zwei Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts lassen dies anschaulich erkennen. In einer ersten Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht eine Betriebsstilllegung abgelehnt und den Betriebsübergang bejaht8. Der Betriebsübergang hänge nicht davon ab, ob der Betriebserwerber die Betriebsorganisation weiterführe. Ein Betriebsübergang könne auch stattfinden, wenn und wo Wirtschaftsgüter zum Abtransport erworben würden. In einer 1 Vgl. LAG Köln v. 2.7.2012 – 2 Sa 102/12, ZInsO 2013, 744 (Handelt es sich um die OGSBetreuung von Grundschulkindern in einer kommunalen Schule, liegt die Entscheidung, die Betreuung der Kinder einzustellen, bei der Kommune. Solange diese einen neuen Träger zur Übernahme der Aufgabe sucht, kann der bisherige Träger nicht von einer Betriebsstilllegung ausgehen. Ihm steht nicht die Entscheidung zu, am vorgegebenen Standort Kinderbetreuung nicht mehr durchzuführen.). 2 Vgl. BAG v. 14.4.2015 – 1 AZR 794/13, ZInsO 2015, 1695. 3 Vgl. BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 692/10, NZA 2012, 466. 4 S. dazu auch Moll/Reufels in GmbH-Handbuch, Rz. IV 330. 5 Vgl. BAG v. 27.4.1995 – 8 AZR 197/94, AP Nr. 128 zu § 613a BGB; BAG v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95, AP Nr. 16 zu EWG-Richtlinie 77/187. 6 Vgl. LAG Köln v. 2.10.1997 – 10 Sa 643/97, LAGE § 613a BGB Nr. 67. 7 S. zu Verlegungsfällen Moll/Cohnen in Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2012, § 53 Rz. 66 ff. 8 Vgl. BAG v. 29.10.1975 – 5 AZR 444/74, DB 1976, 391.

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3.57

3. Teil: Liquidation

zweiten Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht diese Sichtweise relativiert1. Ein Betriebsübergang liege dann nicht vor, wenn eine erhebliche räumliche Verlegung eines Betriebs vorgenommen und die alte Betriebsgemeinschaft aufgelöst werde. Die Differenzierung zwischen beiden Fällen ist unklar. Die Fragwürdigkeit dieser Rechtsprechung ist evident: Wer Wirtschaftsgüter erwirbt, um sie an einen anderen Ort zu verbringen, der erwirbt keinen Betrieb. Eine solche Maßnahme stellt eine Betriebsschließung des Betriebsveräußerers dar. Dies liegt insbesondere dann nahe, wenn der Betriebsveräußerer zuvor die nach den §§ 111 ff. BetrVG gebotenen Maßnahmen durchgeführt hat. Es verwundert angesichts der Abgrenzungsproblematik nicht, dass das Bundesarbeitsgericht in einem dritten Fall betont hat, dass die Frage danach, ob eine Betriebsstilllegung oder ein Betriebsübergang vorliege, dahinstehen könne, wenn der jeweilige Arbeitnehmer ohnehin nicht bereit sei, die Arbeit an dem neuen Betriebsort zu erbringen. Das Arbeitsverhältnis bleibe dann mit dem Arbeitgeber am alten Ort erhalten, weil § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB jedenfalls nicht bewirke, dass der Arbeitsvertragsinhalt (Leistungsort) geändert wird2. Ob der Definitionswechsel des Bundesarbeitsgerichts im Jahre 1997 für die Verlegungsfälle zu einer besseren Handhabbarkeit geführt hat, erscheint fraglich. Einerseits lässt sich argumentieren, dass eine wirtschaftliche Einheit ihre Identität im Regelfall nicht bewahrt, wenn sich ihre räumlichen Beziehungen und Einbindungen ändern3, so dass sich die Betriebsverlegung durch einen Erwerber als Stilllegung am bisherigen Standort des Betriebs darstellen würde. Andererseits ist nicht auszuschließen, dass trotz räumlicher Veränderung die Betriebsidentität im Hinblick auf Betriebsmittel, Organisation und Strukturen gewahrt wird4. Entscheidend ist, ob der Wertschöpfungszusammenhang auch am neuen Betriebsort aufrechterhalten bleibt. Das Bundesarbeitsgericht hat dies im Falle einer Verlagerung um nur 50 km bei Beibehaltung des funktionellen Wertschöpfungszusammenhangs bejaht5.

II. Betriebsstilllegung: Betriebsverfassungsrecht 3.57 Die Betriebsstilllegung stellt eine Betriebsänderung i.S. der §§ 111 ff. BetrVG dar. 1. Unterrichtung des Betriebsrats 3.58 Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über die geplante Betriebsänderung (Stilllegung: § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG) nach § 111 Satz 1 BetrVG rechtzeitig und umfassend zu unterrichten. Die geplante Betriebsänderung ist nach § 111 Satz 1 BetrVG mit dem Betriebsrat zu beraten. 2. Interessenausgleich 3.59 Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Versuch zu unternehmen, einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat herbeizuführen (§ 112 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3 1 2 3 4

Vgl. BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, DB 1988, 126. Vgl. BAG v. 20.4.1989 – 2 AZR 431/88, DB 1989, 2334. Vgl. LAG Nürnberg v. 26.8.1996 – 7 Sa 981/95, LAGE § 613a BGB Nr. 51. Vgl. BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, DB 2002, 2552 (im konkreten Fall wurde der Betriebsübergang allein schon wegen der großen räumlichen Entfernung abgelehnt). 5 Vgl. BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 (Betriebsverlagerung in die Schweiz).

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Betriebsstilllegung: Betriebsverfassungsrecht

3.63

BetrVG). Der Interessenausgleich regelt, ob, wann und wie die vorgesehene Betriebsänderung durchgeführt wird1. Der Interessenausgleich betrifft den Inhalt und die Umstände der unternehmerischen Maßnahme. Der Interessenausgleich kann, so ein solcher zu Stande kommt, auch Regelungen über Auswahlrichtlinien, Fortbildungsmaßnahmen, Umschulungen und Versetzungen von Arbeitnehmern enthalten. Der Gegenstand des Interessenausgleichs besteht darin, dass Nachteile für die Arbeitnehmer möglichst vermieden werden, während der Sozialplan regelt, wie eingetretene, nicht vermiedene Nachteile auszugleichen oder zu mildern sind (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Kommt ein Interessenausgleich zustande, so ist er schriftlich niederzulegen. Die Einhaltung der Schriftform ist Wirksamkeitsvoraussetzung. Arbeitgeber und Betriebsrat können jeder den Vorstand der Bundesagentur für Ar- 3.60 beit gemäß § 112 Abs. 2 Satz 1 BetrVG um Vermittlung ersuchen. Die Praxis macht hiervon nur selten Gebrauch. Der Arbeitgeber hat regelmäßig kein Interesse daran, den mit der Vermittlung des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit verbundenen Zeitverlust in Kauf zu nehmen. Arbeitgeber oder Betriebsrat können zwecks Herbeiführung eines Interessenaus- 3.61 gleichs die Einigungsstelle anrufen (§ 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Die Rechtsprechung verlangt, dass der Arbeitgeber der Pflicht, einen Versuch zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs zu unternehmen, nur gerecht wird, wenn er die Einigungsstelle anruft und im Einigungsstellenverfahren, falls nicht ein Interessenausgleich zu Stande kommt, das Scheitern des Interessenausgleichs festgestellt wird2. Unterlässt der Arbeitgeber es, in der erforderlichen Weise den Versuch zu unter- 3.62 nehmen, einen Interessenausgleich herbeizuführen, so sind zwei Rechtsfolgen in Betracht zu ziehen. (1) Zum einen ordnet § 113 Abs. 1 und 3 BetrVG einen Nachteilsausgleich zu 3.63 Gunsten derjenigen Arbeitnehmer an, die entlassen worden sind, ohne dass der Arbeitgeber einen Interessenausgleich versucht hat. Ob bereits mit der Betriebsänderung vor Abschluss des Interessenausgleichs mit der Folge des Nachteilsausgleichs begonnen worden ist, ist eine Frage der Umstände des Einzelfalles. Die Rechtsprechung hat einen Nachteilsausgleichsanspruch bei unwiderruflicher Freistellung sämtlicher Arbeitnehmer vor Abschluss eines Interessenausgleichs gewährt3. Die Nachteilsausgleichszahlungen haben Sanktionscharakter. Die Höhe orientiert sich an § 10 KSchG (§ 113 Abs. 1 Halbsatz 2 BetrVG). Der Arbeitgeber muss damit rechnen, jedenfalls einen Monatsbezug pro Jahr der Betriebszugehörigkeit als Abfindung im Wege des Nachteilsausgleichs zu zahlen. Der Höchstbetrag liegt bei 12 Monatsverdiensten und steigt bei Vollendung des 50. Lebensjahres und 15-jähriger Betriebszugehörigkeit auf 15 Monatsverdienste sowie bei Vollendung des 55. Lebensjahres und 20-jähriger Betriebszugehörigkeit auf 18 Monatsverdienste. Entsprechend der übereinstimmenden Zwecksetzung sind Sozialplanleistungen auf Nachteilsausgleichsansprüche anrechenbar4. 1 Vgl. BAG v. 27.10.1987 – 1 ABR 9/87, AP Nr. 41 zu § 112 BetrVG 1972 = DB 1980, 558; BAG v. 17.9.1991 – 1 ABR 23/91, AP Nr. 59 zu § 112 BetrVG 1972 = DB 1992, 229. 2 Vgl. BAG v. 18.12.1984 – 1 AZR 176/82, AP Nr. 11 zu § 113 BetrVG 1972 = DB 1985, 1293; BAG v. 20.4.1994 – 10 AZR 186/93, AP Nr. 27 zu § 113 BetrVG 1972. 3 Vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 2.3.2012 – 13 Sa 2187/11, ZIP 2012, 1429. 4 Vgl. BAG v. 13.6.1989 – 1 AZR 819/87, DB 1989, 2026.

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3.64

3. Teil: Liquidation

3.64 (2) Zum anderen hat man angenommen, dass dem Arbeitgeber untersagt werden kann, die Betriebsänderung und damit die Entlassungen durchzuführen, solange der Interessenausgleich nicht ausreichend versucht worden sei1. Die Rechtsprechung der Instanzgerichte ist uneinheitlich2. Der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat man früher Anhaltspunkte dafür entnehmen können, dass dem Arbeitgeber nicht untersagt werden könne, die Entlassungen durchzuführen, ohne den Versuch eines Interessenausgleichs unternommen zu haben3. Die Sanktionen für ein etwaiges gesetzwidriges Verhalten des Arbeitgebers seien in dem Nachteilsausgleich zu sehen. Das Bundesarbeitsgericht hat später in zwei Entscheidungen die Ausgangssituation verändert4. Dem Arbeitgeber kann danach auch unabhängig von § 23 Abs. 3 BetrVG untersagt werden, solche Maßnahmen zu unterlassen, die Beteiligungsrechte des Betriebsrats verletzen. Dies wird auf die Situation des Ausspruchs von Kündigungen ohne Versuch der Herbeiführung eines Interessenausgleichs übertragen5. 3.65 Die Zubilligung eines Unterlassungsanspruchs des Betriebsrats gegen den Ausspruch von Kündigungen beim unterbliebenen Versuch der Herbeiführung eines Interessenausgleichs ist richtigerweise abzulehnen: 3.66 Das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs hängt von der Rechtsposition ab, die dem Betriebsrat durch ein Beteiligungsrecht eingeräumt wird6. Das Bundesarbeitsgericht hat den Unterlassungsanspruch im Hinblick auf den Mitbestimmungskatalog des § 87 Abs. 1 BetrVG bejaht, weil es sich insoweit um echte Mitbestimmungsbefugnisse handelt, deren Übergehen (als Kehrseite sozusagen) unmittelbar zu einem mitbestimmungswidrigen Zustand führt und die Beteiligungsrechte des Betriebsrats in einer von diesem nicht hinzunehmenden Weise verletzt. Das Bundesarbeitsgericht hat dementsprechend ausdrücklich da1 S. zur Diskussion etwa Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, 27. Aufl. 2014, § 111 BetrVG Rz. 130 ff.; Derleder, AuR 1995, 17; Fauser/Nacken, NZA 2006, 1136 ff.; Fischer, AuR 1997, 177; Lipinski/Melms, BB 2002, 2226 ff.; Pflüger, DB 1998, 2062 ff.; Zwanziger, BB 1998, 480; jew. m.w.N. 2 S. etwa ablehnend LAG Baden-Württemberg v. 28.8.1985 – 2 TaBV 8/85, DB 1986, 805; LAG Berlin v. 7.4.1983 – 7 TaBV 3/83; LAG Düsseldorf v. 14.11.1983 – 12 TaBV 88/83, DB 1984, 511; LAG Düsseldorf v. 19.11.1996 – 8 TaBV 80/96, DB 1997, 1286; LAG Düsseldorf v. 14.12.2005 – 12 TaBV 60/05; LAG München v. 3.4.2003 – 2 TaBV 19/03; LAG München v. 24.9.2003 – 5 TaBV 48/03, NZA-RR 2004, 536; LAG Nürnberg v. 6.6.2000 – 6 TaBV 8/00; LAG Köln v. 30.4.2004 – 5 TaBV 166/04, NZA-RR 2004, 536; LAG Niedersachsen v. 5.6.1997 – 12 TaBV 17/87; LAG Rheinland-Pfalz v. 28.3.1989 – 3 TaBV 6/89; LAG Schleswig-Holstein v. 13.1.1992 – 4 TaBV 54/91, DB 1992, 1788; ArbG Marburg v. 29.12.2003 – 2 BVGa 5/03, NZR-RR 2004, 199; ArbG Nürnberg v. 17.1.2000 – 14 BVGa 1/00, BB 2000, 2100; ArbG Passau v. 22.10.2002 – 3 BVGa 3/02, BB 2003, 744; ArbG Schwerin v. 13.2.1998 – 1 BVGa 2/98, NZA-RR 1998, 448. S. z.B. bejahend LAG BerlinBrandenburg v. 12.12.2013 – 17 TaBV Ga 2058/13; LAG Berlin-Brandenburg v. 19.6. 2014 – 7 TaBVGa 1219/14; LAG Hamm v. 24.2.2012 – 10 TaBV Ga 3/12. Offengelassen bei LAG Berlin-Brandenburg v. 19.6.2014 – 7 TaBV Ga 1219/14. 3 Vgl. BAG v. 22.2.1983 – 1 ABR 27/81, DB 1983, 1926. 4 Vgl. BAG v. 3.5.1994 – 1 ABR 24/93, DB 1994, 2450; BAG v. 6.12.1994 – 1 ABR 30/94, NZA 1995, 488. 5 Vgl. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, 27. Aufl. 2014, § 111 BetrVG Rz. 130 ff. m.w.N. 6 Vgl. Prütting, RdA 1995, 257, 261; Richardi, NZA 1995, 8, 9.

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Betriebsstilllegung: Betriebsverfassungsrecht

3.69

rauf hingewiesen, dass die Frage nach einem Unterlassungsanspruch etwa bei personellen Einzelmaßnahmen offen bleibe1. Die Einhaltung des Interessenausgleichsverfahrens ist keine Wirksamkeits- 3.67 voraussetzung für Kündigungen. Der Betriebsrat kann mit Hilfe oder im Rahmen von Interessenausgleichsverhandlungen im Ergebnis weder die Betriebsänderung noch die Kündigungen verhindern. Der Arbeitgeber ist in seinen Entscheidungen frei. Es besteht kein echtes Mitbestimmungsrecht. Der Betriebsrat befindet sich in einer bloßen Beratungs- und Verhandlungsposition. Ein Unterbinden von Kündigungen würde dem Betriebsrat daher eine stärkere Rechtsstellung mit einschneidenderen Rechtswirkungen geben, als das Gesetz dies für die Einhaltung des Beteiligungsrechts des Betriebsrats vorsieht. Eine Untersagung von Kündigungen ist daher folgerichtig aus dem Inhalt des Beteiligungsrechts des Betriebsrats nicht ableitbar. Es ist im Verhältnis zum Inhalt des Beteiligungsrechts des Betriebsrats „überschießend“, dem Betriebsrat auch nur vorübergehend die Rechtsmacht einzuräumen, etwas unterbinden zu lassen, was er endgültig nicht verhindern kann2. Mit anderen Worten: Die im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gebotene Analyse der jeweiligen, konkreten Beteiligungsrechte des Betriebsrats führt angesichts der Unvollkommenheit des Beteiligungsrechts des Betriebsrats im Hinblick auf einen Interessenausgleich – dies stellt einen deutlichen Unterschied zum echten Mitbestimmungsrecht im Rahmen des § 87 Abs. 1 BetrVG dar – dazu, dass ein Untersagungsanspruch des Betriebsrats im Hinblick auf Kündigungen zu verneinen ist. Es kommt hinzu, dass die besonderen und konkreten Regelungen bei personellen 3.68 Einzelmaßnahmen eine Heranziehung von diese gegenstandslos machenden Unterlassungsgrundsätzen ausschließen. Das BAG hat offen gelassen, ob angesichts der Spezialregelungen der §§ 100, 101 BetrVG ein davon unabhängiger Unterlassungsanspruch bei personellen Einzelmaßnahmen i.S. von § 99 Abs. 1 BetrVG möglich sei3. Diese Frage ist zu verneinen. Entsprechendes gilt für Kündigungen. Der Gesetzgeber hat durch die geregelten Abstufungen zu verstehen gegeben, dass die Erklärung von Kündigungen abhängig ist von einer Anhörung des Betriebsrats. Es gibt keine weiteren Erfordernisse oder Voraussetzungen. Die „Kündigungsfreiheit“ nach dem BetrVG ist gegenüber anderen personellen Einzelmaßnahmen deutlich hervorgehoben. Es würde einen damit unvereinbaren Widerspruch darstellen, wenn Kündigungen wegen angeblicher Nichtbeachtung von Beratungsoder Verhandlungsbefugnissen untersagt werden könnten. Das Gesetz hat schließlich für die Außerachtlassung der Pflicht des Arbeitgebers, 3.69 die Herbeiführung eines Interessenausgleichs zumindest zu versuchen, den Nachteilsausgleich als Sanktion bereitgestellt. Das Gesamtgefüge aus der Beschränkung der Rechte des Betriebsrats auf Beratung und Verhandlung ohne die Möglichkeit einer Verhinderung von Kündigungen, der Statuierung des Nachteilsausgleichs als Sanktion und der Regelungen über personelle Einzelmaßnahmen (zu denen Kündigungen gehören) schließt es aus, dem Betriebsrat einen Anspruch darauf zu gewähren, dass der Arbeitgeber Kündigungen unterlässt4. Dem kann nicht 1 2 3 4

Vgl. BAG v. 6.12.1994 – 1 ABR 30/94, AP Nr. 24 zu § 23 BetrVG 1972. Vgl. Raab, ZfA 1997, 183, 243 ff. Vgl. BAG v. 6.12.1994 – 1 ABR 30/94, AP Nr. 24 zu § 23 BetrVG 1972. Vgl. Prütting, RdA 1995, 257, 261.

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3. Teil: Liquidation

entgegengehalten werden, dass eine Pflicht zur Unterlassung von Kündigungen in Form einer Sicherungsverfügung ausgesprochen werden könne. Eine Sicherungsverfügung unterliegt – wie eine einstweilige Verfügung – der Einschränkung dahin gehend, dass nicht mehr gewährt werden kann, als nach materieller Rechtslage als Anspruch gegeben ist; durch prozessuales Instrumentarium können keine Rechtspositionen ohne materiellrechtliche Grundlage eingeräumt werden. 3. Sozialplan 3.70 Der Arbeitgeber ist verpflichtet, einen Sozialplan abzuschließen. Der Abschluss eines Sozialplans ist anders als die Herbeiführung eines Interessenausgleichs über die Einigungsstelle erzwingbar (§ 112 Abs. 4 BetrVG). Dies gilt unabhängig davon, ob es tarifliche Regelungen gibt, die im Falle von Betriebsänderungen Abfindungen oder Ausgleichsmaßnahmen sonstiger Art vorsehen, weil die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht gilt (§ 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG). Der Sozialplan ist anders als der Versuch des Interessenausgleichs nicht Voraussetzung für die Durchführung der Betriebsänderung (Massenentlassung). 3.71 Der Kern des Sozialplans liegt in den Abfindungsvorschriften. Ebenso werden häufig Gestaltungen mit Transfergesellschaften vereinbart. Ob Regelungen zu Transfergesellschaften im Sozialplan erzwingbar sind, ist umstritten1. 3.72 Die in der Praxis anzutreffenden Formeln für Sozialplanabfindungen sind vielfältig. Eine verbreitete Formel geht dahin, das Produkt aus Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Monatsverdienst zu bilden und dieses durch einen Divisor zu teilen, dessen Festlegung der Hauptverhandlungspunkt zwischen den Betriebsparteien oder in der Einigungsstelle ist. Billige Sozialpläne haben einen Divisor in der Größenordnung von 100, teure Sozialpläne einen solchen von 50. Eine andere Formel besagt, dass für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit ein bestimmter Prozentsatz eines Monatsverdienstes festzusetzen ist (50 %, 75 %, 100 %). Ein wieder anderes System für die Zuteilung von Sozialplanleistungen besteht darin, dass ein Gesamtbetrag als Topf für Sozialplanleistungen zur Verfügung gestellt wird und die Mittel unter die Arbeitnehmer nach Punktzahlen verteilt werden. Die Punktzahl wird für die einzelnen Arbeitnehmer auf Grund der persönlichen sozialen Daten ähnlich wie bei den Auswahlrichtlinien im Rahmen der Sozialauswahl ermittelt. Der Sozialplan enthält üblicherweise auch Regelungen über Nebenleistungen aus dem Arbeitsverhältnis im Jahr der Beendigung (Jubiläumsgelder, 13. Monatsgehalt, Urlaubsgeld). Es können ferner Ausgleichsmaßnahmen bei Umzügen vorgesehen werden. Ausgleichszahlungen werden ggf. auch bei Versetzungen auf einen niedriger bezahlten Arbeitsplatz für einen bestimmten Zeitraum geregelt. 3.73 Die Bemessung von Sozialplanleistungen ist Gegenstand einer reichhaltigen Kasuistik. Die Betriebspartner und die Einigungsstelle haben ein erhebliches Regelungsermessen. Ihnen steht ein Spielraum bei der Beurteilung der den Arbeitnehmern entstehenden wirtschaftlichen Nachteile zu2. Die Einigungsstelle hat bei ih1 S. dazu etwa Schütte, NZA 2013, 249 ff. 2 Vgl. BAG v. 14.8.2001 – 1 AZR 760/00, DB 2002, 153 (Teilzeit – Vollzeit); BAG v. 18.9. 2001 – 3 AZR 656/00, DB 2002, 255 (Anreize für ältere Arbeitnehmer); LAG RheinlandPfalz v. 26.10.2001 – 3 Sa 916/01, DB 2002, 1167 (Begrenzung bei rentennahen Jahrgängen).

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Betriebsstilllegung: Betriebsverfassungsrecht

3.73

rer Entscheidung die in § 112 Abs. 5 BetrVG aufgestellten Kriterien zu berücksichtigen. Sozialpläne dürfen nicht Regelungen allein zum Nachteil der Arbeitnehmer enthalten1. Die Rechtsprechung hat Sozialplanregelungen im Hinblick auf die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes überprüft2. Bei der Berechnung von Abfindungen ist der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Eine höhere Abfindungszahlung an Gewerkschaftsmitglieder lässt sich nur rechtfertigen, wenn nachgewiesen werden kann, dass etwa Gewerkschaftsmitglieder im Vergleich zu Nichtgewerkschaftsmitgliedern nach einem Arbeitsplatzverlust eine längere Zeitspanne für die Suche nach einer neuen Tätigkeit hinnehmen müssen. Eine Ungleichbehandlung von Gewerkschaftsmitgliedern mit Nichtorganisierten im Rahmen von Vergütungszahlungen durch die Transfergesellschaft ist sachlich nicht gerechtfertigt3. Sozialplanansprüche dürfen bei der Nichtannahme von zumutbaren Arbeitsplatzangeboten beschränkt werden4. Sozialplanregelungen dürfen den Bezug von Rentenleistungen berücksichtigen5. Sozialplanleistungen sind an den jeweiligen persönlichen Verhältnissen zu orientieren6, können jedoch – in bestimmten Grenzen allerdings – pauschaliert werden7. Sozialplanregelungen können Abgrenzungen anhand von Stichtagsdaten oder Stichtagsereignissen aufstellen, die dazu führen, dass Arbeitnehmer leer ausgehen, die vor Eintritt bestimmter Umstände oder Zeitpunkte aus dem Betrieb ausscheiden, insbesondere wenn es sich um eine Eigenkündigung handelt8. Die Diskriminierungsverbote des AGG sind zu beachten. Eine auf dem Merkmal der Behinderung beruhende mittelbare Benachteiligung i.S. der §§ 1, 3 Abs. 2, 7 Abs. 1 AGG liegt nicht vor, wenn sich die Höhe der Sozialplanabfindung für rentennahe Arbeitnehmer nach (geringeren) Festbeträgen unter Berücksichtigung der Bezugsmöglichkeit einer vorgezogenen Altersrente wegen Arbeitslosigkeit richtet und schwerbehinderte Arbeitnehmer die gleiche Sozialplanabfindung erhalten wie nicht behinderte Arbeitnehmer9. Ein bloßes Abstellen auf die Möglicheit einer (ungekürzten) Altersrente ist dagegen als Diskriminierung wegen Behinderung angesehen worden10. Die Differenzierung von Sozialplanleistungen nach Alter und Betriebszugehörigkeit halten nach § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG dem Diskriminierungsverbot (§§ 1, 7 Abs. 1 AGG) stand. Differenzierungen sind mit der Maßgabe möglich, dass sie die vom Alter abhängigen Chancen auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigen oder Beschäftigte von Leistungen ausschließen, die wirtschaftlich abgesichert sind (Arbeitslosengeld mündet in Rente). Der EuGH hat ausdrücklich bestätigt, dass rentenberechtigte Arbeitnehmer von Abfindungsregelungen ausgenommen

1 Vgl. BAG v. 24.3.1981 – 1 AZR 805/78, DB 1981, 2178. 2 S. zur Bemessung von Sozialplanleistungen ausführlich Gaul, DB 1998, 1513 ff.; Wölfel, Die Sozialplanabfindung, 2012. 3 Vgl. ArbG München v. 20.12.2012 – 3 Ca 8900/12, NZA-RR 2013, 125. 4 Vgl. BAG v. 25.10.1983 – 1 AZR 260/82, AP Nr. 18 zu § 112 BetrVG 1972 = DB 1984, 725. 5 Vgl. BAG v. 14.2.1984 – 1 AZR 574/82, DB 1984, 1527. 6 Vgl. BAG v. 12.2.1985 – 1 AZR 40/84, DB 1985, 1487. 7 Vgl. BAG v. 27.10.1987 – 1 ABR 9/87, DB 1988, 558. 8 Vgl. BAG v. 30.11.1994 – 10 AZR 578/93, DB 1995, 620; BAG v. 19.7.1995 – 10 AZR 885/94, DB 1995, 2531; BAG v. 24.1.1996 – 10 AZR 155/95, DB 1996, 1682. 9 Vgl. BAG v. 23.4.2013 – 1 AZR 916/11, DB 2013, 2094. 10 Vgl. LAG Baden-Württemberg v. 16.12.2014 – 16 O Sa 9/14.

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3.73

3. Teil: Liquidation

werden können1. Betriebszugehörigkeits- und Lebensaltersformeln sind danach zwar grundsätzlich möglich, sind jedoch im Hinblick darauf zu überprüfen, ob in ihnen die Arbeitsmarktchancen typisiert zum Ausdruck kommen. Dies legt nahe, Altersgruppen zu bilden, weil sich die Arbeitsmarktchancen nicht in Jahresschritten verändern2. Ebenso erscheint denkbar, eine an Betriebszugehörigkeit und Vergütung anknüpfende Berechnung dadurch zu ergänzen, dass die sich daraus ergebenden Beträge in Altersgruppen differenziert werden. Ebenso kommen Höchstbeträge/Kappungsgrenzen in Betracht. Es ist in jedem Falle zu empfehlen, eine Einzelfall-Härteklausel in den Sozialplan aufzunehmen. Die Betriebsparteien können die übermäßige Begünstigung, die ältere Beschäftigte mit langjähriger Betriebszugehörigkeit bei einer am Lebensalter und an der Betriebszugehörigkeit orientierten Abfindungsberechnung erfahren, durch eine Kürzung für rentennahe Jahrgänge zurückführen, um eine aus ihrer Sicht verteilungsgerechte Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Betriebsänderung zu Gunsten der jüngeren Arbeitnehmer zu ermöglichen. Eine Sozialplanregelung, nach der sich die Abfindungshöhe nach der Formel Bruttomonatsvergütung × Betriebszugehörigkeit × Faktor bestimmt und die vorsieht, dass Arbeitnehmer nach vollendetem 62. Lebensjahr eine Mindestabfindung von zwei Bruttomonatsverdiensten erhalten, verstößt nicht gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Alters3. Den Betriebsparteien wird durch § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG ein Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum für eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung bei Sozialplanleistungen eröffnet. Dessen Ausgestaltung unterliegt einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 10 Satz 2 AGG. Es ist unionsrechtlich nicht geboten, älteren Arbeitnehmern einen Abfindungsbetrag zu gewähren, der die zu erwartenden Nachteile bis zur Inanspruchnahmemöglichkeit einer vorgezogenen Regelaltersrente übersteigt und es ist ebenso wenig geboten, für rentennahe Arbeitnehmer in einem Sozialplan einen wirtschaftlichen Ausgleich vorzusehen, der mindestens die Hälfte der Abfindung rentenferner Arbeitnehmer erreicht4. Die Betriebsparteien können vereinbaren, dass ein Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber bei anschließender betriebsbedingter Kündigung durch den Betriebsveräußerer einen Abfindungsanspruch aus einem beim Veräußerer bestehenden Rahmensozialplan ausschließt. Einer solchen Regelung liegt typischerweise die Annahme zugrunde, dass den von dem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmern der Arbeitsplatz erhalten bleibt und ihnen deshalb keine ausgleichspflichtigen Nachteile entstehen. Entsprechend können Arbeitnehmer von Abfindungsleistungen ausgenommen werden, die nach dem Bezug von Arbeitslosengeld rentenberechtigt sind und zuvor die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses an einem anderen Standort abgelehnt haben5. Art. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/23/EG sieht nicht vor, dass die Betriebsparteien im Falle betriebsbedingter Kündigungen Abfindungszahlungen regeln müssen6.

1 Vgl. EuGH v. 26.2.2015 – C-515/13, NZA 2015, 473 („Volksrente“). S. dazu Grünberger, EuZA 2015, 333 ff. 2 S. dazu etwa Annuß, BB 2006, 1629, 1634; Willemsen/Schweibert, NJW 2006, 2583, 2587. 3 Vgl. BAG v. 26.3.2013 – 1 AZR 857/11. 4 Vgl. BAG v. 26.3.2013 – 1 AZR 813/11, NZA 2013, 921. 5 Vgl. BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 102/13. 6 Vgl. BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277.

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Betriebsstilllegung: Betriebsverfassungsrecht

3.78

Abfindungen auf Grund eines Sozialplans setzen voraus, dass der Arbeitgeber/In- 3.74 solvenzverwalter die Ursache für den Arbeitsplatzverlust setzt. Eigenkündigungen lösen Abfindungsansprüche daher nur aus, wenn sie der Arbeitgeber/Insolvenzverwalter veranlasst hat, d.h. insbesondere dann, wenn die Entlassungentscheidung im Hinblick auf den Arbeitnehmer feststeht1. Eine Sozialplanklausel ist unwirksam, die den Anspruch davon abhängig macht, 3.75 dass der Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage erhebt oder einen angeblichen, etwaigen Betriebs- oder Betriebsteilerwerber auf Feststellung eines Betriebsübergangs verklagt2. Etwas anderes gilt für „Turbo“-Prämien in freiwilligen Betriebsvereinbarungen. Diese können zusätzlich zu den mitbestimmten Sozialplanregelungen vereinbart werden3. Eine solche freiwillige Betriebsvereinbarungsregelung kommt auch im Hinblick auf Bleibe- oder Treueprämien in Betracht4. Derartige freiwillige Betriebsvereinbarungen können differenzierende Gruppenbildungen und Regelungen vorsehen, die jeweils an ihrem Zweck zu messen sind5. Sozialplanansprüche können Ausschlussfristen unterliegen. Die Dauer der Ver- 3.76 jährungsfrist für Abfindungszahlungen ist umstritten6. 4. Verhältnis zwischen Interessenausgleich und Sozialplan Interessenausgleich und Sozialplan sind nach der Konzeption des Gesetzes unab- 3.77 hängig voneinander herbeizuführen. Das Interessenausgleichsverfahren muss der Betriebsänderung (Massenentlassung) vorausgehen. Der Sozialplan muss dies nicht, kann vielmehr zu jedem beliebigen Zeitpunkt auch noch nach Durchführung der Betriebsstilllegung vereinbart werden. Der Interessenausgleich ist nicht erzwingbar. Der Sozialplan ist erzwingbar, soweit die Erzwingbarkeit nicht nach § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG zurückgedrängt ist. Der auf Beschleunigung bedachte Arbeitgeber kann daher isoliert das Interessenausgleichsverfahren in Angriff nehmen und zu diesem Zweck ggf. auch die Einigungsstelle anrufen. Ob der Arbeitgeber die Betriebsänderung in dieser Weise betreibt, bedarf sorgfältiger Abwägung. Die Handhabung in der Praxis ist vielfach eine andere, dahin gehend nämlich, dass Interessenausgleich und Sozialplan als „Paket“ verstanden werden. Dies hat im Wesentlichen zwei Gründe. (1) Zum einen: Der Betriebsrat wird regelmäßig darauf abstellen, welche Abfin- 3.78 dungsregelungen oder Ausgleichsmaßnahmen ein Sozialplan beinhaltet, bevor er einen Interessenausgleich abschließt. Er wird, wenn ihm diese Leistungen nicht ausreichend erscheinen, den Versuch unternehmen, den Arbeitgeber in ein langwieriges Interessenausgleichsverfahren hineinzuziehen, weil dies das 1 Vgl. Hessisches LAG v. 21.3.2000 – 4 Sa 730/99, NZA-RR 2001, 252; LAG Köln v. 12.1. 2001 – 11 (10) Sa 866/00, NZA-RR 2001, 372. 2 Vgl. BAG v. 22.7.2003 – 1 AZR 575/02, DB 2003, 2658; BAG v. 22.11.2005 – 1 AZR 458/04, NZA 2006, 220. 3 S. dazu etwa Benecke, BB 2006, 938 ff. m.w.N. 4 Vgl. BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 406/13, NZA 2015, 557. 5 Vgl. BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 146/13, NZA 2015, 438; BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 406/13, NZA 2015, 557. 6 S. dazu BAG v. 7.5.1986 – 4 AZR 556/83, AP Nr. 12 zu § 4 BAT; LAG Hamm v. 15.1. 1990 – 19 Sa 1148/89, LAGE § 9 KSchG Nr. 18; LAG Niedersachsen v. 26.1.2001 – 10 Sa 1753/00, NZA-RR 2001, 240.

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407

3.79

3. Teil: Liquidation

dem Betriebsrat durch das Gesetz in die Hand gegebene Druckmittel gegenüber einem auf Einhaltung bestimmter Zeitabläufe angewiesenen Arbeitgeber ist. Der Arbeitgeber wird sich also von vornherein überlegen, ob die Geneigtheit des Betriebsrats bei einem Interessenausgleich nicht dadurch „erkauft“ wird, dass Sozialplanleistungen in einem zufrieden stellenden Umfang vereinbart werden. 3.79 (2) Zum anderen: Eine zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs eingerichtete Einigungsstelle unterliegt der Versuchung dahin gehend, ein Arrangement zwischen den Betriebsparteien dadurch herbeizuführen, dass über Sozialplanleistungen gesprochen wird, selbst wenn dies nicht der Gegenstand der Einigungsstelle ist. Es kommt daher häufig vor, dass sich die Betriebsparteien unter Vermittlung des Einigungsstellenvorsitzenden sowohl über einen Interessenausgleich als auch über die Sozialplanleistungen verständigen, obwohl die Einigungsstelle (nur) im Hinblick auf den Interessenausgleich konstituiert worden ist. 3.80 Die praktisch vorhandene Kombination von Sozialplan und Interessenausgleich ändert allerdings nichts daran, dass der Arbeitgeber bei der Planung seines Vorgehens im Falle von Massenentlassungen als „richtigen“ Weg immer erwägen und im Auge behalten muss, ggf. so schnell wie möglich die Konstituierung einer Einigungsstelle für einen Interessenausgleich zu betreiben; nur so kann er die Abläufe aktiv gestalten und die für ihn essentielle zeitliche Dimension beherrschen. 5. Konsultation im Massenentlassungsverfahren 3.81 Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ist neben dem betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsverfahren zu beachten. Es kann gleichzeitig mit diesem durchgeführt werden1. Dies muss erkennbar sein. Eine Abschrift der das Konsultationsverfahren einleitenden Mitteilung des Arbeitgebers an den Betriebsrat muss der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit zuleiten (§ 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG).

III. Betriebsveräußerung 3.82 Die Betriebsveräußerung stellt keine Betriebsänderung dar, weil und wenn sie sich in einem bloßen Arbeitgeberwechsel erschöpft2. Eine Unterrichtungspflicht gegenüber Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss besteht allerdings gleichwohl. 1. Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers 3.83 Rechtsfolge des Betriebsübergangs ist, dass die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer des Betriebs übergehen (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Übergang eines Arbeitsverhältnisses setzt voraus, dass der betroffene Arbeitnehmer dem übertragenen Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet ist. Für die Zuordnung des Arbeitnehmers ist darauf abzustellen, ob er in den übergegangenen Betrieb oder Betriebsteil tatsächlich eingegliedert war3. Maßgeblich ist die Zuordnung des Arbeitnehmers 1 S. zum Verhältnis zwischen Interessenausgleichs- und Massenentlassungsanzeigeverfahren näher Moll/Katerndahl, RdA 2013, 159 ff. 2 Vgl. BAG v. 21.10.1980 – 1 AZR 145/79, DB 1981, 698; BAG v. 16.6.1987 – 1 ABR 41/85, DB 1987, 1842. S. zur Problematik insbesondere bei Betriebsteilübertragungen ausführlich Moll, RdA 2003, 129 ff. 3 Vgl. BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, DB 2013, 586; BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617.

408

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Betriebsveräußerung

3.84

entweder aufgrund des Willens der Arbeitsvertragsparteien oder aufgrund der Direktionsrechtsausübung durch den Arbeitgeber. Ein im Zeitpunkt des Übergangs zwischen dem Veräußerer und einem im übertragenen Betrieb/Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmer bestehendes Arbeitsverhältnis ist als zu diesem Zeitpunkt vom Veräußerer auf den Erwerber übergegangen anzusehen. Der Übergang erfolgt unabhängig davon, welche ggf. anderslautenden Absprachen zwischen Veräußerer und Erwerber beispielsweise in einem Betrieb oder in einem Personalgestellungsvertrag erfolgt sind; bei § 613a BGB handelt es sich um zwingendes Recht1. Der Arbeitnehmer kann dem sich aus § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ergebenden Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen (§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB)2. Der Widerspruch ist innerhalb eines Monats nach Unterrichtung des Arbeitnehmers über den Betriebsübergang zu erklären (§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB). Er bedarf der Schriftform. Der Widerspruch kann sowohl gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber als auch dem neuen Betriebsinhaber erklärt werden (§ 613a Abs. 6 Satz 2 BGB). Dies bedeutet, dass bei Betriebsübergängen der aktuelle alte/ neue Betriebsinhaber Adressaten des Widerspruchsrechts sind3. Ist ein Widerspruch unwirksam, geht das Arbeitsverhältnis über. Der Arbeitnehmer kann aus dieser Stellung heraus nicht mehr dem Arbeitsverhältnisübergang aufgrund eines früheren Betriebsübergangs widersprechen. Der Arbeitnehmer ist über den Betriebsübergang zu unterrichten (§ 613a Abs. 5 3.84 BGB). Die Unterrichtung erfolgt durch den bisherigen Arbeitgeber oder den neuen Betriebsinhaber. Die Unterrichtung bedarf der Textform (§ 126b BGB). Sie muss ausweislich § 613a Abs. 5 Nr. 1 bis 4 BGB die folgenden Gesichtspunkte enthalten: den erfolgten oder geplanten Zeitpunkt des Betriebsübergangs, den rechtlichen Grund für den Betriebsübergang, die korrekte Darstellung der Folgen des Betriebsübergangs für die Arbeitnehmer in rechtlicher, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht, die in Aussicht genommenen Maßnahmen hinsichtlich der Arbeitnehmer. Die Unterrichtung der von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 5 BGB soll eine ausreichende Wissensgrundlage für die Ausübung oder Nichtausübung ihres Widerspruchsrechts schaffen. Es soll die Möglichkeit eröffnet werden, sich weitergehend zu erkundigen und ggf. beraten zu lassen. Soweit bei der Unterrichtung über den Betriebserwerber auf die im Handelsregister eingetragenen Tatsachen verwiesen werden soll, müssen die Firma des Betriebserwerbers, das zuständige Handelsregister und die den Betriebserwerber betreffende Nummer des Handelsregisters fehlerfrei angegeben werden. Die Identität des Betriebserwerbers muss sich unmittelbar durch Einsichtnahme in das Handelsregister ergeben. Ist der Betriebserwerber eine Neugründung, die nach dem Betriebsübergang gemäß § 112a Abs. 2 BetrVG nicht sozialplanpflichtig ist, so ist darüber in der Unterrichtung zu informieren. Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob eine Betriebsänderung geplant oder in Aussicht genommen ist, da die Rechtsstellung der Arbeitnehmer als unmittelbare Folge des Betriebsübergangs verändert wird4. Die Unterrichtung erfordert insgesamt eine verständ1 Vgl. BAG v. 20.3.2014 – 8 AZR 1/13. 2 S. bereits EuGH v. 16.12.1992 – C-132/91, 138/91, 139/91, Slg. 1992, 6577 und 6612; BAG v. 7.4.1993 – 2 AZR 449/91, DB 1993, 1877. 3 Vgl. BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 619/13. 4 Vgl. BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 823/12.

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3.85

3. Teil: Liquidation

liche, arbeitsplatzbezogene und zutreffende Information1. Sie muss auch Angaben über die Identität des Erwerbers sowie den Gegenstand des Betriebsübergangs enthalten2. Ohne eine ordnungsgemäße und vollständige Unterrichtung läuft die Monatsfrist für die Erklärung des Widerspruchs (§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB) nicht3. 3.85 Wird das Widerspruchsrecht nach Betriebsübergang ausgeübt, wirkt es auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs zurück4. Eine etwaige tarifliche Ausschlussfrist zur gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen gegen den bisherigen Arbeitgeber, die von dem Widerspruch abhängen, läuft erst ab Zugang des Widerspruchs5. Ein einmal erklärter Widerspruch kann nicht zurückgenommen werden. Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist möglich, wenn bei der Unterrichtung über einen Betriebsübergang durch Verschweigen bestimmter Umstände ein falscher und für die Abgabe des Widerspruchs bedeutsamer Eindruck erweckt wird6. Es ist von den Einzelfallumständen abhängig, wann davon auszugehen ist, dass das Widerspruchsrecht, obwohl die Frist mangels ordnungsgemäßer Unterrichtung noch nicht läuft bzw. abgelaufen ist, verwirkt ist7. 2. Arbeitsverhältnis nach Widerspruch 3.86 Das Arbeitsverhältnis eines widersprechenden Arbeitnehmers bleibt mit dem Betriebsveräußerer bestehen. Es kann betriebsbedingt gekündigt werden, soweit und wenn der Betriebsveräußerer keinen Betrieb mehr fortführt8. Der Arbeitnehmer scheidet aus dem übertragenen Betrieb aus9. Dem Betriebsveräußerer ist es nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB nur verwehrt, das Arbeitsverhältnis wegen des Betriebsübergangs zu kündigen. Eine Kündigung aus anderen Gründen (betrieblichen etc.) bleibt unberührt (§ 613a Abs. 4 Satz 2 BGB). Die Kündigung ist insbesondere möglich wegen einer durchgeführten oder geplanten Betriebsstilllegung10. Die Kündigung eines dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechenden Arbeitnehmers erfolgt nicht wegen des Betriebsübergangs. Sie ist vielmehr betrieblich bedingt, weil der Betriebsveräußerer keinen Betrieb und keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr hat. Die Kündigungssperre des § 613a Abs. 4 Satz 1 1 S. zu den z.T. überzogenen Anforderungen der Rechtsprechung z.B. Meyer, Die Unterrichtung der Arbeitnehmer vom Betriebsübergang, 2007, S. 64 ff., 148 ff. 2 Vgl. BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303 und 305/05, ZIP 2006, 2143. 3 Vgl. BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, DB 2005, 1302; BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 755/07, EzA § 613a BGB 2002 Nr. 94; Grau, RdA 2005, 367 ff. 4 Vgl. BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303 und 305/05, NZA 2006, 1273 und 1268. 5 Vgl. BAG v. 16.4.2013 – 9 AZR 731/11, DB 2013, 1672. 6 Vgl. BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 220/11, AP Nr. 16 zu § 613a BGB Unterrichtung. 7 S. dazu ausf. Annuß in Staudinger, Neubearbeitung 2011, § 613a BGB Rz. 301 ff.; Lingemann/Weingarth, DB 2014, 2710 ff.; Steffan in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 613a BGB Rz. 222. 8 Vgl. Moll/Reufels in GmbH-Handbuch, Rz. IV 355 ff. m.w.N. 9 Vgl. BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12. 10 Vgl. BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, DB 1985, 1399; BAG v. 28.4.1988 – 2 AZR 623/87, DB 1989, 430; BAG v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, DB 1989, 934; BAG v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, DB 1991, 2442; BAG v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, AP Nr. 81 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 137/00, DB 2002, 102; BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, DB 2002, 2552; BAG v. 13.5.2004 – 8 AZR 331/03, NZA 2004, 1295.

410

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Betriebsveräußerung

3.90

BGB gilt im Übrigen nicht bei Kündigungen in nicht übergehenden verbleibenden Resteinheiten1. Ein Arbeitnehmer, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber des Betriebs, dem er wirksam zugeordnet war, widersprochen hat, hat grundsätzlich keinen Anspruch gegen seinen bisherigen Arbeitgeber auf Zuordnung zu einem anderen Betrieb, der ebenfalls im Wege eines Betriebsübergangs auf einen anderen Erwerber übergehen soll. Dies gilt auch dann, wenn ihm eine betriebsbedingte Kündigung durch seinen bisherigen Arbeitgeber wegen Wegfalls einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit droht2. Der Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhält- 3.87 nisses begründet keine Modifizierung der Sozialauswahl3. Dies wird dann relevant, wenn bei dem Betriebsveräußerer noch Arbeitsplätze verblieben sind und nach Sozialauswahlgrundsätzen zu entscheiden ist, welche von mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern den Arbeitsplatz behalten und welche die Kündigung erhalten. Der Widerspruch ist im Rahmen der Sozialauswahl nicht zu berücksichtigen. Eine Kündigungsmöglichkeit gegenüber einem widersprechenden Betriebsratsmitglied ist gemäß § 15 Abs. 4 oder 5 KSchG (analog) in Erwägung zu ziehen4. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber u.U. sogar einen Arbeitsplatz für das Betriebsratsmitglied freikündigen muss5. Der Betriebsveräußerer, der auf Grund des Betriebsübergangs den widersprechen- 3.88 den Arbeitnehmer nicht beschäftigen kann, gerät gemäß § 615 Satz 1 BGB in Annahmeverzug. Dem Entgeltanspruch des Arbeitnehmers steht allerdings § 615 Satz 2 BGB entgegen, wenn und weil der Betriebserwerber dem Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen angeboten hat6. Ein Anspruch auf Annahmeverzugsentgelt besteht auch dann nicht, wenn das Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsveräußerer erst wieder rückwirkend begründet wird7. 3. Fortsetzungsanspruch Die einer betriebsbedingten Kündigung zugrunde liegenden Planungen können 3.89 sich nach Ausspruch der Kündigung ändern. Dies lässt die Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Derartige Fälle sind denkbar, wenn trotz eines Stilllegungsplans im Nachhinein von einer Übertragungsmöglichkeit Gebrauch gemacht werden kann, die im Kündigungszeitpunkt nicht absehbar bzw. geplant gewesen ist. Das Bundesarbeitsgericht hat im Rahmen des allgemeinen Kündigungsschutzsys- 3.90 tems einen Wiedereinstellungsanspruch entwickelt, wenn sich die der betriebsbedingten Kündigung zu Grunde liegenden Umstände während des Laufs der Kün1 2 3 4 5

Vgl. BAG v. 17.6.2003 – 2 AZR 134/02, AP Nr. 260 zu § 613a BGB. Vgl. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617. Vgl. BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, DB 2008, 1106. Vgl. BAG v. 18.9.1997 – 2 ABR 15/97, AP Nr. 35 zu § 103 BetrVG 1972. Vgl. BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 494/99, AP Nr. 49 zu § 15 KSchG 1969 (Übernahme in eine andere Betriebsabteilung notfalls durch Freikündigung; Problem: Abwägung der Interessen des „verdrängten“ Arbeitnehmers und des umgesetzten Betriebsratsmitglieds). 6 Vgl. BAG v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, AP Nr. 177 zu § 613a BGB = DB 1998, 1416. 7 BAG v. 19.8.2015 – 5 AZR 975/13.

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3.91

3. Teil: Liquidation

digungsfrist ändern (Änderung von Organisations- oder Stilllegungsvorhaben)1. Entscheidet sich der Arbeitgeber, eine Betriebsabteilung stillzulegen, und kündigt er den dort beschäftigten Arbeitnehmern, so kann er zur Wiedereinstellung entlassener Arbeitnehmer verpflichtet sein, wenn er sich noch während der Kündigungsfrist entschließt, die Betriebsabteilung mit einer geringen Anzahl von Arbeitnehmern doch fortzuführen. Ein derartiger Anspruch steht, wenn sich der Stilllegungsplan zu einer Betriebsveräußerung wandelt, in Form eines Fortsetzungsanspruchs dem Arbeitnehmer auch gegen den Erwerber zu2. Der Anspruch des Arbeitnehmers geht dahin, dass der Betriebserwerber mit ihm einen Arbeitsvertrag zu unveränderten Arbeitsbedingungen unter Wahrung des Besitzstandes abschließt. 3.91 Das Bundesarbeitsgericht hat den Fortsetzungsanspruch gegenüber dem Erwerber, wenn der Betriebsübergang in der Übernahme der Hauptbelegschaft besteht, auch dann anerkannt, wenn dieser Sachverhalt nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Ablauf der Kündigungsfrist) eintritt3. Dies ist mit einer richtlinienkonformen Auslegung des § 613a Abs. 1 BGB begründet worden. Diese Ableitung geht über die Begründung des Wiedereinstellungsanspruchs nach den Grundsätzen des Kündigungsrechts und des § 242 BGB hinaus. 3.92 Das Bundesarbeitsgericht hat eine Erstreckung dieser Grundsätze auf den Fall erörtert, dass keine spätere Übernahme der Hauptbelegschaft vollzogen wird, sondern eine spätere Übernahme materieller oder immaterieller Betriebsmittel erfolgt4. Es hat dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der auf der richtlinienkonformen Auslegung des § 613a Abs. 1 BGB beruhende Fortsetzungsanspruch nicht im Insolvenzverfahren gelte5. Dies bedeutet, dass es in der Insolvenz mit dem allgemeinen Anspruch auf Fortsetzung bzw. Wiedereinstellung sein Bewenden hat, der grundsätzlich nur bei Veränderungen während der Kündigungsfrist gilt. Ob es in der Insolvenz allerdings überhaupt einen Fortsetzungsanspruch gibt, ist bislang nicht abschließend entschieden6. Das Bundesarbeitsgericht hat die Frage ausdrücklich offen gelassen7. Es hat entschieden8, dass ein Anspruch auf Fortsetzung gegen den Betriebserwerber im Insolvenzverfahren jedenfalls nicht besteht, wenn der Betriebsübergang (erst) nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stattfindet. Dies gilt unabhängig 1 Vgl. BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; BAG v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, DB 1998, 423; BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, DB 2000, 2171. S. dazu eingehend Günzel, DB 2000, 1227 ff.; Langenbucher, ZfA 1999, 299 ff.; Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87 ff.; Oberhofer, RdA 2006, 92 ff.; Raab, RdA 2000, 147 ff.; Strathmann, DB 2003, 2438 ff.; Ziemann, MDR 1999, 716 ff. 2 Vgl. BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, AP Nr. 169 zu § 613a BGB; BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, AP Nr. 172 zu § 613a BGB. 3 Vgl. BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, AP Nr. 169 zu § 613a BGB; BAG v. 12.12.1998 – 8 AZR 265/97, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 4 Vgl. BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, AP Nr. 185 zu § 613a BGB. 5 Vgl. BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, AP Nr. 185 zu § 613a BGB. 6 Vgl. LAG Hamm v. 27.3.2003 – 4 Sa 189/02, NZA-RR 2003, 652; LAG Hessen v. 27.2. 2003 – 11 Sa 799/02; LAG Köln v. 13.10.2004 – 7 (5) Sa 273/04, LAGE § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr. 6. 7 Vgl. BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 321/01, AP Nr. 237 zu § 613a BGB. 8 Vgl. BAG v. 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, DB 2004, 2107.

412

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Betriebsveräußerung

3.100

von der Art des Betriebs und den den Betriebsübergang konstituierenden Umständen. Das Bundesarbeitsgericht hat seine Rechtsprechung mit Urteil vom 28.10. 2004 dahingehend fortgeführt, dass ein Fortsetzungsanspruch in der Insolvenz nur anzuerkennen ist, wenn sich der Betriebsübergang bis zum Ablauf der Kündigungsfrist tatsächlich vollzieht1. Es ist nicht relevant, ob der Betriebsübergang „nahtlos“ nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt oder ob er sich bereits innerhalb der Kündigungsfrist abzeichnet. Ob ein Betriebsübergang während des Laufs der Kündigungsfrist nach dem jetzigen Stand der BAG-Rechtsprechung einen Fortsetzungsanspruch gegen den Betriebserwerber in der Insolvenz begründen kann oder nicht, erscheint offen2. Das Fortsetzungsverlangen kann bis zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs jeder- 3.93 zeit geltend gemacht werden. Eine Geltendmachungsfrist besteht auch nach Betriebsübergang nicht, wenn das Arbeitsverhältnis ungekündigt ist3. Eine unverzügliche Geltendmachung ist allerdings nach Betriebsübergang im Falle eines gekündigten Arbeitsverhältnisses erforderlich (Frist entsprechend § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB)4. Ein Fortsetzungsanspruch besteht nicht, wenn das Arbeitsverhältnis durch Auf- 3.94 hebungsvereinbarung beendet worden ist5. Etwas anderes gilt erst und nur dann, wenn der Arbeitnehmer berechtigterweise die Wirkungen des Aufhebungsvertrages beseitigt. Dies ist nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen und etwa unter dem Gesichtspunkt der Anfechtung oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Erwägung zu ziehen. Haben die Arbeitsvertragsparteien noch während der Kündigungsfrist durch einen gerichtlichen Vergleich das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufgehoben, so kann dieser Vergleich wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage an die geänderte Situation anzupassen sein, unter Umständen dahin gehend, dass der Arbeitnehmer wieder einzustellen ist und die Abfindung zurückzuzahlen hat. Dass die (fortdauernde) Stilllegung des Betriebs Geschäftsgrundlage einer Aufhebungsvereinbarung ist, ist von derjenigen Person darzulegen und ggf. nachzuweisen, die sich darauf beruft6. Eine derartige Anpassung des Vergleichs wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage scheidet aus, wenn die vom Arbeitgeber getroffene Auswahl bei der Besetzung der wider Erwarten verbliebenen Arbeitsplätze rechtlich nicht zu beanstanden ist7. Die Auslegung von Abfindungsvereinbarungen wird regelmäßig dazu führen, dass – auch – das Problem der Wiedereinstellung erfasst und geregelt ist, so dass eine Anpassung nach Geschäftsgrundlagengrundsätzen nicht in Betracht kommt8. 3.95–3.100

vacat 1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 199/04, NZA 2005, 405. S. dazu etwa Ahlborn, ZfA 2005, 109, 157 ff. Vgl. BAG v. 18.12.2003 – 8 AZR 621/02, DB 2004, 2110. Vgl. Steffan in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 613a BGB Rz. 182. Vgl. BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, AP Nr. 185 zu § 613a BGB; BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, DB 2000, 2171. Vgl. LAG Hamburg v. 16.12.2014 – 4 Sa 40/14. Vgl. BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. Vgl. BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.

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3.101

3. Teil: Liquidation

C. Steuerrecht in der Liquidation I. Liquidationsbesteuerung der GmbH 3.101 Die abschließende Besteuerung des Gewinns einer unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft aus der Auflösung und Abwicklung oder aus der Auflösung durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterliegt besonderen Grundsätzen nach § 11 KStG. Grundsätzlich ist Voraussetzung, dass die Körperschaft sowohl aufgelöst als auch abgewickelt wird. Nur im Fall der Insolvenz gilt die Liquidationsbesteuerung auch, wenn sich an die Auflösung keine Abwicklung anschließt (§ 11 Abs. 7 KStG). Der Sache nach bedeutet dies, dass der Liquidationszeitraum mit dem Beschluss der Gesellschafter zur Fortführung der Gesellschaft endet und die Gesellschaft von diesem Zeitpunkt an, gegebenenfalls durch Bildung eines Rumpfgeschäftsjahres, wieder in die normale Besteuerung zurückkehrt. 3.102 Möglich ist im Zuge der Liquidation auch eine sog. Sachauskehrung in der Weise, dass Vermögensgegenstände der GmbH auf den Gesellschafter übertragen werden. Die Sondervorschrift über die Liquidation der Kapitalgesellschaften greift mit dem Beschluss der Auflösung ein. Das ist der Zeitpunkt des Gesellschafterbeschlusses über die Auflösung oder der Eintritt eines gesetzlichen Auflösungsgrundes. Die Sonderregeln des § 11 KStG ändern aber nichts daran, dass die GmbH solange körperschaftsteuerpflichtig ist, wie sie noch über Vermögen verfügt. Die Körperschaftsteuerpflicht endet erst mit dem Abschluss der Abwicklung. Dabei wird der steuerpflichtige Gewinn nicht aus dem handelsrechtlichen Jahresabschluss abgeleitet, sondern aus einem Bestandsvergleich eigener Art. 3.103 Der zu besteuernde Liquidationsgewinn ist der Unterschied zwischen dem Abwicklungsendvermögen und dem Abwicklungsanfangsvermögen (§ 11 Abs. 2 KStG). Das Liquidationsanfangsvermögen ist aus der Liquidationseröffnungsbilanz abzuleiten; das Liquidationsendvermögen ist das zur Verteilung zur Verfügung stehende Vermögen, welches um steuerfreie Vermögensmehrungen zu mindern ist, die dem Steuerpflichtigen in der Liquidationsphase zugeflossen sind. All dies führt dazu, dass eventuell gelegte stille Reserven innerhalb des Liquidationsraums aufgedeckt und besteuert werden. Der Grund dafür liegt darin, dass im unternehmerischen Bereich nicht realisierte Gewinne auf Grund des handelsrechtlichen Realisationsprinzips nicht ausgewiesen und damit (§ 8 Abs. 1 KStG, § 5 Abs. 1 EStG, §§ 238 ff. HGB) auch nicht zur Körperschaftsteuer mit herangezogen worden sind. Im Rahmen der Liquidationsbesteuerung, der Endbesteuerung der Kapitalgesellschaft, soll sichergestellt werden, dass alle steuerpflichtigen Vermögensmehrungen einschließlich der durch die Auflösung stiller Reserven entstehenden Gewinne erfasst werden. Im Gegensatz zur Beendigung einer einzelunternehmerischen Tätigkeit oder zur Liquidation einer Personengesellschaft gibt es körperschaftsteuerrechtlich keine den §§ 16, 34 EStG entsprechenden Tarifvergünstigungen auf der Ebene der GmbH. 3.104 Bei der Schlussbesteuerung einer Körperschaft ist zwischen der Besteuerung auf der Gesellschaftsebene und der Besteuerung auf der Ebene des Anteilseigners zu unterscheiden. Im Einzelnen: 3.105 Mit dem Übergang der werbenden Kapitalgesellschaft in das Liquidationsstadium endet regelmäßig noch nicht die unternehmerische Tätigkeit, vielmehr werden 414

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Liquidationsbesteuerung der GmbH

3.109

noch laufende Geschäfte abgewickelt und das Vermögen der Körperschaft wird veräußert. Von Beginn des Liquidationszeitraums an ist nicht mehr das Kalenderjahr, sondern der Abwicklungszeitraum Ermittlungs- und Veranlagungszeitraum für die Körperschaftsteuer. Der sich auf Grund der Gegenüberstellung des Abwicklungsendvermögens mit dem Abwicklungsanfangsvermögen ergebende Unterschiedsbetrag ist der zu besteuernde Liquidationsgewinn bzw. der endgültige Liquidationsverlust. Im Rahmen der Liquidationsbesteuerung geht es materiell um die vollständige Erfassung der in der Kapitalgesellschaft gelegten stillen Reserven. Infolgedessen gilt die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz der § 8 Abs. 1 KStG, § 5 Abs. 1 EStG nicht1. Davon abgesehen gelten auch bei der Liquidation die allgemeinen Regeln (§ 11 Abs. 6 KStG). Inhaltlich kommen also alle Gewinnermittlungsvorschriften zur Anwendung, wenn sie nicht durch die abweichenden Bestimmungen des § 11 Abs. 1–5 KStG ersetzt werden. Zu den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften, die anzuwenden sind, gehören insbesondere auch die §§ 9, 10 KStG bezüglich der abzugsfähigen und nicht abzugsfähigen Ausgaben2. Im Rahmen der allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften ist auch die Ver- 3.106 lustausgleichsmöglichkeit nach § 10d EStG zu berücksichtigen. Aus dem Umstand, dass der Abwicklungszeitraum ein einziger Besteuerungsabschnitt ist, folgt, dass Verluste, die in früheren Veranlagungszeiträumen entstanden sind, in den Abwicklungszeitraum vorgetragen und mit dem im Abwicklungszeitraum erzielten Gewinn verrechnet werden können. Ein nicht ausgenutzter Verlustvortrag, der auch nicht mit einem Liquidationsgewinn verrechnet werden kann, geht endgültig verloren, weil insoweit die Steuersubjektqualität der Kapitalgesellschaft beendet ist. Im Einzelfall sollte daher überprüft werden, ob nicht vor der Liquidation etwa durch eine Einlage einer gewinnbringenden Einnahmequelle der Verlustvortrag ausgenutzt wird, allerdings sind die Sonderregeln in § 8c KStG (Rz. 2.601 ff.) zu beachten. Abwicklungsanfangsvermögen ist dasjenige Betriebsvermögen, welches am 3.107 Schluss des der Auflösung vorangegangenen Wirtschaftsjahres der Veranlagung zugrunde gelegt worden ist (§ 11 Abs. 4 Satz 1 KStG). Abwicklungsendvermögen (§ 11 Abs. 3 KStG) ist das an die Gesellschafter zur Verteilung kommende Vermögen, also dasjenige Substrat, welches nach Versilberung der Vermögensgegenstände/Wirtschaftsgüter und nach Begleichung der Schulden verbleibt. Kommt es zu Sachauskehrungen an den Kapitalgesellschafter, dann sind diese mit 3.108 dem gemeinen Wert nach § 9 BewG anzusetzen. Ein entgeltlich erworbener, derivativer Firmenwert ist ebenfalls zu berücksichtigen3, doch ist dies wohl nur dann zutreffend, wenn der derivativ erworbene Firmenwert im Rahmen der Abwicklungsbesteuerung realisiert werden kann. Andernfalls ist der Wert Null. Der originäre Firmenwert der zu liquidierenden Gesellschaft ist nicht Bestandteil des Endvermögens. Da die GmbH als Kapitalgesellschaft Gewerbebetrieb kraft Rechtsform ist (§ 2 3.109 Abs. 2 Satz 2 GewStG), ist auch der Abwicklungsgewinn der GmbH gewerbe1 BFH v. 8.12.1971 – I R 164/69, BStBl. II 1972, 229. 2 BFH v. 21.10.1981 – I R 149/77, BStBl. II 1982, 177. 3 BFH v. 14.2.1978 – VIII R 158/73, BStBl. II 1979, 99.

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3.110

3. Teil: Liquidation

ertragsteuerpflichtig, obschon die werbende Tätigkeit eingestellt wird. Aber auch gewerbesteuerrechtlich gilt, dass der Gewerbebetrieb erst mit der tatsächlichen Beendigung der unternehmerischen Tätigkeit endet. Der Gewerbeertragsteuer ist der nach § 11 KStG ermittelte Gewinn zugrunde zu legen. 3.110 Für die Liquidationsbesteuerung auf der Ebene der Kapitalgesellschaft kann es zu Problemen kommen, wenn sich das Körperschaftsteuerrecht ändert bzw. geändert hat. Infolge der Abschaffung des körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungsverfahrens ist nach § 37 Abs. 1 KStG ein Körperschaftsteuerguthaben festgestellt worden. Dieses ist letztmalig auf den Stichtag zu ermitteln, auf den die Liquidationsschlussbilanz erstellt wird (§ 37 Abs. 4 KStG). Nach § 37 Abs. 5 Satz 1 KStG hat die Gesellschaft einen Anspruch auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens in 10 gleichen Jahresbeträgen innerhalb eines Zeitraums von 2008 bis 2017. Um eine langwierige Liquidation zu vermeiden, kann der Anspruch auf Auszahlung dieses Guthabens abgetreten, verpfändet oder gepfändet werden (§ 37 Abs. 5 KStG). 3.111 Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG soll der Besteuerungszeitraum für die Liquidation drei Jahre nicht übersteigen. Wenn der Liquidationszeitraum ausnahmsweise diese Frist überschreitet, muss die Gesellschaft nach Aufforderung durch das zuständige Finanzamt zur jährlichen Veranlagung übergehen. Nach Auffassung des BFH1 kann die Finanzverwaltung auch dann für längere Zeiträume einen Körperschaftsteuerbescheid erlassen, wenn für eine Steuerfestsetzung vor Abschluss der Liquidation kein spezieller Anlass besteht. Ein derartiges Vorgehen muss nur dann begründet werden, wenn ein rechtliches Interesse der Gesellschaft an der Verlängerung des Besteuerungszeitraums über drei Jahre hinaus erkennbar ist. Nach Meinung des BFH gibt das Gesetz nichts dafür her, dass eine Zwischenveranlagung nur dann zulässig sein soll, wenn konkrete Schwierigkeiten drohen. Deshalb setzt die Zwischenveranlagung nicht voraus, dass eine Abwicklung von den Liquidatoren unangemessen hinausgezögert wird oder dass ohne eine Zwischenveranlagung der Ausfall von Steueransprüchen droht2. 3.112 Die vorstehend zitierte Entscheidung des BFH setzt sich auch mit der praktisch wichtigen Frage auseinander, welcher Körperschaftsteuersatz in Liquidationsfällen dem Abwicklungsgewinn zugrunde zu legen ist. Der BFH3 steht auf dem Standpunkt, dass bei einer Liquidation der am Ende des Liquidationszeitraums geltende Steuersatz anzuwenden ist, auch wenn sich der Steuersatz während der Abwicklungsphase geändert hat. Daraus folgt, dass auch in Fällen der Zwischenveranlagung das im Zeitpunkt des Ablaufs des jeweiligen Zwischenveranlagungszeitraums geltende Steuerrecht anzuwenden ist4. 3.113 Bei der Liquidationsbesteuerung ist auch die sog. Mindestbesteuerung nach § 8 Abs. 1 KStG, § 10d Abs. 2 EStG zu beachten. Hier kann es aufgrund der eingeschränkten Verlustvortragsmöglichkeit des § 10d Abs. 2 EStG dazu kommen, dass im Zeitpunkt der Liquidation einer Kapitalgesellschaft ein Verlustvortrag 1 2 3 4

BFH v. 18.9.2007 – I R 44/06, GmbHR 2008, 160. Vgl. auch Küster, DStR 2006, 209. BFH v. 18.9.2007 – I R 44/06, GmbHR 2008, 160. Näher Hofmeister in Blümich, EStG/KStG, § 11 KStG Rz. 40, 81; Lambrecht in Gosch, § 11 KStG Rz. 42; Korn, KÖSDI 2012, 18162.

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Steuerrechtliche Konsequenzen für den Anteilseigner

3.117

nicht verbraucht werden konnte. Der I. Senat des BFH1 hat dem BVerfG § 10d Abs. 2 EStG nach Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegt. Der vorlegende Senat ist der Auffassung, dass die Mindestbesteuerung des § 10d Abs. 2 EStG zwar in ihrer Grundkonzeption der zeitlichen Streckung des Verlustvortrags verfassungsgemäß ist, dass es aber zu einem Gleichheitssatzverstoß kommt, soweit durch den Ausschluss eines Verlustausgleichs der Kernbereich einer Nettoertragsbesteuerung verletzt wird2. Das ist überzeugend, weil es nicht dem Sinn und Zweck der Mindestbesteuerung entspricht, vorhandene Verlustvorträge endgültig zu vernichten. Schließlich ist auf ein Sonderproblem der Liquidationsbesteuerung hinzuweisen, 3.114 welches sich bei Vorhandensein von Gesellschafterdarlehen ergibt. Vielfach wird es bei einer Liquidation so liegen, dass die Kapitalgesellschaft liquidiert wird, ohne dass irgendeine Vereinbarung über das früher ausgereichte und bei der GmbH passivierte Gesellschafterdarlehen getroffen wird. Hier ist zu entscheiden, ob im Rahmen der Liquidationsbesteuerung des § 11 KStG die gegenüber dem Gesellschafter bestehende Verbindlichkeit gewinnerhöhend aufzulösen ist. In einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hat der I. Senat des BFH3 dies nicht für ausgeschlossen gehalten. Der BFH scheint dahin zu tendieren, dass es in einer derartigen Konstellation an einer bilanziell erheblichen wirtschaftlichen Belastung fehlt. Das ist deshalb nicht unproblematisch, weil die ertragswirksame Ausbuchung der Verbindlichkeit dann zu denselben Rechtsfolgen führt wie ein Forderungsverzicht4.

II. Steuerrechtliche Konsequenzen für den Anteilseigner 1. Ertragsteuerrecht Im Rahmen der Besteuerung des Anteilseigners der GmbH in der Liquidation 3.115 kommt es steuersystematisch darauf an, ob der Anteilseigner der Gesellschaft steuerrechtlich verstricktes Betriebsvermögen bzw. steuerverstricktes Privatvermögen hat (Rz. 2.553 ff.). Befinden sich die in der Liquidation untergehenden Anteile an der GmbH in ei- 3.116 nem Betriebsvermögen des Anteilseigners, so kommt es grundsätzlich zu einem laufenden Gewinn oder einem Verlust in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen der Kapitalrückzahlung und dem Buchwert der (bilanzierten) GmbH-Geschäftsanteile. Ist der Anteilseigner eine natürliche Person, die den Anteil in ihrem Betriebsvermögen hält, dann ist dies in soweit eine Konstellation des Teileinkünfteverfahrens des § 3 Nr. 40 lit. b EStG bzw. bei einem Anteilseigner, der seinerseits Körperschaft ist, ein Anwendungsfall des § 8b KStG. Kommt es zu einem Liquidationsverlust des Anteilseigners mit Betriebsvermögen, dann greift insoweit § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG bei natürlichen Personen oder § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG bei Körperschaften ein. Wird der GmbH-Geschäftsanteil in einem Privatvermögen gehalten und handelt 3.117 es sich um eine Beteiligung, die nicht die Aufgriffsschwelle des § 17 Abs. 1 Satz 1 1 2 3 4

BFH v. 26.2.2014 – I R 59/12, BStBl. II 2014, 1016 = GmbHR 2014, 1099. Az. BVerfG 2 BvL 19/14. BFH v. 5.2.2014 – I R 34/12, BFH/NV 2014, 1014. Vgl. Kahlert, DStR 2014, 1906; Mayer/Betzinger, DStR 2014, 1573.

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3.118

3. Teil: Liquidation

EStG erreicht, dann werden Rückzahlungsbeträge, die höher als die Anschaffungskosten sind, von § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG erfasst. In einer Verlustkonstellation ist zunächst zu fragen, ob die Liquidation mit einem Verlust auf Anteilseignerebene unter § 20 Abs. 4 EStG zu subsumieren sind. Dies ist zu bejahen, weil sich der Gewinnbegriff des § 20 Abs. 4 EStG an den des § 17 EStG, also auch an § 17 Abs. 4 EStG anlehnt1. In einem zweiten Schritt ist dann aber das besondere Verlustausgleichssystem des § 20 Abs. 6 EStG maßgebend. Verluste, die von § 20 EStG erfasst werden, dürfen nur mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden. Insoweit handelt es sich um ein einkunftsartenbezogenes Verlustausgleichssystem, welches den Verlustausgleich mit anderen Einkunftsarten einschränkt. 3.118 Der in der Praxis wichtigste Sachverhalt dürfte der sein, dass der Gesellschafter, der zu liquidierenden GmbH eine qualifizierte Beteiligung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG innehat. Kommt es im Zuge der Liquidation zur Auskehrung von Gewinnrücklagen, dann führt dies zu Kapitalvermögenseinkünften nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG, die prinzipiell der Abgeltungsteuer (Rz. 2.553) unterliegen, es sei denn, dass die Ausnahmeregel des § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG eingreift. Auf Antrag des Steuerpflichtigen kann von der Abgeltungsteuer abgesehen werden, wenn der Steuerpflichtige unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 25 v.H. an der Kapitalgesellschaft beteiligt oder zu mindestens 1 v.H. an der Kapitalgesellschaft beteiligt ist und beruflich für diese tätig wird. 3.119 Liegen die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG vor, dann stellt § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG die Auflösung einer Kapitalgesellschaft einer Veräußerung gleich. Entsteht in Höhe der Differenz zwischen den Anschaffungskosten der Beteiligung und dem Veräußerungspreis des § 17 EStG ein Veräußerungsgewinn oder ein Veräußerungsverlust, dann besteht insoweit nicht die Möglichkeit einer Progressionsmilderung oder der Besteuerung mit einem ermäßigten Steuersatz nach § 34 EStG. Stattdessen greifen §§ 3 Nr. 40 lit. c, 3c Abs. 2 Satz 1 EStG mit der Folge ein, dass der Veräußerungspreis bzw. der Veräußerungsverlust jeweils nur zu 60 v.H. angesetzt oder abgezogen werden kann. Insoweit existiert in den hier interessierenden Krisen-Verlustsituationen unabhängig von § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG eine Verlustausgleichsbeschränkung in Höhe von 40 v.H. 3.120 Was den Besteuerungszeitpunkt nach § 17 Abs. 4 EStG angeht, so entstehen sowohl Gewinn als auch Verlust nicht schon mit Auflösung der GmbH, aber auch nicht erst mit ihrer Löschung im Handelsregister2. Sowohl ein Auflösungsgewinn als auch ein Auflösungsverlust werden im Ergebnis nach den bilanziellen Prinzipien der Gewinn- oder Verlustrealisierung behandelt. Maßgebend ist danach regelmäßig der Zeitpunkt, also der Veranlagungszeitraum, in dem das Gesellschaftsvermögen ausgekehrt wird bzw. in dem der Auflösungsverlust entsteht. Der Zeitpunkt der Entstehung des Auflösungsverlusts ist regelmäßig der Abschluss der Liquidation3. Von diesem Grundsatz gibt es allerdings Ausnahmen. 1 Vgl. Weber-Grellet in Schmidt, § 20 EStG Rz. 161. 2 Näher Gosch in Kirchhof, § 17 EStG Rz. 127; Weber-Grellet in Schmidt, § 17 EStG Rz. 223. 3 Vgl. BFH v. 4.10.2007 – VIII S 3/07, BFH/NV 2008, 209; Weber-Grellet in Schmidt, § 17 EStG Rz. 224.

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Steuerrechtliche Konsequenzen für den Anteilseigner

3.122

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein Auflösungsverlust nach § 17 EStG schon geltend zu machen (kein Wahlrecht), wenn der qualifiziert beteiligte Gesellschafter nicht mehr mit Zuteilungen und Rückzahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen rechnen kann und wenn zusätzlich feststeht, ob und in welcher Höhe noch nachträgliche Anschaffungskosten oder sonstige im Rahmen des § 17 Abs. 2 EStG zu berücksichtigende Größen anfallen werden1. Findet in Insolvenzsituationen eine Abweisung mangels Masse statt, dann ist der auf einen Zeitpunkt zu ermittelnde Auflösungsverlust schon bei Ablehnung des Antrags auf Insolvenzeröffnung entstanden2. Gleiches gilt bei eindeutiger Vermögenslosigkeit im Zeitpunkt des Auflösungsbeschlusses3 oder wenn der qualifiziert beteiligte Gesellschafter mit einer Auskehrung von Gesellschaftsvermögen nicht mehr rechnen kann4. Die vorstehenden dogmatischen Regeln sind zwingend, so dass der Steuerpflich- 3.121 tige, der nach § 17 EStG Beteiligte, kein Wahlrecht hat5. Im Ergebnis ist der frühestmögliche Zeitpunkt der Verlustgeltendmachung die zivilrechtliche Auflösung oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, nicht jedoch schon der dahingehende Antrag. Letztmögliche Veranlagungsperiode der Verlustgeltendmachung ist der förmliche Abschluss der Liquidation. 2. Erbschaft- und Schenkungsteuer a) Bedeutung Nach §§ 13a, 13b ErbStG kommt es nach derzeit anwendbarem Recht zu einer 3.122 zweigleisigen Verschonungstechnik für unternehmerisches Vermögen. Nach dem Grundmodell der Verschonung von Unternehmensvermögen bleiben 85 v.H. des begünstigten Vermögens außer Ansatz. Dies folgt aus §§ 13a Abs. 1 Satz 1, 13b Abs. 4 ErbStG. Es kommt damit zu einer Sockelbesteuerung von 15 v.H. Nach dem Grundmodell der Verschonung besteht eine fünfjährige Haltefrist. Zum einen darf nach § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG die Summe der maßgeblichen jährlichen Lohnsumme des § 13a Abs. 4 ErbStG des Betriebs, der Beteiligung an einer Personengesellschaft oder Anteilen an einer Kapitalgesellschaft des Betriebs der jeweiligen Gesellschaft innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb insgesamt 400 v.H. der Ausgangslohnsumme nicht unterschreiten. Wird die Mindestlohnsumme unterschritten, dann führt dies zu einer Nachsteuer in Höhe der Quote, mit der die jeweils maßgebliche Mindestlohnsumme unterschritten wird. In diesem Umfang vermindert sich der Verschonungsabschlag. Zudem setzt die Regelverschonung voraus, dass das Vermögen des begünstigten Rechtsträgers nicht zu mehr als 50 v.H. aus sog. Verwaltungsvermögen besteht (§ 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG). 1 BFH v. 12.12.2000 – VIII R 52/93, BStBl. II 2001, 286 = GmbHR 2001, 257; BFH v. 4.10. 2007 – VIII S 3/07, BFH/NV 2008, 209; BFH v. 30.5.2012 – IV B 138/11, BFH/NV 2012, 1783; BFH v. 2.12.2014 – IX R 8/14, BFH/NV 2015, 666; auch OFD Berlin, GmbHR 2000, 1219. 2 BFH v. 27.11.1995 – VIII B 16/95, BFH/NV 1996, 406. 3 BFH v. 4.11.1997 – VIII R 18/94, BStBl. II 1999, 344 = GmbHR 1998, 198. 4 BFH v. 12.12.2000 – VIII R 36/97, BFH/NV 2001, 761. 5 Statt aller Gosch in Kirchhof, § 17 EStG Rz. 127.

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3.123

3. Teil: Liquidation

3.123 Zusätzlich zur Lohnsummenregelung darf innerhalb der Behaltefrist das begünstigte Vermögen nicht unter einen Nachsteuertatbestand des § 13a Abs. 5 ErbStG fallen. Ist dies im Einzelfall gegeben, dann kommt es zu einem zeitlich bezogenen quotalen Wegfall des Verschonungsabschlags (§ 13a Abs. 5 Satz 2 ErbStG). 3.124 Statt der Regelverschonung kann auf § 13a Abs. 8 ErbStG eine Option auf einen Verschonungsabschlag von 100 v.H. ausgeübt werden. An die Stelle der Lohnsummenfrist von fünf Jahren tritt dann eine Lohnsummenfrist von 7 Jahren. Im Übrigen wird auch die Behaltefrist auf 7 Jahre verlängert, und das Verwaltungsvermögen darf nur 10 v.H. im Verhältnis zum Unternehmenswert betragen. 3.125 Für die hier interessierende Kapitalgesellschaft (GmbH) findet sich in § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG die Regelung, die darüber entscheidet, ob es sich um begünstigtes Vermögen handelt. Begünstigt sind nur Anteile an Kapitalgesellschaften, wenn die Gesellschaft zur Zeit der Entstehung der Steuer Sitz oder Geschäftsleitung im Inland oder in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Staat der EWR hat und der Erblasser oder Schenker am Nennkapital unmittelbar zu mehr als 25 v.H. beteiligt ist. Aus dem Wortlaut des § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 ErbStG wird nicht deutlich, ob nur kapitalgesellschaftsrechtliche Beteiligungen in einem Privatvermögen oder auch solche in einem Betriebsvermögen erfasst werden. Aus dem Umkehrschluss aus § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ErbStG sollte sich ergeben, dass es nur um privat gehaltene Beteiligungen geht. Wenn dort nämlich Anteile an Kapitalgesellschaften als schädliches Verwaltungsvermögen eingeordnet werden und die Beteiligung nicht über 25 v.H. liegt, dann muss es um Konstellationen gehen, in denen derartige Beteiligungen im Grundsatz begünstigt sind. Auch wenn die Mindestbeteiligungsquote nicht erreicht wird, kann es über § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG zu einer Begünstigung kommen: In einem sog. Pool gehaltene Anteile werden begünstigt, wenn die Summe der gepoolten Anteile die Beteiligungsquote von 25 v.H. überschreitet. Dazu muss sich der Erblasser oder Schenker gemeinsam mit anderen Anteilseignern einer einheitlichen Verfügungsbeschränkung und Stimmbindung unterwerfen. 3.126 Aufgrund eines Vorlagebeschlusses des II. Senats des BFH nach Art. 100 Abs. 1 GG hat das BVerfG mit Entscheidung vom 17.12.20141 die Regelungen für die Verschonung unternehmerischen Vermögens nach §§ 13a, 13b ErbStG und infolge davon das komplette ErbStG wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG für verfassungswidrig erklärt. Der Steuergesetzgeber muss bis spätestens zum 30.6.2016 eine verfassungskonforme Neuregelung verabschieden. Bis dahin bleibt das geltende Recht weiterhin anwendbar. Die BReg hat am 8.7. 2015 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der wesentlich von der bisherigen Konzeption abweicht. Insbesondere sollen Vermögensgegenstände des bisherigen Verwaltungsvermögens komplett aus der Begünstigung herausgenommen werden und bei sog. Großerwerben (über 26 Mio. Euro) soll eine sog. Bedürfnisprüfung stattfinden. Der Erwerber eines Großerwerbs muss bis zu 50 v.H. seines (auch schon vorhandenen) Privatvermögens zur Erbschaftsteuerzahlung einsetzen; im Übrigen wird die Steuer dann aber erlassen. Ob der Entwurf Gesetz wird, wird sich frühestens Ende 2015 entscheiden. Da die Rechtslage sehr wahrscheinlich für die Steuerpflichtigen nicht günstiger wird, sollte mit Widerrufsklauseln oder 1 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50 = GmbHR 2015, 88.

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Steuerrechtliche Konsequenzen für den Anteilseigner

3.129

Steuerklauseln gearbeitet werden, wenn es um eine vorweggenommene Erbfolge geht. Die Steuer kann dann gegebenenfalls über § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG rückabgewickelt werden. Für den Zwischenzeitraum ist der Zuwendungsempfänger derzeit und wohl auch im Zukünftigen nicht nach § 29 Abs. 2 ErbStG wie ein Nießbraucher zu behandeln. b) Wegfall der Begünstigungen Für die hier interessierenden Konstellationen der Krise bzw. der Insolvenz einer 3.127 GmbH nach einer vorweggenommenen Erbfolge oder nach einem Erbfall ist § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 ErbStG einschlägig. Sind die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt, dann führt dies zu einem Wegfall des Verschonungsabschlags, der sich aber auf den Teil beschränkt, der dem Verhältnis der im Zeitpunkt der schädlichen Verfügung verbleibenden Behaltensfrist einschließlich des Jahres, in dem die Verfügung erfolgt, zur gesamten Behaltensfrist erfolgt. Es kommt also zu einer Art Abschmelzungsmodell. Zu beachten ist, dass die Behalteregelung für kapitalgesellschaftsrechtliche Beteiligungen des § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 ErbStG nur einschlägig ist, wenn die zunächst begünstigt erworbenen Anteile sich in einem Privatvermögen befinden. Handelt es sich um Anteile an einer Kapitalgesellschaft, die in einem Betriebsvermögen eines Einzelunternehmens oder einer Personengesellschaft liegen, dann greifen insoweit die Behalteregelungen in § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 ErbStG ein1. Schädlich ist nach § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 ErbStG zunächst die teilweise oder 3.128 komplette Veräußerung der begünstigt erworbenen Anteile. Gleiches gilt, wenn die Kapitalgesellschaft innerhalb der Behaltefrist aufgelöst oder ihr Nennkapital herabgesetzt wird, wenn wesentliche Betriebsgrundlagen veräußert werden und das Vermögen verteilt wird. Insbesondere die Auflösung der Kapitalgesellschaft/ GmbH durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist damit nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Konstellation, die zum teilweisen oder vollständigen Wegfall der zuvor gewährten Begünstigung führt. Man könnte allerdings an eine teleologische Reduktion des § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 ErbStG denken, wenn denn die Auflösung der Kapitalgesellschaft nicht freiwillig erfolgt. Nach der einschlägigen und gefestigten Rechtsprechung des BFH ist dies unerheblich2. Dem ist zuzustimmen. Zum einen ist der Wortlaut des § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 ErbStG eindeutig. Zum anderen darf nicht übersehen werden, dass die erbschaftsteuerrechtlichen Privilegien der §§ 13a, 13b ErbStG in erster Linie nicht (subjektive) Begünstigungen für den Erwerber darstellen sollen. Im Mittelpunkt der Begünstigungen steht der (objektive) Erhalt des begünstigten Unternehmensträgers. Fällt dieser – hier infolge Liquidation – weg, dann sieht der Steuergesetzgeber keinen Anlass mehr, es bei der vollen Begünstigung zu belassen. Wird im Zuge einer Sanierung das Vermögen der Kapitalgesellschaft nach §§ 3 ff. 3.129 UmwStG übertragen, dann ist zwar im Grundsatz der Nachversteuerungstatbestand des § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 ErbStG erfüllt, doch verweist § 13a Abs. 5 1 Statt aller Weinmann in Mönch, § 13a ErbStG Rz. 125. 2 BFH v. 21.3.2007 – II R 19/06, BFH/NV 2007, 1321; vgl. auch BFH v. 16.2.2005 – II R 39/03, BStBl. II 2005, 571; BFH v. 4.2.2010 – II R 25/08, BStBl. II 2010, 663 = GmbHR 2010, 671.

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3.130

3. Teil: Liquidation

Satz 1 Nr. 4 Satz 2 a.E. ErbStG auf § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 ErbStG. Daraus folgt, dass die Umwandlung in ein Einzelunternehmen oder in eine Personengesellschaft nicht von vornherein zur Nachversteuerung führt. Schädlich ist erst die Veräußerung bzw. einer der gleichgestellten Tatbestände des im Rahmen der Umstrukturierung erworbenen Einzelunternehmens oder der Beteiligung an einer Personengesellschaft.

III. Liquidationsbesteuerung der GmbH & Co. KG 1. Steuersystematische Grundlagen 3.130 Steuersystematisch muss die Liquidation/Beendigung einer gewerblich tätigen Personengesellschaft zu einer Schlussbesteuerung führen, die von der Idee getragen ist, dass die im gesamthänderisch gebundenen Vermögen aufgelaufenen (stillen) Reserven bzw. die Verluste erfasst werden. Der innere Grund dafür liegt darin, dass die Beendigung der Personengesellschaft/der steuerrechtlichen Mitunternehmerschaft nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 EStG zugleich die Einkunftsquelle des einzelnen Mitunternehmers bedeutet, so dass die während der Haltedauer der Einkunftsquelle aufgelaufenen Wertsteigerungen oder noch nicht realisierten Verluste erfasst werden müssen. 3.131 Kommt es bei einer Personengesellschaft (hier: der GmbH & Co. KG) zu einem Auflösungstatbestand, dann tritt die Gesellschaft zivilrechtlich in das Liquidationsstadium bis zur Vollbeendigung ein. Konsequenterweise hat der Eintritt eines Auflösungsgrundes zunächst auch steuerrechtlich keine Konsequenzen. Entscheidend für die Betriebsaufgabe, die steuerrechtliche Beendigung der mitunternehmerischen Verbundenheit, ist die Einstellung der werbenden Tätigkeit der Gesellschaft. 2. Betriebsaufgabe 3.132 Wenn nach § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG als Veräußerung auch die Aufgabe eines Gewerbebetriebs sowie eines Mitunternehmeranteils „gilt“, dann deutet der Wortlaut der Norm auf eine gesetzliche Fiktion hin, so dass danach ein gewinnrealisierender oder verlustrealisierender Tatbestand anzunehmen wäre, der sich aus allgemeinen Grundsätzen nicht ergeben würde. Dann hätte der Betriebsaufgabetatbestand konstitutive Wirkung. Demgegenüber ist die Rechtsprechung des BFH der Auffassung, dass eine Betriebsaufgabe eine besondere Form der Entnahme darstellt, nämlich eine Totalentnahme, so dass nach dieser Vorstellung schon aus § 4 Abs. 1 EStG abgeleitet werden kann, dass es bei einer Betriebsaufgabe zu einer Gewinnrealisierung oder Verlustrealisierung kommt1. 3.133 Im Einzelnen ist die Betriebsaufgabe des § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG von folgenden Voraussetzungen abhängig2: – Entschluss, den Betrieb aufzugeben; 1 BFH v. 13.12.1983 – VIII R 90/81, BStBl. II 1984, 474, 478 = GmbHR 1984, 210; Wacker in Schmidt, § 16 EstG Rz. 170 ff. 2 Vgl. BFH v. 26.4.2001 – IV R 14/00, BStBl. II 2001, 798 = GmbHR 2001, 831; Stahl in Korn, § 16 EStG Rz. 234 ff.

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Liquidationsbesteuerung der GmbH & Co. KG

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3.139

Einstellung der bisherigen Tätigkeit; Überführung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen in das Privatvermögen; innerhalb eines einheitlichen Vorgangs; äußerliche Erkennbarkeit der Überführung in das Privatvermögen.

3. Rechtsfolgen Der wesentliche Effekt der Qualifizierung eines Sachverhalts als Betriebsaufgabe 3.134 des § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG besteht in drei Rechtsfolgen: Gibt eine Personengesellschaft/Mitunternehmerschaft ihren Betrieb auf, dann 3.135 steht jedem Mitunternehmer, soweit es sich um eine natürliche Person handelt, der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG zu, wenn denn die dort genannten Voraussetzungen gegeben sind. Da § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG u.a. auf § 16 EStG Bezug nimmt, besteht die wesent- 3.136 liche Funktion des § 16 EStG in Gewinnsituationen darin, dass er gleichsam Vorschaltnorm zu den Tarifbegünstigungen des § 34 EStG ist. Für Aufgabegewinne kommt die sog. Fünftelungsregelung in § 34 Abs. 1 EStG zum Zuge. Auf Antrag kann es auch zur ermäßigten Besteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG kommen, wenn der Aufgabegewinn für den jeweiligen Mitunternehmer 5 Mio. Euro nicht übersteigt und wenn der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat oder wenn er im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig ist. Der ermäßigte Steuersatz beträgt derzeit 56 v.H. des Durchschnittssteuersatzes, der sich ergibt, wenn die tarifliche Einkommensteuer nach dem gesamten zu versteuernden Einkommen zu bemessen wäre. Für die GmbH & Co. KG ist von Bedeutung, dass § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG diejeni- 3.137 gen Einkunftsteile aus den Tarifbegünstigungen des § 34 EStG ausklammert, die nach §§ 3 Nr. 40 lit. b, 3c Abs. 2 EStG teilweise steuerbefreit sind. Bezogen auf eine (typische) GmbH & Co. KG bedeutet das, dass eine Gewinnrealisierung in Bezug auf die Anteile des Kommanditisten an der Komplementär-GmbH nicht den Tarifbegünstigungen des § 34 EStG unterliegt, vielmehr (ab 2009) das Teileinkünfteverfahren des § 3 Nr. 40 lit. b EStG anzuwenden ist. Da bei einer Betriebsaufgabe mangels entgeltlicher Veräußerung des gesamten 3.138 Unternehmens ein einheitlicher Veräußerungspreis fehlt, muss das Gesetz auf Ersatzgrößen zurückgreifen. Wenn einzelne Wirtschaftsgüter der Mitunternehmerschaft im Rahmen der Aufgabe veräußert werden, dann ist der Veräußerungspreis anzusetzen (§ 16 Abs. 3 Satz 6 EStG). Werden die Wirtschaftsgüter nicht veräußert, dann kommt es auf den gemeinen Wert im Aufgabezeitpunkt an (§ 16 Abs. 3 Satz 7 EStG). Sind bei der Aufgabe – wie bei der Mitunternehmerschaft – mehrere Steuersubjekte beteiligt, dann ist für jeden einzelnen Beteiligten der gemeine Wert der Wirtschaftsgüter anzusetzen, die er bei Auseinandersetzung erhalten hat (§ 16 Abs. 3 Satz 8 EStG). Werden einzelne Wirtschaftsgüter im Rahmen der Betriebsaufgabe unter den Vo- 3.139 raussetzungen des § 16 Abs. 3 Satz 5 EStG veräußert, dann handelt es sich nicht um einen Teil des begünstigten Aufgabegewinns, sondern um einen fiktiven laufenden Gewinn, nämlich dann, wenn auf Seiten des Veräußerers und auf Seiten des Erwerbers dieselben Steuersubjekte Unternehmer oder Mitunternehmer sind. Crezelius

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3.140

3. Teil: Liquidation

3.140 Kommt es im Zuge der Liquidation der GmbH & Co. KG – insbesondere in den hier in Rede stehenden Krisensituationen – zu einem Verlust des Gesellschafters, dann handelt es sich grundsätzlich um negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb des Personengesellschafters/Mitunternehmers, der nach den allgemeinen Verlustausgleichsregeln zu behandeln ist und dann insbesondere auch in den Anwendungsbereich des § 10d EStG fällt. Der bei einer typischen GmbH & Co. KG auf den Anteil an der Komplementär-GmbH entfallende Verlust unterliegt dem Teilabzugsverfahren des § 3c Abs. 2 EStG. 3.141 Bei einer GmbH & Co. KG kann im Zuge einer Betriebsaufgabe ein negatives Kapitalkonto des Kommanditisten auf der Gesamthandsebene wegfallen, ohne dass der Kommanditist das Verlustausgleichsvolumen auszugleichen hat. In diesem Fall gilt der Betrag, den der Mitunternehmer nicht ausgleichen muss, als Veräußerungsgewinn nach § 16 EStG1. Dabei ist wie folgt zu differenzieren: Liegt ein negatives Kapitalkonto durch Zurechnung von Verlusten vor, die nicht ausgleichsund abzugsfähig waren, weil § 15a EStG noch nicht anwendbar war, dann ist nicht geklärt, ob es sich um einen nach §§ 16, 34 EStG begünstigten Gewinn handelt oder um einen Vorgang der allmählichen Abwicklung2. Ist das negative Kapitalkonto durch Zurechnung nur verrechenbarer, also nicht unmittelbar ausgleichsfähiger Verlustanteile entstanden, dann ist der Wegfall des handelsrechtlichen negativen Kapitalkontos für den betreffenden Kommanditisten einkommensteuerrechtlich unerheblich, soweit das negative Kapitalkonto dem noch verrechenbaren Verlust entspricht. 3.142 Die Aufgabe des Gewerbebetriebs der Mitunternehmerschaft führt zu ihrer handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Beendigung. Es kann aber so liegen, dass noch nachträgliche positive oder negative Einkünfte anfallen. § 24 Nr. 2 EStG zeigt, dass die nachträglichen Einkünfte zu besteuern sind. Geht es um negative Größen, beispielsweise um noch nach Beendigung der Gesellschaft anfallende Schuldzinsen für betriebliche Verbindlichkeiten, dann sind Zinsen aus Schulden der Gesellschaft nachträgliche Betriebsausgaben des Gesellschafters/Mitunternehmers und nach § 4 Abs. 4 EStG abziehbar, wenn denn die Personengesellschaft abgewickelt worden ist und das liquidierte Gesamthandsvermögen nicht zur Tilgung der Gesellschaftsschulden ausgereicht hat3. Wenn jedoch die Aktiva der Gesellschaft im Rahmen der Liquidation nicht zur Schuldentilgung eingesetzt worden sind und deshalb Schulden bestehen bleiben, so sollen sie nach der Rechtsprechung des BFH ihre Qualität als Betriebsschulden verlieren4. Das ist nicht unbedenklich, weil es um einen Eingriff in die Finanzierungsfreiheit des Personengesellschafters geht, dem es freistehen sollte, ob er die betrieblichen Verbindlichkeiten im Rahmen der Liquidation ablöst oder nicht. 4. Erbschaftsteuer 3.143 Kommt es zur Liquidation einer GmbH & Co. KG, dann sind auch eventuelle erbschaft- und schenkungsteuerrechtliche Konsequenzen zu bedenken. In der Sache 1 2 3 4

BFH v. 11.8.1994 – IV R 124/92, BStBl. II 1995, 253 = GmbHR 1995, 312. Näher Wacker in Schmidt, § 15a EStG Rz. 241. BFH v. 13.2.1996 – VIII R 18/92, BStBl. II 1996, 291 = GmbHR 1996, 544. BFH v. 21.11.1989 – IX R 10/84, BStBl. II 1990, 213.

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Liquidationsbesteuerung der GmbH & Co. KG

3.144

geht es darum, ob zunächst nach §§ 13a, 13b ErbStG gewährte Vergünstigungen wegfallen und es nachträglich zu einer Höherbesteuerung kommt (näher Rz. 3.127). Ist die Beteiligung an einer GmbH & Co. KG unentgeltlich übertragen worden 3.144 bzw. im Erbfall auf Grund § 1922 BGB auf den oder die Rechtsnachfolger übergegangen, so kommt entweder das Grundverschonungsmodell der §§ 13a Abs. 1, 13b Abs. 4 ErbStG bzw. die wahlweise Verschonung des § 13a Abs. 8 ErbStG in Betracht. Dies ist allerdings mit Behalteregelungen verknüpft. § 13a Abs. 5 Nr. 1 ErbStG übernimmt die einkommensteuerrechtliche Systematik, nach der eine Betriebsaufgabe als Veräußerung gilt. Infolge dessen fallen der erbschaftsteuerrechtliche Verschonungsabschlag mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber innerhalb von fünf Jahren bzw. nach § 13a Abs. 8 ErbStG innerhalb von sieben Jahren den Anteil veräußert oder wenn (im vorliegenden Zusammenhang interessierend) die unternehmerische Tätigkeit der GmbH & Co. KG aufgegeben wird. Dabei beschränkt sich nach § 13a Abs. 5 Satz 2 ErbStG der Wegfall des Verschonungsabschlags auf den Teil, der dem Verhältnis der im Zeitpunkt der schädlichen Verfügung verbleibenden Behaltefrist einschließlich des Jahres, in dem die Verfügung erfolgt, zur gesamten Behaltefrist entspricht. Letztlich handelt es sich um ein sog. Abschmelzungsmodell (Rz. 3.127 ff.).

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4. Teil: Sanierung und Zerschlagung als alternative Ziele des Insolvenzverfahrens A. Zwecke und Ziel des Insolvenzverfahrens I. Liquidations- und Sanierungszweck 1. Gesetzliche Zwecke des Insolvenzverfahrens Nach § 1 Satz 1 InsO dient das Insolvenzverfahren dazu, die Gläubiger eines 4.1 Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung, insbesondere zum Erhalt des Unternehmens, getroffen wird. Hierin kommen die Varianten des sog. Zerschlagungskonkurses und des Reorganisationsverfahrens alternativ zum Ausdruck. Ein Zwischenmodell ist die übertragende Sanierung im Insolvenzverfahren (dazu Rz. 7.141). Bei ihr wird das Unternehmen oder ein Teilbetrieb durch Veräußerung aus der Masse reorganisiert, die Gesellschaft als Rechtsträgerin dagegen zerschlagen, indem das Unternehmen in Geld umgesetzt (also buchstäblich liquidiert) wird1. Nicht von unmittelbarem Interesse ist bei der GmbH oder GmbH & Co. KG § 1 Satz 2 InsO, wonach dem redlichen Schuldner Gelegenheit gegeben wird, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien, denn die Restschuldbefreiung kommt nach § 286 InsO nur natürlichen Personen zugute. Mit dieser Maßgabe – also für natürliche Personen als Gesellschafter und für Geschäftsführer – kann zwar das Verfahrens der Restschuldbefreiung auch im Gefolge einer GmbH-Insolvenz zum Zuge kommen (Rz. 10.4 ff.), aber auf die GmbH (bzw. GmbH & Co. KG) selbst ist es nicht anzuwenden. Diese wird im Insolvenzverfahren entweder liquidiert oder saniert. Letzteres ist im reformierten Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG seit 2012 wahrscheinlicher geworden. Rein quantitativ steht allerdings nach wie vor die Liquidation im Vordergrund, nicht die Sanierung2. Unternehmenssanierungen im eröffneten Verfahren bleiben zahlenmäßig die Ausnahme, sind also auch nach der ESUG-Reform nicht die statistische Regel. Mehr und mehr werden jedoch die Sanierungsoptionen der Insolvenzordnung ernst genommen, und, wo dies ökonomisch angezeigt ist, genutzt. 2. Verhältnis zum gesellschaftsrechtlichen Liquidationsverfahren a) Das Insolvenzrecht der Gesellschaften ist durch die Aufgabe einer Versöhnung 4.2 von Insolvenzrecht und Liquidationsrecht geprägt3. Das bei Rz. 7.1 bemängelte frühere Versagen des Gesellschafts-Insolvenzrechts wird durch die Insolvenzordnung allein nicht effektiv überwunden. Dies ist vielmehr eine Aufgabe der das Ge1 Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass mit einer Reorganisation auch eine Teil-Übertragung des Unternehmens einhergehen kann. 2 Vgl. auch Flöther, ZIP 2012, 1833, 1838 ff.; nach wie vor unrealistisch die Einschätzung, das Insolvenzrecht sei nach der InsO „in erster Linie ein Sanierungsrecht“ (so Ehlers, ZInsO 2005, 169, 174 f.). 3 Vgl. zum Folgenden näher die These bei Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 26 f.; Karsten Schmidt, ZGR 1998, 633 ff.

Karsten Schmidt

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4.3

4. Teil: Sanierung/Zerschlagung – alternative Ziele des Insolvenzverfahrens

setz ausfüllenden Praxis und Wissenschaft. Bis hinein ins Detail muss zur Kenntnis genommen werden, dass das Gesellschafts-Insolvenzverfahren ein auf Grund der ökonomischen Situation durch weitgehend zwingendes, der Insolvenzsituation angemessenes Recht geregeltes Abwicklungsverfahren ist. Die Abwicklung ist nicht unumkehrbar. Wie die gesellschaftsrechtliche Auflösung kann auch das Insolvenzverfahren (§§ 217 ff. InsO) und wie das Insolvenzverfahren kann auch die gesellschaftsrechtliche Auflösung statt in einer Vollabwicklung in einer Reorganisation der Gesellschaft einmünden1. Insofern tat der Gesetzgeber Recht daran, die Verfahrenseröffnung in § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG (im Fall der GmbH & Co. KG: §§ 131 Abs. 1 Nr. 3, 161 Abs. 2 HGB) zu einem Auflösungsgrund zu erklären. Die Abwicklungsprozedur ist allerdings verschieden insofern, als die Insolvenz-Abwicklung strengeren Regeln folgt als die rein gesellschaftsrechtliche Abwicklung. Dagegen passt die Reorganisation der Gesellschaft im Insolvenzplanverfahren (§§ 217 ff. InsO) sehr gut dazu, dass aufgelöste Gesellschaften auch sonst unter Behebung des zur Auflösung führenden Grundes fortgesetzt werden können (dazu Rz. 3.8). Insolvenzrechtliche und gesellschaftsrechtliche Abwicklung stehen also zueinander in einem stimmigen Verhältnis. Allerdings können die Gesellschafter in einem eröffneten Insolvenzverfahren nicht ohne weiteres über die Fortsetzung beschließen, sondern dies ist nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG nur möglich, wenn das Insolvenzverfahren auf Antrag der Schuldnerin nach §§ 212 ff. InsO eingestellt oder gemäß § 258 InsO nach Bestätigung eines Insolvenzplans aufgehoben worden ist. Das leuchtet ein. Bei der rein gesellschaftsrechtlichen Liquidation sind die Gesellschafter Herren der Abwicklung und damit auch der Fortsetzung der Gesellschaft, im Insolvenzverfahren sind sie es nicht. Wegen der auch hier zu beachtenden gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen der Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft gelten die bei Rz. 7.831 ff. dargestellten Grundsätze. 4.3 b) Umstritten und durchaus praxisrelevant ist die Frage, ob das Insolvenzverfahren, wenn es nicht in einem Insolvenzplan endet oder sonst eingestellt wird, auf Vollbeendigung der Gesellschaft zielt (vgl. auch Rz. 7.835). Dass dies bei der Gesellschaftsinsolvenz so ist, wurde vom Verfasser schon unter der Konkursordnung vertreten2 und ist erst recht unter der Insolvenzordnung für richtig zu halten3. Wenn nicht das Insolvenzverfahren eingestellt (§§ 207 ff. InsO) oder im Insolvenzplanverfahren aufgehoben wird (§ 258 InsO), endet es erst mit der Vollabwicklung der Gesellschaft. § 1 Abs. 2 Satz 3 des Regierungsentwurfs hatte ausdrücklich gelautet: „Bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit tritt das Verfahren an die Stelle der gesellschafts- oder organisationsrechtlichen Abwicklung“. Diese Formulierung wurde bei der Verabschiedung der Insolvenzordnung nur zum Zweck der redaktionellen Straffung gestrichen. Erhalten blieb vor allem die praktisch gegenstandslose, jedoch systematisch vielsagende Regelung, wonach ein Liquidations-Überschuss vom Verwalter an die Gesellschafter

1 Vgl. Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 79 ff., 96 ff. 2 Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 151 ff.; Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze, § 1 KO Anm. 1 A c. 3 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 119 ff.; Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 176; Karsten Schmidt, ZGR 1998, 633, 635.

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Insolvenzstrategien

4.7

zu verteilen ist (§ 199 Satz 2 InsO)1. Das ist auch sachgerecht. Gleichwohl halten der Bundesgerichtshof2 und das Bundesverwaltungsgericht3 daran fest, dass die Vollabwicklung nicht Zweck und Gegenstand des Insolvenzverfahrens bei einer Handelsgesellschaft ist4. Das hat Auswirkungen vor allem auf das Verständnis der Insolvenzmasse einer Gesellschaft (Rz. 7.10 ff.) und auf die Möglichkeit der Freigabe (Rz. 7.21).

II. Insolvenzstrategien Insolvenzanträge können unterschiedliche Strategien verfolgen. Nach schulmäßi- 4.4 gem Gesetzesrecht haben sie ein einheitliches Ziel: die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. De facto haben die Anträge unterschiedliche Ziele: 1. Gläubigerantrag Der Gläubigerantrag (Rz. 5.179 ff.) wird typischerweise Befriedigungsinteressen 4.5 verfolgen. Hierauf stützt sich das Rechtsschutzinteresse des antragstellenden Gläubigers. Der Antrag ist deshalb unzulässig, wenn der Gläubiger durch Absonderungsrechte hinreichend gesichert ist5. Im Übrigen schließt die Stellung eines Gläubigerantrags die Überleitung in ein Insolvenzplanverfahren nach §§ 217 ff. InsO keineswegs aus (zum Insolvenzplan vgl. Rz. 8.1 ff.). Ein nur als Druckmittel zur Leistungserzwingung gestellter, nicht wirklich auf die Verfahrenseröffnung zielender Antrag kann als unzulässig abgewiesen werden, weil er verfahrensfremde Zwecke verfolgt6. Dagegen ist ein Gläubigerantrag, der in der Erwartung einer möglichen Übernahme des Gesellschaftsunternehmens gestellt wird – etwa wenn der Antragsteller schon eine Auffanggesellschaft bereithält –, nicht notwendig unzulässig. Dies gilt nicht nur im Insolvenzverfahren (vgl. dazu Rz. 8.1 ff.). Die bei einer übertragenden Sanierung im Insolvenzverfahren zu beachtenden Regeln (Rz. 7.141) bieten den Interessensträgern hinreichenden Schutz. 2. Schuldnerantrag Im Fall eines Schuldnerantrags ist zu unterscheiden zwischen insolvenztypischen 4.6 Antragszielen und der Bewältigung von Interessenkonflikten im Unternehmen. a) Als insolvenztypische Antragsziele sind diejenigen zu bezeichnen, die sich mit 4.7 der Überwindung oder Sanktionierung von Liquiditätskrisen oder von Überschuldungssituationen verbinden (nach § 18 InsO allerdings auch bei bloß drohender 1 Vgl. dazu auch H.-F. Müller, Der Verband in der Insolvenz, 2002, S. 13 ff.; Haas in Baumbach/Hueck, § 60 GmbHG Rz. 62; Haas in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 91 Rz. 12; Henckel in Jaeger, § 35 InsO Rz. 147; Ganther/Lohmann in Münchener Kommentar zur InsO, § 1 InsO Rz. 47; Pape in Uhlenbruck, § 1 InsO Rz. 11. 2 BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, BGHZ 148, 252, 258 = NJW 2001, 2966, 2968; BGH v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32, 53 = NJW 2005, 2005, 2006. 3 BVerwG v. 23.9.2004 – 7 C 2.03, ZIP 2004, 2145, 2147. 4 Dazu etwa Ganther/Lohmann in Münchener Kommentar zur InsO, § 1 InsO Rz. 5. 5 BGH v. 29.11.2007 – IX ZB 12/07, ZIP 2008, 281. 6 AG Duisburg v. 18.11.2002 – 62 IN 171/02, NZI 2003, 161; Wehr in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 14 InsO Rz. 52.

Karsten Schmidt

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4.8

4. Teil: Sanierung/Zerschlagung – alternative Ziele des Insolvenzverfahrens

Zahlungsunfähigkeit verfolgt werden können). Der Schuldnerantrag (zur Antragsberechtigung vgl. Rz. 5.170) kann auf Verwertung der Insolvenzmasse zugunsten der Gläubiger, aber auch auf ein Insolvenzplanverfahren zielen (vgl. zum „prepackaged plan“ Rz. 8.46). Er kann den Verlauf eines Insolvenzverfahrens in Zerschlagungsrichtung oder in Reorganisationsrichtung auch zunächst offen lassen. Im günstigsten Fall geht der Geschäftsführer mit einer mit Großgläubigern und mit den Gesellschaftern abgestimmten Strategie in das Insolvenzverfahren. Grundlage ist dann zweckmäßigerweise ein Beschluss der Gesellschafter über den Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO (dazu Rz. 5.45). In der Realität wird von dieser Möglichkeit allerdings zu wenig Gebrauch gemacht, weil Eigenanträge meistens unter dem Druck der Antragspflicht nach § 15a InsO und deshalb für eine Sanierung tendenziell zu spät gestellt werden (zur Antragspflicht vgl. Rz. 11.1 ff.). 4.8 b) Diskutiert wird seit dem Suhrkamp-Verfahren (dazu auch Rz. 4.8, 4.9, 8.29) die Zulässigkeit eines Insolvenzverfahrens zur Bereinigung von Gesellschafterstreitigkeiten im Insolvenzplanverfahren1. Mehr und mehr fällt der Blick jenseits der im vorliegenden Buch behandelten Sanierungsanstrengungen auf das Insolvenzverfahren als Mittel zur Verfolgung strategischer Ziele (strategische Insolvenz)2. Eine weitere Verfremdung des Insolvenzverfahrens wird von der Möglichkeit eines Übernahmeszenarios mit Hilfe eines Distressed Debt Purchase (dazu Rz. 2.426) und eines Debt Equity Swap im Insolvenzplanverfahren (dazu Rz. 8.26) befürchtet3. Einen gewissen Schutz der Minderheitsgesellschafter bietet die Abhängigkeit der Verfahrenseröffnung von den Tatbeständen der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit. Gegen einen auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten Insolvenzantrag ist grundsätzlich nur die Mehrheit geschützt (vgl. zum Erfordernis eines Gesellschafterbeschlusses beim Antrag nach § 18 InsO Rz. 5.53). Liegt wirklich nur drohende Zahlungsunfähigkeit vor und wird der Antrag nicht einmütig von den Gesellschaftern gestützt, so kann die Antragstellung ausnahmsweise missbräuchlich und unzulässig sein, wenn sie dem Ziel dient, das Unternehmen mit Squeeze-out-Effekt auf eine von der Gesellschaftermehrheit gegründete Auffanggesellschaft zu überführen, ohne dass den Minderheitsgesellschaftern eine Chance auf Beteiligung gegeben wird4.

1 Zu dieser Fragestellung vgl. etwa Undritz in Kübler, HRI, § 2 Rz. 4; Schäfer, ZIP 2014, 2417; Böcker, DZWIR 2015, 10; Westermann, NZG 2015, 134. 2 Eingehend dazu Eidenmüller, ZIP 2014, 1197. 3 Vgl. Karsten Schmidt, ZIP 2012, 2085. 4 Die Frage wird, soweit ersichtlich, so noch nicht diskutiert.

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Karsten Schmidt

Chancen gerichtlicher Sanierungsverfahren

4.11

B. Sanierung im Insolvenzverfahren I. Chancen gerichtlicher Sanierungsverfahren 1. Das Insolvenzrecht als „Kultur der zweiten Chance“ Die Insolvenzordnung (InsO) geht von einem Gleichrang von Liquidation, über- 4.9 tragender Sanierung und Sanierung des Schuldners bzw. Schuldnerunternehmens aus1. Nach dem am 1.3.2012 in Kraft getretenen „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG; BGBl. I 2011, 2582) und der damit verbundenen Veränderung der deutschen Insolvenzkultur als „Kultur der zweiten Chance“2 steht ein sanierungsrechtliches Instrumentarium zur Verfügung, das nicht nur zur weitgehenden Entstigmatisierung des Insolvenzrechts3 führt, sondern stärkere Anreize zur frühzeitigen Insolvenzantragstellung bietet4. Das Planverfahren des Suhrkamp-Verlages 20145 hat gezeigt, dass im Insolvenzverfahren auch Umstrukturierungsmaßnahmen gegen den Willen von Gesellschaftern durchgesetzt werden können. 2. Frühzeitige Sanierungsvorbereitung nach dem ESUG Die sorgfältige Ausarbeitung eines Insolvenzplans (evtl. als „pre-packed plan“ oder 4.10 als „pre-arranged deal“) erhöht wegen der Planbarkeit und praktischen Durchführbarkeit die Chancen eines Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO, da der informierte Gläubiger eher geneigt ist, einem überzeugenden Sanierungskonzept zuzustimmen und der opponierende Gläubiger damit rechnen muss, überstimmt zu werden6. Das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO (Rz. 9.81 ff.), versetzt die Krisengesellschaft in die Lage, sich bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zur Vorbereitung einer Sanierung des Krisenunternehmens unter den Schutz der InsO zu stellen und im Rahmen einer vorläufigen Eigenverwaltung die Geschicke des Unternehmens weiter zu bestimmen, sofern die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist7. 3. Vorteile einer gerichtlichen Unternehmenssanierung Ein gerichtliches Insolvenzverfahren garantiert allen Beteiligten einen geordneten 4.11 Verfahrensablauf unter gerichtlicher Aufsicht mit der Garantie weitgehend 1 Vgl. Balz/Landfermann, Allgem. Begründung RegE Abschn. A 3. a), S. 143; Braun in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 66 Rz. 5; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 1 InsO Rz. 23 f.; Uhlenbruck, WiB 1994, 849 ff.; Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, § 1 InsO Rz. 45. 2 So die Bundesministerin der Justiz Leutheusser-Schnarrenberger, zit. bei Vallender in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 1 Rz. 94. 3 S. Vallender in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 1 Rz. 94. 4 Vgl. Kübler in Kübler, HRI, § 1 Rz. 23 ff. u. 32 ff.; Drukarczyk, NZI 2015, 110 ff. 5 Vgl. BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, NZI 2014, 751 = AG 2014, 779; BGH v. 17.9.2014 – IX ZB 26/14, NZI 2014, 904; Lang/Muschalle, NZI 2013, 53 ff.; S. Meyer, ZInsO 2013, 2361 ff. 6 Vgl. Meyer-Löwy/Bruder, GmbHR 2012, 432, 437. 7 Vgl. Spies in Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 24 Rz. 68; Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849 ff.; Bork, ZIP 2010, 397 ff.

Uhlenbruck

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4.12

4. Teil: Sanierung/Zerschlagung – alternative Ziele des Insolvenzverfahrens

gleichmäßiger Gläubigerbefriedigung1. Eine vorzeitige Unternehmenszerschlagung durch Vollstreckungsmaßnahmen der Gläubiger kann auf Antrag des Geschäftsführers durch das Insolvenzgericht verhindert werden (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO) und ist im eröffneten Verfahren kraft Gesetzes schlechthin unzulässig (§ 89 Abs. 1 InsO). 4.12 Hat ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor der Insolvenzantragstellung oder nach diesem Antrag durch Zwangsvollstreckung eine Sicherung an dem zur Insolvenzmasse gehörenden Schuldnervermögen verlangt, so greift die Rückschlagsperre des § 88 InsO ein mit der Folge, dass die Sicherung mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam wird. Die Insolvenzeröffnung über das Vermögen einer GmbH führt zum „automatic stay“ mit der Folge, dass Gläubiger ihre Geldforderungen nur nach Maßgabe der InsO geltend machen dürfen (§§ 38, 83 InsO). Rechtshängige Prozesse werden unterbrochen (§ 240 ZPO) und neue Klagen gegen die GmbH sind erst zulässig, wenn die Forderung angemeldet und bestritten worden ist (§ 179 InsO). Schließlich kann das Gericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO im Eröffnungsverfahren anordnen, dass mit Aus- oder Absonderungsrechten belastete Gegenstände, die für die Fortführung des Betriebes bedeutsam sind, vom Gläubiger nicht verwertet oder eingezogen und vom Schuldner benutzt werden dürfen. Voraussetzung für die Anordnung eines Verwertungsstopps mit Nutzungsbefugnis ist allerdings die Fortführung des Geschäftsbetriebes2. Die Nutzungsbefugnis sowie die Verarbeitungs- und Veräußerungsbefugnis ist vor allem für den Fall einer Unternehmensfortführung von größter Wichtigkeit3. 4.13 Das Schuldnerunternehmen braucht sittenwidrige Pressionen und sonstige Beeinflussungen nicht mehr zu befürchten4. Der durch die Insolvenzantragspflicht in § 15a InsO und die Dreiwochenfrist bedingte Zeitdruck entfällt ebenso wie das mit einer Insolvenzverschleppung verbundene Haftungs- und Strafbarkeitsrisiko (§ 64 GmbHG, § 15a Abs. 4 InsO). Im Wege der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) kann die Haftungsmasse oftmals deutlich angereichert werden. Bei einer übertragenden Sanierung werden die Assets meist zu einem erheblich günstigeren Kaufpreis übernommen, weil außer nach § 613a BGB keine Altverbindlichkeiten der GmbH vom Käufer übernommen werden müssen und § 25 HGB beim Erwerb

1 Einzelheiten bei Bornheimer in Nerlich/Kreplin, Münchener Anwalts-Hdb. Insolvenz und Sanierung, § 7 Rz. 18; Spliedt, InsVZ 2010, 27 ff.; Vallender, GmbHR 2012, 445, 448; Bitter, ZGR 2010, 147 ff.; Undritz in Kübler, HRI, § 2 S. 15 ff.; Bork, ZIP 2010, 397 ff. 2 BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141 = ZInsO 2010, 136; Mönning in Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 11 Rz. 69 ff.; Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270b InsO Rz. 22. 3 Vgl. Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 21 InsO Rz. 69–69g, 69d. Zur Einziehung von sicherungshalber abgetretenen Forderungen s. Vallender in Uhlenbruck, § 21 InsO Rz. 38d. Die Nutzungsbefugnis verleiht der GmbH auch das Recht zur Weiterveräußerung, Verarbeitung und Verbrauch von Eigentumsvorbehaltsware im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes. Vgl. Ganter, NZI 2007, 552; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 99; str. a.A. Andres/Hees, WZI 2011, 88 ff.; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 21 InsO Rz. 69d. 4 Bornheimer in Nerlich/Kreplin, Münchener Anwalts-Hdb. Insolvenz und Sanierung, § 7 Rz. 19.

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4.15

vom Insolvenzverwalter keine Anwendung findet1. Die Kündigungssperre bei Miete und Pacht (§ 112 InsO) erweist sich als ebenso sanierungsfördernd wie die Erfüllungswahl schwebender Geschäfte und die Kündbarkeit von Dauerschuldverhältnissen2. Langfristige Lieferverträge, die Verluste mit sich bringen, werden automatisch beendet. Die Kündigungsfrist für Arbeitnehmer wird im Insolvenzverfahren gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO auf drei Monate zum Monatsende verkürzt, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. Sozialplanansprüche der Arbeitnehmer (§ 123 InsO) werden durch eine gesetzliche absolute und relative Obergrenze kalkulierbar. Durch einen Zahlungs- und Zinsstopp fließt dem Schuldnerunternehmen meist erhebliche Liquidität zu. Ist im Insolvenzeröffnungsverfahren ein vorläufiger Verwalter bestellt worden, so 4.14 ist auf dessen Antrag gemäß § 30d Abs. 4 ZVG die Zwangsversteigerung eines Grundstücks (Betriebsgrundstücks) einstweilen einzustellen, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die einstweilige Einstellung zur Verhinderung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldnerunternehmens erforderlich ist. Ist kein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden, kann der Geschäftsführer lediglich einen Antrag nach § 30a Abs. 1 ZVG auf einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung stellen. Im eröffneten Insolvenzverfahren ist auf Antrag des Insolvenzverwalters die Zwangsversteigerung von Schuldnergrundstücken, wie z.B. des Betriebsgrundstücks, unter den Voraussetzungen des § 30d Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–4 ZVG einzustellen. Nach § 30d Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZVG genügt es für die Einstellung schon, dass durch die Versteigerung des Betriebsgrundstücks die Durchführung eines vorgelegten Insolvenzplans gefährdet würde. Die Zwangsversteigerung eines für die Betriebsfortführung benötigten Betriebsgrundstücks lässt sich im Insolvenzverfahren fast immer verhindern3.

II. Sanierungstechniken 1. Wettbewerb um die beste Verwertungsart Die Instrumente der Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) und des Insolvenzplans 4.15 (§§ 217 ff. InsO) waren von der Praxis vor dem ESUG nur für einige Großverfahren angenommen worden4. Das ESUG bietet dagegen auch mittleren und kleineren Unternehmen einen Anreiz, auf eine Unternehmenskrise rechtzeitig zu reagieren und unter dem Schutzschirm des § 270b InsO Sanierungskonzepte bzw. Insolvenzpläne vorzubereiten (Rz. 9.81 ff.)5. Der „Wettbewerb um die beste Verwer1 Eine Haftung nach § 25 HGB kommt allerdings in Betracht, wenn nur einzelne Gegenstände vom Insolvenzverwalter erworben werden. Vgl. Bornheimer in Nerlich/Kreplin, Münchener Anwalts-Hdb. Insolvenz und Sanierung, § 7 Rz. 21; Undritz in Kübler, HRI, § 2 Rz. 11 ff.; Undritz, ZGR 2010, 201, 205. Der Begriff „übertragende Sanierung“ stammt von Karsten Schmidt, ZIP 1980, 328, 329. 2 Zur Rechtsprechung des BGH s. Gehrlein, NZI 2015, 97 ff. 3 Einzelheiten bei Bitter, ZGR 2010, 147 ff.; Schorisch/Cornelius in Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 13 S. 373 ff. 4 Vgl. Ruhmberg, RIW 2010, 358, 359 ff.; Griffiths/Hellmig, NZI 2008, 418; May, ZInsO 2012, 165 ff.; kritisch auch Grub, WM 1994, 880. 5 S. Bitter, ZGR 2010, 147 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 1980, 328 ff.; Undritz, ZGR 2010, 201 ff.; Undritz in Kübler, HRI, § 2 S. 13 ff.; Hofmann in Kübler, HRI, § 7 Rz 171 ff.;

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4. Teil: Sanierung/Zerschlagung – alternative Ziele des Insolvenzverfahrens

tungsart“1 beginnt aus Gläubigersicht erst mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, aus Schuldnersicht schon mit dem Eintritt der Krise. Das Schutzschirmverfahren setzt voraus, dass drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) oder Überschuldung nach § 19 InsO eingetreten ist und (noch) keine Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) vorliegt2. Nach § 270b Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 InsO kann das Insolvenzgericht im Antragsverfahren bereits vorläufige Maßnahmen gemäß § 21 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1a, 3–5 InsO anordnen (dazu 5.491 ff.). Gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO können auf Antrag des Schuldners Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eingestellt werden (Rz. 5.211 ff.)3. 2. Wege einer gerichtlichen Unternehmenssanierung 4.16 Bei der Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens unterscheidet man drei Wege: – das Insolvenzplanverfahren, – die Eigenverwaltung sowie – die „übertragende Sanierung“4. Das ESUG hat im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens und der Eigenverwaltung wesentliche Änderungen vorgenommen, die die Sanierungschancen eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens erheblich verbessert haben5. Die gesetzliche Neuregelung in §§ 217 Satz 2, 225a Abs. 3 InsO ermöglicht es, im Insolvenzplanverfahren Forderungen der Gläubiger in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldnerunternehmen umzuwandeln (sog. Debt Equity Swap; Einzelheiten s. Rz. 2.395 und Rz. 8.26)6. Der Insolvenzverwalter hat das Recht, Anstellungsverträge mit Geschäftsführern zu kündigen und durch Insolvenzplan erfolgte gesellschaftsrechtliche Änderungen zum Handelsregister anzumelden (§ 254a Abs. 2 InsO). Die Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung bleibt im Rahmen der Eigenverwaltung im Kompetenzbereich der Gesellschafterversammlung (§ 276a Satz 1 InsO)7. Die Wirksamkeit einer Abberufung oder Be-

1 2 3 4 5 6 7

Brinkmann, DB 2012, 1369 Fn. 50; Kolmann, Schutzschirmverfahren, 2015; Vallender, GmbHR 2012, 450; Hölzle, ESUG, 2. Aufl. 2014, S. 233 ff. und S. 195 ff. Vgl. Pape in Uhlenbruck, § 1 InsO Rz. 1; Undritz/Knof in Kübler, HRI, § 2 Rz. 1 u 3 ff.; Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 15; Undritz in Kübler, HRI, § 2. Krit. Hirte, ZInsO 2011, 401, 412; Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 35 f.; Fiebig in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 270 InsO Rz. 3, 4; Undritz in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 10 Rz. 6 ff. Einzelheiten bei Hölzle in Karsten Schmidt, § 21 InsO Rz. 74 ff.; Hölzle, ESUG, § 270b InsO S. 250 Rz. 61 ff. Undritz in Karsten Schmidt, § 21 InsO Rz. 42; Vallender in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 207. Zur übertragenden Sanierung Karsten Schmidt, ZIP 1980, 329. Zur Kombination von Insolvenzplan und übertragender Sanierung vgl. Undritz in Kübler, HRI, § 2 Rz. 25 ff. S. Karsten Schmidt, BB 2011, 1603 ff.; Römermann, GmbHR 2012, 421 ff.; Vallender, GmbHR 2012, 445 ff.; Bornheimer in Münchener Anwalts-Hdb. Insolvenz und Sanierung, § 7 Rz. 22. Kübler in Kübler, HRI, § 1 Rz. 29; Hölzle, ebd., § 31 Rz. 30 ff.; Kußmaul/Palm, KSI 2012, 67 ff.; Braun/Heinrich, NZI 2011, 508; Hölzle, NZI 2011, 128 ff.; Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517 ff. S. auch Undritz in Karsten Schmidt, § 276a InsO Rz. 4; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, 2014, Rz. 353.

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stellung von Geschäftsführern hängt allerdings von der Zustimmung des Sachwalters ab (§ 276a Satz 2 InsO). Dieser hat gemäß § 276a Satz 3 InsO die Zustimmung zu erteilen, wenn die Maßnahme nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führt. 3. Vermeidung einer kreditschädlichen Publizität Eine Verpflichtung zur öffentlichen Bekanntmachung über die Einleitung eines 4.17 Schutzschirmverfahrens und die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters ist im Gesetz nicht vorgesehen1. Die Veröffentlichung steht allerdings im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, so dass das Gericht im Einzelfall das Interesse des Rechtsverkehrs und der Gläubigerschaft mit den Chancen einer optimalen Sanierung und den Interessen des Schuldnerunternehmens abzuwägen hat2. S. auch Rz. 4.24, 9.20. 4. Beschaffung notwendiger Liquidität a) Massekredite im Vorverfahren Das Krisenunternehmen braucht im Schutzschirmverfahren bis zur Eröffnung des 4.18 Insolvenzverfahrens weder den Kapitaldienst bei Banken, noch rückständige Zahlungsverpflichtungen gegenüber Lieferanten, Finanzämtern und Mitarbeitern für eine bis zu drei Monaten andauernden Phase zu berücksichtigen. Diese Zeit verschafft dem Unternehmen oftmals die notwendige Liquidität, um im eröffneten Verfahren den Umstrukturierungsprozess zumindest vorübergehend zu finanzieren3. Das Gericht kann auf Antrag der Geschäftsführung die Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen anordnen. Liquiditätsprobleme im Insolvenzeröffnungsverfahren können weitgehend dadurch beseitigt werden, dass dem vorläufigen Insolvenzverwalter ein Massekredit gewährt wird, wobei der Rückzahlungsanspruch als Masseverbindlichkeit gegenüber den bis zur Verfahrenseröffnung begründeten Forderungen vorrangig befriedigt wird (§§ 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO)4. Die GmbH hat schon im Schutzschirmverfahren die Möglichkeit, sich vom Insolvenzgericht zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Rahmen 1 Vgl. AG Göttingen v. 12.11.2012 – 74 IN 160/12, ZIP 2012, 2360; Graf-Schlicker in GrafSchlicker, § 270b InsO Rz. 28; Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765, 1766; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 23 InsO Rz. 3; Uhlenbruck in Uhlenbruck, § 23 InsO Rz. 1; Hölzle, ESUG, § 270b InsO S. 260 Rz. 101 f.; Buchalik, ZInsO 2012, 349; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 23 InsO Rz. 9 ff. 2 Gegen eine Veröffentlichung generell Hölzle in Karsten Schmidt, § 23 InsO Rz. 4. S. auch AG Göttingen v. 12.11.2012 – 74 IN 160/12, ZIP 2012, 2360; Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765; Frind, ZIP 2012, 1591; Horstkotte, ZInsO 2012, 1161; Keller, ZIP 2012, 1895. 3 Vgl. Niering/Hillebrand, Wege durch die Unternehmenskrise, S. 273. 4 Zur Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den Schuldner im Rahmen der Eigenverwaltung s. LG Duisburg v. 29.11.2012 – JT 185/12, ZInsO 2012, 2346; Buchalik/ Kraus, ZInsO 2012, 2330; Kraus, ZInsO 2013, 815 ff.; Vallender, NZI 2013, 342, Weissinger, NZI 2013, 343; Beck in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 19 Rz. 37 ff.; Ganter, ZIP 2013, 597 ff.; M. Hofmann in Kübler, HRI, § 7 Rz. 111 ff. und 140 ff. Zur Einzelermächtigung durch das Gericht bei Bestellung eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters s. BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625.

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der Eigenverwaltung ermächtigen zu lassen (§ 270b Abs. 3 InsO)1. Dem Insolvenzgericht steht insoweit kein Ermessen zu2. Auch kommt eine Gesellschafterfremdfinanzierung in Betracht, vor allem durch Rangrücktritt mit den Rechtsfolgen der §§ 19 Abs. 2 Satz 2, 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO3. b) Privilegierte Kredite im Insolvenzplan 4.19 Im Insolvenzplan kann vorgesehen werden, dass Kredite, die der Schuldner nach Abschluss des Verfahrens während der Planüberwachung aufnimmt, oder Gelder, die ein Massegläubiger stehen lässt, gegenüber Forderungen der Insolvenzgläubiger nach §§ 264 ff. InsO privilegiert sind4. c) Vorfinanzierung von Insolvenzgeld 4.20 Die für den vorläufigen Insolvenzverwalter wichtigste Finanzierungsmaßnahme ist die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld. Die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld (§§ 165 ff. SGB III) ist seit dem Inkrafttreten des ESUG nicht mehr nur eine Angelegenheit des vorläufigen Insolvenzverwalters, sondern auch des Insolvenzschuldners im Rahmen einer vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270a InsO) und im Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO)5. Ohne die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld6 1 AG Hannover v. 30.4.2015 – 909 IN 294/15, ZIP 2015, 1843; Karsten Schmidt/Undritz in Karsten Schmidt, § 270a InsO Rz. 6; Knof, ZInsO 2010, 1999; Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 41–43; Siemon/Klein, ZInsO 2012, 2009 ff.; Vallender, NZI 2013, 342, 343; Undritz, BB 2012, 1551; Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270b InsO Rz. 25; Koch/Jung in Kübler, HRI, § 8 Rz. 144 ff. 2 S. BT-Drucks. 17/7511, S. 3; Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270b InsO Rz. 25; Wimmer, Das neue Insolvenzrecht nach der ESUG-Reform, 2012, S. 28. Ob und ggf. wie im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren wirksam Masseverbindlichkeiten begründet werden, ist allerdings umstritten. Anders als das AG Fulda (v. 28.3.2012 – 91 IN 9/12, ZIP 2012, 1471 ff.) bejaht die Mehrzahl der Insolvenzgerichte eine Masseschuldbegründungskompetenz des Schuldners im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO. Vgl. hierzu die Übersicht bei Nöll, ZInsO 2013, 745 ff.; Vallender, NZI 2013, 342, 343; Undritz, BB 2012, 1551. Der BGH hat in einem Beschluss v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, NZI 2013, 342 m. Anm. Vallender und Weissinger die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des LG Fulda als unstatthaft zurückgewiesen. Aus dieser Entscheidung kann nicht entnommen werden, dass außerhalb des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO der Schuldner nicht die Möglichkeit hat, sich vom Gericht zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigen zu lassen (so aber Geißler, ZInsO 2013, 531, 535). Vgl. auch Pleistler/Tholen, ZIP 2013, 526; Undritz, BB 2012, 1551; Oppermann/Smid, ZInsO 2012, 862; str. a.A. Frind, DB 2014, 165, 166; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260. 3 Vgl. BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, GmbHR 2015, 472 = ZIP 2015, 638; M. Taplan/ G. Baumgartner/E. Baumgartner, GmbHR 2015, 347 ff.; Fischer in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 13 Rz. 49; Karsten Schmidt in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 601; Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 39 InsO Rz. 25 ff. 4 Vgl. Müller, Der Verband in der Insolvenz, 2002, S. 267; Fink, Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung in der Unternehmensinsolvenz, 1998, Rz. 356 ff. 5 Vgl. Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt Liquidieren, S. 159 ff.; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 88 ff.; Hofmann in Kübler, HRI, § 7 Rz. 161 ff., 164 und Koch/Jung, ebd., § 8 Rz. 174 ff., 181 ff.; Pelke in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 12 Rz. 301 ff. 6 S. auch Hofmann in Kübler, HRI, § 7 Rz. 161 ff.

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4.23

(vgl. hierzu Rz. 5.341 ff.) müsste wegen fehlender Liquidität oftmals selbst in aussichtsreichen Sanierungsfällen die Betriebsstilllegung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO mit Zustimmung des Insolvenzgerichts bereits im Eröffnungsverfahren erfolgen1. Ein Risiko besteht bei Vorfinanzierung durch Massedarlehen im Schutzschirmverfahren vor allem darin, dass eine Antragsrücknahme nicht allein von der GmbH abhängt, sondern dass ein vorläufiger Gläubigerausschuss die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens beantragen kann2. 5. Vorteile des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung Von Brinkmann/Zipperer3 werden für die Eigenverwaltung gegenüber einem Regel- 4.21 verfahren fünf Vorteile angeführt: „1. Unternehmensspezifisches Wissen, das an die Person des Insolvenzschuldners gebunden ist, bleibt bei Eigenverwaltungsverfahren dem Unternehmen erhalten. 2. Personengebundene Genehmigungen bleiben weiter nutzbar. 3. Eigenverwaltungsverfahren besitzen aufgrund der niedrigen Vergütung des Sachwalters gegenüber einem Insolvenzverwalter Kostenvorteile. 4. Eigenverwaltungsverfahren werden tendenziell früher eingeleitet. 5. Durch eine Eigenverwaltung wird das dem Schuldner entgegengebrachte Vertrauen seiner Geschäftspartner weniger belastet, so dass bestehende Geschäftsbeziehungen eher intakt bleiben.“

Auch bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit i.S. von § 17 InsO ist eine Ei- 4.22 genverwaltung noch möglich4. Die Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) hat durch das ESUG an Bedeutung gewonnen, weil es nicht nur im eröffneten Verfahren dem Schuldnerunternehmen und seinen organschaftlichen Vertretern ihre Rechtspositionen erhält, sondern die Rechtswirkungen gemäß § 270a InsO bereits in das Eröffnungsverfahren als „vorläufige Eigenverwaltung“ verlagert5. 6. Das Schutzschirmverfahren als Sanierungsoption Mit dem in § 270b InsO geregelten Schutzschirmverfahren bietet die Insolvenz- 4.23 ordnung nunmehr eine Sanierungsoption an, die den Vergleich mit entsprechenden ausländischen Bestimmungen nicht zu scheuen braucht6. Das Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) stellt dem Schuldnerunternehmen für den Zeitraum zwi1 Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 9 Rz. 20 S. 90; Fink, Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung in der Unternehmensinsolvenz, 198, S. 96; Niering/ Hillebrand, Wege durch die Unternehmenskrise, S. 246 ff.; Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt Liquidieren, S. 159. 2 Vgl. Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt Liquidieren, S. 160. 3 ZIP 2011, 1337, 1339. 4 Vgl. Niering/Hillebrand, Wege durch die Unternehmenskrise, Ziff. 9.7, S. 278. 5 Einzelheiten bei Hofmann, Eigenverwaltung, 2014, S. 93 ff Rz. 308 ff.; Neußner in Kübler, HRI, § 7 Rz. 5 ff.; Hölzle, ZIP 2012, 158; Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337 ff.; Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11 ff.; Linkert in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 9 Rz. 100 ff.; Undritz in Kübler, HRI, § 2 Rz. 3 ff. 6 Vgl. Karsten Schmidt, BB 2011, 1603 ff.; Kolmann, Schutzschirmverfahren, 2014; Koch/ Jung in Kübler, HRI, § 8 S. 285 ff. Rz. 1 ff.; Desch, BB 2011, 841; Vallender, GmbHR 2012, 450 ff.; Brinkmann, WM 2011, 97; Kübler in Kübler, HRI, § 1 Rz. 27 ff.; Hölzle, ZIP 2012, 158, 160 ff.

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4. Teil: Sanierung/Zerschlagung – alternative Ziele des Insolvenzverfahrens

schen Eröffnungsantrag und Verfahrenseröffnung ein Sanierungsverfahren zur Verfügung, das ihm bis zu drei Monate Zeit verschafft, unter dem Schutzschirm und unter der Kontrolle des Insolvenzgerichts sowie eines vorläufigen Sachwalters unbehelligt solche Sanierungsmaßnahmen vorzubereiten, die Aussicht auf Erfolg versprechen (oben zu Rz. 4.10). Das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO ist kein eigenständiges Verfahren, sondern ein Sonderfall der vorläufigen Eigenverwaltung mit eigenen Regeln (dazu Rz. 9.81 ff.)1. Das Krisenunternehmen darf nicht nur die Art der Sanierung in Eigenverwaltung, sondern auch die Person des Sachwalters bestimmen (§ 270b Abs. 2 Satz 2 InsO). Einschränkend ist allerdings festzuhalten, dass § 270b InsO kein Moratorium im Sinne eines zwangsweisen Aufschubs fälliger Zahlungen gewährt2. Das kann zur Folge haben, dass Gläubiger ihre Forderungen fällig stellen und Verträge kündigen, sobald sie Kenntnis von der Krise ihres Schuldners erlangen.

III. Risiken und Nachteile der gerichtlichen Sanierung 1. Risiken durch Gläubigerorientierung 4.24 Bei der Entscheidung „Gerichtliche oder außergerichtliche Sanierung?“ dürfen die Risiken und Nachteile eines gerichtlichen Sanierungsverfahrens von einem Geschäftsführer und Gesellschafter trotz der Neuregelungen durch das ESUG nicht übersehen werden. Die „Umkehr der Beweislast“ in § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO sieht als weitere Anordnungsvoraussetzung für die Eigenverwaltung vor, dass keine Umstände bekannt sein dürfen, die nachteilige Auswirkungen auf die Gläubigerinteressen erwarten lassen (dazu Rz. 9.7, 9.22). Ein wesentlicher Nachteil dieses gerichtlichen Sanierungsverfahrens besteht in der öffentlichen Bekanntmachung. Allerdings ist streitig, ob das Gericht verpflichtet ist, die Einleitung eines Schutzschirmverfahrens öffentlich bekannt zu machen. Aus dem Gesetz lässt sich eine solche Verpflichtung nicht herleiten3. Der Gesetzgeber hat bewusst auf einen „Veröffentlichungsautomatismus“ verzichtet, um Sanierungsverhandlungen nicht unnötig zu erschweren4. Letztlich steht die Veröffentlichung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts5. Festzustellen ist, dass die frühzeitige Information der Gläubiger durch eine Veröffentlichung nicht selten den Erfolg eines Sanierungsverfahrens gefährdet oder zunichte macht6.

1 Vgl. Kolmann, Schutzschirmverfahren, 2014, S. 53 Rz. 192; Undritz in Karsten Schmidt, § 270b InsO Rz 7; Riggert in Braun, § 270b InsO Rz. 2, 8. 2 Fiebig in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 270b InsO Rz. 18. 3 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270b InsO Rz. 28; Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765; Buchalik, ZInsO 2012, 349, 354; Desch, BB 2011, 841, 842. 4 Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765, 1766; Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270b InsO Rz. 28. 5 AG Göttingen v. 12.11.2012 – 74 IN 160/12, ZIP 2012, 2360; Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765, 1766; Vallender, GmbHR 2012, 450, 452. 6 Für eine uneingeschränkte Veröffentlichung vgl. Frind, ZInsO 2012, 1099, 1106; Frind, ZIP 2012, 1591. Zu den Vor- und Nachteilen der Verfahren s. Mackebrandt/Jung, KSI 2014, 5 ff.; Eidenmüller, ZIP 2010, 649 ff.; Bork, ZIP 2010, 397, 400.

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Risiken und Nachteile der gerichtlichen Sanierung

4.27

2. Eingriffe in gesellschaftsrechtliche Positionen Es darf auch nicht übersehen werden, dass Geschäftsführer befürchten müssen, 4.25 durch einen Insolvenzplan (§ 225a InsO) ihrer Position und Gesellschafter ihrer Teilhabe am Unternehmen „zwangsweise“ beraubt zu werden. Die Gesellschafter müssen damit rechnen, dass ihnen im Rahmen eines Debt 4.26 Equity Swap das Unternehmen durch Gläubigereinfluss entzogen wird, wenn das Verfahren erst einmal eröffnet ist (Einzelheiten dazu Rz. 8.26 ff., 2.380 ff.)1. Alt-Gesellschafter sind zwar am Insolvenzplanverfahren formell beteiligt, haben jedoch letztlich kaum Einfluss auf das Abstimmungsergebnis, da ihre Zustimmung zu einem Insolvenzplan als eigenständige Gläubigergruppe unter den Voraussetzungen des § 245 InsO fingiert werden kann2. Das Schutzschirmverfahren gibt ihnen zwar Zeit, aber keine Abwehrrechte3. Umstritten ist die Frage, ob in analoger Anwendung des § 34 Abs. 2 InsO im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Gesellschaft jedem opponierenden Gesellschafter die sofortige Beschwerde gegen einen ohne ihre vorherige Anhörung erlassenen Eröffnungsbeschluss zusteht4. 3. Sanieren oder Ausscheiden Ein nicht sanierungsbereiter Gesellschafter kann nicht gezwungen werden, sich 4.27 an einer Kapitalerhöhung zum Zwecke der Sanierung der Gesellschaft zu beteiligen. Ein zwangsweises Ausscheiden aus der Gesellschaft kann nicht etwa mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht begründet werden. Ein Trittbrettfahrer der nicht sanierungsbereiten Gesellschafter kann den sanierungsbereiten Gesellschaftern jedenfalls dann zugemutet werden, wenn Ersterer über einen Kapitalschnitt die fast vollständige Marginalisierung seiner Beteiligung hinnehmen muss. Die nicht zahlungsbereiten Gesellschafter haben einem Beschluss über ihr Ausscheiden aber dann zuzustimmen, wenn sie in Folge ihrer mit dem Ausscheiden verbundenen Pflicht, den auf sie entfallenden Auseinandersetzungsfehlbetrag zu leisten, finanziell nicht schlechter stehen, als sie im Fall der sofortigen Liquidation stünden5.

1 Karsten Schmidt, ZIP 2012, 2085: „Schöne neue Sanierungswelt: Die Gläubiger okkupieren die Burg.“ 2 Zutr. Hölzle in Kübler, HRI, § 31 Rz. 67; Karsten Schmidt, BB 2011, 1603, 1607; Hölzle, KTS 2011, 291, 322. 3 Spliedt, GmbHR 2012, 462, 471; Blöse, GmbHR 2012, 471 ff.; Hirte/Knof, DB 2011, 632. Einzelheiten bei Hölzle, ESUG, 2. Aufl. 2014, §§ 217, 225a ua. InsO S. 125 ff. Rz. 5 ff. 4 Vgl. Marotzke, ZInsO 2015, 325 ff.; Brinkmann, ZIP 2014, 197, 202 ff. 5 Vg. BFH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 ff. = ZIP 2009, 2289; BGH v. 25.1.2011 – II ZR 122/09, ZIP 2011, 768; Schöne, ZIP 2015, 501 ff.

Uhlenbruck

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren A. Insolvenzgründe I. Die rechtliche und wirtschaftliche Relevanz der Insolvenztatbestände 1. Gesetzeslage: verfahrensrechtliche Sicht Die Insolvenzordnung beschreibt in den Tatbeständen der Zahlungsunfähigkeit 5.1 (§ 17 InsO), der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) und der Überschuldung (§ 19 InsO) die sog. „Eröffnungsgründe“, ohne deren Vorliegen ein Insolvenzverfahren nicht eröffnet wird, ein Insolvenzantrag also unbegründet ist (§ 16 InsO). Diese rein prozedurale Sichtweise ist dem Gesetz als einer Verfahrensordnung des Insolvenzrechts angemessen und in diesem Sinne „richtig“. Das Insolvenzverfahren ist eine auf Gläubigerbefriedigung aus dem Schuldnervermögen oder (und) auf Restrukturierung bzw. Abwicklung des Schuldnervermögens zielende gesetzliche Prozedur, deren förmliche Eröffnung verfahrensrechtlich durch die §§ 17–19 InsO determiniert ist. Das Insolvenzverfahren (im Sprachgebrauch häufig ungenau als „Insolvenz“ bezeichnet)1 setzt materielle Insolvenz voraus, und diese Voraussetzung ist in den §§ 17–19 InsO tatbestandlich erfasst2. Doch gibt diese Sichtweise das rechtspolitische Gewicht der §§ 17–19 InsO nur sehr eingeschränkt wieder (dazu sogleich Rz. 5.2 f. Die Prüfung dieser Tatbestände im Insolvenzeröffnungsverfahren ist notwendig, rechtspolitisch und insolvenzrechtlich jedoch eher marginal. Mehrfach verweist auch das Recht der Insolvenzanfechtung auf das Kriterium der Zahlungsunfähigkeit (§§ 130 Abs. 1, 131 Abs. 1 Nr. 2, 132 Abs. 2 InsO) bzw. auf die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit (§§ 130 Abs. 1 und 2, 132 Abs. 2 InsO) oder der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die Tatbestandsabgrenzung bleibt hier dieselbe wie in den §§ 17–19 InsO3. Die Zahlungsverbote des § 64 Satz 1 GmbHG und des § 130a Abs. 1 HGB knüpfen an die Tatbestände der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung an, und wiederum sind die Tatbestandsmerkmale dieselben wie nach § 17 Abs. 2 und § 19 Abs. 2 InsO4, und doch ist die Perspektive in Anfechtungs- oder Haftungsprozessen eine andere als im Eröffnungsverfahren. So ist es kein Zufall, dass der IX. BGH-Senat sein kompliziertes Grundlagenurteil vom 24.5.2005 über den Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit (Rz. 5.6 ff.)5 nicht im Rechtsmittelzug eines Eröffnungsverfahrens erlassen hat, sondern in einem auf das Zahlungsverbot des § 64 Satz 1 GmbHG (damals Abs. 2) gestützten Zivilprozess. Schwerpunktmäßig ging es hierbei um „die Prognose, die der Geschäftsführer aufstellen muss, sobald bei einer Liquiditätsbilanz eine Unterdeckung fest1 Vor der InsO war die Terminologie einfacher: Der „Konkurs“ (= das Konkursverfahren) setzte eine materielle Insolvenz (= das Vorliegen von „Konkursgründen“) voraus. 2 Charakteristisch etwa Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, 7. Aufl. 2014, Rz. 101 ff.; Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 2; H.-Fr. Müller in Jaeger, § 16 InsO Rz. 1; Schmahl/Vuia in Münchener Kommentar zur InsO, § 16 InsO Rz. 2. 3 BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 184 = ZIP 2002, 87, 89; BGH v. 30.6. 2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416, 1417; BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015, 2016; Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung, 2. Aufl. 2014, Rz. C 76 ff. 4 Vgl. statt vieler Arnold in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rz. 22 f. 5 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 = NJW 2005, 3062 = ZIP 2005, 1426.

Karsten Schmidt

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5.2

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

zustellen ist und die er bei jeder vorzunehmenden Zahlung kontrollieren muss“, womit der Akzent entschieden auf die unternehmensinterne Prüfung gelegt ist1. 2. Der „Trigger Effect“ der Eröffnungstatbestände: die unternehmensrechtliche Sicht der Praxis 5.2 Unternehmensrechtlich sind die insolvenzrechtlichen Eröffnungstatbestände – auch in rechtsvergleichender Sicht2 – ein großes und schwieriges Thema. Verharrt man in der aus § 16 InsO ablesbaren traditionellen verfahrensrechtlichen Sichtweise, so lautet die Frage lediglich: Welches ist der Zeitpunkt, in dem das Konzept des Gläubigerschutzes und der Gläubigerbefriedigung vom Prioritätsprinzip („Einzelvollstreckung“) zum Prinzip der Gläubigergleichbehandlung („Gesamtvollstreckung“) überzugehen hat?3 In unternehmensrechtlicher Perspektive erhält dieselbe Frage ohne Abstriche vom geltenden Recht eine andere Färbung. Sie lautet dann: Welches ist der Zeitpunkt, in dem der gesellschaftsrechtliche Verkehrsschutz (insbesondere Gläubigerschutz) nicht mehr ausreicht und die Liquidation oder Restrukturierung unter einem dem Primat der Gläubigerbeteiligung unterliegenden gesetzlichen Regime stattfinden soll?4 Diese Kernfrage der sog. „Eröffnungsgründe“ stellt sich ihrerseits wiederum in verschiedener Richtung, denn es ist eine durchaus unterschiedliche Frage, – von welchem Zeitpunkt an das Unternehmen (genauer: der Träger des Unternehmens) durch Gläubigerantrag (§ 14 InsO) bzw. durch obligatorischen Schuldnerantrag (§§ 15, 15a InsO) in ein Insolvenzverfahren hineingezwungen werden kann oder – von welchem Zeitpunkt an das Unternehmen (der Unternehmensträger) sich durch fakultativen Eigenantrag unter das Regime des Insolvenzverfahrens stellen darf. 5.3 Mit der ersten Frage befassen sich die Tatbestände der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und der Überschuldung (§ 19 InsO), und diese Frage allein bestimmt die gesetzliche Formulierung wie auch die praktische Handhabung dieser beiden Tatbestände5. Mit der ganz anderen zweiten Frage befasst sich dagegen der Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO). Der Tatbestand des § 18 InsO hat im Jahr 2011 durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) eine gegenüber der Vergangenheit erheblich erweiterte Bedeutung erlangt. Als Anreiz für frühzeitige Eigenanträge geschaffen6, 1 Eingehend Karsten Schmidt in Lutter (Hrsg.), Legal Capital in Europe, 2006, S. 144, 150 ff. 2 Eingehend Karsten Schmidt, Grounds for Insolvency and Liability for Delays in Filing for Insolvency Proceedings, in Lutter (Hrsg.), Legal Capital in Europe, 2006, S. 144 ff. 3 Vgl. Drukarczyk/Schüler in Kölner Schrift, Kap. 2 Rz. 2: „Terminierungsregeln“; ebenso zum Überschuldungsbegriff Drukarczyk/Schüler in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 1. 4 Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485, 487; zust. Haarmann/Vorwerk, BB 2015, 1603, 1604; ähnlich auch Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 3. 5 So bereits im Vorfeld der Insolvenzrechtsreform Karsten Schmidt in 54. DJT Bd. I, 1982, Gutachten D, S. D 59 ff.; zuvor Karsten Schmidt, AG 1978, 334, 335; Karsten Schmidt, JZ 1978, 663 ff. 6 Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 114 ff.; vgl. auch Drukarczyk/Schüler in Kölner Schrift, Kap. 2 Rz. 44.

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Karsten Schmidt

Relevanz der Insolvenztatbestände

5.5

diente ein auf die drohende Zahlungsunfähigkeit gestützter Antrag den antragstellenden Gesellschaftsorganen in der Vergangenheit häufig zur Verschleierung einer möglicherweise bereits eingetretenen Überschuldung (und begonnenen Insolvenzverschleppung). Seitdem das ESUG durch die Einführung des Schutzschirmverfahren (Rz. 9.81 ff.) und durch die Reform des Insolvenzplanverfahrens (Rz. 8.1 ff.) die strategischen Optionen einer planförmigen Sanierung erweitert hat, ist in stärkerem Maße als vor diesem Gesetz damit zu rechnen, dass vom Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit bestimmungsgemäßer Gebrauch gemacht wird. 3. Im Zentrum: Liquidität und Prognose Es gilt zu erkennen, dass alle drei Eröffnungstatbestände entgegen dem ersten An- 5.4 schein von der Frage der Liquidität dominiert und durch unterschiedliche Prognoseelemente gekennzeichnet sind1. Ausgangspunkt ist eine ganz einfache, wenn auch in der Handhabung schwierige Versuchsanordnung: Wüsste man von einem Unternehmen, dass es seine Verbindlichkeiten ad infinitum bei Fälligkeit noch bedienen kann, so gäbe es keinen Grund, dieses Unternehmen in ein Insolvenzverfahren zu zwingen2 oder ihm auch nur den strategischen Gebrauch eines solchen gläubigerorientierten Verfahrens zu eröffnen3. Dies ist die rechtspolitische Aufgabe der Bestimmungen und der Kompass für ihre Anwendung. Diese rechtspolitische und betriebswirtschaftliche Aufgabe, nicht eine ziellose Wortlautinterpretation ist die Richtschnur für die §§ 17–19 InsO. Das gilt schon für § 17 Abs. 2 InsO (eine Gesellschaft kann „zahlungsunfähig“ sein, auch wenn sie noch Zahlungen leistet). Insbesondere für § 19 Abs. 2 InsO gilt: Nicht was der Name des Tatbestands („Überschuldung“) suggeriert, nämlich eine rein statischvermögensrechtliche Abgrenzung, gibt den Ausschlag4, sondern die Befriedigungserwartung der Gläubiger5. Hier muss das Gesetz unterscheiden, zwischen den Zielen optimaler Bestimmtheit (Zahlungseinstellung) und optimaler Prävention (prospektive Illiquidität)6. Im Einzelnen gilt: 5.5 – Der Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit lässt in § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO das prognostische Element neben dem Liquiditätsbezug nicht erkennen. Das Grundlagenurteil des BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 = 1 Vgl. auch Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, § 18 InsO Rz. 3: „konzeptionelle – wenn auch unbeabsichtigte – Nähe der drei Eröffnungsgründe der InsO“; Karsten Schmidt in 54. DJT Bd. I, 1982, Gutachten D, S. D 60: „Insolvenzgründe sind Illiquiditätstatbestände.“ 2 Die Frage stand an der Wiege der gegenwärtig geltenden Überschuldungsdefinition nach § 19 Abs. 2 InsO; vgl. Karsten Schmidt, AG 1978, 334; Karsten Schmidt, JZ 1982, 165. 3 Zur strategischen Funktion des § 18 Abs. 2 InsO vgl. Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, § 18 InsO Rz. 3. 4 Für eine rein bilanzielle Sichtweise unter Ablehnung des Prognoseelements allerdings vereinzelt Wackerbarth, NZI 2009, 145 ff. 5 Vgl. Drukarczyk/Schüler in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 59: „Ein Insolvenztatbestand muss die Gefährdung von Gläubigeransprüchen anzeigen. Fortführung ist somit zulässig, wenn die Gläubigeransprüche erfüllt werden.“ 6 Näher Karsten Schmidt in 54. DJT Bd. I, 1982, Gutachten D, S. D 60.

Karsten Schmidt

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5.6

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

NJW 2005, 3062 = ZIP 2005, 1426 hat indes in Abgrenzung zur bloßen Zahlungsunfähigkeit ein – eher übermäßiges – Prognoseelement beigegeben (vgl. zur Kritik Rz. 5.9). – Der Tatbestand der Überschuldung in § 19 Abs. 2 InsO basiert – Bezeichnung hin oder her1 – wesentlich auf der Prognose2, die entgegen dem Gesetzeswortlaut („Fortführung des Unternehmens“) eine Liquiditätsprognose ist (dazu Rz. 5.140)3. Dies macht den Überschuldungstatbestand zu einem vergleichsweise unbestimmten4 prospektiven Illiquiditätstatbestand5. – Der Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO ist unter den Eröffnungsgründen der einzige, der beide Elemente der drei Tatbestände (das Liquiditäts- und das Prognoseelement) gleichermaßen sichtbar macht. Über die drohende Zahlungsunfähigkeit entscheidet nicht das Fehlen einer positiven Fortführungsprognose i.S. des § 19 InsO, sondern die Annahme, dass der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.

II. Zahlungsunfähigkeit 1. Die Bedeutung der Zahlungsunfähigkeit 5.6 Ab dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit sind die Handlungsmöglichkeiten der Geschäftsführer stark beschränkt (Rz. 5.36). Zugleich steigen die Haftungsrisiken erheblich (Rz. 11.1 ff. und 11.31 ff.). Vor diesem Hintergrund müssen die Organe die Liquiditätslage des Unternehmens ständig im Blick haben, um es gar nicht erst zur Zahlungsunfähigkeit und zur damit einhergehenden Einschränkung ihres Handlungsspielraums kommen zu lassen. 2. Der Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit 5.7 Zahlungsunfähigkeit bedeutet Illiquidität zu einem bestimmten Stichtag. Die Illiquidität ist durch die Erstellung einer Liquiditätsbilanz zu ermitteln, in der die zum jeweiligen Tag der Beurteilung fälligen (Rz. 5.12) Verbindlichkeiten den zur Verfügung stehenden Zahlungsmitteln gegenüber gestellt werden. Die Praxis geht wie schon unter der KO davon aus, dass Zahlungsunfähigkeit i.S. von § 17 Abs. 1 InsO erst dann vorliegt, wenn diese Illiquidität nicht nur vorübergehend ist. Die Zahlungsunfähigkeit ist insofern abzugrenzen von der Zahlungsstockung (vgl. auch Rz. 1.92 ff.). 5.8 Der BGH führt dazu aus: „Eine bloße Zahlungsstockung ist anzunehmen, wenn der Zeitraum nicht überschritten wird, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Dafür erscheinen drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend.“6 1 2 3 4

Vgl. Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485, 490: „Name ist Schall und Rauch“. Vgl. ebd. Drukarczyk/Schüler in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 59. Für eine autonome strafrechtliche Auslegung Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 46. 5 Karsten Schmidt in 54. DJT Bd. I, 1982, Gutachten D, S. D 62. 6 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 = GmbHR 2005, 1117, Ls. 1.

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Karsten Schmidt und Brinkmann

Zahlungsunfähigkeit

5.10

Allerdings soll nicht jede dreiwöchige Liquiditätslücke die Zahlungsunfähigkeit begründen. Der BGH meint, dass es auch verfassungsrechtlich geboten sei, bei einer geringfügigen Unterdeckung keine Zahlungsunfähigkeit anzunehmen, und setzt diese Erheblichkeitsschwelle bei 10 % der fälligen Forderungen an: „Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, daß die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird.“1

Nach der Auffassung des BGH bleibt schließlich auch bei einer Liquiditätslücke von mehr als 10 % Raum für Ausnahmen, wenn nämlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass diese Lücke „demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist“2. Die herrschende Meinung in der Literatur hat sich dieser Eingrenzung des Zah- 5.9 lungsunfähigkeitstatbestands angeschlossen3, doch wurde auch Widerspruch geäußert. So wird eingewendet, dass die 10 % Grenze zu großzügig (aus Schuldnersicht) angesetzt sei und zu dem Gegenteil dessen führe, was der Gesetzgeber der InsO erreichen wollte, nämlich eine frühzeitige Einleitung des Insolvenzverfahrens4. Zutreffend ist insbesondere, dass im Rahmen der Anfechtungstatbestände nicht einsichtig ist, wieso die schlichte Illiquidität nicht genügen soll, es geht gerade hier nicht an, „die prospektive Zahlungsfähigkeit einer gegenwärtigen Zahlungsfähigkeit“ gleichzustellen5. Überdies ist die prognostische Betrachtung im Rahmen der Anfechtungstatbestände problematisch, da der Anfechtungsgegner eine solche Prognose mangels Kenntnis der Umstände oft überhaupt nicht anstellen kann6. Diese berechtigte Kritik hat sich jedoch bisher nicht durchgesetzt. Auch der vom 5.10 IDW entwickelte Standard zur Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzgründen (IDW S 11) folgt im Wesentlichen den vom BGH vorgezeichneten Grundsätzen (zu dem IDW Standard 11 im Hinblick auf die Überschuldungsprüfung s. Rz. 5.113)7. Daher soll im Folgenden dargestellt werden, wie auf Grundlage der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien die Zahlungsunfähigkeit im Einzelnen zu ermitteln ist. Dazu ist zunächst zu klären, welche Verbindlichkeiten einerseits und liquiden Mittel andererseits im Liquiditätsstatus zu berücksichtigen sind. 1 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 = GmbHR 2005, 1117, Ls. 2. 2 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 = GmbHR 2005, 1117, Ls. 3. 3 Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 17 InsO Rz. 15 f.; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 17 InsO Rz. 4 ff.; Leithaus in Andres/Leithaus, § 17 InsO Rz. 2. Mit Anmerkung aus betriebswirtschaftlicher Sicht auch Eilenberger in Münchener Kommentar zur InsO, § 17 InsO Rz. 18a. 4 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 17 InsO Rz. 23; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 17 InsO Rz. 29; Mönning in Nerlich/Römermann, § 17 InsO Rz. 22. 5 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 17 InsO Rz. 30. 6 Um diesem Problem Rechnung zu tragen, stellt der BGH daher darauf ab, ob sich für den Anfechtungsgegner „die schleppende oder ganz ausbleibende Tilgung seiner Forderung bei einer Gesamtbetrachtung der ersichtlichen Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung der Art der Forderung, der Person des Schuldners und dem Zuschnitt seines Geschäftsbetriebs, als ausreichendes Indiz für eine zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit darstellt“, BGH v. 1.7.2010 – IX ZR 70/08, ZInsO 2010, 1598. 7 Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912, 914 ff.

Brinkmann

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5.11

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

a) Die zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten aa) Auf Zahlung von Geld gerichtete Forderung 5.11 Anzusetzen sind auf der Passivseite der Liquiditätsbilanz nur gegen den Schuldner gerichtete Geldforderungen, also Ansprüche, die auf Zahlung, Hinterlegung von Geld oder Freistellung gerichtet sind. Ansprüche auf Lieferung oder Leistung bleiben solange unberücksichtigt, wie sie nicht in einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung (§§ 281, 283 BGB) übergegangen sind, da § 45 InsO nicht anwendbar ist. Die Forderungen sind mit ihrem Nennwert anzusetzen. Auch wenn andere Personen z.B. als Gesamtschuldner oder Bürgen für die Forderung haften, müssen die Forderungen in voller Höhe passiviert werden, solange nicht ausgeschlossen ist, dass die Gesellschaft auf die volle Summe in Anspruch genommen wird1. bb) Fälligkeit der Forderung 5.12 Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO sind nur fällige Forderungen bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen. Der insolvenzrechtliche und der materiellrechtliche Fälligkeitsbegriff decken sich nach herrschender Meinung nicht2. Vielmehr ist „Fälligkeit“ i.S. von § 271 BGB eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Berücksichtigung der Forderung bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit3. 5.13 Eine Forderung ist grundsätzlich ab dem Tag ihrer materiellrechtlichen Fälligkeit anzusetzen, es sei denn, sie wurde konkludent oder ausdrücklich gestundet. Eine Stundung kann z.B. erfolgen im Zusammenhang mit der nachträglichen Stellung einer Sicherheit, im Rahmen eines pactum de non petendo, einer Besserungsabrede oder einer geduldeten Kontoüberziehung. Bei öffentlich-rechtlichen Forderungen beseitigt auch die Aussetzung der Vollziehung des Bescheids die Fälligkeit der Forderung4. 5.14 Eine Stundung muss nicht zwingend auf einem Rechtsgeschäft beruhen, sondern kann auch durch tatsächliches Verhalten erfolgen. Bei der Annahme einer tatsächlichen Stundung ist aber Vorsicht geboten. In der Rechtsprechung heißt es, dass für die insolvenzrechtliche Fälligkeit ein „ernsthaftes Einfordern“ erforderlich sei. Diese Formulierung ist irreführend5, indem sie nahelegt, dass es notwendig sei, dass der Gläubiger die Forderung aktiv geltend macht. Das Gegenteil ist richtig: Auch nach der Rechtsprechung darf eine „tatsächliche“ Stundung nicht schon darin gesehen werden, dass der Gläubiger nach dem Eintritt der materiellrechtlichen Fälligkeit zunächst keine Anstalten macht, die Forderung einzuziehen6. Die Annahme einer tatsächlichen Stundung kommt jedenfalls dann nicht mehr in Betracht, wenn der Gläubiger – etwa durch Übersendung einer Rechnung7 1 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 17 InsO Rz. 7. 2 BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, BGHZ 173, 286 Rz. 12 = NZI 2007, 579 Rz. 12. 3 Humberg in Blersch/Goetsch/Haas, § 17 InsO Rz. 8 f.; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 17 InsO Rz. 7 f. 4 BGH v. 22.5.2014 – IX ZR 95/13, ZIP 2014, 1289. 5 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 17 InsO Rz. 13. 6 BGH v. 14.2.2008 – IX ZR 38/04, ZIP 2008, 706 für die Nichtzahlung fälliger Löhne. 7 BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, BGHZ 173, 286, 293 = ZIP 2007, 1666, 1668 Rz. 19; BGH v. 14.5.2009 – IX ZR 63/08, ZIP 2009, 1235 Rz. 23.

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Brinkmann

Zahlungsunfähigkeit

5.16

– zum Ausdruck gebracht hat, dass er die Forderung einfordern wird1. Auch wenn der Schuldner selbst durch Kündigung die materiellrechtliche Fälligkeit herbeigeführt hat, gibt es keine Anhaltspunkte für eine tatsächliche Stundung der Forderung durch den Gläubiger2. Das Gleiche gilt bei Forderungen, die durch Zeitablauf fällig werden, wie z.B. Darlehen mit bestimmter Laufzeit oder Anleihen3. Hier, wie auch bei gesetzlich begründeten Forderungen, kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass der Gläubiger einstweilen darauf verzichtet, die Forderung geltend zu machen4. Das Erfordernis des „ernsthaften Einforderns“ – wie es die Rechtsprechung verwendet – sollte also nicht überschätzt werden. Keinesfalls kann sich der Geschäftsführer, der die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft ermitteln will, damit begnügen, nur solche Forderungen anzusetzen, auf deren Erfüllung der Gläubiger drängt. Vielmehr hat er grundsätzlich alle materiellrechtlich fälligen und einredefreien Forderungen anzusetzen. cc) Berücksichtigung streitiger Forderungen Bei der Frage, inwieweit streitige Forderungen zu berücksichtigen sind, handelt es 5.15 sich jedenfalls zum Teil um ein Scheinproblem. Unstreitig ist, dass Forderungen, die objektiv zu Unrecht geltend gemacht werden, nicht zu berücksichtigen sind und dass umgekehrt Forderungen, gegen die sich der Schuldner zu Unrecht verteidigt, in die Liquiditätsbilanz einzustellen sind. Im Ausgangspunkt sind daher nur objektiv bestehende oder rechtskräftig festgestellte Forderungen zu berücksichtigen, diese aber in voller Höhe5. Die Probleme resultieren aus der (Prognose-) Unsicherheit hinsichtlich der Frage, 5.16 ob eine Forderung „zu Recht“ oder „zu Unrecht“ geltend gemacht wird. Diese Unsicherheit besteht allerdings dann nicht (mehr), wenn es ex-post darum geht zu ermitteln, wann eine Gesellschaft zahlungsunfähig geworden ist. Denn die Frage, ob die seinerzeit umstrittene Forderung tatsächlich bestand, ist dann regelmäßig bereits geklärt, so dass kein Anlass besteht, bei der ex-post Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit Abschläge im Hinblick auf Prozessrisiken vorzunehmen. Umgekehrt kann man bei der Prüfung, ob aktuell Zahlungsunfähigkeit vorliegt, wie sie z.B. vor Antragstellung durch die Geschäftsführung oder im Eröffnungsverfahren durch das Gericht vorzunehmen ist, ein Wahrscheinlichkeitsurteil gar nicht vermeiden6, da der Bestand der Forderung eben gegenwärtig ungewiss ist. Dieser Ungewissheit muss man durch etwaige Abschläge auf die Forderungen 1 BGH v. 14.5.2009 – IX ZR 63/08, BGHZ 181, 132 = ZIP 2009, 1235 Rz. 22, 24. 2 BGH v. 14.5.2009 – IX ZR 63/08, BGHZ 181, 132 = ZIP 2009, 1235 Rz. 22, 24. 3 BGH v. 22. 11 2012 – IX ZR 62/10, ZIP 2013, 79 Rz. 12; Malitz, BB 2013, 276; Bitter/Rauhut, ZIP 2014, 1005, 1007. 4 Zur Fälligkeit von Ansprüchen aus nur geduldeter Kontoüberziehung BGH v. 11.1.2007 – IX ZR 31/05, NZI 2007, 225, 229. 5 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 17 InsO Rz. 8. 6 Anders ist es allerdings bei einem Insolvenzantrag eines Gläubigers, bei dem die Zahlungsunfähigkeit aus der Nichterfüllbarkeit einzigen Forderung abgeleitet. Wird diese Forderung bestritten, darf sich das Insolvenzgericht nicht mit einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung begnügen, vielmehr muss das Bestehen der Forderung im Prozesswege geklärt werden, BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 141/06, ZIP 2007, 1226 f.; BGH v. 8.11.2007 – IX ZB 201/03, ZInsO 2007, 1275 Rz. 3. Dazu auch Henkel, ZInsO 2011, 1237.

Brinkmann

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5.17

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Rechnung tragen1. Abzulehnen ist es, bei überwiegender Wahrscheinlichkeit die Forderung vollständig und im Übrigen gar nicht zu berücksichtigen. Diese „0 oder 1“ Betrachtung führt insbesondere in Situationen zu falschen Ergebnissen, in denen eine Vielzahl ähnlich gelagerter Prozesse jeweils unterschiedlich ausgehen können, wie z.B. bei Gewährleistungsforderungen. Hier anzunehmen, dass alle Prozesse gewonnen werden, ist genauso unrealistisch wie die Annahme, dass die Gesellschaft alle Verfahren verliert. Der Tatsache, dass die Wahrheit in der Mitte liegt, wird man durch den Ansatz von Wahrscheinlichkeiten gerecht. 5.17 Stellt sich nachträglich heraus, dass die wegen des schwebenden Verfahrens nur mit einem Teilbetrag angesetzte Forderung in voller Höhe besteht, so ist nunmehr gewiss, dass die Gesellschaft von vornherein zahlungsunfähig war. Es ist eine andere Frage, ob die Geschäftsführer die Prozessaussichten fahrlässig zu optimistisch eingeschätzt haben und sie deshalb ein Verschulden hinsichtlich der Insolvenzverschleppung trifft. Die Prognoseunsicherheit spielt insofern nicht bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit eine Rolle, sondern nur auf der Verschuldensebene, wenn es um die Haftung nach § 64 Satz 1 GmbHG (Rz. 11.31 ff.) oder wegen Insolvenzverschleppung (Rz. 11.1 ff.) geht2. Ebenso ist die Prognoseunsicherheit bei der Frage zu berücksichtigen, ob ein Dritter die auf der streitgegenständlichen Forderung beruhende Zahlungsunfähigkeit im Sinne der Anfechtungstatbestände „kannte“, bevor die Entscheidung rechtskräftig wurde. Diese Grundsätze gelten auch für Forderungen, für die ein vorläufig vollstreckbares Urteil besteht. Wird das Urteil später rechtskräftig, steht nunmehr fest, dass der Schuldner von vornherein zahlungsunfähig war, und zwar schon seit der Fälligkeit des titulierten Anspruchs. 5.18 Aus der ex-ante Sicht, die sowohl für die Frage des Verschuldens als auch für die Kenntnis im Rahmen der Anfechtungstatbestände maßgeblich ist, muss eine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung der Prozessaussichten vorgenommen werden, die der aktuellen Prozesslage laufend anzupassen ist. Sobald es nicht ausgeschlossen ist, dass die Forderung rechtskräftig festgestellt wird, muss die Forderung mit einem an der Wahrscheinlichkeit des endgültigen Prozessverlusts orientierten Abschlag bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit berücksichtigt werden. Nur wenn der Anfechtungsgegner die ungünstige Lage des Prozesses sowie die Liquiditätslage der Gesellschaft im Übrigen kennt, weiß er von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin. dd) Berücksichtigung nachrangiger Forderungen 5.19 Nachrangige Forderungen sind grundsätzlich in die Liquiditätsbilanz einzustellen3, denn der Nachrang ist eine Eigenschaft der Forderung, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Rolle spielt. Der insolvenzrechtliche Nach1 Ähnlich Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912, 915, die bestrittene Forderungen mit dem „voraussichtlichen Erfüllungsbetrag“ ansetzen wollen. 2 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 17 InsO Rz. 8. Dies übersieht Dittmer, Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit, 2013, S. 101, wenn sie stets für eine ex-ante Betrachtung mit dem Argument eintritt, dass nur so eine ungerechtfertigte Haftung der Geschäftsführer vermieden werden könne. 3 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = GmbHR 2013, 31 = ZIP 2012, 239 Rz. 12; AG Itzehoe v. 1.5.2014 – 28 IE 1/14, 28 IN 1/14 P – Prokon, ZIP 2014, 1038 (zu nachrangigen Forderungen aus Genussrechten), hierzu Jacoby, EWiR 2014, 427; Gero Fischer in FS Kübler, 2015, S. 137 ff.

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Zahlungsunfähigkeit

5.20

rang begründet keine materiellrechtliche Einrede gegen die Forderung im Vorfeld der Eröffnung des Insolvenzverfahrens1. Auch eine Nachrangvereinbarung vermag daher zwar ggf. den Eintritt der Überschuldung zu verhindern oder zu beseitigen (Rz. 2.117 und 5.137), sie betrifft aber als solche nicht die Zahlungs(un)fähigkeit der Gesellschaft2. Zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit ist vielmehr eine – jedenfalls dogmatisch von der Nachrangvereinbarung zur unterscheidende – Stundungsvereinbarung oder ein pactum de non petendo (Rz. 5.137) erforderlich3. Ob einer Nachrangvereinbarung konkludent ein Verzicht auf ein „ernsthaftes Einfordern“, also eine Stundung (Rz. 5.14), entnommen werden kann, ist eine Frage der Auslegung4. Jedenfalls dann, wenn die Nachrangvereinbarung der Vermeidung der Insolvenz der Gesellschaft diente, wird man annehmen können, dass zusammen mit dem Nachrang auch eine Stundung vereinbart wurde, denn nur dann erfüllt sie ihren Zweck (s. auch Rz. 5.137). Bis zur Entscheidung des BGH vom 9.10.2012 war umstritten, wie sich für An- 5.20 sprüche der Gesellschafter gegen die Gesellschaft, die unter § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO fallen, das Zahlungsverbot des § 64 Satz 3 GmbHG auf die Behandlung der Gesellschafterforderung in der Liquiditätsbilanz auswirkt5. Der BGH entschied, dass bei „der Beurteilung der Verursachung der Zahlungsunfähigkeit in § 64 Satz 3 GmbHG (…) fällige Gesellschafterforderungen nicht auszuklammern“ sind6. Danach ist eine Forderung auch dann im Liquiditätsstatus zu berücksichtigen, wenn sie unter § 64 Satz 3 GmbHG fällt7. Kritisch anzumerken ist, dass der Anwendungsbereich des § 64 Satz 3 GmbHG durch diese Rechtsprechung sehr stark begrenzt wird, denn die Begleichung einer fälligen Verbindlichkeit führt grundsätzlich nicht zur Zahlungsunfähigkeit8. Anders ist es ausnahmsweise dann, wenn z.B. durch die vollständige Begleichung der Gesellschafterfor1 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 17 InsO Rz. 6; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 17 InsO Rz. 7. 2 Bitter/Rauhut, ZIP 2014, 1005, 1007; Gero Fischer in FS Kübler, 2015, S. 137 ff.; Thole in FS Kübler, 2015, S. 681, 685. A.A. H.-F. Müller in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 13; H.-F. Müller in Jaeger, § 17 InsO Rz. 12; Haas, NZI 1999, 209, 214. 3 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 17 InsO Rz. 10; Bitter/Rauhut, ZIP 2014, 1005, 1007. 4 Bitter/Rauhut, ZIP 2014, 1005, 1012; Bork, ZIP 2014, 997, 1000 ff.; Thole in FS Kübler, 2015, S. 681, 686, alle zu nachrangigen Forderungen aus Genussrechten. 5 Gegen eine Berücksichtigung Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 17 InsO Rz. 10; Dahl/Schmitz, NZG 2009, 567, 569 f.; Spliedt, ZIP 2009, 149, 160; H.-F. Müller in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 167; Görg in FS Streck, 2011, S. 823, 828; Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249, 255. 6 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = GmbHR 2013, 31 = ZIP 2012, 2391 Rz. 10. Anm. hierzu bei Knolle/Lojowsky, NZI 2013, 171. 7 So auch Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 17 InsO Rz. 7; Arnold in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 GmbHG Rz. 49; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 64 GmbHG Rz. 31; Schluck-Amend in FS Hommelhoff, 2012, S. 961, 970; Winstel/Skauradszun, GmbHR 2011, 185, 187; Dittmer, Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit, 2013, S. 187. Nach Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 64 GmbHG Rz. 72 ff. fallen Zahlungen auf fällige und einredefreie Ansprüche eines Gesellschafters von vornherein nicht unter § 64 Satz 3 GmbHG. 8 Spliedt, ZIP 2009, 149, 159.

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5.21

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

derung aus einer unwesentlichen eine wesentliche (Rz. 5.8) Deckungslücke wird1 oder wenn auf Forderungen aus dem Gesellschaftsverhältnis geleistet wird, wenn die Zahlung also eine offene oder verdeckte Ausschüttung ist2. 5.21 Nicht nur vor dem Hintergrund der sonst weitgehenden Funktionslosigkeit von § 64 Satz 3 GmbHG wäre es überzeugender, aus der Vorschrift zu folgern, dass Ansprüche von Gesellschaftern nie bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen sind. Sofern die Erfüllung der Gesellschafterforderungen der Gesellschaft die Mittel entziehen würde, die sie benötigt, um die anderen fälligen Forderungen zu begleichen, ergibt sich – auch nach dem BGH3 – aus § 64 Satz 3 GmbHG ein Leistungsverweigerungsrecht gegen Gesellschafterforderungen, so dass die Forderung nicht „fällig“ i.S. von § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist. Insofern geht es nicht um ein „Ausblenden“4, sondern umgekehrt um die Frage, ob die Forderungen, obwohl sie nicht „fällig“ i.S. von § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO sind, bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung zu berücksichtigen sind. Weil für ein „Einblenden“ (Berücksichtigung trotz des Bestehens einer Einrede) keine Berechtigung besteht, sollten Gesellschafterforderungen hinsichtlich der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit wie Ansprüche auf Rückgewähr von Einlagen behandelt werden, die bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit mangels Fälligkeit gleichfalls nicht anzusetzen sind5. Bei einem solchen Verständnis würde sich § 64 Satz 3 GmbHG auch stimmig in das Konzept einfügen, das den §§ 39 Abs. 1 Nr. 5 und 135 Abs. 1 InsO zu Grunde liegt. Die Entstehung der Insolvenzantragspflicht würde dadurch zwar hinaus geschoben, dass diese Verschiebung zu Lasten der Gläubiger geht, ist aber nicht gesichert. In erster Linie ginge sie zu Lasten der Gesellschafter, die wegen des Zahlungsverbots keine Befriedigung verlangen können. Im Einzelnen zu § 64 Satz 3 GmbHG bei Rz. 11.158 ff. b) Die zu berücksichtigenden Aktiva 5.22 Auf der Aktivseite sind im Liquiditätsstatus alle Mittel zu berücksichtigen, die zur Deckung der anzusetzenden Verbindlichkeiten zur Verfügung stehen. Das sind neben Barmitteln auch Buchmittel, wie sofort abrufbare Ansprüche auf Auszahlung eines Bankguthabens oder Ansprüche auf Auszahlung von Kreditmitteln6. Anders als ein eingeräumter und nicht ausgeschöpfter Dispositionskredit, bleibt die Möglichkeit der Duldung einer Kontoüberziehung außer Betracht, da diese Möglichkeit nur hypothetisch ist. Nimmt die Gesellschaft an einem Cash Pool teil, kommt es darauf an, ob sie die notwendigen Mittel aus dem Cash Pool 1 Darauf weist Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 99 hin. 2 Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 64 GmbHG Rz. 78. 3 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, GmbHR 2013, 31 = ZIP 2012, 2391 Rz. 18, wobei der BGH offenbar meint, zwischen „Einrede“ und „Leistungsverweigerungsrecht“ unterscheiden zu können (vgl. Rz. 12 des Urteils einerseits und Rz. 18 andererseits). Jedenfalls für die Frage der Zahlungsunfähigkeit kann dem nicht gefolgt werden, denn auch beim Bestehen eines „Leistungsverweigerungsrechts“ ist die Forderung grundsätzlich nicht in der Liquiditätsbilanz anzusetzen. Die nach dem BGH erforderliche Berücksichtigung von Ansprüchen von Gesellschaftern macht hiervon eine Ausnahme. 4 So aber Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 64 GmbHG Rz. 30. 5 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 30 GmbHG Rz. 52; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 30 GmbHG Rz. 67. Zur alten Rechtslage H.-F. Müller in Jaeger, § 17 InsO Rz. 12. 6 BGH v. 20.1.2011 – IX ZR 32/10; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 17 InsO Rz. 15.

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Zahlungsunfähigkeit

5.26

abrufen kann1. Ein Ansatz in voller Höhe setzt allerdings voraus, dass sich aus dem Cash Management System tatsächlich die erforderlichen Mittel ziehen lassen. Dies kann nur unter Berücksichtigung der konzernweiten Liquiditätslage beurteilt werden2. Bei der Berücksichtigung von Anlagevermögen kommt es darauf an, um welche 5.23 Stufe der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit es geht (zu den drei Stufen unten Rz. 5.26). Auf der ersten Stufe sind Gegenstände des Anlagevermögens nicht zu berücksichtigen, da hier nur die aktuelle Liquidität geprüft wird. Erst wenn es auf der zweiten Stufe darum geht, eine Prognose hinsichtlich der künftigen Zahlungsfähigkeit zu stellen, können erzielbare Erlöse für Gegenstände des Anlagevermögens angesetzt werden, soweit das Vermögen kurzfristig, also innerhalb von drei Wochen (Rz. 5.26), liquidierbar ist. Hierbei ist es unbeachtlich, ob der Verkauf betriebswirtschaftlich nicht ratsam ist, solange nicht die Bereitschaft zu sofortiger Umsetzung in Geld (deswegen) fehlt3. Auch fällige Forderungen gegen Dritte sind als Aktiva bei der Liquiditätsprognose anzusetzen. Hierbei ist aber neben der Verität der Forderung auch die Bonität des Drittschuldners zu berücksichtigen, gegebenenfalls müssen Abschläge vom Nennwert vorgenommen werden4. Eine Patronatserklärung ist dann im Rahmen der Zahlungsunfähigkeitsprüfung 5.24 zu berücksichtigen, wenn sie der Gesellschaft einen eigenen, durchsetzbaren Anspruch auf Freihaltung oder auf Verschaffung der notwendigen Mittel vermittelt und diese Liquiditätsgarantie auch tatsächlich vollzogen wird5. Daher beseitigt selbst eine harte Patronatserklärung die Zahlungsunfähigkeit nicht, wenn sie nur gegenüber dem Gläubiger abgegeben ist und der Tochtergesellschaft keine eigenen Rechte gegen den Patron begründet6. 3. Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit a) Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit mittels mehrerer Liquiditätsbilanzen Bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit geht es in erster Linie um die Frage, 5.25 wie die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien im einzelnen ineinander greifen, wie also die richtigen Testfragen lauten, die die Geschäftsführung zu stellen hat, wenn sie herausfinden will, ob die Gesellschaft zahlungsunfähig ist. Die vom BGH entwickelten Kriterien lassen sich im Wege einer in drei Schritte 5.26 gegliederte Prüfung umsetzen:7 1 2 3 4 5

Saenger/Koch, GmbHR 2010, 113. Vgl. auch IDW S 11 Rz. 48. BGH v. 3.12.1998 – IX ZR 313/97, NZI 1999, 70 = ZIP 1999, 76. Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 17 InsO Rz. 14. BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, ZIP 2011, 1111 = GmbHR 2011, 769 m. Komm. Blöse; Blum, NZG 2010, 1331. 6 Zur Möglichkeit, eine Patronatserklärung als Mittel zur Suspendierung der Insolvenzantragspflicht einzusetzen, Ringstmeier in FS Wellensiek, 2011, S. 133 ff. 7 Plagens/Wilkes, ZInsO 2010, 2107, 2111; Ganter, ZInsO 2011, 2297; Brahmstaedt, Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit, 2012, S. 213 f.; IDW S 11 Rz. 14-17. Anders aber Neu/Ebbinghaus, ZInsO 2012, 2229, 2234, die ohne eine Prognose auskommen wollen und stattdessen die Aufstellung zweier Liquiditätsbilanzen fordern, eine am

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5.27

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

– Zunächst sind die aktuell fälligen Verbindlichkeiten den aktuell verfügbaren liquiden Mitteln gegenüber zu stellen (Prüfung der aktuell vorhandenen Liquidität durch Aufstellung eines Liquiditätstatus). – Ergibt sich hierbei, dass die verfügbaren Mittel nicht hinreichen, um mindestens 90 % der Verbindlichkeiten zu erfüllen1, ist eine Prognose im Rahmen eines Finanzplans2 vorzunehmen, ob diese Liquiditätslücke im Laufe der nächsten drei Wochen durch Zuflüsse in Form von Zahlungseingängen oder der Liquidation gebundenen Vermögens voraussichtlich geschlossen werden kann (Prognose der künftigen Liquidität durch Aufstellung eines Liquiditätsplans). – Wenn dies der Fall ist, wenn also die Liquiditätslücke innerhalb von drei Wochen voraussichtlich unter 10 % zurückgeführt werden kann, ist von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist absehbar, dass die Lücke demnächst wieder anwachsen wird. Beträgt die Liquiditätslücke dagegen 10 % oder mehr, so ist umgekehrt von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, es sei denn, sie kann voraussichtlich innerhalb eines zumutbaren Zeitraums3 vollständig oder fast vollständig geschlossen werden (Ausnahmekontrolle). 5.27 Entgegen Kayser4 sind „kurzfristig verwertbare Vermögensgegenstände“ auf der ersten Stufe nicht zu berücksichtigen, da die entsprechenden Erlöse erst künftig zur Tilgung von Verbindlichkeiten zur Verfügung stehen und daher die aktuelle Illiquidität, die auf der ersten Stufe ermittelt werden soll, nicht beseitigen können5. Stellt sich die auf der zweiten Stufe vorzunehmende Prognose während des Dreiwochenzeitraums als falsch heraus, weil z.B. erwartete Liquidität in maßgeblichem Umfang doch nicht zur Verfügung steht, so tritt sofort Zahlungsunfähigkeit ein. Die Gesellschaft wird aber nicht etwa „nachträglich zahlungsunfähig“6, sonst würde die in § 15a InsO vorgesehene Frist unberechtigter Weise verkürzt. Der Unterschied zur Behandlung streitiger Forderungen (Rz. 5.15) erklärt sich daraus, dass es bei der Unsicherheit hinsichtlich des Bestehens einer Forderung nicht um eine Unsicherheit im Hinblick auf künftige Entwicklungen geht (wie bei der Frage, ob Verwertungserlöse werden erzielt werden können), sondern um Umstände, die objektiv bereits im Beurteilungszeitpunkt vorliegen (Bestand/ Nichtbestand der Forderung), die aber nur unbekannt sind.

1 2 3

4 5 6

Stichtag und eine weitere 21 Tage später. Wenn beide eine Lücke von jeweils mehr als 10 % ergeben, soll Zahlungsunfähigkeit zu bejahen sein. Dieser Ansatz würde in der Sache zu einer Verlängerung der Antragsfrist des § 15a InsO um 21 Tage führen. Ergibt sich dagegen eine Deckungslücke von unter 10 % ist Zahlungsfähigkeit gegeben. Diese „kleine Bugwelle“ (Frystatzki, NZI 2010, 389, 391) kann der Schuldner vor sich herschieben; ebenso Meyer-Löwy/Fritz, ZInsO 2011, 662, 663. Zu dessen Ausgestaltung Plagens/Wilkes, ZInsO 2010, 2107, 2119. Konkrete Angaben zu dessen Länge finden sich in der Rechtsprechung nicht. Gero Fischer, unter dessen Vorsitz das Urteil ergangen ist, schreibt hierzu (ZGR 2006, 406, 408): „Man wird jedoch mit aller Vorsicht sagen können, dass als Ausnahmefälle in aller Regel nur Verzögerungen bis zu drei Monaten in Betracht kommen, und solche, die länger als sechs Monate dauern, generell undiskutabel sind.“ Kayser in Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Insolvenzrecht, 6. Aufl. 2012, Rz. 16. Ebenso IDW S 11 Rz. 32. Ganter, ZInsO 2011, 2297, 2302.

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Zahlungsunfähigkeit

5.29

Noch nicht entschieden ist die Frage, inwieweit in die auf der zweiten Stufe anzu- 5.28 stellende Liquiditätsprognose auch solche Forderungen einzustellen sind, die erst während des Prognosezeitraums fällig werden (sog. Passiva II)1. Zwar hat der IX. Senat mehrfach formuliert, in der Liquiditätsbilanz seien „die im maßgeblichen Zeitraum verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung zu setzen zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten“2, es ist aber zweifelhaft, ob sich der Senat hiermit wirklich gegen Berücksichtigung der Passiva II aussprechen wollte3. Die herrschende Meinung in der Literatur steht zu Recht auf dem Standpunkt, dass auch diese Verbindlichkeiten grundsätzlich zu berücksichtigen sind4. Sonst würde man auf der Aktivseite ein künftiges Liquiditätspotential ansetzen, während auf der Passivseite nur die im Beurteilungszeitpunkt bereits fälligen Verbindlichkeiten einbezogen würden. So könnte die Gesellschaft die in dem Prognosezeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten wie eine Bugwelle vor sich herschieben5. Ein solches Ergebnis wäre nicht mit der Absicht des Gesetzgebers zu vereinbaren, über die Formulierung des Zahlungsunfähigkeitstatbestands für rechtzeitige Verfahrenseinleitungen zu sorgen6. § 17 InsO sollte ausweislich der Entwurfsbegründung gerade klarstellen, dass eine „über Wochen oder gar Monate bestehende Illiquidität“ nicht zur bloßen Zahlungsstockung erklärt werden dürfe7. Auch Kayser hält eine Berücksichtigung von im Prognosezeitraum fällig werden- 5.29 den Verbindlichkeiten grundsätzlich für erforderlich, diese seien aber erst dann in die Liquiditätsbilanz einzustellen, wenn sie ernsthaft eingefordert werden8. Dieser Ansatz verschiebt die Diskussion von der Frage, ob Zahlungsunfähigkeit überhaupt eintritt, auf die Frage, wann die Zahlungsunfähigkeit zu bejahen ist: Schon am Beginn des Dreiwochenzeitraums (weil mit dem ernsthaften Einfordern bezüglich der fällig werdenden Forderungen zu rechnen ist) oder erst dann, wenn die fraglichen Verbindlichkeiten tatsächlich eingefordert werden9. Eine Rechtfertigung für diese Verschiebung ist nicht erkennbar. Denn regelmäßig wird der Umstand, dass eine Forderung innerhalb des Dreiwochenzeitraums fällig und ernsthaft eingefordert werden wird, nicht schwer zu prognostizieren sein10, zumal ein 1 Dagegen Fischer in FS Ganter, 2010, S. 153, 158. 2 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 = GmbHR 2005, 1117 Rz. 28; BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2221, 2222 Rz. 27; BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 173/07, ZIP 2009, 2253, 2254 Rz. 11. 3 Von einem „redaktionellen Versehen“ geht Hölzle, ZIP 2007, 613, 615 aus. 4 Bork, ZIP 2008, 1749, 1752 f.; Plagens/Wilkes, ZInsO 2010, 2107, 2111; Ganter, ZInsO 2011, 2297, 2299 ff. Ebenso IDW S 11 Rz. 37. 5 BT-Drucks. 12/2443, S. 114. 6 Ganter, ZInsO 2011, 2297, 2300. 7 BT-Drucks. 12/2443, S. 114: „Würde im Gesetzestext ausdrücklich verlangt, daß eine „andauernde“ Unfähigkeit zur Erfüllung der Zahlungspflichten vorliegt, so könnte dies als Bestätigung der verbreiteten Neigung verstanden werden, den Begriff der Zahlungsunfähigkeit stark einzuengen, etwa auch eine über Wochen oder gar Monate fortbestehende Illiquidität zur rechtlich unerheblichen Zahlungsstockung zu erklären. Eine solche Auslegung würde das Ziel einer rechtzeitigen Verfahrenseröffnung erheblich gefaährden.“ 8 Kayser in Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Insolvenzrecht, 6. Aufl. 2012, Rz. 16. 9 Prager/Jungclaus in FS Wellensiek, 2011, S. 101, 107. 10 Prager/Jungclaus in FS Wellensiek, 2011, S. 101, 109; Ganter, ZInsO 2011, 2297, 2301.

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5.30

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

ausdrückliches Zahlungsverlangen hierfür ja nicht erforderlich ist (vgl. Rz. 5.14). Wenn aber mehr oder weniger sicher davon auszugehen ist, dass eine Forderung während der Frist eingefordert werden wird, ist nicht einzusehen, warum es dann nicht dabei bleiben soll, dass die auf der ersten Stufe festgestellte Liquiditätslücke die Zahlungsunfähigkeit begründet. Die Prognose, mit der ermittelt werden soll, ob es sich vielleicht nur um eine Zahlungsstockung handelt, fällt dann ja gerade negativ aus, denn es ist eben nicht wahrscheinlich, dass die Liquiditätslücke geschlossen werden kann. Es wäre unrealistisch ohne Weiteres anzunehmen, dass fällig werdende Verbindlichkeiten tatsächlich gestundet werden. Der Sache nach liefe die von Kayser vertretene Ansicht darauf hinaus, die Dreiwochenfrist des § 15a InsO um bis zu drei weitere Wochen zu verlängern. b) Die Zahlungseinstellung als Indiz für die Zahlungsunfähigkeit 5.30 Die Zahlungsunfähigkeit hängt in tatsächlicher Hinsicht von Umständen ab, die von außen schwer zu beurteilen sind. Daher besitzen Indizien beim Beweis der Zahlungsunfähigkeit besondere Bedeutung1. Ein besonders starkes Indiz ist die Zahlungseinstellung, bei der nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO in der Regel Zahlungsunfähigkeit anzunehmen ist. aa) Die Bedeutung der Zahlungseinstellung 5.31 Die Zahlungseinstellung ist ein Indiz im Rahmen der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit. Die Feststellung der Zahlungseinstellung führt weder im Strafprozess noch im Rahmen des Eröffnungsverfahrens oder bei Haftungsprozessen2 zu einem Wechsel der (objektiven) Beweislast3. Vielmehr knüpft § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO für das Eröffnungsverfahren und für Zivilverfahren an die Zahlungseinstellung eine Beweisregel, so dass der Richter aus der Zahlungseinstellung auf die Zahlungsunfähigkeit schließen kann. Der Gegenbeweis kann geführt werden, indem der Antragsgegner z.B. durch Vorlage einer Liquiditätsbilanz beweist, dass trotz der Zahlungseinstellung keine Zahlungsunfähigkeit vorlag, weil die Zahlungen z.B. voraussichtlich nur für höchstens drei Wochen eingestellt werden mussten4. 1 Nach OLG Düsseldorf v. 30.6.2011 – I-12 U156, GWR 2011, 505 kann die Bitte eines Schuldners an das Finanzamt, eine nicht unerhebliche Steuerschuld in Raten zahlen zu wollen, als Anhaltspunkt für seine Zahlungsunfähigkeit zu sehen sein. 2 Zur Anwendbarkeit des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO im Rahmen von Anfechtungsprozessen BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, NZI 2007, 36 = ZIP 2006, 2222 Rz. 12. 3 Anders die h.M., die die Vorschrift als Vermutung – und damit als Beweislastregel – deutet, vgl. z.B. BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, NZI 2007, 36 = ZIP 2006, 2222 Rz. 12; Bork, KTS 2005, 1, 2. Die h.M. geht damit über den Gesetzeswortlaut hinaus, der nur das Verständnis als widerlegliche Beweisregel stützt. Die hier vertretene Ansicht hat darüber hinaus den Vorteil, die Vorschrift im Rahmen von Straf- und Zivilverfahren gleich auslegen zu können. Die h.M. kommt dagegen zu einer „gespaltenen Auslegung“, da anerkannt ist, dass für den Strafprozess eine Umkehr der Beweislast nicht in Betracht kommt, Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 17 InsO Rz. 40. 4 BGH v. 26.3.2015 – IX ZR 134/13, NZI 2015, 511 = ZIP 2015, 1077; dazu Baumert, NZI 2015, 589; BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, NZI 2007, 36 = ZIP 2006, 2222 Rz. 38. Zur Abgrenzung der Zahlungsstockung von der Zahlungseinstellung OLG Düsseldorf v. 8.3.2012 – I-12 U 34/11, 12 U 34/11, ZInsO 2012, 786 = GmbHR 2013, 88.

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Zahlungsunfähigkeit

5.33

Diese Beweiserleichterung ist vor allem für das Eröffnungsverfahren sowie für 5.32 Anfechtungs- und Haftungsprozesse bedeutsam. Der Nachweis der Zahlungseinstellung macht bei ex-post Betrachtung die Aufstellung einer Liquiditätsbilanz entbehrlich, wenn im fraglichen Zeitpunkt in nicht unerheblichem Umfang1 fällige Verbindlichkeiten bestanden haben, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind. Dagegen besitzt die Zahlungseinstellung geringere Bedeutung im Rahmen der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit durch die Geschäftsführung: Zum einen dürfte die Gesellschaft schon länger zahlungsunfähig sein, wenn sie ihre Zahlungen eingestellt hat, zum anderen bedarf die Geschäftsführung nicht der durch § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO vermittelten Beweiserleichterung, da ihr die für die Aufstellung einer Liquiditätsbilanz erforderlichen Informationen ohne Weiteres zugänglich sind, so dass sie nicht auf die indizielle Feststellung der Zahlungsunfähigkeit angewiesen ist. bb) Der Tatbestand der Zahlungseinstellung Nach dem BGH ist Zahlungseinstellung

5.33

„dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, daß er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen.“2

Zahlungseinstellung ist danach ein tatsächliches Verhalten des Schuldners, aus dem Dritte mit gewisser Wahrscheinlichkeit auf die Zahlungsunfähigkeit schließen können. Das Verhalten kann die ausdrückliche oder konkludente Verweigerung der Zahlung sein, aber auch eine sonstige Erklärung des Schuldners oder eines Vertreters mit Vertretungsbefugnis über das konkrete Geschäft hinaus3. „Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007 – IX ZR 231/04, WM 2007, 1616 Rn. 28). Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007, aaO Rn. 29; vom 20. Dezember 2007 – IX ZR 93/06, WM 2008, 452 Rn. 21 jeweils mwN). Das gilt selbst dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007, aaO Rn. 29; Urteil vom 11. Februar 2010 – IX ZR 104/07, WM 2010, 711 Rn. 42). Die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist (BGH, Urteil vom 20. November 2001- IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 185).“4

1 BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, NZI 2007, 36 = ZIP 2006, 2222 Rz. 28. Umstritten ist, welchen Anteil die nicht beglichenen Forderungen ausmachen müssen. Vieles spricht dafür, dass auch hier auf die 10%-Grenze zurückzugreifen ist, vgl. Brahmstaedt, Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit, 2012, S. 202 ff. 2 BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 184 = NZI 2002, 91, 93. 3 Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 17 InsO Rz. 18; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 17 InsO Rz. 23; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 17 InsO Rz. 23 ff. 4 BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rz. 12.

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5.34

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

5.34 Die Zahlungseinstellung endet nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelne Forderungen wieder begleicht, sondern erst dann, wenn er den Schuldendienst allgemein wieder aufgenommen hat1. cc) Die Abgrenzung zur Zahlungsunwilligkeit 5.35 Die Zahlungsunfähigkeit ist abzugrenzen von der Zahlungsunwilligkeit. Zahlungsunwilligkeit ist kein Insolvenzgrund. Bei der Zahlungsunwilligkeit beruht die Nichtzahlung nicht auf einem Mangel liquider Mittel, sondern ausschließlich auf der fehlenden Bereitschaft des Schuldners, seine Gläubiger zu befriedigen. Ein Fall der Zahlungsunwilligkeit kann z.B. vorliegen, wenn der Schuldner die Forderungen zu Unrecht für unbegründet hält, seine Mittel aber objektiv ausreichen, die fraglichen Forderungen zu tilgen. In einem solchen Fall besteht kein Anlass durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens für eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger zu sorgen. Diese können sich vielmehr im Wege der Einzelzwangsvollstreckung befriedigen. 4. Handlungsoptionen der Geschäftsführung bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit 5.36 Die Handlungsmöglichkeiten der Geschäftsführung einer zahlungsunfähigen Gesellschaft sind sehr begrenzt. Nach § 15a InsO besteht eine straf- und schadensersatzbewehrte Pflicht, innerhalb von längstens drei Wochen Insolvenzantrag zu stellen (ausführlich Rz. 11.1 ff.). Diese Frist beginnt nicht mit der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit, sondern in dem Moment ihres Eintretens2. Stellt die Geschäftsführung also fest, dass die Gesellschaft schon seit zwei Wochen zahlungsunfähig ist, beträgt die Frist nur noch eine Woche. Die verbleibende Frist können die Geschäftsführer nutzen, um entweder den Insolvenzantrag vorzubereiten oder die Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Die Zahlungsfähigkeit kann sowohl durch Maßnahmen wieder hergestellt werden, die die Passivseite betreffen – Stundungsvereinbarungen, Teilverzichte seitens der Gläubiger, debt to equity swap – als auch dadurch erfolgen, dass dem Unternehmen frische Liquidität zugeführt wird, etwa durch Kreditaufnahme bei Dritten, Nachschüsse seitens der Gesellschafter oder die Veräußerung von Gegenständen des Anlagevermögens. Letzteres verspricht allerdings nur dann Abhilfe im Hinblick auf die Zahlungsunfähigkeit, soweit die Erlöse nicht ohnehin schon bei der Aufstellung der Liquiditätsbilanz im Rahmen der zweiten Stufe (Rz. 5.26) berücksichtigt wurden. 5.37 Ein Antrag auf Anordnung eines Schutzschirms nach § 270b InsO ist nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit unzulässig. Außerdem werden die Aussichten eines Antrags auf Anordnung der Eigenverwaltung – jedenfalls ohne vorherigen Austausch der Geschäftsführung – bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit oft ungünstig sein3. 1 BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 100, 109 = ZIP 2002, 87, 90; BGH v. 12.10. 2006 – IX ZR 228/03, NZI 2007, 36, 37. Zu den Auswirkungen der Erneuerung einer Ratenzahlungsvereinbarung nach Zahlungseinstellung BGH v. 27.9.2012 – IX ZR 24/12, ZInsO 2012, 2048. 2 IDW S 11 Rz. 44. 3 Ähnlich Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 270 InsO Rz. 194.

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Drohende Zahlungsunfähigkeit

5.40

III. Drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) 1. Drohende Zahlungsunfähigkeit als Grund für einen fakultativen Eigenantrag Drohende Zahlungsunfähigkeit ist noch nicht eingetretene, aber absehbare Zah- 5.38 lungsunfähigkeit. Nach § 18 InsO sind die Geschäftsführer in dieser Situation berechtigt, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Der Antrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit ist – vorbehaltlich des gleichzeitigen Vorliegens von Überschuldung – fakultativ, eine Antragspflicht besteht nicht. Statt einen Insolvenzantrag zu stellen, können die Geschäftsführer also auch versuchen, das Unternehmen außerhalb des Insolvenzverfahrens zu sanieren. Dabei müssen sie nicht fürchten, dass diese Sanierungsbemühungen durch Insolvenzanträge seitens der Gläubiger torpediert werden, denn die drohende Zahlungsunfähigkeit ist ein Insolvenzgrund nur bei Eigenanträgen1. Zu den gesellschaftsrechtlichen Konsequenzen des Eintritts der drohenden Zahlungsunfähigkeit s. Rz. 5.53. 2. Die Bedeutung der drohenden Zahlungsunfähigkeit a) Unattraktivität der Einleitung eines Insolvenzverfahrens aus Sicht der Gesellschafter und Geschäftsführer Die Möglichkeit, bei nur drohender Zahlungsunfähigkeit einen Antrag auf Eröff- 5.39 nung des Insolvenzverfahrens zu stellen, ist ein Angebot an die Gesellschaft, frühzeitig die Eröffnung des Insolvenzverfahrens einzuleiten. Von dieser Option wurde bis zum ESUG kaum Gebraucht gemacht. Selbst bei den wenigen Anträgen, die auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützt waren, dürfte in Wahrheit oft bereits Überschuldung oder sogar eingetretene Zahlungsunfähigkeit vorgelegen haben, so dass das Abstellen auf drohende Zahlungsunfähigkeit nur eine verwirklichte Insolvenzverschleppung verschleiern sollte2. Dass die Einführung der drohenden Zahlungsunfähigkeit als Insolvenzgrund 5.40 durch die InsO im Jahr 1999 so wenig Effekte im Hinblick auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung hatte, dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass die Stellung eines Insolvenzantrags – jedenfalls vor dem ESUG – aus Sicht der Gesellschafter und der Geschäftsführung kaum attraktiv war. Dies beruhte auf mehreren Gründen: Die Geschäftsführer mussten bei Anträgen wegen drohender Zahlungsunfähigkeit immer fürchten, sich gleichsam selbst zu entmachten, denn zwar konnte mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung verbunden werden, eine bedingte Antragstellung (Insolvenzantrag bedingt für den Fall der Anordnung der Eigenverwaltung) war jedoch nach h.M. nicht zulässig3. Daher liefen die Geschäftsführer Gefahr, dass das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter eingesetzt wurde, wodurch sie von der Unternehmensführung ausgeschlossen waren. Selbst 1 Der Antrag nur eines Geschäftsführers ist gemäß § 18 Abs. 3 InsO nur wirksam, wenn dieser Geschäftsführer alleinvertretungsbefugt ist. Der Geschäftsführer hat dann den Insolvenzgrund glaubhaft zu machen. 2 Karsten Schmidt in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, S. 1204 Rz. 11. 3 Wittig/Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 270 InsO Rz. 17; Haas in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 87 Rz. 3; Schlegel, ZIP 1999, 954, 956 f.

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5.41

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

wenn das Gericht eine Eigenverwaltung für denkbar hielt, drohte jedenfalls ein Kontrollverlust für die Zeit des Eröffnungsverfahrens, da die InsO bis zum ESUG die vorläufige Eigenverwaltung nicht vorsah, so dass die Gefahr bestand, dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt wurde. Entscheidend für die Unattraktivität der frühzeitigen Einleitung des Insolvenzverfahrens war schließlich die Stigmatisierung des Insolvenzverfahrens. Schon die Insolvenzantragstellung belastet die Geschäftsbeziehungen des Unternehmens so erheblich, dass sich viele Lieferanten und Kunden von dem Unternehmen abwenden, so dass allein hierdurch oft Sanierungschancen vereitelt werden. 5.41 Jedenfalls zum Teil wurden diese Effekte mit dem ESUG beseitigt oder jedenfalls gelindert: Zu nennen ist zunächst § 270a Abs. 2 InsO: „Hat der Schuldner den Eröffnungsantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt und die Eigenverwaltung beantragt, sieht das Gericht jedoch die Voraussetzungen der Eigenverwaltung als nicht gegeben an, so hat es seine Bedenken dem Schuldner mitzuteilen und diesem Gelegenheit zu geben, den Eröffnungsantrag vor der Entscheidung über die Eröffnung zurückzunehmen.“

Ob diese Brücke allerdings wirklich eine Rückzugsmöglichkeit eröffnet, ist zweifelhaft. Denn wenn nach Stellung des Insolvenzantrags Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit eingetreten sind – und das dürfte nicht selten der Fall sein –, so ist der Schuldner nach § 15a InsO zur Antragsstellung verpflichtet, so dass eine Rücknahme des Antrags automatisch eine Insolvenzverschleppung wäre1. 5.42 Eine vorbehaltlos zu begrüßende Änderung ist die Einführung der vorläufigen Eigenverwaltung durch § 270a Abs. 1 InsO. Hierdurch können die Gläubigerinteressen auch schon im Eröffnungsverfahren geschützt werden, ohne dass die Geschäftsführung fürchten muss, die Führung des Unternehmens aus der Hand zu geben. Auch baut die Regelung das Insolvenzstigma (ein wenig) ab, denn das Unternehmen bleibt nun aus der Sicht Dritter „in derselben Hand“. Die Geschäftspartner sehen sich nicht plötzlich einem (vorläufigen) Insolvenzverwalter gegenüber, so dass sie eher geneigt sein dürften, die Geschäftsbeziehung fortzusetzen. 5.43 Zur Frage der Planbarkeit des Verfahrens aus der Sicht der Gesellschafter und der Geschäftsführung sendet das ESUG widersprüchliche Signale. Einerseits stellt es in § 270b InsO ein Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung zur Verfügung (sog. Schutzschirmverfahren), das nur bei Überschuldung oder drohender Zahlungsunfähigkeit statthaft ist. Im Rahmen dieses Verfahrens wird vom Insolvenzgericht eine Frist angeordnet, während der die Geschäftsführung einen Insolvenzplan ausarbeiten kann und dabei weder Vollstreckungen noch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters fürchten muss (zum Schutzschirmverfahren im Einzelnen Rz. 9.81 ff.). Andererseits hat das ESUG aber auch die Gläubigerautonomie gestärkt und das Handlungsinstrumentarium sogar noch erheblich erweitert, indem es in § 225a InsO die Möglichkeit geschaffen hat, in die Stellung der Gesellschafter auch gegen deren Willen einzugreifen. Es ist bei allem „rechtspolitischen Gesäusel“2 – für die Gesellschafter nicht attraktiv, ein Verfahren einzuleiten, in dem sie gegen ihren 1 Hölzle, NZI 2011, 124, 130; Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1343. 2 Karsten Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2087.

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Drohende Zahlungsunfähigkeit

5.44

Willen ihre Anteile verlieren können1. Der Spagat, den das ESUG zwischen Schuldnerfreundlichkeit einerseits und Gläubigerautonomie mit der Möglichkeit des Eingriffs in Gesellschafterrechte andererseits versucht hat, musste misslingen. Insofern ist auch nach der Einführung des ESUG nicht damit zu rechnen, dass sich viele Gesellschafter „freiwillig“ für die Stellung eines (auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten) Insolvenzantrags entscheiden werden. Einzelne, besonders publikumswirksame Fälle – wie z.B. die Insolvenz der Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG – belegen nicht das Gegenteil, sondern zeigen eher, welche neuen Probleme das ESUG im Hinblick auf Instrumentalisierungsmöglichkeiten durch Gesellschafter oder Dritte geschaffen hat2. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die Diskussion um die Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens, das für den Schuldner vielleicht tatsächlich attraktiv wäre, da es die Eingriffe in Gesellschafterrechte gerade nicht zuließe, nach dem ESUG zwar kurz verstummte, aber mittlerweile wieder fortgesetzt wird3. b) Drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung Die praktische Bedeutung des Insolvenzgrunds der drohenden Zahlungsunfähig- 5.44 keit ist nach wie vor verschwindend gering. Im Jahr 2014 wurde nur in 79 Fällen ein Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH ausschließlich wegen drohender Zahlungsunfähigkeit eröffnet4. Dies beruht neben der eben erläuterten zweifelhaften Attraktivität dieser Option auch auf dem Zusammenhang der drohenden Zahlungsunfähigkeit mit der insolvenzrechtlichen Überschuldung: Voraussetzung der Fortführung des Unternehmens ist das Vorliegen hinreichender Liquidität also Zahlungsfähigkeit5. Daher ist umgekehrt die Fortführungsprognose negativ, wenn eine Gesellschaft drohend zahlungsunfähig ist6 – jedenfalls dann, wenn der prognostizierte Eintritt der Zahlungsunfähigkeit in den für die Fortführungsprognose maßgeblichen Zeitraum fällt7. Drohende Zahlungsunfähigkeit und insolvenzrechtliche Überschuldung fallen daher nur dann auseinander, wenn das drohend zahlungsunfähige Unternehmen auf der Basis von Zerschlagungswerten nicht rechnerisch überschuldet sein sollte. Solche Fälle sind sicher denkbar8, praktisch werden sie aber selten sein. Tatsächlich wird die Geschäftsführung bei drohender Zahlungsunfähigkeit oft nicht die Wahl haben, 1 Ebenso Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1846. 2 Eidenmüller, ZIP 2014, 1197; Brinkmann, ZIP 2014, 197. 3 Thole, KSzW 2012, 286; Hillmer, KSI 2014, 130, 132 f.; Florstedt, ZIP 2014, 1513, 1520. 4 Insolvenzstatistik des Statistischen Bundesamts 2014, S. 20. Zum Vergleich: Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung lagen in 10244 Verfahren vor. Drohende Zahlungsunfähigkeit und gleichzeitige Überschuldung wurden in 128 Verfahren über GmbHs als Eröffnungsgrund angenommen. 5 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 53. 6 Bitter, ZIP 2013, 398 f. 7 Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485, 490 f., zur Länge des Prognosezeitraums bei der Fortführungsprognose S. 491. 8 So könnte es sein, dass das Unternehmensvermögen im Wesentlichen aus Vermögensgegenständen besteht, deren Fortführungswert sich nicht signifikant vom Liquidationswert unterscheidet (z.B. Beteiligungen) und die zudem unveräußerlich sind (z.B. wegen Vinkulierungsklauseln), so dass sie nicht liquide gemacht werden können, um zur Tilgung der Verbindlichkeiten eingesetzt zu werden.

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5.45

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

einen Insolvenzantrag zu stellen, denn die Gesellschaft wird meist zugleich überschuldet sein, so dass eine Antragspflicht nach § 15a InsO besteht1. 3. Der Tatbestand des § 18 InsO und seine Feststellung 5.45 Der Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist in § 18 Abs. 2 InsO bestimmt: „Eine Gesellschaft droht zahlungsunfähig zu werden, wenn sie voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.“

Um die drohende Zahlungsunfähigkeit festzustellen, muss prognostiziert werden, ob die Gesellschaft die im Prognosezeitpunkt bestehenden Verbindlichkeiten im Moment ihrer Fälligkeit wird tilgen können. Es geht insofern um die „Befriedigungserwartung bezüglich schon bestehender Verbindlichkeiten“2. Die Prognose betrifft einerseits den Umfang der künftig fällig werdenden Verbindlichkeiten und anderseits die zu ihrer Tilgung zur Verfügung stehenden liquiden Mittel3. a) Die zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten 5.46 In die Prognose einzustellen sind nur die im Zeitpunkt der Erstellung der Prognose bereits bestehenden Zahlungsverpflichtungen. Hierzu gehören auch solche NichtGeldschulden, bei denen es wahrscheinlich ist, dass sie sich während des Prognosezeitraums in eine Geldschuld umwandeln werden4. Es genügt, wenn für die Verbindlichkeit der Rechtsgrund bereits gelegt ist5. Zu berücksichtigen sind also neben den bereits fälligen Verbindlichkeiten auch bedingte, betagte oder befristete Forderungen. Auch Verbindlichkeiten aus Miet- und Arbeitsverträgen sind bei der Prognose anzusetzen, auch wenn diese erst mit Beginn der jeweiligen Mietperiode entstehen6. Ebenso sind Schadensersatzansprüche zu berücksichtigen, sofern das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis bereits eingetreten ist. Die Höhe der Ansprüche ist entsprechend § 287 ZPO zu schätzen7. Bereits fest geplante Investitionen bleiben jedoch nach herrschender Meinung außer Betracht8. Künftige Verbindlichkeiten, deren Eingehung und Erfüllung für die Fortführung des Unter1 Pott, NZI 2012, 4, 6. Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 18 InsO Rz. 2 schreibt denn auch der drohenden Zahlungsunfähigkeit nur Bedeutung für die Insolvenz natürlicher Personen zu. 2 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 18 InsO Rz. 16. 3 BGH v. 5.12.2013 – IX ZR 93/11, ZIP 2014, 183 = GmbHR 2014, 259 Rz. 10. 4 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 18 InsO Rz. 13; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier, § 18 InsO Rz. 9. 5 Gesetzesbegründung BT-Drucks. 12/2443, S. 114 und h.M. Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 18 InsO Rz. 9; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 18 InsO Rz. 7; Humberg in Blersch/Goetsch/Haas, § 18 InsO Rz. 10; a.A. Geißler, ZInsO 2013, 919, 920; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 18 InsO Rz. 6. 6 Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 18 InsO Rz. 7; Bürger/Schellberg, BB 1995, 261, 264; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 18 InsO Rz. 9. 7 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 18 InsO Rz. 6; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 18 InsO Rz. 14. 8 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 18 InsO Rz. 6; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 18 InsO Rz. 14.

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Drohende Zahlungsunfähigkeit

5.49

nehmens notwendig sind – wie z.B. der Bezug von Rohstoffen oder Energie –, sind nicht bei den „bestehenden Verbindlichkeiten“ zu berücksichtigen, sondern bei der Bestimmung der zur Tilgung der bestehenden Verbindlichkeiten zur Verfügung stehenden Liquidität, s. Rz. 5.48 ff. Die fälligen Verbindlichkeiten sind grundsätzlich mit dem Nennwert anzusetzen. 5.47 Bei bestrittenen Forderungen ist ebenso wie im Rahmen der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit (Rz. 5.15) ein Abschlag vorzunehmen1. Auch die künftige Fälligkeit einer schon bestehenden Forderung ist im Wege einer Prognose zu ermitteln. Diese kann sich zum Beispiel auf die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Kündigung eines Darlehens beziehen2 oder auf den wahrscheinlichen Endzeitpunkt einer zurzeit gewährten (rechtlichen oder tatsächlichen) Stundung3. Die Forderung ist dann ab dem so ermittelten Zeitpunkt ihrer wahrscheinlichen Fälligkeit zu berücksichtigen. b) Künftige Zahlungsunfähigkeit Durch eine prospektive Kapitalflussrechnung ist zu prüfen, ob für die bereits be- 5.48 stehenden Verbindlichkeiten im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit genügend Liquidität zur Verfügung stehen wird, um sie vollständig zu tilgen4. Hierbei ist die künftige Geschäftsentwicklung zu prognostizieren und auch zu berücksichtigen, welcher Teil der eingehenden Liquidität zur Deckung der laufenden Kosten erforderlich ist, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs eingegangen und beglichen werden müssen (z.B. Lohn-, Kommunikations- oder Energiekosten, Bezug von Rohstoffen etc.)5. Bei den zur Verfügung stehenden liquiden Mitteln ist auch die Möglichkeit der Aufnahme von Kredit in Betracht zu ziehen, die nicht zuletzt davon abhängen wird, ob die Gesellschaft noch freie Sicherheiten anbieten kann6. Entgegen der h.M7. ist bei der Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit 5.49 nicht zu prüfen, ob ab dem prognostizierten Eintritt der Zahlungsunfähigkeit innerhalb eines Dreiwochenzeitraums 90 % der dann fälligen Verbindlichkeiten ge1 Dies ist nicht nur dann überzeugend, wenn es sich um verschiedene gleichartige ungewisse Verbindlichkeiten handelt (mit dieser Einschränkung Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 18 InsO Rz. 17), sondern auch dann, wenn es sich nur um eine einzelne ungewisse Verbindlichkeit handelt. Auch hier würde eine schlichte „0 oder 1“ Betrachtung der tatsächlich bestehenden Unsicherheit nicht gerecht. 2 BGH v. 5.12.2013 – IX ZR 93/11, ZIP 2014, 183 = GmbHR 2014, 259 Rz. 10; KG v. 4.3. 2014 – 14 U 98/12, ZInsO 2014, 2113,. 3 BGH v. 22.5.2014 – IX ZR 95/13, ZIP 2014, 1289 Rz. 25 f.; BGH v. 22.11.2012 – IX ZR 62/10, ZIP 2013, 79 Rz. 15. 4 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 18 InsO Rz. 16; H.-F. Müller in Jaeger, § 18 InsO Rz. 12; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 18 InsO Rz. 16. 5 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 18 InsO Rz. 11; Humberg in Blersch/ Goetsch/Haas, § 18 InsO Rz. 12; H.-F. Müller in Jaeger, § 18 InsO Rz. 10; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 18 InsO Rz. 17; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 18 InsO Rz. 8. 6 H.-F. Müller in Jaeger, § 18 InsO Rz. 12; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 18 InsO Rz. 10. 7 BGH v. 1.7.2010 – IX ZR 70/08, ZInsO 2010, 1598 Rz. 10; BGH v. 5.12.2013 – IX ZR 93/11, ZIP 2014, 183 = GmbHR 2014, 259 Rz. 10; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 18 InsO Rz. 11 f.; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 18

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5.50

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

tilgt werden können. Schon im Rahmen von § 17 InsO ist die von der Rechtsprechung vertretene 10%-Schwelle fragwürdig (Rz. 5.10.), soweit es um die drohende Zahlungsunfähigkeit geht, wäre eine solche Erheblichkeitsschwelle geradezu widersinning. Hinter der 10%-Schwelle steht der Gedanke, dass eine Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags bei bloß geringfügiger Zahlungsunfähigkeit unverhältnismäßig wäre. Dieser Gedanke passt nicht für § 18 InsO, da es hier nicht um die Frage geht, ob eine Gesellschaft Insolvenzantrag stellen muss, sondern nur darum, ob sie dies darf. Zum anderen dürfte die nach der h.M. erforderliche doppelte Prognose in der Praxis schwer glaubhaft zu machen sein, denn sie erfordert eine im Rahmen einer mehrmonatigen Prognose kaum darstellbare exakte Berechnung der Unterdeckung. Wegen dieser praktischen Schwierigkeiten und wegen der Funktion des § 18 InsO, eine frühe Verfahrenseinleitung zu ermöglichen, sollte man die Prognose nicht unnötig erschweren. Wer darlegen kann, dass er voraussichtlich an einen Punkt kommen wird, an dem er eine dann fällig werdende, jetzt schon bestehende Verbindlichkeit mangels liquider Mittel nicht wird begleichen können, ist drohend zahlungsunfähig. Meint ein Geschäftsführer dagegen, dass künftig fällig werdende Verbindlichkeiten voraussichtlich jedenfalls tatsächlich gestundet werden oder dass genügend Mittel vorhanden sein werden, muss er keinen Insolvenzantrag stellen, sondern kann zunächst einmal ohne rechtliche Konsequenzen hoffen, dass er Recht behält (zu den gesellschaftsrechtlichen Konsequenzen Rz. 5.53). 5.50 Einen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit zu stellen, ist das Ergebnis einer unternehmerischen Entscheidung zu Gunsten der Reorganisation im Insolvenzverfahren. Man sollte keine rechtlichen Hürden für diese Entscheidung errichten, die nur die Funktion haben könnten, die Gesellschaft gleichsam vor sich selbst zu schützen. Etwaigen Missbräuchen – z.B. des Mehrheitsgesellschafters gegenüber dem Minderheitsgesellschafter – ist schon durch die Begrenzung auf bereits bestehende Verbindlichkeiten eine gewisse Grenze gezogen. Jenseits dessen ist Missbrauchsversuchen nicht durch eine Begrenzung des Tatbestands des § 18 InsO zu begegnen, sondern durch das Gesellschaftsrecht sowie durch eine spezifische insolvenzverfahrensrechtliche Missbrauchskontrolle1. c) Prognosezeitraum und Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Zahlungsunfähigkeit 5.51 Die Zahlungsunfähigkeit droht, wenn ihr Eintritt wahrscheinlicher ist als ihre Vermeidung2. Nicht erforderlich ist eine „Überzeugung“ im Sinne etwa des § 286 Abs. 1 ZPO. Der Prognosezeitraum kann jedenfalls nicht über den Zeitpunkt hinausgehen, zu dem die letzte, im Betrachtungszeitpunkt schon bestehende VerInsO Rz. 5; Kaldenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 18 InsO Rz. 8; Uhlenbruck in Uhlenbruck, § 18 InsO Rz. 8. 1 Brinkmann in FS Schilken, 2015, S. 631, 634 ff. 2 BGH v. 5.12.2013 – IX ZR 93/11, ZIP 2014, 183 = GmbHR 2014, 259 Rz. 10; KG v. 4.3. 2014 – 14 U 98/12, ZInsO 2014, 2113. Für überwiegende Wahrscheinlichkeit auch Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 18 InsO Rz. 13; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 18 InsO Rz. 8; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 18 InsO Rz. 9; H.-F. Müller in Jaeger, § 18 InsO Rz. 14.

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Drohende Zahlungsunfähigkeit

5.53

bindlichkeit fällig wird1. Diese Beschränkung ist zwingende Konsequenz des Tatbestands des § 18 Abs. 2 InsO. Eine von der längsten Fälligkeit unabhängige, absolute Begrenzung des Prognosezeitraums auf ein2, zwei3 oder maximal drei4 Jahre ist dem Gesetz nicht zu entnehmen5. Richtig ist aber, dass es nur selten gelingen dürfte, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür festzustellen, dass eine Gesellschaft in zum Beispiel fünf Jahren zahlungsunfähig sein wird. Insofern wird der Prognosezeitraum oft aus praktischen Gründen begrenzt sein6. Im Einzelfall kann eine so langfristige Prognose aber durchaus möglich sein, so dass kein Anlass besteht, eine dem Gesetz fremde absolute Grenze zu postulieren. Wenn zum Beispiel in vier Jahren eine Anleihe mit großem Volumen zur Rückzahlung ansteht, oder eine Deckungszusage der Muttergesellschaft ausläuft, kann durchaus bereits jetzt absehbar sein, dass die Zahlungsunfähigkeit eintreten wird. Es sind keine Gründe erkennbar, warum die Gesellschaft nicht bereits jetzt die Restrukturierungsmöglichkeiten des Insolvenzverfahrens nutzen können soll. Insbesondere ist nicht zu befürchten, dass sich aus § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO bei 5.52 sehr langen Prognosezeiträumen ungerechtfertigte Benachteiligungen für einen Anfechtungsgegner ergeben. Bei mehrjährigen Prognosezeiträumen wird oft die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu verneinen sein, so dass die Voraussetzungen der Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht vorliegen7. 4. Gesellschaftsrechtliche Bedeutung der drohenden Zahlungsunfähigkeit Insolvenzrechtlich begründet der Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit ein 5.53 Recht, aber keine Pflicht, Insolvenzantrag zu stellen. Gesellschaftsrechtlich sind die Geschäftsführer allerdings gemäß § 49 Abs. 2 GmbHG bei Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit verpflichtet, eine Gesellschafterversammlung einzuberufen8 und den Gesellschaftern Gelegenheit zu geben, über diese strategische 1 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 18 InsO Rz. 27; H.-F. Müller in Jaeger, § 18 InsO Rz. 7; Humberg in Blersch/Goetsch/Haas, § 18 InsO Rz. 11. 2 Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 18 InsO Rz. 13. 3 Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 18 InsO Rz. 10; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 18 InsO Rz. 9; H.-F. Müller in Jaeger, § 18 InsO Rz. 7. 4 Bittmann, wistra 1998, 321, 325. Mönning in Nerlich/Römermann, § 18 InsO Rz. 34, der den Prognosezeitraum sogar auf nur wenige Monate beschränken will. 5 OLG Hamm v. 13.4.2010 – 27 U 133/09, ZInsO 2010, 1006; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 18 InsO Rz. 27. 6 Wie hier Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 18 InsO Rz. 27; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 18 Rz. 7 f.; Leithaus in Andres/Leithaus, § 18 InsO Rz. 5; Mönning in Nerlich/Römermann, § 18 InsO Rz. 34. 7 Bei der Feststellung der Kenntnis des Anfechtungsgegners von der drohenden Zahlungsunfähigkeit wird man sich oft mit Indizien begnügen müssen. Nach dem BGH soll die Rückgabe von Lastschriften ein starkes Indiz für eine drohende Zahlungsunfähigkeit sein, BGH v. 1.7.2010 – IX ZR 70/08, ZInsO 2010, 1598 Rz. 10. 8 Saenger/Al Wraikat, NZG 2013, 1201, 1203; Geißler, ZInsO 2013, 919, 922. Bei der UG ergibt sich diese Pflicht unmittelbar aus § 49 Abs. 2 GmbHG i.V.m. § 5a Abs. 4 GmbHG. Dieser Regelung für die UG sollte aber nicht im Umkehrschluss entnommen werden, dass bei drohender Zahlungsunfähigkeit in der GmbH eine solche Pflicht nicht besteht. § 5a Abs. 4 GmbHG trägt nur der Tatsache Rechnung, dass für die UG § 49 Abs. 3 GmbHG keinen Sinn ergibt.

Brinkmann

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463

5.54

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Frage durch Beschluss zu entscheiden (vgl auch Rz. 2.702). Entscheiden sich die Gesellschafter gegen eine Sanierung im Insolvenzverfahren, also gegen eine Antragstellung, so ist ein gleichwohl durch den Geschäftsführer gestellter Insolvenzantrag zwar verfahrensrechtlich wirksam1, kann aber Schadensersatzansprüche nach § 43 GmbHG auslösen. Dieselbe Folge hat es, wenn der Geschäftsführer einen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit stellt, ohne die Gesellschafter vorher beteiligt zu haben2. 5. Chancen und Risiken eines Eigenantrags wegen drohender Zahlungsunfähigkeit 5.54 Auch nach dem ESUG dürften aus der Sicht der Gesellschafter die Risiken eines auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten Insolvenzantrags seine Vorteile meist überwiegen. Attraktiv ist die Antragstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit (oder Überschuldung) allenfalls, weil nur so die Möglichkeit des Schutzschirmverfahrens genutzt werden kann. Das Schutzschirmverfahren ist nicht nur – das zeigen die ersten praktischen Erfahrungen – mit einem geringeren Maß an Reputationsverlust für das Unternehmen verbunden, dieses Verfahren ist aus Sicht der Gesellschafter vor allem besser planbar, weil das Insolvenzgericht regelmäßig die vom Schuldner benannte Person als vorläufigen Sachwalter ernennen wird (§ 270b Abs. 2 InsO). Auch bei einem Schutzschirmverfahren ist aber nicht gewährleistet, dass die Gläubiger tatsächlich den vom Schuldner erarbeiteten Insolvenzplan annehmen. Es bleibt die Gefahr, dass die Gläubiger im eröffneten Verfahren einen Insolvenzplan beschließen, der einen vollständigen Verlust der Geschäftsanteile der Altgesellschafter vorsieht3. 5.55 Vor diesem Hintergrund wird eine Antragstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit nur dann ratsam sein, wenn die Gesellschafter mit den Gläubigern verlässliche Absprachen über das Vorgehen nach Antragstellung getroffen haben. Dies setzt eine transparente Informationspolitik und Verhandlungsführung voraus, die den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen Gesellschaftern und Gläubigern ermöglicht. 5.56–5.80

vacat

IV. Überschuldung 1. Rechtspolitische Bedeutung 5.81 a) Die Überschuldung ist der rechtspolitisch bedeutsamste Insolvenzgrund im Insolvenzrecht der GmbH und der GmbH & Co. KG4. Das wird verschiedentlich im 1 S. auch Rz. 5.174 sowie Geißler, ZInsO 2013, 919, 922; Thole, ZIP 2013, 1937, 1944. Abweichend H.-F. Müller, DB 2014, 41, 44 unter Berufung auf die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht, dazu s. Rz. 5.247 Fn. 2. 2 OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, GmbHR 2013, 590; Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1593; Leinekugel/Skauradszun, GmbHR 2011, 1121, 1126; Tetzlaff, ZInsO 2008, 137, 139; Götker, Der Geschäftsführer in der Insolvenz der GmbH, 1999, Rz. 501. 3 Geißler, ZInsO 2013, 919. 4 Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 38.

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Brinkmann und Karsten Schmidt

Überschuldung

5.82

Blick auf die Insolvenzantragswirklichkeit bestritten1. Aber der rechtspraktische und rechtspolitische Akzent des § 19 InsO liegt nicht bei der gerichtlichen Prüfung gestellter Eröffnungsanträge, sondern bei den Selbstprüfungspflichten von Geschäftsführern und Liquidatoren (Rz. 1.191, 5.2, 5.82). Die Insolvenzordnung beschränkt den Überschuldungstatbestand, ganz wie das vorausgegangene Konkurs- und Vergleichsrecht, auf juristische Personen und Personengesellschaften ohne natürlichen Komplementär (§ 19 InsO)2. Überschuldung tritt typischerweise – keineswegs notwendigerweise! – vor der Zahlungsunfähigkeit ein und markiert die materielle Insolvenz der GmbH bzw. GmbH & Co. KG. Illiquiditätsinsolvenzen lassen häufig auf eine schon länger eingetretene Überschuldung schließen. Mit dem Eintritt der Überschuldung konkretisieren sich die Selbstprüfungspflichten der Organe in Gestalt sog. Insolvenzantragspflichten (Rz. 11.1 ff.). Anders gewendet: Mit Eintritt der Überschuldung setzt typischerweise die Insolvenzantragspflicht ein, und mit der Unternehmensfortführung trotz Überschuldung beginnt in der Mehrzahl der Haftungsfälle die Insolvenzverschleppungsphase, also das Wrongful Trading deutschen Rechts (Rz. 11.3). Das ist, weil der präzise Eintritt der Überschuldung i.d.R. nicht feststellbar ist (Rz. 5.107, 11.29, 11.84), vor allem im Hinblick auf das Geschäftsführerrisiko bedenklich, ist aber gewollt. Rechtspolitischer Sinn des Überschuldungstatbestands ist eine – obligatorische! – Vorverlegung des Insolvenzverfahrens vor den leichter erkennbaren Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit3. Hierauf beruht auch der unvermeidliche Prognosecharakter jeder Überschuldungsprüfung (dazu sogleich Rz. 5.88 ff., 5.140)4. Die Überschuldungsprüfung ist zwar nach dem Konzept des § 19 Abs. 2 InsO eine zeitpunktbezogene Vermögensbetrachtung, aber sie enthält in Gestalt der Fortführungsprognose ein dynamisches Element5. b) Die Überschuldungsprüfung kommt im Wesentlichen in drei Situationen in Be- 5.82 tracht (Rz. 5.105 ff.): (1.) bei der Selbstprüfung der Fortführungsfähigkeit der Gesellschaft seitens der Geschäftsführer und ihrer Berater, (2.) im Eröffnungsverfahren nach §§ 16, 19, 27 InsO sowie (3.) nachträglich in Zivil- oder Strafprozessen, insbesondere bei der Prüfung, ob und seit welchem Zeitpunkt Insolvenzverschleppung vorlag, also gegen § 15a InsO verstoßen wurde. Die Kommentarliteratur zu § 19 InsO nimmt, ebenso wie der Gesetzgeber, den Überschuldungstatbestand in erster Linie als Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren wahr, geht also von der Prüfung im Eröffnungsverfahren aus (dazu auch Rz. 5.190 ff.). Das ist juristisch nachzuvollziehen, weil ohne Insolvenzgrund kein Insolvenzverfahren eröffnet wird (§ 16 InsO). Der auf das Eröffnungsverfahren gerichtete Blick trifft aber die faktische Bedeutung des Überschuldungstatbestands nur teilweise (vgl. schon Rz. 5.1 ff.), denn die praktische Hauptbedeutung des Überschuldungstatbestands liegt nicht in der Befugnis des Gerichts, einen Eröffnungsbeschluss nach § 27 InsO zu erlassen, sondern in der Selbstprüfungspflicht der Geschäftsführer (Rz. 1.116 ff., 1.191 ff., 5.2 ff.), im Verbot der Insolvenzverschleppung (Rz. 11.1 ff.) 1 Vgl. nur Bußhardt in Braun, § 19 InsO Rz. 5. 2 Rechtspolitische Kritik bei Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 57 ff.; dazu jetzt Mock in Uhlenbruck, § 19 InsO Rz. 7. 3 Karsten Schmidt, JZ 1982, 165, 168. 4 Rechtsvergleichend Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 2011, S. 105 ff. 5 Rechtsvergleichend Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 2011, S. 96 ff.

Karsten Schmidt

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5.83

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

und in den Insolvenzverschleppungssanktionen (Rz. 11.3 ff., 11.81)1. M.a.W.: Der Überschuldungstatbestand beschäftigt Geschäftsführer, Zivilgerichte und Strafgerichte weitaus mehr als das Insolvenzgericht (Rz. 5.2). Im Vordergrund steht der Geschäftsführer. An ihn ist das Insolvenzverschleppungsverbot (§ 15a InsO) gerichtet. Ihm obliegt die kontinuierliche Aufgabe der Selbstprüfung und ggf. der Überschuldungsprüfung . Die Anwendung des § 19 InsO in Zivil- und Strafprozessen besteht ihrerseits in nichts als der nachträglichen Prüfung, ob der Geschäftsführer den § 19 InsO richtig geprüft hat und seinen Pflichten aus § 15a InsO nachgekommen ist. Auf ihn müssen wir deshalb zuallererst blicken (vgl. auch Rz. 5.2 ff., 5.109). 5.83 c) Das rechtspraktische und zugleich rechtspolitische Hauptproblem der Überschuldungsprüfung wird mit Recht in einem Dilemma zwischen dem rechtlichen Gebot der Justitiabilität und der betriebswirtschaftlich unvermeidlichen Antizipation der Solvenzsituation gesehen2. Das prognostische Element jeder Überschuldungsfeststellung (Rz. 5.85) stellt die Gerichte vor die Aufgabe, den Überschuldungstatbestand manipulationsimmun und objektivierbar anzuwenden3, und zwar auch in der Rückschau auf die Krise. Von nichts anderem handelt der Streit um den richtigen „Überschuldungsbegriff“. 2. Der „Überschuldungsbegriff“ und § 19 Abs. 2 InsO: Kontinuität oder Rechtsänderung in der Methode der Überschuldungsprüfung? 5.84 a) Der „Überschuldungsbegriff“ ist seit langer Zeit umstritten (zur Überschuldungsfeststellung vgl. Rz. 5.105 ff.). Bereits § 63 GmbHG a.F. verwendete den Begriff, jedoch ohne die Überschuldung zu definieren. § 64 Abs. 1 Satz 2 GmbHG a.F. sprach von dem Fall, dass „das Vermögen der Gesellschaft nicht mehr die Schulden deckt“. Die ausufernde Diskussion um den Überschuldungsbegriff und seine Änderungen soll hier nicht um ihrer selbst willen wiederholt werden4. Aber die Eckdaten bleiben für das Verständnis für Aufgabe, Methode und Schwierigkeit der Überschuldungsprüfung bedeutsam. Die Kernfrage des Überschuldungstatbestands besteht im Verhältnis zwischen der rein bilanziellen und der prognostischen Überschuldungsfeststellung. 5.85 Weitgehend einig ist man sich darüber, dass der Überschuldungsbegriff bilanzielle (statische) und prognostische (dynamische) Merkmale enthält5. Was wirklich umstritten ist, ist die Prüfungsmethode, nicht ein bloßer „Begriff“. Ausgangspunkt war zunächst der „alte“ (rein bilanziell konzipierte) Überschuldungsbegriff: Als überschuldet galt die Gesellschaft, wenn ihr Vermögen die Schulden nicht deckte, doch wurde bei der Aktivenbewertung zwischen fortführungsfähigen und fortführungsunfähigen Unternehmen unterschieden6. Diese Methode war von wirt1 2 3 4

Vgl. Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 56 f. Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 56 f. Drukarczyk/Schüler in Kölner Schrift zur InsO, S. 119. Vgl. ausführlicher noch 4. Aufl. (Uhlenbruck) Rz. 5.110 – 5.121; zusammenfassend Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 22 ff.; Karsten Schmidt, DB 2008, 2467 ff. und Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485 ff. 5 Gegen jede Prognose vereinzelt Wackerbarth, NZI 2009, 145 ff.; dazu aber Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485, 489. 6 Angaben bei Drukarczyk/Schüler in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 36; vgl. auch hier die 4. Aufl. (Uhlenbruck) Rz. 5.112 f.

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Karsten Schmidt

Überschuldung

5.87

schaftswissenschaftlicher Seite her als inversiv gebrandmarkt worden, weil sie die rechtliche Fortsetzungswürdigkeit an die Prognose und damit an die Fortsetzungsfähigkeit anknüpfte1. Die kritische Frage lautete: Darf das Recht die Zulässigkeit der Fortsetzung eines Unternehmens von der Prognose seines Fortbestands abhängig machen? Der Verfasser hatte, bei dieser Kritik anknüpfend, genau diese inversive Methode zum Prinzip und die Prognose zu einem eigenständigen Schritt der Überschuldungsprüfung neben der auf Liquidationswerten aufbauenden Überschuldungsmessung erklärt2. b) So entstand ein „neuer“ (durch § 19 InsO a.F. zwischenzeitlich wieder „alter“, 5.86 jedoch im Jahr 2008 wiederbelebter) zweistufiger Überschuldungsbegriff3. Diese Methode der Überschuldungsprüfung war ein Bekenntnis zum dominierenden Wert der Prognoseentscheidung. Der Bundesgerichtshof hatte sich unter der Geltung des alten Konkurs- und Vergleichsrechts diesem „neuen zweistufigen Überschuldungsbegriff“ angeschlossen. Nach dieser Rechtsprechung sollte Überschuldung einer Kapitalgesellschaft grundsätzlich dann – und nur dann – vorliegen4, – „wenn das Vermögen der Gesellschaft bei Ansatz von Liquidationswerten die bestehenden Verbindlichkeiten nicht decken würde (rechnerische Überschuldung) und – die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig nicht zur Fortführung ausreicht (Überlebens- oder Fortbestehensprognose)“. Das Ergebnis entsprach dem heute geltenden § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO: „Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.“

Dieser oft kritisierte5, häufig auch missverstandene „neue zweistufige Überschul- 5.87 dungsbegriff“ sollte den Geschäftsführer nicht in den Stand versetzen, eine rechnerisch überschuldete Gesellschaft auf Grund von Phantasieprognosen ohne Rechtsbruch fortzusetzen. Zugrunde lag die einfache rechtspolitische Überlegung, dass ein Unternehmen, das jetzt und in absehbarer Zukunft seine Verbindlichkeiten bedienen kann, nicht vom Gesetz in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden soll. Gleichzeitig sollte die unvermeidliche Prognose aus ihrem Versteck in den Bewertungsprämissen der Überschuldungsbilanz herausgeholt 1 Egner/Wolf, AG 1978, 99 ff. 2 Vgl. Karsten Schmidt, AG 1978, 334 ff.; zur Weiterentwicklung Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 46 ff. 3 Eingehend Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 38; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 5. 4 BGH v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201, 214 = GmbHR 1992, 659, 662 f.; BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199 = GmbHR 1994, 539, 545; BGH v. 20.3. 1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 154 = AG 1995, 368 = GmbHR 1995, 665 (LS); BGH v. 2.12.1996 – II ZR 243/95, NJW-RR 1997, 606, 607 = GmbHR 1997, 501, 503; BGH v. 16.6.1997 – II ZR 154/96, GmbHR 1997, 793, 794; BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776, 778 = GmbHR 1998, 594, 596; zusammenfassend Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl., § 102 KO Anm. 2b; Mock in Uhlenbruck, § 19 InsO Rz. 3; H.-F. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 18 f.; Schmidt-Leithoff/Baumert in Rowedder/Schmidt-Leithoff, vor § 64 GmbHG Rz. 105 f. 5 Vgl. besonders Drukarczyk, WM 1994, 1737 ff.; Drukarczyk/Schüler in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl., S. 62 ff.; Versuch einer Elementarkritik bei Wackerbarth, NZI 2009, 145 ff.

Karsten Schmidt

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5.88

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

und die Überschuldungsmessung vom falschen Anschein einer präzis lösbaren Rechenaufgabe befreit werden1. 5.88 Hieraus ergaben sich folgende Eckdaten für die Abgrenzung erlaubter und unerlaubter Unternehmensfortführung (vgl. auch Rz. 1.191 ff.)2: – Wenn bei Zugrundelegung von Liquidationswerten alle Gläubiger befriedigt werden können, kann die Fortführung des Unternehmens vernünftigerweise nicht verboten, eine Überschuldung im Rechtssinne also nicht eingetreten sein (hierauf beruht das Element der rechnerischen Überschuldung). – Wenn die Gesellschaft nach objektivierbarer Prognose dauerhaft zahlungsfähig bleibt, kann die Fortführung gleichfalls nicht untersagt, ein Insolvenzantrag also nicht gesetzlich geboten, eine Überschuldung im Rechtssinne also nicht eingetreten sein (hierauf beruht das Prognoseelement). 5.89 Der Hauptunterschied gegenüber dem vormals vorherrschenden (und zeitweilig durch die Insolvenzordnung wieder eingeführten) „alten“ Überschuldungsbegriff besteht darin, dass die Prognose der Unternehmensfortführung nicht mehr als bloße Bewertungsprämisse in der rechnerischen Überschuldungsfeststellung aufgeht, sondern von dieser getrennt wird (hierauf beruht die Zweiteiligkeit dieses Überschuldungsbegriffs). Aus der Sicht des Geschäftsführers drehte sich die vom BGH formulierte Formel um: Solange entweder jeder Gläubiger sogar unter Liquidationsbedingungen voll befriedigt werden oder der Eintritt von Zahlungsunfähigkeit als dauerhaft unwahrscheinlich gelten konnte, musste ein Insolvenzantrag nicht gestellt werden. In diesem Sinne entschied das OLG Hamburg im Jahr 20033: „Eine Überschuldungsbilanz muss nicht aufgestellt werden, wenn die Fortführung des Unternehmens … ohne Eintritt der Zahlungsunfähigkeit überwiegend wahrscheinlich ist.“ Es versteht sich, dass eine solche Prognose objektivierbar und in der Nähe der Krise auch durch Finanzpläne belegt sein musste (vgl. dazu Rz. 5.143). Auch konnte eine positive Prognose nur auf die Wirtschaftskraft der Gesellschaft aus eigener Kraft, ggf. auch auf ein realisierbares Sanierungskonzept gestützt werden, nicht auf die bloße Erwartung von Sanierungshilfen seitens der Gläubiger4. 5.90 c) Die Insolvenzordnung definierte den Überschuldungsbegriff in der bis 2008 geltenden Fassung wieder anders, nämlich folgendermaßen (§ 19 Abs. 2 InsO a.F.): „Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist.“

5.91 Dies war eine planvolle Rückkehr zum „alten (damit vorläufig wieder neuen) Überschuldungsbegriff“. Schon die Regierungsbegründung der Insolvenzordnung hatte sich mit diesem Überschuldungsbegriff ausdrücklich gegen die „neue zweistufige Methode“ gewandt5: „Die Feststellung, ob Überschuldung vorliegt oder nicht, kann … stets nur auf der Grundlage einer Gegenüberstellung von Ver1 2 3 4 5

Karsten Schmidt, AG 1978, 334, 338; Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 50. Vgl. Karsten Schmidt, JZ 1982, 167 ff.; Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 46 ff. OLG Hamburg v. 20.3.2003 – 10 U 37/02, GmbHR 2003, 587. BGH v. 23.2.2004 – II ZR 207/01, GmbHR 2004, 898 = ZIP 2004, 1049. BT-Drucks. 12/2443, S. 115, zu § 23 E-InsO.

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Karsten Schmidt

Überschuldung

5.93

mögen und Schulden getroffen werden.“ Und zur Aktivenbewertung: „Betreibt der Schuldner ein Unternehmen, so dürfen nur dann Fortführungswerte angesetzt werden, wenn die Fortführung des Unternehmens beabsichtigt ist und das Unternehmen wirtschaftlich lebensfähig erscheint …“ Sachlich übereinstimmend meinte der Rechtsausschuss1, „dass auch bei einer positiven Prognose für die Fortführung des Unternehmens nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass Überschuldung vorliegt. Allerdings ist bei einer solchen positiven Prognose das Vermögen mit Fortführungswerten anzusetzen. Dies wird häufig dazu führen, dass der Wert des Vermögens die Summe der Verbindlichkeiten übersteigt.“ Und sodann: „Der Ausschuss weicht damit entschieden von der Auffassung ab, die in der Literatur vordringt und der sich kürzlich auch der Bundesgerichtshof angeschlossen hat (BGH v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201, 214 = GmbHR 1992, 659, 662 f.). Wenn eine positive Prognose stets zu einer Verneinung der Überschuldung führen würde, könnte eine Gesellschaft trotz fehlender persönlicher Haftung weiter wirtschaften, ohne dass ein die Schulden deckendes Kapital zur Verfügung steht. Dies würde sich erheblich zum Nachteil der Gläubiger auswirken, wenn sich die Prognose – wie in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall – als falsch erweist.“ Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags hat die ursprüngliche Fassung 5.92 sodann um den zweiten Satz ergänzt, wonach auch bei einer positiven Prognose für die Fortführung des Unternehmens nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass eine Überschuldung vorliegt. Die Fortbestehensprognose blieb damit, wie nach dem bis vor dreißig Jahren vorherrschenden „alten zweistufigen Überschuldungsbegriff“, nur eine Vorgabe bei der Aktivenbewertung. Die auf die Zeit von 1999 bis 2008 bezogene Gerichtspraxis blieb zunächst un- 5.93 klar2. Im Urteil vom 5.2.2007 hatte der BGH dann entschieden3: „Mit der Neufassung des Überschuldungstatbestands in § 19 Abs. 2 InsO ist für das neue Recht der zur Konkursordnung ergangenen Rspr. des Senats zum sog. ‚zweistufigen Überschuldungsbegriff‘ (BGH v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201, 214 = GmbHR 1992, 659) die Grundlage entzogen.“ Das Urteil vom 5.2.20074 hat damit bekräftigt, dass die Fortführungsprognose allein keine Unternehmensfortführung mehr rechtfertigen konnte. Hinzu kam ein damals als elementar eingeschätzter Streit, ob nun die Überschuldungsprüfung nach § 19 Abs. 2 InsO „einstufig“, „zweistufig“ oder „dreistufig“ sei5. Die vor allem vom Institut der Wirtschaftsprüfer empfohlene6 „dreistufige Methode“ begann mit der Überschuldungs1 BT-Drucks. 12/7302, S. 157, zu § 23 Abs. 2 E-InsO. 2 Vgl. für Altfälle BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199 = GmbHR 1994, 539, 545; BGH v. 2.12.1996 – II ZR 243/95, GmbHR 1997, 501, 503; BGH v. 16.6.1997 – II ZR 154/96, GmbHR 1997, 793, 794; BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776, 778 = GmbHR 1998, 594, 596. 3 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = LMK 2007, I 98 m. Anm. Eilmann = DZWiR 2007, 337 m. Anm. Böcker = EWiR 2007, 305 m. Anm. Haas = GmbHR 2007, 482; dazu statt vieler Gehrlein, BB 2007, 901; Poertzgen, GmbHR 2007, 485. 4 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = LMK 2007, I 98 m. Anm. Eilmann = DZWiR 2007, 337 m. Anm. Böcker = EWiR 2007, 305 (Haas) = GmbHR 2007, 482; dazu statt vieler Gehrlein, BB 2007, 901; Poertzgen, GmbHR 2007, 485. 5 Kritisch hier die 4. Aufl. Rz. 5.66. 6 IdW, WPg 1997, 22 ff.

Karsten Schmidt

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5.94

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

bilanz nach Liquidationswerten (erste Stufe), korrigierte im Fall eines auf Überschuldung lautenden Ergebnisses die Aktiva unter der Fortführungsprognose (zweite Stufe) und schloss hieran die endgültige bilanzielle Überschuldungsmessung an (dritte Stufe). Ein Sachunterschied zwischen diesen Methoden war indes nicht zu erkennen. 5.94 d) Im Jahr 2008 folgten zwei nicht besonders gut aufeinander abgestimmte, aber das geltende Recht markierende weitere Änderungen1: – Zunächst sollte nach dem MoMiG § 19 Abs. 2 InsO um folgenden Satz 3 erweitert werden, der als Satz 2 am 1.11.2008 in Kraft getreten ist: „Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, für die gemäß § 39 Abs. 2 zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen.“

– Gegenüber dieser Regelung drängte sich dann aber das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, in Kraft getreten am 18.10.2008, vor2 und wechselte die Sätze 1–2 des § 19 Abs. 2 InsO gegen folgenden neuen Satz 1 aus: „Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.“

5.95 Man hat dies als eine Rückkehr zum „neuen“ (durch § 19 Abs. 2 InsO zwischenzeitlich „abgeschafften“) zweistufigen Überschuldungsbegriff zu verstehen3. 5.96 e) Diese zunächst nur für die Dauer der Finanzkrise formulierte Aussetzung des „alten“, rein bilanziellen Überschuldungstatbestands4 wurde durch das Gesetz vom 5.12.2012 entfristet, der „neue“ Überschuldungstatbestand also verstetigt5. 3. Geltender Rechtszustand und rechtspolitische Beurteilung 5.97 a) Seit 2008 gilt nach alledem die folgende Fassung des § 19 Abs. 2 InsO: „Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, für die gemäß § 39 Abs. 2 zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen.“

5.98 b) Rechtspolitisch stellt die wiederholte Änderung des – immerhin unter Strafund Schadensersatzsanktion stehenden! – Überschuldungstatbestands dem Gesetzgeber ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Die Ausgangsfassung des § 19 Abs. 2 InsO (Rz. 5.90) basiert auf Missverständnissen über die bereits dem jetzi1 Eingehend Karsten Schmidt, DB 2008, 2567 ff.; Boecker/Poertzgen, GmbHR 2008, 1289 ff. 2 Gesetz vom 17.10.2008, BGBl. I 2008, 1982. 3 Karsten Schmidt, DB 2008, 2567, 2469; krit. Drukarczyk/Schüler in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 2 Rz. 14; Haas, DB Status: Recht 2008, 359 ff.; Boecker/Poertzgen, GmbHR 2008, 1289, 1293 f. 4 Befristung zunächst bis zum 31.12.2010, dann bis zum 31.12.2013; vgl. Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 5. 5 Gesetz vom 5.12.2012 (BGBl. I 2012, 2418).

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Überschuldung

5.101

gen Rechtszustand entsprechende BGH-Praxis zum „neuen zweistufigen Überschuldungsbegriff“1. Die Neufassung durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz wurde in einer Weise begründet, als wollte man während der im Herbst 2008 einsetzenden Finanzkrise den überschuldeten (Bank-)Unternehmen mit einem gesetzlichen Trick gestatten, auf Kosten der Gläubiger weiterzumachen2. Das war nicht zielführend. Angemessenes Ziel der Gesetzgebungsarbeit ist nicht der gerade einmal zur politischen Situation passende, sondern der „richtige“ Überschuldungstatbestand ist zu formulieren. Dieser Tatbestand muss die Methode der Überschuldungsprüfung beschreiben. c) In den praktischen Ergebnissen sind die „alten“ und „neuen“ Methoden der 5.99 Überschuldungsfeststellung voneinander weit weniger entfernt, als meist zugegeben wird3. Die Unterschiede beziehen sich allein auf das Verhältnis zwischen der bilanziell zu messenden „rechnerischen Überschuldung“ und der Prognose, also auf die Methode des Überschuldungstests. – Nach jeder der in Frage stehenden Methoden geht eine Prognose und damit ein unsicherer Faktor in die Überschuldungsprüfung ein. – Beide Methoden, die „alte“ (vom InsO-Gesetzgeber für 1999 bis 2008 wieder eingeführte) und die „neue“ (vom Gesetzgeber ab 2008 wieder aufgegriffene) Methode sind zweistufig. – Der Unterschied liegt nur bei der Frage, ob eine objektiv positive Fortführungsprognose eine bilanzielle Überschuldungsprüfung entbehrlich machen kann (so die „neue“ und nunmehr wieder gesetzliche Methode) oder ob eine Überschuldungsprüfung ohne eine bilanzielle Überschuldungsmessung überhaupt nicht möglich ist (so die „alte“, von 1998 bis 2008 gesetzlich angeordnete Methode). Die systematische Unterscheidung zwischen der „alten“ und der „neuen“ Zwei- 5.100 stufigkeit nach § 19 Abs. 2 InsO besteht in der Frage, ob die – seit jeher und auch in Zukunft gemäß der Natur der Sache unentbehrliche – Prognose als Bewertungsprämisse in die bilanzielle Überschuldungsmessung eingeht (so die „alte“ Methode und, ihr folgend, von 1999 bis 2008 die Insolvenzordnung) oder ob sie besonders ausgewiesen und begründet werden muss, wenn das Unternehmen fortgesetzt werden soll, obwohl es bei Ansetzung von Liquidationswerten „rechnerisch“ überschuldet wäre (so der nunmehr gesetzlich vorgesehene Ansatz der „neuen zweistufigen Methode“). Der für die Prognose nach beiden Methoden maßgebliche Finanzplan folgt nach beiden Methoden betriebswirtschaftlichen Regeln (vgl. dazu Rz. 5.140 ff.)4. 4. Praxisfolgen für die Selbstprüfung der Geschäftsführer a) Die Frage, wie viel sich durch die unterschiedlichen Tatbestände nach § 19 5.101 Abs. 2 InsO für die Praxis geändert hat, ist zweifelhaft. Auf Anhieb scheinen die Rechtsänderungen gravierend. In einem Beschluss von 2006 hatte der Bundes1 Vgl. 4. Aufl. Rz. 5.71. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/10600, S. 21; vgl. zur anfangs beabsichtigten Rückkehr zum „alten“ Tatbestand nach Überwindung der Finanzkrise die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drucks. 16/10651 unter III; krit. dazu Boecker/Poertzgen, GmbHR 2008, 1289, 1293 f. 3 Dazu Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485, 488. 4 Dazu etwa Drukarczyk/Schüler in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 58 ff.

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5.102

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

gerichtshof sogar die Überschuldungsfeststellung nach Liquidationswerten zur Regel erklärt und ausgesprochen, dass eine Aktivierung des Unternehmenswerts zu Fortführungswerten den „Ausnahmefall“ darstelle und dass dieser „Ausnahmefall“ eine positive Fortführungsprognose voraussetze1. Das klang nach einer radikalen Verschärfung, so, wie die nunmehr geltende Neufassung von 2008 verschiedentlich als Signal einer laxeren Überschuldungsprüfung eingeschätzt wurde2. Dass sich der Kreis der materiell insolventen Unternehmen durch einen Federstrich des Gesetzgebers radikal verändern lässt, will aber nicht einleuchten. Nach wie vor kann es nur darum gehen, die „richtigen“ Unternehmen zwangsweise vom Markt zu nehmen, also diejenigen Unternehmen von Rechts wegen auszusortieren, die im Gläubigerschutzinteresse nicht fortgeführt werden dürfen, weil Forderungsausfälle zu erwarten sind (Rz. 5.98). 5.102 b) Wo lag das Hauptproblem bei der von 1999 bis 2008 geltenden Fassung des § 19 Abs. 2 InsO? Es lag in der schwierigen Frage, ob eine Einzelbewertung der Vermögensgegenstände geboten oder eine Gesamtbewertung des Unternehmens gestattet ist. Die wohl h.M. verlangte generell eine Einzelbewertung3. Nach ihr ähnelte der Überschuldungsstatus auf der Aktivseite einer Jahresbilanz, freilich unter Aufdeckung der stillen Rücklagen4. Der sog. originäre Firmenwert erschien demnach nicht in der Überschuldungsbilanz. Das ist zweifelhaft und bedenklich, weil dadurch der Wert der Überlebensprognose in Zweifel gezogen wird.5. Ließ man im Fall einer positiven Prognose die Gesamtbewertung des Unternehmens bzw. – was auf dasselbe hinausläuft – die Aktivierung des sog. Firmenwerts bei der Einzelbewertung zu, so konnte auch nach § 19 Abs. 2 InsO a.F. (1999–2008) als Erfahrungsregel gelten6: Da im Fall der positiven Fortführungsprognose die Verwertbarkeit des Unternehmens zu Going-Concern-Werten gegeben ist, konnte die gesetzmäßige Aktivenbewertung unter Fortführungsbedingungen in einer Gesamtbewertung des Unternehmens bestehen, was den Überschuldungstatbestand entgegen der herrschenden Auffassung ähnlich wie bei Zugrundelegung des aktuellen Gesetzeswortlauts ausschließen konnte. 5.103 c) Wo liegt das Hauptproblem bei der Überschuldungsprüfung nach § 19 Abs. 2 InsO in der geltenden Fassung? Es liegt darin, wie die Fortführungsprognose erstellt werden soll, sowie darin, unter welchen Voraussetzungen noch eine bilanzielle Überschuldungsprüfung und evtl. ein Rangrücktritt nach § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO ratsam ist. Es wird darauf ankommen, welches Merkmal leichter mit objektiver Überzeugungskraft geprüft werden kann. Die Feststellung der Überschuldung im Einzelfall wird bei Rz. 5.105 ff., 5.121 ff. näher behandelt. 5.104 Das Verfahren des Geschäftsführers bei der Überschuldungsprüfung wird sich typischerweise folgendermaßen gestalten7: 1 BGH v. 9.10.2006 – II ZR 303/05, GmbHR 2006, 1334 = ZIP 2006, 2171. 2 Dazu schon 4. Aufl. Rz. 5.74. 3 Böcker, Die Überschuldung im Recht der GmbH, 2002, S. 106 ff.; H.-F. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 26. 4 Meinungsbild und Kritik in der 4. Aufl. Rz. 5.75. 5 Ebd. 6 Vgl. Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485, 488. 7 Dazu eingehend Drukarczyk/Schüler in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 43 ff.; Harz/Baumgartner/Conrad, ZInsO 2005, 1304, 1308 f.

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Überschuldung

5.105

– Regelmäßig steht eine kursorische Prognoseprüfung am Anfang1. Steht die Fortsetzungsfähigkeit außer Zweifel, aber nur in diesem Fall, kann eine bilanzielle Überschuldungsmessung entfallen. Diese Prognose zielt nicht einfach auf die Ausschließung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit2. Es geht im Wesentlichen um die Ertragskraft auf der Basis von cash-flow-Informationen3. In einer ernsthaften Unternehmenskrise wird dagegen der Vorrang der Prognose – positive Prognose verdrängt bilanzielle Überschuldungsprüfung – zu bloßer Theorie, weil eine gerichtsfeste Prognose in der Krise ohne Grundlage in einem Vermögensstatus kaum möglich ist. Grundregel für die Überschuldungsprüfung in der Krise ist deshalb4: Keine Prognoseprüfung ohne Überschuldungsstatus (str.; vgl. auch Rz. 5.116)! – Im Zweifelsfall wird ein Überschuldungsstatus aufgestellt. Darin sind auch nachrangige Verbindlichkeiten nach § 39 Abs. 1 InsO zu passivieren, nicht allerdings Verbindlichkeiten mit Rangrücktrittsvereinbarung nach § 39 Abs. 2 InsO (Rz. 5.130). – Bei Gesellschafterkrediten sind Rangrücktrittsvereinbarungen vor jeder Überschuldungsprüfung ratsam (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO; dazu Rz. 5.137). Es wäre in einer Krise des Unternehmens kurzsichtig, hierauf nur im Hinblick auf eine positive Prognose zu verzichten. – Lässt sich ohne Weiteres feststellen, dass die Gesellschaft selbst aus einem Zerschlagungserlös die Verbindlichkeiten begleichen könnte (ein seltener Fall!), so kann es der Geschäftsführer bei dieser – zweckmäßigerweise zu dokumentierenden – Feststellung belassen. Es gibt also sub specie § 19 Abs. 2 InsO keinen ausnahmslosen Zwang zur prognostischen Liquiditätsplanung. 5. Feststellung der Überschuldung a) Die Aufgabe aa) Unterschiedliche Prüfungsanlässe Die Kriterien der Überschuldung sind, unabhängig vom Prüfungsanlass, von 5.105 Rechts wegen immer dieselben. Die Art und Weise der Überschuldungsprüfung ist jedoch anlassbezogen und durchaus unterschiedlich. Es macht einen großen Unterschied, ob die Überschuldung (sogar bezogen auf einen und denselben Sachverhalt) – im Eröffnungsverfahren, – im Zivil- oder Strafprozess wegen der Sanktionierung von Insolvenzverschleppungsdelikten (§ 15a InsO) oder verbotenen Zahlungen (§ 64 Satz 1 GmbHG, § 130a Abs. 2 HGB) oder schließlich – durch die Geschäftsführung, durch ihre Berater und durch Wirtschaftsprüfer während der Krise. geprüft wird (vgl. bereits Rz. 5.82). 1 Vgl. Hess, § 19 InsO Rz. 26; Drukarczyk/Schüler in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 45. 2 Vgl. Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 35. 3 Drukarczyk/Schüler in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 58 ff.; Harz/ Baumgartner/Conrad, ZInsO 2005, 1304, 1309. 4 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 15; Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485, 489.

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5.106

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

5.106 aaa) Die Prüfung im Eröffnungsverfahren, im Zivil- oder im Strafprozess ist eine gerichtsförmige Prüfung, und doch gibt es hier bereits beträchtliche Unterschiede. Die Prüfung im Eröffnungsverfahren ist eine Prüfung von Amts wegen (§ 5 Abs. 1 InsO)1, bezogen auf den Insolvenzgrund Überschuldung als Verfahrensauslöser2 im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung3. Die Prüfung ist damit gegenwartsbezogen („Überschuldung jetzt?“) und verfahrensbezogen („Insolvenzantrag begründet?“). Ungeachtet der Ansiedelung des § 19 InsO im Regelungsbereich der Verfahrenseröffnung macht aber die Feststellung der Überschuldung, ist erst einmal ein zulässiger Antrag gestellt, hergebrachterweise die geringsten Schwierigkeiten, weil die negative Prognosewirkung des Insolvenzantrags selbst zum Überschuldungseintritt beiträgt. Ob sich dies unter dem ESUG durch strategische Insolvenzanträge zu ändern beginnt (der vieldiskutierte Suhrkamp-Antrag war auf Überschuldung gestützt!), bleibt abzuwarten. 5.107 bbb) Gleichfalls gerichtsförmig und rechtsfolgenbezogen, als Aufgabe aber doch andersartig ist die Prüfung im Zivil- oder Strafprozess aufgrund des Vorwurfs der Insolvenzverschleppung (bzw. verbotener Zahlungen), eventuell auch in Anfechtungsprozessen. Gemeinsam ist diesen Fällen die vergangenheitsbezogene Überschuldungsfeststellung mit der vieldiskutierten Gefahr eines gerichtlichen Rückschaufehlers (hindsight bias), weil die nach § 19 Abs. 2 InsO relevante Prognose ex post beurteilt werden muss. Gemeinsam ist diesen Verfahren auch die schwierige Prüfung nicht nur des Ob, sondern auch des Wann und Wielange der Überschuldung, also die Ermittlung der relevanten Überschuldungsperiode. Hierbei wiederum unterscheiden sich Strafprozess und Zivilprozess in ihren beweisrechtlichen Maximen: Amtsprüfung (Prinzip der „materiellen Wahrheit“) im Strafprozess vor dem Hintergrund der Unschuldsvermutung gegenüber dem Prinzip der „formellen Wahrheit“ mit Beweisführungslast und Beweislast im Zivilprozess (zur Beweislast vgl. Rz. 11.49)4. 5.108 ccc) Nur theoretisch hiermit vergleichbar ist die Feststellungsaufgabe der Unternehmensleitung und ihrer Berater während der Krise. Wie die Prüfung im Eröffnungsverfahren ist diese Feststellungsaufgabe gegenwartsbezogen. Der Unterschied gegenüber der gerichtlichen Feststellung liegt – in der Fragestellung (nicht die Überschuldung, sondern die Unternehmensfortführung ohne Insolvenzverschleppung bestimmt die Prüfungsfrage, also die Klärung der Nicht-Überschuldung), – in der Anreizfunktion der Überschuldungsprüfung (bestehend z.B. im Bemühen um überschuldungsvermeidende Maßnahmen), – in der absoluten Formlosigkeit des bei der Selbstprüfung anzuwendenden Prüfungsverfahrens und doch auf der anderen Seite – in der für die Verwendung gegenüber Kontrollgremien und für den Fall eventueller Verschleppungsvorwürfe unerlässlichen Dokumentationsaufgabe. 1 Dazu etwa Vuia in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 13 Rz. 1. 2 Vgl. Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 22 ff. 3 BGH v. 27.6.2006 – IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 = NZI 2006, 693; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 16 InsO Rz. 14; h.M.; anders noch BGH v. 5.2.2004 – IX FB 29/03, NZI 2004, 587; H.-Fr. Müller in Jaeger, § 16 InsO Rz. 16 (Zeitpunkt der letzten Tatsacheninstanz); krit. auch Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 16 InsO Rz. 7. 4 Dazu vgl. Rauscher in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2013, Einl. Rz. 314.

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Diesem dritten Bereich, also der rechtlich verantwortlichen Prüfung der Nicht- 5.109 Überschuldung durch die Geschäftsleitung und ihre Berater, gebührt im vorliegenden Werk der Vorrang. Charakteristisch ist der klare Gegenwartsbezug dieser Prüfung, durchmischt freilich mit Blicken in die Zukunft (wie lange kann ich ohne neuerliche Prüfung das Unternehmen fortsetzen? Wie gerichtsfest ist mein Ergebnis im Fall künftiger Insolvenz?). ddd) Die unterschiedliche Versuchsanordnung bei dieser unternehmerischen im 5.110 Vergleich mit der gerichtlichen Überschuldungsprüfung besteht darin, dass das Gericht die bilanzielle Überschuldung feststellen und (!) eine positive Prognose ausschließen muss (vgl. § 19 Abs. 2 InsO), während sich die unternehmerische Überschuldungsprüfung mit der Feststellung begnügen kann, ob – entweder eine bilanzielle Überschuldung ausgeschlossen – oder (!) eine positive Prognose angenommen werden kann. Hieraus ergibt sich, dass das Gesetz (für die Überschuldungsprüfung) keine feste Prüfungsreihenfolge vorschreibt1. Nur theoretisch ist allerdings daraus zu folgern, dass die Prüfungsreihenfolge im freien Belieben steht (vgl. Rz. 5.104). bb) Einstufige, zweistufige oder dreistufige Prüfung? In dem Bestreben, die Ebenen des gesetzlichen Überschuldungstatbestands in ein 5.111 Prüfungsprogramm einzubauen, wurde viel über die Einstufigkeit, Zweistufigkeit oder gar Dreistufigkeit des Prüfungsverfahrens diskutiert2. Richtig ist, dass der Überschuldungstatbestand sich aus unterschiedlichen Elementen und insofern zweistufig zusammensetzt (Rz. 5.114 ff.). Richtig ist auch, wie bei jedem mehrgliedrigen Tatbestand, dass einmal der erste, dann wieder der zweite Tatbestandsteil vor dem jeweils anderen festgestellt ist. Auch hieraus ergibt sich aber kein schematisch vorgeschriebenes Prüfungsprogramm. Dass die Prüfung weder als eine zwingend in unterschiedliche Phasen aufgeteilte Prozedur abläuft noch im freien Belieben der Geschäftsführung steht, folgt aus drei ganz einfachen Überlegungen: – Wenn das Prüfungsergebnis richtig (gewesen) ist, ist ganz ohne Belang, warum es richtig war, ob also die Nicht-Überschuldung auf der Bilanzebene oder auf der Prognoseebene ermittelt worden ist. – Wenn sich das Prüfungsergebnis später als unrichtig erweist, kommt es ganz wesentlich darauf an, ob die auf der einen oder (und) anderen Ebene vorgenommene Prüfung ausreichte. – Die im Prüfungszeitpunkt unvermeidbare Ungewissheit, ob das gegenwärtig für richtig gehaltene Prüfungsergebnis auch einer künftigen Prüfung ex post (insbesondere im Straf- oder Haftungsprozess) standhalten wird, prägt die gegenwartsbezogene Prüfungsmethode: Ziel ist die Optimierung gegenwärtiger 1 Vgl. statt vieler Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 31; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 14; a.M. Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 59a (Vorrang der Fortbestehensprognose); Adolff in FS Hellwig, 2011, S. 433, 436 (Vorrang der bilanziellen Prüfung). 2 Ausführlich 4. Aufl. (Uhlenbruck), Rz. 5.115 ff.; Drukarczyk/Schüler in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 23 ff.

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5.112

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Richtigkeitserwartung und künftiger Gerichtsfestigkeit. Das bedeutet: Der kürzere und weniger aufwendige Weg zu einem Prüfungsergebnis ist nur der bessere, wenn und solange dies nicht auf Kosten der Gerichtsfestigkeit geht. 5.112 Für die Praxis ergibt sich hieraus, dass es darauf ankommt, wie die Prüfung möglichst rasch, möglichst kostensparend und möglichst gerichtsfest zum Prüfungsziel führt. Und weiter folgt hieraus, – dass eine bilanzielle Überschuldungsmessung, wenn sie die Nicht-Überschuldung zu belegen vermag, nur unter allgemeinen Governancegesichtspunkten (nicht wegen § 19 Abs. 2 InsO) durch Liquiditätspläne untermauert werden sollte und – dass eine prognostische Überschuldungsmessung um belastbar zu sein, auch durch einen Vermögensstatus unterlegt sein sollte (Rz. 5.104). cc) IDW-Standard IDW S 11 5.113 Eine Hilfe bei der Selbstprüfung auf Überschuldung oder Nichtüberschuldung geben die im Januar 2015 neu gefassten IDW-Standards zur Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11)1. aaa) Methodisches Vorgehen 5.114 Die IDW-Standards „Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11)“ gehen von den folgenden Grundsätzen aus: Regelmäßig erfordere die Überschuldungsprüfung ein zweistufiges Vorgehen, nämlich auf der ersten Stufe eine Fortbestehensprognose, im Fall einer negativen Prognose auf der zweiten Stufe eine bilanzielle Gegenüberstellung von Vermögen und Schulden, aus der sich ggf. eine Überschuldung ergeben könne2. Die Häufigkeit, der Zeitpunkt, die Fortschreibung und der Detaillierungsgrad dieser Überschuldungsprüfung bestimmten sich nach dem Ausmaß und Stadium der Krise, was mit sich verschärfender Unternehmensgefährdung zu höheren Anforderungen auch an die Aktualisierung (die Standards sagen: „Fortschreibung“) der Überschuldungsprüfung führe3. Auf das zweistufige Verfahren könne verzichtet werden, wenn eine Überschuldung – gemeint offenbar: ungeachtet eingetretener und nicht beendeter Unternehmenskrise – aufgrund einfach zu beurteilender Sachverhalte ausgeschlossen werden kann (z.B. aufgrund von Bestandsgarantien im Konzern, Rangrücktritten oder stillen Reserven)4, was allerdings sorgfältig dokumentiert werden müsse5. 5.115 Stellungnahme: Der IDW-Standard IDW S 11 geht unausgesprochen, jedoch unverkennbar, von einer vorhandenen Krisensituation aus, deren Feststellung Resultat der ständigen Selbstprüfung seitens der Unternehmensleitung ist (Rz. 1.116, 1.191 ff.). Solange keinerlei Grund besteht, die Überschuldung zu prüfen, genügt 1 Dazu ausführlich Lenger/Nachtsheim, NZI 2014, 992; Solmecke, DStR-Beih. 2014, 71; Steffan/Solmecke, WPg 2015, 429; Weber/Küting/Eichenlaub, GmbHR 2014, 10. 2 IDW S 11 Rz. 53. 3 IDW S 11 Rz. 54. 4 IDW S 11 Rz. 55. 5 IDW S 11 Rz. 56.

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Überschuldung

5.118

diese allgemeine und generelle, durch Unternehmenskennzahlen belegbare Selbstprüfung, ohne dass über eine bestimmte Reihenfolge der Überschuldungsprüfung nachzudenken wäre1. Um eine Überschuldungsprüfung handelt es sich bei dieser Phase der kontinuierlichen Selbstprüfung nicht. Es gibt sie in jedem Unternehmen auch außerhalb einer Krisensituation. Findet eine Überschuldungsprüfung statt, so geht der IDW-Standard IDW S 11 da- 5.116 von aus, dass die Fortbestehensprognose die erste Stufe darstellt, der nur im Fall einer negativen Prognose eine bilanzielle Überschuldungsmessung zu folgen hat (Vorrang der Fortbestehensprognose)2. Dieser Versuchsanordnung wird im vorliegenden Buch nicht gefolgt3. Der Grund liegt nicht in einem zwingenden Vorrang der bilanziellen Prüfung, sondern darin, dass eine belastbare Fortbestehensprognose – sofern im Einzelfall überhaupt erforderlich (Rz. 5.104) – in der Regel durch einen die bilanzielle Überschuldungsprüfung ausweisenden Status unterlegt sein muss. Mit dieser Einschränkung erweist sich die Orientierung der Überschuldungsprüfung am Standard IDW S 11 als hilfreich. bbb) Zum Überschuldungsstatus Den Überschuldungsstatus beschreiben die Standards treffend anhand seiner Auf- 5.117 gabe, die rein bilanzielle Schuldendeckung zu belegen, und zwar unter der Zerschlagungsprämisse4. Der bilanziellen Prüfungsmethode entsprechend unterscheiden die Standards auf der Aktivseite zwischen dem Ansatz und der Bewertung. Ansatzfähig sind alle einzeln verwertbaren Vermögensbestandteile5. Die Bewertung erfolgt einzelfallabhängig nach Liquidationswerten6, und zwar im Einklang mit der Liquidationsstrategie (Liquidationsintensität und Liquidationsgeschwindigkeit)7 und gemäß der wahrscheinlichsten Verwertungsart8, was für einzelne Aktiva besonders erläutert wird (vgl. dazu in diesem Buch Rz. 5.122 ff.)9. Ähnliches gilt für die Passivseite, für die insbesondere auf die Spezialbehandlung der nachrangigen Verbindlichkeiten, z.B. Gesellschafterdarlehen, hingewiesen wird (dazu Rz. 2.91 ff.)10. Stellungnahme: Die Standards entsprechen bezüglich des Insolvenzstatus dem 5.118 geltenden Recht. Sie gehen namentlich vom Grundsatz der Einzelbewertung aus (dazu Rz. 5.121), ohne dies freilich explizit herauszuarbeiten. Dieser Grundsatz der Einzelbewertung ist für den geltenden Überschuldungsbegriff essentiell11, während unter dem bis 2008 geltenden Überschuldungstatbestand (Rz. 5.90) eine 1 Rz. 53 des IDW S 11 bezieht sich hierauf nicht. 2 IDW S 11 Rz. 53; dazu auch Nachtsheim, NZI 2014, 992, 994 f.; schematische Darstellung bei Solmecke, DStR-Beih. 2014, 71, 79. 3 Mit Recht relativierend auch Weber/Kübing/Eichenlaub, GmbHR 2014, 1009, 1014. 4 IDW S 11 Rz. 68 (nach den Standards ergibt sich dies aus dem angeblichen Vorrang der Prognose). 5 IDW S 11 Rz. 70. 6 IDW S 11 Rz. 73. 7 IDW S 11 Rz. 74. 8 IDW S 11 Rz. 75. 9 IDW S 11 Rz. 76 ff. 10 IDW S 11 Rz. 82 ff. 11 Vgl. ausführlicher 4. Aufl. (Uhlenbruck) Rz. 5.135 m.w.N.; zusammenfassend Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 25.

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Gesamtbewertung dazu beitragen konnte, die bilanziellen Prüfungsergebnisse im Fall positiver Prognose den hier für das geltende Recht vertretenen Ergebnissen anzupassen (Rz. 5.102)1. Dazu gibt das geltende Recht keinen Ansatz mehr, weil es klar zwischen der bilanziellen Prüfung und der Prognose unterscheidet. Eine Gesamtbewertung kommt nur in Betracht, wenn dies der im konkreten Einzelfall wahrscheinlichsten Verwertungsart angemessen ist, wenn also ein bestimmter Kaufpreis für das Unternehmen aktiviert werden kann (Rz. 5.121). ccc) Zur Fortbestehensprognose 5.119 Die Fortbestehensprognose wird in den IDW S 11 als „reine Zahlungsfähigkeitsprognose“2 beschrieben, und zwar als „wertendes Gesamturteil über die Lebensfähigkeit des Unternehmens … auf der Grundlage des Unternehmenskonzepts und des … Finanzplans“3. Der Prognosezeitraum umfasst danach i.d.R. nur das laufende sowie das folgende Geschäftsjahr4. Es wird auf die der Prognose inhärente Unsicherheit verwiesen5, außerdem auf die Notwendigkeit, die Fortbestehensprognose, sobald sich durch Änderung der Fakten oder sonstige Zweifel an ihrer Validität der Prognose ergeben, zu wiederholen (die Standards sprechen missverständlich von einer „Fortschreibung“ der Fortbestehensprognose)6. Dem Wortlaut des § 19 Abs. 2 InsO folgend, wird die Prognose als positiv bezeichnet, wenn der Fortbestand des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist, was ein Gesamturteil über den Unternehmensverlauf, bezogen vor allem auf die Zahlungsfähigkeit, voraussetze7. Eine Teilliquidation (Veräußerung von aufgrund des Unternehmenskonzepts nicht betriebsnotwendigen Unternehmensteilen) stehe nicht unbedingt entgegen8. Beabsichtigte Sanierungsmaßnahmen (z.B. Kapitalmaßnahmen, Gesellschafterdarlehen und sonstige Kredite) könnten einbezogen werden. 5.120 Stellungnahme: Ein Vorgehen nach den Standards IDW S 11 ist auch bezüglich der Prognose nützlich. Doch ist deren Ansatz sehr dem Gesetzeswortlaut verhaftet und nur begrenzt ergiebig. Über die Finanzplanrechnung, die den Ausschlag für die Prognose gibt, sagen die Standards nichts (dazu Rz. 5.140 ff.). Zu bedenken ist auch, dass die Überschuldung nicht des Unternehmens, sondern des Rechtsträgers geprüft wird, weshalb die vom Gesetz erwartete „Fortführung des Unternehmens“ nur von Interesse ist, sofern sie aufgrund von Zahlungsplänen eine dauerhafte Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft auch im Fall bilanzieller Überschuldung erwarten lässt. Eine Gesellschaft, die das Unternehmen durch Verkauf oder Ausgliederung in andere Hände gibt, ist einer positiven Prognose nur aufgrund ihrer eigenen Ertragslage zugänglich, nicht aufgrund der Fortführungsfähigkeit des Unternehmens. Als inaktiver GmbH-Mantel ist sie im Fall bilanzieller Überschuldung reif für die Insolvenz. 1 Vgl. 4. Aufl. (Karsten Schmidt) Rz. 5.75; s. auch Hüttemann in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 760 ff. 2 IDW S 11 Rz. 59; dazu auch Weber/Küting/Eichenlaub, GmbHR 2014, 1009, 1014. 3 IDW S 11 Rz. 58. 4 IDW S 11 Rz. 60. 5 IDW S 11 Rz. 63. 6 IDW S 11 Rz. 67. 7 IDW S 11 Rz. 62. 8 IDW S 11 Rz. 65.

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Karsten Schmidt

Überschuldung

5.122

b) Der Überschuldungsstatus Nach dem geltenden, bilanzielle Überschuldungsermittlung und Prognose tren- 5.121 nenden Überschuldungstatbestand (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO) unterliegt der Überschuldungsstatus grundsätzlich dem Prinzip der Einzelbewertung (vgl. schon Rz. 5.118)1. Ausgangspunkt der bilanziellen Überschuldungsmessung ist regelmäßig ein zeitnaher Jahres- oder Zwischenabschluss2, aber der Überschuldungsstatus selbst unterliegt wegen der unterschiedlichen Bilanzzwecke grundsätzlich nicht den der periodischen Rechnungslegung dienenden Regeln über die Handelsbilanz3. Die Vermögensgegenstände werden nach Liquidationswerten angesetzt4, und zwar unter der Annahme einer gesellschaftsrechtlichen, nicht insolvenzrechtlichen Liquidation5. Stille Reserven werden aufgedeckt6, ebenso stille Lasten (etwa Abschläge bei zum Anschaffungswert bilanzierten Aktiva). Eine Gesamtbewertung des Unternehmens going concern kommt nur unter dem Gesichtspunkt einer konkret beabsichtigten Unternehmensveräußerung in Betracht7. Sinngemäß Gleiches gilt für Zweigniederlassungen und Betriebsstätten8. Soweit Einzelaktiva und -passiva in eine solche Gesamtbewertung eingehen, erscheinen diese nicht auch noch gesondert im Insolvenzstatus (Rz. 5.123)9. Auf die Belegenheit der Vermögensgegenstände kommt es, soweit sie nicht die Verwertbarkeit berührt, nicht an. Auslandsvermögen wird demgemäß einbezogen10. Entscheidend sind die gegenwärtigen Aktiva und Passiva. Die abstrakte Gefahr schädlicher Maßnahmen der Geschäftsführung – Verschleuderung von Anlage- oder Umlaufvermögen, Verzicht auf Forderungen, Schuldanerkenntnisse, verbotene Ausschüttungen – berührt die Überschuldungsprüfung grundsätzlich nicht. Die Überschuldungsprüfung ist in erster Linie Aufgabe der unternehmerischen Selbstprüfung und geht vorbehaltlich konkreter Maßnahmen von der Annahme aus, dass die zur Überschuldungsabwendung verpflichtete Geschäftsführung die Überschuldung nicht durch vermögensschmälernde Handlungen herbeiführt oder verschärft11. Diese Überlegung wird sich auch für die Beurteilung des Rangrücktritts und seiner Aufhebbarkeit als bedeutsam erweisen (Rz. 5.137). aa) Die Aktivseite aaa) Immobilien und bewegliche Sachen werden nach ihrem gegenwärtigen Ver- 5.122 kehrswert angesetzt12. Die Bewertung im Einzelfall, insbesondere die Grund1 Vgl. hierzu und zum Folgenden Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 25. 2 Vgl. IDW S 11 Rz. 71; Mock in Uhlenbruck, § 19 InsO Rz. 131 f.; Weber/Küting/Eichenlaub, GmbHR 2014, 1009, 1015. 3 Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 InsO Rz. 19. 4 Ausführlicher noch in der 4. Aufl. (Uhlenbruck), Rz. 5.137. 5 Begr. RegE Finanzmarktstabilisierungsgesetz, BT-Drucks. 16/10600, S. 13; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 InsO Rz. 19. 6 Vgl. nur Hess, § 19 InsO Rz. 53. 7 Vgl. auch Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 46. 8 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 25. 9 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 25. 10 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 25. 11 Dazu Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, 908. 12 Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 48; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 59; Mock in Uhlenbruck, § 19 InsO Rz. 138; H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 54.

Karsten Schmidt

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5.123

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

stücksbewertung hängt stark von der im Liquidationsfall zu erwartenden Art der Verwertung ab1. Auch Vorräte und Halbzeug können nach der unter Liquidationsbedingungen erwartbaren Verwertungsart aktiviert werden2. Dieser Wert kann im Einzelfall zwischen dem Verschrottungswert und dem Fertigverkaufswert abzüglich Fertigstellungskosten liegen. 5.123 bbb) Immaterialgüterrechte (Schutzrechte) sind, soweit separat verwertbar, gemäß ihrem Veräußerungswert zu aktivieren3. Nach dem bei Rz. 5.121 zum Tatbestand des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO Gesagten geht es grundsätzlich nicht um die Verwertbarkeit im Zuge einer hypothetischen Gesamtveräußerung des Unternehmens, sondern um die Einzelbewertungen je nach der Möglichkeit separater Verwertung4. Nicht separat aktivierbar ist der sog. Firmenwert. Er geht im Ausnahmefall der Gesamtbewertung des Unternehmens (Rz. 5.121) in diese ein, sonst bleibt er auf der Ebene des Insolvenzstatus (im Gegensatz zur Fortführungsprognose) unberücksichtigt5. 5.124 ccc) Auch die Aktivierung von Beteiligungen richtet sich nach deren Verwertbarkeit und bejahendenfalls nach ihrem Verkehrswert (ggf. Kurswert)6. Eigene Anteile an der Schuldnerin selbst sind nicht aktivierbar7. Eine Gegenansicht lässt es auch hier auf die Verwertbarkeit ankommen8. Ihr ist nicht zu folgen. Erst wenn (unwahrscheinlicherweise) ein wirksamer Kaufvertrag abgeschlossen sein sollte, kann der Kaufpreisanspruch, sofern vollwertig, aktiviert werden. 5.125 ddd) Die Aktivierung von Forderungen ist bei börsennotierten Papieren einfach (Börsenkurs)9. Allgemein steht sie unter einem dreifachen Vorbehalt10: dem Vorbehalt des Veritätsrisikos bei bestrittenen oder sonst zweifelhaften Forderungen11 und dem Vorbehalt des Bonitätsrisikos12 sowie dem Vorbehalt des Realisierungs-

1 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 26. 2 Angaben bei Hess, § 19 InsO Rz. 55, 66; H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 57; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 InsO Rz. 31. 3 4. Aufl. (Uhlenbruck), Rz. 5.147; Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz 47; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 InsO Rz. 28; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 62. 4 Die Gegenansicht bei Uhlenbruck in Uhlenbruck, 13. Aufl., § 19 InsO Rz. 5.66 bezog sich auf den bis 2008 geltenden Tatbestand. 5 Ausführlich noch 4. Aufl. (Uhlenbruck) Rz. 5.144; a.M. Hess, § 19 InsO Rz. 67. 6 Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 60; Mock in Uhlenbruck, § 19 InsO Rz. 141, 146; H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 55; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 28. 7 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 31; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 28. 8 Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 InsO Rz. 30; H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 58; Schmidt-Leithoff/Baumert in Rowedder/SchmidtLeithoff, vor § 64 GmbHG Rz. 132; Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 50. 9 Statt vieler Hess, § 19 InsO Rz. 56. 10 Vgl. zum Folgenden Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 30. 11 Dazu sinngemäß Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 17 InsO Rz. 8. 12 Dazu statt vieler Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 60; H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 60.

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Überschuldung

5.125

willens1. Das Veritätsrisiko betrifft den Bestand und die Höhe der Forderung2. Es sollte durch sorgsame rechtliche Prüfung minimiert und nur ausnahmsweise durch Wertberichtigungen korrigiert werden3. Der Grund besteht darin, dass Veritätsrisiken einer Einzelforderung i.d.R. nicht quantifizierbar sind, weil Bestand und Höhe in einer idealen Welt objektiv feststehen müssten (quantifizierbar kann beim Streit um die Verität nur das Prozessrisiko sein). Das Bonitätsrisiko (Werthaltigkeitsrisiko) ist dagegen in erster Linie ein Wertberichtigungsanliegen4. Insbesondere Schadensersatzforderungen gegen Geschäftsführer und Gesellschafter können nur nach strenger Veritäts- und Bonitätsprüfung und bei ernsthaftem Realisierungswillen aktiviert werden5. Das gilt auch für Forderungen aus Kreditverhältnissen gegenüber Gesellschaftern oder sonst der Gesellschaft nahestehenden Kreditnehmern. Nur ernsthafte Verfolgungs- oder Verwertungsabsicht macht diese Ansprüche aktivierbar. Dazu gehört, dass sie auch in der periodischen Rechnungslegung berücksichtigt und in Zweifelsfällen durch Schuldanerkenntnisse unterlegt oder eingeklagt werden. Auch betagte Forderungen können als ernsthaft verfolgt nur angesehen werden, wenn sie auch in die periodische Rechnungslegung der Schuldnerin eingehen. Forderungen, die erst in Zukunft fällig werden, werden abgezinst angesetzt6. Forderungen aus schwebenden Geschäften werden nur und nur insoweit aktiviert, wenn (als) auch unter Liquidationsbedingungen mit der Ausführung des zugrundeliegenden Geschäfts gerechnet werden kann7. Bankkonten werden nur aktiviert, soweit sie ihrerseits aktivisch sind. Eine offene Kreditlinie, deren Inanspruchnahme nur wieder Verbindlichkeiten begründen würde, genügt nicht. Im Cash Pool kommt es auf das Saldoguthaben und dessen Werthaltigkeit an8. Forderungen aus zugesagten Krediten können nur aktiviert werden, wenn sie liquide, vollwertig, mit einer Rangrücktrittserklärung verbunden und nicht wegen drohender Insolvenz kündbar sind9. Aktive Rechnungsabgrenzungsposten können als solche nicht aktiviert werden10.

1 Vgl. auch Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 48. 2 Dazu eingehend Poczka, Der bilanzielle Umgang mit Veritätsrisiken in der Handelsbilanz und der Überschuldungsprüfung, 2015. 3 Auch dazu sinngemäß Karsten Schmidt, in Karsten Schmidt, § 17 InsO Rz. 8; anders hier noch die 4. Aufl. (Uhlenbruck), Rz. 5.161. 4 Dazu Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 60; H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 54; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 InsO Rz. 32. 5 Frystatzky, NZI 2013, 161, 162 ff. 6 H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 61; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 31. 7 OLG Hamm v. 25.1.1993 – 8 U 250/91, NJW-RR 1993, 1445; Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 53 (auf § 103 InsO abstellend); Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 InsO Rz. 33; Pape in Kübler/Prütting/ Bork, § 19 InsO Rz. 60; H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 63; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 17; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 32. 8 Vgl. Uhlenbruck, 13. Aufl., § 19 InsO Rz. 71. 9 Zum Rangrücktritt bei (Gesellschafter-)Darlehensversprechen s. auch Uhlenbruck, 13. Aufl., § 19 InsO Rz. 81. 10 Missverständlich Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 InsO Rz. 33; differenzierend 4. Aufl. (Uhlenbruck), Rz. 5.164.

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5.126

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

5.126 eee) Gesellschaftsrechtliche Ansprüche folgen im Grundsatz den allgemeinen Regeln. Einlageansprüche einschließlich wirksam übernommener Anteile aus Kapitalerhöhungen und verbindlich gezeichneter Nachschüsse werden grundsätzlich zum Nennwert aktiviert, jedoch ggf. mit Wertberichtigungen bei Zweifeln an der Beitreibbarkeit1. In Fällen möglicher Überschuldung spricht die Nicht-Begleichung der Forderung in der Krise häufig gegen eine Vollwertigkeit des Einlageanspruchs. Rückzahlungsansprüche wegen verbotener Ausschüttungen aus § 31 GmbHG sind im Grundsatz aktivierbar2, ebenso Ansprüche auf Unterbilanzausgleich aus dem Gründungsstadium der Gesellschaft3 und Bardeckungsansprüche bei überbewerteten Sacheinlagen4. Jedoch sind hier die Vorbehalte von Rz. 5.125 (Verität, Bonität und Realisierungsabsicht) besonders ernst zu nehmen. Forderungen, die die Gesellschaft nicht geltend macht und im Bestreitensfall durchsetzt, vielleicht nicht einmal in die Rechnungslegung einstellt, sind im Insolvenzstatus nicht aktivierbar. Über konzernrechtliche Ansprüche aus Verlustdeckungspflichten, aus Patronatserklärungen, aus der Existenzvernichtungshaftung und aus der Organhaftung vgl. Rz. 5.136 ff. 5.127 fff) Nicht aktivierbar sind Ansprüche, die erst nach dem Eintritt der materiellen Insolvenz (Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit) entstehen oder geltend gemacht werden können5. Insbesondere gilt dies für Ansprüche aus der Verletzung des § 15a InsO sowie Erstattungsansprüche wegen „verbotener Zahlungen“ (nach § 64 GmbHG, § 130a HGB)6. Erst recht nicht aktivierbar sind Ansprüche, die erst im eröffneten Insolvenzverfahren, also vom Insolvenzverwalter oder nach § 280 InsO vom Sachwalter geltend gemacht werden können7. Hierher gehören insbesondere Anfechtungsansprüche nach §§ 129 ff., § 143 InsO8. Auch Ansprüche Dritter, die erst mit der Verfahrenseröffnung in die Empfangszuständigkeit des Verwalters übergehen (§§ 92, 93 sowie § 171 Abs. 2 HGB), können nicht als zum Vermögen der Gesellschaft gehörig aktiviert werden9. Von diesen Ansprüchen wären allerdings ohnedies allenfalls diejenigen des § 171 Abs. 2 HGB von praktisch relevanter Bedeutung für die Überschuldungsvermeidung bei einer GmbH & Co. KG10. Nicht einmal die Haftung der GmbH-Komplementärin (§§ 128, 161 Abs. 2 HGB) kann im Überschuldungsstatus der Kommanditgesell-

1 Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 InsO Rz. 23; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 29. 2 Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 50; H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 65. 3 H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 68. 4 § 9 GmbHG (ggf. i.V.m. § 56 Abs. 2 GmbHG). 5 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 16; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 33. 6 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 33. 7 Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 60; H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 62; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 33. 8 Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 60; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 33. 9 Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 55; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 60; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 16; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 33. 10 Auch dazu Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 33.

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schaft aktiviert werden1. Anders verhält es sich, wenn ein Gesellschafter zugunsten der Gesellschaft ein mit Nachrang versehenes Freistellungsversprechen oder eine Patronatserklärung abgegeben hat (dazu Rz. 5.135). bb) Die Passivseite aaa) Grundsätzlich sind alle gegenwärtigen Verbindlichkeiten zu passivieren2. 5.128 Ausgenommen sind nur Verbindlichkeiten, die weder auf Geld gerichtet sind, noch nach § 45 InsO in Geld umgerechnet werden können3. Debitorische Bankkonten sind zu passivieren, auch wenn sie durch eine Kreditlinie gedeckt sind. Die Passivierungspflicht gilt für jede bestehende Verbindlichkeit unabhängig von ihrer Fälligkeit4. Betagte Verbindlichkeiten können zwar nicht die Zahlungsunfähigkeit begründen, wohl aber die Überschuldung5. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Verbindlichkeiten von den Gläubigern eingefordert wurden. Die bloße Erwartung, ein Gläubiger werde seine Forderung verjähren lassen, befreit nicht vom Passivierungsgebot. Bedingte Verbindlichkeiten werden entsprechend der Wahrscheinlichkeit des Bedingungseintritts passiviert6, von der Gesellschaft übernommene Bürgschaften und Garantien nach der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme7. Auch passive Rechnungsabgrenzungsposten werden grundsätzlich passiviert8. Eine Bewertung der Verbindlichkeiten findet grundsätzlich nicht statt9. Grund- 5.129 sätzlich ist zum Nennwert zu passivieren10. Es liegt auf der Hand, dass die Bonität der Gläubigerforderungen hier keine Rolle spielt. Insoweit macht es auch keinen Unterschied, ob die Verbindlichkeit durch Realsicherheiten am Vermögen der Gesellschaft besichert ist (s. auch Rz. 5.138). Auch Personalsicherheiten (Bürgschaften, Patronatserklärungen, Garantien) entlasten den Überschuldungsstatus nur, wenn der Gesellschaft ein Freistellungsanspruch gegen den sichernden Dritten oder mindestens ein Leistungsverweigerungsrecht gegen seinen Regressanspruch zusteht (vgl. hierzu und zum Rangrücktritt Rz. 5.130). Die Veritätsfrage (Verbindlichkeit begründet oder nicht?) stellt sich dagegen wie bei der Aktivseite (dazu Rz. 5.125), wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen. Streitige Verbindlichkeiten sind, ggf. mit vorsichtigen Abschlägen, grundsätzlich zu passivieren11. Ein 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

So mit Recht bereits 4. Aufl. (Uhlenbruck), Rz. 5.152. Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 63. Vgl. zum Folgenden Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 34. Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 63; zur Abzinsung vgl. Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 60. Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 63; Uhlenbruck, 13. Aufl., § 19 InsO Rz. 98. Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 InsO Rz. 40. Hess, § 19 InsO Rz. 69. Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 76. Vgl. zum Folgenden Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 40. Drukarczyk/Schüler in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 90; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 63. Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 63; Bußhardt in Braun, § 19 InsO Rz. 28; Hess, § 19 InsO Rz. 78; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 23; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 40; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 InsO Rz. 41.

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Grundsatz, wonach eine ernsthaft und vertretbar bestrittene Verbindlichkeit außer Ansatz gelassen werden kann, wenn hiervon die Überschuldung oder NichtÜberschuldung abhängt, ist nicht anzuerkennen1. Naturgemäß darf nicht jede willkürliche Drohung mit einer Inanspruchnahme wegen angeblicher Forderungen die Gesellschaft in die Überschuldung treiben. Ein Nicht-Ansatz ist jedoch nur berechtigt, sofern nach Lage des Falls auch das Prozessrisiko der Gesellschaft vernachlässigt werden kann2. In diesem Fall empfiehlt es sich, die Veritätsprüfung und ihr Ergebnis zu dokumentieren. Ob hierfür ein Rechtsgutachten erforderlich ist, richtet sich nach der Lage des Falls. 5.130 Nachrangige Verbindlichkeiten (§ 39 Abs. 1 InsO) werden grundsätzlich passiviert. Für Gesellschafterdarlehen und gleichgestellte Forderungen ist dies in § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO ausdrücklich klargestellt. Für eine Nicht-Passivierung erforderlich ist eine mit dem Rangrücktritt zu verbindende und nach dem Willen der Beteiligten im Zweifel mit ihm verbundene Durchsetzungssperre (dazu Rz. 5.137)3. Dasselbe gilt für gleichgestellte Leistungen von Gesellschaftern oder ihnen nahestehenden Dritten (dazu Rz. 2.99 ff.). Sogar den Darlehensteil einer „gesplitteten Einlage“ hat der BGH diesen Regeln unterworfen4. Dieser Grundsatz hatte sich mit Recht bereits vor dem MoMiG für sog. eigenkapitalersetzende Darlehen durchgesetzt5. Seit dem MoMiG muss dies erst recht gelten, weil das Gesetz insoweit keine vor der Verfahrenseröffnung wirkenden Rückzahlungsverbote und keine Sonderbeurteilung „eigenkapitalersetzender“ Gesellschafterdarlehen mehr kennt (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG; zum alten und neuen Recht der Gesellschafterdarlehen Rz. 2.96 ff.). Die vereinbarte Durchsetzungssperre ist das A und O des überschuldungsvermeidenden Rangrücktritts. Das Urteil des BGH vom 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 = GmbHR 2015, 472 = NJW 2015, 1672 = ZIP 2015, 638 m. Anm. Bitter/Heim geht davon aus, dass der überschuldungsvermeidende Rangrücktritt mit einem Zahlungsverbot verbunden sein und auch in diesem Sinne ausgelegt werden muss6. Eine Aufhebung des Rangrücktritts darüber hinaus sogar während der Krise ist nach der diesem Urteil nur mit Zustimmung aller, auch künftigen, Gläubiger möglich, m.a.W. also unmöglich. Das ist eine für die Praxis vorerst maßgebliche, jedoch angreifbare Rechtsposition (Rz. 2.373, 5.137)7. 5.131 bbb) Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (§ 249 HGB) schlagen auch auf den Überschuldungsstatus durch8, nicht dagegen Rückstellungen für dro1 In ähnlicher Richtung schon 4. Aufl. (Uhlenbruck) Rz. 5.170, 5.176. 2 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 40. 3 Dazu BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 = NJW 2015, 1672 = ZIP 2015, 638 m. Anm. Bitter/Heim = GmbHR 2015, 472 m. Komm. Farian; dazu eingehend Karsten Schmidt, ZIP 2015, 90 ff.; a.M. Adolff in FS Hellwig, S. 433, 441. 4 BGH v. 1.3.2010 – II ZR 13/09, GmbHR 2010, 752. 5 BGH v. 8.11.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = BB 2001, 430; dazu näher 4. Aufl. (Karsten Schmidt) Rz. 2.85 sowie (Uhlenbruck) Rz. 5.183 m.w.N. 6 Zust. Bitter/Heim, ZIP 2015, 644, 645 f.; Bork, EWiR 2015, 219, 220; Farian, GmbHR 2015, 478, 480. 7 Vgl. Karsten Schmidt, ZIP 2015, 90 ff. 8 Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 63, 66; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 67; H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 75.

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5.132

hende Verluste (str.)1. Pensionsrückstellungen werden unterschiedlich behandelt2. Bestehende Pensionsverpflichtungen und unverfallbare Anwartschaften werden abgezinst passiviert3. Ein faktischer Leistungszwang genügt4. Eine Kürzung, soweit das Schuldnerunternehmen in der Krise zu ihr berechtigt ist5, scheint bei Anwartschaften, deren Dauer über die Krise hinausreicht, nicht generell angängig. Laufende Pensionsverpflichtungen werden nach versicherungsmathematischen Grundsätzen passiviert6. Selbstverständlich kann eine Rückdeckungsversicherung berücksichtigt werden7. Auch Verbindlichkeiten aus schwebenden Geschäften sind zu passivieren8. Der Einfluss einer Insolvenzverfahrenseröffnung auf Verträge, insbesondere ein eventuelles Lösungsrecht des Insolvenzverwalters nach §§ 103 ff. InsO, kann hieran nichts ändern9. Ein Ausgleich kann sich allerdings aus einer noch ausstehenden verwertbaren Gegenleistung ergeben. Auch einredebehaftete Verbindlichkeiten werden grundsätzlich passiviert10. Ein noch nicht ausgeübtes Leistungsverweigerungsrecht befreit nicht generell von der Passivierung. Das gilt auch für Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen (§ 320 BGB)11 und für aufrechenbare, aber noch nicht aufgerechnete Verbindlichkeiten. In diesen Fällen kann aber der Gegenanspruch, soweit werthaltig, aktiviert werden. ccc) Genussrechte werden passiviert12. Stille Einlagen sind zu passivieren, soweit 5.132 sie im Insolvenzfall als – sei es auch nachrangige – Verbindlichkeiten geltend gemacht werden können13. Dies ist nach § 236 HGB die gesetzliche Regel. Eine Verlustbeteiligung des Stillen ändert hieran nichts und führt nur zum Abzug bereits realisierter Verluste des stillen Gesellschafters14. Die Nicht-Passivierung setzt grundsätzlich einen Rangrücktritt voraus. Das gilt im Grundsatz auch für atypische stille Beteiligungen15, nicht allerdings bei der vom Verfasser als „Innen-KG“ 1 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 34; a.M. Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 23 mit Hinweis auf BGHZ 83, 341, 347 ff = GmbHR 1983, 169. 2 Vgl. Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 65. 3 Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 61. 4 Vgl. m.w.N. Hess, § 19 InsO Rz. 77. 5 Vgl. ebd. 6 Vgl. ebd. 7 Vgl. ebd. 8 Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 63. 9 Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 75; Mock in Uhlenbruck, § 19 InsO Rz. 153; H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 71; Pape in Kübler/Prütting/ Bork, § 19 InsO Rz. 69. 10 Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 6; Mönning in Nerlich/Römermann, § 19 InsO Rz. 37. 11 Ausführlich noch 4. Aufl. (Uhlenbruck), Rz. 5.174. 12 Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 67; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 22; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 36; eingehend Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 69; Bork in FS Röhricht, 2005, S. 47 ff. 13 H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 104; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 21. 14 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 36. 15 Wie hier in vermeintlicher Abgrenzung zur Ansicht des Verfassers Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 InsO Rz. 44.

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5.133

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

bezeichneten atypischen stillen Gesellschaft mit wirtschaftlicher Eigenkapitalqualität der stillen Einlagen (Rz. 2.242 f.)1. 5.133 ddd) Gesellschafterbesicherte Kreditforderungen Dritter (vgl. zu § 44a InsO Rz. 2.151) sind zu passivieren2. Sofern der Gesellschafter als Sicherungsgeber eine vollwertige Freistellungserklärung gegeben und bezüglich etwaiger Erstattung den Rangrücktritt erklärt hat3, kann der Freistellungsanspruch die Verbindlichkeit ausgleichen. 5.134 eee) Nicht als Passiva anzusetzen sind: Eigenkapital und sonstige mit dem Rang gemäß § 199 Satz 2 InsO zu bedienenden Liquidationsansprüche4. Zu diesen gehören atypische stille Einlagen, wenn ihnen Eigenkapitalqualität zukommt (dazu Rz. 5.132). Freie Rücklagen bilden keine Gesellschaftsschulden ab und werden nicht passiviert5. Dasselbe gilt für Rückstellungen, wenn sie nur drohende Verluste abbilden. cc) Ausgleich der Passivseite durch kompensierende Abreden 5.135 aaa) Patronatsvereinbarungen können die Überschuldung insgesamt beheben, wenn sie vollwertige Ansprüche der Gesellschaft auf Ausgleich aller ungedeckten Verbindlichkeiten gewähren (vgl. schon Rz. 2.250)6. Auch eine kurzfristig kündbare interne Patronatserklärung ist nach der STAR 21-Entscheidung des BGH7 dazu geeignet, die Überschuldung des Protegés zu vermeiden8. Dem ist zuzustimmen, weil die Kündigung nur für die Zukunft wirkt und alle bis zur Kündigung bestehenden Verbindlichkeiten durch die Patronatserklärung gedeckt sind (weshalb es auf die Prognoseverschlechterung durch das Kündigungsrecht vor dessen Ausübung nicht ankommt). Auf der Prognoseebene wirkt sich die bloße Möglichkeit einer weder schon ausgesprochenen noch akut bevorstehenden Kündigung grundsätzlich nicht negativ aus9. Dagegen ist eine externe Patronatserklärung (= Vertrag mit dem/den Gläubiger(n) des Protegés) nach herrschender Meinung mangels eige1 Dazu eingehend Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 236 HGB Rz. 37 ff. 2 OLG Jena v. 30.4.2009 – 1 U 657/06, NZG 2009, 1034. 3 Dazu Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 44a InsO Rz. 17 f. 4 H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 85. 5 BGH v. 4.5.1959 – VII ZB 23/58, BB 1959, 754 = WM 1959, 914; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 22; H.-Fr. Müller in Jaeger, § 19 InsO Rz. 86; Dahl, NJW-Spezial 2008, 117, 118. 6 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 296/08, BGHZ 187, 69 = NJW 2010, 3442 = GmbHR 2010, 1204 m. Komm. Ulrich/Rath; Wagner, Haftungsrisiken aus Liquiditätszusagen und Patronatserklärungen in der Unternehmenskrise, 2011, S. 285 ff.; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 InsO Rz. 24a; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 42; Haußer/Heeg, ZIP 2010, 1427, 1431 f.; Raeschke-Kessler/ Christopeit, NZG 2010, 1361; Rosenberg/Kruse, BB 2003, 641, 647; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 61. 7 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 296/08, BGHZ 187, 69 = NJW 2010, 3442 = GmbHR 2010, 1204 m. Komm. Ulrich/Rath. 8 Eingehend Keßler, Interne und externe Patronatserklärungen als Instrumente zur Insolvenzvermeidung, 2015, S. 92 ff.; kritisch Kaiser, ZIP 2011, 2136; Tetzlaff, DZWiR 2011, 181, 183. 9 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 42; Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485, 492; a.M. Tetzlaff, DZWiR 2011, 181, 183.

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Karsten Schmidt

Überschuldung

5.137

nen Anspruchs des Protegés nicht geeignet, die bilanzielle Überschuldung des Protegés zu verhindern1. Die externe Patronatserklärung kann auf der Prognoseebene von Bedeutung für die Überschuldungsfeststellung sein. Auf der Ebene der bilanziellen Überschuldungsmessung kann sie ebenso wenig aktiviert werden wie z.B. die einem Gesellschaftsgläubiger gegebene Bürgschaft (Rz. 5.129, 5.138). Anders verhält es sich, wenn auch die Schuldnerin selbst einen vertraglichen Anspruch auf den Schutz durch externe Patronatserklärung hat2. Zur Vermeidung der Zahlungsunfähigkeit durch Patronatsvereinbarungen vgl. Rz. 5.24. bbb) Eine gesellschaftsrechtliche Innenhaftung hebt die bilanzielle Überschul- 5.136 dung nur auf, wenn sie alsbald aktivierbar und als Forderung vollwertig ist. Dies gilt z.B. für die periodische Verlustausgleichspflicht eines herrschenden Unternehmens nach bzw. analog § 302 AktG3. Sie genügt aber nur im Vertragskonzern, nicht im Fall einer bloß faktischen Konzernlage4. Bei faktischer Konzernlage ist deshalb eine isolierte Verlustdeckungsvereinbarung5 erforderlich, um den Effekt des § 302 AktG zu ersetzen. Auch die seit BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = NZG 2007, 667 = ZIP 2007, 1552 „Trihotel“ als Innenhaftung konzipierte Existenzvernichtungshaftung kommt, weil außerhalb eines Insolvenzverfahrens kaum realisierbar, für den Ausgleich der Überschuldung nicht ernsthaft in Betracht6. Organhaftungsansprüche, z.B. aus § 93 AktG, § 43 GmbHG, können in Abhängigkeit von Realisierungswillen und Realisierbarkeit aktiviert werden (zu den Veritäts- und Bonitätsanforderungen vgl. Rz. 5.125). ccc) Nicht gegen die Überschuldung insgesamt, sondern nur gegen die Passivie- 5.137 rung der jeweils einzelnen Verbindlichkeit hilft die Rangrücktrittsvereinbarung (Rz. 2.364 ff.)7. Die umstrittene Frage, ob die Rangrücktrittsvereinbarung nach § 39 Abs. 2 InsO, wie scheinbar aus § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO abzulesen, für sich allein genügt oder ob zusätzlich eine vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre vereinbart werden muss8, ist weitgehend akademischer Art9, weil ein insolvenzvermeidender Rangrücktritt nach dem Willen der Vertragsparteien die Durchsetzungssperre ohne weiteres enthält10. Praktisch bedeutsam ist dagegen die Frage, ob die Rangrücktrittsvereinbarung während der Krise durch Vereinbarung mit dem Gläubiger aufhebbar ist. Der BGH verneint diese Frage, weil er den Rangrücktritt als einen schuldabändernden Vertrag zugunsten aller – auch der noch un1 Z.B. BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, NZI 2011, 536 = GmbHR 2011, 769; Wagner, Haftungsrisiken aus Liquiditätszusagen und Patronatserklärungen in der Unternehmenskrise, 2011, S. 283 f.; Ringstmeier in FS Wellensiek, S. 135 f.; Förschle/Heinz in Budde/ Förschle/Winkeljohann, Sonderbilanzen, Rz. Q 78; Blöse, GmbHR 2011, 771, 772; Maier-Reimer/Etzbach, NJW 2011, 1110, 1116; Haußer/Heeg, ZIP 2010, 1427, 1431. 2 Eingehend Keßler, Interne und externe Patronatserklärungen als Instrumente zur Insolvenzvermeidung, 2015, S. 102 ff. 3 Für Aktivierbarkeit des Verlustausgleichsanspruchs Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 61. 4 Näher Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 43. 5 Karsten Schmidt in FS Werner, 1984, S. 777 ff. 6 A.M. Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 InsO Rz. 26. 7 Überblick bei Christian Mayer, Der vertragliche Nachrang von Forderungen, 2007, S. 202 ff. 8 So Bitter/Rauhut, ZIP 2014, 1005, 1013 ff.; Bitter, ZIP 2015, 345, 346. 9 Näher Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, 904. 10 Ebd.

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5.138

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

bekannten – Gläubiger ansieht (vgl. dazu schon Rz. 2.373, 5.130)1. Den Vorzug verdient die Einordnung der Rangrücktrittsvereinbarung als aufhebbares pactum de non petendo mit der in § 39 Abs. 2 InsO beschriebenen Wirkung im eröffneten Verfahren2. Die bloße Möglichkeit, das Reinvermögen der Gesellschaft durch Abreden zu beschädigen, schlägt sich im Überschuldungsstatus nicht nieder (vgl. auch zur Aktivseite Rz. 5.121). Die aus diesen Gründen schwerlich überzeugende Auffassung des BGH ist allerdings für die Praxis einstweilen ein Datum. 5.138 ddd) Nicht ausreichend ist die Besicherung einer Verbindlichkeit3. Das versteht sich bei dinglichen Sicherheiten am Vermögen der Schuldnerin von selbst4. Grundsätzlich gilt aber dasselbe bei von Dritten gegebenen dinglichen Sicherheiten (z.B. Grundschulden) bzw. persönlichen Sicherheiten, z.B. Bürgschaften, Garantien oder externen Patronatserklärungen5. Diese Sicherheiten gleichen die Gesellschaftsverbindlichkeit nur aus, wenn der Sicherungsgeber der Schuldnerin eine Freistellungsgarantie gibt und mit Regressansprüchen (§§ 774, 1143 BGB) gemäß § 39 Abs. 2 InsO im Rang zurücktritt. Dass die abstrakte Gefahr einer pflichtwidrigen Manipulation die Überschuldungsprüfung nicht automatisch berührt, zeigt das „STAR 21“-Urteil des BGH6 über die Überschuldungsvermeidung durch Patronatserklärungen (dazu Rz. 5.135). Eine interne Patronatserklärung generiert stets bis zum Jetzt-Zeitpunkt aktivierbare Forderungen und kann für die Zukunft prognosewirksam sein, ohne dass die abstrakte (!) Gefahr ihrer Kündigung der Überschuldungsvermeidung im Wege stehen könnte7. 5.139 eee) Bei einer Kapitalgesellschaft & Co. (typischerweise: GmbH & Co. KG) ist die Kommanditgesellschaft der Komplementärgesellschaft (typischerweise GmbH) nach § 110 HGB bezüglich ihrer Gesellschaftsverbindlichkeiten freistellungspflichtig8. Die hieraus resultierenden Freistellungsansprüche der Komplementärin, die im Kommanditgesellschaftsvertrag nicht explizit geregelt zu werden brauchen, verhindern, solange nicht die Kommanditgesellschaft ihrerseits überschuldet ist, eine Überschuldung der Komplementärin durch Gesellschaftsverbindlichkeiten der KG9. Gegen eine Simultaninsolvenz auch der Kommanditgesellschaft hilft dieser Freistellungsanspruch allerdings nicht. Noch weniger kann die persönliche Haftung der Komplementärin eine Überschuldung der Kommanditgesellschaft, also eine Unternehmensinsolvenz, verhindern (Rz. 5.127). 1 BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 = NJW 2015, 1672 = ZIP 2015, 638 m. Anm. Bitter/Heim = GmbHR 2015, 472 m. Komm. Farian; ähnlich schon Fleischer, DStR 1999, 1774, 1779. 2 Zusammenfassend Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901 ff. 3 Vgl. Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 61; Drukarczyk/Schüler in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 90. 4 S. auch Bußhardt in Braun, Rz. 29 zu § 648a BGB. 5 Vgl. Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 19 InsO Rz. 61; Drukarczyk/Schüler in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 90. 6 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 296/08, BGHZ 187, 69 = ZIP 2010, 2092 = GmbHR 2010, 1204 m. Komm. Ulrich/Rath; eingehend Keßler, Interne und externe Patronatserklärungen als Instrumente zur Insolvenzvermeidung, 2015. 7 Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485, 492; eingehend Keßler, Interne und externe Patronatserklärungen als Instrumente zur Insolvenzvermeidung, 2015, S. 83 ff., 102 ff. 8 Vgl. Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 11. Aufl. 2010, § 12 Rz. 33, 35. 9 Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 InsO Rz. 27; vgl. auch Bußhardt in Braun, § 19 InsO Rz. 36.

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Karsten Schmidt

Überschuldung

5.140

dd) Die Fortbestehensprognose aaa) Die Fortbestehensprognose ist nicht an eine vorgeschriebene Prozedur gebun- 5.140 den (Rz. 5.119), also auch nicht an eine festgelegte betriebswirtschaftliche Methode1. Beispielsweise hat „richtig“ geprüft, wer auch ohne komplizierte Finanzpläne zum „richtigen“ Ergebnis gelangt ist. Doch ist die Geschäftsleitung bei der ihr obliegenden Prüfung umso mehr auf betriebswirtschaftliche Professionalität verwiesen, je unsicherer das Ergebnis ist. Das Prognoseerfordernis selbst, also das Ziel der Prüfung, ist dagegen rechtlich determiniert2. Essentiell ist zunächst die Fragestellung der Prognose. Da die Prognosefrage aus der Sicht der Geschäftsführung und ihrer Berater auf die belastungsfähige Feststellung der Nicht-Überschuldung gerichtet ist (Rz. 5.2 ff.), ist sie nach dem Gesetzeswortlaut dahin zu stellen, ob „die Fortführung des Unternehmens … nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich“ ist. Diese unscharfe Formulierung ist anhand von folgenden Regeln zu konkretisieren: – Die Prüfung ist, erstens, rechtsträgerbezogen, nicht unternehmensbezogen3. Diese Präzisierung wirkt sich vielfach nicht aus, wenn nämlich Schuldner und Unternehmen beisammenbleiben. Relevant ist der Unterschied aber, wenn z.B. das Unternehmen liquidiert oder von der Schuldnerin auf einen Erwerber übertragen werden soll. Dann entscheidet nicht einfach, was aus dem Unternehmen, sondern was aus der den Gegenstand der Prüfung bildenden Gesellschaft wird4. Nur eine Fortführung, die mit ihrem Fortbestand einhergeht, ist relevant. – Die Prüfung ist, zweitens, liquiditätsbezogen5. Es kommt also nicht darauf an, ob der Rechtsträger („das Unternehmen“) prosperiert6, sondern es genügt, wenn der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vermieden werden kann. – Da die prognositische Prüfung zukunftsbezogen ist, stellt sich, drittens, die Frage, wie weit sie in die Zukunft hineinzuragen hat. Diese Frage der Prognosedauer kann nicht klar und endgültig beantwortet werden. Im Dornier-Fall BGH 1 In ähnlicher Richtung, wenngleich ganz gerichtsorientiert, Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 42, im Anschluss an Bork, ZIP 2000, 1709 ff. 2 Eingehend (und lesenswert) Schröder in Meilensteine in Zeiten der InsO, FS Wehr, 2012, S. 27 ff.; vgl. auch Haarmann/Vorwerk, BB 2015, 1603, 1604 („überprüfende Prognose“). 3 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 46; Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485, 491. 4 Missverständlich insofern das Festhalten am Erfordernis eines „Fortführungswillens“; vgl. etwa BGH v. 9.10.2006 – II ZR 303/05, GmbHR 2006, 1334 = ZIP 2006, 2171; Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 34. 5 Vgl. OLG Köln v. 5.2.2009 – 18 U 171/07, ZIP 2009, 808, 809 = AG 2009, 703; OLG Hamburg v. 8.11.2013 – 11 U 192/11, ZInsO 2013, 2447 ff.; Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 35; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 46; Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485, 491; Bitter/Kresser, ZIP 2012, 1733 ff.; Frystatzki, NZI 2013, 161; Haarmann/Vorwerk, BB 2015, 1603, 1608 ff.; vgl. auch bereits vor der InsO BGH v. 13.7. 1992 - II ZR 269/91, BGHZ 119, 201, 2014 = ZIP 1993, 1382, 1384 f. = GmbHR 1992, 659. 6 So aber AG Hamburg v. 2.12.2011 – 67c IN 421/11, ZIP 2012, 1776, 1777; vgl. auch mit Bezug auf das Juristentagsgutachten des Verfassers Drukarczyk/Schüler in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 73; eingehend Schröder in Meilensteine in Zeiten der InsO, FS Wehr, 2012, S. 27, 40 ff.

Karsten Schmidt

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5.141

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201 scheint sich der BGH mit einer Fünfmonatsprognose zufrieden gegeben zu haben. Verbreitet und auch in den IDW S 11-Standards zugrunde gelegt ist die Daumenregel, dass die Prognose das jeweils dem laufenden folgende Geschäftsjahr umfassen müsse1. Das hätte zu bedeuten, dass die Geschäftsführung Anfang Januar etwa doppelt so weit in die Zukunft sehen müsste wie Ende Dezember. Teilweise ist aber auch von einem zwei- bis dreijährigen Prognosezeitraum die Rede2. Richtig scheint, dass eine Liquiditätsprognose von weniger als einem Jahr grundsätzlich unzureichend ist3. 5.141 In rechtlicher Hinsicht ist festzuhalten, dass die Frage nach der Prognosedauer bei § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO eine ganz andere ist als bei § 18 Abs. 2 InsO (vgl. schon Rz. 5.3). Diese letztere Bestimmung befasst sich mit der Frage, wie früh der Insolvenzantrag gestellt werden darf. § 19 Abs. 2 InsO dagegen entscheidet vor dem Hintergrund des § 15a InsO über die Frage, wann spätestens der Antrag gestellt werden muss. Die entscheidende Frage lautet hier4: Bis zu welchem Zeitpunkt muss die Zahlungsfähigkeit gewährleistet sein, damit von einer positiven Prognose ausgegangen werden kann? Wann schlägt, anders gewendet, die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 Abs. 2 InsO) in eine überschuldungsrelevante negative Prognose um? Wann wird aus dem Insolvenzantragsrecht eine Antragspflicht? Und noch eines ist klarzustellen: Der Prognosezeitraum entlässt das Management nicht aus der Selbstprüfungspflicht. Er zwingt zu ständiger Prüfung und Nachjustierung, wenn künftige Zahlungsunfähigkeitsrisiken jenseits der Mindestdauer der gegenwärtigen Vorausschau erkennbar werden. 5.142 bbb) Die prognostische Prüfung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO ist von der handelsbilanzrechtlichen Fortführungsannahme zu unterscheiden, die über die Goingconcern-Bewertung in der Handelsbilanz entscheidet (dazu § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB)5. Für eine positive insolvenzrechtliche Prognose muss die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum wahrscheinlicher sein als der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit6. Der Maßstab ist – selbstverständlich unter Mitberücksichtigung der dieser Prognose innewohnenden Unsicherheit – objektiv7 im Sinne vernünftiger unternehmerischer Zahlungsplanung8. Hinzu kommen muss nach h.M. der Fortführungswille9, der aber als Bestandteil der unternehmerischen Finanzplanung (Rz. 5.140) keine eigenständige Bedeutung hat. 1 Vgl. IDW S 11 Rz. 60; OLG Köln v. 5.2.2009 – 18 U 171/07, ZIP 2009, 808, 809 f. = AG 2009, 703; eingehend Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 36. 2 Vgl. nur Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 6 Rz. 41 m.w.N. 3 Vgl. Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 19 InsO Rz. 49; Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485, 941; Schröder in Meilensteine in Zeiten der InsO, FS Wehr, 2012, S. 27, 42 f.; näher Aleth/Harlfinger, NZI 2011, 166, 168. 4 Vgl. wörtlich Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485, 491 f. 5 Eingehend Positionspapier des IDW über das Zusammenwirken von handelsrechtlicher Fortführungsprognose vom 13.8.2012; s. auch Zabel in Kübler, HRI, § 4 Rz. 52. 6 Zabel in Kübler, HRI, § 4 Rz. 37 sowie IDW S 11 Rz. 64. 7 A.M. IDW S 11 Rz. 64 („Sicht der gesetzlichen Vertreter“, „ein gewisser Beurteilungsspielraum“); der de facto bestehende Spielraum wird auf der Haftungsebene berücksichtigt. 8 Ähnlich wohl Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 39. 9 Angaben bei Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 34; ausführlich Haarmann/Vorwerk, BB 2015, 1603, 1605.

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Karsten Schmidt

Überschuldung

5.150

ccc) Instrument der Prognoseprüfung ist ein vom jeweiligen Stichtag aus blicken- 5.143 der Finanzplan auf der Grundlage eines aussagekräftigen Liquiditätskonzepts1. Liquiditätszusagen, Patronatserklärungen, Standstill-Agreements und Rangrücktritte gehen in die Finanzplanung ein2. Die Aufhebbarkeit solcher Vereinbarungen nimmt ihnen nicht die Relevanz für die Liquiditätsplanung, solange sie hypothetisch bleibt (sehr str.; vgl. auch zum Rangrücktritt Rz. 5.137)3. Betriebswirtschaftliche Methoden der geforderten Finanzplanung (Netto-Cashflow, Periodenbedarf) sind der reichen Spezialliteratur zu entnehmen4. ddd) Die nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO maßgebende „überwiegende Wahrschein- 5.144 lichkeit“ wird mathematisch i.S. von „mehr als 50 %“ verstanden5. Mit Recht wird aber vor der Annahme gewarnt, dass eine knappe Zufallswahrscheinlichkeit („Rot und die Null“) im Interesse des Gläubigerschutzes nicht ausreichen sollte6. Zu verlangen ist eine belastbare „überprüfende Finanzplanprognose“7. 5.145–5.150

vacat

1 Vgl. auch Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 38 (Unternehmenskonzept). 2 Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 40. 3 Vgl. BGH v. 20.9.2010 – II ZR 296/08, BGHZ 187, 69 = GmbHR 2010, 1204 = ZIP 2010, 2092 „Star 21“; dazu Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485, 492; kritisch Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 41. 4 Ausführlich und exemplarisch Drukarczyk/Schüler in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 83 ff. 5 Vgl. zu dieser Diskussion Drukarczyk/Schüler in Münchener Kommentar zur InsO, § 19 InsO Rz. 83 ff. 6 Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 39. 7 In diesem Sinne Haarmann/Vorwerk, BB 2015, 1603, 1611.

Karsten Schmidt

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5.151

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

B. Der Insolvenzantrag I. Zuständigkeit und Form 5.151 Soweit sich für den Geschäftsführer der GmbH die Notwendigkeit ergibt, einen Insolvenzantrag stellen zu müssen, hat er zunächst zu klären, welches Gericht für den Antrag sachlich und örtlich zuständig ist. Denn ein bei einem unzuständigen Gericht gestellter Insolvenzantrag ist unzulässig1 und birgt für den organschaftlichen Vertreter der Gesellschaft die Gefahr einer Strafbarkeit nach § 15a Abs. 4 oder 5 InsO in sich. Nach § 15a Abs. 4 InsO macht sich der Geschäftsführer der GmbH auch strafbar, wenn er den Eröffnungsantrag2 „nicht richtig“ stellt. Davon umfasst ist nicht nur die Einhaltung der gesetzlichen Formbestimmungen oder die Einreichung eines unvollständigen Antrags, sondern auch die Antragstellung beim unzuständigen Gericht. Das angerufene – unzuständige – Gericht ist allerdings verpflichtet, den Antragsteller auf die eigene Unzuständigkeit hinzuweisen und die Stellung eines Verweisungsantrags anzuregen3 (§ 4 InsO i.V.m. § 139 ZPO4). Beantragt der Geschäftsführer innerhalb der richterlichen Frist die Verweisung an das zuständige Gericht, dürfte weder der Straftatbestand des § 15a Abs. 4 InsO greifen noch besteht die Gefahr einer Haftung nach § 64 Satz 2 GmbHG, wenn der Antrag innerhalb der Drei-Wochen-Frist (vgl. § 15a Abs. 1 InsO) beim unzuständigen Gericht eingegangen, aber erst nach Ablauf dieser Frist auf Grund des rechtzeitig gestellten Verweisungsantrags an das zuständige Gericht weitergeleitet worden ist5. 1. Sachliche Zuständigkeit 5.152 Nach § 2 Abs. 1 InsO ist für das Insolvenzverfahren das Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Landgericht seinen Sitz hat, als Insolvenzgericht für den Bezirk dieses Landgerichts – sachlich – ausschließlich zuständig. Aus diesem Grunde ist es den Verfahrensbeteiligten nicht gestattet, im Wege einer Parteivereinbarung ein anderes Gericht zum Insolvenzgericht zu bestimmen (§ 4 InsO i.V.m. § 40 Abs. 2 ZPO). Beim Insolvenzgericht handelt es sich um die mit einem Einzelrichter besetzte Abteilung des Amtsgerichts, die nach dem Geschäftsverteilungsplan für 1 Laroche in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, 1. Aufl., Kap. 2 Rz. 37. 2 Die Ersetzung des Wortes „Insolvenzantrag“ durch das Wort „Eröffnungsantrag“ in § 15a InsO auf Grund des ESUG (Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582) ist lediglich redaktioneller Natur und dient dem einheitlichen Sprachgebrauch innerhalb der Insolvenzordnung (BTDrucks. 17/5712, S. 34). 3 Wird ein Verweisungsantrag nicht gestellt, ist der Eröffnungsantrag als unzulässig zurückzuweisen (Laroche in Vallender/Undritz, Kap. 2 Rz. 37). 4 Handelt es sich bei dem angerufenen Gericht um ein Gericht eines anderen Gerichtszweiges, verweist dieses Gericht gemäß § 17a Abs. 2 GVG analog in Verbindung mit § 48 Abs. 1 ArbGG, § 173 VwGO, § 155 FGO oder § 202 SGG von Amts wegen an das zuständige Insolvenzgericht. 5 Zu beachten ist indes, dass nach § 15a Abs. 5 InsO auch fahrlässige Handlungen zur Strafbarkeit führen können. Weyand (ZInsO 2008, 702, 706) vertritt hierzu die Auffassung, dass bei bloßen Formalverstößen die Opportunitätsbestimmungen (§§ 153 ff. StPO) bei den Staatsanwaltschaften verbreitet zur Anwendung kommen dürften.

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Vallender

Insolvenzantrag – Zuständigkeit und Form

5.155

Insolvenzverfahren zuständig ist1. Die Geschäftsverteilung innerhalb des Amtsgerichts bestimmt das Präsidium (§ 21e GVG). Üblicherweise überantwortet es die Insolvenzsachen eigenen Abteilungen. Obwohl der Gesetzgeber mit der Regelung des § 2 Abs. 1 InsO eine Konzentration 5.153 der Insolvenzgerichte angestrebt hat, haben die Landesregierungen von Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Schleswig-Holstein von der in § 2 Abs. 2 InsO vorgesehenen Ermächtigung Gebrauch gemacht und andere oder zusätzliche Amtsgerichte zu Insolvenzgerichten bestimmt. Zwar mag mit dieser Verfahrensweise eine größere Bürgernähe erreicht werden. Das Abweichen von einer strikten Konzentration der Insolvenzgerichte am Sitz des Landgerichts birgt aber die Gefahr in sich, dass insbesondere an kleinen Amtsgerichten tätige Richter und Rechtspfleger angesichts geringer Verfahrenszahlen nicht hinreichend Erfahrung und Sachkunde in Insolvenzsachen erlangen können2. Diese ist aber gerade bei Unternehmensinsolvenzen besonders gefordert. Ungeachtet dessen hat der Gesetzgeber die ihm durch das ESUG erneut gebotene Chance der Einführung einer strikten Konzentrationsregelung wiederum nicht genutzt. Die Professionalisierung der Insolvenzverfahren auf Seiten der Insolvenzgerichte 5.154 bzw. -richter war ein besonderes Anliegen im Gesetzgebungsverfahren zum ESUG3. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung sollte vor allem mit einer Konzentration der Zuständigkeit der Insolvenzgerichte sichergestellt werden, dass Richter und Rechtspfleger an den Insolvenzgerichten durch wiederholte Behandlung ähnlicher Fälle besondere Erfahrung und Sachkunde in Insolvenzsachen erwerben können4. Auf Betreiben des Bundesrats wurde die im Regierungsentwurf vorgesehene zwingende Konzentrationsregelung verworfen. Mit Recht hat die Bundesregierung in ihrer Gesetzesbegründung darauf hingewiesen, dass gerade bei Unternehmensinsolvenzen, bei denen eine Fortführung und Sanierung durch einen Insolvenzplan in Betracht kommt, eine zügige und sachkundige Begleitung durch das Insolvenzgericht unabdingbar ist. Dies erfordere, dass die beteiligten Gerichtspersonen Erfahrung auch mit den Sanierungsinstrumenten der Insolvenzordnung sammeln. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzern- 5.155 insolvenzen vom 30.1.20145 hat die Bundesregierung einen neuen Versuch unternommen, die Konzentration der Insolvenzgerichte voranzubringen. § 2 Abs. 3 des Entwurfs sieht eine Zuständigkeitskonzentration auf der Ebene der Oberlandesgerichtsbezirke vor. Je Oberlandesgerichtsbezirk soll ein Insolvenzgericht bestimmt werden, an dem ein Gruppen-Gerichtsstand nach § 3a Abs. 1 InsO-E begründet und damit ein Koordinationsverfahren eingeleitet werden kann. Die konzernspezifischen Zuständigkeiten eines Insolvenzgerichts können innerhalb eines Lands auch über die Grenzen der Oberlandesgerichtsbezirke erstreckt werden, so dass insbesondere auch Lösungen möglich sind, bei denen je Land ein Insolvenzgericht für die konzernspezifischen Verfahren ausschließlich zuständig ist. 1 2 3 4 5

Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, § 2 InsO Rz. 4. S. Begr. RegE, Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, Bd. I, S. 155 ff. Hirte/Knof/Mock, Das neue Insolvenzrecht nach dem ESUG, S. 65. BT-Drucks. 12/2443, S. 109. BT-Drucks. 18/407.

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5.156

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

2. Funktionelle Zuständigkeit 5.156 Nach § 3 Nr. 2e RPflG i.V.m. Art. 14 EGInsO sind dem Rechtspfleger grundsätzlich die Geschäfte des Amtsgerichts in Insolvenzsachen übertragen. Dem Richter bleiben kraft Gesetzes insbesondere1 vorbehalten das Verfahren bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag unter Einschluss dieser Entscheidung und der Ernennung des Insolvenzverwalters sowie das Schuldenbereinigungsplanverfahren nach den §§ 305 bis § 310 InsO (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG2). Der Richter hat die Möglichkeit, sich einzelne Verfahrensteile oder das gesamte Verfahren nach § 18 Abs. 2 Satz 1 RPflG vorzubehalten; stets hat er auch eine Rückholbefugnis. 5.157 Auf Grund von Art. 5 des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen3 wurde § 18 RPflG dahin geändert, dass der Richter für das Verfahren über einen Insolvenzplan nach den §§ 217 bis 256 und §§ 258 bis 269 InsO zuständig ist. Die Wirkungen der Vorschrift sind am 1.1.2013 in Kraft getreten. Diese neue Aufgabe wurde dem Insolvenzrichter wegen der „wirtschaftlichen Bedeutung und den rechtlichen Implikationen des neu gestalteten Insolvenzplanverfahrens“4 zugewiesen. Obwohl der Bundesrat in seiner ablehnenden Stellungnahme vom 15.4.2011 auf die bisherigen Erfahrungen hingewiesen hatte, wonach die Rechtspfleger in Insolvenzverfahren wirtschaftlich bedeutende und rechtlich anspruchsvolle Aufgaben mit Erfolg wahrgenommen hätten5, setzte sich letztlich die Bundesregierung durch. Sie verwies darauf, künftig würden Insolvenzplanverfahren in weitem Umfang auch gesellschaftsrechtliche Maßnahmen umfassen. Entsprechende Kenntnisse würden in der Rechtspflegerausbildung nicht ausreichend vermittelt. 3. Örtliche Zuständigkeit 5.158 § 3 InsO regelt die örtliche Zuständigkeit des nach § 2 InsO sachlich zuständigen Gerichts. Auf Grund des § 3 Abs. 2 InsO gilt das sog. Prioritätsprinzip, d.h. wenn mehrere Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werden, schließt dasjenige Insolvenzgericht, bei dem zuerst ein Antrag gestellt worden ist, die übrigen angerufenen Gerichte aus6. Die rechtskräftige – frühere – Insolvenzeröffnung durch ein Insolvenzgericht steht der Weiterführung eines Verfahrens auf Insolvenzeröffnung durch ein anderes Gericht entgegen. Es gilt insoweit das Prioritätsprinzip.7 5.159 Der allgemeine Gerichtsstand des Schuldners gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO bestimmt sich nach den §§ 13 bis 17 ZPO. Der für das Insolvenzverfahren ausschlaggebende Gerichtsstand juristischer Personen wie der GmbH ergibt sich aus ihrem Sitz (§ 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Bei der an den allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners geknüpften örtlichen Zuständigkeit handelt es sich um eine aus1 Becker in Nerlich/Römermann, § 2 InsO Rz. 19, spricht insoweit zutreffend von „Kernangelegenheiten“. 2 S. ferner die weiteren Zuständigkeitszuweisungen in § 18 Abs. 1 Nr. 2 und 3 RPflG. 3 BGBl. I 2011, 2582. 4 BT-Drucks. 17/5712, S. 66. 5 BR-Drucks. 127/11, S. 29. 6 Dazu Rotstegge, Konzerninsolvenz – Die verfahrensrechtliche Behandlung von verbundenen Unternehmen nach der Insolvenzordnung, 2007, § 6 S. 395 m.w.N. 7 OLG München v. 21.1.2014 – 34 AR 277/13, ZIP 2014, 741.

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Insolvenzantrag – Zuständigkeit und Form

5.161

schließliche. Allerdings richtet sich die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit in erster Linie nach dem Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners (§ 3 Abs. 1 Satz 2 InsO)1. Weicht dieser vom satzungsmäßigen Sitz der Gesellschaft ab, verdrängt § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO die Zuständigkeit nach § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO. Aus diesem Grunde hat das Insolvenzgericht stets vorrangig zu prüfen, wo sich bei der GmbH der Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit befindet. Diese Prüfung erfolgt von Amts wegen (§ 5 InsO). Bei der Frage der Anknüpfung der örtlichen Zuständigkeit an den Mittelpunkt der 5.160 selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners ist mit der herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur2 auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen, nicht aber vordringlich auf gewisse Förmlichkeiten, wie etwa den aus dem Handelsregister ersichtlichen, dort eingetragenen Sitz3. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang, wo die grundsätzlichen Entscheidungen der Unternehmensleitung in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden4. Hat die Schuldnerin mehrere Betriebsstätten, richtet sich die örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts danach, wo das Unternehmen den Schwerpunkt seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Ist die eine Betriebsstätte zwar hinsichtlich ihres Jahresumsatzes und ihrer Mitarbeiterzahl größer als die andere, wird die Schuldnerin aber steuerlich an der anderen Betriebsstätte geführt und wird dort auch der gesamte Zahlungsverkehr abgewickelt sowie die Lohnbuchhaltung geführt und werden dort die Bilanzen erstellt, begründet dies die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts an der anderen Betriebsstätte5. Die örtliche Zuständigkeit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO setzt im Falle einer nicht 5.161 mehr werbenden Tätigkeit Abwicklungstätigkeiten von einigem Gewicht voraus. Abwicklungstätigkeiten mit Außenwirkung von einigem Gewicht liegen nur vor, wenn der Schuldner noch Tätigkeiten entfaltet, die gegenüber einer nicht unerheblichen Anzahl von außenstehenden Dritten und in einem erheblichen Umfang gegenüber solchen Dritten wirken, so z.B. wenn noch umfangreiche Abwicklungsmaßnahmen vorgenommen werden, indem noch restliche Warenbestände verkauft werden, Rechnungen erstellt und versandt werden, Forderungen eingezogen werden etc. Rein interne Vorgänge wie Buchungsarbeiten, Erstellung bzw. Berichtigung des Jahresabschlusses, etc. sind dabei unerheblich. Schlichte Korrespondenz mit den Gläubigern ist ebenfalls unerheblich6. 1 Rüther in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 3 InsO Rz. 3. 2 S. die Nachweise bei Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 3 InsO Rz. 9 und 10. 3 Vgl. Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, § 3 InsO Rz. 10; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 3 InsO Rz. 5 m.w.N.; Becker in Nerlich/Römermann, § 3 InsO Rz. 23 ff.; Hess, § 3 InsO Rz. 8; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3 InsO Rz. 3; Rüther in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 3 InsO Rz. 8 m.w.N.; Kexel in Graf-Schlicker, § 3 InsO Rz. 7; vgl. auch Brandenburgisches Oberlandesgericht v. 19.6. 2002 – 1 AR 27/02, NZG 2003, 42; ebenso bereits früher LG Dessau v. 30.3.1998 – 7 T 123/98, ZIP 1998, 1006. 4 Vgl. BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 272 = GmbHR 1986, 351; AG Köln v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07 – (PIN I), NZI 2008, 254, 255. 5 AG Düsseldorf v. 4.6.2008 – 500 IE 1/08. 6 LG Bonn v. 13.1.2012 – 6 T 83/11, ZInsO 2012, 938; a.A. OLG Stuttgart v. 8.1.2009 – 8 AR 32/08, NZI 2009, 181 = GmbHR 2009, 608.

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5.162

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

5.162 Grundsätzlich kommt es für die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit auf den Zeitpunkt der Antragstellung an1. Ist im Antragszeitpunkt die örtliche Zuständigkeit gegeben, so sind später eingetretene Veränderungen der Verhältnisse unerheblich; und zwar selbst dann, wenn sie noch vor der Entscheidung des Gerichts vollzogen werden. 5.163 Ist hingegen die Zuständigkeit im Antragszeitpunkt nicht gegeben, sind, mit Ausnahme des § 3 Abs. 2 InsO, Änderungen noch bis zur Entscheidung des Gerichts zu berücksichtigen2. Denn bei gegenteiliger Auffassung ist es vor dem unzweideutigen Gesetzeswortlaut schlechterdings nicht vorstellbar, dass ein im Wege der Verweisung erstmals mit dem Eröffnungsantrag befasstes Gericht gemäß § 4 InsO, § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO zuständig werden können sollte, obschon es im Zeitpunkte seiner ersten Befassung mit dem Antrag erkennbar unzuständig ist, wohingegen das verweisende Gericht seine Zuständigkeit im Verweisungszeitpunkt jedenfalls nicht mehr verneinen kann. Etwas anderes gilt indes dann, wenn die nachträglichen Umstände zum Zwecke der Gerichtsstandserschleichung rechtsmissbräuchlich vorgenommen worden wären3. 5.164 Bei konzernverbundenen Unternehmen gelten bezüglich der Frage der örtlichen Zuständigkeit der einzelnen Gesellschaften keine Besonderheiten. Das deutsche Recht sieht einen Konzerngerichtsstand nicht vor. Insbesondere kann durch die rechtliche Verbindung von Konzernunternehmen nicht zwingend darauf rückgeschlossen werden, dass ein identischer oder gemeinschaftlicher Gerichtsstand für alle verbundenen Unternehmen vorliegt oder stets der wirtschaftliche Mittelpunkt aller Konzernunternehmen an einem Ort besteht4. Das deutsche Konzernverständnis setzt nämlich die Eigenständigkeit der jeweiligen konzerngebundenen Gesellschaften voraus. Aus diesem Grunde findet eine Vereinheitlichung von Rechts wegen weder materiell-rechtlich noch verfahrensrechtlich statt. Folglich ist für jede konzerngebundene Gesellschaft individuell die örtliche Zuständigkeit nach Maßgabe des § 3 InsO festzustellen und zu bestimmen5. 5.165 Die im Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen vom 30.1.2014 vorgesehene Gruppen-Gerichtsstand-Regelung (§ 3a)6 ermöglicht es, mehrere oder alle Verfahren über gruppenangehörige Schuldner bei einem Gericht zu führen. Danach erklärt sich auf Antrag eines Schuldners, der einer Unternehmensgruppe im Sinne von § 3e InsO-E angehört, das angerufene Insolvenzgericht für die Insolvenzverfahren über die anderen gruppenangehörigen Schuldner (Gruppen-Folgeverfahren) für zuständig, wenn in Bezug auf den Schuldner ein zulässiger Eröffnungsantrag vorliegt und der Schuldner nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die gesamte Unternehmensgruppe ist. 1 OLG Frankfurt v. 11.2.2014 – 11 SV 102/13; Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, § 3 InsO Rz. 5 m.w.N. 2 Vgl. Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, § 3 InsO Rz. 5 m.w.N.; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 3 InsO Rz. 17; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 3 InsO Rz. 5. 3 Näher dazu Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, § 3 InsO Rz. 38 ff. 4 Rotstegge, Konzerninsolvenz – Die verfahrensrechtliche Behandlung von verbundenen Unternehmen nach der Insolvenzordnung, 2007, § 6 S. 397. 5 AG Köln v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07, NZG 2008, 254. 6 BT-Drucks. 18/407, S. 7.

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Insolvenzantrag – Antragsberechtigte

5.169

Bei einem Verfahren mit Auslandsbezug1 hat der Geschäftsführer der GmbH vor 5.166 Antragstellung zu prüfen, ob nicht ein ausländisches Gericht für das einzuleitende Insolvenzverfahren international zuständig sein könnte. Soweit sich der Verwaltungssitz der GmbH im Ausland befindet, dürfte sich im Regelfall dort auch der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Gesellschaft nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO2 befinden, so dass weder eine internationale noch eine örtliche Zuständigkeit eines deutschen Insolvenzgerichts gegeben ist. Lässt sich im Rahmen der Amtsermittlung gemäß § 5 InsO durch das Insolvenzgericht der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (COMI) des Schuldners nicht ermitteln, trägt dieser die Darlegungs- und Beweislast für seine Behauptung, zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung einen Geschäfts- bzw. Wohnsitz im Ausland begründet zu haben3. 4. Form § 13 Abs. 1 Satz 1 InsO sieht für den Insolvenzantrag eines Schuldners oder Gläu- 5.167 bigers ausdrücklich die Schriftform vor. Ein per Telefax oder als elektronisches Abbild unter Wiedergabe der Unterschrift des Antragstellers gestellter Eröffnungsantrag wird nicht allein deshalb unwirksam, dass der Antragsteller das Original nicht nachreicht4. Ebenso wie für das Verbraucherinsolvenzverfahren (vgl. § 305 Abs. 1 Satz 1 InsO) 5.168 hat der Gesetzgeber auch für das Regelinsolvenzverfahren in § 13 Abs. 3 InsO eine Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz normiert, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates für die Antragstellung durch den Schuldner ein – amtliches – Formular einzuführen, das zwingend zu verwenden ist. Da bislang von dieser Ermächtigung kein Gebrauch gemacht worden ist, hat der Geschäftsführer der GmbH lediglich die Schriftform zu wahren. Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs zum ESUG5 ist zu erwarten, dass in nächster Zeit „zumindest ein indifferentes Formular auch im Regelinsolvenzverfahren“ eingeführt wird6. Ein zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts gestellter Insolvenzantrag ist unzulässig und ggf. zurückzuweisen.

II. Antragsberechtigte 1. Grundlagen Das Insolvenzrecht unterscheidet zwischen dem Eigenantrag des Schuldners und 5.169 dem Gläubigerantrag (§ 13 Abs. 1 Satz 2 InsO). Antragsberechtigt nach § 13 Abs. 1 Satz 2 InsO sind nur solche Gläubiger, die (in Anlehnung an die Definition des Insolvenzgläubigers in § 38 InsO) einen zur Zeit der Entscheidung über den 1 Näher dazu unten Rz. 12.101 ff. 2 Am 26.6.2017 wird die reformierte EuInsVO in Kraft treten. Der Verordnungsgeber hat in Art. 3 Abs. 1 Satz 4 EuInsVO n.F. für Gesellschaften und juristische Personen eine „Suspektperiode“ von drei Monaten eingeführt. 3 AG Köln v. 19.1.2012 – 74 IN 108/10, NZI 2012, 379. 4 Vgl. BGH v. 27.1.2004 – VI ZB 30/03, JurBüro 2004, 456. 5 BT-Drucks. 17/5712, S. 23. 6 Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 2. Aufl., § 13 InsO Rz. 33.

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5.170

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Eröffnungsantrag begründeten persönlichen Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben1. Der Antrag eines Gläubigers – dies kann z.B. auch ein Gesellschafter oder ein Organmitglied der GmbH sein! – ist nach § 14 Abs. 1 InsO zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft macht. Der Gläubigerantrag setzt ein Rechtsschutzbedürfnis voraus2; er muss auf die Teilnahme an einem Insolvenzverfahren gerichtet sein und die mindestens anteilige Befriedigung der eigenen Forderung zum Ziele haben. Ein dinglich voll gesicherter Gläubiger kann keinen zulässigen Insolvenzantrag stellen3. Ein missbräuchlicher – etwa zu insolvenzfremden Zwecken gestellter – Antrag ist unzulässig. 2. Eigenantrag 5.170 a) Für den Eigenantrag der GmbH gilt § 15 InsO: Jeder Geschäftsführer oder Liquidator kann den Eigenantrag stellen (§ 15 Abs. 1 InsO). Der Eröffnungsantrag ist zulässig, wenn der Antrag beim zuständigen Gericht gestellt wurde, die allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen vorliegen und der Eröffnungsgrund in substantiierter, nachvollziehbarer Form dargelegt ist. Dabei ist keine Schlüssigkeit im zivilprozessualen Sinne zu verlangen. Der Bundesgerichtshof4 lässt es ausreichen, dass die dargelegten Tatsachen die wesentlichen Merkmale eines Eröffnungsgrundes erkennen lassen. Die tatsächlichen Angaben des Schuldners müssen die Finanzlage des Schuldners nachvollziehbar darstellen5. 5.171 Das ESUG hat die formellen Anforderungen, die an den Eigenantrag zu stellen sind, noch einmal deutlich verschärft6. Die Neufassung des § 13 InsO enthält ein leicht verwirrendes und in sich nicht stimmiges Geflecht von Ist- und Sollbestimmungen hinsichtlich der vom Schuldner bei einem Eigenantrag vorzulegenden Unterlagen7. Eindeutig ist die Regelung in § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO. Danach hat der Schuldner seinem Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Verzeichnis seiner Gläubiger und ihrer Forderungen beizufügen. Die Vorschrift soll einen ordnungsgemäßen Ablauf des Insolvenzverfahrens gewährleisten und es dem Gericht erleichtern, die Gläubiger bereits in einem frühen Verfahrensstadium einzubeziehen8. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 7 InsO ist dem Gläubiger-

1 Mitgliedsrechte der Aktionäre einer Aktiengesellschaft begründen keine Insolvenzforderung nach § 38 InsO (BGH v. 30.6.2009 – IX ZA 21/09, NZG 2009, 984). 2 BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 214/05, ZIP 2006, 1456; BGH v. 29.6.2006 – IX ZB 245/05, ZIP 2006, 1452. 3 BGH v. 5.5.2011 – IX ZB 251/10, ZInsO 2011, 1216. 4 BGH v. 12.12.2002 – IX ZB 426/02, ZIP 2003, 358, 359. 5 LG Göttingen v. 22.12.2003 – 10 T 142/03, NZI 2004, 149; Laroche in Vallender/Undritz, Kap. 2, Rz. 15. 6 Laroche in Vallender/Undritz, Kap. 2, Rz. 15. 7 Vallender, MDR 2012, 61. Angesichts der Komplexität der Vorschrift ist darüber nachzudenken, ob das BMJ, wie angekündigt (BT-Drucks. 17/5712, S. 34), von seiner Verordnungsermächtigung nach § 13 Abs. 3 InsO Gebrauch machen und verbindliche Formulare für den Eröffnungsantrag auch im Regelinsolvenzverfahren einführen sollte. 8 BT-Drucks. 17/5712, S. 33.

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Insolvenzantrag – Antragsberechtigte

5.174

verzeichnis die Erklärung beizufügen, dass die enthaltenen Angaben richtig und vollständig sind1. Auch diese Pflicht besteht für jeden Eigenantrag, unabhängig davon, ob der Ge- 5.172 schäftsbetrieb noch nicht eingestellt ist oder ob qualifizierende Merkmale nach § 13 Abs. 1 Satz 6 InsO gegeben sind. Das Gläubigerverzeichnis muss grundsätzlich sämtliche Forderungen wiedergeben, einschließlich der noch nicht fälligen, der bedingten sowie der bestrittenen, denn auch deren Inhaber sind Insolvenzgläubiger i.S. des § 38 InsO2. Da das Verzeichnis verpflichtend ist, hat das Insolvenzgericht den Eröffnungsantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Schuldner es nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist nachreicht. Hat der Schuldner einen Geschäftsbetrieb, der nicht eingestellt ist, sollen in dem 5.173 Verzeichnis die höchsten Forderungen, die Forderungen der Finanzverwaltung, die Forderungen der Sozialversicherungsträger sowie die Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung kenntlich gemacht werden (§ 13 Abs. 1 Satz 4 InsO). Obwohl die Bestimmung keine Verpflichtung normiert, hat der Schuldner nach § 13 Abs. 1 Satz 5 InsO in diesem Fall auch Angaben zur Bilanzsumme, zu den Umsatzerlösen und zur durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer des vorangegangenen Geschäftsjahres zu machen3. Verpflichtend sind die in § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO vorgesehenen Angaben nur unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Satz 6 InsO, d.h. wenn der Schuldner die Eigenverwaltung beantragt, die Merkmale des § 22a Abs. 1 InsO erfüllt sind oder die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses beantragt wurde. Genügt der Antrag nicht diesen Anforderungen, hat das Gericht den Schuldner darauf hinzuweisen und ihm Gelegenheit zu geben, binnen einer bestimmten Frist der Beanstandung Rechnung zu tragen. Kommt der Schuldner dem nicht nach, ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen. Wird der Eröffnungsantrag nicht von allen Geschäftsführern oder Liquidatoren ge- 5.174 stellt, so ist er nur zulässig, wenn der Eröffnungsgrund glaubhaft gemacht wird (§ 15 Abs. 2 Satz 1 InsO). Im Falle der Führungslosigkeit einer GmbH (§ 10 Abs. 2 Satz 2 GmbHG) hat der antragstellende Gesellschafter auch die Führungslosigkeit glaubhaft zu machen (§ 15 Abs. 2 Satz 2 InsO). Das Insolvenzgericht hat im Anschluss daran die übrigen Antragsberechtigten i.S. von Abs. 1 anzuhören. 1 Zudem kann sich derjenige, der nach § 15a InsO verpflichtet ist, einen Eröffnungsantrag zu stellen, nach § 13 Abs. 4 InsO strafbar machen, wenn die Anforderungen des § 13 Abs. 1 Satz 3 und Satz 7 InsO nicht erfüllt sind. Eine Strafbarkeit kommt nur dann in Betracht, wenn die unvollständigen Angaben die gerichtliche Entscheidung verhindern oder wesentlich erschweren (Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 333 m.w.N.). Kommt der Antragsteller der gerichtlichen Aufforderung zur Vervollständigung des Antrags fristgerecht nach, ist die Nachholung als tätige Reue zu qualifizieren, die die Strafbarkeit entfallen lässt (Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. 2015, § 80 Rz. 53, § 77 Rz. 6). 2 Schmahl/Vuia in Münchener Kommentar zur InsO, § 13 InsO Rz. 106; Pape in Kübler/ Prütting/Bork, § 13 InsO Rz. 120. 3 Ob diese Angaben bei einem Geschäftsbetrieb, der nicht eingestellt ist, zwingend sind, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt (zwingend: Pape, ZInsO 2011, 2154, 2155; Laroche in Vallender/Undritz, Kap. 2 Rz. 16; nicht zwingend: Frind, ZInsO 2011, 2249, 2252 f.

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5.175

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Für den Eigenantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gelten die Sonderregeln des § 18 InsO: Dieser Antrag muss nach § 18 Abs. 3 InsO von einer vertretungsberechtigten Zahl von Geschäftsführern gestellt werden, und diese sind gesellschaftsrechtlich verpflichtet, vor der Stellung des Eigenantrags wegen drohender Zahlungsunfähigkeit – anders als in Fällen der Überschuldung oder der bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit – die Zustimmung der Gesellschafter einzuholen. Die Zulässigkeit des Antrags hängt aber hiervon nicht ab. 5.175 Abgesehen vom Fall des § 18 InsO kann jeder Geschäftsführer bzw. Liquidator den Antrag stellen, auch wenn er nur gesamtvertretungsberechtigt ist1. Jeder einzelne Geschäftsführer bzw. Liquidator muss auch ggf. gemäß § 15a InsO handlungsfähig sein. Allerdings ergibt sich aus dem soeben zu § 15 Abs. 2 InsO und zu § 18 Abs. 3 InsO Gesagten, dass ein Unterschied hinsichtlich der Glaubhaftmachung besteht: Nur der von allen Geschäftsführern gestellte Antrag ist ohne Glaubhaftmachung zulässig, und nur der in vertretungsberechtigter Zahl gestellte Antrag kann auch auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützt werden. 5.176 Zurücknehmen kann den Antrag nach der bisher herrschenden, vom BGH offen gelassenen2 Auffassung nur, wer ihn gestellt hat3. Dies scheint zu eng. Die h.M. trifft zu, soweit es um einen Gläubigerantrag geht, nicht dagegen beim Eigenantrag. Die Rücknahme des Eigenantrags bei einer GmbH oder GmbH & Co. KG ist entgegen der herrschenden Auffassung nicht an die Person des antragstellenden Geschäftsführers gebunden. Nach der hier vertretenen Ansicht können in vertretungsberechtigter Zahl auch andere den Antrag zurücknehmen4. Dazu können die Gesellschafter sie auch anweisen. Nachträgliche Amtsniederlegung macht den Antrag nicht unwirksam. Jedenfalls für diesen Fall ist anerkannt, dass der Amtsnachfolger den Antrag zurücknehmen kann5. 5.177 b) Nicht antragsberechtigt sind nach h.M. die sog. „faktischen Organe“6. Dem ist zu folgen, wobei aber sorgsam zwischen fehlerhaft bestellten, ggf. sogar im Handelsregister eingetragenen und wirklich bloß „faktischen Geschäftsführern“ zu unterscheiden ist7. Wer fehlerhaft als Geschäftsführer bestellt ist, wird den Antrag stellen können, solange die Bestellung zum Geschäftsführer nicht widerrufen oder die Nichtigkeit der Bestellung evident ist. Wer dagegen nur faktisch eine geschäftsführerähnliche Position innehat – z.B. selbst einen ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer vorschiebt –, kann die Gesellschaft beim Insolvenzantrag 1 AG Göttingen v. 1.10.2010 – 74 IN 204/10, ZInsO 2011, 1114; Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15 InsO Rz. 14; ebenso schon die für § 208 KO h.M.; vgl. nur Delhaes, Der Insolvenzantrag, 1994, S. 108 m.w.N. 2 BGH v. 10.7.2008 – IX ZB 122/07, DB 2008, 1908 = GmbHR 2008, 987 m. Komm. Blöse. 3 LG Tübingen v. 10.8.1960 – 1 T 67/60, KTS 1961, 158; LG Dortmund v. 23.9.1985 – 9 T 560/85, GmbHR 1986, 91 = ZIP 1985, 1341; LG Duisburg v. 3.11.1994 – 43 N 231/94, ZIP 1995, 582; AG Potsdam v. 11.4.2000 – 35 IN 110/00, NZI 2000, 328; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 13 InsO Rz. 16; H.-F. Müller in Jaeger, § 15 InsO Rz. 55, 57. 4 Karsten Schmidt, ZGR 1998, 633, 655; differenzierend Bitter in Scholz, 11. Aufl. 2015, vor § 64 GmbHG Rz. 101, 102. 5 BGH v. 10.7.2008 – IX ZB 122/07, DB 2008, 1908 = GmbHR 2008, 987 m. Komm. Blöse. 6 Vgl. Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15 InsO Rz. 11 m.w.N. 7 Eingehend H.-F. Müller in Jaeger, § 15 InsO Rz. 36 ff. m.w.N.

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Insolvenzantrag – Antragsberechtigte

5.179

nicht wirksam vertreten1. Das ändert allerdings nichts daran, dass auch der „faktische Geschäftsführer“ die sog. „Insolvenzantragspflicht“ verletzen kann, was richtigerweise bedeutet: Er kann wegen Insolvenzverschleppung haftbar und sogar strafbar sein2 (dazu unten Rz. 11.1, 11.81). Es besteht keine Notwendigkeit, ihm nur um der Strafbarkeit willen ein echtes Antragsrecht zuzuerkennen3. Im Übrigen sind die Rechte und Pflichten im Insolvenzeröffnungsverfahren bei Rz. 5.252 ff. dargestellt. c) Der Aufsichtsrat hat kein Antragsrecht4, ebenso wenig eine Gesellschaftergrup- 5.178 pe5. Aber das gilt nur für den Eigenantrag der GmbH. Aufsichtsrat und Gesellschafter sind m.a.W. nicht befugt, die Gesellschaft bei der Stellung eines Eigenantrags zu vertreten. Eigene Antragsrechte haben diese Beteiligten als Gläubiger. Ihr Antrag wird dann allerdings auch in jeder Hinsicht als Gläubigerantrag behandelt. 3. Gläubigerantrag a) Der Insolvenzantrag als Gläubigerkalkül Die Stellung eines Insolvenzantrags gegen eine GmbH oder GmbH & Co. KG ist 5.179 immer eine Frage des Gläubigerkalküls. Die Wahl der Vollstreckungsart ist nicht nur wichtig für die Realisierung der Forderung, sondern auch zugleich für die Kostenbelastung des Gläubigers mit weiteren Prozess- und Vollstreckungskosten gegen das Schuldnerunternehmen. So erspart z.B. die Titulierung von Forderungen im Insolvenzverfahren dem Gläubiger nicht selten die Kosten von Prozessen, für die er als Kläger trotz Obsiegens als Zweitschuldner haftet. Ein Nachteil des Insolvenzverfahrens liegt darin, dass der Gläubiger als Antragsteller zugleich mit anderen Gläubigern nur einen Anspruch auf quotale Befriedigung erlangt. Die Drohung mit einem Insolvenzantrag führt vor allem in Fällen von Zahlungsunwilligkeit oftmals dazu, dass das Schuldnerunternehmen seine Verbindlichkeiten erfüllt6. Der Gesellschafter-Gläubiger muss damit rechnen, dass sein Anspruch auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens im Insolvenzverfahren in den Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zurückgestuft wird, er also im Zweifel keine 1 Wie hier auch Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 15 InsO Rz. 6 mit Nachw. zum Streitstand. 2 BGH v. 18.12.2014 – 4 StR 323/14, 4 StR 324/14, GmbHR 2015, 191. 3 Wie hier auch Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15 InsO Rz. 11; anders Delhaes, Der Insolvenzantrag, 1994, S. 111. 4 H.-F. Müller in Jaeger, § 15 InsO Rz. 31; Bitter in Scholz, 11. Aufl. 2015, vor § 64 GmbHG Rz. 95. 5 RG v. 4.11.1895 – Rep. VI 191/95, RGZ 36, 27, 30; allg.M.; vgl. Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15 InsO Rz. 14. 6 Vgl. Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, Kap. 3 Rz. 4; Heinemann, ZInsO 2000, 492; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rz. 342; Uhlenbruck, Gläubigerberatung in der Insolvenz, S. 223; Uhlenbruck, Die anwaltliche Beratung bei Konkurs-, Vergleichs- und Gesamtvollstreckungsantrag, S. 42 ff. Allerdings unterliegen Druckzahlungen innerhalb der gesetzlichen Krise nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH v. 9.9.1997 – IX ZR 14/97, BGHZ 136, 309, 312; BGH v. 21.3. 2000 – IX ZR 138/99, ZIP 2000, 898; BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 169/02, NZI 2003, 533; BGH v. 17.7.2003 – IX ZR 215/02, NZI 2004, 87; BGH v. 18.12.2003 – IX ZR 199/02, NZI 2004, 201, 202) der Anfechtung nach § 131 InsO.

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5.180

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Befriedigung erlangt1. Im Übrigen ist der Antrag eines Gläubigers gemäß § 14 Abs. 1 InsO nur zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft macht. Ein Gläubiger, dessen Eröffnungsantrag lediglich darauf ausgerichtet ist, die GmbH als Konkurrenten aus dem Wettbewerb zu entfernen2, oder aber den Antrag allein als Druckmittel zur Ratenzahlung3 oder zur schnellen Abwicklung eines lästigen Vertragsverhältnisses einzusetzen4, ist wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig. b) Die ordnungsgemäße Antragstellung 5.180 Der Insolvenzantrag gegen eine GmbH oder GmbH & Co. KG bedarf nach § 13 Abs. 1 Satz 1 InsO der Schriftform. Unzulässig sind Insolvenzanträge mit der Maßgabe, das Gericht möge zunächst einmal den Geschäftsführer des Schuldnerunternehmens anhören. Auch bedingte oder befristete Insolvenzanträge sind als unzulässig zurückzuweisen5. Dagegen kann das Insolvenzgericht einem Wunsch des Antragstellers entsprechen, die Behandlung des Antrags kurzfristig zurückzustellen6. Dies bedeutet indes nicht, dass der Antrag erst mit dem Zeitpunkt als gestellt gilt, zu dem das Insolvenzgericht mit seiner Bearbeitung beginnt. Die Bitte um kurzfristige Zurückstellung der Behandlung ist vielmehr nur als unverbindliche Anregung zu verstehen. 5.181 Die Bezeichnung der Parteien (Antragsteller und Antragsgegner) ist zwingend. Es gilt insoweit die Vorschrift des § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO entsprechend (§ 4 InsO). Der Insolvenzantrag muss unbeschränkt sein. Er kann nicht etwa auf einen bestimmten Vermögensteil des Schuldners beschränkt werden, da der Insolvenzbeschlag das gesamte Schuldnervermögen erfasst7. Die Geschäftsführer brauchen nicht namentlich bezeichnet zu werden. Es genügt, wenn die Gesellschaft bezeichnet wird mit dem Zusatz „vertreten durch die Geschäftsführer“8. Weichen Sitz und Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners voneinander ab, ist der Eröffnungsantrag an das Insolvenzgericht zu richten, an dem das Schuldnerunternehmen seinen wirtschaftlichen Mittelpunkt hat, weil sich hieraus die örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO ergibt. Dem Antrag sind die erforderlichen zustellungsfähigen Durchschriften beizufügen. 1 Hat die Gesellschaft das Gesellschafterdarlehen im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag zurückgezahlt, unterliegt es der Anfechtung (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO). 2 BGH v. 19.5.2011 – IX ZB 214/10, ZIP 2011, 1162. 3 AG Oldenburg v. 22.4.2002 – 60 IN 10/02, NZI 2002, 391. 4 AG Duisburg v. 28.12.2001 – 62 IK 99/01, NZI 2002, 211. 5 BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, NZI 2006, 469; Vallender, MDR 1999, 280, 282; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 14 InsO Rz. 21. 6 BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, NZI 2006, 469; Gerhardt in Jaeger, § 13 InsO Rz. 33. 7 BGH v. 20.3.1986 – III ZR 55/85, KTS 1986, 470; LG Dortmund v. 8.7.1980 – 9 T 340/80, ZIP 1980, 633; Uhlenbruck, MDR 1973, 636; Mönning in Nerlich/Römermann, § 13 InsO Rz. 19; Delhaes, Der Insolvenzantrag, 1994, S. 66; str., a.A. LG Braunschweig v. 23.1.1976 – 8 T 28/76, Rpfleger 1977, 140; OLG Hamburg v. 27.12.1972 – 6 W 74/72, KTS 1973, 189; LG Bremen v. 26.10.1971 – 8 T 608/71, Rpfleger 1972, 27; LG Würzburg v. 8.12.1983 – 3 T 2045/83, BB 1984, 95. 8 Str., a.A. Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 14 InsO Rz. 12.

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5.184

Ein Insolvenzantrag wegen eines Teilbetrages ist unzulässig und auch nicht sach- 5.182 dienlich, weil einmal sämtliche Forderungen in das eröffnete Verfahren in voller Höhe einbezogen werden, zum anderen gemäß § 58 Abs. 2 GKG die Gebühr für das gerichtliche Verfahren nach dem Betrag der Gläubigerforderung, wenn der Betrag der Insolvenzmasse jedoch geringer ist, nach diesem Betrag berechnet und erhoben wird. Nach heute allgemeiner Meinung finden die Vorschriften über die Gewährung von Prozesskostenhilfe bzw. Insolvenzkostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO) über § 4 InsO – allerdings mit zahlreichen Einschränkungen – auf das Insolvenzverfahren Anwendung1. Bei gewillkürter Vertretung ist grundsätzlich eine schriftliche Vollmacht mit 5.183 dem Antrag zu den Insolvenzakten zu reichen (§ 4 InsO i.V.m. § 80 Abs. 1 ZPO). Ein Rechtsanwalt muss dagegen seine Vollmachtsurkunde nur vorlegen, wenn dies vom Gegner gerügt wird (§ 88 Abs. 2 ZPO, § 4 InsO). Zwingende Voraussetzung für einen Insolvenzantrag ist die Prozessfähigkeit des Antragstellers. Wirksam Insolvenzantrag stellen kann somit nur ein Gläubiger, der partei- und prozessfähig ist (§§ 50 ff. ZPO i.V.m. § 4 InsO). Schließlich ist darzulegen, dass die GmbH oder GmbH & Co. KG insolvenzfähig i.S. von § 11 InsO ist. Dies bedeutet für den Fall, dass es sich um eine Vor- oder Nachgesellschaft handelt, dass die Voraussetzungen darzutun und gegebenenfalls zu beweisen sind. Eine Vorgründungsgesellschaft ist nicht insolvenzfähig, sofern sie nicht im Vorgründungsstadium als mitunternehmerische Außengesellschaft in Erscheinung getreten ist2. Für den Insolvenzantrag gegen eine im Handelsregister gelöschte Gesellschaft ist erforderlich, dass nach der sog. Lehre vom Doppeltatbestand nachgewiesen werden muss, dass entweder eine Löschung im Handelsregister noch nicht erfolgt ist oder die Gesellschaft noch Vermögenswerte besitzt. Ist die gelöschte GmbH noch insolvenzfähig, weil noch nicht vollbeendet, fehlt es aber an einem Geschäftsführer, so ist die Gesellschaft nicht prozessfähig mit der Folge, dass ein Insolvenzverfahren nicht eröffnet werden kann. Ein Antragsteller muss daher zunächst bei dem zuständigen Registergericht die Bestellung eines Notgeschäftsführers analog § 29 BGB oder eines Nachtragsliquidators beantragen3. Sind mehrerer Eröffnungsanträge von verschiedenen Antragstellern – hierzu zählt 5.184 auch der Schuldner – gestellt, führt jeder der gesondert zu prüfenden Anträge zur Einleitung eines selbständigen Eröffnungsverfahrens4. Kommt es zur Eröffnung des Verfahrens, werden die Verfahren regelmäßig verbunden (§ 4 InsO i.V.m. § 147 ZPO). Bei gleichzeitig gestellten Eigenantrag ist dieses Verfahren führend. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH ist ein weiterer Insolvenzantrag mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig5. 1 Vgl. Uhlenbruck, ZIP 1982, 288; Rüther in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 4 InsO Rz. 26 f. 2 BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, ZIP 1984, 950 = GmbHR 1984, 316; Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 36; Bitter in Scholz, 11. Aufl. 2015, vor § 64 GmbHG Rz. 4; Kübler/Prütting/Noack, InsO, Gesellschaftsrecht Rz. 240; Roth in Roth/Altmeppen, § 11 GmbHG Rz. 67. 3 OLG Dresden v. 12.10.1999 – 7 W 1754/99, GmbHR 2000, 391; OLG Köln v. 3.1.2000 – 2 W 214/99, GmbHR 2000, 390. 4 Mitter in Haarmeyer/Wutzke/Förster, § 13 InsO Rz. 11. 5 BGH v. 18.5.2004 – IX ZB 189/03, ZInsO 2004, 739.

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5.185

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

c) Der Insolvenzantrag gegen eine GmbH & Co. KG 5.185 Über das Vermögen einer GmbH & Co. KG findet jeweils ein gesondertes Insolvenzverfahren statt. Das erfordert seitens des Gläubigers grundsätzlich zwei Insolvenzanträge, die gesondert zu prüfen sind1. Anders als nach früherem Recht empfiehlt sich die Stellung eines Insolvenzantrags gegen beide Gesellschaften für den Gläubiger nicht, da § 93 InsO die Komplementär-Haftung in das Verfahren über das Vermögen der KG einbezieht. Möglich ist aber auch ein Eröffnungsantrag nur gegen die Komplementär-GmbH, wenn die Forderung des Gläubigers sich gegen diese richtet. Im Übrigen hat der Gesetzgeber die Frage offen gelassen, wie zu verfahren ist, wenn sowohl über das Vermögen der KG als auch über dasjenige der Komplementär-GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Nach früherem Recht hatten die Gläubiger in beiden Verfahren ihre Forderungen zur Tabelle anzumelden. Dies ist im Hinblick auf die Regelung in § 93 InsO heute nicht mehr erforderlich, es sei denn, dass der Gläubiger nur eine Forderung gegen die Komplementär-GmbH hat. Im Übrigen wird das Vermögen der GmbH über § 93 InsO in das Insolvenzverfahren der KG haftungsmäßig einbezogen. Nicht zuletzt auch um die Sanierungsfähigkeit der GmbH & Co. KG zu erhalten, empfiehlt es sich auch für den Gläubiger, zunächst den Insolvenzantrag nur gegen die KG zu richten. d) Forderung gegen die Gesellschaft 5.186 Der antragstellende Gläubiger muss gegen die GmbH oder GmbH & Co. KG eine Forderung haben, die zur Teilnahme am Insolvenzverfahren berechtigt. Er muss Insolvenzgläubiger sein. Unerheblich ist, ob es sich um eine Forderung i.S. von § 38 InsO handelt oder um eine nachrangige Forderung i.S. von § 39 InsO2. Nachrangige Insolvenzforderungen nehmen indes nur am Insolvenzverfahren teil, wenn das Gericht besonders zur Forderungsanmeldung aufgefordert hat (§ 174 Abs. 3 InsO)3. Forderungen, die unter einer auflösenden Bedingung oder Befristung stehen, werden wie unbedingte Forderungen im Verfahren behandelt (§§ 41, 42, 77 Abs. 3 Nr. 1, 191 InsO), so dass auch sie zum Eröffnungsantrag berechtigten. Auch eine gestundete Forderung steht einer Antragstellung nicht entgegen, kann aber das Rechtsschutzinteresse entfallen lassen4. Mit der vollständigen Tilgung der Forderung nach Antragstellung erlischt das Antragsrecht des Gläubigers, weil eine gesetzliche Voraussetzung für die Zulässigkeit des Antrags im Entscheidungszeitpunkt nicht mehr erfüllt ist5. 5.187 Diese Rechtsfolge tritt seit Einführung des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO auf Grund des am 1.1.2011 in Kraft getretenen Haushaltsbegleitgesetzes vom 9.12.20106 nicht 1 Kübler/Prütting/Noack, InsO, Gesellschaftsrecht Rz. 552; Karsten Schmidt, GmbHR 2002, 1209, 1212. 2 OLG Köln v. 28.3.2001 – 2 W 32/01, ZIP 2001, 975; Vallender, MDR 1999, 280, 282; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 13 InsO Rz. 10a; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 13 InsO Rz. 10; Mönning in Nerlich/Römermann, § 14 InsO Rz. 7. 3 Wird eine nachrangige Insolvenzforderung als normale Forderung zur Tabelle angemeldet, ist sie bei Vorliegen der formalen Anmeldevoraussetzungen in die Tabelle aufzunehmen (LG Waldshut-Tiengen v. 26.1.2005 – 1 T 172/03, ZInsO 2005, 557). Der Verwalter hat der Forderung dann jedoch zu widersprechen. 4 Vgl. auch Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 14 InsO Rz. 5. 5 BGH v. 5.2.2004 – IX ZB 29/03, ZIP 2004, 1466, 1467. 6 BGBl. I 2010, 1885.

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5.188

ein, wenn in einem Zeitraum von zwei Jahren vor der Antragstellung bereits ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners gestellt worden war. Auch im Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO1 entfällt das Tatbestandsmerkmal des rechtlichen Interesses nicht2. Dies folgt bereits aus der Formulierung, der Antrag werde nicht allein dadurch unzulässig, dass die Forderung erfüllt werde. Allerdings sind in diesem Fall strenge Anforderungen an das Rechtsschutzinteresse und die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes zu stellen, so dass ein rechtliches Interesse an einer Verfahrensfortführung regelmäßig nur bei Finanzbehörden und Sozialversicherungsträgern anzuerkennen sein wird, weil diese öffentlichen Gläubiger nicht verhindern können, dass sie weitere Forderungen gegen den Schuldner erwerben3. Wird die Forderung des antragstellenden Sozialversicherungsträgers nach Stellung des Insolvenzantrages erfüllt, entfällt das Rechtsschutzinteresse dieses Gläubigers an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wenn der Schuldner das Arbeitsverhältnis des bei dem Gläubiger versicherten Arbeitnehmers gekündigt und die Betriebsstätte geschlossen hat.4. Umstritten ist ferner, ob von der Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 3 InsO das Erfor- 5.188 dernis, das Vorliegen eines Insolvenzgrundes glaubhaft zu machen, berührt wird. Nach zutreffender Ansicht des BGH5 hat der Gläubiger im Falle der Fortführung des Verfahrens nach § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO das Fortbestehen des Eröffnungsgrundes glaubhaft zu machen. Diese als Ausnahme einer trotz Erfüllung der den Eröffnungsantrag stützenden Forderung fortbestehenden Antragsbefugnis und eines hierdurch veränderten Rechtsschutzbedürfnisses zu verstehende Vorschrift erfordere eine Prüfung im Einzelfall, ob die mit Antragstellung erfolgte Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrundes auch nach Erfüllung der den Antrag stützenden Forderung fortwirkt oder der Gläubiger den Eröffnungsgrund erneut glaubhaft machen muss. Bei der Beurteilung, ob nach dem Ausgleich der Forderung des antragstellenden Gläubigers die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners weiterhin wahrscheinlich ist, können zum einen die näheren Umstände des vorangegangenen, in § 14 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 InsO angesprochenen Insolvenzantrags von Bedeutung sein. Liegt dieser beispielweise nicht lange zurück, hatte der Schuldner seine Zahlungen offenkundig eingestellt und stellte der damalige Ausgleich der Forderung des Antragstellers nur eine gezielte Zahlung zur Erledigung des Insolvenzantrags dar, kann dies die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Schuldner, nachdem er innerhalb kurzer Zeit ein zweites Mal in dieser Weise vorgegangen ist, weiterhin zahlungsunfähig ist6. Verfolgt der Gläubiger in zulässiger Weise seinen Antrag weiter, hat das Gericht dem Schuldner in jedem Fall rechtliches Gehör zu gewähren. Damit wird ihm bei hinreichender Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes die Möglichkeit zur Gegenglaubhaftmachung eröffnet7. Weist das Insolvenzgericht den Antrag als unbegründet zurück, weil sich ein Insolvenz1 Die Vorschrift ist nach Art. 103e EGInsO in allen Insolvenzverfahren anzuwenden, die seit dem 1.1.2011 beantragt wurden (LG Leipzig v. 16.1.2012 – 8 T 887/11, NZI 2012, 274; LG Dessau-Roßlau v. 16.7.2012 – 1 T 141/12). 2 Vgl. Beth, NZI 2012, 1, 2; Gundlach/Rautmann, NZI 2011, 315, 317; Marotzke, ZInsO 2011, 841, 848 ff. 3 BT-Drucks. 17/3030, S. 42. 4 BGH v. 12.7.2012 – IX ZB 18/12, ZIP 2012, 1674. 5 BGH v. 11.4.2013 – IX ZB 256/11, WM 2013, 1033. 6 BGH v. 18.12.2014 – IX ZB 34/14, MDR 2015, 423. 7 AG Düsseldorf v. 13.8.2012 – 502 IN 51/12.

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

grund nicht feststellen lässt, sind dem Schuldner nach § 14 Abs. 3 InsO die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen1. Art. 1 Nr. 1 des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz vom 29.9.2015 sieht eine Neufassung des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO vor. Danach soll der Eröffnungsantrag nicht allein dadurch unzulässig werden, dass die Forderung erfüllt wird. Damit werden die Anforderungen an einen zulässigen Gläubigerantrag insofern herabgesetzt, als das Erfordernis eines Erst- bzw. Vorantrags gestrichen wird. Auf diese Weise soll das Anfechtungsrecht insbesondere der Sozialversicherungsträger effektiver ausgestaltet werden2. Entfällt das Erfordernis eines Erstantrags, bedarf es insoweit auch keiner Anordnung der Glaubhaftmachung der vorherigen Antragstellung mehr. Aus diesem Grunde sieht der Entwurf die Streichung des § 14 Abs. 1 Satz 3 InsO vor. 5.189 Der Gläubiger ist ferner befugt, die durch Erfüllung erloschene Forderung auszuwechseln3. Es wäre eine nicht gerechtfertigte Förmelei, den Gläubiger zu veranlassen, den gestellten Antrag für erledigt zu erklären und einen neuen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners zu stellen. Die GmbH ist ausreichend dadurch geschützt, dass für die nachgeschobene Forderung sämtliche Voraussetzungen des § 14 InsO neu zu prüfen sind4. e) Glaubhaftmachung von Forderung und Insolvenzgrund 5.190 Nach § 14 Abs. 1 InsO hat der Gläubiger sowohl seine Forderung als auch den Eröffnungsgrund mit den Mitteln des § 294 ZPO glaubhaft zu machen5. Der Gesetzgeber hat das Insolvenzeröffnungsverfahren bewusst als vereinfachtes Vollstreckungsverfahren ausgestaltet. Deshalb genügt es für die Einleitung des Verfahrens, dass der Antragsteller seine Forderung und den Insolvenzgrund glaubhaft macht. Zur Glaubhaftmachung kann sich der Antragsteller gemäß § 4 InsO, § 294 ZPO aller präsenten Beweismittel bedienen. Welche Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer Forderung im Rahmen des Eröffnungsantrags zu stellen sind, richtet sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls6. Grundsätzlich ist der Eröffnungsantrag eines Finanzamtes nur zulässig, wenn Steuerbescheide und gegebenenfalls etwaige Steueranmeldungen des Schuldners vorgelegt werden. Eine Liste der in der Vollstreckung befindlichen Rückstände reicht regelmäßig nicht aus. Eine Glaubhaftmachung der Forderungen durch das Finanzamt durch Vorlage der Bescheide oder der Steueranmeldungen kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn das Finanzamt die ausstehenden Steuern genau beschreibt und der Schuldner diese Forderungen nicht bestreitet7. 5.191 Ist die Forderung des antragstellenden Gläubigers, die zugleich den Insolvenzgrund bildet, nicht tituliert, kann das Insolvenzgericht den Antrag auf Grund 1 Das AG Deggendorf (Beschl. v. 3.8.2011 – IN 102/11, ZInsO 2011, 1801) zweifelt die Verfassungskonformität der Norm an. 2 RegE S. 14. 3 BGH v. 9.2.2012 – IX ZB 188/11, ZInsO 2012, 593; AG Köln v. 15.11.1999 – 71 IN 160/99, NZI 2000, 94, 95. 4 BGH v. 5.2.2004 – IX ZB 29/03, ZIP 2004, 1466, 1467. 5 BGH v. 22.9.2005 – IX ZB 205/04, NZI 2006, 34. 6 BGH v. 22.9.2005 – IX ZB 205/04, NZI 2006, 34. 7 BGH v. 12.7.2012 – IX ZB 264/11, ZInsO 2012, 1418.

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Insolvenzantrag – Antragsberechtigte

5.193

der Einwendungen des Schuldners gegen die Forderung abweisen, ohne diese einer Schlüssigkeitsprüfung im technischen Sinne zu unterziehen. Auch in diesem Zusammenhang gilt, dass die Entscheidung schwieriger rechtlicher oder tatsächlicher Fragen nicht Aufgabe des Insolvenzgerichts ist. Zweifel gehen insoweit zu Lasten des antragstellenden Gläubigers1. Kann der antragstellende Gläubiger keine aktuelle Unpfändbarkeitsbescheinigung vorlegen, muss er Tatsachen darlegen und glaubhaft machen, die den Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit – im Unterschied zur Zahlungsunwilligkeit oder zur bloßen Zahlungsstockung – des Schuldners zulassen. Dabei kann insbesondere von Bedeutung sein, ob der Schuldner die Forderung aus tatsächlichen Gründen oder aus Rechtsgründen bestreitet und deshalb nicht zahlt oder ob er die Berechtigung der Forderung nicht in Zweifel zieht, aber gleichwohl keine Zahlungen leistet2. Soll indes der Eröffnungsgrund aus einer einzigen Forderung des antragstellenden 5.192 Gläubigers abgeleitet werden und ist diese Forderung bestritten, muss sie für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewiesen sein3. Denn es gehört nicht zu den Aufgaben des Insolvenzgerichts, den Bestand ernsthaft bestrittener, rechtlich zweifelhafter Forderungen zu überprüfen. Fällt die tatsächliche und rechtliche Beurteilung nicht eindeutig aus, ist der Gläubiger schon mit seiner Glaubhaftmachung gescheitert. Die Parteien sind auf den Prozessweg zu verweisen4. f) Das erforderliche Rechtsschutzinteresse für den Antrag Das Rechtsschutzinteresse für den Insolvenzantrag ist in aller Regel indiziert5. 5.193 Das Gericht hat trotzdem von Amts wegen zu prüfen, ob der Antragsteller für seine Person ein rechtliches Interesse an der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH oder GmbH & Co. KG hat. Entgegen dem früheren Recht ist nunmehr ein besonderes Rechtsschutzinteresse für den Gläubigerantrag erforderlich (§ 14 Abs. 1 InsO). Dieses fehlt z.B. bei der Verfolgung insolvenzfremder Zwecke. So z.B., wenn der Gläubiger in einem zu eröffnenden Verfahren mit Sicherheit keine Befriedigung erfahren würde, weil z.B. seine Forderung im Nachrang des § 39 InsO befriedigt würde6. Gleiches gilt, wenn der Antragsteller mit dem Insolvenzantrag den Antragsgegner als Konkurrent aus dem Wettbewerb ausschalten will. Oder wenn er die schnelle und günstige Abwicklung eines Vertragsverhältnisses anstrebt7; ebenso, wenn der Insolvenzantrag dazu dient, den Schuldner zur Anerkennung einer zweifelhaften Forderung zu veranlassen8. Weiterhin kann es im Einzelfall am Rechtsschutzinteresse für den Insolvenzantrag fehlen, wenn die dem Antrag zugrunde liegende Forderung verjährt9, bedingt oder gestun1 BGH v. 1.2.2007 – IX ZB 79/06, NZI 2007, 350. 2 BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 88/05, ZVI 2006, 565. 3 BGH v. 8.11.2007 – IX ZB 201/03, ZInsO 2007, 1275; BGH v. 14.12.2005 – IX ZB 207/04, ZInsO 2006, 145; BGH v. 9.12.1991 – III ZR 9/91, ZIP 1992, 947. 4 BGH v. 5.8.2002 – IX ZB 51/02, ZIP 2002, 1695, 1696. 5 Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 14 InsO Rz. 11. Einzelheiten bei Wegener in Uhlenbruck, § 14 InsO Rz. 67 f.; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rz. 351 ff. 6 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 14 InsO Rz. 17. 7 BGH v. 21.6.2007 – IX ZB 51/06, NZI 2008, 121; BGH v. 29.6.2006 – IX ZB 245/05, WM 2006, 1632, 1634; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 222; Uhlenbruck, NJW 1968, 686; Mönning in Nerlich/Römermann, § 14 InsO Rz. 16. 8 Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 14 InsO Rz. 12. 9 Vgl. OLG Köln v. 1.9.1969 – 2 W 31/69, KTS 1970, 226; str., a.A. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 7.14.

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5.194

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

det ist1. Das Insolvenzgericht hat die Verjährung einer Forderung von Amts wegen zu prüfen, da eine verjährte Forderung kein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet2. Ob eine Verjährungseinrede zu Recht erhoben wird, hat jedoch in der Regel – wenn die Einrede nicht ersichtlich unbegründet ist und außer Acht gelassen werden kann – nicht das Insolvenzgericht zu entscheiden, sondern das Prozessgericht. Das gilt insbesondere dann, wenn bereits eine Klage anhängig gemacht und in erster Instanz wegen Verjährung abgewiesen worden ist. Nur diese Aufgabenverteilung ist sinnvoll. Das Urteil des Prozessgerichts erwächst in Rechtskraft zwischen den Parteien (§ 325 Abs. 1 ZPO). Es ist damit auch im Eröffnungsverfahren bei der Beurteilung der Frage, ob ein Insolvenzgrund vorliegt, zu beachten. Deshalb kann ein lediglich auf eine einzige Forderung gestützter Antrag nicht zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens führen, solange die diesen Anspruch betreffenden offenen Rechts- und Tatsachenfragen nicht im Prozesswege geklärt sind3. Ein rechtliches Interesse fehlt auch, wenn der Gläubiger auf einfachere und billigere Art und Weise zur Befriedigung seiner Forderung gelangen kann. Allerdings kann das Rechtsschutzinteresse für den Eröffnungsantrag nicht deshalb verneint werden, weil der antragstellende Gläubiger nicht fruchtlos die Einzelzwangsvollstreckung versucht hat4. Denn mit dem Gesetz ist die Annahme einer allgemeinen Subsidiarität des Insolvenzverfahrens gegenüber anderen Vollstreckungsmöglichkeiten nicht vereinbar. Die Einzelzwangsvollstreckung gewährt nicht dieselben Sicherungsmöglichkeiten wie ein Insolvenzverfahren5. 5.194 Ein Aussonderungsrecht berechtigt nicht zum Insolvenzantrag, ein Absonderungsrecht nur, wenn die Forderung nicht in voller Höhe im Schuldnervermögen oder im Vermögen eines Dritten abgesichert ist6. Das Rechtsschutzinteresse ist niemals von der Höhe der dem Antrag zugrunde liegenden Forderung abhängig. Auch eine geringfügige Forderung ist geeignet, ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH oder GmbH & Co. KG zu eröffnen7. Dagegen fehlt das Rechtsschutzinteresse, wenn der Insolvenzvertrag als Druckmittel zu Ratenzahlungen missbraucht wird. Die Tatsache, dass rückständige Arbeitnehmeransprüche für die letzten drei Monate vor Verfahrenseröffnung durch das Insolvenzrecht abgesichert sind (§ 165 SGB III), vermag das Rechtsschutzinteresse für einen Insolvenzantrag der Arbeitnehmer nicht zu beseitigen. Zudem steht es einem Arbeitnehmer frei, ob er Insolvenzgeld in Anspruch nehmen will oder nicht8. 1 Vgl. LG Braunschweig v. 5.10.1959 – 8 T 683/59, NJW 1961, 2316; Uhlenbruck, DStZ 1986, 40. 2 OLG Köln v. 1.9.1969 – 2 W 31/69, KTS 1970, 226; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rz. 353; Uhlenbruck, Die anwaltliche Beratung, S. 95; Mönning in Nerlich/Römermann, § 14 InsO Rz. 22. 3 BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 141/06, MDR 2007, 1101. 4 BGH v. 5.2.2004 – IX ZB 29/03, ZIP 2004, 1466, 1467. 5 BGH v. 5.2.2004 – IX ZB 29/03, ZIP 2004, 1466, 1467. 6 BGH v. 29.11.2007 – IX ZB 12/07, ZIP 2008, 281 = MDR 2008, 344; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 14 InsO Rz. 17; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 14 InsO Rz. 11; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 14 InsO Rz. 27, 35; Wegener in Uhlenbruck, § 14 InsO Rz. 7. 7 Vgl. Gerhardt in FS Friedrich Weber, 1975, S. 181, 189 ff.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 7.08. 8 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 223.

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Vallender

Insolvenzantrag – Antragsberechtigte

5.197

g) Haftung wegen fahrlässigen Insolvenzantrags Ein fahrlässig gestellter Insolvenzantrag führt nicht ohne weiteres zur Schadens- 5.195 ersatzpflicht des Antragstellers, wenn sich herausstellt, dass die Eröffnungsvoraussetzungen nicht vorlagen1. Der Gläubiger ist nicht verpflichtet, vor Stellung des Insolvenzantrags mit Sorgfalt zu prüfen, ob er sich hierzu für berechtigt halten darf, oder gar seine Interessen gegen die des Schuldners abzuwägen. Wer sich zum Vorgehen gegen seinen Schuldner eines staatlichen, gesetzlich eingerichteten und geregelten Verfahrens bedient, greift auch dann nicht unmittelbar und rechtswidrig in den geschützten Rechtskreis des Schuldners ein, wenn sein Begehren sachlich nicht gerechtfertigt ist und dem anderen Teil aus dem Verfahren Nachteile erwachsen. Etwas anderes gilt nur bei vorsätzlich sittenwidriger Schadenszufügung durch ein mit unlauteren Mitteln betriebenes Verfahren, wie im Falle des Prozessbetrugs oder auch der mit unwahren Angaben erschlichenen Eröffnung des Insolvenzverfahrens2. Diese Auffassung wurde in der Literatur teilweise als bedenklich bezeichnet3. h) Das Zulassungsverfahren als quasi-streitiges Parteiverfahren Der Gesetzgeber hat das Insolvenzeröffnungsverfahren als quasi-streitiges Partei- 5.196 verfahren ausgestaltet. Wird der Insolvenzantrag dem Geschäftsführer der GmbH (Antragsgegner) zugestellt, so ist dieser berechtigt, sich gegen den Antrag mit Einwendungen und Bestreiten zu wehren. So z.B. kann die Glaubhaftmachung des antragstellenden Gläubigers nach § 14 Abs. 1 InsO durch Gegenglaubhaftmachung des GmbH-Geschäftsführers erschüttert werden4. Allerdings wird die Antragszulassung durch das Gericht hierdurch nicht in Frage gestellt. Ist der Insolvenzantrag einmal zugelassen, so hat das Gericht von Amts wegen alle Umstände gemäß § 5 Abs. 1 InsO zu ermitteln, um sich von der endgültigen Zulässigkeit des Antrags und von dem Vorliegen eines Insolvenzgrundes (§ 16 InsO) zu überzeugen5. Die Amtsermittlungen6 dürfen allerdings erst einsetzen, wenn das Insolvenzgericht den Antrag zugelassen hat7. 4. Antragsrücknahme und Erledigungserklärung Der Antragsteller ist bis zur Verfahrenseröffnung oder rechtskräftigen Abweisung 5.197 des Insolvenzantrags Herr des Verfahrens. Er kann deshalb seinen Insolvenzantrag 1 BGH v. 10.3.1961 – IV ZR 242/60, BGHZ 36, 18; BGH v. 15.2.1990 – III ZR 293/88, ZIP 1990, 805; OLG Koblenz v. 17.11.2005 – 10 W 705/05, ZInsO 2005, 1338, 1339; OLG Düsseldorf v. 28.6.1984 – 8 U 165/83, ZIP 1984, 1499; OLG Düsseldorf v. 28.10.1993 – 10 U 17/93, ZIP 1994, 479; App, ZIP 1992, 460 ff.; Pape, ZIP 1995, 623 ff.; vgl. auch LG Sachsen-Anhalt v. 16.11.1993 – 2 Sa 241/93, EWiR 1/94, 459 m. Anm. Pape. 2 BGH v. 10.3.1961 – IV ZR 242/60, BGHZ 36, 21. 3 Vgl. z.B. F. Baur, JZ 1962, 95; Weitnauer, DB 1962, 461; Hopt, Schadenersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung, 1968. 4 Vgl. Wegener in Uhlenbruck, § 14 InsO Rz. 27. 5 Einzelheiten bei Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 230 ff.; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 14 InsO Rz. 26; s. auch BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 214/05, WM 2006, 1629. 6 Näher dazu BGH v. 13.4.2006 – IX ZB 118/04, NZI 2006, 405. 7 BGH v. 12.12.2002 – IX ZB 426/02, MDR 2003, 475 = ZIP 2003, 358.

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5.198

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

jederzeit gemäß § 13 Abs. 2 InsO zurücknehmen, bis das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Antrag rechtskräftig abgewiesen ist1. Nimmt der antragstellende Gläubiger seinen Insolvenzantrag gegen die GmbH oder GmbH & Co. KG zurück, so tritt entsprechend § 4 InsO die Kostenfolge aus § 269 Abs. 3 ZPO ein. Der Antragsteller ist Schuldner der gerichtlichen Gebühren und Auslagen (§ 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO, § 23 Abs. 1 GKG). Auf Antrag des Geschäftsführers des Schuldnerunternehmens sind die in § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO bezeichneten Wirkungen durch Beschluss des Insolvenzgerichts auszusprechen (§ 269 Abs. 4 ZPO). Eine weitere Möglichkeit ist, dass der Antragsteller, wenn z.B. die GmbH oder GmbH & Co. KG zahlt, die Hauptsache für erledigt erklärt. Bei einem Fremdantrag wird die Erledigungserklärung heute allgemein für zulässig gehalten, solange nicht das Gericht den Eröffnungsbeschluss erlassen hat2. Auch bei Abweisungsreife des Insolvenzantrages mangels Masse ist die Abgabe einer Erledigungserklärung zulässig3. Das Gericht muss immer prüfen, ob tatsächlich ein erledigendes Ereignis vorliegt. Allein die Feststellung der Masselosigkeit stellt kein erledigendes Ereignis im Sinne des § 91a ZPO dar. 5.198 Umstritten ist lediglich die Frage, ob eine einseitige Erledigungserklärung ausreicht, oder ob im Insolvenzeröffnungsverfahren als quasi-streitiges Parteiverfahren der Antragsgegner der Erledigung zustimmen muss4. Nach Auffassung des BGH stellt das Schweigen keine Zustimmung zur Erledigungserklärung des Antragstellers dar. Etwas anderes gilt in den Fällen, in denen dem Schuldner die Erledigungserklärung zugestellt worden ist und er ihr nicht binnen zwei Wochen widerspricht, obwohl er auf diese Möglichkeit gerichtlich hingewiesen worden ist (§ 4 InsO, § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO)5. Bei übereinstimmender Erledigungserklärung ist das Eröffnungsbegehren nicht mehr anhängig und nur noch eine Kostenentscheidung zu treffen6. 5.199 Im Falle einer einseitigen Erledigungserklärung des antragstellenden Insolvenzgläubigers gelten die Grundsätze, die für den Zivilprozess zur einseitigen Erledi1 BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 181; OLG Celle v. 2.3.2000 – 2 W 15/00, ZIP 2000, 673, 674; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 13 InsO Rz. 13 ff.; Wegener in Uhlenbruck, § 14 InsO Rz. 187. 2 BGH v. 11.11.2005 – IX ZB 258/03, ZInsO 2005, 39; OLG Köln v. 28.3.2001 – 2 W 39/01, NZI 2001, 318, 319; OLG Köln v. 1.9.1993 – 2 W 130/93, ZIP 1993, 1483; OLG Celle v. 2.11.2000 – 2 W 110/00, NZI 2001, 150; OLG Celle v. 5.7.1962 – 8 W 120/62, NJW 1962, 1970; OLG Celle v. 5.11.1969 – 8 W 266/69, KTS 1970, 309; Wegener in Uhlenbruck, § 14 InsO Rz. 188 ff.; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 230; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 13 InsO Rz. 22, 23; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, § 14 InsO Rz. 36; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 13 InsO Rz. 100 ff.; Delhaes, Der Insolvenzantrag, 1994, S. 203 ff.; Mönning in Nerlich/Römermann, § 13 InsO Rz. 111. Nach Auffassung des AG Montabaur (v. 4.10.2012 – 14 IN 50/12) soll ein Gläubiger seinen Insolvenzantrag abweichend von der für die Erledigungserklärung entsprechend geltenden Zeitschranke des § 13 Abs. 2 InsO auch nach dem Wirksamwerden des Eröffnungsbeschlusses noch für erledigt erklären, wenn der Eröffnungsbeschluss nachträglich aufgehoben wird bzw. wurde. 3 AG Köln v. 26.10.2011 – 72 IN 30/11, NZI 2012, 194; vgl. auch LG Göttingen v. 23.3. 1992 – 6 T 215/91, ZIP 1992, 572. 4 Einzelheiten bei Vuia in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 10 Rz. 14 ff. 5 BGH v. 4.11.2004 – IX ZR 82/03, ZInsO 2005, 39. 6 BGH v. 25.9.2008 – IX ZB 131/07, NZI 2008, 736 = MDR 2009, 51.

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Vallender

Die geschäftsführerlose GmbH

5.202

gungserklärung des Klägers entwickelt worden sind1. Das Gericht hat zu prüfen, ob der Antrag bis zu der Erledigungserklärung zulässig und begründet war und sich durch ein nachträgliches Ereignis erledigt hat. Die Kostenentscheidung nach § 91 ZPO (§ 4 InsO) richtet sich ausschließlich nach dem Verfahrensstand zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung2. War der Antrag zulässig, so sind die Kosten des Verfahrens in der Regel dem Schuldner aufzuerlegen. Der Geschäftsführer der schuldnerischen GmbH muss also damit rechnen, dass der Gesellschaft die Kosten durch gerichtlichen Beschluss auferlegt werden3. Eine Kostenentscheidung zu Lasten des antragstellenden Gläubigers kommt hingegen in Betracht, wenn sich eine Zurückweisung des Eröffnungsantrags als unzulässig abzeichnet oder die gerichtlichen Ermittlungen schwerwiegende Zweifel daran ergeben haben, dass zur Zeit der Antragstellung ein Eröffnungsgrund vorlag4. Lag bis zur Erledigungserklärung ein zulässiger Antrag nicht vor, so ist bei einseitiger Erledigungserklärung der darin liegende Antrag, die Erledigung festzustellen, mit der Kostenfolge gemäß § 4 InsO, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO abzuweisen, während bei der übereinstimmenden Erledigungserklärung die Kosten nach billigem Ermessen gemäß § 4 InsO, § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO durch Kostenbeschluss dem Gläubiger aufzuerlegen sind5. 5.200

Zur Insolvenzantragspflicht s. Rz. 1.191 ff., 11.1 ff.

III. Die geschäftsführerlose GmbH Nach der Legaldefinition des § 10 Abs. 2 Satz 2 InsO ist eine juristische Person 5.201 führungslos, wenn sie keinen organschaftlichen Vertreter hat (ähnlich § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Der Begriff der Führungslosigkeit wird eng ausgelegt6. Führungslosigkeit liegt nicht vor, wenn der Geschäftsführer nur unerreichbar ist, weil sein Aufenthaltsort unbekannt ist7. 5.202 Die Führungslosigkeit, vor allem – durch Abberufung der Geschäftsführung ohne gleichzeitige Neubestellung oder – durch Amtsniederlegung (dazu Rz. 2.221) wirft nicht zuletzt deshalb Probleme auf, weil dem Insolvenzgericht wegen der Eilbedürftigkeit des Insolvenzeröffnungsverfahrens verwehrt ist, die Frage der 1 BGH v. 4.11.2004 – IX ZR 82/03, ZInsO 2005, 40; OLG Köln v. 28.3.2001 – 2 W 39/01, NZI 2001, 318, 319. 2 BGH v. 25.9.2008 – IX ZB 131/07, ZIP 2008, 2285. 3 BGH v. 25.9.2008 – IX ZB 131/07, ZIP 2008, 2285; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 14 InsO Rz. 36; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 13 InsO Rz. 113 ff.; Schmahl/Vuia in Münchener Kommentar zur InsO, § 13 InsO Rz. 134 ff. 4 LG Köln v. 21.6.2012 – 13 T 83/12, Verbraucherinsolvenz aktuell 2012, 62. 5 BGH v. 25.9.2008 – IX ZB 131/07, ZIP 2008, 2285; Wehr in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 13 InsO Rz. 31. 6 Vgl. Mönning in Nerlich/Römermann, § 15 InsO Rz. 31. 7 AG Potsdam v. 24.1.2013 – 35 IN 978/12, ZInsO 2013, 515; AG Hamburg v. 27.11.2008 – 67c IN 478/08, NZI 2009, 63 m. N. auch zur a.A. von Gehrlein, BB 2008, 846, 848 = ZInsO 2008, 1331; Mönning in Nerlich/Römermann, § 15 InsO Rz. 32; h.M. nach Bußhardt in Braun, § 15 InsO Rz. 12.

Vallender und Schluck-Amend

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5.203

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Rechtswirksamkeit der Abberufung oder Amtsniederlegung zu prüfen1. Die Bestellung eines Notgeschäftsführers auf Betreiben des Gläubigers durch das Registergericht stößt in der Praxis auf erhebliche Schwierigkeiten2. Unseriöse „Firmenbestatter“, wie z.B. die „Marbella-Connection“, haben gewerbsmäßig insolvente Unternehmen aufgekauft und den Sitz ins Ausland verlegt, um die Gesellschaft dort still zu liquidieren und sich auf diese Weise ihrer Gläubiger bzw. Verbindlichkeiten zu entledigen3. Zur Strafbarkeit des gezielten Ankaufs von Anteilen insolventer GmbHs s. Rz. 11.107. 5.203 Vor diesem Hintergrund war die partielle Einführung einer „subsidiären Selbstorganschaft“4 im Fall der Führungslosigkeit einer GmbH durch das MoMiG von großer praktischer Bedeutung. Der Gesetzgeber hat die Fälle der Führungslosigkeit minimiert, indem er neben der subsidiären Insolvenzantragspflicht der Gesellschafter (Aktivvertretung, dazu sogleich unter 1. (Rz. 5.204) auch die Möglichkeit einer erleichterten Zustellung (Passivvertretung, dazu sogleich unter 2. (Rz. 5.205) eingeführt hat. 1. Insolvenzantragsrecht und Antragspflicht bei der führungslosen GmbH 5.204 Für den Fall der Führungslosigkeit einer GmbH sieht § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO nunmehr auch ein Antragsrecht für jeden Gesellschafter vor. Mit diesem Antragsrecht geht in Fällen der Führungslosigkeit auch eine Antragspflicht einher (vgl. § 15a Abs. 3 InsO und dazu Rz. 7.204). Für nicht-geschäftsführende GmbHGesellschafter kann es allerdings schwierig sein, alle gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3–7 InsO erforderlichen Angaben beizubringen. Von nicht-geschäftsführenden GmbHGesellschaftern wird nur verlangt, dass sie „gebührende Anstrengungen“ unternehmen, um ein möglichst vollständiges Gläubigerverzeichnis zu erstellen. Fehlt ein solches jedoch vollständig, wird der Antrag regelmäßig als unzulässig abgewiesen5. Im Hinblick auf die Antragspflicht gemäß § 15a Abs. 3 InsO kann dies sogar strafrechtliche Konsequenzen für die Gesellschafter haben, da die Antragstellung in diesem Fall unrichtig erfolgte (vgl. dazu aber Rz. 11.97). 2. Vereinfachte Zustellung an führungslose Gesellschaften 5.205 Durch das MoMiG wurden generell – nicht nur führungslose Gesellschaften betreffende – Vorschriften, die die Zustellung von Schriftstücken und den Zugang von Willenserklärungen an eine GmbH wesentlich erleichtern, eingeführt, wie z.B. die Pflicht zur Anmeldung einer inländischen Geschäftsanschrift zum Handelsregister (§ 10 Abs. 1 Satz 1 GmbHG), die Möglichkeit der Eintragung einer empfangsberechtigten Person (§ 10 Abs. 2 Satz 2 GmbHG) sowie die Empfangsvertretung durch GmbH-Gesellschafter (§ 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Durch die 1 Uhlenbruck hier in der 4. Aufl., Rz. 5.237. 2 Vgl. J.M. Bauer, Der Notgeschäftsführer in der GmbH, 2006, S. 86 ff. 3 Vgl. Hirte, ZInsO 2003, 833 ff.; Goltz/Klose, NZI 2000, 108 ff.; Hey/Regel, GmbHR 2000, 115 ff.; Pananis/Börner, GmbHR 2006, 513 ff.; BGH v. 22.12.2005 – IX ZR 190/02, ZIP 2006, 244 = ZInsO 2006, 140 = GmbHR 2006, 316 m. Komm. Blöse. Zur Gesetzwidrigkeit der Verweisung bei gewerbsmäßiger Firmenbestattung s. auch Pape, ZIP 2006, 877 ff. 4 Zu dem Terminus vgl. Karsten Schmidt in VGR (Hrsg.), Die GmbH-Reform in der Diskussion, 2006, S. 49 f.; Karsten Schmidt, GmbHR 2007, 1, 2. 5 Vgl. insgesamt AG Mönchengladbach v. 4.10.2012 – 45 IN 90/12, ZIP 2013, 536.

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Schluck-Amend

Die geschäftsführerlose GmbH

5.207

Änderung des § 185 ZPO bzw. des § 10 Abs. 1 Satz 1 VwZG1 wurde zudem die öffentliche Zustellung erleichtert. Vor dem Hintergrund der Missbrauchs- und Bestattungsfälle, in denen die Ge- 5.206 schäftsräume der insolventen Gesellschaften meist geschlossen und Geschäftsführer postalisch nicht zu erreichen sind, sieht § 185 Nr. 2 ZPO eine erleichterte öffentliche Zustellung bei juristischen Personen, die zur Anmeldung im Handelsregister verpflichtet sind, insofern vor, als dem Insolvenzantragsteller keine zeitaufwendigen und schwierigen Recherchen nach den Wohnanschriften der Vertreter der Gesellschaft zugemutet werden. Auch ist der Gläubiger nicht mehr verpflichtet, eine Zustellung im Ausland zu bewirken, selbst wenn ihm die ausländische Anschrift der Vertreter der Gesellschaft bekannt ist. Durch die Neuregelung soll eine erhebliche Beschleunigung der öffentlichen Zustellung erreicht werden. Vor allem in Missbrauchsfällen spielt der Zeitfaktor für die Zustellung von Klagen und Titeln eine erhebliche Rolle. Eine ins Ausland abtauchende GmbH muss also damit rechnen, dass im Inland an ihre Gesellschafter zugestellt wird oder aber eine öffentliche Zustellung erfolgt. Den Gesellschaften ist es damit nicht mehr möglich, sich den Zustellungen dadurch zu entziehen, dass ihre Vertreter und gegebenenfalls auch ihre Gesellschafter unbekannt verziehen oder ihren Aufenthalt ins Ausland verlegen. Nach § 185 Nr. 2 ZPO muss zunächst versucht werden, der GmbH, vertreten 5.207 durch ihre Geschäftsführer, oder im Fall der Führungslosigkeit ihren Gesellschafter, die nach § 35 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 GmbHG im Fall der Führungslosigkeit Empfangsvertreter für gegenüber der Gesellschaft abzugebende Willenserklärungen oder zuzustellende Schriftstücke sind, unter der eingetragenen inländischen Geschäftsanschrift zuzustellen. Für Zweigniederlassungen von Unternehmen mit Sitz im In- oder Ausland ist die inländische Geschäftsanschrift maßgeblich (§ 10 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 13d Abs. 2 HGB). Streitig ist, ob Erklärungen, die im Fall der Führungslosigkeit gegenüber dem Gesellschafter abzugeben sind, auch an dessen Privatanschrift abgegeben werden können2. Letztlich wird man, da nicht der Bereich der privaten Lebensführung betroffen ist, eine Zustellung an die Privatanschrift eines Gesellschafters zulassen müssen. Die inländische Privatanschrift des Gesellschafters lässt sich über das Einwohnermeldeamt feststellen. Von der Frage der Zulässigkeit der Zustellung an die Privatanschrift zu unterscheiden ist jedoch die Frage, ob eine solche Zustellung bzw. ein solcher erfolgloser Zustellungsversuch als Voraussetzung für eine öffentliche Zustellung nach § 185 ZPO anzusehen ist. Diese Frage ist jedenfalls zu verneinen, wenn eine solche Anschrift nicht ohne weiteres bekannt ist, denn jedenfalls verlangt § 185 ZPO keine Recherchen zur Feststellung einer anderen inländischen Anschrift3. § 185 Nr. 2 ZPO spricht ausdrücklich nur von der Zustellung an eine ohne Ermittlung bekannte inländische Anschrift. Auch mit dem Hinweis auf eine bekannte ausländische Wohnanschrift dürfte eine öffentliche Zustellung nach dem eindeutigen Wortlaut nicht abgelehnt werden. 1 Zu § 10 VwZG und der Zustellung von Steuerbescheiden: Wübbelsmann, DStR 2011, 126 ff. 2 Bejahend BGH v. 31.7.2003 – III ZR 353/02, NJW 2003, 3270; Häublein in Münchener Kommentar zur ZPO, § 185 ZPO Rz. 12; verneinend Fleischer, NJW 2006, 3239, 3242; zweifelnd Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 35 GmbHG Rz. 55. 3 Vgl. Häublein in Münchener Kommentar zur ZPO, § 185 ZPO Rz. 12.

Schluck-Amend

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5.208

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

5.208 Weiter muss versucht werden, die Zustellung an – sofern vorhanden – empfangsberechtigte Personen, die mit inländischer Anschrift im Handelsregister eingetragen sind, zuzustellen; es gelten die Vorschriften der § 10 Abs. 2 Satz 2, § 35 Abs. 2 Satz 4 GmbHG, § 13e Abs. 2 Satz 4, Abs. 3a HGB. Die Anschrift lässt sich aus dem Handelsregister in Erfahrung bringen. 5.209 Bleibt ein Zustellungsversuch unter der inländischen Geschäftsanschrift erfolglos, weil unter der eingetragenen Anschrift kein Geschäftslokal vorhanden ist, so steht der Weg zur öffentlichen Bekanntgabe (Zustellung) offen. Dies gilt aber nur, wenn eine andere inländische Anschrift eines Gesellschafters nicht bekannt ist „und auch die Zustellung an eine empfangsberechtigte Person erfolglos ist, weil eine solche schon nicht eingetragen oder aber gelöscht ist, und auch insoweit keine andere inländische Anschrift bekannt ist“. 5.210 Bei der führungslosen GmbH ist jedoch zu beachten, dass die öffentliche Zustellung nach der Gesetzesbegründung des MoMiG1 nicht an die Gesellschaft selbst gerichtet werden kann, da diese prozessunfähig sei2 und eine Zustellung an diese, mag sie auch öffentlich erfolgen, mithin gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO unwirksam wäre. Die Gesetzesbegründung geht deshalb davon aus, dass die öffentliche Zustellung im Fall einer führungslosen GmbH an die gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG empfangsvertretungsberechtigten Gesellschafter adressiert sein müsse. § 185 Nr. 2 ZPO würde demnach nur insofern eine Erleichterung bei der gerichtlichen Rechtsverfolgung bringen, als die Anschriften der Gesellschafter nicht bekannt sein müssen. Von der Anforderung, die Gesellschafter zumindest namentlich zu identifizieren, entbindet die Vorschrift der Gesetzesbegründung zufolge hingegen nicht3. Auch die im Handelsregister aufgenommene Gesellschafterliste kann hier nur bedingt helfen, da diese gemäß § 16 GmbHG nur im Innenverhältnis der Gesellschaft, nicht aber im Verhältnis zu den Gläubigern einen Gutglaubensschutz generiert4. Gerade bei den vom MoMiG ins Visier genommenen „Bestattungsfällen“ werden die Anteile häufig auf neue Gesellschafter übertragen worden sein, die nicht in die Gesellschafterliste aufgenommen worden sind5. Auf solche Fälle muss dann jedoch die Rechtsprechung des BGH6 Anwendung finden, wonach es den Zustellungsadressaten aufgrund des Verbots des Rechtsmissbrauchs versagt ist, sich auf die Unwirksamkeit der Zustellung zu berufen, wenn diese von ihnen zielgerichtet herbeigeführt wurde7.

IV. Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen 5.211 Nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO kann das Insolvenzgericht Maßnahmen der Zwangsvollstreckung, die häufig zur Zerschlagung der Masse im Eröffnungsverfahren bei1 BT-Drucks. 16/6140, S. 42. 2 Vgl. zum Streit um die Prozessfähigkeit juristischer Personen Lindacher in Münchener Kommentar zur ZPO, § 52 ZPO Rz. 23 ff. m.w.N. 3 Schwab, DStR 2010, 333, 335; Häublein in Münchener Kommentar zur ZPO, § 185 ZPO Rz. 11. 4 Schwab, DStR 2010, 333, 335. 5 Häublein in Münchener Kommentar zur ZPO, § 185 ZPO Rz. 11. 6 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 61/07, NJW-RR 2008, 1310. 7 Häublein in Münchener Kommentar zur ZPO, § 185 ZPO Rz. 11.

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Schluck-Amend und Vallender

Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen

5.213

tragen, einstweilen einstellen oder untersagen, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind. Die Einstellungsmöglichkeit bezieht sich auch auf Vollstreckungen auf Grund Arrests oder einstweiliger Verfügung1. Die einstweilige Einstellung oder Untersagung der Zwangsvollstreckung ist nicht auf Insolvenzgläubiger nach § 38 InsO beschränkt, sondern kann sich auch gegen Gläubiger richten, denen ein Absonderungsrecht an Gegenständen des schuldnerischen Vermögens zusteht.2 In diesem Falle ist der Sicherungsnehmer allerdings weiterhin befugt, seine Rechte ohne Vollstreckungsmaßnahmen durchzusetzen z.B. durch Offenlegung einer Forderungsabtretung3. Dagegen ist sie grundsätzlich nicht bei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zur Erwirkung von Handlungen oder Unterlassungen gemäß §§ 887 ff. ZPO zulässig4. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Maßnahme dem Erhalt der Masse dient. Ob das Insolvenzgericht auch gegenüber Aussonderungsberechtigten zur Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen befugt ist, erscheint zweifelhaft5. Für die Einstellung oder Untersagung der Zwangsvollstreckung in das unbeweg- 5.212 liche Vermögen des Schuldners gelten die Vorschriften der §§ 30d ff., 153b ff. ZVG. Zuständig ist insoweit das Vollstreckungsgericht6. Nach der gesetzgeberischen Vorstellung soll durch diese Regelung dem vorläufigen Insolvenzverwalter aber nicht die Möglichkeit genommen werden, Vollstreckungsmaßnahmen in das unbewegliche Vermögen zu verhindern. Er kann vielmehr bei dem für die Vollstreckung zuständigen Vollstreckungsgericht gemäß § 30d ZVG einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung stellen, sofern er glaubhaft macht, dass die einstweilige Einstellung der Verhütung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners erforderlich ist. Schiffe sind grundsätzlich unabhängig von ihrer Registrierung als bewegliche Gegenstände anzusehen7. Vollstreckungsrechtlich sind sie aber weitgehend, sofern in einem Register eingetragen, dem unbeweglichen Vermögen gleichgestellt (§ 864 ZPO). Diese Gleichstellung gilt auch im Insolvenzrecht8. Angesichts dessen fallen registrierte Schiffe grundsätzlich in den Anwendungsbereich des § 21 Abs. 2 Nr. 3, 2. Halbsatz InsO. Soweit das Vollstreckungsgericht die Zwangsverwaltung angeordnet hat, kommt 5.213 ebenfalls eine Einstellung des Verfahrens entsprechend § 30d Abs. 4 ZVG in Betracht9. Zwar erwähnt die Vorschrift ausdrücklich nur die Einstellung der Zwangsversteigerung. Dies beruht indes auf einem Versehen des Bundestags bei 1 AG Göttingen v. 14.8.2003 – 74 AR 16/03, ZInsO 2003, 770; Gerhardt in Jaeger, § 21 InsO Rz. 39. 2 Vallender in Uhlenbruck, § 21 InsO Rz. 28; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 72 Fn. 236 m.w.N.; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 32. 3 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, NZI 2003, 259 = ZInsO 2003, 318. 4 LG Mainz v. 20.2.2002 – 8 T 302/01, ZInsO 2002, 639; a.A. AG Göttingen v. 14.8.2003 – 74 AR 16/03, ZInsO 2003, 770. 5 Vgl. AG Köln v. 29.6.1999 – 71 IN 143/99, NZI 1999, 333; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 42 unter Verweis auf die ausdrückliche Regelung in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO. 6 Vallender, Rpfleger 1997, 353, 355; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 38. 7 Heinrichs in Palandt, vor § 90 BGB Rz. 3. 8 LG Bremen v. 14.8.2011 – 2 T 435/11, ZIP 2012, 1189. 9 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 49 m.w.N.

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5.214

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

der Umgestaltung des § 25 Abs. 2 Nr. 3 RegE InsO. Diese Bestimmung sah ausnahmslos die Einstellung aller Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Schuldner vor, ohne zwischen dessen beweglichem oder unbeweglichem Vermögen zu unterscheiden. 5.214 Das Insolvenzgericht wählt das gebotene Sicherungsmittel nach pflichtgemäßem Ermessen aus, ohne an Anträge oder Anregungen gebunden zu sein; dabei hat es den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren Sinne zu beachten1. Vor diesem Hintergrund begegnet eine routinemäßige Untersagung der Zwangsvollstreckung Bedenken. Das Gericht hat vielmehr vor der Anordnung eine Interessenabwägung vorzunehmen. Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO beeinträchtigen nämlich den Anspruch des Gläubigers auf effiziente Rechtsverwirklichung, der aus dem Grundsatz der staatlichen Justizgewährung folgt2. Deshalb bietet sich eine Untersagung der Zwangsvollstreckung nur im Einzelfall an, etwa wenn Gläubiger versuchen, den Schuldner mit sinnlosen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen unter Druck zu setzen oder durch Pfändungsmaßnahmen die Existenz des Schuldners gefährdet ist. Im Übrigen dürfte bereits wegen der Rückschlagsperre gemäß § 88 InsO ein erhöhtes Sicherungsbedürfnis nicht bestehen. Maßgeblich für das, was in die Rückschlagsperrfrist fällt, ist der Erwerbszeitpunkt3. Mithin ist bei einer Forderungspfändung auf den Zeitpunkt der Zustellung des Pfändungsbeschlusses an den Drittschuldner abzustellen (§ 829 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Sofern ohne Beschränkung eine Rate wirksam gepfändet wird, erstreckt sich die Pfändung auf die künftig fällig werdenden Raten, auch wenn sie im Pfändungsausspruch nicht erwähnt sind4. 5.215 Abweichend von diesen Grundsätzen hat das Insolvenzgericht nach Anordnung des Schutzschirmschirmverfahrens gemäß § 270b Abs. 1 und 2 InsO auf Antrag des Schuldners die Einstellung oder Untersagung der Zwangsvollstreckung einzustellen (§ 270b Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 InsO). Ein Ermessen steht ihm nicht zu. Diese Maßnahme soll dazu beitragen, dass nicht durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern die Fortführung des Unternehmens unter dem Schutzschirm gefährdet wird5. 5.216 Das Gericht hat das Vollstreckungsverbot gesondert auszusprechen. Es ist nicht in anderen angeordneten Sicherungsmaßnahmen enthalten. Bei der Untersagung von Rechtspfändungen kann dem Drittschuldner aufgegeben werden, den geschuldeten Betrag zu Gunsten des pfändenden Gläubigers und des Insolvenzschuldners zu hinterlegen oder auf ein Treuhandkonto einzuzahlen6, nicht aber an den vorläufigen Insolvenzverwalter allein7. 5.217 Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wirkt gemäß § 775 Nr. 2 ZPO, die Untersagung gemäß § 775 Nr. 1 ZPO8. Während die Einstellung der 1 2 3 4 5 6

BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 208/05, NZI 2006, 122, 123. Vallender, Rpfleger 1997, 353, 355; a.A.A. Schmidt, ZIP 1999, 915, 916. App in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 88 InsO Rz. 16. Thomas/Putzo, § 832 ZPO Rz. 2. Buchalik in Haarmeyer/Wutzke/Förster, § 270b InsO Rz. 14. Fuchs, ZInsO 2000, 432 ff.; Steder, ZIP 2002, 70 ff.; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 29. 7 Vgl. BGH v. 17.12.1998 – IX ZR 1/98, BGHZ 140, 255 ff. 8 Vgl. Gerhardt in Jaeger, § 21 InsO Rz. 59 ff.

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Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen

5.220

Zwangsvollstreckung den Rang des einmal erlangten Pfändungspfandrechts unberührt lässt1, hindert die Untersagung künftiger Vollstreckungsmaßnahmen die Rang wahrende Begründung eines Pfändungspfandrechts für die Zeit der Wirksamkeit des Vollstreckungsverbotes. Die Anordnung eines Vollstreckungsverbotes steht der Aufrechnung gemäß § 394 BGB nicht entgegen2. Die einstweilige Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO lässt grundsätzlich die Erzwingung der eidesstattlichen Versicherung des Schuldners gemäß § 807 ZPO unberührt3. Die Untersagung von Maßnahmen der Individualvollstreckung dient dazu, eine nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhindern. Dem läuft die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung durch den Gerichtsvollzieher regelmäßig nicht entgegen, weil damit lediglich der Vermögensbestand des Schuldners für alle Gläubiger festgestellt werden soll, ohne dass diese Vollstreckungsmaßnahme die Durchführung des Verfahrens beeinträchtigt. Im Übrigen liefe § 807 Abs. 2 ZPO zumindest von dem zeitlichen Umfang der Offenbarungspflicht ins Leere, würde der Schuldner auf Grund des Beschlusses gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO nicht mehr verpflichtet sein, die eidesstattliche Versicherung gemäß §§ 807, 900 Abs. 1 ZPO abzugeben4. Der Geschäftsführer einer GmbH bleibt auch nach Abberufung oder Niederlegung des Amts bis zur Bestellung eines neuen Geschäftsführers zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtet5. Dies gilt auch bei einer sogen. Scheinniederlegung6. Jedes Vollstreckungsorgan hat das Vollstreckungsverbot zu beachten. Eine trotz 5.218 gerichtlicher Untersagung der Zwangsvollstreckungsmaßnahme durchgeführte Vollstreckungsmaßnahme ist nicht nichtig, sondern anfechtbar7. Gegen den Anordnungsbeschluss steht gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO nur dem 5.219 Schuldner das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu (näher dazu Rz. 5.229 und 5.238). Im Regelfall wird dieser kein Interesse daran haben, die gerichtliche Maßnahme anzugreifen, weil sie ihm die Möglichkeit verschafft, unliebsame Zwangsvollstreckungsmaßnahmen abzuwehren. Der vollstreckende Gläubiger ist dagegen nicht befugt, die Anordnung anzufechten. Für die Entscheidung über die Erinnerung gemäß § 766 ZPO gegen Zwangsvoll- 5.220 streckungsmaßnahmen nach Anordnung der einstweiligen Einstellung oder Untersagung der Zwangsvollstreckung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO ist entspre1 Vgl. LG Trier v. 21.4.2005 – 4 T 1/05, NZI 2005, 405. 2 BGH v. 29.6.2004 – IX ZR 195/03, ZIP 2004, 1558 ff.; vgl. ferner BGH v. 21.3.1996 – IX ZR 195/95, ZIP 1996, 846; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 30; a.A. KG v. 25.2.2000 – 7 W 602/00, ZInsO 2000, 229. 3 LG Würzburg v. 21.9.1999 – 9 T 1930/99, NZI 1999, 504 = ZInsO 1999, 724; AG Heilbronn v. 6.8.1999 – 1 M 7322/99, DGVZ 1999, 187; AG Rostock v. 10.1.2000 – 64 M 6512/99, NZI 2000, 142; Thomas/Putzo, § 807 ZPO Rz. 6; a.A. AG Wilhelmshaven v. 26.2.2001 – 14 M 979/00, NZI 2001, 436, 437; Münzberg in Stein/Jonas, § 807 ZPO Rz. 22; Steder, NZI 2000, 456. 4 AG Rostock v. 10.1.2000 – 64 M 6512/99, NZI 2000, 142. 5 OLG Stuttgart v. 10.11.1983 – 8 W 340/83, OLGZ 84, 177 = GmbHR 1984, 100; LG Hannover v. 13.6.1980 – 11 T 92/80, DGVZ 1981, 60; Thomas/Putzo, § 807 ZPO Rz. 15; a.A. LG Bonn v. 28.2.1989 – 4 T 24/89, DGVZ 1989, 120. 6 Behr, Rpfleger 1988, 1, 3 m.w.N. 7 Vallender, ZIP 1997, 1993, 1996; a.A. Helwich, DGVZ 1998, 50.

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5.221

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

chend dem Rechtsgedanken des § 89 Abs. 3 InsO das Insolvenzgericht1 und nicht das Vollstreckungsgericht sachlich und funktionell zuständig. 5.221 Erst der Ausgang des Insolvenzeröffnungsverfahrens entscheidet darüber, ob der von dem Einstellungsbeschluss erfasste Betrag zur gemeinsamen Befriedigung der Insolvenzgläubiger verwendet werden kann oder nicht. Kommt es zur Eröffnung des Verfahrens, fällt der hinterlegte oder vom Drittschuldner zurückbehaltene Betrag in die Masse, soweit er der Rückschlagsperre des § 88 InsO unterliegt. Bei einer Hinterlegung hat der Treuhänder den Pfändungsgläubiger zur Freigabe aufzufordern. Vor der Anordnung der Sicherungsmaßnahmen wirksam entstandene Pfandrechte nach § 50 InsO können nur durch Anfechtung beseitigt werden2. Hat der Drittschuldner trotz Kenntnis der Einstellung der Zwangsvollstreckung an den Pfändungsgläubiger geleistet, so kann er sich nicht auf die §§ 407 ff. BGB, § 836 ZPO berufen. 5.222 Kommt es nicht zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens, hat das Gericht angeordnete Sicherungsmaßnahmen mangels eines Sicherungsbedürfnisses aufzuheben. Das schuldnerische Vermögen unterliegt danach wieder dem ungeschützten Zugriff der Gläubiger. Die Pfändungsgläubiger dürfen sich aus dem zu ihren Gunsten entstandenen Pfandrecht befriedigen. Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert der die Einzelzwangsvollstreckung einstellende Beschluss seine Rechtswirkung, weil nach diesem Zeitpunkt Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen ohne gerichtliche Anordnung verboten und materiellrechtlich wirkungslos sind (§§ 89, 81 InsO). vacat

5.223–5.224

1 AG Göttingen v. 30.6.2000 – 74 IK 49/00, NZI 2000, 493; AG Göttingen v. 14.8.2003 – 74 AR 16/03, ZInsO 2003, 770; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 21 InsO Rz. 20; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 83b; Hintzen, ZInsO 2001, 575, 576, Anm. zu AG Mainz v. 14.2.2001 – 201 M 180/01, ZInsO 2001, 574; Prütting, NZI 2000, 145; Dörndorfer, NZI 2000, 293; Hintzen, ZInsO 1999, 174, 175; Vallender, ZIP 1997, 1993, 1996; a.A. AG Köln v. 23.6.1999 – 73 IK 1/99, NZI 1999, 381; AG Rostock v. 10.1.2000 – 64 M 6512/99, NZI 2001, 142; AG Dresden v. 6.2.2004 – 532 IN 3310/03, ZIP 2004, 779; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 34. 2 AG Hamburg v. 21.10.1999 – 68d IK 24/99, WM 2000, 895, 896; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 21 InsO Rz. 20.

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Verfahrensrechte des Geschäftsführers

5.228

C. Verfahrensrechte und Verfahrenspflichten des Geschäftsführers I. Verfahrensrechte des Geschäftsführers 1. Grundsätzliches Neben den unter Rz. 5.241 ff. und 5.251 ff. dargestellten Pflichten hat der Ge- 5.225 schäftsführer im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der GmbH auch Verfahrensrechte. Die Ausübung dieser Rechte dient regelmäßig dem Gesellschaftsinteresse, das der Geschäftsführer zu wahren hat1. So ist er befugt, in den Fällen, in denen das Gesetz ein Rechtsmittel vorsieht, sofortige Beschwerde (§ 6 Abs. 1 InsO) einzulegen2. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, steht jedem Geschäftsführer ein individuelles Beschwerderecht zu3. Das Gleiche gilt für die Beschwerde gegen den Abweisungsbeschluss nach § 26 InsO, ohne Rücksicht darauf, ob der Geschäftsführer selbst oder ein anderes Mitglied der Geschäftsführung den Antrag gestellt hat4. In den Fällen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht dem oder den Ge- 5.226 schäftsführern das Recht der sofortigen Beschwerde nach § 34 Abs. 1, 2 InsO zu. Den Gesellschaftern ist diese Befugnis nicht eingeräumt. Bei einem Gläubigerantrag sind die Geschäftsführer als Antragsgegner anzuhören (§§ 14 Abs. 2, 10 Abs. 2 InsO). Bei einem Eigenantrag einer Gesellschaft mit mehrköpfiger Vertretung sind die übrigen Geschäftsführer anzuhören, wenn der Antrag nicht von allen organschaftlichen Vertretern gestellt ist (§ 15 Abs. 2 Satz 3) InsO). Als Verfahrensbeteiligter ist der Geschäftsführer ferner befugt, nach § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 1 ZPO Akteneinsicht zu verlangen. Dieses Recht ist Teil des verfassungsrechtlich geschützten Anspruchs auf rechtliches Gehör5. Dagegen steht dem Geschäftsführer kein allgemeiner Auskunftsanspruch gegen 5.227 den vorläufigen Insolvenzverwalter zu6. Ob dieser im Einzelfall Auskunft erteilt, ist seinem pflichtgemäßen Ermessen überlassen. Weigert sich der vorläufige Insolvenzverwalter, einem konkreten Auskunftsbegehren des Geschäftsführers nachzukommen, hat er das Insolvenzgericht um ein Einschreiten zu ersuchen. Das Gericht wird im Rahmen seiner Aufsicht zu berücksichtigen haben, inwieweit eine Auskunftserteilung dem vorläufigen Insolvenzverwalter zumutbar ist und inwieweit sie zu einer Vermögensgefährdung führen könnte. Der Geschäftsführer ist auch befugt, bereits mit seinem Antrag auf Eröffnung des 5.228 Insolvenzverfahrens oder zu einem späteren Zeitpunkt einen Insolvenzplan vorzulegen (§ 218 InsO). Von diesem Planinitiativrecht sollte in den Fällen Gebrauch gemacht werden, in denen eine gerichtliche Sanierung der Gesellschaft möglich erscheint oder eine günstigere, vom Regelverfahren abweichende Verwertungs1 Henssler in Kölner Schrift zur InsO, S. 1303 Rz. 45. 2 Näher dazu Götker, Der Geschäftsführer in der Insolvenz der GmbH, 1999, Rz. 829 ff. 3 Henssler in Kölner Schrift zur InsO, S. 1303 Rz. 44 m.w.N. Näher dazu Ausführungen Rz. 5.229. 4 Henssler in Kölner Schrift zur InsO, S. 1303 Rz. 44; a.A. Grüneberg, Die Rechtspositionen der Organe der GmbH und des Betriebsrats im Konkurs, 1988, S. 137. 5 Näher dazu Vallender in Kölner Schrift zur InsO, S. 254 Rz. 11 ff. 6 Andres in Runkel/Schmidt, Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 2 Rz. 34.

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5.229

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

möglichkeit besteht1. Bei der Prüfung der Sanierung der Gesellschaft stellt sich häufig nicht nur die Frage nach der Ausarbeitung und Vorlage eines Insolvenzplans in einem späteren Insolvenzverfahren, sondern die weitere Frage, ob die Planvorlage nicht mit einem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung begleitet werden sollte. Der Antrag kann gestellt werden, solange der Eröffnungsbeschluss noch nicht ergangen ist2. 2. Beschwerderechte 5.229 Der Geschäftsführer ist gegenüber der Gesellschaft verpflichtet, deren Interessen auch in einem Insolvenzeröffnungsverfahren zu wahren, wenn der Gläubigerantrag unzulässig oder unbegründet ist3. Diese Pflicht setzt ein, wenn das Gericht den Insolvenzantrag zugelassen hat und die Gesellschaft nach Maßgabe des § 14 Abs. 2 InsO anhört4. In seiner schriftlichen Stellungnahme sollte der Geschäftsführer sämtliche Einwendungen gegen die Zulässigkeit des Antrags erheben. So kann er die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen rügen. Darüber hinaus kann er sich gegen die besonderen Zulassungsvoraussetzungen des § 14 Abs. 1 InsO zur Wehr setzen oder durch eine Gegenglaubhaftmachung den ursprünglich zulässigen Insolvenzantrag unzulässig werden lassen. Er sollte zu diesem Zweck nach Möglichkeit bereits im Rahmen der Anhörung Unterlagen einreichen, aus welchen sich die Zahlungsfähigkeit bzw. die fehlende Überschuldung ergibt und deren Richtigkeit an Eides statt versichern5. Folgt das Gericht seinem Verteidigungsvorbringen nicht, stellt sich zunächst die Frage, ob die Zulassung des Eröffnungsantrags angefochten werden kann. Darüber hinaus ist von entscheidender Bedeutung, welche Beschwerdemöglichkeiten dem Geschäftsführer der GmbH gegen Ermittlungs- und Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts zustehen. Dies hängt allein davon ab, ob die Insolvenzordnung ein Rechtsmittel gegen die Entscheidungen des Insolvenzgerichts vorsieht. Als Träger der Schuldnerrolle kann der Geschäftsführer der schuldnerischen GmbH die vorgesehenen Rechtsmittel für die GmbH einlegen6. Ist der Geschäftsführer aus seinem Amt ausgeschieden, kann er die GmbH auch in Verfahren der sofortigen Beschwerde und der Rechtsbeschwerde nicht mehr vertreten. Eigene Verfahrensrechte stehen ihm weder vor noch nach seinem Ausscheiden zu7. 5.230 Grundsätzlich wird Rechtsschutz gegen unzulässige und unbegründete Insolvenzanträge im Insolvenzeröffnungsverfahren nur durch das Insolvenzgericht gewährt, so dass der Rechtsschutz durch Prozessgerichte in der Regel wegen der ausschließlichen Prüfungskompetenz der sich aus der Insolvenzordnung ergebenden Voraussetzungen für die Zulässigkeit und Begründetheit eines Insolvenzantrags ausgeschlossen ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Geschäftsführer nicht im Einzelfall, wenn der antragstellende Gläubiger das Recht und die Möglichkeit, 1 2 3 4

Götker, Der Geschäftsführer in der Insolvenz der GmbH, 1999, Rz. 827. Riggert in Nerlich/Römermann, § 270 InsO Rz. 19. Vallender, ZIP 1996, 529, 530; Götker, Der Geschäftsführer in der Insolvenz, 1999, Rz. 806. Die Einreichung einer Schutzschrift zur Abwehr eines angekündigten Gläubigerantrags ist unzulässig, weil der Insolvenzantrag dem Schuldner zuzustellen und ihm gleichzeitig umfassend rechtliches Gehör zu gewähren ist. 5 Götker, Der Geschäftsführer in der Insolvenz, 1999, Rz. 817. 6 BGH v. 20.7.2006 – IX ZB 274/05, NZI 2006, 700. 7 BGH v. 20.7.2006 – IX ZB 274/05, NZI 2006, 700.

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Verfahrensrechte des Geschäftsführers

5.233

einen Insolvenzantrag gemäß § 14 InsO zu stellen, missbraucht, um mit einem unzulässigen oder unbegründetem Insolvenzantrag außerhalb des Insolvenzverfahrens liegende Ziele zu verfolgen, ausnahmsweise im Wege der einstweiligen Verfügung negatorischen Rechtsschutz begehren kann1. a) Zulassung des Insolvenzantrags durch das Insolvenzgericht Dem Geschäftsführer ist es verwehrt, bereits die Zulassung des Insolvenzantrags 5.231 durch das Insolvenzgericht anzufechten. Es handelt sich dabei lediglich um eine die Eröffnungsentscheidung vorbereitende Tätigkeit des Insolvenzgerichts, gegen die das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nicht gegeben ist, weil die InsO insoweit ein Rechtsmittel nicht vorsieht2. Das Enumerationsprinzip des § 6 InsO beschränkt die Anfechtungsmöglichkeiten auf die in der Insolvenzordnung ausdrücklich vorgesehenen Fälle. Dem liegt letztlich die Überlegung zugrunde, dass eine förmliche Entscheidung über die Zulassung des Insolvenzantrags nicht erforderlich ist und der Schuldner zudem erst dann beschwert ist, wenn das Insolvenzgericht seine Einwendungen gegen die Eröffnung des Verfahrens verwirft und den Eröffnungsbeschluss erlässt. b) Ermittlungsmaßnahmen Nach § 5 Abs. 1 InsO hat das Insolvenzgericht von Amts wegen alle Umstände zu 5.232 ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. Es kann zu diesem Zweck insbesondere Zeugen und Sachverständige vernehmen. In der gerichtlichen Praxis ist die Bestellung eines Sachverständigen die häufigste und wichtigste Ermittlungsmaßnahme. Dabei beauftragt das Insolvenzgericht den Sachverständigen regelmäßig mit der Prüfung der Fragen, ob ein Insolvenzgrund besteht und eine die Kosten des Verfahrens deckende Masse vorhanden ist. Zwar setzt die Amtsermittlungspflicht des Gerichts erst ein, wenn der Antrag des Gläubigers zulässig ist3. Dies schließt indes nicht aus, dass – bei Verkennung der Rechtslage – trotz Unzulässigkeit des Insolvenzantrags Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet werden, denen es frühzeitig zu begegnen gilt (näher dazu sogleich Rz. 5.233). Bei zweifelhaftem Gerichtsstand können indes berechtigte Sicherungsinteressen der Insolvenzgläubiger es gebieten, Sicherungsmaßnahmen vor der Feststellung der Zuständigkeit des Insolvenzgerichts zu treffen, wenn sich das Insolvenzgericht letzte Gewissheit erst im weiteren Verfahrensablauf verschaffen kann4. Die Beauftragung des Sachverständigen erfolgt durch Beschluss. Diese Entschei- 5.233 dung ist als vorbereitende Maßnahme nicht anfechtbar5. Die sich nur auf die geregelten Fälle beziehende Vorschrift des § 6 Abs. 1 InsO schließt es indes nicht aus, dem von einer generell unzulässigen Maßnahme Betroffenen ein Rechtsmittel zu eröffnen6. Werden dem Sachverständigen Befugnisse eingeräumt, die dem Gesetz fremd sind, ist der Grundsatz, dass vorbereitende Maßnahmen des Insol1 OLG Koblenz v. 17.11.2005 – 10 W 705/05, ZInsO 2005, 1338. 2 OLG Köln v. 1.12.2000 – 2 W 231/00, NZI 2000, 598. 3 BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, NZI 2007, 344 = ZIP 2007, 878; BGH v. 12.12.2002 – IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205 = ZIP 2003, 358. 4 BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, NZI 2007, 344 = ZIP 2007, 878. 5 OLG Köln v. 1.12.2000 – 2 W 231/00, NZI 2000, 598. 6 BGH v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, NZI 2004, 312.

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5.234

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

venzgerichts i.S. des § 5 InsO nicht rechtsmittelfähig sind, verfassungskonform einzuschränken. Soweit das Insolvenzgericht z.B. mittels einer dem Sachverständigen erteilten Befugnis in den Wohn- und Geschäftsbereich des Schuldners eingreift, ist dieser berechtigt, dagegen analog § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO im Wege der sofortigen Beschwerde vorzugehen. Denn die Insolvenzordnung hat dem Insolvenzrichter nicht die Möglichkeit eröffnet, einen Sachverständigen zu ermächtigen, die Wohn- und Geschäftsräume des Schuldners gegen dessen Willen zu betreten. Es handelt sich dabei um eine objektiv willkürliche Maßnahme, für die es an jeder rechtlichen Grundlage fehlt. Soweit sich in diesen Fällen das ursprüngliche Rechtsschutzziel des Beschwerdeführers erledigt hat, ist regelmäßig ein Rechtsschutzinteresse des Betroffenen anzuerkennen, die Rechtswidrigkeit der Anordnung feststellen zu lassen1. Demgegenüber ist in der Regel gegen die Anordnung des Insolvenzgerichts, ein Sachverständigengutachten darüber zu erheben, in welchem Staat sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners befindet, die sofortige Beschwerde nicht statthaft2. c) Sicherungsmaßnahmen 5.234 Vor allem bei einem unzulässigen Gläubigerantrag sollte der Geschäftsführer der GmbH alles daran setzen, Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts3 zu bekämpfen. Denn § 23 Abs. 1 Satz 2 InsO sieht zwingend die öffentliche Bekanntmachung der Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung vor. § 21 InsO gilt grundsätzlich in allen Arten von Insolvenzverfahren4 und ist anwendbar, sobald und solange ein Eröffnungsantrag in zulässiger Weise anhängig ist, also im Zeitraum zwischen dem Eingang eines zulässigen Antrags und dessen Zurückweisung oder Rücknahme oder der Insolvenzeröffnung5. Die Gefahr, dass ein Gericht Sicherungsmaßnahmen bei substantiierten Einwendungen des Schuldners gegen den Eröffnungsantrag erlässt, ist als gering einzustufen. Denn auch der Erlass von Sicherungsmaßnahmen setzt grundsätzlich die Zulässigkeit des Insolvenzantrags voraus6. Wendet sich der Schuldner in rechtserheblicher Weise gegen den Eröffnungsantrag, wird das Gericht zunächst den antragstellenden Gläubiger zur Stellungnahme auffordern und im Anschluss daran das Weitere veranlassen. Dies unterstreicht umso mehr die Notwendigkeit, sich im Rahmen der Anhörung nach § 14 Abs. 2 InsO fristgerecht gegen einen – unzulässigen – Insolvenzantrag zur Wehr zu setzen. Weitere Möglichkeiten, die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen zu verhindern, stehen dem Geschäftsführer indes nicht zu. Ein selbstän1 BVerfG v. 30.4.1997 – 2 BvR 817/90, BVerfGE 96, 27, 49 = NJW 1997, 2163; BVerfG v. 5.12.2001 – 2 BvR 527/99, BVerfGE 104, 220, 232 ff. = NJW 2002, 2456; BGH v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, NZI 2004, 313. 2 BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 6/12, ZIP 2012, 1615. 3 Näher dazu Ausführungen Rz. 5.236. 4 Nach dem durch das ESUG in die Insolvenzordnung eingefügten § 270a soll das Gericht bei nicht offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Antrags auf Anordnung der Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren von den Maßnahmen des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO absehen und anstelle des vorläufigen Insolvenzverwalters einen vorläufigen Sachwalter bestellen (s. § 270a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 InsO). 5 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 3 m.w.N. 6 BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, NZI 2007, 344 = ZIP 2007, 878; Vallender in Uhlenbruck, § 21 InsO Rz. 2 m.w.N.

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Verfahrensrechte des Geschäftsführers

5.236

diges einstweiliges Rechtsschutzverfahren oder Eilrechtsschutzverfahren gegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts sieht die Insolvenzordnung nicht vor1. Ordnet das Gericht Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO an, steht nach § 21 5.235 Abs. 1 Satz 2 InsO dem Schuldner gegen den entsprechenden Beschluss das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu. Mit seiner sofortigen Beschwerde kann der Schuldner jede Art von Sicherungsmaßnahme anfechten. Anfechtbar sind indes nur selbständige Sicherungsmaßnahmen, nicht dagegen einzelne Ausgestaltungen solcher – für sich nicht angegriffenen – Maßnahmen2. Die sofortige Beschwerde setzt wie jedes andere Rechtsmittel auch eine Beschwer des Rechtsmittelführers voraus, die im Zeitpunkt der Entscheidung noch gegeben sein muss3. Ihr Wegfall macht das Rechtsmittel unzulässig. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erledigen sich Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts; eine Sachentscheidung ist nicht mehr möglich4. Ein besonderes Verfahren, in dem die Rechtswidrigkeit einer bereits erledigten Sicherungsmaßnahme i.S. von § 21 InsO festgestellt werden kann, sehen weder die ZPO noch die InsO vor. In Betracht kommt allenfalls die Zulassung eines Fortsetzungsfeststellungsantrags, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist5. d) Verfahrensabschließende Entscheidungen Die letzte Möglichkeit, sich im Insolvenzeröffnungsverfahren gegen einen unzu- 5.236 lässigen Gläubigerantrag erfolgreich zur Wehr zu setzen, besteht bei den verfahrensabschließenden Entscheidungen des Insolvenzgerichts. Nach § 34 Abs. 1 Alt. 2 und Abs. 2 InsO steht dem Schuldner gegen die Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse und gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die sofortige Beschwerde zu. In beiden Fällen ist es dringend geboten, die Entscheidung anzufechten. Denn die Abweisung mangels Masse hat zur Folge, dass mit der Rechtskraft des Beschlusses die GmbH aufgelöst wird (§ 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG). Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht dieselbe Notwendigkeit, weil diese Entscheidung ebenfalls zur Liquidation der GmbH führt (§ 60 Abs.1 Nr. 4 GmbHG). Ungeachtet der Regelung der Vertretungsbefugnis kann jeder Geschäftsführer die Ablehnung der Insolvenzeröffnung angreifen. Die Beschwerdebefugnis der GmbH folgt in einem solchen Fall aus der mit der Abweisung mangels Masse verbundenen Eintragung im Schuldnerverzeichnis (vgl. § 26 Abs. 2 InsO. Hat das Insolvenzgericht z.B. die Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Forderung des Antragstellers verkannt, kann der Schuldner die Aufhebung des Abweisungsbeschlusses mit dieser Begründung verlangen6. 1 Ausnahmsweise bleibt der Schuldner bei Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO für Eilrechtsschutzmaßnahmen prozessführungsbefugt, z.B. wenn ein Gläubiger nach Kündigung des Mietvertrags betriebsnotwendige Gegenstände im Wege der verbotenen Eigenmacht vom Betriebsgelände entfernt hat (LG Leipzig v. 26.5.2006 – 5 HK O 1796/06, ZInsO 2006, 1003 ff.). 2 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 50. 3 BGH v. 12.10.2006 – IX ZB 34/05, NZI 2007, 34. 4 BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 271/04, NZI 2007, 231, 232. 5 BVerfG v. 30.4.1997 – 2 BvR 817/90, 728/92, 802 und 1065/95, BVerfGE 96, 27, 40. 6 OLG Celle v. 9.2.2000 – 2 W 101/99, NZI 2000, 214.

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5.237

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

5.237 Die Beschwerde gegen die Eröffnungsentscheidung kann grundsätzlich auf das Fehlen jeder Eröffnungsvoraussetzung gestützt werden. Bei Anträgen von Gläubigern hat das Gericht grundsätzlich die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 InsO zu prüfen1. So kann hinsichtlich der Forderung eines antragstellenden Gläubigers in der Regel nur deren mangelnde Glaubhaftmachung als Zulässigkeitsvoraussetzung des Eröffnungsantrags gerügt werden, nicht weitergehend, dass sie materiell nicht bestehe2. e) Beschwerdeverfahren 5.238 Das Beschwerdeverfahren richtet sich nach den §§ 567 ff. ZPO (§ 4 InsO), soweit § 6 InsO keine abweichenden Bestimmungen enthält. Die Beschwerde ist nach § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO, der durch das ESUG neu gefasst wurde, beim Insolvenzgericht einzulegen3. Die Beschwerdefrist beträgt zwei Wochen (§ 569 Abs. 1 ZPO) und beginnt, wie Abs. 2 bestimmt, mit der Verkündung der Entscheidung, im Falle der Nichtverkündung mit der Zustellung4. Zum Nachweis der Zustellung genügt gemäß § 9 Abs. 3 InsO aber auch die öffentliche Bekanntmachung. Diese erfolgt durch eine zentrale und länderübergreifende, auch auszugsweise Veröffentlichung im Internet. Die Bekanntmachung gilt als bewirkt, sobald nach dem Tag der Veröffentlichung zwei weitere Tage verstrichen sind (§ 9 Abs. 1 InsO). Für den Beginn der Beschwerdefrist gilt der Zeitpunkt i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO auch dann, wenn der Beschluss später noch per Aufgabe zur Post zugestellt wird5. 5.239 Das Insolvenzgericht hat gemäß § 572 Abs. 1 ZPO die Befugnis, der Beschwerde abzuhelfen. Zwar hat die sofortige Beschwerde keine aufschiebende Wirkung (§ 570 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sowohl das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, als auch das Beschwerdegericht können aber die Aussetzung der Vollziehung anordnen (§ 570 Abs. 2 und 3 ZPO). Eine solche Maßnahme dürfte nur angezeigt sein, wenn die Beschwerde zulässig und die Rechtslage zweifelhaft ist und dem Beschwerdeführer durch die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung größere Nachteile drohen als den anderen Beteiligten im Falle der Aussetzung6. Davon ist bei einer Anordnung von Sicherungsmaßnahmen auf Grund eines unzulässigen Gläubigerantrags auszugehen. Ob es dem Geschäftsführer allerdings noch gelingt, die öffentliche Bekanntmachung zu verhindern, erscheint fraglich. Sie dürfte zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme der erlassenen Sicherungsmaßnahme bereits erfolgt sein7. 5.240 Im Rahmen der Beschwerdeentscheidung gilt für das Landgericht als Beschwerdegericht (§ 72 GVG) die Amtsermittlungspflicht des § 5 Abs. 1 InsO8. Dem Landgericht als Beschwerdeinstanz kommt nach Streichung des § 7 InsO durch das 1 2 3 4 5 6 7

Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 27 InsO Rz. 8. LG Göttingen v. 31.3.1998 – 10 T 18/98, ZIP 1998, 1369. OLG Köln v. 19.1.2000 – 2 W 271/99, ZInsO 2000, 117. Stephan in Karsten Schmidt, § 6 InsO Rz. 10. BGH v. 14.6.2012 – IX ZB 102/11. BGH v. 21.3.2002 – IX ZB 48/02, ZInsO 2002, 370. Der Schuldner ist allerdings nicht gehindert, Amtshaftungsansprüche gemäß Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB gegen das Insolvenzgericht geltend zu machen (vgl. dazu näher Vallender in Uhlenbruck, § 21 InsO Rz. 56). 8 Rüther in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 6 InsO Rz. 28.

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Vallender

Pflichten des Geschäftsführers vor Zulassung des Insolvenzantrags

5.242

Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung vom 27.10.20111 eine wesentlich größere Bedeutung in Insolvenzsachen zu, weil gegen Entscheidungen des Landgerichts nur noch eine Rechtsbeschwerde unter den Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässig ist. Eine der Zulassungsvoraussetzungen ist, dass über eine Rechtsfrage und nicht über eine Tatfrage zu entscheiden ist. Im Gegensatz zur Klärung der internationalen Zuständigkeit sind Fragen der örtlichen Zuständigkeit nicht durch eine Rechtsbeschwerde zu klären. Eine Rechtsbeschwerde ist bei alternativem Vorliegen zweier Gründe zuzulassen. Zum einen kann es sich um eine Rechtsfrage von „grundsätzlicher Bedeutung“ handeln. Zum anderen ist sie zuzulassen, wenn es darum geht, die Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sicherzustellen. Lässt das Landgericht die Rechtsbeschwerde nicht zu, steht gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel nicht zur Verfügung.

II. Pflichten des Geschäftsführers vor Zulassung des Insolvenzantrags Das Insolvenzgericht darf Sicherungsmaßnahmen nur anordnen, wenn ein zuläs- 5.241 siger Insolvenzantrag gestellt wurde (§ 20 Abs. 1 InsO). Die Entscheidung über die Zulässigkeit des Insolvenzantrags ist ein interner Vorgang des Insolvenzgerichts. Äußerlich manifestiert sich die Zulassung des Antrags darin, dass das Gericht dem Schuldner den Antrag nach § 14 Abs. 2 InsO zustellt oder dass es Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 InsO anordnet. Weil die Zulassung nicht im Wege eines förmlichen Beschlusses erfolgt, sind gegen sie auch keine Rechtsbehelfe statthaft2. Diese gesetzliche Regelung ist problematisch, weil durch die Zulassung des Insolvenzantrags und die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters der Sache nach eine Kettenreaktion in Gang gesetzt wird, die mehr oder weniger unvermeidlich zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens führt. Denn auch der Schuldner, der bei Einsetzung eines vorläufigen Verwalters noch nicht insolvent war, wird es durch den Reputationsverlust, der mit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen verbunden ist, werden3. Umso wichtiger ist, dass die Geschäftsführung die in der Phase vor der Zulassung des Antrags bestehenden Verfahrensrechte effizient wahrnimmt. 1. Pflichten gegenüber der Gesellschaft Der Geschäftsführer ist auch nach Stellung eines Insolvenzantrags aufgrund sei- 5.242 ner Organstellung verpflichtet, die Interessen der Gesellschaft zu wahren4. Welche konkreten Konsequenzen sich aus dieser Ausrichtung auf das Gesellschaftsinteresse ergeben, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es sich um einen Eigen- oder einen Gläubigerantrag handelt. 1 BGBl. I 2011, 2082. 2 Gogger in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 2 Rz. 23. 3 Hierzu Brinkmann in FS Schilken, S. 631 ff. Die Bedeutung der Zulassung des Insolvenzantrags zeigt sich auch darin, dass die Einsetzung eines vorläufigen Verwalters als Eröffnung des Insolvenzverfahrens i.S. von Art. 2 lit. f EuInsVO behandelt wird, Brinkmann in Karsten Schmidt, InsO, Art. 2 EuInsVO Rz. 8 m.w.N. 4 BGH v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, NJW 1986, 585 = GmbHR 1986, 42; Stephan/Tieves in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 35 GmbHG Rz. 86; Lenz in Michalski, § 35 GmbHG Rz. 131.

Vallender und Brinkmann

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5.243

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

a) Gläubigerantrag 5.243 Bei einem Gläubigerantrag wird das Interesse der Gesellschaft regelmäßig darauf gerichtet sein, möglichst schon die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, jedenfalls aber die Verfahrenseröffnung zu vermeiden. Hierfür stehen den Geschäftsführern in der Phase vor der Zulassung des Antrags keine formellen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Zur möglichst frühzeitigen Abwehr des Gläubigerantrags kann der Geschäftsführer aber schon vor seiner Anhörung die Glaubhaftmachung der Forderung durch den Gläubiger mittels einer Gegenglaubhaftmachung erschüttern (Rz. 5.196). Ebenso kann er andere Voraussetzungen des Antrags bestreiten und so versuchen darauf hinzuwirken, dass der Antrag gar nicht erst zugelassen wird. 5.244 Ferner können die Geschäftsführer bei dem zuständigen Insolvenzgericht bereits vor der Stellung eines Insolvenzantrags eine Schutzschrift einreichen, in der sie zu dem erwarteten Insolvenzantrag Stellung nehmen1. So kann das Gericht dazu veranlasst werden, die Geschäftsführung der Antragsgegnerin vor der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen anzuhören, so dass die Geschäftsführer Gelegenheit haben, sich gegen den Antrag oder wenigstens gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen zu verteidigen. Die Einreichung einer Schutzschrift kann insbesondere ein Mittel sein, sich gegen rechtsmissbräuchliche Insolvenzanträge eines Gläubigers zur Wehr zu setzen. b) Eigenantrag 5.245 Wie sich der Geschäftsführer bei einem Eigenantrag zu verhalten hat, hängt davon ab, ob es sich um einen von einem anderen Geschäftsführer „im Alleingang“ gestellten Antrag handelt, oder ob die Geschäftsführer den Antrag einvernehmlich gestellt haben. aa) „Im Alleingang“ durch einen anderen Geschäftsführer gestellter Insolvenzantrag 5.246 Ein Geschäftsführer kann den von einem anderen Geschäftsführer gestellten Antrag nicht zurücknehmen (Rz. 5.197)2, es sei denn der antragstellende Geschäftsführer hat inzwischen seine Organstellung verloren3. 5.247 Gegen einen Insolvenzantrag eines Mitgeschäftsführers kann sich ein anderer Geschäftsführer für die Gesellschaft zur Wehr zu setzen, indem er beispielsweise im Wege der Gegenglaubhaftmachung das Vorliegen eines Insolvenzgrunds in Zwei1 Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 574; Rein, NJW-Spezial 2013, 213; Tetzlaff, GWR 2011, 391; a.A. I. Pape in Uhlenbruck, § 10 InsO Rz. 11. 2 LG Dortmund v. 23.9.1985 – 9 T 560/85, NJW-RR 1986, 258 = GmbHR 1986, 91 (zum Konkursantrag); Haas/Hossfeld in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 55; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 44; Altmeppen in Roth/Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 53; Schmahl in Münchener Kommentar zur InsO, § 15 InsO Rz. 81; Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 121. 3 BGH v. 10.7.2008 – IX ZB 122/07, ZIP 2008, 1596 = GmbHR 2008, 987 mit der Einschränkung, dass die Rücknahme nicht rechtsmissbräuchlich sein dürfe; s. auch OLG Brandenburg v. 16.7.2001 – 8 W 165/01, NZI 2002, 44, 48; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 13 InsO Rz. 16; a.A. Schmahl in Münchener Kommentar zur InsO, § 15 InsO Rz. 82; kritisch Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 13 InsO Rz. 122 f.

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Brinkmann

Pflichten des Geschäftsführers vor Zulassung des Insolvenzantrags

5.249

fel zieht. Wurde der Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt, ohne dass ein entsprechender Gesellschafterbeschluss vorlag1, werden der oder die anderen Geschäftsführer das Insolvenzgericht über das Fehlen eines solchen Beschlusses informieren. Zwar ist der Insolvenzantrag nicht schon wegen des Fehlens eines Gesellschafterbeschlusses unzulässig2, das Fehlen kann aber auf eine rechtsmissbräuchliche Antragstellung hindeuten3. bb) Einvernehmlicher Eigenantrag Bei einem einvernehmlichen Eigenantrag steht die Wahrung und Nutzung von Sa- 5.248 nierungschancen im Vordergrund der Organpflichten des Geschäftsführers. Der Geschäftsführer wird insbesondere zu überlegen haben, ob es im Gesellschaftsinteresse geboten ist, einen Antrag auf Anordnung von Eigenverwaltung nach § 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO und gegebenenfalls daneben einen Antrag auf Bestimmung einer Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans nach § 270b Abs. 1 InsO (Schutzschirm) zu stellen. Beide Anträge können auch noch nach Einreichung des Insolvenzantrags gestellt werden. Erscheint eine Sanierung möglich, muss der Gesellschafter auch nach der Stellung des Insolvenzantrags die (hoffentlich schon begonnene) Arbeit am Sanierungskonzept und dem Entwurf eines Insolvenzplans in Abstimmung mit den Gesellschaftern fortsetzen. Es besteht eine interne Pflicht zur Planinitiative4. 2. Mitwirkungslasten gegenüber dem Insolvenzgericht Fordert das Insolvenzgericht den antragstellenden Geschäftsführer auf, den Insol- 5.249 venzantrag nachzubessern, treffen den antragstellenden Geschäftsführer Mitwirkungslasten5. Kommt der Geschäftsführer diesen nicht nach, weist das Insolvenzgericht den Antrag als unzulässig ab, wodurch ggf. die Insolvenzantragspflicht des Organs wieder auflebt6. Bei einem Gläubigerantrag ist der Antragsgegner nach 1 Zur Schadensersatzpflicht des Geschäftsführers in diesem Fall OLG München v. 21.3. 2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121 = GmbHR 2013, 590 (zu einer GmbH & Co. KG); Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 18 InsO Rz. 14; Haas in Baumbach/ Hueck, § 60 GmbHG Rz. 29; Haas/Hossfeld in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 140 f.; Tetzlaff, ZInsO 2008, 137, 139; Leinekugel/Skauradszun, GmbHR 2011, 1121, 1124; Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1593; Geißler, ZInsO 2013, 919, 922; Thole, ZIP 2013, 1937, 1939; Lang/Muschalle, NZI 2013, 953, 955. A.A. Meyer-Löwy/Pickerill, GmbHR 2013, 1065, 1074 f.; Hölzle, ZIP 2013, 1846, 1850. 2 H.-F. Müller in Jaeger, § 18 InsO Rz. 19; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 18 InsO Rz. 18; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 18 InsO Rz. 31. A.A. H.-F. Müller, DB 2014, 41, 44, der vertritt, dass ein solcher Antrag wegen Missbrauchs der Vertretungsmacht unzulässig sei. Dem ist nicht zu folgen, da diese Auffassung im Widerspruch zu § 18 Abs. 3 InsO steht. Dort regelt das Gesetz die Frage der Antragsbefugnis ausdrücklich und stellt klar, dass auch insoweit die allgemeinen Vertretungsregeln gelten. Hiermit ist es nicht vereinbar, die Zulässigkeit des Antrags an das Vorliegen eines Gesellschafterbeschlusses zu knüpfen. 3 Brinkmann, ZIP 2014, 197, 204. 4 Uhlenbruck, GmbHR 1999, 390, 398 f. 5 BGH v. 12.12.2002 – IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205 = ZIP 2003, 358. 6 Hirte in Uhlenbruck, § 15a InsO Rz. 18; Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 28.

Brinkmann

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5.250

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

§ 20 InsO erst nach der Zulassung des Antrags zur Mitwirkung verpflichtet (zu diesen Rz. 5.259 ff.). 5.250 vacat

III. Pflichten des Geschäftsführers nach Zulassung des Insolvenzantrags 1. Einköpfige und mehrköpfige Geschäftsführung 5.251 Die Verfahrenspflichten der Geschäftsführer nach der Zulassung des Insolvenzantrags1 basieren auf ihrer Organstellung, nicht auf dem mit dem Geschäftsführer abgeschlossenen Dienstvertrag. Sie treffen den bzw. die Geschäftsführer als Organ. Für die Besetzung der Geschäftsführung bleiben nach § 46 Nr. 5 GmbHG die Gesellschafter zuständig. Auch nach der GmbH-Reform 2008 (MoMiG) fällt die Unternehmensleitung im Fall der Führungslosigkeit (dazu Rz. 5.5, 11.58 ff.) den Gesellschaftern zu. Die in § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG sowie in §§ 15 Abs. 1 Satz 2, 15a Abs. 3 InsO enthaltenen Regeln beheben die Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft nicht, sondern begründen nur singuläre Zuständigkeiten der Gesellschafter. Ein allgemeines Institut subsidiärer Selbstorganschaft2, also einen allgemeinen Anfall der Geschäftsleiterposition an die Gesellschafter, kennt das Gesetz auch nach dem MoMiG nicht3. Ggf. muss also analog § 29 BGB ein Notgeschäftsführer bestellt werden. Schwieriger ist die Frage der Pflichtzuständigkeit im Fall einer mehrköpfigen Geschäftsführung (Gesamtgeschäftsführung). Soweit eine Geschäftsführungshandlung in der Abgabe einer Willenserklärung besteht, bleibt § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO maßgebend, so dass die Geschäftsführer als Gesamtvertreter gemeinsam handeln müssen, sofern dies nicht anders bestimmt worden ist (Gesellschaftsvertrag; wechselseitige Ermächtigung). Geschäftsführerpflichten, die auf reine Tathandlungen (z.B. Informationen) oder Unterlassungen hinauslaufen, treffen jeden Geschäftsführer separat (vgl. zur Insolvenzverschleppung Rz. 11.12). Mehrere Geschäftsführer stehen gegenüber der Gesellschaft unter Gesamtverantwortung (§ 43 Abs. 2 GmbHG), aber diese trifft jeden individuell nach Maßgabe seines Verschuldens4. Im Fall einer GmbH & Co. KG treffen diese Pflichten mittelbar gleichfalls die Geschäftsführer (formal gesprochen: die durch den oder die Geschäftsführer handelnde Komplementär-GmbH). Solange nicht die GmbH nach § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB oder nach dem KG-Gesellschaftsvertrag als Komplementärin ausgeschieden ist, bleibt also die GmbH-Geschäftsführung für Geschäftsführungs- und Vertretungshandlungen der Kommanditgesellschaft zuständig. 2. Pflicht zur Beachtung gerichtlicher Sicherungsmaßnahmen 5.252 Da sich ein Insolvenzeröffnungsverfahren über eine geraume Zeit erstrecken kann, hat der Insolvenzrichter darauf zu achten, dass sich bis zu einer etwaigen 1 Zum unternehmerischen Begriff der „Zulassung“ vgl. Herchen in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 20 InsO Rz. 5. 2 Zu diesem Gedanken vgl. Karsten Schmidt in VGR (Hrsg.), Die GmbH-Reform in der Diskussion, 2006, S. 143, 149 f. 3 Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 2007, 1, 2 f. 4 Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 248.

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Brinkmann und Vallender

Pflichten des Geschäftsführers nach Zulassung des Insolvenzantrags

5.254

Verfahrenseröffnung keine nachteiligen Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners ergeben. Um dies zu gewährleisten, sieht die Generalklausel des § 21 Abs. 1 InsO ausdrücklich vor, dass das Gericht insoweit alle erforderlich erscheinenden Maßnahmen zu treffen hat. Die Wahl der Sicherungsmaßnahmen unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Insolvenzgerichts1. Ein entsprechender Antrag des antragstellenden Gläubigers bedarf keiner Bescheidung durch das Gericht, sondern ist allenfalls als Anregung aufzufassen. Die wichtigsten konkreten – allerdings nicht abschließend geregelten – Sicherungsmaßnahmen finden sich in § 21 Abs. 2 InsO: die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, die Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses, der Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots sowie die Untersagung oder Einstellung von Vollstreckungsmaßnahmen in das bewegliche Vermögen des Schuldners, die Anordnung der Postsperre sowie die Anordnung eines Einziehungs- und Verwertungsverbotes gegenüber Gläubigern nach Maßgabe von Ziffer 52. Als ultima ratio kommen die zwangsweise Vorführung oder nach vorheriger Anhörung des Schuldners der Erlass eines Haftbefehls in Betracht (§ 21 Abs. 3 InsO). Das gilt auch für organschaftliche Vertreter. Als Schuldnervertreter hat der Geschäftsführer der GmbH die vom Insolvenzge- 5.253 richt angeordneten Sicherungsmaßnahmen zu beachten. Durch den Insolvenzantrag ändert sich seine organschaftliche Stellung nicht; er bleibt im Amt. Es bleibt bei der Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung für die Bestellung und die Abberufung der Geschäftsführer, soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes vorsieht3. Allerdings darf der Geschäftsführer nur noch solche Aufgaben wahrnehmen, die nicht die Insolvenzmasse betreffen4. An seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung ändert auch die Anordnung einer starken vorläufigen Insolvenzverwaltung nichts. Weder der starke vorläufige Insolvenzverwalter noch der mit einer entsprechenden Ermächtigung ausgestattete schwache vorläufige Insolvenzverwalter ist befugt, den Geschäftsführer abzuberufen (vgl. § 46 Nr. 5 GmbHG)5; er kann allenfalls dessen Anstellungsvertrag kündigen6. Eine – zulässige – erhebliche Einschränkung erfährt die Unternehmensleitungs- 5.254 befugnis des Geschäftsführers insbesondere bei der Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung. § 22 InsO bestimmt dabei im Einzelnen das Verhältnis des Schuldners bzw. seines organschaftlichen Vertreters zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Nach § 22 Abs. 1 InsO geht im Falle eines Verfügungsverbots die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über. Im Außenverhältnis erhält der vorläufige Insolvenzverwalter damit rechtlich insoweit die Stellung des Insolvenzverwalters im eröffneten Verfahren nach §§ 80 bis 82 InsO. Die „Entmachtung“ des Geschäftsführers bei Anordnung einer sogen. „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung wird insbesondere im Falle einer Unternehmensfortführung deutlich. 1 BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 208/05, NZI 2006, 122, 123. 2 Eingefügt durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13.4.2007, BGBl. I 2007, 509. 3 Vgl. BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 271/04, NZI 2007, 231 = ZIP 2007, 438. 4 BGH v. 26.1.2006 – IX ZR 282/03, ZInsO 2006, 260. 5 BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 271/04, NZI 2007, 231, 233 m. zust. Anm. Gundlach/Frenzel. 6 BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 271/04, NZI 2007, 231, 233; Henssler in Kölner Schrift zur InsO, S. 1287 Rz. 10 ff.

Vallender

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5.255

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Den vorläufigen Insolvenzverwalter trifft nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO die Pflicht, ein Unternehmen, das der Schuldner im Zeitpunkt der Anordnung betreibt, fortzuführen. Anstelle des Geschäftsführers übernimmt der vorläufige Insolvenzverwalter die Befugnis zur Leitung des Unternehmens und damit auch die üblichen betrieblichen Angelegenheiten wie z.B. die Aufrechterhaltung der Produktion, Ein- und Verkauf und Forderungseinziehung, Ausübung der Arbeitgeberbefugnisse. Dieser Wechsel lässt indes die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des organschaftlichen Vertreters der GmbH unberührt (näher dazu Rz. 5.258 ff.). 5.255 Die Befugnis, Betretungsverbote in Bezug auf die Betriebsgrundstücke auszusprechen, ist ein Ausschnitt aus dem Hausrecht, das dem vorläufigen Insolvenzverwalter dann, wenn ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet worden ist, schon nach § 22 Abs. 1 InsO zusteht. Damit ist dem starken vorläufigen Insolvenzverwalter oder dem entsprechend ermächtigten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter die Rechtsmacht verliehen, auch gegenüber dem Geschäftsführer der Gesellschaft den Zutritt zum Betriebsgelände von seiner Zustimmung abhängig zu machen1. 5.256 Bestellt das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter, ohne dass dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird, so bestimmt gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO das Insolvenzgericht die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters2. Korrespondierend hiermit werden auch die vom Geschäftsführer zu beachtenden Duldungspflichten festgelegt3. So hat er dem vorläufigen Insolvenzverwalter zu gestatten, die Geschäftsräume der GmbH zu betreten und dort Nachforschungen anzustellen sowie Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere des Unternehmens zu nehmen (§ 22 Abs. 3 Satz 1 und 2 InsO). Behindert der Geschäftsführer den vorläufigen Insolvenzverwalter bei der Erfüllung seiner Pflichten, kann das Insolvenzgericht zur Durchsetzung dieser Pflichten Zwangsmaßnahmen anordnen (§ 22 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 98 InsO). Es kann aber auch von dem milderen Mittel der Herausgabevollstreckung Gebrauch machen4. 5.257 Vor allem bei Eigenanträgen liegt die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen regelmäßig auch im Interesse der Geschäftsführer, weil oft große Unkenntnis darüber entsteht, welche Befugnisse organschaftliche Vertreter des insolventen Schuldners im Insolvenzeröffnungsverfahren haben. Darüber hinaus sehen sie ihre eigene Rechtsposition im Hinblick auf mögliche Schadensersatzansprüche Dritter durch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters besser gewahrt. 3. Auskunftspflichten 5.258 Im Insolvenzeröffnungsverfahren ist der Geschäftsführer der GmbH nicht selbst Träger der Schuldnerrolle. Er nimmt vielmehr für die GmbH diese Position wahr und ist insoweit Schuldnervertreter5. Ihn trifft die Auskunftspflicht nach Maß1 BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 271/04, NZI 2007, 230, 233. 2 In der insolvenzrechtlichen Praxis stellt die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt zur Sicherung der Masse die Regel dar (vgl. auch Fritsche, DZWIR 2005, 265 ff.). 3 Götker, Der Geschäftsführer in der Insolvenz der GmbH, 1999, Rz. 778. 4 Vallender in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 290. 5 Henssler in Kölner Schrift zur InsO, S. 1296 ff.

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5.261

gabe des § 20 Abs. 1 Satz 1 InsO1. Bei einer GmbH & Co. KG sind die Geschäftsführer der persönlich haftenden GmbH auskunftspflichtig. a) Gegenüber dem Insolvenzgericht § 20 Abs. 1 Satz 1 InsO normiert die Auskunftspflicht des Schuldners im Eröff- 5.259 nungsverfahren gegenüber dem Insolvenzgericht. Sie trifft den Geschäftsführer höchstpersönlich. Er kann sich durch einen Rechtsanwalt zwar beraten, nicht aber vertreten lassen2. Das Insolvenzgericht kann jedoch gestatten, dass sich der Geschäftsführer fernmündlich oder schriftlich äußert oder dass die Auskunft durch einen Dritten erteilt wird3. Das Entstehen der Auskunftspflicht gegenüber dem Insolvenzgericht setzt einen 5.260 zulässigen Eröffnungsantrag – gleichgültig, ob vom Gläubiger oder vom Schuldner gestellt – voraus. Seiner Auskunftspflicht genügt der Geschäftsführer der GmbH nur dann, wenn er umfassende Auskünfte über die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft erteilt4, insbesondere ein Verzeichnis der Gläubiger und Schuldner vorlegt und eine geordnete Übersicht der Vermögensgegenstände der GmbH bzw. der GmbH & Co. KG einreicht5. Die Verpflichtung zur Auskunft ist nicht davon abhängig, dass an den Schuldner entsprechende Fragen gerichtet werden. Der Schuldner muss vielmehr die betroffenen Umstände von sich aus, ohne besondere Nachfrage offen legen, soweit sie offensichtlich für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sein können und nicht klar zu Tage liegen6. Die Auskunftspflicht erstreckt sich insbesondere auf die Umstände des Entste- 5.261 hens von Forderungen und Verbindlichkeiten7. Zu den Umständen, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sein können, zählen auch solche, die eine Insolvenzanfechtung nach den §§ 129 ff. InsO begründen können, weil diese zur Mehrung der Insolvenzmasse führen kann. Die Pflicht zur Auskunft setzt in einem solchen Fall nicht voraus, dass die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung tatsächlich vorliegen. Bereits konkrete Anhaltspunkte, die eine Anfechtbarkeit möglich erscheinen lassen, begründen die Pflicht des Schuldners, den Sachverhalt zu offenbaren8. 1 Vallender, ZIP 1996, 530 ff. 2 Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 20 InsO Rz. 5; Mönning in Nerlich/Römermann, § 20 InsO Rz. 12; Schmahl/Vuia in Münchener Kommentar zur InsO, § 20 InsO Rz. 30. 3 Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 97 InsO Rz. 22. Die grundsätzliche Pflicht zur persönlichen und mündlichen Auskunftserteilung bleibt daneben bestehen. 4 In einem Insolvenzverfahren über sein persönliches Vermögen ist der Geschäftsführer der GmbH indes nicht verpflichtet, Auskünfte über das Vermögen der GmbH zu erteilen, damit ermittelt werden kann, ob Kosten für eventuelle Aushilfskräfte durch eine Übertragung dieser Arbeiten auf den Geschäftsführer vermeidbar wären. Nach zutreffender Ansicht des LG Dortmund (v. 23.5.2005 – 9 T 127/05, NZI 2005, 459) betreffen entsprechende Fragen die Organisation der GmbH und nicht die Arbeit oder das Einkommen des Geschäftsführers. AG Köln v. 5.11.2003 – 71 IN 25/02, NZI 2004, 155, 156. 5 BGH v. 3.2.2005 – IX ZB 37/04, ZInsO 2005, 264; BGH v. 17.2.2005 – IX ZB 62/04, ZIP 2005, 722, 726. 6 BGH v. 13.1.2011 – IX ZB 163/10, ZInsO 2011, 396; Fortführung BGH v. 11.2.20010 – IX ZB 126/08, ZInsO 2010, 477 und BGH v. 15.4.2010 – IX ZB 175/09, ZInsO 2010, 926. 7 AG Köln v. 5.11.2003 – 71 IN 25/02, NZI 2004, 155, 156. 8 BGH v. 8.3.2012 – IX ZB 70/10, ZInsO 2012, 751.

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5.262

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

5.262 Dem organschaftlichen Vertreter ist zuzumuten, nach vorhandenen Unterlagen zu forschen und diese zusammenzustellen1. Er darf sich nicht darauf beschränken, sein präsentes Wissen mitzuteilen. Vielmehr kann er auch verpflichtet sein, die Vorarbeiten zu erbringen, die für eine sachdienliche Auskunft erforderlich sind, wobei hierzu auch das Forschen nach vorhandenen Unterlagen und deren Zusammenstellung gehören kann2. Ebenso wie bei der Vollstreckung titulierter Ansprüche nach §§ 899, 910 ZPO sowie §§ 889, 888 ZPO sind die vom Schuldner verlangten Auskunfts- und Mitwirkungshandlungen inhaltlich nach Art und Umfang so bestimmt zu bezeichnen, dass die Aufforderung aus sich heraus verständlich ist und auch für den Schuldner erkennen lässt, was verlangt wird. So genügt die Aufforderung, die „angeforderten Einnahmen- und Ausgabenbelege“ sowie Kassenbücher „für den Zeitraum ab der Insolvenzeröffnung bis zum heutigen Tage vorzulegen, nicht den Bestimmtheitsanforderungen, die an eine mit Zwangsmaßnahmen zu vollstreckende Mitwirkungshandlung des Schuldners zu stellen sind. Vielmehr ist das Auskunftsersuchen in der Weise zu konkretisieren, dass die geforderten Belege näher bezeichnet werden3. 5.263 Für die GmbH ist jeder Geschäftsführer auskunftspflichtig4. Den faktischen Geschäftsführer trifft die Auskunftspflicht, wenn er tatsächlich eine Funktion ausübt, die einer der in § 15 InsO genannten Stellungen entspricht5. Nach §§ 20 Abs. 1 Satz 2, 101 Abs. 1 Satz 2 InsO ist auch der Geschäftsführer auskunftspflichtig, der nicht früher als zwei Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der Geschäftsführung ausgeschieden ist. Die Pflicht trifft die Ausgeschiedenen als frühere Organe, nicht als Zeugen6. Die Auskunftspflicht kann mit den Mitteln des § 98 InsO erzwungen werden. Das Insolvenzgericht wird den ausgeschiedenen Geschäftsführer jedoch nur dann heranziehen, wenn die Auskunft des gegenwärtigen organschaftlichen Vertreters nicht ausreicht oder nicht zu erlangen ist. Wer von mehreren Geschäftsführern die Auskunft erteilt, ist den organschaftlichen Vertretern der Gesellschaft überlassen, wenn das Gericht die Gesellschaft zur Auskunftserteilung aufgefordert hat. Entscheidend ist, dass die Auskünfte erteilt werden, die zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag erforderlich sind. Ein Aussageverweigerungsrecht steht dem Geschäftsführer nicht zu. Er hat auch die Tatsachen anzugeben, die ihn der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen7. Solche Tatsachen dürfen jedoch in einem gegen den Schuldner (die auskunftspflichtige Person) gerichteten Verfahren nur mit seiner Zustimmung verwendet werden (§§ 20 Abs. 1 Satz 2, 97 Abs. 1 Satz 3 InsO). 1 So OLG Hamm v. 15.10.1979 – 8 U 149/78, ZIP 1980, 280 zu § 100 KO; Henssler in Kölner Schrift zur InsO, S. 1301 Rz. 41; Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 97 InsO Rz. 19. 2 BGH v. 19.1.2006 – IX ZB 14/3, ZInsO 2006, 264, 265; OLG Hamm v. 15.10.1979 – 8 U 149/78, ZIP 1980, 280, 281. 3 BGH v. 17.2.2005 – IX ZB 62/04, ZIP 2005, 722, 725 = NZI 2005, 263. 4 OLG Köln v. 6.9.1999 – 2 W 163/99, NZI 1999, 459; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 20 InsO Rz. 4; Uhlenbruck, GmbHR 1995, 195, 1999. 5 Vallender, ZIP 1996, 530 ff.; Uhlenbruck, KTS 1997, 390; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 20 InsO Rz. 3; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 20 InsO Rz. 4, § 15 InsO Rz. 6. 6 Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 101 InsO Rz. 23; Uhlenbruck in Kölner Schrift zur InsO, S. 1154, 1184. 7 Vgl. BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37.

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5.266

Das Verwendungsverbot hat zur Folge, dass eine vom Geschäftsführer erteilte Auskunft auch nicht als Grundlage für weitere Ermittlungen mit dem Ziel der Schaffung selbständiger Beweismittel eingesetzt werden darf1. Dagegen vertreten Staatsanwaltschaften teilweise die Auffassung, § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO enthalte lediglich ein Beweisverwertungsverbot, nicht dagegen ein Beweiserhebungsverbot mit der Folge, dass die Strafverfolgungsbehörde sämtliche Informationen vollständig entnehmen, also auch Einsicht in das Gutachten eines Sachverständigen oder vorläufigen Insolvenzverwalters nehmen könne. Da der Geschäftsführer gegenüber einem gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht auskunftspflichtig ist, besteht nach Auffassung des Thüringer Oberlandesgericht hinsichtlich der durch auszugsweise Verlesung des Insolvenzgutachtens in das Verfahren eingeführten und im Urteil festgestellten Auskünfte des Angeklagten gegenüber dem Gutachter kein Verwendungsverbot nach § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO2. Tatsachen, die der Strafverfolgungsbehörde bereits vor der Auskunftserteilung be- 5.264 kannt waren, fallen nicht unter des Verwertungsverbot3. Der Geschäftsführer kann sich seiner Pflicht zur Auskunftserteilung nicht durch den Hinweis entziehen, die Geschäftsunterlagen befänden sich bei einem Dritten, etwa dem Steuerberater oder der Staatsanwaltschaft4. b) Gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter Hat das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt, ist der 5.265 Geschäftsführer verpflichtet, auch diesem alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen (§§ 22 Abs. 3 Satz 3, 101 Abs. 1 Satz 1, 2 InsO)5. Darüber hinaus hat er ihm nach § 22 Abs. 3 Satz 2 InsO Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere der GmbH zu gestatten. Die Berechtigung zur Einsichtnahme erstreckt sich auf Datenträger, wenn die Gesellschaft ihre Bücher und Geschäftspapiere auch auf Datenträgern gespeichert hat6. Die Auskunftspflicht besteht unabhängig davon, ob dem vorläufigen Insolvenz- 5.266 verwalter das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das Schuldnervermögen übertragen worden ist7. 1 LG Stuttgart v. 21.7.2000 – 11 Qs 46/00, ZInsO 2001, 135; vgl. Bittmann/Rudolph, wistra 2001, 81 ff.; Richter, wistra 2000, 1 ff.; Weyand, ZInsO 2001, 108; Haarmeyer, Hoheitliche Beschlagnahme und Insolvenzbeschlag, 2000, Rz. 204; Uhlenbruck, GmbHR 2002, 941, 944. 2 Urt. v. 12.8.2010 – 1 Ss 45/10, NJW 2010, 3673. 3 LG Stuttgart v. 21.7.2000 – 11 Qs 46/00, ZInsO 2001, 135; Kayser in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 97 InsO Rz. 14. 4 Vallender, ZIP 1996, 529, 531. 5 Nach einer Verfügung der OFD Frankfurt a.M. v. 29.3.1999 – S 0130 A - 115 - St 1142, DStR 1999, 938 = ZInsO 2001, 747 sind die Finanzämter berechtigt, dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis alle Auskünfte über Verhältnisse des Schuldners zu erteilen, die dieser zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten im Rahmen der Betriebsfortführung benötigt. Darüber hinaus dürften ihm keine Auskünfte erteilt werden. Mit dem Gesetzeswortlaut steht dies nicht in Einklang (Uhlenbruck, GmbHR 2002, 941, 943). 6 Vallender in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 287; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 61. 7 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 255.

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5.267

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

5.267 Eine Auskunftspflicht des Geschäftsführers gegenüber einem vom Insolvenzgericht gemäß § 4 InsO i.V.m. § 404 ZPO bestellten Sachverständigen besteht – wie bereits ausgeführt – nicht. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass die Funktion des Sachverständigen im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht rein statisch, sondern tendenziell dynamisch ausgerichtet ist. Eine Erweiterung der auf Sichtung und Bewertung des schuldnerischen Vermögens angelegten Aufgaben des Sachverständigen kann mangels gesetzlicher Grundlage auch nicht im Beweisbeschluss des Insolvenzgerichts durch Zubilligung von Auskunftsansprüchen erreicht werden1. Weigert sich der Geschäftsführer, dem Sachverständigen die erbetenen Auskünfte zu erteilen, ist dieser auf die weitere Unterstützung des Insolvenzgerichts angewiesen. Eine Auskunftspflicht des organschaftlichen Vertreters der GmbH gegenüber dem Sachverständigen besteht allerdings dann, wenn das Insolvenzgericht den vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen übergegangen ist, zusätzlich beauftragt hat, als Sachverständiger zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbsatz 2 InsO)2. Die funktionale Trennung von Verwaltungs- und Sachverständigenaufgaben wirkt sich allein auf die vergütungsrechtliche Ebene aus3. 4. Mitwirkungspflichten 5.268 Den Schuldner trifft im Insolvenzeröffnungsverfahren auch eine Mitwirkungspflicht (§§ 20 Abs. 1 Satz 2, 22 Abs. 3 Satz 3 InsO). Sie ist besonders im Hinblick auf rasche und effektive Sanierungsbemühungen des Insolvenzverwalters eingeführt worden, soll aber auch der besseren Verwertung der Masse dienen4. Der Mitwirkungspflicht kann sich der Geschäftsführer der GmbH nicht durch Kündigung oder Niederlegung seines Amtes nach Insolvenzeröffnung entziehen (§ 101 Abs. 1 Satz 2 InsO). 5.269 Die Annahme einer Mitwirkungspflicht heißt indes nicht, dass den Geschäftsführer eine allgemeine Pflicht zur Mitarbeit trifft5. Wohl hat er aber den vorläufigen Insolvenzverwalter bei der Prüfung der Sanierungsfähigkeit des Unternehmens und bei der Vorbereitung einzelner Sanierungsmaßnahmen aktiv zu unterstützen6. Darüber hinaus hat der Geschäftsführer den vorläufigen Insolvenzverwalter in ein unübersichtliches oder komplexes Buchführungs- und Belegwesen einzuführen7. Nach Auffassung des LG Mainz8 muss ein GmbH-Geschäftsführer, der für die von ihm zu erteilende Auskunft Buchhaltungsunterlagen benötigt, die sich beim Steuerberater befinden, ein wegen Honorarrückständen bestehendes 1 LG Göttingen v. 22.10.2002 – 10 T 57/02, ZInsO 2002, 2269; Vallender in FS Uhlenbruck, 2000, S. 137, 138; a.A. Wessel, DZWIR 1999, 230, 232. 2 Vallender in FS Uhlenbruck, 2000, S. 139 Fn. 30. 3 Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, Rz. 211. 4 BT-Drucks. 12/2443, S. 142. 5 Uhlenbruck, InVo 1997, 227. 6 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 257; Uhlenbruck, ZInsO 1999, 493, 494. 7 Wendler in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 97 InsO Rz. 16. 8 ZIP-Aktuell 1995 Nr. 243.

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5.271

Zurückbehaltungsrecht ggf. persönlich ablösen1. Auf Grund seiner Mitwirkungspflicht im Insolvenzeröffnungsverfahren hat der Geschäftsführer Personen oder Institutionen, die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind (Banken, Steuerberater pp.), von der Verschwiegenheitspflicht zu befreien2. Bestehen Anhaltspunkte für Vermögen des Schuldners im Ausland und werden die Befugnisse des Insolvenzverwalters im Ausland nicht ohne Weiteres anerkannt, umfasst die Mitwirkungspflicht auch die Erteilung einer so genannten Auslandsvollmacht3. Häufig wird dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter erst auf diese Weise der Zugang zu Registern bzw. den Vermögenswerten der Gesellschaft ermöglicht. Da der Geschäftsführer persönlich zur Mitwirkung verpflichtet ist, kann er diese Pflicht weder auf Angestellte noch auf Angehörige delegieren. Zur Konkretisierung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten kann das Insol- 5.270 venzgericht dem Schuldner die Auflage erteilen, geordnete schriftliche Aufzeichnungen über seine laufenden Geschäfte anzufertigen und sie dem vorläufigen Insolvenzverwalter in bestimmten Zeitabständen zur Verfügung zu stellen4. Eine Vergütung für seine Mitwirkung im Insolvenzeröffnungsverfahren erhält der Geschäftsführer nicht5. Ebenso wenig hat er Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen6. Die passive Mitwirkungspflicht des Geschäftsführers bedeutet, dass er alles zu unterlassen hat, was dem gesetzlichen Verfahrenszweck bzw. den gerichtlich angeordneten Sicherungsmaßnahmen zuwider läuft7. Für einen Geschäftsführer, der vor Antragstellung aus dem Amt ausgeschieden ist, gilt die Regelung des § 97 Abs. 2 InsO nicht (s. § 101 Abs. 1 Satz 2 InsO). Kommt der Geschäftsführer bzw. faktische Geschäftsführer seiner gegenüber 5.271 dem Insolvenzgericht bzw. dem vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden Auskunftspflicht – oder seiner Mitwirkungspflicht – nicht nach, eröffnet die Verweisung in §§ 20 Abs. 1 Satz 2, 22 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 InsO auf die Vorschriften der §§ 98 Abs. 2, 101 Abs. 1 Satz 1 InsO dem Insolvenzgericht die Möglichkeit, Zwangsmaßnahmen gegen den Geschäftsführer anzuordnen8. Die Nichterfüllung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten rechtfertigt regelmäßig keine Zurückweisung des Insolvenzeröffnungsantrags mit der Begründung, die Eröffnungsvoraussetzungen seien nicht zu ermitteln, sondern verpflichtet das Insolvenzgericht, diese zwangsweise durchzusetzen9. Dieser Grundsatz erfährt auch 1 Zustimmend Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 20 InsO Rz. 16; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 20 InsO Rz. 5c. 2 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 20 InsO Rz. 13. Soweit das LG Köln (v. 5.7.2004 – 19 T 81/04, NZI 2004, 671) davon ausgeht, bei einem Eigenantrag könne ggf. davon ausgegangen werden, dass der Schuldner mit der Stellung des Antrags den Steuerberater von seiner berufsbedingten Schweigepflicht entbinde, findet dies im Gesetz keine hinreichende Grundlage. 3 BGH v. 18.9.2003 – IX ZB 75/03, NZI 2004, 21 m. Anm. Uhlenbruck, NZI 2004, 22; Vallender, EWiR 2004, 293. 4 LG Duisburg v. 2.5.2001 – 7 T 78/01, NZI 2001, 384 = ZInsO 2001, 522 = ZIP 2001, 1065. 5 Vgl. LG Köln v. 17.2.2004 – 19 T 262/03, ZInsO 2004, 756. 6 Lüke in Kübler/Prütting/Bork, § 97 InsO Rz. 17. 7 Uhlenbruck, ZInsO 1999, 493, 495. 8 OLG Naumburg v. 24.8.2000 – 5 W 98/00, InVo 2001, 132, 133. 9 LG Köln v. 6.7.2001 – 19 T 103/01, NZI 2001, 559; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, Kap. 3 Rz. 167; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 20 InsO Rz. 15; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 20 InsO Rz. 13a; noch für

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

keine Einschränkung dadurch, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens von dem Schuldner selbst gestellt worden ist und von ihm ohne weiteres zurückgenommen werden kann. Solange das Antragserfordernis erfüllt ist, gilt die Amtsermittlungspflicht des Gerichts gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO fort. Es reicht nicht aus, den Schuldner lediglich aufzufordern, sich mit dem Sachverständigen in Verbindung zu setzen und die von ihm geforderten Auskünfte vollständig zu erteilen. Dies würde die Entscheidungskompetenz in unzulässiger Weise auf den Sachverständigen verlagern1. 5.272 Die Vorführung und Anordnung der Haft dürfen jedoch nur erfolgen, wenn der angestrebte Zweck nicht mit anderen Mitteln zu erreichen ist. Abgesehen von der – gesetzlich vorgeschriebenen (§ 98 Abs. 2 InsO) – Anhörung vor dem Erlass eines Haftbefehls verbietet sich grundsätzlich die Gewährung rechtlichen Gehörs vor der Anordnung von Zwangsmaßnahmen schon im Hinblick auf den Zweck der Maßnahme2. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Insolvenzgericht dem Schuldner in einem besonderen Anschreiben auf die nach dem Gesetz vorgesehenen Zwangsmaßnahmen hingewiesen hat und dieser schuldhaft seiner Auskunftspflicht nicht nachkommt. In diesem Fall genügt das Gericht dem Anspruch des Schuldners auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 2 GG durch nachträgliche Gehörverschaffung3. 5.273 Die Anordnung der Haft nach §§ 20 Abs. 1 Satz 2, 98 Abs. 2, 101 Abs. 1 InsO steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Sofern dieses Ermessen im Einzelfall eröffnet ist, hat das Gericht unter Beachtung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes über die Frage der Haft zu entscheiden4. Eine Haftanordnung zur Erzwingung der in § 97 Abs. 2 InsO genannten Mitwirkungspflichten ist regelmäßig erforderlich, wenn eine Vorführung nicht zum Erfolg geführt hat. Davon umfasst ist auch der Fall, dass sich der Geschäftsführer der Vorführung entzogen hat5. Nichts anderes gilt, wenn der Schuldner bei seiner persönlichen Anhörung durch das Insolvenzgericht nach Hinweis auf die Möglichkeit der Anordnung von Beugehaft Auskünfte verweigert hat und auch schriftlich sowie gegenüber dem vom Insolvenzgericht bestellten vorläufigen Insolvenzverwalter nicht bereit gewesen ist, vorbehaltslos und umfassend über die Lage und den Verbleib seines Auslandsvermögens konkrete Auskünfte zu erteilen6. Hat das Gericht dem Schuldner zur Konkretisierung seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflichten die Auflage erteilt, geordnete schriftliche Aufzeichnungen über seine laufenden Geschäfte anzufertigen und sie dem vorläufigen Insolvenzverwalter in bestimmten Zeitabstän-

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den Fall der Eröffnung des Konkursverfahrens auch LG Göttingen v. 24.11.1995 – 6 T 277/95, ZIP 1996, 144, 145. LG Köln v. 6.7.2001 – 19 T 103/01, NZI 2001, 559, 560. Vallender, EWiR 1997, 1098; Vallender in Kölner Schrift zur InsO, S. 261 Rz. 36; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 14 InsO Rz. 21; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 20 InsO Rz. 17. Vgl. BVerfG v. 8.1.1959 – 1 BvR 396/55, BVerfGE 9, 89, 102 ff.; BVerfG v. 9.3.1965 – 2 BvR 176/63, BVerfGE 18, 399, 404; BVerfG v. 11.10.1978 – 2 BvR 1055/76, BVerfGE 49, 329, 342; BVerfG v. 3.4.1979 – 1 BvR 994/76, BVerfGE 51, 97, 111; BVerfG v. 16.6. 1981 – 1 BvR 1094/80, BVerfGE 57, 346, 358. OLG Celle v. 23.1.2002 – 2 W 135/01, NZI 2002, 271 = ZInsO 2002, 232 = InVo 2002, 177. Offen gelassen von OLG Naumburg v. 24.8.2000 – 5 W 98/00, InVo 2001, 132, 133. OLG Celle v. 10.1.2001 – 2 W 1/01, NZI 2001, 149 = ZInsO 2001, 322.

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Pflichten des Geschäftsführers nach Zulassung des Insolvenzantrags

5.276

den zur Verfügung zu stellen, rechtfertigt eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht ebenfalls die Anordnung von Haft1. Für die Anordnung der Haft gelten die Vorschriften der § 802g Abs. 2, §§ 802h und 802j Abs. 1 ZPO entsprechend (§ 98 Abs. 3 Satz 1 InsO). Funktionell zuständig für die Anordnung der Zwangsmaßnahmen ist der Insolvenzrichter. Dieser hat im anordnenden Teil des Haftbefehls die Mitwirkungspflichten des Schuldners, die mit der Haft durchgesetzt werden sollen, so bestimmt zu bezeichnen, dass der Schuldner ohne weiteres erkennen kann, durch welche Handlungen er seinen Mitwirkungspflichten genügt2. Gegen die Anordnung von Beugehaft zur Erzwingung der Auskunfts- und Mitwirkungspflicht des Schuldners im Eröffnungsverfahren steht dem Geschäftsführer gemäß §§ 20 Abs. 1 Satz 2, 98 Abs. 3 Satz 3 InsO das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu3. Das Beschwerdegericht hat den unter Missachtung der vorgenannten Vorgaben erlassenen Haftbefehl auch dann teilweise abzuändern, wenn sich die Haftanordnung gegen den Schuldner im Insolvenzverfahren hinsichtlich Einzelner von ihm verlangter Auskunftspflichten als unbegründet erweist, weil eine entsprechende Pflicht von vornherein nicht bestand oder sich zwischenzeitlich erledigt hat4. Der gegen den Geschäftsführer erlassene Haftbefehl umfasst nicht das Recht des 5.274 Gerichtsvollziehers oder des mit der Verhaftung beauftragten Justizwachtmeisters, die Wohnung eines Dritten gegen dessen Willen zu betreten. Diese Berechtigung kann auch nicht durch einen richterlichen Beschluss erteilt werden, weil es insoweit an jeder rechtlichen Grundlage fehlt5. Ein Geschäftsführer, der seinen verfahrensrechtlichen Pflichten nicht nach- 5.275 kommt oder in dem der Schuldnerin übersandten Fragebogen insoweit bewusst unrichtige Angaben macht, als diese einen geringeren Vermögensbestand als den wirklichen vortäuschen, läuft ferner Gefahr, sich gemäß § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar zu machen6. Darüber hinaus ist die vom organschaftlichen Vertreter zur Bekräftigung seiner Angaben im Insolvenzverfahren gemachte eidesstattliche Versicherung gemäß § 156 StGB strafbewehrt. 5. Bereitschafts- und Unterlassungspflichten Der Geschäftsführer der GmbH ist gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. §§ 97 Abs. 3, 5.276 101 Abs. 1 Satz 1 InsO verpflichtet, sich auf Anordnung des Gerichts jederzeit zur Verfügung zu stellen, um seine Auskunfts- und Mitwirkungspflichten zu erfüllen. Er kann sich nicht damit entschuldigen, dass er andere Pflichten zu erfüllen oder eine weite Anreise vor sich habe7. Die Präsenz kann auch nicht von einer Kostenerstattung abhängig gemacht werden. Der Geschäftsführer der GmbH hat ferner alle Handlungen zu unterlassen, die der Erfüllung dieser Pflichten zuwiderlaufen (§ 97 Abs. 3 Satz 2, 101 Abs. 1 Satz 2 InsO). Zur Erfüllung der Pflichten aus § 97 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO kann das Gericht eine orts- und zeitbezoge1 LG Duisburg v. 2.5.2001 – 7 T 78/01, ZInsO 2001, 522 = ZIP 2001, 1065. 2 BGH v. 17.2.2005 – IX ZB 62/04, NZI 2005, 263. 3 OLG Celle v. 10.1.2001 – 2 W 1/01, NZI 2001, 149; OLG Köln v. 3.1.2000 – 2 W 224/99, NZI 2000, 130 = ZIP 2000, 552; OLG Brandenburg v. 25.4.2000 – 8 W 51/00, NZI 2001, 42. 4 BGH v. 17.2.2005 – IX ZB 62/04, NZI 2005, 263. 5 LG Göttingen, v. 21.11.2005 – 10 T 148/05, ZInsO 2005, 1281. 6 Vallender, ZIP 1996, 529, 533. 7 Uhlenbruck in Kölner Schrift zur InsO, S. 365 Rz. 42.

Vallender

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537

5.277

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

ne, auf den Einzelfall bzw. auf bestimmte Zeiträume sich erstreckende Anordnung treffen1. In Betracht kommt die Hinterlegung oder Einziehung des Reisepasses des Schuldners, was zu einem Ausreiseverbot führt. Die Einziehung des Reisepasses ist insbesondere dann geboten, wenn die Gefahr besteht, dass sich der Schuldner ins Ausland absetzt2. Die generelle Ausübung seines Freizügigkeitsrechts kann dem Geschäftsführer der GmbH nicht untersagt werden. Ist allerdings zu erwarten, dass der organschaftliche Vertreter untertauchen wird oder sich seiner Präsenzpflicht und dadurch seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflicht durch Flucht ins Ausland zu entziehen versucht, kann das Gericht nach dessen Anhörung die Haft anordnen (§ 98 Abs. 2 Nr. 2 InsO). 5.277 Aus der allgemeinen Verfahrensförderungspflicht des Schuldners folgt gleichzeitig eine Unterlassungspflicht in Bezug auf alle Handlungen, die verfahrenshindernd oder verfahrensschädlich sind. Dazu zählt insbesondere das Beiseiteschaffen oder die Vernichtung von Unterlagen3.

IV. Verfahrensrechte und Pflichten des faktischen Geschäftsführers 5.278 Faktischer Geschäftsführer4 ist, wer, ohne satzungs- oder sonst ordnungsgemäß zum Organ der Gesellschaft bestellt worden zu sein, nach außen hin wie ein Organmitglied auftritt und handelt, d.h. die Geschicke der Gesellschaft lenkt. Zwingend erforderlich für die Stellung und Verantwortlichkeit ist, dass der faktische Geschäftsführer nach dem Gesamterscheinungsbild seines Auftretens die Geschicke der Gesellschaft – über die interne Einwirkung auf die satzungsmäßige Geschäftsführung hinaus – durch eigenes Handeln im Außenverhältnis, das die Tätigkeit des rechtlichen Geschäftsführungsorgans nachhaltig prägt, maßgeblich in die Hand genommen hat5. Es reicht aus, wenn der Betreffende in maßgeblichem Umfang Geschäftsführungsfunktionen übernommen hat, wie sie nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag für einen Geschäftsführer kennzeichnend sind. Dies ist bereits der Fall, wenn er mindestens gleichberechtigt neben weiteren Geschäftsleitern Führungsaufgaben übernimmt. Abzustellen ist im Einzelfall auf das Gesamterscheinungsbild des Auftretenden. 5.279 Umstritten ist, ob der faktische Geschäftsführer bei Vorliegen eines zur Antragstellung verpflichtenden Insolvenzgrunds unverzüglich – spätestens aber innerhalb von drei Wochen – zur Antragstellung verpflichtet ist, und weiter, ob er zur Antragstellung berechtigt ist. Hierzu finden sich in der Literatur zahlreiche Ansichten6. Dabei sollte sich die Problematik der faktischen Geschäftsführung durch die Einführung des Antragsrechts der Gesellschafter im Falle der Führungslosigkeit der Gesellschaft nach § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO und der Antragspflicht 1 2 3 4

LG Göttingen v. 21.8.2000 – 10 T 105/00, InVo 2001, 25, 26 = ZInsO 2001, 44, 45. AG München v. 20.8.2013 – 1500 IN 1968/13, ZIP 2013, 2074. Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 97 InsO Rz. 21. Zum Begriff des faktischen Geschäftsführers eingehend: Fleischer, GmbHR 2011, 337 ff.; Strohn, DB 2011, 157 ff. 5 BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, GmbHR 2005, 1187 = ZIP 2005, 1550; BGH v. 11.2. 2008 – II ZR 291/06, GmbHR 2008, 702 = ZIP 2008, 1026. 6 Zum Antragsrecht vgl. Streitdarstellung von Gundlach/Müller, ZInsO 2011, 1055 f. m.w.N. und Bußhardt in Braun, § 15 InsO Rz. 17 ff.

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Vallender und Schluck-Amend

Verfahrensrechte/Pflichten des faktischen Geschäftsführers

5.280

nach § 15a Abs. 3 InsO (s. dazu Rz. 5.204) durch das MoMiG entschärft haben1, da mit den Gesellschaftern oder dem Alleingesellschafter in jedem Falle eine antragsverpflichtete Person zur Verfügung steht. Zu beachten ist jedoch, dass die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO Kenntnis der Gesellschafter von der Insolvenzreife voraussetzt. Daher wird von Teilen der Literatur anstatt einer eigenen Antragspflicht und anstatt eines eigenen Antragsrechts die Pflicht des faktischen Geschäftsführers statuiert, die zuständigen Organe, sei es ein weiterer vorhandener ordnungsgemäß bestellter (Mit-)Geschäftsführer, seien es die Gesellschafter, zu informieren und diese zu veranlassen, ihrer originären oder subsidiären Antragspflicht zu entsprechen2. Die wohl herrschende Meinung hingegen nimmt eine eigene Antragspflicht des faktischen Geschäftsführers an3. Wohl überwiegend wird daher weiter angenommen, sofern eine eigene Antragspflicht bestehe, bestehe auch ein eigenes Antragsrecht, damit der Betroffene seiner Pflicht auch nachkommen kann4. Die Präventionswirkung der mit der unterlassenen Antragstellung verbundenen Strafbewehrung dürfte weiter gehen als die einer etwaigen Haftung wegen Verletzung der Pflicht zur Einwirkung auf die Organe. Auch dürfte hier die erfolgreiche Einwirkung für den Fall beratungsresistenter antragsberechtigter Personen nicht gefordert werden, so dass die Gefahr besteht, dass zu Lasten der Masse und damit zu Lasten der Gläubiger eine Antragstellung nicht frühzeitig erfolgt. Der wohl herrschenden Meinung zur Antragspflicht und der wohl überwiegenden Meinung zum Antragsrecht ist insoweit zuzustimmen. Nicht von der Hand zu weisen sind jedoch die in der Praxis aufkommenden Probleme, das Vorliegen der Voraussetzungen für eine faktische Geschäftsführerschaft und die hieraus resultierende Antragsberechtigung des faktischen Geschäftsführers gegenüber dem Insolvenzgericht glaubhaft zu machen5. Diese werden auch teilweise als praktische Erwägungen gegen die Annahme von Antragsrecht und Antragspflicht des faktischen Geschäftsführers angeführt6. In einem jüngeren Obiter Dictum spricht sich das OLG Köln7 in Anlehnung an die 5.280 strafrechtliche Rechtsprechung8 dafür aus, die Antragspflicht und dem folgend auch die Antragsberechtigung des faktischen Geschäftsführers auf solche Fälle 1 S. auch 4. Aufl. Rz. 5.298. 2 Mönning in Nerlich/Römermann, § 15a InsO Rz. 34; Köhler in Beck/Depré, § 37 Rz. 20; Strohn, DB 2011, 157, 165. 3 BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, GmbHR 2005, 1187 = ZIP 2005, 1550; BGH v. 21.3. 1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44 = GmbHR 1988, 299 zur Rechtslage vor MoMiG, die der MoMiG-Gesetzgeber jedoch unberührt lassen wollte (BT-Drucks. 16/6140, S. 56); h.M. nach Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 49 m.w.N.; Nerlich in Michalski, § 64 GmbHG Rz. 16; Rhode in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 27 Rz. 12. 4 Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 15 InsO Rz. 18; für das Antragsrecht des faktischen Geschäftsführers auch: Gundlach/Müller, ZInsO 2011, 1055; Wißmann in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 84 GmbHG Rz. 55; dagegen: Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 172 ff.; Haas/Hossfeld in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 44. 5 Dazu eingehend: Gundlach/Müller, ZInsO 2011, 1055 f. 6 So von Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 172 ff.; Haas/Hossfeld in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 44; Bußhardt in Braun, § 15 InsO Rz. 17 ff. 7 OLG Köln v. 15.12.2011 – I-18 U 188/11, 18 U 188/11, GmbHR 2012, 1358. 8 BGH v. 10.5.2000 – 3 StR 101/00, BGHSt 46, 62 = GmbHR 2000, 878.

Schluck-Amend

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5.281

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

zu beschränken, in denen der Geschäftsführer mit dem Willen aller oder zumindest der Mehrheit der Gesellschafter tätig wurde1. Begründet wird dies damit, dass der Geschäftsführer ohne den Willen oder die Duldung der Gesellschafter die Gesellschaft weder formell noch materiell vertreten dürfe. Anders sei hingegen die Pflicht zur Masseerhaltung aus § 64 GmbHG zu beurteilen. Diese treffe auch den nicht vom Willen der Gesellschafter getragenen faktischen Geschäftsführer, so dass er für Zahlungen, die er nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Feststellung der Überschuldung leistet, der Gesellschaft gegenüber haftet. 5.281 Weiter ist fraglich, ob der faktische Geschäftsführer im Insolvenzeröffnungsverfahren auch die Verfahrensrechte und -pflichten eines Geschäftsführers wahrzunehmen berechtigt bzw. verpflichtet ist2. Für den Fall einer fehlerhaften Bestellung wird man zweifellos davon ausgehen können, dass den Geschäftsführer sämtliche Verfahrenspflichten treffen und er berechtigt ist, die Verfahrensrechte für die GmbH wahrzunehmen. Zweifelhaft ist dies bei einem faktischen Geschäftsführer, der die Geschicke der Gesellschaft nicht nur intern, sondern auch nach außen hin maßgeblich in die Hand genommen hat. Die bisherige Rechtsprechung hatte sich bislang ausschließlich mit Fragen der Haftung wegen Insolvenzverschleppung und deliktischer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB zu befassen. Nach der nach hier vertretener Meinung bestehenden Antragspflicht und des damit einhergehenden Antragsrechts des faktischen Geschäftsführers ist es nur konsequent, vor allem in Fällen der „Alleingeschäftsführung“ durch den faktischen Geschäftsführer dessen Verfahrensrechte und -pflichten im Eröffnungsverfahren zu bejahen. Dies ist vor allem deshalb bedeutsam, weil den faktischen Geschäftsführer dadurch die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des § 20 Abs. 1 InsO i.V.m. §§ 101 Abs. 1 Satz 1, 97 InsO treffen3 und Insolvenzgericht und -verwalter so eine geeignete Informationsquelle erhalten. Dies ist insbesondere wichtig, da auch der Alleingesellschafter einer Einmann-GmbH von der Vorschrift des § 101 Abs. 1 InsO nicht ohne Weiteres erfasst wird, wohl aber, wenn er als faktischer Geschäftsführer tätig wird4. Im Fall der Führungslosigkeit, die auch vorliegt, wenn nur ein faktischer aber kein organschaftlicher Geschäftsführer vorhanden ist5, finden die Vorschriften der §§ 97, 20, 101 Abs. 1 InsO unmittelbar Anwendung. vacat

5.282–5.300

1 Ähnlich auch schon Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 39, wonach die Duldung durch den Mitgesellschafter der „maßgebliche Zurechnungstatbestand“ sein soll; a.A. Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz.153. 2 Dafür: Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 10 zur Auskunfts- und Mitwirkungspflicht; Böhm in Braun, § 20 InsO Rz. 5. 3 So auch Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 10; Schmahl/Vuia in Münchener Kommentar zur InsO, § 20 InsO Rz. 17; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 20 InsO Rz. 15, 25; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 20 InsO Rz. 8. 4 Schmahl/Vuia in Münchener Kommentar zur InsO, § 20 InsO Rz. 17; Vallender, ZIP 1996, 529, 530. 5 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 42 zum fehlerhaft bestellten Geschäftsführer; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 35 GmbHG Rz. 10; a.A. Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 15 InsO Rz. 41.

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Schluck-Amend

Zahlungsverkehr

5.304

D. Bankgeschäfte im Insolvenzeröffnungsverfahren I. Zahlungsverkehr Wie schon bei der Abwicklung des Zahlungsverkehrs in der Krise der GmbH 5.301 (s. oben Rz. 1.312 ff.) stellt sich auch für den Zeitraum nach dem Insolvenzantrag die Frage, ob und inwieweit das kontoführende Kreditinstitut die bei ihm zu Gunsten der GmbH eingehenden Zahlungen insolvenzfest verrechnen kann (s. unten Rz. 5.302 ff.) und inwieweit der spätere Insolvenzverwalter Zahlungsausgänge, die zu Lasten des Kontoguthabens oder aus einer Kreditlinie erfolgt sind, gegen die Masse gelten lassen muss (s. unten Rz. 5.305 ff.). 1. Zahlungseingänge nach Insolvenzantrag Ohne die Anordnung von vorläufigen Sicherungsmaßnahmen ändert die bloße 5.302 Stellung eines Insolvenzantrags nichts an der grundsätzlichen Verrechnungsbefugnis des Kreditinstituts. Denn der Zahlungsdiensterahmenvertrag und das Kontokorrentverhältnis werden durch die Stellung eines Insolvenzantrags nicht berührt. Jedoch bleibt es dabei, dass die Verrechnung von Zahlungseingängen gemäß §§ 130, 131 InsO nach den schon erläuterten Grundsätzen der Deckungsanfechtung wie folgt anfechtbar ist1 (s. ausführlich dazu oben Rz. 1.332 ff.): Erfolgen Zahlungseingänge zu Gunsten der insolventen GmbH auf einem Konto 5.303 bei einem Kreditinstitut nach dem Insolvenzantrag, bleibt es bei inkongruenten Zahlungen wegen der Anfechtungsmöglichkeit nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO dabei, dass weder eine Aufrechnung noch eine Verrechnung insolvenzfest möglich sind. Bei kongruenten Deckungen scheidet eine insolvenzfeste Verrechnung wegen der Anfechtbarkeit nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO aus, wenn das kontoführende Kreditinstitut zum Zeitpunkt des Zahlungseingangs entweder die Zahlungsunfähigkeit des Kontoinhabers oder den Eröffnungsantrag kannte. Diese Rechtslage ändert sich auch nicht mit Anordnung eines allgemeinen Ver- 5.304 fügungsverbots. Da das allgemeine Verfügungsverbot den Zahlungsdiensterahmenvertrag nicht beendet, bleibt das kontoführende Kreditinstitut verpflichtet, auch nach seiner Anordnung Überweisungseingänge für die insolvente GmbH ihrem Konto gutzuschreiben. Das Kreditinstitut kann die eingegangenen Gelder jedoch nicht mehr durch Einstellung in das Kontokorrent zur Verrechnung mit dem debitorischen Saldo bringen, da das Verfügungsverbot die Unwirksamkeit rechtsgeschäftlicher Verfügungen des Schuldners über Gegenstände der künftigen Insolvenzmasse zur Folge hat. Davon wird aber das Recht des Kreditinstituts zur Aufrechnung grundsätzlich nicht berührt. Daher wäre grundsätzlich eine Verrechnung des Zahlungseingangs mit einem debitorischen Saldo auf dem gleichen Konto oder mit Krediten auf anderen Konten der GmbH möglich. In aller Regel wird jedoch in einer solchen Situation die Wirksamkeit der Aufrechnung an § 96 Nr. 3 InsO scheitern, da nach dem Insolvenzantrag regelmäßig ein Anfechtungsgrund vorliegen wird.

1 Steinhoff, ZIP 2000, 1141, 1146.

Kuder/Unverdorben

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5.305

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

2. Ausführung von Zahlungsaufträgen nach Zahlungsunfähigkeit und Insolvenzantrag 5.305 Auch nach einem Insolvenzantrag bleibt die GmbH zur Erteilung von Zahlungsaufträgen, insbesondere auch von Überweisungsaufträgen, berechtigt, sofern kein allgemeines Verfügungsverbot erlassen oder ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet worden ist (§§ 21, 24 InsO). Gemäß § 675n Abs. 1 Satz 1 BGB wird der Zahlungsauftrag wirksam, sobald er dem Kreditinstitut zugeht1. Das Verhalten des Kreditinstituts und die Folgen eines solchen Überweisungsauftrags hängen dann davon ab, ob das Kreditinstitut von der Zahlungsunfähigkeit oder dem Insolvenzantrag Kenntnis hatte. a) Ausführung ohne Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Insolvenzantrags 5.306 Hat das Kreditinstitut bei der Ausführung des Überweisungsauftrags von der Zahlungsunfähigkeit oder dem Insolvenzantrag des überweisenden Auftraggebers keine Kenntnis, wird es den Auftrag ausführen und das Konto mit dem Überweisungsbetrag belasten. Ein etwaiger Guthabensaldo ermäßigt sich entsprechend; die Aufrechnungsverbote des § 96 InsO sind nicht einschlägig. Wird der Saldo dagegen debitorisch oder erhöht sich der Sollsaldo, so erwirbt das kontoführende Kreditinstitut eine entsprechende Forderung gegen den Kontoinhaber, die – sofern das Kreditinstitut keine Sicherheiten besitzt – eine einfache Insolvenzforderung darstellt2. b) Ausführung in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Insolvenzantrags 5.307 Hat das Kreditinstitut Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder dem Insolvenzantrag, so ist zu unterscheiden, ob der Zahlungsauftrag aus Guthaben bzw. im Rahmen einer der GmbH zugesagten Kreditlinie ausgeführt werden kann oder ob das Konto – ohne dass eine entsprechende Kreditlinie zugesagt ist – einen debitorischen Saldo aufweist bzw. durch die Ausführung des Auftrages debitorisch werden würde. aa) Ausführung aus Guthaben 5.308 Ist auf dem Konto ein ausreichendes Guthaben zur Ausführung des Zahlungsauftrags vorhanden, muss das Kreditinstitut den Auftrag trotz Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Insolvenzantrags ausführen. Sobald der Zahlungsauftrag durch Zugang bei dem Kreditinstitut gemäß § 675n Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam geworden ist, ist das Kreditinstitut gemäß § 675o Abs. 2 BGB nicht berechtigt, die Ausführung zu verweigern, wenn die im Zahlungsdiensterahmenvertrag festgelegten Ausführungsbedingungen erfüllt sind und die Ausführung nicht gegen sonstige Rechtsvorschriften verstößt3 – selbst wenn das Institut inzwischen von der Zahlungsunfähigkeit oder dem Insolvenzantrag Kenntnis erlangt hat4. Das Institut darf die Ausführung auch nicht von der Zustimmung eines vorläu1 2 3 4

Vgl. Überblick bei Nobbe, WM 2011, 961. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.11. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.14 ff. BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 74/11, ZInsO 2012, 924; Gehrlein, NZI 2012, 257.

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Kuder/Unverdorben

Zahlungsverkehr

5.311

figen Sachwalters in einem Eigenverwaltungsverfahren (§§ 270, 270a, 270b InsO) oder eines vorläufigen Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren, der nicht mit einem Zustimmungsvorbehalt oder einem Verfügungsverbot ausgestattet ist, abhängig machen. Sind die im Zahlungsdiensterahmenvertrag festgelegten Ausführungsbedingungen nicht erfüllt oder verstößt die Ausführung gegen sonstige Rechtsvorschriften, darf das Kreditinstitut die Ausführung des Zahlungsauftrags verweigern; dies muss es der GmbH unverzüglich, spätestens aber bis zum Ende des folgenden Geschäftstags mitteilen (§ 675o Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Aufrechnungsverbote des § 96 InsO verhindern die Verrechnung mit dem 5.309 Guthaben nicht. Zwar ist nach § 96 Nr. 3 InsO die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn ein Insolvenzgläubiger die Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Das Kreditinstitut, bei dem der Überweisungsauftraggeber ein Guthaben unterhält, ist aber sein Schuldner und nicht Insolvenzgläubiger. Die allgemeinen Anfechtungsvorschriften (§§ 129 ff. InsO) können damit zwar den Überweisungsempfänger treffen, aber nicht im Verhältnis zu dem überweisenden Kreditinstitut eingreifen1. Selbst wenn man aber von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ausgeht mit der Begründung, die Regelung erfasse entgegen ihrem Wortlaut alle Fälle der anfechtbaren Herstellung einer Aufrechnungslage, kommt man zum gleichen Ergebnis2. Denn jedenfalls liegt mit der Ausführung des Überweisungsauftrags Zug um Zug gegen Herstellung einer Aufrechnungslage mit einem vorhandenen Guthaben ein der Anfechtung entzogenes Bargeschäft i.S. von § 142 InsO vor. bb) Ausführung aus einer offenen Kreditlinie Ist auf dem Konto kein ausreichendes Guthaben vorhanden, kommt es darauf an, 5.310 ob das Kreditinstitut der GmbH eine Kreditlinie zugesagt hat. Solange sich die Überweisung innerhalb einer zugesagten Kreditlinie bewegt und diese Kreditlinie nicht gekündigt ist, muss das Kreditinstitut gemäß § 675o Abs. 2 BGB den Überweisungsauftrag zu Lasten der Kreditlinie ausführen3. Ein generelles Leistungsverweigerungsrecht steht dem Kreditinstitut nicht zu. Will es aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus den Überweisungsauftrag nicht ausführen, muss das Kreditinstitut durch die außerordentliche Kündigung der Kreditlinie die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen. Die Kündigung muss hierzu allerdings spätestens am Ende des folgenden Geschäftstags der Kreditnehmerin (und Überweisungsauftraggeberin) zugegangen sein (§ 675o Abs. 1 Satz 1 BGB)4. cc) Debitorisches Konto ohne zugesagte Kreditlinie Weist das Konto einen debitorischen Saldo auf oder würde es durch die Ausfüh- 5.311 rung des Zahlungsauftrags debitorisch werden und ist der GmbH von dem Kreditinstitut keine Kreditlinie eingeräumt, kann das Kreditinstitut die Ausführung des 1 So Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.22 ff.; Obermüller, Insolvenzrechtliche Wirkungen des Überweisungsgesetzes, ZInsO 1999, 691 f. 2 Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 127 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.17. 3 BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 74/11, ZInsO 2012, 924; Gehrlein, NZI 2012, 257. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.20.

Kuder/Unverdorben

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5.312

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Zahlungsauftrags verweigern. Darüber muss das Kreditinstitut die GmbH wiederum unverzüglich, spätestens jedoch bis zum Ende des folgenden Geschäftstags informieren (§ 675o Abs. 1 Satz 1 BGB). 3. Ausführung von Zahlungsaufträgen nach der Anordnung vorläufiger Maßnahmen 5.312 Hat das Gericht nach dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Sicherung der Masse ein allgemeines Verfügungsverbot erlassen, einen vorläufigen Insolvenzverwalter eingesetzt oder angeordnet, dass Verfügungen des Schuldners nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, hängt die Frage, ob das Kreditinstitut einen Überweisungsauftrag der GmbH noch ausführt, von den Anordnungen des Insolvenzgerichts und seiner Kenntnis hiervon ab. 5.313 Der Zahlungsdiensterahmenvertrag bleibt auch bei Anordnung solcher Maßnahmen bestehen; ein Zahlungsauftrag wird daher nach wie vor wirksam, sobald er dem Kreditinstitut zugeht (§ 675n Abs. 1 Satz 1 BGB). a) Zahlungsauftrag der GmbH 5.314 Nach Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots oder eines Zustimmungsvorbehalts darf das Kreditinstitut einen neuen Zahlungsauftrag der insolventen GmbH grundsätzlich nicht mehr ausführen.1 Sofern ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet wurde, ist der Zahlungsauftrag der GmbH unwirksam, da zu den rechtsgeschäftlichen Verfügungen, die durch das allgemeine Verfügungsverbot untersagt sind, auch die Einziehung von Forderungen durch den Schuldner gehört. Das kontoführende Institut erbringt mit der Ausführung eines Zahlungsauftrags eine Leistung an den Kontoinhaber; dies stellt eine Art der Einziehung der Guthabenforderungen dar und fällt damit unter das allgemeine Verfügungsverbot2. Wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt eingesetzt, kann die GmbH zwar weiterhin verfügen und der Bank Weisungen erteilen, allerdings nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters3. 5.315 Liegt dem Kreditinstitut im Zeitpunkt der Anordnung der vorläufigen Maßnahmen bereits ein Zahlungsauftrag vor, der aber noch nicht ausgeführt ist, ist das Kreditinstitut trotz der Bestimmungen der §§ 675n Abs. 1, 675o Abs. 2 BGB berechtigt, die Ausführung des Zahlungsauftrags zu verweigern. Zwar ist die Weisung der GmbH, da sie vor den Anordnungen des Gerichts dem Kreditinstitut zugegangen war, wirksam autorisiert (§ 675j Abs. 1 Satz 1 BGB). Für die Frage, ob das Kreditinstitut zur Ausführung des Zahlungsauftrags gemäß § 675o Abs. 2 BGB verpflichtet ist, kommt es allerdings darauf an, dass die im Zahlungsdiensterahmenvertrag festgelegten Ausführungsbedingungen im Zeitpunkt der Ausführung – und nicht im Zeitpunkt des Zugangs des Auftrags – erfüllt sind4. Dies ist nach 1 Im Überblick dazu auch Lange/Obermüller in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 15/172 f. 2 Ebenso BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 227/04, WM 2006, 194 ff. 3 BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, ZIP 2012, 737. 4 Sprau in Palandt, § 675o BGB Rz. 2.

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Kuder/Unverdorben

Zahlungsverkehr

5.318

der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots oder der Einsetzung eines vorläufigen Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt nicht mehr der Fall1. Die Konsequenzen, die sich daraus für die Ausführung einer Überweisung nach 5.316 Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots oder eines Zustimmungsvorbehalts ergeben, unterscheiden sich je nach Kenntnis des Kreditinstituts von der Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots2. Obwohl die Anordnungen nach § 23 InsO öffentlich bekannt gemacht werden müssen, kann das Kreditinstitut dies übersehen und auch sonst keine Kenntnis von den Anordnungen erlangen. In diesem Fall wird es den Zahlungsauftrag ausführen. Das Kreditinstitut hat dann mit befreiender Wirkung aus einem etwaigen Guthaben des Kunden geleistet (§§ 21, 24, 82 InsO)3. Bei einer Ausführung vor der öffentlichen Bekanntmachung wird die Unkenntnis vermutet; andernfalls trägt das Kreditinstitut die Beweislast für seine Unkenntnis. Ist das Konto der insolventen GmbH dagegen debitorisch, kann das kontoführende Kreditinstitut seinen Aufwendungsersatzanspruch als Insolvenzforderung geltend machen. Das Verfügungsverbot noch der Zustimmungsvorbehalt stehen der Einbeziehung des Aufwendungsersatzanspruchs unter die Deckung von nichtakzessorischen Sicherheiten und Pfandrechten entgegen, sofern diese Sicherheiten schon vor Erlass des Verbots unanfechtbar bestellt wurden. Ist dem Kreditinstitut die Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots oder 5.317 des Zustimmungsvorbehalts bekannt, muss und darf es die Ausführung des Zahlungsauftrags ablehnen. Hierüber ist die GmbH gemäß § 675o Abs. 1 Satz 1 BGB unverzüglich, spätestens jedoch bis zum Ende des folgenden Geschäftstags, zu informieren; sinnvoll ist es darüber hinaus, wenn das Kreditinstitut auch den vorläufigen Insolvenzverwalter informiert4. Führt ein Kreditinstitut einen Zahlungsauftrag des Kontoinhabers trotz Kenntnis 5.318 des allgemeinen Verfügungsverbots bzw. Kenntnis des Zustimmungsvorbehalts gleichwohl aus, so liegt darin gemäß §§ 24 Abs. 1, 81 Abs. 1, 82 InsO keine wirksame Verfügung des Schuldners über sein Vermögen bzw. keine wirksame Leistung des Kreditinstituts an den Schuldner5. Deshalb kann ein Kreditinstitut seinen Aufwendungsersatzanspruch aus der Ausführung eines Zahlungsauftrags, obwohl die Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots bekannt war, grundsätzlich nicht gegen eine etwaige Guthabenforderung des Kunden verrechnen. Ebenso kann das Kreditinstitut seine Aufwendungsersatzforderungen nicht mehr in das Kontokorrent einstellen und auch nicht später als Insolvenzforderung geltend machen, falls das Konto des Kunden debitorisch war. Dem Kreditinstitut bleibt allen1 Im Ergebnis ebenso: Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.33 ff.; Lange/ Obermüller in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 15/173; Mayen in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 50 Rz. 44. 2 BGH v. 21.11.2013 – IX ZR 52/13, NZI 2014, 156 Rz. 9; BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 227/04, WM 2006, 194 ff. 3 Für den Zustimmungsvorbehalt BGH v. 21.11.2013 – IX ZR 52/13, NZI 2014, 156 Rz. 9; BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 227/04, WM 2006, 194 ff.; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 153; Lange/Obermüller in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 15/172. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.32. 5 BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 227/04, WM 2006, 194 ff.

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5.319

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

falls, einen Bereicherungsanspruch gegen den Empfänger der Zahlung geltend zu machen. b) Zahlungsauftrag des vorläufigen Verwalters 5.319 Sofern das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter eingesetzt und ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt hat, geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter über (§ 22 Abs. 1 InsO). Dieser kann über die Konten der GmbH verfügen und dem Kreditinstitut Zahlungsaufträge erteilen und diese widerrufen. 5.320 Hat das Gericht den vorläufigen Verwalter lediglich mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattet, geht die Verfügungsbefugnis nicht auf ihn über. In diesem Fall kann weiterhin die GmbH – allerdings nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters – über das Konto verfügen und Zahlungsaufträge erteilen1.

II. Besonderheiten im Lastschriftverkehr 5.321 Im Lastschriftverfahren kann der Zahlungsempfänger durch die Vermittlung seines Kreditinstituts (sog. erste Inkassostelle) von seinem Schuldner, dem Zahlungspflichtigen, bei demselben oder einem anderen Kreditinstitut (der Zahlstelle) den geschuldeten Betrag auf Grund des von dem Zahlungspflichtigen vor dem Zahlungsvorgang erteilten SEPA-Lastschriftmandats im SEPA-Basislastschriftverfahren oder im SEPA-Firmenlastschriftverfahren einziehen. Mit dem SEPALastschriftmandat erteilt der Zahlungspflichtige dem Zahlungsempfänger die Ermächtigung zur Einziehung des geschuldeten Betrags und autorisiert zugleich die Belastung seines Kontos gegenüber der Zahlstelle2. 1. Überblick über die Lastschriftverfahren a) Die Lastschriftverfahren 5.322 Beide Lastschriftverfahren, das SEPA-Basislastschriftverfahren für den Privatkunden und das SEPA-Firmenlastschriftverfahren, stehen seit dem 31.10.2009 zur Verfügung und haben die früher vorhandenen Verfahren, das Abbuchungsauftragsverfahren und das Einzugsermächtigungsverfahren, inzwischen weitgehend abgelöst. Das Einzugsermächtigungsverfahren darf seit dem 1.8.20143 nur noch – und auch insoweit nur noch bis zum 29.2.2016 – für Zahlungen genutzt werden, die an einer Verkaufsstelle mit Hilfe einer Zahlungskarte generiert werden (elektronisches Lastschriftverfahren). Für sonstige Lastschriften werden das Einzugsermächtigungsverfahren seit dem 1.8.2014 und das Abbuchungsauftragsverfahren seit dem 1.2.2014 nicht mehr angeboten4. 1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.44 f. 2 Nobbe, ZIP 2012, 1937. 3 Der ursprüngliche Endtermin 1.2.2014 war durch die „Verordnung (EU) Nr. 248/2014 v. 26.2.2014 Änderung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 in Bezug auf die Umstellung auf unionsweite Überweisungen und Lastschriften“ auf den 1.8.2014 verschoben worden. 4 Art. 6 der „Verordnung (EU) 260/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.3.2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro“ und § 7c ZAG.

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Besonderheiten im Lastschriftverkehr

5.324

Die im Zusammenhang mit dem früheren Einzugsermächtigungsverfahren in der 5.323 Insolvenz des Zahlungspflichtigen geführten zahlreichen Auseinandersetzungen über die Frage, ob der Insolvenzverwalter den vom Schuldner noch nicht genehmigten Lastschriftbelastungen auch ohne das Vorliegen der anerkennenswerten Gründe pauschal widersprechen kann, was als konkludente Genehmigung anzusehen ist und ob eine Genehmigung durch AGB fingiert werden kann, wenn ein starker oder schwacher vorläufiger oder der endgültige Insolvenzverwalter die Sechswochenfrist nach Zugang des Rechnungsabschlusses ohne Widerspruch verstreichen lässt, haben sich mit dem Ende des Einzugsermächtigungsverfahrens endgültig erledigt1. Das SEPA-Lastschriftmandat enthält nämlich neben der Ermächtigung des Zahlungsempfängers zur Einziehung des geschuldeten Betrags zugleich auch die Vorabautorisierung (§ 675j Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB) der Belastungsbuchung auf dem Konto des Zahlungspflichtigen gegenüber seinem Kreditinstitut2. Diese Vorabautorisierung ist eine Weisung (§§ 675 Abs. 1, 665 BGB) im Rahmen des Zahlungsdiensterahmenvertrages des Zahlungspflichtigen an sein Kreditinstitut. Dadurch ist die Belastungsbuchung von vornherein autorisiert und muss nicht im Nachhinein – im Wege einer Genehmigungsfiktion, ausdrücklich oder konkludent – genehmigt werden. Das Kreditinstitut erlangt bereits mit der Einlösung der Lastschrift einen Aufwendungsersatzanspruch gemäß § 670 BGB. b) Das Lastschriftmandat Das SEPA-Lastschriftmandat erteilt der Zahlungspflichtige dem Zahlungsemp- 5.324 fänger. Für die formell wirksame Erteilung eines SEPA-Lastschriftmandats gibt es folgende Möglichkeiten3: – Eigenhändig unterschriebenes Schriftstück (Schriftform § 126 Abs. 1 Alt. 1 BGB). – Elektronisch übermitteltes Dokument mit qualifizierter digitaler Signatur (§ 126a Abs. 1 BGB). – E-Mandat; hierbei handelt es sich allerdings um eine den Kreditinstituten eingeräumte Option zur Schaffung eines solchen Mandats, von der die Kreditwirtschaft bislang keinen Gebrauch gemacht hat4. – In der Praxis häufig anzutreffen sind Lastschriftmandate, die beim Abschluss von Verträgen im Internet erteilt werden und daher nicht eigenhändig unterschrieben sind. Ob bei der Online-Zahlung per Internetlastschrift der Lastschrifteinzug auf Basis eines wirksam erteilten Lastschriftmandats erfolgt, ist umstritten. Es wird vertreten, dass – jedenfalls bei innerdeutschen Sachverhalten – auch die internetbasierte Erteilung des Lastschriftmandats ohne eine qualifizierte digitale Signatur möglich ist. Im deutschen Recht reicht gemäß § 127 Abs. 2 BGB zur Wahrung der vertraglich vereinbarten Schriftform die telekommunikative Übermittlung aus. Zudem ist zwischen dem Zahlungsemp1 Überblick bei Hadding, ZBB 2012, 149. 2 Ellenberger in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 58 Rz. 98; Nr. 2.2.1 Satz 4 der Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im SEPA-Basislastschriftverfahren; Nr. 2.2.1 Satz 4 der Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im SEPA-Firmenlastschriftverfahren. 3 SEPA Core Direct Debit Scheme Rulebook Version 7.1 Approved, 4.1 The Mandate, S. 21. 4 Annex VII to SEPA Core Direct Debit Scheme Rulebook Version 7.1 Approved.

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5.325

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

fänger und der ersten Inkassostelle vereinbart, dass das Mandat „schriftlich oder in der mit seiner Bank vereinbarten Art und Weise“1 zu erteilen ist. Schließlich ist den SEPA-Rulebooks nicht zu entnehmen, dass Zahlungsempfänger und erste Inkassostelle eine solche von der Schriftform abweichende „Art und Weise“ vereinbaren können2. Letztlich trägt der Zahlungsempfänger das Risiko, dass das Lastschriftmandat nicht wirksam erteilt ist und der Zahlungspflichtige daher bis zum Ablauf von dreizehn Monaten nach Erhalt der Information über die Belastungsbuchung die Rückerstattung der Belastung verlangen kann (§ 676b Abs. 2 BGB, Nr. 2.6.5 Abs. 2 der Bedingungen für das SEPA-Basislastschriftverfahren, Nr. 2.6.5 Abs. 2 der Bedingungen für das SEPA-Firmenlastschriftverfahren). Es liegt damit in seinem eigenen Interesse, sofern auf Grund seines Geschäftsmodells die Einholung eines schriftlichen Mandats in Papierform nicht möglich ist, für die Einholung von Internetlastschriftmandanten ein Verfahren zu wählen, das sämtliche Funktionen, die die Schriftform (Warnfunktion, Klarstellungs- und Beweisfunktion, Perpetuierungsfunktion) und die eigenhändige Unterschrift (Identitätsfunktion, Echtheitsfunktion, Verifikationsfunktion, Abschlussfunktion)3 erfüllen, ebenfalls gewährleistet4 und er somit gegenüber seinem Kreditinstitut jederzeit in der Lage ist, nachzuweisen, dass ihm ein wirksames Lastschriftmandat vorliegt. Das gewählte Verfahren muss sicherstellen, dass das Mandat rechts- und beweissicher aufbewahrt wird und eine Vorlage des Mandats im Streitfall möglich ist. Im Hinblick darauf, dass auch die erste Inkassostelle bei einem Kunden, der Lastschriften auf Grundlage unwirksamer Lastschriftmandate einzieht, ein Kreditrisiko (sog. Lastschriftobligo) eingeht, liegen wirksam erteilte Mandate im Übrigen auch im Interesse der Kreditinstitute5. 5.325 Die in dem Mandat zugleich enthaltene Autorisierung der Belastungsbuchung wird dem Kreditinstitut des Zahlungspflichtigen in elektronischer Form vom Zahlungsempfänger und dessen Kreditinstitut, die insoweit als Boten des Zahlungspflichtigen tätig werden, übermittelt6. 2. Geltendmachung des Erstattungsanspruchs 5.326 Das SEPA-Basislastschriftverfahren und das SEPA-Firmenlastschriftverfahren unterscheiden sich unter anderem hinsichtlich der Möglichkeiten des Zahlungspflichtigen, eine Lastschrift rückgängig zu machen: 1 Nr. 2.2.1 Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im SEPA-Basislastschriftverfahren; Nr. 2.2.1 Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im SEPA-Firmenlastschriftverfahren. 2 Hoeren, WM 2014, 1061; Zahrte, MMR 2014, 211; Weisser/Färber, CR 2014, 379; noch zur Einzugsermächtigungslastschrift: Mitterhuber/Mühl, WM 2007, 963, 969; Schneider, BKR 2002, 384, 387; a.A.: Walter, DB 2013, 385, 390; Werner, BKR 2002, 11, 12. 3 Einsele in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 126 BGB Rz. 10 ff.; Mansel in Jauernig, 15. Aufl. 2014, § 126 BGB Rz. 1 ff. 4 Hoeren, WM 2014, 1061, der dies für das für das „In-Account Flow“- und das „In-Transaction Flow“-Verfahren untersucht und bejaht. 5 So auch Zahrte, MMR 2014, 211. 6 Nr. 2.3 der Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im SEPA-Basislastschriftverfahren; Nr. 2.3 der Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im SEPA-Firmenlastschriftverfahren.

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Kuder/Unverdorben

Besonderheiten im Lastschriftverkehr

5.327

– Im SEPA-Basislastschriftverfahren kann der Zahlungspflichtige binnen einer Frist von acht Wochen ab der Belastungsbuchung die Rückerstattung des belasteten Betrags verlangen (§ 675x Abs. 2 BGB, Nr. 2.5 der Bedingungen für das SEPA-Basislastschriftverfahren). – Im SEPA-Firmenlastschriftverfahren hingegen kann der Zahlungspflichtige eine von dem Lastschriftmandat gedeckte Belastungsbuchung nicht wieder rückgängig machen (§ 675e Abs. 4 BGB, Nr. 2.5 der Bedingungen für das SEPAFirmenlastschriftverfahren). – In beiden Verfahren gilt: Sofern die Lastschriftbelastung nicht durch ein SEPALastschriftmandat gedeckt und autorisiert war, kann der Kontoinhaber von seinem Kreditinstitut bis zum Ablauf von dreizehn Monaten nach Erhalt der Information über diese Belastungsbuchung die Rückerstattung der Belastung verlangen (Ausschlussfrist gemäß § 676b Abs. 2 BGB, Nr. 2.6.5 Abs. 2 der Bedingungen für das SEPA-Basislastschriftverfahren, Nr. 2.6.5 Abs. 2 der Bedingungen für das SEPA-Firmenlastschriftverfahren). Der Erstattungsanspruch (§ 675x Abs. 2 BGB, Nr. 2.5 der Bedingungen für das SE- 5.327 PA-Basislastschriftverfahren) fällt nicht in die Insolvenzmasse und kann daher weder vom vorläufigen noch vom endgültigen Insolvenzverwalter oder dem (vorläufigen) Sachwalter in einem Eigenverwaltungsverfahren geltend gemacht werden1. Vielmehr steht der Erstattungsanspruch auch nach der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen oder der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Schuldner selbst zu. Dieser darf den Erstattungsanspruch allerdings nach der bereits zum Einzugsermächtigungsverfahren ergangenen Rechtsprechung nur geltend machen, wenn er (a) überhaupt kein Lastschriftmandat erteilt hat, (b) dem Zahlungsempfänger zwar generell ein Lastschriftmandat erteilt hat, aber den eingezogenen Betrag nicht schuldet2 oder (c) sonstige anerkennenswerte Gründe hat, die ihn in diesem Zeitpunkt davon abgehalten haben würden, den entsprechenden Geldbetrag bar oder durch Überweisung zu bezahlen3. Liegt keiner dieser Gründe vor, ist die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs rechtsmissbräuchlich und begründet eine Schadensersatzpflicht des Schuldners gegenüber dem Gläubiger oder dem Kreditinstitut des Gläubigers4. Das Gleiche gilt im Übrigen für denjenigen, der den Schuldner dazu anstiftet, einen unberechtigten Erstattungsanspruch geltend zu machen; aus diesem Grund kann etwa einem Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren oder dem Kreditinstitut des Zahlungspflichtigen nur dringend geraten werden, von solchen Anstiftungen abzusehen. 1 BGH v. 20.7.2010 – XI ZR 236/07, ZInsO 2010, 1538; Lange/Obermüller in Hellner/ Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 15/348c; Nobbe, ZIP 2012, 1937. A.A.: Einsele, WM 2015, 1125, 1134. 2 BGH v. 28.5.1979 – II ZR 85/78, WM 1979, 690; BGH v. 18.6.1979 – II ZR 160/78, WM 1979, 832; BGH v. 27.11.1984 – II ZR 294/83, WM 1985, 82; Hegel, Die Bank 1982, 74; Rottnauer, WM 1995, 272; Hadding, WM 2005, 1549; etwas unklar BGH v. 20.7.2010 – XI ZR 236/07, ZInsO 2010, 1538; s. auch Bitter, WM 2010, 1725. 3 BGH v. 28.5.1979 – II ZR 85/78, WM 1979, 690; BGH v. 18.6.1979 – II ZR 160/78, WM 1979, 832; BGH v. 27.11.1984 – II ZR 294/83, WM 1985, 82; Rottnauer, WM 1995, 272; Hegel, Die Bank 1982, 74; Bauer, WM 1981, 1186, 1198; Canaris, WM 1980, 354, 363. 4 BGH v. 28.5.1979 – II ZR 85/78, WM 1979, 689; BGH v. 21.4.2009 – VI ZR 304/07, NJW-RR 2009, 1207; Hadding, WM 2005, 1549; Nobbe, ZIP 2012, 1937; dagegen billigt OLG Köln v. 26.10.2009 – 13 U 132/09, WM 2010, 652, Schadensersatz nur bei Kenntnis der bevorstehenden Insolvenz des Gläubigers zu.

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5.328

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

5.328 Die Tatsache, dass der Erstattungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse fällt, bedeutet aber nicht, dass auch der erstattete Betrag zum freien Vermögen des Schuldners gehört. Anders als im früheren Einzugsermächtigungsverfahren handelt es sich bei dem Erstattungsanspruch nicht um einen bloßen Berichtigungsanspruch; vielmehr gibt der Erstattungsanspruch gemäß § 675x Abs. 2 BGB einen eigenständigen Anspruch mit der Folge, dass das kontoführende Kreditinstitut die Rückerstattung nicht mit Wertstellung des Tages der Belastung, sondern mit Wertstellung des Tages der Wiedergutschrift auf dem Konto vornehmen muss1. Die Gutschrift auf dem Konto fällt aber in die Insolvenzmasse. 5.329 Für die Anfechtung einer Lastschriftbuchung müssen die Voraussetzungen des Anfechtungstatbestand in dem Zeitpunkt vorliegen, in dem das Kreditinstitut die Lastschrift einlöst2. SEPA-Basislastschriften und SEPA-Firmenlastschriften sind gemäß Nr. 2.4.2 i.V.m. Nr. 2.4.1 Absatz 2 der jeweiligen Bedingungen3 eingelöst, wenn die Kontobelastung nicht spätestens am zweiten Geschäftstag nach ihrer Vornahme rückgängig gemacht wurde. 3. Einlösung und Einzug von Lastschriften nach Anordnung von Verfügungsbeschränkungen a) Einlösung nach Anordnung von Verfügungsbeschränkungen 5.330 Hat das Kreditinstitut Kenntnis von der Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts oder eines Verfügungsverbots durch das Insolvenzgericht, darf es eine auf die GmbH gezogene Lastschrift nicht mehr einlösen und den Lastschriftbetrag dem Konto belasten. Dies gilt sowohl für bereits vorliegende, aber noch nicht gebuchte, als auch für nach Anordnung der Maßnahmen neu vorgelegte Lastschriften. Ohne die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters ist die Belastungsbuchung unwirksam4. Dabei ist unerheblich, dass der Schuldner im SEPA-Basislastschriftverfahren selbst noch den Erstattungsanspruch nach § 675x Abs. 2 BGB, Nr. 2.5 der Bedingungen für das SEPA-Basislastschriftverfahren geltend machen kann. Belastet das Kreditinstitut in Kenntnis der Anordnungen das Konto gleichwohl mit der Lastschrift, kann es seinen Aufwendungsersatzanspruch nicht mehr in das Kontokorrent einstellen und auch nicht gegen ein etwaiges Guthaben verrechnen5. 5.331 Löst das Kreditinstitut die Lastschrift ein, weil es keine Kenntnis von dem Beschluss des Insolvenzgerichts, durch den Verfügungsbeschränkungen angeordnet wurden, erlangt hat, gilt das oben zu Rz. 5.316 Gesagte6. 1 Ellenberger in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 58 Rz. 113 ff.; Nobbe, ZIP 2012, 1937; Werner, BKR 2012, 221; Omlor, NJW 2012, 2150; Nobbe, WM 2011, 961; Obermüller/Kuder, ZIP 2010, 349; Sprau in Palandt, 74. Aufl. 2015, § 675x BGB Rz. 5. 2 So zum inzwischen abgelösten Abbuchungsauftragsverfahren BGH v. 17.1.2013 – IX ZR 184/10, NZI 2013, 182 Rz. 8. Diese Rechtsprechung ist wegen der ebenfalls vorhandenen Vorabautorisierung auf das SEPA-Basislastschriftverfahren und das SEPA-Firmenlastschriftverfahren anwendbar. 3 Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im SEPA-Basislastschriftverfahren, Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im SEPA-Firmenlastschriftverfahren. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.725. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.726. 6 S. auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.728 f.

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Kuder/Unverdorben

Kreditgeschäft

5.341

b) Einzug nach Anordnung von Verfügungsbeschränkungen Hat das Insolvenzgericht ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet, kann die 5.332 insolvente GmbH keine neuen Lastschriften mehr zum Einzug bei ihrem Kreditinstitut einreichen, da es sich auch bei der Einziehung von Forderungen und der Erteilung eines Einzugsauftrags an die erste Inkassostelle um eine – nunmehr untersagte – Verfügung handelt. An ihrer Stelle kann der vorläufige Insolvenzverwalter Lastschriften zum Einzug einreichen. Ordnet das Gericht einen Zustimmungsvorbehalt an, kann die GmbH nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters Lastschriften zum Einzug einreichen. In beiden Fällen steht dies unter dem Vorbehalt, dass das Kreditinstitut die insolvente GmbH überhaupt noch ausnahmsweise zum Lastschrifteinzug zulässt1. In der Regel wird es schon im Hinblick auf die damit für es selbst verbundenen Risiken nur kreditwürdige Kunden zum Lastschrifteinzug zulassen. vacat

5.333–5.340

III. Kreditgeschäft Erfolgt auf Grund eines zulässigen Insolvenzantrages, der für eine GmbH oder ei- 5.341 nen anderen Schuldner gestellt wird, keine sofortige Entscheidung, weil die Feststellung des Eröffnungsgrundes und der Kostendeckung eine gewisse Zeit erfordert, so hat das Insolvenzgericht nach § 21 Abs. 1 InsO alle Sicherungsmaßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Insolvenzantrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten (dazu auch Rz. 5.432 ff.)2. Die wichtigsten Sicherungsmaßnahmen sind beispielhaft („insbesondere“) in § 21 Abs. 2 InsO aufgezählt3. Für das Kreditgeschäft, also das Schicksal bereits gewährter Kredite (abgesehen von der zwangsweisen Beitreibung) und die Gewährung neuer Kredite bleibt dabei die Untersagung oder einstweilige Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO ohne Auswirkungen4. Daneben oder stattdessen kann das Insolvenzgericht als Sicherungsmaßnahmen insbesondere einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO) und/oder dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO). Sofern die GmbH einen Antrag auf Eigenverwaltung gestellt hat und dieser Antrag nicht offensichtlich aussichtslos ist, soll das Gericht im Eröffnungsverfahren allerdings davon absehen, dem Schuldner 1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.760. 2 Für einen Überblick zu den Sicherungsmaßnahmen Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 45. 3 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 7. Aufl. 2014, § 21 InsO Rz. 7; zum Beispielscharakter der im Gesetz genannten und zu anderen denkbaren Sicherungsmaßnahmen s. auch Begr. RegE der Insolvenzordnung, BR-Drucks. 1/92, § 25 RegE S. 115 f.; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 44 f. 4 Zu den Auswirkungen dieser Sicherungsmaßnahmen auf Vollstreckungsmaßnahmen ungesicherter und gesicherter Gläubiger Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 7. Aufl. 2014, § 21 InsO Rz. 38 ff.; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 70 ff.; Hörmann, MDR 2006, 601; Vallender, ZIP 1997, 1993; Lohkemper, ZIP 1995, 1641.

Kuder/Unverdorben

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5.342

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen oder einen Zustimmungsvorbehalt anzuordnen (§ 270a Abs. 1 InsO). Wenn Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, muss für die Beurteilung der Auswirkungen dieser Sicherungsmaßnahmen auf das Kreditgeschäft im Insolvenzeröffnungsverfahren unterschieden werden, welche der beiden Sicherungsmaßnahmen das Insolvenzgericht trifft. 5.342 Liegen die Voraussetzungen des § 22a Abs. 1 InsO hinsichtlich Bilanzsumme, Umsatzerlöse und Anzahl der Beschäftigten vor, ist das Insolvenzgericht des Weiteren verpflichtet, einen vorläufigen Gläubigerausschuss nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO einzusetzen (sog. originärer Pflichtausschuss); liegen diese Voraussetzungen nicht vor, soll das Insolvenzgericht gemäß § 22a Abs. 2 InsO auf Antrag des Schuldners, des vorläufigen Insolvenzverwalters oder eines Gläubigers einen solchen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen (sog. derivativer Pflichtausschuss). Das Gericht kann auch nach eigenem, pflichtgemäßem Ermessen einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen, ohne dass dies beantragt wurde oder die Schwellenwerte des § 22a Abs. 1 InsO erfüllt sind (sog. fakultativer Ausschuss). Der vorläufige Gläubigerausschuss gibt den Gläubigern die Möglichkeit, bereits im Eröffnungsverfahren Einfluss auf für das Verfahren bedeutende Weichenstellungen zu nehmen1. Neben den Rechten und Pflichten, die dem vorläufigen Gläubigerausschuss in gleicher Weise wie dem endgültigen Gläubigerausschuss zustehen, hat der vorläufige Gläubigerausschuss gemäß § 56a InsO auch das Recht, an der Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters mitzuwirken und diesen ggfls. bindend zu bestimmen2. Die Anordnung eines Verwertungs- und Einziehungsstopps nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO ist dagegen (nur) für die Verwertung bereits bestellter Kreditsicherheiten im Eröffnungsverfahren von Bedeutung (dazu im Einzelnen Rz. 5.369 ff.). 1. Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots 5.343 Wenn das Insolvenzgericht im Insolvenzeröffnungsverfahren dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, richten sich dessen Wirkungen gemäß § 24 Abs. 1 InsO nach den Regelungen, die in §§ 81, 82 InsO hinsichtlich der Wirkungen der Verfahrenseröffnung auf Verfügungen des Schuldners und Leistungen an den Schuldner getroffen worden sind3. Diese Vorverlegung von Wirkungen des eröffneten Insolvenzverfahrens bereits in das Antragsverfahren hinein hat folgende Auswirkungen auf das Kreditgeschäft4: a) Bestehende Kredite 5.344 Bestehende Kreditverträge mit einer insolventen GmbH (genauso wie mit einem anderen Kreditnehmer) werden durch die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots nicht beendet. Denn § 24 Abs. 1 InsO verweist hinsichtlich der Wirkungen dieser Sicherungsmaßnahme nicht auf die §§ 103 ff. InsO, die das Schick1 Zu den Aufgaben und Rechten des vorläufigen Gläubigerausschusses ausführlich Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22a InsO Rz. 123 ff. 2 Zu den Mitwirkungsmöglichkeiten der Gläubiger bei der Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters Obermüller, ZInsO 2011, 1809. 3 So die Begr. RegE der Insolvenzordnung, BR-Drucks. 1/92, § 28 RegE. 4 Dazu auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.351 ff.; Wittig, DB 1999, 197 ff.

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Kuder/Unverdorben

Kreditgeschäft

5.346

sal von gegenseitigen Verträgen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens regeln, so dass der Bestand von Verträgen von der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes unberührt bleibt1. Auch der Zinslauf wird durch den Insolvenzantrag oder den Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots nicht unterbrochen. Daher können gemäß § 38 InsO die rückständigen ebenso wie die nach dem Insolvenzantrag auflaufenden Zinsen bis zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung, zu dem die Zinsansprüche dann gemäß § 41 Abs. 1 InsO als fällig gelten, im Insolvenzverfahren mit dem gleichen Rang wie die Hauptforderung eingefordert werden2. Das Verfügungsverbot unterbindet aber Erfüllungshandlungen seitens des Schuld- 5.345 ners. Denn Zahlungen, die der Kreditnehmer entgegen dem Verfügungsverbot leistet, sind gemäß §§ 24 Abs. 1, 81 Abs. 1 InsO unwirksam. Wurden entgegen dem allgemeinen Verfügungsverbot unwirksame Tilgungsleistungen durch die insolvente GmbH erbracht, kann im Fall der Verfahrenseröffnung der Insolvenzverwalter vom Kreditgeber die Herausgabe der Gelder verlangen, muss ihm jedoch gemäß §§ 24 Abs. 1, 81 Abs. 1 Satz 3 InsO eine vom Kreditgeber erbrachte etwaige Gegenleistung erstatten, soweit die Masse durch sie bereichert ist. Dies kann für das Kreditgeschäft insbesondere relevant werden, falls der Kreditgeber Zug um Zug gegen den Zahlungseingang Sicherheiten, die aus dem Vermögen des Kreditnehmers bestellt waren, freigegeben hat. Diese wären zu Gunsten des Kreditgebers wiederherzustellen. Zweckmäßiger ist es jedoch bei Sicherheiten, deren Bestellung mit Aufwand und Kosten verbunden ist, wenn der Verwalter sich mit dem Kreditgeber dahin gehend einigt, dass er den Sicherungsgegenstand verwertet und nur eine etwaige Differenz (nach Abzug der Kostenbeiträge gemäß §§ 170, 171 InsO, dazu ausführlich bei Rz. 7.577 f.; 7.600 ff.; 7.613) auszugleichen ist3. Der Kreditgeber bleibt trotz Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots zur 5.346 Kreditkündigung berechtigt, falls ihm ein solches Kündigungsrecht nach den vertraglichen Abreden zusteht4. Kreditinstitute können eine solche Kündigung im Falle eines Insolvenzantrages auch ohne gesonderte Vereinbarungen im Kreditvertrag auf § 490 Abs. 1 BGB und die Regelungen in den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Kreditgewerbes stützen, wonach der Kreditgeber zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund5 insbesondere dann berechtigt ist, wenn eine wesentliche Verschlechterung der Vermögenslage des Kreditnehmers eintritt und dadurch die Erfüllung seiner Verbindlichkeiten gefährdet ist (Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken, Nr. 22 Abs. 2 AGB-Sparkassen)6. Die Zulässigkeit des außerordent1 Mit diesem Ergebnis auch Lange/Obermüller in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 15/187; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.353. 2 Ehricke in Münchener Kommentar zur InsO, § 39 InsO Rz. 13. 3 Lange/Obermüller in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 15/188; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.353. 4 Zur Kündigung von Kreditverträgen im Eröffnungsverfahren: Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.354 f.; Lange/Obermüller in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 15/189; Wittig, NZI 2002, 633 ff.; Wittig, DB 1999, 197 ff. 5 Zum außerordentlichen Kündigungsrecht aus wichtigem Grund s. ausführlich oben Rz. 1.452 ff. 6 Zu diesem Kündigungsrecht bzw. seiner Vorgängerregelung in Nr. 17 AGB-Banken BGH v. 26.9.1985 – III ZR 229/84, WM 1985, 1437; BGH v. 6.3.1986 – III ZR 245/84, WM 1986, 605; BGH v. 26.5.1988 – III ZR 115/87, WM 1988, 1223; Wulfers in Hellner/ Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/575; Wittig, NZI 2002, 633 ff.

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5.347

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

lichen Kündigungsrechts ist von der Rechtsprechung allgemein anerkannt1. Daran hat auch die Entscheidung des BGH zur Unwirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln2 nichts geändert (s. ausführlich Rz. 1.456). Ist der Kreditnehmer zahlungsunfähig und wird deshalb ein Insolvenzantrag gestellt, liegt offensichtlich dieser Kündigungsgrund vor. Sogar die bloße Androhung des Kreditnehmers, er werde seine Zahlungen einstellen und die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen, wird von der Rechtsprechung als ausreichend für die fristlose Kreditkündigung auf Grund Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken, Nr. 22 Abs. 2 AGB-Sparkassen angesehen3. Angesichts dieser Rechtsprechung bietet der Insolvenzantrag einer GmbH dem Kreditgeber auch dann einen hinreichenden Grund zur Kreditkündigung, wenn die Antragstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO (s. zu diesem Insolvenzgrund Rz. 5.38 ff.) erfolgt ist. An dieser Beurteilung ändert trotz § 490 Abs. 1 BGB auch die Besicherung des Kredits nichts. Denn das Interesse des Schuldners, bei ausreichender Besicherung nicht durch eine Kündigung in die Insolvenz getrieben zu werden, rechtfertigt den Ausschluss der Kündigung nicht mehr, wenn mit dem Insolvenzantrag manifest wird, dass es ohnehin zum Insolvenzverfahren und zur Verwertung der Sicherheiten kommt. Ab dann überwiegt das Interesse des Darlehensgebers, durch Kündigung weitere Auszahlungen zu verhindern und die Sicherheitenverwertung einzuleiten4. 5.347 Sind dem Kreditinstitut revolvierende Kreditsicherheiten wie eine Globalzession oder eine Raumsicherungsübereignung gestellt, ist eine Kündigung des Kredits, jedenfalls aber der Widerruf der Einziehungsbefugnis hinsichtlich der abgetretenen Forderungen bzw. der Verarbeitungs- und Veräußerungsermächtigung bezüglich der sicherungsübereigneten Sachen, geboten, sofern das Kreditinstitut ein Abschmelzen seines Sicherungsbestandes verhindern möchte. Im Normalfall des laufenden Geschäftsbetriebs werden die revolvierenden Kreditsicherheiten immer wieder aufgefüllt; den durch die GmbH eingezogenen und dadurch erloschenen Forderungen bzw. den veräußerten Sachen stehen die durch die Geschäftstätigkeit der GmbH neu entstehenden Forderungen und neu in den Sicherungsraum eingebrachten Sachen gegenüber, die auf Grund der Globalzession mit ihrer Entstehung an das Kreditinstitut abgetreten bzw. auf Grund des Raumsicherungsübereignungsvertrages mit ihrer Einbringung übereignet sind5. Ein weiterlaufender Einzug der bereits abgetretenen Forderungen und ein weiterlaufender Verkauf der bereits sicherungsübereigneten Sachen durch die GmbH führt nun dazu, dass der Sicherheitenwert abschmilzt: Neue Forderungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, können zwar auch nach Anordnung ei1 BGH v. 15.1.2013 – XI ZR 22/12, NJW 2013, 1519 Rz. 11 ff. (zum ordentlichen Kündigungsrecht gemäß Nr. 19 Abs. 1 AGB-Banken); BGH v. 10.11.1977 – III ZR 39/76, WM 1978, 234, 237. 2 BGH v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZInsO 2013, 292 mit Anm. Raeschke-Kessler/Christopeit, WM 2013, 1592. 3 BGH v. 26.9.1985 – III ZR 213/84, WM 1985, 1493; OLG Hamm v. 12.9.1990 – 31 U 102/90, WM 1991, 402; Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/588. 4 S. dazu auch Lange/Obermüller in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 15/189a; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.355; Wittig, NZI 2002, 633 ff. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.350.

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Kreditgeschäft

5.349

nes Verfügungsverbots noch wirksam abgetreten werden1. Sie können aber nicht mehr insolvenzfest abgetreten und neue Sachen nicht mehr insolvenzfest übereignet werden. Der Erwerb der nach dem Insolvenzantrag abgetretenen Forderungen und übereigneten Sachen in dem Fall, dass das Kreditinstitut den Insolvenzantrag oder die Zahlungsunfähigkeit kannte, ist nach der Rechtsprechung des BGH ohne Weiteres anfechtbar (§ 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO)2. b) Neue Kredite Nach dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und nach Anordnung 5.348 eines Verfügungsverbots wird die Vergabe neuer Kredite an die insolvente GmbH schon aus wirtschaftlichen Gründen grundsätzlich nicht in Betracht kommen. Nur in Ausnahmefällen könnte ein Kreditgeber an die Vergabe neuer Kredite direkt an die GmbH denken, so z.B. wenn neue Gelder zur Aufrechterhaltung des Betriebs, etwa für Energielieferungen oder Futterkosten bei landwirtschaftlichen Betrieben dringend benötigt werden, und die Fortführung des Betriebs im Hinblick auf die Erhaltung des Sicherungsguts des Kreditgebers notwendig ist. Aber auch dann wird der Kreditgeber vollwertige Sicherheiten für den Neukredit verlangen3. An der Bestellung von Kreditsicherheiten durch die GmbH wird aber die Bereit- 5.349 stellung eines neuen Kredits für eine GmbH als Kreditnehmer im Insolvenzeröffnungsverfahren scheitern, wenn ein Verfügungsverbot ausgesprochen worden ist. Das Verfügungsverbot hat nämlich die Unwirksamkeit aller nach seinem Erlass vorgenommenen rechtsgeschäftlichen Verfügungen des Schuldners über Vermögensgegenstände zur Folge, die zur Masse gehören würden (§§ 24 Abs. 1, 81, 82 InsO)4. Verfügungen sind Rechtsgeschäfte, die unmittelbar darauf gerichtet sind, auf ein bestehendes Recht einzuwirken, es zu verändern, zu übertragen oder aufzuheben5, also auch die Bestellung von Sicherheiten am Schuldnervermögen durch (Grund-)Pfandrechtsbestellung, Übereignung oder Abtretung. Verstößt der Schuldner gegen eine Verfügungsbeschränkung, so ist diese Verfügung und damit die Sicherheitenbestellung unwirksam (§§ 24 Abs. 1, 81 Abs. 1 Satz 1 InsO). Nach herrschender Ansicht führt das allgemeine Verfügungsverbot im Insolvenzeröffnungsverfahren gemäß der Verweisung auf die §§ 81, 82 InsO nicht nur zur relativen, sondern zur absoluten Unwirksamkeit verbotswidriger Verfügungen des Schuldners schon vor Verfahrenseröffnung6. Damit scheidet schon 1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.341 ff. 2 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, WM 2008, 204; ausführlich dazu Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.348 ff. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.360, 5.365. 4 Zur Unwirksamkeit von Sicherheitenbestellungen durch den Schuldner nach Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbotes auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.361, 5.367; Wittig, DB 1999, 197 ff. 5 BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 1/09, ZInsO 2010, 133; BGH v. 4.5.1987 – II ZR 211/86, BGHZ 101, 26; BGH v. 18.6.1979 – VII ZR 187/78, BGHZ 75, 26 = NJW 1979, 2101; BGH v. 15.3.1951 – IV ZR 9/50, BGHZ 1, 294, 304; LG Hamburg v. 9.2.1982 – 64 O 9/82, ZIP 1982, 337. 6 So z.B. Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 24 InsO Rz. 10 m.w.N. zum Meinungsstand; Vuia in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 14 Rz. 31 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.361.

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5.350

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

im Insolvenzeröffnungsverfahren der gutgläubige Erwerb von Kreditsicherheiten aus, soweit nicht der gute Glaube an die Verfügungsbefugnis des Schuldners durch Registereintragungen geschützt ist, also insbesondere beim Erwerb einer Grundschuld oder Hypothek (§§ 24 Abs. 1, 81 Abs. 1 Satz 2 InsO). 2. Bestellung eines vorläufigen Verwalters 5.350 Setzt das Insolvenzgericht als Sicherungsmaßnahme im Insolvenzeröffnungsverfahren einen vorläufigen Insolvenzverwalter ein, so hängen dessen Befugnisse gemäß § 22 InsO entscheidend davon ab, ob gegen den Schuldner zugleich ein allgemeines Verfügungsverbot ausgesprochen worden ist (§ 22 Abs. 1 InsO) oder nicht (§ 22 Abs. 2 InsO). Beispielsweise gehört zu den Aufgaben des vorläufigen Verwalters die Fortführung des Geschäfts (§ 22 Abs. 2 Nr. 2 InsO) nach der gesetzlichen Regelung nur dann, wenn ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet worden ist. Demgegenüber bestimmt nicht die Insolvenzordnung, sondern das Insolvenzgericht die Pflichten und Aufgaben des vorläufigen Insolvenzverwalters, wenn dem Schuldner nicht zugleich ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird (§ 22 Abs. 2 InsO). Auch für das Kreditgeschäft ist in verschiedenen Bereichen von Bedeutung, ob neben der Einsetzung des vorläufigen Verwalters auch ein allgemeines Verfügungsverbot verhängt worden ist oder nicht, weil gemäß § 22 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das gesamte Vermögen des Schuldners nur dann auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht, wenn auch ein allgemeines Verfügungsverbot ausgesprochen ist1. a) Bestehende Kredite 5.351 Bestehende Kreditverträge werden durch Einsetzung eines vorläufigen Verwalters nicht beendet. Dies gilt, wie oben bei Rz. 5.344 ff. ausgeführt, auch für den Fall, dass daneben ein allgemeines Verfügungsverbot ausgesprochen wird2. Bis zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung laufen auch die Zinsen trotz Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters weiter und können mit dem gleichen Rang wie die Hauptforderung im Verfahren geltend gemacht werden3. Für die Kündigung bestehender Kredite durch den Kreditgeber gilt bei Einsetzung eines vorläufigen Verwalters das Gleiche wie bei der Anordnung allein eines Verfügungsverbots (s. oben Rz. 5.346). Rückzahlungen von Krediten werden nach Einsetzung eines vorläufigen Verwalters praktisch nicht mehr erfolgen. Auch die Kündigung von Kreditverträgen durch den vorläufigen Insolvenzverwalter, zu der er grundsätzlich berechtigt wäre, wenn wegen der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots die Verwaltungsbefugnisse auf ihn übergegangen sind4, spielt in der Praxis keine Rolle. 1 Zu dieser Unterscheidung für das Kreditgeschäft auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.362. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.364. 3 Ehricke in Münchener Kommentar zur InsO, § 39 InsO Rz. 13. 4 Zum Recht des vorläufigen Insolvenzverwalters, schon im Eröffnungsverfahren Verträge des Schuldners zu kündigen, Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 59 f.; Vallender in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 54 ff.; Uhlenbruck, KTS 1994, 169, 180.

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Kreditgeschäft

5.354

b) Neue Kredite Auch im Insolvenzeröffnungsverfahren wird häufig Kreditbedarf bestehen. Denn 5.352 soll nach dem Insolvenzantrag der Betrieb der GmbH – einstweilig oder bis zu einer Sanierung des Unternehmens aus dem Insolvenzverfahren heraus – aufrechterhalten werden, wie dies nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO zumindest bei Einsetzung eines vorläufigen Verwalters mit Verfügungsbefugnis regelmäßig der Fall ist, wird das Unternehmen fast ausnahmslos auf neue Betriebsmittel, vor allem in Form von Krediten, angewiesen sein1 (zur Betriebsfortführung und ihrer Finanzierung im Insolvenzantragsverfahren s. auch Rz. 5.541 ff.). Ist aber der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt, dürften Kreditinstitute allenfalls bereit sein, schon im Eröffnungsverfahren neue Kredite zu gewähren, wenn zumindest sichergestellt ist, dass die Forderungen aus einer solchen Kreditgewährung im anschließenden Insolvenzverfahren insoweit privilegiert sind, dass sie bei einer Liquidation des Schuldnervermögens bevorrechtigt befriedigt werden bzw. von einer vergleichsweisen Herabsetzung der Verbindlichkeit des Schuldners im Insolvenzplan nicht betroffen sind2. Eine solche Privilegierung genießen Forderungen aus neuen Kreditverträgen, die mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter abgeschlossen werden, dann, wenn sie gemäß § 55 Abs. 2 InsO zu Masseverbindlichkeiten werden. Ob Forderungen aus neuen Kreditverträgen nach § 55 Abs. 2 InsO als Masseverbindlichkeiten privilegiert sind, hängt von der Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters ab3. aa) Schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter Kennzeichnend für den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter ist, dass im Er- 5.353 öffnungsverfahren kein allgemeines Verfügungsverbot als Sicherungsmaßnahme angeordnet wird. Damit geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Insolvenzschuldners nicht nach § 22 Abs. 1 InsO auf den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter über; und Verbindlichkeiten, die im Eröffnungsverfahren begründet werden, gelten grundsätzlich nicht gemäß § 55 Abs. 2 InsO als Masseverbindlichkeiten, selbst wenn der schwache vorläufige Insolvenzverwalter am Abschluss der entsprechenden Verträge mitgewirkt hat4. Das Insolvenzgericht kann aber den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter 5.354 ermächtigen, bestimmte Verbindlichkeiten schon im Eröffnungsverfahren mit 1 Zur Kreditfinanzierung der Unternehmensfortführung im Insolvenzverfahren s. auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.365 ff.; Wittig, DB 1999, 197 ff. 2 Nach zutreffender Auffassung von Uhlenbruck, ZBB 1992, 284, wäre wegen des nicht zu deckenden Kreditbedarfs eine Sanierung von notleidenden Unternehmen in den meisten Fällen von vornherein ausgeschlossen, wenn die im Eröffnungsverfahren oder spätestens im eröffneten Insolvenzverfahren neu gewährten Kredite keine Privilegierung erführen. 3 Dazu auch Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 218 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.362 ff.; Undritz, NZI 2003, 136; Prütting/Stickelbrock, ZIP 2002, 1608; Haarmeyer/Pape, ZIP 2002, 845; Smid, DZWIR 2002, 444; Wittig, DB 1999, 197 ff. 4 BGH v. 7.5.2009 – IX ZR 61/08, NZI 2009, 474 Rz. 13; BGH v. 24.1.2008 – IX ZR 201/06, WM 2008, 742 Rz. 9; BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, WM 2005, 240; BGH v. 18.7. 2002 – IX ZR 195/01, WM 2002, 1888.

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5.355

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

dem Status von Masseverbindlichkeiten im eröffneten Insolvenzverfahren zu begründen1. Dabei hat der BGH den Insolvenzgerichten aufgegeben, dass in einer entsprechenden Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters das jeweilige Insolvenzgericht selbst die einzelnen Maßnahmen bestimmt zu bezeichnen hat, zu denen der vorläufige Verwalter verpflichtet und berechtigt sein soll. Eine entsprechende Ermächtigung muss aus Gründen der Rechtsklarheit und des gebotenen Schutzes von Vertragspartnern in der gerichtlichen Anordnung selbst unmissverständlich zu erkennen geben, mit welchen Einzelbefugnissen – nach Art und Umfang – der vorläufige Insolvenzverwalter ausgestattet ist2. 5.355 Für die Praxis der Kreditwirtschaft bedeutet dies einerseits, dass bei Vorliegen einer entsprechenden Ermächtigung im Einzelfall auch an einen schwachen Insolvenzverwalter echte Massekredite ausgereicht werden können; also Kredite, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Rang von Masseverbindlichkeiten zu befriedigen sind. Andererseits wird die Kreditwirtschaft die Vorgabe des BGH nach einer möglichst präzisen Ermächtigung durch das jeweilige Insolvenzgericht sehr ernst zu nehmen haben und deshalb darauf bestehen, dass das Insolvenzgericht in seinem Beschluss zumindest den Betrag des Massekredits, zu dessen Aufnahme der schwache vorläufige Insolvenzverwalter ermächtigt werden soll, festlegt3. In der Praxis wird ein Kreditinstitut auf einer Ermächtigung des Insolvenzgerichts bestehen, die möglichst viele weitere Konditionen des genehmigten Massekredits bestimmt (z.B. Kreditart – Bar-, Diskont-, Avalkredit, Verwendungszweck, Betrag, Laufzeit, Zinskonditionen, Besicherung), um die Anforderungen des BGH an eine unmissverständliche Einräumung von Einzelbefugnissen mit Festlegung von Art und Umfang sicher zu erfüllen. bb) Vorläufiger Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt 5.356 Fehlt eine spezielle Ermächtigung zur Kreditaufnahme durch das Insolvenzgericht, so kommt Verbindlichkeiten, die mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet werden, auch dann keine Privilegierung als Masseverbindlichkeiten zu, wenn im Eröffnungsverfahren als Sicherungsmaßnahme zwar kein Verfügungsverbot, aber immerhin ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt durch das Insolvenzgericht angeordnet ist4. Nur der starke vorläufige Insolvenzverwalter kann auf Grund des allgemeinen Verfügungsverbots gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO umfassend für den Schuldner handeln. Dagegen bewirkt ein Zustimmungs1 Grundlegend BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, WM 2002, 1888; ebenso BGH v. 4.12. 2014 – IX ZR 166/14, ZInsO 2015, 261; BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, NZI 2012, 365; BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, WM 2005, 240. Zu dieser Rechtsprechung auch Laroche, NZI 2010, 965; Undritz, NZI 2003, 136; Prütting/Stickelbrock, ZIP 2002, 1608; Haarmeyer/Pape, ZIP 2002, 845; Smid, DZWIR 2002, 444. 2 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, WM 2002, 1888; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 222. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.375; Kirchhof, ZInsO 2004, 57. 4 BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, NZI 2012, 365; BGH v. 7.5.2009 – IX ZR 61/08, NZI 2009, 474 Rz. 13; BGH v. 24.1.2008 – IX ZR 201/06, WM 2008, 742 Rz. 9; BGH v. 9.12. 2004 – IX ZR 108/04, WM 2005, 240; BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, WM 2002, 1888. Zu dieser Rechtsprechung auch Laroche, NZI 2010, 965; Undritz, NZI 2003, 136; Prütting/Stickelbrock, ZIP 2002, 1608; Haarmeyer/Pape, ZIP 2002, 845; Smid, DZWIR 2002, 444; Undritz, NZI 2003, 136.

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Kreditgeschäft

5.359

vorbehalt gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO nur, dass der vorläufige Insolvenzverwalter wirksame rechtsgeschäftliche Verfügungen des Schuldners zu verhindern vermag. Allein auf Grund eines Zustimmungsvorbehalts ist der vorläufige Insolvenzverwalter jedoch rechtlich nicht in der Lage, den Abschluss rechtswirksamer Verpflichtungsgeschäfte durch den Schuldner während des Eröffnungsverfahrens zu verhindern. Dementsprechend können solche Verbindlichkeiten auch nur Insolvenzforderungen begründen. An dieser Beurteilung ändert auch eine pauschale gerichtliche Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters, „mit rechtlicher Wirkung für den Schuldner zu handeln“, nichts. Eine solche Ermächtigung ist vielmehr nach § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO unzulässig, da das Insolvenzgericht selbst im Einzelnen die Rechte festlegen muss, die dem vorläufigen Verwalter eingeräumt werden, und schon aus Gründen der Rechtsklarheit Verfügungsermächtigungen nicht pauschal in das Ermessen des vorläufigen Insolvenzverwalters stellen darf1. cc) Starker vorläufiger Insolvenzverwalter Wird ein Darlehen an einen starken vorläufigen Insolvenzverwalter i.S. von § 22 5.357 Abs. 1 InsO ausgereicht, ist also durch das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren ein allgemeines Verfügungsverbot gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO angeordnet worden, so führt diese Kreditaufnahme bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 55 Abs. 2 InsO zu Masseverbindlichkeiten2. Das Insolvenzgericht kann den starken vorläufigen Insolvenzverwalter auch nicht ermächtigen, nur Insolvenzforderungen zu begründen, die keine Privilegierung als Masseforderungen genießen3. In der Praxis zieht die Kreditwirtschaft für die Ausreichung eines Massekredits die Einzelermächtigung des schwachen Insolvenzverwalters dem allgemeinen Verfügungsverbot vor, um zu verhindern, dass die Forderungen aus den Massekrediten mit einer Vielzahl von anderen Masseverbindlichkeiten, die der starke vorläufige Insolvenzverwalter gemäß § 55 Abs. 2 InsO zwangsläufig begründet, konkurrieren (zum wirtschaftlichen Nutzen der Privilegierung als Massekredit angesichts dieser Konkurrenz zugleich unten bei Rz. 5.358 ff.). dd) Wirtschaftlicher Nutzen der Privilegierung als Massekredit Ist durch Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots oder durch die Er- 5.358 mächtigung des Insolvenzgerichts für den Einzelfall sichergestellt, dass aus der Kreditgewährung Masseverbindlichkeiten entstehen, die gemäß § 55 InsO aus der Insolvenzmasse vor den Forderungen aller Insolvenzgläubiger zu befriedigen sind, kann daran gemäß § 217 InsO auch ein Insolvenzplan nichts ändern, da der Insolvenzplan nach dieser Regelung nur die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger, nicht aber der Massegläubiger abweichend von den Vorschriften der Insolvenzordnung regeln darf. Allerdings wird die Aufnahme neuer Kredite auch im Falle des vorläufigen Verwal- 5.359 ters, auf den die Verfügungsbefugnis wegen der Anordnung eines allgemeinen Ver1 So BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, WM 2002, 1888; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 222. 2 BGH v. 4.12.2014 – IX ZR 166/14, ZInsO 2015, 261; BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, WM 2002, 1888. 3 AG Hamburg v. 8.11.2002 – 67g IN 379/02, ZInsO 2002, 1197.

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5.360

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

fügungsverbots übergegangen ist oder der vom Insolvenzgericht ausdrücklich zur Aufnahme von Massekrediten ermächtigt wurde, dadurch erschwert, dass die aus einer Gewährung neuer Kredite an den vorläufigen Verwalter resultierenden Masseverbindlichkeiten mit anderen Verbindlichkeiten konkurrieren. Insoweit kann auf die Ausführungen zu den Massedarlehen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (s. unten Rz. 7.557 ff.), wo es zur gleichen Konkurrenz kommt, verwiesen werden. 5.360 Diese Konkurrenz mit anderen Masseverbindlichkeiten birgt ein Ausfallrisiko für den Kreditgeber, weil im Fall der Einstellung des eröffneten Insolvenzverfahrens mangels Masse die Forderungen aus einem dem vorläufigen Insolvenzverwalter im Insolvenzantragsverfahren gewährten Neukredit unter den Masseverbindlichkeiten nur den 3. Rang nach den Kosten des Insolvenzverfahrens (gemäß § 54 InsO sind dies die Gerichtskosten sowie Vergütungen und Auslagen des Insolvenzverwalters und der Gläubigerausschussmitglieder) und den nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründeten Masseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) erhalten1. Der Insolvenzverwalter muss in diesem Fall diese Befriedigungsreihenfolge einhalten und darf die Forderungen des Kreditinstituts nicht in vollem Umfang bedienen, auch wenn er deswegen möglicherweise nach §§ 60, 61 InsO persönlich haftet2. Wird die Eröffnung mangels Masse abgelehnt, kommt es zu gar keiner Verteilung nach der Rangordnung, wie sie für das eröffnete Verfahren vorgesehen ist3 (vgl. zur Abweisung und Einstellung mangels Masse oben Rz. 6.1 ff.). ee) Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters 5.361 Einen gewissen Ausgleich für das Risiko, das somit dem Kreditgeber verbleibt, selbst wenn die im Insolvenzeröffnungsverfahren an den vorläufigen Verwalter gewährten Kredite den Vorrang von Masseverbindlichkeiten genießen, bietet die Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters nach §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 61 InsO (dazu auch Rz. 7.176 ff.). Danach hat der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis dafür einzustehen, dass die Masseverbindlichkeiten, die durch seine Rechtshandlungen begründet worden sind, aus der Insolvenzmasse voll erfüllt werden können. Könnte ein Neukredit wegen Massearmut nicht zurückgezahlt werden, hätte der vorläufige Verwalter dafür Schadensersatz zu leisten4. Allerdings trifft den vorläufigen Insolvenzverwalter diese Schadensersatzpflicht nach § 61 Satz 2 InsO dann nicht, wenn er bei Begründung der Masseverbindlichkeiten nicht erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde5. Insoweit stellt die Rechtsprechung an die Entlastung des vorläufigen Verwalters relative hohe Anforderungen und verlangt u.a., 1 Darauf weisen auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.367; Uhlenbruck, GmbHR 1995, 81, 195, 200, und Hess/Weis, InVo 1996, 225, 226, hin. 2 BGH v. 14.10.2010 – IX ZB 214/08, ZInsO 2010, 2188; Strotmann/Tetzlaff, ZInsO 2011, 559. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.367. 4 Bespiele für solche Haftungsfälle: BGH v. 17.12.2014 – IV ZR 90/13, NZI 2015, 271; BGH v. 13.2.2014 – IX ZR 313/12, NZI 2014, 400; OLG Brandenburg v. 3.7.2003 – 8 U 58/02, NZI 2003, 552; LG Cottbus v. 8.5.2002 – 3O 277/00, NZI 2002, 441; Strotmann/Tetzlaff, ZInsO 2011, 559; Kaufmann, NZI 2004, 117; Vallender, NZI 2003, 554. 5 Zur Auslegung dieser subjektiven Haftungsvoraussetzungen Begr. RegE der Insolvenzordnung, BR-Drucks. 1/92, § 72 RegE S. 129 f.

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Kreditgeschäft

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dass regelmäßig bzw. bei Betriebsfortführung immer der Verwalter einen zur Liquiditätssteuerung geeigneten Finanzplan unter Gegenüberstellung von Mittelbedarf und den zu dessen Deckung vorhandenen und zu erwartenden Mitteln aufstellt und laufend fortschreibt, um zu prüfen, ob die Masseverbindlichkeiten voraussichtlich erfüllt werden können1. Wegen der Möglichkeit der Entlastung scheidet die Haftung des vorläufigen Verwalters dennoch häufig aus und kann für die Kreditentscheidung nicht mit der eines Bürgen verglichen werden kann. Darüber hinaus dürfte es für einen Kreditgeber, an den von einem vorläufigen Insolvenzverwalter die Bitte um einen Massekredit im Antragsverfahren herangetragen wird, angesichts des Missverhältnisses zwischen Kreditsumme und finanzieller Leistungsfähigkeit des Verwalters nahezu immer ausscheiden, die Kreditentscheidung auf die (mögliche) Haftung des Verwalters zu stützen. ff) Besicherung neuer Kredite Wegen des wirtschaftlichen Risikos selbst bei Einordnung als Masseverbindlich- 5.362 keit wird ein Kreditgeber, der sich, um die Fortführung des Unternehmens zu ermöglichen, zur Gewährung eines neuen (Masse-)Kredites schon im Insolvenzeröffnungsverfahren entscheidet, ein starkes Interesse an einer Besicherung des Neukredits haben. Ist gegen den Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot erlassen, so ist der vorläufige Verwalter befugt, Sicherheiten aus dem Vermögen der insolventen GmbH, zu bestellen2. Denn gemäß § 22 Abs. 1 InsO geht die volle Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über, wenn dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird3. Daneben steht den Insolvenzgerichten auch die Befugnis zu, ohne Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter nicht nur zur Aufnahme eines Massekredits, sondern auch zur wirksamen Besicherung dieses Massekredits aus dem Vermögen des Schuldners zu ermächtigen4. Wie bei der Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ist aber auch dafür Voraussetzung, dass das Insolvenzgericht dem vorläufigen Insolvenzverwalter nach Art und Umfang unmissverständliche Einzelbefugnisse einräumt, also insbesondere die Art der Besicherung (z.B. Grundschuld auf dem Betriebsgrundstück, Globalzession der Forderungen aus Lieferung und Leistung, Sicherungsübereignung der Vorräte) und den Betrag (soweit einschlägig, also insbesondere bei einer Grundschuld) in dem Gerichtsbeschluss festlegt. Ist nur ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet, muss die Sicherheit dagegen durch den Schuldner selbst, also mit den Unterschriften der Geschäftsführung der GmbH oder der Vertretungsberechtigten bestellt werden. Dazu ist dann die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters, dokumentiert durch Mitunterzeichnung des Sicherungsvertrages, erforderlich. Die von dem vorläufigen Verwalter oder mit seiner Zustimmung bestellten Si- 5.363 cherheiten für einen Neukredit kann der spätere Insolvenzverwalter nach Verfah1 OLG Brandenburg v. 3.7.2003 – 8 U 58/02, NZI 2003, 552; OLG Hamm v. 28.11.2002 – 27 U 87/02, NZI 2003, 150; Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 61 InsO Rz. 24 ff. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.367. 3 Dazu Begr. RegE der Insolvenzordnung, BR-Drucks. 1/92, § 26 RegE S. 116 f. 4 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, WM 2002, 1888; Strotmann/Tetzlaff, ZInsO 2011, 559.

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

renseröffnung dem Kreditgeber auch nicht etwa durch Anfechtung wieder entziehen. Rechtshandlungen eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters, auf den wegen Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergegangen ist, sind generell nicht anfechtbar1, weil seine Rechtshandlungen dem eröffneten Verfahren zugerechnet werden (§ 55 Abs. 2 InsO). Die Bestellung von Kreditsicherheiten durch den Schuldner mit Zustimmung des schwachen, also ohne Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots eingesetzten, vorläufigen Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt sind zwar, wie § 129 InsO zeigt, grundsätzlich anfechtbar2. Die Rechtsprechung schließt eine solche Anfechtung aber aus, wenn der schwache vorläufige Insolvenzverwalter vom Insolvenzgericht im Wege der Einzelermächtigung zur Bestellung von Sicherheiten ermächtigt wurde3 oder im Rahmen des Zustimmungsvorbehalts bei der Bestellung der Sicherheiten zugestimmt hat und durch sein Handeln einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand beim Empfänger begründet hat, so dass dieser infolgedessen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) damit rechnen durfte, ein nicht mehr entziehbares Recht erlangt zu haben4. Im Übrigen scheidet bei der Besicherung eines im Eröffnungsverfahren neu gewährten Kredits die Anfechtung gemäß § 142 InsO auch aus, wenn, wie meist, ein Bargeschäft vorliegt, also Kreditbetrag und der Wert der Sicherheiten in einem angemessenen Verhältnis stehen und die vertraglich vereinbarte Sicherheitenbestellung mit der Kreditauszahlung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang, nur durch die übliche Bearbeitungszeit voneinander getrennt, steht5.

IV. Verwertung von Kreditsicherheiten 5.364 Mit Stellung des Insolvenzantrags stellt sich für den gesicherten Kreditgeber immer auch die Frage, ob und durch wen Sicherheiten verwertet werden können, die von der insolventen GmbH für bestehende Kredite bestellt worden sind6. In der Praxis konzentriert sich dies häufig auf die Verwertung von zur Sicherung abgetretenen Forderungen im Insolvenzeröffnungsverfahren, da der Einzug der abgetretenen Forderungen schnell und unkompliziert erfolgen kann. Entsprechend hat der gesicherte Kreditgeber ein großes Interesse daran, durch schnellen Forderungseinzug möglichst umgehend den gesicherten Kredit zurückzuführen, während umgekehrt der vorläufige Insolvenzverwalter daran interessiert ist, durch eigene Verwertung oder durch Inkasso im laufenden Geschäftsbetrieb die Liquidität für die Fortführung des Unternehmens im vorläufigen Insolvenzverfahren zu nut1 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, NZI 2014, 321 Rz. 11 = GmbHR 2014, 417; BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, WM 2005, 240; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 41 f.; Kreft in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 32 f. 2 BGH v. 30.9.2010 – IX ZR 177/07, ZInsO 2010, 2133. 3 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, NZI 2014, 321 Rz. 11 = GmbHR 2014, 417. 4 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, NZI 2014, 321 Rz. 11 = GmbHR 2014, 417; BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, WM 2006, 537; BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, WM 2005, 240. 5 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, WM 2002, 1888; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, § 142 InsO Rz. 13c. 6 Dazu auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.1000 ff.; Ganter, NZI 2007, 549; Kuder, ZIP 2007, 1690.

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Verwertung von Kreditsicherheiten

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zen. Ähnliches gilt aber auch für die Verwertung von beweglichen Sachen im Umlaufvermögen, also vor allem für die Vorräte. Mit der Frage nach einer möglichst schnellen Verwertung zur Schaffung von Liquidität ist der Wunsch des vorläufigen Insolvenzverwalters verbunden, bereits für die Verwertungen im vorläufigen Insolvenzverfahren die Kostenbeiträge gemäß §§ 170, 171 InsO für die Masse zu vereinnahmen. 1. Verwertung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter a) Befugnis zur Verwertung Grundsätzlich besteht im Eröffnungsverfahren für den starken vorläufigen Insol- 5.365 venzverwalter bzw. für den Schuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters eine Befugnis zur „Sicherheitenverwertung“ nur bei der Unternehmensfortführung im Rahmen des Geschäftsverkehrs, und nur soweit dies nicht gegen die Regelungen des Sicherungsvertrages verstößt1. Für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis wegen Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots für den Schuldner übergegangen ist, ergibt sich dies aus § 22 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 InsO, wonach er das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten hat und dabei insbesondere das schuldnerische Unternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortführen soll. Diese Verwaltungsbefugnis berechtigt den starken vorläufigen Insolvenzverwalter zur „Verwertung“ von Sicherheiten insoweit, wie dies bei der Unternehmensfortführung im Rahmen des Geschäftsverkehrs erfolgt und nicht gegen die Regelungen des Sicherungsvertrages verstößt. Dabei erlischt die üblicherweise in Sicherungsübereignungs- und Sicherungszessionsverträgen für den Schuldner vorgesehene Verfügungs- bzw. Einziehungsbefugnis ohne ausdrücklichen Widerruf durch den Sicherungsnehmer weder mit dem Eintritt der finanziellen Krise noch mit dem Insolvenzantrag oder mit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Insolvenzeröffnungsverfahren2. Deshalb ist der starke vorläufige Insolvenzverwalter insbesondere berechtigt, bis zu einem ausdrücklichen Widerruf der Verfügungs- bzw. Einziehungsbefugnis weiterhin im laufenden Geschäft sicherungsübereignete Sachen des Umlaufvermögens zu veräußern und als Sicherheit abgetretene Forderungen einzuziehen. Entsprechendes gilt bei Einsetzung eines schwachen Insolvenzverwalters ohne Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots für Veräußerungen sicherungsübereigneter Waren und den Einzug von Forderungen durch den Schuldner bzw. – bei Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO – durch den Schuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters. Kreditinstitute werden in der Regel nicht bereit sein, auf den Widerruf der Einzie- 5.366 hungsbefugnis zedierter Forderungen und der Verarbeitungs- und Veräußerungs1 Dazu auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.1006 ff. (Verwertung von Sicherungsübereignungen), Rz. 6.1060 ff. (Verwertung von Sicherungsabtretungen). 2 BGH v. 6.4.2000 – IX ZR 422/98, NZI 2000, 306; OLG Frankfurt v. 6.12.2006 – 23 U 149/05, WM 2007, 1178; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.1001; Kirchhof, ZInsO 1999, 436.

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

befugnis zu verzichten. Denn mit einem solchen Verzicht würde infolge der Rechtsprechung des BGH1 der Sicherheitenbestand verringert werden. Denkbar ist aber, dass das Kreditinstitut mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter eine Vereinbarung schließt, mit der das Kreditinstitut die Einzugsermächtigung und die Veräußerungsbefugnis aufrechterhält bzw. wieder einräumt und der vorläufige Insolvenzverwalter im Gegenzug neu entstandene Forderungen sicherungshalber abtritt bzw. neu eingebrachte Sachen sicherungshalber übereignet. Diese Art von Vereinbarungen wird als „unechter Massekredit“ bezeichnet2. Das Kreditinstitut stellt keinen neuen Kreditbetrag zur Verfügung, sondern belässt dem Schuldner liquiditätswirksam das ihm als Sicherheit zustehende Umlaufvermögen zur Fortführung des Geschäftsbetriebs. Die Bestellung der neuen Sicherheiten durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsverbot ist regelmäßig eine unanfechtbare Masseverbindlichkeit3. 5.367 Wird die Vereinbarung mit Zustimmung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters geschlossen, gilt Folgendes: Ein Insolvenzverwalter kann zwar grundsätzlich Rechtshandlungen des Schuldners anfechten, denen er selbst im Eröffnungsverfahren zugestimmt hat4, jedoch schafft der vorläufige Insolvenzverwalter mit seiner Zustimmung zur Bestellung der Sicherheiten einen Vertrauenstatbestand, den er später als endgültiger Insolvenzverwalter nicht mehr zerstören kann. Das Kreditinstitut gibt im Vertrauen auf die Zusage des vorläufigen Insolvenzverwalters Sicherheiten auf und lässt den Schuldner über die Erlöse aus diesen Altsicherheiten verfügen. Im Gegenzug erhält das Kreditinstitut neue Sicherheiten, so dass sich letztlich der Sicherheitenbestand nicht ändert und die Position des Kreditinstituts sich nicht verbessert. Eine Anfechtung der Vereinbarung neuer Sicherheiten im Zusammenhang mit einem unechten Massekredit durch den Insolvenzverwalter ist daher ausgeschlossen, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt seine Zustimmung zu dem Vertrag erklärt hatte. Höchstrichterlich entschieden ist dieser Sachverhalt bislang allerdings nicht5. Will das Kreditinstitut nicht darauf vertrauen, dass die Rechtsprechung im Ernstfall der hier vertretenen Auffassung folgt, muss es darauf bestehen, dass der vorläufige Verwalter eine Einzelermächtigung vom Insolvenzgericht zum Abschluss des unechten Massekredits, einschließlich der Bestellung der neuen Sicherheiten, erhält: Auch ohne die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots kann das Insolvenzgericht nämlich den vorläufigen Insolvenzverwalter ermächtigen, einzelne, im Voraus festgelegte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Insolvenzmasse einzugehen, so dass der vorläufige Insolvenzverwal1 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, WM 2008, 204. 2 Mustervertrag für einen unechten Massekredit bei Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.372c. 3 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, ZInsO 2014, 598 = GmbHR 2014, 417; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.367. 4 BGH v. 30.9.2010 – IX ZR 177/07, ZInsO 2010, 2133. 5 Der BGH hat allerdings entschieden, dass ein schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter, der nach der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen Verträgen des Schuldners vorbehaltlos zustimmt, in denen im Zusammenhang mit noch zu erbringenden Leistungen des Vertragspartners Erfüllungszusagen für Altverbindlichkeiten gegeben werden, den Vertrauenstatbestand, den er dadurch begründet, nicht später als endgültiger Verwalter zerstören kann, BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 184/04, ZInsO 2005, 88; BGH v. 15.12. 2005 – IX ZR 156/04, ZInsO 2006, 208.

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Verwertung von Kreditsicherheiten

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ter für diese Geschäfte dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsverbot gleichgestellt ist1. Eine darüber hinausgehende, echte Verwertungsbefugnis im Insolvenzeröff- 5.368 nungsverfahren steht dem starken vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. dem Schuldner zusammen mit dem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter dagegen nicht zu2. Denn im Verhältnis zu Dritten, also auch zum gesicherten Gläubiger, sind selbst dem starken vorläufigen Verwalter keine weiter gehenden Rechte eingeräumt als dem Schuldner selbst, und die Einschränkungen der §§ 166 ff. InsO für die Rechte des Absonderungsberechtigten gelten erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens3. Deshalb dürfen durch den vorläufigen Insolvenzverwalter und den Schuldner im Insolvenzeröffnungsverfahren keine Verwertungshandlungen erfolgen, die über die normale Geschäftstätigkeit bei Fortführung des schuldnerischen Unternehmens hinausgehen; und selbst die Veräußerung bzw. der Forderungseinzug im Rahmen der Unternehmensfortführung wird unzulässig, wenn der gesicherte Gläubiger auf Grund der vertraglichen Regelungen berechtigterweise die Veräußerungsbefugnis oder die Einziehungsbefugnis widerrufen hat. Unabhängig von den vertraglichen Regelungen kann das Insolvenzgericht gemäß 5.369 § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO anordnen, dass Gegenstände, die im Falle der Eröffnung des Verfahrens von § 166 InsO erfasst würden, nicht vom Gläubiger verwertet werden dürfen, sondern dem vorläufigen Insolvenzverwalter eine Verwertungsbefugnis eingeräumt wird4, und zwar sowohl beim starken wie beim schwachen vorläufigen Verwalter5. Dabei hat das Gericht zu beachten, dass es diesen Verwertungsstopp nicht pauschal anordnen darf, sondern nur für solche Vermögenswerte, bei denen nach seiner Überzeugung die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen6. Es muss weiterhin beachten, dass die Verwertungserlöse nicht zur Fortführung des Betriebs eingesetzt werden dürfen7. Im Rahmen dieser Befugnis ist der vorläufige Insolvenzverwalter berechtigt zur Nutzung von Gegenständen, die einem Gläubiger sicherungsübereignet sind, und zur Einziehung von Forderungen, die an einen Gläubiger als Sicherheit abgetreten sind. Der Nutzen dieser Maßnahme für die Insolvenzmasse ist insoweit deutlich eingeschränkt, als sie nur soweit reicht, wie die Sache als solche erhalten bleibt und nicht im Rahmen der Verwendung verbraucht wird. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat den Verwertungserlös nach Abzug der Kostenbeiträge grundsätzlich unverzüglich aus1 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, ZInsO 2014, 598 = GmbHR 2014, 417; BGH v. 18.7. 2002 – IX ZR 195/01, ZInsO 2002, 819; Ganter, NZI 2012, 433; Laroche, NZI 2010, 965; Schmidt, ZInsO 2006, 177. 2 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 2/06, WM 2007, 895; BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 57/05, WM 2006, 1636; BGH v. 15.5.2003 – IX ZR 218/02, WM 2003, 1367; BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1630; Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, vor § 166 InsO Rz. 33. 3 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 7. Aufl. 2014, § 22 InsO Rz. 45. 4 Dazu Kuder, ZIP 2007, 1690; Kirchhof, ZInsO 2007, 227; Ganter, NZI 2007, 549; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.1082 ff. 5 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 96; Ganter NZI 2007, 549; Begr. RegE Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, BT-Drucks. 16/3227, S. 16. 6 BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZInsO 2010, 136. 7 BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, ZIP 2012, 737.

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

zukehren (§§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 3, 170 Abs. 1 Satz 2 InsO)1. Er darf jedoch in Fällen, in denen es zweifelhaft ist, ob und in welchem Umfang Ausoder Absonderungsrechte des Gläubigers bestehen, dem (endgültigen) Insolvenzverwalter diese Klärung überlassen2. Keinesfalls darf der vorläufige Insolvenzverwalter den Verwertungserlös zur Finanzierung des Insolvenzeröffnungsverfahrens einsetzen, sofern er nicht mit dem Sicherungsgläubiger zuvor eine entsprechende Vereinbarung geschlossen hat3. Der vorläufige Insolvenzverwalter haftet dem Gläubiger auf Schadensersatz gemäß § 60 InsO, wenn er den Auszahlungsanspruch des Gläubigers nicht erfüllen kann, weil er die Erlöse nicht separiert und für den Geschäftsbetrieb verbraucht hat4. 5.370 Ordnet das Gericht einen Verwertungs- und Einziehungsstopp an, hat der vorläufige Insolvenzverwalter einen wirtschaftlichen Ausgleich an den betroffenen Gläubiger zu leisten. Der Kreditgeber kann zum einen nach § 169 Satz 2 und 3 InsO bei Absonderungsgütern die Zahlung der im ungestörten Vertragsverhältnis vertraglich geschuldeten Zinsen verlangen, jedoch erst ab drei Monaten nach gerichtlicher Anordnung der Nutzungsbefugnis und nur insoweit, wie die Kreditsicherheit als werthaltig anzusehen ist5. Daneben hat der vorläufige Verwalter ggf. Wertersatz für einen etwaigen Wertverlust zu leisten, der durch die Benutzung der sicherungsübereigneten Sache eintritt. Dieser Anspruch auf Ausgleichszahlungen entsteht auf Grund besonderer Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO und ist daher eine Masseforderung im Rang des § 55 InsO6. 5.371 Eine Verwertungsbefugnis des vorläufigen Insolvenzverwalters (ggf. gemeinsam mit dem Schuldner) kann allenfalls in eng begrenzten Ausnahmefällen bestehen, wenn bei weiterem Zuwarten mit der Verwertung bis zur Verfahrenseröffnung Gefahr im Verzuge ist7. Darüber hinaus, also auch ohne Gefahr im Verzuge, ist selbstverständlich der vorläufige Insolvenzverwalter dann zur Verwertung schon im Insolvenzeröffnungsverfahren berechtigt, wenn er darüber mit dem gesicherten Gläubiger Einigkeit erzielt. b) Kostenbeiträge 5.372 Des Weiteren stellt sich die Frage, ob der vorläufige Insolvenzverwalter Kostenbeiträge für die Insolvenzmasse geltend machen kann. Gemäß §§ 170, 171 InsO erhält der Insolvenzverwalter bei der Verwertung von beweglichen Sachen oder Forderungen, an denen Sicherungsrechte bestehen, Kostenbeiträge für die Insol1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.1088. 2 BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739. 3 BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, ZIP 2012, 737; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.1088 f.; Begr. RegE Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, BT-Drucks. 16/3227, S. 16; a.A. Ganter, NZI 2010, 551 für den Erlös aus Globalzessionen. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.1088. 5 BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, ZInsO 2006, 433. Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Begrenzung s. BVerfG v. 22.3.2012 – 1 BvR 3169/11, ZIP 2012, 1252; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 33. 6 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 101. 7 Brinkmann in Uhlenbruck, § 166 InsO Rz. 20; Uhlenbruck in Kölner Schrift zur InsO, S. 325, 352 f.

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Kuder/Unverdorben

Verwertung von Kreditsicherheiten

5.374

venzmasse (s. zu den Einzelheiten bei Rz. 7.577 f.; 7.600 ff.; 7.613). Voraussetzung für einen solchen Verwertungskostenbeitrag ist aber, wie die systematische Stellung der Regelungen zeigt, grundsätzlich die berechtigte Verwertung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Deshalb kann der vorläufige Insolvenzverwalter bei Veräußerung oder sonstiger Verwertung von Sicherungsgut grundsätzlich keinen Verwertungskostenbeitrag verlangen1. Eine Ausnahme sieht zum einen die gesetzlichen Regelung des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 InsO vor. Danach stehen die Kostenbeiträge nach §§ 170, 171 InsO, d.h. 4 % Feststellungskosten und, sofern nicht im Einzelfall tatsächlich erheblich höher oder niedriger, pauschal 5 % Verwertungskosten, der Masse zu, wenn das Insolvenzgericht dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Einziehungsbefugnis für sicherungszedierte Forderungen übertragen hat2. Zum anderen wird man der Insolvenzmasse in analoger Anwendung von §§ 170, 171 InsO den Kostenbeitrag wie bei Verwertung im eröffneten Insolvenzverfahren dann zugestehen müssen, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter ausnahmsweise wegen Gefahr im Verzug zu Verwertungen zur Sicherung des Schuldnervermögens berechtigt war3. Dagegen scheidet ein Verwertungskostenbeitrag bei zulässiger Veräußerung bzw. zulässigem Forderungseinzug im Rahmen der laufenden Geschäfte aus, da es sich nicht um eine Verwertung im Rechtssinne handelt. Gleiches gilt bei einer Liquidation im Einvernehmen mit dem gesicherten Gläubiger, wobei natürlich der vorläufige Insolvenzverwalter darin frei ist, mit dem Sicherungsnehmer eine einvernehmliche Regelung zum Ausgleich der Verwertungskosten zu Gunsten Insolvenzmasse zu treffen. Verwertet der vorläufige Insolvenzverwalter schließlich unberechtigt und unter Verletzung der Rechte des absonderungsberechtigten Sicherungsnehmers, kann daraus zu Gunsten der Insolvenzmasse erst recht kein Anspruch auf Kostenausgleich entstehen4. c) Rechtsfolgen unzulässiger Verwertung Hinsichtlich der Rechtsfolgen einer unzulässigen Verwertung durch den vorläu- 5.373 figen Insolvenzverwalter muss zwischen dem Außenverhältnis gegenüber Erwerbern des Sicherungsgutes bzw. den Drittschuldnern bei Sicherungszession und dem Innenverhältnis gegenüber den Verfahrensbeteiligten unterschieden werden. Im Außenverhältnis ist die Wirksamkeit der vorgenommenen Verwertungshand- 5.374 lungen, also der Veräußerung beweglicher Sachen oder des Einzugs von Forderungen, nach den allgemeinen Regelungen des Zivilrechts zu beurteilen. Dabei ist die unzulässige Veräußerung von sicherungsübereigneten Sachen grundsätzlich unwirksam, da mangels Eigentum dem Schuldner und damit selbst dem starken vorläufigen Insolvenzverwalter die Verfügungsbefugnis fehlt. Der Absonderungsberechtigte kann die Verfügung gemäß § 185 BGB genehmigen mit der Folge, dass 1 BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 57/05, WM 2006, 1636. 2 S. dazu Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 103; Begr. RegE Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, BT-Drucks. 16/3227, S. 16. 3 A.A. Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 170 InsO Rz. 15; offen gelassen durch BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 57/05, WM 2006, 1636. 4 BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 57/05, WM 2006, 1636; Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 170 InsO Rz. 15; Obermüller, DZWIR 2000, 10, 13.

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5.375

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

ihm der Erlös nach § 816 Abs. 1 BGB zusteht1. Auch kann der Käufer nach den Regeln der §§ 932 ff. BGB gutgläubig Eigentum erwerben. Entsprechend wird vor Offenlegung der Forderungsabtretung der gute Glaube des Drittschuldners gemäß § 407 Abs. 1 BGB geschützt, so dass selbst ein unberechtigter Einzug zedierter Forderungen durch den vorläufigen Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren gegenüber dem gesicherten Kreditgeber schuldbefreiende Wirkung hat2. Nach Offenlegung kann der Drittschuldner im Eröffnungsverfahren schuldbefreiend aber nur noch an den Sicherungsnehmer leisten. 5.375 Im Innenverhältnis zu den Verfahrensbeteiligten setzt sich der vorläufige Insolvenzverwalter mit einer unzulässigen Verwertung der Haftung nach § 60 InsO wegen Verletzung seiner insolvenzspezifischen Pflichten aus. Gegenüber dem gesicherten Gläubiger kommt aber diese Haftung nur dann in Betracht, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter einen zu geringen Verwertungserlös erzielt, da das schützenswerte Interesse des gesicherten Gläubigers im Insolvenzverfahren auf den optimalen Verwertungserlös begrenzt ist. Dessen ungeachtet hat aber der gesicherte Gläubiger die Möglichkeit, dem vorläufigen Insolvenzverwalter im Wege der einstweiligen Verfügung die Verwertung, soweit sie nach den obigen Ausführungen unberechtigt wäre, untersagen zu lassen3. Außerdem muss der Insolvenzverwalter die Verwertungserlöse herausgeben, und zwar auch dann, wenn es nicht zur Verfahrenseröffnung kommt4. 2. Verwertung durch den gesicherten Gläubiger 5.376 Der gesicherte Gläubiger verliert weder durch den Insolvenzantrag noch durch die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters die ihm grundsätzlich zustehende Verwertungsbefugnis5. Insbesondere wäre der Gläubiger entsprechend den regelmäßig getroffenen vertraglichen Abreden berechtigt, wegen des mit dem Insolvenzantrag manifestierten Vermögensverfalls des Schuldners bei einer Sicherungsübereignung die Veräußerungsbefugnis des Sicherungsgebers zu widerrufen, Herausgabe des Sicherungsgutes zu verlangen und nach Besitzergreifung das Sicherungsgut zu veräußern. Allerdings wird dies in der Praxis regelmäßig schon daran scheitern, dass weder der Schuldner noch der vorläufige Insolvenzverwalter zu einer Herausgabe im Eröffnungsverfahren bereit sein werden und dass die Zeit bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens für eine gerichtliche Durchsetzung des Herausgabeanspruches nicht ausreicht. Auch bei der Sicherungsabtretung darf der gesicherte Kreditgeber gemäß den üblicherweise getroffenen Regelungen des Sicherungsvertrages bei Insolvenzantrag unter Offenlegung der Zession mit der Einziehung der Forderung beim Drittschuldner beginnen. 5.377 Der Gläubiger darf ihm sicherungsübereignete Sachen und ihm sicherungszedierte Forderungen nicht selbst verwerten, wenn das Insolvenzgericht als Siche1 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 2/06, WM 2007, 895; Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 170 InsO Rz. 18. 2 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 2/06, WM 2007, 895. 3 OLG Köln v. 29.12.1999 – 11 W 81/99, NZI 2000, 267. 4 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 2/06, WM 2007, 895. 5 BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, WM 2010, 662 Rz. 20; BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, WM 2004, 39; BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, WM 2003, 694.

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Verwertung von Kreditsicherheiten

5.380

rungsmaßnahme einen Verwertungs- und Einziehungsstopp gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO angeordnet hat (s. hierzu ausführlich oben Rz. 5.369). Hat der Gläubiger bereits vor Ergehen der gerichtlichen Anordnung unmittelbaren Besitz erlangt, darf er verwerten1. Nimmt der gesicherte Gläubiger vor dem oder im Insolvenzeröffnungsverfahren 5.378 sicherungsübereignete Sachen zur Verwertung in Besitz oder zieht sicherungszedierte Forderungen ein und verhindert er damit den Übergang des Verwertungsrechts auf den Insolvenzverwalter bei Verfahrenseröffnung oder den Verwertungsstopp nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO, so kann die Inbesitznahme bzw. die Einziehung nicht angefochten werden mit der Begründung, der Masse seien dadurch die Kostenbeiträge für die Verwertung nach §§ 170, 171 InsO entgangen2. Eine Anfechtung ist jedenfalls deshalb ausgeschlossen, weil der Umstand, dass der Masse der Anspruch auf die Verwertungskostenbeiträge entgeht, keine Gläubigerbenachteiligung i.S. des § 129 InsO darstellt. Denn diese Kostenbeiträge erstatten lediglich Kosten der Masse bei tatsächlicher Verwertung durch den Insolvenzverwalter. Daran ändert auch das vom Gesetzgeber gewählte Pauschalsystem nichts. Dessen Anwendung kann im Einzelfall ebenso zu einer Vermehrung wie zu einer Schmälerung der Masse führen. Dies ist jedoch systembedingt, so dass daraus keine Gläubigerbenachteiligung hergeleitet werden kann3. 5.379–5.380

vacat

1 Ganter, NZI 2007, 549, 551. 2 BGH v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, WM 2007, 1129; BGH v. 23.9.2004 – IX ZR 25/03, WM 2005, 126; BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, WM 2004, 39. Dazu auch Notthoff, DZWIR 2004, 207. 3 BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, WM 2004, 39.

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5.381

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

E. Vorfinanzierung von Insolvenzgeld I. Grundstrukturen der Insolvenzgeldvorfinanzierung 5.381 Der nach dem Insolvenzantrag regelmäßig eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter muss gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO das Unternehmen der insolventen GmbH fortführen, bis das Insolvenzgericht über die Verfahrenseröffnung entscheidet1. Dabei ist die Finanzierung der offenen und noch anfallenden Personalkosten von immenser Bedeutung. Denn nach dem Insolvenzantrag wird häufig allein die sofortige Zahlung der Löhne und Gehälter die Arbeitnehmer noch dazu motivieren können, in dem insolventen Unternehmen tätig zu bleiben, damit den Betrieb am Leben zu erhalten und so evtl. die Möglichkeit zu schaffen, die GmbH insgesamt zu sanieren oder zumindest Teile des Unternehmens im Wege der übertragenden Sanierung zu veräußern2. 5.382 Um die Lohnausfälle der Arbeitnehmer als Folge der Insolvenz des Arbeitgebers zu begrenzen, hat der Gesetzgeber bereits 1974 das Konkursausfallgeld geschaffen3, das heute in Form des Insolvenzgeldes im SGB III normiert ist4. Bei dem Insolvenzgeld handelt es sich letztlich um eine Sozialversicherung, die von den Arbeitgebern allein finanziert und von der Bundesagentur für Arbeit verwaltet wird (§§ 358, 360 SGB III)5. Allerdings entsteht der Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung des Insolvenzgelds nicht bereits mit der Stellung des Insolvenzantrags, sondern erst mit Eintritt eines „Insolvenzereignisses“ (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 – 3 SGB III)6. Deshalb hilft im Eröffnungsverfahren das Insolvenzgeld nicht unmittelbar. Um dieses Instrument gleichwohl zur Finanzierung der Personalkosten im Eröffnungsverfahren zu nutzen, arrangieren die vorläufigen Insolvenzverwalter in nahezu jeder Unternehmensinsolvenz im Eröffnungsverfahren die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld7 durch ein Kreditinstitut. 5.383 Damit wird dem insolventen Unternehmen in der Zeit zwischen dem Insolvenzantrag und der Eröffnung des Verfahrens zusätzliche Liquidität zugeführt. Diese Finanzierungsform hat dazu beigetragen, die Fortführung des Unternehmens im 1 Ausführlich zu den Gründen für diese Regelung der Insolvenzordnung, die in §§ 157, 158 InsO weiter gehend auch als Regel die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs bis zum Berichtstermin vorsieht, und zu dem daraus resultierenden Finanzierungsbedarf in der Insolvenz Wittig, DB 1999, 197 ff. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.401; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 236; Fahlbusch, ZInsO 2015, 837; Cranshaw, ZInsO 2013, 1493; Wiester, BB 1997, 949. 3 Gesetz über Konkursausfallgeld (Drittes Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes) vom 17.7.1974, BGBl. I 1974, 1481 ff.; §§ 141a ff. AFG. 4 4. Kapitel des SGB III (§§ 136–175) neu gefasst mit Wirkung vom 1.4.2012 durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12. 2011 (BGBl. I 2011, 2854). 5 Cranshaw, ZInsO 2013, 1493; Klüter, WM 2010, 1483. 6 Zu den Insolvenzereignissen im Einzelnen s. Rz. 5.384. 7 Dazu auch Sammelweisungen Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit (InsG-DA), Stand: Mai 2013, veröffentlicht auf den Web-Seiten der Bundesagentur für Arbeit, http://www.arbeitsagentur.de; Vuia in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 14 Rz. 96 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.400 ff.; Fahlbusch, ZInsO 2015, 837; Cranshaw, ZInsO 2013, 1493.

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Kuder/Unverdorben

Vorfinanzierung von Insolvenzgeld

5.385

Insolvenzverfahren gleichwertig neben die Zerschlagung treten zu lassen1. Bei der Vorfinanzierung von Insolvenzgeld zahlt nach dem Insolvenzantrag ein finanzierungsbereites Kreditinstitut den Arbeitnehmern des insolventen Unternehmens Beträge in Höhe ihrer rückständigen und fälligen Nettolöhne aus, und im Gegenzug erwirbt das Kreditinstitut von den Arbeitnehmern deren Lohn- und Gehaltsansprüche gegen den insolventen Arbeitgeber. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird das Kreditinstitut als Zessionar des Arbeitsentgelts Inhaber der Insolvenzgeldansprüche und macht diese an Stelle der Arbeitnehmer geltend. Im Ergebnis kann in dieser Weise der vorläufige Verwalter in der Zeit zwischen dem Insolvenzantrag und der Verfahrenseröffnung die Finanzierung der Personalkosten – und damit die Unternehmensfortführung – zumindest für drei Monate sichern, während das finanzierende Kreditinstitut – bei sachgemäßer Abwicklung – kein Kreditrisiko läuft, da nach der Verfahrenseröffnung die Insolvenzgeldansprüche gegen die (zahlungskräftige) Bundesagentur für Arbeit auf das Kreditinstitut übergehen2. Im Einzelnen stellt sich dies wie folgt dar.

II. Der Anspruch auf Insolvenzgeld Voraussetzung für die Zahlung von Insolvenzgeld an die Arbeitnehmer ist der Ein- 5.384 tritt eines Insolvenzereignisses beim Arbeitgeber. Ein solches Insolvenzereignis ist gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB III die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Nr. 1), die Ablehnung der Eröffnung des Verfahrens mangels Masse (Nr. 2) oder die vollständige Einstellung des Betriebs ohne Insolvenzantrag im Inland, sofern die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr. 3). Der Anspruch auf Insolvenzgeld steht den Arbeitnehmern und nach § 165 Abs. 4 5.385 SGB III ihren Erben zu. Arbeitnehmer sind nach den allgemeinen Grundsätzen des Arbeitsvertragsrechts alle Personen, die auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages gegenüber einem Dritten (Arbeitgeber) zur Leistung von Diensten in persönlich abhängiger Stellung gegen Entgelt verpflichtet sind3. Zu diesen Personen kann nach den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalles und dem Inhalt seines Anstellungsvertrages auch der Geschäftsführer der GmbH zu rechnen sein. Das gleiche gilt für einen Gesellschafter-Geschäftsführer oder einen mitarbeitenden Gesellschafter. Voraussetzung bei diesen Personen ist, dass sie bei der Gesellschaft abhängig beschäftigt sind. Dies ist dann der Fall, wenn der Gesellschafter funktionsgerecht dienend am Arbeitsprozess der GmbH teilhat, für die Beschäftigung ein entsprechendes Arbeitsentgelt erhält und keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft, insbesondere kraft seines Anteils am Stammkapital, hat. Nicht als Arbeitnehmer ist dagegen ein Gesellschafter-Geschäftsfüh1 Wiester, BB 1997, 949, 950; Steinwedel, DB 1998, 822, 823. 2 Wiester, BB 1997, 949, 950, bezeichnet diesen Anspruchsübergang nicht unzutreffend als „Zwangsbürgschaft“. 3 Zum Begriff der Arbeitnehmer ausführlich InsG-DA, Stand: Mai 2013, veröffentlicht unter http://www.arbeitsagentur.de, zu § 165 SGB III, Rz. 2.2; mit Nachweisen der Rechtsprechung Kühl in Brand, 6. Aufl. 2012, § 165 SGB III Rz. 13 ff.; Ries/Zobel in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 111 ff.

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5.386

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

rer anzusehen, der als (Mehrheits-)Gesellschafter einen maßgeblichen Einfluss auf die GmbH geltend machen kann1. Die Entscheidung, ob eine Beschäftigung vorliegt, trifft für alle ab dem 1.1.2005 aufgenommenen Beschäftigungen die Deutsche Rentenversicherung Bund (§ 7a SGB IV), an deren Feststellung die Bundesagentur für Arbeit insoweit gebunden ist (§ 336 SGB III)2. 5.386 Insolvenzgeld wird gezahlt, soweit die Arbeitnehmer bei Eintritt des Insolvenzereignisses offen stehende Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis (§ 165 Abs. 2 Satz 1 SGB III)3. Der Umfang der Insolvenzgeldzahlung ist dabei zum einen zeitlich begrenzt. 5.387 Gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III wird Insolvenzgeld nur für die Ansprüche auf Arbeitsentgelt gezahlt, die in den dem Insolvenzereignis, regelmäßig also der Verfahrenseröffnung, vorausgehenden letzten drei Monaten erarbeitet wurden4. Für den in Unkenntnis des Insolvenzereignisses weiterarbeitenden Arbeitnehmer erfolgt die Zahlung gemäß § 165 Abs. 3 SGB III für den dreimonatigen Zeitraum vor Kenntnisnahme vom Insolvenzereignis. 5.388 Zum anderen ist das Insolvenzgeld gemäß § 167 Abs. 1 SGB III der Höhe nach begrenzt: Berücksichtigt wird lediglich das Nettoarbeitsentgelt, das sich ergibt, wenn das auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung begrenzte Bruttoarbeitsentgelt um die gesetzlichen Abzüge vermindert wird5. 5.389 Die Zahlung des Insolvenzgeldes erfolgt auf Antrag des Berechtigten. Der Antrag ist binnen zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis oder dem Wegfall des Hinderungsgrundes bei einer unverschuldeten Fristversäumnis zu stellen (§ 324 Abs. 3 SGB III). In der Regel kann daher der Antrag erst nach der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag gestellt werden. 5.390 Auch in Eigenverwaltungsverfahren ist die Zahlung von Insolvenzgeld möglich, sofern es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens – und damit zum Eintritt eines Insolvenzereignisses – kommt. Dies ist insbesondere im Schutzschirmverfahren 1 InsG-DA, Stand: Mai 2013, veröffentlicht unter http://www.arbeitsagentur.de, zu § 165 SGB III, Rz. 2.2 Abs. (8); BSG v. 24.9.1992 – 7 RAr 12/92, ZIP 1993, 54 = GmbHR 1993, 355; BAG v. 13.5.1992 – 5 AZR 344/91, ZIP 1992, 1496 = GmbHR 1993, 35; Kühl in Brand, 6. Aufl. 2012, § 165 SGB III Rz. 14; Ries/Zobel in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 117. 2 InsG-DA, Stand: Mai 2013, veröffentlicht unter http://www.arbeitsagentur.de, zu § 165 SGB III, Rz. 2.2 Abs. (8). 3 Ausführlich dazu und mit Nachweisen der Rechtsprechung Kühl in Brand, 6. Aufl. 2012, § 165 SGB III Rz. 46 ff.; Ries/Zobel in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 121 ff. 4 Vgl. BSG v. 2.11.2000 – B 11 AL 87/99 R, ZInsO 2002, 94; BSG v. 21.7.2005 – B 11a/11 AL 53/04 R, ZIP 2005, 1933; Ries/Zobel in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 107 ff.; Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1496. 5 Bis zum 1.1.2004 und der Änderung von § 185 SGB III (jetzt: § 167 SGB III) durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl. I 2003, 2848, war eine Höchstgrenze für die so zu bestimmenden Leistungen an den anspruchsberechtigten Arbeitnehmer nicht vorgesehen, d.h. der Nettolohn wurde in voller Höhe auch für „Besserverdiener“ bezahlt. Zu dieser Änderung auch BSG v. 5.12. 2006 – B 11a AL 19/05 R, ZIP 2007, 929; Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1496.

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Kuder/Unverdorben

Vorfinanzierung von Insolvenzgeld

5.393

gemäß § 270b InsO nicht selbstverständlich, da eine Voraussetzung des Schutzschirmverfahrens ist, dass noch keine Zahlungsunfähigkeit bei dem Unternehmen eingetreten ist. Das Insolvenzgeld soll jedoch grundsätzlich den Zahlungsausfall als Folge der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitsgebers kompensieren1. Weil es aber angesichts der gestiegenen Anzahl der Insolvenzverfahren und 5.391 Schwierigkeiten bei der Feststellung der Vermögenslage des Arbeitgebers vielfach zu Verzögerungen dieser Entscheidung über die Verfahrenseröffnung kommt, kann unter den Voraussetzungen des § 168 SGB III bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren vom Arbeitsamt ein Vorschuss auf das Insolvenzgeld gezahlt werden2. Eine der Voraussetzungen für die Vorschusszahlung ist jedoch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Deshalb können evtl. Vorschusszahlungen im Eröffnungsverfahren nicht zur Finanzierung der Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern und damit der Unternehmensfortführung dienen3.

III. Zum Rang der auf die Bundesagentur für Arbeit übergehenden Lohn- und Gehaltsansprüche Mit dem Antrag auf Insolvenzgeld gehen die Ansprüche des Arbeitnehmers gegen 5.392 den Arbeitgeber auf Arbeitsentgelt auf die Bundesagentur für Arbeit über (§ 169 Satz 1 SGB III). Gemäß § 55 Abs. 3 InsO können die gemäß § 55 Abs. 2 InsO als Masseverbindlichkeiten begründeten Ansprüche von Arbeitnehmern, soweit sie nach § 169 SGB III auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen sind, von dieser nur als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden4, und zwar selbst dann, wenn die Arbeitnehmer von einem starken Insolvenzverwalter mit Verfügungsmacht im Eröffnungsverfahren weiter beschäftigt worden sind, so dass den Ansprüchen eigentlich der Rang als Masseforderungen gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO zukäme. Dies soll verhindern, dass bei Einsetzung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters die auf die Bundesagentur für Arbeit übergehenden Entgeltansprüche als Masseverbindlichkeiten die Masse aufzehren, was zur Einstellung der Insolvenzverfahren wegen Masseunzulänglichkeit und zum Scheitern der Sanierung führen und die Rettung von Arbeitsplätzen verhindern würde5. Das Gleiche gilt, wenn die Arbeitnehmer in einem Schutzschirmverfahren gemäß 5.393 § 270b InsO weiter beschäftigt worden sind: Sofern der Schuldner gemäß § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO vom Gericht zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt worden ist, stehen den Arbeitnehmern selbst die Lohnansprüche als Masseforderungen gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO zu; die auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Lohnansprüche erhalten aber lediglich den Rang von Insolvenzforderungen (§ 55 Abs. 3 InsO). 1 Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1494. 2 Zu den Motiven des Gesetzgebers für diese Regelung s. Bericht des Ausschusses für Arbeits- und Sozialordnung zum Regierungsentwurf des AFRG, BT-Drucks. 13/5936, S. 29. S. zur Vorschusszahlung auch InsG-DA, Stand: Mai 2013, veröffentlicht unter http://www.arbeitsagentur.de, zu § 168 SGB III; Ries/Zobel in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 201 ff. 3 Wiester, ZInsO 1998, 99, 102. 4 Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 236; Graf-Schlicker/Remmert, NZI 2001, 569, 570 f. 5 Begr. RegE, BR-Drucks. 14/01 v. 5.1.2001, Allgemeine Begründung, Nr. 8b, S. 32 f.

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5.394

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

IV. Die Rahmenbedingungen für die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld 1. Erwerb des Anspruchs auf Insolvenzgeld 5.394 Gemäß §§ 170, 171 SGB III ist eine Verfügung über den – isolierten – Anspruch auf Insolvenzgeld nicht möglich, bis der Antrag auf Insolvenzgeld gestellt worden ist. Soweit jedoch der Arbeitnehmer vor Antragstellung seine Ansprüche auf Arbeitsentgelt einem Dritten durch Abtretung übertragen oder verpfändet hat, steht dem Dritten auch der Anspruch auf Insolvenzgeld zu (so § 170 Abs. 1 SGB III). 5.395 Erforderlich für die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld ist damit, dass das Kreditinstitut im Gegenzug für die Finanzierung der laufenden Lohn- und Gehaltszahlungen von den Arbeitnehmern den Anspruch auf Arbeitsentgelt und damit auf Insolvenzgeld rechtswirksam erwirbt. 5.396 In der Praxis gestaltet sich die Vorfinanzierung folgendermaßen: Das Kreditinstitut kauft im Eröffnungsverfahren von den Arbeitnehmern der insolventen GmbH deren Lohn- und Gehaltsforderungen gegen Zahlung eines Kaufpreises in Höhe des Nettolohns. Die Arbeitnehmer erhalten einen Betrag in Höhe des Nettolohns von dem Kreditinstitut und treten ihre Ansprüche auf Zahlung der (rückständigen) Lohn- und Gehaltsforderungen an das Kreditinstitut ab. Das Kreditinstitut steht damit vor der Stellung des Antrags auf Insolvenzgeld eine Forderung gegen das insolvente Unternehmen zu. Mit dem Antrag auf Insolvenzgeld gehen die Lohn- und Gehaltsforderungen auf die Bundesagentur für Arbeit über (§ 169 Satz 1 SGB III). Im Gegenzug erhält gemäß § 170 Abs. 1 SGB III das vorfinanzierende Kreditinstitut die Ansprüche gegen die Bundesanstalt für Arbeit auf Zahlung von Insolvenzgeld1. 5.397 Weil bei diesem Verfahren die Arbeitnehmer auf Grund des Forderungsankaufs Zahlungen im vollen Gegenwert der abgetretenen Lohn- und Gehaltsforderungen erhalten, gehen die abgetretenen Forderungen trotz § 400 BGB in voller Höhe auf das Kreditinstitut über2. Ein abgezinster Ankauf wäre wegen § 400 BGB auch nicht zulässig3. Das Risiko, dass das Insolvenzgeld nicht gezahlt wird, ist auf das Kreditinstitut verlagert. Insofern entspricht das Forderungskaufverfahren auch dem Interesse der Arbeitnehmer4. 5.398 Das früher übliche Kreditierungsverfahren kommt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts5 nicht mehr in Betracht. Bei diesem Verfahren hatten die Kreditinstitute den Arbeitnehmern an Stelle der fälligen Lohn- und Gehaltszahlungen Kredite gewährt, die durch die Abtretung der Ansprüche auf Arbeitsentgelt besichert wurden. Da die Arbeitnehmer Schuldner der ihnen gewährten Kredite waren, trugen sie aber das Risiko, dass das Insolvenzgeld tatsächlich zur Auszahlung kam6. 1 Obermüller/Kuder in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 97 Rz. 42; Ries/Zobel in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 189. Ausführlich zu den Einzelheiten der Vertragsdokumentation und der Kontoführung Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.438 ff.; 5.441 ff. (Musterverträge); Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1498. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.421. 3 Klüter, WM 2010, 1483, 1486. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.405. 5 BSG v. 8.4.1992 – 10 RAr 12/91, ZIP 1992, 941. 6 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.404.

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Kuder/Unverdorben

Vorfinanzierung von Insolvenzgeld

5.400

Deshalb wäre trotz Auszahlung einer dem pfändungsfreien Betrag entsprechenden Summe die wirtschaftliche Gleichwertigkeit nicht gegeben und die Abtretung der Lohn- und Gehaltsansprüche gemäß § 400 BGB unwirksam1. Da der Anspruch auf Zahlung von Insolvenzgeld nicht von der Einleitung eines 5.399 bestimmten Verfahrens abhängt, sondern von dem Eintritt eines Insolvenzereignisses i.S. von § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB III, kommt eine Vorfinanzierung des Insolvenzgelds sowohl im (regulären) Eröffnungsverfahren und im eröffneten Insolvenzverfahren als auch in der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO und im Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO in Betracht2. Wichtig für das Kreditinstitut ist in allen Verfahrensarten, dass die im jeweiligen Verfahren handelnden Personen Masseverbindlichkeiten zum Zweck der Insolvenzgeldvorfinanzierung begründen können. Das ist im eröffneten Verfahren und beim vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis ohne Weiteres gegeben; in den anderen vorläufigen Verfahren ist darauf zu achten, dass das Insolvenzgericht eine entsprechende Ermächtigung erteilt hat3. Das finanzierende Kreditinstitut trägt allerdings in der vorläufigen Eigenverwaltung das Risiko einer Sanierung ohne Eröffnung des Insolvenzverfahrens (kein Insolvenzereignis) und der Antragsrücknahme. Ob das Kreditinstitut bereit sein wird, dieses Risiko einzugehen, wird deshalb auch von den Fähigkeiten und der Zuverlässigkeit der Geschäftsführung der eigenverwaltenden GmbH und des vorläufigen Sachwalters abhängen. 2. Prüfung durch die Agentur für Arbeit zur Vermeidung von Rechtsmissbräuchen Zur Vermeidung von Rechtsmissbräuchen ist die Zustimmung der Arbeitsagen- 5.400 tur ein zwingendes Erfordernis für den Erwerb der Ansprüche auf Insolvenzgeld, sofern eine kollektive Vorfinanzierung auf Veranlassung des vorläufigen Insolvenzverwalters im überwiegenden Interesse des schuldnerischen Unternehmens bzw. zum Zwecke der Durchführung des Insolvenzverfahrens erfolgen soll. Denn gemäß § 170 Abs. 4 SGB III hat in diesen Fällen der gebündelten Vorfinanzierung4 der Zessionar der Ansprüche auf Arbeitsentgelt keinen Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn ihm vor dem Insolvenzereignis (Verfahrenseröffnung oder Ablehnung 1 BSG v. 8.4.1992 – 10 RAr 12/91, ZIP 1992, 941. 2 Vgl. InsG-DA, Stand: Mai 2013, veröffentlicht unter http://www.arbeitsagentur.de, zu § 170 SGB III, Rz. 3.2 Abs. (2); Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1494. 3 Nach Ansicht des AG Hamburg v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, NZI 2012, 566, kann das Insolvenzgericht im Verfahren gemäß § 270a InsO nicht den Schuldner, wohl aber den vorläufigen Sachwalter ermächtigen, Masseverbindlichkeiten zum Zweck der Insolvenzgeldvorfinanzierung zu begründen. A.A. AG Köln v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, NZI 2012, 375: Einzelermächtigung zu Gunsten des Schuldners, ggfls. unter dem Vorbehalt der Zustimmung des vorläufigen Sachwalters. Im Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO ist nach AG Köln v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, NZI 2012, 375 ebenfalls Einzelermächtigung zu Gunsten des Schuldners zu erteilen. Siehe zur Diskussion, ob das Insolvenzgericht im Verfahren gemäß § 270a InsO den Schuldner zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigen kann, ausführlich unten Rz. 9.198. 4 Eine individuelle Vorfinanzierung einzelner Arbeitnehmer bleibt von den Schranken des § 170 Abs. 4 SGB III unberührt. S. InsG-DA, Stand: Mai 2013, veröffentlicht unter http://www.arbeitsagentur.de, zu § 170 SGB III, Rz. 3.1 Abs. (2); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.430; Hase, WM 2000, 2231.

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5.401

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

der Verfahrenseröffnung mangels Masse) die Ansprüche auf Arbeitsentgelt zum Zwecke der Vorfinanzierung des Arbeitsentgelts übertragen worden sind, ohne dass dem die zuständige Agentur für Arbeit zugestimmt hat. Mit diesem Zustimmungserfordernis soll eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Insolvenzgeldversicherung verhindert werden1. 5.401 Allerdings steht die Zustimmung der Agentur für Arbeit nicht in deren freiem Ermessen, sondern die Agentur darf der Übertragung oder Verpfändung der Arbeitsentgeltansprüche, die dann den Übergang der Ansprüche auf Insolvenzgeld mit sich bringt, nur zustimmen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch die Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten bleibt (§ 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III)2. 5.402 Weiterhin wird man die Regelung im Sinne einer Ermessensbindung so verstehen müssen, dass dann, wenn die Voraussetzungen des § 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III erfüllt sind, also immer dann, wenn auf Grund von Tatsachen anzunehmen ist, dass die Vorfinanzierung der Erhaltung eines erheblichen Teils der Arbeitsplätze dient, die Agentur für Arbeit zustimmen muss3. Im Ergebnis fordert die Arbeitsverwaltung ein plausibles Sanierungskonzept für die insolvente Gesellschaft bzw. für eine übertragende Sanierung4. Dabei geht sie davon aus, dass die zu erhaltende Anzahl von Arbeitsplätzen im Sinne der Regelung erheblich ist, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen arbeitstechnischen Zwecks die betriebliche Funktion erhalten bleibt und der Arbeitsmarkt nicht nur unwesentlich begünstigt wird5. Als Anhaltspunkt dienen dabei die für die Erzwingbarkeit eines Sozialplans maßgeblichen Größenverhältnisse des § 112a BetrVG; ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze bleibt danach erhalten, wenn deren Anzahl die Mindestgrenzen des § 112a Abs. 1 BetrVG erreicht oder überschreitet. Auch eine geringere Anzahl von Arbeitsplätzen kann ausreichend sein bei Betrieben in strukturschwachen Regionen, branchenspezifischen Einbrüchen in einer Region, regional besonders bedeutsamen Arbeitgebern oder sonst gesondert gelagerten Fällen. Wird die Zustimmung der Arbeitsverwaltung erteilt, führt sie im Übrigen zur sozialrechtlichen Wirksamkeit der Vorfinanzierung des Insolvenzgelds auch für denjenigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze absehbar nicht erhalten werden können6. 5.403 Weitere Voraussetzung für die Zustimmung zur Vorfinanzierung von Insolvenzgeld ist nach Auffassung der Arbeitsverwaltung, dass die Arbeitsplätze auf Dauer erhalten werden7. Das setzt in aller Regel die zu erwartende Fortführung des in1 Begr. RegE AFRG v. 16.8.1996, BR-Drucks. 550/96, S. 188; Klüter, WM 2010, 1483, 1485. 2 Dazu auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.423; Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1497 f.; Hase, WM 2000, 2231, 2232 f. 3 So Wiester, ZInsO 1998, 99, 104. 4 InsG-DA, Stand: Mai 2013, veröffentlicht unter http://www.arbeitsagentur.de, zu § 170 SGB III, Rz. 3.2; Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1497 f.; Ries/Zobel in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 185 ff. 5 S. dazu InsG-DA, Stand: Mai 2013, veröffentlicht unter http://www.arbeitsagentur.de, zu § 170 SGB III, Rz. 3.2 Abs. (8), (9). 6 Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1497 f.; Hase, WM 2000, 2231, 2233. 7 InsG-DA, Stand: Mai 2013, veröffentlicht unter http://www.arbeitsagentur.de, zu § 170 SGB III, Rz. 3.2 Abs. (8); so auch Hase, WM 2000, 2231, 2232.

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Vorfinanzierung von Insolvenzgeld

5.406

solventen Unternehmens im Rahmen einer erhaltenden oder übertragenden Sanierung voraus. Die bloße Ausproduktion genügt dagegen regelmäßig nicht, um den dauerhaften Erhalt von Arbeitsplätzen bejahen zu können. Im Hinblick auf die Prognosequalität genügt für die Zustimmung der Agentur für 5.404 Arbeit zur Vorfinanzierung, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass die Erhaltung eines erheblichen Teils der Arbeitsplätze überwiegend wahrscheinlich ist1. Beurteilungsgrundlage dafür sind die wirtschaftliche Lage des Schuldners und die Verhältnisse seines Unternehmens. Als Indizien, die eine Sanierung mit erheblichem Arbeitsplatzerhalt erwarten lassen, gelten insbesondere die Durchführung erster Maßnahmen zur Umsetzung eines konkreten Sanierungskonzepts oder das Übernahmeangebot eines potentiellen Interessenten, auch wenn dies noch von bestimmten Voraussetzungen abhängig ist. Häufig wird der Arbeitsverwaltung die Entscheidung aber nur auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens, z.B. des vorläufigen Insolvenzverwalters, möglich sein. Doch auch sonst kommt trotz der nach § 20 SGB X bestehenden Ermittlungspflicht des Arbeitsamtes der Stellungnahme des vorläufigen Insolvenzverwalters zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners und der sich abzeichnenden Abwicklung des Betriebes im Insolvenzverfahren herausragende Bedeutung zu2. Weil das Zustimmungserfordernis eine missbräuchliche Inanspruchnahme der 5.405 Insolvenzgeldversicherung verhindern soll3, bleibt die Insolvenzgeldvorfinanzierung aber unzulässig, wenn damit einzelnen Gläubigern oder Gläubigergruppen auf Kosten der Insolvenzgeldversicherung Sondervorteile verschafft werden sollen, also eine Insolvenzverschleppung bezweckt ist4. Insbesondere sollen die so genannten revolvierenden Vorfinanzierungen verhindert werden, durch die im Ergebnis der Zeitraum für die Inanspruchnahme des Insolvenzgeld auf mehr als drei Monate ausgedehnt wurde5. 3. Risiken der Insolvenzgeldvorfinanzierung Für das Kreditinstitut bestehen bei der Insolvenzgeldvorfinanzierung mehrere 5.406 Risiken: Das größte Risiko verwirklicht sich dann, wenn der Insolvenzantrag zurückgenommen wird und als Folge dessen kein Insolvenzereignis eintritt und damit kein Anspruch auf Insolvenzgeld entsteht. Hiergegen kann sich das Kreditinstitut nur absichern, indem es sich – möglichst von anderen Personen als der den Insolvenzantrag stellenden GmbH-Sicherheiten bestellen lässt, die in der Regel aber nicht – oder jedenfalls nicht in dem benötigten Umfang – zur Verfügung stehen dürften6. Ein weiteres Risiko liegt darin, dass die Arbeitnehmer ihre Lohn1 Zu den Anforderungen der Arbeitsverwaltung an die Prognose InsG-DA, Stand: Mai 2013, veröffentlicht unter http://www.arbeitsagentur.de, zu § 170 SGB III, Rz. 3.2 Abs. (6). 2 Ries/Zobel in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 180 ff.; Hase, WM 2000, 2231, 2232. 3 Begr. RegE AFRG v. 16.8.1996, BR-Drucks. 550/96, S. 188. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.427; Wiester, ZInsO 1998, 99, 105. 5 Ausführlich zur revolvierenden Vorfinanzierung von Insolvenzgeld Sinz in FS Uhlenbruck, 2000, S. 157 ff. Zu dieser Praxis auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.408, 5.259; BSG v. 22.3.1995 – 10 RAr 1/94, WM 1995, 2198 = WuB VI B. § 106 KO 1.96 Hess. 6 Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1504.

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5.407

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

und Gehaltszahlungen bereits an einen Dritten abgetreten hatten. In diesem Fall erwirbt dieser Dritte und nicht das vorfinanzierende Kreditinstitut den Anspruch auf Zahlung des Insolvenzgeldes. Hat das Kreditinstitut Zahlungen auf die vermeintliche Forderung von der Arbeitsagentur erhalten, muss es diese an den Dritten herausgeben und Rückgriff bei dem Arbeitnehmer zu nehmen. Dieser haftet als Verkäufer für den Bestand der Forderung1. Eine weitere Gefahr liegt darin, dass das Insolvenzgeld letztlich in geringerer Höhe als von dem Kreditinstitut angenommen–und vorfinanziert–von der Arbeitsagentur festgesetzt wird. Aus diesem Grund muss das Kreditinstitut vor der Finanzierung sorgfältig ermitteln, in welcher Höhe Ansprüche auf Insolvenzgeld entstehen können. vacat

5.407–5.410

1 Obermüller/Kuder in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 97 Rz. 43.

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Der vorläufige Gläubigerausschuss

5.413

F. Der vorläufige Gläubigerausschuss I. Einleitung Die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses schon im Eröffnungsver- 5.411 fahren und die Beteiligung dieses Ausschusses an der Bestellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters- bzw. Sachwalters sowie an der Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung und am Schutzschirmverfahren sollen den Einfluss der Gläubiger auf das Insolvenzverfahren stärken, um deren effektivere Beteiligung am Verfahren zu erreichen1. Mit der Aufnahme der §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 22a in die Insolvenzordnung hat der Gesetzgeber für mehr Rechtssicherheit gesorgt2. Denn bis zum Inkrafttreten des ESUG war in Literatur und Rechtsprechung umstritten, ob das Insolvenzgericht bereits vor der Eröffnungsentscheidung ein solches Gremium einzusetzen befugt ist3. Die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren hat keinen Sicherungscharakter. Vielmehr ist für die gerichtliche Anordnung das Beteiligungs- und Mitbestimmungsinteresse der Gläubiger maßgeblich4.

II. Die Mehrfachstruktur der Gläubigerausschüsse Die Insolvenzordnung sieht nunmehr insgesamt vier Gläubigerausschüsse vor. 5.412 Zum einen – als Novum – den vorläufigen Ausschuss im Eröffnungsverfahren als Pflichtausschuss (§ 22a Abs. 1 InsO) oder den fakultativen Ausschuss nach §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 22a Abs. 2 InsO sowie den Interimsausschuss vom Eröffnungsbeschluss bis zum Berichtstermin (§ 67 InsO) und den endgültigen Gläubigerausschuss (§ 68 InsO). Die vom Gericht gewählte Zusammensetzung nach der Eröffnungsentscheidung ist nicht bindend für die Gläubigerversammlung. In jedem Fall bedarf es auch bei Vorhandensein eines bisherigen einstweiligen Ausschusses (§ 67 Abs. 1 InsO) einer Entscheidung über dessen Fortführung bzw. dessen Neubestellung5. Dies folgt aus der Sonderregelung des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a Halbsatz 2 InsO und der fehlenden Verweisung auf § 68 InsO6. 1. Der Pflichtausschuss nach § 22a Abs. 1 InsO Das Gericht ist gemäß § 22a Abs. 1 InsO von Amts wegen verpflichtet, einen 5.413 Gläubigerausschuss einzusetzen, wenn der Schuldner im vorangegangenen Geschäftsjahr mindestens zwei der drei nachstehenden Merkmale erfüllt hat. Das 1 Da bislang das Interesse der Gläubiger am Verfahren gering ist, bleibt abzuwarten, ob die angebotenen Instrumente greifen. 2 Die Vorschriften gelten nach Art. 103g InsO, Art. 10 Satz 3 ESUG für Insolvenzverfahren, die nach dem 1.3.2012 eröffnet wurden. 3 S. dazu die Nachweise bei Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 22a InsO Rz. 9. Der BGH (v. 10.11.2011 – IX ZB 166/10, WM 2012, 141) hat vor Inkrafttreten des ESUG die Entscheidung des Insolvenzgerichts, im Eröffnungsverfahren einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen, nicht als so schwerwiegenden Verstoß gegen die gesetzlichen Regelungen angesehen, dass die Entscheidung als nichtig anzusehen wäre. 4 Vallender in Uhlenbruck, § 21 InsO Rz. 16b. 5 Frind in Haarmeyer/Wutzke/Förster, § 68 InsO Rz. 6. 6 Laroche in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 2, Rz. 209.

Vallender

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5.414

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

schuldnerische Unternehmen muss eine Bilanzsumme (§ 268 Abs. 3 HGB) von mindestens 4840000 Euro, einen Umsatzerlös (§ 277 Abs. 1 HGB) von mindestens 9680000 Euro und eine Beschäftigungszahl von mindestens 50 Arbeitnehmern im Jahresdurchschnitt aufweisen. Die für die Anwendung von § 22 Abs. 1 InsO maßgeblichen Merkmale sind abschließend benannt, § 267 Abs. 3 Satz 2 HGB findet keine entsprechende Anwendung1. Das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz – BilRUG) vom 17.7.20152 sieht eine Anhebung der Bilanzsumme auf 6 000 000,00 Euro (Art. 1 Nr. 10a aa) und der Umsatzerlöse auf 12 000 000,00 Euro (Art. 1 Nr. 10a bb) vor. Obwohl sich die Schwellenwerte an den Größenklassen des § 267 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 HGB orientieren, fallen unter § 22a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 InsO alle Schuldner und nicht nur die Kapitalgesellschaft. Bei Gläubigeranträgen findet die Vorschrift des § 22a Abs. 1 InsO keine Anwendung3. Für den Pflichtausschuss gelten § 67 Abs. 2 InsO und die §§ 69 bis 73 InsO entsprechend. 5.414 Die in § 22a Abs. 1 InsO angeführten Werte müssen nicht bei Antragstellung vorliegen, sondern im vorangegangenen Geschäftsjahr4. Dies begegnet zwar aus insolvenzrechtlicher Sicht Bedenken, weil sich das Unternehmen in der Krise bereits deutlich verkleinert haben kann5. Sie erlaubt dem Gericht aber eine einfache und sichere Abgrenzung. Liegt für das vorangegangene Geschäftsjahr ein Jahresabschluss vor, enthält dieser die Bilanzsumme, regelmäßig die Umsatzerlöse und auch die Anzahl der Arbeitnehmer6, so dass das Gericht anhand der ihm vom Schuldner unterbreiteten Unterlagen die notwendigen Feststellungen treffen kann. Der Schuldner darf die Angaben nach § 22a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 InsO schätzen, wenn ein Jahresabschluss nicht vorliegt7. 5.415 Hinsichtlich der Umsatzerlöse stellt § 22a Abs. 1 Nr. 2 InsO als vorrangige spezielle Regelung auf die letzten zwölf Monate vor dem Abschlussstichtag ab. Bedeutung erlangt diese Regelung bei einem Rumpfgeschäftsjahr8. Während dem Antrag stellenden Schuldner die Ermittlung der Umsatzerlöse anhand der Summen- und Saldenlisten der laufenden Buchhaltung keine Schwierigkeiten bereiten dürfte, sieht dies hinsichtlich der Arbeitnehmerzahl bei Betrieben mit starker Fluktuation anders aus9. Die Arbeitnehmereigenschaft ist nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen zu ermitteln. 1 Sander in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, § 22a InsO Rz. 5. 2 BGBl. I 2015, 1245. 3 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 22a InsO Rz. 9; Frind in Haarmeyer/Wutzke/Förster, § 22a InsO Rz. 6; a.A. Pape, ZInsO 2011, 2154, 2156, der meint, der Schuldner könne bei nachträglicher Eigenantragstellung auf Gläubigerantrag die Angaben nachreichen. 4 Es gilt das „Geschäftsjahr“, nach dem das Unternehmen zu bilanzieren oder abzurechnen ist (Frind in Haarmeyer/Wutzke/Förster, § 22a InsO Rz. 8). 5 Frind, ZInsO 2011, 2249, 2252. 6 Ampferl in Kübler, HRI, § 9 Rz. 9. 7 BT-Drucks. 17/5712, S. 23. 8 Näher dazu Ampferl in Kübler, HRI, § 9 Rz. 20, 21, 27. 9 Näher dazu Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 15.

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Der vorläufige Gläubigerausschuss

5.418

Um einen ordnungsgemäßen Ablauf des Insolvenzverfahrens zu gewährleisten 5.416 und die Bestellung des vorläufigen Gläubigerausschusses zu erleichtern, hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 13 Abs. 1 InsO um die Sätze 3 bis 7ergänzt. So hat der Schuldner mit seinem Eröffnungsantrag ein Verzeichnis der Gläubiger und ihrer Forderungen vorzulegen (§ 13 Abs. 1 Satz 3 InsO), das es dem Gericht erleichtert, die Gläubiger bereits in einem frühen Verfahrensstadium einzubeziehen. Dies gilt insbesondere für die Bestellung des vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO, der sich zur Auswahl des Insolvenzverwalters nach § 56 Abs. 2 InsO oder zur Anordnung der Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 3 InsO) äußern soll. Das Gericht hat nicht die Aufgabe, die Angaben im Eröffnungsantrag zur Bilanz- 5.417 summe, zu den Umsatzerlösen und zur durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer des vorangegangenen Geschäftsjahres einzeln nachzuprüfen. Vielmehr beschränkt sich die Pflicht auf eine Plausibilitätsprüfung1. Dies folgt aus der Regelung des § 13 Abs. 1 Satz 7 InsO, nach der dem Verzeichnis nach Satz 3 und den Angaben nach den Sätzen 4 und 5 die Erklärung beizufügen ist, dass die enthaltenen Angaben richtig und vollständig sind2. Aus diesem Grunde sollte das Gericht grundsätzlich davon absehen, einen Sachverständigen mit der Überprüfung der vom Schuldner gemachten Angaben zu den Merkmalen des § 22a Abs. 1 InsO zu beauftragen3. Dadurch träte eine unnötige Verfahrensverzögerung ein, die eine Mitwirkung des vorläufigen Gläubigerausschusses an der Bestellung des vorläufigen Sachwalters/Insolvenzverwalters unnötig erschweren würde4. Regt der Schuldner die Einsetzung eines vorläufigen Pflichtausschusses an, ob- 5.418 wohl sein Eröffnungsantrag keine Angaben zu den Kennzahlen des § 22a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 InsO enthält, ist er als unzulässig zurückzuweisen, wenn er der zuvor erfolgten gerichtlichen Beanstandung nicht innerhalb der richterlichen Frist nachkommt5. Um dem Gericht eine zügige Entscheidung über die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses zu ermöglichen, sollte der Schuldner – soweit vorhanden – den Jahresabschluss vorlegen. Eine Zurückweisung hat auch dann zu erfolgen, wenn unvollständige Angaben es dem Gericht nicht ermöglichen, darüber zu befinden, ob ein Ausschuss nach § 22a Abs. 1 InsO zu bestellen ist6. Allerdings ist auch hier zu berücksichtigen, dass das Gericht jederzeit die

1 Ebenso Ampferl in Kübler, HRI, § 9 Rz. 74; a.A. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253; Stapper/ Schädlich in NWB Kommentar zum Insolvenzrecht, § 22a Rz. 8. 2 BT-Drucks. 17/5712, S. 33. 3 Ebenso Hirte/Knof/Mock, Das neue Insolvenzrecht nach dem ESUG, S. 12; Obermüller, ZInsO 2012, 18, 19. 4 Frind in Haarmeyer/Wutzke/Förster, § 22a InsORz. 19/20, hält eine amtswegige Überprüfung der Schwellenwerte für erforderlich, weil das System zur Gewinnung einer ausreichenden Informationsgrundlage zur Einsetzungsbeurteilung für den vorläufigen Gläubigerausschuss weitgehend versage. 5 Nach Ansicht des AG Ludwigshafen (v. 2.10.2012 – 3a IN 186/12, ZInsO 2012, 2057) bedarf es für die Zulässigkeit eines Regelinsolvenzverfahrens nicht der Mitteilung der dritten Größe nach § 13 Abs. 1 Satz 6 Nr. 1 bis 3 InsO, wenn zwei der drei Kennziffern des § 22a Abs. 1 InsO nicht vorliegen (können). 6 Ebenso Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 22a InsO Rz. 5; a.A. Pape, ZInsO 2011, 1033, 1037.

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5.419

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Möglichkeit hat, Bilanzen im Unternehmensregister1 abzurufen, soweit die Gesellschaft der Veröffentlichungspflicht nachgekommen ist. 5.419 Es dürfte bei einer geplanten Sanierung des schuldnerischen Unternehmens in einem Insolvenzverfahren im ureigenen Interesse des Antragstellers und seiner Berater liegen, nicht nur die Reorganisation des Unternehmens sondern auch den Eröffnungsantrag sorgfältig vorzubereiten. Bei Überschreiten der Schwellenwerte des § 22a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 InsO hat der Schuldner seinem Insolvenzantrag ein Verzeichnis der Gläubiger und ihrer Forderungen beizufügen, wobei in dem Verzeichnis die höchsten Forderungen, die höchsten gesicherten Forderungen, die Forderungen der Finanzverwaltung, die Forderungen der Sozialversicherung und die Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung besonders kenntlich zu machen sind. Ferner hat er Angaben zur Bilanzsumme, zu den Umsatzerlösen und zur durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer zu machen (§ 13 Abs. 1 Satz 3 bis 6 InsO). Die bisherige Praxis hat gezeigt, dass zahlreiche Eröffnungsanträge diesen formalen Erfordernissen nicht entsprechen und auf Grund von Beanstandungen durch die Gerichte eine unnötige Verzögerung beim Sanierungsprozess eintritt. 5.420 Auch wenn es für die Einsetzung eines Pflichtausschusses keines entsprechenden Antrags bedarf, sollte ein Schuldner bei Überschreiten der Schwellenwerte dessen Einsetzung zumindest anregen und dem Gericht Mitglieder für den Ausschuss vorschlagen sowie deren Einverständniserklärungen beifügen. Diese Verfahrensweise verhindert Verzögerungen bei der Bestellung des Ausschusses, die wiederum zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage i.S. des § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO führen und damit einen Ausschlussgrund gemäß § 22a Abs. 3 InsO bilden2. 2. Der fakultative Ausschuss (§§ 21 Abs. 1 Nr. 1a, 22a Abs. 2 InsO) 5.421 Während der obligatorische Gläubigerausschuss das Erreichen bestimmter Kennzahlen voraussetzt, kann auch in „Kleinverfahren“ der Anstoß zur Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses als fakultative Möglichkeit der Gläubigerbeteiligung im Eröffnungsverfahren erfolgen. Die erst durch den Rechtsausschuss des Bundestags eingeführte Regelung des § 22a Abs. 2 InsO soll bei kleineren als den in Absatz 1 bezeichneten Unternehmen eine frühzeitige Einbindung von Gläubigern ermöglichen3. Die Einsetzung erfolgt entweder nach freiem Ermessen des Gerichts oder auf Grund eines entsprechenden Antrags. a) Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses auf Antrag aa) Antragsberechtigung 5.422 Antragsberechtigt sind der Schuldner, jeder Gläubiger und der vorläufige Insolvenzverwalter. § 22a Abs. 2 InsO unterscheidet nicht nach der Gläubigerstellung. Entsprechend dem Grundgedanken des § 1 InsO zählen mithin zu den antragsberechtigten Gläubigern im Sinne der Vorschrift die Insolvenzgläubiger (§§ 38, 39 InsO), die absonderungsberechtigten Gläubiger, soweit deren Recht auf vor1 www.unternehmensregister.de. 2 Obermüller, ZInsO 2012, 18, 20. 3 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 22a InsO Rz. 8.

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Der vorläufige Gläubigerausschuss

5.425

zugsweise Befriedigung und entsprechende Verfahrensbeteiligung nicht reicht, und Massegläubiger nach Maßgabe des § 55 Abs. 2 InsO. Soweit bereits ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist oder der Schuldner im Schutzschirmverfahren einen Antrag nach § 270b Abs. 3 InsO gestellt hat oder ihm bei einem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung eine Einzelermächtigung erteilt worden ist, erlangen die vom vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. Schuldner begründeten Verbindlichkeiten mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Qualität einer Masseverbindlichkeit. Zwar sind auch diese Forderungen dadurch gekennzeichnet, dass sie erst nach Insolvenzeröffnung entstehen. Begründet werden sie indes bereits durch die vorbezeichneten Rechtshandlungen im Insolvenzeröffnungsverfahren, so dass es gerechtfertigt erscheint, auch diesen Gläubigern das Antragsrecht einzuräumen1. Die Frage, ob auch denjenigen Personen, die erst mit der Eröffnung des Verfahrens 5.423 Insolvenzgläubiger werden, ein Antragsrecht zuzugestehen ist, wird unterschiedlich beantwortet2. Es begegnet keinen grundlegenden Bedenken, sie in Anlehnung an die Bestimmung des § 21a Abs. 1 Nr. 1a Halbsatz 2 InsO als antragsberechtigt anzusehen, weil auch sie vom Verfahrenszweck des § 1 InsO erfasst werden. Da das schuldnerische Vermögen nicht zu Gunsten der aussonderungsberechtigten Gläubiger in Beschlag genommen wird, sind diese nicht befugt, die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses zu beantragen3. bb) Zulässigkeit des Antrags Der Antrag ist nur zulässig, wenn ein vollständiger Gläubigerausschuss unter Be- 5.424 achtung der Vorgaben des § 67 Abs. 2 InsO benannt wird. Der Antragsteller ist nicht verpflichtet, zu allen vier Gruppen der vorgenannten Bestimmung einen Vorschlag zu unterbreiten. Ampferl4 weist mit Recht darauf hin, dass im Einzelfall auch drei Vorschläge ausreichen können, etwa wenn ein Kreditinstitut gleichzeitig absonderungsberechtigter Gläubiger und unter Abzug des Sicherungsrechts größter Einzelgläubiger ist und weitere Großgläubiger nicht vorhanden sind. Dem Antrag ist die Einverständniserklärung der benannten Personen entweder im Original oder in beglaubigter Abschrift beizufügen. Bei dieser Erklärung handelt es sich nicht um eine vorweg erklärte Annahme der Bestellung. Das Gericht hat sich vielmehr davon zu überzeugen, dass der Vorgeschlagene tatsächlich bereit ist, sein Amt anzunehmen. Der Antrag eines Gläubigers auf Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses vor Eingang des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei Gericht ist zwar unbeachtlich, verschafft aber dem Richter unter Umständen eine zusätzliche Erkenntnismöglichkeit. Der Richter ist an die Vorschläge des Antragstellers nicht gebunden5. Er sollte bei 5.425 einer ungleichmäßigen Interessenrepräsentation davon absehen, dem Vorschlag 1 A.A. Ampferl in Kübler, HRI, § 9 Rz. 83. 2 Befürwortend Sander in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 22a InsO Rz. 7; ablehnend Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253. 3 Sander in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 22a InsO Rz. 7; a.A. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253. 4 Ampferl in Kübler, HRI, § 9 Rz. 87. 5 BT-Drucks. 17/5712, S. 25.

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5.426

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

vollumfänglich zu folgen. Er kann den Schuldner oder den vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter auffordern, weitere oder andere Personen zu benennen, die als Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses in Betracht kommen (§ 22a Abs. 4 InsO) und deren Bestellung die Gewähr dafür bietet, dass die Interessen aller beteiligten Gläubigergruppen angemessen vertreten sind (§§ 21a Abs. 1 Nr. 1a Halbsatz 1, 67 Abs. 2 InsO). Da es sich bei § 67 Abs. 2 InsO um eine SollVorschrift handelt, müssen nicht alle Gläubigergruppen im vorläufigen Gläubigerausschuss repräsentiert sein1. cc) Gebundenes richterliches Ermessen 5.426 Angesichts des Wortlauts des § 22a Abs. 2 InsO („soll“) erscheint fraglich, ob die Bestellungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegt oder es dem Antrag grundsätzlich zu entsprechen hat. Nach Auffassung von Hölzle2 verbleibt lediglich „ein Rest an gerichtlichem Ermessen“. Nur wenn besondere Umstände die Einsetzung eines Gläubigerausschusses verbieten, unterliege der Antrag der Abweisung3. Auch wenn der Wortlaut der Vorschrift nicht zwingend für diese Ansicht streitet, stellt sich gleichwohl die Frage, welchen Sinn § 22a Abs. 2 InsO hat, wenn ihm ein weitgehend verbindlicher Charakter nicht beizumessen ist4. Denn das Gericht hat im Rahmen seines freien Ermessens unabhängig von den Voraussetzungen des Absatz 1 oder 2 die Befugnis, einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen. Vor diesem Hintergrund darf das Gericht die Zurückweisung des Antrags nur auf Gründe stützen, die über die Befreiungstatbestände in § 22a Abs. 3 InsO hinausgehen5. Denn diese Vorschrift findet auf Antrag nach § 22a Abs. 2 InsO Anwendung, so dass die dort genannten Gründe bereits hinreichend berücksichtigt sind6. Angesichts des gebundenen Ermessens des Gerichts erscheint es vertretbar, den Ausschuss nach § 22a Abs. 2 InsO als „derivativen Pflichtausschuss“ zu bezeichnen7. b) Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses nach pflichtgemäßem Ermessen 5.427 Auch ohne Antrag kann das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO). Bei dieser Entscheidung handelt es sich nicht um eine Sicherungsmaßnahme. Denn die Vorschrift des § 21 InsO hat eine neue amtliche Überschrift erhalten (Anordnung vorläufiger Maßnahmen). Anlass zur Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses nach allgemeinen Ermessenserwägungen hat das Gericht, wenn es erkennt, dass auf diese Weise – unabhängig von der Größe des Unternehmens – der Sanierungsprozess befördert werden kann und durch die Einbindung dieses Gremiums ein hohes Maß an Gewähr für eine bestmögliche Haftungsrealisierung 1 2 3 4 5

Vgl. AG Köln v. 22.7.2003 – 71 IN 453/02, NZI 2003, 657. Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 14. Ähnlich Sander in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 22a InsO Rz. 6. Stapper/Schädlich in NWB Kommentar zum Insolvenzrecht, § 22a InsO Rz. 17. Ebenso Sander in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 22a InsO Rz. 6 unter Bezugnahme auf BVerwG v. 2.7.1992 – 5 C 39/90 („Die Einsetzung hat im Regelfall zu erfolgen“). 6 Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 14/15. 7 So Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 15.

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besteht1. Dabei hat das Gericht das Beteiligungs- und Mitbestimmungsinteresse gegen die mit einer Bestellung unter Umständen einhergehende Verzögerung des Verfahrens und die für die künftige Masse entstehenden Kosten abzuwägen. Bei einer beabsichtigten Sanierung des schuldnerischen Unternehmens ist die Einbindung der Gläubiger in diesen Prozess naheliegend. Bei leichtem Unterschreiten der Kennzahlen des § 22a Abs. 1 InsO oder bei einem Anstieg der Schwellenwerte während des Eröffnungsverfahrens kann die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses ebenfalls sinnvoll sein. 3. Einsetzungssperre (§ 22a Abs. 3 InsO) Nach § 22a Abs. 3 InsO hat das Gericht von der Bestellung des vorläufigen Gläu- 5.428 bigerausschusses abzusehen, wenn der Geschäftsbetrieb des Schuldners eingestellt ist, die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Hinblick auf die zu erwartende Insolvenzmasse unverhältnismäßig ist oder die mit der Einsetzung verbundene Verzögerung zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt. Die Vorschrift umfasst die Einsetzung des Pflichtausschusses, des fakultativen Ausschusses und des auf freiem richterlichen Ermessen beruhenden Ausschusses. Die Regelung in § 22a Abs. 3 InsO ist nicht abschließend. Liegen gewichtige Gründe vor, die mit den in der vorgenannten Bestimmung enthaltenen Fallgruppen vergleichbar sind, kann das Gericht von der Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses absehen. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen reichen indes nicht aus. So rechtfertigt allein der Umstand, dass die vom Antragsteller vorgeschlagenen Personen nicht der Vorstellung des Gerichts entsprechen, nicht die Zurückweisung des Antrags. In einem solchen Fall hat das Gericht vielmehr eigene Ermittlungen zur Bestellung anderer oder weiterer Personen einzuleiten2. Es empfiehlt sich, dass Schuldner und Gläubiger das Gericht frühzeitig auf et- 5.429 waige Ausschlussgründe hinweisen. Dies dient nicht nur der Entlastung des Gerichts, sondern erspart eine unangemessene Belastung der Masse mit Vergütungsansprüchen der Ausschussmitglieder. Allerdings rechtfertigt die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses trotz Vorliegens der Ausschlussgründe des § 22a Abs. 3 InsO keine vorzeitige Entlassung des gesamten Ausschusses, weil die Anordnung keine Sicherungsmaßnahme darstellt, die von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen aufzuheben oder zu ändern ist, wenn die Anordnungsvoraussetzungen weggefallen sind3. Dies gilt gleichermaßen, wenn die Einsetzungsvoraussetzungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallen sind4. Begehren indes sämtliche Ausschussmitglieder ihre Entlassung aus dem Amt bzw. die Auflösung des vorläufigen Gläubigerausschusses, hat das Gericht entsprechend dem Grundgedanken des § 70 Satz 1 InsO diesem Ansinnen Folge zu leisten. 1 Ampferl in Kübler, HRI, § 9 Rz. 100. 2 Sander in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 22a InsO Rz. 10. 3 BGH v. 7.12.2006 – IX ZB 257/05, GmbHR 2007, 153; Vallender in Uhlenbruck, § 21 InsO Rz. 51. 4 A.A. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2254; zurückhaltend Laroche in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 2 Rz. 209, S. 135.

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a) Eingestellter Geschäftsbetrieb 5.430 Da die Beteiligung der Gläubiger im Eröffnungsverfahren in erster Linie dazu dient, ihre Einflussnahme auf wichtige Entscheidungen zur erfolgreichen Sanierung eines insolventen Unternehmens und zum Erhalt der Betriebs- und Arbeitsstätte frühzeitig zu ermöglichen1, ist entsprechend dem Sinn und Zweck der Vorschrift bei einer Einstellung des Betriebes von der Bestellung des vorläufigen Gläubigerausschusses abzusehen. Eine Einstellung des Betriebes liegt vor, wenn die betriebliche Tätigkeit schon so weit zum Erliegen gekommen ist, dass deren Fortsetzung zumindest hinsichtlich wesentlicher Betriebsteile nicht mehr zu erwarten ist2. Liquidations- oder Abwicklungsmaßnahmen stehen der Einstellung nicht entgegen3. Auch wenn der vom Gericht bestellte Sachverständige in seinem Gutachten zu der Erkenntnis gelangt, dass eine Wiedereröffnung des Geschäftsbetriebes wirtschaftlich sinnvoll erscheint oder der vorläufige Insolvenzverwalter eine solche Maßnahme näher in Erwägung zieht, kommt die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses nicht in Betracht. b) Unverhältnismäßigkeit der Einsetzung im Hinblick auf die zu erwartende Insolvenzmasse 5.431 Da nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich nach einem Antrag eines hierzu Berechtigten ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt werden soll, ist für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der zweiten Alternative des § 22a Abs. 2 InsO („unverhältnismäßig“) von einem Regel-Ausnahmeverhältnis auszugehen4. Letztlich kann die Frage, ob der Ausnahmetatbestand vorliegt oder nicht, nur im Einzelfall nach einer Kosten-Nutzen-Prognose beantwortet werden5. Dabei hat das Gericht zunächst zu ermitteln, mit welcher Teilungsmasse prognostisch ohne Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses zu rechnen ist. Sodann sind die Kosten für die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses zu schätzen. Diese setzen sich aus der Vergütung der Ausschussmitglieder und den Kosten der Haftpflichtversicherung zusammen6. Mit welcher Gesamtdauer der Ausschuss zusammentreten wird, hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab. Grundsätzlich sollte das Gericht anhand der ihm vorliegenden Unterlagen das Kosten-Nutzen-Verhältnis ermitteln. Die Beauftragung eines Sachverständigen zur Feststellung der Verhältnismäßigkeit der Kosten erscheint grundsätzlich nicht vertretbar, weil die erforderlichen Feststellungen eine geraume Zeit in Anspruch nehmen dürften und damit die Bestellung des vorläufigen Gläubigerausschusses für diesen Zeitraum blockiert ist7. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die vom Gericht vorzunehmende Prognose gerade zu Beginn des Verfahrens schwierig ist. Ob die in der Literatur vorgeschlagene Größenord1 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 22a InsO Rz. 11. 2 Sander in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 22a InsO Rz. 12. 3 Laroche in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 2 Rz. 209, S. 134; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2254. 4 Ampferl in Kübler, HRI, § 9 Rz. 43. 5 Laroche in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 2 Rz. 209. 6 Römermann, NJW 2012, 645, 648. 7 Ähnlich Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 22a InsO Rz. 12; a.A. BAK-InsO Entschließung Herbsttagung 2011, Ziffer II.1, ZInsO 2011, 2223.

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nung einer Belastung der freien Masse durch die Kosten des Gläubigerausschusses mit maximal 5 %1 sachgerecht ist, erscheint fraglich2. Jedoch sollten die Kosten nicht mehr als 10 % Anteil der zu erwartenden Masse darstellen. Soweit auf Grund der Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses Zweifel an der Verfahrenskostendeckung entstehen, liegt der Ausnahmetatbestand ohne weiteres vor3. Dagegen dürfte bei Erreichen der Kennzahlen des § 22a Abs. 1 InsO regelmäßig davon auszugehen sein, dass die zu erwartende Teilungsmasse die Einsetzung rechtfertigt4 c) Nachteilige Veränderung der Vermögenslage (§ 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO) Besondere praktische Bedeutung hat die 3. Alternative des § 22a Abs. 3 InsO, 5.432 nach der das Gericht einen vorläufigen Gläubigerausschuss nicht zu bestellen hat, wenn die mit der Einsetzung verbundene Verzögerung zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt. Verfügt der Schuldner bei Antragstellung über einen Geschäftsbetrieb, der nicht eingestellt ist, besteht im Regelfall die Notwendigkeit, sogleich einen vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. bei einem zulässigen Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung einen vorläufigen Sachwalter zu bestellen. Denn bei Geschäftsführung, Kunden und Arbeitnehmern besteht insbesondere in Betriebsfortführungsfällen Bedarf an klaren und raschen Entscheidungen sowie an einer eindeutigen sanierungspositiven Nachricht5. Im Übrigen wird der Insolvenzrichter bei einem Sicherungsbedürfnis der Masse bereits aus Haftungsgründen eine Sicherungsmaßnahme nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO zu treffen haben. Dies entsprach und entspricht auch weiterhin insolvenzgerichtlicher Praxis. Stapper/Schädlich6 vertreten insoweit die Auffassung, bei einer Erstbestellung des vorläufigen Verwalters werde die 3. Alternative immer begründbar sein. Diese Überlegungen ändern indes nichts an dem Umstand, dass das Gericht im Rahmen einer Prognose, und zwar anhand konkreter Umstände, festzustellen hat, ob die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschuss zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage führt. Erscheint die sofortige Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters- bzw. 5.433 Sachwalters unmittelbar nach Antragstellung geboten, hat das Gericht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 22a Abs. 1 InsO bzw. bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 22a Abs. 2 InsO sogleich die notwendigen Maßnahmen zur Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses einzuleiten. Da der Bestellungsvorgang geraume Zeit in Anspruch nehmen dürfte, ist die in § 56a Abs. 1 InsO vorgesehene Anhörung des Ausschusses vor der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters regelmäßig nicht möglich. Würde das Gericht mit der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters (Sachwalters) bis zur Konstituierung des 1 Frind, ZInsO 2011, 2249, 2255. Nach Ansicht des AG Ludwigshafen (v. 4.5.2012 – 3f IN 103/12, ZIP 2012, 2310) sind die Kosten unverhältnismäßig, wenn sie einen Anteil von 7 % der Teilungsmasse übersteigen. 2 Ebenso Smid, jurisPR-InsR 14/2012 Anm. 6. 3 Entschließung BAK-InsO Herbsttagung 2011, Ziffer II.1, ZInsO 2011, 2223. 4 Sander in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 22a InsO Rz. 13. 5 Vallender, MDR 2012, 61. 6 Stapper/Schädlich in Pape/Uhländer, NWB Kommentar zum Insolvenzrecht, § 22a InsO Rz. 21.

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

vorläufigen Gläubigerausschuss zuwarten, könnte die damit einhergehende Zeitverzögerung1 zu einer Schädigung der Masse führen2. Bereits aus Haftungsgründen wird der Insolvenzrichter die Maßnahme treffen, die zur Sicherung der Masse unerlässlich ist. Der Gesetzgeber hat diese Konfliktsituation erkannt und versucht, den Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des (vorläufigen) Insolvenzverwalters zu gewährleisten, indem § 56a Abs. 3 InsO vorsieht, dass ein später bestellter vorläufiger Gläubigerausschuss in seiner ersten Sitzung einstimmig eine andere Person als die bestellte zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter wählen kann. 5.434 Die Vorschrift impliziert insoweit zwei Fallgestaltungen, als ein nachträgliches Recht zur Bestellung eines anderen vorläufigen Insolvenzverwalters in Betracht kommt, wenn das Gremium zwar vor der Anordnung der Sicherungsmaßnahme nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO bestellt wurde, aber wegen unaufschiebbarer notwendiger Sicherungsmaßnahmen keine Zeit für eine Anhörung der Ausschussmitglieder bestand, oder dieser Umstand bereits die Einsetzung des Gläubigerausschusses vor der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters verhindert hat3. Soweit die zunächst bestellte Person die wesentliche Weichenstellung für eine Betriebsfortführung bereits vorgenommen hat, dürfte das Interesse an ihrer Abwahl begrenzt sein4. 5.435 Wollen Gläubiger bzw. der Schuldner sicherstellen, dass die vorgeschlagene Person des (vorläufigen) Insolvenzverwalters tatsächlich durch das Gericht bestellt wird, bedarf es einer sorgfältigen Vorbereitung des Eigenantrags. So sollte der Schuldner bereits vor Antragstellung die für den Gläubigerausschuss geeigneten Personen auswählen und diese dem Gericht spätestens bei seiner Antragstellung präsentieren. Folgt das Gericht dem Vorschlag des Schuldners, könnte es sogleich den vorläufigen Gläubigerausschuss bestellen. Dieser könnte in seiner sofort anzuberaumenden ersten Sitzung einen einstimmigen Beschluss zur Person des (vorläufigen) Insolvenzverwalters fassen und diesen dem Gericht präsentieren. Eine solche Vorgehensweise ist noch am Tag der Antragstellung möglich. Das Gericht darf von einem einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist (vgl. § 56a Abs. 2 InsO). Allerdings kann der Antragsteller auch bei einem optimal vorbereiteten Antrag auf Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses nicht sichergehen, dass das Gericht den Ausschuss so rechtzeitig bestellt, dass ein bindender Beschluss noch vor Ernennung des vorläufigen Insolvenzverwalters bzw. vorläufigen Sachwalters ergeht. Denn die Bestellung der einzelnen Ausschussmitglieder unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Mithin kann es zu erheblichen Verzögerungen bei der Bestellung kommen, wenn die vorgeschlagenen Personen nicht der Vorstellung des Ge1 Der vom Gericht bestellte vorläufige Gläubigerausschuss muss sich zunächst konstituieren, der Bestellungsbeschluss muss zugestellt werden, jedes Ausschussmitglied muss sein Amt ausdrücklich annehmen, der Ausschuss muss sich zusammenfinden und beschließen. Bis diese Vorgänge abgeschlossen sind, dürften mindesten zwei Wochen vergehen. 2 Ähnlich Steinwachs, ZInsO 2011, 410, 411; Riggert, NZI 2011, 121; Zuleger, NZI 2011, 136. 3 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 22a InsO Rz. 14. 4 S. auch Steinwachs, ZInsO 2011, 410, 411.

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Der vorläufige Gläubigerausschuss

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richts entsprechen und dieses weitere Ermittlungen einleitet, indem es den Schuldner oder vorläufigen Insolvenzverwalter auffordert, Personen zu benennen, die als Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses in Betracht kommen. Anlass hierzu besteht indes nur dann, wenn Personen vorgeschlagen wurden, die erkennbar nicht die Gläubigergesamtheit repräsentieren oder mit dem Antrag rechtsmissbräuchliche Zwecke verfolgt werden.

III. Rechtsmittel Ein Rechtsmittel gegen die Zurückweisung des Antrags auf Einsetzung eines vor- 5.436 läufigen Gläubigerausschusses, unabhängig davon, ob die Entscheidung durch Beschluss oder in Form einer Verfügung ergeht, steht dem Antragsteller mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nicht zu1. Denn Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen die Insolvenzordnung die sofortige Beschwerde vorsieht (§ 6 InsO). Ebenso wenig kann der Antragsteller bei Untätigbleiben des Gerichts eine gerichtliche Entscheidung zu seinen Gunsten herbeiführen2. Horstkotte3 hält dem entgegen, dass der Antrag auf Einsetzung eines vorläufigen 5.437 Gläubigerausschusses verfahrensrechtlich als ein das Verfahren betreffendes Gesuch i.S. des § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zu werten sei und deshalb dem Antragsteller das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen die den Antrag zurückweisende Entscheidung zustehe. Ein Rückgriff auf die Regelungen des EGGVG, wie dies von Römermann/Praß4 vorgeschlagen worden sei, sei daher nicht erforderlich. Die Rechtsbehelfe des EGGVG würden sich in der Praxis als wenig hilfreich erweisen, weil das Insolvenzverfahren als „Eilverfahren“ keine in der Rechtsprechung der OLG regelmäßig anzutreffenden Entscheidungszeiträume dulde. Obwohl es sich bei der Bestellung des vorläufigen Gläubigerausschusses nicht um 5.438 eine Sicherungsmaßnahme handelt, steht dem Schuldner gegen die Einsetzung grundsätzlich das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu (§ 21 Abs. 1 Satz 2 InsO). Fraglich erscheint, ob das Rechtsmittel auch zulässig ist, wenn der Schuldner selbst die Einsetzung nach § 22a Abs. 2 InsO beantragt hat. Zumindest dürfte es in diesem Fall an der formellen Beschwer des Schuldners fehlen5.

IV. Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Insolvenzeröffnungsverfahren Die Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Insolvenzeröff- 5.439 nungsverfahren hat sich auf Grund der Verweisung in § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO am Leitbild des § 67 Abs. 2 InsO zu orientieren, ohne dass daraus eine Verpflichtung für das Gericht erwächst, mindestens vier Personen zu bestellen. Ein Gläubiger1 Ebenso Frind in Haarmeyer/Wutzke/Förster, § 22a InsO Rz. 25; Ampferl in Kübler, HRI, § 9 Rz. 149; Sander in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 22a InsO Rz. 20. 2 Vgl. BGH v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZIP 2013, 525. 3 Horstkotte, ZInsO 2012, 1930. 4 Römermann/Praß, ZInsO 2012, 1923. 5 Vgl. BGH v. 17.7.2008 – IX ZB 225/07, ZIP 2008, 1793 ff.

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

ausschuss muss aus mindestens zwei Mitgliedern bestehen1. Einen Anspruch auf Bestellung zum Gläubigerausschussmitglied hat kein Gläubiger2. Vielmehr obliegt es dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, wen und wie viele Personen es zu Gläubigerausschussmitgliedern bestellt3. Bei seiner Bestellungsentscheidung sollte das Gericht darauf achten, dass in dem Ausschuss die unterschiedlichen Interessen der Gläubiger gebündelt werden. Den Antragsberechtigten gemäß § 22a Abs. 2 InsO ist zu empfehlen, Mitgliedsvorschläge zu allen vier Gruppen zu unterbreiten, um nicht die Zurückweisung des Antrags als unzulässig zu riskieren. Da Insolvenzgerichte üblicherweise einen Ausschuss mit einer ungeraden Personenzahl bilden, sollte aus Vorsichtsgründen noch eine fünfte Person benannt werden4. Auch wenn § 67 Abs. 2 InsO nur vier Gläubigergruppen erwähnt, sollte das Gericht im Regelfall fünf5 oder zumindest drei Personen zu Gläubigerausschussmitgliedern bestellen, um Blockaden zu vermeiden. 5.440 Da die Vorschrift des § 67 Abs. 3 InsO in § 21a Abs. 1 Nr. 1a InsO nicht erwähnt ist, können Personen, die nicht Gläubiger des Schuldners sind, nicht in den vorläufigen Gläubigerausschuss berufen werden6. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass bei den wichtigen und weitreichenden Entscheidungen im Eröffnungsverfahren nur Personen beteiligt werden, die einen unmittelbaren Bezug zum Schuldner und praktische Kenntnisse von seinem Geschäftsbetrieb haben7. Etwas anderes gilt für diejenigen, die erst mit der Eröffnung des Verfahrens die Stellung eines Gläubigers erlangen (§ 21 Abs. 1 Nr. 1a InsO)8. 5.441 Eine wichtige Erkenntnisquelle für das Gericht, wer zum Mitglied des vorläufigen Gläubigerausschusses bestellt werden kann, bilden vor allem die vom Schuldner vorzulegenden vollständigen Antragsunterlagen nach § 13 InsO. Darüber hinaus kann das Gericht nach § 22a Abs. 4 InsO den Schuldner oder den vorläufigen Insolvenzverwalter auffordern, Personen zu benennen, die als Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses in Betracht kommen. Dabei sollte das Gericht konkretisieren, welche Gläubigermerkmale nach § 67 Abs. 2 InsO hinsichtlich der zu benennenden Personen erfüllt sein sollen9. Im Rahmen seiner allgemeinen Auskunftspflicht hat der Schuldner zu der Aufforderung Stellung zu nehmen (§ 20 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 97 InsO). Während der Gesetzgeber dem Schuldner in § 22a Abs. 4 InsO eine direkte Einflussmöglichkeit auf die Bestellung des vor1 2 3 4 5 6

7 8 9

BGH v. 5.3.2009 – IX ZB 148/08, ZInsO 2009, 716. Knof in Uhlenbruck, § 67 InsO Rz. 18. A.A. Haarmeyer, ZInsO 2012, 2109, 2113 ff. So auch Ampferl in Kübler, HRI, § 9 Rz. 108. Das AG Ludwigshafen v. 4.5.2012 – 3f IN 103/12, ZIP 2012 2310, hält bei einer Betriebsfortführung die Zahl von 5 Mitgliedern für zwingend erforderlich. Damit ist den Gewerkschaften die Aufnahme in den vorläufigen Gläubigerausschuss verwehrt. Steinwachs (ZInsO 2011, 410, 411) sieht mit Recht die – notwendige – Bestellung eines Arbeitnehmers als problematisch an, weil sie weder ein besonderes Interesse an einer solchen Beteiligung haben noch über entsprechende Kenntnisse verfügen dürften. BT-Drucks. 17/7511, S. 33. Hierzu zählen insbesondere der Pensionssicherungsverein, Kredit- bzw. Kautionsversicherer und die Bundesagentur für Arbeit. Sander in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 22a InsO Rz. 16.

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Der vorläufige Gläubigerausschuss

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läufigen Gläubigerausschusses einräumt, fehlt es an einer entsprechenden Regelung für die Gläubiger. Vor allem professionelle Gläubiger könnten indes ein fallunabhängiges Schreiben an das Insolvenzgericht mit der Bitte richten, künftig in einen Gläubigerausschuss berufen zu werden. Im konkreten Fall hat der Gläubiger den Nachweis der Gläubigereigenschaft zu führen. Dagegen besteht bei der Bitte um Berücksichtigung in einem konkret drohenden Insolvenzfall die Gefahr, dass ein entsprechendes Gesuch eine mögliche Kreditgefährdung oder gar die Schädigung des schuldnerischen Unternehmens zur Folge haben kann. Darüber hinaus haben Gläubiger vor der Antragstellung die Möglichkeit, sich für ihre konstruktive Begleitung des außergerichtlichen Sanierungsversuchs des Schuldners eine Berücksichtigung im Schuldnervorschlag zum vorläufigen Gläubigerausschuss auszubedingen.

V. Mitgliedschaft Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben ihr Amt höchstpersönlich aus- 5.442 zuüben1. Sie können Dritte nicht mit ihrer Vertretung bevollmächtigen. Ist das Mitglied aus persönlichen Gründen dauerhaft nicht in der Lage, seinen Pflichten nachzukommen, rechtfertigt dies seine Entlassung nach § 70 InsO. Nach überwiegender Meinung in der Literatur können auch juristische Personen in den Gläubigerausschuss berufen werden2. Diese werden durch ihr Organ vertreten, das wiederum einer bestimmten Person eine Einzelvollmacht zur ständigen Vertretung im konkreten Verfahren erteilen kann. Das Vorstandsmitglied selbst kann, wenn es nicht selbst Gläubiger des Schuldners ist, nicht Mitglied des vorläufigen Gläubigerausschusses sein; ebenso wenig ein angestellter Arbeitnehmer3. Zwar kann die jeweils entsandte Person wechseln, weil nicht sie, sondern die juristische Person das Amt innehat4. Entsendet die juristische Person laufend wechselnde Vertreter, erscheint es sachgerecht, die Entlassung dieses Mitglieds näher in Erwägung zu ziehen. Behörden und Ämter wie z.B. Finanzämter können nicht Mitglied des Gläubigerausschusses werden, weil ihnen das für den rechtlichen Personenbegriff entscheidende Merkmal der Rechtsfähigkeit fehlt5.

VI. Amtsdauer Die Amtsdauer des Mitglieds des vorläufigen Gläubigerausschusses im Insolvenz- 5.443 eröffnungsverfahren beginnt grundsätzlich mit der gegenüber dem Gericht erklärten Annahme des Amtes nach dem gerichtlichen Bestellungsbeschluss und endet mit der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens6. Individuell en1 Voss in Steinwachs/Vallender, Der Gläubigerausschuss in der Insolvenz des Firmenkunden, 2. Aufl., S. 83 Rz. 142. 2 BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 35/93, ZIP 1994, 46, 47; OLG Köln v. 1.6.1988 – 13 U 234/87, ZIP 1988, 992; Vallender, WM 2002, 2040; Kind in Braun, § 67 InsO Rz. 8; Vortmann in Pape/Gundlach/Vortmann, Handbuch der Gläubigerrechte, 2. Aufl. 2011, Rz. 332. 3 Cranshaw in Steinwachs/Vallender, Der Gläubigerausschuss in der Insolvenz des Firmenkunden, 2. Aufl., S. 70 Rz. 119. 4 Schmid-Burgk in Münchener Kommentar zur InsO, § 67 InsO Rz. 18. 5 BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 35/93, ZIP 1994, 46, 47. 6 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 22a InsO Rz. 17 m.w.N.

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

det das Amt durch Tod oder durch Entlassung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1a i.V.m. § 70 InsO durch das Gericht. Die Entlassung eines Mitglieds des Gläubigerausschusses auf seinen eigenen Antrag setzt einen wichtigen Grund voraus. Ein solcher liegt vor, wenn die Fortsetzung der Tätigkeit für das Mitglied des Ausschusses bei Abwägung der Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unzumutbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn nicht gesichert ist, dass die Kosten einer angemessenen Haftpflichtversicherung für diese Tätigkeit von der Masse getragen werden können1. Das Ausschussmitglied sollte vor Annahme des Amtes darauf achten, dass es bei der abzuschließenden Versicherung keine unangemessenen Ausschlusstatbestände für die Eintrittspflicht gibt. Auch ein Selbstbehalt der Mitglieder ist möglichst ganz auszuschließen; dies gilt insbesondere für natürliche Personen als Ausschussmitglieder. 5.444 In der Praxis üblich ist die Vorlage einer schriftlichen Erklärung des vorzuschlagenden Gläubigerausschussmitglieds, zur Übernahme des Amtes bereit zu sein. Fraglich erscheint, ob es trotz dieser antizipierten Annahmeerklärung noch einer besonderen Annahmeerklärung nach der Einsetzung des Ausschusses bedarf. Aus praktischen Gründen ist dies zu verneinen. Der Wille des Erklärenden ist darauf gerichtet, für den Fall der Bestellung sein Amt anzunehmen. Eine zusätzliche ausdrückliche Annahmeerklärung wäre reine Förmelei2. Spätestens mit der Aufnahme der Tätigkeit hat das Gläubigerausschussmitglied seine Bestellung angenommen3. 5.445 Da die Vorschrift des § 21a Abs. 1a InsO nicht auf § 68 InsO verweist, findet ein automatischer Übergang in den Interimsausschuss nicht statt. Hält das Gericht die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses auch für die Zeit nach der Eröffnung bis zum Berichtstermin für erforderlich, hat es diesen erneut einzusetzen. Dabei wird es im Regelfall auf die zuvor bereits bestellten Personen zurückgreifen.

VII. Aufgaben und Befugnisse des vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren 5.446 Die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren soll der Gläubigerautonomie bereits in diesem frühen Verfahrensstadium stärker Geltung verschaffen4. So wird dem Ausschuss insbesondere die Aufgabe zugewiesen, bei wichtigen, insbesondere für die Sanierung eines Unternehmens erheblichen Entscheidungen mitzuwirken5. Dem trägt zunächst § 56a Abs. 1 InsO dadurch Rechnung, dass dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gelegenheit zu geben ist, sich zu den Anforderungen, die an den Verwalter zu stellen sind, und zur Person des Verwalters zu äußern, soweit dies nicht offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt. Von einem einstimmigen Vorschlag darf das Gericht nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist (§ 56a Abs. 2 InsO). Dies gilt glei1 2 3 4 5

BGH v. 29.3.2012 – IX ZB 310/112, ZIP 2012, 876. A.A. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2256; Ampferl in Kübler, HRI, § 9 Rz. 151. Ganter in FS Fischer, 2008, S. 121, 127. BT-Drucks. 127/11, S. 22. BT-Drucks. 17/5712, S. 24.

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Der vorläufige Gläubigerausschuss

5.449

chermaßen bei der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters (§§ 270a Abs. 3, 274 Abs. 1 InsO). Hat das Gericht vor seiner Bestellungsentscheidung von einer Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses abgesehen, so kann dieser in seiner ersten Sitzung einstimmig eine andere Person als die bestellte zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter wählen (§§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 56a Abs. 3 InsO). Nach Auffassung des BGH1 läuft es nicht allgemeinen Interessen zuwider, wenn 5.447 nach Prüfung der Umstände des Einzelfalls in einem abändernden Beschluss auf Vorschlag des vorläufigen Sachwalters und entsprechend dem einstimmigen Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses anstelle des vorläufigen Sachwalters ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird. Dies gilt vor allem, wenn die vorgenommene Bestellung des vorläufigen starken Insolvenzverwalters nach mehreren Monaten wieder rückgängig gemacht werden müsste, weil die Wirkungen von Rechtshandlungen, die von ihm oder ihm gegenüber vorgenommen worden sind, unberührt bleiben müssten (§ 34 Abs. 3 Satz 3 InsO entsprechend). Bei einem Antrag des Schuldners auf Anordnung der Eigenverwaltung ist der vor- 5.448 läufige Gläubigerausschuss ebenfalls in die Entscheidung über diesen Antrag einzubinden (§ 270 Abs. 3 Satz 1 InsO). Dabei hat er die Möglichkeit, sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht auf den Antrag Einfluss zu nehmen. Bei einer drohenden Gläubigerbenachteiligung sollte er dem Gericht die entsprechenden Tatsachen näher darlegen, ohne dass dieser Sachvortrag den Richter in seiner Entscheidung bindet. Allerdings wird das Gericht insbesondere bei einem Mehrheitsbeschluss die darin enthaltenen Erwägungen nicht unberücksichtigt lassen dürfen. Lehnt der vorläufige Gläubigerausschuss einstimmig die Eigenverwaltung ab, bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird2. Wird der Antrag von einem einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses gestützt, so gilt die Anordnung nicht als nachteilig für die Gläubiger. Diese Fiktion hindert das Gericht daran, selbst bei Kenntnis von Tatsachen, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, den Antrag zurückzuweisen. Denn ist die Fiktionsbasis gegeben, kann es tatsächliche Zweifel nicht mehr geben. Eine Entscheidung nach der Beweislast ist dann zwingend ausgeschlossen3. In einem solchen Fall sollte das Gericht indes in seine Entscheidung die gewonnenen Erkenntnisse aufnehmen, um den Gläubiger eine hinreichende Basis für eine davon abweichende Entscheidung in der ersten Gläubigerversammlung zu treffen. Es empfiehlt sich, die Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses mit der Anhörung zur Auswahl des vorläufigen Sachwalters zu verbinden4. Hat der Schuldner neben einem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung einen 5.449 Antrag auf Anordnung des so genannten Schutzschirmverfahrens nach § 270b Abs. 1 InsO gestellt, kann der vorläufige Gläubigerausschuss die Aufhebung dieser Entscheidung beantragen (§ 270b Abs. 4 Nr. 2 InsO). Hierzu genügt ein wirk1 BGH v. 5.3.2015 – IX ZB 77/14, ZIP 2015, 648 Rz. 11. 2 LG Halle (Saale) v. 14.11.2014 – 3 T 86/14, ZIP 2014, 2355; s. dazu auch BGH v. 5.3.2015 – IX ZB 77/14, ZIP 2015, 648. 3 Prütting in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast, Grundlagen 2009, § 8 Rz. 9. 4 BT-Drucks. 17/5712, S. 60.

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5.450

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

samer Beschluss mit Kopfmehrheit1. Das Gesetz stellt insoweit keine weiteren Voraussetzungen auf. Das Gericht hat dem Antrag zu folgen, ohne dass ihm eine Überprüfungsbefugnis zusteht. Dies ist Ausdruck der den Gläubigern durch das ESUG eingeräumten Machtposition im Insolvenzverfahren2. 5.450 Neben diesen besonders zugewiesenen Aufgaben obliegen dem vorläufigen Gläubigerausschuss gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO alle Aufgaben nach § 69 InsO3. Danach hat er den vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. vorläufigen Sachwalter bei seiner Geschäftsführung zu unterstützen und zu überwachen. Darüber hinaus haben sich die Ausschussmitglieder über den Gang der Geschäfte zu unterrichten sowie die Bücher und Geschäftspapiere einzusehen und den Geldverkehr und -bestand prüfen zu lassen. Die Überwachungspflicht erstreckt sich sowohl auf die Rechtmäßigkeit als auch auf die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung des „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters4. 5.451–5.460 vacat

1 2 3 4

Ampferl in Kübler, HRI, § 9 Rz. 228. Ringstmeier in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 270b InsO Rz. 36. Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 22a InsO Rz. 20. Vgl. OLG Rostock v. 28.5.2004 – 3 W 11/04, ZInsO 2004, 814.

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Vorläufige Insolvenzverwaltung

5.462

G. Vorläufige Insolvenzverwaltung I. Zweck, Erscheinungsformen Ein Insolvenzverfahren wird eröffnet, wenn ein Insolvenzgrund vorliegt (§ 16 5.461 InsO) und – falls kein Kostenvorschuss geleistet wird – die Verfahrenskosten durch das Vermögen des Schuldners gedeckt sind (§ 26 Abs. 1 InsO). Der Eröffnungsgrund ist bei einem Gläubigerantrag nur glaubhaft und bei einem Eigenantrag, wenn ihn alle vertretungsberechtigten Personen einreichen, sogar nur schlüssig vorzutragen (§§ 14 f. InsO). Deshalb bedarf es Zeit für Ermittlungen der Verfahrenskostendeckung1 und Eröffnungsgründe, die zur Überzeugung des Gerichts2 festzustellen sind. Dazu muss die gesamte Vermögens- und Finanzlage des Schuldners geprüft werden3. Die Ermittlungen erfolgen von Amts wegen. Das Gericht bedient sich regelmäßig des in § 5 Abs. 1 InsO vorgesehenen Sachverständigen, der bei Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung meist auch zum vorläufigen Verwalter bestellt wird. Die Personenidentität von Sachverständigem und Verwalter ist außer in konfliktträchtigen Grenzfällen trotz des Eigeninteresses des Sachverständigen an einer Amtsübernahme sinnvoll, weil dadurch Kosten gespart und die Informationsermittlung konzentriert wird. Häufig sind Eröffnungsgrund und Verfahrenskostendeckung evident. Zu den Ver- 5.462 fahrenskosten gehören nur die in § 54 InsO genannten Positionen, nicht aber auch die mit einer Fortführung oder Stilllegung des Unternehmens notwendigerweise verbundenen Masseschulden4. Gleichwohl dauert es in der Praxis bis zur Eröffnungsentscheidung geraume Zeit, weil die Personalkosten für drei Monate vor dem Insolvenzereignis5 als Insolvenzgeld gezahlt werden6 (zur Vorfinanzierung bis zur Auszahlung s. Rz. 5.381 ff.). Die mit dem Insolvenzantrag auf die Bundesagentur für Arbeit übergehenden7 Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer sind nur Insolvenzforderungen (vgl. § 55 Abs. 3 InsO), so dass damit zwar keine Vermögens-, wohl aber ein erheblicher Liquiditätsvorteil verbunden ist, der es rechtfertigt, die Eröffnungsentscheidung auch dann erst nach dem Ablauf des Insolvenzgeldzeitraums zu treffen, wenn die Eröffnungsvoraussetzungen schon vorher feststehen8. Außerdem verlangen die Insolvenzgerichte regelmäßig, dass der Sachverständige sich nicht nur zu den entscheidungserheblichen Eröffnungsvoraussetzungen äußert, sondern auch zu sämtlichen wesentlichen Bestandteilen der künftigen Insolvenzmasse, um die Befriedigungsaussichten der Gläubiger ab1 Sie muss gemäß § 26 Abs. 1 InsO nur „voraussichtlich“ und nicht auch sicher gegeben sein, BGH v. 13.4.2006 – IX ZB 118/04, ZIP 2006, 1056. 2 Lt. BGH v. 13.4.2006 – IX ZB 118/04, ZIP 2006, 1056 unter II.2. genügt „ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit“. 3 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 16 InsO Rz. 10. 4 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 26 InsO Rz. 15. 5 Insolvenzereignis ist nicht schon der Insolvenzantrag, sondern erst die Entscheidung über die Eröffnung oder Zurückweisung des Eröffnungsantrags (§ 165 Abs. 1 SGB III). 6 Allerdings begrenzt auf die Beitragsbemessungsgrenze (§ 176 Abs. 1 SGB III). 7 § 169 SGB III. 8 AG Hamburg v. 21.1.2014 – 67g IN 428/13, ZIP 2014, 1091; AG Hamburg v. 1.6.2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630; AG Hamburg v. 1.10.2001 – 67g IN 195/01, ZIP 2001, 1885 m. Anm. Spliedt, EWiR 2001, 1099.

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5.463

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

schätzen zu können1. Dazu gehören die aus der Buchhaltung nicht sofort ersichtlichen insolvenzspezifischen Haftungs- und Anfechtungsansprüche. Schließlich kann gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 3 InsO der Sachverständige mit einer Prüfung der Fortführungsaussichten eines vom Schuldner betriebenen Unternehmens beauftragt werden, was ebenfalls erhebliche Zeit in Anspruch nimmt. 5.463 Währenddessen besteht die Gefahr, dass der Schuldner Vermögensgegenstände beiseiteschafft oder für sein späteres Fortkommen wichtige Gläubiger vorab befriedigt oder auch einfach nur „alles auf eine Karte“ setzt, damit er im Erfolgsfall den Insolvenzgrund beseitigen kann. Um eine nachteilige Veränderung in der Vermögenslage zu verhüten, kann das Insolvenzgericht gemäß §§ 21 f. InsO Sicherungsmaßnahmen anordnen. Sie müssen nicht zwingend mit der Bestellung eines vorläufigen Verwalters verbunden werden. Zulässig sind auch einzelne Beschränkungen der Befugnisse sowohl des Schuldners als auch der Gläubiger wie beispielsweise ein nur bestimmte Gegenstände betreffendes Verfügungsverbot oder die Untersagung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, ohne dass es eines vorläufigen Insolvenzverwalters bedarf. Umgekehrt ist es lt. § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO auch möglich, einen vorläufigen Insolvenzverwalter zu ernennen, ohne dass dies mit Beschränkungen des Schuldners korrespondiert2. Er ist dann nur eine Aufsichtsperson mit Redepflichten gegenüber dem Insolvenzgericht und den in § 22 Abs. 3 InsO genannten Befugnissen (Betreten der Geschäftsräume des Schuldners, Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen, Unterstützung vom Schuldners bzw. seiner Organe). In der Praxis sind isolierte Beschränkungen des Schuldners bzw. der Gläubiger oder die Berufung eines vorläufigen Verwalters ohne auf das Schuldnervermögen bezogene Kompetenzen selten. Nur bei erfolgversprechenden Eigenverwaltungsanträgen insbesondere in Verbindung mit einem Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO wird statt eines vorläufigen Verwalters ein vorläufiger Sachwalter bestellt, dem keine verfügungsbeschränkenden Befugnisse zustehen (Näheres s. Rz. 9.10). 5.464 Nachstehend werden die vorläufigen Verwaltungen erläutert, in denen Verfügungsbeschränkungen des Schuldners mit der Bestellung eines vorläufigen Verwalters verbunden werden. In der Praxis am häufigsten ist die sog. „schwache“ vorläufige Verwaltung, die deshalb so bezeichnet wird, weil der Verwalter nicht oder jedenfalls nicht umfassend verfügungsbefugt ist, während bei der „starken“ vorläufigen Verwaltung die Verfügungsbefugnis gemäß § 22 Abs. 1 InsO vom Schuldner auf den Verwalter übergeht. Diese Variante ist weniger verbreitet, weil der Übergang der Verfügungsbefugnis zur Folge hat, dass von dem Verwalter begründete Verbindlichkeiten und vor allem Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, soweit der Verwalter die Gegenleistung in Anspruch nimmt, im eröffneten Verfahren als Masseverbindlichkeiten zu bedienen sind. Das ist in der Anfangsphase unerwünscht, weil die Erfüllbarkeit noch nicht absehbar ist. Umgekehrt ist auch die „schwache“ vorläufige Verwaltung ohne jegliche Verfügungsbefugnis des Verwalters selten. Am häufigsten ist die hybride Form einer Zustimmungsverwaltung mit partieller Verfügungs- und/oder Verpflichtungsermächtigung („halbstarke“ vorläufige Verwaltung). Darauf wird nach einer Darstellung der beiden puristischen Grundtypen eingegangen. 1 AG Hamburg v. 1.2.2012 – 67g IN 459/11, ZIP 2012, 339; Checkliste des BAKInsO, NZI 2009, 37 ff. 2 BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419 Rz. 48.

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Vorläufige Insolvenzverwaltung

5.467

II. Anordnung 1. Beschluss von Amts wegen Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen erfolgt von Amts wegen (§§ 21 5.465 Abs. 1, 5 Abs. 1 InsO) durch gerichtlichen Beschluss. Anträge von Verfahrensbeteiligten sind nur Anregungen1. 2. Voraussetzungen Sicherungsmaßnahmen greifen in das grundrechtlich geschützte Eigentum so- 5.466 wohl des Schuldners als auch des Gläubigers ein2. Deshalb darf das Insolvenzgericht sie nur unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots beschließen3. Als Erstes muss der Insolvenzantrag zulässig sein4. Zwar spricht § 21 Abs. 1 InsO von Maßnahmen bis zur Entscheidung über den Insolvenzantrag, ohne zwischen Zulässigkeit und Begründetheit zu differenzieren. Nur ein zulässiger Antrag kann jedoch zu einer Insolvenzeröffnung und damit zu einer künftigen Insolvenzmasse führen, die des Schutzes durch Sicherungsmaßnahmen bedarf. Andererseits folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgebot auch, dass etwaige Zulässigkeitsmängel gegen das Sicherungsinteresse der Gläubiger abzuwägen sind. Ist zu erwarten, dass die Mängel kurzfristig behoben werden5 oder muss eine vorerst nur mit überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommene örtliche Zuständigkeit gerade bei internationalen Bezügen noch abschließend geklärt werden6, sind Sicherungsmaßnahmen gerechtfertigt, müssen aber bei Auftreten zulässigkeitshindernder Erkenntnisse unverzüglich aufgehoben werden7. Als Zweites ist zu prüfen, ob eine nachteilige Veränderung der Vermögenslage 5.467 einzutreten droht. Wegen der Eilbedürftigkeit kann keine Gewissheit verlangt werden. Lt. § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO müssen die Sicherungsmaßnahmen nur als erforderlich „erscheinen“. Das hängt ab von der Komplexität der Vermögensverhältnisse und insbesondere dem Verhalten des Schuldners oder einzelner Gläubiger. Erfüllt der Schuldner schon die ihm gemäß § 20 InsO obliegenden Mitwirkungspflichten nicht, „erscheint“ eine Sicherungsmaßnahme als erforderlich. Aber auch bei kooperationsbereiten Schuldnern bedarf es häufig der Bestellung eines vorläufigen Verwalters als vertrauensbildende Maßnahme, um eine Geschäftsfortführung zu gewährleisten, mit der die in einem Unternehmen steckenden Werte erhalten werden. Ein anderes Motiv für Sicherungsanordnungen liegt 1 Zur Diskussion über ein – abzulehnendes – Antragserfordernis bei § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO s. Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 29. 2 Selbst die isolierte Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Einsichts- und Betretungsrechten greift in das Recht des Eigentümers ein, den Zugriff auf sein Eigentum selbst zu bestimmen. 3 BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 208/05, ZIP 2005, 2333; BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625; Hölzle in Karsten Schmidt, § 21 InsO Rz. 9; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 21 InsO Rz. 14. 4 BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2006, 878. 5 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 4. 6 BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878 Rz. 10; BGH v. 22.4.2010 – IX ZB 217/09, NZI 2010, 680 Rz. 5. 7 BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878 Rz. 9.

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5.468

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

vor, wenn zu befürchten ist, dass Gläubiger Vollstreckungsmaßnahmen ergreifen oder auf andere Weise wie beispielsweise durch das Herausverlangen von Ausund Absonderungsgut eine vorzugsweise Befriedigung suchen. Die Anordnungen werden entweder unverzüglich nach Eingang des Insolvenzantrages unter Verwertung der daraus und einer Anhörung des Schuldners gemäß § 14 Abs. 2 InsO gewonnen Erkenntnisse getroffen oder später aufgrund einer Anregung des mit der weiteren Aufklärung beauftragten Sachverständigen. Um den Sicherungszweck nicht zu gefährden, reicht es aus, dass dem Schuldner erst anschließend das nach Art. 103 Abs. 1 GG erforderliche rechtliche Gehör gewährt wird1, was insbesondere auch mit der dem Schuldner zustehenden Beschwerde (§ 21 Abs. 1 Satz 2 InsO) verbunden werden kann. 5.468 Als Drittes schließlich ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Entscheidung über den konkreten Sicherungsumfang zu berücksichtigen. Der Regelfall ist die um einzelne Ermächtigungen ergänzte „schwache“ vorläufige Verwaltung. Ist der Schuldner nicht kooperativ und müssen Verfügungen insbesondere im Rahmen einer Unternehmensfortführung getroffen werden, bleibt nur die „starke“ vorläufige Verwaltung. Sie kann auch allein auf „Druck“ der Kunden und/ oder Lieferanten in Betracht kommen, wenn sie nur noch mit einem vorläufigen Insolvenzverwalter zu kontrahieren bereit sind2. 3. Rechtsmittel 5.469 § 6 Abs. 1 InsO lässt eine sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur in den von der InsO vorgesehenen Fällen zu. Diese Voraussetzung ist für den durch eine Maßnahme belasteten Schuldner gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO erfüllt3. Gläubiger haben keine Beschwerdemöglichkeit4, obwohl sie schon von simplen Verfügungsbeschränkungen des Schuldners betroffen sein können, erst recht aber von der Beschränkung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO) und insbesondere von der Beschränkung der aus Aus- und Absonderungsrechten folgenden Befugnisse (§ 21 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Sie können sich rechtliches Gehör aber durch eine formlose Gegenvorstellung verschaffen5. Ebenfalls keine Beschwerdemöglichkeit hat der vorläufige Insolvenzverwalter. Zwar mag er ein Interesse daran haben, dass ihm keine zusätzlichen Pflichten auferlegt werden, wie es insbesondere durch einen Wechsel von der „schwachen“ zur „starken“ Verwaltung geschehen könnte. Betroffen ist er davon jedoch nicht in eigenen Rechten, sondern nur in seiner Rolle als Amtsträger. Er kann sich nur durch eine Ablehnung der Bestellung wehren, nicht aber durch eine Beschwerde gegen die Anordnung.

1 BGH v. 14.7.2011 – IX ZB 57/11, ZIP 2011, 1875 Rz. 13; BGH v. 15.12.2011 – IX ZB 139/11 Rz. 4 f., juris. 2 LG Halle v. 14.11.2014 – 3 T 86/14, ZIP 2014, 2355 m. Anm. Spliedt, EWiR 2014, 789. 3 Nach der Aufhebung des § 7 InsO a.F. kann gegen einen die sofortige Beschwerde zurückweisenden Beschluss nur noch Rechtsbeschwerde eingelegt werden, wenn das Beschwerdegericht dies ausdrücklich zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). 4 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 41. 5 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 64.

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Vorläufige Insolvenzverwaltung

5.471

III. Anordnungsvarianten 1. „Schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung a) Rechtsfolgen eines Zustimmungsvorbehalts Bei der „schwachen“ vorläufigen Verwaltung sind Verfügungen des Schuldners 5.470 nur wirksam, soweit der vorläufige Verwalter zustimmt. Sie wird deshalb auch als Zustimmungsverwaltung bezeichnet. Dieser Vorbehalt gilt entweder für sämtliche Verfügungen oder ist auf einige wesentliche Vermögensgegenstände wie Immobilien oder Bankforderungen beschränkt, die dann genau bezeichnet werden müssen1. Verfügung2 ist jede Einwirkung auf ein bestehendes Recht, sei es in Form einer Übereignung, Abtretung, Belastung oder auch nur Kündigung. Keine Verfügungen sind Verpflichtungserklärungen des Schuldners. Von ihm begründete Verbindlichkeiten sind vorbehaltlich einer Insolvenzanfechtung3 wirksam4, bilden allerdings auch nur Insolvenzforderungen, soweit das Gesetz nicht in den §§ 108 ff. InsO ihre Fortdauer als Masseschuld nach Verfahrenseröffnung vorsieht. Der BGH unterscheidet zwischen der Verfügungshandlung und dem Verfügungs- 5.471 erfolg5. Der Zustimmungsvorbehalt soll nur die Verfügungshandlung betreffen. Wurde sie vor dessen Anordnung vorgenommen, hindere das den späteren Eintritt des Verfügungserfolgs nach Anordnung der Verfügungsbeschränkung nicht mehr. Bedeutung hat das insbesondere für künftige Forderungen, die der Schuldner abgetreten hat und die erst durch die Betriebsfortführung während der vorläufigen Verwaltung entstehen. Da die Entstehung nach Ansicht des BGH nicht zur Verfügungshandlung gehört, kann der Abtretungsempfänger auch ohne Zustimmung des vorläufigen Verwalters Forderungsinhaber werden6. Gleiches gilt, wenn die künftigen Forderungen im Wege der Zwangsvollstreckung gepfändet wurden7. Gerechtfertigt wird diese Auffassung u.a. mit § 91 InsO, der erst nach Verfahrenseröffnung8 einen Rechtserwerb ausschließt, auch wenn keine Verfügungshandlung des Schuldners vorliegt. Demgegenüber verweist § 24 InsO für die Rechtsfolgen von Verfügungsbeschränkungen vor Verfahrenseröffnung nur auf § 81 InsO. Für eine Vorverlagerung des § 91 InsO in das Eröffnungsverfahren fehle es an einer planwidrigen Gesetzeslücke9. Bei einem Vermieterpfandrecht an während der vorläufigen Verwaltung in die Räume verbrachten Sachen wird diese Unterscheidung hingegen nicht gemacht. Obwohl auch hier die Grundlage der vor Anordnung der Sicherungsmaßnahme geschlossene Mietvertrag ist, wird die Einbringung von Gegenständen nicht nur als Tathandlung bzw. Bedingung der zuvor ver1 2 3 4 5 6 7 8 9

Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 20. Wie im allgemeinen Zivilrecht, BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 1/09, ZIP 2010, 138 Rz. 26. Vgl. insbes. §§ 132, 133 Abs. 2 InsO. BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 1/09, ZIP 2010, 138 Rz. 26; BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 Rz. 26. BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 136/11, ZIP 2012, 1256 Rz. 10. BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 1/09, ZIP 2010, 138 Rz. 25; BGH v. 22.10.2009 – IX ZR 90/08, ZIP 2009, 2347 Rz. 9. BGH v. 20.3.1997 – IX ZR 71/96, ZIP 1997, 737. BGH v. 14.12.2006 – IX ZR 102/03, ZIP 2007, 191. S. zusammenfassend Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, vor §§ 49–52 InsO Rz. 30 f.; Gehrlein, ZIP 2011, 5, 6 f.

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5.472

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

einbarten Pfandrechtsentstehung angesehen, sondern als aktuelle Verfügung, so dass das Vermieterpfandrecht nur bei einer Zustimmung des vorläufigen Verwalters entstehen soll1. Anders wird die antizipierte Sicherungsübereignung behandelt. Bei ihr soll Sicherungseigentum aufgrund der zuvor getroffenen Vereinbarung auch an nach Anordnung einer Verfügungsbeschränkung hergestellten oder in einen Sicherungsraum verbrachten Sachen begründet werden können2. Im Unterschied zur Forderungsabtretung bedarf es jedoch zusätzlich eines fortbestehenden Besitzmittlungswillens zugunsten des Sicherungsgläubigers, an dem es jedenfalls dann fehlt, wenn das Insolvenzgericht die Inbesitznahme des Schuldnervermögens durch den vorläufigen Verwalter anordnet. 5.472 Ob der Vergleich zwischen §§ 24, 81 InsO und dem erst nach Verfahrenseröffnung eingreifenden § 91 InsO das Ergebnis trägt3, obwohl der BGH betont, dass der insolvenzrechtliche mit dem zivilrechtlichen Verfügungsbegriff identisch ist4, und zivilrechtlich die Verfügungsbefugnis noch im Zeitpunkt der Entstehung des Rechts vorhanden sein soll5, sei hier dahingestellt6. Immerhin kann sich diese Auffassung auf die Begr. RegE InsO stützen, in der als Anwendungsbeispiel für § 91 InsO gerade die Entstehung von im Voraus abgetretenen Forderungen genannt wird7, diese Vorschrift aber weitgehend unbestritten nicht während der vorläufigen Verwaltung gilt. Zumindest werden die für die Gläubigergesamtheit nachteiligen Konsequenzen durch die insolvenzrechtliche Anfechtung gemildert. Ihr unterliegen auch rein tatsächliche Handlungen, die die Befriedigungsmöglichkeiten eines einzelnen Gläubigers zu Lasten der übrigen verbessern8. Im Gegensatz zur Wirkung einer Verfügungsbeschränkung wird anfechtungsrechtlich bei mehraktigen Rechtshandlungen auf den letzten zur Erfüllung des Tatbestands erforderlichen Teilakt abgestellt9. Von Bedeutung ist das für das Werthaltigmachen einer zedierten Forderung durch den Abschluss neuer oder die Erfüllung alter Verträge mit Kunden10. Ohne Anfechtung würden die neuen oder aufgewerteten Forderungen auch alte Ansprüche der Sicherungsgläubiger abdecken11. Genauso verhält es sich mit anderen revolvierenden Sicherheiten bspw. Aufgrund von Raumsicherungsverträgen. Da es sich nach Ansicht des BGH um kongruente Deckun1 Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, § 50 InsO Rz. 86a; a.A. Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 24 InsO Rz. 5. 2 Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, § 51 InsO Rz. 107a; vor §§ 49–52 InsO Rz. 30 f. 3 Kritisch u.a. Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 24 InsO Rz. 8 f. 4 BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 1/09, ZIP 2010, 138 Rz. 26. 5 BGH v. 30.5.1958 – V ZR 295/56, BGHZ 27, 360 unter III.3.b); anders demgegenüber schon zur KO BGH v. 20.3.1997 – IX ZR 71/96, ZIP 1997, 737, und zur KO BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, ZIP 2008, 183 Rz. 27. 6 Bestätigend: Gehrlein, ZIP 2011, 5 f. 7 BT-Drucks. 12/2443, S. 138 zu § 102 der Entwurfsfassung. 8 Im Gläubigerschutzsystem vor Eröffnung durch Anfechtung und erst nach Eröffnung durch Unwirksamkeit sieht der BGH eine zusätzliche Rechtfertigung für seine Ansicht, BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 1/09, ZIP 2010, 138 Rz. 27. 9 BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, ZIP 2010, 682 Rz. 13. 10 BGH v. 20.6.2008 – IX ZR 144/05, ZIP 2008, 1435; BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, ZIP 2008, 183; BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 165/05, ZIP 2008, 372. 11 BGH v. 14.12.2006 – IX ZR 102/03, ZIP 2007, 191 zum Sicherungsumfang des Vermieterpfandrechts.

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Vorläufige Insolvenzverwaltung

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gen handelt1, hat die Anfechtung jedoch nur Erfolg, wenn der Sicherungsgläubiger entweder die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag bzw. zumindest zwingend darauf hindeutende Umstände kennt (§ 130 Abs. 1, 2 InsO). Bei Banken werden diese Voraussetzungen regelmäßig erfüllt sein. Lieferanten2 sollten jedoch gesondert informiert werden. Allein die nach § 23 Abs. 1 InsO erforderliche öffentliche Bekanntmachung von Verfügungsbeschränkungen begründet keine Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Eröffnungsantrag3. Verfügungen des Schuldners, die er ohne die Zustimmung des vorläufigen Ver- 5.473 walters tätigt, sind schwebend unwirksam. Die Unwirksamkeit tritt gemäß §§ 24 Abs. 1, 81 Abs. 1 InsO absolut gegenüber jedermann ein4. Da die Verfügungsbefugnis fehlt, ist ein guter Glaube des Rechtserwerbers irrelevant; denn § 932 BGB schützt den guten Glauben nur hinsichtlich der Eigentümerstellung, nicht aber hinsichtlich der Verfügungsberechtigung5. Anders soll es sein, wenn das Insolvenzgericht nur einzelne Zustimmungsvorbehalte hinsichtlich bestimmter Vermögensgegenstände anordnet. Das wird nur als relatives Veräußerungsverbot gemäß §§ 135 f. BGB angesehen6; denn § 24 InsO erfasse als lex specialis nur die allgemeine Verfügungsbeschränkung. Die Konsequenz ist, dass ein gutgläubiger Erwerb gemäß § 135 Abs. 2 BGB möglich ist7. Einmal davon abgesehen, dass die bloß relative Unwirksamkeit wegen der späteren Gesamtwirkung des Insolvenzbeschlags nach Verfahrenseröffnung unzweckmäßig ist8, trifft es auch nicht zu, dass nur allgemeine Verfügungsbeschränkungen vom Wortlaut des § 24 InsO erfasst sind; denn § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO, auf den dort Bezug genommen wird, unterscheidet zwischen einem „allgemeinen Verfügungsverbot“ und Verfügungen des Schuldners, die nur mit Zustimmung eines vorläufigen Verwalters wirksam werden sollen, ohne diese zweite Alternative ebenfalls auf „alle“ Verfügungen zu erstrecken. Deshalb ist es vom Wortlaut durchaus gedeckt, auch besondere Verfügungsverbote der allgemeinen Unwirksamkeit gemäß § 81 InsO ohne den Schutz eines gutgläubigen Erwerbs zu unterwerfen9, jedenfalls dann, wenn – wie in der Praxis regelmäßig und in § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO vorgesehen – das besondere Verfügungsverbot mit der Zustimmungsbefugnis eines vorläufigen Insolvenzverwalters verbunden wird. Unwirksamkeit bedeutete keine Nichtigkeit. Anderenfalls würde eine Zustim- 5.474 mung des vorläufigen Verwalters ins Leere gehen. Sie kann gemäß §§ 182 ff. 1 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, ZIP 2008, 183 Rz. 14 ff., was lt. Rz. 24 auch für Raumsicherungsverträge gilt. 2 Zum erweiterten und verlängerten Eigentumsvorbehalt während der vorläufigen Verwaltung: BGH v. 17.3.2011 – IX ZR 63/10, ZIP 2001, 773. 3 BGH v. 7.10.2010 – IX ZR 209/09, ZIP 2010, 2307. 4 BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 232/04, ZIP 2006, 479 unter II.2.b)dd); Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 24 InsO Rz. 3. 5 Bassenge in Palandt, Vorb v § 929 BGB Rz. 3. 6 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 24 InsO Rz. 4 m.w.N. in Fn. 7; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 24 InsO Rz. 2. 7 Vgl. BGH v. 15.11.1999 – II ZR 98/98, ZIP 2000, 146 zur konkursrechtlichen Sequestration. 8 Vgl. die Überlegung zur Gesamtwirkung der Rückschlagsperre gemäß § 88 InsO bei BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 232/04, ZIP 2006, 479. 9 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 60; unklar demgegenüber bei § 24 InsO Rz. 10.

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

BGB dem Schuldner oder dem Vertragspartner gegenüber erteilt werden, und zwar sowohl vor als auch – außer bei einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärungen, § 182 Abs. 3 BGB – nach der Verfügung. Eine weitere Konsequenz der bloßen Unwirksamkeit ist, dass Verfügungen des Schuldners gemäß § 185 Abs. 1 BGB ex tunc wirksam werden, sollten die Sicherungsmaßnahmen aufgehoben werden1. 5.475 Auch der Einzug einer Forderung ist eine Verfügung2, gegen deren Unwirksamkeit ein Drittschuldner jedoch geschützt werden muss, zumal i.d.R. nicht aktiv eingezogen, sondern schlichtweg auf das in der Rechnung angegebene Konto gezahlt wird. Der Drittschuldner wird gemäß § 82 InsO von seiner Verbindlichkeit frei, wenn er entweder die Anordnung der vorläufigen Verwaltung nicht kannte oder der Verwalter der Erfüllung zustimmt. Die Zustimmung wird ein Verwalter nur erteilen, wenn die vereinnahmten Gelder der zukünftigen Insolvenzmasse nicht verloren gehen. Das hängt von der Auswirkung eines Verfügungsverbots auf die Geschäftsverbindung zwischen Schuldner und Bank ab. 5.476 Die Auswirkungen einer Verfügungsbeschränkung auf ein Bankkonto des Schuldners sind etwas kompliziert. In der Praxis „sperrt“3 die Bank ein Konto gegen Verfügungen des Schuldners, sobald sie von Verfügungsbeschränkungen Kenntnis erlangt hat. Unterlässt sie das, weil sie bspw. von der Anordnung noch nicht unterrichtet wurde, wird eine Überweisung des Schuldners entgegen der umgangssprachlichen Bezeichnung4 nicht als die Verfügung über ein „Guthaben“ bzw. dem ihm zugrunde liegenden Anspruch angesehen, sondern als ein Verpflichtungsgeschäft5, das der Schuldner wirksam eingehen darf. Die Bank kann nur ihren durch die Ausführung entstandenen Aufwendungsersatzanspruch nach Anordnung der Zustimmungsverwaltung nicht mehr in das Kontokorrent einstellen6. Immerhin bleibt sie aber weiter zur Aufrechnung befugt7, weil es sich dabei um eine Verfügung über das Kontoguthaben8 durch sie, nicht durch den Schuldner handelt9. Vom Insolvenzgericht angeordnete Verfügungsbeschränkungen gelten nicht für Verfügungen Dritter10 (zu den Ausnahmen s. Rz. 5.499). Nur in der Kontokorrentabrede – im Unterschied zur Aufrechnung – wird eine nicht mehr wirksame Verfügung (auch) des Schuldners gesehen. Die weiterhin wirksam mögliche einseitige Aufrechnung unterliegt nach Verfahrenseröffnung der Insolvenzanfechtung, soweit die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO gegeben sind11. 1 BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 232/04, ZIP 2006, 479. 2 Deshalb begründet der unberechtigte Einzug einer Forderung auch eine Ersatzabsonderung gemäß § 48 InsO, Ganter, NZI 2010, 551. 3 D.h. sie kündigt den Zahlungsdienstrahmenvertrag (§ 675f Abs. 2 BGB) aus wichtigem Grund gemäß Ziff. 19 AGB-Banken. 4 Und auch entgegen der Gesetzesformulierung, die in § 675g Abs. 1 BGB von Genehmigung und Einwilligung spricht. 5 Trotz des Wortlauts von § 675j BGB, der von Zustimmung spricht, also auf einen verfügungsrechtlichen Charakter hinweist. 6 BGH v. 5.2.2009 – IX ZR 78/07, ZIP 2009, 673. 7 BGH v. 29.6.2004 – IX ZR 195/03, ZIP 2004, 1558. 8 Genauer: den Anspruch des Schuldners gegen die Bank. 9 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 24 InsO Rz. 10. 10 BGH v. 24.9.2009 – IX ZB 38/08, ZIP 2009, 2068 Rz. 14; BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632. 11 Zu der dafür relevanten Frage, wann eine kongruente und wann eine inkongruente Deckung vorliegt, s. BGH v. 29.6.2004 – IX ZR 195/03, ZIP 2004, 1558 unter II.2.b).

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Vorläufige Insolvenzverwaltung

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Ohne Aufrechnung1 oder nach einer Anfechtung2 ist der Anspruch der Bank aus der Ausführung des Überweisungsauftrags nur eine Insolvenzforderung3. Im Ergebnis wird also der Verwalter den Betrag, den ein Drittschuldner auf ein Schuldnerkonto zahlt, für die Masse „retten“ können. Um aber Unwägbarkeiten zu vermeiden, ist es sinnvoll, den vorläufigen Verwalter zum Forderungsinkasso zu ermächtigen und den Drittschuldnern zu untersagen, an den Schuldner zu zahlen (dazu Rz. 5.497). „Verfügt“ der Schuldner über ein Kontoguthaben, ist diese Anweisung im Ver- 5.477 hältnis zur Bank nach den oben dargelegten Gründen wirksam. Aus der Sicht des Zahlungsempfängers liegt eine Leistung des Schuldners, nicht der Bank vor. Die auf der Hand liegende Konsequenz wäre nach Verfahrenseröffnung eine Deckungsanfechtung gemäß §§ 130 f. InsO, wenn beim Zahlungsempfänger die dafür notwendigen subjektiven Voraussetzungen vorliegen. Demgegenüber verweist der BGH darauf, dass dem Schuldner wegen der Verfügungsbeschränkung das Recht zur Tilgungsbestimmung fehlt, so dass die Überweisung keinem Schuldgrund zugeordnet werden kann und der Empfänger den Betrag wegen ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB erstatten muss4. Das geschieht in der Regel erst nach Verfahrenseröffnung. Konnte die Bank mit ihrem aus der Überweisung folgenden Ersatzanspruch nicht aufrechnen (s. oben), fließt der Betrag in die Masse, während die Bank aus der Zahlungsdienstleistung nur eine Insolvenzforderung erworben hat. Die Erstattung des Zahlungsempfängers verschafft ihr keine Masseforderung wegen ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Zwar mag die Masse den Bereicherungsanspruch gegen den Zahlungsempfänger auf ihre Kosten erlangt haben. Das aber geschah schon vor Verfahrenseröffnung, während eine Masseforderung nur bei nach Verfahrenseröffnung eintretenden Bereicherungen entsteht5. Parallel besteht ein Anfechtungsanspruch gemäß § 134 InsO, der an keine weiteren Voraussetzungen gebunden ist. Besitzrechtlich hat eine Verfügungsbeschränkung keine Auswirkung. Der 5.478 Schuldner darf ohne Zustimmung des vorläufigen Verwalters Gegenstände, an denen Aus- oder Absonderungsrechte bestehen, an Gläubiger herausgeben6. Er kann stattdessen auch freiwillig dem vorläufigen Verwalter den Besitz einräumen. Hierbei handelt es sich um ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis (§ 854 Abs. 1 BGB, so dass der Eintritt der besitzrechtlichen Wirkungen keines gerichtlichen Beschlusses bedarf. Fraglich kann allenfalls sein, ob sich die Besitzübernahme dann noch im Aufgabenbereich des vorläufigen Verwalters bewegt (Rz. 5.480 ff.). Zudem ist zweifelhaft7, ob der Schuldner bei einem fortgeführten Geschäftsbetrieb trotz der fehlenden Publizität8 gewillkürt als Besitzdiener (§ 855 BGB) 1 Die auf der Vereinbarung mit dem Schuldner beruhende Verrechnung ist nicht mehr zulässig, BGH v. 4.5.1979 – I ZR 127/77, NJW 1979, 1658. 2 Zu den Rechtsfolgen s. § 144 Abs. 1 InsO. 3 Auch das im Übrigen nicht aus Vertrag, sondern aus ungerechtfertigter Bereicherung, soweit § 82 InsO einer wirksamen Leistung an den Schuldner gegenübersteht. 4 BGH v. 21.11.2013 – IX ZR 52/13, ZIP 2014, 32 Rz. 18 ff. 5 BGH v. 20.9.2007 – IX ZR 91/06, ZIP 2007, 2279 Rz. 9. 6 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 53. 7 Bejahend: Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 53. 8 Dazu Bassenge in Palandt, § 855 BGB Rz. 2.

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5.479

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

für den vorläufigen Verwalter auftreten kann. Eine gerichtliche Anordnung zur Besitzübernahme ist somit sinnvoll. Ihrer bedarf es auch, wenn der Schuldner nicht kooperationsbereit ist. Voraussetzung ist dann zusätzlich, dass der vorläufige Verwalter den Schuldner tatsächlich aus dem Besitz setzt oder ihn zum Besitzdiener – soweit zulässig – macht. Wurde dies versäumt, kann nur der Schuldner Besitzschutzansprüche (§§ 859, 861 f., 1007 BGB) verfolgen, was bei einem einstweiligen Rechtsschutz gegen „Selbsthilfeaktionen“ von Gläubigern leicht übersehen wird. b) Mitwirkungspflichten der Geschäftsführung 5.479 Die Pflichten des Schuldners bzw. der Geschäftsführung sind allgemein in § 20 InsO geregelt, wonach das Insolvenzgericht bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen ist. Danach hat er eine (ungefragte) Redepflicht über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse, mögen sie auch Straf- oder Ordnungswidrigkeitstatbestände erfüllen (§§ 20 Abs. 1, 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 InsO). Zugunsten des vorläufigen Verwalters erweitert § 22 Abs. 3 InsO den Kreis der Adressaten, gegenüber denen die Pflichten zu erfüllen sind, auch noch ergänzt um die Gewährung des Zutritts zu Geschäftsräumen und der Einsicht in Geschäftsunterlagen. Nicht verpflichtet ist die Geschäftsführung zur Mitarbeit bei der Unternehmensfortführung. Das regelt sich allein nach einem Anstellungsvertrag. Gegenständlich ist die Grenze zwischen insolvenzverfahrensrechtlicher Unterstützung und Mitarbeit allenfalls so zu ziehen, dass Informationserteilung geschuldet wird, Informationsumsetzung hingegen nicht. Aber schon bei der Teilnahme an Verhandlungen, Betriebsversammlungen oder interner Absprachen versagt diese Abgrenzung, so dass nur das allgemeine Kriterium der Zumutbarkeit bleibt. Die Geschäftsführung hat für die insolvenzrechtlich geschuldete Mitwirkung weder einen Vergütungs- noch einen Auslagenanspruch1, so dass nur die Unterstützung geschuldet ist, die in Abwägung der Interessen der Gläubiger mit dem Interesse der Geschäftsführung an anderweitigem Erwerb angemessen ist. c) Aufgaben des „schwachen“ Verwalters 5.480 Der „schwache“ vorläufige Verwalter hat in erster Linie eine Kontrollfunktion2. Da seine Bestellung der Verhinderung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage dient (§ 21 Abs. 1 InsO), muss er sich über die Vermögensverhältnisse sowie bei einem laufenden Geschäftsbetrieb über dessen Abläufe informieren. Dazu stehen ihm die in § 22 Abs. 3 InsO genannten Befugnisse zu3. Stellt er fest, dass die angeordneten Sicherungsmaßnahmen unzureichend sind, trifft ihn eine Redepflicht gegenüber dem Gericht. Außerdem muss er den Schuldner bei der Geschäftsfortführung unterstützen4, was beim „schwachen“ Verwalter nur als Rat und mangels Verfügungsbefugnis nicht als Tat möglich ist. Die Initiativlast für Verfügungen bleibt beim Schuldner. Dem vorläufigen „schwachen“ Ver1 Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 97 InsO Rz. 33. 2 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 50. 3 Zur Abgrenzung zwischen (gesondert vergüteter) Tätigkeit als Sachverständiger und als vorläufiger Verwalter s. Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 92. 4 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 50.

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Vorläufige Insolvenzverwaltung

5.483

walter stehen nicht die Rechte des endgültigen Verwalters zu, also insbesondere weder das Erfüllungswahlrecht des § 103 InsO noch die abgekürzten Kündigungsfristen der §§ 109 Abs. 1, 113 InsO noch die insolvenzrechtliche Anfechtung der §§ 129 ff. InsO. Sind somit die Grenzen der Rechtsmacht im Verhältnis zu Dritten klar gesteckt, 5.481 ist der Umfang der intern geschuldeten Unterstützungsleistungen weniger klar. Konsequenzen hat das einerseits bei der Vergütung, bei der nur die Tätigkeiten berücksichtigt werden dürfen, die vom gesetzlichen Aufgabenbereich des vorläufigen Verwalters umfasst sind, und andererseits bei der Haftung. Ist die Mitwirkung des vorläufigen Verwalters bei der Erstellung eines Liquiditätsplans durch einen Zuschlag zu vergüten und haftet er bei Fehlern aufgrund von § 60 InsO oder nach allgemeinen Vorschriften? Kommt umgekehrt eine Haftung in Betracht, wenn der vorläufige Verwalter die Mitwirkung an einem Liquiditätsplan unterlässt? Die Antwort folgt aus dem Zweck der vorläufigen Verwaltung, eine nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten (§ 21 Abs. 1 InsO). Gelingt das nur durch die Anordnung der „starken“ Verwaltung mit den auch nach außen wirkenden Befugnissen des § 22 Abs. 1 InsO, muss der zunächst nur als „schwacher“ bestellte vorläufige Verwalter dies anregen. Davon darf er nur absehen, wenn das Verhalten der Geschäftsführung keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Gläubigerbelange gibt, muss dafür aber natürlich auch Liquiditätspläne erörtern und erkennbare Irrtümer beseitigen. Die interne Unterstützungsaufgabe kann also bis an die Obliegenheiten des „starken“ vorläufigen Verwalters heranreichen1. Die Haftung des vorläufigen „schwachen“ Verwalters für einen Gesamtgläubiger- 5.482 schaden richtet sich nach §§ 60, 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO. Fortführungsbedingte Vermögenminderungen sind hinzunehmen, solange sie nicht gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO erheblich sind. Er darf durch die Zustimmungsverweigerung die Fortführung bis zu dieser Erheblichkeitsschwelle nicht blockieren2, muss seine Zustimmung allerdings verweigern, wenn sich die vom Schuldner beabsichtigte Verfügung nicht als fortführungsbedingte Verwertungsmaßnahme darstellt3; denn die Entscheidung über die Art und Weise der Abwicklung obliegt allein der Gläubigerversammlung (§§ 157 ff. InsO). Wegen dieses Schutzzwecks des Verwertungsverbots ist nicht jede Veräußerung einzelner Vermögensgegenstände (z.B. Forderungseinzug, Verkauf von Umlaufvermögen im üblichen Rahmen) unzulässig, sondern nur diejenige, die eine noch sinnvolle Entscheidung der Gläubiger unterläuft, so dass je nach tatsächlicher Beschaffenheit – verderbliche Ware – oder wirtschaftlicher Besonderheit – z.B. Verlust von Schutzrechten, weil die Gebühren nicht gezahlt werden können – eine Verwertung zulässig sein kann. Erteilt der vorläufige Verwalter seine Zustimmung zu unerlaubten Veräußerungen, wird es freilich meist an einem Schaden fehlen. Er setzt damit aber einen wichtigen Grund zu seiner Abberufung (§ 59 InsO) oder Verweigerung seiner Bestellung zum endgültigen Verwalter. Bedeutsamer ist die Haftung gegenüber Aus- und Absonderungsgläubigern. Über 5.483 den Bestand von Drittrechten soll erst nach Verfahrenseröffnung entschieden 1 Hölzle, ZIP 2011, 1889, 1891 ff. 2 Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 22 InsO Rz. 112. 3 BGH v. 14.2.2000 – IX ZB 105/00, ZIP 2001, 296.

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

werden1. Bis dahin erstreckt sich die Sicherungsaufgabe des Verwalters auf die davon erfassten Vermögensgegenstände, selbst soweit sie der Aussonderung unterliegen2, obwohl diese Gegenstände gemäß § 47 InsO rechtlich nicht zur künftigen Soll-Masse gehören. Entscheidend ist, ob sie sich tatsächlich in der Ist-Masse befinden. Stellt der vorläufige Verwalter fest, dass der Schuldner Sicherungsgüter beeinträchtigt, was aus Gläubigersicht auch durch eine Herausgabe von Sicherungseigentum an einzelne Gläubiger geschehen kann, muss er beim Insolvenzgericht weitere Maßnahmen anregen. Das Gleiche gilt auch im umgekehrten Fall, wenn Absonderungsgut nur zeitnah sinnvoll verwertet werden kann, der Schuldner aber hieran nicht mitwirkt3. 5.484 Eine Haftung gemäß § 61 InsO i.V.m. § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO für die Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten kommt nicht in Betracht, weil der „schwache“ vorläufige Verwalter solche Verbindlichkeiten ohne gesonderte Ermächtigung (s. dazu Rz. 5.510 ff.) nicht begründen kann. Lieferanten wird in der Praxis häufig versichert, dass die Zahlung „durch das Insolvenzsonderkonto“4 erfolgt oder „aus der Insolvenzmasse übernommen werde“5, oder schlicht, dass die „mangelfrei erbrachten Lieferungen fristgemäß und in voller Höhe bezahlt werden“6. Die Instanzgerichte neigen in solchen Fällen zur Annahme einer persönlichen Haftung aufgrund garantieähnlicher Erklärung7 oder culpa in contrahendo8, während der BGH eine Haftung für die Bestätigung ablehnte, dass die „Zahlung aller … Lieferungen und Leistungen gesichert“ sei9. Diese Entscheidung wird zu Unrecht von den Kritikern der OLG-Urteile10 für sich in Anspruch genommen; denn im BGH-Fall ging es nur um eine über § 61 InsO hinausgehende Haftung11. Zwar wird man die Garantie nur unter sehr seltenen Umständen annehmen können. Es steht jedoch nicht im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung, dem Verwalter im Wege der culpa in contrahendo eine an § 61 InsO angelehnte Haftung aufzuerlegen, wenn er Erklärungen zur Vertrauensbildung abgibt, wohl wissend, dass sonst nicht geliefert werden würde. Für den Inhaber eines gerichtlich verliehenen Amtes gilt im besonderen Maße, dass niemand „seine Vertragspartner ‚ins Messer‘ laufen lassen“ darf12. Er darf keine erkennbar falschen Vor1 BGH v. 14.12.2005 – IX ZB 256/04, ZIP 2006, 621 (zur Aus- und Absonderung); BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141 Rz. 44 (zur Aussonderung). 2 BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419 Rz. 29; BGH v. 14.12.2005 – IX ZB 256/04, ZIP 2006, 621. 3 BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419. 4 So der Fall bei OLG Celle v. 21.10.2003 – 16 U 95/03, NZI 2004, 89. 5 So der Fall bei OLG Schleswig v. 31.10.2003 – 1 U 42/03, NZI 2004, 92. 6 So der Fall bei AG Erfurt v. 25.4.2012 – 5 C 535/11, juris. 7 OLG Celle v. 21.12.2003 – 16 U 95/03, NZI 2004, 89. 8 OLG Schleswig v. 31.10.2003 – 1 U 42/03, NZI 2004, 92; OLG Rostock v. 4.10.2004 – 3 U 158/03, ZIP 2005, 220; OLG Frankfurt v. 8.3.2007 – 26 U 43/06, ZInsO 2007, 548; anders AG Erfurt v. 25.4.2012 – 5 C 535/11, juris. 9 BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107. 10 Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 22 InsO Rz. 224 m.w.N. 11 Deshalb ist auch das ebenfalls zur Haftungsbegrenzung angeführte, aber zur KO ergangene Urteil BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 114/01, ZIP 2005, 1327 keine Bestätigung für die haftungsablehnenden Ansichten. § 61 InsO hatte in der KO keinen Vorläufer. Außerdem hatte in dem dortigen Urteils-Fall der Verwalter keine zusätzliche Erklärung abgegeben, die mit dem im Text beispielhaft genannten vergleichbar war. 12 Marotzke, ZInsO 2004, 178, 180.

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Vorläufige Insolvenzverwaltung

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stellungen erwecken. Umgekehrt kann ein Vertragspartner nicht erwarten, dass der Verwalter eine über § 61 InsO hinausgehende Einstandspflicht übernehmen will, falls nicht Gegenteiliges ausdrücklich vereinbart wird. Auswirkungen hat das vor allem auf die Möglichkeit der Exkulpation i.S. von § 61 Satz 2 InsO, dass die Masseinsuffizienz nicht erkannt werden konnte1. Erklärt der Verwalter hingegen nicht mehr als seine Bereitschaft, dem künftigen Rechnungsausgleich zuzustimmen, haftet er nur, wenn er diese Zustimmung später nicht erteilt, wobei auch hier der Rechtsgedanke des § 61 Satz 2 InsO ergänzend heranzuziehen sein sollte, dass eine Masseinsuffizienz nicht erkennbar war. Er sollte jedoch beachten, dass vor Verfahrenseröffnung begründete Verbindlichkeiten Insolvenzforderungen sind, die danach nicht mehr bedient werden dürfen (§§ 38, 87 InsO). Das ist den Geschäftspartnern häufig nicht klar. Sie vertrauen auf das Zustimmungsavis, zumal eine Verfahrenseröffnung für sie wegen der üblichen Personenidentität von vorläufigem und endgültigem Verwalter keine wirtschaftlich bedeutsame Zäsur darstellt. Der vorläufige Verwalter sollte deshalb entweder darauf hinweisen, dass seine Zustimmung zur Zahlung nur bis zur Verfahrenseröffnung ausreichend ist oder aber sich vom Gericht ermächtigen lassen, schon im Vorverfahren künftige Masseverbindlichkeiten zu begründen (Rz. 5.510 ff.). d) Beendigung der vorläufigen Verwaltung Die vorläufige Verwaltung endet automatisch durch die Eröffnung des Insolvenz- 5.485 verfahrens, weil dann die umfassende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des endgültigen Verwalters gemäß §§ 80 ff. InsO eingreift2. Wird hingegen der Insolvenzantrag zurückgenommen oder mangels Verfahrenskostendeckung zurückgewiesen, müssen die Sicherungsmaßnahmen gemäß § 25 Abs. 1 InsO ausdrücklich aufgehoben werden3. Bis dahin unwirksame Verfügungen des Schuldners werden gemäß § 185 Abs. 1 BGB rückwirkend wirksam4. Nach Beendigung seines Amtes hat der vorläufige Verwalter Rechnung zu legen 5.486 (§§ 21 Abs. 1 Nr. 1, 66 InsO). Die Form der Rechnungslegung hängt von seinen Befugnissen ab. Ein „schwacher“ vorläufiger Verwalter, dessen Aufgabe sich auf die Zustimmungserteilung beschränkt und der auch keine Gelder vereinnahmt, nimmt die Rechnungslegung meist in Form eines Rechenschaftsberichts (Tätigkeitsbeschreibung) im Rahmen seines Gutachtens vor, das er als gleichzeitig bestellter Sachverständiger über die Insolvenzeröffnungsgründe und die Verfahrenskostendeckung zu fertigen hat. Formaljuristisch zutreffend ist diese Usance hingegen nicht. Auch der „Nur-Zustimmungsverwalter“ müsste eigentlich darlegen, über welche Vermögensgegenstände während der vorläufigen Verwaltung mit oder ohne seine Zustimmung verfügt wurde, so dass unmittelbar nach der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen eine Inventarisierung analog § 151 InsO erfolgen müsste, was ausdrücklich allerdings nur für den „starken“ vorläufigen Verwalter verlangt wird5. 1 Das gilt insbesondere im Hinblick auf nicht erkennbare Hindernisse gegen eine Betriebsfortführung: BAG v. 25.6.2009 – 6 AZR 210/08, ZIP 2009, 1772. 2 BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 271/04, ZIP 2007, 438 Rz. 9. 3 BGH v. 30.9.2007 – IX ZB 37/07, NZI 2008, 100 Rz. 7. 4 BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 232/04, ZIP 2006, 479. 5 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 42.

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

e) Befugnisse der Gläubiger 5.487 Für die Gläubiger ändert sich durch die Anordnung der „puristischen“ Zustimmungsverwaltung insofern etwas, als sie Leistungen des Schuldners rechtswirksam nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters erhalten können, solange es über reine Tathandlungen wie bspw. das Weiterarbeiten auf einer Baustelle hinausgeht. Ohne gesonderte Anordnung unterliegen die Gläubiger keinem Vollstreckungsverbot, sondern sind nur von der Rückschlagsperre des § 88 InsO betroffen, falls Vollstreckungsmaßnahmen bis zur Verfahrenseröffnung nicht abgeschlossen wurden. Wegen der Gefahr späterer Anfechtung lohnen sich Rechtsverfolgungskosten nicht. Üblicherweise wird die Anordnung der vorläufigen Verwaltung ohnehin mit einer Untersagung oder einstweiligen Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO) verbunden, was sich nach überwiegender Ansicht nicht nur auf Insolvenzforderungen, sondern auch auf die Durchsetzung von Aus- und Absonderungsansprüchen erstreckt1. Im Gegenzug haben die letztgenannten Gläubiger Ansprüche auf Zinsen und Wertersatz analog §§ 169 Satz 2 f., 172 InsO2. Selbst ein Zwangsvollstreckungsverbot hindert die Gläubiger nicht, ihre Rechte ohne Zwangsvollstreckung durchzusetzen3. Die Herausgabe von Sicherungsgut an den absonderungsberechtigen Gläubiger ist als tatsächliche, nur die Besitzverhältnisse betreffende Handlung des Schuldners selbst dann wirksam, wenn der vorläufige „schwache“ Verwalter widerspricht, da der Verwalter regelmäßig keinen Besitz hat und keine Verfügung i.S. des § 21 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorliegt. Ob darin eine anfechtungsrechtliche Gläubigerbenachteiligung liegt, so dass der Gegenstand nach Verfahrenseröffnung wieder zurückverlangt werden kann, um die Verwertung oder Nutzung durch den Verwalter (§§ 169, 172 InsO) zu ermöglichen, hat der BGH bisher offengelassen4, allerdings im anderen Zusammenhang mehrfach betont, dass wertausschöpfend belastete Gegenstände einen im Kern geschützten Vermögenswert des Schuldners repräsentieren. Das ergäbe sich zwar nicht aus den Kostenpauschalen des § 171 InsO, weil sie nur den Aufwand der Masse ausgleichen und nicht zu deren Mehrung führen sollen5. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise scheide das Sicherungsgut aber erst mit der – vom Verwalter durchzuführenden – Verwertung aus der Insolvenzmasse aus6. Es ist deshalb naheliegend, die Anfechtung jedenfalls dann durchgreifen zu lassen, wenn der Gegenstand für eine Betriebsfortführung erforderlich ist. Praktische Bedeutung wird das wegen der Dauer einer prozessualen Auseinandersetzung aber nur im Hinblick auf einen Verzugsschaden haben, den der Anfechtungsgegner ausgleichen muss, falls der Verwalter die vereitelte Möglichkeit zur Nutzung oder Ablösung der Belastung teurer kompensieren musste. 5.488 Geschäftspartner, die für eine Unternehmensfortführung benötigt werden, versuchen häufig, neue Lieferungen von der Zahlung alter Forderungen abhängig zu machen. Stimmt der „schwache“ vorläufige Verwalter einer solchen Befriedigung ohne weitere Erklärung zu, ist die spätere Insolvenzanfechtung gleichwohl 1 2 3 4 5 6

Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 72. Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 72. BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632. BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 67/09, ZIP 2012, 1301. BGH v. 9.10.2003 – IX ZR 28/03, ZIP 2003, 2370. BGH v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, ZIP 2007, 1126 Rz. 26.

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Vorläufige Insolvenzverwaltung

5.488

möglich. Der endgültige Verwalter ist zwar regelmäßig dieselbe Person, aber der Träger eines anderen Amtes als der vorläufige. Die Anfechtung ist nur ausgeschlossen, wenn der vorläufige Verwalter einen Vertrauenstatbestand gesetzt hat. Das soll nach Ansicht des BGH schon dann der Fall sein, wenn der „schwache“ Verwalter eine im Zusammenhang mit der Neulieferung getroffene Vereinbarung über die Zahlung von Altforderungen oder einen ausdrücklichen Anfechtungsausschluss gebilligt hat, es sei denn, dass die Zustimmung unter Ausnutzung einer wirtschaftlichen Machtstellung erwirkt wird1 oder mit der neuen Leistung in keinem Zusammenhang steht2 oder der vorläufige Verwalter sich die Anfechtung ausdrücklich vorbehält3. Gegen diese Rechtsprechung sind insofern Zweifel anzumelden, als eine nach §§ 1, 87 InsO rechtswidrige Bevorzugung einzelner Gläubiger nur ausnahmsweise ein rechtlich geschütztes – und nicht nur faktisches – Vertrauen begründen darf4. Die Zahlung von Altforderungen wird regelmäßig auf eine Ausnutzung wirtschaftlicher Macht beruhen, mag sie auch nur darin bestehen, dass der Geschäftspartner in der gebotenen Eile nicht ausgewechselt werden kann. Ausnahmen von dieser Lebenserfahrung sollte entgegen der Ansicht des BGH5 der Lieferant beweisen. Selbst wenn ihm das gelingt, ist sein Vertrauen nur insoweit schutzwürdig, als ein neuer Nachteil vermieden wird. Wird beispielsweise seine Altforderung deshalb bedient, weil er die neue Ware an Dritte zu besseren Preisen hätte verkaufen können, oder weil sich die Neulieferung bei einer Einzelbetrachtung ohne (teilweisen) Ausgleich der Altforderung als Verlustgeschäft herausgestellt hätte, kann er auf den Anfechtungsausschluss vertrauen. Die Anfechtung muss keineswegs in Bausch und Bogen verneint werden. § 242 BGB setzt der Rechtsausübung eine flexible Schranke, die es durchaus ermöglicht, auch einen nur eingeschränkten Anfechtungsausschluss anzunehmen. Gänzlich einer Anfechtung entzogen sind natürlich gemäß § 142 InsO Bargeschäfte, die aber unter Berücksichtigung eines gewissen Beurteilungsspielraums eine Gleichwertigkeit von (neuer) Leistung und (neuer) Gegenleistung voraussetzen. Kein Bargeschäft liegt vor, wenn im Gegenzug zur Zahlung einer Altforderung eine Neuforderung durch eine neue Lieferung auf Ziel begründet wird6. Diese Auffassung beruht auf dem anfechtungsrechtlichen Grundsatz, dass jede Rechtshandlung für sich zu beurteilen ist. Insofern trifft es zu, dass die Neubelieferung keine Gegenleistung für die schuldrechtlich auf die Altforderung bezogene Zahlung ist. Gleichwohl könnte es zumindest bei § 133 InsO am Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners fehlen. Sinnvoll ist es, wie nunmehr bei der Geschäftsführerhaftung7 oder auch der Anfechtung einer Gesellschafterfinanzierung mithilfe eines Staffelkredits8 die mit der Gläubigerbenachteiligung im un1 BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, ZIP 2006, 431. 2 BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314. 3 Die Voraussetzungen zusammenfassend: BGH v. 10.1.2013 – IX ZR 161/11, ZIP 2013, 528. 4 Zutreffend deshalb die im weiteren Rechtsprechungsverlauf wieder eingeschränkte Auffassung von BGH v. 13.3.2003 – IX ZR 64/02, ZIP 2003, 810 und die Ansicht des BAG v. 27.10.2004 – 10 AZR 123/04, ZIP 2005, 86 für Zahlungszusagen an Arbeitnehmer. 5 BGH v. 15.12.2004 – IX ZR 156/04, ZIP 2006, 431. 6 BGH v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, ZIP 2014, 1491 Rz. 19; BGH v. 23.9.2010 – IX ZR 212/09, ZIP 2010, 2009 Rz. 33; BGH v. 30.1.1986 – IX ZR 79/85, ZIP 1986, 448. 7 BGH v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 = GmbHR 2015, 137. 8 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, ZIP 2013, 734 = GmbHR 2013, 464.

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5.489

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

mittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Vorteile zu berücksichtigen. 2. „Starke“ vorläufige Verwaltung a) Befugnisse des Schuldners 5.489 Die „starke“ vorläufige Verwaltung unterscheidet sich von der „schwachen“ in Bezug auf die Aktiva darin, dass der Schuldner nicht mehr verfügungsbefugt ist und gleichzeitig die Verfügungsbefugnis auf den Verwalter übergeht (§ 22 Abs. 1 InsO). Verfügungen des Schuldners sind absolut unwirksam (§§ 24, 81 InsO), aber nicht nichtig, so dass sie bei einer Genehmigung des Verwalters1 oder einer Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen gemäß § 185 Abs. 2 BGB wirksam werden. Es gibt keinen Gutglaubensschutz. Insofern unterscheidet sich die Rechtslage nicht von einem Verstoß gegen den allgemeinen Zustimmungsvorbehalt im Rahmen der „schwachen“ vorläufigen Verwaltung. Die dortigen Ausführungen zur Bedeutung von Verfügungshandlung und Verfügungserfolg (Rz. 5.471) sowie zur Aufrechnung (Rz. 5.476) gelten entsprechend. Ebenso haben Leistungen an den Schuldner gemäß § 82 Satz 1 InsO nur noch befreiende Wirkung, wenn dem Leistenden die Anordnung der vorläufigen Verwaltung nicht bekannt ist (Rz. 5.475), wofür die Beweislast nach der öffentlichen Bekanntmachung der Verfügungsbeschränkung bei dem Drittschuldner liegt2. Anders als bei der „schwachen“ vorläufigen Verwaltung werden laufende Prozesse, die die Insolvenzmasse betreffen, nach § 240 Satz 2 ZPO unterbrochen. 5.490 Hinsichtlich der Passiva unterscheidet sich die „starke“ von der „schwachen“ Verwaltung dadurch, dass der Schuldner auch keine Verpflichtungsbefugnis mehr hat, weil die Verwaltungsbefugnis gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO ebenfalls auf den vorläufigen Verwalter übergeht. Da das Vertrauen des Rechtsverkehrs gestört wäre, wenn die von einem vorläufigen „starken“ Verwalter verursachten Verbindlichkeiten nach Verfahrenseröffnung gemäß § 38 InsO nur Insolvenzforderungen wären, begründet sein Handeln in den Grenzen des § 55 Abs. 2 InsO künftige Masseschulden. Davon erfasst werden auch die Leistungen aus Dauerschuldverhältnissen, die der vorläufige Verwalter in Anspruch nimmt. In der Praxis ist die Heraufstufung auch dieser Verbindlichkeiten ein wesentlicher Grund gegen die Anordnung der „starken“ vorläufigen Verwaltung. Allerdings ist der vorläufige Verwalter nicht verpflichtet, sämtlichen vergleichbaren Gläubigern für neue Leistungen den Status von künftigen Massegläubigern zu verschaffen. Namentlich kann er entscheiden, welche Arbeitnehmer weiterhin tätig werden sollen oder welche von mehreren Lieferanten gleichartiger Gegenstände neue Lieferungen tätigen sollen. Das Gebot der Gläubigergleichbehandlung (§ 1 InsO) betrifft ihre Stellung als Insolvenzgläubiger für bestehende Forderungen, nicht ihre Hervorhebung als Massegläubiger für künftige Ansprüche. Soweit der „starke“ vorläufige Verwalter allerdings die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 InsO erfüllt, ist ihm eine einseitige Herabstufung der Masseschuld durch Erklärung eines Vorbehalts nicht möglich. Eine Ausnahme macht § 55 Abs. 3 InsO für die auf die 1 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 24 InsO Rz. 12; Kayser in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 81 InsO Rz. 27. 2 BGH v. 12.11.1998 – IX ZR 145/98, ZIP 1998, 2162.

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Vorläufige Insolvenzverwaltung

5.493

Bundesagentur für Arbeit wegen Insolvenzgeldzahlungen übergehenden Ansprüche: Sie sind trotz Inanspruchnahme der Arbeitsleistung nur Insolvenzforderungen1. Im Übrigen bleibt es Verwalter und Gläubiger unbenommen, eine Nachrangvereinbarung zu schließen, so dass bspw. eine Nutzungsvergütung nur als Insolvenzforderung behandelt wird. Daran können insbesondere Vermieter von Spezialimmobilien durchaus ein Interesse haben, um sich langfristig den Schuldner als Mieter zu erhalten. b) Befugnisse des Verwalters Der „starke“ vorläufige Verwalter hat die in § 22 Abs. 1 Nr. 1 – 3 InsO genannten 5.491 Aufgaben. Obwohl sie für den „schwachen“ Verwalter nicht ausdrücklich vorgeschrieben sind, sind die Pflichten für beide wegen des einheitlichen Zwecks der Sicherungsmaßnahmen, nachteilige Veränderungen zu vermeiden, weitgehend identisch, nur mit dem Unterschied, dass den „starken“ Verwalter die Initiativlast für Verfügungen und ggfls. auch die Fortführung des Unternehmens trifft. Ihm stehen ebenso wenig wie dem „schwachen“ Verwalter die erst nach Verfahrenseröffnung eingreifenden Instrumentarien wie Erfüllungswahl oder Anfechtung oder abgekürzte Kündigungsfrist zur Verfügung. Verweigert er die Erfüllung von schwebenden Verträgen, ist der Schadensersatzanspruch des Lieferanten nur eine Insolvenzforderung, was auch bei einer erst nach Verfahrenseröffnung entschiedenen Erfüllungsablehnung der Fall wäre (§ 103 Abs. 2 InsO). Der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse hat in arbeits- sowie 5.492 steuerrechtlicher Hinsicht zur Folge, dass der Verwalter als Amtsträger die Arbeitgeberstellung innehat und im Steuerschuldverhältnis gesetzlicher Vertreter des Schuldners ist (§ 34 AO)2. Die daraus resultierenden gesetzlichen Verbindlichkeiten stellen Masseschulden aber erst nach Verfahrenseröffnung dar. Der „starke“ Verwalter darf genauso wenig wie der „schwache“ durch Verwer- 5.493 tungsmaßnahmen das Entscheidungsvorrecht der Gläubigerversammlung über den Fortgang des Verfahrens (§§ 157 ff. InsO) unterlaufen. Deshalb kann er auch die Gläubiger, die Aus- und Absonderungsrechte geltend machen, auf die Zeit nach Verfahrenseröffnung verweisen, falls die Gegenstände nicht verderblich sind3. Schwebende Prozesse über Aus- und Absonderungsansprüche kann zwar der Gläubiger gemäß §§ 24 Abs. 2, 86 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO aufnehmen. Der vorläufige Verwalter darf dann aber einwenden, dass der Anspruch zurzeit nicht durchsetzbar ist4. In der Praxis führt der Verweis der Gläubiger auf eine Entscheidung über den Bestand ihrer Rechte zu einer erheblichen Beeinträchtigung, für die das Gesetz – anders als bei einem Beschluss nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO (s. Rz. 5.506 f.) – keine Kompensation vorsieht. Zwar beginnt die lt. § 169 InsO nor1 Das ist der schon zu Zeiten der KO begründete Sanierungsbeitrag des Staates, der sich aber nur liquiditäts- und nicht vermögensschonend auswirkt, weil der Aufwand nicht entfällt, sondern nur nicht (sofort) aus der Masse zu zahlen ist. Deshalb sind die Versuche von nachfragestarken Kunden, die Preise um den Liquiditätsbeitrag des Staates (teilweise) zu reduzieren, unter dem Gesichtspunkt der Gläubigergleichbehandlung kritisch zu sehen. 2 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 22. 3 Vgl. BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419. 4 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 24 InsO Rz. 27.

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5.494

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

malerweise erst ab dem Berichtstermin laufende Verzinsungspflicht schon nach drei Monaten, wenn ein Gläubiger aufgrund einer Anordnung nach § 21 InsO an der Verwertung gehindert ist. Diese Anordnung muss sich jedoch auf den Gegenstand erstrecken, indem bspw. die Zwangsvollstreckung untersagt wird. In der Regel verfügt der Gläubiger über keinen auf den Gegenstand bezogenen Titel, so dass die Durchsetzung seines Rechts nicht an einer Anordnung nach § 21 InsO scheitert, sondern an der tatsächlich verweigerten Herausgabe. Das ist bei Gegenständen, die nur mit einem Absonderungsrecht belastet sind, noch hinnehmbar, weil anderenfalls das besagte Entscheidungsvorrecht der Gläubigerversammlung über den Gang des Verfahrens beeinträchtigt werden würde. Bei den einer Aussonderung unterliegenden Gegenständen ist diese Praxis hingegen außerordentlich zweifelhaft, so dass eine Haftung des die Herausgabe verweigernden Verwalters gemäß § 60 InsO durchaus nahe liegt. 5.494 Der „starke“ vorläufige Verwalter muss sämtliche Vermögensgegenstände in Besitz nehmen, um die auf ihn übergegangene Verwaltungsbefugnis ausüben zu können. Der gerichtliche Anordnungsbeschluss führt anders als beispielsweise bei einer Gesamtrechtsnachfolge im Wege der Erbschaft (§ 857 BGB) nicht zum automatischen Besitzübergang. Die Inbesitznahme ist mit einer Inventarisierung entsprechend § 151 InsO zu verbinden1. Die Inventarisierung ist zwar in § 22 Abs. 1 InsO nicht ausdrücklich genannt, folgt aber aus der Rechnungslegungspflicht, die gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO i.V.m. § 66 InsO auch jedem vorläufigen Verwalter obliegt. c) Einschränkung der Insolvenzanfechtung 5.495 Die Handlungen eines „starken“ vorläufigen Verwalters sah der BGH bis vor kurzem als absolut unanfechtbar (§§ 129 ff. InsO) an, weil seine Stellung derjenigen des endgültigen Verwalters angenähert ist, dessen Handlungen ebenfalls nicht der Anfechtung unterliegen2. Sie sollten auch nicht als Rechtshandlungen dem Schuldner zugeordnet werden dürfen3. In Betracht kam allenfalls eine Unwirksamkeit wegen evidenter Insolvenzzweckwidrigkeit4. Diese Auffassung überzeugt nicht5. Schon nach dem Wortlaut der §§ 130 f. InsO kommt es nicht darauf an, von wem die anfechtungsrelevante Rechtshandlung vorgenommen wurde. Entscheidend ist gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 InsO nur, dass sie vor Verfahrenseröffnung stattfand. Die zeitliche Zäsur ist das Kriterium, nicht die Ähnlichkeit des vorläufigen „starken“ mit dem endgültigen Verwalter6. Zuletzt hat der BGH die Unanfechtbarkeit etwas relativiert, indem er nicht mehr an die Rechtsstellung 1 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 42. 2 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, ZIP 2014, 584 Rz. 11 = GmbHR 2014, 417; BGH v. 10.1.2013 – IX ZR 161/11, ZIP 2013, 528 Rz. 17; BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314. 3 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 129 InsO Rz. 38; Kreft in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 32. 4 Zu den Voraussetzungen: BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, ZIP 2002, 1093, 1095 f. 5 Spliedt, ZInsO 2007, 405 ff. 6 Was jedoch wegen der evidenten Gesetzeslücke bei §§ 135, 143 Abs. 3 InsO eine analoge Anwendung der Anfechtungsvorschriften auf die Zeit nach Verfahrenseröffnung nicht sperrt: BGH v. 1.12.2011 – IX ZR 11/11, ZIP 2011, 2417 = GmbHR 2012, 86.

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Vorläufige Insolvenzverwaltung

5.497

anknüpft, sondern an den Masseschuldcharakter der Zahlungszusage für Altforderungen. Danach ist eine Anfechtung möglich, wenn die Insolvenzforderung schon im Vorverfahren bezahlt wurde, nicht hingegen mehr, wenn ihre Aufwertung zur Masseschuld bei Verfahrenseröffnung noch bestand und die Zahlung erst – ggfls. zusammen mit Neulieferungen – nach Verfahrenseröffnung erfolgen sollte1. Die Fragwürdigkeit auch dieser Unterscheidung wird jedoch an dem vom BGH selbst angeführten Beispiel der Besicherung einer Altforderung deutlich. Für sie lässt das Gericht die Anfechtung zu, obwohl die Bestellung einer Sicherheit der Begründung einer Masseverbindlichkeit gleichkommt. Ein Absonderungsrecht ist gleichsam eine verdinglichte Masseschuld2. Sinnvoller wäre es deshalb, auch bei der „starken“ vorläufigen Verwaltung ebenso wie bei der „schwachen“ nur danach zu unterscheiden, ob mit der Anfechtung schutzwürdiges Vertrauen enttäuscht wird. Dafür aber gilt, dass ein Gläubiger nur sehr eingeschränkt darauf zählen darf, dass seine Insolvenzforderung nach Antragstellung befriedigt wird. 3. Mischformen der vorläufigen Verwaltung Die „schwache“ vorläufige Verwaltung hat den Nachteil, dass das Initiativrecht 5.496 für Verfügungen beim Schuldner bleibt und die während des Vorverfahrens begründeten Verbindlichkeiten nach Verfahrenseröffnung nicht mehr als Masseschuld erfüllt werden dürfen, obwohl nicht jeder während der vorläufigen Verwaltung geschlossene Vertrag bis zur Eröffnung vollständig abgewickelt werden kann. Demgegenüber hat die „starke“ vorläufige Verwaltung den Nachteil, dass schon vor einer Entscheidung über die Verfahrenseröffnung massiv in die Eigentümerbefugnisse des Schuldners eingegriffen wird und die mit dem Verwalterhandeln verbundenen Verbindlichkeiten in Bausch und Bogen später Masseschulden werden. Ein Nachteil beider „puristischer“ Alternativen ist überdies, dass Ausund Absonderungsgegenstände zwar zu sichern sind, aber nur noch genutzt werden dürfen, solange der Schuldner dazu befugt ist. In der Praxis haben sich deshalb Mischformen herausgebildet, die auch als „halbstarke“ Verwaltung bezeichnet werden: Die Basisanordnung bleibt die „schwache“ Zustimmungsverwaltung, die aber ergänzt wird um Ermächtigungen auf der Aktiv- und meist auch auf der Passivseite sowie um Einschränkungen der Sicherungsrechte. Die Grundlage bildet § 22 Abs. 2 InsO, der dem Insolvenzgericht eine Gestaltungsmöglichkeit einräumt, soweit die einen „starken“ vorläufigen Verwalter zustehenden Befugnisse nicht überschritten werden. Von den Mischformen seien nachfolgend drei besonders häufig vorkommende Erscheinungsformen aufgezeigt: a) Einzugsermächtigung Forderungen sind „verderbliche Ware“, da ein Abwarten mit dem Einzug häufig 5.497 Einwände von Drittschuldnern provoziert. Deshalb wird den Drittschuldnern regelmäßig untersagt, noch an den Schuldner zu zahlen, was einem forderungsspe1 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, ZIP 2014, 584 Rz. 12 = GmbHR 2014, 417. 2 Das wird insbesondere auch daran deutlich, dass die Verletzung von Absonderungsrechten einen Schadensersatzanspruch als Masseschuld gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet, Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 31.

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5.498

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

zifischen Verfügungsverbot entspricht. Parallel wird der Verwalter zum Forderungseinzug ermächtigt. Allerdings wirken Sicherungsmaßnahmen – falls keine Anordnungen nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO getroffen wurden (dazu sogleich unter Rz. 5.499 ff.) – nur gegenüber dem Schuldner1. Die „normale“ Einzugsermächtigung erfasst deshalb abgetretene Forderungen nur, soweit die Inkassobefugnis des Schuldners noch fortbesteht2. Ist sie nicht (mehr) gegeben, hindert auch die Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen Dritte nicht, die Forderungsabtretung offenzulegen und Zahlung zu verlangen3, weil es sich dabei um keine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen handelt. 5.498 Zieht der Verwalter Forderungen ein, muss er die von den Drittschuldnern zu leistenden Zahlungen natürlich auch entgegennehmen können. Entweder erteilt das Insolvenzgericht ausdrücklich eine Ermächtigung zum Geldempfang und der Einrichtung eines Kontos, oder man entnimmt diese Befugnis schon dem Sachzusammenhang mit der Inkassoermächtigung4. Für die insolvenzrechtliche Behandlung eines Kontos differenziert der BGH zwischen einem Vollrechts- und einem Ermächtigungstreuhandkonto5. Bei einem Vollrechtstreuhandkonto (u.a. Anderkonto) ist der Kontoinhaber persönlich berechtigt. Mit einem Ermächtigungstreuhandkonto verhält es sich hingegen wie mit anderen Vermögensgegenständen, bei denen der Schuldner Rechtsträger bleibt6, nur dass er in der Verfügungsbefugnis beschränkt ist. Die Ansprüche bezüglich eines solchen Sonderkontos gehören zur (künftigen) Masse, während bei einem Vollrechtstreuhandkonto der vorläufige Verwalter Rechtsträger ist, was namentlich bei Fehlüberweisungen Konsequenzen zeigt. Den Betrag habe er persönlich zu erstatten, selbst wenn das Konto auch nach Verfahrenseröffnung als Massekonto behandelt wird, ohne jedoch die Kontobezeichnung zu ändern. Bei einem Ermächtigungstreuhandkonto hat ein vor Verfahrenseröffnung irrtümlich zahlender Gläubiger gemäß § 38 InsO lediglich eine Insolvenzforderung erworben7. Ein solches Konto kann jedoch nur ein zur Kontoeröffnung für den Schuldner verfügungsberechtigter vorläufiger Verwalter eröffnen8. Überzeugend ist die Unterscheidung nicht. Weder hat der Drittschuldner einen an den Verwalter persönlich gerichteten Leistungswillen9 – zumal ein Sonderkonto dann ebenso behandelt werden müsste – noch steht die Entscheidung, wie mit einem Kontoguthaben zu verfahren ist, im Belieben des vor1 BGH v. 24.9.2009 – IX ZB 38/08, ZIP 2009, 2068 Rz. 14; BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632. 2 Sie endet mangels gegenteiliger Vereinbarung nach bisheriger Rechtsprechung nicht allein wegen des Insolvenzantrags, BGH v. 6.4.2000 – IX ZR 422/98, ZIP 2000, 985. Allerdings hat BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 Rz. 20 eine mögliche Änderung angedeutet, weil es seit 2007 die Möglichkeit einer besonderen Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO gibt. 3 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632. 4 Schulte-Kaubrügger, ZIP 2011, 1400, 1403; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 22 InsO Rz. 166a. 5 BGH v. 26.3.2015 – IX ZR 302/13, ZIP 2015, 1179 Rz. 8 6 Büteröwe in Karsten Schmidt, § 35 InsO Rz. 1. 7 BGH v. 19.12.2008 – IX ZR 192/07, ZIP 2009, 531 Rz. 10; BGH v. 20.9.2007 – IX ZR 91/06, ZIP 2007, 227 Rz. 10. 8 BGH v. 26.3.2015 – IX ZR 302/13, ZIP 2015, 1179 Rz. 8 9 Diese Unterstellung bei BGH v. 20.9.2007 – IX ZR 91/06, ZIP 2007, 227 Rz. 10 befremdet.

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Vorläufige Insolvenzverwaltung

5.500

läufigen Verwalters. Das Erstattungsverlangen des Gläubigers konfligiert nach Verfahrenseröffnung mit dem Herausgabeanspruch der „Masse“. In einer solchen Pflichtenkollision hat der Gläubiger bei wertender Betrachtungsweise mit Blick auf §§ 38, 87 InsO die schwächere Position, weil der Zweck des Kontos – und eben auch des Anderkontos – nicht sein Schutz ist, sondern eben der der künftigen Insolvenzmasse. Da aber die Einrichtung von Anderkonten in der Praxis sehr häufig vorkommt und auch Doppelüberweisungen gerade während der vorläufigen Verwaltung keine Seltenheit sind, birgt die Kontobezeichnung eine erhebliche Haftungsgefahr für den Verwalter, der einen Zahlungseingang eventuell längst auf ein späteres Massekonto weitergeleitet hat, sich aber u.U. auf einen Wegfall der Bereicherung gemäß § 819 BGB nicht berufen darf. b) Beschränkung von Drittrechten gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO Sicherungsmaßnahmen sind, wie soeben erwähnt, gegen den Schuldner gerichtet, 5.499 nicht gegen die Gläubiger, die dementsprechend in § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO auch nicht als beschwerdebefugt aufgeführt werden1. Neben der Zwangsvollstreckungsuntersagung ist die einzige Ausnahme in § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO niedergelegt. Danach kann das Insolvenzgericht „anordnen, dass Gegenstände, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von § 166 [Anm.: Verwertungsrecht des Verwalters für Absonderungsgut] erfasst würden oder deren Aussonderung verlangt werden könnte, vom Gläubiger nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen und dass solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners eingesetzt werden können, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind.“ Der zitierte Gesetzestext ist nur die Rechtsgrundlage, nicht aber zulässiger Inhalt eines darauf basierendes Beschlusses. Vielmehr bedarf es einer Individualisierung der von der Anordnung betroffenen Gegenstände und Gläubiger. Das Gericht muss zu erkennen geben, dass es sich mit den besonderen Anordnungsvoraussetzungen auseinandergesetzt hat2. Dann genügt eine zusammenfassende Bezeichnung sowohl nach Art der Gläubiger als auch nach Art der Gegenstände3 wie beispielsweise „sämtliche zur Sicherheit abgetretene Forderungen“4. Voraussetzung für die Anordnung ist, dass die Gegenstände für die Fortführung des Unternehmens von erheblicher Bedeutung sind, der Betriebsablauf ohne sie also nicht nur geringfügig gestört werden würde5. Im Hinblick auf zur Sicherheit abgetretene Forderungen wird das Einzugsverbot 5.500 für den Gläubiger regelmäßig ergänzt um eine Einzugsermächtigung für den vorläufigen Verwalter. Er darf den Erlös nach Ansicht des BGH zwar nicht für die Fortführung verwenden (s. sogleich Rz. 5.503). Gleichwohl kann der Einzug als für die Fortführung von erheblicher Bedeutung angesehen werden, weil ein Streit über ggfls. schon offengelegte Zessionen das Inkasso erschwert und die Gelder der Masse erst verzögerlich zur Verfügung stünden, wenn sich herausstellen sollte, 1 2 3 4

BGH v. 24.9.2009 – IX ZB 38/08, ZIP 2009, 2068 Rz. 14. BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141 Ls. 1a. BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141 Rz. 19. AG Hamburg v. 30.9.2011 – 67g IN 381/11, ZInsO 2011, 2045; enger hingegen Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 29 InsO Rz. 29. 5 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 29; Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 21 InsO Rz. 69d.

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5.501

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

dass die Sicherungsrechte nicht bestehen oder anfechtbar sind1. Selbst bei wirksamen Sicherungsabtretungen wird der Ermittlungs- und Feststellungsaufwand der Masse durch die Kostenbeiträge der §§ 170 f. InsO ausgeglichen2, so dass sich zumindest daraus die Fortführungsunterstützung ergibt3. Als Voraussetzung bleibt aber stets, dass das Unternehmen überhaupt fortgeführt wird, so dass eine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO in reinen Abwicklungsverfahren unzulässig ist4. 5.501 Leistet der Drittschuldner entgegen einem Einziehungsverbot an den Sicherungsgläubiger, weil die Zession schon vorher offengelegt worden war, findet §§ 24 Abs. 1, 82 InsO entsprechende Anwendung5. Der Drittschuldner wird frei, wenn er die Anordnung nicht kannte, was er nach der öffentlichen Bekanntmachung des Verwertungsverbots zu beweisen hat. Der Verwalter kann die Zahlung genehmigen, was er tun wird, wenn sie in seinen Verfügungsbereich gelangt ist. Anderenfalls wird er erneut Zahlung verlangen müssen6. 5.502 Das Einziehungsverbot könnte nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO zwar auch Forderungen erfassen, die der Aussonderung unterliegen, wie es insbesondere beim echten Factoring der Fall ist. Unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien7 werden solche Ansprüche aber als nicht für eine Betriebsfortführung erforderlich angesehen, weil sich der Schuldner ihrer schon vollständig entäußert hatte8. Auch fallen für ihre Verwertung keine Kostenbeiträge an. § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO beschränkt sie ausdrücklich auf Absonderungsrechte. 5.503 Im Gegensatz zum Gebrauch körperlicher Vermögensgegenstände (dazu sogleich Rz. 5.506 f.) hat der BGH der „Nutzung“ der aus einem Forderungseinzug stammenden Gelder für die Betriebsfortführung einen Riegel vorgeschoben. Schon in den Motiven zu § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO heißt es, dass sie nicht für die Betriebsfortführung verwendet werden dürften. Gleiches gelte für den Verbrauch von Gegenständen9, insbesondere Vorräten. Durch den Forderungseinzug dürfe der Sicherungsgläubiger deshalb, so der BGH, sein Absonderungsrecht nicht verlieren. Es müsse sich am Geldeingang fortsetzen, was nur dann gewährleistet sei, wenn der Betrag nach Verfahrenseröffnung noch unterscheidbar in der Masse vorhanden sei. Bei einer Summenschuld bedeute dies, dass das Guthaben auch nicht nur vorübergehend unter den eingezogenen Betrag sinken dürfe, beim Inkasso mehrerer Forderungen also nicht unter die Summe der daraus resultierenden Zahlungseingänge10. Deshalb müsse der vorläufige Verwalter die Gelder auf einem Sonderkonto separieren und dürfe sie nicht für eine Finanzierung der Betriebsfortführung verwenden11. Nur so sei gewährleistet, dass an den Zessionar auch bei einer etwaigen Masseunzulänglichkeit der Erlös gemäß § 170 Abs. 1 InsO ausgekehrt wird. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

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Begr. RegE BT-Drucks. 16/3227, S. 15. Begr. RegE BT-Drucks. 16/3227, S. 16. Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 21 InsO Rz. 69h. BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141 Rz. 20. Ganter, NZI 2007, 549, 552; Gehrlein, ZIP 2011, 5, 12. Ganter, NZI 2007, 549, 552. Begr. RegE BT-Drucks. 16/3227, S. 16. Ganter, NZI 2007, 549, 554. Begr. RegE BT-Druck. 16/3227, S. 16. BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 Rz. 40 f. Flöther/Wehner, NZI 2010, 554, 557.

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Vorläufige Insolvenzverwaltung

5.505

In der Praxis wird dieses Gebot vor allem in kleineren Fortführungsfällen mit 5.504 schnellem Handlungsbedarf nur selten berücksichtigt. Das bleibt so lange ohne Konsequenzen, solange die Masse groß genug ist, um später sämtliche Masseverbindlichkeiten zu befriedigen; denn die Verpflichtung zur Erlösauskehr ist gemäß § 55 Abs. 2 InsO selbst dann eine Masseschuld, wenn es sich im Übrigen – also außerhalb des von der Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO erfassten Bereichs – um eine nur „schwache“ vorläufige Verwaltung handelt1. Wird die Masse hingegen unzulänglich, haftet der vorläufige Verwalter schon allein deshalb persönlich, weil er seiner Separierungsverpflichtung gegenüber dem Absonderungsgläubiger nicht nachgekommen ist (§ 60 InsO). Er kann sich nicht entsprechend § 61 Satz 2 InsO darauf berufen, dass er die drohende Unzulänglichkeit nicht hätte erkennen können, da er sehenden Auges Absonderungsrechte verletzt. Deshalb läuft er sogar Gefahr, seine Versicherungsdeckung zu verlieren und aus wichtigem Grund (§ 59 InsO) abberufen zu werden. Folgt man der Ausgangsthese des BGH, kann sich der vorläufige Verwalter diesem Dilemma nur entziehen, wenn mit den Sicherungsnehmern ein sog. unechter Massekredit vereinbart wird, der ihn berechtigt, die eingezogenen Gelder für die Unternehmensfortführung zu verwenden. Das wird regelmäßig mit einem Sicherheitenrevirement verbunden, bei dem neues Umlaufvermögen den unechten Massekredit absichert, wobei häufig ein Sicherheitenpool zugunsten mehrerer Gläubiger gebildet wird. Soweit die neuen Sicherheiten schon bestehen, bedarf der ansonsten „schwache“ vorläufige Verwalter einer Mitwirkung des Schuldners, dessen Verfügungen er zu diesem Zweck ohne gesonderte Ermächtigung des Gerichts zustimmen kann, weil nur Ansprüche besichert werden, die aufgrund der Verpflichtung zur Erlösauskehr ohnehin Masseschulden sind. Soweit aber – wie meist – auch künftig entstehende Rechte, insbesondere aus der Geschäftsfortführung nach einer Verfahrenseröffnung erwachsende Forderungen, abgetreten werden, ist dazu eine Einzelermächtigung erforderlich, weil nur dann die Hürde des § 91 InsO überwunden werden kann. Allerdings begegnet die Ansicht des BGH Bedenken, dass die eingezogenen Gelder 5.505 nicht zur Betriebsfortführung verwendet werden dürfen. Gerade die Unterstützung der Fortführung ist das Anliegen des Gesetzgebers für die Einfügung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO gewesen2. Es wäre ein Wertungswiderspruch, die Abnutzung von Maschinen im Interesse der Fortführung gegen einen nur (masse-)schuldrechtlichen Ersatzanspruch zu akzeptieren (dazu sogleich Rz. 5.506), die Verwendung der Forderungseingänge aber zu verbieten, zumal weder § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO noch § 170 InsO eine solche dingliche Surrogation zu entnehmen ist, die den vorläufigen Verwalter zur Separierung der Zahlungseingänge verpflichtet3. Auch hilft die vom BGH angedeutete Ausnahme für Globalzessionen nicht weiter4. Sie wird deshalb für möglich gehalten, weil im Rahmen der Betriebsfortführung ständig neue Forderungen entstehen, für die trotz Anordnung 1 Vgl. BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 Rz. 41; Gehrlein, ZIP 2011, 5, 11. 2 BT-Drucks. 16/3227, S. 15 f. 3 S. die Anm. des an der Entscheidung aus 2010 beteiligten Senatsvorsitzenden Ganter, NZI 2008, 583, 588; Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, Vor §§ 49 bis 57 InsO Rz. 67a sowie u.a. Flöther/Wehner, NZI 2010, 554, 557; Mitlehner, ZIP 2010, 1934, 1936 f.; Mitlehner, ZIP 2015, 60, 63 f. 4 BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010 739 Rz. 28.

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5.506

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

einer Verfügungsbeschränkung die zuvor vom Schuldner erklärte Abtretung wirksam ist1. Diese Forderungen unterliegen jedoch der insolvenzrechtlichen Anfechtung, so dass der vermeintliche für den absonderungsberechtigten Gläubiger wirtschaftlich neutrale Sicherheitentausch keinen Bestand hat2. 5.506 Aus- und Absonderungsgegenstände dürfen – anders als Forderungen, bei denen der Schuldner nicht mehr inkassoberechtigt ist – schon bei einem Zwangsvollstreckungsverbot nicht der Masse entzogen werden3. Zur Betriebsfortführung genutzt werden dürfen sie aber nur, wenn der Schuldner dazu noch befugt ist. Wurde ihm das untersagt, bleibt nur eine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO. Sie begründet ein besonderes Rechtsverhältnis, aus dem der (Sicherungs-)Eigentümer zur Duldung der Nutzung verpflichtet ist gegen eine Nutzungsausfallentschädigung in Form laufender Zinsen gemäß § 169 InsO. Ihre Höhe richtet sich nach der vertraglichen Vereinbarung4, in Ermangelung derer nach der Verkehrsüblichkeit5. Außerdem muss der Verwalter einen Wertverlust ausgleichen. 5.507 Die Nutzungsvergütung ist erst ab Beginn des vierten Monats nach der Anordnung zu zahlen. Die bis dahin unentgeltliche Nutzung ist verfassungsgemäß6, wobei nicht übersehen werden darf, dass auf einem Vertrag beruhende Vergütungsansprüche als Insolvenzforderung bestehen bleiben. Der Wertverlust muss hingegen ab sofort kompensiert werden7. Es handelt sich um eine künftige Masseverbindlichkeit, und zwar auch dann, wenn der Verwalter ansonsten nur „schwacher“ vorläufiger Verwalter ist8. Die Ansprüche des Gläubigers treten neben etwaige vertragliche Ansprüche. Im Verhältnis zu dem bei einer „starken“ vorläufigen Verwaltung anwendbaren § 55 Abs. 2 InsO wird § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO als lex specialis angesehen9, mit der Konsequenz, dass ohne eine Anordnung die vertragliche Nutzungsvergütung sofort Masseschulden gemäß § 55 Abs. 2 InsO darstellen, mit Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO hingegen erst nach drei Monaten. Das steht weder mit der allgemeinen Bestimmung in § 22 Abs. 2 Satz 2 InsO in Einklang, wonach Sicherungsmaßnahmen nicht über die Rechte – und damit auch Lasten – einer „starken“ vorläufigen Verwaltung hinausgehen dürfen. Noch steht das im Einklang mit den Motiven zu § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO. Dem Gesetzgeber ging es darum, die Masse beisammenzuhalten10, nicht aber darum, die Masse von Verbindlichkeiten zu befreien. Kann also der Eigentümer beispielsweise einen Mietzins aufgrund vertraglicher Vereinbarungen verlangen, ist der Anspruch ab dem ersten Tag des konkurrierenden hoheitlichen Nutzungsverhältnisses bei einer ansonsten „schwachen“ vorläufigen Verwaltung 1 Ganter, NZI 2007, 549, 551. 2 Flöther/Wehner, NZI 2010, 554, 556. 3 BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141 Rz. 44; BGH v. 14.12.2005 – IX ZB 256/04, ZIP 2006, 621; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 72 m.w.N. in Fn. 333. 4 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 Rz. 16. 5 Schröder in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 21 InsO Rz. 69e. 6 BVerfG v. 22.3.2012 – 1 BvR 3169/11, ZIP 2012, 1252 Rz. 21 f. 7 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 Rz. 28. 8 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 Rz. 24 ff. 9 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 33; wohl auch Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 101. 10 BT-Drucks. 16/3227, S. 15 f.

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Vorläufige Insolvenzverwaltung

5.509

eine Insolvenzforderung (§ 38 InsO), bei einer ansonsten „starken“ vorläufigen Verwaltung hingegen Masseschuld (§ 55 Abs. 2 InsO)1. Ebenso, wie die vertraglichen Vergütungsansprüche unberührt bleiben, weil § 21 5.508 Abs. 2 Nr. 5 InsO allenfalls die insolvenzrechtliche Rangordnung betrifft, werden auch vertragliche Gestaltungsrechte nicht beeinträchtigt. Ein Vermieter verliert die Kündigungsbefugnis nicht, wenn nach – zum Rückstand davor s. § 112 InsO – dem Insolvenzantrag ein (neuer) Zahlungsrückstand auftritt2. Von der Nutzungsvergütung zu unterscheiden ist der Wertverlust, den der Gegen- 5.509 stand durch Verbrauch, Beschädigung oder Zerstörung3 erleidet. Im Gegensatz zur Nutzungsentschädigung beginnt die Ausgleichspflicht sofort mit der Anordnung4 und ist, wie die Nutzungsentschädigung, eine künftige Masseverbindlichkeit, falls bis zur Eröffnung entgegen § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO nicht bezahlt wurde5. Obwohl nach dem Text des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO der Eindruck entstehen könnte, dass nur den absonderungsberechtigten Gläubigern ein Wertverlust auszugleichen ist, gibt es keinen Grund, die Aussonderungsberechtigten davon auszunehmen6. Während bei einer Immobilie wirtschaftlich der Nutzungszins als Verzinsung des Investitionskapitals überwiegt und die nutzungsbedingte Wertminderung in den Hintergrund tritt, ist es bei beweglichen Wirtschaftsgütern umgekehrt. Der Wertverlust kann sogar die aufgrund einer langfristigen Amortisation kalkulierten vereinbarten monatlichen Zahlungen übersteigen, bspw. bei Computer-Hardware, deren (Markt-)wert zu Beginn eines Nutzungszeitraums schneller sinkt als am Ende. Nach dem Wortlaut von § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO ist der durch die Nutzung eintretende Wertverlust auszugleichen. Darunter kann sowohl die wirtschaftliche Abnutzung verstanden werden, weil dieser Wertverlust durch die Nutzung adäquat kausal verursacht wurde, als auch nur die technische Abnutzung, die im Beispiel der Computer-Hardware am Beginn eines Nutzungsvertrages wesentlich geringer als die wirtschaftliche ist. § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO will zwar dem Gläubiger nicht mehr Rechte einräumen, als er vertraglich hätte. Ein Vergleich mit dem ungestörten Vertragsverhältnis ist jedoch gerade bei langfristigen Amortisationsverträgen nicht möglich. Der BGH hat dem Eigentümer eine Entschädigung neben der Nutzungsvergütung zugebilligt, wenn der tatsächlich eingetretene Wertverlust dadurch nicht ausgeglichen wird7. Das Urteil betraf zwar eine technische Wertminderung. Der BGH betont aber den Schadensersatzcharakter des Anspruchs8, so dass es nur darauf ankommt, ob der Wertverlust da1 Ob diese Betrachtungsweise mit der Begründung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO im Einklang steht, ist allerdings fraglich. Zwar stützt sich das Gericht darauf, dass eine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO den Gläubiger nicht schlechter stellt als ohne Anordnung, bezieht dies aber „zumindest“ nur auf die „schwache“ vorläufige Verwaltung, so dass es sich zur Konkurrenz mit § 55 Abs. 2 InsO nicht geäußert hat, BVerfG v. 22.3.2012 – 1 BvR 3169/11, ZIP 2012, 1252 Rz. 21. 2 A.A. Hölzle, ZIP 2014, 1155, 1157 ff. 3 BGH v. 28.6.2012 – IX ZR 219/10, ZIP 2012, 1566 Rz. 22. 4 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 Rz. 28. 5 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 Rz. 24 ff. 6 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 Rz. 16 f.; a.A. zu § 172 InsO: Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 172 InsO Rz. 33. 7 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 Rz. 21 ff. 8 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 Rz. 25.

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5.510

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

durch verursacht wurde, dass die Gegenstände nicht herausgegeben wurden. Für den technischen Zustand der Sache am Beginn des Nutzungszeitraums obliegt dem Verwalter eine Dokumentation. Im Streit trägt er die sekundäre Behauptungslast dafür, dass eine Beschädigung schon vorher eingetreten war und deshalb ein darauf gestützter Schadensersatzanspruch nur eine Insolvenzforderung ist1. c) Begründung von Masseverbindlichkeiten 5.510 Der „schwache“ vorläufige Verwalter kann allein aus dieser Position heraus keine Masseverbindlichkeiten begründen2. Vielmehr sind sämtliche Schulden, die im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch vorhanden sind, Insolvenzforderungen (§ 38 InsO), mögen sie auch erst während der vorläufigen Verwaltung entstanden sein. Zwar darf der Verwalter der Begleichung solcher Neuschulden im Wege des Bargeschäfts zustimmen3, die Verfahrenseröffnung macht aber eine Zäsur4, die nach herrschender Meinung nur überbrückt werden darf, wenn der „schwache“ Verwalter mit zusätzlichen Befugnissen ausgestattet wird. Ein Ansatzpunkt ist auf der Aktivseite der partielle Übergang der Verfügungsbefugnisse auf ihn. Wird er beispielsweise ermächtigt, über bestimmte Gegenstände zu verfügen oder Forderungen einzuziehen, sind die damit verbundenen Verbindlichkeiten Masseschulden5. Eine andere in der Praxis zunehmend genutzte Möglichkeit betrifft allein die Passivseite durch eine gesonderte Ermächtigung zur Begründung künftiger Masseschulden6. Rechtsgrundlage ist § 22 Abs. 2 InsO, der es dem Gericht gestattet, die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters zu bestimmen, wenn dem Schuldner kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird. In erweiternder Auslegung lässt der BGH darunter auch das Recht fallen, Verbindlichkeiten zu begründen, die dann in analoger Anwendung von § 55 Abs. 2 InsO künftig Masseschulden sind. Da § 22 Abs. 2 InsO die Konkretisierung allein dem Gericht zuweist, müsse es nach Ansicht des BGH die Verbindlichkeiten im Einzelnen nennen. Daraus resultiert die Bezeichnung als „Einzelermächtigung“, wobei 1 2 3 4

BGH v. 28.6.2012 – IX ZR 219/10, ZIP 2012, 1566 Rz. 27 ff. BGH v. 13.1.2011 – IX ZR 233/09, NZI 2011, 143. AG Hamburg v. 21.1.2014 – 67g IN 428/13, ZIP 2014, 1091. Büteröwe in Karsten Schmidt, § 38 InsO Rz. 14 ff.; Ries in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 38 InsO Rz. 27 f. Gegen diese Meinung sind Vorbehalte angebracht; denn die Zäsur dient der Gläubigergleichbehandlung, Ehricke in Münchener Kommentar zur InsO, § 38 InsO Rz. 4, die auch dem Bargeschäftsprivileg zugrunde liegt, so dass Zufallsergebnisse nur über eine Einschränkung des § 38 InsO durch § 142 InsO vermieden werden. 5 Das ergibt sich zwar nicht allein aus dem Terminus der Verfügung, folgt aber daraus, dass jede Verfügung eines Verwalters einer Causa bedarf, deren Erfüllung rein faktisch nicht immer hic et nunc eintreten kann. Allerdings betonte der BGH mehrfach, dass § 55 Abs. 2 InsO ausschließlich den „starken“ vorläufigen Verwalter betreffe, BGH v. 7.5.2009 – IX ZR 61/08, ZIP 2009, 1477 Rz. 13; BGH v. 13.1.2011 – IX ZR 233/09, NZI 2001, 143, was jedoch in Abgrenzung zu dem „nur“ „schwachen“ Verwalter ausgeführt wurde. Dass die Rechtsfolgen der Verfügungsermächtigung Masseschuldcharakter haben müssen, wird an der simplen Kündigungsermächtigung deutlich: Ist sie unwirksam, dürfen daraus resultierende Schadensersatzansprüche nicht nur Insolvenzforderungen sein. 6 Grundlegend: BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 unter IV.2.a) m. Anm. Spliedt, EWiR 2002, 919.

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Vorläufige Insolvenzverwaltung

5.511

auch eine „Gruppenermächtigung“ für bestimmte abgrenzbare1 oder im Rahmen des Verkehrsüblichen2 beschriebene Maßnahmen zulässig ist. Wichtig ist nur, dass das Insolvenzgericht die Verantwortung für die Anordnung der Maßnahme behält. Daraus3 wiederum hat sich die ständige Übung herausgebildet, dass der Verwalter, der eine Einzelermächtigung anregt, die voraussichtliche Erfüllung der infrage kommenden Masseschulden durch einen Liquiditätsplan darlegen muss4; denn das Insolvenzgericht werde, so die Begründung, seiner Verantwortung nicht gerecht, wenn es das Risiko für die Neugläubiger nicht in Grenzen halte. Entspricht die Ermächtigung nicht den Anforderungen des BGH, insbesondere weil sie nicht hinreichend konkretisiert ist, kommt gleichwohl ein Vertrauensschutz in Betracht, soweit die Unzulässigkeit nicht evident ist. Die Einzelermächtigung wirkt aber immer nur für künftig begründete Verbindlichkeiten. Hat der vorläufige Verwalter schon vorher Zahlungszusagen erteilt, darf er sie im Nachhinein genauso wenig zu Masseschulden erheben wie er nach Verfahrenseröffnung Insolvenzforderungen bezahlen darf. Hat der Vertragspartner seine Leistung noch nicht erbracht, kann darüber allenfalls ein neuer Vertrag geschlossen werden. Die inzwischen weithin geteilten Anforderungen an eine Masseschuldermächti- 5.511 gung sind kritisch zu beurteilen. So ist nicht ersichtlich, warum für die Masseschuldermächtigungen ein Liquiditätsplan erforderlich sein soll, nicht aber für die Anordnung der „starken“ vorläufigen Verwaltung, obwohl die Neugläubiger dort durch die Konkurrenz mit einer Vielzahl anderer wesentlich gefährdeter sind. Beides beruht auf einer Anordnung des Gerichts. Unklar ist auch, welches Schutzgut beeinträchtigt wird, wenn dem vorläufigen Verwalter ein großer Entscheidungsspielraum bei der Ausnutzung der Ermächtigung eingeräumt wird. Geht es um den Schutz des Schuldner, der Gläubigergesamtheit oder nur der Neugläubiger? Die Zweifel an der bisherigen Praxis haben durch § 270b Abs. 2 InsO neue Nahrung erhalten: Im Schutzschirmverfahren muss das Gericht auf Antrag des Schuldners anordnen, dass er Masseverbindlichkeiten begründen darf. Wenn das vom BGH in 2002 postulierte Entscheidungsvorrecht des Gerichts für die vorläufige Eigenverwaltung zurückgedrängt wird, gibt es keinen Grund, es bei der vorläufigen Fremdverwaltung so sehr zu betonen. Zwar trifft es zu, dass § 22 Abs. 2 InsO dem Gericht überantwortet, die Pflichten des vorläufigen Verwalters zu bestimmen. Das bedeutet aber nicht, dass der Verwalter nur noch als Bote ohne eigenen Entscheidungsspielraum fungieren darf und das Insolvenzgericht jede einzelne Forderung oder jeden Gläubiger benennen muss. Erst recht kann daraus nicht geschlossen werden, dass das Gericht auch die Erfüllbarkeit prüfen muss, zumal es einen Liquiditätsplan nur auf die rechnerische Richtigkeit kontrollieren kann. Ob bspw. der zum Bau einer Maschine für Personal und Material angesetzte Aufwand genügt, kann es nicht beurteilen. Nur wenn der Schuldner mit einer Masseschuldbegründung nicht einverstanden ist, bedarf es einer detaillierten richterlichen Entscheidung. Ansonsten sollte es reichen, einen Höchstbetrag fest1 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625. 2 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 56 m.w.N. in Fn. 227. 3 Und zunächst bestätigt durch das Senatsmitglied Kirchhof, ZInsO 2004, 61, der das aber im Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 56 auf die Zweckmäßigkeit und erkennbare Unerfüllbarkeit reduziert. 4 Zu Recht zweifelnd: Horstkotte/Martini, ZInsO 2010, 750, 751 f.

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5.512

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

zulegen, der aus Gründen der Handhabbarkeit einer Ermächtigung nur im Innenverhältnis Bedeutung haben sollte, weil die Neugläubiger nicht beurteilen können, ob sie noch „im Rahmen liegen“. Mit einer Änderung der Anforderungen auch im Regelinsolvenzverfahren ist jedoch vorerst nicht zu rechnen, weil der BGH darüber zu entscheiden nur dann Gelegenheit haben wird, wenn sich ein Beteiligter auf eine vermeintlich zu weit gefasste Ermächtigung beruft, eine Unsicherheit, auf die es kaum jemand ankommen lassen und deshalb auch keine Forderungen begründen wird. 5.512 Für die Erfüllung der im Rahmen der Ermächtigung begründeten Masseschulden haftet der vorläufige Verwalter gemäß § 61 InsO1 auch dann, wenn er später nicht zum endgültigen Verwalter bestellt werden sollte. Seine Haftung kann nicht dadurch erleichtert werden, dass das Insolvenzgericht ihn zur Begründung von Neumasseschulden i.S. von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO für den Fall einer Masseunzulänglichkeit ermächtigt. Ebenso wie nach Verfahrenseröffnung gibt es auch vor der Eröffnung keine Superermächtigung für Neumasseschulden2. Insofern bleibt nur die Möglichkeit, mit den Neugläubigern Sicherheiten an bestehenden oder im Rahmen der Betriebsfortführung neu geschaffenen Vermögensgegenständen des Schuldners oder eines Treuhänders3 zu vereinbaren. 5.513–5.520

vacat

IV. Arbeitsrechtliche Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters 5.521 Der Insolvenzverwalter tritt im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an die Stelle des Schuldners und nimmt dessen Funktion und Rechtsstellung als Arbeitgeber wahr. Dies ergibt sich daraus, dass die Verfügungs- und Verwaltungsrechte des Schuldners auf den Insolvenzverwalter übergehen (§ 80 Abs. 1 InsO). Der Insolvenzverwalter trifft mithin gegenüber den Arbeitnehmern und dem Betriebsrat die Arbeitgeberentscheidungen und gibt die rechtsgeschäftlichen Erklärungen ab. Diese Rechtsstellung des Insolvenzverwalters wird – erst – durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet. Solange das Insolvenzverfahren nicht eröffnet ist, übt der Schuldner die Arbeitgeberfunktionen aus. Er tut dies allerdings in Abstimmung mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter4. Der vorläufige Insolvenzverwalter tritt anders als der Insolvenzverwalter nicht in die Arbeitgeberstellung ein. Er ist darauf beschränkt und verwiesen, gegebenenfalls den Schuldner zu Erklärungen oder Maßnahmen zu veranlassen. Etwas anderes gilt, wenn es sich um einen „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter i.S. des § 22 Abs. 1 InsO handelt oder wenn das Insolvenzgericht Regelungen im Rahmen des § 22 Abs. 2 InsO vornimmt. 5.522 Das Gesetz kennt vier Erscheinungsformen eines vorläufigen Insolvenzverwalters5: (1) § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO (Grundfall), (2) § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO (Zustimmungsrecht), 1 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 56. 2 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 56. 3 Zum „Treuhandkontenmodell“, bei dem ein Treuhänder Kundeneinzahlungen für Lieferanten entgegennimmt, s. Windel, ZIP 2009, 101 ff. 4 Vgl. Heinze/Bertram in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 104 Rz. 16. 5 S. dazu BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, DB 2002, 2100.

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Spliedt und Moll

Vorläufige Insolvenzverwaltung

5.524

(3) § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO („starker“), (4) § 21 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 22 Abs. 2 InsO (BGH). Das Arbeitsgericht prüft Berechtigung und Richtigkeit der Entscheidung des Insolvenzgerichts nicht nach! Es ist an den Beschluss des Insolvenzgerichts gebunden. Die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis des Schuldners kann gemäß § 22 5.523 Abs. 1 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen werden. Die Arbeitgeberfunktion geht in diesem Falle auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über. Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter ist wie der Insolvenzverwalter derjenige, der alle Erklärungen im Arbeitsverhältnis abgibt und entgegennimmt und der insbesondere auch Kündigungen auszusprechen berechtigt ist1. Diese Befugnis des „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters wird insbesondere dann bedeutsam, wenn er die gebotenen Maßnahmen ergreift, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden, nachdem das Insolvenzgericht einer Stilllegung des Schuldnerunternehmens zugestimmt hat (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO)2. Ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter übt im Rahmen der ihm nach § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO verliehenen Rechte die Arbeitgeberbefugnisse aus, ohne dass es der Zustimmung des Schuldners bedarf3. Er ist Beklagter einer Kündigungsschutzklage. Die Klagefrist wird nur durch eine Klage gegen den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter gewahrt. Kündigt ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter die Arbeitsverhältnisse wegen geplanter Betriebsstilllegung, ist die Kündigung nicht unwirksam, wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Zustimmung des Insolvenzgerichts (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO) zur Betriebsstilllegung nicht vorliegt4. Die Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Unternehmensstilllegung ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter wegen der beabsichtigten Stilllegung (§ 161 InsO). Die §§ 113, 120 ff. InsO gelten nicht für den (kündigungsbefugten) „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter5. Ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter ist auch Adressat des Zeugnisanspruchs6. Der vorläufige Insolvenzverwalter kann auch nur speziell Arbeitgeberbefugnisse 5.524 nach § 22 Abs. 2 InsO durch das Insolvenzgericht (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO) eingeräumt erhalten, vorausgesetzt, dieses nimmt eine entsprechende inhaltliche Regelung vor. 1 Vgl. BAG v. 18.4.2002 – 8 AZR 346/01, AP Nr. 232 zu § 613a BGB; Caspers, Personalabbau und Betriebsänderungen im Insolvenzverfahren, Rz. 493; Heinze/Bertram in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 104 Rz. 19; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 113 InsO Rz. 66; Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, 1998, Rz. 504. 2 S. dazu näher Berscheid, ZIP 1997, 1569, 1580; Smid, WM 1995, 785, 788. 3 Vgl. BAG v. 8.4.2002 – 8 AZR 346/01, NZA 2002, 1207; Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, 1998, Rz. 504. 4 Vgl. BAG v. 27.10.2005 – 6 AZR 5/05, DB 2006, 955. Anders früher noch: BAG v. 29.6. 2000 – 8 ABR 44/99, AP Nr. 2 zu § 126 InsO; LAG Düsseldorf v. 8.5.2003 – 10 (11) Sa 246/03, NZA-RR 2003, 466; Hessisches LAG v. 1.11.2004 – 7 Sa 88/04, LAGE § 22 InsO Nr. 2. 5 Vgl. BAG v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, DB 2005, 1691. 6 Vgl. BAG v. 23.6.2004 – 10 AZR 495/03, DB 2004, 2438.

Moll

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5.525

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

5.525 Ohne die Begründung einer Arbeitgeberstellung auf der Grundlage von § 22 Abs. 1 InsO oder eine Bestimmung des Insolvenzgerichts nach § 22 Abs. 2 InsO verbleibt es bei der Arbeitgeberstellung des Schuldners. Eine Klage gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter ist in diesem Falle gegen den falschen Beklagten gerichtet1. 5.526 Ein bloßer Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO) beseitigt die Arbeitgeberstellung des Schuldners nicht2. Er bleibt insbesondere kündigungsbefugt. Ein vom Insolvenzgericht angeordneter Zustimmungsvorbehalt gilt auch für die Kündigung von Arbeitsverhältnissen. Eine Kündigung des Schuldners ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters ist unwirksam. Der Arbeitnehmer kann eine vom Schuldner mit Einwilligung des vorläufigen Insolvenzverwalters erklärte Kündigung trotz sachlich vorliegender Zustimmung zurückweisen, wenn die Einwilligung nicht in schriftlicher Form vorgelegt wird (§ 182 Abs. 3 BGB i.V.m. § 111 Sätze 2 und 3 BGB)3. Es gelten entsprechende Grundsätze wie bei § 174 BGB. Eine Klage gegen einen vorläufigen Insolvenzverwalter i.S. des § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO ist nicht gegen den richtigen Beklagten gerichtet4. 5.527 Eine Zustimmung des Insolvenzgerichts ist nicht erforderlich, wenn der Schuldner mit oder ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wegen Betriebsstilllegung kündigt5. Eine gemeinsame unternehmerische Entscheidung des vorläufigen Insolvenzverwalters und des Schuldners, den Betrieb stillzulegen, begründet die Prognose, dass zum Zeitpunkt der beabsichtigten Stilllegung keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr bestehen werden6. Das Arbeitsgericht prüft nicht nach, ob Gläubigerversammlung/Gläubigerausschuss oder Insolvenzgericht dem zugestimmt haben. 5.528 § 55 Abs. 2 InsO gilt für den nicht „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter auch nicht analog7. vacat

5.529–5.540

1 2 3 4 5

Vgl. LAG Hamm v. 2.2.2002 – 4 (14) Ta 24/02, NZA-RR 2003, 151. S. dazu eingehend Berscheid in FS Hanau, 1999, S. 701, 721 ff. Vgl. BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, DB 2003, 1523. Vgl. LAG Hamm v. 2.2.2002 – 4 (14) Ta 24/02, NZA-RR 2003, 151. Vgl. Uhlenbruck in FS Schwerdtner, 2003, S. 623, 639. S. auch BAG v. 4.12.2002 – 10 AZR 16/02, AP Nr. 2 zu § 38 InsO; BAG v. 8.4.2003 – 2 AZR 15/02, EzA § 55 InsO Nr. 4. 6 Vgl. BAG v. 8.4.2003 – 2 AZR 15/02, NZA 2004, 343. 7 Vgl. BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, DB 2002, 2100; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 113 InsO Rz. 33.

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Moll

Betriebsfortführung/-stilllegung im Eröffnungsverfahren

5.544

H. Betriebsbezogene Maßnahmen I. Betriebsfortführung/-stilllegung im Eröffnungsverfahren 1. Die Betriebsfortführung a) Die Pflicht zur Betriebsfortführung Hervorzuheben ist die in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO positiv normierte Pflicht 5.541 des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verfügungsbefugnis („starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter) zur einstweiligen Unternehmensfortführung1. Die Unternehmensfortführung steht damit nicht im Ermessen des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verfügungsbefugnis. Zur Sicherung des Schuldnervermögens ist es regelmäßig notwendig, ein werben- 5.542 des Unternehmen des Schuldners im Insolvenzeröffnungsverfahren weiter zu betreiben2. Durch eine Betriebsstilllegung würden zunächst diejenigen Vermögenswerte vernichtet werden, die mit dem Unternehmen als solchem verbunden sind (Goodwill, Kundenstamm etc.). Sodann ginge der Wert des Betriebsvermögens auf den Zerschlagungswert der einzelnen Bestandteile zurück, der oftmals erheblich unter ihrem „going-concern-Wert“ liegt. Das Entstehen solcher irreversibler Schäden ist aber im Insolvenzeröffnungsverfahren besonders problematisch, da zu dieser Zeit über den Eröffnungsantrag noch keine Entscheidung ergangen ist. Daher kann der vorläufige Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb des Schuld- 5.543 ners nur nach ausdrücklicher Zustimmung des Insolvenzgerichts stilllegen (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Halbsatz 2 InsO; dazu näher unten Rz. 5.553 ff.). Die Pflicht zur Unternehmensfortführung ist damit institutionalisiert worden mit der Folge, dass der Verwalter auch gegen seinen Willen zur einstweiligen Betriebsfortführung verpflichtet ist, solange keine Schließungszustimmung des Gerichts vorliegt. Diese Pflicht ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass nach der InsO die Entscheidung über den Verfahrensfortgang der Gläubigerversammlung im Berichtstermin überlassen werden soll (§ 157 InsO). Vor diesem Hintergrund wird aber auch zugleich deutlich, dass die Pflicht zur 5.544 Fortführung des schuldnerischen Unternehmens entgegen des Wortlauts des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO nicht auf den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis beschränkt sein kann. Vielmehr muss jeder vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen seiner Befugnisse grundsätzlich dazu verpflichtet sein, 1 Uhlenbruck in Uhlenbruck, 13. Aufl., § 22 InsO Rz. 27 erhebt die Vorschrift gar zur Schlüsselvorschrift des Eröffnungsverfahrens. Ist zum Zeitpunkt der Bestellung des Eröffnungsverfahrens der Geschäftsbetrieb schon eingestellt, besteht, da die betrieblichen Strukturen in der Regel bereits auseinander gefallen sind, keine Verpflichtung zur Wiederaufnahme, so Vallender in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 31; auch Mönning in Nerlich/Römermann, § 22 InsO Rz. 57; dazu auch Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch der vorläufigen Insolvenzverwaltung, § 12 Rz. 16 ff. 2 So auch für die Rechtslage vor der InsO: Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze, § 106 KO Anm. 4; Berscheid, ZIP 1997, 1570. Zur Geschäftsfortführung unter Verdrängung der bisherigen Geschäftsführung bedurfte es allerdings einer besonderen gerichtlichen Anordnung (Kuhn/Uhlenbruck, 11. Aufl. 1994, § 106 KO Rz. 13a).

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5.545

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

auf die Fortführung des Unternehmens hinzuwirken und zu dieser beizutragen1. Soweit das Insolvenzgericht Verfügungen des Schuldners gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO lediglich unter einen Zustimmungsvorbehalt des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters stellt, ist es diesem dementsprechend unter analoger Anwendung des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO verwehrt, einer Betriebsstilllegung durch den Schuldner ohne vorherige Genehmigung des Insolvenzgerichts zuzustimmen2. b) Schaffung von Anlaufliquidität 5.545 Die Liquiditätssituation eines Unternehmens nach Eröffnungsantragstellung ist regelmäßig schlecht. Das Bekanntwerden des Eröffnungsantrags führt meist zu einer Betriebsstockung, mit der erhebliche Umsatzeinbrüche einhergehen. 5.546 Liquidität kann aus eigener Kraft kurzfristig nur durch die Sicherstellung eingehender Außenstände des Unternehmens auf einem separaten Konto des vorläufigen Insolvenzverwalters erzeugt werden. Die hierdurch zu erwirtschaftenden Mittel reichen jedoch zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes im Normalfall nicht aus, auch wenn kein Kapitaldienst mehr geleistet wird und auch auf sonstige Altforderungen keine Zahlungen mehr erfolgen. Bereits die Aufrechterhaltung der allgemeinen Versorgung des Unternehmens mit Energie und sonstigen Versorgerleistungen erfordert in der Regel die Erbringung beträchtlicher Vorschusszahlungen. Auch die sonstigen Lieferanten des Unternehmens leisten meist nur noch gegen Vorkasse, sobald sie von der Eröffnungsantragstellung Kenntnis erhalten haben. Nicht selten wird die weitere Belieferung sogar von der Bezahlung noch rückständiger Forderungen abhängig gemacht. Je mehr der Betrieb von dem jeweiligen Lieferanten abhängig ist, desto schlechter ist die Position des vorläufigen Insolvenzverwalters3. 5.547 Zur Betriebsfortführung bedarf es somit grundsätzlich einer Finanzierungshilfe von dritter Seite, vor allem durch Kreditinstitute. Zu diesem Zweck erleichtert § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis die Kreditaufnahme, indem er hieraus resultierende Verbindlichkeiten im Falle der Eröffnung des Hauptverfahrens den Masseverbindlichkeiten gleichstellt4. Auch dies motiviert potentielle Kreditgeber jedoch oftmals nicht hinreichend zur Bereitstellung der erforderlichen Finanzierungshilfen. Zum einen ist die Befugnis zur Begründung von Masseverbindlichkeiten dem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter vorbehalten, der jedoch in der Praxis nicht die Regel darstellt5. Zum anderen laufen auch Massegläubiger Gefahr, bei Unzulänglichkeit der Masse aufgrund der Nachrangigkeitsregelung des § 209 Abs. 1 InsO nicht vollständig befriedigt zu werden. Diskutiert werden deshalb andere Möglichkeiten zur Absicherung der Kreditgeber, insbesondere durch (Doppel-)Treuhandkons1 Ganter, NZI 2012, 433 m.w.N. 2 AG Hamburg v. 23.9.2005 – 67g IN 358/05, ZInsO 2005, 1056; Ganter, NZI 2012, 433; a.A. Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 69. 3 Es ist allerdings u.U. möglich, die Bezahlung rückständiger Forderungen im späteren Hauptverfahren anzufechten. 4 Für den Fall der vorherigen Aufhebung der vorläufigen Insolvenzverwaltung vgl. § 25 Abs. 2 InsO. 5 Windel, ZIP 2009, 101, 102 m.w.N.

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Betriebsfortführung/-stilllegung im Eröffnungsverfahren

5.550

truktionen1. Die rechtliche Zulässigkeit und Wirksamkeit dieser Konstruktionen sowie ihre Risiken insbesondere in Hinblick auf eine mögliche Anfechtung sind bisher jedoch nicht hinreichend geklärt2, so dass auch auf diesem Wege kaum das notwendige Vertrauen der Kreditgeber generiert werden kann. Eine Bank wird dem vorläufigen Insolvenzverwalter ein Darlehen zur vorläufigen 5.548 Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungsverfahren ohnehin aber nur dann geben, wenn sie an der Betriebsfortführung ein besonderes Interesse hat. Ein solches Interesse besteht nicht selten für Gläubigerbanken des Schuldners, da bestehende Sicherungsrechte im Falle einer Betriebsstilllegung grundsätzlich erheblich an Wert verlieren. Das gilt nicht nur für Betriebsgrundstücke, die im Falle einer Stilllegung zur wertlosen Industrieruine werden könnten und deren mithaftendes Zubehör nur noch Schrottwert hat, sondern auch für Halbfertigerzeugnisse, die einen Marktwert nur durch Fertigstellung erlangen und für Außenstände, die durch ein Kreditinstitut nur unter erheblichen Schwierigkeiten eingezogen werden könnten. Hierfür fehlen i.d.R. bereits die Verwaltungskapazitäten, vor allem aber das leistungsspezifische Know-how. Viele Drittschuldner, die von einem (offen legenden) Kreditinstitut zur Zahlung aufgefordert werden, verweigern zunächst Zahlungen, sei es auf Grund der aufgetretenen „Gläubigerverdopplung“ oder auf Grund von Einwendungen aus dem Grundverhältnis, deren Berechtigung ein Kreditinstitut nicht zu beurteilen vermag. Gegebenenfalls entstehen zusätzlich Aufrechnungslagen mit Gegenansprüchen aus insolvenzbedingter Nichterfüllung, die die Forderungen ganz zum Erlöschen bringen3. Ein zunächst „stattliches“ Reservoir an Kreditsicherheiten kann auf diese Weise 5.549 in erheblichem Maße zusammenschmelzen. Die vorläufige Betriebsfortführung wirkt dem entgegen. In diesem Fall kann der Forderungseinzug über die Buchhaltung des Schuldnerunternehmens erfolgen; Halbfertigerzeugnisse können fertigproduziert werden. Darüber hinaus besteht die Chance, dass das insolvenzbefangene Unternehmen nicht in Einzelteilen, sondern als Ganzes oder in überlebensfähigen Teileinheiten verkauft werden kann, was gegenüber der Einzelverwertung einen besseren Kaufpreis verspricht, den Verwertungsaufwand minimiert und nebenbei auch noch Arbeitsplätze erhält. c) Deckung der Personalkosten durch Vorfinanzierung von Insolvenzgeld Inwiefern die Liquidität im Insolvenzeröffnungsverfahren durch Personalkosten be- 5.550 lastet wird, hängt von der Realisierbarkeit des Insolvenzgelds ab. Bestenfalls erfolgt eine Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes (dazu ausführlich unten Rz. 5.381 ff.). Der Betrieb kann hierdurch im Insolvenzeröffnungsverfahren für drei Monate praktisch personalkostenfrei gehalten werden4, sofern nicht bereits vor Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens rückständige Löhne aufgelaufen sind. 1 Grundlage für diese Überlegungen ist häufig ein Urteil des BGH v. 12.10.1989 – IX ZR 184/88, BGHZ 109, 47 = NJW 1990, 45, in dem dieser eine solche Treuhandkonstruktion als wirksam erachtet hat. 2 Vgl. hierzu eingehend Ganter, NZI 2012, 433 und Windel, ZIP 2009, 101, jeweils m.w.N. 3 Zur Verwertung von Kreditsicherheiten vgl. Rz. 5.364 ff. 4 Es fallen insofern nur die spezifischen Finanzierungskosten, insbesondere die Zinsen, an; ausführlich zur Insolvenzgeldvorfinanzierung: Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch der vorläufigen Insolvenzverwaltung, § 12 Rz. 56 ff.

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5.551

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

5.551 Das Insolvenzgeld sichert die Entgeltforderungen der Arbeitnehmer des Schuldners für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab (§ 165 Abs. 1 SGB III). Gemäß § 170 Abs. 4 SGB III können die Leistungen der Insolvenzausfallversicherung auch vorfinanziert werden (dazu Rz. 5.394 ff.)1. Auch kann die Agentur für Arbeit nach ihrem Ermessen einen Vorschuss auf das Insolvenzgeld leisten (§ 168 SBG III). 5.552 § 55 Abs. 3 InsO regelt2, dass die gemäß § 55 Abs. 2 InsO begründeten Ansprüche von Arbeitnehmern, soweit sie nach § 169 SGB III auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen sind, von dieser nur als Insolvenzforderung und nicht als Masseforderungen nach § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO geltend gemacht werden können3. 2. Die Betriebsstilllegung 5.553 Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO ist der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis zur Fortführung des Unternehmens verpflichtet. Danach bedarf der vorläufige Insolvenzverwalter zur Stilllegung des Schuldnerbetriebes der Zustimmung des Insolvenzgerichts. Das Gesetz will hierdurch verhindern, dass ein „übervorsichtiger“ vorläufiger Insolvenzverwalter aus Angst vor dem möglichen Auflaufen von Verlusten zu Lasten von Schuldner und Gläubigern vorschnell vollendete (und insbesondere irreversible) Tatsachen schafft4. 5.554 Einem Antrag des vorläufigen Insolvenzverwalters auf Betriebsstilllegung wird das Gericht auch nicht unbesehen folgen, sondern es wird zur eigenständigen Beurteilung der betriebswirtschaftlichen Lage des Schuldnerunternehmens vorher ggf. ein Sachverständigengutachten einholen5. Der Zustimmungsvorbehalt des Gesetzes erweist sich insofern als eine bürokratische Hürde für Fälle dringend angezeigter Stilllegung zur Vermeidung des Auflaufens weiterer erheblicher Verluste. Das Gesetz nimmt diese Gefahr einer möglichen „Betriebsfortführung ohne Rücksicht auf Verluste“ zu Gunsten des Erhalts einer (mehr oder weniger theoretischen) Sanierungschance trotz der in § 1 InsO zum Ausdruck gebrachten Gleichwertigkeit von Zerschlagung und Sanierung hin6. Dies mag zwar wegen der für den Schuldner irreversiblen Wirkungen einer Betriebsstilllegung im Eröffnungsverfahren gerechtfertigt sein. Allerdings ist dabei immer zu berücksichtigen, dass auch die deswegen möglicherweise eintretenden Verluste für die Gläubiger „irreversibel“ sind. 1 Vgl. Wiester, ZInsO 1998, 101; Hase, WM 2000, 2231; dazu auch: Frind in Borchardt/ Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, 2. Aufl. 2014, Rz. 462 f. 2 Eingeführt durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung vom 26.10.2001, BGBl. I 2001, 2710, zuletzt geändert m.W.v. 1.4.2012 durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt v. 20.12.2011 (BGBl. I 2011, 2854). 3 Vgl. hierzu auch Graf-Schlicker/Remmert, NZI 2001, 565, 570; Braun/Wierzioch, ZIP 2003, 2001, 2004. 4 Die gesetzliche Regelung lässt erkennen, dass – anders als nach früherem Recht – eine vorzeitige Zerschlagung des schuldnerischen Unternehmens vermieden werden soll; dazu auch BAG v. 27.10.2005 – 6 AZR 5/05, NZI 2006, 310. 5 S. Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 238. 6 Kritisch dazu: Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch der vorläufigen Insolvenzverwaltung, § 12 Rz. 1 ff.

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Betriebsfortführung/-stilllegung im Eröffnungsverfahren

5.558

Aus der gesetzlichen Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters, das schuldne- 5.555 rische Vermögen zu sichern und zu erhalten, folgt jedoch, dass dann, wenn die Betriebsfortführung Verluste erwarten lässt, die das Haftungsvermögen erheblich angreifen würden, der vorläufige Insolvenzverwalter schnellstmöglich bei Gericht Antrag auf Zustimmung zur Betriebsstilllegung zu stellen hat. Vor dem Hintergrund der durch das ESUG erfolgten Stärkung der Beteiligungs- 5.556 rechte der Gläubiger im Eröffnungsverfahren stellt sich die Frage, inwiefern das Insolvenzgericht gehalten ist, die Gläubiger bei seiner Entscheidungsfindung hinsichtlich der Betriebsstilllegung einzubeziehen. Eine solche Einbeziehung der Gläubiger kann für die vom Gericht vorzunehmende Einschätzung der Fortführungsfähigkeit des Unternehmens äußerst sinnvoll sein, da die Gläubiger oftmals über wertvolle Kenntnisse des schuldnerischen Unternehmens und der Marktsituation verfügen1. In der Literatur wird seit Inkrafttreten des ESUG teilweise angenommen, dass das Insolvenzgericht nach dem Rechtsgedanken des § 158 Abs. 1 InsO zumindest dann zur Anhörung eines vorläufigen Gläubigerausschusses verpflichtet sei, wenn dieser aufgrund eines Antrags der Gläubiger gemäß § 22a Abs. 2 InsO einberufen wurde2. In der Rechtsprechung war diese Frage bisher jedoch – soweit ersichtlich – noch nicht zu entscheiden. Fraglich ist, ob der gerichtliche Zustimmungsvorbehalt des § 22 Abs. 1 Satz 2 5.557 Nr. 2 InsO auch für Teilbetriebsstilllegungen gilt. Dass vom Zustimmungsvorbehalt auch Teilstilllegungen erfasst werden, ist auf Grund der Gesetzesmaterialien3 anzunehmen4. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass diese Auffassung eine mögliche Sanierung des Unternehmens und den damit verbundenen Erhalt von Arbeitsplätzen erschwert. Zudem ergeben sich für den vorläufigen Insolvenzverwalter hierdurch Abgrenzungsprobleme gegenüber sonstigen Maßnahmen des Personalabbaus, zu denen er in vielen Fällen sogar verpflichtet sein kann, um die Kosten im späteren Insolvenzverfahren zu senken und die Sanierungschancen des Unternehmens zu erhöhen5. Da insolvente Gesellschaften oftmals nur über einen geringen Auftragsbestand 5.558 verfügen, gibt es in der Regel einen Personalüberhang. Im Eröffnungsverfahren schlägt dieser zwar wegen der Regelung des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO6 bzw. der Möglichkeiten der Vorfinanzierung von Insolvenzgeld (vgl. dazu oben Rz. 5.550 ff. und 5.394 ff.) u.U. liquiditätsmäßig nicht zu Buche, jedoch ist dies spätestens ab Eröffnung des Hauptverfahrens der Fall7, wenn die Personalkosten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO als Masseverbindlichkeiten zu bezahlen sind. Personelle Überkapazi1 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 83. 2 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 111, 118; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 27; a.A. Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 68. 3 S. Begr. RegE zu § 26 (abgedruckt bei Uhlenbruck, Das neue Insolvenzrecht, S. 325). 4 So auch Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 504. 5 Restriktiv insoweit: Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 505; dazu auch: Vallender in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 27; Zobel in Uhlenbruck, § 124 InsO Rz. 14. 6 Der vorläufige Insolvenzverwalter kann nicht benötigte Arbeitnehmer einfach von der Verpflichtung zur Arbeit freistellen. 7 Hierzu Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 14 Rz. 23.

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5.559

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

täten sind zudem jeder übertragenden Sanierung abträglich, da die Bestimmung des § 613a BGB (s. Rz. 7.470 ff.) auch im Insolvenzverfahren nach der InsO weitergilt. Danach übernimmt der Erwerber mit dem Unternehmen stets auch das komplette Personal. Hierzu wird sich ein Interessent – wenn überhaupt – nur bei deutlicher Kaufpreisminderung finden. Fällt der Kaufpreis aber unter den Zerschlagungswert der belasteten Vermögenswerte des Unternehmens, stimmen die Sicherungsgläubiger einer übertragenden Sanierung nicht mehr zu. 5.559 Der vorläufige Insolvenzverwalter sieht sich insoweit stets der Gefahr ausgesetzt, dass von ihm ergriffene Maßnahmen des Personalabbaus nachträglich als Teilbetriebsstilllegung bewertet werden, und wird deshalb insoweit besser Zurückhaltung üben bzw. sicherheitshalber grundsätzlich vorab um gerichtliche Zustimmung ersuchen. Eine sichere Abgrenzung beider Bereiche1 wird dem vorläufigen Insolvenzverwalter oftmals kaum möglich sein. 5.560 Wird die Zustimmung zur (Teil-)Betriebsstilllegung erteilt oder will der vorläufige Insolvenzverwalter in vorgenanntem Sinn nur Personal abbauen, muss er – ggf. in Kooperation mit der Geschäftsführung2 – alle nötigen arbeits- und betriebsverfassungsrechtlichen Schritte hierfür einleiten. 5.561 Soweit Maßnahmen des Personalabbaus eine Betriebsänderung i.S. des § 111 BetrVG darstellen3 und das Unternehmen einen Betriebsrat hat, muss das hierfür vorgesehene Verfahren beachtet werden, d.h. der Betriebsrat muss über die geplante Betriebsänderung rechtzeitig informiert werden, und diese ist mit dem Betriebsrat zu erörtern4. Sodann ist nach Maßgabe des § 112 BetrVG ein Interessenausgleich herbeizuführen; ggf. also über das sog. Einigungsstellenverfahren5. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Vorschriften der §§ 120 ff. InsO über die vereinfachte Durchsetzung von Betriebsänderungen im Insolvenzverfahren bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren Anwendung finden6. Der Interessenausgleich nach Maßgabe des § 112 BetrVG kann insbesondere den Abschluss eines Sozialplans (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) vorsehen7. Da im eröffneten Hauptverfahren 1 Ggf. über die entsprechenden Begrifflichkeiten der § 613a BGB, § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG und die Rechtsprechung des BAG hierzu (vgl. BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, BB 2012, 3144 [Betriebs- und Teilbetriebseinstellung]; BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 375/96, ZIP 1998, 344, 346; BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 666/93, NZA 1994, 686); dazu auch Vallender in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 27. 2 Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 491. 3 Vgl. Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, 15. Aufl. 2013, § 244 Rz. 7, 12. 4 S. auch § 102 BetrVG, § 17 Abs. 2 KSchG. 5 Fraglich ist insoweit allerdings, welche Folge die Nichtbeachtung dieses Verfahrens hat. Soweit dadurch nur Nachteilsausgleichsforderungen gegen den Gemeinschuldner nach § 113 BetrVG entstehen, wäre dies für den vorläufigen Insolvenzverwalter keine „spürbare“ Sanktion. Ob eine persönliche Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters hierfür begründet werden kann, ist aber zweifelhaft. 6 Hess, § 22 InsO Rz. 58 sowie Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 15 Rz. 89 ff., Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 44, und BAG v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, ZIP 2005, 1289, jeweils zu § 113 InsO; a.A. Caspers in Münchener Kommentar zur InsO, Vorbem. §§ 113 bis 128 InsO Rz. 29. 7 Der Abschluss eines Sozialplans kann im Rahmen des § 112a BetrVG aber auch unabhängig vom Zustandekommen eines Interessenausgleichs vom Betriebsrat erzwungen werden (Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, 15. Aufl. 2013, § 244 Rz. 46 S. 2353).

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Betriebsveräußerung im Eröffnungsverfahren

5.563

für Sozialplanforderungen besondere Vorschriften existieren (§§ 123 f. InsO), empfiehlt es sich, einen Sozialplan erst nach Verfahrenseröffnung abzuschließen (s. unten Rz. 7.444)1. Sodann hat der vorläufige Insolvenzverwalter – nach Maßgabe des Interessenaus- 5.562 gleiches – die erforderlichen Freistellungen durchzuführen und – ggf. nach Anzeige gemäß § 17 KSchG an die Agentur für Arbeit (Massenentlassungsanzeige) – die Kündigung der Beschäftigungsverhältnisse auszusprechen. Auch hierbei ist nicht davon auszugehen, dass die Arbeitsgerichte dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Anwendbarkeit des § 113 InsO zugestehen2. Maßgeblich sind bis zur Verfahrenseröffnung somit die gesetzlichen Kündigungsfristen, die außerhalb des Insolvenzverfahrens gelten3.

II. Betriebsveräußerung im Eröffnungsverfahren Nationale und grenzüberschreitende Verkäufe von Unternehmen4 sind heut- 5.563 zutage keine Besonderheit mehr. Dies gilt gleichermaßen für den Erwerb eines Unternehmens aus der Insolvenz, bei dem die Verhandlungsmacht nicht mehr beim Management des Unternehmens, sondern beim (vorläufigen) Insolvenzverwalter liegt. So stellt sich in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH bereits für den vorläufigen Insolvenzverwalter die Frage, wie er eine bestmögliche Befriedigung der Insolvenzgläubiger erreichen kann. Bei einem Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile („share deal“) des insolventen Rechtsträgers übernimmt der Erwerber das Unternehmen einschließlich der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die zu der Unternehmenskrise geführt haben5. Im Falle einer übertragenden Sanierung6 wird das Unternehmen vom Unternehmensträger, der juristischen oder auch natürlichen Person, getrennt. Die Trennung erfolgt durch einen Verkauf des Unternehmens im Wege eines „asset deal“, d.h. einzelne Vermögenswerte des Unternehmens werden als Funktionseinheit im Paket an einen Erwerber verkauft7. Für eine Gesamtveräußerung im Wege des share deals spre1 S. Rz. 7.442 ff.; Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 15 Rz. 197 ff. 2 So die h.M.: BAG v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, DZWIR 2005, 422 ff.; BAG v. 22.5.2003 – 2 AZR 255/02, ZIP 2003, 1670; Bertram, NZI 2001, 625, 626; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 42; für die Anwendbarkeit der §§ 113, 120 ff. InsO im Falle der vorläufigen Insolvenzverwaltung nach § 22 Abs. 1 InsO; Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 491, vgl. auch Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 238. 3 S. Weisemann, DZWIR 2005, 422 ff.; Berscheid, ZIP 1997, 1577. 4 Unter einem Unternehmen ist ein organisatorisches Gebilde zu verstehen, das sämtliche vermögenswerten Rechte umfasst, die zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Tätigkeit notwendig sind, Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 160 InsO Rz. 14. 5 Menke, NZI 2003, 525. 6 Der Begriff geht auf Karsten Schmidt (ZIP 1980, 328, 337) zurück. Dass die übertragende Sanierung eine legitime Verfahrensoption ist, lässt sich der Allgemeinen Begr. RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 94 entnehmen: „Die übertragende Sanierung von Betrieben und Unternehmen hat sich bereits nach dem geltenden Recht als Sanierungsinstrument außerordentlich bewährt. Sie soll den Verfahrensbeteiligten auch künftig zur Verfügung stehen“. 7 Wellensiek, NZI 2002, 233, 234.

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5.564

5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

chen die regelmäßig niedrigeren Verwertungskosten, der geringere mit dieser Verwertungsart verbundene Verwertungsaufwand und reduzierte Masseverbindlichkeiten1. 5.564 Die Verkaufssituation im Insolvenzeröffnungsverfahren ist vielfach dadurch geprägt, dass der potentielle Käufer davon ausgeht, unter den Rahmenbedingungen eines Insolvenzverfahrens ein Unternehmen günstiger kaufen zu können als bei einem „going concern“2. Gleichwohl kann sein Angebot für die künftige Masse vorteilhafter sein als eine Verwertung der einzelnen Vermögensbestandteile3. So ist aus der insolvenzrechtlichen Praxis bekannt, dass dem vom Gericht bestellten vorläufigen Insolvenzverwalter unmittelbar nach Antragstellung besonders günstige Angebote für eine Gesamtveräußerung des Unternehmens unterbreitet werden4. Dies ist nachvollziehbar, weil zu diesem Zeitpunkt das Unternehmen noch werbend am Markt aktiv ist, die durch die Insolvenz verursachte Beeinträchtigung der Bonität noch nicht allgemein bekannt ist und Arbeitnehmer und Geschäftspartner noch zu dem Unternehmen stehen5. Erfahrungsgemäß brauchen die Kunden im Regelfall nicht mehr als drei Monate, bis sie einen neuen Lieferanten als Ersatz für das insolvente Unternehmen gefunden haben6. 5.565 Ist bereits ein allgemeiner Vertrauensverlust der Geschäftspartner eingetreten, nehmen die ursprünglichen Interessenten meist Abstand von ihren Erwerbsabsichten und -angeboten. Das schuldnerische Unternehmen kann zu diesem Zeitpunkt in der Regel nur noch im Wege der Veräußerung der einzelnen Vermögensbestandteile verwertet werden. Regelmäßig dürfte der dabei zu erzielende Veräußerungserlös erheblich niedriger sein als der Veräußerungserlös, der im Rahmen einer übertragenden Sanierung zu einem früheren Zeitpunkt zu realisieren gewesen wäre. Dass ein Absehen von einer günstigen Verwertungsmöglichkeit sich als Sanierungshemmnis erweisen kann, liegt auf der Hand, wenn eine Fortführung durch einen Dritten bei einer raschen Veräußerung hätte sichergestellt werden können. 5.566 Soweit für das Unternehmen nach Einleitung des Insolvenzverfahrens nicht sogleich ein Käufer gefunden werden kann, der Verkauf des Unternehmens aber gleichwohl möglich erscheint, erfolgt üblicherweise die Gründung einer „Auffanggesellschaft“7 durch sanierungswillige Verfahrensbeteiligte, auf die zum Zwecke der Sanierung die Unternehmensaktiva übertragen werden8. Dabei hat der vorläufige Insolvenzverwalter sein Augenmerk insbesondere auf die Solidität des potentiellen Erwerbers zu richten und – soweit möglich – Einblick in dessen 1 Van Betteray/Gass, BB 2005, 2309, 2313. 2 Schneider in Schluck-Amend/Meyding, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, 1. Aufl. 2012, Kap. X. Rz. 2. 3 Vallender, GmbHR 2004, 543, 544. 4 Vgl. Marotzke, Das Unternehmen in der Insolvenz, 2000, Rz. 44 ff. m.w.N. 5 Begr. zu Nr. 7 des DiskE eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung, des Bürgerlichen Gesetzbuches und anderer Gesetz vom April 2003. 6 Bülow, DZWIR 2005, 192, 193. 7 Diese Gesellschaft, ihrem Wesen nach eine Gesellschaft „auf Zwischenzeit“, übernimmt weder die Verpflichtungen des Krisenunternehmens insgesamt noch die Kaufpreisverpflichtungen aus dem Erwerb des ganzen Betriebsvermögens (näher dazu Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, S. 440 ff.). 8 So schon Wellensiek, WM 1999, 405, 408.

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Schluck-Amend

Betriebsveräußerung im Eröffnungsverfahren

5.568

finanzielle Verhältnisse zu nehmen1. Unabhängig davon, welche Form der Unternehmensveräußerung letztlich gewählt wird, ist entscheidend für das Gelingen der Transaktion, dass die haftungsrechtliche Situation endgültig bereinigt ist. 1. Betriebsveräußerung durch den sog. „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter In Rechtsprechung und Literatur wird die Frage, ob eine übertragende Sanierung 5.567 des schuldnerischen Unternehmens im Insolvenzeröffnungsverfahren zulässig sei, unterschiedlich beantwortet2. Einem Verkauf des Unternehmens durch den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter steht grundsätzlich die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO entgegen. Die Vorschrift verpflichtet ihn, das schuldnerische Unternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen (dazu bereits Rz. 5.541 ff.). § 159 InsO erlaubt eine Verwertung der Insolvenzmasse und damit auch eine übertragende Sanierung erst nach dem Berichtstermin. Jedoch stellt nicht jeder Verkauf von Gegenständen oder jeder Einzug von Forderungen eine Verwertungshandlung dar3. Soweit es um die Veräußerung wesentlicher Teile des Anlagevermögens oder gar des gesamten schuldnerischen Betriebes an Dritte geht, ist die Grenze zur zulässigen Verwaltungsmaßnahme allerdings überschritten. Es entspricht der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, dass 5.568 der sog. starke vorläufige Insolvenzverwalter zur Veräußerung wesentlicher Teile des Anlagevermögens oder gar des gesamten Unternehmens an Dritte nicht befugt ist4. Auch eine Unternehmensfortführung – so der BGH5 – rechtfertige es nicht, schon dem vorläufigen Insolvenzverwalter regelmäßig Verwertungsbefugnisse i.S. der §§ 159 ff. InsO zuzuerkennen. Zwar dürfe und müsse ein vorläufiger Verwalter zur Erfüllung einer solchen Aufgabe im Rahmen seiner Verwaltungstätigkeit unter anderem die aus dem Unternehmen erwirtschafteten Forderungen zügig einziehen, um das Unternehmen unter Einsatz des Erlöses fortführen zu können. Dies sei aber keine unzulässige „Verwertung“ im bezeichneten, funktionalen Sinne6. 1 Kübler, ZGR 1982, 501, 511. 2 Zu Streitstand und Argumentationslinien: Schneider in Schluck-Amend/Meyding, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, 1. Aufl. 2012, Kap. X. Rz. 6 ff. 3 Zur Abgrenzung von Verwertung einerseits und Verwaltung, Erhaltung und Fortführung andererseits vgl. Kirchhof, ZInsO 1999, 436; Kirchhof, ZInsO 2001, 1, 2 ff.; Mönning in Nerlich/Römermann, § 22 InsO Rz 38 ff.; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz 77. 4 BGH v. 14.12.2005 – IX ZB 265/04, NZI 2006, 284, 285; BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, NZI 2003, 259, 260; BGH v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165 = ZIP 2001, 296; BGH v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, ZIP 1988, 727; BAG v. 20.6.2002 – 8 AZR 496/01, NZI 2003, 222, 225 = ZIP 2003, 222; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 14 f.; Vallender, RWS-Forum Bd. 14, 1998, S. 71, 73; Foltis, ZInsO 1999, 386 ff.; einschränkend Fröhlich/Köchling, ZInsO 2003, 923, 924; Maus, DStR 2002, 1104; Marotzke, Das Unternehmen in der Insolvenz, 2000, Rz. 60 ff. 5 BGH v. 14.12.2005 – IX ZB 256/04, NZI 2006, 284, 285; BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, NZI 2003, 259, 260; BGH v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165 = ZIP 2001, 296; BGH v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, ZIP 1988, 727. 6 Das OLG Düsseldorf (v. 13.12.1991 – 22 U 202/91, ZIP 1992, 344, 346) hatte zurzeit der Geltung der Konkursordnung entschieden, dass im Einzelfall auch die Veräußerung ei-

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

5.569 Demgegenüber vertraten einige Stimmen in der Literatur1 die Ansicht, das Interesse der Gläubiger an einer optimalen Befriedigung würde ins Gegenteil verkehrt, wollte man eine für die Masse wirtschaftlich vorteilhafte Verwertung mit Blick auf Sicherungscharakter und Beteiligungsrechte ablehnen2. Veräußere der sog. starke vorläufige Insolvenzverwalter das Unternehmen, um eine erhebliche Verminderung des Schuldnervermögens zu vermeiden, habe das Interesse des Schuldners, unumkehrbare Maßnahmen vor Verfahrenseröffnung zu vermeiden, hinter das Gläubigerinteresse zurückzutreten. Um den Interessen der Beteiligten hinreichend gerecht zu werden, wird vorgeschlagen, ihnen Zustimmungsvorbehalte oder sonstige Mitspracherechte einzuräumen3. 5.570 Es ist nicht zu verkennen, dass im Einzelfall die Unternehmensveräußerung im Insolvenzeröffnungsverfahren im dringenden Interesse aller am Insolvenzverfahren Beteiligten liegen kann. Gleichwohl haben die gesetzlichen Vorgaben Richtschnur des Handelns zu sein4. Danach ist dem sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter nur bei „Gefahr im Verzug“ eine Verwertungsmaßnahme erlaubt5. Diese Gefahr muss sich aus der Natur des Vermögensguts selbst ergeben6. Will man die nötige Handlungsfreiheit des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht übermäßig einschränken, sollte der Begriff der Gefahr, die mit der Verzögerung einer Verwertung verbunden ist, nicht eng ausgelegt werden. In jedem Fall bedarf es jedoch der Einbindung des Schuldners in die Verwertungsmaßnahme. 5.571 Bei Veräußerungsmaßnahmen, die nicht unter den Begriff „Gefahr im Verzug“ zu fassen sind, schafft die Zustimmung des Schuldners keine ausreichende Legitimation für eine Unternehmensveräußerung im Eröffnungsverfahren. Dies zeigt bereits die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO, nach der ein vorläufiger Insolvenzverwalter bei einer Maßnahme, welche die Zweckrichtung des schuldnerischen Unternehmens vollständig aufhebt, allein der Zustimmung des Insolvenzgerichts bedarf7. Nichts anderes gilt für eine etwaige Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Veräußerung. Der Ausnahmecharakter des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO gestattet keine Erweiterung des Zustimmungsvorbehalts des Insolvenzgerichts auf Verwertungshandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters8. 5.572 Auch wenn es im Eröffnungsverfahren in Ermangelung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 22a Abs. 1 Nr. 1–3 InsO an einer verfassten Gläubigerschaft mit gesetzlich verbrieften Rechten fehlen sollte, sollte sich das Insolvenzgericht bei einem – zulässigen – Verkauf des Unternehmens im Insolvenzeröffnungsverfahren dem Anliegen des vorläufigen Insolvenzverwalters auf Bestellung eines vor-

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nes Betriebs eine im Antragsverfahren zulässige Maßnahme sein könne, wenn es sich dabei um eine „vernünftige, im Interesse der Konkursgläubiger geradezu zwingend gebotene Maßnahme zur Sicherung des Schuldnervermögens“ handele. Spieker, Die Unternehmensveräußerung in der Insolvenz, 2001, S. 40 ff.; Kammel, NZI 2000, 102; Menke, NZI 2003, 522, 525. Kammel, NZI 2000, 103. Menke, NZI 2003, 522, 525. Vallender, GmbHR 2004, 543, 545. Vgl. Begr. RegE zu § 26, BR-Drucks. 1/92, S. 116, 117; dazu auch Vallender in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 41, 43 ff. Kirchhof, ZInsO 1999, 436, 437. Vallender, RWS-Forum, Bd. 14, 1998, S. 84. A.A. Menke, NZI 2003, 522, 526.

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Betriebsveräußerung im Eröffnungsverfahren

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läufigen Gläubigerausschusses nicht verschließen1. Nach § 22a Abs. 1 InsO hat das Insolvenzgericht einen vorläufigen Gläubigerausschuss nach § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO einzusetzen, wenn der Schuldner im vorangegangenen Geschäftsjahr mindestens zwei der folgenden drei Merkmale erfüllt hat: (1) mindestens 4 840 000 Euro Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrags im Sinne des § 268 Abs. 3 HGB, (2) mindestens 9 680 000 Euro Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag und (3) im Jahresdurchschnitt mindestens fünfzig Arbeitnehmer. Das ESUG eröffnet dem vorläufigen Insolvenzverwalter zudem in § 22a Abs. 2 InsO die Möglichkeit, die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses gegenüber dem Insolvenzgericht zu erzwingen (s. hierzu Rz. 5.342)2. Voraussetzung ist ein entsprechender Antrag des vorläufigen Insolvenzverwalters, der hierfür geeignete Personen benennt und dem Einverständniserklärungen der betreffenden Personen beigefügt sind. In einem solchen Fall dürfte dieses Gremium weniger der Unterstützung und Überwachung des vorläufigen Insolvenzverwalters dienen als der Vorbereitung der späteren Entscheidungen der Gläubigerversammlung. Unabhängig davon, ob man dem vorläufigen Insolvenzverwalter – ausnahms- 5.573 weise – die Befugnis zur Veräußerung des schuldnerischen Unternehmens im Ganzen bzw. von Betriebsteilen zubilligt, muss er sich der Tatsache bewusst sein, dass er sich insoweit „auf rechtlich ungewissem Terrain bewegt“3. Durch Einbindung des Schuldners und sämtlicher Beteiligter kann er etwaige Haftungsrisiken allerdings erheblich minimieren. 2. Betriebsveräußerung bei Anordnung einer sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung Bei Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvor- 5.574 behalt (dazu Rz. 5.356) besitzt der vorläufige Insolvenzverwalter weder die Rechtsmacht zum Vertragsabschluss noch zur Übertragung der Vermögensbestandteile. Soweit sich die Notwendigkeit einer Veräußerung des Betriebes ergibt, ist zu berücksichtigen, dass die Befugnis des Schuldners zum Abschluss von Verpflichtungsgeschäften von den Verfügungsbeschränkungen des § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO nicht berührt wird4. Die wirksame Übertragung der einzelnen Vermögensbestandteile des schuldnerischen Unternehmens durch die Unternehmensleitung auf den Käufer kommt indes nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters zu Stande (§§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, 24, 81 InsO)5. Da die An1 Vallender, WM 1998, 2040, 2043. 2 Trotz des Wortlauts („soll“) ist allgemein anerkannt, dass das Gericht bei Vorliegen des Tatbestandes zur Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses verpflichtet ist, soweit keine atypischen Ausnahmefälle vorliegen oder die Ausnahmeregelung des § 22a Abs. 3 InsO eingreift, vgl. hierzu Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22a InsO Rz. 102 m.w.N. 3 Beck, Praxis der Insolvenz, § 5 Rz. 97; Schneider in Schluck-Amend/Meyding, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, 1. Aufl. 2012, Kap. X. Rz. 19. 4 Vallender, GmbHR 2004, 543, 545. 5 Das BAG hat nicht nur ausdrücklich eine Betriebsveräußerung im Eröffnungsverfahren durch den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter abgelehnt, sondern hält auch eine Veräußerung durch den Schuldner mit Zustimmung des sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters für unzulässig (BAG v. 20.6.2002 – 8 AZR 496/01, ZIP 2003, 222, 227).

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sprüche des Unternehmenskäufers, der das Unternehmen oder einzelne Unternehmensteile vom Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters erwirbt, im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur Insolvenzforderungen sind, dürfte das Interesse des Käufers an einem Erwerb des Unternehmens vom Schuldner nur gering sein. Hinzu kommt, dass das Rechtsgeschäft der Anfechtung unterliegt (näher dazu Rz. 5.577 ff.). 5.575 Mit Urteil vom 18.7.2002 hat der BGH1 entschieden, dass das Insolvenzgericht – jedenfalls in Verbindung mit dem Erlass eines besonderen Verfügungsverbots – den vorläufigen Insolvenzverwalter ohne begleitendes allgemeines Verfügungsverbot ermächtigen kann, einzelne, im Voraus genau festgelegte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Insolvenzmasse einzugehen. Die insoweit begründeten Verbindlichkeiten sind nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten zu erfüllen. Soweit das Insolvenzgericht den vorläufigen Insolvenzverwalter dazu ermächtigt, Teilbereiche eines Unternehmens oder gar das ganze Unternehmen zu veräußern2, stellen sich bei einer solchen Anordnung dieselben Zweifelsfragen wie bei einer Veräußerung des schuldnerischen Unternehmens durch den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter3. 3. Haftungsrechtliche Risiken 5.576 Da Grundvoraussetzung für das Gelingen einer übertragenden Sanierung die endgültige Bereinigung der haftungsrechtlichen Situation ist, bedarf es vor allem bei einem Verkauf im Insolvenzeröffnungsverfahren, in dem keineswegs feststeht, ob es überhaupt zu einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommen wird, einer sehr sorgfältigen Untersuchung, welchen Gefahrenlagen die Beteiligten ausgesetzt sind4. Als nachteilig für den Erwerber des Unternehmens können sich unter Umständen die sich aus § 613a BGB ergebenden Rechtsfolgen5, eine mögliche Haftung gemäß § 25 Abs. 1 HGB, eine Haftung wegen Steuerverbindlichkeiten gemäß § 75 Abs. 1 AO und die Rechtsfolgen einer Anfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO erweisen6. Will der Käufer eine wirtschaftlich sinnvolle Kaufentscheidung treffen, ist eine exakte Untersuchung des insolventen Unternehmens und eine Abwägung der Risiken unabdingbar7. Will der vorsichtige Käufer sein eigenes Risiko minimieren, sollte er sich das Testat eines (neutralen) Wirtschaftsprüfers einholen, um den angemessenen Wert des zu erwerbenden Betriebes feststellen zu lassen8.

1 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543. 2 Vgl. AG Duisburg v. 28.7.2002 – 62 IN 167/02, NZI 2002, 614. 3 Um den Belangen der Praxis entgegenzukommen, sieht § 158 InsO, ergänzt auf Grund des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens v. 13.4.2007 (BGBl. I 2007, 509) vor, dass der Insolvenzverwalter bereits vor dem Berichtstermin das Unternehmen des Schuldners mit Zustimmung des Gläubigerausschusses veräußern darf. 4 Vallender, GmbHR 2004, 543, 546. 5 Näher dazu Wellensiek, NZI 2005, 603 ff. 6 Schluck-Amend/Meyding in Schluck-Amend/Meyding, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, 1. Aufl. 2012, Kap. XIII. Rz. 5. 7 Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl, Handbuch der übertragenden Sanierung, 2002, S. 8. 8 Undritz in Runkel/Schmidt, Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 15 Rz. 140.

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Betriebsveräußerung im Eröffnungsverfahren

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a) Anfechtung Veräußert der Schuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenz- 5.577 verwalters das Unternehmen, trägt der Käufer das Risiko einer Anfechtung dieses Rechtsgeschäfts gemäß §§ 129 ff. InsO durch den endgültigen Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung1. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Anfechtungsgegner berechtigterweise auf die Insolvenzfestigkeit der Rechtshandlungen vertrauen durfte und dieses Vertrauen schutzwürdig ist (Grundsatz der unzulässigen Rechtsausübung)2. Auf dieses unsichere Rechtsinstitut sollte sich der Erwerber jedoch im Zweifelsfall nicht verlassen3. Im Falle der Veräußerung des Betriebes durch den Schuldner mit Zustimmung des 5.578 schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters nach Antragstellung findet die Vorschrift des § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO Anwendung. Danach ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte. Der Käufer dürfte in diesen Fällen regelmäßig Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oder dem Eröffnungsantrag haben; auch wird der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags die Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen, nach § 130 Abs. 2 InsO gleichgesetzt. Darüber hinaus besteht auch die Gefahr einer Anfechtung nach § 132 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Danach ist ein Rechtsgeschäft des Schuldners, das die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt, anfechtbar, wenn es nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und wenn der andere Teil zur Zeit des Rechtsgeschäfts die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte. Eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung i.S. der Vorschrift liegt vor, wenn sich die Befriedigungsmöglichkeit der Insolvenzgläubiger aus der Insolvenzmasse ohne das anfechtbare Rechtsgeschäft günstiger gestaltet hätte. Wenn der Schuldner für den Verkauf des Unternehmens eine angemessene, gleich- 5.579 wertige Gegenleistung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang erhalten 1 BGH v. 13.3.2003 – IX ZR 64/02, ZIP 2003, 810; BGH v. 11.6.1992 – IX ZR 255/91, ZIP 1992, 1005, 1007; BGH v. 22.12.1982 – VIII ZR 214/81, ZIP 1983, 191; OLG Celle v. 12.12.2002 – 13 U 56/02, NZI 2003, 95. Heute wird die Unternehmensveräußerung in toto (vgl. Karsten Schmidt, BB 1998, 5; Gerhardt in FS Gaul, 1997, S. 148; Nerlich in Nerlich/Römermann, § 129 InsO Rz. 95) für anfechtbar gehalten, weil die Anfechtung der Einzelübertragungen in ihrer Summe die Anfechtung der Unternehmensveräußerung darstellt. Classen, BB 2010, 2898, 2900; Menke, BB 2003, 1133; Ede/Hirte in Uhlenbruck, § 129 InsO Rz. 391; Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 94; a.A. BGH, WM 1962, 1316, wonach nur die Veräußerung der einzelnen Vermögensbestandteile der Anfechtung unterliege. 2 BGH v. 13.3.2003 – IX ZR 64/02, BGHZ 154, 190, 194 = NZI 2003, 314; BGH v. 9.12. 2004 – IX ZR 108/04, NZI 2005, 218, 219; OLG Celle v. 21.10.2004 – 13 U 113/04, NZI 2005, 38; AG Hagen v. 16.12.2002 – 10 C 492/02, NZI 2003, 211; dazu auch: Schneider in Schluck-Amend/Meyding, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, 1. Aufl. 2012, Kap. X. Rz. 24 ff. 3 Undritz in Thierhoff u.a., Unternehmenssanierung, 2011, Kap. 9 Rz. 370; Schneider in Schluck-Amend/Meyding, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, 1. Aufl. 2012, Kap. X. Rz. 26.

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

hat1, unterliegt der Kauf als „Bargeschäft“ i.S. des § 142 InsO nicht der Anfechtung nach den vorerwähnten Bestimmungen. Die Grundsätze des Bargeschäftsprivilegs dürften auch auf die Unternehmensveräußerung Anwendung finden. Nach dem Bargeschäftsprivileg ist in den Fällen der §§ 130 bis 132 InsO das Vorliegen einer mittelbaren oder unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung ausgeschlossen, wenn dem Vermögen des insolventen Veräußerers für die durch die Übertragung des Betriebes entzogene Haftungsmasse unmittelbar ein adäquater Gegenwert zugefloßen ist. Soweit für den Betrieb ein nach sorgfältiger Ermittlung angemessener Kaufpreis gezahlt wird, kann das Anfechtungsrisiko durch entsprechende Gestaltung des Unternehmensverkaufs minimiert werden. Hinzukommen muss jedoch auch die vollständige Erbringung sämtlicher gegenseitig geschuldeter Leistungen in engem zeitlichen Zusammenhang (Unmittelbarkeit des Leistungsaustauschs). Letzteres wird beim Unternehmenskauf kaum darzustellen sein, denn die Rechtsprechung akzeptiert in der Regel nur kurze Zeiträume (zwei bis drei Wochen beim Kauf beweglicher Sachen, ausnahmsweise wenige Monate in Einzelfällen, z.B. bei Grundstücksbelastungen)2. Ebenfalls ausgeschlossen ist die Anwendung des Bargeschäftsprivilegs regelmäßig in den bereits erwähnten Fällen der Übertragung der Unternehmensaktiva auf eine Auffanggesellschaft zur Vorbereitung eines späteren Verkaufs, da in diesen Fällen naturgemäß kein Kaufpreis gezahlt werden soll3. 5.580 Als weiterer Anfechtungstatbestand kommt die Vorschrift des § 133 Abs. 1 InsO in Betracht. Sie setzt u.a. eine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung voraus. Ein solcher Vorwurf ist dann schnell erhoben, wenn sich im weiteren Verlauf des Insolvenzverfahrens zeigt, dass andere Interessenten zu einem höheren Kaufpreis erworben hätten4. Ein unlauteres Zusammenwirken von Schuldner und Gläubiger setzt der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht voraus5. Die Grundsätze über das Bargeschäft (§ 142 InsO) finden bei einer Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO keine Anwendung. 5.581 Eine Vereinbarung zwischen vorläufigem Insolvenzverwalter und Käufer, die vorsieht, dass der Verkäufer auf sein Anfechtungsrecht verzichtet, ist unwirksam und bindet den (endgültigen) Verwalter nicht. Sie liefe dem Zweck des Insolvenzverfahrens entgegen6. 5.582 Ob eine Anfechtung durch den Insolvenzverwalter auch bei einer Veräußerung des Unternehmens durch den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter in Betracht kommt, ist – soweit ersichtlich – höchstrichterlich noch nicht entschieden. Regelmäßig dürften solche Rechtshandlungen nicht nach §§ 129 ff. InsO angefochten werden. Denn mit der gesetzlichen Regelung des § 55 Abs. 2 InsO soll das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Handlungen des mit einer Verwaltungs1 Vgl. BGH v. 15.12.1994 – IX ZR 18/94, ZIP 1995, 297. 2 Schluck-Amend/Krispenz in Schluck-Amend/Meyding, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, 1. Aufl. 2012, Kap. VIII. Rz. 18; Ede/Hirte in Uhlenbruck, § 142 InsO Rz. 27 ff. m.w.N. aus Rspr. 3 Lachmann in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 8 Rz. 47. 4 Kammel, NZI 2000, 102, 103. 5 BGH v. 15.5.2003 – IX ZR 194/02, ZIP 2003, 1304. 6 Vgl. dazu BGH v. 17.7.2003 – IX ZR 272/02, DZWIR 2003, 20, 22 ff. = ZIP 2003, 1799 = MDR 2004, 174.

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Betriebsveräußerung im Eröffnungsverfahren

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und Verfügungsbefugnis ausgestatteten vorläufigen Insolvenzverwalters gestärkt werden. Die Regelung wäre sinnlos, wenn die Masseverbindlichkeiten nach einer Verfahrenseröffnung wiederum im Wege der Anfechtung beseitigt werden könnten1. Dies gilt gleichermaßen für den Fall, dass das Gericht im Wege eines besonderen Verfügungsverbots dem vorläufigen Insolvenzverwalter die alleinige Verfügungsbefugnis über bestimmte Teilbereiche des schuldnerischen Vermögens übertragen und ihn zur Veräußerung eines bestimmten Konzerngeschäftsbereichs sowie zum Abschluss entsprechender Verträge ermächtigt hat2. Eine Anfechtung der im Eröffnungsverfahren erfolgten Betriebsveräußerung 5.583 durch den Insolvenzverwalter hat zur Folge, dass die Wirtschaftsgüter, die durch das angefochtene Rechtsgeschäft erlangt worden sind, herauszugeben sind. Bei einem Unternehmenskauf ist danach das gesamte Unternehmen als Einheit in die Masse zurückzuführen3. Der Käufer kann bei einer Anfechtung zwar die Gegenleistung als Wertersatz fordern. Er fällt mit seiner Forderung unter Umständen vollständig aus, wenn seine Leistung, der erbrachte Kaufpreis, nicht mehr unterscheidbar in der Masse vorhanden ist. Denn in diesem Fall bleibt ihm nur die Möglichkeit, seine Gegenforderung zur Tabelle anzumelden, und er ist insofern nur einfacher quotal – nicht vorrangig – zu befriedigender Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO (§ 144 Abs. 2 InsO). b) Haftung des Erwerbers bei Firmenfortführung Erwirbt der Käufer ein Handelsgeschäft und führt es unter der bisherigen Firma4, 5.584 gegebenenfalls mit einem Nachfolgezusatz (z.B. GmbH5), weiter, so haftet er gemäß § 25 Abs. 1 HGB für alle im Betrieb des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers (vgl. auch Rz. 2.232). Die Vorschrift gilt auch beim Erwerb eines Unternehmensteils6, insbesondere einer zwar weisungsabhängigen, aber im Verkehr selbstständigen Zweigniederlassung7. Nach Ansicht des BGH8 1 OLG Celle v. 21.10.2004 – 13 U 113/04, NZI 2005, 38; OLG Celle v. 12.12.2002 – 13 U 56/02, NZI 2003, 95; Kirchhof, ZInsO 2000, 297; Kammel, NZI 2000, 102, 103; so auch Undritz in Thierhoff u.a., Unternehmenssanierung, 2011, Kap. 9 Rz. 371; Schneider in Schluck-Amend/Meyding, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, 1. Aufl. 2012, Kap. X. Rz. 22. 2 Vgl. dazu AG Duisburg v. 28.7.2002 – 62 IN 167/02, NZI 2002, 614; Schneider in Schluck-Amend/Meyding, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, 1. Aufl. 2012, Kap. X. Rz. 23. 3 Menke, BB 2003, 133, 134 m.w.N.; Schneider in Schluck-Amend/Meyding, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, 1. Aufl. 2012, Kap. X. Rz. 27. 4 Die Firma der GmbH ist ihr Name. Die GmbH kann nur einheitlich eine Firma führen. Das gilt auch, wenn sie mehrere getrennte, auch verschiedenartige Handelsgeschäfte betreibt oder diese mit Firma erwirbt (Fastrich in Baumbach/Hueck, § 4 GmbHG Rz. 2 m.w.N.). 5 RGZ 131, 29. 6 Sofern dieser den Kern des Unternehmens ausmacht, BGH v. 16.9.2009 – VIII ZR 321/08, NJW 2010, 236, 237. 7 Hopt in Baumbach/Hopt, § 25 HGB Rz. 6; Thiessen in Münchener Kommentar zum HGB, § 25 HGB Rz. 39. 8 BGH v. 16.9.2009 – VIII ZR 321/08, NJW 2010, 236, 238; BGH v. 5.7.2012 – III ZR 116/11, MDR 2012, 1176 f.

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5. Teil: Das Insolvenzeröffnungsverfahren

ist für den Haftungstatbestand des § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB allein entscheidend die durch die Firmenfortführung nach außen dokumentierte Kontinuität des in seinem wesentlichen Bestand fortgeführten Unternehmens. Diese Erwägungen gelten auch bei Unternehmensveräußerung im Insolvenzeröffnungsverfahren1, z.B. durch den vorläufigen Insolvenzverwalter, wenn der Veräußerung keine Insolvenzeröffnung folgt2. Ob die zur Konkursordnung ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung auch bei Anordnung einer starken vorläufigen Insolvenzverwaltung nach Maßgabe des § 22 Abs. 1 InsO Anwendung findet, erscheint fraglich. Das Risiko der Haftung nach § 25 Abs. 1 HGB kann durch Vereinbarung eines Haftungsausschlusses beseitigt werden (§ 25 Abs. 2 HGB). Dritten gegenüber ist er nur dann wirksam, wenn er in das Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht oder dem Dritten von Veräußerer oder Erwerber mitgeteilt worden ist (§ 25 Abs. 2 HGB). c) Zur steuerlichen Haftung des Käufers 5.585 Nach § 75 Abs. 1 AO haftet der Käufer grundsätzlich für solche Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet und die seit Beginn des letzten vor der Übertragung liegenden Kalenderjahres entstanden sind (vgl. auch Rz. 2.232). § 75 Abs. 2 AO schließt die Haftung des Käufers beim Erwerb aus der Insolvenzmasse, also nach Verfahrenseröffnung, aus. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gilt die Haftungsfreistellung nach Abs. 2 auch für den Unternehmenskauf vor Verfahrenseröffnung, sofern anschließend die Eröffnung des Verfahrens erfolgt. Denn Zweck dieses Haftungsausschlusses – so der Bundesfinanzhof – sei die Erleichterung der zwangsweisen Vermögensverwertung im Hinblick auf eine bestmögliche Liquidation im Gläubigerinteresse. Die bestmögliche Liquidation würde erschwert, wenn der Käufer noch mit betrieblichen Steuerschulden rechnen müsste. Das Haftungsrisiko würde den Käufer entweder vom Erwerb abhalten oder zu erheblichen Kaufpreisabzügen veranlassen3. Dieser Zweck spreche für die Anwendung des Haftungsausschlusses auch beim Erwerb aus dem Insolvenzeröffnungsverfahren. Auch in diesen Fällen sei die Erleichterung der Verwertung sachgerecht. 5.586 Es spricht vieles dafür, dass der BFH bei einer Unternehmensveräußerung durch den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter nicht anders entscheiden dürfte. Allerdings sollte der vorläufige Insolvenzverwalter sicherstellen, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Unternehmensveräußerung steht. Darüber hinaus sollte er das Insolvenzgericht von der Veräußerung vorab informieren. Ansonsten besteht die Gefahr, dass dem Unternehmensverkauf der Einwand der Steuerrechtsgestaltung durch den Insolvenzrichter oder den vorläufigen Insolvenzverwalter entgegengesetzt wird und eine Haftungsfreistellung des Käufers scheitert4. 1 BGH v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, BGHZ 104, 151 (zum Erwerb vom Sequester). 2 Auch bei einer Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse kann sich nach Auffassung des BGH v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, BGHZ 104, 151 (noch zum Konkursantrag), der Erwerber nicht auf eine teleologische Reduktion des § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB berufen (Erwerb vom Sequester); so auch BGH v. 4.11.1991 – II ZR 85/91. 3 BFH v. 23.7.1998 – VII R 143/97, BStBl. II 1998, 765 = ZIP 1998, 1845 zu 2a. 4 Vallender, GmbHR 2004, 543, 548.

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Betriebsveräußerung im Eröffnungsverfahren

5.588

d) Haftung des Erwerbers gemäß § 613a BGB In seinem Urteil vom 20.6.2002 hat das BAG1 seine zur Konkursordnung ent- 5.587 wickelte Rechtsprechung zur teleologischen Reduktion des § 613a BGB bei einem Betriebsübergang2 im Konkursverfahren auf die Insolvenzordnung übertragen (vgl. auch Rz. 3.46 ff.). Liege der Zeitpunkt des Betriebsübergangs vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, hafte der Betriebserwerber voll. Der Betriebserwerber trete in alle Rechte und Pflichten aus den zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein, unabhängig davon, ob es sich um Arbeiter, Angestellte oder leitende Angestellte handelt3. Das BAG begründet seine Auffassung im Wesentlichen mit der unterschiedlichen Stellung und den unterschiedlichen Befugnissen des vorläufigen Insolvenzverwalters im Vergleich zum Insolvenzverwalter. Der Zeitpunkt der Antragstellung sei als Differenzierungskriterium nicht praktikabel und eine Gleichstellung des Betriebsübergangs im Antragsverfahren sachlich nicht gerechtfertigt. Aus der Auslegung des § 75 Abs. 2 AO durch den BFH ließen sich keine Schlussfolgerungen für die Auslegung des § 613a BGB ziehen, weil sich die Zwecke der Vorschriften voneinander unterschieden. Zu den Zielen des § 613a BGB gehöre es, die Forderungen der durch den Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer durch Regelung der haftungsrechtlichen Fragen sicherzustellen (Haftung von Übernehmer und altem Arbeitgeber). Seine Aufgabe sei es dagegen nicht, Sanierungen im Falle von Betriebsübernahmen zu ermöglichen oder zu erleichtern4. Neben dem in § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB normierten Übergang der Rechte und 5.588 Pflichten aus Arbeitsverhältnissen auf den Betriebserwerber ordnet Abs. 4 der Vorschrift die Unwirksamkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den bisherigen Arbeitgeber oder den neuen Inhaber an, wenn diese wegen des Übergangs eines Betriebs oder Betriebsteils ausgesprochen wird5.

1 BAG v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, NZI 2003, 222, 225 = DB 2003, 100; so auch die Vorinstanz LAG Schleswig Holstein v. 5.7.2001 – 1 Sa 430a/00, ZInsO 2002, 248. 2 Ein Betrieb ist die organisatorische Zusammenfassung von sachlichen und immateriellen Mitteln, die einem bestimmten arbeitstechnischen Zweck dienen. Das Unternehmen dient dagegen einem wirtschaftlichen Zweck und kann grundsätzlich mehrere Betriebe umfassen, ausf. Joost, Betrieb und Unternehmen als Grundbegriffe im Arbeitsrecht, 1988, S. 33 ff. jeweils m.w.N. 3 BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 59/02, NJW 2003, 2930. 4 BAG v. 27.4.1988 – 5 AZR 358/87, BAGE 58, 176 = ZIP 1988, 989, dazu EWiR 1988, 767 (v. Stebut). 5 Beruft sich der Arbeitnehmer bei einer Kündigung, auf die das Kündigungsschutzgesetz zwingend Anwendung findet, darauf, dass ein Betriebsübergang vorliege, so hat der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass dies nicht der Fall ist, sondern eine (beabsichtigte) Betriebsstilllegung die Kündigung sozial rechtfertigt (LAG Köln v. 21.1.2005 – 4 Sa 1036/04, ZInsO 2005, 1344 [LS]).

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6. Teil: Abweisung mangels Masse A. Insolvenzrechtliche Regelungen I. Gerichtliche Entscheidung nach § 26 InsO 1. Die kostendeckende Masse als Eröffnungsvoraussetzung Das Gericht eröffnet das Insolvenzverfahren nur, wenn das Vermögen des Schuld- 6.1 ners voraussichtlich ausreichen wird, um die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken (§ 26 InsO). Genügt die Masse hierfür nicht und leistet auch kein Gläubiger einen Kostenvorschuss, weist das Gericht den Insolvenzantrag ab. Der insolvenzrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz findet dann keine Anwendung und es wird auch kein Verwalter eingesetzt, der etwaige Haftungs- und Anfechtungsansprüchen geltend machen könnte (zur rechtspolitischen Bewertung und zur möglichen Abhilfe Rz. 6.37). Gesellschaftsrechtlich hat die Abweisung des Insolvenzantrags wegen ungenügender Masse zur Folge, dass die Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG aufgelöst wird (hierzu näher unter Rz. 6.31 ff.). 2. Die Prüfung der Kostendeckung Der Gesetzgeber hat mehrfach – schon mit der Einführung der InsO1 und zuletzt 6.2 mit dem ESUG2 – versucht, die Zahl der masselosen Verfahren zu senken. Diese Bemühungen haben insofern gefruchtet, dass sich die Situation im Vergleich zu den letzten Jahren unter der KO deutlich verbessert hat. Im Jahr 1994 wurden noch nahezu 3/4 aller Konkursanträge mangels Masse abgewiesen. Demgegenüber liegt seit einigen Jahren bei GmbHs die Quote der mangels Masse nicht eröffneten Verfahren nur noch bei rund 1/ 33. Die durch das ESUG gesetzten Anreize zur früheren Stellung der Insolvenzanträge und die Einforderung eines Kostenvorschusses nach § 26 Abs. 4 InsO (dazu unten Rz. 6.13) haben allerdings nicht zu einem weiteren Rückgang der Abweisungen mangels Masse geführt. Bei der Prüfung, ob die Kosten aus der Masse gedeckt werden können, sind grund- 6.3 sätzlich drei Ansätze denkbar: Man könnte meinen, dass schon zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung genügend Liquidität vorhanden sein muss, um alle während des Verfahrens voraussichtlich entstehenden Kosten zu begleichen. Ein solcher Ansatz überzeugt nicht, denn er blendet aus, dass in der Masse erhebliche Vermögenswerte verborgen sein können (z.B. Ansprüche gegen Dritte), die zur Kostenbegleichung herangezogen werden können, nachdem der Verwalter sie liquidiert hat. Die Eröffnung des Verfahrens würde dann lediglich an einem Mangel an Barmitteln scheitern, nicht jedoch an einem unzureichenden Vermögen des 1 BT-Drucks. 12/2443, S. 72–108. 2 Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582; BT-Drucks. 17/5712, S. 17–66. 3 Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1 „Unternehmen und Arbeitsstätten – Insolvenzen“, 2014, abrufbar unter www.destatis.de. Bei UGs liegt die Quote der mangels Masse nicht eröffneten Verfahren bei fast 60 %. Bezogen auf alle Unternehmen werden rund ein Viertel aller Insolvenzanträge nach § 26 InsO abgewiesen.

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6.4

6. Teil: Abweisung mangels Masse

Schuldners1, es läge nur eine „scheinbare Masselosigkeit“2 vor. Von dieser Sichtweise hat sich die Praxis daher zu Recht abgewendet. Doch auch die Gegenposition, nach der sämtliche Aktiva den Kosten gegenüberzustellen sind, greift zu kurz, denn dieser Ansatz berücksichtigt nicht, dass bestimmte Aktiva möglicherweise nicht „rechtzeitig“, nämlich zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Kostenansprüche, liquidiert werden können. Überzeugend ist daher allein eine Betrachtung, die bei der Prüfung der Kostendeckung grundsätzlich das gesamte liquide oder liquidierbare Vermögen ansetzt. 6.4 Umstritten ist, in welchem Zeitraum die Vermögenswerte liquidierbar sein müssen. Nach herrschender Meinung genügt es, wenn die in der Masse vorhandenen Aktiva „in angemessener Zeit“3 nach Verfahrenseröffnung liquide gemacht werden können. Diese Ansicht berücksichtigt nicht, ob die Liquidität auch zu dem Zeitpunkt zur Verfügung steht, zu dem die Kostenansprüche fällig werden. Die herrschende Meinung nimmt mit anderen Worten eine temporäre Masselosigkeit hin4. Vorzugswürdig ist es, die Prüfung nach § 26 InsO als Liquiditätsprognose zu verstehen, bei der die fälligen Kostenansprüche im Rahmen eines Liquiditätsplans den jeweils zu ihrer Deckung zur Verfügung stehenden Aktiva gegenübergestellt werden5. Hierbei ist auf der Passivseite zu beachten, dass die Verfahrensgebühr nach § 6 GKG schon mit der Eröffnung des Verfahrens fällig wird, außerdem kann der Insolvenzverwalter gemäß § 9 InsVV jedenfalls nach sechs Monaten einen Vorschuss auf seine Vergütung verlangen. Auf der Aktivseite kommt es darauf an, ob die vorgefundenen Gegenstände hinreichend schnell verwertet werden können, so dass ihr Haftungswert tatsächlich zur Verfügung steht6. a) Voraussichtliche Masse 6.5 Der vom Gericht mit der Prüfung beauftragte Sachverständige7 verschafft sich zunächst einen Überblick über die Aktivmasse unter Berücksichtigung von Ausund Absonderungsrechten. Gegenstände, an denen Absonderungsrechte bestehen, können nur mit einem etwaigen Überschuss über die gesicherte Forderung angesetzt werden. 6.6 Bei Forderungen der Masse gegen Dritte – insbesondere bei Anfechtungsansprüchen oder Ansprüchen, die § 92 InsO unterfallen – muss zunächst das Durchsetzungsrisiko (Prozessrisiko und Bonitätsrisiko) in Form von etwaigen Abschlägen 1 Hierzu Metzger, Verfahrenskostendeckende Masse, 2002, S. 25. 2 Karsten Schmidt, JZ 1985, 301, 306. 3 BGH v. 17.6.2003 – IX ZB 476/02, ZIP 2003, 2171; so auch Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 26 InsO Rz. 5; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 26 InsO Rz. 7; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 26 InsO Rz. 23; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 7.28; Mönning/Zimmermann in Nerlich/Römermann, § 26 InsO Rz. 41; Vallender in Uhlenbruck, § 26 InsO Rz. 15. 4 Schilken in Jaeger, § 26 InsO Rz. 16, 29; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 26 InsO Rz. 23. 5 Vallender in Uhlenbruck, § 26 InsO Rz. 17. 6 Keller in Karsten Schmidt, § 26 InsO Rz. 17; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 26 InsO Rz. 9. 7 Keller in Karsten Schmidt, § 26 InsO Rz. 2; Vallender in Uhlenbruck, § 26 InsO Rz. 19; Mönning/Zimmermann in Nerlich/Römermann, § 26 InsO Rz. 17.

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Gerichtliche Entscheidung nach § 26 InsO

6.8

vom Nennwert berücksichtigt werden. Ferner ist zu überlegen, ob etwaige zur Durchsetzung der Forderung voraussichtlich notwendigen Kosten aus der Masse gedeckt werden können. Wenn das nicht der Fall ist, muss geprüft werden, ob ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe1 besteht oder ob andere Prozessfinanzierungsmöglichkeiten existieren. Ansprüche der Insolvenzgläubiger gegen Dritte können im Rahmen von § 26 6.7 InsO richtigerweise nicht angesetzt werden. Hieran ändert auch § 93 InsO nichts, der dem Insolvenzverwalter nur die Einziehungsbefugnis für bestimmte Ansprüche vermittelt. Denn die von § 93 InsO erfassten Ansprüche aus § 128 HGB sind – anders als die § 92 InsO unterfallenden Ansprüche – haftungsrechtlich massefremd, so dass sie auch nicht im Rahmen des § 26 InsO masseerhöhend zu berücksichtigen sind. Denn sonst müssten die Gesellschaftergläubiger mit ihren massefremden Ansprüchen für (Gesamt-)Vollstreckungskosten des Gesellschaftsverfahrens einstehen, wodurch der in § 788 ZPO angelegte Grundsatz verletzt würde, dass Vollstreckungskosten stets dem Vermögen des Vollstreckungsschuldners zur Last fallen. Daher ist es ausgeschlossen, die Haftungsansprüche zur Tilgung von solchen Masseverbindlichkeiten zu verwenden, für die der Gesellschafter materiellrechtlich nicht haftet2. Insbesondere dann, wenn der Gesellschafter nicht allen Gläubigern haftet – wie etwa der Altgesellschafter für nach seinem Ausscheiden begründete Verbindlichkeiten –, führt diese Auffassung zu stimmigen Ergebnissen. Die Gegenansicht3 beruft sich insbesondere auf die Gesetzesbegründung, nach der § 93 InsO auch dem Zweck diene, die Eröffnungsaussichten zu verbessern4. Der BGH hat die Frage bisher ausdrücklich offen gelassen5. b) Voraussichtliche Kosten des Verfahrens Zu den Kosten gehören sowohl die Kosten des eröffneten Verfahrens als auch die 6.8 des Eröffnungsverfahrens. Zu passivieren sind gerichtliche Kosten, die Vergütung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses sowie zu ersetzende Auslagen. Die gerichtlichen Kosten umfassen die Antragsund die Verfahrensgebühr (KV GKG 2320 oder 2330). Gemäß § 58 GKG richtet sich die Höhe der Verfahrensgebühr nach der Höhe der Aktivmasse. Da deren Umfang im Zeitpunkt der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung naturgemäß nur geschätzt werden kann, sind auch hinsichtlich der Kostenhöhe nur Schätzungen 1 Massearmut steht der Gewährung von Prozesskostenhilfe zur Durchsetzung massezugehöriger Forderungen dann nicht entgegen, wenn die Massearmut im Falle der erfolgreichen Beitreibung des Klagebetrages abgewendet würde; BGH v. 22.11.2012 – IX ZB 62/12, ZIP 2012, 2526 für die Verfahrenseinstellung gemäß § 207 InsO. 2 Brinkmann, Die Bedeutung der §§ 92, 93 InsO für den Umfang der Insolvenz- und Sanierungsmasse, 2000, S. 102 f. Gegen eine Einbeziehung der Ansprüche auch Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 158 HGB Anhang Rz. 39; Oepen, Massefremde Masse, 1999, Rz. 225 ff.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 31.16. 3 Für eine Aktivierung AG Hamburg v. 27.11.2007 – 67g IN 370/07, ZInsO 07, 1283; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 26 InsO Rz. 7; Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 93 InsO Rz. 10; Pohlmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 93 InsO Rz. 20; Pohlmann, ZInsO 2008, 21 ff.; Karsten Schmidt, KTS 2011, 161, 168. 4 BT-Drucks. 12/2443, S. 140. 5 BGH v. 24.9.2009 – IX ZR 234/07, NJW 2010, 69 = ZIP 2009, 2204 Rz. 25.

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6.9

6. Teil: Abweisung mangels Masse

möglich. § 39 Abs. 2 GKG deckelt die Höhe der Gerichtskosten, indem die Vorschrift den Höchstwert der Aktivmasse auf 30 Millionen Euro festlegt1. 6.9 Auch die Vergütung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters bestimmt sich nach der Aktivmasse (§§ 2, 11 InsVV). Bei den zu erwartenden Auslagen sind auch die Beträge für etwaige Haftpflichtversicherungen für den Insolvenzverwalter (im Falle besonderer Haftungsrisiken) sowie hinsichtlich der Mitglieder des Gläubigerausschusses zu berücksichtigen. De lege ferenda sollte der Gesetzgeber in § 22a Abs. 3 InsO ausdrücklich regeln, dass ein vorläufiger Gläubigerausschuss nicht einzusetzen ist, wenn hierdurch Massearmut ausgelöst wird. De lege lata bleibt nur, die Einsetzung eines Gläubigerausschusses in derartigen Fällen als „unverhältnismäßig“ i.S. von § 22a 3. Var. InsO zu behandeln2. 3. Der Prüfungsmaßstab des Gerichts 6.10 Das Gericht entscheidet über das Vorliegen einer kostendeckenden Masse auf der Grundlage der von einem Sachverständigen ermittelten Zahlen. Angesichts der Prognoseunsicherheiten genügt es, wenn das Insolvenzgericht es für wahrscheinlich hält, dass die Masse hinreichen wird3. Die volle richterliche Überzeugung nach § 286 ZPO ist nicht erforderlich4. Zweifelt das Gericht, ob es überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Masse zur Deckung der Kosten ausreichen wird, muss es das Verfahren gleichwohl eröffnen5. 4. Die Abwendung der Nichteröffnung durch Einzahlung eines Kostenvorschusses 6.11 Ein sich bei der Prognose nach § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO ergebender Fehlbetrag kann durch die Einzahlung eines Kostenvorschusses ausgeglichen werden. Eine Abweisung des Antrags mangels Masse wird so vermieden. Der eingezahlte Vorschuss wird nicht Teil der Insolvenzmasse, sondern wird treuhänderisch vom Insolvenzverwalter gehalten, der den Betrag ausschließlich zur Deckung der Verfahrenskosten verwenden darf6. a) Freiwillige Vorschusszahlung 6.12 Grundsätzlich kann jede Person den Vorschuss leisten. Der Vorschusszahlende muss kein besonderes Interesse an der Verfahrenseröffnung haben oder gar glaubhaft machen. Daher kann nicht nur der Antragsteller selbst (handelt es sich um einen Fremdantrag, muss das Gericht auf diese Möglichkeit hinweisen), der Schuldner und alle Insolvenzgläubiger einen Vorschuss zahlen, sondern auch abund aussonderungsberechtigte Gläubiger oder Gesellschafter der schuldnerischen 1 OLG Frankfurt v. 17.4.2014 – 18 W 28/14, ZInsO 2014, 959; s. auch Schoppmeyer, ZIP 2013, 811, 812; Rauscher, ZInsO 2013, 869, 870; Grub, ZInsO 2013, 313, 314; a.A. Nicht/ Schildt, NZI 2013, 64, 65 f. 2 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22a InsO Rz. 157. 3 Schilken in Jaeger, § 26 InsO Rz. 27. 4 A.A. Keller in Karsten Schmidt, § 26 InsO Rz. 30. 5 A.A. Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 26 InsO Rz. 24. 6 Vallender in Uhlenbruck, § 26 InsO Rz. 26; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 26 InsO Rz. 21.

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Gerichtliche Entscheidung nach § 26 InsO

6.16

Gesellschaft1. Nur der vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht berechtigt, (in der Erwartung im Insolvenzverfahren als Verwalter bestellt zu werden) einen Vorschuss zu zahlen. Dies wäre mit seiner Unabhängigkeit nicht zu vereinbaren2. b) Vorschusspflicht nach § 26 Abs. 4 InsO Nach § 26 Abs. 4 InsO ist Person, „die entgegen den Vorschriften des Insolvenz- 6.13 oder Gesellschaftsrechts pflichtwidrig und schuldhaft keinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hat“, verpflichtet einen Kostenvorschuss zu leisten (rechtspolitische Kritik bei Rz. 6.44). Der Anspruch kann sowohl vom vorläufigen Insolvenzverwalter als auch von einem Insolvenzgläubiger geltend gemacht werden. Klarzustellen ist, dass der Vorschussanspruch keine Bedeutung hat für die Frage, ob die Masse die Kosten decken wird. Der Vorschussanspruch kann im Rahmen der nach § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO anzustellenden Liquiditätsprognose nicht aktiviert werden3. Die Vorschusspflicht setzt eine schuldhafte Insolvenzverschleppung durch den 6.14 oder die Geschäftsführer voraus, bei einer führungslosen Gesellschaft auch der Gesellschafter (s. Rz. 5.204)4. Gemäß § 26 Abs. 4 Satz 2 InsO tragen die Geschäftsführer bzw. die Gesellschafter die Beweislast hinsichtlich der Pflichtwidrigkeit sowie des Verschuldens5. Trotz dieser Beweislastumkehr wird in der Praxis kaum ein Gläubiger bereit sein, auf eigenes Risiko den Anspruch klageweise durchzusetzen, denn es verbleibt ein erhebliches Prozessrisiko. Realistisch erscheint allein ein Vorgehen des vorläufigen Insolvenzverwalters im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes unter Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 ZPO6. c) Erstattungs- und Rückgriffsansprüche Der Insolvenzverwalter zahlt einen geleisteten Vorschuss zurück, sobald die er- 6.15 wirtschaftete Masse dafür ausreicht. Hat jemand freiwillig einen Vorschuss gezahlt, kann er daneben gemäß § 26 Abs. 3 InsO von denjenigen, die nach § 26 Abs. 4 InsO zur Vorschusszahlung verpflichtet waren, Ersatz verlangen. Insoweit hat wiederum der Geschäftsführer zu beweisen, dass er nicht pflichtwidrig oder nicht schuldhaft gehandelt hat. Trotz des so erleichterten Rückgriffs leisten Gläubiger nur selten einen Vorschuss. Es fehlt an einem Anreiz, „mit eigenen Mitteln die Gleichbehandlung aller Gläubiger zu finanzieren.“7 Gegen den Anspruch auf Rückzahlung des Kostenvorschusses, der auch in den 6.16 Fällen des § 26 Abs. 4 InsO besteht, kann der Insolvenzverwalter gegenüber den 1 Vallender in Uhlenbruck, § 26 InsO Rz. 24; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 26 InsO Rz. 27. 2 Häsemeyer in Leipold u.a. (Hrsg.), Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, S. 101, 109; Schilken in Jaeger, § 26 InsO Rz. 55; Vallender in Uhlenbruck, § 26 InsO Rz. 25; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 26 InsO Rz. 32. 3 So aber Foerste, ZInsO 2012, 532, 533; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 26 InsO Rz. 64. 4 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 26 InsO Rz. 60; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 52. 5 Marotzke, DB 2012, 560, 567. 6 Paul, ZInsO 2008, 28, 31. 7 Karsten Schmidt, NJW 2011, 1255, 1256.

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6.17

6. Teil: Abweisung mangels Masse

Geschäftsführern mit einem Schadensersatzanspruch wegen Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO oder mit Ansprüchen nach § 64 Satz 1 GmbHG aufrechnen. 5. Der Abweisungsbeschluss 6.17 Bevor das Gericht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 26 InsO abweist, hört es sowohl den Schuldner als auch den Antragsteller an1 und weist auf die Möglichkeit der Vorschusszahlung innerhalb einer vom Gericht bestimmten Frist hin.

II. Verfahrensrechtliche Folgen 6.18 Gegen den Abweisungsbeschluss ist gemäß § 34 Abs. 1 InsO die sofortige Beschwerde für den Antragsteller und den Schuldner statthaft. Die Geschäftsführer bzw. – im Fall der Führungslosigkeit – die Gesellschafter üben das Beschwerderecht für die Schuldnerin aus2. Mit der Rechtskraft des Abweisungsbeschlusses endet eine nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO angeordnete Vollstreckungssperre. Die Schuldnerin ist von Amts wegen in das Schuldnerverzeichnis nach §§ 882b ff. ZPO einzutragen. Zu den gesellschaftsrechtlichen Folgen des Abweisungsbeschlusses s. Rz. 3.5. 6.19 Die Kosten trägt der Antragsgegner, wenn der Antragsteller auf den gerichtlichen Hinweis, dass Masselosigkeit vorliegt, den Antrag für erledigt erklärt3. Das Insolvenzgericht setzt die Vergütung des vorläufigen Verwalters gemäß § 26a InsO fest. Für Altanträge, die vor dem 1.3.2012 gestellt wurden, gilt die frühere Rechtsprechung, nach der der vorläufige Verwalter seine Ansprüche gegen den Schuldner vor den allgemeinen Zivilgerichten durchsetzen muss4. 6.20 Ein erneuter Eröffnungsantrag ist zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass nunmehr ausreichendes Schuldnervermögen vorliegt, oder einen Vorschuss einzahlt5. 6.21–6.30

vacat

1 BGH v. 15.1.2004 – IX ZB 478/02 = NZI 2004, 255 = ZInsO 2004, 247 Rz. 4; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 26 InsO Rz. 20; Mönning/Zimmermann in Nerlich/Römermann, § 26 InsO Rz. 125; Schilken in Jaeger, § 26 InsO Rz. 35. 2 BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 262/05, ZIP 2006, 1454; BGH v. 20.7.2006 – IX ZB 274/05, NZI 2006, 700; Uhlenbruck, GmbHR 1999, 390, 396; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 34 InsO Rz. 8; Schilken in Jaeger, § 34 InsO Rz. 18; Pape in Uhlenbruck, § 34 InsO Rz. 11; Keller in Karsten Schmidt, § 34 InsO Rz. 9. 3 Näheres bei Keller in Karsten Schmidt, § 26 InsO Rz. 45 ff. 4 BGH v. 13.12.2007 – IX ZR 196/06, BGHZ 175, 48 = ZIP 2008, 228 Rz. 27, 28. 5 BGH v. 5.8.2002 – IX ZB 51/02, ZIP 2002, 1695.

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Masselose Liquidation: Gesellschaftsrecht versus Insolvenzrecht?

6.33

B. Gesellschaftsrechtliche und haftungsrechtliche Rechtsfolgen I. Masselose Liquidation: Gesellschaftsrecht versus Insolvenzrecht? 1. Die Tatbestände Von den insolvenzrechtlichen sind die gesellschaftsrechtlichen Fragen und 6.31 Rechtsfolgen zu unterscheiden. Die Gesellschaft ist – im Fall der Verfahrensablehnung mangels Masse (§ 26 InsO) mit der Rechtskraft des Beschlusses aufgelöst, – im Fall der Vermögenslosigkeit von Amts wegen im Register zu löschen. Diese Tatbestände1 sind in § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG (Masselosigkeit) bzw. § 60 6.32 Abs. 1 Nr. 7 GmbHG, § 394 FamFG (Vermögenslosigkeit) enthalten2. Ein Pendant der Verfahrensablehnung nach § 26 InsO ist die Einstellung eines eröffneten Insolvenzverfahrens mangels Masse (§ 207 InsO)3. Doch ist hier schon der Auflösungstatbestand des § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG (Insolvenzverfahrenseröffnung) erfüllt, und die Gesellschaft wechselt nur aus dem Insolvenzverfahren in das gesellschaftsrechtliche Abwicklungsverfahren4. Nicht mit Vermögenslosigkeit und Masselosigkeit gleichzustellen ist die sog. Masseunzulänglichkeit nach § 208 InsO5. Sie führt zum sog. „Konkurs im Konkurs“ (§ 209 InsO) und zur Haftung des Insolvenzverwalters (§ 61 InsO). Das Insolvenzverfahren als solches wird nach Maßgabe der §§ 209 ff. InsO fortgeführt (dazu Rz. 7.811). a) Der Fall der Vermögenslosigkeit ist für das vorliegende Werk und für die Unter- 6.33 nehmenspraxis wenig interessant. Die auf § 394 FamFG gestützte Löschung der Gesellschaft löst i.d.R. kein Abwicklungsverfahren aus. § 60 Abs. 1 Nr. 7 GmbHG spricht zwar von einer Auflösung der Gesellschaft, aber i.d.R. ist diese im Fall ihrer Löschung vollbeendigt (Rz. 3.3). Vollbeendigung der Gesellschaft tritt nach der vom Verfasser herausgearbeiteten6, heute vorherrschenden Ansicht ein, wenn ein Doppeltatbestand vorliegt: Löschung und Vermögenslosigkeit als kumulative Voraussetzungen der Vollbeendigung. Beide müssen zusammentreffen. Diese Voraussetzungen liegen im Fall einer Löschung nach § 394 FamFG i.d.R. vor. Die Frage nach den Voraussetzungen und Folgen der Vollbeendigung 1 Ursprünglich §§ 1 und 2 des Gesetzes über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften vom 9.10.1934 (RGBl. I 1934, 914), aufgehoben durch Art. 2 Nr. 9 EGInsO. 2 Einzelheiten bei Karsten Schmidt, GmbHR 1994, 829 ff. 3 Vgl. Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 207 InsO Rz. 8d. 4 Vgl. Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 113. 5 Dazu auch Beck in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 13 Rz. 1 ff., 23 ff. 6 Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 56 ff.; Karsten Schmidt in Scholz, § 74 GmbHG Rz. 14 ff. mit umfangreichen Nachw.; zur Grundlegung Karsten Schmidt, GmbHR 1988, 209 ff.; jetzt h.M., vgl. nur BGH v. 20.5.2015 – VII ZB 53/13, ZIP 2015, 1334, 1336; BAG v. 22.3.1988 – 3 AZR 350/86, GmbHR 1988, 388; OLG Stuttgart v. 28.2.1986 – 2 U 148/85, GmbHR 1986, 269; KG v. 8.2.1991 – 1 W 3357/90, NJW-RR 1991, 933; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 74 GmbHG Rz. 7; Uhlenbruck, ZIP 1996, 1648; Vallender, NZG 1998, 249, 250.

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6. Teil: Abweisung mangels Masse

spielt vor allem für das Schicksal laufender Prozesse eine erhebliche Rolle1. Sie ist aber auf Fälle beschränkt, in denen an Sanierung oder Abwicklung nicht mehr zu denken ist. Das ist im vorliegenden Werk nicht zu vertiefen. Die vermögenslos gelöschte Gesellschaft ist i.d.R. ein Fall für die Staatsanwaltschaft2. Stellt sich nachträglich vorhandenes Vermögen heraus, so wird die versäumte Liquidation nachgeholt (vgl. rechtsähnlich § 66 Abs. 5 GmbHG)3. 6.34 b) Im Fall der sog. Masselosigkeit (§ 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG) pflegt noch verteilbares Vermögen vorhanden zu sein, allerdings nicht genug für die Abwicklung nach der Insolvenzordnung. Ein Insolvenzantrag wird mangels Masse abgelehnt (§ 26 InsO), oder ein schon eröffnetes Insolvenzverfahren wird mangels Masse eingestellt (§ 207 InsO). Die Schuldnerin kann sogar gegen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit der Beschwerde vorgehen, um die Ablehnung des Eröffnungsantrags mangels Masse durchzusetzen4. Die Ablehnung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse führt nach § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG im Gegensatz zum Fall der Vermögenslosigkeit (Rz. 6.33) zu einer echten Liquidation. Die Gesellschaft besteht einstweilen als Liquidationsgesellschaft fort5, könnte nach allgemeinem Gesellschaftsrecht sogar durch Kapitalerhöhung und Fortsetzungsbeschluss wiederbelebt werden6. Dass eine solche Möglichkeit dennoch abgelehnt wird7, hat nicht grundsätzliche, sondern ausschließlich rechtspolitische Gründe8: Die Missbrauchsgefahr etwa durch Fortleben massearmer Gesellschaftsmäntel wird als zu groß eingeschätzt9. Im Grundsätzlichen überzeugt diese h.M. nicht10, doch ist die Reanimierung masseloser Gesellschaften als unternehmensrechtliche Strategie nicht zu empfehlen.

1 Vgl. nur BGH v. 29.9.1981 – VI ZR 21/80, GmbHR 1983, 20; BGH v. 6.2.1991 – VIII ZR 26/90, NJW-RR 1991, 660; BGH v. 18.1.1994 – XI ZR 95/93, GmbHR 1994, 260; BGH v. 28.1.2003 – XI ZR 243/02, BGHZ 153, 337 = NJW 2003, 1250 = GmbHR 2003, 417; BGH v. 20.5.2014 – VII ZB 53/13, ZIP 2015, 1334; BAG v. 9.7.1981 – 2 AZR 329/79, NJW 1982, 1831 = GmbHR 1982, 114; BFH v. 18.3.1986 – VII R 146/81, GmbHR 1986, 401; BFH v. 18.1.1988 – I B 154/87, GmbHR 1988, 448; eingehend Karsten Schmidt/ Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 56 ff. 2 Eingehend Kögel, GmbHR 2003, 460 ff. 3 Dazu ausführlich Galla, Nachtragsliquidation bei Kapitalgesellschaften, 2005. 4 BGH v. 15.7.2004 – IX ZB 172/03, ZIP 2004, 1727. 5 Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 256; Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 26. 6 So Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 97; s. auch Hacker/Petsch, ZIP 2015, 761, 768. 7 BayObLG v. 14.10.1993 – 3 Z BR 116/93, DB 1993, 2523 = NJW 1994, 594 = GmbHR 1994, 189; KG, DR 1941, 1543; KG v. 1.7.1993 – 1 W 6135/92, DB 1993, 1918 = GmbHR 1993, 822 = NJW-RR 1994, 229; KG v. 22.9.1998 – 1 W 2161/97, DB 1998, 2409 = GmbHR 1998, 1232 = NZG 1990, 359 m. Anm. Boujong; OLG Köln v. 22.2. 2010 – 2 Wx 18/10, ZIP 2010, 1183 = GmbHR 1020, 710 m. Komm. Blöse. 8 Vgl. statt vieler BGH v. 8.10.1979 – II ZR 257/78, BGHZ 75, 178, 180 = GmbHR 1980, 83, 84. 9 Hiergegen Hacker/Petsch, ZIP 2015, 761, 768 (aber mit schlecht recherchiertem Meinungsbild). 10 Eingehend Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 97; s. auch Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 282.

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2. Liquidation nach Insolvenzrechtsgrundsätzen? a) Die masselose Liquidation ist nach wie vor ein „Stiefkind des Insolvenz- 6.35 rechts“1. Ist die Gesellschaft masselos aufgelöst, so greift das formelle Insolvenzrecht nicht ein. Die Gesellschaft wird nach allgemeinem Gesellschaftsrecht abgewickelt2. Dies bedeutet vor allem, dass die Geschäftsführer als Liquidatoren berufen sind (§ 66 GmbHG) und dass keine Bindung an die Gleichbehandlung der Gläubiger besteht3. Die Verfahrensablehnung oder Verfahrenseinstellung mangels Masse gibt den Geschäftsführern (Liquidatoren) Kompetenzen, die sie selbst im Fall der Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO nicht hätten. Auch bleiben, anders als nach § 276a InsO, die Gesellschafter weisungsbefugt. Das Verbot, Zahlungen an einzelne Gläubiger zu leisten (§ 64 GmbHG), kommt bezüglich der nach einer Verfahrensablehnung mangels Masse geleisteten Zahlungen nicht zum Zuge. Den Vorteil kann etwa die Hausbank oder der Steuerfiskus haben oder der Geschäftsführer selbst. b) Die Unausgewogenheit der bisherigen Praxis zeigt sich auch bei der Pfändung 6.36 von Forderungen4. Die bisher bei den Gerichten und in großen Teilen der Literatur herrschende Meinung steht auf dem Standpunkt, dass insbesondere Forderungen auf offene Einlagen der Gesellschafter oder aus ihrer Kapitalschutzhaftung (§ 31 GmbHG) grundsätzlich an einen Gläubiger der GmbH nur abgetreten oder von ihm gepfändet werden können, wenn die Forderung dieses Gläubigers gegen die GmbH vollwertig und liquide ist, weil der Gesellschaft nur dann ein entsprechender Vermögenswert zufließt5. Eine Ausnahme macht der Bundesgerichtshof, wenn die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb eingestellt hat, außer der gepfändeten Forderung kein nennenswertes Gesellschaftsvermögen vorhanden ist und der pfändende Gläubiger nicht mit anderen Gläubigern konkurriert6. Diese Rechtsprechung macht nachdenklich, denn man fragt sich, weshalb die Kapitalschutzregeln des GmbH-Rechts auf den pfändenden Gläubiger durchschlagen sollen7. 1 So Karsten Schmidt, ZIP 1982, 9 und öfter; dazu auch Uhlenbruck, ZIP 1996, 1641; Burgard/Gundlach, ZIP 2006, 1568 ff. 2 OLG Nürnberg v. 11.8.1988 – 3 U 1460/88, GmbHR 1988, 399; OLG Koblenz v. 21.6. 1990 – 5 U 1065/89, GmbHR 1991, 315; Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 257; Haas in Baumbach/Hueck, § 60 GmbHG Rz. 67; Keller in Karsten Schmidt, § 26 InsO Rz. 59, 64. 3 Vgl. nur Konzen in FS Ulmer, 2003, S. 323, 325; Haas in Baumbach/Hueck, § 60 GmbHG Rz. 67; unergiebig Budde, Die Haftungsverwirklichung in der masselosen Insolvenz der Kapitalgesellschaft, 2006 (Forderungseinzug bei Zweitinsolvenz). 4 Ausführlich Stobbe, Die Durchsetzung gesellschaftsrechtlicher Ansprüche der insolventen GmbH, 2001, Abschnitt 5; Ulmer in Großkommentar zum GmbHG, § 19 GmbHG Rz. 102 f. 5 RG v. 22.5.1931 – II 299/30, RGZ 133, 81, 82 ff.; RG v. 12.11.1935 – II 48/35, RGZ 149, 293, 295; BGH v. 18.11.1969 – II ZR 83/68, BGHZ 53, 71, 72 f. = GmbHR 1970, 122, std. Rspr.; OLG Celle v. 13.10.1993 – 9 U 44/92, GmbHR 1994, 246; OLG Köln v. 6.4.1995 – 5 U 224/94, NJW-RR 1996, 939, 940; zust. etwa Fastrich in Baumbach/Hueck, § 19 GmbHG Rz. 42; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 19 GmbHG Rz. 49; Roth in Roth/Altmeppen, § 19 GmbHG Rz. 16 f.; Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 19 GmbHG Rz. 102. 6 BGH v. 15.6.1992 – II ZR 229/91, GmbHR 1992, 522; zuletzt OLG Köln v. 6.4.1995 – 5 U 224/94, NJW-RR 1996, 939, 940. 7 So zuerst Karsten Schmidt, ZHR 157 (1993), 291 ff.

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6. Teil: Abweisung mangels Masse

Dieser Effekt wurde hier schon in den Vorauflagen kritisiert1, und diese Kritik beginnt sich durchzusetzen2. Das Problem liegt nicht bei den Grundsätzen der Kapitalaufbringung, sondern bei der Gläubigerkonkurrenz: Nicht weil der Gläubiger einer GmbH zu deren Kapitalaufbringung beizutragen hätte, sondern weil er sich im Insolvenzfall keinen unerlaubten Vorsprung verschaffen soll, bestehen gerade im Fall der masselosen Insolvenz besondere Bedenken gegen seinen Zugriff auf das Einlagekapital. Ist die Forderung des pfändenden Gläubigers vollwertig, die Gesellschaft also solvent, so ist dieser Zugriff unbedenklich. Ist die Gesellschaft insolvent, so ist im eröffneten Insolvenzverfahren dem einzelnen Gläubiger der Zugriff auf Forderungen der Gesellschaft gegen die Gesellschafter selbstverständlich versagt (§ 89 InsO). Dagegen herrscht im Fall der Masselosigkeit nach h.M. wieder das Prioritätsprinzip (krit. Rz. 6.35). Dem kann nicht, wie es die bisher herrschende Auffassung will, mit Mitteln des gesellschaftsrechtlichen Kapitalaufbringungsrechts begegnet werden, sondern nur mit Mitteln des Insolvenzrechts3. Das Gesellschaftsrecht hindert einen Pfändungszugriff einzelner Gläubiger im Zustand der Masselosigkeit nicht4. 6.37 c) Ein Gegenmodell hat vor geraumer Zeit Wolf Schulz vorgelegt5. Nach Wolf Schulz muss im Fall der Masselosigkeit ein Quasi-Insolvenzverfahren stattfinden, das durch eine Art Insolvenzkostenhilfe des Staates vorfinanziert werden kann (vgl. Rz. 6.48). Dieses in erster Linie als rechtspolitischer Aufruf entworfene Konzept hat sich bisher nicht etablieren können6. Immerhin hat der Bundesgerichtshof anerkannt, dass die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Geschäftsführer im Fall ihrer Masselosigkeit ebenso wenig der Beschlussfassung nach § 46 Nr. 8 GmbHG bedarf wie im Fall der Geltendmachung durch einen Insolvenzverwalter (vgl. dazu Rz. 7.11)7. Dem ist zuzustimmen. 3. Rechtsfolgen bei der GmbH & Co. KG 6.38 Im Fall einer GmbH & Co. KG ist eine konsolidierte Abwicklung der Gesellschaften anzustreben (Rz. 7.758 ff.). Die Masselosigkeit wirft hier besondere Probleme auf. Nach § 131 Abs. 2 HGB gelten die Grundsätze über die Auflösung bei Insolvenzablehnung mangels Masse (§ 26 InsO) bzw. Löschung wegen Vermögenslosigkeit (§ 394 Abs. 4 FamFG) auch für die KG ohne natürlichen Komplementär. 1 Vgl. 3. Aufl., Rz. 1172; 4. Aufl. Rz. 6.16. 2 Karsten Schmidt, ZHR 157 (1993), 291 ff., 300 ff.; zust. Wertenbruch, Die Haftung von Gesellschaften und Gesellschaftsanteilen in der Zwangsvollstreckung, 2000, S. 355 ff., 387 ff.; Ebbing in Michalski, § 19 GmbHG Rz, 84 ff.; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 19 GmbHG Rz. 256; Veil in Scholz, § 19 GmbHG Rz. 108; Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 267 ff. 3 Karsten Schmidt, ZHR 157 (1993), 319 ff. 4 Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 26. 5 Schulz, Die masselose Liquidation der GmbH, 1986; dazu Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 177 ff.; Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 30 f. m.w.N.; Konzen in FS Ulmer, 2003, S. 323, 334, 344; ablehnend Buchner, Amtslöschung, Nachtragsliquidation und masselose Liquidation, 1988, S. 77 ff.; Gesell in Rowedder/SchmidtLeithoff, § 60 GmbHG Rz. 24; Uhlenbruck, ZIP 1993, 24 f. 6 Vgl. nur Haas in Baumbach/Hueck, § 60 GmbHG Rz. 67. 7 BGH v. 14.7.2004 – VIII ZR 224/02, GmbHR 2004, 1279 = ZIP 2004, 1708.

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Abhilfemöglichkeiten?

6.41

Nicht selten wird hier das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Komplementär-GmbH mangels Masse abgelehnt, weil sich die Liquidität der GmbH im Vermögen der Kommanditgesellschaft befindet. Anzustreben, wenn auch praktisch nicht immer erreichbar, ist eine Verfahrenseröffnung bei beiden Gesellschaften, sofern nicht auch die KG masselos ist. Zu den Rechtsfolgen der Simultaninsolvenz beider Gesellschaften vgl. Rz. 7.755 ff. 4. Insolvenzverschleppungshaftung bei Masselosigkeit a) In den meisten Fällen der Masselosigkeit ist mit einer Haftung der Geschäfts- 6.39 führer wegen Insolvenzverschleppung zu rechnen. Es fehlt allerdings an einem Verwalter, der den Quotenschaden nach § 92 InsO geltend macht (zu dieser stark vernachlässigten Bestimmung vgl. Rz. 11.21 ff.). Hier liegt der wahre Grund für den vom BGH gegen die alte Quotenschadensrechtsprechung erhobenen Einwand, dass es Quotenersatzklagen praktisch nicht gebe1. Der Grund für diesen Mangel liegt nicht in der Rechtsfigur des Quotenschadens, sondern in der Verfahrensablehnung mangels Masse (Rz. 11.17). Im Fall der Masselosigkeit ist ernsthaft nur mit Schadensersatzklagen der Neugläubiger zu rechnen, während die Haftung gegenüber den auf Quotenschadensersatz verwiesenen Altgläubigern im Wesentlichen brachliegt2. b) Hinzuweisen ist allerdings auch darauf, dass der BGH den Anspruch aus § 64 6.40 GmbHG (§ 64 Abs. 2 GmbHG a.F.) in der masselosen Insolvenz für pfändbar erklärt hat (Rz. 11.38)3. Gläubiger titulierter Forderungen können sich also für ihre Ausfälle beim Geschäftsführer schadlos halten, solange dort etwas zu holen ist. Mit Gleichbehandlung der Gläubiger hat das aber nichts zu tun.

II. Abhilfemöglichkeiten? 1. Ersatz des Massekostenvorschusses nach § 26 Abs. 3, 4 InsO bei Insolvenzverschleppung a) § 26 Abs. 3 InsO besagt Folgendes4: „Wer, um die Abweisung des Insolvenz- 6.41 antrags mangels Masse zu verhindern, einen Geldbetrag vorgeschossen hat, kann die Erstattung des vorgeschossenen Betrages von jeder Person verlangen, die entgegen den Vorschriften des Insolvenz- oder Gesellschaftsrechts den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens pflichtwidrig und schuldhaft nicht gestellt hat. Ist streitig, ob die Person pflichtwidrig und schuldhaft gehandelt hat, so trifft 1 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 197 f. = GmbHR 1994, 539, 544; zuvor Mertens in FS Lange, 1992, S. 577. 2 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 194; Karsten Schmidt, NZI 1998, 11; ausführlich Budde, Die Haftungsverwirklichung in der masselosen Insolvenz der Kapitalgesellschaft, 2006, S. 84 ff. 3 BGH v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, NZI 2001, 87 = ZIP 2000, 1896 = GmbHR 2000, 1149. 4 Dazu Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 271 f.; Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 15 Rz. 25 ff.; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., Rz. 3/558 ff.; Karsten Schmidt in Kölner Schrift zur InsO, S. 1217; Uhlenbruck in Kölner Schrift zur InsO, S. 1171 f.

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6. Teil: Abweisung mangels Masse

sie die Beweislast. Der Anspruch verjährt in fünf Jahren.“ Der Gesetzgeber wollte mit dieser Vorschrift einen Anreiz für die Vorschussleistung und gleichzeitig eine Sanktion für Insolvenzverschleppungsfolgen schaffen1. Es muss sich hierbei um einen echten Vorschuss i.S. von § 26 Abs. 1 Satz 2 InsO handeln; andere Aufwendungen eines Gläubigers, auch Zahlungen an den späteren Verwalter, stehen nicht gleich2. Die Rechtsnatur des in § 26 Abs. 3 InsO geregelten Anspruchs – Aufwendungsersatz wegen Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Interesse? Schadensersatz? Anspruch eigener Art3? – wird die Praxis weniger beschäftigen als der von der neuen Bestimmung ausgehende Effekt. Dieser ist gering4, denn die Leistung eines Massekostenvorschusses ist und bleibt ein wenig attraktives Opfer: Derjenige Gläubiger, der einen solchen Vorschuss aufzubringen vermag, wird lieber auf Kreditsicherheiten zurückgreifen oder Forderungen der massearmen Schuldner-GmbH pfänden statt zum Vorteil anderer Gläubiger einen Vorschuss um den Preis eines riskanten Prozesses aus § 26 Abs. 3 InsO zu leisten5. Es handelt sich um eine weitgehend wirkungslose Norm6, auch wenn es vereinzelte Prozesse um § 26 Abs. 3 InsO gibt7. 6.42 Mit dem geltenden § 26 Abs. 3 InsO ist der Masselosigkeit nicht beizukommen, weil er als Leistungsanreiz versagt (Rz. 6.15). Rechtspolitisch wäre angezeigt, die Geltendmachung der Haftung nach § 26 Abs. 3 InsO in die Hände des Insolvenzverwalters zu geben8. Der Vorschuss hätte dann jedenfalls teilweise einen ähnlichen Effekt wie die bei Rz. 6.37 erwogene Insolvenzverfahrenskostenhilfe: Der Verwalter hätte als Erstes die Aufgabe, eine Erstattung der für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgebrachten Vorfinanzierung sicherzustellen. 6.43 b) Den § 26 Abs. 3 InsO ergänzt seit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG)9 der folgende neue § 26 Abs. 4 InsO: „(4) Zur Leistung eines Vorschusses nach Absatz 1 Satz 2 ist jede Person verpflichtet, die den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens entgegen den Vorschriften des Insolvenz- oder Gesellschaftsrechts pflichtwidrig und schuldhaft nicht gestellt hat. Ist streitig, ob die Person pflichtwidrig und schuldhaft gehandelt hat, so trifft sie die Beweislast. Die Zahlung des Vorschusses kann der vorläufige Insolvenzverwalter sowie jede Person verlangen, die einen begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hat.“

1 Vgl. Begr. RegE zu § 30 InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 118 = Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, 1995, S. 104. 2 BGH v. 14.11.2002 – IX ZR 40/02, NZI 2003, 324; Vorinstanz OLG Brandenburg v. 17.1. 2002 – 8 U 53/01, NZI 2003, 203; Hess, § 26 InsO Rz. 63 f. 3 Dazu Hirte in Uhlenbruck, § 26 InsO Rz. 48 f. 4 Vgl. nur Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 15 Rz. 28. 5 Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 15 Rz. 28; Karsten Schmidt in Aktuelle Probleme des neuen Insolvenzrechts, 2000, S. 95 f.; Karsten Schmidt in Kölner Schrift zur InsO, S. 1217. 6 Karsten Schmidt in VGR (Hrsg.), Die GmbH-Reform in der Diskussion, 2006, S. 143, 163; Uhlenbruck, KTS 1994, 175. 7 Beispiele: BGH v. 14.11.2002 – IX ZR 40/02, NZI 2003, 324; BGH v. 15.1.2009 – IX ZR 56/08, NZI 2009, 233; OLG Hamm v. 10.4.2002 – 11 U 180/01, NZG 2002, 782. 8 Karsten Schmidt in Aktuelle Probleme des neuen Insolvenzrechts, 2000, S. 95 f.; Karsten Schmidt, KTS 2001, 392 f. 9 Gesetz vom 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582.

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Abhilfemöglichkeiten?

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Auch von dieser Bestimmung ist wenig zu halten1. Sie läuft darauf hinaus, dass 6.44 die Masse eine Art Vorschuss auf den vom Geschäftsführer zu ersetzenden Insolvenzverschleppungsschaden erhält, dessen Zahlung er nach § 43 GmbHG bzw. nach § 15a InsO, § 823 Abs. 2 GmbHG in der Tat schuldet. Aber diese Ansprüche werden in langwierigen Prozessen eingeklagt, weil ein Verstoß gegen § 15a InsO festgestellt werden muss. Die bloße Verschuldensvermutung nach Satz 2 hilft nicht genug. Wenn es eine Lösung in dieser Hinsicht gibt, kann diese nur darin bestehen, dass die Geschäftsführer (einschließlich der faktischen und in einer Karenzzeit vor dem Eröffnungsantrag ausgeschiedenen Geschäftsführer), möglicherweise auch die mit 10 % und mehr beteiligten Gesellschafter ohne Entlastungsmöglichkeit zur Vorschusszahlung herangezogen werden können2. 2. Geltendes Recht und Rechtspolitik a) Die Anwendung des § 26 InsO ist zunächst eine Frage der Kostendeckungsprü- 6.45 fung3. Wo diese nicht zur Verfahrenseröffnung führt, kann Hilfe nur von der Sanktionsseite her erfolgen: – Die – leider nicht immer hinlänglich funktionierende – Strafjustiz muss die generalpräventive Aufgabe der in § 15a Abs. 4, 5 InsO enthaltenen Strafdrohung ernst nehmen. – Jedenfalls Neugläubiger sollten bei Masselosigkeit Schadensersatzforderungen wegen Insolvenzverschleppung geltend machen (Rz. 11.18 ff.). – Beträchtliche präventive Wirkung dürfte bei aller juristischen Bedenklichkeit die scharfe Praxis des BGH zu § 64 GmbHG einschließlich der Befugnis jedes Gläubigers, diesen Anspruch bei Masselosigkeit zu pfänden4, haben (dazu unten bei Rz. 11.38). – Im Fall der Masselosigkeit sollten die Liquidatoren auf den Grundsatz der par condicio creditorum eingeschworen werden5: Es geht nicht an, die Verteilung des Restvermögens wieder der Willkür der Geschäftsführer als Liquidatoren (§ 66 GmbHG) zu überlassen, wenn die Insolvenz über die Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit hinaus bis zur Masselosigkeit gediehen ist. Wer das nicht beachtet, muss haften. 1 Denkhaus in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 26 InsO Rz. 55a; Gundlach in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 15 Rz. 38; Foerste, ZInsO 2012, 532; Karsten Schmidt, NJW, 2011, 1255; Pape, ZInsO 2011, 1038; Franc Zimmermann, ZInsO 2012, 396. 2 Karsten Schmidt in VGR (Hrsg.), Die GmbH-Reform in der Diskussion, 2006, S. 143, 163, 168; Karsten Schmidt, NJW 2011, 1255, 1257 ff.; der Einwand, dass die Geschäftsführer so viel nicht haben (Burgard/Gundlach, ZIP 2006, 1568, 1571) vernachlässigt die Präventionswirkung dieses Kostenrisikos. 3 Für weitgehende Einbeziehung der nach §§ 92, 93 InsO einklagbaren Forderungen Budde, Die Haftungsverwirklichung in der masselosen Insolvenz der Kapitalgesellschaft, 2006, S. 68 ff. 4 BGH v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, GmbHR 2000, 1149 = ZIP 2000, 1896; dazu Karsten Schmidt, GmbHR 2000, 1225. 5 Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 29; sympathisierend Uhlenbruck, ZIP 1996, 1646; Vallender, NZG 1998, 250 f.; krit. J. Uhlenbruck in Kölner Schrift zur InsO, S. 1191.

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6. Teil: Abweisung mangels Masse

6.46 Die rechtstatsächliche Entwicklung lässt immerhin einen deutlichen Rückgang der Fälle der Masselosigkeit erkennen1. Es ist nicht auszuschließen, dass eine intensivierte Praxis zur Insolvenzverschleppungshaftung (Rz. 11.18 ff.) sowie eine Erhöhung der Strafbarkeitsrisiken (Rz. 11.81 ff.) hierzu beigetragen hat. 6.47 b) Rechtspolitisch wurde eine Insolvenz-Pflichtversicherung vorgeschlagen, in die alle Gewerbetreibenden einzuzahlen hätten und die die fehlende Kostendeckung noch während des eröffneten Insolvenzverfahrens im Umfang des § 54 InsO ausgleichen solle2. Dieser Vorschlag überzeugt nicht. Er setzt, indem er die ganze Insolvenzverwaltungsvergütung sozialisiert, falsche Anreize. Auch ist der Kreis der in einem solchen Feuerwehrfonds Zwangszuversichernden inhomogen und kaum überzeugend abzugrenzen (warum alle Gewerbetreibenden und warum nur Gewerbetreibende und nicht auch Freiberufler sowie gemeinnützige Körperschaften und Stiftungen?). 6.48 Nochmals sei deshalb an die rechtspolitische Radikallösung erinnert, die vor Jahrzehnten von Wolf Schulz vorgelegt wurde (Rz. 6.37)3. Sie besteht darin, in Fällen der Masselosigkeit von Gesellschaften eine Art staatliche „Insolvenzkostenhilfe“ zu gewähren, mit deren Hilfe ein obligatorischer Notliquidator zu bestellen wäre, der die Gesellschaft nach Insolvenzrechtsgrundsätzen abwickelt. Dieser Gedanke hat sich rechtspolitisch nicht durchzusetzen vermocht4. Er ist unpopulär, wirkt vielleicht sogar bizarr: Verwendung von Steuermitteln für marode Gesellschaften? Umso mehr seien folgende Hinweise wiederholt5: Es geht nicht um eine Subventionierung der Gesellschaften oder ihrer Gläubiger. Die gesamt- und einzelwirtschaftlichen Schäden masseloser Insolvenzen (Steuerausfälle mitgerechnet) scheinen so hoch, die durch Nichtgeltendmachung gesellschaftsrechtlicher Haftungsansprüche entstehenden Insolvenzausfälle so gravierend, die generalpräventiven Wirkungen einer Aktivierung von Insolvenzausfallprozessen so bedeutsam, dass eine Vorfinanzierung masseloser Insolvenzen eine volkswirtschaftlich sinnvolle Investition sein könnte, vor allem im Vergleich mit den Millionenbeträgen, die jedes Bundesland für Kleininsolvenzen und für die Prozesskostenhilfe in Zivilprozessen ausgibt. Der Insolvenzkostenvorschuss bei masselosen Insolvenzen wäre auch kein verlorenes Geld. Was in Fällen der sog. Masselosigkeit fehlt, ist häufig nicht Gesellschaftsvermögen, sondern Liquidität. Werthaltige Ansprüche, 1 Im Jahr 2007 dürfte die Zahl der eröffneten Verfahren bei Unternehmensinsolvenzen bei etwa 50 % gelegen haben (vgl. Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 26 InsO Rz. 2; s. auch Haarmeyer/Beck, ZInsO 2007, 1065, 1066); neuere Statistiken weisen die GmbH nicht mehr separat aus. 2 Burgard/Gundlach, ZIP 2006, 1568 ff. 3 Schulz, Die masselose Liquidation der GmbH, 1986, S. 106 ff.; dazu auch Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 329 f.; Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 29; s. auch Konzen in FS Ulmer, 2003, S. 346 f. 4 Vgl. nur Buchner, Amtslöschung, Nachtragsliquidation und masselose Insolvenz von Kapitalgesellschaften, 1988, S. 48 ff., 58 ff., 65 ff.; Haas in Gottwald, InsolvenzrechtsHandbuch, § 92 Rz. 232 ff.; Heller, Die vermögenslose GmbH, 1989, S. 150 ff.; J. Uhlenbruck in Kölner Schrift zur InsO, S. 1191; Uhlenbruck, ZIP 1993, 241; Burgard/Gundlach, ZIP 2006, 1568, 1571. 5 Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 30; Karsten Schmidt, ZHR 157 (1993), 321 f.; zuvor Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 188 ff.; Karsten Schmidt, KTS 1988, 16 ff.

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Abhilfemöglichkeiten?

6.48

die für die Gläubigerbefriedigung liquide gemacht werden sollten, liegen brach. Durch Insolvenzverwalterklagen aus § 31 GmbHG, § 43 GmbHG und wegen Verfahrensverschleppung (§ 92 InsO), evtl. auch wegen Existenzvernichtungshaftung der Gesellschafter könnte ein erheblicher Teil der Insolvenzkostenhilfe aus Haftungsprozessen wieder hereingeholt werden. Aus diesen Mitteln wäre vorrangig der Staatsvorschuss zurückzuerstatten. Auch würden volkswirtschaftliche Schäden großen Ausmaßes vermieden, wenn Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH wüssten, dass sie solchen Haftungsprozessen nicht entrinnen können, indem sie die Gesellschaft über die Insolvenzreife hinaus bis zur Masselosigkeit fortführen und sodann das Restvermögen selbst verwerten.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren A. Rechtsfolgen der Verfahrenseröffnung I. Das Verhältnis von Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht 1. Schulenstreit oder Sachproblem? a) Das Verhältnis von Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht war über lange Zeit 7.1 hinweg durch Unterlassungssünden der Rechtswissenschaft gekennzeichnet: Das traditionelle Konkursrecht wurde in Deutschland – anders als in anderen Ländern – zur Domäne der Prozessrechtswissenschaft. Diese begriff das Konkursrecht exekutorisch – als reines Gesamtvollstreckungsrecht1 – und befasste sich mit wenigen Ausnahmen2 nicht mit den für die Praxis besonders bedeutsamen Fragen der Gesellschaftsinsolvenz. Die Gesellschaftsrechtsliteratur ihrerseits begnügte sich überwiegend damit, die Eröffnung des Gesellschaftskonkurses unter den Auflösungsgründen aufzuzählen. Eine wissenschaftliche Entwicklung des Unternehmensinsolvenzrechts ließ auf diese Weise lange auf sich warten3. Als die Aufmerksamkeit auf diesen Tatbestand gelenkt wurde4, nahm die akademische Insolvenzrechtsliteratur dies zunächst als einen Versuch wahr, dem Prozessrecht seinen Rang streitig zu machen5. Es geht jedoch nicht um einen Schulenstreit zwischen Rechtsdisziplinen, nicht um akademische Eifersüchteleien, sondern um eine Hinwendung der Insolvenzrechtsliteratur zu den Problemen der Praxis und um Sachfragen der Unternehmensinsolvenz. Mittlerweile hat sich die Szene beruhigt6. Das Recht der Unternehmensinsolvenz ist zum Gegenstand einer anerkannten Literaturgattung geworden7 und findet Eingang in die Kommentierungen 1 Nachweise bei Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, 7. Aufl. 2014, Rz. 160. 2 Hervorhebung verdient die Kommentierung der §§ 207 ff. KO durch Friedrich Weber in der 8. Auflage des Jaeger’schen Kommentars. 3 Den Blick auf die Betriebswirtschaftslehre richtete allerdings Wilhelm Uhlenbruck. 4 Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 19 ff.; Karsten Schmidt, KTS 1988, 1 ff. 5 Vgl. Henckel in FS Merz, 1992, S. 157 ff. 6 Charakteristisch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 1.08. 7 Vgl. nur die Publikationen von Acher (Vertragskonzern und Insolvenz, 1987), Ampferl (Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter in der Unternehmensinsolvenz, 2002), Berthold (Unternehmensverträge in der Insolvenz, 2004), Braun/Uhlenbruck (Unternehmensinsolvenz, 1997), Brünkmans (Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen, 2009), Burkert (Der Debt-to-Equity-Swap im Spannungsverhältnis von Gesellschafts- und Insolvenzrecht, 2014), Ehricke (Das abhängige Konzernunternehmen in der Insolvenz, 1998), Fink (Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung in der Unternehmensinsolvenz, 1998), Finke (Kollision von Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht: die Organkompetenzen der Aktiengesellschaft in Eigenverwaltung, 2011), Fleischer (Finanzplankredite und Eigenkapitalersatz im GmbH-Recht, 1995), Götker (Der Geschäftsführer in der Insolvenz der GmbH, 1999), Haas (in Gottwald [Hrsg.], Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2015, § 91; Haas/Kolmann/Pauw, ebd., § 92; Haas/Mode, ebd., §§ 93–94), Jungmann (Grundpfandgläubiger und Unternehmensinsolvenz, 2004), Kesseler (Das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Partnerschaftsgesellschaft, 2003), Kübler (Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz, 2. Aufl. 2015), H.-F. Müller (Der Verband in der Insolvenz, 2002), Noack (Der Aufsichts-

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

sowohl des Insolvenzrechts als auch des Gesellschaftsrechts. Dieser seit Jahrzehnten fortschreitende Sinnwandel1 ist für die Unternehmens- und Insolvenzrechtspraxis von prägender Bedeutung. Aber noch längst sind nicht alle Fragen geklärt. 7.2 b) Zwei Gesetze haben das Verhältnis zwischen dem Insolvenzrecht und dem Gesellschaftsrecht maßgeblich verändert: das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) von 2008 und das am 1.3.2012 in Kraft getretene Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG). Das MoMiG hat namentlich das Recht der Insolvenzverschleppung neu geordnet und redaktionell der Insolvenzordnung zugewiesen (§ 15a InsO) sowie das vormalige Eigenkapitalersatzrecht (insbesondere §§ 32a, 32b GmbHG a.F.) durch ein rein insolvenzrechtliches Regime der Gesellschafter-Fremdfinanzierung ersetzt (§§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 44a, 135 InsO)2. Das ESUG hat zu tiefen Einschnitten in das Recht der Unternehmensinsolvenz geführt, namentlich durch die Einführung des Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO), durch sonstige Veränderungen im Verfahren der Eigenverwaltung (z.B. § 276a InsO) und durch gesellschaftsrechtlich relevante Änderungen des Insolvenzplanverfahrens (vgl. namentlich §§ 225a, 238a, 245 Abs. 3, 246a, 254 Abs. 4 InsO)3. 2. Organisationsrecht 7.3 a) Man muss sich darüber klar sein, dass sich die gesellschaftsrechtlichen Organisations-, Finanzierungs- und Haftungsrechte und das Insolvenzrecht im eröffneten Insolvenzverfahren auf sachbedingte Weise ergänzen und durchdringen. Die Insolvenzverfahrenseröffnung hat nachhaltige Auswirkungen auf die Zuständigkeiten und finanziellen Abläufe in der Gesellschaft, so wie umgekehrt die Insolvenzabwicklung auch bei der Anwendung von Regeln der Insolvenzordnung nicht davon unberührt bleibt, dass die Schuldnerin eine GmbH bzw. GmbH & Co. KG ist. Die Verfahrens- und Exekutionsseite der Insolvenzabwicklung, in der deutschen Literatur früher stark überbetont, spielt daneben nur eine dienende Rolle. Insbesondere der Insolvenzverwalter (oder Sachwalter) steht in der Gesellschaftsinsolvenz im Schnittfeld zwischen der insolvenzrechtlichen und der gesellschaftsrechtlichen Organisation. Der Verfasser dieses Textes ordnet den Insolvenzverwalter unkonventionell als Gesellschaftsorgan, nämlich als obligatorischen Drittliquidator der Gesellschaft, und zugleich als Organ des Insolvenzverrat in der Insolvenz der Kapitalgesellschaft, 2003), Rittscher (Cash-Management-Systeme in der Insolvenz, 2007), Rotstegge (Konzerninsolvenz – Die verfahrensrechtliche Behandlung von verbundenen Unternehmen nach der Insolvenzordnung, 2007), Karsten Schmidt (in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, S. 1199 ff.), Stephan Schneider (Gesellschafter-Stimmpflichten bei Sanierungen, 2014), Patrick Schulz (Der Debt Equity Swap in der Insolvenz, 2015), Specovius/Kuske (in Gottwald [Hrsg.], InsolvenzrechtsHandbuch, 5. Aufl. 2015, § 95), Terbrack (Die Insolvenz der eingetragenen Genossenschaft, 2002), Uhlenbruck (in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, S. 1157 ff.), Thole (Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, 2. Aufl. 2015), Walker (Die GmbH-Stammeinlageforderung in der Insolvenz, 2004) und Wilms (Die englische Ltd. in deutscher Insolvenz, 2006). 1 Vgl. nur Karsten Schmidt, KTS 1988, 1 ff. und 2001, 373 ff. 2 Überblick bei Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009. 3 Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, 2010; Willemsen/Rechel, Kommentar zum ESUG, 2012.

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Gesellschaft als Rechtsträgerin und als Organisation

7.5

fahrens ein1. Um Theorie kann es hier nicht gehen, wohl aber um Wirkungsmechanismen zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht. b) Eine Hauptfrage lautet: Inwieweit tritt der Insolvenzverwalter organisations- 7.4 rechtlich an die Stelle der Geschäftsführer? Folgende Themenbereiche stehen im Mittelpunkt: – Wie verhalten sich Insolvenzverwalterbefugnisse und Geschäftsführerbefugnisse zueinander? – Inwieweit bestehen korporative Gesellschafterrechte, insbesondere also die Befugnisse der Gesellschafterversammlung fort? Können der von den Organen des Insolvenzverfahrens (Insolvenzverwalter, Gläubigerversammlung, Gläubigerausschuss) beherrschte „Gläubigerbereich“ und der korporative „Gesellschafterbereich“ (Gesellschafterversammlung, Geschäftsführung) klar voneinander getrennt werden? – Können die Gesellschafter ihr Informationsrecht (§ 51a GmbHG) statt gegenüber dem Geschäftsführer auch gegenüber dem Insolvenzverwalter ausüben? Einzelne Gerichte haben dies bereits bejaht2. Diese Auffassung verdient Beifall, soweit es um betriebliches „Insolvenzverwalterwissen“ geht. Auch das Verständnis der Eigenverwaltung durch die Organe der insolventen Handelsgesellschaft wirft nicht zuletzt seit dem Inkraftttreten des ESUG Abgrenzungsfragen auf (vgl. Rz. 9.134 ff.).

II. Die Gesellschaft als Rechtsträgerin und als Organisation 1. Auflösung und Organisation der Gesellschaft im Regelinsolvenzverfahren a) Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird die GmbH oder GmbH & Co. 7.5 KG aufgelöst (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 131 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB). Die Gesellschafter können die Fortsetzung der Gesellschaft beschließen, wenn das Verfahren auf Antrag des Schuldners eingestellt wird (§§ 212 f. InsO) oder wenn das Insolvenzgericht einen Insolvenzplan bestätigt (§ 248 InsO), der den Fortbestand der Gesellschaft vorsieht (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG bzw. § 144 i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB)3. Die aufgelöste Gesellschaft besteht – auch im Fall der Auflösung durch Insolvenzverfahrenseröffnung – als Rechtsträgerin fort: Sie bleibt Inhaberin des Gesellschaftsvermögens (der Insolvenzmasse), Gläubigerin der dazugehörigen Ansprüche, Schuldnerin ihrer Verbindlichkeiten, Trägerin des von ihr – jedenfalls einstweilen – betriebenen Unternehmens, Arbeitgeberin usw. Allerdings wird die Insolvenzeröffnung in das Handelsregister, das Grundbuch und in das Register für Schiffe und Luftfahrzeuge eingetragen (§§ 31 ff. InsO). Nach herkömmlicher Auffassung ändert die GmbH mit der Auflösung und damit auch mit der Insolvenzverfahrenseröffnung ihren Zweck4. Dem ist nicht zu fol1 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 326 f.; Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 107 ff.; Scholz/Karsten Schmidt, 9. Aufl., vor § 64 GmbHG Rz. 60. 2 OLG Hamm v. 25.10.2001 – 15 W 118/01, GmbHR 2002, 163 = NJW-RR 2002, 1396; LG Wuppertal v. 10.12.2002 – 11 O 121/00, NJW-RR 2003, 332. 3 Dazu Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 96; Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 144 HGB Rz. 8 ff. 4 Vgl. statt vieler Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 60 GmbHG Rz. 6; Grunewald, Gesellschaftsrecht, 9. Aufl. 2014, § 13 Rz. 209.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

gen1: Zu unterscheiden ist zwischen den Zwecken des Insolvenzverfahrens (§ 1 InsO) und dem Gesellschaftszweck der GmbH bzw. GmbH & Co. KG als Schuldnerin. Der Gesellschaftszweck bleibt unverändert; er wird nur durch den Zweck des Insolvenzverfahrens (Rz. 4.1) überlagert. Die herkömmlich entgegenstehende Sichtweise resultiert aus einer veralteten, den Insolvenzverfahrenszweck und den korporativen Zweck der insolventen Gesellschaft unzulässig vermischenden Doktrin, die den durch Insolvenzverfahrenseröffnung aufgelösten Rechtsträger GmbH als Subjekt und satzungsmäßige Organisation nicht ernst nahm2. 7.6 b) Die Gesellschaft als Rechtsträgerin unterliegt ungeachtet der Insolvenzverfahrenseröffnung einer sich aus dem Gesellschaftsrecht und aus der Satzung ergebenden Verfassung. Gesellschaftsorgane – Gesellschafter, Geschäftsführer und ggf. ein Aufsichtsrat oder Beirat – bestehen als Elemente der gesellschaftsrechtlichen Organisation fort3. Sofern nicht ein Insolvenzplanverfahren betrieben wird (dazu Rz. 8.1 ff.), entscheiden die Gesellschafter weiterhin allein über Satzungsänderungen, Kapitalerhöhungen oder Umwandlungen. Insolvenzverwalter und Gläubiger haben hierauf keinen direkten Einfluss. Unzulässig und unwirksam sind allerdings Gesellschafterbeschlüsse, die in die Masse (§ 35 InsO) und damit in die Verfügungsbefugnis des Verwalters (§ 80 InsO) eingreifen. Das gilt vor allem für die Firmenänderung. Zwar können die Gesellschafter, wenn das Unternehmen mit Firma veräußert wird, eine Ersatzfirma bilden (die Zuständigkeit des Verwalters hierfür ist lediglich subsidiär (s. auch. Rz. 7.313)4, ebenso, wenn der Verwalter einer Änderung zustimmt5. Sie können aber nicht gegen den Willen des Verwalters die Firma der insolventen Gesellschaft, die als Massebestandteil gilt (Rz. 7.11), der Masse durch Firmenänderung entziehen6. Auch die Geschäftsführer bleiben ungeachtet der Insolvenzverfahrenseröffnung im Amt (Rz. 7.313)7. Für ihre Abberufung und Berufung bleiben die Gesellschafter zuständig (§ 46 Nr. 5 GmbHG). Selbst ihr Dienstverhältnis endet nicht automatisch. Es betrifft allerdings die Masse und kann nach § 113 InsO gekündigt werden8. Im insolvenzrechtlichen Regelverfahren hat die GmbH als Schuldnerin Rechte und Pflichten, für 1 Vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 313; Karsten Schmidt in Scholz, § 69 GmbHG Rz. 3; Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 145 HGB Rz. 28 ff. 2 Zur Überwindung dieses Konzepts vgl. Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 99 ff. 3 Vgl. BGH v. 18.12.1980 – II ZR 140/79, KTS 1981, 234, 235 = AG 1981, 223; Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 127 ff.; a.M. Wolf Schulz, KTS 1986, 389 ff. 4 Nachweise bei Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 328. 5 OLG Karlsruhe v. 8.1.1993 – 4 W 28/92, ZIP 1993, 133, 134 = GmbHR 1993, 101; Haas/ Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 328; Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 65. 6 OLG Karlsruhe v. 8.1.1993 – 4 W 28/92, ZIP 1993, 133, 134 = GmbHR 1993, 101; Haas/ Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 328; Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 65. 7 Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 292; Grüneberg, Die Rechtspositionen der Organe der GmbH und des Betriebsrates im Konkurs, 1988. 8 Vgl. nur Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 293 ff.; Caspers in Münchener Kommentar zur InsO, § 113 InsO Rz. 10; vgl. zum früheren § 22 KO BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, BGHZ 79, 291 = GmbHR 1981, 1270; Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze, § 22 KO (§ 113 InsO) Anm. 3c; Kuhn/Uhlenbruck, 11. Aufl. 1994, § 22 KO Rz. 5.

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Die Insolvenzmasse

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deren Wahrnehmung ihre Organe zuständig sind. Die Kompetenzabgrenzung zwischen Insolvenzverwalter und Geschäftsführer ist bei Rz. 7.281 ff. dargestellt. Auch ein etwa vorhandener Aufsichtsrat bleibt vorbehaltlich seiner Abberufung oder seines Rücktritts mit reduzierten Aufgaben im Amt1. Gegenüber dem Insolvenzverwalter hat der Aufsichtsrat dagegen nicht die gegenüber der Geschäftsführung bestehenden Rechte. Auch Vorlagepflichten der Geschäftsführer gegenüber der Gesellschafterversammlung und dem Aufsichtsrat gelten nicht für den Insolvenzverwalter. c) Bezüglich der Zuständigkeit des Verwalters für Fortführung, Einstellung oder 7.7 Veräußerung des Unternehmens geht es dagegen in erster Linie um das Verhältnis des Verwalters zum Gläubigerausschuss. Seine Zustimmung muss der Verwalter vor dem Vollzug einer Maßnahme von besonderer Bedeutung einholen (§ 160 Abs. 1 InsO), insbesondere vor einer Unternehmensveräußerung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Vor dem Berichtstermin muss er unter Umständen auch die Schuldnerin unterrichten, wenn er das Unternehmen stilllegen oder veräußern will (§ 158 InsO)2. Für die Veräußerung an Insider gilt die besondere Zustimmungsregelung des § 162 InsO. Hier muss der Verwalter die Zustimmung sogar der Gläubigerversammlung einholen. Die Fragen spielen vor allem bei der übertragenden Sanierung im Insolvenzverfahren eine Rolle (Rz. 7.141)3. In der Praxis versteht sich eine ständige Fühlungnahme mit den Geschäftsführern von selbst. 2. Veränderte Zuständigkeitsordnung bei Eigenverwaltung und im Insolvenzplanverfahren a) Die dargestellte Organisation der insolventen Gesellschaft im Regelinsolvenz- 7.8 verfahren erfährt eine erhebliche Änderung, wenn nach §§ 270 ff. InsO die Eigenverwaltung durch die Geschäftsführung unter der Aufsicht eines Sachwalters angeordnet ist (dazu im Einzelnen Rz. 9.4 ff.). Die korporativen Zuständigkeiten der Gesellschafter – z.B. für Satzungsänderungen und Kapitalmaßnahmen – bleiben auch hier bestehen. Im Hinblick auf die Wahrnehmung von Verwalteraufgaben durch die Geschäftsführung entfallen allerdings die Aufsichts- und Weisungsrechte der Gesellschafter (§ 276a InsO). b) Im Insolvenzplanverfahren kann seit 2012 unter Einschluss der Gesellschafter 7.9 auch über gesellschaftsrechtlich zulässige Maßnahmen entschieden werden (§ 225a InsO und dazu Rz. 8.24). Diese Prozedur ersetzt die aus gesellschaftsund insolvenzrechtlichen Elementen zusammengefasste Technik eines bedingten Insolvenzplans (§ 249 InsO) insbesondere bei Kapitalmaßnahmen (Rz. 8.111).

III. Die Insolvenzmasse 1. Grundlagen a) Insolvenzmasse ist nach § 35 InsO das gesamte Vermögen, das dem Schuldner 7.10 zur Zeit der Verfahrenseröffnung gehört und das er während der Verfahrenseröff1 Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 330; H.-F. Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 148 ff. 2 Die Vorschrift wurde geändert durch Gesetz vom 1.7.2007. 3 Zu § 162 InsO in diesem Zusammenhang vgl. besonders Falk/Schäfer, ZIP 2004, 1337, 1339 ff.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

nung erlangt. Im Gegensatz zum früheren § 1 KO beschränkt § 35 InsO den Begriff der Insolvenzmasse nicht auf das im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung vorhandene Schuldnervermögen. Beendet ist damit die bei Unternehmen unsachgemäße1 Diskussion um die Massezugehörigkeit des nachträglichen Hinzuerwerbs2. Nach § 35 InsO gehört auch das, was der insolventen GmbH nachträglich zufließt oder durch Rechtsgeschäft des Verwalters als Recht der Schuldner-GmbH begründet wird, in die Masse3. Vor allem beim Umlaufvermögen ist dies unerlässlich. 7.11 aa) Bestandteile der Masse sind vor allem: – das Sachvermögen der Gesellschaft (Immobiliar- und Mobiliarvermögen)4, einschließlich etwaigen Auslandsvermögens5, – die der Gesellschaft zustehenden Forderungen aus dem Gesellschaftsverhältnis, z.B. auf ausstehende Einlagen (§§ 5, 7, 9, 19 GmbHG), auf Rückerstattung unerlaubter Ausschüttungen (§ 31 GmbHG) und verbotener Zahlungen (§ 64 GmbHG) oder auf Schadensersatz gegen Geschäftsführer (§ 43 GmbHG), ggf. auch gegen Gesellschafter aus Existenzvernichtungshaftung (Rz. 11.151 ff.)6, – die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, soweit Verträge nach §§ 103 ff. InsO erfüllt werden oder vom Insolvenzverwalter abgeschlossen werden7, einschließlich Versicherungen und Forderungen z.B. aus Umsatzsteuervergütungen8, – gesetzliche Ansprüche, z.B. auf Steuerrückerstattung9, – verwertbare immaterielle Güter10, darunter auch Firmen11 und Markenrechte12, – Beteiligungen, insbesondere an Tochtergesellschaften13, 1 Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze, § 1 KO Anm. 3 D; eingehend Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 69 ff. 2 Dazu etwa Kuhn/Uhlenbruck, 11. Aufl. 1994, § 1 KO Rz. 94 ff. 3 Statt vieler Holzer in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 8 Rz. 2; Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 43 ff. 4 Lüdtke in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 35 InsO Rz. 122 ff.; Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 121. 5 Hess, §§ 35, 36 InsO Rz. 66 ff. 6 Für viele Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 341 ff., 354 ff., 362 ff. m.w.N.; Hess, §§ 35, 36 InsO Rz. 566 ff.; eingehend Kuleisa in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, Anh. zu § 35 InsO. 7 Lüdtke in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 35 InsO Rz. 150 ff. 8 Henckel in Jaeger, § 35 InsO Rz. 39; Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 409 ff. 9 Vgl. Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 421. 10 Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 283–330. 11 BGH v. 27.9.1982 – II ZR 51/82, BGHZ 85, 221 = GmbHR 1983, 195 = ZIP 1983, 193 m. Anm. Wolf Schulz (GmbH); BGH v. 14.12.1989 – I ZR 17/88, BGHZ 109, 364 = GmbHR 1990, 211 = ZIP 1990, 388 (GmbH & Co. KG); Henckel in Jaeger, § 35 InsO Rz. 20 f.; Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 121. 12 Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 365 ff.; Henckel in Jaeger, § 35 InsO Rz. 37 f. 13 Vgl. etwa Lüdtke in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 35 InsO Rz. 137 ff.; Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 179 ff.; Hess, § 35 InsO Rz. 80 f.

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Die Insolvenzmasse

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– Geschäftsbücher, insbesondere die Buchführungsunterlagen und die Rechnungslegungswerke1. bb) Auch unübertragbare Rechte können zur Masse gehören2. Lehnt man die Exis- 7.12 tenz massefreien Gesellschaftsvermögens ab (Rz. 7.18), so ist dies nur konsequent. Aber auch sonst übt der Insolvenzverwalter der Gesellschaft nicht nur deren übertragbare Rechte aus. b) aa) Überholt und überflüssig scheint aus heutiger Sicht der Meinungsstreit dar- 7.13 über, ob die aus einer Kapitalerhöhung resultierenden Einlageforderungen und Einlagen Bestandteile der Insolvenzmasse sind und ob es darauf ankommt, ob der Kapitalerhöhungsbeschluss und die Zeichnungsverträge aus der Zeit vor oder nach der Verfahrenseröffnung stammen3. Noch unter der Geltung der Insolvenzordnung wurde behauptet, solches Neuvermögen sei „konkursfrei“, gehöre also nicht in die Masse4. Aber nach § 35 InsO sind Gesellschaftsvermögen und Masse kongruent. Eine Kapitalerhöhung gegen Einlagen (effektive Kapitalerhöhung), vormals von der Gerichtspraxis als konkurszweckwidrig abgelehnt5, wird heute mit Selbstverständlichkeit im eröffneten Verfahren zugelassen (Rz. 9.129). Seit 2012 kann sie sogar Bestandteil eines Insolvenzplans sein (vgl. § 225a InsO). Die Inanspruchnahme der aus Kapitalerhöhungen stammenden Einlagen für die Masse ist schon durch § 35 InsO gesetzlich geklärt6. Sie wird zwar als Sanierungshindernis kritisiert, aber diese Kritik ist verfehlt7. Auch bei einer vor der Verfahrenseröffnung beschlossenen Kapitalerhöhung können die Gesellschafter nur durch Verhinderung der Registereintragung etwas daran ändern, dass die Kapitalerhöhung die Insolvenzmasse mehrt8. bb) Nicht durchgesetzt hat sich auch der von Hüffer vorgeschlagene Ausweg, 7.14 durch die Verbindung der Kapitalerhöhung mit einem bedingten Insolvenzplan (§ 249 InsO) unter Zustimmung der Gläubiger gleichsam eine Sanierungs-Sondermasse zu schaffen, um die neuen Mittel als Liquidität speziell für den Sanierungszweck zu reservieren9. Grundlage von Hüffers Vorschlag war, eine teleologische Reduktion des ihm fragwürdig scheinenden § 35 InsO in dem Sinn, dass nach § 217 InsO im Insolvenzplan eine abweichende – nämlich die Insolvenzforderun1 Im Ausgangspunkt a.M. Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 384 m.w.N. 2 Im Ausgangspunkt a.M. Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 384 m.w.N. 3 Überblick bei Kuntz, DStR 2006, 519 f.; eingehend H.-F. Müller, ZGR 2004, 842, 845 ff.; der Text folgt den auf die AG bezogenen Ausführungen des Verf. in AG 2006, 597, 604. 4 Vgl. nur Schlitt, NZG 1998, 701, 755 f. 5 Vgl. noch RG v. 20.10.1911 – II 68/11, RGZ 77, 152, 155; RG v. 26.6.1914 – II 109/14, RGZ 85, 205, 207 f.; OLG Bremen v. 5.7.1957 – 1 U 351/56, NJW 1957, 1560 f.; OLG Hamm v. 19.3.1979 – 8 U 151/78, AG 1981, 53 (zur GmbH). 6 Ausführlich H.-F. Müller, ZGR 2004, 842, 845 ff. 7 Vgl. Karsten Schmidt, AG 2006, 597, 604 (betr. AG). 8 BGH v. 7.11.1994 – II ZR 248/93, AG 1995, 133 = GmbHR 1995, 113 = DStR 1995, 498 m. Anm. Goette; OLG Düsseldorf v. 17.12.1999 – 16 U 29/99, GmbHR 2000, 569; KG v. 19.7.1999 – 23 U 3401/97, NZG 2000, 103, 104; Priester in Scholz, § 55 GmbHG Rz. 33; krit. m.w.N. Haas in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 345. 9 Dagegen jetzt Koch in Hüffer, § 182 AktG Rz. 32a; distanziert hier schon die 4. Aufl., Rz. 7.15; Karsten Schmidt, AG 2006, 597, 604.

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7.15

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

gen vom Zugewinn durch Kapitalerhöhung ausschließende – Verteilung der Masse bestimmt und dann die Kapitalerhöhung im Rahmen eines bedingten Insolvenzplans (§ 249 InsO) von den Gesellschaftern beschlossen werden könnte1. Diese Herauslösung des erhöhten Kapitals aus der zu verteilenden Masse sollte eine „konkursfreie“, also vom Insolvenzbeschlag nicht betroffene Sanierungsmasse herbeiführen. Doch kennt die Insolvenzordnung eine solche Sondermasse nicht. 7.15 cc) Zweifelhaft ist, ob auch die nach § 92 InsO (Liquidation eines Gesamtschadens) bzw. nach § 93 InsO (Geltendmachung der Gesellschafterhaftung) vom Insolvenzverwalter zu verfolgenden Ansprüche zur Insolvenzmasse gehören2. Richtigerweise wird dies zu verneinen sein3, denn der Verwalter macht hier Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger, nicht Ansprüche der Gesellschaft geltend4. Ob der Insolvenzverwalter die eingezogenen Beträge dann separat verwalten muss oder jedenfalls faktisch der Masse zuführen darf, ist eine andere Frage. Im Fall des § 93 InsO ist die Einziehung zur Masse unschädlich, solange nicht Altgesellschafter im Spiel sind, die nicht für alle Verbindlichkeiten haften. Im Fall des § 92 InsO kann der Verwalter in Konsequenz einer hier kritisierten Rechtsprechung zu getrennter Verwaltung für die haftungsbegünstigten Gläubiger angehalten sein (dazu vgl. Rz. 11.27). 7.16 c) Bei öffentlich-rechtlichen Genehmigungen wird üblicherweise zwischen personenbezogenen Erlaubnissen (z.B. der gewerberechtlichen Erlaubnis) und Sachgenehmigungen (z.B. für den Betrieb einer Anlage) unterschieden5. Diese Unterscheidung führt nicht viel weiter6, schon gar nicht bei der Handelsgesellschaft. Hier kann es nur darum gehen, ob die Erlaubnis unternehmensbezogen ist und trotz Insolvenz fortbesteht, was i.d.R. der Fall ist. Ob sie mit dem Betrieb oder der Anlage auf einen Dritten übergehen kann, ist erst im Fall einer übertragenden Sanierung von Belang (zu dieser Rz. 7.141 ff.). Solange sie der Gesellschaft noch zukommt, gilt sie unter der Leitung des Insolvenzverwalters weiter. 2. Massefreies Gesellschaftsvermögen? 7.17 a) Umstritten ist, ob es massefreies Gesellschaftsvermögen gibt. Die herrschende Auffassung bejaht diese Frage7. Nach § 36 InsO umfasst die Masse nicht die unpfändbaren Gegenstände mit Ausnahme wiederum der Geschäftsbücher. Die Re1 2 3 4

Hüffer, 8. Aufl. 2008, § 182 AktG Rz. 32b. Dazu Oepen, Massefremde Masse, 1999, Rz. 11. A.M. wohl Klopp/Kluth/Wimmer in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 26 Rz. 17 f. Vgl. BGH v. 8.5.2003 – IX ZR 334/01, NJW-RR 2003, 1042, 1044; BGH v. 22.4.2004 – IX ZR 128/03, ZIP 2004, 1218, 1220. 5 Hirte in Uhlenbruck, § 35 InsO Rz. 270; Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 511 ff.; Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157, 1158 ff. 6 Vgl. auch Henckel in Jaeger, § 35 InsO Rz. 11. 7 Vgl. nur BGH v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32 = NJW 2005, 2015 = ZIP 2005, 1034; BVerwG v. 22.10.1998 – 7 C 38/97, NJW 1999, 1416; BVerwG v. 23.9.2004 – 7 C 22/03, NZI 2005, 51 = NVwZ 2004, 1505; VGH Kassel v. 11.9.2009 – 8 B 1712/09, NJW 2010, 1545; OVG Lüneburg v. 3.12.2009 – 7 ME 55/09, NJW 2010, 1546; Haas/Kohlmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 338; Schumacher in Münchener Kommentar zur InsO, § 85 InsO Rz. 26 ff.

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Die Insolvenzmasse

7.18

gelungen über die Unpfändbarkeit (§§ 811, 850 ff. ZPO) sind aber ganz auf natürliche Personen zugeschnitten. Eine Ausnahme für Handelsgesellschaften enthält § 36 InsO nicht. Deshalb ist auch unter der Geltung der Insolvenzordnung immer noch davon die Rede, dass es auch im Insolvenzverfahren der Gesellschaft massefreies Vermögen gibt1. Massefreies Vermögen entsteht bei Handelsgesellschaften nach der herrschenden Auffassung zwar nicht durch Unpfändbarkeit (§ 36 InsO), wohl aber durch Freigabe, also durch Rechtsgeschäft des Insolvenzverwalters (dazu Rz. 7.19 ff.). b) Stellungnahme: Nach der hier vertretenen – unter der Geltung der Konkursord- 7.18 nung noch fast einmütig bestrittenen2 – Auffassung gab es schon vor dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung im Gesellschaftskonkurs kein massefreies Vermögen3. Die Begründung bestand darin, dass die Formulierung des § 1 KO (Rz. 7.10) nicht auf das Abwicklungsverfahren in der Insolvenz einer Gesellschaft, sondern ganz auf das als Gesamtvollstreckung verstandene Konkursverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person zugeschnitten war. Dieser gesetzliche Mangel ist, was den Hinzuerwerb anlangt, durch den Wortlaut des § 35 InsO behoben, während § 36 InsO immer noch von der Nicht-Massezugehörigkeit unpfändbarer Gegenstände spricht. Trotzdem ist nach dem Recht der InsO der herrschenden Auffassung noch entschiedener zu widersprechen als nach dem alten Konkursrecht (vgl. Rz. 7.22)4: Das Insolvenzverfahren zielt, wie § 199 Satz 2 InsO zeigt, auf Vollabwicklung der Schuldnergesellschaft (vgl. Rz. 4.3; str.)5, macht also – vorbehaltlich einer Verfahrenseinstellung oder Sanierung – die Abwicklung des ungeteilten Gesellschaftsvermögens zur Aufgabe des Insolvenzverwalters. Die Annahme, es gebe massefreies Vermögen, für dessen Verwaltung die Geschäftsführer zuständig seien, ist entgegen der vorerst noch herrschenden Meinung mit den Grundregeln der Gesellschaftsinsolvenz unvereinbar. Insbesondere eine Freigabe aus der Masse ist deshalb nicht anzuerkennen (Rz. 7.22).

1 Vgl. nur BGH v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32, 34 f. = ZIP 2005, 1034, 1035; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 73 f.; Lüdtke in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 35 InsO Rz. 69 f.; Eickmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 47 f.; Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 104 ff.; Hirte in Uhlenbruck, § 35 InsO Rz. 121, 305. 2 Vgl. nur BGH v. 28.3.1996 – IX ZR 77/95, GmbHR 1996, 462 = NJW 1996, 2035, 2036 = ZIP 1996, 842, 844; unentschieden BGH v. 21.3.1995 – XI ZR 189/94, NJW 1995, 1483, 1484 = ZIP 1995, 659, 660; BVerwG v. 26.9.1996 – 7 C 61/95, ZIP 1996, 1991, 1992. 3 Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze, § 1 KO Anm. 3 D a; Scholz/Karsten Schmidt, 8. Aufl. 1995, § 63 GmbHG Rz. 54; Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 70 f., 99 ff.; zust. OVG Mecklenburg-Vorpommern v. 16.1.1997 – 3 L 94/96, ZIP 1997, 1460. 4 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 325; Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 73 ff.; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 1 InsO Rz. 14; Karsten Schmidt, NJW 2010, 1489, 1493 f.; Karsten Schmidt, NJW 2012, 344; H.-F. Müller, Der Verband in der Insolvenz, 2002, S. 36 ff.; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 35 InsO Rz. 32; Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 122; Karsten Schmidt, ZGR 1998, 636 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2000, 1913, 1916 f.; Karsten Schmidt, NJW 2010, 1489, 1493; sympathisierend H.-F. Müller in Jaeger, § 35 InsO Rz. 145 ff. 5 Hiergegen freilich BGH v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, BGHZ 163, 22, 34 = ZIP 2005, 1034.

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7.19

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

3. Die Freigabe von Massegegenständen a) Terminologie 7.19 Die Frage, ob es massefreies Vermögen gibt, hat erhebliche praktische Bedeutung in Bezug auf die Freigabe von Massegegenständen aus der Masse. Die Praxis unterscheidet zwischen der echten Freigabe und Sonderformen der Freigabe. Die echte Freigabe löst den freigegebenen Gegenstand aus dem Insolvenzbeschlag und lässt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners wieder aufleben. Mit der Freigabe wird der freigegebene Gegenstand massefreies Vermögen. Nur von dieser Variante ist die Rede, wenn darüber gestritten wird, ob es die Freigabe in der Gesellschaftsinsolvenz überhaupt „gibt“. Eine Regelung fehlt, doch setzt § 32 Abs. 3 InsO die Freigabe aus der Masse als möglich voraus. Für natürliche Personen als Schuldner ist dies denn auch unbestritten. 7.20 Grundsätzlich anerkannt ist auch die – zulässige – „erkaufte“ Freigabe, d.h. die Freigabe gegen ein vom Schuldner in die Masse zu zahlendes angemessenes Entgelt1. Ein weiterer gesetzlich geregelter Fall der Freigabe ist die Prozessfreigabe (§ 85 Abs. 2 InsO2). Ließe man die Freigabe nicht zu, wäre der Verwalter daran gehindert, die Aufnahme eines Aktivprozesses abzulehnen. Die Ablehnung ist notwendig mit der Freigabe verbunden3. Sonderformen der Freigabe, die hier nicht weiterverfolgt werden, sind die „unechte“ und die „modifizierte“ Freigabe. Als „unechte Freigabe“ wird die Freigabe eines in Wahrheit der Freigabe gar nicht bedürftigen, weil massefremden Gegenstands bezeichnet4. Dieser Sachverhalt ist nichts anderes als eine freiwillige Aussonderung. Auch die Herausgabe an den Schuldner in der Annahme, der Gegenstand sei pfändungs- und deshalb massefrei (§ 36 InsO), kann der „unechten Freigabe“ zugeordnet werden: ein bei Privatinsolvenzen sicherlich alltäglicher, aber rechtlich uninteressanter Fall und vollends kein Thema für die Gesellschaftsinsolvenz. Unproblematisch ist auch die Freigabe von Sicherungsgut zwecks Verwertung durch den Sicherungsgläubiger (§ 168 Abs. 3 Satz 1 InsO i.V.m. § 170 Abs. InsO). Nicht mit diesen Fragen zu verwechseln ist schließlich die – irreführend sog. – „modifizierte Freigabe“, durch die der Verwalter den Schuldner – im Fall einer GmbH also die Geschäftsführer – ermächtigt, bestimmte zur Masse gehörige Rechte geltend zu machen5. Diese Ermächtigung ist keine Freigabe aus der Masse6, sondern eine Art individuelle Eigenverwaltung. Sie ist zulässig, sofern dadurch nicht Prozesskostenerstattungsansprüche eines Prozessgegners vereitelt werden. Die geltend zu machenden Ansprüche bleiben Massebestandteile, und die vom Geschäftsführer eingeklagten Beträge fallen ebenso in die Masse, wie die Forderungen dazu gehört haben.

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Vgl. Uhlenbruck, KTS 2004, 275, 279 m.w.N. BGH v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, NZI 2005, 387. Henckel in FS Kreft, 2004, S. 291, 303/304. Vgl. Adolphsen in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 40 Rz. 3; Hirte in Uhlenbruck, § 35 InsO Rz. 85; Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 86. 5 Hirte in Uhlenbruck, § 35 InsO Rz. 87 („fiduziarische Freigabe”); Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 88. 6 Missverständlich Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 35 InsO Rz. 26.

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Die Insolvenzmasse

7.22

b) Der Streit um die Zulässigkeit der „echten“ Freigabe Die herrschende Auffassung hält die Freigabe einzelner Gegenstände aus der 7.21 Masse auch im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person oder Personengesellschaft für möglich1. Hierfür werden im Wesentlichen folgende Gründe angeführt2: Aus dem in § 1 InsO normierten Grundsatz der bestmöglichen Befriedigung folge, dass das Ziel der Vollbeendigung der Gesellschaft im Insolvenzverfahren jedenfalls dort zurücktreten müsse, wo es in Widerspruch zu dem Belangen der Gläubigergesamtheit gerate. Ein rechtlich schutzwürdiges Bedürfnis, dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit der Freigabe einzuräumen, bestehe regelmäßig dort, wo zur Masse Gegenstände gehören, die wertlos sind oder unverhältnismäßige Kosten verursachen. Das berechtigte Interesse der Gläubiger, aus der Masse eine Befriedigung ihrer Ansprüche zu erhalten und deshalb möglichst die Entstehung von Verbindlichkeiten zu vermeiden, die das zur Verteilung zur Verfügung stehende Vermögen schmälern, habe im Rahmen der insolvenzrechtlichen Abwicklung unbedingten Vorrang, insbesondere bei wertausschöpfend belasteten oder erheblich kontaminierten Grundstücken3. Es sei mit dem Zweck der Gläubigerbefriedigung nicht zu vereinbaren, Gegenstände, die nur noch geeignet sind, das Schuldnervermögen zu schmälern, allein deshalb in der Masse zu behalten, um eine Vollbeendigung der Gesellschaft zu bewerkstelligen4. Richtigerweise ist eine echte Freigabe von Massegegenständen aus der Masse 7.22 einer Gesellschaft abzulehnen, weil sie mit den Besonderheiten der Unternehmensinsolvenz nicht in Einklang zu bringen ist (vgl. schon zur Frage des massefreien Vermögens Rz. 7.18)5, und zwar unabhängig von der Frage, ob das Ordnungsrecht (früher Polizeirecht) eine solche Maßnahme als enthaftend anerkennen dürfte. Die Zustandsverantwortlichkeit im Insolvenzverfahren wird bei Rz. 7.25 ff. besonders behandelt. Nach der hier vertretenen Auffassung kann die Zustandsverantwortlichkeit der Masse nicht durch Freigabe aus der Masse beendet werden, weil eine solche Freisetzung aus der Masse bzw. der insolventen Gesellschaft rechtlich nicht anzunehmen ist. 1 BGH v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32 = ZIP 2005, 1034 = NZI 2005, 387; BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, NZI 2001, 531; BGH v. 7.12 2006 – IX ZR 161/04, NJW-RR 2007, 845, 847 = ZIP 2007, 194, 196; BVerwG v. 23.9.2004 – 7 C 22/03, NZI 2005, 51 = NVwZ 2004, 1505; OLG Naumburg v. 1.3.2000 – 5 U 192/99, NZI 2000, 322; OLG Rostock v. 12.10.2000 – 7 U 125/99, NZI 2001, 96 = VIZ 2001, 276; VGH Kassel v. 11.9.2009 – 8 B 1712/09, NJW 2010, 1545; OVG Lüneburg v. 3.12.2009 – 7 ME 55/09, NJW 2010, 1546; Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 338; Hirte in Uhlenbruck, § 35 InsO Rz. 72, 305; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, § 80 InsO Rz. 9 ff.; Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 104 ff.; Schumacher in Münchener Kommentar zur InsO, § 85 InsO Rz. 26 ff.; Andres in Nerlich/Römermann, § 36 InsO Rz. 48 ff.; Smid, § 80 InsO Rz. 30; Uhlenbruck, KTS 2004, 275; Henckel in FS Kreft, 2004, S. 291; Lwowski/Tetzlaff, WM 1999, 2336, 2345 ff. 2 Vgl. schon Vallender in der 4. Aufl., Rz. 7.18. 3 BGH v. 21.3.2005 – IX ZR 281/03, NZI 2005, 388. 4 Henckel in FS Kreft, 2004, S. 302 ff.; Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 114; Smid, § 80 InsO Rz. 30. 5 Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 73 ff.; zuletzt Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 1 InsO Rz. 14; Karsten Schmidt, NJW 2010, 1489, 1492; zuerst Karsten Schmidt in GS W. Martens, 1987, S. 714 f.; Karsten Schmidt, KTS 1984, 345, 366; Karsten Schmidt, KTS 1988, 1, 6 f.; Karsten Schmidt, ZIP 1997, 1441 ff.

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7.23

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

IV. Das Altlastenproblem 7.23 Die umweltrechtliche Verantwortung in der Insolvenz einer Handelsgesellschaft, insbesondere die rechtliche und wirtschaftliche Behandlung der sog. Altlasten, ist zu einer komplizierten Spezialmaterie geworden1. Abgesehen von den schwer übersehbaren öffentlich-rechtlichen Belangen spielt sie auch für die Beurteilung der Befriedigungschancen der Gläubiger eine große Rolle. Hiermit zusammenhängend schlägt sich die schwierige Beurteilung in den Strategien des Insolvenzverwalters nieder. Ihm obliegt die Entscheidung, ob er – jede Zustandshaftung der Gesellschaft auf Kosten der Masse beenden, insbesondere jede Bodenverunreinigung unter Begründung von Masseschulden (§ 55 InsO) beheben bzw. von Spezialunternehmen beheben lassen soll oder – alles tun wird, um diese Last – im Zweifel auf Kosten des Fiskus – von der Masse fern zu halten. 1. Abgrenzung des Problems a) Gefahrverursachung nach der Verfahrenseröffnung 7.24 Unstreitig sind hierbei die Fälle, in denen die Ordnungspflicht auf einem Verhalten des Insolvenzverwalters selbst (Handlungshaftung) oder einem nach Insolvenzverfahrenseröffnung entstandenen ordnungswidrigen Zustand (Zustandshaftung) beruht2. Hier gibt es zwar Meinungsverschiedenheiten in der Begründung, doch steht im Ergebnis fest, dass der Verwalter der Ordnungspflicht mit Mitteln der Masse nachkommen muss3. Ob er auch persönlich ordnungspflichtig ist4, braucht hier nicht diskutiert zu werden. Frage des Einzelfalls ist, ob der Verwalter bei der Begründung der Ordnungspflicht pflichtwidrig gehandelt und sich hierdurch nach § 60 InsO schadensersatzpflichtig gemacht hat. Ist dies der Fall, so muss er im Verhältnis zur Masse die Beseitigungskosten übernehmen. Charakteristisch hierfür ist der folgende Leitsatz des Bundesverwaltungsgerichts im sog. Schmelzhüttenfall von 19985: „Führt ein Konkursverwalter eine immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlage des Gemeinschuldners fort, muss er als Betreiber der Anlage Reststoffe auch dann nach Maßgabe des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG a.F. als Abfälle beseitigen, wenn diese bereits vor Konkurseröffnung im Betrieb angefallen waren.“

1 Umfassend Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 13.13–13.20; Lüke in Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, § 22; Lwowski/Tetzlaff, Umweltrisiken und Altlasten in der Insolvenz, 2002; Henckel in Jaeger, § 38 InsO Rz. 26 ff.; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 77–103; Hess, § 38 InsO Rz. 58 ff.; Röpke in Hess, § 55 InsO Rz. 50–76; Sinz in Uhlenbruck, § 55 InsO Rz. 29 ff.; Mock in Uhlenbruck, § 80 InsO Rz. 247 ff.; dort jeweils umfassende Nachw.; zusammenfassend Vierhaus, ZInsO 2007, 127; Karsten Schmidt, NJW 2010, 1489; Karsten Schmidt, NJW 2012, 3344. 2 BVerwG v. 22.10.1998 – 7 C 38/97, ZIP 1998, 2167. 3 Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 94; Röpke in Hess, § 55 InsO Rz. 52; Sinz in Uhlenbruck, § 55 InsO Rz. 30. 4 Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 90a. 5 BVerwG v. 22.10.1998 – 7 C 38/97, ZIP 1998, 2167.

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Das Altlastenproblem

7.27

b) Gefahrverursachung vor der Verfahrenseröffnung Umstritten ist die ordnungsrechtliche Behandlung derjenigen Fälle, in denen die 7.25 Ordnungspflicht bereits vor der Verfahrenseröffnung entstanden war. Spezialregelungen sind nicht vorhanden. Neben den allgemeinen ordnungsrechtlichen Bestimmungen spielt aus dem Bundes-Bodenschutzgesetz vor allem dessen § 4 eine Rolle, der auszugsweise mitgeteilt sei: (1) Jeder, der auf den Boden einwirkt, hat sich so zu verhalten, dass schädliche Bodenveränderungen nicht hervorgerufen werden. (2) Der Grundstückseigentümer und der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück sind verpflichtet, Maßnahmen zur Abwehr der von ihrem Grundstück drohenden schädlichen Bodenveränderungen zu ergreifen. (3) Der Verursacher einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast sowie dessen Gesamtrechtsnachfolger, der Grundstückseigentümer und der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück sind verpflichtet, den Boden und Altlasten sowie durch schädliche Bodenveränderungen oder Altlasten verursachte Verunreinigungen von Gewässern so zu sanieren, dass dauerhaft keine Gefahren, erheblichen Nachteile oder erheblichen Belästigungen für den einzelnen oder die Allgemeinheit entstehen. Hierzu kommen bei Belastungen durch Schadstoffe neben Dekontaminations- auch Sicherungsmaßnahmen in Betracht, die eine Ausbreitung der Schadstoffe langfristig verhindern. Soweit dies nicht möglich oder unzumutbar ist, sind sonstige Schutz- und Beschränkungsmaßnahmen durchzuführen. Zur Sanierung ist auch verpflichtet, wer aus handelsrechtlichem oder gesellschaftsrechtlichem Rechtsgrund für eine juristische Person einzustehen hat, der ein Grundstück, das mit einer schädlichen Bodenveränderung oder einer Altlast belastet ist, gehört, und wer das Eigentum an einem solchen Grundstück aufgibt. (4) … (5) … (6) Der frühere Eigentümer eines Grundstücks ist zur Sanierung verpflichtet, wenn er sein Eigentum nach dem 1. März 1999 übertragen hat und die schädliche Bodenveränderung oder Altlast hierbei kannte oder kennen musste. Dies gilt für denjenigen nicht, der beim Erwerb des Grundstücks darauf vertraut hat, dass schädliche Bodenveränderungen oder Altlasten nicht vorhanden sind, und sein Vertrauen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles schutzwürdig ist.

Nahezu jede Frage im Umgang mit den Ordnungspflichten in der Insolvenz ist 7.26 umstritten. Die folgende Darstellung kann schon wegen der Vielfalt der Probleme nur skizzenhafte Orientierungen geben, zumal auch die Entwicklung der Rechtsprechung noch immer im Fluss ist. 2. Die Grundlinien: „massefreundliche“ und „massefeindliche“ Auffassungen Die mit dieser Überschrift verwendeten Schlagwörter dürfen nicht als Wertungen 7.27 missverstanden werden, etwa in dem Sinne, es gehe um „gute“ und „böse“ Auffassungen. Worum es geht, ist nur1: Kann die Masse von den aus Ordnungs- und Umweltrecht resultierenden finanziellen Lasten freigehalten werden („massefreundliche“ Lösung), oder muss die Masse ohne Wenn und Aber für die auf ihr lastenden Umwelthaftungen geradestehen („massefeindliche“ Lösung)? Es ver1 Ausführlicher Karsten Schmidt, ZIP 2000, 1913, 1915; Karsten Schmidt, NJW 2010, 1489, 1491.

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7.28

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

steht sich, dass die „massefreundliche“ Lösung in der Insolvenzpraxis viele Freunde hat: Die jede Schmälerung der Masse fürchtenden Gläubiger, die absonderungsberechtigten – z.B. durch Grundschulden gesicherten – und jede Entwertung des kontaminierten Grundstücks fürchtenden dinglichen Gläubiger, die an einer Sanierung interessierten Arbeitnehmer und mit ihnen allen die Verwalter. Die schwankende Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hat sich, wie noch zu zeigen sein wird, von einer „massefreundlichen“ allmählich in eine „massefeindliche“ Richtung entwickelt. Die Streubreite der weit ausdifferenzierten Literatur soll hier anhand von typischen Exponenten dargestellt werden. a) „Massefreundliche“ Lösungen 7.28 Charakteristisch für die „massefreundlichen“ Lösungen ist neben den Äußerungen aus der Verwalterprofession1 und mehreren Beiträgen aus der Wissenschaft2 das große Handbuch von Lwowski/Tetzlaff3. Diese Sicht der Dinge dominierte noch vor wenigen Jahren in der Rechtsprechung4. Im Wesentlichen läuft die „massefreundliche“ Auffassung auf folgende Eckpunkte hinaus: – Die Rechtsprechung unterscheidet streng zwischen einer Ordnungspflicht nur der Gesellschaft oder des Insolvenzverwalters als des „Betreibers“5. – Störungen, die nach der Verfahrenseröffnung im Herrschaftsbereich des Verwalters als des „Betreibers“ entstanden sind, sind auf Kosten der Masse zu beseitigen. Die Masse (der Verwalter) ist, wie immer man dies rechtlich konstruiert, ordnungspflichtig und kann Adressatin von Ersatzvornahmeverfügungen sein. Ersatzvornahmekosten sind dann als Masseschulden zu begleichen (unstreitig)6. – Störungen, die zwar der GmbH, aber nicht „dem Verwalter“ (der Masse) zuzurechnen sind, begründen keine Ordnungspflicht der Masse („des Verwalters“)7. Die Ordnungspflicht ist in diesem Fall Insolvenzverbindlichkeit. Auch Ersatz-

1 Vgl. nur Kilger in FS Merz, 1992, S. 267 ff.; Petersen, NJW 1992, 1205 ff. 2 Vgl. mit erheblichen Unterschieden im Detail; Häsemeyer in FS Uhlenbruck, 2000, S. 97 ff.; Lüke in Kölner Schrift zur InsO, S. 859 ff.; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 78 ff.; Henckel in Jaeger, § 38 InsO Rz. 27; Mock in Uhlenbruck, § 80 InsO Rz. 248 ff.; Sinz in Uhlenbruck, § 55 InsO Rz. 30 ff.; Smid, § 35 InsO Rz. 12; Westpfahl, Umweltschutz und Insolvenz, 1998, S. 85 ff., 111 ff.; v. Wilmowsky, ZIP 1997, 389 ff. 3 Lwowski/Tetzlaff, Umweltrisiken und Altlasten in der Insolvenz, 2002; vgl. auch Lwowski/Tetzlaff, WM 2005, 921 ff. 4 Nachweise und Kritik in der 2. Aufl., Rz. 758 f. 5 Charakteristisch BVerwG v. 23.9.2004 – 7 C 22/03, BVerwGE 122, 75 = NZI 2005, 51 = ZIP 2004, 2145; OVG Magdeburg v. 19.7.2012 – 1 L 67/11, NJOZ 2012, 1949; Lüke in Kölner Schrift, 3. Aufl., Kap. 22 Rz. 22. 6 BVerwG v. 23.9.2004 – 7 C 22/03, BVerwGE 122, 75, 80 = NZI 2005, 51, 52 = ZIP 2004, 2145, 2146. 7 Vgl. BVerwG v. 22.10.1998 – 7 C 38.97, BVerwGE 107, 299 = NJW 1999, 1416 = NZI 1999, 37; BVerwG v. 10.2.1999 – 11 C 9/97, BVerwGE 108, 269 = NVwZ 1999, 653 = NZI 1999, 246 = ZIP 1999, 538; ganz ähnlich BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, BGHZ 148, 252, 258 = ZIP 2001, 1469; zust. für viele Mock in Uhlenbruck, § 80 InsO Rz. 247 f.

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7.29

vornahmekosten brauchen nur als Insolvenzverbindlichkeiten beglichen zu werden1. – Sofern keine eigene Ordnungspflicht der Masse („des Verwalters“) vorliegt, kann der Verwalter die Masse durch Freigabe kontaminierter und somit ordnungswidriger Sachen von der Ordnungspflicht und damit auch von Ersatzvornahmekosten befreien2. b) „Massefeindliche“ Lösungen Eine krasse Gegenposition, also eine konsequent „massefeindliche“ Lösung, wird 7.29 seit geraumer Zeit vom Verfasser vertreten3. Sie ist sich mit der „massefreundlichen“ Lösung selbstverständlich darin einig, dass eine vom Verwalter als „Betreiber“ nach der Verfahrenseröffnung begründete Umwelthaftung auf Kosten der Masse zu erfüllen ist und dass im Insolvenzverfahren anfallende Ersatzvornahmekosten in diesem Fall Masseschulden begründen (Rz. 7.38). Dasselbe nimmt aber die hier vertretene Auffassung auch für den Fall an, dass die Ordnungspflicht bereits vor der Insolvenzeröffnung bestanden hatte. Die Altlastenhaftung belastet die Masse und schmälert deren Nettowert. Es ist deshalb ökonomisch einleuchtend, aber auch juristisch wohlbegründet, wenn der Insolvenzverwalter unter Begründung von Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) für Beseitigung der in der Masse begründeten Störung sorgt und auch die Kosten einer nach Verfahrenseröffnung angeordneten und vorgenommenen Ersatzvornahme als Masseverbindlichkeiten beglichen werden müssen4. Diese Lösung basiert auf einer Reihe von – Stück für Stück umstrittenen – Annahmen5: – Erstens geht es nicht, wie die „Amtstheorie der Insolvenzverwaltung“ suggeriert, um eine Ordnungspflicht des Verwalters, sondern es geht um die kontinuierlich die GmbH und ihr Vermögen treffende Ordnungspflicht6. – Zweitens ist die Annahme verfehlt, es handle sich bei der Ordnungspflicht selbst entweder um eine Insolvenzverbindlichkeit oder um eine Masseschuld der GmbH7. Die Ordnungspflicht ist eine objektivrechtliche Pflicht und als solche überhaupt keine Schuld, also auch keine Insolvenz- oder Masseverbind1 Vgl. VGH Mannheim v. 11.12.1990 – 10 S 7/90, BB 1991, 237; dazu Lwowski/Tetzlaff, Umweltrisiken und Altlasten in der Insolvenz, 2002, Rz. E 156; Sinz in Uhlenbruck, § 55 InsO Rz. 30; Kritik bei Karsten Schmidt, BB 1991, 1273 ff.; zusammenfassend Karsten Schmidt, NJW 2012, 3344, 3346. 2 BVerwG v. 20.1.1984 – 4 C 37/80, NJW 1984, 2427; dazu Lwowski/Tetzlaff, Umweltrisiken und Altlasten in der Insolvenz, 2002, Rz. C 36 ff., F 1 ff., F 90 ff.; s. auch VGH Kassel v. 11.9.2009 – 8 B 1712/09, NJW 2010, 1545; OVG Lüneburg v. 3.12.2009 – 7 ME 55/09, NJW 2010, 1546; Kritik bei Karsten Schmidt in GS W. Martens, 1987, S. 178 f. und öfter. 3 Vgl. 3. Aufl., Rz. 758 f.; Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 70 ff.; Karsten Schmidt in GS W. Martens, 1987, S. 699 ff.; Karsten Schmidt in Jahrbuch des Technikund Umweltrechts 1990, S. 235 ff.; Karsten Schmidt, NJW 1993, 2833 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 1997, 1441 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2000, 1913 ff.; Karsten Schmidt, NJW 2010, 1489 ff. 4 Zusammenfassend Karsten Schmidt, ZIP 2000, 1913 ff. mit umfassenden Angaben. 5 Vgl. Karsten Schmidt, ZIP 2000, 1913 ff.; Karsten Schmidt, NJW 2010, 1489 ff.; Karsten Schmidt, NJW 2012, 3344 f.; Gegenpositionen in nahezu jedem Punkt bei Lwowski/Tetzlaff, Umweltrisiken und Altlasten in der Insolvenz, 2002, Rz. C 36 ff., F 1 ff., F 90 ff. 6 Karsten Schmidt, ZIP 2000, 1913, 1916, 1918; Karsten Schmidt, NJW 2012, 3344, 3345. 7 Zum diesbezüglichen Streitstand vgl. Hess, § 38 InsO Rz. 62 ff.

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lichkeit1. Die Ordnungspflicht kann zwar Verbindlichkeiten (z.B. zur Zahlung von Ersatzvornahmekosten) auslösen, unrichtig ist aber die Annahme, dass sie selbst eine Verbindlichkeit ist. Schon die Frage, wie diese vermeintliche Verbindlichkeit passiviert werden soll, zeigt die Unhaltbarkeit eines solchen Ansatzes. Als objektivrechtliche Pflicht trifft sie die GmbH vor und nach der Insolvenz und schmälert den Wert der kontaminierten Masse durch den von ihr drohenden Aufwand (Kontinuität der Ordnungspflicht). – Drittens ist der Verwalter, weil er das Management im Außenverhältnis verdrängt hat (nach der vom Verfasser vertretenen Ansicht sogar als Insolvenzorgan der GmbH agiert), verpflichtet, der die Masse belastenden Ordnungspflicht der GmbH nachzukommen2. Diese Pflicht ist nicht in seiner Person, sondern bei der GmbH als Rechtsträgerin begründet, aber sie trifft ihn aus organisationsrechtlichen Gründen in dem Sinne, dass er, wie vor der Insolvenz die Geschäftsführer, für die Pflichterfüllung zuständig ist. Diese Zuständigkeit des Verwalters wirkt sich auch auf sein Verhältnis zu den Gläubigern aus: Er darf Masseverbindlichkeiten durch sein Tun (Beseitigung) oder Unterlassen (Ersatzvornahme) begründen, ohne sich eine Schädigung der Masse und Schmälerung der Gläubigerrechte vorhalten lassen zu müssen. – Viertens begründet nicht nur eine vom Verwalter selbst in Auftrag gegebene Beseitigung, sondern auch eine staatliche Ersatzvornahme eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, denn sie ist durch ein Verhalten des Verwalters (nämlich ein gesetzwidriges Unterlassen, das einer Handlung gleichsteht) begründet3. – Fünftens ist eine echte Freigabe von Vermögensgegenständen aus der Masse einer insolventen GmbH ausgeschlossen (Rz. 7.22) und wenn sie zulässig wäre, würde sie ordnungsrechtlich weder die Gesellschaft noch die Masse entlasten. 7.30 Im Ergebnis bedeutet dies, dass eine Altlastenbeseitigung auf Kosten der Masse zu geschehen hat. Doch ist dies nicht herrschende Meinung (vgl. zu den Konsequenzen für das Verhalten des Verwalters Rz. 7.39). Diese bedarf dringend einer Korrektur im Grundsätzlichen4. 3. Stand der Rechtsprechung zur Ordnungspflicht 7.31 Die Rechtsprechung ist unübersichtlich, die Kasuistik kompliziert. Tendenziell kommt aber die Gerichtspraxis dem Bestreben nach „massefreundlichen“ Lösungen entgegen.

1 OVG Greifswald v. 16.1.1997 – 3 L 94/96, ZIP 1997, 1460, 1462; Karsten Schmidt, zuerst BB 1991, 1273, 1278, zuletzt Karsten Schmidt, NJW 2012, 3344, 3346; zust. Ehricke in Münchener Kommentar zur InsO, § 38 InsO Rz. 39. 2 Vgl. Karsten Schmidt, ZIP 2000, 1913, 1918; Karsten Schmidt, NJW 2010, 1489, 1492. 3 Wie hier insofern jetzt Rieß in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 54; Lohmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 13. 4 Vgl. zusammenfassend den Aufruf in NJW 2010, 1489, 1493 unter IV 1 sowie NJW 2012, 3344, 3347 unter V 2.

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7.34

a) Begründung der Ordnungspflicht Der IV. Senat des Bundesverwaltungsgerichts – vormals ganz „massefreundlich“1 7.32 – hat im Jahr 1999 in Bestätigung eines Urteils des OVG Greifswald2 einen durchaus „massefeindlichen“ Ansatz verfolgt3: „Die an einen Gesamtvollstreckungsverwalter gerichtete Anordnung zur Beseitigung einer Störung, die von Massegegenständen ausgeht, ist unabhängig vom Entstehungszeitpunkt dieser Störung keine Gesamtvollstreckungsforderung, sondern wie eine Masseverbindlichkeit zu behandeln.“

Sieht man einmal von der Fehlkonstruktion der Ordnungspflicht als Verbindlich- 7.33 keit ab (Rz. 7.29), so geht der Grundgedanke dahin, dass der Verwalter die ordnungsrechtlichen Pflichten erfüllen muss, die von der Masse ausgehen. Eine gegen dieses – nach Einschätzung des Verfassers zutreffende – Urteil eingelegte Verfassungsbeschwerde4 wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht angenommen. Das Bundesverwaltungsgericht hat den „massefeindlichen“ Ansatz bezüglich der Ordnungspflicht aus der Zustandshaftung durch ein Urteil vom 23.9.2004 bestätigt5: „Der Insolvenzverwalter kann nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG als Inhaber der tatsächlichen Gewalt für die Sanierung von massezugehörigen Grundstücken herangezogen werden, die bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kontaminiert waren. Eine solche Verpflichtung ist eine Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Bestätigung von BVerwG v. 10.2.1999 – 11 C 9.97, BVerwGE 108, 269 = ZIP 1999, 538).“ Dieselbe Entscheidung beschreitet dann allerdings bezüglich der Enthaftung durch Freigabe wieder einen ganz „massefreundlichen“ Weg (dazu Rz. 7.37). Vor allem aber hat das Bundesverwaltungsgericht zur Verhaltenshaftung ganz „massefreundlich“ ausgeführt6: „Soweit die Ordnungspflicht sich nicht aus der Verantwortlichkeit für den aktuellen Zustand von Massegegenständen ergibt, sondern an ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten anknüpft“ […] „kann die (bloße) Besitzergreifung von vornherein nicht zur persönlichen Inanspruchnahme des Insolvenzverwalters führen“.

Hier und in anderen Entscheidungen offenbart sich wieder der verhängnisvolle 7.34 Blick auf die vermeintliche Betreibereigenschaft bzw. Ordnungspflicht des Insolvenzverwalters statt der Gesellschaft (dazu Rz. 7.29). Als Spezifikum der Recht1 BVerwG v. 20.1.1984 – 4 C 37/80, NJW 1984, 2427; dazu neuerlich Lwowski/Tetzlaff, Umweltrisiken und Altlasten in der Insolvenz, 2002, Rz. C 36 ff., F 1 ff., F 90 ff.; dagegen hier schon durchgehend seit der 2. Aufl., Rz. 759. 2 OVG Greifswald v. 16.1.1997 – 3 L 94/96, ZIP 1997, 1460 = EWiR 1997, 989 (Pape); dazu kontrovers Karsten Schmidt, ZIP 1997, 1441; v. Wilmowsky, ZIP 1997, 1445. 3 BVerwG v. 10.2.1999 – 11 C 9/97, BVerwGE 108, 269 = ZIP 1999, 538 = EWiR 2000, 629 (Lüke/Blenske); dazu Jarchow in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 55 InsO Rz. 79; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 93; kritisch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 13.13a; Lwowski/Tetzlaff, Umweltrisiken und Altlasten in der Insolvenz, 2002, Rz. C 3 ff.; von Bismarck in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 33 Rz. 68 ff. 4 Dazu Tetzlaff, ZIP 2001, 10. 5 BVerwG v. 23.9.2004 – 7 C 22/03, BVerwGE 122, 75 = NZI 2005, 51 m. Anm. Segner = ZIP 2004, 2145; dazu etwa Röpke in Hess, § 55 InsO Rz. 58; Seidel/Flitsch, DZWiR 2005, 278, 280. 6 BVerwG v. 23.9.2004 – 7 C 22/03, BVerwGE 122, 75 = NZI 2005, 51, 52 = ZIP 2004, 2145, 2147; zust. Hirte in Uhlenbruck, § 35 InsO Rz. 77.

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sprechung erweist sich hier wieder die auf der Deutung des Insolvenzverwalteramts basierende Diskontinuitätsbetrachtung1. Diese Rechtsprechung wird deshalb zutreffend dahingehend geschildert, dass die Störerhaftung der Gesellschaft erlischt und durch die Haftung des Verwalters ersetzt werden muss2. 7.35 Eine ganz „massefreundliche“ Richtung, freilich bezogen auf die zivilrechtliche Haftung, hat auch der IX. Zivilsenat des BGH eingeschlagen. Er hat schon im Jahr 2001 ausgesprochen, dass die Insolvenzmasse im Insolvenzverfahren eines Mieters für einen vertragswidrigen Zustand der Masse nur insoweit haftet, als der Verwalter den Zustand durch ihm selbst zuzurechnende Handlungen verursacht hat3. Im Jahr 2002 hat er darüber hinaus entschieden, dass zivilrechtliche Ansprüche wegen Umweltschäden, die bereits vor der Verfahrenseröffnung bestanden, nur als Insolvenzforderungen zur Tabelle angemeldet werden können4. Beide Entscheidungen gehen zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf Distanz. Sie haben Zustimmung gefunden5. Überzeugen können sie aber nicht, weil sie eben nur von Forderungen gegen die Schuldnerin und nicht von der Ordnungspflicht sprechen. Deshalb geht auch die Überlegung fehl, der Staat dürfe gegenüber anderen Gläubigern nicht privilegiert werden6. Es geht nicht um Forderungen und ihren Rang, sondern schlicht um die Durchsetzung rechtmäßigen Verhaltens der insolventen Gesellschaft7. b) Befreiung durch Freigabe? 7.36 aa) Nach der bis heute herrschenden Auffassung kann „sich“ der Insolvenzverwalter durch Freigabe des kontaminierten Erdreichs aus der Masse von der ordnungsrechtlichen Zustandshaftung befreien (genauer: Er befreit nach der h.M. die Masse von der Umwelthaftung)8. Das OVG Lüneburg hat sogar eine nach dem Zugang der Entsorgungsverfügung vorgenommene Freigabe hierfür ausreichen lassen9, so dass ein gut informierter Anwalt Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Inanspruchnahme nicht nur einlegen, sondern auch durch klugen Rechtsrat begründet machen kann. Im Ergebnis bedeutet dies: Der Insolvenzverwalter trifft eine rechtsgebundene Entscheidung. Er steht vor der Wahl – entweder der Ordnungspflicht Genüge zu tun, und zwar im Zweifel mit Hilfe eines Spezialunternehmens, dessen Beauftragung Masseschulden generiert (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO), 1 2 3 4 5 6

Gesamtkritik bei Karsten Schmidt, NJW 2012, 3344, 3346. Mock in Uhlenbruck, § 80 InsO Rz. 249. BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, BGHZ 148, 252 = ZIP 2001, 1469. BGH v. 18.4.2002 – IX ZR 161/01, ZIP 2001, 1043. Vgl. nur Lüdtke in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 38 InsO Rz. 38. So etwa Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 13.13a; Häsemeyer in FS Uhlenbruck, 2000, S. 97, 103. 7 OVG Greifswald v. 16.1.1997 – 3 L 94/96, ZIP 1997, 1460; näher Karsten Schmidt, ZIP 1997, 1437, 1444; Karsten Schmidt, ZIP 2000, 1913, 1919; dort umfassende Nachw. 8 Zusammenfassend BVerwG v. 23.9.2004 – 7 C 22/03, BVerwGE 122, 75 = NZI 2005, 51 = ZIP 2004, 2145; ergänzend VGH Kassel v. 11.9.2009 – 8 B 1712/09, NJW 2010, 1545; OVG Lüneburg v. 3.12.2009 – 7 ME 55/09, NJW 2010, 1546; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 99 ff.; Kuleisa in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 80 InsO Rz. 39; Sinz in Uhlenbruck, § 55 InsO Rz. 31. 9 OVG Lüneburg v. 3.12.2009 – 7 ME 55/09, NJW 2010, 1546.

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7.38

– oder die Ersatzvornahme abzuwarten (zur Klassifikation der Ersatzvornahmekosten vgl. Rz. 7.38), – oder schließlich die Störerhaftung der Masse durch Freigabe zu beenden. bb) In einem Nichtannahmebeschluss vom 5.10.2005 hatte das Bundesverwal- 7.37 tungsgericht Gelegenheit, seine Rechtsprechung zu den ordnungsrechtlichen Wirkungen der Freigabe zu relativieren1. Es ging um die Heranziehung des klagenden Insolvenzverwalters zu Beseitigungs- und Reinigungsmaßnahmen sowie die Kosten einer Ersatzvornahme, die ihm als Konkursverwalter über das Vermögen des Unternehmens zur Glasherstellung auferlegt worden waren. Die Klage war in zwei Instanzen erfolglos geblieben. Der VGH hatte sich auf den Standpunkt gestellt, die umstrittenen Handlungsverpflichtungen, Ersatzvornahmeanordnungen und -androhungen seien rechtmäßig gewesen. Die vom Insolvenzverwalter eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision war erfolglos. Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts wurde in der ZInsO mit folgenden, nicht amtlichen Leitsätzen veröffentlicht: „1. An seine Stelle als Betreiber einer Anlage anknüpfende Ordnungspflichten treffen den Insolvenzverwalter persönlich, sind also als Masseverbindlichkeiten zu erfüllen. 2. Die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters in Bezug auf Abfälle kann seine Ordnungspflicht entfallen lassen. 3. Eine Freigabeerklärung entfaltet keine Wirkungen auf die Ordnungspflicht des Insolvenzverwalters, wenn sich trotz der Freigabeerklärung an den faktischen Besitzverhältnissen nichts ändert, die Freigabeerklärung also tatsächlich folgenlos bleibt.“

Dieser Beschluss weist in die richtige Richtung, packt aber das Problem noch immer nicht bei seiner Grundsätzlichkeit. Dies zeigt ein vom VGH Kassel entschiedener Fall, bei dem der Insolvenzverwalter mit der Freigabe die Übergabe der Schlüssel zum kontaminierten Grundstück verbunden und sich dadurch auch aus der Zustandshaftung herausgestohlen hatte2. Nach der hier vertretenen Auffassung wäre die Freigabemöglichkeit ganz abzulehnen gewesen. d) Ersatzvornahme und Ersatzvornahmekosten in der Insolvenz Nach der auf die 90er Jahre zurückgehenden Rechtsprechungstradition braucht 7.38 der Insolvenzverwalter, um die Masse nicht mit den vollen Beseitigungskosten zu belasten, nicht einmal das kontaminierte Erdreich freizugeben. Selbst wenn er dies nicht tut, wäre ihm immer noch davon abzuraten, einer Ordnungsverfügung unter Begründung von Masseschulden nachzukommen. Im Fall einer behördlichen Ersatzvornahme werden nämlich die Ersatzvornahmekosten herkömmlich als bloße Insolvenzforderungen eingeordnet3. Richtig und allein mit dem insolvenzrechtlichen Zurechnungssystem in Einklang zu bringen scheint demgegenüber die Behandlung als Masseschuld: Die Ersatzvornahme ist – wie eine Notgeschäftsführung nach §§ 679, 683 Satz 2 BGB – eine durch rechtswid1 BVerwG v. 5.10.2005 – 7 B 65/05, ZInsO 2006, 495, 496. 2 VGH Kassel 1.9.2009 – 8 B 1712/09, ZIP 2010, 92. 3 Vgl. nur VGH Mannheim v. 11.12.1990 – 10 S 7/90, BB 1991, 237 = NJW 1992, 64; Hess, § 38 InsO Rz. 68.

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riges Unterlassen des Insolvenzverwalters begründete Ersatzgeschäftsführung des Staates (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 InsO)1. 4. Verhaltensempfehlung und rechtspolitische Beurteilung 7.39 a) Vor dem Hintergrund der geschilderten Rechtsprechung und mit Blick auf die drohende Insolvenzverwalterhaftung nach § 60 InsO ist klar, wie sich der Verwalter hiernach verhalten wird. Er wird die haftungsbegründenden Gegenstände – meist: das kontaminierte Erdreich – freigeben2. Rechtspolitisch ist diese Praxis allerdings kaum tolerabel3. Sie ist auch juristisch abzulehnen, weil eine Freigabe in der Gesellschaftsinsolvenz nicht anzuerkennen ist (Rz. 7.22). Im Übrigen wäre auch ihre befreiende Wirkung zu bestreiten, wenn man die Freigabe denn als vermögensrechtlich wirksam behandeln wollte4. 7.40 b) Die hier vertretene Auffassung zum öffentlichen Recht hindert den Verwalter selbstverständlich auch nicht, in der Behandlung privatrechtlicher Ansprüche nach der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats zu verfahren. Er wird diese Ansprüche als bloße Insolvenzforderungen bedienen, soweit sie nicht auf eigenen Handlungen beruhen. Dasselbe gilt für Ersatzvornahmekosten aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung. Sie sind auch nach der hier vertretenen Ansicht bloße Insolvenzforderungen. Zweifelhaft ist die Behandlung von Schäden, die erst durch Nichtbeseitigung einer Störung während des Insolvenzverfahrens entstehen. Hier scheint sich eine echte Divergenz der höchstrichterlichen Rechtsprechung abzuzeichnen, es sei denn, man spricht der mit dem Bundesverwaltungsgericht anzunehmenden Handlungspflicht eine privatschützende Wirkung ab. 7.41 c) Die offenkundige Uneinigkeit selbst unter den obersten Gerichtshöfen des Bundes – eine Anrufung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes hat nicht stattgefunden – und das eben offenkundige Ungenügen am vorherrschenden Diskontinuitätsmodell sollte zur Anerkennung des hier vertretenen Kontinuitätsmodells führen5. Es gibt keinen Grund, die vom Insolvenzverwalter geführte Gesellschaft gegenüber einer durch einen Liquidator geführte Gesellschaft zu privilegieren6. Das sollte bedeuten: – Der Insolvenzverwalter ist gehalten, Altlasten ebenso zu beseitigen wie die von ihm selbst zu verantwortenden Störungen (Rechtsbehelfe gegen die Inanspruchnahme sind nach der hier vertretenen Auffassung unbegründet, allerdings angesichts des anhaltenden Streits nicht völlig aussichtslos). – Der Insolvenzverwalter macht sich deshalb nicht nach § 60 InsO schadensersatzpflichtig, wenn er von einer Freigabe absieht und zur Beseitigung Masseschulden begründet (nach der hier vertretenen Auffassung ist die Freigabe so1 Näher Karsten Schmidt, NJW 1993, 2833, 2836; zust. Röpke in Hess, § 55 InsO Rz. 55 ff. 2 Folgerichtig von Bismarck in Beck/Depré, § 33 Rz. 73. 3 Karsten Schmidt, ZIP 1997, 1437 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2000, 1913 ff.; Karsten Schmidt, NJW 2012, 3344, 3347: „Skandalon“. 4 Vgl. auch OVG Lüneburg v. 7.1.1993 – 7 M 5684/92, ZIP 1993, 1174, 1175; Petersen, NJW 1992, 1202, 1208; v. Wilmowsky, ZIP 1997, 389. 5 Zusammenfassend Karsten Schmidt, NJW 2012, 3344, 3346 f. 6 Zusammenfassend Karsten Schmidt, NJW 2010, 1489, 1493.

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Betriebsfortführung und Betriebseinstellung

7.52

gar rechtlich ausgeschlossen, jedenfalls aber ohne ordnungsrechtlich entlastende Wirkung). – Beseitigt der Verwalter die Störung nicht, so muss er nunmehr anfallende Ersatzvornahmekosten als Masseschulden begleichen (Rechtsbehelfe gegen die Inanspruchnahme sind wiederum nach der hier vertretenen Ansicht unbegründet, wenn auch in Anbetracht des fortbestehenden Meinungsstreits nicht völlig aussichtslos). – Die unsichere Rechtslage lässt eine Verständigung mit dem Gläubigerausschuss ratsam erscheinen. Die seit dem ESUG gestärkte Eigenverwaltung durch die Gesellschaftsorgane 7.42 (Rz. 9.1 ff.) belegt vollends die Stimmigkeit dieser Lösung. 7.43–7.50

vacat

V. Betriebsfortführung und Betriebseinstellung 1. Die Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren a) Allgemeines Durch die Formulierung des § 1 InsO hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass 7.51 das Ziel des Insolvenzverfahrens, als Gesamtvollstreckungsverfahren die Vermögenshaftung des Schuldners zu verwirklichen, auch durch einen Erhalt des schuldnerischen Unternehmens verwirklicht werden kann. Die Entscheidung hierüber obliegt der Gläubigerversammlung im Berichtstermin (§ 157 InsO). Bis zum Berichtstermin hat der Insolvenzverwalter das schuldnerische Unternehmen damit zwangsläufig fortzuführen (s. auch Rz. 5.541 ff.)1. Das Insolvenzverfahren ist somit nicht auf bloße Zerschlagung ausgerichtet; auch 7.52 nach der vor dem Inkrafttreten der InsO am 1.1.1999 bestehenden Rechtslage war dies nicht der Fall2. Die Betriebsfortführung in der Insolvenz war nicht nur Leitbild der Vergleichsordnung3, sondern war auch schon in der Konkursordnung vorgesehen (§§ 129 Abs. 2, 130, 132 Abs. 1 KO). Mit § 1 InsO ist die Betriebsfortführung zu einem der Ziele des Insolvenzverfahrens erhoben worden. Dabei kann die Betriebsfortführung auf verschiedene Arten verwirklicht werden: Sanierung im Wege eines Insolvenzplanverfahrens oder übertragende Sanierung mit der Konsequenz der Liquidation des Rechtsträgers des Unternehmens. Beide Varianten erfordern jedenfalls eine einstweilige Fortführung des schuldnerischen Unternehmens durch den Insolvenzverwalter4. Da allein die Gläubigerversammlung über die zu wählende Verwertungs- und Handlungsalternative zu entscheiden hat, ist es vordringliche Aufgabe des Insolvenzverwalters bis zum Berichtstermin durch die Betriebsfortführung alle Alternativen offen zu halten. 1 Allg. Meinung, vgl. nur Beck in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 5 Rz. 87; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 10 ff.; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 50 ff. 2 Vgl. BGH v. 4.12.1986 – IX ZR 47/86, BGHZ 99, 151, 155. 3 S. Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 4 Rz. 1 ff. 4 Etwas anderes gilt im Falle der übertragenden Sanierung nur, wenn diese auf den Zeitpunkt der Insolvenzverfahrenseröffnung erfolgt, vgl. auch Rz. 2.231.

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7.53

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

b) Gründe für eine Unternehmensfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren 7.53 Für eine Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren sprechen insbesondere zwei Gründe. 7.54 Zunächst ist eine befristete Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren meistens ökonomisch sinnvoll, weil durch eine geregelte „Ausproduktion“ in der Regel noch erhebliche Vermögenswerte zur Masse gezogen werden können. 7.55 So lohnt sich meist die Fertigstellung von Halbfertigerzeugnissen, die an sich oftmals keinen oder nur einen äußerst geringen Verkaufswert haben. Je mehr Aufwand für diese Halbfertigerzeugnisse bereits erbracht wurde, desto mehr lohnt sich in der Regel die Fertigstellung (vorausgesetzt, es gibt für diese Erzeugnisse noch einen Markt). 7.56 Durch die Abwicklung bestehender Aufträge, für die ggf. Sicherheiten bestellt waren oder die über Aufrechnungslagen geltend gemacht werden können, wird des Weiteren das Auflaufen von Schadensersatzansprüchen vermieden. 7.57 Von großem Vorteil ist es in der Regel aber auch, wenn die Außenstände weiterhin über eine funktionierende Debitorenbuchhaltung des Unternehmens eingezogen werden können, da dort die gesamten hierzu erforderlichen Daten, insbesondere aber auch alle erforderlichen Informationen über die zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse vorliegen. Im Falle der Betriebseinstellung kommt es hingegen regelmäßig zu erheblichen Reibungsverlusten im Hinblick auf die Aufarbeitung der Unterlagen, die für einen effizienten Forderungseinzug erforderlich sind. Auch wenn nach Betriebseinstellung in der Buchhaltung noch Personal weiterbeschäftigt werden kann, so ändert dies nichts an der nachlassenden Motivation der noch verbliebenen Beschäftigten und der Problematik, dass Detailinformationen zu etwaigen Einwendungen der Drittschuldner nicht mehr bei den jeweiligen Fachabteilungen abgefragt werden können. 7.58 Auch aus Sicht der Sicherungsgläubiger1 ist die Einziehung von Außenständen durch das Unternehmen (bzw. den Insolvenzverwalter) während einer Betriebsfortführung wirtschaftlich am sinnvollsten. Die Einziehung von Forderungen durch den Sicherungsgläubiger selbst ist für diesen demgegenüber nur von eingeschränktem Nutzen. Erfahrungsgemäß lässt die Zahlungsbereitschaft der Schuldner abgetretener Forderungen nach Offenlegung erheblich nach. Auch können Einwendungen aus dem Grundverhältnis ohne Informationen aus dem Unternehmen kaum geprüft werden. 7.59 Des Weiteren repräsentiert ein werbendes Unternehmen grundsätzlich einen höheren wirtschaftlichen Wert als die Summe seiner veräußerbaren Einzelteile. Diese Differenz kommt (unvollkommen) zum Ausdruck in der bilanziellen Unterscheidung zwischen Fortführungs- und Zerschlagungswerten. 7.60 Gegenstände des Anlagevermögens verlieren bei einer Zerschlagung umso mehr an Wert, je spezifischer diese auf die besonderen Unternehmensbedürfnisse zugeschnitten sind. Mit zunehmender Komplexität steigt danach der Wertverlust bei 1 Lieferanten mit verlängerten Eigentumsvorbehaltsrechten und Banken mit Globalzessionen als Sicherungsmittel.

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7.67

einer Einzelverwertung bis hin zum Verbleiben eines reinen Schrottwerts, der u.U. noch von den Demontagekosten aufgezehrt wird. Die Zerschlagung eines laufenden Unternehmens stellt demnach eine bereits 7.61 vom Absatz her ungünstige Verwertungsart dar, zumal auch der Verwertungsaufwand bei einer Unternehmenszerschlagung insgesamt erheblich höher ist als bei einer Gesamtveräußerung des Unternehmens, der sog. übertragenden Sanierung (s. Rz. 7.141 ff.). Durch eine übertragende Sanierung bleiben darüber hinaus auch Arbeitsplätze er- 7.62 halten; entsprechend geringer fällt etwa der Umfang erforderlicher Sozialpläne oder das Maß von Massebelastungen wegen Entgeltzahlungspflichten bis zum Ablauf der einschlägigen Kündigungsfristen aus. Auch kann die gesamte Insolvenz durch eine übertragende Sanierung einigermaßen „geräuschlos“ abgewickelt werden, was oftmals auch im Interesse einzelner Gläubiger liegt. c) Maßnahmen der Betriebsfortführung Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren wird durch einige Umstände er- 7.63 leichtert. Insbesondere muss kein Kapitaldienst mehr geleistet werden und auch sonstige offene Verbindlichkeiten sind vom Grundsatz her nicht mehr zu bezahlen. Sodann stehen dem Verwalter nach Maßgabe der §§ 103 ff. InsO Mittel zur Ver- 7.64 fügung, sich von bestehenden Vertragsverpflichtungen zu lösen. Auch hat er nach den Regelungen der §§ 120 ff. InsO verbesserte Möglichkeiten, Betriebsänderungen durchzuführen (dazu näher unten Rz. 7.379 ff.). Hinzu kommt, dass die Insolvenzsituation bei den Arbeitnehmervertretern in al- 7.65 ler Regel die Einsicht begünstigt, dass an ggf. drastischen Sanierungsmaßnahmen auf Grund der eingetretenen Unternehmenskrise nun kein Weg mehr vorbeiführt, will man wenigstens einige der betroffenen Arbeitsplätze retten. In der Insolvenzsituation zeigt sich deswegen oftmals bei den Arbeitnehmern eine Flexibilität, deren Fehlen zuvor einer Abwendung der Krisensituation entgegengestanden hat. Gleichwohl ist die Liquiditätssituation für den Verwalter ab Verfahrenseröffnung 7.66 grundsätzlich problematisch. In der Regel verfügt der Insolvenzschuldner nicht mehr über freie Kreditlinien oder sonstiges freies Vermögen (nicht an Dritte verpfändetes oder sicherungsübereignetes Anlage- oder Umlaufvermögen oder abgetretene Forderungen), das versilbert werden könnte. Die Betriebsfortführung kann daher in der Regel nur bewerkstelligt werden, wenn es dem Insolvenzverwalter gelingt, ein so genanntes Massedarlehen aufzunehmen. Das Darlehen ist als Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 InsO zurückzuzahlen, wofür der Insolvenzverwalter persönlich haftet (§§ 60, 61 InsO). Da die Banken meist auch ein großes Interesse an der Betriebsfortführung haben und dem Inolvenzverwalter im Zeitpunkt der Darlehensaufnahme noch kein vollständiger Überblick über die finanziellen Verhältnisse des schuldnerischen Unternehmens vorliegen wird, gelingt es ihm häufig, eine Haftung nach § 61 InsO abzubedingen. Als Sicherheit für das Massedarlehen werden oft nur durch die Betriebsfortführung neu entstehende Forderungen oder Waren in Betracht kommen. Mit Bekanntwerden der Insolvenz ist für das ohnehin krisengeschüttelte Unter- 7.67 nehmen eine Ausnahmesituation zutage getreten, die eine erhebliche VerunsiSchluck-Amend

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7.68

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

cherung der Kunden, Lieferanten und Beschäftigten des Unternehmens zur Folge hat. Auch dadurch wird die Betriebsfortführung nicht unerheblich erschwert. 7.68 Die Kunden müssen um die reibungslose Fortführung der geschäftlichen Beziehungen fürchten, da das Schicksal des insolvenzbefangenen Unternehmens offen ist. Aus diesem Grund besteht für sie hinreichende Veranlassung, sich um Ausweichmöglichkeiten zu kümmern, um im Falle einer Betriebsstilllegung nicht selbst in eine Krisensituation zu geraten. Die Gefahr, dass die Einleitung eines Insolvenzverfahrens deshalb mit einem massiven Umsatzeinbruch für das insolvente Unternehmen einhergeht, ist groß und realisiert sich nur allzu oft. Bereits während des vorläufigen Insolvenzverfahrens gehört es daher zu den vordringlichsten Aufgaben des Insolvenzverwalters, das geschwächte Vertrauen der Kunden wieder zu stärken, um so die Grundlagen für eine Betriebsfortführung zu erhalten. 7.69 Die Lieferanten müssen den Verlust ihrer Forderungen gegen den Schuldner hinnehmen. Dies führt nicht selten zu einer erheblichen Anspannung der Geschäftsbeziehungen. Die Weiterbelieferung erfolgt ggf. nur noch gegen Vorkasse. Der Ausfall mit den Außenständen gegenüber dem Schuldner führt aber oftmals auch eine ernste Krisensituation bei den Lieferanten nach dem „Dominoeffekt“ herbei, die dann u.U. in einer Folgeinsolvenz mündet. 7.70 Besondere Probleme entstehen durch die Insolvenzsituation im Personalbereich. Diese ist für die Arbeitnehmer des Schuldners ein Alarmsignal für den drohenden Verlust des Arbeitsplatzes und den Ausfall mit den laufenden Entgeltzahlungen. Folge hieraus ist in der Regel eine erhebliche Verunsicherung unter der Belegschaft, die den weiteren Arbeitsablauf im Unternehmen in erheblichem Maße gefährden kann. Hinzu kommen regelmäßig die Versuche von Wettbewerbern, qualifiziertes Personal gerade in dieser Phase der Verunsicherung abzuwerben. Insbesondere die Leistungs- und Know-how-Träger, die einen wesentlichen Teil des Unternehmenswertes verkörpern, werden oftmals schnell die sich ihnen bietenden Möglichkeiten anderweitiger beruflicher Absicherung wahrnehmen und das Unternehmen verlassen, welches dadurch in seinen Kapazitäten empfindlich getroffen werden kann. Verstärkt wird diese Problematik dadurch, dass die regelmäßig höher dotierten Leistungsträger bereits während des Insolvenzantragsverfahrens dadurch finanzielle Einbußen hinnehmen müssen, dass die Insolvenzgeldansprüche nunmehr an die Höhe der Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenversicherung gekoppelt wurden. Die oft zitierte „Versorgungslücke“ greift im Insolvenzfall für diesen Personenkreis sofort und motiviert nicht dazu, die weitere Betriebsfortführung zu begleiten. 7.71 Hinzu kommt, dass in einem insolventen Unternehmen die Buchhaltung oftmals nicht auf aktuellem Stand ist und der Verwalter nicht mit den näheren betrieblichen Hintergründen vertraut ist (s. auch Rz. 7.57). Der Verwalter steht somit grundsätzlich vor einer schwierigen unternehmerischen Gesamtsituation. 2. Pflichten des Insolvenzverwalters a) Verfahrensrechtliche Pflichten 7.72 Bis zum Berichtstermin, in dem die Gläubigerversammlung über die Betriebsfortführung erstmals befindet, hat der Verwalter das schuldnerische Unternehmen 682

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7.76

grundsätzlich fortzuführen. Diese Verpflichtung lässt sich aus der Bestimmung des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO (Fortführungspflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verfügungsbefugnis) ableiten, die ohne eine weitere Fortführungspflicht des Verwalters nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zum Berichtstermin sinnlos wäre. Eine Stilllegung des Betriebes ist regelmäßig irreversibel, so dass in diesem Fall der Gläubigerversammlung die ihr nach § 157 InsO eingeräumte Wahlmöglichkeit über den weiteren Verfahrensfortgang genommen werden würde1. Diese Pflicht zur Betriebsfortführung bedeutet zugleich ein vorläufiges Verwer- 7.73 tungsverbot bezüglich der Vermögensgegenstände, die zur Fortführung benötigt werden2. Davon nicht erfasst sind aber Verkauf, Verarbeitung und Verbrauch im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsganges, wie z.B. der Verbrauch und die Verarbeitung von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen oder der Verkauf von verderblicher Ware oder von Vermögensgegenständen, die nicht für die Betriebsfortführung benötigt werden. Des Weiteren ist die Verwendung zulässig, wenn dadurch entweder betriebsnotwendige Liquidität geschaffen wird oder Gefahr im Verzug ist3. Ebenso wenig ist von dem Verwertungsverbot der Einzug von Forderungen erfasst, da dieser keinerlei Einfluss auf die Entscheidung der Gläubigerversammlung im Berichtstermin hat. § 158 InsO regelt insoweit, dass die Unternehmensstilllegung vor dem Berichts- 7.74 termin von der Zustimmung des Gläubigerausschusses abhängt, sofern ein solcher bestellt wurde. Des Weiteren hat der Verwalter den Schuldner vorab von dem Vorhaben der Stilllegung zu unterrichten. Das Gericht ist auf Antrag des Schuldners dazu verpflichtet, die Betriebsstilllegung zu untersagen, wenn diese ohne größere Masseverluste bis zum Berichtstermin aufgeschoben werden kann. Gegenüber der Rechtslage im Eröffnungsverfahren (Rz. 5.553 ff.) fällt auf, dass die 7.75 Voraussetzungen für eine Betriebsschließung im eröffneten Insolvenzverfahren herabgesetzt sind. Dies rechtfertigt sich daraus, dass im eröffneten Hauptverfahren das Bestandsschutzinteresse des Schuldners an der Erhaltung seines Geschäftsbetriebes vermindert und durch das Interesse der Gläubiger an der Haftungsverwirklichung verdrängt wird. Nach Abhaltung des Berichtstermins ist die Betriebsfortführung nicht auf Fälle be- 7.76 schränkt, in denen die Erstellung eines Insolvenzplans zur Sanierung des Schuldners oder zur Übertragung seines Unternehmens beschlossen wurde, sondern diese ist auch nach den Vorschriften über das Regelverfahren weiter zulässig4. Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren ist jedoch kein Selbstzweck, sondern hat sich stets dem primären Verfahrensziel der Haftungsverwirklichung unterzuordnen5. Eine unbegrenzte Betriebsfortführung läuft daher dem Zweck der Gläubigerbefriedigung aus dem Vermögen des schuldnerischen Unternehmens zuwider. 1 S. auch Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 1 Rz. 39; Heye in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 36 Rz. 24. 2 Ebenso Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 13.34; Beck in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 18 Rz. 19. 3 Beck in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 18 Rz. 19; zum Begriff „Gefahr im Verzug“, s. auch Rz. 5.570. 4 Das ergibt sich aus § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO. 5 Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 1 Rz. 41.

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7.77

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

7.77 Der Insolvenzverwalter trägt insoweit ein nicht unerhebliches persönliches Risiko, das daraus resultiert, dass das Insolvenzverfahren streng auf die Haftungsverwirklichung durch die Verwertung des Schuldnervermögens ausgerichtet ist, soweit nicht die Gläubiger durch einen (gerichtlich bestätigten) Insolvenzplan etwas anderes beschließen (§ 1 InsO). Für vermeidbare Masseschmälerungen haftet der Verwalter nach Maßgabe der §§ 60 f. InsO den Gläubigern persönlich (dazu näher Rz. 7.161 ff.). 7.78 In vielen Fällen laufen während der Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren jedoch weitere Verluste auf. Damit ist ein Tatbestand erfüllt, der den Verwalter grundsätzlich zur Betriebsschließung verpflichtet1. 7.79 Aus diesem Grund ist der Verwalter gehalten, fortlaufend zu prüfen, ob die Fortführung des Unternehmens noch mit den vermögensrechtlichen Interessen der Gläubiger zu vereinbaren ist. Hierzu sind für die voraussichtliche Zeit der Betriebsfortführung vom Verwalter Finanz- und Ergebnispläne (Liquiditätsplan, Plan-Gewinn- und -Verlustrechnung)2 zu erstellen sowie fortlaufend an die tatsächlichen Entwicklungen anzupassen3. Des Weiteren sind die Veräußerungschancen sorgfältig zu beurteilen. Durch die Publizität des Insolvenzverfahrens werden potentielle Erwerbsinteressenten schnell auf die Möglichkeit eines Unternehmenskaufs aufmerksam und melden ein etwaiges Kaufinteresse meistens schon im Eröffnungsverfahren an. Soweit sich bis zum Berichtstermin noch kein ernsthafter Kaufinteressent gemeldet haben sollte, sind die Chancen auf eine übertragende Sanierung insgesamt als schlecht zu bewerten4. Gleichwohl kann diese Tatsache nur als Indikator, nicht jedoch als feste Regel begriffen werden. Denn gerade bei größeren Wirtschaftseinheiten sind oftmals erst einschneidende Sanierungsmaßnahmen während der Betriebsfortführung erforderlich, um das Unternehmen wieder für potentielle Investoren attraktiv zu machen. 7.80 Decken die laufenden Einnahmen die Ausgaben nicht mehr, ist eine weitere Betriebsfortführung grundsätzlich nur noch dann gerechtfertigt, wenn davon auszugehen ist, dass das Unternehmen später zu einem Preis veräußert werden kann, der abzüglich der aufgelaufenen Verluste den Zerschlagungswert des Unternehmens übersteigt5. b) Pflichten aus übergegangener Unternehmerstellung 7.81 Zum Verwalter kann nach § 56 Abs. 1 InsO nur eine natürliche Person ernannt werden. Mit Bestellung geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das insolvenzbefangene Vermögen auf den Verwalter über6. Die bisherige Geschäftsleitung wird aus ihren Kompetenzen, soweit sie die Unternehmensführung betref1 S. BGH v. 4.12.1986 – IX ZR 47/86, BGHZ 99, 151, 156 zur Rechtslage nach der KO; wohl auch Henkel in Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 2705 ff. 2 Vgl. Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 9 Rz. 13 ff., § 11 Rz. 278 ff. 3 S. Ernestus in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, § 4 Rz. 130, S. 369. 4 Nerlich/Rhode in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 4 Rz. 138. 5 Vgl. Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 9 Rz. 10. 6 Sie kann bereits zuvor im Eröffnungsverfahren auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis übergegangen sein (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO).

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7.89

fen, vollständig verdrängt. Der Verwalter übernimmt also schlagartig die gesamte Unternehmensführung. Für die Erfüllung sämtlicher Pflichten haftet er den Beteiligten persönlich (§ 60 InsO). Den Verwalter treffen damit auch alle Pflichten des Arbeitgebers, d.h. insbeson- 7.82 dere die Lohnzahlungspflicht (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 1 InsO), die allgemeine Fürsorgepflicht und alle betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitgeberpflichten (näher dazu unten Rz. 7.331). Im Falle einer Unternehmensfortführung treffen den Insolvenzverwalter des Wei- 7.83 teren höchstpersönlich alle handels- und steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners in Bezug auf die Insolvenzmasse (§ 155 Abs. 1 Satz 2 InsO). Der Insolvenzverwalter hat somit gemäß §§ 238 ff. HGB Handelsbücher nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zu führen und nach § 242 HGB i.V.m. §§ 264 ff. HGB Jahresabschlüsse zu fertigen. Daneben obliegt ihm zum Zweck der steuerlichen Gewinnermittlung nach § 140 AO die Erstellung der gesetzlich vorgeschriebenen Steuerbilanzen. Der Insolvenzverwalter hat insbesondere aber auch Steueranmeldungen und -erklärungen (§ 149 AO) abzugeben. In der Rolle des Unternehmers haftet der Insolvenzverwalter beispielsweise auch 7.84 für die unbefugte Benutzung fremder Patente1. Mit Amtsübernahme hat er aber nicht nur alle Unternehmensfragen von Bedeu- 7.85 tung eigenverantwortlich zu entscheiden, sondern ihm obliegt auch jeder einzelne Verfügungsakt über das verwaltete Vermögen im Rahmen des Tagesgeschäfts. Um sich einen Einblick in die herrschenden Produktionsbedingungen des insol- 7.86 venten Unternehmens zu verschaffen, steht dem Verwalter praktisch keine Einarbeitungszeit zur Verfügung. Der Verwalter steht in größeren Insolvenzen somit regelmäßig vor einer Aufgabe, die er unmöglich im Alleingang bewältigen kann. Der Verwalter ist deswegen in größeren Verfahren einerseits auf ein kompetentes 7.87 Team aus Spezialisten des Insolvenzrechts und geübten Unternehmenssanierern angewiesen, andererseits aber auch auf die Kooperation der Mitarbeiter des insolvenzbefangenen Unternehmens. Die Vielzahl der zu erfüllenden Aufgaben muss der Verwalter zu großen Teilen auf 7.88 das danach zusammengestellte Führungsteam delegieren, das den Verwalter auch im Außenverhältnis vertritt. Eine derartige Vertretung ist in der InsO zwar nicht näher geregelt, jedoch wird sie in § 60 Abs. 2 InsO zumindest angesprochen. Nicht zuletzt aus dem evidenten praktischen Bedürfnis heraus wurde eine Vertretung des Verwalters schon unter Geltung der KO für zulässig gehalten2. Dies gilt allerdings nicht für die spezifisch verfahrensrechtlichen Rechte und 7.89 Pflichten wie z.B. die Ausübung des Wahlrechts nach den §§ 103 ff. InsO oder die Insolvenzanfechtung. Dagegen können Rechtsgeschäfte außerhalb dieses Bereichs wirksam auch durch Vertreter des Verwalters vorgenommen werden3. Insbesondere in Fällen längerdauernder Betriebsfortführung kann es dazu auch not1 BGH v. 5.6.1975 – X ZR 37/72, NJW 1975, 1969 zur Rechtslage unter der KO. 2 Vgl. Eickmann, KTS 1986, 199 ff.; zur aktuellen Rechtslage: Heckschen in Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, C. Rz. 12. 3 Eickmann, KTS 1986, 202 f.; Heckschen in Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, C. Rz. 12.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

wendig sein, die Mitglieder des Mitarbeiterteams mit einer förmlichen Handlungsvollmacht oder Prokura auszustatten1. 7.90 Nach § 60 Abs. 2 InsO haftet der Verwalter für von ihm eingesetzte Hilfspersonen grundsätzlich nach § 278 BGB2 (s. hierzu ausführlich Rz. 7.168). Eine Ausnahme hiervon bilden Angestellte (und vermutlich auch sonstige Beschäftigte) des Schuldners, die im Rahmen einer Betriebsfortführung weiterbeschäftigt werden; für deren Verschulden haftet er nur nach den Grundsätzen des § 831 BGB. § 60 Abs. 2 InsO belässt dem Verwalter jedoch die volle Verantwortung für Entscheidungen von besonderer Bedeutung. 3. Betriebseinstellung a) Allgemeines 7.91 Die Betriebseinstellung des Schuldnerunternehmens ist als Gegenstück zum Betriebsübergang und der Fortführung anzusehen3. Relevant ist sie immer in den Fällen, in denen eine Fortführung oder Veräußerung rechtlich oder wirtschaftlich nicht mehr möglich oder nicht mehr sinnvoll ist (Stilllegung in der Liquidation, vgl. Rz. 3.54 f.). 7.92 Betriebsstilllegung beschreibt die Zerschlagung des Unternehmens in ernstlicher und endgültiger Absicht der dauerhaften Aufgabe der Betriebs- und Produktionsgemeinschaft4. Dabei ist nicht nur die Produktion einzustellen, sondern auch die dem Betriebszweck dienende Organisation aufzulösen5. Die Stilllegung darf nicht nur vorübergehender Natur sein: sie unterscheidet sich vom Betriebsübergang und von Produktionsausfällen eben durch die Erheblichkeit der Zeitspanne der Betriebseinstellung6. Eine Stilllegung des gesamten Unternehmens ist nicht erforderlich, sie kann sich auch nur auf einzelne Betriebsteile beschränken7. 1 S. zur KO Kuhn/Uhlenbruck, 11. Aufl. 1994, § 23 KO Rz. 7b; Karsten Schmidt, BB 1989, 233 ff.; Krafka/Kühn, Registerrecht, 9. Aufl. 2013, Rz. 360; a.A. für die Prokuraerteilung offenbar Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, S. 235. 2 S. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 6.41 ff.; Baumert in Braun, § 60 InsO Rz. 33; Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 98. 3 Vgl. BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93; Althaus in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 16 Rz. 37; Bertram in Gottwald, InsolvenzrechtsHandbuch, § 106 Rz. 92 ff. 4 Vgl. BAG v. 17.9.1957 – 1 AZR 352/56, NJW 1957, 1855; BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, NZA 1988, 170, 171; BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 48/03, NZA 2004, 477, 478; BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 1043/06, NZA 2007, 1431, 1435; Höfer in Runkel/ Schmidt, Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht § 12 Rz. 624; Althaus in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 19 Rz. 39. 5 Auch BAG v. 13.11.1986 – 2 AZR 771/85, NZA 1987, 458; BAG v. 3.7.1986 – 2 AZR 68/85, NZA 1987, 123, 124; BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, NZA 1988, 170, 171; Höfer in Runkel/Schmidt, Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 12 Rz. 624. 6 Zwei Monate für ungenügend haltend BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, NZA 1985, 493, 495; Höfer in Runkel/Schmidt, Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 12 Rz. 624. Zum tatbestandlichen Ausschluss von Stilllegung und Betriebsübergang BAG v. 16.5. 2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93; Althaus in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 19 Rz. 40. 7 Vgl. Decker in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 158 InsO Rz. 2; Görg/ Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 7; Ries in Heidelberger

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Betriebsfortführung und Betriebseinstellung

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b) Stilllegung vor dem Berichtstermin (§ 158 InsO) aa) Allgemeines Grundsätzlich gewährt das Gesetz den Gläubigern in § 157 Satz 1 InsO Freiheit 7.93 bezüglich der Art der Verwertung der Insolvenzmasse. Sie sollen frei zwischen dem Fortführungswert und dem Liquidationswert wählen dürfen1. Da diese reversible Entscheidungskompetenz erst im Berichtstermin zum Tragen kommt, besteht für den Insolvenzverwalter im Regelfall mindestens bis zu diesem Zeitpunkt die Pflicht, das schuldnerische Unternehmen fortzuführen2. Die Gläubigerversammlung hat jedoch dann keinen Entscheidungsspielraum über die Zukunft des Schuldners mehr, wenn der Betrieb schon vor Antragsstellung eingestellt wurde oder der Verwalter ausnahmsweise noch vor dem Berichtstermin gemäß § 158 Abs. 1 InsO die Stilllegung betreibt. Weil eine solche Betriebseinstellung nach § 158 InsO einen gravierenden Einschnitt in die Gläubigerrechte darstellt, unterliegt sie strengen Voraussetzungen. bb) Voraussetzungen und die Pflicht zur Stilllegung Die Gründe, die eine Stilllegung des Betriebes vor dem Berichtstermin durch den 7.94 Insolvenzverwalter rechtfertigen, können wirtschaftlicher oder rechtlicher Natur sein3. Zwingend ist die Betriebseinstellung aus rechtlicher Sicht jedenfalls dann, wenn eine zur Fortführung erforderliche Gewerbeerlaubnis unanfechtbar widerrufen wurde oder keine Stellvertretung nach §§ 46, 47 GewO möglich ist4. Problematisch ist auch immer die Fortführung des Unternehmens eines Freiberuflers, wenn hierfür besondere berufliche Zulassungsvoraussetzungen erforderlich sind oder wichtige Unterlagen einem Berufsgeheimnis unterliegen und der Schuldner nicht bereit ist, weiter mitzuarbeiten5. Ein wirtschaftlicher Grund für die Einstellung des Betriebes kann die negative Auswirkung der Fortführung auf die Masse sein. Weil die gesetzliche Wertung des § 158 Abs. 2 Satz 2 InsO auch für den Verwalter gilt, muss der Masse hierfür aber eine erhebliche Minderung drohen6.

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Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 1; zur Einstellung im vorläufigen Insolvenzverfahren Rz. 5.553 ff. Auch Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 19. Auch Ries in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 1; Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 1 f.; Decker in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 158 InsO Rz. 1. Vgl. Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 13 ff.; Ries in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 1. S. Hess, § 158 InsO Rz. 9; Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 15; Decker in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 157 InsO Rz. 12, § 158 InsO Rz. 4; Ries in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 1. Vgl. Tetzlaff, ZInsO 2005, 393 ff.; Schick, NJW 1990, 2359 ff.; Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 14; Decker in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 157 InsO Rz. 12, § 158 InsO Rz. 4; Ries in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 1. S. Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 16; Decker in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 158 InsO Rz. 4; Ries in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 1.

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7.95

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

cc) Der Gläubigerausschuss 7.95 Gemäß § 158 Abs. 1 InsO muss der Insolvenzverwalter vor der Stilllegung des Betriebes die Zustimmung des Gläubigerausschusses einholen, sofern ein solcher nach § 67 InsO bestellt worden ist. Existiert kein Ausschuss, so kommt die Stilllegung ohne Beteiligung der Gläubiger zu Stande: Es ist nicht etwa eine Zustimmung der Gläubigerversammlung erforderlich1. Zwar gilt das Schweigen des Gläubigerausschusses, wie auch ein entsprechender negativer Beschluss, als Ablehnung der Stilllegung, nichtsdestotrotz sind entgegenstehende Handlungen des Insolvenzverwalters aber gemäß § 164 InsO wirksam2. Unter Umständen tauscht der Insolvenzverwalter sein Haftungsrisiko wegen pflichtwidrigen Verhaltens nach §§ 60, 61 InsO nur gegen ein anderes Haftungsrisiko nach §§ 60, 61 InsO aus3. dd) Der Schuldner 7.96 Obwohl eine Zustimmung des Schuldners zur Einstellung des Betriebes nicht erforderlich ist, muss dieser unabhängig vom Bestehen eines Gläubigerausschusses vom Verwalter gemäß § 158 Abs. 2 Satz 1 InsO über die beabsichtigte Stilllegung unterrichtet werden. Dies hat ohne Einhaltung einer besonderen Form, dafür aber so frühzeitig zu erfolgen, dass dem Schuldner genügend Zeit verbleibt, einen Antrag auf Untersagung der Betriebsstilllegung nach § 158 Abs. 2 Satz 2 InsO beim zuständigen Insolvenzgericht zu stellen4. Die Unterrichtung des Schuldners ist entbehrlich, wenn sie zu einer erheblichen Verzögerung der Betriebseinstellung zu Lasten der Masse führen würde, etwa wegen Unzustellbarkeit der Unterrichtung5. 7.97 Kommt es auf Grund der Antragsstellung des Schuldners zu einem Untersagungsverfahren, hat das Gericht den Insolvenzverwalter anzuhören. Die Stilllegung wird vom Gericht gemäß § 158 Abs. 2 Satz 2 InsO untersagt, wenn eine Fortführung des Unternehmens die Masse bis zum Berichtstermin nur unerheblich schmälert. Eine eventuell vorliegende Einwilligung des Gläubigerausschusses ist für die Stilllegungsentscheidung des Gerichtes unbeachtlich6. Dem Untersagungsantrag des Schuldners wird das Gericht aber nicht stattgeben, wenn der Insolvenzverwalter für die Fortführung des Betriebes nicht gedeckte Masseverbind1 S. auch Ries in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 3; Decker in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 158 InsO Rz. 7. 2 So Esser in Braun, § 158 InsO Rz. 5; Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 22, 20; Decker in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 158 InsO Rz. 7; Zipperer in Uhlenbruck, § 158 InsO Rz. 10; Andres in Andres/Leithaus, § 158 InsO Rz. 8; zur KO BGH v. 5.1.1995 – IX ZR 241/93, DtZ 1995, 169. 3 Auch Decker in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 158 InsO Rz. 7; Zipperer in Uhlenbruck, § 158 InsO Rz. 9. 4 S. Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 24; Decker in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 158 InsO Rz. 8; Esser in Braun, § 158 InsO Rz. 6. 5 Auch Esser in Braun, § 158 InsO Rz. 6; Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 25. 6 Vgl. Ries in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 5; Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 29; Esser in Braun, § 158 InsO Rz. 7.

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Schluck-Amend

Betriebsfortführung und Betriebseinstellung

7.99

lichkeiten begründen müsste1. Die sofortige Beschwerde gegen das Urteil des Gerichtes ist gemäß § 6 Abs. 1 InsO unzulässig2, jedoch verliert der Untersagungsbeschluss mit der Gläubigerversammlung im Berichtstermin seine Wirkung und legt die Entscheidung über die Stilllegung in die Hände der Gläubiger3. c) Stilllegung nach dem Berichtstermin (§ 157 Satz 1 InsO) Im gesetzlichen Regelfall beschließt die Gläubigerversammlung im Berichtster- 7.98 min nach § 157 Satz 1 InsO, ob das Unternehmen stillgelegt oder fortgeführt werden soll. Weil sie die Konsequenzen einer eventuellen Fehlentscheidung selbst tragen müssen, können die Gläubiger völlig frei über das angestrebte Verfahrensziel entscheiden4. Das Insolvenzgericht hat bei einem Beschluss der Gläubigerversammlung, der offensichtlich einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung entgegensteht, grundsätzlich keine Möglichkeit, eigeninitiativ gegen den Versammlungsbeschluss vorzugehen5. Eine gerichtliche Kontrolle kann allenfalls auf Antrag eines absonderungsberechtigten Gläubigers, eines nicht nachrangigen Insolvenzgläubigers oder des Insolvenzverwalters nach § 78 InsO erfolgen. Ein entsprechender Antrag muss jedoch bereits in der Gläubigerversammlung gestellt werden6. Dafür besteht für die Gläubigerversammlung gemäß § 157 Satz 3 InsO das Recht, den im ersten Berichtstermin festgesetzten Beschluss in späteren Terminen zu ändern. Diese Möglichkeiten der Entscheidungsrevision nach § 78 InsO und § 157 Satz 3 InsO helfen jedoch nur eingeschränkt gegen den Beschluss der Gläubigerversammlung. § 78 InsO verlangt den Antrag in der Gläubigerversammlung7 und die Möglichkeit der Abänderung durch die Gläubigerversammlung selbst verliert an Wert und Bedeutung, je weiter die zuvor beschlossene Betriebsstilllegung schon fortgeschritten ist. Für die Beschlussfassung gelten die Regelungen der §§ 76 bis 78 InsO über das 7.99 Stimmrecht, die Mehrheitserfordernisse und den Minderheitenschutz8. Wird in der Versammlung kein Beschluss über das weitere Verfahren gefällt, muss das Schuldnervermögen gemäß § 159 InsO unverzüglich verwertet werden9. 1 So Esser in Braun, § 158 InsO Rz. 9; Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 28. 2 Auch Hess, § 158 InsO Rz. 8; Decker in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 158 InsO Rz. 11; Ries in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 6; Esser in Braun, § 158 InsO Rz. 11: Ergeht die Entscheidung jedoch durch den Rechtspfleger (§ 3 Nr. 2 RPflG), so ist die befristete Erinnerung zulässig (§ 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG). 3 So Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 31; Decker in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 158 InsO Rz. 10. 4 S. Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 157 InsO Rz. 4; Esser in Braun, § 157 InsO Rz. 1. 5 Ausführlich Gundlach/Frenzel/Strandmann, NZI 2008, 461, 463; Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 157 InsO Rz. 25 (außer in krassen Ausnahmefällen). 6 Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 157 InsO Rz. 25; Zipperer in Uhlenbruck, § 157 InsO Rz. 31; Esser in Braun, § 158 InsO Rz. 7. 7 Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 157 InsO Rz. 25 f. 8 S. Decker in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 157 InsO Rz. 2; Hess, § 157 InsO Rz. 2; Ries in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 157 InsO Rz. 8. 9 So Hess, § 157 InsO Rz. 2; Esser in Braun, § 157 InsO Rz. 4.

Schluck-Amend

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7.100

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

d) Arbeitnehmer 7.100 Die Zustimmungs- und Mitwirkungserfordernisse der Arbeitnehmer des insolventen Betriebes nach §§ 121 ff. InsO und §§ 111 ff. BetrVG bleiben von den Regelungen der §§ 157 f. InsO unberührt1. vacat

7.101–7.110

VI. Bilanzpraxis in der Insolvenz der GmbH 7.111 Die periodische Rechnungslegung der Gesellschaft im Insolvenzverfahren ist von der in §§ 151 ff. InsO bzw. § 66 InsO vorgeschriebenen Rechnungslegung des Verwalters gegenüber den Insolvenzverfahrensbeteiligten zu unterscheiden2. Dieser Grundgedanke ist derselbe wie im Recht der gesellschaftsrechtlichen Liquidation (vgl. Rz. 3.12). Das Institut der Wirtschaftsprüfer hat seine Berufsauffassung zur Rechnungslegung in der Insolvenz in folgenden IDW-Rechnungslegungshinweisen3 dargelegt: IDW RH HFA 1.010 Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren4 IDW RH HFA 1.011 Insolvenzspezifische Rechnungslegung im Insolvenzverfahren5 IDW RH HFA 1.012 Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren6

Diese werden nicht nur von den Wirtschaftsprüfern bei der Prüfung der Rechnungslegung zugrunde gelegt, sondern dienen auch zur Konkretisierung der Dokumentationspflichten des Insolvenzverwalters gegenüber den übrigen Verfahrensbeteiligten (Insolvenzgericht, Gläubigerausschuss, Gläubigerversammlung) bei der Masseverwaltung und Masseverwertung. 1. Interne Rechnungslegung 7.112 Das Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO) bildet zusammen mit dem Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) die Grundlage für die Vermögensübersicht (§ 153 InsO) und damit die Basis für die insolvenzspezifische interne Rechnungslegung (§ 66 InsO)7. Diese ist nach § 197 Abs. 1 Nr. 1 InsO Gegenstand der Erörterung im Schlusstermin. Zur externen handelsrechtlichen Rechnungslegung besteht nur ein mittelbarer Zusammenhang. 1 Vgl. Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 157 InsO Rz. 33 ff.; Hess, § 158 InsO Rz. 13; Plössner in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, § 29 Rz. 108, 109. 2 Dazu Bitter in Scholz, 11. Aufl. 2015, vor § 64 GmbHG Rz. 153 ff.; dies war die Kernthese der Arbeit von Karsten Schmidt über Liquidationsbilanzen und Konkursbilanzen, 1989, S. 70 ff.; jetzt h.M. 3 Sämtlich verabschiedet vom Fachausschuss Recht (FAR) und dem Hauptfachausschuss (HFA) am 13.6.2008. 4 IDW FN 6/2008, S. 309; abgedruckt in ZInsO 2009, 75 ff. 5 IDW FN 6/2008, S. 321; abgedruckt in ZInsO 2009, 130 ff. 6 IDW FN 6/2008, S. 331; abgedruckt in ZInsO 2009, 179 ff. 7 IDW RH HFA 1.011, ZInsO 2009, 130 Rz. 12; zur fortschreibenden Rechnungslegung: Langer/Bausch, ZInsO 2011, 1287 ff.; zu Schlussrechnungsstandards: Haarmeyer/Basinski/ Hillebrand/Weber, ZInsO 2011, 1874 ff. mit Standardkontenrahmen (SKR-InsO) in Anl. 2.

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Bilanzpraxis in der Insolvenz der GmbH

7.115

Im Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO) sind alle1 Vermögenswerte 7.113 aufzunehmen, die sich bei Verfahrenseröffnung im Besitz des Schuldners befinden, aber auch solche, die während des Verfahrens in dieses Vermögen noch gelangen, einschließlich derjenigen, die handelsrechtlich nicht aktivierungspflichtig oder nicht aktivierungsfähig sind wie stille Reserven, Gesamtschadensansprüche oder Ansprüche aus Insolvenzanfechtung. Die Aufstellung unterliegt dem Vollständigkeits- und Einzelerfassungsgebot. Inventurvereinfachungsverfahren (§§ 240, 241 HGB) dürfen nur in besonders zu dokumentierenden Ausnahmefällen (z.B. bei völlig unwirtschaftlichen Kosten) angewandt werden2. Eine besondere Form des Masseverzeichnisses ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. In der Praxis üblich ist eine tabellarische Aufstellung, deren Gliederung sich an § 266 HGB orientiert. § 151 Abs. 2 InsO schreibt vor, dass der tatsächliche Wert eines jeden Gegenstandes, bezogen auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung, anzugeben ist, und zwar gesondert als Fortführungs- und Liquidationswert, sofern sich beide Werte unterscheiden. Scheidet eine Fortführung des Unternehmens aus (z.B. weil es bei Antragstellung schon stillgelegt ist), entfällt die Doppelangabepflicht3. Liquidationswert ist der am konkreten (insolvenzspezifischen) Absatzmarkt im Wege der Einzelveräußerung erzielbare Preis; eine Verrechnung mit Kosten der Verwertung findet nicht statt, vielmehr sind diese unter den Masseverbindlichkeiten auszuweisen4. Der Fortführungswert bestimmt sich nach dem konkreten Konzept der Fortführung und der geplanten Verwertung des Unternehmens als Ganzes, im Rahmen einer Teilfortführung oder eines Insolvenzplans5. Im Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) sind alle bekannten Verbindlichkeiten des 7.114 Insolvenzschuldners einzeln mit Grund und Betrag der Forderung sowie unter gesonderter Berücksichtigung von Absonderungsrechten und Aufrechnungsmöglichkeiten aufzulisten6; die zusätzliche Angabe von Name und ladungsfähiger Anschrift der Gläubiger ist Grundlage für die vorzunehmenden Zustellungen, insb. des Eröffnungsbeschlusses. Zur besseren Übersichtlichkeit empfiehlt sich eine Gliederung nach Gläubigergruppen (Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten7, Insolvenzgläubiger, aufrechnungsberechtigte Gläubiger, absonderungsberechtigte Gläubiger, nachrangige Gläubiger und Aussonderungsgläubiger). Die Vermögensübersicht (§ 153 InsO) ist ein auf den Zeitpunkt der Insolvenz- 7.115 eröffnung verdichtetes Bild der Aktiva und Passiva, indem sie auf der Aktivseite handelsbilanzähnlich gegliedert die Massegegenstände und auf der Passivseite 1 Ungeachtet etwaiger Absonderungsrechte; bei Einzelkaufleuten auch das Privatvermögen. Aussonderungsgegenstände sind aufzunehmen, wenn die Rechtslage zweifelhaft ist oder die Ausübung von Wahlrechten (z.B. aus § 107 Abs. 2 InsO) noch nicht feststeht (IDW RH HFA 1.010, ZInsO 2009, 75 Rz. 18). 2 IDW RH HFA 1.010, ZInsO 2009, 75 Rz. 27 f. 3 Haffa/Leichtle in Braun, 6. Aufl. 2014, § 151 InsO Rz. 8; Jungmann in Karsten Schmidt, 18. Aufl. 2013, § 151 InsO Rz. 13. 4 IDW RH HFA 1.010, ZInsO 2009, 74 Rz. 34. 5 Als Bestandteil des Gesamtkaufpreises oder Wiederbeschaffungswert; IDW RH HFA 1.010, ZInsO 2009, 74 Rz. 36 ff. und Rz. 39 ff. zu Einzelfragen der Wertermittlung. 6 Dagegen werden in der Tabelle (§ 175 InsO) nur die angemeldeten Insolvenzforderungen eingetragen. 7 An sich widerspricht deren Angabe im Gläubigerverzeichnis dogmatisch dem Stichtagsprinzip. Dies ist jedoch zur Quotenschätzung notwendig.

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7.116

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

entsprechend den insolvenzspezifischen Besonderheiten das Gläubigerverzeichnis in Sammelposten (analog § 266 HGB) abbildet1. Soweit für die Massegegenstände Liquidations- und Fortführungswerte ausgewiesen werden, sind beide zu übernehmen2. Die Darstellung erfolgt, wie in der Handelsbilanz, in Kontoform („gegenüberstellen“). In der Vermögensübersicht sind auch die geschätzten Masseverbindlichkeiten unter der Prämisse einer zügigen Verwertung auszuweisen, um aus der Gegenüberstellung der verteilungsfähigen Masse3 zur Summe aller an der Schlussverteilung teilnehmenden Forderungen (§ 188 InsO) die voraussichtliche Quote ermitteln zu können. Auf Antrag des Verwalters oder eines Gläubigers hat der Schuldner die Vollständigkeit der gesamten Vermögensübersicht einschließlich etwaiger Anfechtungstatbestände4 an Eides statt zu versichern. Ist die Vermögensübersicht nach Ansicht des Schuldners unrichtig/unvollständig, kann er nur Bedenken zu Protokoll geben oder eine von ihm entsprechend ergänzte Fassung versichern; er ist nicht berechtigt, deswegen die Versicherung zu verweigern5. 7.116 Anlass für eine Rechnungslegung nach § 66 InsO kann nicht nur der Abschluss des Verfahrens oder eine Nachtragsverteilung (§ 205 Satz 2 InsO) sein, sondern auch die vorzeitige Beendigung des Verwalteramtes durch Abwahl, Entlassung oder Tod6 sowie ein Beschluss der Gläubigerversammlung zur Zwischenrechnungslegung (§ 66 Abs. 3 InsO) oder die Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 211 Abs. 2 InsO). Aufgrund der Verweisung in § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO besteht die Rechnungslegungspflicht auch für den vorläufigen Insolvenzverwalter und nach allgemeiner Auffassung7 auch für den gesetzlich nicht geregelten Sonderinsolvenzverwalter. Im Falle der Eigenverwaltung trifft diese Pflicht den Schuldner selbst (§ 281 Abs. 3 InsO). Adressat der Rechnungslegung ist die Gläubigerversammlung. Durch das ESUG wurde die Möglichkeit geschaffen, im Insolvenzplan eine abweichende Bestimmung zu treffen (§ 66 Abs. 1 Satz 2 InsO). 7.117 Eine Regelung, wie die Rechnungslegung im Einzelnen erfolgen soll, enthält die Insolvenzordnung nicht. Allgemein wird jedoch davon ausgegangen, dass zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Rechenschaftspflicht als Mindestinhalt gehören8: 1 IDW RH HFA 1.011, ZInsO 2009, 130 Rz. 20 ff. 2 Haffa/Leichtle in Braun, 6. Aufl. 2014, § 153 InsO Rz. 3. 3 Das ist die Summe aller Verwertungserlöse nach Abzug der Zahlungen an (Aus- und) Absonderungsgläubiger sowie Befriedigung aller Verfahrenskosten und sonstigen Masseverbindlichkeiten. 4 Sinz in Uhlenbruck, 14. Aufl. 2015, § 153 InsO Rz. 6; Depré in Heidelberger Kommentar zur InsO, 7. Aufl. 2014, § 153 InsO Rz. 11. 5 BGH v. 21.10.2010 – IX ZB 24/10, NZI 2011, 61 ff. 6 Hier haben die Erben die Teilschlussrechnung zu legen, wobei i.d.R. eine Überschussrechnung genügt; Lind in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, 2. Aufl. 2014, § 66 InsO Rz. 4; Schmitt in Frankfurter Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2014, § 66 InsO Rz. 3. 7 Lind in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, 2. Aufl. 2014, § 66 InsO Rz. 1; Mock in Uhlenbruck, 14. Aufl. 2015, § 66 InsO Rz. 36; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Aufl. 2015, § 66 InsO Rz. 19; Onusseit in Kübler/Prütting/Bork, § 66 InsO Rz. 9. 8 Mock in Uhlenbruck, 14. Aufl. 2015, § 66 InsO Rz. 48 ff.; Riedel in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2013, § 66 InsO Rz. 9 ff.; Schmitt in Frankfurter Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2015, § 66 InsO Rz. 7 ff.; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Aufl. 2015, § 66 InsO Rz. 5 ff.; Lind in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier,

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Bilanzpraxis in der Insolvenz der GmbH

7.117

– Schlussrechnung (Einnahmen-Ausgaben-Rechnung): In dieser sind – genauer gesagt – die Einzahlungen und Auszahlungen beginnend mit der Eröffnung des Verfahrens bis zum Zeitpunkt der Schlussrechnung erfasst. Sie leitet sich aus der Insolvenzbuchhaltung ab, in der alle Geschäftsvorfälle entsprechend den GoB chronologisch verbucht sind. Aufzunehmen sind alle Konten und Barkassen des Verfahrens einschließlich etwaiger Treuhandkonten1. Zu allen rechnerischen Belegen (Kontoauszügen, Kassenbuch) sind auch die jeweiligen sachlichen Belege (Verträge, Rechnungen etc.) beizufügen. – Schlussbericht (Tätigkeitsbericht): Erst die Erläuterung des Rechenwerks macht die Verwaltertätigkeit nachvollziehbar. Dies erfordert einen ergänzenden Bericht, der – anknüpfend an die Vermögensübersicht (§ 153 InsO) – Auskunft erteilt über die Zusammensetzung der Masse sowie die Art und Weise ihrer Realisierung, nämlich das Ergebnis der Verwertung von Massegegenständen einschließlich des Forderungseinzugs bzw. von Masseprozessen, die Abwicklung von Verträgen, etwaige Fortführungserfolge, befriedigte Aus- und Absonderungsrechte sowie bezahlte Masseverbindlichkeiten2. Soweit das Verwertungsergebnis von der ursprünglichen Prognose in der Vermögensübersicht abweicht oder eine Verwertung gänzlich scheitert, sind die Gründe dafür eingehend darzustellen. Der Vergütungsantrag des Insolvenzverwalters ergänzt den Schlussbericht und gehört mit zur Rechnungslegung3, da er die Insolvenzquote beeinflusst. – Schlussverzeichnis (Verteilungsverzeichnis): Auf der Grundlage der Insolvenztabelle ist das Verzeichnis nach § 188 InsO zu erstellen, in dem alle Forderungen aufzunehmen sind, die an der Verteilung teilnehmen4. Ferner ist die verteilungsfähige Masse anzugeben, die für Schluss- und Nachtragsverteilung zur Verfügung steht. Vor jeder Verteilung ist, sofern vorhanden, die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen (§ 187 Abs. 3 Satz 2 InsO) und vor einer Schlussverteilung zusätzlich die Zustimmung des Insolvenzgerichts (§ 196 Abs. 2 InsO). – Schlussbilanz (abschließende Vermögensübersicht): Eine Verpflichtung zur Erstellung einer Insolvenzschlussbilanz besteht nicht5. Sie soll – als Fortführung der Insolvenzeröffnungsbilanz – das Ergebnis der gesamten Verwaltungs- und Verwertungstätigkeit zusammenfassen. Im Idealfall weist sie als einzigen Aktivposten nur noch das Guthaben auf dem Insolvenz-

1 2 3 4 5

2. Aufl. 2014, § 66 InsO Rz. 6. S. dazu auch die Vorschläge im GAVI (BR-Drucks. 566/07 (B)), unter Art. 1 Nr. 10 zur Ergänzung des § 66 InsO; IDW RH HFA 1.011, ZInsO 2009, 130 Rz. 47 ff. Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Aufl. 2015, § 66 InsO Rz. 5. Lind in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, 2. Aufl. 2014, § 66 InsO Rz. 6; Riedel in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2013, § 66 InsO Rz. 12. IDW RH HFA 1.011, ZInsO 2009, 130 Rz. 65 ff. Zu Einzelheiten: Preß in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Aufl. 2015, § 188 InsO Rz. 6. Blümle in Braun, 6. Aufl. 2014, § 66 InsO Rz. 10; Riedel in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2013, § 66 InsO Rz. 11; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Aufl. 2015, § 66 InsO Rz. 6.

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7.118

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

anderkonto auf (nebst ggf. nicht verwertbaren Vermögensgegenständen) und auf der Passivseite die noch offenen Verfahrenskosten1 sowie die an der Schlussverteilung teilnehmenden Forderungen. 7.118 Die Prüfung durch das Gericht (ggf. unter Hinzuziehung eines Sachverständigen) umfasst in formeller Hinsicht die äußere Ordnungsmäßigkeit und rechnerische Richtigkeit, wozu auch die Prüfung gehört, ob alle Geschäftsvorfälle ordnungsgemäß erfasst sind2 und die Voraussetzungen der Schlussverteilung vorliegen, d.h. die Verwertung der Insolvenzmasse beendet ist3. In materieller Hinsicht beschränkt sich die Prüfung auf die Rechtmäßigkeit des Verwalterhandelns; eine Zweckmäßigkeitsprüfung der von ihm ergriffenen Maßnahmen findet nicht statt, es sei denn, es liegt ein insolvenzzweckwidriger Missbrauch vor4. 7.119 Der Insolvenzverwalter bleibt auch in massearmen und masseunzulänglichen Verfahren zur insolvenzrechtlichen Rechnungslegung verpflichtet (originäre Aufgabe)5. 7.120 Die Pflicht zur Rechnungslegung dauert auch nach Einreichung des Schlussberichtes bis zur Aufhebung des Verfahrens an6 und wird regelmäßig durch die Einreichung eines sog. Ausschüttungsberichtes erfüllt, in den auch die in der Zwischenzeit angefallenen weiteren Ein- und Auszahlungen aufzunehmen sind. 2. Externe Rechnungslegung 7.121 Gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO bleiben die externen handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegungspflichten der GmbH im Insolvenzverfahren unberührt (vgl. auch Rz. 3.12 ff.)7. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt ein neues Geschäftsjahr (§ 155 Abs. 2 Satz 1 InsO). Es ist deshalb für die vorausgegangene Periode ein Rumpfgeschäftsjahr zu bilden und auf den Stichtag vor Insolvenzeröffnung vom Insolvenzverwalter8 ein vollständiger Jahresabschluss zu erstellen, also einschließlich Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und ggf. Lage1 Bei Masseunzulänglichkeit auch offene Neu- und Altmasseverbindlichkeiten i.S. von § 209 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO. 2 Riedel in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2013, § 66 InsO Rz. 26. 3 Lind in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, 2. Aufl. 2014, § 66 InsO Rz. 8. 4 Blümle in Braun, 6. Aufl. 2014, § 66 InsO Rz. 19; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Aufl. 2015, § 66 InsO Rz. 12; Riedel in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2013, § 66 InsO Rz. 28; Metoja in Heidelberger Kommentar zur InsO, 7. Aufl. 2014, § 66 InsO Rz. 60. 5 Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Aufl. 2015, § 66 InsO Rz. 10; Mock in Uhlenbruck, 14. Aufl. 2015, § 66 InsO Rz. 44 ff.; Onusseit in Kübler/ Prütting/Bork, § 66 InsO Rz. 5. 6 BGH v. 30.9.2010 – IX ZB 85/10, NZI 2010, 997 Rz. 3. 7 Dazu Bitter in Scholz, 11. Aufl. 2015, vor § 64 GmbHG Rz. 155; eingehend Förschle/ Weisang in Budde/Förschle/Winkeljohann, Sonderbilanzen, 4. Aufl. 2008, Rz. R 50 ff. 8 Streitig; für Pflicht des Insolvenzverwalters: Haffa/Leichtle in Braun, 6. Aufl. 2014, § 155 InsO Rz. 8; Füchsl/Weißhäupl/Jaffé in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2013, § 155 InsO Rz. 4; Boochs in Frankfurter Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2015, § 155 InsO Rz. 12 f.; IDW RH HFA 1.012, ZInsO 2009, 179 Rz. 5, 12 f.; a.A. Förschle/ Deubert in Budde/Förschle/Winkeljohann, Sonderbilanzen, 4. Aufl. 2008, Rz. K 49 ff.

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Bilanzpraxis in der Insolvenz der GmbH

7.122

bericht (Schlussbilanz der werbenden Gesellschaft)1. Dass diese Pflicht bereits den Insolvenzverwalter trifft, obwohl der Zeitraum, für den Rechnung zu legen ist, vor Insolvenzeröffnung liegt, erklärt sich daraus, dass die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung eine lückenlose Rechnungslegung und Dokumentation aller Geschäftsvorfälle erfordert; dazu gehören auch Gewinn- und Verlustvorträge aus der Vorperiode und die Nachvollziehbarkeit der Eröffnungsbilanzwerte in der Folgebilanz. Eine Bewertung zu Fortführungswerten ist nur gerechtfertigt, wenn trotz Insolvenzeröffnung nach dem Verwertungskonzept des Insolvenzverwalters von einer Fortführung auszugehen. Im Regelfall dürfte dies ausscheiden, so dass unter dem Gesichtspunkt der Wertaufhellung von Liquidationswerten auszugehen ist2. Insolvenzspezifische Ansprüche und Verpflichtungen sind in der Schlussbilanz noch nicht zu erfassen, da sie erst mit Insolvenzeröffnung entstehen3. Das neue Geschäftsjahr beginnt am Stichtag der Verfahrenseröffnung, woraus für 7.122 den Insolvenzverwalter gemäß § 242 HGB die Pflicht zur Aufstellung einer handelsrechtlichen Insolvenzeröffnungsbilanz folgt4; diese knüpft nach dem Prinzip der Bilanzkontinuität unmittelbar an die für das Rumpfgeschäftsjahr aufgestellte Schlussbilanz an5. Auf der Aktivseite ergeben sich i.d.R. nur Korrekturen dadurch, dass noch insolvenzspezifische Ansprüche (insb. aus Insolvenzanfechtung) zu ergänzen sind sowie sich der „Nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag“ erhöhen wird; Wertberichtigungen sind nämlich bereits nach dem Wertaufhellungsgrundsatz (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) in der Schlussbilanz berücksichtigt. Auf der Passivseite müssen noch Rückstellungen für die Verfahrenskosten (§ 54 InsO), etwaige sonstige Abwicklungskosten (Räumung, Datensicherung, Akteneinlagerung) und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften6 (insb. unproduktive Lohnkosten während der auslaufenden Kündigungsfrist) gebildet werden. Ferner ist die Vorsteuerberichtigung aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG als Insolvenzforderung zu ergänzen. Die Eröffnungsbilanz unterscheidet sich in Ansatz und Bewertung von der Vermögensübersicht. Während in der Vermögensübersicht die handelsrechtlichen Bilanzierungs- und Bewertungsgrundsätze für Vermögensgegenstände nicht zu beachten sind, ist deren Beachtung auch in der Insolvenz für die handelsrechtlichen Rechenwerke zwingend geboten7. Ferner ist der Eröffnungsbilanz ein erläuternder Bericht beizufügen (analog §§ 270 Abs. 1 AktG,

1 Förschle/Weisang in Budde/Förschle/Winkeljohann, Sonderbilanzen, 4. Aufl. 2008, Rz. R 55 f.; Haas in Baumbach/Hueck, 20. Aufl. 2013, § 64 GmbHG Rz. 67; Andres in Nerlich/Römermann, § 155 InsO Rz. 19 f.; Hess, § 155 InsO Rz. 35. 2 IDW RS HFA 17, Rz. 3, 19 ff.; IDW PS 270, Rz. 6; IDW RH HFA 1.012, ZInsO 2009, 179 Rz. 15. 3 IDW RH HFA 1.012, ZInsO 2009, 179 Rz. 14. 4 Vgl. nur Förschle/Weisang in Budde/Förschle/Winkeljohann, Sonderbilanzen, 4. Aufl. 2008, Rz. R 75 ff.; Sinz in Uhlenbruck, 14. Aufl. 2015, § 155 InsO Rz. 18. 5 Haas in Baumbach/Hueck, 20. Aufl. 2013, § 64 GmbHG Rz. 48; Andres in Nerlich/ Römermann, § 155 InsO Rz. 23; Hess, 2. Aufl. 2013, § 155 InsO Rz. 70 ff. 6 § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB; Kozikowski/Schubert in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 9. Aufl. 2014, § 249 HGB Rz. 52. 7 IDW RH HFA 1.012, ZInsO 2009, 179, Rz. 21.

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7.123

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

71 Abs. 1 GmbHG)1, der auch Angaben zum Verfahrensstand, der voraussichtlichen Verfahrensdauer und den geplanten Verwertungsmaßnahmen enthalten soll. 7.123 Vom Eröffnungszeitpunkt an besteht eine Pflicht zu jährlicher Rechnungslegung2, die während des Insolvenzverfahrens der Insolvenzverwalter wahrzunehmen hat, weil sie „in Bezug auf die Insolvenzmasse“ erfolgt (§ 155 Abs. 1 Satz 2 InsO). Nur im Fall der Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO (Rz. 9.1 ff.) bleibt es bei der Rechnungslegungszuständigkeit der Geschäftsführer. Der Insolvenzverwalter muss sich, um der gesetzlichen Rechnungslegungspflicht zu genügen, auch bemühen, eine unvollständige Buchführung wieder in Ordnung zu bringen3. Daraus wird überwiegend seine Verpflichtung hergeleitet, auch Jahresabschlüsse für Zeiträume vor Insolvenzeröffnung nachzuholen, zumal sich erst daraus die Eröffnungsbilanzwerte sowie Gewinn- und Verlustvorträge ableiten lassen (Rz. 7.121)4. Dazu gehören auch nichtige Jahresabschlüsse5 für Zeiträume vor Insolvenzeröffnung6. Als Vermögensverwalter gemäß § 34 AO hat er alle steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen; daher trifft ihn auch die Verpflichtung, für sämtliche Steuerabschnitte Steuererklärungen und -anmeldungen abzugeben, und zwar einschließlich der Zeiträume vor Insolvenzeröffnung7.

1 Begr. zu § 174 RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, abgedruckt in Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, 2. Aufl. 1999, S. 399 f.; IDW RH HFA 1.012, ZInsO 2009, 179, Rz. 22. 2 Haas in Baumbach/Hueck, 20. Aufl. 2013, § 64 GmbHG Rz. 50. Eine Rückkehr zum ursprünglichen Geschäftsjahresrhythmus kann der Insolvenzverwalter durch eine Anmeldung zur Eintragung im Handelsregister oder durch eine sonstige Mitteilung an das Registergericht bewirken: BGH v. 14.10.2014 – II ZB 20/13, NZI 2015, 135 Rz. 11 ff. = GmbHR 2015, 132 m. Anm. Melchior; Sinz in Uhlenbruck, 14. Aufl. 2015, § 155 InsO Rz. 16; Haffa/Leichtle in Braun, 6. Aufl. 2014, § 155 InsO Rz. 8; IDW RH HFA 1.012, ZInsO 2009, 179 Rz. 10. 3 BGH v. 29.5.1979 – VI ZR 104/78, BGHZ 74, 316 = ZIP 1980, 25; Boochs in Frankfurter Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2015, § 155 InsO Rz. 86; Hess, 2. Aufl. 2013, § 155 InsO Rz. 68 f. 4 BFH v. 19.11.2007 – VII B 104/07, BFH/NV 2008, 334 Rz. 6; BFH v. 23.8.1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 194 = GmbHR 1995, 143; LG Frankfurt/O. v. 4.9.2006 – 32 T 12/05, NZI 2007, 294 juris-Rz. 9 unter Hinweis auf OLG München v. 10.8.2005 – 31 Wx 61/05, ZInsO 2005, 1278 = GmbHR 2005, 1434; Füchsl/Weißhäupl/Jaffé in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2013, § 155 InsO Rz. 4; Haas in Baumbach/Hueck, 20. Aufl. 2013, § 64 GmbHG Rz. 59b; IDW RH HFA 1.012, ZInsO 2009, 179 Rz. 5; a.A. Boochs in Frankfurter Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2015, § 155 InsO Rz. 6. 5 Dies hat zur Folge, dass auch Gewinnverwendungsbeschlüsse analog § 253 AktG nichtig (BFH v. 17.12.2003 – I B 182/02, GmbHR 2004, 748) und die Empfänger rückgewährpflichtig sind (§ 62 Abs. 1 AktG, §§ 31 Abs. 1, 32 GmbHG), es sei denn, sie waren im Hinblick auf die Umstände der Nichtigkeit gutgläubig. 6 Lind in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, 2. Aufl. 2014, § 155 InsO Rz. 12; inzident auch OLG Dresden v. 30.9.2009 – 13 W 281/09, ZIP 2009, 2458. 7 BFH v. 19.11.2007 – VII B 104/07, BFH/NV 2008, 334 Rz. 6; BFH v. 23.8.1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 194 sub 1.a. = GmbHR 1995, 143; Denkhaus in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Aufl. 2015, § 155 InsO Rz. 25; Lind in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, 2. Aufl. 2014, § 155 InsO Rz. 16.

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Bilanzpraxis in der Insolvenz der GmbH

7.127

Nach der Rechtsprechung1 und der ihr folgenden h.M. in der Literatur2 soll der 7.124 Insolvenzverwalter auch nach Eintritt der Massearmut weiter zur handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung verpflichtet sein. Lediglich für den Fall, dass damit umfangreiche Buchführungs- und Abschlussarbeiten verbunden sind, hat die Rechtsprechung dies offen gelassen3. Die Finanzverwaltung kann wegen Nichtabgabe von Steuererklärungen (auch von sog. Null-Erklärungen) ein Zwangsgeld gegen den Verwalter festsetzen4. Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 InsO) endet das letzte Geschäfts- 7.125 jahr in der Insolvenz, für das gemäß § 155 InsO i.V.m. §§ 238 ff. HGB vom Verwalter eine handelsrechtliche Schlussbilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und ggf. Lagebericht zu erstellen ist5. Diese gehört zur externen Rechnungslegung und darf nicht mit der internen Schlussrechnungslegung des Insolvenzverwalters verwechselt werden. Wird das Insolvenzverfahren ohne Vollbeendigung der Gesellschaft beendet (also 7.126 durch Einstellung oder durch Aufhebung nach der Verabschiedung eines Insolvenzplans), so wird gleichfalls ein Rumpfgeschäftsjahr gebildet, und es beginnt für die fortbestehende Gesellschaft ein neues Geschäftsjahr mit Rechnungslegungspflichten der zuständigen Organe6. Auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Kapi- 7.127 talgesellschaft bleibt dessen vertretungsberechtigtes Organ (und nicht etwa der Insolvenzverwalter) Adressat der Pflicht zur Offenlegung des Jahresabschlusses nach § 325 Abs. 1 HGB7. Dies hat der Gesetzgeber durch die Einfügung der Worte „für diese“ in § 325 Abs. 1 Satz 1 und § 325a Abs. 1 Satz 1 HGB ausdrücklich 1 Grundlegend BFH v. 23.8.1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 194 = GmbHR 1995, 143 sub 2.b, bb; bestätigt in BFH v. 6.11.2012 – VII R 72/11, ZIP 2013, 83 Rz. 18; BGH v. 22.7.2004 – IX ZB 161/03, ZInsO 2004, 970; a.A. Onusseit, ZIP 2005, 1798, 1804 f. Zwar sind diese Entscheidungen zu Steuererklärungspflichten ergangen; den Gründen ist jedoch zu entnehmen, dass sie sich auch auf (Steuer-)Bilanzen beziehen (BFH v. 23.8. 1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 194 sub 1.a und 2.b, cc = GmbHR 1995, 143; BGH v. 22.7.2004 – IX ZB 161/03, ZInsO 2004, 970 sub III.3.c und IV.1.), und daher die gleichen Rechtsgrundsätze auch für die handelsrechtlichen Pflichten gelten. 2 Andres in Nerlich/Römermann, § 155 InsO Rz. 16; Kübler in Kübler/Prütting/Bork, § 155 InsO Rz. 18; Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung im Insolvenzverfahren, Rz. 77; IDW RH HFA 1.012, ZInsO 2009, 179 Rz. 40; einschränkend: Füchsl/Weißhäupl/ Jaffé in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2013, § 155 InsO Rz. 40; Denkhaus in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Aufl. 2015, § 155 InsO Rz. 5. 3 BFH v. 23.8.1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 194 sub 2.b, bb = GmbHR 1995, 143. 4 BFH v. 6.11.2012 – VII R 72/11, ZIP 2013, 83 Rz. 15. 5 IDW RH HFA 1.012, ZInsO 2009, 179 Rz. 28 ff.; Lind in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, 2. Aufl. 2014, § 155 InsO Rz. 8. 6 Haas in Baumbach/Hueck, 20. Aufl. 2013, § 64 GmbHG Rz. 50; Andres in Nerlich/ Römermann, § 155 InsO Rz. 41. 7 LG Bonn v. 16.9.2009 – 30 T 366/09, NZI 2009, 781; LG Bonn v. 13.11.2008 – 30 T 275/08, NZI 2009, 194 = GmbHR 2009, 94; LG Bonn v. 30.6.2008 – 11 T 48/07, BeckRS 2008, 17128; LG Bonn v. 22.4.2008 – 11 T 28/07, ZIP 2008, 1082 = GmbHR 2008, 593; Sinz in Uhlenbruck, 14. Aufl. 2015, § 155 InsO Rz. 14; Schlauß, BB 2008, 938; a.A. LG Frankfurt/O. v. 4.9.2006 – 32 T 12/05, NZI 2007, 294; Kübler in Kübler/ Prütting/Bork, § 155 InsO Rz. 73d; Holzer, ZVI 2007, 401, 405 – Annex zur Bilanzierungspflicht; Grashoff, NZI 2008, 65, 69 – verfassungsrechtliche Bedenken; a.A. [Pflicht

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7.128

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

klargestellt1. Deshalb ist auch die Androhung eines Ordnungsgeldes wegen Nichteinreichens des Jahresabschlusses vom Bundesamt für Justiz an das Organ der Gesellschaft zu richten2. Allerdings wird es meist an dessen Verschulden fehlen, da die Insolvenzgesellschaft aufgrund des Insolvenzbeschlags mit Verfahrenseröffnung auf Rücklagen zur Aufbringung der Rechnungs- und Offenlegungskosten nicht mehr zugreifen kann3. Offenlegen kann der organschaftliche Vertreter der Kapitalgesellschafter nur einen Jahresabschluss, soweit er sich auf das nicht zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen bezieht. Er hat mithin eine sog „Nullbilanz“ einzureichen, um Gläubigern einen Einblick in das insolvenzfreie Vermögen zu verschaffen4. Selbst die Veröffentlichung eines nichtigen Jahresabschlusses genügt zur Erfüllung der Offenlegungsverpflichtung gemäß § 325 HGB, da sich die Prüfung auf die Vollständigkeit und Vollzähligkeit der Unterlagen beschränkt5. Ungeachtet der Adressatenstellung des Geschäftsführers für Sanktionen bleibt daneben der Insolvenzverwalter verpflichtet, Jahresabschlüsse in Bezug auf die Insolvenzmasse zu veröffentlichen6. Mangels abweichender Beschlussfassung bestimmt sich das maßgebliche Geschäftsjahr nicht nach dem Kalenderjahr, sondern nach dem mit dem Tag der Insolvenzeröffnung beginnenden Jahreszeitraum7. Die Erleichterungsvorschriften für kleine und mittelgroße Gesellschaften (§§ 326, 327 HGB) bleiben anwendbar. 7.128 Gegenstand der Prüfungspflicht sind die Schlussbilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung sowie Anhang der werbenden Gesellschaft (ggf. auch Lagebericht), die Eröffnungsbilanz nebst erläuternden Bericht, die periodischen Zwischenabschlüsse und die Schlussbilanz bei Beendigung des Insolvenzverfahrens8. Die Regelungen der §§ 316 ff. HGB, § 71 Abs. 3 GmbHG sind entsprechend anwendbar. Die Befreiung von der Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts gemäß § 71 Abs. 3 GmbHG kommt allerdings nach h.M. nicht in Betracht für Rechnungslegungszeiträume vor der Auflösung der Gesellschaft9. 7.129–7.140

1 2 3 4 5 6 7 8 9

vacat

trifft Organ und Insolvenzverwalter] Denkhaus in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Aufl. 2015, § 155 InsO Rz. 15. Beschlussempfehlung RA, BT-Drucks. 16/2781, S. 12, Begründung S. 81. LG Bonn v. 16.5.2008 – 11 T 52/07, ZIP 2008, 662; LG Bonn v. 22.4.2008 – 11 T 28/07, ZIP 2008, 1082 = GmbHR 2008, 593; LG Frankfurt v. 1.10.2007 – 3-16 T 30/07, ZIP 2007, 2325. LG Bonn v. 16.9.2009 – 30 T 366/09, ZIP 2009, 2107. LG Bonn v. 13.11.2008 – 30 T 275/08, NZI 2009, 194 = GmbHR 2009, 94; Schmittmann in Karsten Schmidt, 18. Aufl. 2013, § 155 InsO Rz. 48; zur Zulässigkeit allgemein: LG Bonn v. 15.3.2013 – 37 T 730/12, ZIP 2013, 986 = AG 2014, 131. BayObLG v. 26.5.2000 – 3 Z BR 111/00, NJW-RR 2000, 1350 = GmbHR 2000, 1103. LG Bonn v. 7.5.2008 – 11 T 50/07, NZG 2008, 587. LG Bonn v. 20.11.2009 – 39 T 1252/09, NZI 2010, 77. Sinz in Uhlenbruck, 14. Aufl. 2015, § 155 InsO Rz. 24; IDW RH HFA 1.012, ZInsO 2009, 179 Rz. 42. OLG München v. 10.8.2005 – 31 Wx 061/05, NZI 2006, 108 = GmbHR 2005, 1434; Haas in Baumbach/Hueck, 20. Aufl. 2013, § 71 GmbHG Rz. 32.

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Übertragende Sanierung im eröffneten Verfahren

7.142

VII. Übertragende Sanierung im eröffneten Verfahren 1. Grundsätzliches a) Die vom Verfasser mit diesem Begriff belegte „übertragende Sanierung“ (oben 7.141 Rz. 2.231 ff.) ist ein asset deal in Gestalt der Unternehmens-(Teil-)Veräußerung. Die übertragende Sanierung ist aus der Sicht der Masse eine Verwertungshandlung, aus der Sicht des Unternehmens dagegen eine Sanierungsmaßnahme (vgl. Rz. 7.1). Außerhalb des Insolvenzverfahrens ist die übertragende Sanierung mit Risiken versehen (Rz. 2.232 f.). Sie bekommt jedoch im Insolvenzverfahren ein anderes Gesicht1. Einer Beschlussfassung der Gesellschafter bedarf es für die Unternehmensübertragung nicht (vgl. demgegenüber Rz. 2.235). Das Bedenken fehlender Gläubigeranhörung entfällt ebenso wie das Risiko unverhältnismäßiger Erwerberhaftung. Nach § 157 InsO hat die Gläubigerversammlung schon im Berichtstermin über die Stilllegung oder Fortführung des Unternehmens zu entscheiden2. Die Veräußerung des Unternehmens bedarf dann nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO der Zustimmung des Gläubigerausschusses3, bei der Veräußerung an Insider sogar der Gläubigerversammlung (dazu im Einzelnen § 162 InsO)4. Der Verwalter darf also das Unternehmen nicht ohne Anhörung der Gläubiger aus der Masse veräußern5. Die übertragende Sanierung hat damit im eröffneten Insolvenzverfahren eine vollständig veränderte Legitimationsgrundlage, auch wenn selbstverständlich das Entscheidungsschwergewicht in der Praxis innerhalb wie außerhalb des Insolvenzverfahrens bei dem Verwalter resp. den Gesellschaftern und bei wenigen Großgläubigern zu liegen pflegt. Die Mitsprache der Gläubiger schmälert auch die für die übertragende Sanierung charakteristische Schwierigkeit der Marktpreisfindung, vor allem wenn den Insolvenzgläubigern Teilforderungen gegen den Unternehmenserwerber zugestanden werden6. b) Verringert ist auch im Vergleich zum asset deal außerhalb des Insolvenzverfah- 7.142 rens das Risiko einer Erwerberhaftung für Insolvenzverbindlichkeiten. Die Nichtanwendung des § 75 AO ist in dessen Abs. 2 ausdrücklich festgeschrieben. Die Nichtanwendbarkeit des § 25 HGB auf den Erwerb des Unternehmens aus der Insolvenzmasse entspricht gleichfalls einer gesicherten Rechtsprechung7. Schon nach altem Insolvenzrecht kamen bei der Unternehmensveräußerung aus der Masse § 419 BGB a.F. (Haftung des Vermögenserwerbers) und § 25 HGB (Haftung des Unternehmenserwerbers) nicht zum Zuge8. Der Erwerber des Unternehmens oder Unternehmensteils haftet also nicht für die Insolvenzverbindlichkeiten, während § 613a BGB im Insolvenzverfahren anwendbar bleibt (dazu 1 Dazu Falk/Schäfer, ZIP 2004, 1337 ff.; Menke, BB 2003, 1133 ff. 2 Ausführlich Zipperer in Uhlenbruck, § 160 InsO Rz. 7 ff. 3 Dazu etwa Görg in Münchener Kommentar zur InsO, § 157 InsO Rz. 16; Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 160 InsO Rz. 14. 4 Eingehend Falk/Schäfer, ZIP 2004, 1337, 1339 ff. 5 Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 160 InsO Rz. 13. 6 Vgl. Undritz in Kübler, HRI, § 2 Rz. 30. 7 BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 215/06, NJW 2007, 942 = ZIP 2006, 386, dort weitere Nachw.; zusammenfassend Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 7 Rz. 99 ff. 8 RG v. 21.5.1904 – Rep. I 85/04, RGZ 58, 166, 168; BGH v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, BGHZ 104, 151 = NJW 1988, 1912.

Karsten Schmidt

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7.143

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

Rz. 7.470 ff.)1. Die h.M. dehnt das Haftungsprivileg allerdings nicht auf den Erwerb vom vorläufigen Insolvenzverwalter aus2, ebenso wenig auf den Erwerb vom Schuldner im Fall der masselosen Insolvenz3. Nicht geklärt ist bisher, ob die bei der übertragenden Sanierung drohende Altlastenhaftung des Erwerbers (Rz. 2.234) zum Zuge kommen kann. Die Praxis sollte sich darauf einrichten. 7.143 Bewerkstelligt wird der Transfer nach dem Spezialitätsgrundsatz durch Einzelübertragungen: Jeder Unternehmensgegenstand wird nach den für ihn geltenden Regeln auf die Auffanggesellschaft übertragen. Eine übertragende Sanierung im Wege der Ausgliederung nach §§ 123 ff. UmwG kann der Verwalter nicht durchführen, weil die Ausgliederung auch im Insolvenzverfahren Sache der Gesellschafter bleibt4. Das beruht auf dem bei Rz. 7.5 ff. dargestellten Fortbestand ihrer mitgliedschaftlichen Kompetenzen im Insolvenzverfahren. Dagegen ist die Ausgliederung als Umwandlungsmaßnahme im Insolvenzplanverfahren seit 2012 gemäß § 225a Abs. 3 InsO zulässig. 2. Insolvenzplanverfahren 7.144 a) Die übertragende Sanierung wird weiterhin zu den bedeutsamsten Verwalterstrategien gehören, wenngleich § 225a InsO eine Sanierung des Unternehmensträgers statt nur des Unternehmens erheblich erleichtert hat (dazu Rz. 8.4 ff., 8.23 ff.). Im Insolvenzplanverfahren kann die übertragende Sanierung ein zulässiges und zweckmäßiges insolvenzrechtliches Instrument sein5. Seit 2012 (Inkrafttreten des ESUG) kann die Überführung des Unternehmens auf einen Erwerber – auch eine Auffanggesellschaft – einschließlich der hierfür erforderlichen Zustimmung der Gesellschafter direkt in die Planprozedur einbezogen werden6. Es besteht aber daneben die Möglichkeit, diesen Vorgang zur bloßen Voraussetzung im Rahmen eines bedingten Plans zu machen7. 7.145 b) Bei der Erstellung des Insolvenzplans, insbesondere seines darstellenden Teils (§ 220 InsO), spielt die einzuschlagende Zerschlagungs- oder Sanierungsstrategie eine entscheidende Rolle8. Insbesondere ist im Fall der übertragenden Sanierung darzustellen, dass nicht der Unternehmensträger saniert werden9, sondern das Unternehmen zu Sanierungszwecken aus der Insolvenzmasse herausgelöst wer1 BAG v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, ZIP 1980, 117; BAG v. 23.7.1991 – 3 AZR 366/90, ZIP 1992, 49. 2 BGH v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, BGHZ 104, 151 = NJW 1988, 1912; s. auch BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 215/06, BAGE 119, 306, 309 = NJW 2007, 942, 943; Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 7 Rz. 103; zweifelnd aber BFH v. 23.7.1998 – VII R 143/97, BFHE 186, 318 = ZIP 1998, 1845; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 25 HGB Rz. 11. 3 BGH v. 4.11.1991 – II ZR 85/91, NJW 1992, 911 = ZIP 1992, 398. 4 Zu den Gesellschafterkompetenzen vgl. Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 142 ff. 5 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 400 f., 563 f., 656 f.; Koch/de Bra in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 66 Rz. 9; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 217 InsO Rz. 6; Wellensiek, NZI 2002, 233 ff.; Zipperer, NZI 2008, 206 ff. 6 Vgl. Balthasar in Kübler, HRI, § 26 Rz. 63. 7 Dazu Balthasar in Kübler, HRI, § 26 Rz. 226. 8 Vgl. Eilenberger in Münchener Kommentar zur InsO, § 220 InsO Rz. 16 ff. 9 Dazu Eilenberger in Münchener Kommentar zur InsO, § 220 InsO Rz. 17.

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Karsten Schmidt

Haftungsrealisierung durch den Insolvenzverwalter

7.146

den soll1. Die übertragende Sanierung kann aus der Sicht der Insolvenzgläubiger eine optimale, im Insolvenzplan darzulegende Strategie der Masseverwertung sein, aber um einen echten Sanierungsplan nach dem Muster des § 225a InsO handelt es sich dabei nicht. Die bei Rz. 7.141 dargestellten Haftungsprivilegien für den Unternehmenserwerber gelten auch hier. Über die Abstimmung in der Gläubigerversammlung und über das Obstruktionsverbot vgl. Rz. 8.23 ff., 8.61 ff.

VIII. Haftungsrealisierung durch den Insolvenzverwalter 1. Gesellschafterhaftung a) Dass die Gesellschafterhaftung zu Gunsten aller Gläubiger durch den Insol- 7.146 venzverwalter geltend gemacht wird, versteht sich dort von selbst, wo die Haftung eines Gesellschafters als Innenhaftung ausgestaltet ist. Ansprüche aus einer solchen Innenhaftung gehören zur Insolvenzmasse (vgl. Rz. 7.11). Beispielsweise gilt dies – für die Einforderung nicht befreiend getilgter Einlageforderungen (§§ 5, 7, 19 GmbHG2), auch im Fall überbewerteter Sacheinlagen (§ 9 GmbHG), im Fall unwirksamer Voreinzahlungen auf erhöhtes Stammkapital (Rz. 2.42 ff.) sowie im Fall der umstrittenen verdeckten Sacheinlagen, die nach der bis 2008 ständigen Rechtsprechung einer geleisteten Bareinlage die Befreiungswirkung generell nahmen3, seither noch im Fall einer Unterdeckung zur Haftung führen (dazu Rz. 2.50 ff.); – für die Unterbilanz- und Vorbelastungshaftung aus dem Gründungsstadium4, – für die Rückforderung verbotener Ausschüttungen gemäß § 31 GmbHG (dazu Rz. 1.43 ff.5), – für die konzernrechtliche Verlustübernahmepflicht einer Muttergesellschaft zu Gunsten der GmbH-Tochter im Vertragskonzern analog § 302 AktG6, – für die Verschuldenshaftung von Gesellschaftern, insbesondere von Alleinoder Mehrheitsgesellschaftern für existenzielle Eingriffe (dazu Rz. 7.148 ff., 11.115 ff.), – für die Insolvenzverschleppungshaftung in der führungslosen Gesellschaft (Rz. 11.58). 1 Vgl. Eilenberger in Münchener Kommentar zur InsO, § 220 InsO Rz. 56; Zipperer, NZI 2008, 206, 207 f. 2 Eingehend Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 341 ff. 3 BGH v. 21.2.1994 – II ZR 60/93, BGHZ 125, 141, 151 = GmbHR 1994, 394 = LM § 19 GmbHG Nr. 16 m. Anm. Heidenhain; BGH v. 4.3.1996 – II ZR 89/95, BGHZ 132, 183 = GmbHR 1996, 283; zuletzt BGH v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 643 = GmbHR 2008, 483. 4 Vgl. zu dieser BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 136 = GmbHR 1981, 114 = NJW 1981, 1373, 1376 f.; BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300, 303 = GmbHR 1989, 74 = NJW 1989, 710; Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, InsolvenzrechtsHandbuch, § 92 Rz. 357, 360 f. 5 Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 366. 6 Dazu BGH v. 19.9.1988 – II ZR 255/87, BGHZ 105, 168, 182 = GmbHR 1989, 18, 20.

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7.147

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

Ohne weiteres zuständig ist der Insolvenzverwalter auch für die Insolvenzanfechtung, vor allem gerichtet auf Wiedereinzahlung zurückgewährter Gesellschafterdarlehen nach § 135 InsO (Rz. 9.133 ff.). 7.147 Für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen benötigt der Insolvenzverwalter keinen Gesellschafterbeschluss, auch nicht in Fällen des § 46 Nr. 8 GmbHG1. 7.148 b) Komplizierter verhält es sich mit der persönlichen Gesellschafterhaftung gegenüber Gesellschaftsgläubigern als Außenhaftung. Solche Haftungsansprüche sind charakteristisch für das Recht der Personengesellschaften einschließlich der GmbH & Co. KG2. Hier sorgt das Gesetz dafür, dass sowohl die beschränkte Kommanditistenhaftung (§ 171 Abs. 2 HGB) als auch die unbeschränkte Haftung persönlich haftender Gesellschafter (§ 93 InsO) durch den Insolvenzverwalter und nicht durch die einzelnen Gläubiger geltend gemacht wird3. Bei einer eingetragenen und deshalb mit der Haftungsbeschränkung nach § 13 Abs. 2 GmbHG versehenen GmbH wird es eine solche Haftung allenfalls unter Durchgriffsbedingungen geben, also wenn die Haftungsbeschränkung wegen Missbrauchs vollends negiert wird (Rz. 1.34)4. Solche echten Außendurchgriffe können wegen ihrer extremen Seltenheit nur ausnahmsweise in Betracht gezogen werden. Nach dem bei Rz. 11.151 dargestellten BGH-Urteil vom 24.6.2002 (KBV)5 musste zunächst damit gerechnet werden, dass der echte Haftungsdurchgriff bei der insolventen GmbH doch Bestandteil der Prozesspraxis werden könnte. Nachdem die Rechtsprechung mit dem Trihotel-Urteil vom 16.7.20076 und dem „Gamma“-Urteil vom 28.4.20087 die Existenzvernichtungshaftung nicht nur auf Fälle des § 826 BGB beschränkt, sondern zu einer Innenhaftung zurückgebildet hat (dazu Rz. 11.152), wird eine unbeschränkte Außenhaftung von GmbH-Gesellschaftern kaum noch zum Tragen kommen8. Feststehen sollte aber: Wenn im Insolvenzverfahren doch einmal ein Fortfall des aus § 13 Abs. 2 GmbHG ablesbaren Haftungsprivilegs mit der Folge der Außenhaftung geltend gemacht werden sollte, wäre die Realisierung dieser Haftung in Analogie zu § 93 InsO eine Aufgabe des Insolvenz1 H.M.; vgl. auch für masselose Liquidation BGH v. 14.7.2004 – VIII ZR 224/02, GmbHR 2004, 1279 = ZIP 2004, 1708. 2 Dazu umfassend Karsten Schmidt, GmbHR 2002, 1209 ff. 3 Dazu etwa Armbruster, Die Stellung des haftenden Gesellschafters in der Insolvenz der Personenhandelsgesellschaft nach geltendem und künftigem Recht, 1995, S. 142 ff.; Bork in Kölner Schrift zur InsO, 3. Aufl. 2009, S. 1021 ff.; Brinkmann, Die Bedeutung der §§ 92, 93 InsO für den Umfang der Insolvenz- und Sanierungsmasse, 2001; Oepen, Massefremde Masse, 2000, S. 147 ff.; M. Huber, Zwischen den Stühlen – Die persönliche Haftung in der Insolvenz, JuS 2009, 129; Karsten Schmidt, Persönliche Gesellschafterhaftung in der Insolvenz, ZHR 174 (2010), 163; Karsten Schmidt, Unbeschränkte Innenhaftung, in FS Goette, 2011, S. 459; Karsten Schmidt/Bitter, ZIP 2000, 1082 ff.; Wissmann, Persönliche Mithaft in der Insolvenz, 2. Aufl. 1998. 4 Zur Durchgriffshaftung Fastrich in Baumbach/Hueck, § 13 GmbHG Rz. 10 ff.; Bitter in Scholz, § 13 GmbHG Rz. 152 ff. 5 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = GmbHR 2002, 902. 6 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = GmbHR 2007, 927. 7 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 254/06, BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, GmbHR 2008, 805 m. Komm. Ulrich = DB 2008, 1423 = ZIP 2008, 1232. 8 Dazu Altmeppen, ZIP 2008, 1201 ff.

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Karsten Schmidt

Haftungsrealisierung durch den Insolvenzverwalter

7.149

verwalters, nicht der einzelnen Gläubiger1. Der Verwalter – und nur er – klagt analog § 93 InsO die Unterdeckung zu Gunsten der Gläubiger ein. Anwendbar ist § 93 InsO auch, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer noch nicht eingetragenen GmbH, also einer sog. Vorgesellschaft, eröffnet wird, vorausgesetzt man geht von einer Außenhaftung der Gesellschafter vor der Eintragung der (Vor)GmbH aus2. Allerdings besteht der BGH auf einem Grundsatz einer bloßen Innenhaftung der Gründer3, so dass § 93 InsO auch hier für die Rechtsprechung nur von aktueller Notwendigkeit und Bedeutung ist, soweit der BGH von Fall zu Fall eine Außenhaftung bejaht4. Das ist bezüglich aller – auch der schon bestehenden – Gesellschaftsverbindlichkeiten der Fall, wenn die Geschäftstätigkeit im Fall eines Scheiterns der Eintragung nicht sogleich eingestellt wird5. Auch nach diesem Modell einer nur ausnahmsweise eingreifenden Außenhaftung ist der argumentative Wert des § 93 InsO im Bereich insolventer Vorgesellschaften nicht unbedeutend, denn die Bestimmung macht im Insolvenzfall jeden Streit um Innen- oder Außenhaftung gegenstandslos: Die Haftung wird unter Insolvenzbedingungen allemal im Innenverhältnis abgewickelt. Ist die Gesellschaft bereits eingetragen, so ist ohnedies aus der aus dem Gründungsstadium herrührenden Haftung der Vorgesellschafter eine Vorbelastungshaftung der GmbH-Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft, also eine Innenhaftung geworden, und die wird selbstverständlich nur vom Verwalter geltend gemacht (Rz. 7.146). c) Der Anwendungsbereich des § 93 InsO im Personengesellschaftsrecht unter 7.149 Einschluss der GmbH & Co. KG ist bestimmt durch den Tatbestand der unbeschränkten akzessorischen Außenhaftung (für die Kommanditistenhaftung gilt als Spezialnorm § 171 Abs. 2 HGB). Erfasst ist auch die zeitlich begrenzte Nachhaftung eines ausgeschiedenen oder durch Umwandlung in die Kommanditistenrolle zurückgetretenen vormals unbeschränkt haftenden Gesellschafters6. Zu Unrecht abgelehnt hat der BGH die Anwendung auf die sich aus § 133 UmwG ergebende Mithaftung des an einer Spaltung beteiligten Rechtsträgers7. 1 Vgl. BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 = GmbHR 2005, 1425; BAG v. 14.12.2004 – 1 AZR 504/03, ZIP 2005, 1174 = GmbHR 2005, 987 m. Komm. Schröder; LG Hildesheim v. 16.1.2001 – 10 O 135/00, ZInsO 2001, 474; Brandes/Gehrlein in Münchener Kommentar zur InsO, § 93 InsO Rz. 4 f.; Hirte in Uhlenbruck, § 93 InsO Rz. 8; Röhricht in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2001, 2002, S. 14; a.M. BAG v. 14.12.2004 – 1 AZR 504/03, ZIP 2005, 1174, 1176 = GmbHR 2005, 987 m. Komm. Schröder; OLG Dresden v. 26.2.2001 – 2 U 2766/00, ZInsO 2001, 801 = NZG 2001, 664 (zur alten Gesamtvollstreckung); differenzierend Bitter, WuB II C. § 13 GmbHG 2.02. 2 Vgl. Karsten Schmidt in Scholz, § 11 GmbHG Rz. 82. 3 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 341 = GmbHR 1996, 279 = LM § 11 GmbHG Nr. 38 m. Anm. Noack. 4 Vgl. etwa BGH v. 4.11.2002 – II ZR 204/00, GmbHR 2003, 97 m. Komm. Karsten Schmidt = ZIP 2002, 2309 m. Anm. Drygala. 5 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 204/00, BGHZ 152, 290 = GmbHR 2003, 97 m. Komm. Karsten Schmidt = NJW 2003, 429 (ausgeschiedener Gesellschafter); BGH v. 20.11.2008 – IX ZB 199/09, NZG 2009, 102 = ZIP 2009, 47 m. Anm. Piekenbrock, LMK 2009, 274742 (Umwandlung in Kommanditgesellschaft); s. auch OLG Schleswig v. 9.2.2004 – 5 W 4/04, ZInsO 2004, 1086; OLG Hamm v. 30.3.2007 – 30 U 13/06, ZIP 2007, 1233, 1239; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 93 InsO Rz. 17. 6 Brandes/Gehrlein in Münchener Kommentar zur InsO, § 93 InsO Rz. 6; Hirte in Uhlenbruck, § 93 InsO Rz. 16. 7 BGH v. 20.6.2013 – IX ZR 221/12, DB 2013, 1661 = ZIP 2013, 1433 = AG 2013, 594.

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7.150

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

7.150 Nicht von § 93 InsO erfasst – und zwar nicht einmal im Fall einer Personengesellschaft1 – sind von Gesellschaftern gegebene persönliche Sicherheiten2. Die Bürgschaft eines GmbH-Gesellschafters oder die einem einzelnen Gläubiger gegebene Garantie steht diesem auch in der Insolvenz der Gesellschaft zum direkten Zugriff frei und bleibt außerhalb des Verwalterzugriffs. Der Bürge oder Garant kann seinen Regressanspruch im Insolvenzverfahren nur geltend machen, wenn er den Gläubiger befriedigt hat oder dieser auf die Geltendmachung der Forderung gegen die Gesellschaft verzichtet3. Auch § 44a InsO (bis 2008 § 32a Abs. 2 GmbHG a.F.) basiert auf diesem Grundsatz: Der durch die Bürgschaft eines Gesellschafters einer GmbH oder GmbH & Co. KG gesicherte Gläubiger ist nicht nur in der Lage, selbst gegen den Bürgen vorzugehen, sondern er muss dies sogar vorrangig tun. Auch eine Haftung aus §§ 69, 34 AO4 wird vom Gläubiger, also vom Steuerfiskus, selbst geltend gemacht. 7.151 d) Umstritten ist die Durchführung der vom Insolvenzverwalter nach § 93 InsO geltend gemachten Haftung. Die herrschende Ansicht versteht die Vorschrift in dem Sinne, dass der Insolvenzverwalter – eingeschränkt nur durch ein auf § 242 BGB gestütztes Verbot der Massebereicherung – jeden Gesellschafter gesamtschuldnerisch in Höhe der angemeldeten Insolvenzverbindlichkeiten in Anspruch nehmen kann (bei ausgeschiedenen Gesellschaftern nur bezüglich der Altverbindlichkeiten)5. Das führt, wenn man den Wert einer vorhandenen Masse abzieht6, zu plausiblen Ergebnissen. Den Vorzug verdient jedoch ein am Modell des § 735 BGB orientierter Ansatz7: Der Insolvenzverwalter macht nicht die Einzelansprüche individueller Gläubiger als Gesamtsumme, sondern die sich aus ihnen ergebende Unterdeckung geltend. Im Unterschied zur Liquidationshaftung der Gesellschafter nach § 735 InsO bleibt es allerdings bei einer gesamtschuldnerischen Haftung8. 1 BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, BGHZ 152, 245 = ZIP 2002, 1492; Bitter, ZInsO 2002, 558 f. 2 BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, BGHZ 152, 245 = ZIP 2002, 1492; Bitter, ZInsO 2002, 558 f.; Brandes/Gehrlein in Münchener Kommentar zur InsO, § 93 InsO Rz. 21;Hirte in Uhlenbruck, § 93 InsO Rz. 18; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 93 InsO Rz. 20 f.; Karsten Schmidt, ZGR 1996, 209, 218 f.; a.M. in der Vorinstanz OLG Schleswig v. 21.9. 2001 – 1 U 207/00, ZIP 2001, 1968; gleichfalls a.M. H.-F. Müller in Jaeger, § 93 InsO Rz. 23 ff. mit umfangreichen Nachw.; Bork, NZI 2002, 362 ff.; Kessler, DZWiR 2003, 488 ff.; bezüglich der Sperrwirkung des § 93 InsO a.M. auch Brinkmann, ZGR 2003, 264, 275 ff. 3 Dazu eingehend Karsten Schmidt/Bitter, ZIP 2000, 1077 ff.; Bitter in Münchener Kommentar zur InsO, § 44 InsO Rz. 12 ff. 4 BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, BGHZ 151, 245 = ZIP 2002, 1492; BFH v. 2.11.2001 – VII B 155/01, BFHE 197, 1 = WM 2002, 1361. 5 BGH v. 9.10.2006 – II ZR 193/05, DStR 2007, 125 = ZIP 2007, 79; Haas/Mock in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 94 Rz. 62; Kayser in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 93 InsO Rz. 31. 6 Dazu BGH v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, BGHZ 165, 85, 96 = GmbHR 2006, 426 m. Komm. Schröder = NJW 2006, 1344, 1347. 7 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 93 InsO Rz. 35; Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 128 HGB Rz. 86; zuerst Karsten Schmidt, ZIP 2000, 1077, 1085 f.; sympathisierend Brandes/Gehrlein in Münchener Kommentar zur InsO, § 93 InsO Rz. 25; Kroth in Braun, § 93 InsO Rz. 21 ff. 8 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 93 InsO Rz. 36; aber noch nicht ausdiskutiert; vgl. Karsten Schmidt in FS Goette, S. 459, 467.

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Karsten Schmidt

Haftungsrealisierung durch den Insolvenzverwalter

7.155

2. Geschäftsführerhaftung a) Soweit die Geschäftsführerhaftung eine reine Innenhaftung ist, stehen die An- 7.152 sprüche wiederum der Gesellschaft zu, sind also Bestandteile ihrer Insolvenzmasse (§ 35 InsO) und unterliegen selbstverständlich der Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter (§ 80 InsO). Das gilt insbesondere – für Schadensersatzansprüche wegen pflichtwidriger Geschäftsführung nach § 43 GmbHG (dazu Rz. 11.156) und – für die Ansprüche wegen „verbotener Zahlungen“ nach § 64 GmbHG bzw. § 130a HGB (dazu Rz. 11.31 ff.). b) Außenhaftungsansprüche stehen nach materiellem Recht den Gläubigern zu, 7.153 nicht der Gesellschaft, und gehören damit nicht zur Masse nach § 35 InsO. Aber nach § 92 Satz 1 InsO können Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Ersatz eines Schadens, den diese Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlitten haben (Gesamtschaden), während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Richten sich diese Ansprüche gegen den Verwalter, so können sie nach § 92 Satz 2 InsO nur von einem neu bestellten Insolvenzverwalter geltend gemacht werden1. Der Sinn und Zweck dieser Regelung besteht darin, auch bei diesen der Gläubigergesamtheit dienenden Ansprüchen für eine gleichmäßige Verteilung zu sorgen und einen Gläubigerwettlauf zu verhindern2. Standardbeispiele sind – in erster Linie Insolvenzverschleppungsschäden (Rz. 11.21 ff.) und – in zweiter Linie Haftungsansprüche gegen einen (vormaligen) Insolvenzverwalter nach § 60 InsO (dazu Rz. 7.161 ff.). Unter Rz. 11.25 ff. wird allerdings zu zeigen sein, dass die gegenwärtige Rechtsprechung gerade im Hauptanwendungsbereich des § 92 InsO, nämlich bei der Insolvenzverschleppungshaftung, die Vorzüge dieser Bestimmung nicht überzeugend zu nutzen versteht. 3. Vergleichsverbote für den Insolvenzverwalter? Soweit es um zwingenden Gläubigerschutz geht, stellt sich bei der Haftungsrea- 7.154 lisierung durch den Insolvenzverwalter die Frage, inwieweit er durch Verzichtsoder Vergleichsverträge über die Haftungsgrundlage verfügen kann (selbstverständlich unbeschadet seiner Verantwortung und Haftung nach § 60 InsO). a) Bei Innenhaftungsansprüchen der Gesellschaft stellen sich in erster Linie Fra- 7.155 gen des gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzes. Das Gesellschaftsrecht kennt eine Reihe von Vergleichs- und Verzichtsverboten, die bei wörtlicher Anwendung eine praxiskonforme Realisierung möglicher, aber bestrittener, gesellschaftsrechtlicher Ansprüche in Gefahr bringen. Zwei große Fallgruppen sind zu unterscheiden3: 1 So bereits für das Recht vor der InsO BGH v. 22.4.2004 – IX ZR 128/03, BGHZ 159, 25 = ZIP 2004, 1218. 2 Dazu statt vieler Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 532. 3 Vgl. zum Folgenden Karsten Schmidt, KTS 2001, 378 f.

Karsten Schmidt

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7.156

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

– Vergleich und Verzicht sind bei einer Reihe von gesellschaftsrechtlichen Ersatzansprüchen verboten: § 9b Abs. 1, § 43 Abs. 3 Satz 2, § 57 Abs. 4 und § 64 Satz 4 GmbHG. – Für das Recht der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung gilt kein Vergleichsverbot, wohl aber ein Befreiungsverbot, also ein Verzichtsverbot. Wir finden die Vorschriften in § 19 Abs. 2, § 25 und § 31 Abs. 4 GmbHG. 7.156 Ob diese Verbote auch im Fall der Insolvenz der Gesellschaft gelten, wird unterschiedlich beurteilt. Nur für die Insolvenz des Ersatzpflichtigen, also des Gesellschafters, deutet das Gesetz Einschränkungen an (§ 9b Abs. 1 Satz 2 GmbHG), nicht also für das Insolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen. Klarheit muss darüber bestehen, dass die Befreiungs- und Verzichtsverbote des Kapitalsicherungsrechts auch den Verwalter binden1. Masse zu verschenken ist ihm verboten. Schwieriger verhält es sich bei den kombinierten Verzichts- und Vergleichsverboten. Nach der wohl herrschenden Auffassung gilt das Verzichtsund Vergleichsverbot nach § 64 Satz 4, § 43 Abs. 3 Satz 2 GmbHG für den Verwalter nicht2. Ihm obliegen zwar insolvenzrechtliche Pflichten (vgl. auch § 60 InsO), aber die strikten Verbote sind angeblich nicht anwendbar. Hüffer und Koch stützen ihren diesbezüglichen Standpunkt auf eine Reichsgerichtsentscheidung von 19103, die sich aber mit einer ganz anderen Frage befasst, nämlich mit dem heutigen § 93 Abs. 5 Satz 3 AktG4. Im Ergebnis ist nicht einzusehen, warum der Insolvenzverwalter im Gegensatz zu einem gesellschaftsrechtlichen Liquidator befugt sein soll, die Masse durch Verzichtsverträge auf Kosten der Gläubiger und der Gesellschafter zu schmälern. 7.157 b) Es gibt deshalb in Sachen Verzicht und Vergleich kein allgemeines Verwalterprivileg, wohl allerdings ein Vergleichsprivileg5, so dass auch die Vergleichsverbote für den Verwalter bloße Verzichtsverbote sind: Die Ansprüche sind, weil sie der Gläubigerbefriedigung dienen, der beliebigen Verfügung durch den Insolvenzverwalter entzogen. Diese Beliebigkeit – aber auch nur sie! – ist verboten. Vergleiche – insbesondere gerichtliche Vergleiche –, die auf einer objektivierbaren Abschätzung beiderseitiger Prozessrisiken beruhen, können sinnvollerweise nicht als verboten gelten. Wo ernster Zweifel hinsichtlich des Bestands und des Umfangs von Einlage- und Rückgewährschulden besteht, zwingt das Gesetz den Verwalter nicht, den Rechtsweg auszuschöpfen. Er kann – man möchte fast sagen: selbstverständlich – einen Streit mit dem Schuldner durch Vergleichsvertrag beilegen. Nur muss eben das Ergebnis dem abschätzbaren Prozessrisiko entsprechen, also auf eine Sicherung der durch einen vertretbaren Risikoabschlag reduzierten Forderung zielen6. Selbst ein Vergleich „zu Null“ ist dann, ebenso wie eine kostendämpfende Rechtsmittelrücknahme, möglich. Zur Haftungsabwehr 1 Vgl. nur BayObLG v. 30.10.1984 – BReg. 3 Z 204/84, GmbHR 1985, 215 = ZIP 1985, 33, 34; Veil in Scholz, § 19 GmbHG Rz. 50. 2 Vgl. zum Aktienrecht Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 84; Hopt/Roth in Großkommentar zum AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 536. 3 RG v. 17.12.1910 – Rep. I 400/09, RGZ 74, 428, 430. 4 Damals §§ 241 Abs. 4, 249 Abs. 3 HGB a.F. 5 Karsten Schmidt, KTS 2001, 379. 6 Karsten Schmidt, KTS 2001, 379; zust. Krieger/Sailer-Coceani in Karsten Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 64.

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Karsten Schmidt

Haftungsrisiken des Verwalters

7.161

(§ 60 InsO) empfiehlt es sich aber, bei allen Vergleichsverhandlungen eine die Kalkulation belegende Aktennotiz, in schwierigen Fällen unterlegt durch eine betriebswirtschaftliche Expertise, vorzuhalten1. Es versteht sich, dass das Vergleichsprivileg eine Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO für schuldhaft-unvertretbare Fehleinschätzung nicht ausschließt2. c) Zweifelhaft sind auch die Vergleichsbefugnisse im Rahmen von § 92 InsO (Ge- 7.158 samtgläubigerschaden) und § 93 InsO bzw. § 171 Abs. 2 HGB (persönliche Gesellschafterhaftung). In beiden Fällen verfügt der Verwalter nicht über die Insolvenzmasse, sondern er macht Ansprüche der Gläubiger kollektiv geltend (zu § 93 InsO vgl. Rz. 7.148 ff.; zu § 92 InsO vgl. Rz. 7.122 ff.). Beide Bestimmungen enthalten eine Ermächtigung an den Insolvenzverwalter, Haftungsansprüche der Gläubiger treuhänderisch geltend zu machen, als wären sie Bestandteile der Insolvenzmasse. Diese Ermächtigung umfasst zwar nicht die Freigabe der Ansprüche3, wohl aber Vergleichsverträge, soweit diese nicht erkennbar dem Insolvenzverfahrenszweck und den Verwalterpflichten zuwiderlaufen4. 4. Geltendmachung im Verfahren der Eigenverwaltung und Freigabe a) Im Eigenverwaltungsverfahren werden die von §§ 92, 93 InsO erfassten Forde- 7.159 rungen nicht vom Geschäftsführer für die Gesellschaft als Schuldnerin geltend gemacht, sondern vom Sachwalter (§ 280 InsO)5. b) Eine echte Freigabe der Haftungsansprüche an die Schuldnerorgane in dem Sin- 7.160 ne, dass massefreies Schuldnervermögen entsteht, ist unzulässig (vgl. Rz. 7.29 ff.; str.). Möglich ist dagegen die Ermächtigung eines Gläubigers zur Geltendmachung der Ansprüche für die den Insolvenzgläubigern gebührende Sondermasse (sog. modifizierte Freigabe)6.

IX. Haftungsrisiken des Verwalters 1. Haftungsrisiken des endgültigen Insolvenzverwalters a) Insolvenzspezifische Haftung aa) Grundkonzept § 60 Abs. 1 InsO Gemäß § 60 Abs. 1 InsO ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten zum Scha- 7.161 densersatz verpflichtet, wenn er seinen insolvenzspezifischen Pflichten schuld1 Karsten Schmidt, KTS 2001, 380. 2 Haas/Wigand in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 16 Rz. 19. 3 Vgl. OLG Dresden v. 9.8.2005 – 2 U 897/04, ZIP 2005, 1680; H.-F. Müller in Jaeger, § 92 InsO Rz. 32, § 93 Rz. 55. 4 Vgl. zu § 93 InsO BAG v. 28.11.2007 – 6 AZR 377/07, ZIP 2008, 846 = DB 2008, 1051; zu beiden Bestimmungen H.-F. Müller in Jaeger, § 92 InsO Rz. 33, § 93 InsO Rz. 52 f.; Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 92 InsO Rz. 17, § 93 InsO Rz. 14; Krüger, NZI 2002, 367. 5 Vgl. Karsten Schmidt in FS Binz, 2014, S. 624, 633. 6 Vgl. Bork in Kölner Schrift, 3. Aufl., Rz. 31/16; H.-Fr. Müller in Jaeger, § 93 InsO Rz. 55; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 93 InsO Rz. 33.

Karsten Schmidt und Schluck-Amend

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7.162

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

haft nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters nachkommt. Dieses gesetzliche Schuldverhältnis ist das Pendant zur Befugnis der relativ freien Vermögensabwicklung durch den Insolvenzverwalter und begründet schon mit Übernahme des Amtes für den Verwalter die Pflicht, sich den Beteiligen gegenüber verantwortungsvoll zu verhalten1. 7.162 Der weit ausgelegte Beteiligtenbegriff umfasst dabei alle, gegenüber denen der Verwalter Pflichten aus der Insolvenzordnung zu erfüllen hat2. Zum Beispiel: – Schuldner, – (nachrangige) Insolvenzgläubiger, – Aus- und Absonderungsberechtigte, – Massegläubiger, – persönlich haftende Gesellschafter einer Gesellschaftsschuldnerin ohne Rechtspersönlichkeit i.S. des § 11 Abs. 2 InsO,3 – Hinterlegungsstelle4, Justizfiskus5 und – Mitglieder des Gläubigerausschusses6. 7.163 Generell vom Beteiligtenbegriff ausgenommen ist der nach § 15a Abs. 1 InsO haftende Geschäftsführer, der dem Verwalter das Versäumen der fristgerechten Geltendmachung von Insolvenzanfechtungstatbeständen entgegenhält7. Auch Bürgen sind keine Beteiligten, wenn der Insolvenzgläubiger die verbürgte Forderung angemeldet hat und diese nicht gemäß § 774 Abs. 1 BGB auf den Bürgen übergegangen ist8. Gegenüber einem Prozessgegner besteht keine insolvenzspezifische Pflicht des Insolvenzverwalters, eventuelle Prozesskostenerstattungsansprüche

1 So BGH v. 17.1.1985 – IX ZR 59/84, BGHZ 93, 278; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 4, S. 1914; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 60 InsO Rz. 1. 2 S. RGZ 144, 179; RGZ 149, 182; BGH v. 27.2.1973 – VI ZR 118/71, NJW 1973, 1043; BGH v. 4.12.1986 – IX ZR 47/86, NJW 1987, 844, 845; Lohmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 60 InsO Rz. 5; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 60 InsO Rz. 6; Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 9; Hess, § 60 InsO Rz. 33; Smid in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 10 Rz. 28. 3 Vgl. Lohmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 60 InsO Rz. 5; Hess, § 60 InsO Rz. 34; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 140, S. 1963. 4 So RGZ 149, 182, 185; BGH v. 30.1.1962 – VI ZR 18/61, NJW 1962, 869; Hess, § 60 InsO Rz. 34; Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 10. 5 Vgl. OLG Schleswig v. 6.3.1984 – 3 U 150/82, ZIP 1984, 619; LG Lübeck v. 20.4.1982 – 2 O 173/81, ZIP 1982, 862; Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 10; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 139, S. 1963. 6 So Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 10; LG Stade, JW 1934, 1297. 7 S. BGH v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, GmbHR 1996, 211 = NJW 1996, 850; Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 11; Hess, § 60 InsO Rz. 36; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 142, S. 1964. 8 Vgl. BGH v. 11.10.1984 – IX ZR 80/83, NJW 1985, 1159; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 60 InsO Rz. 6; Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 11; Hess, § 60 InsO Rz. 35; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 141, S. 1964; Smid in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 10 Rz. 55.

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Haftungsrisiken des Verwalters

7.165

zu berücksichtigen und ihre Erfüllbarkeit aus der Masse vor Klageerhebung oder während eines Prozesses zu prüfen1. Die Haftung des Insolvenzverwalters gegenüber den Beteiligten nach § 60 Abs. 1 7.164 InsO umfasst gerade nicht jede beliebige Pflichtverletzung, sondern nur die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten. Dabei muss es sich um eine Pflicht handeln, die den Insolvenzverwalter gerade gegenüber dem jeweiligen Beteiligten trifft2, da gegenüber den einzelnen Beteiligten ganz unterschiedliche Pflichten bestehen3. Diese relevanten Pflichten, die sich direkt aus der Insolvenzordnung ergeben müssen, lassen sich in die drei Kategorien Inbesitznahme, Verwaltung und Verwertung ordnen4. Typische Pflichtverletzungen sind dabei insbesondere: – fehlerhafte Erstellung des Verzeichnisses gemäß §§ 188, 178, 183 InsO, – Verzicht auf Ansprüche zu Lasten der Masse, – Versäumen von Anfechtungsfristen, – Unterlassen der Buchführung und Bilanzerstellung gemäß § 155 InsO, – Nichtanzeige einer Interessenkollision, – Unterlassen der Prüfung von Steuerbescheiden und – Nichtbeachten der Aus- und Absonderungsrechte. Nach § 60 Abs. 1 InsO setzt die Haftung ein Verschulden voraus. Bei seiner Tätig- 7.165 keit hat der Verwalter gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO jedoch nur für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einzustehen. Mit dieser Formulierung trägt das Gesetz dem Umstand Rechnung, dass an den Insolvenzverwalter auf Grund der Besonderheiten bei Insolvenzsituationen nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden können wie an einen ordentlichen Geschäftsmann5. Im Gegensatz zu einem solchen wird der Insolvenzverwalter nämlich ohne Vorwarnung vom Gericht ins kalte Wasser geworfen, indem er ein völlig fremdes, wirtschaftlich bereits gekentertes Unternehmen, regelmäßig mit katastrophaler Buchführung und unbrauchbarer Unterstützung durch das Personal unter enormem Zeitdruck zu überblicken und zu führen hat.

1 BGH v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, NJW 2005, 901; BGH v. 26.6.2001 – IX ZR 209/98, NJW 2001, 3187; Smid in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 10 Rz. 76; Brandes/Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 60 InsO Rz. 39. 2 Brandes/Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 60 InsO Rz. 68; Baumert in Braun, § 60 InsO Rz. 5. 3 S. Smid in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 10 Rz. 33 ff., der die insolvenzrechtsspezifischen Pflichten im Zusammenhang mit den jeweils durch sie geschützten Beteiligten behandelt. 4 Vgl. Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 39, S. 1926; Runkel in Runkel/Schmidt, Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 6 Rz. 207 ff.; Brandes/Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 60 InsO Rz. 11 ff. 5 Vgl. Begr. RegE zu § 71, BT-Drucks. 1/92, S. 129; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 60 InsO Rz. 9; Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 91; Runkel in Runkel/Schmidt, Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 6 Rz. 207 ff.; Brandes/Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 60 InsO Rz. 89.

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7.166

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

bb) Sonderregelung § 61 InsO 7.166 Als lex specialis zu § 60 InsO ergänzt § 61 InsO die Haftung des Insolvenzverwalters auf die von ihm selbst begründeten Masseverbindlichkeiten1. Dabei geht es um die Aufteilung des erhöhten Risikos einer künftigen Masseunzulänglichkeit zwischen dem Verwalter und den am Rechtsverkehr mit ihm Beteiligten2. § 61 InsO greift demnach unter der Voraussetzung, dass Masseunzulänglichkeit angezeigt wird, eine Befriedigung der Gläubiger nicht mehr zu erwarten ist3 und sich zusätzlich der Ausfall des Gläubigers gerade aus dem Rechtsgeschäft mit dem Verwalter ergeben hat4. Unabhängig davon bleibt den Massegläubigern daneben stets die Haftung aus § 60 InsO für masseschmälernde Pflichtverletzungen des Verwalters erhalten5. Geschützt werden durch § 61 InsO auch die Neumassegläubiger, die von § 60 InsO nicht erfasst werden6. Kein Anspruch aus § 61 InsO besteht für den Prozessgegner im Hinblick auf seinen Anspruch auf Prozesskostenerstattung, wenn der Insolvenzverwalter für die Masse einen Prozess geführt hat und die Masse nicht ausreicht, um diesen Anspruch zu befriedigen7. Zwar handelt es sich bei diesen Ansprüchen um Masseverbindlichkeiten8. Dem Schutz der Massegläubiger aus § 61 InsO liegt jedoch der Gedanke zugrunde, dass Gläubiger, die zu einer Mehrung der Masse beigetragen oder ihr einen sonstigen Vorteil verschafft haben und so die Unternehmensfortführung erleichtert haben, nicht mit ihrem Anspruch auf Gegenleistung ausfallen sollen9. Damit soll die Bereitschaft,

1 So Hess, Insolvenzrecht, § 61 Rz. 1, 26; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 61 InsO Rz. 1. 2 S. Lohmann in Heidelberger Kommentar InsO, § 61 InsO Rz. 1; Hess, Insolvenzrecht, § 61 Rz. 3; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 61 InsO Rz. 1; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 6, S. 1915 Rz. 109, S. 1953. 3 So BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, NJW 2004, 3334; BGH v. 25.3.1975 – VI ZR 75/73, WM 1975, 517; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 117, S. 1956. Teilweise wird auch vertreten, dass der Verwalter schon haftet, sobald im Zeitpunkt der Fälligkeit nicht mehr erfüllt werden kann, OLG Hamm v. 28.11.2002 – 27 U 87/02, NZI 2003, 150; OLG Hamm v. 16.1.2003 – 27 U 45/02, NZI 2003, 263; Runkel in Runkel/Schmidt, Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 6 Rz. 207 ff. Offen gelassen von BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, NZI 2004, 435. 4 Vgl. Lohmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 61 InsO Rz. 10; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 123, S. 1958. 5 S. Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 122, S. 1958; Hess, Insolvenzrecht, § 61 Rz. 8; Smid in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 10 Rz. 65. 6 Auch Runkel in Runkel/Schmidt, Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 6 Rz. 207 ff.; Hess, Insolvenzrecht, § 61 Rz. 26 f.; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 60 InsO Rz. 6; Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 11. 7 BGH v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, NJW 2005, 901; Smid in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 10 Rz. 76; Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 61 InsO Rz. 10. 8 BGH v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, NJW 2005, 901, 902. 9 BGH v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, NJW 2005, 901, 902; Smid in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 10 Rz. 76; Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 61 InsO Rz. 10; Sinz in Uhlenbruck, § 61 InsO Rz. 10.

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Haftungsrisiken des Verwalters

7.168

Geschäfte mit dem Insolvenzverwalter abzuschließen, gefördert werden1. Mit dieser Lage ist die des Prozessgegners nicht vergleichbar2. Die Haftung nach § 61 InsO setzt ein Verschulden seitens des Insolvenzverwalters 7.167 voraus, welches generell vermutet wird3. Der Verwalter kann sich jedoch nach § 61 Satz 2 InsO exkulpieren, wenn ihm der Beweis gelingt, dass objektiv von einer voraussichtlich ausreichenden Masse auszugehen war oder aber, dass für ihn subjektiv nicht erkennbar war, dass die Masse zur Erfüllung der Verbindlichkeiten nicht mehr ausreichen würde4. Weil der Verwalter stets nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO zu handeln hat5, ist dieser Beweis mithilfe einer ständig aktualisierten Liquiditätsrechnung zu führen6. Da nur die Erkennbarkeit einer Wahrscheinlichkeit maßgebend ist, muss für den Haftungsfall der Eintritt der Masseunzulänglichkeit wahrscheinlicher sein als der Nichteintritt7. Für die Erkennbarkeit ist der Zeitpunkt entscheidend, zu dem die Ansprüche begründet wurden8. cc) Haftung für Dritte Sofern sich der Insolvenzverwalter zur Bewältigung der Aufgaben seines Pflich- 7.168 tenkreises seines eigenen Hilfspersonals bedient, hat er gemäß § 278 BGB grundsätzlich auch für deren Verschulden einzustehen9. Umfasst werden dabei alle Verletzungshandlungen insolvenzspezifischer oder freiwillig übernommener Pflichten sowie die Haftung nach § 311 BGB10. Nach § 831 BGB haftet der Insolvenzver1 BGH v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, NJW 2005, 901, 902; Sinz in Uhlenbruck, § 61 InsO Rz. 5. 2 BGH v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, NJW 2005, 901, 902; Sinz in Uhlenbruck, § 61 InsO Rz. 10; Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 61 InsO Rz. 10. 3 Vgl. OLG Karlsruhe v. 21.11.2002 – 12 U 112/02, ZIP 2003, 267; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 61 InsO Rz. 1, 12; Adam, DZWIR 2008, 14 ff. 4 So BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 = NJW 2004, 3334; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 10, S. 1916; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 61 InsO Rz. 12; Smid in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 10 Rz. 60, S. 284. 5 So Adam, DZWIR 2008, 14 ff. 6 Vgl. BGH v. 17.12.2004 – IX ZR 185/03, NJW-RR 2005, 488; LG Köln v. 21.10.2003 – 5 O 190/03, NZI 2003, 652; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 10, S. 1916, Rz. 113, S. 1955; Lohmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 61 InsO Rz. 18; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 61 InsO Rz. 13 ff. 7 Auch Hess, § 61 InsO Rz. 21; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 61 InsO Rz. 12, 15. 8 BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 = NJW 2004, 3334, 3337; Smid in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 10 Rz. 60, S. 285. 9 S. BGH v. 19.7.2001 – IX ZR 62/00, NJW 2001, 3190; Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 98; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 60 InsO Rz. 42; Runkel in Runkel/Schmidt, Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 6 Rz. 219; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 13, S. 1917; Heye/Lachmann in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 44 Rz. 151; Hess, § 60 InsO Rz. 212 f.; Lohmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 60 InsO Rz. 32; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 212. 10 So Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 13, S. 1917.

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7.169

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

walter für das Verschulden seiner Verrichtungsgehilfen jedoch nur, wenn ihm die unerlaubte Handlung mit persönlicher Einstandspflicht auch zuzurechnen ist1. 7.169 In der Regel wird der Insolvenzverwalter die Erledigung von Sonderaufgaben (Erstellung von Bilanzen, Steuererklärungen, Prozessführung, Gutachten) auf selbständige Berufsträger wie Rechtsanwälte, Steuer- oder Wirtschaftsprüfer übertragen2. Seinen Pflichten ist der Verwalter dann schon mit Übertragung der Aufgaben nachgekommen, wenn ihn nicht ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft3. Bei mangelhafter Leistung besteht schnellstmögliche Kündigungspflicht4. 7.170 Eine Ausnahme der generellen Haftung des Verwalters für Dritte begründet § 60 Abs. 2 InsO. Demnach greift § 278 BGB nicht, wenn der Insolvenzverwalter zur Erfüllung ihm obliegender Pflichten Angestellte des Schuldners im Rahmen ihrer bisherigen Tätigkeit und unter der Voraussetzung, dass sie offensichtlich nicht völlig ungeeignet sind, einsetzen muss. Die Notwendigkeit, sich der Angestellten des Schuldners zu bedienen, kann sich z.B. bei der Betriebsfortführung aus finanziellen Gründen oder ihrem besonderen unternehmensspezifischen Know-how ergeben5. Der Verwalter ist aber dennoch für die Überwachung der Angestellten sowie für Entscheidungen von besonderer Bedeutung verantwortlich. b) Haftung nach allgemeinen Grundsätzen 7.171 Neben der Haftung für die Pflichtverletzung insolvenzspezifischer Pflichten kann den Insolvenzverwalter im Rechtsverkehr auch die Haftung nach den allgemeinen Grundsätzen des BGB oder anderer Gesetze treffen. Zwar verpflichtet der Verwalter durch seine Rechtshandlungen prinzipiell nur die Insolvenzmasse, unter besonderen Umständen kann er seinen Vertragspartnern aber auch persönlich haften6. 1 Vgl. Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 13, S. 1917; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 60 InsO Rz. 42. 2 Auch BGH v. 29.5.1979 – VI ZR 104/78, NJW 1979, 2212; Brandes/Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 60 InsO Rz. 94; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 16, S. 1918; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 60 InsO Rz. 42; Hess, § 60 InsO Rz. 212; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 6.43. 3 So BGH v. 29.5.1979 – VI ZR 104/78, NJW 1979, 2212; Heye/Lachmann in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 44 Rz. 152; Lohmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 60 InsO Rz. 33; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 16, S. 1918; Brandes/Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 60 InsO Rz. 94; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 60 InsO Rz. 42; Hess, § 60 InsO Rz. 212; Sinz in Uhlenbruck, § 60 Rz. 99; Smid in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 10 Rz. 82. 4 Vgl. Lohmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 60 InsO Rz. 33; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 16, S. 1918. 5 S. Runkel in Runkel/Schmidt, Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 6 Rz. 219a; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 15, S. 1918; Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 101. 6 Vgl. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 114/01, NJW-RR 2005, 1137; BGH v. 14.4.1987 – IX ZR 260/86, NJW 1987, 3133; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 145 ff., S. 1965.

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Haftungsrisiken des Verwalters

7.174

aa) Vertragliche Haftung Eine Haftung kann sich aus der Übernahme einer rechtsverbindlichen Garantie- 7.172 erklärung im Sinne des § 444 BGB ergeben, wenn der Verwalter persönliche Zusicherungen zur Leistungserbringung macht1. Teilweise wird die Abgabe einer Garantie schon dann bejaht, wenn der schwache vorläufige Verwalter erklärt, die Zahlungen seien durch die Masse gedeckt2. Dies ist richtigerweise jedoch abzulehnen, da sich der Verwalter regelmäßig nicht selbst persönlich binden möchte und hieran auch kein Eigeninteresse hat: an Garantieerklärungen sind daher hohe Anforderungen zu stellen3. Der Verwalter kann aber auch nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo 7.173 gemäß §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB persönlich haften, wenn er bei den Vertragsverhandlungen in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hat4. Für das OLG Schleswig hat schon die Zusage eines vorläufigen schwachen Insolvenzverwalters, dass die Zahlung von der Masse gedeckt sei, zu einer Haftung aus § 311 Abs. 2 und 3 BGB geführt5. Der BGH sah hingegen den Hinweis früherer Sanierungserfolge bei Vertragsverhandlungen als haftungsbegründend an6. Kritisch ist es allerdings zu bewerten, wenn bewährten Insolvenzverwaltern auf Grund ihrer bisherigen vertrauenerweckenden Erfolge generell eine verschärfte Haftung auferlegt wird7. Wer dem Vertragspartner jedoch ganz verschweigt, als Insolvenzverwalter tätig zu werden, muss mit der persönlichen Haftung rechnen8. bb) Deliktische Haftung Der Insolvenzverwalter haftet unter Umständen auch nach Deliktsrecht. Da die 7.174 allgemeine Verkehrssicherungspflicht nicht zu den insolvenzspezifischen Tätigkeiten des Verwalters gehört, haftet er für Verletzungen dieser nach §§ 823 1 Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 146, S. 1966; Hess, § 60 InsO Rz. 163 f. 2 So OLG Celle v. 21.10.2003 – 16 U 95/03, NZI 2004, 89. 3 Vgl. BGH v. 19.5.1988 – III ZR 38/87, NJW-RR 1988, 1259; BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 114/01, NJW-RR 2005, 1137; OLG Rostock v. 4.10.2004 – 3 U 158/03, ZIP 2005, 220; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 34, S. 1924, Rz. 146, S. 1966; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 60 InsO Rz. 24. 4 Vgl. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 114/01, NJW-RR 2005, 1137; BGH v. 14.4.1987 – IX ZR 260/86, NJW 1987, 3133; Hess, § 60 InsO Rz. 146; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 60 InsO Rz. 24; Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 55; Smid in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 10 Rz. 17. 5 S. OLG Schleswig v. 31.10.2003 – 1 U 42/03, NZI 2004, 92; zustimmend Hess, § 60 InsO Rz. 147; ablehnend Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 60 InsO Rz. 24; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 34, S. 1924. 6 S. BGH v. 3.4.1990 – IX ZR 206/88, NJW 1990, 1907; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 147, S. 1967. 7 Auch Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 60 InsO Rz. 24. Anders wohl Uhlenbruck, 12. Aufl. 2003, § 60 InsO Rz. 2. 8 Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 146, S. 1966.

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7.175

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

Abs. 1, 838, 836 BGB1. Dabei schließt die Primärhaftung der Masse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Haftung nicht aus2. Auch die Verletzung eines Patents bei Betriebsfortführung begründet für den Verwalter eine deliktische Haftung nach § 139 Abs. 2 PatG3. Möglich ist ebenfalls die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz, wie zum Beispiel § 263 StGB4 oder §§ 185 ff. StGB5. cc) Sonstige Haftungsgründe 7.175 Daneben kann der Insolvenzverwalter aus einer Reihe von anderen Gründen persönlich haften. Insbesondere bei einer Verletzung seiner – arbeits- und sozialrechtlichen Pflichten (z.B. § 321 SGB III; § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB), – Mitwirkungs- und Leistungspflichten im Steuerrecht (insbesondere der Steuerzahlungspflicht) und – öffentlich-rechtlichen Pflichten (Verwaltungs-, Polizei- und Umweltrecht). 2. Haftungsrisiken des vorläufigen Insolvenzverwalters a) Insolvenzspezifische Haftung 7.176 Für den vorläufigen Insolvenzverwalter gelten gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO die Haftungsvorschriften des endgültigen Insolvenzverwalters (§§ 60 ff. InsO) „entsprechend“. Die Regelungen sind auch dann anzuwenden, wenn das Insolvenzverfahren mangels Masse nicht eröffnet wird6. aa) Haftung nach § 60 InsO 7.177 Unabhängig von seiner Stellung als starker oder schwacher Verwalter haftet er allen Verfahrensbeteiligten gemäß § 60 InsO für die schuldhafte Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten, die sich gerade aus den ihm vom Gericht zugeteilten 1 Vgl. BGH v. 17.9.1987 – IX ZR 156/86, NJW-RR 1988, 89; Mohrbutter in Mohrbutter/ Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 151, S. 1968; Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 58; Hess, § 60 InsO Rz. 181; Brandes/Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 60 InsO Rz. 76. 2 Vgl. BGH v. 17.9.1987 – IX ZR 156/86, NJW-RR 1988, 89; Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 58; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 150, S. 1968. 3 Vgl. BGH v. 5.6.1975 – X ZR 37/72, NJW 1975, 1969; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 152, S. 1968; Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 59; Brandes/Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 60 InsO Rz. 80. 4 S. BGH v. 14.4.1987 – IX ZR 260/86, NJW 1987, 3133; Mohrbutter in Mohrbutter/ Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 153, S. 1968. 5 Auch BGH v. 18.10.1994 – VI ZR 74/94, NJW 1995, 397; Sinz in Uhlenbruck, § 60 InsO Rz. 58; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 153, S. 1969. 6 Auch Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 30, S. 1923; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 211.

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Haftungsrisiken des Verwalters

7.180

Befugnissen ergeben1. Für die Verzögerung gebotener Maßnahmen haftet der vorläufige Insolvenzverwalter nach der Maßgabe der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO aber nur dann, wenn er die Frist zur Gewinnung eines Gesamtüberblicks über die bestehende Unternehmenssituation deutlich überschritten hat2. Dabei ist insbesondere die regelmäßig vorherrschende Unübersichtlichkeit der tatsächlichen Situation wie auch die oftmals unbrauchbare Buchführung des Schuldners zu berücksichtigen. Des Weiteren ist zu beachten, dass der Verwalter wegen des Zeitdrucks zur Erlangung der nötigen Informationen weitgehend auf die Angaben der Beteiligten, insbesondere des Schuldners, angewiesen ist. Ihnen darf der Verwalter deshalb grundsätzlich trauen, soweit sich gegen deren Richtigkeit für ihn keine konkreten Anhaltspunkte ergeben. bb) Haftung nach § 61 InsO Weitaus problematischer stellt sich die Haftung des vorläufigen Insolvenzverwal- 7.178 ters nach § 61 InsO dar. Nach altem Recht konnten Forderungen aus Dauerschuldverhältnissen und Verbindlichkeiten, die durch den Verwalter entstanden waren, lediglich als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden. Dies führte dazu, dass niemand mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter Geschäfte machen wollte und eine Fortführung des Betriebs deshalb oft unmöglich war. Um dieses Problem zu lösen, ordnet § 55 Abs. 2 InsO an, solche Verbindlichkeiten nun als Masseverbindlichkeiten zu klassifizieren. Für den vorläufigen Insolvenzverwalter hat diese Einordnung jedoch im Rahmen des § 61 InsO weit reichende Konsequenzen und führt zu paradox anmutenden Haftungsproblemen. Zum einen besteht für den vorläufigen starken Verwalter die Fortführungspflicht 7.179 des § 22 Abs. 1 Satz 2 InsO, die es vielfach erfordern wird, Dauerschuldverhältnisse weiterlaufen zu lassen und neue Verträge abzuschließen. Zum anderen wird die Beweislastumkehr des § 61 Satz 2 InsO dem vorläufigen Insolvenzverwalter nicht gerecht, da er gerade am Anfang der Aufgabe steht, sich einen Überblick über die Vermögensverhältnisse zu verschaffen. Einerseits soll der Verwalter also ohne Zeit zur Beurteilung der Lage den Betrieb fortführen, andererseits soll er für durch seine Handlung eventuell später begründete Masseverbindlichkeiten nach § 61 InsO haften3. Um diese mögliche Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters zu vermeiden, 7.180 werden von den Gerichten ganz überwiegend vorläufige schwache Insolvenzverwalter ohne Verfügungsbefugnis eingesetzt, für die § 55 Abs. 2 InsO nicht einschlägig ist. Sobald diese jedoch vom Gericht mit der Befugnis zur Begründung

1 Vgl. Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 26, S. 1921, Rz. 28, S. 1922. S. zu den insolvenzspezifischen Pflichten des schwachen Verwalters Rz. 32, S. 1923; Smid in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 10 Rz. 90. 2 S. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 6.39; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 27, S. 1921. 3 S. Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, Rz. 369; Kind, InVo 1998, 62; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 260; Graf-Schlicker/Remmert, NZI 2001, 569, 570.

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7.181

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

von Masseverbindlichkeiten ausgestattet werden, greift auch für sie die Haftung des § 61 InsO entsprechend1. 7.181 Teilweise wird deshalb vertreten, das paradoxe Haftungsproblem des vorläufigen Insolvenzverwalters dadurch zu lösen, dass man die Vorschrift des § 61 InsO, die nur über die Verweisung des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO „entsprechend“ gilt, nicht auf die Erfüllbarkeit solcher Masseverbindlichkeiten anwendet, die im Eröffnungsverfahren zur Betriebsfortführung und damit zur Erfüllung der gesetzlichen Pflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters aus § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO gezwungenermaßen entstanden sind2. Die Fortführungspflicht ist hiernach zugleich Rechtfertigungsgrund: Wer eine gesetzliche Anordnung befolgt, handelt nicht pflichtwidrig3. Die Rechtfertigung entfällt erst dann, wenn das Gericht der Stilllegung zustimmt, der Verwalter den Stilllegungsantrag schuldhaft verzögert oder dieser auf Grund seiner mangelhaften Begründung vom Gericht abgewiesen wird4. Für die Neumassegläubiger besteht bei Fortführungspflicht dieser Auffassung nach nur der Schutz des § 60 InsO5. 7.182 Diese Ansicht wird jedoch nicht uneingeschränkt geteilt. Richtigerweise ist wegen des eindeutigen Wortlauts des § 22 Abs. 2 Nr. 1 InsO die Haftung nach § 61 InsO gerade auch auf den vorläufigen Insolvenzverwalter anzuwenden, trotz seiner Fortführungspflicht6. Diese Pflicht rechtfertigt es nämlich nicht, unerfüllbare Masseverbindlichkeiten einseitig zu Lasten der neuen Massegläubiger einzugehen7. Zur Vermeidung seiner Haftung stehen dem Verwalter jedoch einige Möglichkeiten zur Verfügung. Sofern sich auf Grund einer Risikoprognose ergibt, dass die Wahrscheinlichkeit der Masseunzulänglichkeit höher ist, als ein Verbindlichkeiten deckendes Verfahren, kann sich der Verwalter von seiner Haftung befreien, indem er seine Geschäftspartner vor dem Risiko der Masseunzulänglichkeit warnt8. Daneben kann er bei drohender Begründung von Masseverbindlichkeiten 1 So BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, NJW 2002, 3326; Heye in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 43 Rz. 52; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 29, S. 1922; Uhlenbruck/Sinz, § 61 InsO Rz. 32; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 61 InsO Rz. 4; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 121, 211; Lohmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 61 InsO Rz. 2. 2 So Wiester, ZInsO 1998, 102 f.; Kirchhof, ZInsO 1999, 365, 366; wohl auch Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 61 InsO Rz. 4. 3 Vgl. Kirchhof, ZInsO 1999, 365, 366; Heye in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 43 Rz. 54; Wiester, ZInsO 1998, 102 f. 4 S. Kirchhof, ZInsO 1999, 365, 367; Wiester, ZInsO 1998, 101 f.; Jaffé/Hillert, ZIP 1999, 1204. 5 Vgl. Kirchhof, ZInsO 1999, 365, 366. 6 Vgl. LG Cottbus v. 8.5.2002 – 3 O 277/00, NZI 2002, 441, 443; OLG Brandenburg v. 3.7. 2003 – 8 U 58/02, NZI 2003, 552; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 29, S. 1922; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 121. 7 So LG Cottbus v. 8.5.2002 – 3 O 277/00, NZI 2002, 441, 442 f.; Sinz in Uhlenbruck, § 61 InsO Rz. 34. 8 So Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 210; Heye in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 43 Rz. 54; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 29, S. 1922.

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Haftungsrisiken des Verwalters

7.184

jederzeit die gerichtliche Stilllegung des Betriebes beantragen1. Zwar dauert die Fortführungspflicht nach Antragstellung bis zur tatsächlichen Stilllegung des Betriebes fort, für in diesem Zeitraum entstandene Schulden haftet der Insolvenzverwalter bei ordnungsgemäßer Antragstellung und Erfüllung seiner Warnpflicht dann aber nicht mehr, insbesondere auch dann nicht, wenn das Gericht die Stilllegung gänzlich ablehnt2. Nach Antragstellung erstreckt sich die Haftung nur noch auf Verbindlichkeiten, die er nach der Zustimmung des Gerichts zur Stilllegung begründet hat oder die durch seine schuldhafte Verzögerung des Stilllegungsantrags entstanden sind, z.B. durch eine mangelhafte Begründung3. Die Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 61 InsO erfährt im Rahmen der Exkulpationsmöglichkeit nach § 61 Satz 2 InsO eine weitere Einschränkung, da hier seine außergewöhnliche Situation besonders berücksichtigt werden muss4. Der vorläufige Verwalter steht bei Amtsübernahme unter erheblichem Zeitdruck und regelmäßig wird ihm der Überblick über die Lage des Schuldners fehlen, wodurch von ihm eine zuverlässige Liquiditätsprognose auf die Schnelle nicht erwartet werden kann5. Wenigstens hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse hat der Gesetzgeber6 dieses Haf- 7.183 tungsproblem des vorläufigen Verwalters aufgegriffen und mit § 55 Abs. 3 Satz 1 InsO eine Regelung eingeführt, wonach die begründeten Ansprüche der Arbeitnehmer, soweit sie nach § 169 SGB III auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangen sind, von dieser nur noch als Insolvenzforderung geltend gemacht werden können7. cc) Haftungsrisiko der Stilllegung Weitere Haftungsrisiken ergeben sich bei der Frage, wann ein Schließungsantrag 7.184 zu stellen ist. Der vorläufige Insolvenzverwalter befindet sich insoweit in einem Dilemma, da für ihn immer die konkrete Gefahr besteht, von den Verfahrensbeteiligten retrospektiv für sein diesbezügliches Handeln (den Betrieb fortgeführt bzw. stillgelegt zu haben) haftbar gemacht zu werden. In kürzester Zeit hat er so1 S. Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 29, S. 1922; Lohmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 60 InsO Rz. 26; Sinz in Uhlenbruck, § 61 InsO Rz. 34. 2 Vgl. Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 29, S. 1922; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 123. 3 Vgl. Heye in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 43 Rz. 55; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 123, 124; Wiester, ZInsO 1998, 101 f.; Jaffé/Hillert, ZIP 1999, 1204. 4 Vgl. LG Cottbus v. 8.5.2002 – 3 O 277/00, NZI 2002, 441, 443; Heye in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 43 Rz. 53; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 61 InsO Rz. 4. 5 S. LG Cottbus v. 8.5.2002 – 3 O 277/00, NZI 2002, 441, 443; Heye in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 43 Rz. 53; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 61 InsO Rz. 4; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 121. 6 Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung vom 26.10.2001, BGBl. I 2001, 2710. 7 In einer Entscheidung vom 3.4.2001 hatte der 9. Senat des BAG entsprechende Forderungen der Bundesanstalt für Arbeit schon als Insolvenzforderungen eingestuft, vgl. BAG v. 3.4.2001 – 9 AZR 301/00, ZIP 2001, 1964.

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7.185

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

mit Entscheidungen zu treffen, die für ihn, wie oben dargestellt, erhebliche haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können. Die betriebliche Situation nach Insolvenzantragstellung beinhaltet von den Mitarbeitern über die Kunden und Lieferanten bis zu potentiellen Kaufinteressenten so viele unbekannte Faktoren, dass es mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, die Sanierungsaussichten für das schuldnerische Unternehmen in dieser Phase bereits einigermaßen realistisch einschätzen zu können; erfolgreiche Sanierungen sind nicht selten durch das Auftreten bestimmter vorteilhafter Rahmenbedingungen begünstigt worden. 7.185 Man wird deswegen aus der gesetzlichen Regelung folgern können, dass der vorläufige Insolvenzverwalter einen Antrag auf Betriebsstilllegung nur in solchen Fällen stellen muss, in denen eine gravierende Unternehmensschieflage im leistungswirtschaftlichen Bereich für ihn so offenbar ist, dass aus betriebswirtschaftlicher Sicht die Weiterführung schlechthin nicht mehr verantwortet werden kann1 und zu einer erheblichen Vermögenseinbuße beim schuldnerischen Vermögen zu Lasten der Gläubiger führen würde2. 7.186 In jedem Fall muss der vorläufige Insolvenzverwalter aber sogleich nach Bestellung mit der Prüfung beginnen, ob und in welchem Ausmaß das Auflaufen von Verlusten bis zur Entscheidung über die Verfahrenseröffnung zu erwarten ist und ob das Ausmaß derartiger Verluste ggf. zu rechtfertigen ist, insbesondere, weil und soweit für das Unternehmen realistische Sanierungsaussichten bestehen. b) Haftung aus sonstigen Gründen 7.187 Daneben kann sowohl der vorläufig schwache, wie auch der vorläufig starke Insolvenzverwalter aus anderen Gründen, wie z.B. Garantiezusagen, Verletzung von Pflichten bei Vertragsschluss, unerlaubten Handlungen, strafrechtlichen, steuerrechtlichen sowie sozialrechtlichen Tatbeständen haften3. S. hierzu schon ausführlich oben zum endgültigen Insolvenzverwalter Rz. 7.161 ff. 3. Staatshaftung 7.188 Alle Haftungstatbestände des endgültigen Insolvenzverwalters wie des vorläufigen Verwalters können auch eine Haftung des Landesfiskus nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB auslösen, wenn das Gericht seinen Auswahl- und Überwachungspflichten nicht nachkommt4. 7.189 Im Eröffnungsverfahren kommt diesen Pflichten eine besondere Bedeutung zu, denn vor Eröffnung des Hauptverfahrens ist das Vermögen des Schuldners besonders schutzbedürftig und es besteht noch keine Gläubigerautonomie. Soweit das 1 S. Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, Rz. 145. 2 So Heye in Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 43 Rz. 54; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 113. 3 Vgl. auch Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 122, 208; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 33 Rz. 34, S. 1924. 4 Vgl. Haarmeyer, InVo 1997, 57; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 42; Gräber in Münchener Kommentar zur InsO, § 56 InsO Rz. 177.

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Haftungsrisiken des Verwalters

7.200

Vermögen einer Person durch Hoheitsakt unter fremde Verwaltung gestellt wird, ist der Staat für die sorgfältige Auswahl und Überwachung dieses Amtsträgers verantwortlich. Das Gericht ist bei der Überwachung des vorläufigen Insolvenzverwalters zwar 7.190 auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt und nicht befugt, das Verwalterhandeln auf seine Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen. Die Grenzen sind bei der Betriebsfortführung allerdings fließend1. Darüber hinaus obliegen dem Gericht selbst schwerwiegende Entscheidungen im 7.191 Eröffnungsverfahren, die geeignet sind, eine Staatshaftung auszulösen. Das fängt an bei der Frage, welche Sicherungsmaßnahmen erforderlich und geeignet sind, das Schuldnervermögen zu sichern, und geht bis zur Entscheidung über einen Schließungsantrag des vorläufigen Insolvenzverwalters2. Der Staat wird nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in aller Regel jedoch nur subsidiär 7.192 haften. 7.193–7.200

vacat

1 S. Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 7 Rz. 25 ff. 2 S. Feuerborn, KTS 1997, 185; Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 123.

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7.201

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

B. Die Rechtsstellung des Geschäftsführers im eröffneten Insolvenzverfahren I. Grundlagen 1. Organschaftliche Stellung und Dienstvertrag 7.201 Im Verhältnis der Geschäftsführer zur Gesellschaft sind zwei grundlegend verschiedene Rechtsverhältnisse zu unterscheiden: einmal das Organverhältnis, das durch die Bestellung zum Organ begründet wird, und das Anstellungsverhältnis, auf das die Vorschriften über den Dienstvertrag (§§ 611 ff. BGB) Anwendung finden1. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird zwar die GmbH aufgelöst (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG). Sie bleibt aber als rechts- und handlungsfähiger Rechtsträger bestehen. Auch die Rechtsstellung der organschaftlichen Vertreter wird durch die Verfahrenseröffnung nicht berührt2. Unberührt durch das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft bleibt schließlich auch das Recht der Gesellschafter, einen Geschäftsführer zu ernennen oder abzuberufen3. Etwas anderes gilt für Anstellungsverträge (Dienstverträge) der Gesellschaft mit Geschäftsführern. Zwar erlischt der Dienstvertrag eines Geschäftsführers nicht automatisch durch die Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Gesellschaft; jedoch ist der Insolvenzverwalter nach § 113 Abs. 1 InsO ebenso wie der Geschäftsführer berechtigt, den Anstellungsvertrag ohne Rücksicht auf die vereinbarte Dauer oder einen etwaigen vertraglich vereinbarten Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts mit einer Frist von höchstens drei Monaten zum Monatsende zu kündigen, sofern nicht eine kürzere vertragliche oder gesetzliche Frist greift4. Lange Zeit war dabei unklar, wie der dem Geschäftsführer nach § 113 Satz 3 InsO zustehende Schadensersatz im Falle einer vertraglich vereinbarten Unkündbarkeit zu bemessen ist5. Inzwischen hat das BAG hierzu jedoch klargestellt, dass der Schadensersatzanspruch als Verfrühungsschaden auf die ohne die vereinbarte Unkündbarkeit maßgebliche längste ordentliche Kündigungsfrist

1 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2012, Rz. 3.10 S. 99; Uhlenbruck, GmbHR 1972, 170 ff.; H.-F. Müller, Der Verband in der Insolvenz, 2002, S. 66 ff. Zur Rechtsstellung des Geschäftsführers der GmbH in der Insolvenz der Gesellschaft s. auch Fichtelmann, GmbHR 2008, 76 ff.; Hamacher in Nerlich/Römermann, § 113 InsO Rz. 39. 2 Uhlenbruck, GmbHR 2005, 817 ff.; Noack in Kübler/Prütting, InsO, Gesellschaftsrecht Rz. 290. 3 Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 105 ff.; Hoffmann/Liebs, Der GmbH-Geschäftsführer, Rz. 6078; Henssler in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 30 Rz. 12. 4 BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, BB 2005, 1698; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 113 InsO Rz. 93; Hamacher in Nerlich/Römermann, § 113 InsO Rz. 40; Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 125; Berscheid in Uhlenbruck, § 113 InsO Rz. 15 ff.; Fichtelmann, GmbHR 2008, 76, 80 ff.; Noack in Kübler/Prütting, InsO, Gesellschaftsrecht S. 127 Rz. 296; Düwell in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 37 Rz. 24; Henssler in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 30 Rz. 11; Haas in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 104 Rz. 46; Ung Kim/Götz in FS E. Braun, 2007, S. 119 ff. 5 Vgl. hierzu LAG Köln v. 2.5.2006 – 9 (10) Sa 1462/05, ZIP 2006, 2005, 2007; dagegen: Henssler in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 30 Rz. 12.

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Rechtsstellung des Geschäftsführers

7.202

beschränkt sei, der Ersatz eines „Endlosschadens“ also ausscheide1. Zulässig ist auch die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB2, wobei die Eröffnung des Insolvenzverfahrens an sich keinen solch wichtigen Grund zur Kündigung darstellt3. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH beendet somit weder die Organstellung des Geschäftsführers noch seinen Anstellungsvertrag. Die Verfahrenseröffnung räumt dem Insolvenzverwalter lediglich nach § 113 InsO das Recht ein, den Anstellungsvertrag zu kündigen4 (ausführlich sogleich Rz. 7.208 ff.). Durch die Kündigung oder Beendigung des Anstellungsvertrages wird aber die organschaftliche Stellung des Geschäftsführers nicht berührt5 (Rz. 7.208). Dies hat zur Folge, dass sämtliche Verfahrenspflichten, die der organschaftliche Vertreter im eröffneten Verfahren zu erfüllen hat, von ihm trotz Beendigung seines Anstellungsvertrages weiter zu erfüllen sind6. Nach außen hin sind die Geschäftsführer im eröffneten Verfahren nicht berechtigt, neben dem Insolvenzverwalter die Gesellschaft zu vertreten. Für den Anstellungsvertrag mit einem Alleingesellschafter-Geschäftsführer greift 7.202 nach h.M. ebenfalls die Vorschrift des § 113 InsO ein7. Bei einem Alleingesellschafter-Geschäftsführer ist die Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Gesellschaft zwar kein Grund, der eine fristlose Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigt; jedoch rechtfertigen Pflichtverletzungen oder deren Verdacht eine außerordentliche fristlose Kündigung durch den Insolvenzverwalter8. Führt der Geschäftsführer eines Insolvenzschuldners in Abstimmung mit dem Insolvenzverwalter seine Tätigkeit fort, so ist mangels näherer Vereinbarungen nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass ihm eine Vergütung nur bei Erzielung von Unternehmensgewinnen zusteht. Ungeachtet dessen ist allerdings ein Recht des Insolvenzverwalters zur Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses anzunehmen, soweit er als Insolvenzverwalter die Weiterbeschäftigung nicht mehr verantworten kann9. 1 BAG v. 16.5.2007 – 8 AZR 772/06, BAGE 122, 337 = ZIP 2007, 1829; a.A. Löwisch/Caspers in Münchener Kommentar zur InsO, § 113 InsO Rz. 33. 2 OLG Rostock v. 17.12.2002 – 6 W 52/02, Rpfleger 2003, 444, 445 = GmbHR 2003, 1133. 3 Henssler in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 30 Rz. 12; Henssler in Münchener Kommentar zum BGB, § 626 BGB Rz. 213; Dörner/Vossen in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 626 BGB Rz. 71; Fichtelmann, GmbHR 2008, 76, 81. 4 Für vertretungsberechtigte Geschäftsführer, die auf Grund ihrer Kapitalbeteiligung beherrschen, gilt § 622 BGB entsprechend. S. BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, BGHZ 91, 217 = GmbHR 1984, 312; Beck in Braun, § 113 InsO Rz. 7. 5 Uhlenbruck, GmbHR 2005, 817, 818. 6 S. Uhlenbruck, GmbHR 2005, 817, 828 ff. 7 BGH v. 25.6.1979 – II ZR 219/78, BGHZ 75, 209, 210 ff. = GmbHR 1980, 27 f. (zu § 23 KO); BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, GmbHR 1981, 158 = ZIP 1981, 367, 368; OLG Hamm v. 2.6.1986 – 8 U 298/85, GmbHR 1987, 307 = ZIP 1987, 121, 122; OLG Hamm v. 29.3.2000 – 8 U 156/99, GmbHR 2001, 392 = NZI 2000, 475 = ZInsO 2001, 43; Henssler, ZInsO 1999, 121; OLG Düsseldorf v. 14.4.2000 – 16 U 109/99, NZG 2000, 1044; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 GmbHG Rz. 69. 8 Vgl. BGH v. 25.6.1979 – II ZR 219/78, NJW 1980, 595 = ZIP 1990, 46, 47 = GmbHR 1980, 27; BGH v. 2.7.1984 – II ZR 16/84, ZIP 1984, 1113 = GmbHR 1985, 112; Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 126; vgl. zur Anwendung des § 103 InsO Noack in Kübler/Prütting, InsO, Gesellschaftsrecht Rz. 298–300. 9 OLG Schleswig v. 17.1.2004 – 1 U 90/04, ZInsO 2005, 606.

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7.203

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

7.203 Hält man eine Abberufung oder Amtsniederlegung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH für zulässig (zur Amtsniederlegung außerhalb des Verfahrens vgl. Rz. 2.221), ist streitig, ob dies Auswirkungen auf die Verfahrenspflichten hat1. Nach hier vertretener Meinung kann eine Abberufung oder Amtsniederlegung nach Verfahrenseröffnung die Verfahrenspflichten nur ausnahmsweise beseitigen2, denn diese resultieren aus einer verfahrensrechtlichen Position, wie sie zum Zeitpunkt des Eröffnungsantrags bestand. Dem gegenüber hat H.-F. Müller3 eingewandt, dass die Organwalter den Verfahrenspflichten nur in ihrer Funktion als Schuldnervertreter unterliegen. Es handele sich um abgeleitete Pflichten, die der Geschäftsführer für die Gesellschaft zu erfüllen habe, weil diese selbst nicht handlungsfähig sei. Nach dieser Auffassung endet mit dem Ausscheiden aus dem Amt grundsätzlich auch die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers für die Erfüllung der Schuldnerpflichten. Eine Ausnahme gelte danach lediglich für die Auskunftspflicht nach § 101 Abs. 1 Satz 2 InsO. Die Auffangregelung des § 101 Abs. 1 Satz 2 InsO greift jedoch überhaupt nur für diejenigen Geschäftsführer ein, die vor diesem Zeitpunkt aus dem Amt ausgeschieden sind. Wäre diese Auffassung also richtig, könnte sich der Geschäftsführer im eröffneten Verfahren über das Vermögen der GmbH auch seiner Auskunftspflicht dadurch entziehen, dass er das Amt mit sofortiger Wirkung niederlegt4. Korrigiert wird die abweichende Meinung dadurch, dass die Amtsniederlegung durch den einzigen GmbH-Geschäftsführer, der zugleich Gesellschafter ist, auch nach Inkrafttreten des MoMiG in der Regel als rechtsmissbräuchlich und daher unwirksam angesehen wird, sofern er nicht zugleich einen neuen Geschäftsführer bestellt5. Nicht verkannt werden soll, dass die Gesellschafterversammlung im eröffneten Insolvenzverfahren der GmbH gewichtige Gründe haben kann, den bisherigen Geschäftsführer abzuberufen, vor allem, wenn er durch pflichtwidriges Verhalten die Insolvenz herbeigeführt hat. Solchenfalls ist es vertretbar, nicht nur die Abberufung des Geschäftsführers im eröffneten Verfahren zuzulassen, sondern den Pflichtenbereich des ausgeschiedenen Geschäftsführers ausnahmsweise allein auf die Auskunftspflicht nach den §§ 101 Abs. 1 Satz 2, 97 Abs. 1 InsO zu beschränken6. Die Verfahrensrechte und -pflichten treffen dann den neu bestellten Geschäftsführer. 2. Die Rechtsstellung der Gesellschafter in einer führungslosen GmbH 7.204 Nach § 15a Abs. 3 InsO ist im Fall der Führungslosigkeit einer GmbH auch jeder Gesellschafter zur Stellung des Insolvenzantrags verpflichtet, wenn Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt, es sei denn, der Gesellschafter hätte von dem Vorliegen eines Insolvenzgrundes oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis gehabt. Die einzelnen Verfahrensrechte und -pflichten der Gesellschafter wurden auch durch das MoMiG nicht geregelt. Lediglich § 101 Abs. 1 Satz 2 1 2 3 4

S. auch Fichtelmann, GmbHR 2008, 76, 77 ff. Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 308 ff. H.-F. Müller, Der Verband in der Insolvenz, 2002, S. 133 f. Für die Zulässigkeit einer Amtsniederlegung und Abberufung im eröffneten Verfahren auch Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 119; Henssler in Kölner Schrift zur InsO, S. 1283 Rz. 4; Haas in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 264. 5 S. die Rechtsprechung bei Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 119. 6 Wohl auch Henssler in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 30 Rz. 47.

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Schluck-Amend

Rechtsstellung des Geschäftsführers

7.206

Halbsatz 2 InsO sieht vor, dass in Fällen der Führungslosigkeit die Gesellschafter entsprechend § 97 Abs. 1 InsO verpflichtet sind, dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuss und auf Anordnung des Gerichts der Gläubigerversammlung über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben, den Verwalter bei der Erfüllung von dessen Aufgaben zu unterstützen und sich auf Anordnung des Gerichts jederzeit zur Verfügung zu stellen, um ihre Auskunfts- und Mitwirkungspflichten zu erfüllen. Im Übrigen haben auch die Gesellschafter der GmbH alle Handlungen zu unterlassen, die der Erfüllung dieser Pflichten zuwider laufen (§ 97 Abs. 3 Satz 2 InsO). Offen geblieben ist die Frage, ob die GmbH-Gesellschafter in Fällen des eröffneten Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer führungslosen GmbH bzw. GmbH & Co. KG in die verfahrensrechtliche Rechtsposition eines Geschäftsführers einrücken mit der Folge, dass ihnen sämtliche Verfahrensrechte und -pflichten zustehen bzw. obliegen. Die Frage wird letztlich zu verneinen sein, denn dem Gesetzgeber des MoMiG ging es lediglich darum, durch die Erweiterung der Antragspflicht die rechtzeitige Einleitung des Insolvenzverfahrens und damit den Schutz der Altgläubiger vor weiterer Verringerung der Haftungsmasse und der Neugläubiger vor Vertragsschluss mit notleidenden Gesellschaften zu gewährleisten (zur Antragspflicht s. Rz. 11.58). Darüber hinaus sollte durch die Erweiterung der Auskunfts- und Mitwirkungspflicht auf die Gesellschafter sichergestellt werden, dass der Insolvenzverwalter auch in Fällen der Führungslosigkeit die für die Inbesitznahme und Verwertung der Insolvenzmasse erforderlichen Auskünfte erhält. Weiter gehende organschaftliche Rechte und Pflichten sollten dagegen den GmbH-Gesellschaftern nicht zustehen1, denn diese haben es auch im eröffneten Verfahren jederzeit in der Hand, einen Geschäftsführer zu bestellen, der die organschaftlichen Verfahrensrechte wahrnimmt. In dieselbe Richtung weist ein zum allgemeinen Zivilprozessrecht ergangenes Urteil des BGH2. In diesem stellte der BGH klar, dass die durch das MoMiG in § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG für den Fall der Führungslosigkeit eingeführte Ermächtigung der Gesellschafter zur Passivvertretung diese nicht dazu ermächtigt, in einem zivilprozessualen Verfahren aktiv Prozesshandlungen vorzunehmen. Dasselbe muss dann auch für Insolvenzverfahren gelten. Zur Rechtsstellung des Geschäftsführers in der Eigenverwaltung s. Rz. 2.224 ff.

7.205

3. Die verfahrensrechtliche Stellung des faktischen Geschäftsführers Folgt man der h.M.3, dass auch der faktische Geschäftsführer verpflichtet ist, bei 7.206 Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung Insolvenzantrag zu 1 So auch Klopp/Kluth in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 19 Rz. 20. 2 BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/09, GmbHR 2011, 83; vgl. hierzu auch Karsten Schmidt, GmbHR 2011, 113. 3 BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44 = GmbHR 1988, 299; BGH v. 18.7.1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32, 37 ff.; BGH v. 28.6.1966 – 1 StR 414/65, BGHSt 21, 101, 103; BGH v. 22.5.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118 = GmbHR 1983, 43; Schmidt-Leithoff/Baumert in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 GmbHG Rz. 17; Karsten Schmidt in FS Rebmann, 1989, S. 419 ff.; Noack in Kübler/Prütting, InsO, Gesellschaftsrecht Rz. 262; Altmeppen in Roth/Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 57; Roth, ZGR 1989, 421; Vallender, MDR 1999, 280, 282; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, vor § 35 GmbHG Rz. 12; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 49; zu Grundpro-

Schluck-Amend

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7.207

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

stellen (s. dazu Rz. 5.279), so stellt sich zwangsläufig die weitere Frage, ob ihm auch die verfahrensmäßigen Pflichten im eröffneten Verfahren über das Vermögen der GmbH obliegen. Gleiches gilt für die Verfahrensrechte. Die Frage lässt sich nicht generell beantworten. Begreift man mit Karsten Schmidt1 die Pflichten des faktischen Geschäftsführers als insolvenzrechtliche Organpflichten, so können diese Pflichten in das eröffnete Verfahren über das Vermögen der GmbH hineinwirken. Im Einzelfall ist aber zu differenzieren: Hat der faktische Geschäftsführer lediglich maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen der förmlich bestellten Geschäftsführung genommen, so kann sich dies zwar auf die Haftung, nicht dagegen auf seine Verfahrenspflichten auswirken. Der oder die ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer haben sämtliche verfahrensmäßige Pflichten zu erfüllen. Ihnen stehen auch die verfahrensrechtlichen Befugnisse, wie z.B. das Recht zur sofortigen Beschwerde zu. Anders, wenn der GmbH-Geschäftsführer in der Krise der GmbH sein Amt förmlich niedergelegt2 hat, um seiner Mitwirkungspflicht im eröffneten Verfahren zu entgehen. In einem solchen Fall ist ebenso wie bei Abberufung des Geschäftsführers ohne Neubestellung eines anderen Geschäftsführers anzunehmen, dass den faktischen Geschäftsführer, der nunmehr die Geschäfte an Stelle eines Geschäftsführers führt, sämtliche verfahrensmäßigen Pflichten treffen, er aber gleichzeitig auch alle verfahrensmäßigen Rechte eines Geschäftsführers hat3.

II. Entgeltzahlungen an den Geschäftsführer 1. Geschäftsführervertrag und Geschäftsführerbezüge in der Insolvenz a) Vertragsschluss 7.207 Zuständig für den Abschluss des Geschäftsführervertrages ist die Gesellschafterversammlung4. Das wird insbesondere bei Nebenvereinbarungen häufig übersehen und erst in der Insolvenz auf den Prüfstand gestellt. Der Beschluss muss nicht protokolliert werden. Ob bei einem Alleingesellschafter-Geschäftsführer die nach § 48 Abs. 3 GmbHG erforderliche Protokollierung konstitutiv ist, ist umstritten5, aber jedenfalls dann zu verneinen, wenn sich die Entscheidung des Alleingesellschafters aus anderen Unterlagen als einem Protokoll ergibt6. Die Gesellschafterversammlung darf die Kompetenz zum Abschluss des Dienstvertrages

1 2 3 4 5 6

blemen der faktischen Geschäftsführung s. auch Weimar, GmbHR 1997, 473 ff.; U. Stein, Das faktische Organ, 1984, S. 125 ff.; Uhlenbruck, GmbH & Co. KG, S. 369 ff.; Haas, DStR 1998, 1359; Haas in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 56–58; Hirte in Uhlenbruck, § 15a InsO Rz. 8; Bußhardt in Braun, § 15a InsO Rz. 13. Karsten Schmidt, ZIP 1980, 328 ff.; wohl auch Henssler in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 30 Rz. 40. Nach Meinung von Karsten Schmidt kann auch derjenige, der sein Amt förmlich niedergelegt hat, faktischer Geschäftsführer sein (Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 153). Zur Strafbarkeit des faktischen Geschäftsführers wegen Geschäftsführerverschleppung s. auch Nerlich in Michalski, § 64 GmbHG Rz. 16; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 84 GmbHG Rz. 5. BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, GmbHR 2000, 876. Zum Streitstand: Seibt in Scholz, § 48 GmbHG Rz. 73. OLG Brandenburg v. 13.2.2002 – 7 U 152/01, GmbHR 2002, 432 bzgl. einer Versorgungszusage.

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Schluck-Amend und Spliedt

Entgeltzahlungen an den Geschäftsführer

7.209

delegieren, u.a. auf einen Beirat1. Die ohne Beachtung der Formalien in der Vergangenheit gezahlte Vergütung kann wegen des in Vollzug gesetzten Vertrages zivilrechtlich nicht als ungerechtfertigte Bereicherung zurückgefordert, sondern der Vertrag nur für die Zukunft beendet werden. Voraussetzung ist nur, dass der Vollzug der Gesellschaft zugerechnet werden kann, was schon dann der Fall ist, wenn ein Mitglied des für den Abschluss des Vertrages zuständigen Gremiums von der Vereinbarung Kenntnis hat2. In der Praxis ist das vor allem bei Ergänzungsvereinbarungen relevant, bei denen ein meist zugleich als Gesellschafter beteiligter Geschäftsführer die Gesellschaft gegenüber dem anderen Geschäftsführer vertritt. b) Kündigung Der Geschäftsführervertrag bleibt von der Insolvenzeröffnung zunächst unbe- 7.208 rührt (§ 108 Abs. 1 InsO)3. §§ 115 f. InsO, die das Erlöschen von Auftrags- und Geschäftsbesorgungsverhältnissen anordnen, sind nicht einschlägig4, weil der Geschäftsführer als Organ das eigene Geschäft und nicht als Dritter ein fremdes Geschäft führt. Das für schwebende Verträge geltende Erfüllungswahlrecht des § 103 InsO findet ebenfalls keine Anwendung5, auch nicht gegenüber einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer6. Zwar ist dessen Vertrag regelmäßig kein Ausgleich gegenläufiger Interessen, die den von § 108 Abs. 1 InsO erfassten Dienstverträgen typischerweise zugrunde liegen. Eine einschränkende Auslegung des im Verhältnis zu § 103 InsO spezielleren § 108 InsO mit der Begründung, dass der Mehrheitsgesellschafter weniger schutzbedürftig sei als ein Fremdgeschäftsführer, lässt der Wortlaut des § 108 InsO jedoch nicht zu. Anderenfalls müsste bspw. auch der Mietvertrag mit einem beherrschenden Gesellschafter bei einer Betriebsaufspaltung dem Anwendungsbereich des § 108 InsO entzogen werden. Eine teleologische Reduktion der Vorschrift zulasten des Vermieters wird zu Recht nicht vertreten. Die Gefahr des Missbrauchs ist überdies nicht auf Geschäftsführerverträge mit beherrschenden Gesellschaftern beschränkt, sondern kann auch in anderen Fällen gleichgerichteter Interessen auftreten, insbesondere bei Verträgen mit nahestehenden Personen. Dem ist unter dem Blickwinkel des Gläubigerschutzes durch das Verbot der Einlagenrückgewähr, durch die Insolvenzanfechtung und schließlich durch die Kündigung mit insolvenzrechtlich verkürzter Frist zu begegnen. Die Insolvenz (Antragstellung oder Verfahrenseröffnung) ist kein wichtiger 7.209 Grund zur fristlosen Kündigung7, wäre doch anderenfalls die Kündigungsregelung 1 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 35 GmbHG Rz. 167. 2 BGH v. 15.4.2014 – II ZR 44/13, ZIP 2014, 1278 = GmbHR 2014, 817; BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, GmbHR 2000, 876. 3 BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 61/06, GmbHR 2009, 1332; BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, GmbHR 2005, 1049; BGH v. 25.6.1979 – II ZR 219/78, GmbHR 1980, 27. 4 Caspers in Münchener Kommentar zur InsO, § 113 InsO Rz. 11; ausführlich: Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 116 InsO Rz. 4. 5 Zweifelnd: Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 116 InsO Rz. 4 mit Fn. 22, 23. 6 BGH v. 25.6.1979 – II ZR 219/78, GmbHR 1980, 27; a.A. Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, § 35 GmbHG Rz. 190; Ahrens in Karsten Schmidt, § 113 InsO Rz. 12. 7 BGH v. 25.6.1979 – II ZR 219/78, GmbHR 1980, 27.

Spliedt

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7.210

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

in § 113 InsO überflüssig1. Die der Verfahrenseröffnung vorhergehenden Krise ist aber erfahrungsgemäß ein „Nährboden“ für andere wichtige Gründe, von denen die häufigsten die schuldhafte Insolvenzverschleppung2 und die Bankrottdelikte3 gemäß §§ 283 ff. StGB sind. Ein Verstoß gegen § 64 GmbHG reicht hingegen nicht, um neben der dort geregelten Haftung auch noch einen wichtigen Grund zur Kündigung anzunehmen, zumal das Zahlungsverbot des § 64 GmbHG bereits vor der Insolvenzverschleppung einsetzt4. Allerdings kann bereits die Begründung von Verbindlichkeiten, die später in einer dem § 64 GmbHG widersprechenden Weise beglichen werden, einen Verstoß gegen § 43 Abs. 1 GmbHG darstellen, weil in der Krise die Ressourcen vorrangig für „überlebenssichernde“ Maßnahmen eingesetzt werden müssen. Insbesondere ist bei Aufträgen an Berater Augenmaß zu wahren. Einerseits kann zwar auch die unterbliebene Hinzuziehung von Sanierern sorgfaltswidrig sein, andererseits darf jedoch der Beratungsaufwand diejenigen Kosten nicht erheblich übersteigen, die bei einer Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens anfallen würden, wenn sich die Verhältnisse bei drohender Zahlungsunfähigkeit weiter verschlechtern5 (s. Rz. 9.115 ff.). 7.210 Die Kündigungsbefugnis liegt nach Verfahrenseröffnung beim Insolvenzverwalter (§ 80 Abs. 1 InsO). Nur die Organstellung gehört zum insolvenzfreien Bereich (Rz. 7.313, 9.126), nicht aber das schuldrechtliche Anstellungsverhältnis. Bei einer außerordentlichen Kündigung beginnt die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB mit der Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom wichtigen Grund. Kündigungsberechtigt ist vor der Verfahrenseröffnung die Gesellschafterversammlung, so dass es auf deren Kenntnis als Kollegialorgan ankommt6. Die Kenntnis des einzelnen Gesellschafters reicht nicht, um die Ausschlussfrist in Gang zu setzen7, es sei denn, dass einberufungsberechtigte Mitglieder im Wissen um den wichtigen Grund die Einberufung verzögern. Dann beginnt die Frist an dem Tag, an dem die Gesellschafterversammlung mit zumutbarer Beschleunigung hätte zusammentreten können8. Entsprechendes gilt, wenn die Gesellschafter die Entscheidungsbefugnis auf ein anderes Kollegialorgan übertragen haben. 7.211 Der Verwalter muss sich einen Fristbeginn vor Verfahrenseröffnung zurechnen lassen, da er gemäß § 80 Abs. 1 InsO nur die Rechte der schuldnerischen GmbH – insoweit vertreten durch die Gesellschafterversammlung – und keine neuen Rechte verwaltet, soweit die InsO nichts anderes bestimmt9. Deshalb ist eine fristlose Kündigung wegen einer länger zurückliegenden und abgeschlossenen Pflichtverletzung nicht mehr möglich. Allerdings kann die Berufung auf eine frühere Kenntnis der damals kündigungsberechtigen Organe treuwidrig sein, 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Ahrens in Karsten Schmidt, § 113 InsO Rz. 47. BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, GmbHR 2005, 1049. Vgl. Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 470 f. BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, GmbHR 2009, 654. Vgl. BGH v. 12.1.2012 – IX ZR 95/11, GmbHR 2012, 340 zur gläubigerschützenden Bewertung von Dienstleistungen des Geschäftsführers. BGH v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, GmbHR 2013, 645; BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, GmbHR 2005, 1049. BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, GmbHR 2001, 2166. BGH v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, GmbHR 2013, 645 Rz. 14; BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, GmbHR 1998, 827. Kayser in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 80 InsO Rz. 11.

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Spliedt

Entgeltzahlungen an den Geschäftsführer

7.212

wenn eine Kündigung wegen der Interessenidentität von Geschäftsführer und Gesellschafter nicht erwartet werden kann1. Bei einem Dauertatbestand beginnt die Ausschlussfrist frühestens mit dessen Beendigung2, bei einer Insolvenzverschleppung als wichtigen Grund zur Kündigung also mit dem Insolvenzantrag. Häufig kennen die Gesellschafter den Verschleppungstatbestand. Ein vorläufiger Verwalter ist vor der Verfahrenseröffnung aber noch nicht kündigungsbefugt, sondern könnte nur einer von der Gesellschafterversammlung erklärten Kündigung zustimmen3. Damit beginnt die Ausschlussfrist zu laufen, so dass eine spätere von ihm ausgesprochene fristlose Kündigung nicht mehr zulässig ist. Eine Anfechtung der seitens der Gesellschafterversammlung unterlassenen Kündigung kommt nur in Betracht, wenn den Gesellschaftern die Kündigungsmöglichkeit bekannt war, so dass sie das vom BGH4 für die Anfechtung eines Unterlassens geforderte Bewusstsein nachteiliger Konsequenzen hatten. Das ist insbesondere der Fall, wenn der vorläufige Verwalter die Gesellschafter über den Handlungsbedarf vorher informiert hat. Hat er es nicht, könnte dem Geschäftsführer, der auf eine Verfristung verweist, der Arglisteinwand5 entgegengehalten werden, weil er die Einberufung der Gesellschafterversammlung (§ 49 Abs. 1, 2 GmbHG) unterlassen hat. Der BGH hatte eine fristlose Kündigung wegen Insolvenzverschleppung zwar damit gerechtfertigt, dass es einer Gesellschaft in der Insolvenz nicht mehr zuzumuten sei, einen das Verfahren verschleppenden Geschäftsführer weiter zu beschäftigen und Gehalt aus der Masse zu zahlen6. Im Urteilsfall ging es jedoch um ein Nachschieben von Kündigungsgründen durch den Verwalter, nicht um die Ausschlussfrist für die Kündigungserklärung. Die Zumutbarkeit betrifft deshalb auch nur die Eignung des Fehlverhaltens als wichtiger Grund und ist nicht so zu verstehen, dass dem Geschäftsführer die fehlende Eignung gleichsam als personenbedingter Dauertatbestand anhaftet, der noch später zur Kündigung berechtigt. Der Vertrauensverlust mag zwar dauerhaft sein, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt trotzdem mit Kenntnis der den Vertrauensverlust begründenden Umstände7. Für eine ordentliche Kündigung beträgt die insolvenzrechtliche Sonder-Frist des 7.212 § 113 InsO längstens drei Monate zum Monatsende, es sei denn, dass die vertraglich vereinbarte oder die gesetzliche Frist kürzer ist. Die gesetzliche Frist ist für beherrschende (unternehmerähnliche) Gesellschafter-Geschäftsführer dem § 621 BGB, für nicht beherrschende (arbeitnehmerähnliche) dem § 622 BGB8 zu entnehmen. Das KSchG ist auf Organvertreter gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht an1 Zur Zurechnung von Kenntnissen BGH v. 15.3.2011 – II ZR 301/09, ZIP 2011, 858. 2 BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, GmbHR 2005, 1049. 3 BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, ZIP 2009, 1161 zur Erstreckung eines Zustimmungsvorbehalts auf Kündigungen. 4 BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 31/12, GmbHR 2014, 320 Rz. 12. 5 Zu § 626 Abs. 2 BGB: Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 13. Aufl. 2013, § 626 BGB Rz. 223; zur Arglist bei Verheimlichung: Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 282; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 43 GmbHG Rz. 59. 6 BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, GmbHR 2005, 1049. 7 Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 13. Aufl. 2013, § 626 BGB Rz. 213. 8 Weidenkaff in Palandt, § 621 BGB Rz.1, § 622 BGB Rz. 4; Caspers in Münchener Kommentar zur InsO, § 113 InsO Rz. 83.

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7.213

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

wendbar, unabhängig davon, ob sie gleichzeitig Gesellschafter sind. Ob das Kündigungsverbot gemäß § 9 MuSchG eingreift, ist im Hinblick auf europarechtliche Vorgaben1 noch nicht abschließend geklärt2. Die abgekürzten Fristen gelten für beide Seiten und selbst dann, wenn der Geschäftsführer noch längere Zeit nach Insolvenzeröffnung tätig war3. Anders als § 111 Satz 2 InsO enthält § 113 InsO keine Einschränkung, dass von der verkürzten Frist nur zum ersten zulässigen Termin Gebrauch gemacht werden darf. Eine Vorverlagerung des § 113 InsO auf die Zeit vor Verfahrenseröffnung zugunsten der Kündigung eines vorläufigen „starken“ oder gesondert ermächtigten Insolvenzverwalters hat das BAG4 mit Recht5 abgelehnt, weil es bis zur Entscheidung über den Insolvenzantrag keinen Grund für einen insolvenzspezifischen Gläubigerschutz gibt. c) Vergütungsansprüche aa) Insolvenzrechtliche Einordnung 7.213 Rückständige Ansprüche aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung sind Insolvenzforderungen (§ 108 Abs. 3 InsO) soweit nicht ein „starker“ oder mit einer Einzelermächtigung ausgestatteter vorläufiger Insolvenzverwalter die Dienstvergütung als künftige Masseschuld begründet6. Stehengelassene Vergütungsansprüche eines Gesellschafter-Geschäftsführers sind nachrangig (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO7). Die ab Insolvenzeröffnung bis zur Beendigung der Verträge anfallende Vergütung ist eine Masseschuld (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO i.V.m. § 108 Abs. 1 InsO). Wegen der Verbindlichkeiten aus solchen kraft Gesetzes weiterlaufenden Dauerschuldverhältnissen („oktroyierte Masseschulden“) muss häufig die Masseunzulänglichkeit erklärt werden (§ 208 Abs. 1 InsO). Die bis dahin nicht bezahlte Vergütung ist eine Altmasseschuld, die zwar vor den Insolvenzforderungen, aber nach den Verfahrenskosten und den Neumasseschulden befriedigt wird (§ 209 Abs. 1 InsO). Eine Neumasseschuld entsteht gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO nur in dem Umfang, in dem der Verwalter entweder die Dienste des Geschäftsführers nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit in Anspruch genommen hat (§ 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO) oder danach den ersten Beendigungstermin ungenutzt verstreichen lässt (§ 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO), weil das einer konkludenten Erfüllungswahl entspricht (§ 209 Abs. 2 Nr. 1 InsO). bb) Vergütungshöhe 7.214 Die Höhe der Bezüge entspricht häufig nicht dem Drittvergleich8. In der Regel betrifft das Geschäftsführer, die zugleich Gesellschafter oder ihnen nahestehende 1 EuGH v. 11.11.2010 – Rs. C-232/09, ZIP 2010, 2414. 2 Bejahend: Kruse/Stenslik, NZA 2013, 596 ff. 3 Vgl. Linck in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 113 InsO Rz. 10: Geltung selbst bei neubegründeten Verträgen. 4 BAG v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, ZIP 2005, 1289. 5 A.A. Caspers in Münchener Kommentar zur InsO, vor §§ 113 – 128 InsO Rz. 30. 6 Dazu Thole in Karsten Schmidt, § 55 InsO Rz. 40 f.; Lohmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 28, 31. 7 BAG v. 27.3.2014 – 6 AZR 204/12, GmbHR 2014, 645. 8 Vgl. zur steuerlichen Angemessenheit Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 355 f.

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Spliedt

Entgeltzahlungen an den Geschäftsführer

7.214

Personen sind, kann aber auch bei Fremdgeschäftsführern der Fall sein. Eine analoge Anwendung des § 87 Abs. 2 AktG, der bei einer Verschlechterung der Lage der Gesellschaft eine Anpassung der Vergütung ermöglicht, scheidet schon deshalb aus, weil die anfängliche Überhöhung davon nicht erfasst wird. Ist sie auf das Gesellschaftsverhältnis zurückzuführen, kann ein Verstoß gegen §§ 30 f. GmbHG1 über § 43 Abs. 3 GmbHG dem Geschäftsführer unmittelbar entgegen gehalten werden. Dafür ist es nicht einmal erforderlich, dass er selbst Gesellschafter ist. Es reicht, dass ihm wegen seiner Beziehung zu einem Gesellschafter ein besonderer Vorteil societatis causa zugewendet werden soll. Allerdings ist der Nachweis, ob der Geschäftsführer ein Günstling ist oder nur günstig verhandelt hat, schwer zu führen. Erweisen sich die Bezüge erst nachträglich als überhöht, weil sich die Lage der Gesellschaft erheblich verschlechtert und/oder sich auch der Geschäftsumfang wegen der Krise reduziert hat, wird zwar eine analoge Anwendung des § 87 Abs. 2 AktG überwiegend abgelehnt2, weil diese Vorschrift nach den Gesetzesmaterialien keine Leitbildfunktion hat3, stattdessen aber gefordert, dass der Geschäftsführer aufgrund einer Treuepflicht einem Anpassungsverlangen für künftige Bezüge zustimmen müsse4, wobei unklar ist, ob das auch für den Fremdgeschäftsführer gelten soll5. Für sie ergäbe sich eine Zustimmungspflicht jedenfalls in den Grenzen, die bei einer Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) zur Anpassung berechtigen, während für Gesellschafter-Geschäftsführer die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht6 hinzukommt. Von Bedeutung ist die Anpassung vor allem für die Insolvenzanfechtung (s. sogleich, Rz. 7.219 ff.), wegen des kurzen noch in Betracht kommenden Zeitraums hingegen weniger für den Verwalter nach Insolvenzeröffnung; denn der Geschäftsführer darf auf eine Herabsetzung mit einer eigenen Kündigung reagieren7. Ist ein Insolvenzverwalter auf ihn angewiesen, muss er sich mit ihm einigen und kann die Vergütung nicht kontrovers einseitig festlegen. Will er hingegen keine Fortsetzung der Tätigkeit, wird der Insolvenzverwalter dem Geschäftsführer innerhalb der relativ kurzen Frist des § 113 InsO (s. Rz. 7.212) kündigen. Eine Anpassung für die Vergangenheit mit der Folge, dass vereinnahmte Bezüge zurückgezahlt werden müssten, kann nicht verlangt werden8. Auch ein dem Geschäftsführer wegen der verkürzten Kündigungsfrist entstandener Verfrühungsschaden (s. sogleich Rz. 7.215 ff.) könnte damit nicht reduziert werden; denn der Geschäftsführer erhält auf ihn nur dieselbe Quote, die auch alle anderen Gläubiger beziehen. Durch diese Gleichbehandlung wird den verschlechterten wirtschaftlichen Verhältnissen und den Gläubigerinteressen ausreichend Rechnung getragen.

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Dazu Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 353. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 35 GmbHG Rz. 183. Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 351. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 35 GmbHG Rz. 183. Bejahend für den Vorstand außerhalb des Anwendungsbereichs von § 87 Abs. 2 AktG: Spindler in Münchener Kommentar zum AktG, § 87 AktG Rz. 183. 6 Zu den Maßstäben s. Emmerich in Scholz, § 13 GmbHG Rz. 39 ff. 7 Eine Analogie zu § 87 Abs. 2 Satz 4 AktG widerspricht nicht der Ablehnung der aktienrechtlichen Anpassungsbefugnis, da es insoweit nur um die Reaktion auf eine aus anderen Gründen berechtigte Anpassung geht. 8 Thole, BB 2014, 3, 4.

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7.215

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

cc) Verfrühungsschaden 7.215 Der Schadensersatzanspruch wegen des Verlustes der Vergütung ab dem insolvenzrechtlich früheren Beendigungstermin bis zum vertragsgemäßen Ende (Verfrühungsschaden) ist ebenfalls eine Insolvenzforderung. Das gilt allerdings nur, wenn der Insolvenzverwalter kündigt (§ 113 Satz 3 InsO). Dem Geschäftsführer wird entsprechend dem Rechtsgedanken des § 119 InsO zugemutet, seine Tätigkeit auch nach Insolvenzeröffnung fortzusetzen. Zwar darf er seinerseits mit der verkürzten insolvenzrechtlichen Frist kündigen. Einen Verfrühungsschaden kann er dann jedoch nur geltend machen, wenn zusätzliche, nicht ausschließlich in der Insolvenzeröffnung liegende Gründe vorliegen, die ein Festhalten am Vertrag unzumutbar machen und deshalb eine Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigen (§ 628 Abs. 2 BGB). Das ist bspw. der Fall, wenn sein Tätigkeitsbild im Gegensatz zu den im Anstellungsvertrag vereinbarten Aufgaben nur noch dem eines Angestellten entspricht, wobei allein die Weisungsbefugnis des Insolvenzverwalters gemäß § 80 Abs. 1 InsO nicht ausreicht, weil sonst die Beschränkung des § 113 Satz 3 InsO, der einen Schadensersatzanspruch nur bei Kündigung des Verwalters gewährt, leerlaufen würde. 7.216 Geschäftsführerverträge werden in Anlehnung an Vorstandsverträge häufig auf fünf Jahre geschlossen. Trotz dieser Parallelität wird eine zeitliche Begrenzung des Verfrühungsschadens in analoger Anwendung des § 87 Abs. 3 AktG auf zwei Jahre überwiegend1 abgelehnt, weil der aktienrechtlichen Bestimmung nach den Gesetzesmaterialien keine Leitbildfunktion zukommt. Stattdessen entnimmt das BAG2 unmittelbar der ratio des § 113 InsO, den Verfrühungsschaden auf die längste ordentliche gesetzliche Kündigungsfrist zu beschränken; denn diese Vorschrift bezwecke einen Interessenausgleich zwischen Gläubigern und insolventem Dienstherrn mit der Folge, dass die Erleichterung der Kündigung nicht durch einen hohen Schadensersatz konterkariert werden dürfe. Anlass des Urteils war zwar ein bis zum Erreichen des 65. Lebensjahres unkündbarer, noch fast 20 Jahre laufender Vertrag. Die Entscheidungsgründe betreffen jedoch alle Verträge mit einer Laufzeit, die über die außerhalb der Insolvenz geltende gesetzliche Kündigungsfrist hinausgehen. Würde man eine solche Begrenzung nur auf Verträge mit einer „überlangen“ Laufzeit anwenden, wäre dies eine Schlechterstellung gegenüber Verträgen mit einer nur „langen“ Laufzeit. Dem kann schon deshalb nicht gefolgt werden3, weil § 87 Abs. 3 AktG mit der Reduzierung auf immerhin zwei Jahre bei dieser Lesart eine Privilegierung des Vorstandsmitglieds im Vergleich zum Geschäftsführer bedeuten würde. Der Zweck des § 87 AktG besteht hingegen in einer Einschränkung und nicht in einer Ausweitung der Vorstandsvergütung4. Außerdem gerät die vom BAG vertretene Rechtsfolge in Konflikt mit der Berechnung des Verfrühungsschadens eines Vermieters. Er darf die volle Restlaufzeit ansetzen5. Den Anspruch des Geschäftsführers, der persönlich 1 Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 351, 371. 2 BAG v. 16.5.2007 – 8 AZR 772/06, ZIP 2007, 1829. 3 Im Ergebnis ebenso, in der Reichweite aber unklar: Caspers in Münchener Kommentar zur InsO, § 113 InsORz. 84, 33. 4 Seibt in Karsten Schmidt/Lutter, § 87 AktG Rz. 1. 5 Wobei natürlich jeweils ein anderweitiger Erwerb schadensmindernd zu berücksichtigen ist.

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Entgeltzahlungen an den Geschäftsführer

7.218

von einer Insolvenz wesentlich stärker betroffen ist, darf man deshalb nicht auf u.U. nur einen Monat begrenzen. Zuzugeben ist dem BAG, dass ein „Endlosschaden“ die Interessen anderer Gläu- 7.217 biger beeinträchtigt. Dem ist jedoch nicht mit einer Anwendung des § 113 InsO beizukommen, sondern mit den Gläubigerschutzvorschriften. Eine unangemessen lange Vertragslaufzeit zugunsten eines geschäftsführenden Gesellschafters hält in der Regel nicht dem Drittvergleich1 stand, sondern beruht auf dem Gesellschaftsverhältnis (vgl. § 38 Abs. 2 GmbHG), was besonders deutlich wird, wenn zusätzlich Fremdgeschäftsführer mit kürzeren Vertragslaufzeiten beschäftigt werden. In solchen Fällen kommt eine gegen § 30 GmbHG verstoßende Einlagenrückgewähr in Betracht, vorausgesetzt, man stellt für den Zeitpunkt der fehlenden Stammkapitaldeckung bei einem Dauerschuldverhältnis richtigerweise auf die jeweilige Vergütungsperiode und nicht auf den Vertragsschluss vor der Krise ab. Das erfasst allerdings nur geschäftsführende Gesellschafter. Einen insolvenzspezifischen Schutz gegen unverhältnismäßig lange Verträge aller Geschäftsführer bieten die Anfechtungsvorschriften. Der Abschluss eines Vertrages, der, wie im oben erwähnten BAG-Fall, länger als 20 Jahre laufen soll und für den immer denkbaren Fall der Insolvenz keine Beendigungsmöglichkeit vorsieht, deutet auf die billigende Inkaufnahme einer Gläubigerbenachteiligung i.S. von § 133 InsO hin. Dabei müssen noch nicht einmal die später benachteiligten Gläubiger schon vorhanden gewesen sein2. Diese Ansätze für eine Angemessenheitskontrolle haben im Vergleich zu der starren Begrenzung des Verfrühungsschadens auf die gesetzliche Kündigungsfrist zwar den Nachteil, dass sie einen großen Beurteilungsspielraum eröffnen. Da aber die ebenfalls starre Zwei-Jahres-Frist des § 87 Abs. 3 AktG nicht analog angewendet werden kann, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt, ist diese Rechtsunsicherheit zu akzeptieren. Eine Orientierung für die angemessene Dauer bieten die fünf Jahre, auf die das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft längstens bestellt werden darf. Das ist nicht die Analogie, die oben für § 87 Abs. 3 AktG abgelehnt wurde, sondern die Berücksichtigung einer Usance, die sich in der Praxis auch für Geschäftsführerverträge herausgebildet hat. Eine weitere Begrenzung erfährt der Verfrühungsschaden durch die Schadensmin- 7.218 derungspflicht des § 254 BGB. Der Geschäftsführer ist gehalten, anderweitigen zumutbaren Erwerb zu suchen (vgl. § 615 BGB). Bei der Zumutbarkeit sind seine Interessen gegen die der Gläubiger abzuwägen. Die sorgfaltswidrige Herbeiführung der Insolvenz soll den Verfrühungsschaden nach Ansicht des BAG3 hingegen nicht mindern dürfen. Das scheitere am Schutzbereich des § 43 Abs. 1 GmbHG, der den Schutz des Gesellschaftsvermögens bezwecke, nicht aber die Gesellschaft vor den Folgen einer insolvenzbedingten Kündigung mit weiterlaufenden Vergütungsansprüchen ohne Gegenleistung bewahren soll. Der daran geübten Kritik4 ist insoweit zu folgen, als die Minderung nicht am Schutzzweck der Norm scheitert. Sie scheitert aber am Schadensbegriff des § 249 BGB, der einen Gesamtvermögensvergleich verlangt. Die Belastung der GmbH mit nutzlosen Vergütungsansprü1 2 3 4

Dazu Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 353. Vgl. BGH v. 13.8.2009 – IX ZR 159/06, ZIP 2009, 1966. BAG v. 16.5.2007 – 8 AZR 772/06, ZIP 2007, 1829. Caspers in Münchener Kommentar zur InsO, § 113 InsO Rz. 85; Linck in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 113 InsO Rz. 30.

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7.219

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

chen ist nur eine von vielen Positionen des Insolvenzverursachungsschadens. Eine isolierte Minderung nur des Verfrühungsschadens kommt nicht in Betracht. d) Insolvenzanfechtung aa) Angemessene Bezüge 7.219 Für die Insolvenzanfechtung ist zu unterscheiden zwischen angemessenen Geschäftsführerbezügen einerseits und überhöhten Geschäftsführerbezügen andererseits. Angemessene Bezüge unterliegen keiner Anfechtung – zur Ausnahme sogleich –, solange sie wie geschuldet gezahlt werden (kongruente Deckung), falls zeitlich der bargeschäftliche Zusammenhang gewahrt wird, den der BGH bei 30 Tagen ansetzt1. Erfüllungssurrogate bedeuten hingegen eine inkongruente Deckung, die gemäß § 131 Abs. 1 InsO ohne weitere Voraussetzungen anfechtbar ist, wenn sie im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag vorgenommen wurde. Erfolgte sie im zweiten und dritten Monat vor dem Antrag, muss zusätzlich entweder die objektive Zahlungsunfähigkeit vorgelegen haben oder bekannt gewesen sein, dass die Insolvenzgläubiger benachteiligt werden. Diese Kenntnis wird zulasten des Geschäftsführers vermutet (§§ 131 Abs. 2, 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Ebenso hat die inkongruente Deckung Indizwirkung für eine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung2. 7.220 Wurde der bargeschäftliche Zusammenhang bei kongruenter Deckung nicht gewahrt, richtet sich die Anfechtung nach § 130 Abs. 1 InsO, wobei zulasten des Geschäftsführers die Vermutung eingreift, dass er eine objektiv bestehende Zahlungsunfähigkeit kannte (§ 130 Abs. 2 InsO). Bei Geschäftsführern, die zugleich Gesellschafter sind, kommt hinzu, dass über den bargeschäftlichen Zeitraum hinaus offen gebliebene Vergütungsansprüche wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen i.S. von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO entsprechen3, dessen Befriedigung innerhalb des letzten Jahres vor dem Insolvenzantrag eine Anfechtung ohne weitere Voraussetzungen begründet. 7.221 Die Anfechtung selbst kongruenter Deckungen wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung hat der BGH mit einem Urteil aus 20124 in den Fokus verwalterlicher Begehrlichkeit gerückt. Dort hat er Zahlungen auf eine Direktversicherung, die noch zu Zeiten nur drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) erbracht wurden, für gläubigerbenachteiligend gehalten. Die Tätigkeit des Geschäftsführers sei kein adäquater Gegenwert für die Gläubiger, weil sich die wirtschaftlichen Verhältnisse immer weiter verschlechtert hätten und deshalb ein Insolvenzantrag die einzige im Gläubigerinteresse richtige Entscheidung gewesen wäre, nicht aber die unveränderte Fortsetzung der Tätigkeit. Dem ist zwar zuzustimmen; denn die drohende Zahlungsunfähigkeit bedeutet, dass die Zahlungsunfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich eintritt5. Der Geschäftsführer 1 BGH v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, ZIP 2014, 1491; a.A. BAG v. 6.10.2011 – 6 AZR 262/10, ZIP 2011, 2366: bei insolvenzgeschützten Arbeitsvergütungen drei Monate. 2 Ganter/Weinland in Karsten Schmidt, § 133 InsO Rz. 39 f. 3 BAG v. 27.3.2014 – 6 AZR 204/12, GmbHR 2014, 645. 4 BGH v. 12.1.2012 – IX ZR 95/11, GmbHR 2012, 340. 5 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 18 InsO Rz. 21.

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Entgeltzahlungen an den Geschäftsführer

7.222

darf dann nicht tatenlos die weitere Verschlechterung der Verhältnisse hinnehmen und sich selbst „bedienen“, bis er gezwungen ist, wegen der schließlich eingetretenen Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen. Die „Stellschraube“ ist jedoch das Kriterium „tatenlos“. In der Regel wird sich der Geschäftsführer dahingehend einlassen, dass er Gegenmaßnahmen ergriffen und damit im Interesse und gerade nicht zum Nachteil der Gläubiger gehandelt habe. Die Gefahr besteht für ihn darin, dass bei einer Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, für den eine billigende Inkaufnahme der nachteiligen Auswirkung genügt1, vermutet wird2. Diese Vermutung muss der Geschäftsführer widerlegen, indem er konkret vorträgt, warum er eine Besserung der Verhältnisse erwarten durfte. Ob das schon die Anforderungen des „Sanierungsprivilegs“ erfüllen muss, für das der BGH nicht nur eine gewisse Erfolgschance, sondern auch Ansätze der Verwirklichung des Sanierungskonzepts fordert3, ist für die laufende Geschäftsführervergütung noch nicht entschieden worden. Bei der im Rahmen von § 133 InsO stets erforderlichen Gesamtwürdigung4 wird man jedenfalls nach Ressortaufteilung unter den Geschäftsführern differenzieren müssen. Beim erfolgreichen Vertriebsgeschäftsführer wird eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht schwerer zu vermuten sein als bei dem für das Finanzwesen zuständigen Geschäftsführer. Der eine wie der andere sollte jedoch dafür Sorge tragen, dass in der Gesellschaft die Sanierungsbemühungen ab dem ersten Anzeichen einer insolvenzrelevanten Krise dokumentiert werden. Sonst laufen sie Gefahr, dass sich die Bemühungen im Nachhinein, wenn der Misserfolg durch die Insolvenzeröffnung feststeht, abgetan werden als bloße Hoffnung, die die Vermutungswirkung der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht entkräftet. Nach dem RegE zur Reform des Anfechtungsrechts5 wird bei kongruenten Deckungen ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nur noch vermutet, wenn schon Zahlungsfälligkeit eingetreten ist (§ 133 Abs. 3 Satz 1 InsO RegE). Allerdings hat das auf Zahlungen an Insider keine Auswirkung, weil die Anfechtungserleichterung gegenüber nahestehenden Personen beibehalten wird (§ 133 Abs. 4 InsO RegE). bb) Unangemessene Bezüge Anders stellen sich die anfechtungsrechtlichen Verhältnisse bei einer unange- 7.222 messen hohen Vergütung dar. Hier ist zu unterscheiden zwischen einer von vornherein bestehenden und einer erst im Laufe der Zeit durch die Entwicklung der Gesellschaft eintretenden Unangemessenheit. Ist die Vergütung von vornherein unangemessen, wird eine Anfechtung wegen unmittelbar nachteiliger Rechtsgeschäfte gemäß § 132 InsO kaum relevant werden, weil davon nur die Vertragsabschlüsse in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag erfasst werden. Bedeutender ist die Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung gemäß § 133 Abs. 2 InsO; denn bei einem Vertragsabschluss innerhalb der letzten 1 Ganter/Weinland in Karsten Schmidt, § 133 InsO Rz. 33. 2 BGH v. 10.1.2013 – IX ZR 13/12, ZIP 2013, 174 Rz. 14. 3 BGH v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137; BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232. 4 BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rz. 21; BGH v. 13.8.2009 – IX ZR 159/06, ZIP 2009, 1966 Rz. 8. 5 ZIP 2015, Beilage zu Heft 40.

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7.223

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

zwei Jahre ist es Sache des Geschäftsführers darzulegen, dass ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz fehlte, wenn eine Gläubigerbenachteiligung wegen des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung objektiv gegeben ist. Voraussetzung ist allerdings, dass er bei Vertragsunterzeichnung bereits im Amt1 oder mit mehr als 25 % an der Gesellschaft beteiligt war (§ 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Schließlich ist auch die Anfechtung wegen unentgeltlicher Leistung gemäß § 134 InsO einschlägig. Erfasst werden hiervon die letzten vier Jahre vor dem Antrag. 7.223 Hat sich die Unangemessenheit erst später entwickelt, bildet der bestehende Anstellungsvertrag weiterhin die Rechtsgrundlage, so dass eine Anfechtung in Bezug auf die Erfüllung der Vergütungsansprüche oder in Bezug auf die Unterlassung einer Anpassung denkbar ist, nicht aber wegen des Vertragsabschlusses. Da die Dienste des Geschäftsführers keine die überhöhte Vergütung ausgleichende Gegenleistung sind, gelten die obigen Erläuterungen zur Anfechtung gemäß § 133 InsO bei drohender Zahlungsunfähigkeit entsprechend. Ungeklärt ist, wie sich die nach h.M. bestehende Verpflichtung jedenfalls eines Gesellschafter-Geschäftsführers, einer Anpassung der Vergütung zuzustimmen (Rz. 7.214), auf die anfechtungsrechtliche Behandlung auswirkt2. Die Anpassung tritt nicht automatisch ein, sondern bedarf erst eines Anpassungsverlangens, an dem es in der Praxis regelmäßig fehlt. Gleichwohl kann schon die Unterlassung eines solchen Verlangens anfechtbar sein. Voraussetzung ist aber, dass der Gesellschafterversammlung als dem dazu berufenen Organ die Gläubigerbenachteiligung bewusst war3. 7.224 Die Gläubigerbenachteiligung ist objektiv zu bestimmen4. Das beinhaltet einen erheblichen Bewertungsspielraum sowohl für die anfänglich als auch für die nachträglich überhöhte Vergütung. Anfechtungsrechtlich relevant ist eine Überhöhung nur dann, wenn wegen des kritischen Spitzenbetrages das Bewertungsermessen auf null reduziert ist5. Das gilt umso mehr, wenn die Anfechtung neben der objektiven Gläubigerbenachteiligung auch noch subjektiv deren Kenntnis zur Voraussetzung hat. Im Nachhinein wird der Geschäftsführer andere Gesellschaften ähnlicher Größe als Vergleich zur Rechtfertigung und zudem anführen, dass die Krise zeitliche, fachliche und nervliche Anforderungen stellt, die sogar eine Erhöhung und keine Reduzierung der Vergütung gerechtfertigt hätten. 7.225 Sollte eine Anfechtung berechtigt sein, unterliegt ihr nur der überhöhte Teil der Rückgewähr, nicht aber sämtliche Bezüge; denn Anfechtungsgegenstand ist nicht der Vertragsabschluss oder die jeweilige Zahlung. Die Anfechtung selbst richtet sich gegen die Vermögensverschiebung, bei der zwischen einem benachteiligenden und einem nicht benachteiligenden Teil differenziert werden kann6. 2. Insolvenzsicherung der laufenden Geschäftsführerbezüge 7.226 Einen Anspruch auf Insolvenzgeld haben nur Arbeitnehmer im sozialversicherungsrechtlichen Sinn (§ 165 Abs. 1 SGB III). Geschäftsführer sind keine Arbeit1 2 3 4

Zum Zeitpunkt des Näheverhältnisses: Ganter in Karsten Schmidt, § 138 InsO Rz. 19. Abwägend: Thole/Schmidberger, BB 2014, 3,4 ff. BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 31/12, ZIP 2014, 275 = GmbHR 2014, 320. Kayers in Münchener Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 76; Ganter/Weinland in Karsten Schmidt, § 142 InsO Rz. 44. 5 Thole/Schmidberger, BB 2014, 3, 6 zur Vergütungsanpassung. 6 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 129 InsO Rz. 6, 42.

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Entgeltzahlungen an den Geschäftsführer

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nehmer i.S. des KSchG (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG) oder des ArbGG (§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG). Das präjudiziert jedoch nicht die Unanwendbarkeit sämtlicher arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften. Darüber ist eigenständig nach ihrem jeweiligen Zweck zu entscheiden1. Der EuGH nennt als Abstimmungskriterium im materiellen Arbeitsrecht die Weisungsgebundenheit und die jederzeitige Abberufungsmöglichkeit eines Geschäftsführers2. § 7 Abs. 1 SGB IV definiert die „Beschäftigung“ als „nicht selbständige Arbeit“. Anhaltspunkte „sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers“. Da § 165 Abs. 2 SGB III hinsichtlich des Umfangs der Insolvenzsicherung auf § 7 SGB IV Bezug nimmt, können die dort genannten Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung zugleich als Abgrenzungskriterium für den sozialversicherungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff herangezogen werden3, wobei die in Abs. 1 genannte Weisungsgebundenheit nicht formal, sondern faktisch verstanden werden muss; denn weisungsgebunden ist jeder Geschäftsführer, soweit die Gesellschafterversammlung von der ihr durch § 45 Abs. 1 GmbHG eingeräumten Allzuständigkeit Gebrauch macht. Das allein macht ihn aber noch nicht zum Arbeitnehmer. Ein Fremdgeschäftsführer ist sozialversicherungsrechtlich Arbeitnehmer, falls 7.227 nicht ausnahmsweise Umstände vorliegen, die es erlauben, ihn wie einen Mehrheitsgesellschafter zu behandeln4. Eine Ausnahme liegt vor, wenn die Gesellschafter ihn in ständiger Übung bevollmächtigen oder von ihren Rechten keinen Gebrauch machen. Das kommt meist nur bei nahestehenden Personen vor, oder wenn der Geschäftsführer eine Option auf Übernahme der Geschäftsanteile hat. Ein anderes Beispiel ist die mezzanine Finanzierung durch den Fremdgeschäftsführer mit weitreichenden Zustimmungsbefugnissen. Für den Gesellschafter-Geschäftsführer ist das vorrangige Abgrenzungskriterium 7.228 eine Beteiligung von mehr oder weniger bzw. gleich 50 % an Kapital und (!) Stimmrechten. Als „Faustregel“ ist der mit mehr als 50 % beteiligte Gesellschafter selbständig5, der mit bis zu 50 % beteiligte hingegen abhängig tätig. In beiden Alternativen kommen – wie beim Fremdgeschäftsführer – Feinkorrekturen aufgrund besonderer Umstände in Betracht, die in der Praxis vor allem für den Minderheitsgesellschafter relevant werden, wenn er beispielsweise rechtlich Weisungen über eine Sperrminorität verhindern kann6 oder Beschlüsse seiner Zustimmung bedürfen7. Anders als bei der Versorgungssicherung durch das BetrAVG (Rz. 7.236 ff.) werden bei der Insolvenzgeldsicherung die Anteile mehrerer Geschäftsführer nicht zusammengerechnet, so dass drei paritätisch beteiligte Ge1 Ein Beispiel ist die gesetzliche Kündigungsfrist des Geschäftsführer-Anstellungsvertrages, bei der zwischen einem gesellschaftsrechtlich beherrschenden und einem nicht beherrschenden Geschäftsführer differenziert wird (Rz. 7.212). 2 EuGH v. 11.11.2010 – Rs. C-232/09, ZIP 2010, 2414, 2415 f. 3 Im materiellen Arbeitsrecht sind Beschäftigten- und Arbeitnehmerbegriff hingegen nicht identisch, Rolfs in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 15. Aufl. 2015, § 7 SGB IV Rz. 2. 4 BSG v.6.3.2003 – B 11 AL 25/02 R, GmbHR 2004, 494. 5 BSG v. 4.6.2009 – B 12 KR 3/08, NJW 2010, 1836; BSG v. 25.1.2006 – B 12 KR 30/04 R, GmbHR 2006, 645; BSG v. 14.12.1999 – B 2 U 48/98, GmbHR 2000, 618 f. 6 BSG v. 25.1.2006 – B 12 KR 30/04 R, GmbHR 2006, 645. 7 BSG v. 9.2.1995 – 7 RAr 76/94, juris.

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7.229

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

schäftsführer als Arbeitnehmer behandelt werden, obwohl sie wirtschaftlich gleichgerichtete Interessen verfolgen und jeweils zwei Geschäftsführer die Mehrheit haben1. Es können aber nicht nur rechtliche Besonderheiten, sondern auch faktische Besonderheiten sein, die den Geschäftsführer einem beherrschenden Gesellschafter gleichstellen, so bei einer familiären2 oder sonstigen Abhängigkeit – z.B. überlegenes Wissen oder Geschäftskontakte3 – die dazu führt, dass die Gesellschafter ihre Rechte nicht gegen den Willen des Geschäftsführers ausüben. Ist ein Geschäftsführer sozialrechtlich als Unternehmer anzusehen, ändert sich dieser Status wie bei einem Einzelunternehmer nicht dadurch, dass nach einem Insolvenzantrag Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, die ihn in seiner Handlungsfreiheit beschränken. 7.229 Die für den Einzug der Sozialversicherungsbeiträge zuständige Stelle hat von Amts wegen einen Antrag an die Deutsche Rentenversicherung Bund auf Feststellung der Beschäftigungsart des Geschäftsführers zu richten („Statusverfahren“). Deren bestandskräftige Entscheidung ist für alle Beteiligten verbindlich (§ 7a SGB IV). Wurde der Geschäftsführer bis zur Insolvenz nicht als sozialversicherungspflichtig behandelt, darf er sich trotzdem nachträglich auf seine Sozialversicherungspflicht und damit seinen Insolvenzgeldanspruch berufen4, wenn keine bestandskräftige Entscheidung der Deutsche Rentenversicherung Bund entgegensteht. Er läuft dann aber bei vorsätzlicher Nichtabführung der auf ihn entfallenden Arbeitnehmeranteile Gefahr, persönlich zu haften (§ 266a StGB, § 823 Abs. 2 BGB). 7.230 Ist der Geschäftsführer nach den obigen Maßstäben sozialversicherungsrechtlich als Arbeitnehmer anzusehen, steht ihm der Anspruch auf Insolvenzgeld im selben Umfang wie den anderen Arbeitnehmern der GmbH zu. Das gilt auch, wenn die Gesellschaft den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO) im Ausland hat und deshalb dort ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, der Geschäftsführer aber im Inland tätig ist (§ 165 Abs. 1 a.E. SGB III). Möglich ist das allerdings nur, wenn es mehrere Geschäftsführer gibt, weil anderenfalls der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nicht im Ausland liegen kann. Insolvenzgeldfähig sind sämtliche Ansprüche aus dem Dienstverhältnis, soweit sie auf die letzten drei Monate vor dem Insolvenzereignis entfallen. Das Insolvenzereignis ist die Entscheidung über den Insolvenzantrag (Eröffnung bzw. Zurückweisung) oder die Einstellung der Betriebstätigkeit ohne Insolvenzantrag (§ 165 Abs. 1 SGB III). Das Insolvenzgeld wird in Höhe des Netto-Arbeitsentgelts gezahlt, allerdings begrenzt auf die Beitragsbemessungsgrundlage für die Rentenversicherung, (§§ 167, 341 Abs. 4 SGB III). Da die Vergütung eines Geschäftsführers i.d.R. darüber liegt, muss die Gesellschaft die Differenz bei Fälligkeit ausgleichen, falls ein Forderungsausfall vermieden werden soll. Eine spätere Nachzahlung außerhalb des bargeschäftlichen Zeitraums (§ 142 InsO) unterliegt der Insolvenzanfechtung (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Die Grenze zieht der BGH5 bei 30 Tagen, wäh1 BSG v. 4.7.2007 – B 11a AL 5/06 R, GmbHR 2007, 1324. 2 BSG v. 14.12.1999 – B 2 U 48/98 R, GmbHR 2000, 618 f. 3 BSG v. 8.8.1990 – 11 RAr 77/89, GmbHR 1991, 461; BSG v. 29.10.1986 – 7 RAr 43/85, GmbHR 1987, 351, 352. 4 BSG v. 11.7.2007 – B 11a AL 5/06 R, GmbHR 2007, 1324. 5 BGH v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, ZIP 2014, 1491.

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Entgeltzahlungen an den Geschäftsführer

7.232

rend das BAG1 bei insolvenzgeldgesicherten Ansprüchen drei Monate genügen lässt. Die Differenzzahlung mindert nicht den Insolvenzgeldanspruch, weil sie entsprechend § 366 Abs. 2 Alt. 2 BGB auf die Gesamtvergütung und nicht nur auf den gesicherten Teil anzurechnen ist2. Vorsorglich sollte die Anrechnung aber genau bestimmt werden. Bei Anordnung der vorläufigen Zustimmungs-Verwaltung muss der Geschäftsführer das Einverständnis des Verwalters einholen, weil er sonst keine Zahlung vornehmen darf. Wird es verweigert, kann er aus wichtigem Grund kündigen, wenn der Fehlbetrag erheblich ist. 3. Betriebliche Altersversorgung der Geschäftsführer a) Versorgungsformen Die Rechtsgrundlage der betrieblichen Altersversorgung ist eine Versorgungs„zu- 7.231 sage“ der GmbH, über deren Erteilung die Gesellschafterversammlung wie über jede Vereinbarung mit einem Geschäftsführer entscheiden muss. Versorgungszusagen, die sich Geschäftsführer untereinander in Vertretung der GmbH geben, sind unwirksam, solange die Gesellschafterversammlung sie nicht genehmigt. Als Teil des bis dahin vollzogenen Anstellungsvertrages bildet sie für die Vergangenheit nur dann einen Rechtsgrund, wenn mindestens ein Mitglied des für den Vertragsabschluss zuständigen Gremiums – in der Regel also ein Gesellschafter – die Zusage kennt und widerspruchslos hinnimmt3. Die Versorgungszusage kann entweder auf eine direkte Leistung der Gesellschaft 7.232 an den Geschäftsführer lauten („unmittelbare Versorgungszusage“ gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG) oder auf Leistung durch Dritte (mittelbare Versorgungszusage), insbesondere durch eine Versicherung (§ 1b Abs. 2 BetrAVG), Pensionskasse oder Pensionsfonds (§ 1b Abs. 3 BetrAVG), denen gegenüber der Versorgungsberechtigte direkte Ansprüche erhält. Dem Pensionsfonds ähnelt das Contractual Trust Arrangement (CTA), bei dem die GmbH Vermögen auf einen Treuhänder überträgt, der daraus Versorgungsansprüche befriedigen soll, die dem Versorgungsberechtigen im Wege eines Vertrages zugunsten Dritter eingeräumt werden4. Gegenüber den vorgenannten Versorgungseinrichtungen ist der Vorteil des CTA, dass die Vermögensgegenstände im Besitz der GmbH bleiben können, bei der sie der Treuhänder im Insolvenzfall wegen der Sicherungsfunktion dieses Konstrukts absondern, wenn nicht gar aussondern kann5. Eine Zwischenstellung nehmen die Rückdeckungsversicherung sowie die Unterstützungskasse ein, die der GmbH später die Erfüllung der unmittelbaren Versorgungszusage ermöglichen sollen. Auch hier wird Vermögen durch Beitragszahlungen „ausgelagert“, der Geschäftsführer kann daraus aber keine eigenen Ansprüche gegen den Versicherer etc. herleiten (vgl. § 1b Abs. 4 BetrAVG)6. Bei der Rückdeckungsversicherung ist er zwar die versicherte Person, Versicherungsnehmerin ist jedoch die 1 2 3 4 5 6

BAG v. 6.10.2011 – 6 AZR 262/10, ZIP 2011, 2366. EuGH v. 4.3.2004 – Rs. C-19/01, ZIP 2004, 867. BGH v. 15.4.2014 – II ZR 44/13, ZIP 2014, 1278 = GmbHR 2014, 817. Zu den Einzelheiten: Ganter, NZI 2013, 769, 772 ff. Zum Streitstand: Ganter, NZI 2013, 769, 772. S. aber BAG jeweils v. 15.2.2011 – 3 AZR 35/09; 3 AZR 45/09; 3 AZR 54/09; 3 AZR 196/09; 3 AZR 248/09; 3 AZR 365/09; 3 AZR 964/08.

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7.233

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

GmbH. Deshalb wird häufig eine Verpfändung oder Abtretung vorgenommen, um den Geschäftsführer abzusichern. 7.233 Soweit das BetrAVG in persönlicher Hinsicht auf einen Geschäftsführer anwendbar ist und ihm einen Insolvenzschutz gewährt (s. Rz. 7.236 ff.), gewährt es einen Schutz nur in dem Umfang, in dem keine Ansprüche gegen Dritte durchsetzbar sind (§ 7 Abs. 4 BetrAVG). Außerdem gibt es unterschiedliche Regelungen zum versicherten Risiko für die einzelnen Versorgungsformen (§§ 1b Abs. 2 bis 5, 7 Abs. 1 und 2 BetrAVG), wobei der Schutzumfang letztlich an dem Grundmodell der unmittelbaren Versorgungszusage orientiert ist. 7.234 Die Motive für die unterschiedlichen Versorgungsformen sind die konfligierenden Punkte Liquidität, Steuerbelastung und Absicherung. So erfordert die unmittelbare Versorgungszusage zunächst keine Liquidität, sondern bringt im Gegenteil eine steuerliche Entlastung, weil dafür eine Rückstellung gebildet werden muss1. Eine Direktversicherung hingegen ist auszahlungswirksam und wird beim Versorgungsberechtigten steuerlich als Vergütung behandelt. Eine Mittelstellung nimmt die Einschaltung einer Unterstützungskasse oder Rückdeckungsversicherung ein, die zwar ebenfalls auszahlungswirksam ist, dafür aber wiederum auch als Kreditsicherungsmittel eingesetzt werden kann. Werden dem Geschäftsführer Sicherungsrechte an den Ansprüchen gegen den mittelbaren Versorgungsträger eingeräumt, kann das wiederum zurückschlagen auf die steuerliche Behandlung. So entspricht bspw. die Abtretung der Ansprüche gegen den Rückdeckungsversicherer einer Direktversicherung, so dass die Beitragszahlungen steuerrechtlich Gehalt darstellen2. b) Insolvenzrechtliche Einordnung der Versorgungsansprüche 7.235 Versorgungsansprüche sind im Verhältnis zur insolventen GmbH „eigentlich“ – zur Unterscheidung zwischen verschiedenen Zeiträumen s. sogleich – Insolvenzforderungen3, weil sie vor Verfahrenseröffnung begründet wurden (§ 38 InsO). Das gilt uneingeschränkt für die Versorgungsansprüche des Geschäftsführers, dessen Anstellungsvertrag vor Verfahrenseröffnung beendet wurde, unabhängig davon, ob der Versorgungsfall bereits eingetreten war (§ 41 InsO bzw. § 191 InsO analog). Der Unterschied zwischen beiden zeigt sich in der weiteren insolvenzrechtlichen Behandlung: Ist der Versorgungsfall bereits eingetreten, wird die Forderung in Höhe des Kapitalwerts als eine unbedingte (§ 45 InsO) behandelt. Darauf ist an die Erben eine Insolvenzquote auch dann auszuschütten, wenn der Versorgungsberechtigte früher als bei der Kapitalisierung angenommen verstirbt. Bei Anwartschaften wird wegen der spezialgesetzlichen Regelung in § 9 Abs. 2 BetrAVG genauso verfahren, wenn die Anwartschaft unverfallbar ist und die Versorgung vom BetrAVG erfasst wird. Wird sie davon nicht erfasst, sieht der BGH4 die Forderung als eine aufschiebend bedingte an, so dass die darauf entfallende Quote zurückzubehalten bzw. zu hinterlegen ist. Tritt der Versorgungsfall nicht ein, gebührt 1 2 3 4

§§ 249 Abs. 1 Satz 1, 266 Abs. 3 B 1 HGB, § 6a EStG. BGH v. 5.7.2012 – VI R 11/11, DB 2012, 2846; vgl. § 3 Nr. 63 EStG. BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 284/03, ZIP 2008, 279. BGH v. 10.7.1997 – IX ZR 161/96, GmbHR 1997, 936; BGH v. 17.4.2005 – IX ZR 138/04, ZIP 2005, 2231.

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Entgeltzahlungen an den Geschäftsführer

7.236

der Betrag den übrigen Gläubigern – ggf. in einer Nachtragsverteilung1. Bei einem im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung fortbestehenden Anstellungsverhältnis durchbricht § 108 InsO diese Eigenschaft als Insolvenzforderung; denn bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise werden die Versorgungsleistungen zeitanteilig erdient, so dass wie bei laufenden Vergütungsansprüchen (Rz. 7.213) zu unterscheiden ist zwischen der Zeit, in der das Anstellungsverhältnis zulasten der Masse fortbesteht, und der Zeit, ab der es zulasten der Masse endet, aber ohne Insolvenz noch weitergelaufen wäre2. Daraus resultiert folgende Dreiteilung: Der auf die Zeit vor Verfahrenseröffnung entfallende Barwert ist eine Insolvenzforderung (§ 108 Abs. 3 InsO), der während der Fortsetzung erdiente Barwert eine Masseschuld (§§ 108 Abs. 1, 113 InsO) und der auf die Zeit nach der Kündigung bis zum vertragsgemäßen Ende entfallende Barwert wiederum eine Insolvenzforderung in Form des Verfrühungsschadens (§ 113 Satz 3 InsO) (Rz. 7.215 ff.). Eine weitere Unterteilung kommt in Betracht, wenn das Verfahren masseunzulänglich ist und die Dienste des Geschäftsführers nicht in Anspruch genommen werden (§ 209 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2, 3 InsO). All das gilt völlig unabhängig von der Frage, ob die Versorgungszusage unverfallbar ist. Die Unverfallbarkeit hat nur Auswirkungen auf das Eingreifen des BetrAVG und auf einen etwaigen Verlust des Versorgungsanspruchs durch Beendigung des Anstellungsverhältnisses oder sonstige Maßnahmen. c) Insolvenzsicherung durch das BetrAVG Die Schutzadressaten des BetrAVG sind gemäß § 1 Abs. 1 BetrAVG Arbeitneh- 7.236 mer, denen nach § 17 Abs. 1 BetrAVG alle Personen gleichgestellt sind, „die nicht Arbeitnehmer sind, wenn ihnen Leistungen … aus Anlass ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen zugesagt werden“. Das bezieht jeden Unternehmensleiter in den Schutz des BetrAVG ein. Andererseits ist die vorrangige Zielsetzung des BetrAVG, vom BGH als „Grundcharakter“ bezeichnet3, die Existenzsicherung der Personen, deren wirtschaftliche Basis die nicht-unternehmerische Tätigkeit ist4. In Analogie zu einem Einzelunternehmer können auch für einen unternehmerisch tätigen Geschäftsführer keine Ansprüche geschützt werden, die bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise – also unter Außerachtlassung der formaljuristischen Selbständigkeit der GmbH – gegen ihn selbst bestehen. Wie bei der Anwendung von arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften (oben Rz. 7.212, 7.226 ff.) kommt es auch hier auf den rechtlichen und tatsächlichen Einfluss des Geschäftsführers an. Dort lautete das zentrale Kriterium die „Weisungsabhängigkeit“, das hier versagt, weil von § 17 BetrAVG beispielsweise auch Vorstandsmitglieder einer AG erfasst werden, die qua lege nicht weisungsabhängig sind (§ 76 Abs. 1 AktG). Stattdessen kommt es auf die „Leitungsmacht“ und den „Kapitaleinsatz“ an5. Die Tätigkeit muss sich als eine für ein fremdes Unternehmen darstellen6. 1 2 3 4 5 6

Zu den Einzelheiten s. Bitter in Münchener Kommentar zur InsO, § 45 InsO Rz. 12 ff. BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 284/03, ZIP 2008, 279. BGH v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, GmbHR 1980, 266. BGH v. 1.2.1999 – II ZR 276/97, ZIP 1999, 547. BGH v. 14.7.1980 – II ZR 224/79, ZIP 1980, 778. BGH v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, GmbHR 1980, 266; BGH v. 28.4.1980 – II ZR 254/78, GmbHR 1980, 162.

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7.237

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

7.237 Zu den durch das BetrAVG nicht geschützten unternehmerähnlichen Personen gehören „in aller Regel geschäftsführende Gesellschafter mit einer nicht unbedeutenden Beteiligung, sofern sie entweder allein oder zusammen mit anderen Geschäftsführern … über die Mehrheit verfügen“1. Danach ist das BetrAVG unanwendbar, wenn die Kapitalbeteiligung 50 % übersteigt. Ist das nicht der Fall, muss festgestellt werden, ob sie „nicht unbedeutend“ ist. Nur dann sind weitere Umstände zu prüfen, die einem Insolvenzschutz entgegenstehen können. Nicht unbedeutend ist eine Beteiligung von 28,11 %2, wohl auch noch eine von 13 %3. Unter 10 % ist sie hingegen unwesentlich4. Die Literatur zieht die Grenze bei diesen 10 %5, was zwar nahezu mit § 39 Abs. 5 InsO im Einklang steht (dort: mehr als 10 %), aber eine so niedrige Schwelle ist, dass dies schwerlich mit § 17 Abs. 1 BetrAVG in Einklang zu bringen ist6. Ist eine Beteiligung der Höhe nach als „unbedeutend“ anzusehen, wird sie nicht durch ein Mehr an Einflussmöglichkeiten kompensiert; denn wer das wirtschaftliche Risiko nicht trägt, kann nicht unternehmerähnlich tätig sein. Das unterscheidet dieses Kriterium von der Arbeitnehmerähnlichkeit. Konsequenterweise kommt es für die Risikobeteiligung nicht nur auf die Quote am Stammkapital der GmbH an, sondern auf den Anteil an der gesamten Risikofinanzierung. Ist die Tätigkeit der GmbH auf die Übernahme der Komplementärfunktion für eine KG beschränkt, nimmt der BGH zutreffend eine konsolidierte Betrachtungsweise der Beteiligungen an GmbH und KG vor7. Genauso dürften mezzanine Finanzierungsformen einzubeziehen sein, unabhängig davon, ob damit ein Einfluss auf die Gesellschaft verbunden ist; denn er spielt erst auf der zweiten Stufe eine Rolle, wenn die erste Schwelle der „nicht unbedeutenden“ Kapitalbeteiligung überschritten ist. 7.238 Ist die wirtschaftliche Beteiligung zwar „nicht unbedeutend“, liegt sie aber auch nicht über 50 %, muss der Geschäftsführer zusätzlich über die Leitungsmacht verfügen, um wie ein Unternehmer behandelt werden zu dürfen8. Das ist der Fall, wenn ihm in ständiger Übung Stimmrechtsvollmachten erteilt werden, so dass er eine „institutionell verfestigte Mehrheitsmacht repräsentiert“9. Ein anderes Beispiel sind zwei hälftig beteiligte Geschäftsführer. Sie sind unternehmerisch tätig, weil sie aufgrund ihrer gleichgerichteten wirtschaftlichen Erfolgsinteressen einem Einigungszwang unterliegen10. Selbst drei Geschäftsführer, von denen jeweils zwei die Stimmmehrheit haben, werden wegen dieses Einigungszwangs, der aus ihrer gleichzeitigen Stellung als Gesellschafter folgt, als Unternehmer an1 BGH v. 14.7.1980 – II ZR 224/79, AG 1981, 45 = ZIP 1980, 778 unter I. 2 BGH v. 14.7.1980 – II ZR 224/79, AG 1981, 45 = ZIP 1980, 778. 3 BGH v. 9.6.1980 – II ZR 180/79, ZIP 1980, 562, während BGH v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, GmbHR 1980, 266 „nur noch“ 23 % als unbedeutend anzusehen scheint. 4 BGH v. 2.4.1990 – II ZR 156/89, WM 1990, 1114; BGH v. 4.5.1981 – II ZR 100/80, ZIP 1981, 894 = GmbHR 1982, 160 hatte noch 12 % für unbedeutend gehalten. 5 Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 6. Aufl. 2015, § 17 BetrAVG Rz. 94; Steinmeyer in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 15. Aufl. 2015, § 17 BetrAVG Rz. 11; Ganter, NZI 2013, 769, 771. 6 Goette, DStR 1997, 1136, 1137. 7 BGH v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, GmbHR 1980, 266. 8 BGH v. 28.4.1980 – II ZR 254/78, GmbHR 1980, 162. 9 BGH v. 14.7.1980 – II ZR 224/79, ZIP 1980, 778. 10 BGH v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, GmbHR 1980, 266; BGH v. 1.2.1999 – II ZR 276/97, ZIP 1999, 398.

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Entgeltzahlungen an den Geschäftsführer

7.240

gesehen1, und zwar auch dann, wenn stets der dritte in der Minderheit bleibt. Das ist bedenklich, weil für den ständig dissentierenden Gesellschafter das Kriterium der Leitungsmacht als eines der beiden für die unternehmerische Beteiligung erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt ist2. Für die Zurechnung der Leitungsmacht nicht erforderlich ist, dass die Geschäftsführer die alleinigen Gesellschafter sind. Sie müssen nur jeder nicht unerheblich beteiligt und mehrheitlich in der Lage sein, die Gesellschafterversammlung zu majorisieren3. Wechselt ein Geschäftsführer aus der nicht unternehmerischen in die unternehmerische Position oder umgekehrt, wird nicht einheitlich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Versorgungszusage abgestellt, sondern pro rata temporis aufgeteilt4. Den Umfang des Insolvenzschutzes definiert § 7 BetrAVG. Zu unterscheiden ist 7.239 zwischen dem schon eingetretenen Versorgungsfall und der Anwartschaft auf einen späteren Beginn der Versorgung. Ist der Versorgungsfall schon eingetreten, übernimmt der Pensionssicherungsverein (PSV) die Verbindlichkeiten der insolventen GmbH (§ 7 Abs. 1 BetrAVG). Besteht erst eine Anwartschaft auf künftige Versorgungsleistungen, ist sie geschützt, wenn sie unverfallbar ist (§ 7 Abs. 2 BetrAVG). Die Unverfallbarkeitsvoraussetzungen sind in § 1b Abs. 1 BetrAVG genannt. Danach muss der Berechtigte im Zeitpunkt des Versicherungsfalls (Insolvenzereignis) das 25. Lebensjahr vollendet und die Versorgungszusage mindestens fünf Jahre bestanden haben. Abweichend davon begründet eine Altersversorgung, die sich der Berechtigte durch Entgeltumwandlung gleichsam selbst erkauft, sofort eine unverfallbare Anwartschaft (§ 1b Abs. 5 BetrAVG). Vertragliche Vereinbarungen über geringere Anforderungen an die Unverfallbarkeit wirken nicht zulasten des PSV. Ist die Anwartschaft unverfallbar, wird die Versorgungshöhe des Anwärters so berechnet, als wäre er mit dem Insolvenzereignis ausgeschieden, unabhängig davon, ob sein Vertrag zulasten der Masse fortbesteht (§ 7 Abs. 2 BetrAVG). Demgegenüber übernimmt der PSV bei einem bereits eingetretenen Versorgungsfall die volle zugesagte Leistung einschließlich einer etwa vereinbarten Dynamisierung5. Die Berechnungsgrundlage ist gedeckelt durch das Dreifache der Bezugsgröße für 7.240 die Rentenversicherung gemäß § 18 SGB IV. Außerdem wird die Versicherungsleistung reduziert, soweit ein Versicherungsmissbrauch vorliegt. Das ist gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG anzunehmen, wenn der überwiegende Zweck die spätere Inanspruchnahme des PSV ist6, insbesondere wenn die Gesellschaft wegen einer erwarteten Insolvenz ihre Zusage nicht hätte einlösen können (§ 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG)7. Diese Voraussetzung muss der Träger der Insolvenzsicherung nachweisen, was angesichts eines Abstandes von mindestens fünf Jahren zwischen Zusage und Beginn der Insolvenzsicherung in der Regel nicht gelingen wird, zumal das BAG eine gewisse Evidenz des drohenden Versicherungsfalls verlangt8. 1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, GmbHR 1980, 266. Goette, DStR 1997, 1135, 1137. BGH v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, GmbHR 1980, 266. BGH v. 16.1.2014 – XII ZB 455/13, NJW-RR 2014, 449; BGH v. 24.9.2013 – II ZR 396/12, ZIP 2014, 191; BGH v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, GmbHR 1980, 266. Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 6. Aufl. 2015, § 7 BetrAVG Rz. 201 ff. BAG v. 24.11. 1998 – 3 AZR 423/97, ZIP 1999, 892. BAG v. 24.11.1998 – 3 AZR 423/97, ZIP 1999, 892. BAG v. 19.2.2002 – 3 AZR 137/91, BB 2002, 223.

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7.241

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

Sie fehlt, wenn Erfolg versprechende Sanierungsmaßnahmen eingeleitet werden1. Unabhängig davon gilt für sämtliche Versorgungszusagen, dass sie dem Drittvergleich standhalten müssen, was gerade bei Gesellschafter-Geschäftsführern Streitpotential birgt. Ist die Versorgungshöhe durch die Gesellschafterstellung maßgeblich bestimmt, ist nur der angemessene Rentenanteil insolvenzgesichert2. Einen Sonderfall regelt § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG: Ein Missbrauch wird unwiderlegbar vermutet, wenn in den letzten zwei Jahren vor dem Insolvenzereignis die Zusage erteilt3 oder verbessert wurde. Das gilt allerdings nicht für planmäßige, bereits früher zugesagte Verbesserungen4 und Zusagen aufgrund einer Entgeltumwandlung. 7.241 Hat die GmbH statt einer unmittelbaren Versorgungszusage eine mittelbare Zusage unter Zwischenschaltung eines Versorgungsträgers (§§ 1 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2, Abs. 2, 1b Abs. 2 bis 4 BetrAVG) erteilt, greift die Insolvenzsicherung gemäß § 7 Abs. 4 BetrAVG nur ein, wenn die Ansprüche des Geschäftsführers gegen den Versorgungsträger nicht bis zum Eintritt des Versicherungsfalls durchgesetzt werden können. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn die GmbH nach Eintritt der Unverfallbarkeit nicht in der Lage ist, Belastungen der zu ihren eigenen Finanzierungszwecken eingesetzten Ansprüche gegen den Versorgungsträger zu beseitigen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG). Eine Beleihung der Direktversicherung ist nicht missbräuchlich, sondern entspricht der gesetzlichen Konzeption5. Selbst die Zustimmung eines unwiderruflich bezugsberechtigten Geschäftsführers zur Beleihung schließt den Schutz durch das BetrAVG nicht automatisch aus6. Bei dem Abschluss einer Versicherung mit widerruflichem Bezugsrecht zugunsten des Geschäftsführers kann die GmbH das Bezugsrecht bis zum Eintritt des Versicherungsfalls widerrufen. Das ist im Verhältnis zum Versicherer wirksam7, da die Unverfallbarkeit das Bezugsrecht im Verhältnis zur Versicherung noch nicht zu einem unwiderruflichen macht8. Der Widerruf führt im Verhältnis zum Geschäftsführer zum Schadensersatz, wenn die Zusage unverfallbar war (§ 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG). Der Schadensersatzanspruch ist ebenfalls insolvenzgesichert9. Anders ist es, wenn der Arbeitgeber die Zahlungen nicht leistet, die zur Herstellung des vereinbarten Versicherungsschutzes erforderlich sind. Dann besteht kein Insolvenzschutz nach dem BetrAVG10. Unterbliebene Zahlungen werden jedoch wie eine rückständige Dienstvergütung behandelt, so dass die Beiträge von der Insolvenzgeldsicherung für die letzten drei Monate erfasst werden (§ 165 Abs. 2 1 Ganter, VersR 2013, 1078. 2 BGH v. 14.7.1980 – II ZR 224/79, ZIP 1980, 778; BGH v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, GmbHR 1980, 266. 3 Da der Insolvenzschutz die Unverfallbarkeit voraussetzt, diese aber erst nach fünf Jahren eintritt, kann mit der Erteilung nur die Ersetzung einer vorher schon bestandenen Zusage gemeint sein, während BAG v. 24.11.1998 – 3 AZR 423/97, ZIP 1999, 892 unter III 1 ohne Erläuterung auch andere Fälle für denkbar hält. 4 Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 6. Aufl. 2015, § 7 BetrAVG Rz. 299. 5 BAG v. 19.1.2010 – 3 AZR 660/09, ZIP 2010, 1663. 6 BAG v. 26.6.1990 – 3 AZR 641/88, ZIP 1991, 49. 7 Vgl. § 13 Abs. 2 ALB. 8 Kayser, ZInsO 2004, 1321, 1323. 9 Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 6. Aufl. 2015, Vorbem. § 7 BetrAVG Rz. 37, § 7 BetrAVG Rz. 64. 10 BAG v. 17.11.1992 – 3 AZR 51/92, ZIP 1993, 696.

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Entgeltzahlungen an den Geschäftsführer

7.243

SGB III). Der persönliche Anwendungsbereich dieser Sicherung richtet sich dann aber nach sozialversicherungsrechtlichen Kriterien. Der Versicherungsfall tritt mit dem Insolvenzereignis ein. Wie beim Insolvenzgeld 7.242 sind das die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, deren Ablehnung mangels Masse oder die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit (§ 7 Abs. 1 BetrAVG). Wegen der Bedeutung der Pensionslasten bei einer Sanierung kommt der außergerichtliche Vergleich hinzu, wenn der PSV zustimmt. Die „Insolvenz in der Insolvenz“ ist hingegen kein Versicherungsfall mit der Folge, dass der Teil der Versorgungsansprüche, der nach Verfahrenseröffnung im Rahmen eines fortgesetzten Geschäftsführervertrages erdient wird, nicht gegen eine Masseunzulänglichkeit geschützt ist. Wird ein Insolvenzplan beschlossen, soll darin gemäß § 7 Abs. 4 Sätze 2 bis 4 BetrAVG vorgesehen werden, dass bei einer nachhaltigen Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse die Leistungen ganz oder teilweise wieder von der GmbH erbracht werden. Damit entfällt künftig der Anspruch gegen den PSV. Kommt es zur Folgeinsolvenz, ist dies ein neuer Versicherungsfall, so dass gemäß § 7 Abs. 1a Satz 3 BetrAVG auch die aufgrund der Planregelung von der GmbH zu erbringenden, aber tatsächlich nicht erbrachten Leistungen wieder abgedeckt sind, sofern der Rückstand nicht älter als zwölf Monate ist. Eine der Wiederauflebensklausel des § 255 InsO entsprechende Vorschrift gibt es im BetrAVG nicht. d) Insolvenzsicherung außerhalb des BetrAVG Geschäftsführer, die nicht unter den Schutz des BetrAVG fallen, erhalten ein Ru- 7.243 hegeld nur, soweit ihnen insolvenzfeste Ansprüche gegen die GmbH erwachsen sind. Eine Möglichkeit ist der Abschluss einer Lebensversicherung mit der GmbH als Versicherungsnehmerin und dem Geschäftsführer als versicherte Person sowie Bezugsberechtigtem (§ 159 VVG). Wurde ihm nur ein widerrufliches Bezugsrecht eingeräumt, ist der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung zum Widerruf berechtigt (§ 80 InsO, § 159 VVG). Dem versorgungsberechtigen Geschäftsführer kann der Anspruch erst mit dem Eintritt des Versicherungsfalls nicht mehr entzogen werden (§ 159 Abs. 2 VVG). Bis dahin fällt er gemäß § 160 Abs. 3 VVG in die Masse, die ihm die Versicherungssumme auch später nicht etwa auskehren muss1. Selbst wenn die Versicherungsbeiträge durch eine Entgeltumwandlung finanziert wurden, ist die Versicherungsnehmerstellung der GmbH keine treuhänderische, zugunsten des Geschäftsführers aussonderungsfähige Rechtsposition2. Der Geschäftsführer kann gemäß § 170 Abs. 1 VVG durch befristete Anzeige beim Versicherer in den Vertrag eintreten, muss dann aber den Rückkaufswert der Masse vergüten, was durchaus sinnvoll sein kann, damit die Abschlusskosten für einen neuen Vertrag entfallen. Erforderlich ist außerdem die Zustimmung des Versicherungsnehmers, nach Verfahrenseröffnung also des Insolvenzverwalters. Er wird sie erteilen müssen, weil dem keine insolvenzspezifischen Belange entgegenstehen. Das kann er auch nicht unterlaufen, indem er die Bezugsberechtigung widerruft3. Die vorgenannten Rechtsfolgen gelten auch 1 BAG v. 17.10.1995 – 3 AZR 622/94, ZIP 1996, 965. 2 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 264/01, ZIP 2002, 1697. Die dem Versorgungsanwärter für diesen Fall durch § 1b Abs. 5 BetrAVG eingeräumten Rechte gelten nur für die unter das BetrAVG fallenden Personen. 3 BGH v. 12.10.2011 – IV ZR 113/10, VersR 2012, 425.

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7.244

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

dann, wenn die Versorgungszusage im Verhältnis zum Geschäftsführer unwiderruflich (geworden) sein sollte; denn zwischen dem Außenverhältnis zum Versicherer und dem Innenverhältnis zum Geschäftsführer ist streng zu unterscheiden1. Maßgebend ist die Widerruflichkeit im Verhältnis zum Versicherer, auch wenn dadurch im Verhältnis zum Geschäftsführer gegen den Anstellungsvertrag verstoßen wird. Das kann bei einem Widerruf nach Verfahrenseröffnung zwar einen Schadensersatzanspruch gegen den Verwalter auslösen2, der analog § 108 Abs. 3 InsO aber auf den Verlust der anteiligen als Masseschuld zu leistenden Barwerterhöhung beschränkt ist. Für die Zeit davor und danach hat der Geschäftsführer keine insolvenzfesten Rechte erworben. 7.244 Bei einem unwiderruflichen Bezugsrecht steht die Versicherungsleistung dem Bezugsberechtigen außerhalb der Insolvenz zu (§ 159 Abs. 3 VVG)3. Allerdings unterliegt der Versicherungsvertrag weiterhin dem Erfüllungswahlrecht des Verwalters gemäß § 103 InsO. Wählt er keine Erfüllung, besteht der Vertrag mit der Schuldnerin zwar unverändert fort, nur dass Beitragspflichten keine Masseschulden sind4. Auch hier greift das Eintrittsrecht des Geschäftsführers gemäß § 170 VVG ein, dem der Verwalter zustimmen muss. Ansonsten wird der Rückkaufswert erst fällig, wenn der Verwalter außer der Erfüllungsverweigerung auch noch die Kündigung des Versicherungsvertrages erklärt5. 7.245 Eine Zwitterstellung nimmt das eingeschränkt widerrufliche Bezugsrecht ein, bei der das Innenverhältnis zum Geschäftsführer gleichsam nach außen getragen wird, indem ein Widerruf nur nach Maßgabe der Versorgungszusage zulässig ist. Erfolgt kein Widerruf bzw. tritt der Versorgungsfall vor einem Widerruf ein, ist der Geschäftsführer voll bezugsberechtigt. Der häufigste Widerrufsgrund ist die Beendigung des Anstellungsverhältnisses. Geringfügig unterschiedliche Auffassungen gibt es über die Bedeutung einer insolvenzbedingten Beendigung. Während der BGH meinte, dass sie nicht zum Widerruf berechtige, was auch im Verhältnis zum Versicherer zu beachten sei6, hielt das BAG den Widerruf für wirksam, weil es allein auf den Versicherungsvertrag ankomme, der zwischen unterschiedlichen Arten der Beendigung nicht differenziere. Deshalb rief es den gemeinsamen Senat an7, der das Verfahren jedoch einstellte, nachdem der BGH erklärt hatte, dass er keine divergierende Ansicht vertrete8. Beide obersten Gerichte betonen seither, dass es sich um eine Auslegungsfrage handele, wobei das BAG weiterhin die Eigenständigkeit des Versicherungsvertrages in den Vordergrund stellt9 und 1 BAG v. 18.9.2012 – 3 AZR 176/10, ZIP 2012, 2269; BAG v. 8.6.1999 – 3 AZR 136/98, ZIP 1999, 1638. 2 BAG v. 18.9.2012 – 3 AZR 176/10, ZIP 2012, 2269. 3 BAG v. 18.9.2012 – 3 AZR 176/10, ZIP 2012, 2269; BAG v. 15.6.2010 – 3 AZR 334/06, ZIP 2010, 1915; zweifelnd: Schäfer in Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung, 2. Aufl. 2014, B 394 f. 4 BGH v. 1.12.2011 – IX ZR 79/11, ZIP 2012, 34. 5 BGH v. 1.12.2011 – IX ZR 79/11, ZIP 2012, 34. 6 BGH v. 6.6.2012 – IV ZA 23/11, NZI 2012, 762; BGH v. 3.5.2006 – IV ZR 134/05, ZIP 2006, 1309; BGH v. 22.9.2005 – IX ZR 85/04, ZIP 2005, 1836. 7 BAG v. 22.5.2007 – 3 AZR 334/06 (A), ZIP 2007, 1869. 8 S. dazu die Folgeentscheidung des BAG v. 15.6.2010 – 3 AZR 334/06, ZIP 2010, 1915. 9 BAG v. 18.9.2012 – 3 AZR 176/10, ZIP 2012, 2269 Rz. 18 ff.

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Entgeltzahlungen an den Geschäftsführer

7.247

der BGH eher die Bedeutung des Innenverhältnisses unterstreicht1. Auswirkungen in der Praxis wird dies kaum noch haben. Diese für Arbeitnehmer entwickelte Rechtsprechung gilt auch für Geschäftsführer2. Statt einer Versicherung mit Bezugsrecht des Geschäftsführers kann die GmbH 7.246 auch eine Rückdeckungsversicherung mit einem ihr zustehenden Bezugsrecht oder eine Vereinbarung mit einer Unterstützungskasse abschließen. Ziel solcher Gestaltungen ist die Eigenvorsorge der GmbH zur Erfüllung künftiger Pensionspflichten. Der Geschäftsführer hat keine Rechte gegen den Versicherer3 oder die Unterstützungskasse (vgl. § 1b Abs. 4 BetrAVG). Nur bei einer Verpfändung der Forderungen gegen den Versicherer zugunsten des Geschäftsführers kann er in der Insolvenz eine abgesonderte Befriedigung gemäß §§ 50 Abs. 1, 51 Nr. 1 InsO verlangen4. Voraussetzung ist allerdings der Zugang der nach § 1280 BGB erforderlichen und von der GmbH als Versicherungsnehmerin stammenden Verpfändungsanzeige beim Drittschuldner im anfechtungsfreien Zeitraum. Ist der Versorgungsfall eingetreten, ist der Geschäftsführer zum Einzug der Versicherungsleistung berechtigt5. Ist der Versorgungsfall noch nicht eingetreten, muss der Verwalter den Versicherungsvertrag zwar nicht fortsetzen, er kann wegen § 1276 Abs. 1 BGB aber auch nicht die zur Realisierung des Rückkaufswerts erforderliche6 Kündigung eigenmächtig erklären7. Zweckmäßig ist deshalb eine Übertragung auf den Geschäftsführer oder eine einvernehmliche Realisierung des Rückkaufswerts. Zweifel an der Insolvenzfestigkeit des Pfandrechts, das einem Versorgungsberech- 7.247 tigten eingeräumt wurde, weckten in jüngerer Zeit zwei Entscheidungen des BGH, in denen der Anspruch auf die Versicherungssumme als ein künftiger Anspruch bezeichnet wurde8. An künftigen Forderungen können nach Verfahrenseröffnung gemäß § 91 InsO – anders als an aufschiebend bedingt entstandenen Ansprüchen – keine Rechte erworben werden9. Dabei ist jedoch zu differenzieren zwischen dem Rückkaufswert und der Ablaufleistung. Soweit es den bis zur Verfahrenseröffnung durch Beiträge erdienten Rückkaufswert betrifft, hat der Versorgungsberechtigte eine gesicherte Rechtsposition10. Wird der Geschäftsführerver1 BGH v. 22.1.2014 – IV ZR 201/13, ZIP 2014, 384 Rz. 21. 2 BGH v. 24.6.2015 – IV ZR 411/13, ZInsO 2015, 1613; BGH v. 9.10.2014 – IX ZR 41/14, ZIP 2014, 2251. 3 BAG v. 17.1.2012 – 3 AZR 10/10, ZInsO 2012, 1265. 4 A.A. Schäfer in Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung, 2. Aufl. 2014, M 123: bei dem Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme handele es sich um einen künftigen Anspruch, an dem ein Pfandrecht wegen § 91 InsO nach Verfahrenseröffnung nicht entstehen kann. 5 Arg e § 166 Abs. 2 InsO; BGH v. 15.5.2003 – IX ZR 218/02, ZIP 2003, 1256. 6 BGH v. 1.12.2011 – IX ZR 79/11, ZIP 2012, 34. 7 Ganter, VersR 2013, 1078; Schäfer in Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung, 2. Aufl. 2014, B 102. 8 BGH v. 11.11.2010 – VII ZB 87/09, ZIP 2011, 350; BGH v. 23.10.2008 – VII ZB 16/08, NJW-RR 2009, 211. 9 Schäfer in Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung, 2. Aufl. 2014, M 127 f. 10 BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, ZIP 2012, 638; s. aber andererseits BGH v. 29.6.2004 – IX ZR 147/03, ZIP 2004, 1608, der eine von der Kündigung abhängige Auszahlung eines Genossenschaftsanteils als nicht vor Verfahrenseröffnung aufschiebend bedingt entstanden ansah, obwohl auch dieses Guthaben vorher bei wirtschaftlicher Betrachtung erdient wurde. In Höhe des Rückkaufswerts erkennt auch Schäfer in Kummer/ Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung, 2. Aufl. 2014, M 129 das Pfandrecht an.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

trag hingegen fortgesetzt, werden die die spätere Ablaufleistung erhöhenden Beitragszahlungen zwar aus der Masse geschuldet. Die Erstreckung des Pfandrechts auf den Wertzuwachs scheitert jedoch an § 91 InsO, so dass die Verpfändung mit dem Verwalter erneut vereinbart werden muss. Allein die Beitragsverpflichtung als Masseschuld führt nicht zu einer Durchbrechung des § 91 InsO hinsichtlich des dinglichen Rechtserwerbs. Bedeutung hat dies bei einer späteren Masseunzulänglichkeit. 7.248 Tritt die Auszahlungsreife der Lebensversicherung vor dem Versorgungsfall ein, muss der Verwalter die Versicherungsleistung trotz einer Verpfändung analog § 173 Abs. 2 Satz 2 InsO zur Masse ziehen1 und kann dafür die Feststellungsund Verwertungskosten der §§ 170 f. InsO geltend machen2. Der von ihm eingezogene Betrag ist gegen eine etwaige Masseunzulänglichkeit zu sichern3 und bei der Verteilung bis zum Eintritt des Versorgungsfalls gemäß §§ 191 Abs. 1, 198 InsO zu hinterlegen4. Beim Tod vor dem Erreichen der Altersgrenze stehen die Leistungen des Versicherers bzw. der Unterstützungskasse der Masse zu5, weil die gesicherte Forderung entfällt, es sei denn, dass die Vererblichkeit der Versorgungsansprüche vereinbart wurde. Sollten stattdessen die Hinterbliebenen eine eigene Hinterbliebenenversorgung erhalten, ist das ein gesonderter Anspruch gegen die GmbH, für den sie nur dann eine abgesonderte Befriedigung verlangen können, wenn eine Verpfändung auch zu ihren Gunsten erfolgte. Statt einer Verpfändung kommt auch jeweils eine Abtretung in Betracht, bei der das Einzugsrecht dann aber in jedem Fall beim Verwalter liegt (§ 166 Abs. 2 InsO) und sich der auszukehrende Betrag um die Kosten der §§ 170 f. InsO reduziert. Die Abtretung bedarf nach § 13 Abs. 4 der Allgemeinen Bedingungen für die Lebensversicherung aus 2015 (ALB 15) einer Anzeige bei dem Versicherer. Sonst ist sie absolut unwirksam6. 7.249 Bei den Sicherungsvereinbarungen wird in der Praxis regelmäßig übersehen, dass die GmbH gegenüber dem Geschäftsführer durch ihre Gesellschafter vertreten wird. Sie können ihre Entscheidungskompetenz oder deren Vollzug zwar delegieren7. Ohne eine solche Bevollmächtigung sind die Vereinbarungen aber bis zu einer Genehmigung schwebend unwirksam. Dem zuständigen Organ obliegt auch die Entscheidung über die Besicherung des Versorgungsanspruchs8. e) Gläubigerschutz bei Versorgungsleistungen aa) Insolvenzrechtliche Anfechtung 7.250 Ein Risiko für alle Geschäftsführer – auch Nicht-Gesellschafter – resultiert aus der insolvenzrechtlichen Anfechtung, die wegen des Näheverhältnisses zur GmbH (§ 138 Abs. 2 InsO) unter erleichterten Voraussetzungen durchgreift. Maß1 2 3 4 5

BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, ZIP 2005, 909. BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 176/11, ZIP 2013, 987. BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 zum Einzug zedierter Forderungen. BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, ZIP 2005, 909. BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, ZIP 2005, 909; BAG v. 17.1.2012 – 3 AZR 10/10, ZInsO 2012, 1265. 6 BAG v. 17.1.2012 – 3 AZR 10/10, ZInsO 2012, 1265. 7 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 35 GmbHG Rz. 167. 8 OLG Düsseldorf v. 23.4.2009 – 6 U 58/08, ZInsO 2009, 1599.

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Entgeltzahlungen an den Geschäftsführer

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gebend für die anfechtungsrechtliche Beurteilung sind gemäß § 140 Abs. 1 InsO im Grundsatz die Verhältnisse zu dem Zeitpunkt, zu dem die rechtlichen Wirkungen eintreten. Für die Zusage der Versorgung als Anspruchsgrundlage ist das der Eintritt der Unverfallbarkeit im Verhältnis zur Gesellschaft, selbst wenn die Unverfallbarkeit im Verhältnis zum PSV gemäß § 1b BetrAVG erst später eintritt. Allerdings hat der Geschäftsführer schon ab der noch verfallbaren Zusage eine Anwartschaft auf die Unverfallbarkeit, weil sie mit dem Zeitablauf automatisch eintritt. Das könnte nur durch eine Kündigung verhindert werden. Das Unterlassen der Kündigung des gesamten Vertrages ist i.d.R. keine gemäß § 129 Abs. 2 InsO anfechtbare Rechtshandlung, solange sie nur als Nebenwirkung den Eintritt der Unverfallbarkeit hat und nicht gezielt auf eine Gläubigerbenachteiligung gerichtet ist1. Anders liegt es, wenn der Vertrag trotz Vorliegens eines wichtigen Kündigungsgrundes oder in der Krise nur zu Versorgungszwecken aufrechterhalten wird. Außerhalb dieser Sonderfälle ist für die Anfechtung gemäß § 140 Abs. 3 InsO auf die Umstände bei Erteilung der Versorgungszusage abzustellen. Wird die Versorgungszusage während des laufenden Anstellungsverhältnisses innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem Insolvenzantrag erteilt, wird die Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung gemäß § 133 Abs. 2 InsO erleichtert, weil es sich um einen entgeltlichen Vertrag mit einer nahestehenden Person handelt. Entspricht die Versorgungszusage nicht dem Drittvergleich, ist dies zudem unter dem Gesichtspunkt der Anfechtung wegen unentgeltlicher Leistung gemäß § 134 InsO von Bedeutung2. Die Erfüllung der Versorgungszusage ist ein weiterer anfechtungsrelevanter Zeit- 7.251 punkt. Dabei ist zu unterscheiden zwischen den Leistungen der GmbH direkt an den im Ruhestand befindlichen Geschäftsführer, den Leistungen zum Aufbau eines Zahlungsanspruchs gegen Dritte und schließlich der Einräumung eines solchen Anspruchs gegen Dritte zugunsten des Geschäftsführers. Ruhegehaltszahlungen, die die GmbH direkt an damalige Geschäftsführer leistet, sind unter den Voraussetzungen des § 130 InsO anfechtbar. Das Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO kommt nicht zum Zuge, da keine Gegenleistung mehr erbracht wird. Ebenso können auch alle anderen eine Deckungsanfechtung ermöglichenden Tatbestände eingreifen, insbesondere wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung. Zahlungen der GmbH an Versorgungsträger, gegen die der Geschäftsführer unent- 7.252 ziehbar unmittelbare oder mittelbare (z.B. aufgrund einer Verpfändung) Ansprüche erworben hat, haben eine Doppelwirkung: Einerseits erfolgen sie auf der Grundlage des mit dem Versicherer etc. geschlossenen Vertrages, andererseits begünstigen sie den Versorgungsberechtigen, der den dadurch erlangten Vorteil gemäß § 143 Abs. 1 InsO herausgeben muss3. Der Haftungsumfang ist geringer als der von der GmbH geleistete Beitrag, weil darin noch Bearbeitungs- und Gewinnanteile des Versicherers enthalten sind, so dass sich die Erstattungspflicht nur auf die Erhöhung des Rückkaufswertes richtet4. Bei Beitragszahlungen während der 1 2 3 4

BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 31/12, GmbHR 2014, 320 Rz. 13. Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 134 InsO Rz. 35. Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 129 InsO Rz. 52. BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01, ZIP 2003, 2307; unklar hingegen BGH v. 12.1.2012 – IX ZR 95/11, GmbHR 2012, 340, der gemäß Rz. 10 entweder die Wertsteigerung oder die Prämienzahlung für erstattungspflichtig hält.

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7.253

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

laufenden Geschäftsführertätigkeit handelt es sich um Bargeschäfte gemäß § 142 InsO1. Für Arbeitnehmer erstreckt das BAG den bargeschäftlichen Zusammenhang auf drei Monate2, weil ein Vergütungsanspruch für diesen Zeitraum durch Insolvenzgeld gesichert ist. Das wird man auf Geschäftsführer nur übertragen können, soweit auch ihre Ansprüche vom Insolvenzgeld erfasst werden. Ansonsten gelten kürzere Zeiträume von bis zu 30 Tagen3. Ungeachtet dessen ist auch bei Bargeschäften eine Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung möglich; denn die Dienste des Geschäftsführers sind nur dann eine die Gläubigerbenachteiligung ausschließende Gegenleistung, wenn sie für die Gläubiger von Vorteil sind, was schon ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) nicht mehr unterstellt werden kann, wenn kein ernsthafter Sanierungsversuch unternommen wird und sich die wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechtern4. 7.253 Ist eine Versorgungszusage teilweise unentgeltlich, weil sie nicht im angemessenen Verhältnis zu Position und Leistungen des Geschäftsführers steht, können die innerhalb der letzten vier Jahre vor Verfahrenseröffnung geleisteten Beiträge an Versorgungsträger, die den Wert der Versorgungsanwartschaft erhöhen, gemäß § 134 InsO auch dann angefochten werden, wenn die Versorgungszusage älter ist5. Gleiches gilt natürlich auch schon für das Bezugsrecht, wenn es erst innerhalb der letzten vier Jahre unwiderruflich wurde. Voraussetzung für die Unentgeltlichkeit ist jeweils die Überschreitung eines den Beteiligten zuzubilligenden Bewertungsspielraums6. Der Anfechtungsumfang beschränkt sich auf das Übermaß7, vorliegend somit auf die unangemessene Erhöhung des Barwertes der Versorgung. Nur sie hat der Versorgungsberechtigte erlangt, nicht die Beiträge. Der maßgebende Beurteilungszeitpunkt für die erleichterte Anfechtungsvoraussetzung des § 133 Abs. 2 InsO ist ebenfalls die Erfüllungshandlung der GmbH8, wobei es schon an einer objektiven Gläubigerbenachteiligung fehlt, wenn Versorgungsbeiträge und Dienstleistung im bargeschäftlichen Zusammenhang erbracht werden (Rz. 7.220). 7.254 Bei einem Contractual Trust Arrangement (CTA, oben Rz. 7.232) ist die Anfechtung von Vermögensübertragungen der GmbH auf den Treuhänder nicht schon wegen der treuhänderischen Bindung auch zugunsten der GmbH als der späteren Insolvenzschuldnerin ausgeschlossen9; denn zugleich tritt eine Bindung zugunsten des Geschäftsführers als Drittbegünstigtem ein. Unentgeltlich i.S. des § 134 InsO ist die Vermögensübertragung aber nur, soweit auch die Drittbegünstigung unentgeltlich ist. In Betracht kommen ansonsten sämtliche Anfechtungstatbestände der §§ 130 ff. InsO. Zwar ist der Treuhänder nicht Gläubiger i.S. der De1 Schäfer in Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung, 2. Aufl. 2014, B 396. 2 BAG v. 29.1.2014 – 6 AZR 345/12, ZIP 2014, 628 Rz. 4. 3 BGH v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, ZIP 2014, 1491; zum bargeschäftlichen Zusammenhang bei Vergütungen für Dienstleistungen s. Ganter, ZIP 2012, 2037 ff. 4 BGH v. 12.1.2012 – IX ZR 95/11, GmbHR 2012, 340; BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01, ZIP 2003, 2307. 5 Schäfer in Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung, 2. Aufl. 2014, G 108. 6 Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 134 InsO Rz. 40, 41. 7 Kayser in Münchener Kommentar zur InsO, § 134 InsO Rz. 42. 8 § 140 Abs. 1 InsO. 9 So BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 74/11, ZIP 2012, 1038 selbst für die nur einseitig zugunsten des Schuldners bestehende Treuhand.

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Entgeltzahlungen an den Geschäftsführer

7.257

ckungsanfechtung, er ist aber (auch) für die Versorgungsberechtigten als Gläubiger tätig, so dass es sich um eine Zuwendung auch an sie handelt. Deshalb sind in erster Linie die Versorgungsberechtigten die Anfechtungsgegner, die zur Herausgabe des Erlangten – das sind die Werterholungen ihrer Ansprüche gegen den Treuhänder – verpflichtet sind1. Das gilt nicht nur für die Deckungsanfechtung, sondern auch für die Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO. Eine zusätzliche Haftung des Treuhänders greift erst ein, wenn er sich an einer bevorzugten Besicherung des Versorgungsberechtigten in Kenntnis aller Umstände beteiligt2. In der Fallgruppe „Einräumung eines Anspruchs gegen den Versorgungsträger zu- 7.255 gunsten des Geschäftsführers“ ist der Eintritt einer Unwiderruflichkeit des Bezugsrechts der Zeitpunkt, in dem eine Gläubigerbenachteiligung eintritt. Solange die Begünstigung des Geschäftsführers noch widerrufen werden kann, werden die Gläubiger nicht zugunsten des Geschäftsführers benachteiligt. (Anders mag es im Verhältnis zum Versicherer sein.) Ist das hingegen nicht mehr möglich, ist für die Anfechtbarkeit auf die Unwiderruflichkeit des Bezugsrechts abzustellen, auch wenn die Versorgungszusage in unkritischer Zeit erteilt wurde3. Gemäß § 159 Abs. 2 VVG kann die Unwiderruflichkeit sogar erst mit dem Versorgungsfall eintreten4. Der Versicherungsfall ist zwar keine Rechtshandlung, maßgebend ist aber die Unterlassung des bis dahin möglichen Bezugsrechtswiderrufs. Ein anderer Fall ist die Verpfändung einer Rückdeckungsversicherung. Wird sie 7.256 unter der aufschiebenden Bedingung der Insolvenz vorgenommen, ist das wegen der von vornherein in Kauf genommenen Gläubigerbenachteiligung gemäß § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar5, ohne dass bei der späteren Insolvenz auch noch Gläubiger aus der Zeit der Verpfändungsvereinbarung vorhanden sein müssen6. Erfolgte die Verpfändung zunächst unbedingt, erklärt der Geschäftsführer dann aber mit seinem Pfandrecht den Rangrücktritt hinter einen Kreditgeber der Gesellschaft, ist der für die Anwendung der §§ 130 f., 133 InsO relevante Zeitpunkt die Beseitigung der vorrangigen Belastung. Bei dieser Beseitigung kann es sich sowohl um eine kongruente als auch um eine inkongruente Deckung handeln, je nachdem, ob der Geschäftsführer die Beseitigung verlangen konnte. bb) Besonderheiten beim Gesellschafter-Geschäftsführer Unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes kommen zu den Anfechtungs- 7.257 risiken, denen jeder Geschäftsführer ausgesetzt ist, bei Geschäftsführern, die 1 Vgl. BGH v. 3.4.2014 – IX ZR 201/13, ZIP 2014, 1032 Rz. 12 ff.; Ganter, NZI 2013, 769, 774. Da bei dieser Form der Versorgung durch eine Vermögensübertragung regelmäßig mehrere begünstigt werden, müssen sie analog § 432 BGB alle gemeinsam in Anspruch genommen werden, falls der Vermögensgegenstand herausverlangt wird. Von dem einzelnen kann nur Rückgewähr des Anspruchs gegen den Treuhänder begehrt werden, soweit er auf einer anfechtbaren Zuwendung beruht. Das ist nicht identisch mit dem gesamten u.U. in unkritischer Zeit werthaltig gemachten Anspruch. 2 BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 74/11, ZIP 2012, 1038 Rz. 12, 26, 31. 3 BGH v. 27.9.2012 – IX ZR 15/12, ZIP 2012, 2409; BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01, ZIP 2003, 2307. 4 BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01, ZIP 2003, 2307. 5 BGH v. 7.11.2013 – IX ZR 248/12, ZIP 2013, 2368. 6 BGH v. 13.8.2009 – IX ZR 159/06, ZIP 2009, 1966.

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7.258

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

zugleich Gesellschafter sind, besondere Risiken hinzu. So ist für die Deckungsanfechtung von direkten Zahlungen an ehemalige Geschäftsführer, die ihre Gesellschafterstellung mit mehr als 25 % noch beibehalten oder denen ein Familienangehöriger in der Geschäftsführung nachgefolgt ist, ergänzend zu berücksichtigen, dass sie nahestehende Personen gemäß § 138 Abs. 2 InsO bleiben. Die Folge ist, dass zu ihren Lasten die Kenntnis anfechtungsrelevanter Umstände vermutet wird (§§ 130 Abs. 3, 133 Abs. 2 InsO). 7.258 Des Weiteren ist das Gebot der Kapitalerhaltung zu berücksichtigen. Was einem Drittvergleich nicht standhält, darf der Geschäftsführer an Ruhegehalt bei einem Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsgebot gemäß §§ 30 f. GmbHG genauso wenig beanspruchen wie an laufender Vergütung (s. oben Rz. 7.214), wobei es für die Stammkapitaldeckung auf den Zeitpunkt ankommt, in dem die Gesellschaft eine dem Geschäftsführer nicht mehr entziehbare Leistung erbringt. Die Verhältnisse im Zeitpunkt der Versorgungszusage sind nicht maßgebend1. 7.259 Ein anderes Risiko resultiert aus dem Eigenkapitalersatzrecht neuer Fassung, das auf Gesellschafter-Geschäftsführer unabhängig von ihrer Beteiligungshöhe (§ 39 Abs. 5 InsO) anwendbar ist. Erklärt der Geschäftsführer für sein Pfandrecht an Ansprüchen gegen eine Rückdeckungsversicherung den Rangrücktritt, um damit die Besicherung eines Kreditgebers der Gesellschaft zu ermöglichen, entspricht dieser Einsatz der Vermögensposition „Pfandrecht“ einer Sicherheitengewährung aus dem Gesellschaftervermögen i.S. des § 135 Abs. 2 InsO. Wird innerhalb des letzten Jahres vor dem Insolvenzantrag diese vorrangige Belastung zugunsten des Gesellschaftsgläubigers aus Mitteln der Masse wieder beseitigt, ist das ohne weitere Voraussetzungen gemäß § 135 Abs. 2 InsO anfechtbar. Der Geschäftsführer muss gemäß § 143 Abs. 3 InsO den Wert der erloschenen Belastung erstatten. Vermieden werden kann das nur, indem das Pfandrecht zugunsten des Kreditgebers vor der Verpfändung an den Geschäftsführer bestellt wird, weil es dann an einer sicherheitsgewährenden Rechtshandlung seinerseits fehlt. 7.260 Die Bedeutung des Eigenkapitalersatzrechts könnte noch weit darüber hinausgehen. Sogar die gesamte Altersversorgung könnte betroffen sein; denn bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise handelt es sich um stehengelassene Vergütungen, die damit zu Darlehen i.S. von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO werden2. Besonders deutlich wird das, wenn der Aufbau der Versorgung durch Gehaltsumwandlungen finanziert wird. Aber auch wenn die Versorgungszusage zusätzlich erteilt wird, muss sie im Laufe der Zeit erdient werden. Allein die hinausgeschobene Fälligkeit hindert es nicht, die in einen Pensionsanspruch umgewandelte Vergütung den Rechtsfolgen einer Gesellschafterfinanzierung zu entziehen. Sogar Vergütungsansprüche von Dienstleistern, die nicht Gesellschafter sind, unterliegen der Anfechtung, wenn außerhalb des bargeschäftlichen Zeitraums nach erbrachter Teilleistung gezahlt wird, obwohl das Gesetz in § 614 BGB eine Fälligkeit erst nach erbrachter Gesamtleistung vorsieht3. Auch der aleatorische Charakter, die „Lotterie auf den Todesfall“, steht dem nicht entgegen, wäre doch sonst auch jede an eine Benchmark geknüpfte Rückzahlung oder die Verrentung eines Gesellschaf1 Fastrich in Baumbach/Hueck, § 30 GmbHG Rz. 22; Verse in Scholz, § 30 GmbHG Rz. 53. 2 BAG v. 27.3.2014 – 6 AZR 204/12, GmbHR 2014, 645. 3 BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, ZIP 2006, 1261.

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Verfahrensrechtliche Stellung der Geschäftsführer

7.282

terdarlehens nicht von § 135 InsO erfasst, was Umgehungen Tür und Tor öffnen würde1. Allerdings scheint der BGH Pensionsansprüche a priori nicht bei § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO angesiedelt zu sehen. In 2013 hatte er über das Absonderungsrecht an einer Grundschuld zu befinden, die die später insolvent gewordene GmbH für ihren ehemaligen Geschäftsführer und alleinigen Gesellschafter zur Absicherung von dessen Rentenansprüchen bestellt hatte2. Als Anfechtungstatbestand wurde nur § 133 InsO erörtert. § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO erwähnten weder der BGH noch die Kommentatoren dieser Entscheidung3. Eine derartige Exklusivität wird man den Pensionsansprüchen nur mit der Begründung beimessen dürfen, dass die stehengelassenen Vergütungsansprüche nach der Verkehrsanschauung eine eigene Kategorie darstellen und sie deshalb trotz der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise einem Gesellschafterdarlehen nicht entsprechen4. 7.261–7.280

vacat

III. Die verfahrensrechtliche Stellung der Geschäftsführer 1. Verfahrenspflichten Nach § 97 InsO sind die Geschäftsführer verpflichtet Auskunft zu geben (Abs. 1, 7.281 Rz. 7.283) und den Insolvenzverwalter zu unterstützen (Abs. 2, Rz. 7.289). Ferner sind sie verpflichtet, alles zu unterlassen, was der Erfüllung der Pflichten entgegenstehen könnte (§ 97 Abs. 3 Satz 2 InsO i.V.m. § 101 Abs. 1 Satz 1 InsO). In Eigenverwaltungsverfahren folgen die Unterstützungs- und Mitwirkungspflichten der Geschäftsführer aus § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO i.V.m. § 97 InsO. Weitere Verfahrenspflichten ergeben sich in der Eigenverwaltung aus §§ 270 Abs. 1, 281 ff. InsO (hierzu im Einzelnen Rz. 9.13 ff.). Der Geschäftsführer muss die sich aus § 97 InsO ergebenden Verfahrenspflichten 7.282 persönlich erfüllen (§ 101 Abs. 1 Satz 1 InsO). Auch wenn mehrere Geschäftsführer vorhanden sind, treffen diese Verfahrenspflichten jeden einzelnen von ihnen unabhängig davon, ob der Gesellschaftsvertrag Gesamtvertretung vorsieht5. Die verfahrensrechtliche Stellung der Geschäftsführer ergibt sich aus ihrer Organstellung und besteht daher auch nach einer Kündigung des Anstellungsvertrags fort. Die Gesellschafter sind hinsichtlich der Erfüllung der sich aus § 97 InsO ergebenden Pflichten gegenüber den Geschäftsführern nicht weisungsbefugt6. Die Verfah1 2 3 4

Die Anfechtung bei Verrentung bejahend: Ganter, VersR 2013, 1078, 1983. BGH v. 7.11.2013 – IX ZR 248/12, ZIP 2013, 2368. U.a. Huber, EWiR 2013, 781; Wazlawik, NZI 2014, 70. Ganz in diesem Sinn lehnt BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, GmbHR 2013, 464 eine Sonderbehandlung von kurzfristigen Überbrückungskrediten ab. Andererseits gesteht BGH v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, ZIP 2014, 1491, den Vergütungsansprüchen eines Gesellschafter-Arbeitnehmers aber das Bargeschäftsprivileg innerhalb von dreißig Tagen zu, weil Vergütungsansprüche einer Kreditgewährung nicht ohne Weiteres entsprechen. 5 Henssler, ZInsO 1999, 121, 125. 6 Noack in Kübler/Prütting, InsO, Sonderband Gesellschaftsrecht, 1999, S. 130 Rz. 304; Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 167; Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 134; Henssler in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, S. 1283, 1304 Rz. 49; Henssler, ZInsO 1999, 121, 126.

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7.283

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

renspflichten sind höchstpersönlich und bleiben von einer Privatinsolvenz des Geschäftsführers unberührt. a) Auskunftspflicht der Geschäftsführer (§ 97 Abs. 1 InsO i.V.m. § 101 Abs. 1 InsO) aa) Auskunftsverpflichtete und -berechtigte 7.283 Die Auskunftspflicht der Geschäftsführer besteht gegenüber dem Insolvenzgericht, dem Verwalter und dem Gläubigerausschuss sowie auf Anordnung des Gerichts auch gegenüber der Gläubigerversammlung. Neben den aktuellen Geschäftsführern trifft diese Pflicht gemäß § 101 Abs. 1 Satz 2 InsO auch solche Altgeschäftsführer, die nicht früher als zwei Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Organstellung verloren haben. Im Fall der Führungslosigkeit (dazu Rz. 5.201 ff.) trifft gemäß § 101 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 InsO auch die Gesellschafter eine Auskunftspflicht. Wem gegenüber der Auskunftsanspruch geltend gemacht wird, hängt von der Effektivität und Praktikabilität ab1. Dies spricht häufig dafür, zuerst die aktuellen Organmitglieder zu befragen. Gesetzlich geboten ist dies aber nicht2. 7.284 Die Pflicht zur Auskunft nach § 97 InsO tritt für die aktuellen Geschäftsführer neben die Auskunftspflicht gegenüber den Gesellschaftern aus § 51a GmbHG, die auch während des Insolvenzverfahrens grundsätzlich weiterbesteht. Inhaltlich ist der Informationsanspruch der Gesellschafter nach Verfahrenseröffnung auf den gesellschaftsinternen Bereich beschränkt3. Für Informationen mit Massebezug ist nach herrschender Meinung dagegen der Insolvenzverwalter den Gesellschaftern zur Auskunft verpflichtet4. bb) Gegenstand und Erfüllung der Auskunftspflicht 7.285 Der Auskunftsverpflichtete gibt auf Verlangen Auskunft über alle rechtlichen und wirtschaftlichen Umstände, die in irgendeiner Weise von Bedeutung für das Insolvenzverfahren sein können. Hierzu gehört auch die Herausgabe von Passwörtern, die der Verwalter z.B. für den Zugriff auf E-Mail-Korrespondenz benötigt. Die begehrte Information muss nicht zwingend einen Massebezug in dem Sinn haben, dass sie sich auf massezugehöriges Vermögen bezieht, insbesondere können auch Informationen über Aussonderungsrechte verlangt werden. Ebenso müssen die Adressaten der Auskunftspflicht Informationen über Ansprüche mitteilen, die nach §§ 92, 93 InsO vom Verwalter geltend gemacht werden können5. Über seine 1 Hossfeld in Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 287. 2 Jungmann in Karsten Schmidt, § 101 InsO Rz. 12; a.A. Schilken in Jaeger, § 101 InsO Rz. 21. 3 Hillmann in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 51a GmbHG Rz. 89. 4 OLG Hamm v. 25.10.2001 – 15 W 118/01, GmbHR 2002, 163 = NZI 2002, 103; OLG Zweibrücken v. 7.9.2006 – 3 W 122/06, ZIP 2006, 2047 = GmbHR 2006, 1272; Lutter/ Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 51a GmbHG Rz. 5. A.A. BayObLG v. 8.4.2005 – 3Z BR 246/04, ZIP 2005, 1087, 1089 = GmbHR 2005, 1360: Der Anspruch aus § 51a GmbHG trete hinter die verfahrensrechtliche Regelung der Auskunftsrechte zurück. 5 Wendler in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 97 InsO Rz. 7; a.A. für Ansprüche, die § 93 InsO unterfallen, Uhlenbruck in FS Gerhard Kreft, 2004, S. 54 ff.

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Verfahrensrechtliche Stellung der Geschäftsführer

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eigenen Vermögensverhältnisse und die Realisierbarkeit etwaiger gegen ihn gerichteter Ansprüche muss der Geschäftsführer allerdings keine Angaben machen1. Der Geschäftsführer informiert den Insolvenzverwalter mündlich oder schrift- 7.286 lich. Auf Verlangen hat er auch Unterlagen und Belege zu ermitteln und herauszugeben2. Aus § 97 Abs. 2 InsO kann sich für die Geschäftsführer schließlich auch eine Pflicht ergeben, den Insolvenzverwalter bei der Suche nach weiteren Unterlagen zu unterstützen. Zwar kann sich der Geschäftsführer bei der Auskunftserteilung z.B. durch einen Rechtsanwalt beraten und vertreten lassen. Auskunftsverpflichtet bleibt aber auch in diesem Fall der Auskunftspflichtige selbst. Etwaige Kosten der Auskunft trägt er selbst. cc) Verwendungsverbot bei strafrechtlich relevanten Sachverhalten Die Adressaten der Auskunftspflicht haben gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. 7.287 § 101 Abs. 1 Satz 1 InsO auch „Tatsachen zu offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen.“3 Flankiert wird diese Regel durch ein strafprozessuales Verwendungsverbot hinsichtlich der erteilten Auskünfte nach § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO4. Das Verwendungsverbot gilt auch in Verfahren nach dem OWiG und umfasst gleichfalls Verfahren gegen Angehörige des Auskunftserteilenden i.S. des § 52 Abs. 1 StPO. Das Verwendungsverbot schließt nicht nur die Verwertung der Aussage selbst aus, sondern gilt auch für solche Beweise, die unter Verwendung der erteilten Informationen erlangt wurden5. Die erteilten Auskünfte dürfen also nicht zur Grundlage gezielter Ermittlungen gemacht werden6. Eine freiwillige Auskunft löst kein Verwendungsverbot aus. Dieses greift nur, wenn es sich um Auskünfte handelt, die in Erfüllung eines auf § 97 Abs. 1 InsO gestützten Auskunftsverlangens gegeben wurden, und erfasst auch dann nicht solche Informationen, die schon zuvor bekannt waren oder zwingend ohnehin bekannt geworden wären7. Informationen, die sich aus dem Insolvenzantrag ergeben, können daher ebenso strafrechtlich verwendet werden wie Unterlagen, die der Auskunftgebende schon vor Verfahrenseröffnung erstellt hatte und die in den Besitz des Verwalters gelangt sind8. Ebenso wenig steht § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO einer strafrechtlichen Auswertung der Geschäftsunterlagen und Handelsbücher entgegen, selbst wenn diese vom Geschäftsführer ausgehändigt wurden. Diese Unterlagen werden nicht in Erfüllung der Auskunftspflicht nach § 97 Abs. 1 InsO herausgegeben, sondern gemäß der allgemeinen Mitwirkungs- und Unterstützungspflicht nach § 97 Abs. 2 InsO. 1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 5.3.2015 – IX ZB 62/14, GmbHR 2015, 536 = ZIP 2015, 791 Rz. 14. BGH v. 19.1.2006 – IX ZB 14/03, ZInsO 2006, 264. Hierzu Uhlenbruck, NZI 2002, 401 ff.; Bader, NZI 2009, 416 ff. Zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit des Verwendungsverbots vor dem Hintergrund des Grundsatzes „nemo tenetur se ipsum accusare“ BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37 = ZIP 1981 361; hierzu Verrel, NStZ 1997, 361. A.A. Bader, NZI 2009, 416, 419. Uhlenbruck, NZI 2002, 401, 403; Kayser in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 97 InsO Rz. 13. LG Stuttgart v. 21.7.2000 – 11 Qs 46/00, NZI 2001, 498; LG Ulm v. 15.1.2007 – 2 Qs 2002/07, NJW 2007, 2056 m. krit. Anm. Schork. BT-Drucks. 12/2443, S. 142; Jungmann in Karsten Schmidt, § 101 InsO Rz. 13; Kayser in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 97 InsO Rz. 16.

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dd) Strafbarkeit einer Falschauskunft 7.288 Durch eine schuldhaft falsche Auskunft oder ein Verschweigen – z.B. über das Vorhandensein von Vermögensgegenständen – kann sich der Geschäftsführer nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar machen. Ferner kommt eine Strafbarkeit nach § 156 StGB in Betracht, wenn das Gericht gemäß § 98 InsO anordnet, dass der Geschäftsführer an Eides statt zu versichern hat, dass die gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen (dazu Rz. 7.293). b) Allgemeine Unterstützungspflicht (§ 97 Abs. 2 InsO i.V.m. § 101 Abs. 1 InsO) 7.289 Nach § 97 Abs. 2 InsO i.V.m. § 101 Abs. 1 InsO sind die Geschäftsführer verpflichtet, den Insolvenzverwalter bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. Diese allgemeine Unterstützungspflicht trifft jeden Geschäftsführer persönlich. Sie ergibt sich aus der Organstellung und nicht aus dem Anstellungsvertrag und besteht daher auch dann, wenn der Anstellungsvertrag gekündigt wurde. Ehemalige Geschäftsführer und Gesellschafter sind nicht erfasst, da § 101 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht auf § 97 Abs. 2 InsO verweist. 7.290 Die allgemeine Unterstützungspflicht betrifft vor allem Handlungen, die sich nicht in einer Information erschöpfen und die aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nur vom Geschäftsführer persönlich vorgenommen werden können. So müssen die Geschäftsführer den Verwalter bei der Inbesitznahme der Masse (§ 148 InsO) beispielsweise dadurch unterstützen, dass sie ihm vorhandene Schlüssel herausgeben; auch die Beratung des Insolvenzverwalters bei der Aufstellung eines Insolvenzplans nach § 218 Abs. 3 InsO fällt unter § 97 Abs. 2 InsO. In Bezug auf Vermögen, das in solchen Rechtsordnungen belegen ist, in denen das Insolvenzverfahren möglicherweise nicht ohne Weiteres anerkannt wird, sind die Geschäftsführer verpflichtet, den Insolvenzverwalter zu bevollmächtigen, so dass er jedenfalls kraft der Vollmacht über das Auslandsvermögen allein verfügen kann1. Ebenso sind die Geschäftsführer verpflichtet, Dritte (Rechtsanwälte, Steuerberater, Finanzbehörden etc.) von Geheimhaltungspflichten zu befreien, wenn der Verwalter von diesen Personen Informationen zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Ein Aufwendungsersatz ist für die Erfüllung der Unterstützungspflicht nicht vorgesehen. c) Insbesondere die Mitwirkung an der Aufstellung des Verzeichnisses der Massegegenstände 7.291 Um die Auskunftserteilung nach § 97 Abs. 1 InsO zu erleichtern, kann der Verwalter die (Alt-) Geschäftsführer bei der Aufstellung des Verzeichnisses der Massegegenstände nach § 151 Abs. 1 Satz 2 InsO „hinzuziehen“, also ihre persönliche Anwesenheit verlangen. Gemäß § 153 Abs. 2 Satz 1 InsO haben die (Alt) Geschäftsführer die Richtigkeit der vom Insolvenzverwalter aufgestellten Vermögensübersicht an Eides statt zu versichern, wenn das Insolvenzgericht dies auf Antrag des Verwalters oder eines Gläubigers anordnet. 1 BGH v. 18.9.2003 – IX ZB 75/03, ZIP 2003, 2124 = NZI 2004, 21.

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Verfahrensrechtliche Stellung der Geschäftsführer

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d) Durchsetzung der Verfahrenspflichten Die Geschäftsführer sind verpflichtet, sich jederzeit auf Verlangen des Insolvenz- 7.292 gerichts zur Erfüllung der Pflichten zur Verfügung stellen (§ 97 Abs. 3 Satz 1 InsO i.V.m. § 101 Abs. 1 Satz 1 InsO). Gerichtliche Anordnungen, sich vor Ort bereitzuhalten, sind nur in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit zulässig1. Solange eine rasche Rückkehr oder eine schriftliche oder fernmündliche Erfüllung der Auskunfts- und Unterstützungspflichten möglich und ausreichend ist, sind solche Anordnungen rechtswidrig2. Das Insolvenzgericht kann nach § 98 Abs. 1 InsO die eidesstattliche Versiche- 7.293 rung der Auskünfte der (Alt-) Geschäftsführer bzw. (bei Führungslosigkeit) der Gesellschafter anordnen, um wahrheitsgemäße Aussagen herbeizuführen. Die Anordnung ist nur zulässig, wenn begründete Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Auskünfte bestehen3. Die vorsätzlich falsche Beeidigung ist nach § 156 StGB strafbar. Schließlich kann das Insolvenzgericht unter den Voraussetzungen des § 98 Abs. 2 7.294 InsO die Geschäftsführer zwangsweise vorführen oder nach Anhörung in Haft nehmen lassen. Diese Zwangsmittel sind nur zur Erfüllung der Pflichten aus § 97 Abs. 1, 2 InsO 7.295 statthaft, außerdem gemäß § 153 Abs. 2 Satz 2 InsO, wenn der Schuldner die eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit des Verzeichnisses der Massegegenstände verweigert. Anordnung der Vorführung und Erlass eines Haftbefehls haben Beugecharakter und können daher nicht als Sanktionen etwa für das Vernichten von Akten angeordnet werden. Die Anordnung von Haft ist beispielsweise verhältnismäßig, wenn der Geschäftsführer Auskünfte verweigert oder sich der Vorführung entzieht4. Für den Erlass eines Haftbefehls und seine Durchsetzung gelten die §§ 802g Abs. 2, 802h, 802j Abs. 1 ZPO entsprechend. Gegen die Anordnung der Haft und gegen die Abweisung eines Antrags auf Aufhebung des Haftbefehls wegen Wegfalls seiner Voraussetzungen ist gemäß § 98 Abs. 3 Satz 3 InsO die sofortige Beschwerde statthaft. Zivilrechtlich kann die nicht ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten zum Scha- 7.296 densersatz nach § 826 BGB verpflichten5. 2. Verfahrensrechte des Geschäftsführers Die Geschäftsführer nehmen als Organe der Schuldnerin die dieser im Insolvenz- 7.297 verfahren zustehenden Verfahrensrechte wahr. Hierzu sind sie kraft ihrer Organstellung verpflichtet. Sie unterstehen dem Weisungsrecht der Gesellschafter. 1 Kayser in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 97 InsO Rz. 33 f. 2 LG Göttingen v. 21.8.2000 – 10 T 105/00, ZIP 2000, 2174, 2175; Jungmann in Karsten Schmidt, § 97 InsO Rz. 25. Gegen Aufenthaltsanordnungen ist allenfalls die Rechtspflegererinnerung nach § 11 Abs. 2 RpflG statthaft, LG Göttingen v. 21.8.2000 – 10 T 105/00, ZIP 2000, 2174, 2175. 3 AG Wetzlar v. 3.11.2008 – 3 IN 101/04, NZI 2009, 324. 4 OLG Celle v. 10.1.2001 – 2 W 1/01, NZI 2000, 594; OLG Naumburg v. 24.8.2000 – 5 W 98/00, NZI 2000, 594. 5 OLG Köln v. 28.11.1997 – 20 U 60/97, ZIP 1998, 113.

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7.298

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

a) Regelinsolvenzverfahren 7.298 Im Regelinsolvenzverfahren kommen der schuldnerischen Gesellschaft die folgenden Anhörungs- und Teilnahmerechte sowie Beschwerderechte zu, die sie durch den oder die Geschäftsführer ausüben kann. 7.299 Die Geschäftsführer können nach § 74 Abs. 1 InsO an Gläubigerversammlungen teilnehmen. Im Berichtstermin haben sie nach § 156 Abs. 2 InsO darüber hinaus das Recht, zum Bericht des Verwalters Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme der Geschäftsführung besitzt erhebliche Bedeutung für die Entscheidung der Gläubigerversammlung, wie das Verfahren fortzuführen ist. Dennoch besteht für die Geschäftsführer jedenfalls nach §§ 74, 176 InsO keine Pflicht zur Teilnahme an Gläubigerversammlungen oder am Prüfungstermin1. Eine solche Pflicht entsteht nur im Falle einer entsprechenden gerichtlichen Anordnung nach § 97 Abs. 3 Satz 1 InsO (hierzu Rz. 7.292). 7.300 Im Prüfungstermin üben die Geschäftsführer für die schuldnerische Gesellschaft das Recht aus, angemeldeten Forderungen gemäß § 178 Abs. 1 Satz 2 InsO zu widersprechen. Klagt der anmeldende Gläubiger gegen die Gesellschaft auf Feststellung der Forderung nach § 184 InsO, führen die Geschäftsführer den Feststellungsstreit als Vertreter der Gesellschaft. 7.301 Informationsrechte und Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen gemäß § 158 Abs. 2 Satz 1 InsO für die schuldnerische Gesellschaft vertreten durch die Geschäftsführer insbesondere, wenn es um die Stilllegung oder die Veräußerung des schuldnerischen Unternehmens vor dem Berichtstermin geht (Rz. 7.96). Vergleichbare Rechte kommen den Geschäftsführern gemäß § 161 InsO zu, wenn der Insolvenzverwalter eine besonders bedeutsame Rechtshandlung i.S. des § 160 InsO ohne Zustimmung des Gläubigerausschusses vornehmen will. Um Betriebsveräußerungen unter Wert zu verhindern, können die Geschäftsführer beim Insolvenzgericht gemäß § 163 InsO beantragen, dass die Betriebsveräußerung nur mit Zustimmung der Gläubigerversammlung zulässig ist. b) Eigenverwaltung und Planverfahren 7.302 In Eigenverwaltungsverfahren verwalten die Geschäftsführer der schuldnerischen Gesellschaft die Masse unter der Aufsicht eines Sachwalters. Ebenso entscheiden die Geschäftsführer nach § 279 InsO über die Ausübung des Wahlrechts nach §§ 103 ff. InsO. Die Insolvenzanfechtung und die Geltendmachung der Haftung nach §§ 92, 93 InsO obliegt allerdings auch in Eigenverwaltungsverfahren nicht den Geschäftsführern des Schuldners, sondern gemäß § 280 InsO dem Sachwalter. Einzelheiten zur Eigenverwaltung in Teil 9. 7.303 Auch im Planverfahren üben die Geschäftsführer für die Gesellschaft die Verfahrensrechte aus: Zu nennen sind hier neben dem Planinitiativrecht (§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO) das Recht zur Beratung des Insolvenzverwalters bei der Planaufstellung (§ 218 Abs. 3 InsO), das Recht zur Stellungnahme zum vom Verwalter vor1 Sinz in Uhlenbruck, § 176 InsO Rz. 17; a.A. für die Teilnahme an Gläubigerversammlungen Uhlenbruck in Uhlenbruck, 13. Aufl., § 74 InsO Rz. 7; Jungmann in Karsten Schmidt, § 74 InsO Rz. 20; Depré in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 176 InsO Rz. 2.

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Gesellschaftsrechtliche Stellung der Geschäftsführer

7.313

gelegten Plan (§ 232 Abs. 1 Nr. 2 InsO) sowie das Recht, die Aussetzung der Verwertung nach § 233 InsO zu beantragen. Ferner sind die Geschäftsführer für die Schuldnerin befugt, am Erörterungs- und Abstimmungstermin (§§ 235 Abs. 3, 241 InsO) teilzunehmen sowie dem Plan nach § 247 InsO zu widersprechen. Gemäß § 253 Abs. 1 InsO können die Geschäftsführer als gesetzliche Vertreter der Gesellschaft Beschwerde gegen den Bestätigungsbeschluss einlegen. vacat

7.304–7.310

IV. Die gesellschaftsrechtliche Stellung der Geschäftsführer 1. Kompetenzen in Bezug auf massefreies Vermögen Ob es im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft insolvenz- 7.311 freies Vermögen geben kann, ist umstritten (Rz. 7.19 ff.). Nimmt man dies an, sind die Geschäftsführer hinsichtlich dieser Vermögensgegenstände verwaltungsund verfügungsbefugt, unabhängig davon, ob der Anstellungsvertrag gekündigt wurde. Gemäß § 85 Abs. 2 InsO kann der Insolvenzverwalter die Aufnahme eines 7.312 Rechtsstreits ablehnen, der zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens anhängig ist und das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen betrifft. Die Ablehnung der Aufnahme bedeutet zugleich eine Freigabe des streitbefangenen Gegenstands1. Verfahrensrechtlich hat die Ablehnung der Aufnahme die Folge, dass die Prozessführungsbefugnis des Verwalters erlischt und wieder der Schuldner prozessführungsbefugt ist. Entsprechend ist er nach § 85 Abs. 2 Satz 2 InsO (ebenso wie der Gegner) befugt, den Rechtsstreit aufnehmen. Für die schuldnerische Gesellschaft üben die Geschäftsführer dieses Recht aus, wobei in Verfahren, die dem Anwaltszwang unterliegen, die Aufnahme als Verfahrenshandlung nur von einem Rechtsanwalt vorgenommen werden kann. 2. Gesellschaftsinterne Kompetenzen der Geschäftsführer Der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Ver- 7.313 mögens der Gesellschaft auf den Insolvenzverwalter lässt die Rechte der Geschäftsführung unberührt, die sich auf den so genannten gesellschaftsinternen Bereich beziehen. Hierzu gehören insbesondere das Binnenrecht der Gesellschaft betreffende Kompetenzen, wie z.B. die Einberufung der Gesellschafterversammlung gemäß § 49 GmbHG (zu dieser Bestimmung vgl. Rz. 1.124). Auch die Anmeldung von eintragungspflichtigen Umständen, die sich nicht auf die Insolvenzmasse beziehen, wie Satzungsänderungen (§ 54 GmbHG) oder die Abberufung und Neubestellung von Geschäftsführern (§ 39 GmbHG), obliegt trotz der Insolvenzeröff1 BGH v. 7.12.2006 – IX ZR 161/04, ZInsO 2007, 94, 96; BGH v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32 = ZIP 2005, 1034; Wittkowksi/Kruth in Nerlich/Römermann, § 85 InsO Rz. 19; Schumacher in Münchener Kommentar zur InsO, § 85 InsO Rz. 23; a.A. Windel in Jaeger, § 85 InsO Rz. 144, der dogmatisch zwischen der Ablehnung der Aufnahme als Verfahrenshandlung und der Freigabe als materiellrechtlichem Rechtsgeschäft unterscheiden will. Selbst nach dieser Ansicht wird aber die Ablehnung der Aufnahme regelmäßig eine Doppelnatur haben, so dass sie zur Freigabe führt, wenn die Ablehnung der Aufnahme dem Schuldner mitgeteilt wird.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

nung gemäß § 78 GmbHG den Geschäftsführern1. Eine Firmenänderung oder die Aufhebung einer Zweigniederlassung ist wegen des Massebezugs vom Insolvenzverwalter zum Handelsregister anzumelden2. Gemäß § 254a Abs. 3 Satz 3 InsO ist der Insolvenzverwalter befugt, solche Anmeldungen zum Handelsregister vorzunehmen, die infolge gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen als Bestandteile eines Insolvenzplans erforderlich sind. 7.314–7.330

vacat

1 LG Köln v. 11.7.2001 – 2 Wx 13/01, NJW-RR 2001, 1417 = ZIP 2001, 1553; Schaub in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 78 GmbHG Rz. 35; Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 78 GmbHG Rz. 17; Haas in Baumbach/Hueck, § 78 GmbHG Rz. 5; a.A. für die Abberufung von Geschäftsführern AG Berlin Charlottenburg v. 3.11.1995 – 97 HRB 49246, ZIP 1996, 683 = GmbHR 1996, 620; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 78 GmbHG Rz. 8. 2 OLG Karlsruhe v. 8.1.1993 – 4 W 28/92, GmbHR 1993, 101 = ZIP 1993, 133; Servatius in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 78 GmbHG Rz. 4; Haas in Baumbach/Hueck, § 78 GmbHG Rz. 5.

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Arbeitsverhältnisse

7.334

C. Arbeitsrecht im eröffneten Insolvenzverfahren I. Arbeitsverhältnisse 1. Fortbestand Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens lässt Bestand und Inhalt des Arbeitsver- 7.331 hältnisses unberührt1. Dies ordnet § 108 Abs. 1 InsO ausdrücklich an. Alle Haupt- und Nebenpflichten im Arbeitsverhältnis gelten unverändert weiter. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt lediglich, dass an die Stelle des Schuldners als Arbeitgeber der Insolvenzverwalter tritt, da die Verfügungs- und Verwaltungsrechte des Schuldners auf den Insolvenzverwalter übergehen (§ 80 Abs. 1 InsO). Der Insolvenzverwalter nimmt sämtliche Arbeitgeberbefugnisse und Arbeitgeberpflichten wahr. Dies gilt beispielsweise für die Pflicht zur Zeugniserteilung für bei Insolvenzeröffnung noch nicht ausgeschiedene Arbeitnehmer2. Die Annahme eines „insolvenzspezifischen“ Freistellungsrechts des Insolvenzverwalters ist richtigerweise abzulehnen3. 2. Vergütungsansprüche Die Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer werden je nach dem Zeitpunkt des 7.332 Erdienens unterschiedlich behandelt4. Entgeltansprüche für die Zeit vor Insolvenzeröffnung begründen Insolvenzforde- 7.333 rungen (§ 38 InsO, § 108 Abs. 3 InsO). Sie sind im Insolvenzverfahren zu verfolgen (§§ 87, 89, 174 ff. InsO)5. Entgeltansprüche für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen Masse- 7.334 forderungen dar (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Entscheidend ist, wann der Anspruchsgrund entsteht. Leistungen für einen Bezugszeitraum werden auf das Datum der Insolvenzeröffnung abgegrenzt6. Urlaub wird immer der Periode der Urlaubnahme zugerechnet und ist daher Masseschuld7. 1 Vgl. BAG v. 15.12.1987 – 3 AZR 420/87, AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG. 2 Vgl. BAG v. 30.1.1991 – 5 AZR 32/90, AP Nr. 18 zu § 630 BGB; BAG v. 23.6.2004 – 10 AZR 495/03, DB 2004, 2428; LAG Köln v. 30.7.2001 – 2 Sa 1459/00, NZA-RR 2002, 181; Stiller, NZA 2005, 330 ff. 3 Dafür: LAG Hamm v. 27.9.2000 – 2 Sa 1178/00, LAGE § 55 InsO Nr. 3; LAG Hamm v. 12.2.2001 – 4 Ta 277/00, NZA-RR 2002, 157; Pirscher, ZInsO 2001, 698 ff. Dagegen: Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 113 InsO Rz. 44; Moll/Langhoff, EWiR 2001, 487; Oberhofer, ZInsO 2002, 21 ff. 4 S. zur Anfechtung von vor Insolvenzeröffnung geleisteten Vergütungszahlungen etwa BAG v. 12.9.2013 – 6 AZR 345/12, DB 2014, 843; BAG v. 12.9.2013 – 6 AZR 980/11, DB 2014, 844; BAG v. 12.9.2013 – 6 AZR 913/11, DB 2014, 845; BAG v. 21.11.2013 – 6 AZR 159/12, DB 2014, 249; BAG v. 3.7.2014 – 6 AZR 953/12; Klinck, DB 2014, 2455 ff. S. zur Anfechtung bei mehrjähriger Freistellung LAG Köln v. 8.1.2014 – 5 Sa 764/13. 5 S. dazu etwa Lakies, NZA 2001, 521, 523, 524; Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2010, § 108 InsO Rz. 16 ff. 6 S. zu Besonderheiten bei Jahressonderleistungen mit „Mischcharakter“ etwa LAG Schleswig-Holstein v. 12.3.2008 – 6 Sa 411/07, ZInsO 2008, 1095. S. zur Einordnung einer „Halteprämie“ mit der entsprechenden jeweiligen Stichtagsklausel BAG v. 12.9.2013 – 6 AZR 980/11; BAG v. 12.9.2013 –6 AZR 981/11, AP Nr. 1 zu § 133 InsO. 7 Vgl. BAG v. 15.6.2004 – 9 AZR 431/03, DB 2004, 2053; BAG v. 15.2.2005 – 9 AZR 78/04, DB 2005, 2197.

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7.335

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

7.335 Besonderheiten gelten insoweit, wie ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt wird (§ 55 Abs. 2 InsO). § 55 Abs. 2 InsO begründet Masseverbindlichkeiten im Hinblick auf die Entgeltansprüche der von dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis beschäftigten Arbeitnehmer. Diese Qualifizierung ändert sich, wenn die Entgeltansprüche nach Stellung des Antrags auf Insolvenzgeld gemäß § 169 SGB III auf die Bundesanstalt für Arbeit übergehen (§ 55 Abs. 3 InsO): Die übergegangenen Entgeltansprüche sind Insolvenzforderungen1. 7.336 Eine Differenzierung der Masseforderungen findet im Falle der Masseunzulänglichkeit statt. Zwei Fälle stellt § 209 Abs. 2 InsO den Neumasseverbindlichkeiten des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO gleich. 7.337 § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO: Der Rang wird – nachdem die Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 208 Abs. 1 InsO) erfolgt ist – von der Entscheidung bestimmt, ob der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis fortführt oder unverzüglich kündigt2. Neumasseverbindlichkeit i.S. von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO i.V.m. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO ist die Arbeitsvergütung für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen kann. Die Entscheidung des Insolvenzverwalters liegt darin, ob er den Arbeitnehmer zwecks Erhaltung oder Verwertung der Masse benötigt. Es kommt nicht darauf an, ob der Insolvenzverwalter die Kündigung für begründet i.S. von § 1 KSchG hält oder eine Kündigungsmöglichkeit nach § 1 KSchG überhaupt besteht3. Die Frage der frühestmöglichen Kündigungsmöglichkeit i.S. des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO richtet sich im Übrigen nach der objektiven Lage zum jeweiligen Zeitpunkt. Die Kündigungsmöglichkeit ist gemäß dem rechtlichen Können zu beurteilen. Der maßgebliche Kündigungstermin bestimmt sich nach Einhaltung aller rechtlicher Verpflichtungen (Bsp.: §§ 111 ff. BetrVG, § 102 BetrVG, § 85 SGV IX)4. Keine Kündigungsmöglichkeit besteht daher beispielsweise, wenn es an einer Behörden- oder einer Betriebsratszustimmung fehlt oder wenn Interessenausgleichsverhandlungen nicht abgeschlossen sind5. Der privilegierte Rang nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO i.V.m. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO gilt unabhängig davon, ob der Insolvenzverwalter die Arbeitskraft des Arbeitnehmers in Anspruch nimmt oder nicht6. 7.338 § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO: Neumasseverbindlichkeiten werden nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO i.V.m. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO insoweit begründet, wie der Insolvenzverwalter im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Gegenleistung für die Insolvenzmasse in Anspruch nimmt. Die Entgeltansprüche freigestellter, nicht tätiger Arbeitnehmer werden demgegenüber nachrangig in § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO als die übrigen Masseverbindlichkeiten erfasst. 7.339 Eine Leistungsklage des Arbeitnehmers auf Entgelt i.S. von § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO („Altmasseverbindlichkeit“) wird mit Anzeige der Masseunzulänglichkeit 1 Vgl. BAG v. 3.4.2001 – 9 AZR 301/00, AP Nr. 68 zu § 256 ZPO 1977 = DB 2001, 2729; Moll/Müller, KTS 2000, 587 ff. 2 Vgl. BAG v. 31.3.2004 – 10 AZR 253/03, DB 2004, 1993. 3 Vgl. BAG v. 23.2.2005 – 10 AZR 602/03, DB 2005, 1339. 4 Vgl. BAG v. 31.3.2004 – 10 AZR 253/03, DB 2004, 1993. 5 Vgl. BAG v. 4.6.2003 – 10 AZR 586/02, NZA 2003, 1087 = EWiR 2004, 243 (Pape). 6 Vgl. BAG v. 23.2.2005 – 10 AZR 602/03 und 603/03, DB 2005, 1339.

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Arbeitsverhältnisse

7.343

(§ 208 Abs. 1 InsO) unzulässig1. Dies ergibt sich aus dem Vollstreckungsverbot des § 210 InsO. Der Leistungsklage fehlt auf Grund des Vollstreckungsverbots des § 210 InsO das Rechtsschutzinteresse. Der Altmassegläubiger kann vom Insolvenzverwalter lediglich Feststellung seiner Forderung verlangen und diese Feststellung im Klagewege verfolgen2. Neumasseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO) können mit der Leistungs- 7.340 klage geltend gemacht werden, bis der Insolvenzverwalter darlegt, dass auch insoweit die Masse zur Befriedigung nicht mehr ausreicht oder erneut die Masseunzulänglichkeit nach § 208 Abs. 1 InsO anzeigt3. Macht der Insolvenzverwalter geltend, die Masse genüge auch nicht zur Befriedigung der Neumasseverbindlichkeiten i.S. von § 209 Abs. 2 InsO, so kann ein derartiger Neumassegläubiger den Insolvenzverwalter ebenfalls nicht mehr auf Leistung/Zahlung verklagen; er ist auf die Feststellungsklage zu verweisen4. Die Zuordnung von Nachteilsausgleichsansprüchen zu § 209 Abs. 1 Nr. 2 oder 7.341 Nr. 3 InsO hängt davon ab, ob der Insolvenzverwalter die Betriebsänderung nach oder vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begonnen hat5. Begründet ein Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch betriebsverfassungswidriges Verhalten Ansprüche auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG, handelt es sich um Neumasseverbindlichkeiten i.S. von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Sie können regelmäßig im Wege der Leistungsklage verfolgt werden. Ein Arbeitgeber beginnt durch die widerrufliche Freistellung der Arbeitnehmer noch nicht mit der Durchführung einer beabsichtigten Betriebsstilllegung. Die Behandlung von Altersteilzeitentgelt in der Freizeitphase hängt davon ab, ob die 7.342 Wert- bzw. Zeitguthaben vor oder nach Insolvenzeröffnung erdient worden sind bzw. vor oder nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit bzw. vor oder nach dem frühestmöglichen Kündigungstermin nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit6. Abfindungsansprüche sind Insolvenzforderungen, wenn die Vereinbarung, auf der 7.343 sie beruhen, zwischen dem Arbeitnehmer und dem Schuldner abgeschlossen worden ist, auch wenn die Ansprüche erst nach Insolvenzeröffnung entstehen7. 1 Vgl. BAG v. 11.12.2001 – 9 AZR 459/00, AP Nr. 1 zu § 209 InsO; BAG v. 4.6.2003 – 10 AZR 586/02, NZA 2003, 1087 = EWiR 2004, 243 (Pape); BAG v. 23.2.2005 – 10 AZR 602/03 und 603/03, DB 2005, 1339; OLG Brandenburg v. 11.12.2002 – 7 U 37/02, NZA-RR 2003, 432; LAG Köln v. 15.10.2003 – 8 Sa 832/03, ZInsO 2004, 405. Anders für die frühere Rechtslage unter Geltung des § 60 KO noch BAG v. 11.12. 2001 – 9 AZR 80/01, DB 2002, 1457. 2 Vgl. BAG v. 15.6.2004 – 9 AZR 431/03, DB 2004, 2053 = EzA § 209 InsO Nr. 3; BAG v. 22.11.2005 – 1 AZR 407/04, AP Nr. 5 zu § 615 BGB Anrechnung = DB 2006, 1907. 3 Vgl. BGH v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, DB 2003, 1731; BAG v. 4.6.2003 – 10 AZR 586/02, NZA 2003, 1087 = EWiR 2004, 243 (Pape). 4 Vgl. BAG v. 15.6.2004 – 9 AZR 431/03, DB 2004, 2053 („weitere Masseunzulänglichkeit“). 5 Vgl. BAG v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, DB 2006, 1851. 6 Vgl. BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 645/03, NZA 2005, 527; BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, DB 2005, 779; BAG v. 23.2.2005 – 10 AZR 600 und 601/03, DB 2005, 1012; BAG v. 23.2.2005 – 10 AZR 602/03, DB 2005, 1339. S. zur Absicherung eines Altersteilzeitguthabens durch Doppeltreuhand etwa BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 47/12, DB 2013, 2395. 7 Vgl. BAG v. 27.9.2007 – 6 AZR 975/06, DB 2008, 764.

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7.344

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

7.344 Die Insolvenzmasse haftet für solche Ansprüche nicht, die der Schuldner nach Freigabe durch den Insolvenzverwalter begründet1.

II. Kündigungen 1. Allgemeines 7.345 Die kündigungsrechtliche Situation unterscheidet sich außerhalb und innerhalb des Insolvenzverfahrens nicht, soweit nicht durch §§ 113, 120 ff. InsO ausdrücklich besondere Regelungen angeordnet werden. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt weder einen außerordentlichen noch einen ordentlichen Kündigungsgrund dar. Die Berechtigung von Kündigungen innerhalb eines Insolvenzverfahrens muss sich an denselben Vorschriften messen lassen, wie sie außerhalb des Insolvenzverfahrens gelten. Ordentliche Kündigungen durch den Insolvenzverwalter müssen daher im betrieblich-gegenständlichen und persönlichen Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nach Maßgabe von § 1 KSchG betriebsbedingt oder personenbedingt oder verhaltensbedingt sozial gerechtfertigt sein. Außerordentliche Kündigungen sind nur unter den Voraussetzungen des § 626 BGB möglich. Der Sonderkündigungsschutz wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ebenfalls nicht berührt (Bsp.: § 15 KSchG, § 103 BetrVG, § 4f Abs. 3 BDSG, § 18 BEEG, § 9 MuSchG, § 2 Abs. 1 ArbPlSchG, § 78 Abs. 1 Nr. 1 ZivildienstG, § 85 SGB IX)2. Der Insolvenzverwalter hat bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 17 ff. KSchG die Anzeigeerfordernisse bei Massenentlassungen einzuhalten3. 7.346 Die Kündigungsbefugnis des Insolvenzverwalters ist arbeitsrechtlich von einer Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung (§§ 157, 158 InsO) unabhängig4. Das Arbeitsgericht hat daher die „unternehmerische“ Entscheidung des Insolvenzverwalters nicht auf eine Rückdeckung durch den Gläubigerausschuss oder die Gläubigerversammlung zu überprüfen. Der Insolvenzverwalter trifft die Entscheidung über die Stilllegung des Betriebs in Ausübung seiner Arbeitgeberfunktionen. 2. § 113 InsO 7.347 § 113 InsO schafft keinen insolvenzspezifischen Kündigungsgrund. Es handelt sich bei § 113 Sätze 1 und 2 InsO um die Festlegung einer Höchstkündigungsfrist und um die Durchbrechung von Kündigungsbeschränkungen, die sich aus befristeten oder „unkündbaren“ Arbeitsverhältnissen ergeben5. Die Vorschrift gilt für Dienstverhältnisse jeder Art. 7.348 § 113 InsO setzt das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus. 1 Vgl. BAG v. 10.4.2008 – 6 AZR 368/07, NZA 2008, 1128. 2 Vgl. Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 113 InsO Rz. 74; Schaub, ZIP 1993, 969, 970. 3 Vgl. BSG v. 5.12.1978 – 7 RAr 32/78, DB 1979, 1283; BAG v. 16.6.2005 – 6 AZR 451/06, AP Nr. 13 zu § 3 ATG; BAG v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/06, AP Nr. 324 zu § 613a BGB. 4 Vgl. LAG Hamm v. 16.1.2002 – 2 Sa 1133/01, ZInsO 2002, 244; LAG Köln v. 5.7.2002 – 4 (6) Sa 161/02, BB 2002, 2675; LAG Niedersachsen v. 15.8.2002 – 6 Sa 432/01, NZA-RR 2003, 243. 5 Vgl. Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 113 InsO Rz. 68 m.w.N.

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Kündigungen

7.353

Dem Insolvenzverwalter steht im Falle eines noch nicht angetretenen Arbeitsver- 7.349 hältnisses nicht etwa das Wahlrecht nach § 103 InsO zu. Er muss das Arbeitsverhältnis unter Beachtung der jeweiligen gesetzlichen und vertraglichen Erfordernisse kündigen1. § 113 InsO ist nicht anzuwenden, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Insol- 7.350 venzverwalter begründet worden ist2. § 113 Sätze 1 und 2 InsO gewähren dem Insolvenzverwalter Erleichterungen in 7.351 drei unterschiedlichen Situationen. Erstens geht es um Arbeitsverhältnisse, die auf unbestimmte Zeit eingegangen 7.352 sind und bei denen eine längere Kündigungsfrist als drei Monate gilt. Diese Kündigungsfrist wird auf höchstens drei Monate zum Monatsende abgekürzt. Die – abzukürzenden – Kündigungsfristen können sich aus Arbeitsverträgen, Kollektivvereinbarungen oder Gesetz ergeben3. Die Kündigungsfristen in einem Arbeitsverhältnis richten sich nach § 622 BGB überall dort, wo nicht kraft Arbeitsvertrags oder Kollektivvereinbarung abweichende Kündigungsfristen zur Anwendung gelangen4. Die Bestimmung bei mehreren in Betracht kommenden Kündigungsfristen erfolgt nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen (Günstigkeit) bis zur Grenze der Höchstfrist. § 113 Satz 2 InsO verkürzt jede längere Kündigungsfrist unabhängig davon, ob sie auf Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Gesetz oder Tarifvertrag beruht5. Der Gesetzgeber lässt bis zur Höchstgrenze des § 113 Satz 2 InsO alle Fristenregelungen gelten, die nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen anzuwenden sind. Soweit bei einem ordentlich kündbaren Dauerarbeitsverhältnis die anzuwendenden Kündigungsfristen ohnehin nicht länger als drei Monate zum Monatsende sind, bleibt § 113 Satz 2 InsO ohne Bedeutung. Die Erklärung einer Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt ist ausreichend bestimmt und beinhaltet die Kündigung mit der 3-Monats-Frist des § 113 InsO vorausgesetzt, dass sich aus dem Kündigungsschreiben oder aus den Umständen ergibt, dass eine ordentliche Kündigung gewollt ist und dass der Arbeitnehmer aus den in dem Kündigungsschreiben in Bezug genommenen Kündigungsfristenregelungen erkennen kann, welche für ihn zur Anwendung kommen soll6. Zweitens betrifft die Norm den Fall, dass ein Arbeitsverhältnis befristet abge- 7.353 schlossen worden ist, ohne dass die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung ausdrücklich vorbehalten ist. Eine derartige Vertragsgestaltung bedeutet, dass arbeitsrechtlich das Recht zur ordentlichen Kündigung bis zum Fristablauf aus1 Vgl. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 91 ff.; Düwell in Kölner Schrift zur InsO, S. 1193, 1206; Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und Insolvenz, Rz. 342, 343. 2 Vgl. Henkel, ZIP 2008, 1265. S. aber demgegenüber LAG Berlin-Brandenburg v. 11.7. 2007 – 23 Sa 450/07, LAGE § 113 InsO Nr. 14. 3 Vgl. Fischermeier, NZA 1997, 1089, 1098; Warrikoff, BB 1994, 2338. 4 BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 425/98, AP Nr. 1 zu § 113 InsO = DB 1999, 748. S. aber LAG Hamm v. 27.3.1998 – 15 Sa 2137/97, LAGE § 113 InsO Nr. 5; LAG Köln v. 26.3.1998 – 10 Sa 1437/97, NZA 1998, 765. 5 Vgl. LAG Hamm v. 13.8.1997 – 14 Sa 566/97, LAGE § 113 InsO Nr. 1. 6 Vgl. BAG v. 20.6.2013 – 6 AZR 805/11, DB 2013, 2093.

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7.354

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

geschlossen ist (§ 15 Abs. 3 TzBfG)1. Dieser Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses wird durch § 113 Satz 1 InsO beseitigt, so dass der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis ordentlich kündigen kann. 7.354 Drittens wird die vereinbarte „Unkündbarkeit“ von Arbeitsverhältnissen geregelt. Das Gesetz beseitigt diese „Unkündbarkeit“ und lässt die ordentliche Kündigung zu. Ob § 113 InsO auch auf sonstige Kündigungserschwernisse anzuwenden ist, ist umstritten2. 7.355 Die Kündigungsfrist bei Fristverträgen und bei „Unkündbarkeit“ hat die Rechtsprechung per se mit drei Monaten zum Monatsende bestimmt, es sei denn, dass die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses geringer ist3. 7.356 § 113 Satz 1 InsO bezieht sich nur auf vereinbarte Befristungen und Unkündbarkeitsregelungen. Ob es sich bei diesen Vereinbarungen um Arbeitsverträge, Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge handelt, ist unerheblich. Der Gesetzeswortlaut bezieht alles Vereinbarte und damit auch Kollektivvereinbarungen ein4. Soweit es sich um eine tarifvertraglich begründete „Unkündbarkeit“ handelt, wird diese durch § 113 Satz 1 InsO kraft Gesetzes beseitigt, weil eine derartige Tarifregelung einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung im Sinne von § 113 Satz 1 InsO darstellt. Der gesamte gesetzliche Sonderkündigungsschutz wird durch § 113 InsO nicht berührt. So gilt § 113 Satz 1 InsO beispielsweise nicht für Auszubildende. § 113 Satz 1 InsO betrifft ebensowenig gesetzliche Regelungen zu Verfahrens- oder Zustimmungserfordernissen im Hinblick auf Kündigungen (Beispiele: Betriebsratsmitglieder, § 103 BetrVG; Schwerbehinderte, § 85 SGB IX). Der gesetzliche Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung muss sich allerdings unabhängig von § 113 InsO am Gesichtspunkt der Zumutbarkeit messen lassen, so dass bei Überschreiten der (Un-)Zumutbarkeitsgrenze eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung erfolgen kann. Die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung auch aus betriebsbedingten Gründen ist allgemein anerkannt5. 7.357 Der Insolvenzverwalter muss nicht von der Möglichkeit des § 113 Sätze 1 und 2 InsO Gebrauch machen. Er kann frei entscheiden. Die Entscheidung unterliegt keiner Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB. Der Insolvenzverwalter unter1 Vgl. Krause in von Hoyningen-Huene/Linck, Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz, 15. Aufl. 2013, § 1 KSchG Rz. 949. 2 Dagegen: BAG v. 19.1.2000 – 4 AZR 911/98; LAG Baden-Württemberg v. 9.11.1998 – 15 Sa 87/98, LAGE § 113 InsO Nr. 6. Dafür: LAG Hamm v. 26.11.1998 – 8 Sa 1576/98, EWiR 1999, 467; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 113 InsO Rz. 116. 3 Vgl. BAG v. 6.7.2000 – 2 AZR 695/99, AP Nr. 6 zu § 113 InsO = DB 2000, 2382. Anders Moll, EWiR 2001, 27 m.w.N. 4 Vgl. BAG v. 16.6.1999 – 4 AZR 191/98, AP Nr. 3 zu § 113 InsO; Berscheid, Anwaltsblatt 1995, 8, 11; Fischermeier, NZA 1997, 1089, 1098; Lakies, RdA 1997, 1045, 1046; Warrikoff, BB 1994, 2338, 2338; Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2010, § 113 InsO Rz. 26 f. 5 Vgl. BAG v. 27.5.1993 – 2 AZR 601/92, AP Nr. 9 zu § 22 KO; BAG v. 18.9.1997 – 2 ABR 15/97, AP Nr. 35 zu § 103 BetrVG 1972 = DB 1998, 210; BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, DB 1998, 1035; BAG v. 18.5.2006 – 2 AZR 207/05, AP Nr. 5 zu § 55 BAT; Hanau, Gutachten für den 54. DJT, 1982, S. 63; Moll, DB 1984, 1346 ff.; Moll, KTS 1990, 563, 566.

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Moll

Kündigungen

7.362

liegt auch nicht nach § 241 Abs. 2 BGB einer Rücksichtnahmepflicht z.B. wegen verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen1. Der Insolvenzverwalter kann von der Möglichkeit des § 113 Sätze 1 und 2 InsO 7.358 auch dann Gebrauch machen, wenn der Schuldner schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Kündigung erklärt hat (Nachkündigung)2. 3. Schadensersatz Der Insolvenzverwalter, der von § 113 Sätze 1 und 2 InsO Gebrauch macht, schul- 7.359 det dem Arbeitnehmer Schadensersatz gemäß § 113 Satz 3 InsO. Die Schadensersatzpflicht wird dadurch ausgelöst, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund § 113 Sätze 1 und 2 InsO vorzeitig beendet wird, d.h. vor dem Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis ohne Anwendung von § 113 Sätze 1 und 2 InsO nach Arbeitsvertrag, Kollektivvereinbarung oder Gesetz hätte beendet werden können. Ersatzfähig ist mithin der Verfrühungsschaden3. Der Anspruch ist auf einen Ausgleich der eintretenden Nachteile in Geld gerichtet, nicht etwa kann als Schadensersatz eine Verlängerung der Kündigungsfrist verlangt werden4. Es ist zu ermitteln, was der Arbeitnehmer an Bezügen erhalten hätte, wenn das Arbeitsverhältnis über den durch § 113 Sätze 1 und 2 InsO bestimmten Zeitpunkt hinaus bis zum Zeitpunkt der ansonsten bestehenden bzw. vereinbarten Beendigungsmöglichkeit fortbestanden hätte5. Dies geschieht nach Maßgabe und im Rahmen der allgemeinen Grundsätze des Schadensersatzrechts (Kausalität, Mitverschulden, Vorteilsausgleichung). Das BAG begrenzt die Berechnung der entgehenden Bezüge auf die längste anwendbare Kündigungsfrist6. § 113 Satz 3 InsO gilt nicht für Aufhebungsverträge oder Abwicklungsverein- 7.360 barungen, selbst dann nicht, wenn ihnen eine Kündigung vorausgegangen ist, vorausgesetzt, in dem Vertrag bzw. der Vereinbarung wird die Beendigung eigenständig geregelt7. Der Arbeitnehmer ist im Hinblick auf die Schadensersatzforderung Insolvenz- 7.361 gläubiger i.S. von § 38 InsO. Der Schadensersatzanspruch ist im Verfahren gemäß §§ 174 ff. InsO geltend zu machen. Er wird, soweit er in die Zukunft gerichtet ist, nach Maßgabe der §§ 191, 198 InsO berücksichtigt. § 113 InsO ist gemäß § 119 InsO im Voraus nicht disponibel. Die Vereinbarungs- 7.362 möglichkeiten der Parteien bestehen erst dann, wenn eine Kündigung erklärt worden ist oder in Aussicht genommen wird und die Parteien eine Verständigung 1 Vgl. BAG v. 27.2.2014 – 6 AZR 301/12, EzA § 113 InsO Nr. 21. 2 BAG v. 22.5.2003 – 2 AZR 255/01, AP Nr. 1 zu § 21 InsO = DB 2003, 2071; BAG v. 13.5. 2004 – 2 AZR 329/03, DB 2004, 2327; Berscheid in FS Hanau, 1999, S. 701, 730; Leithaus, NZI 2001, 254 ff.; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 113 InsO Rz. 66; Moll, EWiR 2000, 685. 3 Vgl. Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 113 InsO Rz. 143. 4 Vgl. BAG v. 27.2.2014 – 6 AZR 301/12, EzA § 113 InsO Nr. 21. 5 Vgl. Berscheid in Uhlenbruck, § 113 InsO Rz. 152 f.; Löwisch/Caspers in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2013, § 113 InsO Rz. 33 und 84. 6 Vgl. BAG v. 16.5.2007 – 8 AZR 772/06, AP Nr. 24 zu § 113 InsO. S. dazu kritisch Moll, Gemeinsame Anmerkung zu BAG AP Nr. 23 und 24 zu § 113 InsO. 7 Vgl. BAG v. 25.4.2007 – 6 AZR 622/06, AP Nr. 23 zu § 113 InsO.

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7.363

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

über die konkrete Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Grund und Zeitpunkt herbeizuführen versuchen. 4. Kündigungsschutzklage 7.363 Eine Kündigungsschutzklage ist in konsequenter Anwendung der „Amtstheorie“ gegen den Insolvenzverwalter zu richten1. Der Insolvenzverwalter ist Beklagter im Kündigungsschutzprozess als Partei kraft Amtes2. Die Klage gegen den Schuldner wahrt die Klagefrist nicht. Dies gilt für alle Klagen, die nach Insolvenzeröffnung erhoben werden. Die Klagefrist kann allerdings auch dann gewahrt sein, wenn im Beklagtenrubrum der Schuldner als Arbeitgeber angegeben ist: Die Beklagtenstellung des Insolvenzverwalters muss sich dann im Wege der Auslegung aus anderen Erklärungen und Umständen eindeutig ergeben (Berichtigung der Parteibezeichnung im Rubrum). Ein solcher Umstand ist die Beifügung des Kündigungsschreibens des Insolvenzverwalters3. Ist im Rubrum der Klageschrift irrtümlich als Beklagter nicht der Insolvenzverwalter, sondern die Schuldnerin genannt, so ist das Klagerubrum entsprechend zu berichtigen, wenn sich aus der Klageschrift oder aus dem dieser beigefügten Kündigungsschreiben ergibt, dass sich die Klage gegen den Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes richten soll4. Die Klagefrist wird allerdings dann versäumt, wenn es auf Grund Falschadressierung nicht zu einer Klagezustellung im Zeitrahmen des § 270 Abs. 3 ZPO kommt (§ 85 Abs. 2 ZPO)5. Eine Kündigungsschutzklage ist aber auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner zu richten, wenn dieser eine selbständige Tätigkeit ausübt und der Insolvenzverwalter das Vermögen aus dieser Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO aus der Insolvenzmasse freigegeben hat; mit Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner fällt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Arbeitsverhältnisse ohne gesonderte Kündigung an den Schuldner zurück6. 7.364 Wird vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Klage erhoben und gegen den Arbeitgeber gerichtet, so ist nach Aufnahme des Verfahrens eine Änderung der Beklagtenbezeichnung dahingehend herbeizuführen, dass Beklagter der Insolvenzverwalter ist7. Ein rechtshängiges Kündigungsschutzverfahren wird durch die Insolvenzeröffnung unterbrochen (§ 240 ZPO). Es kann, wenn es die Fortdauer des Arbeitsverhältnisses nach Insolvenzeröffnung betrifft, von dem Arbeitnehmer aufgenommen werden (§ 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO)8. 7.365 Hat der Schuldner die Kündigung vor Insolvenzeröffnung erklärt und wird die Kündigungsschutzklage (fristgerecht) nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens er1 Vgl. BAG v. 17.1.2002 – 2 AZR 57/01, ZIP 2002, 1412; BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, NZA 2013, 1007; Bork, ZInsO 2001, 210 ff.; Fleddermann, ZInsO 2001, 359 ff. 2 Vgl. BAG v. 17.1.2002 – 2 AZR 57/01, ZIP 2002, 1412; BAG v. 18.4.2002 – 8 AZR 346/01, AP Nr. 232 zu § 613a BGB. 3 Vgl. BAG v. 18.4.2002 – 8 AZR 346/01, AP Nr. 232 zu § 613a BGB. 4 Vgl. BAG v. 27.3.2003 – 2 AZR 272/02, AP Nr. 14 zu § 113 InsO. 5 Vgl. BAG v. 17.1.2002 – 2 AZR 57/01, ZIP 2002, 1412: Verzögerung von mehr als zwei Wochen. 6 Vgl. BAG v. 21.11.2013 – 6 AZR 979/11, EzA § 35 InsO Nr. 3. 7 Vgl. LAG Schleswig-Holstein v. 24.1.2005 – 2 Ta 17/05, NZA-RR 2005, 658. 8 Vgl. BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 563/05, AP Nr. 6 zu § 240 ZPO = DB 2007, 114.

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Betriebsvereinbarungen

7.368

hoben, so ist Beklagter auch in diesen Fällen der Insolvenzverwalter1. Der Insolvenzverwalter muss den Arbeitnehmer jedenfalls dann nicht auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinweisen, wenn dem Arbeitnehmer die Stellung des Insolvenzantrags bekannt ist. 5. Befristungen Die Zulässigkeit befristeter Arbeitsverhältnisse erfährt im Insolvenzverfahren 7.366 keine Sonderbehandlung. Das Insolvenzverfahren stellt als solches keinen Befristungsgrund dar2. Es ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob eine wirksame Befristung vorliegt.

III. Betriebsvereinbarungen 1. Normzweck des § 120 InsO Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat keinen Einfluss auf das Bestehen von 7.367 Betriebsvereinbarungen. Die Insolvenzordnung hat die Problematik mit § 120 InsO aufgegriffen. Während § 120 Abs. 2 InsO nur den allgemeinen Grundsatz der Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund bestätigt, führt § 120 Abs. 1 InsO ein neues Instrumentarium zur Änderung bzw. Beendigung von Betriebsvereinbarungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein. Der Normzweck der Regelung besteht darin, die Überlebenschancen eines insolvenzbefangenen Betriebs zu erhöhen, indem durch die Herbeiführung von Entlastungen eine Fortführung oder eine Veräußerung des Betriebs erleichtert wird. 2. Beratungs- und Verhandlungspflicht § 120 Abs. 1 Satz 1 InsO fordert den Insolvenzverwalter und den Betriebsrat auf, 7.368 über eine einvernehmliche Herabsetzung von Leistungen zu beraten, die in Betriebsvereinbarungen vorgesehen sind. Es kommt nicht darauf an, ob es sich um erzwingbare oder freiwillige Betriebsvereinbarungen handelt. Der Begriff der Betriebsvereinbarung schließt in § 120 Abs. 1 Satz 1 InsO Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen ein. Die Verhandlungspflicht ist nach Sinn und Zweck der Regelung auch auf Regelungsabreden zu erstrecken, da Regelungsabreden nach den betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen im Hinblick auf ihre Beendigung entsprechenden Grundsätzen wie Betriebsvereinbarungen unterworfen werden3. Als Betriebsvereinbarungen i.S. von § 120 Abs. 1 Satz 1 InsO kommen auch Sozialpläne in Betracht. Die Betriebspartner können einen geltenden Sozialplan zum Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer für die Zukunft ändern, wobei 1 Vgl. LAG Düsseldorf v. 20.11.1995 – 1 Ta 291/95, ZIP 1996, 191; Hessisches LAG v. 17.5.2002 – 15 Ta 77/02; Friedrich in Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 10. Aufl. 2013, § 4 KSchG Rz. 97a; Sasse, ArbRB 2003, 63, 64. 2 Vgl. LAG Düsseldorf v. 8.3.1994 – 16 Sa 163/94, DB 1994, 1880. 3 Vgl. Fitting, 27. Aufl. 2014, § 77 BetrVG Rz. 216 ff.; Kreutz in Gemeinschaftskommentar zum BetrVG, 10. Aufl. 2014, § 77 BetrVG Rz. 21 f.; Richardi in Richardi, 14. Aufl. 2014, § 77 BetrVG Rz. 231 f.

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7.369

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

Verhältnismäßigkeit und Vertrauensschutz zu beachten sind1. § 120 InsO wird allerdings durch die Sonderregelung des § 124 InsO im Hinblick auf solche Sozialpläne verdrängt, deren Zustandekommen nicht weiter als drei Monate vor Stellung des Insolvenzantrags zurückreicht. 7.369 Das Gesetz erfasst nur solche Betriebsvereinbarungen, in denen Leistungen vorgesehen sind, die die Insolvenzmasse belasten. Dies sind insbesondere Betriebsvereinbarungen, die Entgelte oder Sozialeinrichtungen zu Gunsten der Arbeitnehmer regeln. Eine Betriebsvereinbarung i.S. von § 120 Abs. 1 InsO kann auch vorliegen, wenn es sich um Regelungen handelt, die zwar den Betriebsablauf oder die Organisation regeln, bei deren Anwendung sich jedoch Leistungen zu Gunsten der Arbeitnehmer ergeben. Dies ist beispielsweise möglich, wenn sich aus Arbeitszeitgestaltungen Schichtzuschläge oder Überstundenvergütungen ableiten, die bei anderweitigen Arbeitszeitregelungen vermieden werden könnten. 7.370 Der Verhandlungsaufruf nach § 120 Abs. 1 Satz 1 InsO gilt beiden Betriebsparteien. Durch den Begriff „sollen“ wird zum Ausdruck gebracht, dass eine strikte Rechtspflicht nicht besteht. Weder gibt es einen Anspruch einer Partei darauf, dass es zu Verhandlungen kommt. Noch ist rechtlich gewährleistet, dass Betriebsrat und Insolvenzverwalter sich letztlich über eine Herabsetzung der Leistungen verständigen. Kommen Insolvenzverwalter und Betriebsrat zu keiner einvernehmlichen Regelung, so verbleibt es beim unveränderten Bestand der Betriebsvereinbarung. 3. Kündigungsmöglichkeit 7.371 § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO stellt sicher, dass Betriebsvereinbarungen mit Leistungen, die die Insolvenzmasse belasten, in jedem Falle mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden können, auch wenn in der Betriebsvereinbarung eine längere Frist vereinbart ist. Die Drei-Monats-Frist entspricht der im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Kündigungsfrist für Betriebsvereinbarungen (§ 77 Abs. 5 BetrVG). Es handelt sich bei § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO um eine Höchstkündigungsfrist. Ist in der Betriebsvereinbarung eine kürzere Kündigungsfrist vereinbart, so ist diese anwendbar. Die Kündigungsmöglichkeit besteht nicht nur dann, wenn die Betriebsvereinbarung eine längere Kündigungsfrist als drei Monate vorsieht, sondern auch dann, wenn die Betriebsvereinbarung befristet oder „unkündbar“ abgeschlossen ist. Diese Fälle werden von § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO ebenfalls erfasst2. 7.372 Das Gesetz besagt nicht, dass vor Gebrauchmachen von der Kündigungsmöglichkeit des § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO zunächst ein Verhandlungsstadium nach § 120 Abs. 1 Satz 1 InsO vorgeschaltet werden müsse. Eine derartige rechtliche Rangund Reihenfolge ist abzulehnen. Das Betriebsverfassungsgesetz kennt keinen Grundsatz im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips dahingehend, dass im Falle einer ordentlichen Kündigung einer Betriebsvereinbarung zuerst zu verhandeln sei, bevor von der Möglichkeit der ordentlichen Kündigung Gebrauch gemacht werden könne. Dies wäre mit der grundsätzlichen Kündigungsfreiheit im Hin1 Vgl. BAG v. 5.10.2000 – 1 AZR 48/00, AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG 1972 = DB 2001, 1563. 2 Vgl. Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 120 InsO Rz. 26 f.

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Betriebsvereinbarungen

7.375

blick auf Betriebsvereinbarungen nicht vereinbar, die § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO bestätigt bzw. wiederherstellt. Die Kündigung nach § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO erfolgt auf der Grundlage allgemei- 7.373 ner Grundsätze. Dies bedeutet insbesondere, dass Kündigungsgründe nicht erforderlich sind1. Der Rechtsposition des einzelnen Arbeitnehmers kann allerdings Bestandsschutz im Rahmen der Beurteilung der Rechtsfolgen der Kündigung zukommen. Je nach Anlass und Grund für die Kündigung werden die Rechtsfolgen im Hinblick auf den Schutz von Besitzständen modifiziert. 4. Nachwirkung der Betriebsvereinbarung § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO sagt nichts über die Rechtsfolge der Kündigung. Diese 7.374 richtet sich nach allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen2. Betriebsvereinbarungen in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten gelten gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG solange weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden (Nachwirkung). Die auf Grund der vorzeitigen Kündigungsmöglichkeit für die Insolvenzmasse entstehende Entlastungswirkung hängt damit letztlich davon ab, ob im konkreten Fall in Anbetracht der Art und des Inhalts der Betriebsvereinbarung die Nachwirkung eintritt oder nicht. Bei dem im Hinblick auf § 120 Abs. 1 InsO „typischen“ Fall der Betriebsvereinbarung über „freiwillige“ Leistungen handelt es sich um eine so genannte teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung. Der Arbeitgeber trifft mitbestimmungsfreie Grundentscheidungen, und in diesem Rahmen bestimmt der Betriebsrat über Gerechtigkeits-, System- und Verteilungsentscheidungen mit3. Eine Nachwirkung findet in einem derartigen Fall nicht statt, wenn der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarung kündigt, um die gewährten Leistungen gänzlich zu beseitigen. Die Rechtsgrundlage für die Leistungsgewährung entfällt in diesem Falle mit Ablauf der Kündigungsfrist4. Erfolgt die Kündigung jedoch zu dem Zweck, die Leistungen in Zukunft lediglich gekürzt zu gewähren, so nimmt das Bundesarbeitsgericht eine Nachwirkung an, wenn das zur Verfügung gestellte Mittelvolumen reduziert und der Verteilungsschlüssel bei der Fort- bzw. Neugewährung geändert wird5. Der Insolvenzverwalter wird in Anbetracht dieser Rechtslage regelmäßig überlegen, ob er nicht in jedem Falle zu dem Zweck kündigt, die in Rede stehenden Leistungen ersatzlos und gänzlich entfallen zu lassen. Der Insolvenzverwalter vermeidet damit das Nachwirkungsrisiko. Die Nachwirkung kann in der Betriebsvereinbarung ausgeschlossen werden6. Die 7.375 Kündigung bewirkt in diesem Falle, dass mit Ablauf der Kündigungsfrist die Be1 Vgl. BAG v. 9.2.1989 – 8 AZR 310/87, AP Nr. 40 zu § 77 BetrVG 1972; BAG v. 10.3. 1992 – 3 ABR 54/91, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Betriebsvereinbarung. 2 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 71, 153; Begr. Rechtsausschuss, BT-Drucks. 12/7302, S. 155, 170; Giesen, ZIP 1998, 142, 142; Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und Insolvenz, Rz. 298; Lakies, RdA 1997, 145, 147; Löwisch, NZA 1996, 1009, 1017; Schrader, NZA 1997, 70, 71. 3 Vgl. Kreutz in Gemeinschaftskommentar zum BetrVG, 9. Aufl. 2010, § 77 BetrVG Rz. 406. 4 Vgl. BAG v. 21.8.1990 – 1 ABR 73/89, AP Nr. 5 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung; BAG v. 26.10.1993 – 1 AZR 46/93, AP Nr. 6 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung. 5 Vgl. BAG v. 21.8.1990 – 1 ABR 73/89, AP Nr. 5 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung; BAG v. 26.10.1993 – 1 AZR 46/93, AP Nr. 6 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung. 6 Vgl. BAG v. 17.1.1995 – 1 ABR 29/94, AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung.

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7.376

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

triebsvereinbarungswirkungen entfallen. Nicht minder häufig, eher verbreiteter, ist in der Praxis der Fall, dass die Betriebspartner die Nachwirkung einer freiwilligen oder teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung vereinbaren. Derartige Vereinbarungen sind rechtlich möglich1. Sie können im Anwendungsbereich des § 120 Abs. 1 InsO allerdings nicht anerkannt werden. Das Gesetz geht davon aus, dass – lediglich – die gesetzlich vorgesehene Nachwirkung des § 77 Abs. 6 BetrVG eintritt. Eine Veränderung dieses Mechanismus würde den Gesetzeszweck vereiteln, weil die von § 120 Abs. 1 InsO intendierte Entlastung der Insolvenzmasse auf Grund der Kündigung nicht eintreten könnte, soweit die Nachwirkung bei freiwilligen Leistungen vereinbart ist. Der Insolvenzverwalter wäre vielmehr darauf angewiesen, entweder das Einvernehmen des Betriebsrats zu erreichen oder ein Einigungsstellenverfahren durchzuführen. 5. Andere Beendigungsregeln 7.376 § 120 Abs. 2 InsO besagt, dass das Recht zur Kündigung der Betriebsvereinbarung aus wichtigem Grund unberührt bleibt. Ein derartiges Kündigungsrecht aus wichtigem Grund ist allgemein anerkannt2. Es kommt darauf an, ob es dem kündigenden Teil unzumutbar ist, wenigstens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zuzuwarten. Das Bundesarbeitsgericht hat im Hinblick auf die außerordentliche Kündigung von Tarifverträgen verlangt, dass vor dem Ausspruch der Kündigung der Versuch unternommen werden müsse, durch Verhandlungen eine Anpassung herbeizuführen3. Das Bundesarbeitsgericht wendet die Nachwirkungsgrundsätze auch bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung an4. Die außerordentliche Kündigung führt danach lediglich zur Beseitigung der Bindung an die Betriebsvereinbarung für die vereinbarte Zeit. Der kündigende Betriebspartner erhält, soweit es sich um eine nachwirkende Betriebsvereinbarung handelt, die Möglichkeit, so vorzeitig eine neue Regelung gegebenenfalls unter Zuhilfenahme der Einigungsstelle durchzusetzen. 7.377 Die Anwendung der Grundsätze über die Geschäftsgrundlagenlehre wird weder durch § 120 Abs. 1 InsO noch durch die Bestätigung des Rechts zur Kündigung aus wichtigem Grund in § 120 Abs. 2 InsO ausgeschlossen. Die Geschäftsgrundlagenlehre findet ergänzend Anwendung. Betriebsvereinbarungen sind den geänderten Umständen anzupassen, wenn einem Betriebspartner im Hinblick auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage das Festhalten an der Betriebsvereinbarung nicht mehr zuzumuten ist5. Die Anwendung der Geschäftsgrundlagenlehre ist gegenüber dem Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund vorrangig. Die außerordentliche Kündigung kommt erst und nur dann in Betracht, wenn eine – bloße – Anpassung der Betriebsvereinbarungsregelungen die Unzumutbarkeit nicht beseitigt. 1 Vgl. BAG v. 28.4.1998 – 1 ABR 43/97, AP Nr. 11 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung. S. dazu z.T. kritisch Boemke/Kursave, DB 2000, 1405 ff.; Kort, NZA 2001, 477 ff.; Loritz, DB 1997, 2074 ff. 2 Vgl. BAG v. 19.7.1957 – 1 AZR 420/54, AP Nr. 1 zu § 52 BetrVG; BAG v. 29.5.1964 – 1 AZR 281/63, AP Nr. 24 zu § 59 BetrVG; Fitting, 27. Aufl. 2014, § 77 BetrVG Rz. 151; Richardi in Richardi, 14. Aufl. 2014, § 77 BetrVG Rz. 201. 3 Vgl. BAG v. 18.12.1996 – 4 AZR 129/96, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; BAG v. 18.2. 1998 – 4 AZR 363/96, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Kündigung = DB 1998, 1722. 4 Vgl. BAG v. 10.8.1994 – 10 ABR 61/93, AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG 1972. 5 Vgl. BAG v. 10.8.1994 – 10 ABR 61/93, AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG 1972.

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Besonderheiten bei Betriebsänderungen: Personalabbau

7.382

Die Anpassung nach Geschäftsgrundlagengrundsätzen und das Recht zur außer- 7.378 ordentlichen Kündigung können indes nur in Extremfällen in Erwägung gezogen werden, da § 120 Abs. 1 InsO die Kündbarkeit mit einer Frist von drei Monaten ermöglicht.

IV. Besonderheiten bei Betriebsänderungen: Personalabbau Die Anwendung der §§ 111 ff. BetrVG (Interessenausgleich und Sozialplan) wird 7.379 durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt. Es gilt das, was zur betriebsverfassungsrechtlichen Situation außerhalb der Insolvenz ausgeführt worden ist (Rz. 3.57 ff.). Das Gesetz beinhaltet allerdings Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen. 1. Vermittlungsversuch Der Insolvenzverwalter muss sich gemäß § 121 InsO nicht darauf einlassen, dass 7.380 der Betriebsrat nach § 112 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die Vermittlung des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit herbeiführt. Dessen Vermittlungsversuch findet nur dann statt, wenn der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat gemeinsam um die Vermittlung ersuchen. Eine praktisch relevante Erleichterung für den Insolvenzverwalter ist darin freilich kaum zu sehen. Ein Einlassungszwang bei dem Vermittlungsversuch des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit besteht auch außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht1. 2. Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung der Betriebsänderung ohne Interessenausgleichsverfahren Die Insolvenzordnung stellt mit § 122 InsO dem Insolvenzverwalter ein Rege- 7.381 lungsinstrument zur Verfügung, welches es ermöglicht, die Zustimmung des Arbeitsgerichts zur Durchführung einer Betriebsänderung ohne Interessenausgleichsverfahren herbeizuführen und dadurch das Interessenausgleichsverfahren nach § 112 Abs. 2 und 3 BetrVG überflüssig zu machen. Zweck der Regelung ist, etwaige Sanierungschancen nicht durch langwierige Interessenausgleichsverfahren zu beeinträchtigen2. Ausgangspunkt der Norm ist, dass der Insolvenzverwalter eine Betriebsänderung plant und ein Interessenausgleich nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen nicht zustande gekommen ist, obwohl der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet worden ist. Die Regelung knüpft an den Begriff der Betriebsänderung i.S. von § 111 BetrVG an. Die Kriterien des § 111 BetrVG sind auch insoweit zugrunde zu legen, wie es da- 7.382 rum geht festzustellen, ob der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet worden ist. Ohne eine vollständige Unterrichtung läuft die Drei-Wochen-Frist des § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht. Das Arbeitsgericht kann ohne eine vollständige 1 Vgl. Fitting, 27. Aufl. 2014, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 29 ff. 2 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 71, 153; Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 392; Warrikoff, BB 1994, 2338, 2340.

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7.383

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

Unterrichtung des Betriebsrats dem Antrag des Insolvenzverwalters daher nicht stattgeben. 7.383 Die Drei-Wochen-Frist des § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO beginnt mit Aufnahme der Verhandlungen zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat. Es mag im Einzelfall problematisch sein festzustellen, ob mit Verhandlungen begonnen worden ist. Ebenso kann nicht übersehen werden, dass der Beginn von Verhandlungen vom Betriebsrat abhängt. Das Gesetz sieht daher vor, dass der Lauf der Drei-WochenFrist – auch – mit der schriftlichen Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen beginnt. Die Aufforderung bedarf der Schriftform i.S. des § 126 BGB. Der Lauf der Frist beginnt mit Zugang der schriftlichen Aufforderung. 7.384 Der Antrag des Insolvenzverwalters i.S. von § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO geht dahin, dass das Arbeitsgericht der Durchführung einer konkret bezeichneten Betriebsänderung zustimmt, ohne dass das Interessenausgleichsverfahren vorausgehen muss. 7.385 Das Arbeitsgericht weist den Antrag als unzulässig ab, wenn die Antragsvoraussetzungen fehlen oder der Antragsinhalt unzutreffend ist. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen müssen allerdings erst im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen1. Die Information des Betriebsrats kann daher im Laufe des Verfahrens jedenfalls durch den schriftsätzlichen Vortrag erfolgen. Ebenso kann während des Verfahrens die Drei-Wochen-Frist des § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO ablaufen2. 7.386 Das Arbeitsgericht erteilt nach § 122 Abs. 2 InsO die Zustimmung zur Durchführung der Betriebsänderung ohne das Interessenausgleichsverfahren, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer dies erfordert. Das Arbeitsgericht hat in einem ersten Schritt zu prüfen, ob die wirtschaftliche Lage des Unternehmens isoliert betrachtet die sofortige Durchführung der Betriebsänderung erforderlich macht. Wird dies bejaht, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer die Durchführung des Interessenausgleichsverfahrens ausnahmsweise dennoch gebietet3. Das Arbeitsgericht entscheidet nicht darüber, ob die Betriebsänderung durchgeführt wird, sondern nur darüber, ob sie ohne die Durchführung des Einigungsstellenverfahrens erfolgen kann. 7.387 Die wirtschaftliche Lage des Unternehmens erfordert eine frühzeitige Betriebsänderung, wenn die Fortführung des Betriebs ohne Betriebsänderung bei Durchführung des Einigungsstellenverfahrens zu einer nicht unerheblichen Schmälerung der Masse führt. Eine derartige Eilbedürftigkeit besteht insbesondere dann, wenn die Gefahr einer Masseunzulänglichkeit oder der Einstellung des Verfahrens mangels kostendeckender Masse besteht4. 1 Vgl. Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und Insolvenz, Rz. 6; Becker-Eberhard in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2013, Vorbemerkung zu §§ 253 ff. ZPO Rz. 16. 2 Vgl. ArbG Lingen v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892; Moll, EWiR 1999, 1131. 3 Vgl. ArbG Lingen v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892; Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 401; Giesen, ZIP 1998, 142, 144; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 122 InsO Rz. 38; Rummel, DB 1997, 774, 775. 4 Vgl. ArbG Lingen v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892; Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 413; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 122 InsO Rz. 45.

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Moll

Besonderheiten bei Betriebsänderungen: Personalabbau

7.391

Die Abwägung des Arbeitsgerichts im Hinblick auf die sozialen Belange der Ar- 7.388 beitnehmer hat darauf abzustellen, ob es sich um soziale Belange handelt, die gerade für die Durchführung des Einigungsstellenverfahrens sprechen. Der Aspekt der zeitlichen Verzögerung und der damit verbundenen Hinausschiebung der Kündigungsendtermine genügt nicht1. Es kommt vielmehr darauf an, ob sich sagen lässt, dass durch das Tätigwerden der Einigungsstelle im Interessenausgleichsverfahren sozialverträglichere Lösungen an Stelle der in Aussicht genommenen Betriebsänderung gefunden werden können2. Beispiele: (1) Es kann erwogen werden, einen ertragsstärkeren Teil einer Produktion fortzuführen. (2) Ein Übernehmer steht bereit. Erklärt das Arbeitsgericht die vom Insolvenzverwalter beantragte Zustimmung, 7.389 so kann dieser die Betriebsänderung ohne ein Einigungsstellenverfahren durchführen, ohne zum Nachteilsausgleich verpflichtet zu sein und ohne die Gefahr von Unterlassungsansprüchen die Betriebsrats befürchten zu müssen. Die Wirkungen des Beschlusses treten mit seiner Rechtskraft ein3. Die Rechtskraft tritt ein mit Ablauf der Rechtsmittelfrist oder Verwerfung des eingelegten Rechtsmittels als unzulässig oder Zurückweisung des Rechtsmittels als unbegründet. Eine Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Arbeitsgericht führt dazu, dass Rechtskraft mit Erlass der Entscheidung eintritt. Das Verfahren unterliegt den Regelungen für das Beschlussverfahren gemäß 7.390 §§ 83 ff. ArbGG (§ 122 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 InsO). Beteiligte sind gemäß § 122 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 InsO der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat. Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts findet keine Beschwerde an das Landesarbeitsgericht statt. Das Gesetz sieht lediglich eine Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht vor, und das auch nur dann, wenn sie zugelassen wird (§ 122 Abs. 3 Satz 2 InsO). Die Zulassung richtet sich nach § 72 Abs. 2 ArbGG (§ 122 Abs. 3 Satz 2 InsO). Regelmäßig wird daher gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts kein Rechtsmittel gegeben sein: Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde wird nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht vorgesehen, weil im Rahmen von § 122 Abs. 3 Satz 2 InsO nicht auf § 72a ArbGG verwiesen wird4. Die Rechtsbeschwerde muss gemäß § 122 Abs. 3 Satz 3 InsO innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des Arbeitsgerichts beim Bundesarbeitsgericht eingelegt und auch begründet werden. Der Insolvenzverwalter kann unabhängig von dem Verfahren nach § 122 InsO ei- 7.391 nen Interessenausgleich nach § 125 InsO zu Stande bringen oder eine Feststellung nach § 126 InsO beantragen (§ 122 Abs. 1 Satz 3 InsO). Kombinationen und Reihenfolge dieser Möglichkeiten liegen im Ermessen des Insolvenzverwalters.

1 Vgl. ArbG Lingen v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892; Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 414; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 122 InsO Rz. 47. 2 Vgl. Löwisch, RdA 1997, 80, 85. 3 Vgl. Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und Insolvenz, Rz. 316. 4 Vgl. Lakies, RdA 1997, 145, 154; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 122 InsO Rz. 60.

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7.392

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

3. Kündigungsbezogener Interessenausgleich a) Überblick 7.392 Der Insolvenzverwalter kann versuchen, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste gemäß § 125 InsO zu vereinbaren. Der Gesetzgeber knüpft an diesen Interessenausgleich zwei Rechtsfolgen. Zum einen wird vermutet, dass dringende betriebliche Erfordernisse i.S. von § 1 Abs. 2 KSchG bestehen (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO). Zum anderen wird die Überprüfung der Sozialauswahl auf drei Kriterien (Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten) beschränkt und angeordnet, dass eine Überprüfung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit erfolgen kann, wobei die Sozialauswahl nicht grob fehlerhaft ist, „wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird.“ Der Personalstrukturgesichtspunkt stellt systematisch ein berechtigtes betriebliches Interesse i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG dar. Der Gesetzgeber hat in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO zum Ausdruck gebracht, dass nicht nur eine bestehende Personalstruktur beibehalten, sondern auch eine bessere Personalstruktur angestrebt werden kann. Bei grenzüberschreitenden Insolvenzen i.S. der EuInsVO, bei denen deutsches Arbeitsrecht aufgrund der Regelung in Art. 10 EuInsVO anwendbar ist, ist § 125 InsO unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass auch ein Administrator, der in der vom englischen Insolvenzrecht vorgesehenen Weise für den Schuldner handelt, als Insolvenzverwalter i.S. des § 125 InsO anzusehen ist und daher einen Interessenausgleich mit Namensliste abschließen kann, der die Wirkungen des § 125 InsO nach sich zieht1. 7.393 Wird ein geplanter Personalabbau auf der Grundlage eines unternehmenseinheitlichen Konzepts durchgeführt und sind mehrere Betriebe davon betroffen, ist gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG der Gesamtbetriebsrat für den Abschluss des Interessenausgleichs zuständig. In seine Zuständigkeit fällt dann auch die Vereinbarung einer Namensliste i.S. von § 1 Abs. 5 KSchG. Treffen die Betriebsparteien bei einer mehrere Betriebe erfassenden Personalabbaumaßnahme eine Auswahlentscheidung auch bezogen auf Arbeitnehmer, in deren Betrieb die Voraussetzungen einer Betriebsänderung nicht vorliegen, beeinträchtigt dies die mit der Namensliste verbundene Richtigkeitsgewähr nicht. Dies führt lediglich dazu, dass die in § 1 Abs. 5 Satz 1 und 2 KSchG vorgesehenen Rechtsfolgen für die diesen Betrieben zugehörigen Arbeitnehmer nicht eingreifen2. b) Tatbestandsvoraussetzungen 7.394 § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO setzt voraus, dass eine Betriebsänderung i.S. von § 111 BetrVG geplant wird. Betriebliche Maßnahmen, die unterhalb der Schwelle der Betriebsänderung i.S. von § 111 BetrVG bleiben, eröffnen die Möglichkeit des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht3. 7.395 Arbeitgeber und Betriebsrat müssen einen Interessenausgleich abschließen. Es ist nicht möglich, ohne einen Interessenausgleich eine Namensliste aufzustellen4. Es handelt sich dabei um den Interessenausgleich i.S. des § 112 Abs. 1 Satz 1 1 2 3 4

Vgl. BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2386 = BB 2013, 507. Vgl. BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 386/11, NZA 2013, 333. Vgl. LAG Düsseldorf v. 23.1.2003 – 11 (12) Sa 1057/02, DB 2003, 2292. S. aber demgegenüber Matthes, RdA 1999, 178.

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Besonderheiten bei Betriebsänderungen: Personalabbau

7.398

BetrVG1. Einen Interessenausgleich „sui generis“ außerhalb von § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gibt es nicht2. Es mag Interessenausgleichsvereinbarungen mit unterschiedlichen Inhalten und Regelungen geben. Dies ändert nichts daran, dass es sich sämtlich um Bestimmungen handelt, die als Interessenausgleich auf der Grundlage und im Rahmen von § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vereinbart werden. Der Interessenausgleich muss die durchzuführende Betriebsänderung ausreichend beschreiben. Der Interessenausgleich ist nicht erzwingbar. Der für die Anwendung des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO erforderliche Interessenaus- 7.396 gleich zeichnet sich dadurch aus, dass in ihm Arbeitnehmer „namentlich bezeichnet“ sind, „denen gekündigt werden soll“. Der Interessenausgleich muss die für die Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmer ausreichend individualisieren. Dies beinhaltet mindestens die Angabe des Vor- und Nachnamens. Weitere Individualisierungen sind Anschriften, Berufe, Eintrittsdaten, Geburtsdaten. Diese ergänzenden Angaben sind sinnvoll, wenn es darum geht, Verwechslungen namensgleicher Personen auszuschließen. Die Aufzählung der Arbeitnehmer muss ausdrücklich und positiv geschehen. Es genügt ausweislich des Gesetzeswortlauts nicht, eine „Negativliste“ aufzustellen, die besagt, dass alle Arbeitnehmer außer den genannten gekündigt werden3. Sinn und Zweck des Gesetzes sprechen ebenso für die Benennung der zu kündigenden Arbeitnehmer und gegen die – bloße – Angabe derjenigen, die von Kündigungen verschont bleiben. Ein anderer Fall liegt vor, wenn ein Betrieb insgesamt und uneingeschränkt stillgelegt wird. Es muss in einem derartigen Fall genügen, dass die Namensliste in der Weise aufgestellt wird, dass der Interessenausgleich erklärt, dass allen im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern gekündigt wird4. Dem Interessenausgleich mit Namensliste muss zu entnehmen sein, ob es sich 7.397 um eine Änderungs- oder eine Beendigungskündigung handelt. Die Regelung gilt für beide Kündigungsarten5. Dies ergibt sich daraus, dass das Gesetz die Oberbegriffe „gekündigt“ und „Kündigung“ gebraucht. Die Angaben zur Kündigung im Interessenausgleich mit Namensliste müssen bei einer Änderungskündigung erkennen lassen, was die zu ändernde Vertragsregelung ist und welche angestrebte Vertragsbedingung durch die Änderungskündigung angeboten wird; anderenfalls ist im Falle der Änderungskündigung nicht erkennbar, worin letztlich die Kündigungsmaßnahme besteht. Der Interessenausgleich mit Namensliste muss nicht die Sozialauswahlerwägun- 7.398 gen im Einzelnen aufnehmen, die der Auswahl der Arbeitnehmer zugrunde gelegen haben. Der Insolvenzverwalter hat im Kündigungsrechtsstreit allerdings seiner Darlegungslast nachzukommen. Dies gilt unabhängig davon, ob im Interessenausgleich mit Namensliste Sozialauswahlerwägungen niedergelegt sind oder nicht. 1 Vgl. Giesen, ZIP 1998, 46, 50; Lakies, RdA 1997, 145, 150; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 125 InsO Rz. 18; B. Preis, DB 1998, 1614, 1615. 2 S. aber demgegenüber Schrader, NZA 1997, 70, 73; Warrikoff, BB 1994, 2338, 2341. 3 S. aber demgegenüber Schiefer, DB 1998, 925, 927. 4 Vgl. Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 125 InsO Rz. 26. 5 Vgl. BAG v. 19.6.2007 – 2 AZR 304/06, BB 2008, 224; BT-Drucks. 12/7302, S. 149, 172; Ascheid, RdA 1997, 333, 343; Schiefer/Worzalla, NZA 2004, 345, 352; Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2010, § 125 InsO Rz. 48.

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7.399

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

c) Zustandekommen 7.399 Der Gesetzgeber hat zugrunde gelegt, dass für das Zustandekommen des Interessenausgleichs mit Namensliste insgesamt die Regelungen in § 112 Abs. 1 bis 3 BetrVG gelten. Unabhängig davon, wie das Interessenausgleichsverfahren durchgeführt wird, kommt es für § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO allein darauf an, ob letztlich ein Interessenausgleich zustande gekommen ist, der dem Schriftformerfordernis des § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG entspricht. § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG begründet ein Schriftformerfordernis i.S. von § 126 BGB. Die zu kündigenden Arbeitnehmer müssen „in einem Interessenausgleich … bezeichnet“ sein. Dies bedeutet, dass das Schriftformerfordernis auch die Namensliste umfasst. Dem Schriftformerfordernis kann auf unterschiedliche Weise Rechnung getragen werden, wenn die zu kündigenden Arbeitnehmer nicht schon innerhalb des Textes des Interessenausgleichs angegeben sind. 7.400 Entscheidend ist, dass eine Gesamturkunde vorliegt, die insgesamt dem Schriftformerfordernis gerecht wird. Es muss erkennbar sein, dass es sich um ein zusammenhängendes Schriftstück handelt, auch wenn es aus mehreren Seiten besteht1. Das Schriftformerfordernis im Hinblick auf den Interessenausgleich mit Namensliste ist erfüllt, wenn die Namensliste mit dem Text des Interessenausgleichs so verbunden ist, dass sich die Gesamtheit als einheitliche Urkunde darstellt und auf Grund der Verbindung als eine Sinneinheit erkennbar ist, die dauerhaft und endgültig gewollt ist2. Eine derartige Einheit der Urkunde kann sich aus der graphischen Gestaltung, dem inhaltlichen Zusammenhang oder vergleichbaren Merkmalen ergeben. Die Einheitlichkeit der Urkunde wird dann durch die abschließende Unterschrift gewahrt. Das Schriftformerfordernis wird, wenn die Namensliste nicht ihrerseits unterschrieben ist bzw. nicht von der abschließenden Unterschrift der Gesamturkunde erfasst ist, durch feste körperliche Verbindung (Heftmaschinenklammerung) gewahrt, wobei zusätzlich verlangt wird, dass die Seiten durchgehend paraphiert werden bzw. im Interessenausgleich auf die Namensliste verwiesen wird3. Eine bloße Bezugnahme auf eine lose, nicht unterschriebene Anlage genügt nicht4. Die Namensliste kann zwar getrennt von dem Interessenausgleich erstellt werden; es ist dann aber erforderlich, dass in einem der Dokumente auf das andere Bezug genommen wird und dass beide Dokumente von den Betriebsparteien unterschrieben sind5. Soweit die Rechtsprechung eine bloße Beifügung und Bezugnahme als ausreichend angesehen hat6, wird dies den zu § 126 BGB entwickelten Kriterien und Maßstäben nicht gerecht. 1 Vgl. BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste. 2 Vgl. BGH v. 24.9.1997 – XII ZR 234/95, NJW 1998, 58; BGH v. 21.1.1999 – VII ZR 93/97, NJW 1999, 1104; BAG v. 11.11.1986 – 3 ABR 74/85, AP Nr. 18 zu § 77 BetrVG 1972; Berscheid, MDR 1998, 816, 818; Kothe, BB 1998, 946, 949; Schiefer, DB 1998, 925, 927. 3 Vgl. BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG Namensliste; BAG v. 21.2. 2002 – 2 AZR 581/00, NZA 2002, 1360; BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 520/00, AP Nr. 80 zu § 1 KSchG 1969; LAG Hamm v. 25.2.2000 – 10 Sa 1843/99, ZInsO 2000, 467; LAG Hamm v. 23.3.2000 – 4 Sa 910/99, ZInsO 2000, 570; LAG Hamm v. 23.3.2000 – 4 Sa 1554/99, ZInsO 2000, 571; LAG Hamm v. 6.7.2000 – 4 Sa 233/00, ZInsO 2001, 336. 4 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 17.10.1998 – 9 Sa 401/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 2. 5 Vgl. BAG v. 21.2.2002 – 2 AZR 581/00, NZA 2002, 1360. 6 Vgl. ArbG Kiel v. 5.9.1997 – 4 Ca 3376c/96, NZA-RR 1998, 67; ArbG Stralsund v. 13.2. 1997 – 1 Ca 647/96, AuA 1998, 27.

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Besonderheiten bei Betriebsänderungen: Personalabbau

7.403

Wird die Namensliste getrennt von dem Interessenausgleich erstellt, reicht es da- 7.401 für aus, dass im Interessenausgleich auf die zu erstellende Namensliste verwiesen wird, die erstellte Namensliste – ebenso wie zuvor der Interessenausgleich – von den Betriebsparteien unterschrieben worden ist und die Liste ihrerseits eindeutig auf den Interessenausgleich Bezug nimmt1. Soweit in der Rechtsprechung verlangt worden ist, dass die Liste der zu entlassenden Arbeitnehmer immer zu unterzeichnen sei2, stellt dies Anforderungen auf, die über das hinausgehen, was der Bundesgerichtshof für die Bestimmung der Einheit einer Urkunde zwecks Wahrung der Schriftform verlangt hat3. § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO bezieht sich nicht auf beliebige Kündigungen, sondern 7.402 setzt einen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der Betriebsänderung, dem Interessenausgleich mit Namensliste und der Kündigung voraus. Die – betriebsbedingte – Kündigung muss sich konzeptionell, sachlich aus derjenigen Betriebsänderung ergeben, die von dem Interessenausgleich geregelt wird. Es ist weiterhin erforderlich, dass in zeitlicher Hinsicht der Interessenausgleich der Kündigung vorausgeht4. Der Gesetzeswortlaut geht davon aus, dass eine Betriebsänderung „geplant“ ist und im Hinblick darauf ein Interessenausgleich vereinbart wird, der die Arbeitnehmer benennt, denen „gekündigt werden soll“. Eine Nachholung des Interessenausgleichs mit Namensliste, nachdem Kündigungen ausgesprochen sind, ist angesichts dessen nicht möglich. Das BAG hat eine Teil-Namensliste für den Fall gebilligt, dass sie für eine von 7.403 mehreren Schritten, Stufen oder Wellen einer gestreckten Betriebsänderung aufgestellt worden ist5. Ob dies auch gilt, wenn die Liste nur Teile der Belegschaft betrifft, weil sich Arbeitgeber und Betriebsrat abschließend und endgültig nur über einen Teil der zu entlassenden Beschäftigten einigen, ist eine andere Frage. Sie ist teilweise zu Recht bejaht worden6. Der Wortlaut enthält keine Einschränkung. Sinn und Zweck stehen nicht entgegen. Man wird allerdings verlangen müssen, dass der erfasste Teil nach sachgerechten Kriterien bestimmt worden ist (Beispiel: Gruppe der am wenigsten schutzwürdigen Beschäftigten; Eingrenzung auf bestimmte Betriebsteile oder Funktionen). Das BAG lehnt eine derartige TeilNamensliste gleichwohl ab7. Das LAG Niedersachsen hat an der Möglichkeit der Teil-Namensliste gleichwohl für den Fall festgehalten, dass der davon erfasste Bereich ordentlich abgrenzbar ist, dass die Sozialauswahl nicht beeinflusst werden kann, und dieser Bereich darüber hinaus wesentlich größer ist8. 1 Vgl. BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 86. 2 Vgl. ArbG Ludwigshafen v. 11.3.1997 – 1 Ca 3094/96, DB 1997, 1339; ArbG Hannover v. 23.7.1997 – 9 Ca 28/97, DB 1998, 208. 3 S. dazu BGH v. 24.9.1997 – XII ZR 234/95, NJW 1998, 58. 4 Vgl. Berscheid, MDR 1998, 816, 819; Hess, Insolvenzarbeitsrecht, § 125 InsO Rz. 10; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 125 InsO Rz. 40; Matthes, RdA 1999, 178; B. Preis, DB 1998, 1614, 1615. 5 Vgl. BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02, AP Nr. 1 zu § 112 BetrVG 1972 Namensliste; BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 86. 6 Vgl. LAG Köln v. 22.2.2007 – 6 Sa 974/06; Jaeger in FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV, 2006, S. 889, 896; Piehler, NZA 1998, 970 ff. 7 Vgl. BAG v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste. 8 Vgl. LAG Niedersachsen v. 7.5.2015 – 5 Sa 1321/14.

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7.404

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

d) Rechtsfolgen 7.404 § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO privilegiert den Interessenausgleich mit Namensliste in zweifacher Hinsicht. Nr. 1 sieht vor, dass das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse i.S. von § 1 Abs. 2 KSchG vermutet wird. Nr. 2 ordnet Erleichterungen im Hinblick auf die soziale Auswahl an. Dies setzt allerdings voraus, dass sich die Betriebsänderung und die Sozialauswahl aus dem Interessenausgleich oder dem Beklagtenvorbringen im Rechtsstreit ergeben müssen1. 7.405 aa) Die Vermutung des Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse gilt für alle im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG relevanten Gesichtspunkte und damit sowohl für den Wegfall der bisherigen als auch für das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit2. Die gesetzliche Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO ist eine solche i.S. von § 292 Satz 1 ZPO (§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG)3. Die Aufstellung der Vermutung bewirkt, dass der Arbeitnehmer nunmehr den Hauptbeweis dahingehend zu führen hat, dass entgegen der Vermutung keine Tatsachen vorliegen, auf Grund derer die betriebsbedingte Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO kann nur durch den Beweis des Gegenteils beseitigt werden4. Es genügt nicht, dass der Arbeitnehmer lediglich Tatsachen vorträgt, die die Vermutung erschüttern5. Der Arbeitnehmer muss darlegen und im Bestreitensfall beweisen, weshalb eine Beschäftigungsmöglichkeit trotz der Betriebsänderung vorhanden ist, wobei er seine Kenntnismöglichkeiten ausschöpfen muss6. Der Arbeitnehmer trägt abweichend von § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Beweislast dafür, dass die betriebsbedingte Kündigung nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist7. Zweifel an der Betriebsbedingtheit gehen zu Lasten des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer trägt – der Beweislast folgend – die uneingeschränkte und volle Darlegungslast. Die Vermutung der Betriebsbedingtheit (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO) ist nicht dadurch widerlegt, dass in dem Interessenausgleich ein Einsatz von Leiharbeitnehmern bis zur Grenze von 10 % der Belegschaft für einen Personalmehrbedarf aufgrund von Krankheits- und Urlaubszeiten gestattet ist8. 7.406 Die sich aus der Vermutungswirkung ergebende Beweis- und Darlegungslast ist im Kündigungsschutzprozess allein davon abhängig, dass der Tatbestand des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO vorliegt; das Gesetz knüpft die Rechtsfolge der Vermutung an die in § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO genannten Tatbestandsmerkmale an. Es ist ins1 Vgl. ArbG Mönchengladbach v. 23.7.2015 – 4 Ca 993/15, ZInsO 2015, 1928. 2 Vgl. BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste; B. Preis, DB 1998, 1614, 1616. 3 Vgl. Ascheid, RdA 1997, 333, 343; v. Hoyningen-Huene/Linck, DB 1997, 41, 45; Löwisch, NZA 1996, 1009, 1011; Moll, MDR 1997, 1038, 1039; Schiefer, DB 1998, 925, 927. 4 Vgl. BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, DB 2013, 880. 5 Vgl. LAG Hamm v. 6.7.2000 – 4 Sa 799/00. 6 Vgl. BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, DB 2013, 880. 7 Vgl. BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 536/97, DB 1998, 1768; LAG Köln v. 1.8.1997 – 11 Sa 355/97, DB 1997, 2181; LAG Düsseldorf v. 29.1.1998 – 5 (4) (3) Sa 1913/97, DB 1998, 1235; ArbG Kiel v. 5.9.1997 – 4 Ca 3376c/96, NZA-RR 1998, 67; ArbG Siegburg v. 17.7.1997 – 1 Ca 3510/96, MDR 1997, 1038; ArbG Wesel v. 28.5.1997 – 6 Ca 389/97, NZA-RR 1997, 341. 8 Vgl. BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 289/11, DB 2013, 180 = NZA-RR 2013, 68.

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Besonderheiten bei Betriebsänderungen: Personalabbau

7.407

besondere nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber die Betriebsbedingtheit der Kündigung im Kündigungsschutzprozess darlegt oder substantiiert zur Betriebsbedingtheit der Kündigung vorträgt1. Zum einen lässt die sich aus dem Gesetzeswortlaut ergebende Vermutungswirkung nicht zu, dass Interpretationen an § 292 Satz 1 ZPO (§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG) vorbei entwickelt werden. Zum anderen hat das Gesetz in der Tat eine Beschränkung des Kündigungsschutzes beabsichtigt, wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt2. Schließlich ist der Arbeitnehmer durchaus nicht so chancenlos, wie dies teilweise angenommen wird. Die Vermutungswirkung setzt voraus, dass die folgenden Tatbestandsmerkmale vorliegen: Betriebsänderung, Abschluss eines Interessenausgleichs, Aufnahme des Arbeitnehmers in die einen Bestandteil des Interessenausgleichs bildende Namensliste, Kündigung des Arbeitnehmers auf Grund der Betriebsänderung gemäß Interessenausgleich. Diese Ausgangstatsachen hat der Arbeitgeber darzulegen. Es ist schwerlich vorstellbar, dass der Arbeitnehmer nicht ausreichend Klarheit über die die Betriebsbedingtheit ausmachenden Sachverhalte hat, nachdem der Arbeitgeber den Inhalt der Betriebsänderung und die Kausalität der Betriebsänderung für die Kündigung vorgetragen hat3. Das Ausmaß der diesbezüglichen Konkretisierung und Substantiierung durch den Arbeitgeber ist entsprechend allgemeinen prozessualen Grundsätzen von der Einlassung des Arbeitnehmers abhängig4. bb) Die soziale Auswahl kann nur im Hinblick auf die drei im Gesetz genannten 7.407 Merkmale überprüft werden (Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten). Ein Teil des Schrifttums geht davon aus, dass es dem Insolvenzverwalter nicht (mehr) gestattet sei, andere Kriterien als die drei im Gesetz genannten heranzuziehen5. Dies ist abzulehnen. Das Gesetz gibt einen Prüfungsmaßstab für das Arbeitsgericht vor; es statuiert, dass die Gesichtspunkte Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten ausreichend berücksichtigt werden und dass das Arbeitsgericht nur die Einhaltung dieser Gesichtspunkte überprüft. Dies schließt nicht aus, dass auch andere mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehende Gesichtspunkte in die Abwägung einbezogen werden, solange und soweit den drei genannten Kriterien angemessen Rechnung getragen ist6. Dem Arbeitgeber ist daher die Einbeziehung anderer Gesichtspunkte nicht verwehrt; ihn trifft dabei jedoch das Risiko, dass er die drei gesetzlich genannten 1 S. aber demgegenüber LAG Düsseldorf v. 4.3.1998 – 12 (17) Sa 2125/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 3; ArbG Bonn v. 5.2.1997 – 2 Ca 3268/96, DB 1997, 1517; ArbG Senftenberg v. 5.2.1998 – 3 Ca 2923/97, NZA-RR 1998, 299; Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2010, § 125 InsO Rz. 40 ff. 2 Vgl. Bundesministerium der Justiz, Diskussionsentwurf. Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts. Entwurf einer Insolvenzordnung (EInsO) und anderer Reformvorschriften, 1988, S. B 97; Bundesministerium der Justiz, Referentenentwurf. Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts, 1998, S. 120; BT-Drucks. 12/2443, S. 71, 149. 3 Vgl. Moll, MDR 1997, 1038, 1039. S. aber kritisch Richardi, NZA 1999, 617, 618. 4 Vgl. B. Preis, DB 1998, 1614, 1618. 5 Vgl. Lakies, RdA 1997, 145, 150; Pauli, MDR 1997, 513, 523; Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2010, § 125 InsO Rz. 55. 6 S. zur Diskussion insbesondere Bader, NZA 1996, 1125, 1127; Berkowsky, NZI 1999, 129, 133; Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 183; v. Hoyningen-Huene/Linck, DB 1997, 41, 42; Löwisch, NZA 1996, 1009, 1010; Lorenz, DB 1996, 1973; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 125 InsO Rz. 58; U. Preis, NJW 1996, 3369, 3370.

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7.408

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

Kriterien angemessen berücksichtigt. Eine Berücksichtigung anderweitiger Gesichtspunkte erscheint insbesondere im Hinblick auf die Schwerbehinderteneigenschaft und den damit zusammenhängenden Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX erforderlich und erwägenswert1; dies gilt jedenfalls dann, wenn man dem Arbeitgeber nicht generell gestattet, die Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz aus der Sozialauswahl herauszunehmen2, auch wenn es sich nicht um „Unkündbarkeit“ handelt, sondern lediglich wie bei Schwerbehinderten Verfahrensvoraussetzungen bzw. Zustimmungserfordernisse zu berücksichtigen sind. 7.408 Die soziale Auswahl der in der Namensliste genannten Arbeitnehmer kann gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Dies gilt nach dem Gesetzeswortlaut ohne weiteres im Hinblick auf die Gewichtung der drei im Gesetz genannten Auswahlkriterien. 7.409 Die Sozialauswahl ist grob fehlerhaft, wenn eine evidente, ins Auge springende erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG vorliegt und der Interessenausgleich jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt. Dabei muss sich die getroffene Auswahl gerade mit Blick auf den klagenden Arbeitnehmer im Ergebnis als grob fehlerhaft erweisen. Nicht entscheidend ist, dass das gewählte Auswahlverfahren als solches Anlass zu Beanstandungen gibt3. 7.410 Die Begrenzung der arbeitsgerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit auf den Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit wirft die Frage auf, ob die Einschränkung der gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit nur auf den Auswahlvorgang anhand der im Gesetz genannten Sozialauswahlkriterien anwendbar ist oder ob alle Aspekte des Sozialauswahlvorgangs – Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer, Bestimmung der betriebswichtigen Arbeitnehmer, Auswahl anhand der drei im Gesetz genannten Kriterien erfasst werden4. Das Bundesarbeitsgericht hat sich für eine Erstreckung des Maßstabs der groben Fehlerhaftigkeit auf den gesamten Sozialauswahlvorgang mit allen drei Prüfungsschritten entschieden5. Dies gilt auch 1 Vgl. Bader, NZA 1996, 1125, 1127; Düwell, DB 2003, 1574 ff.; v. Hoyningen-Huene/ Linck, DB 1997, 41, 42; Löwisch, NZA 1996, 1009, 1010. 2 S. etwa LAG Hamm v. 23.3.2000 – 4 Sa 510/99, ZInsO 2001, 336 = EWiR 2001, 125 (Herausnahme von Erziehungsurlaubern und Wahlbewerbern); LAG Hamm v. 6.7.2000 – 4 Sa 233/00, ZInsO 2001, 336 (der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, zur Ermöglichung der Sozialauswahl eine Behördenzustimmung einzuholen). 3 Vgl. BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 86. 4 S. zur Diskussion etwa Ascheid, RdA 1997, 333, 343; Giesen, ZfA 1997, 145, 174; Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und Insolvenz, Rz. 285; Moll, MDR 1997, 1038, 1039; Neef, NZA 1997, 65, 69; U. Preis, NJW 1996, 3369, 3372; Schiefer, DB 1997, 1518, 1520; Stahlhacke/ Preis, WiB 1996, 1025, 1032; Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2010, § 125 InsO Rz. 64 ff. 5 Vgl. BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 536/97, DB 1998, 1768; BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 706/00, DB 2002, 2277; BAG v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, DB 2004, 604; BAG v. 21.7.2005 – 6 AZR 592/04, DB 2006, 400; BAG v. 21.9.2006 – 2 AZR 760/05, DB 2007, 1141; BAG v. 19.6.2007 – 2 AZR 304/06, BB 2008, 224. So auch bereits LAG Köln v. 1.8.1997 – 11 Sa 355/97, DB 1997, 2181; ArbG Kiel v. 5.9.1997 – 4 Ca 3376c/96, NZA-RR 1998, 67; ArbG Siegburg v. 17.7.1997 – 1 Ca 3510/96, MDR 1997, 1038. Anders demgegenüber LAG Düsseldorf v. 4.3.1998 – 12 (17) Sa 2125/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 3; LAG Düsseldorf v. 24.3.1998 – 3 Sa 1926/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 6; ArbG Bonn v. 5.2.1997 – 2 Ca 3268/96, DB 1997, 1517.

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7.412

im Hinblick auf die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse zur Bestimmung der für die Sozialauswahl maßgeblichen betrieblichen Organisationseinheit: Den Betriebsparteien ist auch insoweit bei der Beurteilung ein weiter Spielraum eingeräumt, der nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen ist1. Die Einschätzungsprärogative der Betriebsparteien besteht beispielsweise ebenso bezüglich des auswahlrelevanten Personenkreises hinsichtlich der tatsächlichen Austauschbarkeit und der zumutbaren Dauer der Einarbeitungszeit. Eine Beschränkung der Vergleichbarkeit auf solche Arbeitnehmer, die ohne jegliche Einarbeitungszeit sofort austauschbar sind, hat das Bundesarbeitsgericht in der Regel als grob fehlerhaft angesehen2. Grobe Fehlerhaftigkeit liegt bei einem ins Auge springenden, schweren Fehler 7.411 vor, etwa, wenn ein soziales Grunddatum überhaupt nicht beachtet oder in seinem Gewicht grob vernachlässigt worden ist, d.h. eines der drei Sozialdaten überhaupt nicht berücksichtigt oder ihm ein völlig ungenügendes Gewicht oder eine überhöhte Bewertung beigemessen worden bzw. die Gewichtung der Sozialkriterien jede Ausgewogenheit vermissen lässt3. Der Auswahl der Betriebspartner kommt eine erhebliche Präferenz zu. Eine Sozialauswahl, der eine Verkennung des Betriebsbegriffs zugrunde liegt, ist nicht stets als grob fehlerhaft anzusehen. Die Sozialauswahl ist vielmehr nur dann grob fehlerhaft, wenn im Interessenausgleich der Betriebsbegriff selbst grob verkannt worden ist, seine Fehlerhaftigkeit also „ins Auge springt“. Auch bei Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste in der Insolvenz nach § 125 InsO können die Betriebsparteien den Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer über die Definition des Betriebsbegriffs im Interessenausgleich nicht enger oder weiter ziehen, als es das Kündigungsschutzgesetz in seiner Auslegung durch das Bundesarbeitsgericht zulässt. Die gesetzlichen Grundbedingungen der Sozialauswahl stehen nicht zur Disposition der Betriebspartner4. Die § 125 InsO zugrunde liegende Sozialauswahl kann sich bei der Berücksichtigung von Unterhaltspflichten gegenüber Kindern auf diejenigen beschränken, die aus der Lohnsteuerkarte entnommen werden können. Dagegen darf bei der einem solchen Interessenausgleich zugrunde liegenden Sozialauswahl jedenfalls die Verpflichtung zur Gewährung von Familienunterhalt an den mit dem Arbeitnehmer in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten gemäß § 1360 BGB nicht gänzlich außer Betracht bleiben5. Die Erhaltung oder Schaffung (!) einer ausgewogenen Personalstruktur ist bei der 7.412 Prüfung der Sozialauswahl anzuerkennen, d.h. die Sozialauswahl kann nicht deshalb als grob fehlerhaft angesehen werden, weil diesem Personalstrukturgesichts1 Vgl. BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, DB 2014, 781. 2 Vgl. BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, DB 2014, 781. 3 Vgl. BAG v. 21.1.1999 – 2 AZR 624/98, DB 1999, 1862 = EWiR 2000, 245 (Grimm); BAG v. 2.12.1999 – 2 AZR 757/98, DB 2000, 1338; BAG v. 21.7.2005 – 6 AZR 592/04, NZA 2006, 162, 165; BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 405/06, DB 2008, 1688; LAG Düsseldorf v. 29.1.1998 – 5 (4) (3) Sa 1913/97, DB 1998, 1235; Bader, NZA 1996, 1125, 1133; Berscheid in Kölner Schrift zur InsO, S. 1081, 1115; Hessisches LAG v. 24.6.1999 – 3 Sa 1278/98, DB 1999, 2575; LAG Hamm v. 6.7.2000 – 799/00, ZInsO 2000, 569 (Ehemänner nicht berücksichtigt als Unterhaltsberechtigte: Nachtragen der Punkte). 4 Vgl. BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 483/11, NZA 2013, 94. 5 Vgl. BAG v. 28.6.2012 – 6 AZR 682/10, AP Nr. 9 zu § 125 InsO.

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punkt Rechnung getragen worden ist. Personalstruktur ist nicht auf Altersstruktur beschränkt1. Soweit es um die Erhaltung („Sicherung“ in § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG) einer ausgewogenen Personalstruktur geht, muss die konkrete Altersgruppenbildung dazu geeignet sein. Sind mehrere Gruppen vergleichbarer Arbeitnehmer von den Entlassungen betroffen, ist dies nur der Fall, wenn auch innerhalb der jeweiligen Vergleichsgruppe eine proportionale Berücksichtigung der Altersgruppen an den Entlassungen möglich ist2. Die durch § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO im Insolvenzverfahren eröffnete Möglichkeit der Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur durch Bildung von Arbeitsgruppen stellt keinen Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung dar. Sie ist durch das legitime Ziel der Sanierung eines insolventen Unternehmens gerechtfertigt. Die Arbeitsgerichte haben aber zu prüfen, ob die Altersgruppenbildung im konkreten Interessenausgleich gemäß § 10 AGG gerechtfertigt ist3. Der Personalstrukturaspekt kann beispielsweise eine Beschränkung der Sozialauswahl auf jeweilige Abteilungen bei nicht ausgebildeten Beschäftigten begründen. 7.413 Es kann insbesondere eine auf Altersgruppen bezogene Sozialauswahl im Rahmen der vergleichbaren Arbeitnehmer (Berufsgruppen) stattfinden4. 7.414 Der Arbeitgeber kann zur Erhaltung einer bestimmten Personalstruktur innerhalb des in Betracht kommenden Personenkreises abstrakte Gruppen mit unterschiedlichen Strukturmerkmalen bilden und für jede Gruppe eine dem Belegschaftsanteil entsprechende Prozentzahl an Kündigungen vorsehen. Innerhalb der Gruppen ist dann die Sozialauswahl vorzunehmen. Die Altersgruppen werden anteilsmäßig, prozentual mit dem Abbau von Arbeitskräften belastet. Die Kündigungen sind proportional auf die Altersgruppen zu verteilen5. Die Verteilung kann (auch) anders gewichtet werden, wenn eine Strukturverbesserung beabsichtigt ist. Die Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur bedeutet, dass das Verhältnis der älteren zu den jüngeren Mitarbeitern in etwa gleich bleibt. 7.415 Beispiele für Altersgruppen: Fünf Altersgruppen (bis 30 Jahre, bis 40 Jahre, bis 50 Jahre, bis 60 Jahre, über 60 Jahre6; bis 25 Jahre, bis 35 Jahre, bis 45 Jahre, bis 55 Jahre, älter als 55 Jahre7). Drei Altersgruppen (bis 40 Jahre, bis 50 Jahre, über 50 Jahre8; 30–40 Jahre, 41–50 Jahre, 51–60 Jahre9). Andere bekannte Altersgruppenbildungen sind etwa: bis 20 Jahre, bis 30 Jahre, bis 40 Jahre, bis 50 Jahre, bis 1 2 3 4

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Vgl. BAG v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, DB 2004, 604. Vgl. BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, DB 2013, 182 = NZA 2013, 86. Vgl. BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, EzA § 125 InsO Nr. 12. S. dazu LAG Düsseldorf v. 17.3.2000 – 9 (6) Sa 84/00, DB 2000, 1572 = NZA-RR 2000, 421; LAG Hamm v. 5.6.2003 – 4 (16) Sa 1976/02, ZInsO 2003, 1060; Hessisches LAG v. 24.6.1999 – 3 Sa 1278/98, DB 1999, 2575; Ascheid, RdA 1997, 333, 338; Berscheid, Anwaltsblatt 1995, 8, 14; Küttner in FS 50 Jahre BAG, 2004, S. 409, 419 ff. Vgl. BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13, BB 2015, 1341. Vgl. Sächsisches LAG v. 5.1.2005 – 2 Sa 674/04, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 48; Bauer, NZA 2004, Sonderbeilage zu Heft 18, S. 38, 43. Vgl. BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, DB 2009, 626. Vgl. Hessisches LAG v. 24.6.1999 – 3 Sa 1278/98, NZA-RR 2000, 74. S. auch Küttner in FS 50 Jahre BAG, 2004, S. 409, 421. Vgl. BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 387/06, NZA 2008, 405.

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57 Jahre, über 57 Jahre1; 18–25 Jahre, 26–30 Jahre, 31–35 Jahre, 36–40 Jahre, 41–45 Jahre, 46–50 Jahre, 51–55 Jahre, älter als 55 Jahre2; bis 29 Jahre, 30–39 Jahre, 40–49 Jahre, 50–59 Jahre, ab 60 Jahre3. Das Verbot der Altersdiskriminierung steht der Altersgruppenbildung nicht entgegen; diese ist nach § 10 Sätze 1 und 2 AGG gerechtfertigt4. Dem Arbeitgeber bzw. den Betriebsparteien steht bei der Gruppenbildung und der 7.416 Strukturentscheidung ein Beurteilungsspielraum zu, der nur darauf überprüfbar ist, ob die Gruppenbildung nach unsachlichen Gesichtspunkten erfolgte und nicht zielgerichtet zur Kündigung einzelner unliebsamer Arbeitnehmer vorgenommen wurde5. Bei der Bildung von Altersgruppen wird eine bestimmte Staffelung durch das Gesetz nicht vorgeschrieben. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO ändert an der Beweislast nichts. Es bleibt bei den 7.417 von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der abgestuften Darlegungslast im Zusammenhang mit der Sozialauswahl6. Die Beschränkung des Prüfungsmaßstabs auf grobe Fehlerhaftigkeit besagt über die Beweislast und die dieser folgenden Darlegungslast nichts, ebenso wie umgekehrt die Vermutungsregelung in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO allein prozessualer Natur ist und den materiellrechtlichen Tatbestand der Betriebsbedingtheit des § 1 Abs. 2 KSchG nicht berührt. Die Darlegungslast für die Sozialauswahl liegt zunächst beim Arbeitnehmer. Sie geht auf den Arbeitgeber über, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage ist, substantiiert zu der getroffenen Sozialauswahl Stellung zu nehmen und entsprechende Auskunft vom Arbeitgeber verlangt. Die Darlegungslast geht wieder auf den Arbeitnehmer über, wenn der Arbeitgeber Angaben darüber gemacht hat, welche Arbeitnehmer er in die Sozialauswahl einbezogen hat, welche Umstände er berücksichtigt hat und welche Maßstäbe er seinen Abwägungen zugrunde gelegt hat. Der Arbeitnehmer muss nunmehr darlegen, welche Arbeitnehmer statt seiner Adressaten der Kündigung sein mögen. e) Änderung der Sachlage Die Vermutung der Betriebsbedingtheit und die Beschränkung des Überprüfungs- 7.418 maßstabs bei der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat (§ 125 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die an eine Änderung der Sachlage zu stellenden Anforderungen werden ver- 7.419 breitet als eine mit der Geschäftsgrundlage vergleichbare Konstellation beschrie-

1 Vgl. BAG v. 23.11.2000 – 2 AZR 533/99, AP Nr. 114 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 2 Vgl. LAG Düsseldorf v. 17.3.2000 – 9 (6) Sa 84/00, NZA-RR 2000, 421. S. auch Küttner in FS 50 Jahre BAG, 2004, S. 409, 420. 3 Vgl. BAG v. 19.6.2007 – 2 AZR 304/06, NZA 2008, 103. 4 Vgl. BAG v. 19.6.2007 – 2 AZR 304/06, NZA 2008, 103; BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 387/06, NZA 2008, 405; BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, DB 2009, 626. 5 Vgl. LAG Hamm v. 5.6.2003 – 4 (16) Sa 1876/02, NZA-RR 2004, 132. 6 S. dazu etwa BAG v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88; DB 1989, 485.

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ben1. „Wesentlich“ ist die Änderung der Sachlage dann, wenn nicht ernsthaft bezweifelt werden kann, dass beide Betriebsparteien oder eine von ihnen den Interessenausgleich in Kenntnis der späteren Änderung nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten2. Typische Fälle sind etwa: Eine geplante Betriebsstilllegung wird nicht durchgeführt, nachdem ein Erwerber den Betrieb übernimmt; die betriebliche Planung wird grundlegend geändert, was dazu führt, dass entweder keine oder wesentlich weniger Mitarbeiter als ursprünglich geplant entlassen werden3. Änderungen in Einzelfällen können demgegenüber nicht als eine wesentliche Änderung der Sachlage angesehen werden4. Ein Arbeitnehmer kann allerdings möglicherweise eine Änderung von Einzelfallumständen als Ansatzpunkt für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung der Betriebsbedingtheit heranziehen. Eine „Rangfolge“ unter den in der Namensliste enthaltenen Arbeitnehmern gibt es nicht. Es erscheint auch fraglich, ob derartige Rangfolgen mit Tabellenplätzen in dem Interessenausgleich aufgestellt werden können5. Die Vermutungswirkungen des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO bleiben erhalten, solange keine wesentliche Änderung der Sachlage eingetreten ist. Das Ausscheiden einzelner Arbeitnehmer und damit eine Änderung in Einzelfällen berührt die Vermutung bei keinem der in der Namensliste enthaltenen Arbeitnehmer. Es ist angesichts dessen weder notwendig noch zweckmäßig, eine Rangfolge der zu entlassenden Arbeitnehmer mit Tabellenplätzen in dem Interessenausgleich aufzustellen. Es mag, wenn die Betriebsparteien sich einer derartigen Prozedur unterziehen, möglich sein, dass vorsorgliche Regelungen für den Fall sich ändernder Einzelner oder auch grundlegender Umstände getroffen werden. Angesichts der Komplexität künftiger Entwicklungen und kündigungsbezogener Entscheidungen wird dies allerdings eher eine Ausnahme sein (können). 7.420 Die Änderung der Sachlage muss nach dem Zustandekommen des Interessenausgleichs eingetreten sein. Es muss sich zudem um eine Änderung handeln, die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetreten ist6. Eine Anwendung des Änderungsvorbehalts auch noch nach Ausspruch der Kündigung würde § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO gerade in besonders wichtigen Fällen gegenstandslos machen. Der Gesetzeszweck der Beschleunigung und Vereinfachung würde vereitelt. Es würde insbesondere verhindert, dass Fortsetzung oder Veräußerung von Betrieben nicht auf Grund der allgemeinen kündigungsrechtlichen Probleme erschwert werden. Die problematischen und schwierigen Situationen sind oftmals diejenigen, in denen nach dem Ausspruch von Kündigungen ein Erwerber gefunden wird und es 1 Vgl. LAG Köln v. 1.8.1997 – 11 Sa 355/97, DB 1997, 2181; Bader, NZA 1996, 1125, 1133; Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 208. 2 Vgl. LAG Hamm v. 25.11.2004 – 4 Sa 1120/63, LAGE § 125 InsO Nr. 5. 3 Vgl. LAG Köln v. 1.8.1997 – 11 Sa 355/97, DB 1998, 2183; LAG Schleswig-Holstein v. 22.4.1998 – 2 Sa 556/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 5; Bader, NZA 1996, 1125, 1133; Löwisch, NZA 1996, 1009, 1012; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 125 InsO Rz. 90. 4 Vgl. U. Preis, DB 1998, 1614, 1617. 5 So aber Giesen, ZIP 1998, 46, 49; Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und Insolvenz, Rz. 366. 6 Vgl. LAG Hamm v. 23.3.2000 – 4 Sa 1554/99; Hessisches LAG v. 16.3.2000 – 14 Sa 1790/98; LAG Köln v. 13.10.2004 – 7 (5) Sa 273/04, ZIP 2005, 1090; Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 208 ff.; Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und Insolvenz, Rz. 369; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 125 InsO Rz. 92. S. aber demgegenüber Schrader, NZA 1997, 70, 75; Zwanziger, BB 1997, 626, 628.

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dann darum geht zu entscheiden, ob im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ein für die Kündigung ausreichender Stilllegungsentschluss vorgelegen hat oder ob die Kündigung wegen des Betriebsübergangs erfolgt ist1. Die betroffenen Arbeitnehmer sind im Falle einer Beschränkung des § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO auf den Zeitraum zwischen Zustandekommen des Interessenausgleichs und Ausspruch der Kündigung nicht rechtlos gestellt, falls es zu einer Änderung der Sachlage kommt. Ein Arbeitnehmer kann unabhängig von der Wirksamkeit der Kündigung einen Wiedereinstellungsanspruch haben, wenn sich nach Ausspruch der Kündigung herausstellt, dass auf Grund geänderter Planungen oder Umstände Maßnahmen nicht realisiert werden, die dem Kündigungsgrund zugrunde gelegen haben (Rz. 3.89 ff.)2. f) Massenentlassung § 125 Abs. 2 InsO enthält eine Erleichterung für den Fall anzeigepflichtiger Mas- 7.421 senentlassungen. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG sieht bei anzeigepflichtigen Massenentlassungen vor, dass die Anzeige unter Beifügung einer Stellungnahme des Betriebsrats vorzunehmen ist. Dies ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Anzeige3. Der Arbeitgeber kann auf Grund § 125 Abs. 2 InsO seiner Pflicht nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG dadurch genüge tun, dass er den Interessenausgleich mit Namensliste der Anzeige beifügt und der Agentur für Arbeit übermittelt4. g) Betriebsratsanhörung Die Aufstellung eines Interessenausgleichs mit Namensliste lässt das Anhö- 7.422 rungserfordernis nach § 102 Abs. 1 BetrVG unberührt5. Die Betriebsratsanhörung wird allerdings bei praktisch sinnvollem Vorgehen, wenn sie nicht sogar in dem Interessenausgleich ausdrücklich vorgenommen wird, tatsächlich mit den Verhandlungen über den Interessenausgleich mit Namensliste zusammenfallen und auf diesen Bezug nehmen6. Die Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG kann im Zuge der Verhandlungen über den Interessenausgleich vorgenommen oder in 1 S. dazu etwa BAG v. 28.4.1988 – 2 AZR 623/87, AP Nr. 74 zu § 613a BGB; BAG v. 10.10. 1996 – 2 AZR 477/95, AP Nr. 81 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 2 Vgl. BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = DB 1997, 1414; BAG v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = DB 1998, 423; BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = DB 1998, 1087. 3 Vgl. Moll in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 17 KSchG Rz. 111; Weigand in Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz, 10. Aufl. 2013, § 17 KSchG Rz. 91. 4 Vgl. Bader, NZA 1996, 1125, 1133. 5 Vgl. BAG v. 20.5.1999 – 2 AZR 532/99, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste = DB 2000, 149; LAG Düsseldorf v. 9.10.1997 – 13 Sa 996/97; LAG Düsseldorf v. 24.3.1998 – 3 Sa 1926/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 6; LAG Düsseldorf v. 21.4.1998 – 3 (11) (18) Sa 1968/97, LAGE § 102 BetrVG Nr. 69; LAG Hamm v. 7.2.2001 – 2 Sa 200/00, ZInsO 2001, 678; Berscheid, MDR 1998, 942, 943; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 125 InsO Rz. 95. S. aber auch Giesen, ZfA 1997, 145, 175; Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und Insolvenz, Rz. 405; Rinke, NZA 1998, 77, 86; Schiefer, DB 1998, 925, 926; Schrader, NZA 1997, 70, 75; Warrikoff, BB 1994, 2338, 2342. 6 Vgl. B. Preis, DB 1998, 1614, 1618.

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den Interessenausgleich aufgenommen werden1. Den praktischen Bedürfnissen ist damit Rechnung getragen. Der Sinn und Zweck von § 102 Abs. 1 BetrVG ist gleichzeitig uneingeschränkt gewahrt. 4. Beschlussverfahren statt Interessenausgleich a) Anwendungsbereich 7.423 Das Gesetz gibt dem Insolvenzverwalter eine Alternative zur Vereinbarung eines Interessenausgleichs mit Namensliste an die Hand, wenn entweder der Betrieb keinen Betriebsrat hat oder aber aus anderen Gründen innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder Aufforderung zu Verhandlungen ein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zu Stande kommt. Der Insolvenzverwalter kann dann beim Arbeitsgericht beantragen festzustellen, dass die Kündigung bestimmter, im Antrag bezeichneter Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist (§ 126 Abs. 1 Satz 1 InsO). 7.424 § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO enthält zwei Alternativen. Zum einen kann ein Betriebsrat fehlen. Zum anderen kann ein Interessenausgleich i.S. des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO aus anderen Gründen nicht zu Stande gekommen sein. 7.425 Die Regelung gilt in folgenden Fällen: – In einem Unternehmen mit mindestens 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern wird eine Betriebsänderung i.S. des § 111 BetrVG durchgeführt, und Betriebsrat und Insolvenzverwalter können sich über einen Interessenausgleich mit Namensliste nicht einigen. – Die Regelung gilt auch, wenn die Unternehmensgröße des § 111 BetrVG erreicht ist und eine Betriebsänderung i.S. des § 111 BetrVG durchgeführt wird, jedoch ein Betriebsrat nicht vorhanden ist und deshalb ein Interessenausgleich mit Namensliste nicht abgeschlossen werden kann. 7.426 § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO gilt demgegenüber nicht, wenn es sich um einen Betrieb unterhalb der Größenordnung des § 111 BetrVG handelt2. Die Regelung gilt auch nicht, wenn keine Betriebsänderung i.S. von § 111 BetrVG vorliegt3. b) Antragsvoraussetzungen und Entscheidungsgegenstand 7.427 Der Antrag setzt – über das Nichtzustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste hinaus – voraus, dass der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet worden ist und dass der Insolvenzverwalter mit dem Betriebsrat verhandelt hat oder ihn zumindest schriftlich zur Aufnahme von Verhandlungen aufgefordert hat. Auslöser für die Drei-Wochen-Frist ist somit – die Erfüllung des Unterrichtungserfordernisses unterstellt – entweder die Aufforderung zur 1 Vgl. BAG v. 20.5.1999 – 2 AZR 532/99, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste = DB 2000, 149; LAG Düsseldorf v. 9.10.1997 – 13 Sa 996/97; LAG Hamm v. 7.2.2001 – 2 Sa 200/00, ZInsO 2001, 678; ArbG Wesel v. 28.5.1997 – 6 Ca 389/97, NZA-RR 1997, 341. 2 S. dazu Friese, ZInsO 2001, 350; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 126 InsO Rz. 11; jew. m.w.N. 3 S. dazu Friese, ZInsO 2001, 350, 351; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 126 InsO Rz. 11; jew. m.w.N.

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Besonderheiten bei Betriebsänderungen: Personalabbau

7.431

Aufnahme der Verhandlungen oder die Aufnahme der Verhandlungen. Ist kein Betriebsrat vorhanden, ist der Antrag sofort zulässig. Der Antrag des Insolvenzverwalters geht dahin, dass die Kündigung bestimmter 7.428 Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist. Die Angaben des Insolvenzverwalters in dem Antrag müssen dem Bestimmtheitserfordernis entsprechen. Die Arbeitnehmer müssen hinreichend individualisierbar sein. Der Antrag des Insolvenzverwalters kann sich sowohl auf bereits erfolgte wie 7.429 auch auf geplante Kündigungen beziehen1. Der Insolvenzverwalter kann Kündigungen vor Einleitung des Beschlussverfahrens und während der Dauer des Beschlussverfahrens aussprechen, d.h. das Beschlussverfahren ist noch im Hinblick auf solche Arbeitnehmer möglich, denen bereits gekündigt worden ist2. Das Arbeitsgericht weist den Antrag als unzulässig ab, wenn es an den Antrags- 7.430 voraussetzungen (Nichtzustandekommen eines Interessenausgleichs, Unterrichtung des Betriebsrats, Verhandlungen oder Aufforderung zu Verhandlungen, Fristablauf) fehlt. Das Arbeitsgericht entscheidet in der Sache darüber, ob die Kündigungen der von dem Insolvenzverwalter benannten Arbeitnehmer sozial gerechtfertigt sind. Das Arbeitsgericht kann diese Feststellungen für alle von dem Insolvenzverwalter genannten Arbeitnehmer oder nur für einige von diesen treffen, so dass das Beschlussverfahren für verschiedene Arbeitnehmer unterschiedlich ausgehen kann3. Das Arbeitsgericht prüft das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse i.S. 7.431 von § 1 Abs. 2 KSchG. Der Insolvenzverwalter hat im Hinblick auf die ihn treffende Vortragslast seinen Antrag hinreichend zu substantiieren. Er hat angesichts von § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die betriebsbedingten Gründe darzulegen4. Das Arbeitsgericht entscheidet nicht nur über das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse i.S. von § 1 Abs. 2 KSchG. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts umfasst auch die Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG). § 126 Abs. 1 Satz 2 InsO sieht dazu vor, dass die Sozialauswahl nur im Hinblick auf die Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten überprüft werden kann. Die Überprüfung der Sozialauswahl durch das Arbeitsgericht ist nicht auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt. § 126 Abs. 1 Satz 2 InsO erwähnt anders als § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO nicht den Aspekt der Personalstruktur. Dieser ist jedoch auf Grund des allgemeinen Kündigungsschutzrechts (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG) im Rahmen der Sozialauswahlprüfung zu beachten (Rz. 2.305). Die für die soziale Auswahl relevanten Tatsachen sind im Rahmen des für das Beschlussverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes nach den Grundsätzen und Regeln vorzutragen, die im Rahmen von § 1 Abs. 3 KSchG entwickelt worden sind5. 1 Vgl. BAG v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, AP Nr. 2 zu § 126 InsO = DB 2000, 2021; Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 264; Lohkemper, KTS 1996, 1, 15; Schrader, NZA 1997, 70, 77; Warrikoff, BB 1994, 2338, 2343; Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2010, § 126 InsO Rz. 4, 49. 2 Vgl. BAG v. 29.6.2000 – 8 AZR 44/99, AP Nr. 2 zu § 126 InsO = DB 2000, 2021. 3 Vgl. BAG v. 29.6.2000 – 8 AZR 44/99, AP Nr. 2 zu § 126 InsO = DB 2000, 2021. 4 Vgl. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 256; Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und Insolvenz, Rz. 386; Kania, DStR 1996, 832, 835; Lakies, RdA 1997, 145, 152 ff. 5 S. dazu Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 126 InsO Rz. 31 m.w.N.

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7.432

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

7.432 § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO bezieht sich allein auf die Frage der sozialen Rechtfertigung der Kündigung. Das Arbeitsgericht entscheidet nicht über andere Gesichtspunkte, von denen die (Un-)Wirksamkeit der Kündigung abhängt. Es hat jedoch die Kündigungsbefugnis der die Kündigung aussprechenden Person zu überprüfen1. 7.433 Die Sachverhaltsermittlung unterliegt dem Untersuchungsgrundsatz (§ 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Den Beteiligten obliegt eine Mitwirkungspflicht (§ 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG). Jeder Beteiligte muss soviel vortragen, dass das Arbeitsgericht ausreichend Anlass hat, den Sachverhalt im Hinblick auf die von den Beteiligten beigebrachten Tatsachen aufzuklären. Das Beschlussverfahren kennt zwar keine Darlegungslast im zivilprozessualen Sinne. Der Antragsteller trägt jedoch die Gefahr, dass sein Antrag mangels erforderlicher Sachverhaltsaufbereitung zurückgewiesen wird. c) Rechtswirkungen 7.434 Die Wirkungen einer Entscheidung des Arbeitsgerichts ergeben sich aus § 127 Abs. 1 InsO. Die Entscheidung nach § 126 Abs. 1 InsO ist für den Kündigungsschutzrechtsstreit des Arbeitnehmers gegen den Insolvenzverwalter bindend (§ 127 Abs. 1 Satz 1 InsO). Eine Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers ist mithin unbegründet, wenn in dem Beschlussverfahren nach § 126 InsO die vom Insolvenzverwalter begehrte Feststellung erfolgt ist. Die Wirkungen einer Abweisung des Antrags nach § 126 Abs. 1 InsO sind umstritten. Der Gesetzeswortlaut scheint, sofern es sich nicht um eine bloße Abweisung als unzulässig handelt, anzuordnen, dass das Beschlussverfahren auch zu Gunsten der Arbeitnehmer wirkt2. Eine Bindungswirkung auch des abweisenden Beschlusses des Arbeitsgerichts nach § 126 InsO stünde indes in diametralem Gegensatz zum Normzweck. Der Gesetzgeber hat beabsichtigt, dem Insolvenzverwalter ein kollektives Verfahren zur Klärung von Kündigungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, um die Rechtfertigung von Kündigungen einfach und einheitlich feststellen zu lassen. Diesem Sinn und Zweck entspricht es, dass ein Scheitern des Antrags des Insolvenzverwalters lediglich bewirkt, dass er nicht in den Genuss der Bindungswirkung im Anschluss an das Beschlussverfahren kommt, die Stellung im Kündigungsschutzverfahren jedoch ansonsten nicht verschlechtert wird3. Der Kündigungsrechtsstreit wird in diesem Falle nach allgemeinen Grundsätzen geführt, ohne dass Bindungs- oder Vermutungswirkungen eingreifen. 7.435 Die Bindungswirkung des § 127 Abs. 1 Satz 1 InsO wird nur dann und solange relevant, wie der Kündigungsrechtsstreit noch nicht abgeschlossen ist. Ist das Kündigungsschutzverfahren bereits abgeschlossen, lässt sich aus § 126 Abs. 1 InsO nichts mehr herleiten. Das Gesetz sieht, um die Wirkungen des Beschlussverfahrens nach § 126 InsO möglichst weitgehend zu sichern, in § 127 Abs. 2 InsO vor, 1 Vgl. BAG v. 29.6.2000 – 8 AZR 44/99, AP Nr. 2 zu § 126 InsO = DB 2000, 2021 (Kündigung durch vorläufigen Insolvenzverwalter vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens). 2 Vgl. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 270; Lakies, RdA 1997, 145, 154; Löwisch, RdA 1997, 80, 85; Eisenbeis in Frankfurter Kommentar zur InsO, 7. Aufl. 2013, § 127 InsO Rz. 4. 3 Vgl. Grunsky in FS Lüke, 1997, S. 191, 195; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 127 InsO Rz. 22.

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Besonderheiten bei Betriebsänderungen: Personalabbau

7.438

dass der Insolvenzverwalter in dem Kündigungsrechtsstreit die Aussetzung beantragen kann und das Arbeitsgericht den Kündigungsrechtsstreit auf Antrag des Insolvenzverwalters auszusetzen hat. Der Insolvenzverwalter kann allerdings auch nach oder trotz einer gegen ihn ausgefallenen Entscheidung in einem Kündigungsschutzverfahren das Verfahren nach § 126 Abs. 1 InsO im Hinblick auf eine erneute, weitere Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer durchführen. Dies wird durch die Rechtskraft des vorangegangenen Kündigungsschutzrechtsstreits nicht präkludiert. d) Änderung der Sachlage Die Bindungswirkung gilt nach § 127 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht, soweit sich die 7.436 Sachlage nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung wesentlich verändert hat. Dies entspricht § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO. Die Norm bezieht sich auf diejenigen Fälle, in denen die Kündigung nach Abschluss des Beschlussverfahrens erklärt wird und in der Zwischenzeit zwischen Abschluss des Beschlussverfahrens und Kündigungserklärung Änderungen eintreten. Diese Änderungen lassen, wenn sie wesentlich sind, die Bindungswirkung der Entscheidung im Beschlussverfahren entfallen. Ein Fall des § 127 Abs. 1 Satz 2 InsO liegt demgegenüber nicht vor, wenn die Änderungen nach Beendigung des Beschlussverfahrens und auch nach Ausspruch der Kündigung eintreten, sei es, dass die Kündigung bereits vor Abschluss des Beschlussverfahrens ausgesprochen worden ist, sei es, dass die Änderung so spät eintritt, dass sie erst nach Erklärung einer Kündigung nach Abschluss des Beschlussverfahrens aufgetreten ist. Die Änderung muss wesentlich sein. Es genügt dabei nicht, dass eine einzelne Kündigung möglicherweise anders zu beurteilen ist; dies würde dem Wesentlichkeitskriterium nicht gerecht. Typische Fälle einer wesentlichen Änderung sind etwa Betriebsübernahmen an Stelle von Betriebsstilllegungen1. e) Verhältnis zu anderen Vorschriften Das Beschlussverfahren des § 126 InsO kann unabhängig von dem des § 122 InsO 7.437 durchgeführt werden. Beide Verfahren bedingen sich nicht und schließen sich auch nicht aus. § 126 InsO ist nicht neben § 125 InsO anwendbar, weil § 126 InsO voraussetzt, 7.438 dass ein Interessenausgleich mit Namensliste nach § 125 InsO gerade nicht zu Stande gekommen ist. Es erscheint jedoch möglich, dass eine Interessenausgleichsregelung über einen Teil der Arbeitnehmer zu Stande kommt, während Betriebsrat und Insolvenzverwalter im Hinblick auf andere Arbeitnehmer keine Einigkeit erzielen können; im Hinblick auf diese Arbeitnehmer kann der Insolvenzverwalter dann das Verfahren nach § 126 InsO durchführen2. Ein späteres Beschlussverfahren nach § 126 InsO ist zulässig, wenn die Betriebspartner einen Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen haben und eine neue, weitere Betriebsänderung erfolgt, bezüglich derer ein Interessenausgleich mit Namensliste nicht zu Stande kommt3. 1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 5, 28, 71, 96; Schrader, NZA 1997, 70, 77. 2 Vgl. Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 126 InsO Rz. 41. 3 Vgl. BAG v. 20.1.2000 – 2 ABR 30/99, AP Nr. 1 zu § 126 InsO = DB 2000, 1822.

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7.439

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

f) Betriebsratsanhörung 7.439 Die Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG wird durch das Beschlussverfahren nach § 126 InsO nicht ersetzt. Dem Ausspruch der Kündigung hat unabhängig von § 126 InsO eine Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG vorauszugehen1. Der Insolvenzverwalter kann selbstverständlich, falls die Kündigung im Laufe oder nach Ende des Beschlussverfahrens ausgesprochen wird, im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 Abs. 1 BetrVG auf seine Darlegungen in dem Beschlussverfahren verweisen. g) Verfahren 7.440 § 126 Abs. 2 und 3 InsO beinhalten Verfahrensvorschriften. Das Gesetz ordnet das Verfahren nach § 126 InsO als Beschlussverfahren ein (§ 126 Abs. 2 Satz 1 InsO). Beteiligte sind der Insolvenzverwalter, der Betriebsrat und die betroffenen Arbeitnehmer. Ein Betriebserwerber kann nach § 128 Abs. 1 Satz 2 InsO als Beteiligter hinzukommen. Die Beteiligung von zur Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmern entfällt nur dann, wenn sie sich mit der Kündigung einverstanden erklärt haben (§ 126 Abs. 2 InsO). Das Einverständnis des Arbeitnehmers muss von einem solchen Inhalt und einer solchen Qualität sein, dass für den Insolvenzverwalter ausreichend gesichert ist, dass dieser Arbeitnehmer die Kündigung nicht mit einem Kündigungsschutzprozess zwecks Überprüfung der Sozialwidrigkeit angreifen kann. Der Arbeitnehmer, der sich mit der Kündigung einverstanden erklärt hat, kann sich in einem späteren Kündigungsschutzprozess nicht mehr auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung berufen. Die Einverständniserklärung stellt sich – mindestens – als Klageverzicht dar. 7.441 Das Rechtsmittelkonzept entspricht auf Grund Verweisung gemäß § 126 Abs. 2 Satz 2 InsO demjenigen des § 122 Abs. 3 InsO (Rz. 7.390). Die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht findet nicht statt. Die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht ist nur möglich, wenn sie in dem Beschluss des Arbeitsgerichts zugelassen wird. 5. Sozialplanregelungen gemäß §§ 123, 124 InsO a) Systematik 7.442 Das Gesetz entscheidet für die Behandlung von Sozialplänen zwischen drei Zeiträumen: Abschluss des Sozialplans nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 123 InsO); Abschluss des Sozialplans vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nicht früher als 3 Monate vor dem Eröffnungsantrag (§ 124 InsO); Sozialpläne aus früheren Zeiträumen (§ 120 InsO, Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund, Geschäftsgrundlagengrundsätze). 7.443 Sowohl § 123 Abs. 1 InsO als auch § 124 Abs. 1 InsO beziehen sich auf Sozialpläne, die Entlassungen betreffen. Sozialplanregelungen für nicht entlassene Arbeitnehmer fallen nicht unter die §§ 123, 124 InsO2. Die Regelungen der §§ 123, 124 1 Vgl. Schrader, NZA 1997, 70, 76; Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2010, § 126 InsO Rz. 54. 2 S. zu dieser Diskussion ausführlich Moll in Kübler/Prütting/Bork, §§ 123, 124 InsO Rz. 31 ff. m.w.N.

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Besonderheiten bei Betriebsänderungen: Personalabbau

7.446

InsO betreffen alle Leistungen und Regelungen im Hinblick auf entlassene Arbeitnehmer. Es kommt nicht darauf an, ob diese als Abfindung bezeichnet sind oder ob es sich um Ergänzungs- oder Zusatzleistungen wie etwa Aufrechterhaltung von Jubiläumsgeldern, Bezahlung ansonsten nicht geschuldeter Weihnachtsgelder etc. handelt. b) Sozialplan ab Verfahrenseröffnung aa) Nach § 123 Abs. 1 InsO wird das Gesamtvolumen an Leistungen in Sozialplä- 7.444 nen an entlassene Arbeitnehmer auf zweieinhalb Monatsverdienste der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer begrenzt. Diese Höchstgrenze ist auf den Gesamtbetrag der Leistungen an entlassene Arbeitnehmer bezogen: absolute Obergrenze. Der Gesamtbetrag ist anhand zweier Kriterien zu ermitteln. Als Erstes sind die von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zu bestimmen. Als zweites sind deren Monatsverdienste zu ermitteln und mit dem Faktor 2 1/ 2 zu multiplizieren. Das Gesetz verweist für die Bestimmung eines Monatsverdienstes auf § 10 Abs. 3 KSchG. § 123 Abs. 1 InsO stellt eine Höchstgrenze auf, die erreicht werden kann, jedoch 7.445 nicht erreicht werden muss. Die Dotierung des Sozialplans kann auch geringer sein1. Die Anwendung der Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes (§ 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG und § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG) ist umstritten2. Richtigerweise ist davon auszugehen, dass im Falle der Liquidation § 112 Abs. 5 BetrVG nicht anzuwenden ist, während bei Fortbestand des Unternehmens die Kriterien des § 112 Abs. 5 BetrVG von Bedeutung sind. Die absolute Obergrenze besagt nichts über die Höhe des dem einzelnen Arbeit- 7.446 nehmer zustehenden Anspruchs3. Die Verteilung des Gesamtvolumens auf die einzelnen Arbeitnehmer ist Sache der den Sozialplan aufstellenden Betriebspartner bzw. Einigungsstelle. Diese haben auf die sozialen Verhältnisse der Arbeitnehmer abzustellen. Der Gesetzgeber hat in der Begründung des Regierungsentwurfs dementsprechend Folgendes ausgeführt4: „Bei besonderen sozialen Härten sollten höhere, in anderen Fällen geringere Beiträge oder auch – wenn ein entlassener Arbeitnehmer sofort einen entsprechenden neuen Arbeitsplatz gefunden hat – gar keine Leistungen vorgesehen werden.“ Den Sozialplanleistungen kommt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in erster Linie Überbrückungsfunktion zu5. Es ist Sache der Betriebspartner bzw. der Einigungsstelle zu entscheiden, welche Nachteile ausgeglichen oder gemildert werden und wie dies geschieht6. Die Sozialplanregelungen können im Rahmen von § 75 Abs. 1 BetrVG und des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei der Zubilligung von Leistungen an Arbeitnehmer differenzieren. 1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 71, 154; Ries/Zobel in Kölner Schrift zur InsO, S. 1140, 1153. 2 S. dazu Moll in Kübler/Prütting/Bork, §§ 123, 124 InsO Rz. 67 ff. m.w.N. 3 Vgl. Obermüller/Hess, InsO, 4. Aufl. 2003, Rz. 637; Röder/Baeck, DStR 1995, 260, 262. 4 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 71, 154. 5 Vgl. BAG v. 9.11.1994 – 10 AZR 281/94, AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972; Annuß in Richardi, 13. Aufl. 2012, § 112 BetrVG Rz. 52 ff. 6 Vgl. BAG v. 30.11.1994 – 10 AZR 578/93, AP Nr. 89 zu § 112 BetrVG 1972.

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7.447

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

7.447 Die absolute Obergrenze des § 123 Abs. 1 InsO gilt auch im Falle eines Insolvenzplans. Der Vorbehalt des Zustandekommens eines Insolvenzplans mit abweichenden Regelungen ist allein in § 123 Abs. 2 InsO für die relative Obergrenze vorgesehen1. 7.448 Die Vereinbarung eines die absolute Obergrenze überschreitenden Sozialplanvolumens ist unwirksam (§ 134 BGB)2. Das Schrifttum nimmt überwiegend an, dass grundsätzlich ein neuer Sozialplan abzuschließen sei, sieht davon jedoch ab und lässt eine anteilige Kürzung der Arbeitnehmeransprüche bis zur Ausschöpfung des zulässigen Volumens zu, wenn die Verteilungsmaßstäbe eindeutig erkennbar sind und durch eine anteilige Kürzung nicht berührt werden3. Richtigerweise kommt eine Gesamtnichtigkeit des Sozialplans bei Überschreitung der absoluten Obergrenze im Regelfall nicht in Betracht. Sozialpläne werden im Normalfall Verteilungskriterien erkennen lassen, die unabhängig davon anwendbar und angemessen sind, ob mehr oder weniger Sozialplanmittel zur Verfügung stehen. Die nicht auszuschließenden Unsicherheiten auf der Grundlage des jetzigen Diskussionsstandes lassen es praktisch geboten erscheinen, durch entsprechende Sozialplanregelungen Vorsorge für den Fall zu treffen, dass die absolute Obergrenze des § 123 Abs. 1 InsO überschritten wird. Eine salvatorische Klausel kann klarstellen, dass die Sozialplanregelungen entsprechend anzuwenden sind, wenn das Mittelvolumen gekürzt wird. Andere Anhaltspunkte können sich aus einem Punktesystem oder aus einer Sozialplanformel ergeben. Das ArbG Düsseldorf verneint eine Unwirksamkeit des Sozialplans dann, wenn entsprechend § 140 BGB die Verteilungsmaßstäbe des Sozialplans erkennbar sind, diese von einer Reduzierung des Sozialplanvolumens unberührt bleiben und Anhaltspunkte bestehen, dass die Beteiligten den Sozialplan bei einem reduzierten Volumen mit gleichen Verteilungsmaßstäben abgeschlossen hätten4. 7.449 bb) Ansprüche der Arbeitnehmer aus Entlassungssozialplänen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Masseforderungen (§ 123 Abs. 2 Satz 1 InsO), die Wertigkeit dieser Masseforderungen wird jedoch durch die Aufstellung der relativen Obergrenze herabgesetzt. Die relative Obergrenze bewirkt, dass die Sozialplanforderungen gegenüber den Masseverbindlichkeiten letztlich nachrangig sind. Die Sozialplangläubiger werden nämlich nur befriedigt, wenn die Masseverbindlichkeiten im Übrigen voll erfüllt werden können. Die Qualifizierung als Masseschuld lässt die Anmeldung und Feststellung der Sozialplanforderungen entfallen. 7.450 Die relative Obergrenze des § 123 Abs. 2 Sätze 2 und 3 InsO sieht vor, dass für die Berichtigung von Sozialplanforderungen nicht mehr als ein Drittel der Masse verwendet werden darf, die ohne Sozialplan für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stünde. Das Sozialplanvolumen ist bei Überschreiten dieser Relation entsprechend zu kürzen. Die Berechnung der relativen Obergrenze hat davon auszugehen, was ohne den Sozialplan für die Verteilung an Insolvenzgläubiger zur Verfügung stünde. Die Sozialplanforderungen dürfen insgesamt nicht mehr als ein Drittel dieser Teilungsmasse ausmachen. 1 2 3 4

Vgl. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 447. Vgl. Annuß, NZI 1999, 344, 350. Vgl. Fitting, 27. Aufl. 2014, §§ 112, 112a BetrVG, Rz. 306 m.w.N. Vgl. ArbG Düsseldorf v. 24.4.2006 – 2 BV 2/06, DB 2006, 1384.

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Besonderheiten bei Betriebsänderungen: Personalabbau

7.458

Beispiel: Das vereinbarte und nach § 123 Abs. 1 InsO zulässige Sozialplanvolumen beträgt 300 000 Euro. Auf Grund der Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO) und der sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) ergibt sich, dass ein Betrag in Höhe von 600 000 Euro für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger verbleibt. Dieser Betrag darf nur bis zu einem Drittel mit der Befriedigung von Sozialplanansprüchen verbraucht werden. Dies bedeutet, dass für Sozialplanansprüche nicht mehr als 200 000 Euro zur Verfügung stehen. Letztlich muss mathematisch die endgültige, für die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehende Teilungsmasse mindestens doppelt so groß sein wie die Gesamtsumme der als Masseverbindlichkeiten zu berücksichtigenden Sozialplanansprüche1.

7.451

Auf Grund der relativen Obergrenze können bei Masseunzulänglichkeit Sozial- 7.452 planforderungen nicht befriedigt werden. Die Insolvenzmasse reicht dann nämlich nicht aus, um die Masseverbindlichkeiten zu befriedigen. Da es an über die Erfüllung von Masseverbindlichkeiten hinausgehenden Mitteln und damit an solchen fehlt, die für die Verteilung an Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehen, können auf Grund der relativen Obergrenze Sozialplanforderungen nicht erfüllt werden. cc) Die Einzelforderungen der Sozialplangläubiger sind gemäß § 123 Abs. 2 Satz 3 7.453 InsO anteilig zu kürzen, soweit der Gesamtbetrag aller Sozialplanforderungen die relative Obergrenze übersteigt. Beispiel: Die Sozialplanforderung des Arbeitnehmers A in Höhe von 15 000 Euro ist im Falle einer Begrenzung des Sozialplanvolumens von 300 000 Euro auf 200 000 Euro verhältnismäßig zu kürzen: 15 000 Euro: 300 000 Euro × 200 000 Euro = 10 000 Euro.

Sozialplanansprüche mit einem Gesamtvolumen bis zur relativen Obergrenze 7.454 können vollständig erfüllt werden. § 123 Abs. 3 Satz 1 InsO sieht vor, dass der Insolvenzverwalter möglichst Ab- 7.455 schlagszahlungen auf die Sozialplanforderungen leisten „soll“, vorausgesetzt, die Zustimmung des Insolvenzgerichts liegt vor. Die Sozialplangläubiger können in die Insolvenzmasse nicht vollstrecken (§ 123 7.456 Abs. 3 Satz 2 InsO). Das Vollstreckungsverbot sichert die Einhaltung der relativen Obergrenze. Eine Leistungsklage hinsichtlich Forderungen, die sich aus einem vom Insolvenz- 7.457 verwalter abgeschlossenen Sozialplan ergeben, ist unzulässig. Eine Sozialplanforderung kann nur im Wege der Feststellungsklage verfolgt werden2. c) Sozialplan in der „Rückgriffszeit“ aa) Sozialpläne innerhalb der „Rückgriffszeit“ (§ 124 InsO) unterliegen einem Wi- 7.458 derrufsrecht. Der Widerruf ist an keinen Grund gebunden. Er kann von dem Insolvenzverwalter oder dem Betriebsrat nach Ermessen ausgeübt werden. Es handelt sich um eine Kann-Vorschrift. 1 Vgl. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 440. 2 Vgl. BAG v. 29.10.2002 – 1 AZR 80/02, DB 2003, 2710; BAG v. 30.3.2004 – 1 AZR 85/03, NZA 2004, 1183; BAG v. 22.11.2005 – 1 AZR 458/04, DB 2006, 343.

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7.459

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

7.459 Der Betriebsrat mag erwägen, den Sozialplan zu widerrufen, wenn er im Wesentlichen nicht erfüllt worden ist1. Der Betriebsrat kann ein derartiges Interesse wegen der Einordnung der Forderungen aus Sozialplänen vor Insolvenzeröffnung als bloße Insolvenzforderung haben, da im Einzelfall die Befriedigung eines geringeren Sozialplananspruchs aus der Masse günstiger sein kann als ein nominal weitergehender Anspruch als Insolvenzforderung2. Dies schließt jedoch nicht aus, dass der Betriebsrat aus den verschiedensten Gründen von dem Widerruf keinen Gebrauch macht. 7.460 Der Insolvenzverwalter wird überlegen, wie die Insolvenzmasse mehr oder weniger belastet wird. Er wird bedenken, dass er die Möglichkeit hat, die absolute und relative Obergrenze des § 123 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 InsO auch auf die Arbeitnehmer zu erstrecken, die von der früheren Betriebsänderung und dem früheren Sozialplan betroffen sind. Es kann im Einzelfall so liegen, dass der Insolvenzverwalter durch den Widerruf und die dadurch erfolgende Einbeziehung aller in Betracht kommender Sozialpläne in die Grenzen des § 123 Abs. 1 und 2 InsO eine geringere Belastung erreicht als bei Erfüllung der Insolvenzforderungen. Dies ist im jeweiligen Einzelfall zu „kalkulieren“. Beispiel3: Insolvenzmasse

101 000 Euro

Absonderungsrechte

50 000 Euro

Masseverbindlichkeiten

30 000 Euro

Sozialplanforderung aus Sozialplan im Rückgriffszeitraum

200 000 Euro

Sonstige Insolvenzforderungen

500 000 Euro

7.461 Der Abzug der Masseverbindlichkeiten und die Befriedung der Absonderungsrechte lassen noch 21 000 Euro für Zahlungen an die Insolvenzgläubiger übrig. Dem stehen 700 000 Euro Insolvenzforderungen gegenüber. 2/ 7 entfallen auf die Sozialplanforderungen und 5/ 7 auf die übrigen Insolvenzforderungen, d.h. 6 000 Euro sind für die Sozialplanforderungen aufzubringen und 15 000 Euro für die übrigen Insolvenzforderungen. Ein Widerruf des Sozialplans durch den Insolvenzverwalter führt dazu, dass eine relative Obergrenze von einem Drittel der zur Verteilung stehenden Masse gelten würde (1/ 3 von 21 000 Euro = 7 000 Euro). Der Insolvenzverwalter wird daher den Widerruf unterlassen, weil durch den Widerruf verteilungsfähige Masse entzogen wird und die effektiv an die Sozialplangläubiger gezahlte Abfindung ansteigt. 7.462 Die Situation stellt sich anders dar, wenn im Rahmen von Entlassungsmaßnahmen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhebliche weitere Sozialplanforderungen begründet werden. Die Einbeziehung sämtlicher Sozialplanforderungen in die Obergrenzenregelungen kann sich dann zu Gunsten der Insolvenzmasse auswirken. 1 Vgl. Moll in Kübler/Prütting/Bork, §§ 123, 124 InsO Rz. 126 ff.; Uhlenbruck, Das neue Insolvenzrecht, S. 54. 2 Vgl. Boemke/Tietze, DB 1999, 1389, 1395. 3 S. die Berechnungen von Boemke/Tietze, DB 1999, 1389, 1395.

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Moll

Besonderheiten bei Betriebsänderungen: Personalabbau

7.468

bb) Der Widerruf führt zur Beseitigung des Sozialplans. Die Ansprüche der Arbeit- 7.463 nehmer aus diesen vorkonkurslichen Sozialplänen entfallen ersatzlos1. Dementprechend spricht § 124 Abs. 2 InsO von Arbeitnehmern, „denen Forderungen aus dem Sozialplan zustanden“. § 124 Abs. 3 Satz 1 InsO schließt – konsequent – Rückforderungen aus, um den Folgen des Wegfalls der Rechtsgrundlage im Hinblick auf bereits geleistete Zahlungen zu entgehen. Der Widerruf ist keine Kündigung, so dass auch keine Nachwirkung im Anschluss an den Widerruf besteht. Die Arbeitnehmer, denen auf Grund des Widerrufs Sozialplanansprüche entzogen worden sind, werden auf Grund § 124 Abs. 2 InsO bei der Aufstellung eines (neuen) Sozialplans im Insolvenzverfahren berücksichtigt. Das Gesetz macht zwar den Sozialplan hinfällig. Es beseitigt jedoch nicht die Sozialplanpflicht, sei es, dass wegen der früheren Betriebsänderung ein Sozialplan erneut aufgestellt werden muss, sei es, dass wegen einer neuen Betriebsänderung abermals getrennt von der früheren oder in Verbindung mit der früheren Betriebsänderung ein Sozialplan aufgestellt wird. Die Neuaufstellung des Sozialplans gemäß § 124 Abs. 2 InsO i.V.m. § 123 Abs. 1 7.464 InsO hat die absolute und relative Obergrenze zu beachten. cc) Wird das Widerrufsrecht des § 124 Abs. 1 InsO nicht ausgeübt, so bleibt der 7.465 Sozialplan in Kraft. Sozialplanforderungen der von dem Sozialplan berücksichtigten Arbeitnehmer bleiben bestehen. Eine Höchstgrenze gibt es weder absolut noch relativ. Die Forderungen aus dem Sozialplan vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind 7.466 Insolvenzforderungen (§ 38 InsO)2. d) Sozialplan noch vor der „Rückgriffszeit“ Sozialpläne außerhalb der Zeiträume in den §§ 123, 124 InsO bestehen rechtlich 7.467 durch die Insolvenz unberührt fort. Ansprüche aus diesen Sozialplänen sind Insolvenzforderungen3. Sie werden nach den §§ 174 ff. InsO abgewickelt4. Das gilt unabhängig davon, wann das von dem Sozialplan betroffene Arbeitsverhältnis endet. Ob und wie gegenüber derartigen Sozialplänen nach den Grundsätzen über den 7.468 Wegfall der Geschäftsgrundlage verfahren werden kann, ist umstritten5. Der Anwendung der Geschäftsgrundlagenlehre ist im Ausgangspunkt entgegenzuhalten, dass das Risiko der ordnungsgemäßen Erfüllung von Ansprüchen und auch von 1 Vgl. Warrikoff, BB 1994, 2338, 2444. 2 Vgl. BAG v. 31.7.2002 – 10 AZR L 75/01, AP Nr. 1 zu § 38 InsO = DB 2002, 2655; LAG Köln v. 2.3.2001 – 12 Sa 1467/00, ZIP 2001, 1070; Annuß, NZI 1999, 344, 351; Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 476 ff.; Moll in Kübler/Prütting/Bork, §§ 123, 124 InsO Rz. 129; Uhlenbruck, Das neue Insolvenzrecht, S. 54. 3 Vgl. BAG v. 27.10.1998 – 1 AZR 94/98, AP Nr. 29 zu § 61 KO = DB 1999, 1069 = NZA 1999, 719; ArbG Köln v. 12.9.2000 – 4 Ca 5308/00, ZInsO 2001, 287; Begr. RegE, BTDrucks. 12/2443, S. 155, abgedruckt in Kübler/Prütting, RWS-Dok. 18, S. 326; Moll in Kübler/Prütting/Bork, §§ 123, 124 InsO Rz. 151. 4 Vgl. Boemke/Tietze, DB 1999, 1389, 1395. 5 S. dazu Boemke/Tietze, DB 1999, 1389, 1395; Ries/Zobel in Kölner Schrift zur InsO, S. 1140, 1160.

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7.469

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

Sozialplanansprüchen den Gläubiger trifft, ohne dass Erwartungen insoweit, wenn sie enttäuscht werden, die Geschäftsgrundlage berühren1. Eine etwaige Anwendung von Geschäftsgrundlagengrundsätzen wird angesichts der Insolvenzsituation jedenfalls nicht dazu führen können, dass Leistungen begründet oder verbessert werden. 7.469 Jeder der beiden Betriebspartner mag von dem Kündigungsrecht des § 120 Abs. 1 InsO Gebrauch machen, soweit Sozialpläne nach den allgemeinen Grundsätzen als kündbar angesehen werden2. Eine ordentliche Kündigung bei Einmalleistungen kommt danach grundsätzlich nicht in Betracht. Sie ist allerdings bei Dauerregelungen möglich. Die Kündigung führt zur Nachwirkung. Betriebsrat und Insolvenzverwalter haben gegebenenfalls mit Hilfe der Einigungsstelle neue Regelungen zu treffen. Inhalt und Möglichkeiten derartiger Neuregelungen sind ungeklärt. Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens werfen die Frage auf, ob nicht Grundgedanken der §§ 123, 124 InsO je nach Gesichtspunkt entsprechend herangezogen werden müssen.

V. Betriebsveräußerung 1. Anwendbarkeit des § 613a BGB in der Insolvenz 7.470 Die Betriebsveräußerung bringt die Anwendung des § 613a BGB auch dann mit sich, wenn der Betriebsübergang im Rahmen eines Insolvenzverfahrens erfolgt. 2. Modifizierung der Haftungsfolgen 7.471 Der Erwerber führt die Arbeitsverhältnisse zwar inhaltsgleich weiter, sofern der Arbeitnehmer nicht gemäß § 613a Abs. 6 BGB widerspricht. Die Haftungsfolgen für den Betriebsübernehmer werden jedoch modifiziert3. Diese Modifizierung ist richtlinienkonform4. 7.472 Die Rechtsprechung hat bei der Frage geschwankt, ob sich die Haftungsprivilegierung auch auf die Ansprüche bezieht, die vor dem Betriebsübergang entstanden sind, oder nur auf solche, die aus der Zeit bis zur Insolvenzeröffnung resultieren. Das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, den Betriebserwerber für nach der Insol1 Vgl. Boemke/Tietze, DB 1999, 1389, 1395. 2 S. dazu BAG v. 10.8.1994 – 10 ABR 61/93, AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG 1972 = EWiR 1995, 331 (Plander); Fitting, 27. Aufl. 2014, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 216 ff.; Meyer, NZA 1995, 974, 977; Annuß in Richardi, 13. Aufl. 2012, § 112 BetrVG Rz. 184 ff. 3 Vgl. BAG v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, AP Nr. 18 zu § 613a BGB = DB 1980, 308; BAG v. 5.10.1982 – 3 AZR 403/80, AP Nr. 13 zu § 7 BetrAVG = DB 1983, 507; BAG v. 26.5. 1983 – 2 AZR 477/81, AP Nr. 34 zu § 613a BGB = DB 1983, 2690; BAG v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung = DB 1986, 1779; BAG v. 13.11.1986 – 2 AZR 771/85, AP Nr. 57 zu § 613a BGB = DB 1987, 990; BAG v. 15.12. 1987 – 3 AZR 470/87, AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG = DB 1988, 654; BAG v. 11.2.1992 – 3 AZR 117/91, AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung = DB 1992, 2559; BAG v. 20.11.1984 – 3 AZR 584/83, DB 1985, 1135; BAG v. 3.7.1980 – 3 AZR 751/79, DB 1980, 2143; BAG v. 4.7.1989 – 3 AZR 756/87, DB 1989, 2541; BAG v. 26.3.1996 – 3 AZR 965/94, DB 1997, 331; BAG v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, DB 2003, 835. 4 Vgl. EuGH v. 28.1.2015 – C-688/13.

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Betriebsveräußerung

7.475

venzeröffnung entstehende Arbeitnehmeransprüche haften zu lassen und das Haftungsprivileg nur für die bis zur Insolvenzeröffnung entstandenen Ansprüche zu gewähren1. Eine Privilegierung des Betriebserwerbers sei nur für Insolvenzforderungen anzunehmen. Das Bundesarbeitsgericht hat das Haftungsprivileg für Ansprüche aus der Zeit nach Insolvenzeröffnung ausdrücklich versagt2. Dies übersieht, dass die Verteilungsgrundsätze des Insolvenzverfahrens, die Vorrang haben, auch nach Insolvenzeröffnung relevant werden, insbesondere in Fällen der Masseunzulänglichkeit. Das Bundesarbeitsgericht hat damit seinen früheren Ansatz modifiziert, den es wie folgt formuliert hat3: „Wird ein Betrieb im Rahmen eines Konkursverfahrens veräußert, ist § 613a BGB insoweit nicht anwendbar, wie diese Vorschrift die Haftung des Betriebserwerbers für schon entstandene Ansprüche vorsieht. Insoweit haben die Verteilungsgrundsätze des Konkursverfahrens Vorrang. Das bedeutet für Versorgungsansprüche, dass der Betriebserwerber nur den Teil der Leistung schuldet, den der Arbeitnehmer bei ihm erdient hat; für die beim Veräußerer bis zum Insolvenzfall erdienten unverfallbaren Anwartschaften haftet der Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung.“ Die durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetretene Haftungsbegren- 7.473 zung wird durch eine spätere (nach dem Betriebsübergang erfolgende) Einstellung des Verfahrens mangels Masse nicht beseitigt. Die Modifikation der Anwendung des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gilt in solchen 7.474 Sachverhalten nicht, in denen der Betrieb zwar Not leidend ist, es jedoch mangels Masse gar nicht erst zur Verfahrenseröffnung kommt4. Die Haftungsbesonderheiten für den Betriebsübergang im Rahmen von Insolvenz- 7.475 verfahren hängen davon ab, ob der Betriebsübergang vor oder nach der Verfahrenseröffnung stattfindet. Die Haftungsbeschränkung tritt nur ein, wenn der Betriebserwerber den Betrieb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erwirbt. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ist uneingeschränkt anwendbar, wenn der Betriebserwerber die Leitungsmacht – und sei es auch nur ganz kurz – vor dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung übernimmt5. Es kommt für den Zeitpunkt des Betriebsübergangs darauf an, wann der Betriebserwerber die Leitungsmacht im Einvernehmen mit dem Betriebsveräußerer ausüben kann; ob er sie erst später ausüben will, ist unerheblich. Entscheidend ist, wann der Betriebserwerber an der Ausübung der Leitungsmacht rechtlich nicht mehr gehindert ist. Entschließt er sich, die Be1 Vgl. BAG v. 18.11.2003 – 9 AZR 95/03, DB 2004, 1267; BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 645/03, NZA 2005, 527; BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, NZA 2005, 408. S. dazu Zwanziger, BB 2005, 1386, 1387. 2 Vgl. BAG v. 19.5.2005 – 3 AZR 649/03, DB 2005, 2362 (mit dem falschen Argument, dass die Grundsätze der Gläubigerbefriedigung nur für die Zeit bis zur Insolvenzeröffnung gelten; ebenso bedenklich ist, dass die Rechtslage ausdrücklich nur für Fälle entschieden ist, in denen keine Masseunzulänglichkeit vorliegt, die Fälle der Masseunzulänglichkeit also nach wie vor offen sind). 3 BAG v. 11.2.1992 – 3 AZR 117/91, DB 1992, 2559. 4 Vgl. BAG v. 20.11.1984 – 3 AZR 584/83, AP Nr. 38 zu § 613a BGB = DB 1985, 1135; BAG v. 27.4.1988 – 5 AZR 358/87, AP Nr. 71 zu § 613a BGB = DB 1988, 1653. 5 Vgl. BAG v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung = DB 1988, 400; BAG v. 16.2.1993 – 3 AZR 347/92, AP Nr. 15 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung = DB 1993, 1374; kritisch Henckel in FS Heinsius, 1991, S. 261, 282 ff., 286 ff.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

triebsleitung erst später zu übernehmen, so ändert dies an den Betriebsübergangsfolgen nichts. Es genügt, dass Nutzungsrechte an den Betriebsmitteln bestehen; auf den Eigentumsübergang kommt es nicht an1. Erfolgt die Übernahme der Leitungsmacht im Betrieb schrittweise, d.h. gehen Betriebsmittel nach und nach über, so ist der Betriebsübergang in dem Zeitpunkt erfolgt, in dem die wesentlichen zur Fortführung des Betriebs erforderlichen Betriebsmittel übergegangen sind2. 7.476 Der Zeitpunkt des Betriebsübergangs kann rechtsgeschäftlich gestaltet werden. Die Rechtsprechung akzeptiert Verabredungen über die Einräumung der Leitungsmacht3, wobei die tatsächliche Handhabung allerdings dem Vereinbarten entsprechen muss. 3. Kündigungssperre nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB a) Kündigung wegen Betriebsübergangs 7.477 Ein Sanierungs- und Veräußerungshindernis wird in der Kündigungssperre nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB gesehen, wonach Kündigungen wegen des Betriebsübergangs unwirksam sind. Die Kündigung erfolgt wegen des Betriebsübergangs, wenn sie durch eine bevorstehende Betriebsübertragung bestimmt wird, wobei die im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs absehbaren oder feststehenden Tatsachen zu berücksichtigen sind4. Dies gilt selbst dann, wenn der Betriebsübergang letztendlich nicht zu Stande kommt. Der Betriebsübergang muss der tragende Grund und nicht bloß der äußere Anlass der Kündigung sein. Die Kündigung ist – typischerweise – nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB unwirksam, wenn sie damit begründet wird, der Erwerbsinteressent sei anderenfalls zur Übernahme des Betriebs nicht bereit5. b) Betriebsstilllegung 7.478 Eine erfolgte ebenso wie eine geplante Betriebsstilllegung stellen dagegen einen Kündigungsgrund dar, der die Kündigung aus anderen Gründen als wegen des Betriebsübergangs begründet (§ 613a Abs. 4 Satz 2 BGB). Die Kündigung aus Anlass einer geplanten Betriebsstilllegung ist sozial gerechtfertigt, wenn die betrieblichen Umstände bereits greifbare Formen angenommen haben und eine vernünf1 Vgl. BAG v. 23.7.1991 – 3 AZR 366/90, AP Nr. 11 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung = DB 1992, 92; BAG v. 12.11.1991 – 3 AZR 559/90, AP Nr. 12 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung = DB 1992, 1684; BAG v. 16.2.1993 – 3 AZR 347/92, AP Nr. 15 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung = DB 1993, 1374. 2 Vgl. BAG v. 16.2.1993 – 3 AZR 347/92, AP Nr. 15 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung = DB 1993, 1374; BAG v. 27.10.2005 – 8 AZR 568/04, AP Nr. 292 zu § 613a BGB. 3 Vgl. BAG v. 26.3.1996 – 3 AZR 965/94, AP Nr. 148 zu § 613a BGB = DB 1997, 331. 4 Vgl. BAG v. 31.1.1985 – 2 AZR 530/83, AP Nr. 40 zu § 613a BGB = DB 1985, 1842; BAG v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, AP Nr. 75 zu § 613a BGB = DB 1989, 934; BAG v. 20.3. 2003 – 8 AZR 97/02, DB 2003, 1906; BAG v. 27.10.2005 – 8 AZR 568/04, AP Nr. 292 zu § 613a BGB. 5 Vgl. BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, AP Nr. 39 zu § 613a BGB = DB 1985, 1399; BAG v. 28.4.1988 – 2 AZR 623/89, AP Nr. 74 zu § 613a BGB = DB 1989, 430; BAG v. 19.5. 1988 – 2 AZR 596/87, AP Nr. 75 zu § 613a BGB = DB 1989, 934.

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Betriebsveräußerung

7.479

tige Betrachtung die Prognose rechtfertigt, dass im Zeitpunkt des Auslaufens der Kündigungsfrist der Arbeitnehmer entlassen werden kann1. Eine erfolgte oder geplante Betriebsstilllegung führt zum Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten2. Die Planung genügt, wenn die Betriebsstilllegung endgültig und ernsthaft beabsichtigt ist3. Der Arbeitgeber muss mit der Verwirklichung der Betriebsstilllegung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch nicht begonnen haben. Eine alsbaldige Wiederaufnahme bzw. Wiedereröffnung begründet eine tatsächliche Vermutung gegen eine ernsthafte Stilllegungsabsicht4. Die Rechtsprechung verneint eine endgültige und ernsthafte Stilllegungsabsicht dann, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung noch über eine Veräußerung des Betriebes verhandelt5. Es schadet demgegenüber nicht, wenn der Arbeitgeber ungeachtet des ernsthaften und endgültigen Entschlusses zur Stilllegung den bloßen Vorbehalt hat, anderweitige, nicht absehbare Fortführungs- oder Veräußerungschancen wahrzunehmen, wenn sie sich (doch noch) bieten6. Wird die Betriebsstilllegung wider Erwarten nicht realisiert, kommt die Rechtsprechung zum Wiedereinstellungsanspruch (Rz. 3.89 ff.) zum Tragen7. c) Erwerberkonzept Die bei überalterten und übergroßen Belegschaften mit der Kündigungssperre ver- 7.479 bundene „Abschreckung“ von Betriebserwerbern hat zu dem Versuch geführt, ein Sonderkündigungsrecht zur Reduzierung großer Belegschaften zu begründen, wenn anderenfalls die Betriebsübernahme scheitern würde und die Arbeitsplätze deshalb verloren gehen müssten8. Dies hat sich mangels Grundlage im Gesetz nicht durchgesetzt9. Eine andere und davon zu unterscheidende Frage ist, was gilt, wenn der Betriebsveräußerer vor dem Betriebsübergang beginnt, die Rationalisierungsvorhaben des Betriebserwerbers durch den Ausspruch von Kündigungen umzusetzen, d.h. die Organisations- und Strukturmaßnahmen des Betriebserwer1 Vgl. BAG v. 27.2.1987 – 7 AZR 652/85, AP Nr. 41 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 1987, 1896; BAG v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = DB 1991, 2442. 2 Vgl. BAG v. 27.2.1987 – 7 AZR 652/85, AP Nr. 41 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 3 Vgl. BAG v. 10.10.1996 – 2 AZR 651/95, NZA 1997, 92. 4 Vgl. BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 137/00, DB 2002, 102; LAG Düsseldorf v. 23.1.2003 – 11 (12 Sa) 1057/02, DB 2003, 2292; LAG Hamm v. 4.4.2000 – 4 Sa 1220/99, ZInsO 2000, 292. 5 Vgl. BAG v. 28.4.1988 – 2 AZR 623/87, AP Nr. 74 zu § 613a BGB; BAG v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, AP Nr. 81 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 29.9. 2005 – 8 AZR 647/04, DB 2006, 846. 6 Vgl. BAG v. 7.3.1996 – 2 AZR 312/95; BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, AP Nr. 237 zu § 613a BGB = DB 2002, 2552. 7 Vgl. BAG v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = DB 1998, 423; BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = DB 1998, 1087. 8 Vgl. Grunsky, ZIP 1982, 772, 776; Hanau, ZIP 1984, 141, 144; Vossen, BB 1984, 1557, 1558 ff. 9 Vgl. Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme beim Betriebsinhaberwechsel, 1989, S. 214 ff. m.w.N.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

bers auf Grund von Absprachen mit diesem in die Wege zu leiten. Das Bundesarbeitsgericht hat bereits früh keine Kündigung wegen Betriebsübergangs angenommen, wenn der Beginn der Rationalisierung oder Umstrukturierung durch den Betriebsveräußerer auf einer Absprache mit dem Betriebserwerber beruht, also begonnen wird, die Planungen des Betriebserwerbers umzusetzen, die auch der Betriebsveräußerer durchführen könnte1. Dem ist zuzustimmen2. Entscheidend ist, dass die Rationalisierungsmaßnahme und nicht der Betriebsübergang der tragende Grund der Kündigung ist. Der wesentliche Schutzzweck des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB – Verhinderung einer (negativen) Auslese zu Lasten schutzbedürftiger Arbeitnehmer – bleibt uneingeschränkt gewahrt, weil die Durchführung der Rationalisierungsmaßnahme den Erfordernissen der betriebsbedingten Kündigung einschließlich der Grundsätze der Sozialauswahl unterliegt. Es kann nicht darauf ankommen, wer den Anstoß für eine betriebliche Rationalisierungsmaßnahme oder Umorganisation gibt, die in ihrer Folge zum Wegfall von Arbeitsplätzen führt. Das LAG Berlin hat ausgeführt, dass es „wenig realistisch“ sei, dass Kündigungen erst ausgesprochen werden könnten, nachdem ein Betrieb an einen bestimmten Erwerber veräußert worden sei, und hat es als geboten angesehen, dass ein Betrieb der Treuhandanstalt durch geeignete Maßnahmen „verkaufsfähig“ gemacht werde3. Dies bringt zutreffend den Gedanken zum Ausdruck, dass mit der Umsetzung von organisatorischen und strukturellen Maßnahmen einschließlich der damit einhergehenden betriebsbedingten Kündigungen nicht bis nach dem Zeitpunkt eines Betriebsübergangs abgewartet werden kann und muss. Das Bundesarbeitsgericht hat im Anschluss an die Entscheidung vom 26.5.1983 bestätigt4: „Eine Kündigung wegen Betriebsübergangs liegt nicht vor, wenn sie der Rationalisierung (Verkleinerung) des Betriebs zur Verbesserung der Verkaufschancen dient. Ein Rationalisierungsprogramm liegt vor, wenn der Betrieb ohne die Rationalisierung stillgelegt werden müsste. Die Rationalisierung ist auch während einer Betriebspause möglich. Der Betriebsinhaber muss nicht beabsichtigen, den Betrieb selbst fortzuführen.“ Dass das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 18.7.1996 die Kündigungsmöglichkeit des Veräußerers auf Grund von Plänen und Vorstellungen des Erwerbers daran angeknüpft hat, dass anderenfalls der Betrieb stillgelegt werden müsste, erscheint kaum überzeugend. Es hat dieses Erfordernis jedenfalls für die Insolvenz aufgegeben und seine Auffassung in der Entscheidung vom 20.3.2003 zusammengefasst5: – Die Kündigung des Betriebsveräußerers auf Grund eines Erwerberkonzepts verstößt dann nicht gegen § 613a Abs. 4 BGB, wenn ein verbindliches Konzept oder ein Sanierungsplan des Erwerbers vorliegt, dessen Durchführung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung bereits greifbare Formen angenommen hat. 1 Vgl. BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, AP Nr. 34 zu § 613a BGB = DB 1983, 2690. 2 Vgl. Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 128 InsO Rz. 26 ff.; Willemsen, ZIP 1983, 411, 415 ff.; Ascheid, NZA 1991, 873, 879; Danko/Cramer, BB 2004, BB-Special 4, S. 9, 14; Berscheid in Kölner Schrift zur InsO, S. 1081, 1120 ff.; Gaul/Bonanni/Naumann, DB 2003, 1902 ff.; Kappenhagen, BB 2003, 2182; Lipinski, NZA 2002, 75, 79; Meyer, NZA 2003, 244 ff.; Moll, NJW 1993, 2016, 2021; Sieger/Hasselbach, DB 1999, 430, 432. 3 Vgl. LAG Berlin v. 30.11.1993 – 12 Sa 115/93, DB 1994, 586. 4 Vgl. BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, AP Nr. 147 zu § 613a BGB = DB 1996, 2288. 5 Vgl. BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/92, AP Nr. 250 zu § 613a BGB.

800

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Moll

Betriebsveräußerung

7.483

– Der Zulassung einer solchen Kündigung steht der Schutzgedanke des § 613a Abs. 4 BGB nicht entgegen, denn diese Regelung bezweckt keine „künstliche Verlängerung“ des Arbeitsverhältnisses bei einer vorhersehbar fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers bei dem Erwerber. – Für die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung des Veräußerers nach dem Sanierungskonzept des Erwerbers kommt es – jedenfalls in der Insolvenz – nicht darauf an, ob das Konzept auch bei dem Veräußerer hätte durchgeführt werden können. Die Veräußerkündigung nach Erwerberkonzept setzt allerdings voraus, dass das in Aussicht genommene Konzept beibehalten, d.h. auch umgesetzt wird und keine Abweichungen erfolgen1. 4. Besonderheiten nach der Insolvenzordnung § 128 Abs. 1 Satz 1 InsO privilegiert den Betriebserwerber in der Insolvenz. Die 7.480 Vorschrift ermöglicht, dass der Insolvenzverwalter mit Hilfe der §§ 125–127 InsO auch dann vorgehen kann und diese Vorschriften zur Anwendung gelangen, wenn eine Betriebsänderung erfolgt, die nach der Betriebsübernahme von einem Erwerber durchgeführt wird2. Der Insolvenzverwalter kann mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste im Hinblick auf eine Betriebsänderung vereinbaren, die (erst) ein Betriebsübernehmer durchführt. Der Insolvenzverwalter kann ebenso ein Beschlussverfahren im Hinblick auf eine Betriebsänderung beginnen, die eine Betriebsübernahme für die Zeit nach dem Betriebsübergang im Auge hat. Ob der Insolvenzverwalter und ein Erwerber oder Erwerbsinteressent ein Vorgehen im Rahmen des § 128 Abs. 1 Satz 1 InsO wählen oder nicht, ist deren Entscheidung überlassen. Es wird so sein, dass der Insolvenzverwalter ohnehin die gebotenen Kündigungen ausspricht. Der Gesetzeswortlaut deckt nicht nur die Fälle ab, in denen von vornherein eine 7.481 Betriebsänderung des Erwerbers geplant wird. § 128 Abs. 1 Satz 1 InsO ist auch dann anwendbar, wenn zunächst zwar der Insolvenzverwalter eine eigene Betriebsänderung plant, im Nachhinein jedoch ein Erwerber den Betrieb übernimmt, der die Planung des Insolvenzverwalters nicht ändert, sondern realisiert3. Der Betriebserwerber ist Beteiligter in dem Beschlussverfahren nach § 126 InsO 7.482 (§ 128 Abs. 1 Satz 2 InsO). Diese Regelung betrifft sowohl die Stellung desjenigen, der den Betrieb bereits übernommen hat oder der als Erwerber feststeht, als auch desjenigen, der lediglich als Erwerbsinteressent in Betracht kommt, in dessen Interesse der Insolvenzverwalter das Beschlussverfahren betreibt. Die Rechtswirkungen der auch im Falle des Betriebsübergangs gemäß § 128 7.483 Abs. 1 Satz 1 InsO anwendbaren Regelungen der §§ 125–127 InsO werden durch § 128 Abs. 2 InsO klargestellt. Die Vermutung des Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse im Falle des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO gilt auch dahingehend, dass vermutet wird, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht wegen eines Betriebsübergangs erfolgt. Die Feststellung der sozialen Rechtfertigung durch 1 Vgl. LAG Köln v. 11.9.2013 – 5 Sa 1128/12. 2 S. z.B. LAG Köln v. 26.2.2004 – 6 Sa 875/03. 3 Vgl. Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 128 InsO Rz. 74.

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7.484

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

das Arbeitsgericht nach § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO beinhaltet zugleich die Feststellung dahingehend, dass die Kündigung nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgt. In beiden Fällen handelt es sich um konsequente Ableitungen aus der Vermutung kraft des Interessenausgleichs mit Namensliste bzw. der Feststellung des Arbeitsgerichts. Die Vermutung oder Feststellung dringender betrieblicher Erfordernisse oder der sozialen Rechtfertigung schließt die Annahme einer Kündigung wegen Betriebsübergangs aus (§ 613a Abs. 4 Satz 2 BGB)1. 7.484 Offen ist, ob § 128 Abs. 2 InsO für Arbeitnehmer bedeutsam werden kann, die vom Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nicht erfasst werden2. Die Frage ist zu bejahen. Es müsste als Wertungswiderspruch angesehen werden, wenn Arbeitnehmer ohne Kündigungsschutz mit Unwirksamkeitsgründen durchdringen könnten, die Arbeitnehmern mit Kündigungsschutz versagt sind. Soweit es um die soziale Rechtfertigung und die damit verbundenen Konsequenzen für § 613a Abs. 4 Sätze 1 und 2 BGB geht, greift die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO folgerichtig auch für Arbeitnehmer ohne Kündigungsschutz ein, wenn sie in den Interessenausgleich mit Namensliste aufgenommen worden sind. Entsprechendes gilt für die Entscheidung des Arbeitsgerichts nach § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO i.V.m. § 127 Abs. 1 InsO. 7.485 Die Bezugnahme des § 128 Abs. 1 InsO auf die §§ 125–127 InsO umfasst auch den Vorbehalt der wesentlichen Änderung der Sachlage. Eine derartige Änderung liegt etwa vor3, wenn es zu einer beabsichtigten Betriebsveräußerung nicht kommt oder wenn ein anderer Erwerber den Betrieb übernimmt oder wenn ein anderes Umstrukturierungskonzept realisiert wird. 5. Aufhebungs- und Änderungsvereinbarungen 7.486 Die Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB können anlässlich eines konkreten Betriebsübergangs einverständlich geändert werden. Die Arbeitsvertragsparteien können anlässlich eines Betriebsübergangs insbesondere die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbaren. Dies ergibt sich daraus, dass der Arbeitnehmer dem Betriebsübergang widersprechen und so die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei dem Betriebserwerber verhindern kann. Die Aufhebungsvereinbarung kann sowohl mit dem alten als auch mit dem neuen Arbeitgeber geschlossen werden. Ein unter Vorspiegelung falscher Tatsachen abgeschlossener Aufhebungsvertrag kann wegen arglister Täuschung angefochten werden. Soweit ein Aufhebungsvertrag in einer Situation unterschrieben wird, in der einerseits eine durch den Gläubigerausschuss manifestierte Stilllegungsabsicht bestand, zugleich aber deutlich gemacht wird, dass ein Investor gesucht wurde, liegt regelmäßig keine arglistige Täuschung über die Fortführung des Betriebs vor4. Die Rechtsfolgen des Betriebsübergangs können nicht durch Vereinbarungen zwischen Betriebsveräußerer und Betriebserwerber abbedungen oder geändert werden5. 1 2 3 4 5

Vgl. Giesen, ZIP 1998, 46, 50. S. dazu Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 128 InsO Rz. 87 ff. Vgl. Friese, ZInsO 2001, 350, 359 m.w.N. Vgl. LAG Hamburg v. 16.12.2014 – 4 Sa 40/14. Vgl. BAG v. 29.10.1975 – 5 AZR 444/74, AP Nr. 2 zu § 613a BGB = DB 1976, 391.

802

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Betriebsveräußerung

7.488

Die Rechtsprechung steht trotz der grundsätzlichen Dispositionsmöglichkeit 7.487 Vereinbarungen im Zusammenhang mit Betriebsübergängen mit Skepsis gegenüber. Der Abschluss des Aufhebungsvertrags ist nicht von besonderen Gründen oder sachlichen Voraussetzungen abhängig. Er ist aber nur wirksam, wenn er tatsächlich auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis gerichtet ist1. Voraussetzung ist, dass nicht bereits in Aussicht genommen ist, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Betriebserwerber fortgesetzt wird. Der Aufhebungsvertrag ist in diesem Falle nicht auf eine endgültige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet, sondern bezweckt als Umgehung von § 613a BGB lediglich die Beseitigung der Kontinuität. Die Aufhebungsvereinbarung dient dann nicht (lediglich) der Unterbrechung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses, wenn eine Beschäftigung bei dem Betriebserwerber ungewiss ist, d.h. nicht mehr als eine mehr oder weniger begründete Erwartung besteht, bei dem Betriebserwerber in ein Arbeitsverhältnis treten zu können („Risikogeschäft“). Das Lemgoer Modell ist als Gesetzesumgehung angesehen worden. Es handelt 7.488 sich dabei um eine Gestaltung, bei der die Arbeitnehmer mit Hinweis auf den Betriebsübergang und die Erhaltung der Arbeitsplätze veranlasst werden, entweder eine Eigenkündigung auszusprechen oder einem Aufhebungsvertrag zuzustimmen, um sogleich mit dem Betriebserwerber einen neuen Arbeitsvertrag zu schließen. Dies bezweckt, dass der Betriebserwerber losgelöst von den bisherigen Arbeitsverträgen neue Arbeitsverträge mit für ihn wünschenswerten Arbeitsbedingungen eingehen kann und dass die Arbeitnehmer Rechte aus dem Arbeitsvertrag (Beispiel: Versorgungszusagen) verlieren. Das Bundesarbeitsgericht hat dieses Vorgehen wegen Umgehung des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB für unwirksam erklärt2. Als Ziel werde allein verfolgt, aus Anlass des Betriebsübergangs sämtliche Arbeitsbedingungen zu verändern und erworbene Besitzstände abzubauen. Es gehe letztlich nicht um die Fortsetzung der Arbeitsverhältnisse überhaupt, weil diese bereits festgestanden haben und zugesagt gewesen seien. Das Bundesarbeitsgericht hat seine Rechtsprechung wie folgt zusammengefasst3: Schließt ein Arbeitnehmer im Falle eines Betriebsübergangs mit dem Betriebsveräußerer einen Aufhebungsvertrag und gleichzeitig mit dem Betriebserwerber einen Arbeitsvertrag, so ist der Aufhebungsvertrag wegen Umgehung des § 613a BGB nichtig. Dies gilt auch dann, wenn dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dem Abschluss des Aufhebungsvertrags vom Betriebserwerber ein neues Arbeitsverhältnis verbindlich in Aussicht gestellt wird oder es für den Arbeitnehmer nach den gesamten Umständen klar gewesen ist, dass er vom Betriebserwerber eingestellt werde. Diese Umstände hat der Arbeitnehmer näher darzulegen und ggf. zu beweisen. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer 1 Vgl. BAG v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung; BAG v. 11.2.1992 – 3 AZR 117/91, AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung; BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 654/95, NZA 1999, 262; BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, AP Nr. 185 zu § 613a BGB; BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, DB 2006, 107; Berscheid in Kölner Schrift zur InsO, S. 1081, 1128. 2 Vgl. BAG v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung = DB 1988, 400; BAG v. 11.2.1992 – 3 AZR 117/91, AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung; Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme beim Betriebsinhaberwechsel, 1989, S. 195 ff. 3 Vgl. BAG v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203.

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7.489

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

zu einer Eigenkündigung veranlasst1. Es kommt dann darauf an, ob die Eigenkündigung auf das endgültige Ausscheiden aus dem Betrieb gerichtet ist oder nur der Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes dient; davon ist auszugehen, wenn zeitgleich mit der Veranlassung der Eigenkündigung bei dem Betriebsveräußerer ein neues Arbeitsverhältnis mit dem Betriebserwerber vereinbart wird oder nach den gesamten Umständen erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer von dem Betriebserwerber eingestellt wird. 7.489 Ein Umgehungsfall liegt vor, wenn Aufhebungsverträge abgeschlossen werden, die Beschäftigten in eine Transfergesellschaft wechseln und konkret vorgesehen ist, dass der Betriebserwerber bestimmte Arbeitnehmer später übernimmt2. Der Abschluss des Aufhebungsvertrags ist zwar nicht von besonderen Gründen oder sachlichen Voraussetzungen abhängig. Er ist jedoch nur wirksam, wenn er tatsächlich auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis gerichtet ist. Dementsprechend sind dreiseitige Verträge möglich, die zum Inhalt haben, dass ein Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis statt bei dem (insolventen) Arbeitgeber oder einem Betriebserwerber bei einer Transfergesellschaft fortsetzt3. Voraussetzung ist allerdings, dass nicht bereits in Aussicht genommen ist, das Arbeitsverhältnis dann nach einer Kurzunterbrechung mit dem Betriebserwerber fortzusetzen. Der Aufhebungsvertrag ist in diesem Falle nicht auf eine endgültige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet, sondern bezweckt als Umgehung von § 613a BGB lediglich die Beseitigung der Kontinuität. Die Aufhebungsvereinbarung dient dann nicht (lediglich) der Unterbrechung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses, wenn eine Beschäftigung bei dem Betriebserwerber ungewiss ist, d.h. nicht mehr als eine mehr oder weniger begründete Erwartung besteht, bei dem Betriebserwerber in ein Arbeitsverhältnis treten zu können. 7.490 Änderungsverträge aus Anlass des Betriebsübergangs werden einer strengen Inhaltskontrolle unterzogen. Ein Teil der Entscheidungen betrifft Erlassvereinbarungen über gestundete und rückständige Vergütung4. Diese Problematik ist im Insolvenzverfahren unerheblich, weil der Betriebserwerber ohnehin nicht für Rückstände aus der Vergangenheit haftet. Ein anderer Teil der Entscheidungen betrifft Vereinbarungen über eine künftige Nichterbringung bzw. Verringerung von Leistungen5. Das Bundesarbeitsgericht verlangt für Verschlechterungsvereinbarungen anlässlich eines Betriebsübergangs einen sachlichen Grund. Ein solcher sachlicher Grund liegt typischerweise vor, wenn der Betrieb Not leidend ist. Die Insolvenzsituation ist für sich allein jedoch nicht als sachlicher Grund angesehen 1 Vgl. BAG v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11 L, DB 2013, 642. 2 S. dazu Pils, NZA 2013, 125; Willemsen, NZA 2013, 242 ff. („Erfurter Roulette“). 3 BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, AP Nr. 185 zu § 613a BGB; BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, DB 2006, 107; BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152; Einzelheiten bei Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 128 InsO Rz. 45 ff. 4 Vgl. BAG v. 18.8.1976 – 5 AZR 95/75, DB 1977, 310; BAG v. 27.4.1988 – 5 AZR 358/87, DB 1988, 1653. 5 Vgl. BAG v. 26.1.1977 – 5 AZR 302/75, DB 1977, 1192: Treueprämien; BAG v. 17.1. 1980 – 3 AZR 160/79, DB 1980, 308: Abschwächung von Steigerungsbeträgen für Betriebsrenten; BAG v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, DB 1986, 1779: Nichtfortführung von Versorgungsversprechen; BAG v. 27.4.1988 – 5 AZR 358/87, DB 1988, 1653: Herabsetzung von Vergütungen; BAG v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, DB 1992, 2038: Aufhebung von Versorgungsversprechen.

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Betriebsveräußerung

7.530

worden: Der Betriebserwerber muss – darüber hinaus – darlegen, dass die Fortführung der ganz oder teilweise aufgehobenen Verpflichtung zu Schwierigkeiten für das Unternehmen führt. Das Bundesarbeitsgericht hat betont, dass an das Vorliegen sachlicher Gründe ein strenger Maßstab anzulegen und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nur unter engen Voraussetzungen möglich sei1. Der Betriebserwerber wird also darlegen müssen, dass die Senkung des Niveaus von Nebenleistungen oder Vergütungen für eine Fortführung und Weiterentwicklung des Unternehmens erforderlich ist. Diese Rechtsprechung ist in der Literatur zu Recht kritisiert worden2. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geht über den Schutzzweck des § 613a BGB hinaus. Die Vorschrift bezweckt, dass die Arbeitsverhältnisse ähnlich wie in Fällen einer Gesamtrechtsnachfolge oder einer Veräußerung von Gesellschaftsanteilen erhalten bleiben. Dass die Arbeitnehmer einen zusätzlichen Bestands- und Inhaltsschutz erreichen, den sie weder bei Verbleiben des Betriebs beim alten Arbeitgeber noch bei Veräußerung von Gesellschaftsanteilen noch bei Gesamtrechtsfolge haben würden, ist nicht begründbar. Etwaige Änderungsvereinbarungen sind allein nach denjenigen Kontrollinstrumenten und Rechtsinstituten zu beurteilen, die auch außerhalb des Betriebsübergangs für die Beurteilung von Änderungsvereinbarungen anwendbar sind. Der EuGH hat keinen Zweifel daran gelassen, dass die Richtlinie keinen Änderungen des Arbeitsverhältnisses entgegensteht, die ohne Betriebsübergang nach dem Recht eines Mitgliedstaats möglich sind3. Das Bundesarbeitsgericht geht über Reichweite und Schutzzweck des § 613a BGB mit seiner auf diese Norm gestützten Inhaltskontrolle von Änderungsvereinbarungen deutlich und grundlos hinaus. Es ist unproblematisch, wenn nach dem Betriebsübergang die Änderung von Arbeitsbedingungen (Bsp.: Entgeltreduzierung) zwischen dem Betriebserwerber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird4. vacat

7.491–7.530

1 Vgl. BAG v. 27.4.1988 – 5 AZR 358/87, DB 1988, 1653; BAG v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, DB 1992, 2038. 2 Vgl. Bauer, Unternehmensveräußerung und Arbeitsrecht, 1983, S. 78; Feudner, DB 1996, 830, 832; Kraft in FS 25 Jahre BAG, 1979, S. 299, 301; Moll, NJW 1994, 2016, 2022; Pietzko, ZIP 1990, 1105 ff.; Schwerdtner in FS Müller, 1981, S. 557, 583; Willemsen, RdA 1987, 327 ff. 3 Vgl. EuGH v. 10.2.1988 – C-324/86, Slg. 1988, 739 (Einem Restaurantleiter war gekündigt worden, weil der Arbeitgeber [Pächter] keine Schankerlaubnis erhalten hatte und das Pachtverhältnis beendet wurde. Der Verpächter verpachtete das Restaurant anderweitig. Der nunmehrige Pächter schloss mit dem Restaurantleiter wieder einen Arbeitsvertrag ab, der jedoch [auf Wunsch des Restaurantleiters allerdings] eine verkürzte Kündigungsfrist vorsah. Deren Wirksamkeit stand zur Entscheidung. Der EuGH führt aus, dass die Richtlinie „einer mit dem neuen Unternehmensinhaber vereinbarten Änderung des Arbeitsverhältnisses nicht entgegensteht, wenn das anwendbare innerstaatliche Recht eine solche Änderung unabhängig von einem Unternehmensübergang zulässt.“); EuGH v. 12.11.1992 – C-209/91, Slg. 1992, 5773. S. dazu auch Bergwitz, DB 1999, 2005, 2009. 4 Vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 11.3.2015 – 3 Sa 128/14, LAGE § 613a BGB 2002 Nr. 43.

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7.531

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

D. Bankgeschäfte im eröffneten Insolvenzverfahren I. Zahlungsverkehr 7.531 Auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat das kontoführende Kreditinstitut bei der Abwicklung des Zahlungsverkehrs insolvenzrechtliche Besonderheiten zu beachten (zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs in der Krise s. oben Rz. 1.312 ff. und im Eröffnungsverfahren s. oben Rz. 5.301 ff.). 1. Zahlungseingänge im eröffneten Verfahren 7.532 Gehen zu Gunsten des Kontos einer GmbH, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, noch Zahlungseingänge ein, gilt folgendes: Zwar erlöschen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach §§ 115, 116 InsO sämtliche Geschäftsbesorgungsverträge, die die insolvente GmbH abgeschlossen hatte, und damit auch der Zahlungsdiensterahmenvertrag. Dennoch kann das Kreditinstitut Überweisungseingänge weiterhin entgegennehmen, muss die Zahlungen dann aber nach § 667 BGB herausgeben1. Dies ergibt sich aus einer Nachwirkung der beendeten Geschäftsverbindung2. Da jedoch mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Kontoinhabers auch das Kontokorrentverhältnis einschließlich der Verrechnungsabrede erlischt, ist das kontoführende Kreditinstitut nicht mehr berechtigt, Überweisungseingänge durch Gutschriften auf dem debitorischen Konto des Schuldners automatisch zu verrechnen und hierdurch seine Forderungen zu reduzieren3. Im Übrigen folgt dies auch aus § 91 Abs. 1 InsO, dem sich entnehmen lässt, dass Vorausverfügungen des Schuldners über zukünftige Forderungen – auch in Gestalt von Aufrechnungs- und Verrechnungsverträgen – in der Insolvenz keinen Bestand haben sollen, wenn die fragliche Forderung erst nach Verfahrenseröffnung zur Entstehung gelangt. 7.533 Auch eine Aufrechnung des kontoführenden Kreditinstituts mit seinem Anspruch aus dem Debetsaldo des Schuldners gegen dessen nachvertraglichen Anspruch auf Herausgabe des von dem Kreditinstitut entgegengenommenen Geldbetrages ist gemäß § 96 Nr. 1 InsO ausgeschlossen. Denn nach dieser Vorschrift kann das Institut nicht mehr aufrechnen, wenn es auf Grund eines Überweisungseingangs erst nach Insolvenzeröffnung dem Kunden etwas schuldig geworden ist4. Ob eine Zahlung vor oder nach Insolvenzeröffnung eingegangen ist, richtet sich dabei danach, zu welchem Zeitpunkt das Kreditinstitut buchmäßige Deckung erhalten hat.

1 BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 164/14, WM 2015, 733 Rz. 9; BGH v. 5.12.2006 – XI ZR 21/06, WM 2007, 348. 2 Diese nachwirkende Befugnis des Kreditinstituts, Zahlungseingänge noch gutzuschreiben, kann auch mehr als vier Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch bestehen, vgl. BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 164/14, WM 2015, 733 Rz. 10. 3 Steinhoff, ZIP 2000, 1141, 1142. 4 Brandes/Lohmann in Münchener Kommentar zur InsO, § 96 InsO Rz. 15; Steinhoff, ZIP 2000, 1141, 1142.

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Kuder/Unverdorben

Zahlungsverkehr

7.536

2. Ausführung von Zahlungsaufträgen im eröffneten Verfahren a) Neue Zahlungsaufträge Da mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich alle von der GmbH 7.534 ihrem Kreditinstitut erteilten Aufträge und Geschäftsbesorgungsverträge erlöschen (§ 116 Satz 1 InsO) und demgemäß auch der Zahlungsdiensterahmenvertrag (Girovertrag) endet, ist das Kreditinstitut zur Ausführung neuer Zahlungsaufträge zu Lasten eines insolvenzbefangenen Kontos nicht mehr verpflichtet. Zudem ist die Verfügungsbefugnis mit der Eröffnung auf den Insolvenzverwalter übergegangen (§ 80 InsO). Sofern das Kreditinstitut gleichwohl nach Insolvenzeröffnung noch Zahlungsaufträge der GmbH ausführt, ist zu unterscheiden, ob das Kreditinstitut bei der Ausführung von der Insolvenzeröffnung Kenntnis hatte oder nicht. Das Kreditinstitut ist dabei nicht verpflichtet, organisatorische Vorkehrungen zu 7.535 treffen, um die im Internet zugänglichen Informationen über Verfahrenseröffnungen systematisch aufzunehmen und weiter zu verarbeiten1. Allein die Möglichkeit, diese Informationen durch eine Einzelabfrage auf dem Insolvenzportal insolvenzbekanntmachungen.de zu gewinnen, hindert das Kreditinstitut nach Treu und Glauben nicht, sich auf seine Unkenntnis zu berufen2. Ist dem Kreditinstitut bei Ausführung eines Zahlungsauftrags die Insolvenzeröffnung nicht bekannt, so wird das Kreditinstitut trotz Erlöschen des Auftrags von seiner Schuld befreit bzw. erwirbt – falls seine Unkenntnis nicht auf Fahrlässigkeit beruhte – Aufwendungsersatzansprüche gegen die Insolvenzmasse. Dies richtet sich danach, ob das Konto des Kunden ein Guthaben aufweist oder sich im Soll befindet. Wies das Konto des Kunden ein Guthaben auf, so wird das Kreditinstitut, das in Unkenntnis von der Insolvenzeröffnung einen Zahlungsauftrag ausführte, durch die Zahlung an den Empfänger von seiner Schuld gegenüber dem Kontoinhaber nach § 82 InsO befreit3. Die Zahlung an den Empfänger ist nämlich rechtlich als Leistung an den Kontoinhaber zu werten. Für die Anwendung der Schutzvorschrift des § 82 InsO ist es ohne Bedeutung, ob das Guthaben, aus dem das Kreditinstitut geleistet hat, schon bei Verfahrenseröffnung vorhanden war oder ob es erst durch Zahlungseingänge nach Verfahrenseröffnung entstanden ist. § 82 InsO bezieht sich unterschiedslos auf sämtliche Verbindlichkeiten, die „zur Insolvenzmasse zu erfüllen“ waren. Wies das Konto der insolventen GmbH bei Ausführung des Zahlungsauftrags einen 7.536 Debetsaldo aus, so kann das kontoführende Kreditinstitut seinen Aufwendungsersatzanspruch als Insolvenzforderung geltend machen (§§ 116, 115 Abs. 3 InsO)4. 1 BGH v. 15.4.2010 – IX ZR 62/09, ZInsO 2010, 912 mit Anm. Wittmann/Kinzl, ZIP 2011, 2232. 2 Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn der Gläubiger glaubhaft macht, dass er einen Beschluss auf involvenzbekanntmachungen.de nicht entdeckt hat, weil er aufgrund der unzureichenden Erläuterungen auf der Suchmaske nicht bemerkt hat, dass er den Vornamen nicht eingeben darf, um vollständige Suchergebnisse zu erhalten: BGH v. 10.10.2013 – IX ZR 229/11, ZInsO 2014, 88 mit Anm. Hafemeister, ZInsO 2014, 447. 3 Steinhoff, ZIP 2000, 1141, 1142; Ott/Vuia in Münchener Kommentar zur InsO, § 82 InsO Rz. 21. 4 Ott/Vuia in Münchener Kommentar zur InsO, § 116 InsO Rz. 38, für Überweisungsaufträge vor In-Kraft-Treten des Überweisungsgesetzes.

Kuder/Unverdorben

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7.537

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

Denn nach § 115 Abs. 3 Satz 1 InsO gilt ein Auftrag, und damit nach § 116 InsO auch ein Geschäftsbesorgungsvertrag, als fortbestehend, solange der Beauftragte die Eröffnung des Verfahrens ohne Verschulden nicht kannte. Mit den Ersatzansprüchen aus dieser Fortsetzung ist der Beauftragte Insolvenzgläubiger. Für die Schutzwirkung der §§ 116, 115 Abs. 3 InsO ist aber wesentlich, ob die Unkenntnis des Kreditinstituts auf Fahrlässigkeit beruht; in diesem Fall erwirbt es keinen Aufwendungsersatzanspruch, da das Fortbestehen des Auftrags nur dann fingiert wird, wenn dem Beauftragten das Erlöschen des Auftrags weder bekannt war noch bekannt sein musste. Das Kreditinstitut ist jedoch nicht auf die Insolvenzquote verwiesen, wenn ihm andere Werte der insolventen GmbH als Sicherheit für seine Forderung haften. § 115 Abs. 3 InsO schließt nämlich nicht aus, dass das Kreditinstitut für seine Forderung ein Absonderungsrecht erhält, sondern stellt nur klar, dass keine Masseforderungen entstehen, obwohl das Kreditinstitut nach Verfahrenseröffnung keine Leistung zu Gunsten der Masse erbringt. Dabei können Sicherungsrechte insbesondere auch auf Grund des AGB-Pfandrechts an Werten bestehen, die vor Verfahrenseröffnung in den Besitz des Kreditinstituts gelangt sind. 7.537 Führt das Kreditinstitut einen Zahlungsauftrag der GmbH mit Kenntnis oder auf Grund fahrlässiger Unkenntnis der Insolvenzeröffnung aus, so erwirbt das Kreditinstitut gegen den insolventen Kunden im Grundsatz keinen Aufwendungsersatzanspruch, den es mit einem Guthaben verrechnen oder im Falle eines debitorischen Saldos als Insolvenzforderung anmelden könnte. Denn nach dem Erlöschen des Zahlungsdiensterahmenvertrages und des Zahlungsauftrags konnte ein Aufwendungsersatzanspruch nicht mehr begründet werden. Eine entsprechende Belastung des Schuldnerkontos wäre gegenüber der Insolvenzmasse gemäß § 82 InsO unberechtigt und unwirksam1. Stattdessen ist das Kreditinstitut auf einen Bereicherungsanspruch gegen den Empfänger der Zahlung angewiesen2. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Zahlungsempfänger die Insolvenzeröffnung kannte. Soweit der Zahlungsbegünstigte jedoch gutgläubig war, besteht für ihn die Möglichkeit, gegen den Bereicherungsanspruch die Einrede der Entreicherung zu erheben. b) Bei Eröffnung bereits vorliegende Zahlungsaufträge 7.538 Für bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugegangene Zahlungsaufträge ordnet § 116 Satz 3 InsO an, dass diese trotz der Verfahrenseröffnung bestehen bleiben. Das Kreditinstitut ist folglich berechtigt und gemäß §§ 675o Abs. 2, 675n Abs. 1 BGB verpflichtet, den Zahlungsauftrag weiter abzuwickeln3. Daran wird das Kreditinstitut zwar kein Interesse haben, wenn für die Überweisung ein Kredit in Anspruch genommen würde. Um sich von der Verpflichtung zur Durchführung der Überweisung zu lösen, muss das Kreditinstitut jedoch den Kreditvertrag außerordentlich kündigen; dazu ist das Institut wegen der Insolvenzeröffnung gemäß § 490 Abs. 1 BGB berechtigt4. Zur Ausübung des Kündigungs1 Nobbe, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Überweisungsverkehr, WMSonderbeilage 4/2001, S. 5, unter Berufung auf BGH v. 9.10.1974 – VIII ZR 190/73, WM 1974, 1127, 1129; Ott/Vuia in Münchener Kommentar zur InsO, § 82 InsO Rz. 21. 2 Dazu Ott/Vuia in Münchener Kommentar zur InsO, § 82 InsO Rz. 22. 3 Lange/Obermüller in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 15/340. 4 Lange/Obermüller in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 15/340a.

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Kuder/Unverdorben

Zahlungsverkehr

7.541

rechts ist das Kreditinstitut jedoch nicht verpflichtet. Verzichtet das Kreditinstitut auf die Kündigung, so erwirbt es aus der Ausführung der Überweisung einen Aufwendungsersatzanspruch, der nunmehr als Masseforderung zu bedienen ist1. Ist ein Guthaben vorhanden, kann das Kreditinstitut den Überweisungsauftrag, ohne selbst Nachteile zu erleiden, weiter abwickeln. Das Kreditinstitut erwirbt den Aufwendungsersatzanspruch als Masseforderung nach § 116 Satz 3 InsO. Mit diesem Anspruch kann das Kreditinstitut gegen die Guthabenforderung aufrechnen, da die Aufrechnungsverbote des § 96 InsO nicht eingreifen. Denn sie gelten nicht für Massegläubiger. 3. Besonderheiten im Lastschriftverkehr a) Einlösung von Lastschriften nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen neben dem Zahlungsdiens- 7.539 terahmenvertrag auch die von dem Schuldner erteilten SEPA-Lastschriftmandate, die rechtlich als Geschäftsbesorgungsverträge einzuordnen sind (§ 116 InsO). Hat das Kreditinstitut Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über 7.540 das Vermögen seines zahlungspflichtigen Kunden und löst es die Lastschrift – in der Regel wohl versehentlich – gleichwohl ein, erwirbt es keinen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Kunden, den es mit einem Guthaben verrechnen oder im Falle einer debitorischen Kontoführung als Insolvenzforderung anmelden könnte2. Stattdessen hat das Kreditinstitut einen Bereicherungsanspruch im Wege der Eingriffskondiktion gegen den Zahlungsempfänger3. Sofern dem Kreditinstitut die Eröffnung des Verfahrens zum Zeitpunkt der Belas- 7.541 tung der Lastschrift nicht bekannt ist, kann es trotz des Erlöschens des Zahlungsdiensterahmenvertrages und des Lastschriftmandats – im Fall der Einlösung aus Guthaben – gemäß § 82 InsO wirksam verrechnen oder – im Fall eines debitorischen Kontos – seinen Aufwendungsersatzanspruch, sofern vorhanden, aus den Erlösen der Verwertung ihm gestellter Kreditsicherheiten entnehmen bzw. als Insolvenzforderung anmelden (§§ 116, 115 Abs. 3 InsO). Die Beweislast für die Kenntnis des Kreditinstituts trifft vor der öffentlichen Bekanntmachung den Insolvenzverwalter (§ 82 Satz 1 InsO), danach muss das Kreditinstitut seine Unkenntnis beweisen (§ 82 Satz 2 InsO). Der maßgebliche Zeitpunkt für die Kenntnis ist der Zeitpunkt, in dem das Kreditinstitut als Zahlstelle die Lastschrift eingelöst hat; dies ist der Fall, wenn die Belastung auf dem Konto des Zahlungspflichtigen gebucht ist und diese Buchung nicht spätestens am zweiten Buchungstag nach der Belastung rückgängig gemacht wird4. 1 Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 166 InsO Rz. 52; Nobbe, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Überweisungsverkehr, WM-Sonderbeilage 4/2001, S. 5. 2 Mock in Uhlenbruck, § 82 InsO Rz. 55; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.731. 3 BGH v. 11.4.2006 – XI ZR 220/05, ZIP 2006, 1041. 4 Vgl. Nr. 9 Abs. 2 AGB Banken, Nr. 2.4 der Bedingungen für das SEPA-Basislastschriftverfahren bzw. SEPA-Firmenlastschriftverfahren; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.737.

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7.542

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

b) Einzug von Lastschriften nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens 7.542 Da der Zahlungsdiensterahmenvertrag mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erloschen ist (§ 116 InsO), kann der Insolvenzverwalter das Konto nur weiter nutzen, wenn er und das Kreditinstitut sich in einer gesonderten Vereinbarung darauf geeinigt haben, dass der Zahlungsdiensterahmenvertrag fortgeführt wird. Das gleiche gilt für die Zulassung zum Lastschrifteinzug. Da zudem auch die Lastschriftmandate erloschen sind, benötigt der Insolvenzverwalter darüber hinaus neue SEPA-Lastschriftmandate von den Zahlungspflichtigen1. 7.543–7.550

vacat

II. Neukredite 7.551 Zwar ist die Unternehmenssanierung gemäß § 1 InsO kein eigenständiges Ziel des Insolvenzverfahrens2. Regelmäßig wird es aber ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft sein, den Geschäftsbetrieb der GmbH im Insolvenzverfahren zumindest für eine gewisse Zeit fortzuführen, beispielsweise um eine Unternehmenssanierung, auch durch Unternehmensverkauf, aus dem Insolvenzverfahren heraus zu erreichen (dazu auch Rz. 7.141 ff.). Selbst wenn nur eine optimale Liquidation der Masse angestrebt wird, ist dazu häufig die Unternehmensfortführung erforderlich, um die halb fertigen Güter des Vorratsvermögens fertig zu stellen (sog. Ausproduktion) und weiterhin Garantie- und Serviceleistungen zu erbringen, damit den Kunden gegenüber dem Forderungseinzug kein Grund für Aufrechnungsund Zurückbehaltungsrechte gegeben wird3. Eine solche Unternehmensfortführung muss finanziert werden, insbesondere die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer, aber auch die Bezahlung der Lieferanten einschließlich der Energielieferungen, der Miet- und Pachtzahlungen und der Steuern4. 7.552 Ist für eine GmbH oder ein anderes Unternehmen ein Insolvenzantrag gestellt worden, werden Kreditgeber allenfalls dann bereit sein, neue Kredite für die Betriebsfortführung zur Verfügung zu stellen, wenn diese als Massekredite privilegiert werden, also die Forderungen aus den Neukrediten im Insolvenzverfahren bei der Sanierung des Schuldners von einer Herabsetzung der Verbindlichkeiten des Schuldners in einem evtl. Insolvenzplan nicht betroffen sind und bei Scheitern der Sanierung aus den Erlösen der Liquidation des Schuldnervermögens vor den Altforderungen befriedigt werden5. Wegen der zahlreichen massearmen Ver1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.764 f. 2 Pape in Uhlenbruck, § 1 InsO Rz. 1; Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 1 RegE S. 109; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum RegE InsO v. 19.4.1994, BT-Drucks. 12/7302, § 1 RegE S. 155. 3 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 22 InsO Rz. 89 f.; Kübler, ZGR 1982, 498, 502. 4 Zur Finanzierung der Unternehmensfortführung im Insolvenzverfahren auch Beck in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 2. Aufl. 2010, § 19 Rz. 37 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.473 ff.; Obermüller/Kuder in Gottwald, InsolvenzrechtsHandbuch, Rz. 36 f.; Wittig, DB 1999, 197 ff. 5 Nach Auffassung von Vallender in Uhlenbruck, § 22 InsO Rz. 237, wäre wegen des nicht zu deckenden Kreditbedarfs eine Sanierung von notleidenden Unternehmen in den meisten Fällen von vornherein ausgeschlossen, wenn die im Eröffnungsverfahren

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Neukredite

7.553

fahren dürfte jedoch selbst eine solche Privilegierung der Neukredite meistens nicht ausreichen, um den Kreditgebern die Kreditentscheidung zu ermöglichen, sondern sie werden darüber hinaus die (rechtsbeständige) Bestellung von Kreditsicherheiten für die Neukredite verlangen. Bei der Betrachtung des rechtlichen Rahmens für Neukredite im Insolvenzverfahren müssen daher neben den Voraussetzungen, unter denen ein Neukredit als Massekredit privilegiert ist, auch die Möglichkeiten der Kreditbesicherung erörtert werden. 1. Finanzierung mit Neukrediten im regulären Insolvenzverfahren a) Finanzierung durch Ausnutzung bestehender Kreditlinien? Die Insolvenzordnung räumt dem Verwalter das Wahlrecht ein, ob gegenseitige, 7.553 von beiden Vertragsparteien nicht oder nicht vollständig erfüllte Verträge erfüllt werden sollen1. Dennoch hat der Verwalter auch im Insolvenzverfahren nicht die Möglichkeit, durch Erfüllungswahl die Valutierung bereits zugesagter, aber noch nicht ausgezahlter Kredite zu verlangen. Dabei muss für das Schicksal bestehender Kreditverträge zwischen Kontokorrentkrediten und Tilgungskrediten unterschieden werden. Infolge der Verfahrenseröffnung erlöschen gemäß §§ 115, 116 InsO2 Aufträge und Geschäftsbesorgungsverhältnisse und damit sowohl der Zahlungsdiensterahmenvertrag (Girovertrag) wie auch der Kontokorrentvertrag3. Dadurch werden sämtliche Kredite, gleich welcher Art, die die insolvente GmbH oder ein anderer Kreditnehmer auf Basis der Kontokorrentabrede in Anspruch genommen hat, sofort fällig4, und noch nicht ausgenutzte Kreditteile können auch vom Verwalter nicht mehr in Anspruch genommen werden. Daran ändert auch § 108 Abs. 2 InsO nichts, da die Regelung ausdrücklich nur den Fortbestand von Darlehensverträgen anordnet, bei denen der Schuldner Kreditgeber, nicht Kreditnehmer ist5. Demgegenüber gelten zwar Kredite, die nicht auf Kontokorrentbasis, sondern auf Grund fester Vereinbarung hinsichtlich der Auszahlung und Rückzahlung gewährt worden sind, wie z.B. Annuitätendarlehen, Ratenkredite und Schuldscheindarlehen, auch als fällig (§ 41 Abs. 1 InsO), jedoch mit der Ausnahme, dass die vorzeitige Fälligkeit für die Zwecke einer Aufrechnung als nicht eingetreten gilt (§ 95 Abs. 1 Satz 2 InsO)6. Davon unberührt bleibt aber das Wahlrecht des Verwalters, so dass er bei dieser Art von Krediten die Möglichkeit hätte,

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6

oder spätestens im eröffneten Insolvenzverfahren neu gewährten Kredite keine Privilegierung erführen. Dazu Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 117 RegE S. 141. Dazu Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, §§ 133, 134 RegE S. 151. BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 164/14, WM 2015, 733; BGH v. 5.12.2006 – XI ZR 21/06, WM 2007, 348 Rz. 11 f.; BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 227/04, WM 2006, 194; OLG Köln v. 19.4.2004 – 2 U 187/03, NZI 2004, 668; Sinz in Uhlenbruck, § 116 InsO Rz. 16. So auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.462; a.A. Wilmowsky, WM 2008, 1189, 1190 (Fn. 1). Zur Diskussion, ob nach den ersten Entwurfsfassungen diese durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens eingeführte Regelung auch für den Schuldner als Kreditnehmer gegolten hätte, s. Marotzke, ZInsO 2004, 1273; Kuder, ZInsO 2004, 1180. Zur Entstehungsgeschichte dieser Norm auch Eckert in Münchener Kommentar zur InsO, Vorbemerkung zu § 108 InsO Rz. 203. Zum Schicksal bestehender Kredite Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.460 ff.; Sinz in Uhlenbruck, § 95 InsO Rz. 8; Wittig, DB 1999, 197 ff.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

durch Erfüllungswahl noch nicht in Anspruch genommene Kreditteile für die Finanzierung im Insolvenzverfahren zu nutzen1. Und bei der Entscheidung für die Erfüllungswahl muss der Insolvenzverwalter noch nicht einmal darauf Rücksicht nehmen, inwieweit der betreffende Kredit bereits vor der Verfahrenseröffnung in Anspruch genommen worden ist. Denn die Erfüllungswahl führt nicht dazu, dass die Ansprüche des Kreditgebers insgesamt zu Masseforderung werden. Vielmehr sorgt § 105 InsO dafür, dass auch bei Inanspruchnahme offener Linien durch den Verwalter im Insolvenzverfahren der Kreditgeber hinsichtlich der bereits vor Eröffnung des Verfahrens ausgezahlten Kreditteile lediglich Insolvenzgläubiger ist2. 7.554 In der Praxis wird diese Ausnutzung von bestehenden Kreditzusagen durch den Insolvenzverwalter jedoch nicht in Betracht kommen, weil die Kreditgeber zur Kündigung bestehender Kredite auch noch nach Verfahrenseröffnung berechtigt sind. Ein Kündigungsverbot für den Vertragspartner des Schuldners, um dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters nicht die Grundlage zu entziehen, sieht die Insolvenzordnung nicht vor3. Kreditinstituten steht dabei (auch ohne gesonderte Vereinbarungen im Kreditvertrag) ein Kündigungsrecht auf Grund der allgemeinen Geschäftsbedingungen des Kreditgewerbes, jedenfalls aber nach § 490 Abs. 1 BGB zu4. Nach der Regelung in den AGB des Kreditgewerbes (Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken, Nr. 22 Abs. 2 AGB-Sparkassen)5 ebenso wie nach der gesetzlichen Regelung in § 490 Abs. 1 BGB6 ist der Kreditgeber zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund insbesondere dann berechtigt, wenn eine wesentliche Verschlechterung der Vermögenslage des Kreditnehmers eintritt und dadurch die Erfüllung seiner Verbindlichkeiten gefährdet ist. Da die Rechtsprechung sogar die bloße Androhung des Kreditnehmers, er werde seine Zahlungen einstellen und die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen, für die fristlose Kreditkündigung auf Grund Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken, Nr. 22 Abs. 2 AGB-Sparkassen ausreichen lässt7, besteht an 1 Grundsätzlich zur Anwendbarkeit von § 103 InsO auf das (teilweise) noch nicht ausgezahlte Darlehen Huber in Münchener Kommentar zur InsO, § 103 InsO Rz. 69. 2 Kreft in Münchener Kommentar zur InsO, § 105 InsO Rz. 15; anders Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.468. 3 Zur Diskussion dieser Frage bei Entstehung der Insolvenzordnung s. einerseits Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 137 RegE S. 152 f.; andererseits Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu § 137 RegE, BT-Drucks. 12/7302, S. 170, dazu auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.469. 4 So im Ergebnis auch Huber in Münchener Kommentar zur InsO, § 103 InsO Rz. 69. 5 Zu diesem Kündigungsrecht bzw. seiner Vorgängerregelung in Nr. 17 AGB-Banken BGH v. 10.3.2009 – XI ZR 492/07; BGH v. 20.5.2003 – XI ZR 50/02, WM 2003, 1416; BGH v. 26.5.1988 – III ZR 115/87, WM 1988, 1223; BGH v. 6.3.1986 – III ZR 245/84, WM 1986, 605; BGH v. 26.9.1985 – III ZR 213/84, WM 1985, 1493; BGH v. 26.9.1985 – III ZR 229/84, WM 1985, 1437; BGH v. 30.5.1985 – III ZR 112/84, WM 1985, 1136; BGH v. 28.2.1985 – III ZR 223/83, WM 1985, 769; BGH v. 23.2.1984 – III ZR 159/83, WM 1984, 586; BGH v. 18.12.1980 – III ZR 157/78, WM 1981, 150; BGH v. 19.9.1979 – III ZR 93/76, WM 1979, 1176; BGH v. 10.11.1977 – III ZR 39/76, WM 1978, 234; Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/575 ff. 6 Dazu K. P. Berger in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 490 BGB Rz. 2 ff.; Wittig/Wittig, WM 2002, 145; Obermüller, ZInsO 2002, 97; Freitag, WM 2001, 2370; Wittig, NZI 2002, 633. 7 BGH v. 26.9.1985 – III ZR 213/84, WM 1985, 1493; OLG Hamm v. 12.9.1990 – 31 U 102/90, WM 1991, 402; Wulfers in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/588; in der Tendenz anders Wilmowsky, WM 2008, 1183, 1237 passim.

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Neukredite

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dem Recht zur Kreditkündigung nach Verfahrenseröffnung kein Zweifel. Dies gilt im Übrigen auch bei besicherten Krediten, obwohl § 490 Abs. 1 BGB und im Anschluss daran die AGB-Kündigungsregelungen der Kreditwirtschaft über die Verschlechterung der Vermögensverhältnisse hinaus auch die Berücksichtigung von Sicherheiten für die Frage verlangen, ob die Rückerstattung des Darlehens gefährdet ist. Denn diese Regelung soll den Darlehensnehmer nur davor schützen, dass der Kreditgeber trotz vollwertiger Sicherheit mit der Kündigung die Insolvenz des Kreditnehmers herbeiführt. Dagegen überwiegen die Interessen des Kreditgebers, wenn die Insolvenz ohnehin schon eingetreten ist1. b) Aufnahme neuer Kredite Angesichts dieser Rechtslage muss der im eröffneten Insolvenzverfahren beste- 7.555 hende Finanzierungsbedarf durch neu vereinbarte Kredite gedeckt werden. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, also das Recht des Schuldners, sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Neue Kreditverträge können demgemäß nur von dem Verwalter abgeschlossen werden2. Der Verwalter hat für die Aufnahme neuer Kredite grundsätzlich gemäß § 160 7.556 Abs. 2 InsO die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, weil es sich dabei in der Regel um eine Rechtshandlung handelt, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung ist. Ist ein Gläubigerausschuss nicht bestellt, so ist die Zustimmung der Gläubigerversammlung einzuholen. Eine Zustimmung ist aber entbehrlich bei Darlehen, die die Insolvenzmasse nicht erheblich belasten. Diese Ausnahme ist zwar einerseits zu begrüßen, weil damit wirtschaftlich weniger bedeutsame Rechtshandlungen auch im Bereich der Kreditaufnahmen vom Insolvenzverwalter in eigener Verantwortung entschieden werden können. Andererseits bleibt angesichts der fehlenden Angabe bestimmter Wertgrenzen naturgemäß eine gewisse Unsicherheit, ob im Einzelfall die Zustimmung erforderlich ist3. Zum Teil wird versucht, dem durch eine Pauschalierung zu begegnen, wonach Darlehensverbindlichkeiten, die einen bestimmten Wert oder einen bestimmten Anteil des Massevermögens ausmachen, nicht als erheblich i.S. von § 160 InsO angesehen werden könnten4. Nach anderer Auffassung soll stattdessen auf die Möglichkeiten zur schnellen Tilgung aus dem kurzfristig zu erwartenden Liquiditätsrückfluss abgestellt werden und eine Darlehensaufnahme dann i.S. von § 160 InsO unerheblich sein, wenn das Darlehen nicht höher ist als die Einnahmen, die binnen eines kurzen Zeitraums – ca. ein Monat – aus der Fortführung des Unternehmens zu erwarten sind5. Die somit verbleibende Unsicherheit 1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.470; Obermüller, ZInsO 2002, 97, 103. 2 Dazu auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.473 ff. 3 Zu den Motiven Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 179 RegE S. 174. 4 Undritz/Fiebig in Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar zum Insolvenzrecht, § 160 InsO Rz. 19: mindestens 25 000 Euro; Schwellenwert bei mehr als 50 000 Euro: 10 % der Aktivmasse; Förster in Haarmeyer/Wutzke/Förster, 2. Aufl. 2012, § 160 InsO Rz. 9: besondere Bedeutung jedenfalls bei mehr als 25 % der Masse; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 160 InsO Rz. 7: Schwellenwert 10 % der Masse. 5 Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 160 InsO Rz. 21.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

kann aber aus Sicht eines Kreditgebers hingenommen werden, weil gerade zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten im Geschäftsverkehr § 164 InsO ausdrücklich festschreibt, dass die fehlende Zustimmung die Wirksamkeit von Handlungen des Insolvenzverwalters nicht berührt1. 7.557 Durch den Verwalter neu aufgenommene Kredite sind als Masseverbindlichkeiten privilegiert. Denn soweit der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung einen Neukredit in Anspruch nimmt, gelten die allgemeinen Regelungen des § 55 InsO. Danach sind gemäß § 55 Abs. 1 InsO Masseverbindlichkeiten alle Verpflichtungen, die der Verwalter durch sein Handeln begründet, also auch die von ihm eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen2. 7.558 Die Privilegierung des Neukredits als Masseverbindlichkeiten gewährleistet aber keine Tilgung des Verwalterkredits bei massearmen Insolvenzverfahren3. Denn wenn zwar die Kosten des Insolvenzverfahrens gedeckt sind, die Insolvenzmasse jedoch nicht zur Erfüllung sämtlicher Masseverbindlichkeiten ausreicht, besteht die Pflicht des Verwalters zur Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse fort (§ 208 Abs. 3 InsO), die Masseverbindlichkeiten werden jedoch in einer neu geordneten Reihenfolge befriedigt (§ 209 InsO), nämlich zunächst die Kosten des Insolvenzverfahrens, dann die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören, und erst zuletzt die übrigen Masseverbindlichkeiten, zu denen auch die Forderungen aus einem Verwalterkredit gehören, die vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind4. Selbst wenn die Masse in einem solchen Fall noch für die Begleichung der vorrangigen Masseverbindlichkeiten ausreichen sollte, konkurrieren beim massearmen Verfahren die Forderungen aus einem Verwalterkredit gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO mit allen übrigen Masseverbindlichkeiten. Dies ist auch deshalb besonders problematisch, weil gemäß § 55 Abs. 1 InsO auch schon Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den wegen Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, als Masseverbindlichkeiten gelten (dazu bereits oben unter Rz. 5.358 ff.)5. Darauf hat sich die Praxis allerdings eingestellt, indem fast ausnahmslos kein allgemeines Verfügungsverbot im Eröffnungsverfahren angeordnet wird, sondern das Insolvenzgericht nur einen schwachen vorläufigen Verwalter i.S. von § 22 Abs. 2 InsO einsetzt, der ggfs. zur Aufnahme von Massekrediten durch das Insolvenzgericht gesondert ermächtigt wird (dazu oben bei Rz. 5.354 f.). 1 Dazu Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 183 RegE S. 175. Ebenso Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.475; Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 164 InsO Rz. 3. 2 Generell dazu Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 21 ff. Speziell zu Massekrediten Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.476; so auch schon für den RegE InsO Uhlenbruck, ZBB 1992, 284, 285; Obermüller, ZBB 1992, 202, 208. 3 Für den Ausfall eines Massekredits s. z.B. BGH v. 18.9.2007 – XI ZR 447/06, WM 2007, 2230. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.478. 5 Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 209 InsO Rz. 34.

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Neukredite

7.560

Ein erhöhtes Kreditrisiko ergibt sich insoweit nicht aus der Konkurrenz zwischen 7.559 den Masseverbindlichkeiten und den Sozialplanverbindlichkeiten1. Zwar genießen die Ansprüche der Arbeitnehmer aus einem Sozialplan gemäß § 123 Abs. 2 InsO eine bevorrechtigte Stellung als Masseverbindlichkeiten, § 123 Abs. 2 InsO sieht aber vor, dass im Rahmen der Insolvenzordnung für die Berichtigung der Sozialplanforderungen nicht mehr als ein Drittel der Masse verwendet werden darf, die ohne einen Sozialplan für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stünde (dazu auch oben bei Rz. 7.449 ff.). Dies bedeutet im Ergebnis, dass die Sozialplanforderungen nicht auf einer Stufe mit den sonstigen Masseverbindlichkeiten des § 55 InsO stehen, da auf sie erst dann der erste Euro gezahlt wird, wenn nach Befriedigung aller anderen Masseverbindlichkeiten wenigstens drei Euro verblieben sind, die ohne die Sozialplanforderungen an die Insolvenzgläubiger zu verteilen wären2. Wenn Masseunzulänglichkeit i.S. von § 209 InsO eintritt, gehören sie damit in einem solchen masseunzulänglichen Verfahren nicht zu den drittrangigen Forderungen des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO3, was die Quote für den in diesem Rang zu befriedigenden Massekredit schmälern würde. Vielmehr gilt nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers die Beschränkung des § 123 Abs. 2 InsO für die Sozialplanforderungen auch dann, wenn es nicht zu einer vollständigen Verteilung der Masse gemäß §§ 187 ff. InsO kommt4, so dass beim masseunzulänglichen Verfahren auf die Sozialplanforderungen keine Zahlungen entfallen, weil keine freie Masse für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung steht5. Für die Erfüllung der neu aufgenommenen Kredite aus der Masse haftet der Ver- 7.560 walter gemäß § 61 Satz 1 InsO, es sei denn, er konnte bei Abschluss des Vertrages nicht erkennen, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde (§ 61 Satz 2 InsO)6. Die Beweislast für die Nichterkennbarkeit trifft den Verwalter. Dennoch wird es dem Kreditgeber in aller Regel nicht möglich sein, die Kreditentscheidung auf die Haftung des Verwalters zu stützen. Zum einen schließen die Verwalter bei der Aufnahme von Massekrediten ihre eventuelle persönliche Haftung vielfach ausdrücklich aus7. Zum anderen dürfte selbst da, wo die Haftung in Betracht kommt, diese angesichts des Missverhältnisses zwischen Kreditbedarf und finanzieller Leistungsfähigkeit des Verwalters nicht als ausreichende Kreditsicherheit angesehen werden können.

1 Zu dieser Problematik auch Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 209 InsO Rz. 37; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.479. 2 Caspers in Münchener Kommentar zur InsO, § 123 InsO Rz. 68. 3 Caspers in Münchener Kommentar zur InsO, § 123 InsO Rz. 68. 4 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum RegE InsO v. 19.4.1994, BT-Drucks. 12/7302, § 141 RegE S. 171. 5 Ebenso Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.479; Caspers in Münchener Kommentar zur InsO, § 123 InsO Rz. 68. 6 Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 61 InsO Rz. 43 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.477. 7 Zum umgekehrten Fall der Haftungsübernahme durch den Verwalter OLG Celle v. 26.5.2004 – 3 U 287/03, ZInsO 2004, 865; OLG Celle v. 21.10.2003 – 16 U 95/03, NZI 2004, 89; Nöll, ZInsO 2004, 1058.

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7.561

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

2. Besicherung des Neukredits 7.561 Weil somit trotz Privilegierung des Neukredits dem Kreditgeber ein nicht unerhebliches Risiko verbleibt, auf Grund von unzureichender Masse mit seinen Forderungen einen Ausfall zu erleiden, wird der Kreditgeber für Neukredite im Insolvenzverfahren regelmäßig eine Besicherung verlangen müssen. Der Insolvenzverwalter ist berechtigt, Sicherheiten zu stellen an Gegenständen der Insolvenzmasse für die von ihm im Insolvenzverfahren neu aufgenommenen Kredite1, denn mit der Verfahrenseröffnung ist die Verfügungsbefugnis auf ihn übergegangen (§ 80 InsO). § 160 InsO trifft insoweit keine ausdrückliche Regelung, aber es muss davon ausgegangen werden, dass der Insolvenzverwalter für die Sicherheitenbestellung immer dann die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung einholen muss, wenn dies wegen der erheblichen Belastung für die Insolvenzmasse gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 2 InsO auch schon für die Kreditaufnahme erforderlich ist2, wobei die fehlende Genehmigung gemäß § 164 InsO die Rechtswirksamkeit der Sicherheitenbestellung nicht berührt. 7.562 Die Besicherung des Verwalterkredites kann dem Kreditgeber auch nicht durch Anfechtung wieder entzogen werden, weil sie erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt. Denn nach der ausdrücklichen Regelung des § 129 InsO kann der Insolvenzverwalter grundsätzlich nur Rechtshandlungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind, nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO anfechten, und ein Ausnahmefall des § 147 InsO liegt bei der Besicherung eines Verwalterkredites nicht vor3. 7.563 Die Befugnisse des Insolvenzverwalters finden aber dort ihre Grenze, wo Kreditgeber im Gegenzug für ihre Bereitschaft, neue (gesicherte) Kredite zu gewähren, zugleich Sicherheiten für Altforderungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet waren, verlangen. Er kann für Kredite, die dem Schuldner vor Verfahrenseröffnung gewährt wurden, und für andere Forderungen aus dieser Zeit wirksam keine Sicherheiten bestellen4. Denn damit würde diesen Gläubigern der vorrangige Zugriff auf die Insolvenzmasse für Forderungen eingeräumt, die gleichrangig mit allen anderen Insolvenzforderungen zu befriedigen sind. Weil dieser Vorrang dem Grundprinzip der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung (§ 38 InsO) widerspräche, wäre die Sicherheitenbestellung insolvenzzweckwidrig und damit nichtig5.

1 Lange/Obermüller in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 15/354; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.480; so auch schon für den RegE InsO Obermüller, ZBB 1992, 202, 208. 2 So auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.480. 3 Ebenso Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.481. 4 So im Ergebnis auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.171. 5 Zur Nichtigkeit von Rechtsgeschäften des Insolvenzverwalters bei Insolvenzzweckwidrigkeit BGH v. 14.4.2011 – IX ZR 114/10; BGH v. 20.3.2008 – IX ZR 68/06, WM 2008, 937.

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Verwertung von Kreditsicherheiten

7.567

III. Verwertung von Kreditsicherheiten 1. Aussonderung und Absonderung Für Sicherungsrechte und ihre Verwertung ist zunächst gemäß §§ 47–52 InsO die 7.564 Unterscheidung zwischen der Aussonderung und der Absonderung maßgeblich1. a) Aussonderung Dingliche und persönliche Rechte, auf Grund derer geltend gemacht werden 7.565 kann, dass der betreffende Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört, berechtigen gemäß § 47 InsO zur Aussonderung. Dabei ist nicht immer das Eigentum des Schuldners entscheidend, weil beispielsweise der Schuldner sein unpfändbares Vermögen aussondern kann2. Von den Sicherungsrechten begründet lediglich der einfache Eigentumsvorbehalt ein Aussonderungsrecht, nicht aber die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts wie z.B. die Vorausabtretung der Kaufpreisforderung aus der Weiterveräußerung der unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Ware, die vorweggenommene Übereignung des durch Verarbeitung der gelieferten Sache entstandenen Produkts oder die Erstreckung des Eigentumsvorbehalts auf andere Forderungen des Verkäufers neben dem Kaufpreisanspruch3. Gegenstände, die einem Aussonderungsanspruch unterliegen, können nach der 7.566 ausdrücklichen Regelung in § 47 InsO auf Grund der allgemeinen Gesetze herausverlangt werden, die außerhalb eines Insolvenzverfahrens gelten. Die besonderen Regelungen der Insolvenzordnung für die Verwertung von Kreditsicherheiten betreffen sie nicht. Allerdings besteht eine gewisse Einschränkung beim einfachen Eigentumsvor- 7.567 behalt. Denn hier kann der Verwalter zunächst die Herausgabe verzögern. Generell ist er zwar gezwungen, die Ablehnung der Erfüllung von gegenseitigen Verträgen auf Grund seines Wahlrechts gemäß § 103 InsO, die erst den Herausgabeanspruch durchsetzbar werden lässt, unverzüglich nach Aufforderung durch die andere Partei zu erklären. Bei der Lieferung unter Eigentumsvorbehalt hat er aber gemäß § 107 Abs. 2 InsO die Möglichkeit, die Ausübung des Wahlrechts bis zum Berichtstermin aufzuschieben und damit bis dahin die Herausgabe zu vermeiden4. So wird auch für Sachen, an denen ein einfacher Eigentumsvorbehalt besteht, sichergestellt, dass sie nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zunächst nicht herausgegeben werden müssen. Allerdings darf der Insolvenzverwalter nach § 107 Abs. 2 Satz 2 InsO mit der Ausübung des Wahlrechts nicht bis zum Berichtstermin abwarten, wenn bis dahin eine erhebliche Verminderung des Wertes der Sache zu erwarten ist und der gesicherte Lieferant darauf hingewiesen hat. Für leicht verderbliche Waren und Saisonartikel bleibt es also bei der allgemeinen Vorschrift des § 103 InsO, dass der Verwalter sich auf Anfrage des Gläubigers un1 Zu den Motiven Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 54 RegE S. 124. 2 Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 54 RegE S. 124. 3 Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 58 RegE S. 125. Dazu auch Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, § 47 InsO Rz. 87 ff. 4 Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, § 47 InsO Rz. 64; zu einem solchen Fall AG Düsseldorf v. 11.5.2000 – 27 C 18049/99, DZWIR 2000, 347.

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7.568

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

verzüglich entscheiden muss, ob er die Sache behalten und den Kaufpreis erfüllen oder ob er sie herausgeben will, weil es dem Eigentumsvorbehaltsverkäufer in diesen Fällen nicht zugemutet werden kann, dass der Verwalter seine Erklärung erst sehr spät, u.U. bis zu 3 Monate nach Verfahrenseröffnung, abgibt1. b) Absonderung 7.568 Alle anderen Sicherungsrechte außer dem einfachen Eigentumsvorbehalt berechtigen zur Absonderung, also zu einer abgesonderten und damit bevorzugten Befriedigung aus einem Massegegenstand. Der Vorzug, den der Absonderungsberechtigte genießt, besteht darin, dass er seine Forderung nicht als Insolvenzforderung geltend machen muss und darauf nur die Quote erhält, sondern dass ihm der Erlös aus der Verwertung des Gegenstandes der abgesonderten Befriedigung bis zur vollen Höhe seines Anspruchs zufließt. Nur soweit der Erlös nicht ausreicht, nimmt der Gläubiger gemäß § 52 InsO für den nicht befriedigten Teil seiner Forderung am Insolvenzverfahren teil und kann darauf die Quote beanspruchen. Welche Sicherungsrechte zur Absonderung berechtigen, regelt die Insolvenzordnung in den §§ 49 bis 51 InsO. Für das Kreditgeschäft sind insoweit insbesondere zu nennen – die Immobiliarsicherungsrechte, also Grundschulden und Hypotheken, gemäß § 49 InsO, – die Mobiliarpfandrechte, also z.B. Pfandrechte an einem Aktiendepot, gemäß § 50 InsO, – die Sicherungsübereignung und die Sicherungsabtretung gemäß § 51 Nr. 1 InsO. 2. Abgesonderte Befriedigung aus Immobilien 7.569 Grundsatz der Verwertungsregelungen für Immobilien ist gemäß §§ 165, 49 InsO, dass sowohl der Insolvenzverwalter als auch der gesicherte Gläubiger die Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung betreiben können. Die Stellung des gesicherten Gläubigers ist dabei gekennzeichnet zum einen durch eine gewisse Einschränkung seines Verwertungsrechts; zum anderen wird ihm u.U. mittelbar ein Kostenbeitrag auferlegt2. Für die Praxis von viel größerer Bedeutung ist aber die gesetzlich nicht geregelte Verwertung mittels freihändigen Verkaufs durch den Insolvenzverwalter3 (dazu Rz. 7.579 ff.).

1 Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, § 47 InsO Rz. 62 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.845, 6.848. Vgl. auch Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu § 121 Abs. 2 RegE, BT-Drucks. 12/7302, S. 169. 2 Zur Verwertung von Immobiliarsicherheiten auch Ganter in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 90 Rz. 595 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.872 ff. 3 Im Detail dazu auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.883 ff.; Förster/Klipfel, ZInsO 2013, 225; Raab, DZWIR 2006, 234 ff.; Weis/Ristelhuber, ZInsO 2002, 859 ff.

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Verwertung von Kreditsicherheiten

7.573

a) Einschränkungen des Verwertungsrechts des Gläubigers aa) Einstellung der Verwertung Die Verwertung von Sicherungsrechten an Immobilien1, also von Grundpfand- 7.570 rechten, durch den Gläubiger im Wege der Zwangsversteigerung wird eingeschränkt durch die Möglichkeit des Insolvenzverwalters, gemäß § 30d ZVG eine Zwangsversteigerung vom Insolvenzgericht einstweilig einstellen zu lassen, wenn – der Berichtstermin noch bevorsteht, – die Immobilie für die Fortführung des Unternehmens oder die Vorbereitung einer Betriebsveräußerung benötigt wird, – durch die Versteigerung die Durchführung eines vorgelegten Insolvenzplanes gefährdet würde oder – sonst durch die Zwangsversteigerung die angemessene Verwertung der Insolvenzmasse wesentlich erschwert würde2. Der Antrag ist abzulehnen, wenn die Einstellung dem Gläubiger unter „Berück- 7.571 sichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse“ nicht zuzumuten ist (§ 30d Abs. 1 Satz 2 ZVG). Im „professionellen“ Kreditgeschäft kommt diese Ausnahme wohl nur in Betracht, wenn das Kreditinstitut sich selbst in einer ernsten Krise befindet3. Außerdem kann aber die Einstellung auch dann unzumutbar sein, wenn der Insolvenzverwalter den Einstellungsantrag erst unmittelbar vor Verkündung des Zuschlags stellt4. Bis zum Berichtstermin kann ohne jede weitere Voraussetzung die einstweilige 7.572 Verfahrenseinstellung erreicht werden. Auch der vorläufige Insolvenzverwalter kann im Interesse der Unternehmensfortführung gemäß § 30d Abs. 4 Satz 1 ZVG die Zwangsversteigerung einstweilig einstellen lassen, sofern er glaubhaft machen kann, dass die einstweilige Einstellung zur Verhütung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners erforderlich ist. Die gleiche Antragsbefugnis hat der Schuldner, wenn ein vorläufiger Sachwalter eingesetzt wurde (§ 30d Abs. 4 Satz 2 ZVG). Der Insolvenzverwalter kann gemäß § 153b ZVG auch eine Zwangsverwaltung 7.573 vom Insolvenzgericht einstellen lassen, sofern er glaubhaft macht, dass durch die Fortsetzung der Zwangsverwaltung eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der Insolvenzmasse wesentlich erschwert werden würde. Damit ist dem Insolvenzverwalter insbesondere ein Mittel an die Hand gegeben, um Grundpfandrechtsgläubigern entgegenzutreten, die im Wege der Zwangsverwaltung durch 1 Dazu auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.873 ff.; Raab, DZWIR 2006, 234 ff.; Weis/Ristelhuber, ZInsO 2002, 859 ff.; Knees, ZIP 2001, 1568 ff.; Lwowski/ Tetzlaff, WM 1999, 2336 ff. 2 Ausführlich dazu Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134. 3 Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 90 Rz. 596 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.892; Mark Noethen in Kindl/MellerHannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 2. Aufl. 2013, § 30d ZVG Rz. 7; Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134. 4 Mark Noethen in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 2. Aufl. 2013, § 30d ZVG Rz. 7.

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7.574

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

Vermietung des Grundstücks an einen Dritten anderenfalls die Stilllegung des insolventen Unternehmens erzwingen könnten1. bb) Nachteilsausgleich 7.574 Die Einschränkungen in den Verwertungsbefugnissen des grundpfandrechtlich gesicherten Gläubigers werden bei der einstweiligen Einstellung der Zwangsversteigerung ausgeglichen, indem nach § 30e ZVG die einstweilige Einstellung nur unter der Auflage angeordnet werden kann, dass dem betreibenden Gläubiger für die Zeit nach dem Berichtstermin laufend die geschuldeten Zinsen gezahlt werden. Dabei sind nicht die dinglichen Zinsen der Grundschuld, sondern die vertraglichen Zinsen des gesicherten Kredites, auch evtl. Verzugszinsen maßgebend2. Der Gesetzgeber wollte mit der Zinszahlungspflicht nur den Verzögerungsschaden ausgleichen, der dem Gläubiger durch die Verfahrenseinstellung tatsächlich entsteht. Dagegen sollte dem gesicherten Gläubiger nicht mit den dinglichen Zinsen, die regelmäßig erheblich höher sind als die vertraglichen Zinsen des gesicherten Anspruchs, ein Vorteil verschafft werden. Will der Insolvenzverwalter das Grundstück weiterhin für die Insolvenzmasse nutzen, wird darüber hinaus die Einstellung der Zwangsversteigerung nur mit der Anordnung bewilligt, dass der Insolvenzverwalter laufende Zahlungen aus der Insolvenzmasse für einen etwaigen Wertverlust leisten muss. Die Zahlungen der Zinsen sind erstmals nach dem Berichtstermin zu leisten, der gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO spätestens drei Monate nach der Verfahrenseröffnung stattfinden muss. Wird die Einstellung schon auf Grund eines Antrages des vorläufigen Verwalters im Vorverfahren angeordnet, muss die Zahlung spätestens drei Monate nach der Einstellung beginnen. Für den gesicherten Gläubiger besteht daher das Risiko, nach Einstellung der Zwangsversteigerung für längstens drei Monate keine laufenden Zinszahlungen zu erhalten. 7.575 Der Nachteilsausgleich bei einstweiliger Einstellung der Zwangsversteigerung soll gemäß § 30e Abs. 3 ZVG dem gesicherten Gläubiger allerdings nur dann und nur insoweit zukommen, wie auf Grund des Wertes des Sicherungsgutes und eventueller Vorlasten mit einer Befriedigung aus dem Versteigerungserlös zu rechnen ist. Damit wird verhindert, dass aus der Insolvenzmasse der Nachteilsausgleich auch für so genannte Schornsteinhypotheken zu leisten ist, bei denen der „gesicherte“ Gläubiger aus der Sicherheit wegen des zu geringen Grundstückswertes und ggf. seines Nachrangs ohnehin nicht befriedigt worden wäre. Ist das Grundpfandrecht vom Wert des Grundstücks nur teilweise gedeckt, so sind Zinsen nur auf diesen Teilbetrag zu entrichten. Offen ist, was geschieht,

1 Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134; Knees, ZIP 2001, 1568, 1527. Zur Frage, ob auch der vorläufige Insolvenzverwalter die Zwangsverwaltung einstellen lassen kann ablehnend LG Cottbus v. 20.4.2000 – 7 T 548/99, ZInsO 2000, 337; Klein, ZInsO 2002, 1065; Jungmann, NZI 1999, 352. 2 LG Stade v. 19.3.2002 – 7 T 47/02, Rpfleger 2002, 472; LG Göttingen v. 27.1.2000 – 10 T 1/2000, ZInsO 2000, 163; Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 90 Rz. 596a; Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 165 InsO Rz. 104 f.; Kirchhof, ZInsO 2001, 1, 7; Wenzel, NZI 1999, 101, 102 f.; Knees, ZIP 2001, 1568, 1577 f.

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Verwertung von Kreditsicherheiten

7.578

wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Gläubiger gemessen am Versteigerungserlös zu viel oder zu wenig Zinsen erhalten hat1. Auch bei der Einstellung der Zwangsverwaltung erfolgt gemäß § 153b Abs. 2 7.576 ZVG ein Nachteilsausgleich für den gesicherten Gläubiger2. Ihm sind die Nachteile, also der Entgang des durch Vermietung oder Verpachtung des Grundstücks an Dritte nachweislich erzielbaren Entgeltes, ebenfalls durch laufende Zahlungen aus der Insolvenzmasse auszugleichen. Diese Zahlungspflicht setzt aber – anders als bei Einstellung der Zwangsverwaltung – nicht erst nach (längstens) drei Monaten, sondern zugleich mit der Einstellung der Zwangsverwaltung ein. Ist mit einem Einstellungsantrag des Insolvenzverwalters zu rechnen, sollte deshalb der gesicherte Gläubiger neben der Zwangsversteigerung immer auch die Zwangsverwaltung beantragen3. b) Kostenbeitrag Neben den Einschränkungen ihres Verwertungsrechts wird den grundpfandrecht- 7.577 lich gesicherten Gläubigern bei der Zwangsversteigerung (nicht bei der Zwangsverwaltung) ein Kostenbeitrag auferlegt; allerdings nur, wenn ein Insolvenzverwalter eingesetzt ist, also nicht in den Fällen der Eigenverwaltung unter Aufsicht eines Sachwalters4. Da seit dem 1.7.20145 auch im Verbraucherinsolvenzverfahren nicht mehr lediglich ein Treuhänder, sondern ein Insolvenzverwalter, eingesetzt wird, ist der Kostenbeitrag nunmehr auch in diesen Fällen aus dem Versteigerungserlös zu entnehmen6. Der (mittelbare) Kostenbeitrag wird erreicht, indem im Falle einer Zwangsversteigerung gemäß § 10 Abs. 1 ZVG aus dem Versteigerungserlös der Insolvenzmasse die Kosten erstattet werden müssen, die durch die Feststellung des mithaftenden Grundstückzubehörs entstehen. Die Kosten werden pauschal auf 4 % des Verkehrswertes der beweglichen Sachen angesetzt, vgl. die Übersicht zum Kostenbeitrag der gesicherten Gläubiger bei Rz. 7.613. Der Anspruch auf Ersatz der Feststellungskosten erhält den Rang des § 10 Abs. 1 7.578 Nr. 1a ZVG und geht damit den Ansprüchen der gesicherten Gläubiger vor. Damit wird dieser Kostenbeitrag zwar nicht allen (Grundpfandrechts-)Gläubigern gleichmäßig auferlegt, sondern lediglich demjenigen (häufig nachrangigen) Gläubiger, der mit seinen Rechten bei der Verteilung des Versteigerungserlöses ausläuft. Insgesamt schmälert aber diese Regelung den Beleihungswert von Grund1 Zur Problematik Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 165 InsO Rz. 109, mit dem Vorschlag, dass das Gericht bei Einstellung der Zwangsversteigerung eine bindende Entscheidung zur Wertdeckung trifft. Anders Ganter in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 90 Rz. 599. 2 S. auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.900 f.; Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134. 3 So auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.901. 4 Ebenso Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 165 InsO Rz. 235 m.w.N.; Böttcher, 5. Aufl. 2010, § 10 ZVG Rz. 14b. 5 Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013, BGBl. I 2013, 2379. 6 Zur bis zum 30.6.2014 geltenden Rechtslage im Verbraucherinsolvenzverfahren ausführlich Wittig, WM 1998, 209, 218 f.

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7.579

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

stücken bzw. beeinträchtigt die Aussichten insbesondere nachrangiger Grundpfandgläubiger auf volle Befriedigung in der Zwangsversteigerung1. c) Freihändige Verwertung 7.579 In der Praxis sind die gesetzlich geregelten Formen der Verwertung von Immobilien durch Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung von geringerer Bedeutung, da die freihändige Veräußerung der Immobilie durch den Insolvenzverwalter regelmäßig höhere Verwertungserlöse erzielen wird2. Das Recht zur freihändigen Veräußerung liegt auf Grund seiner Verfügungsbefugnis über das Grundstück allein beim Insolvenzverwalter. Da üblicherweise eine Veräußerung nur lastenfrei möglich ist, bedarf es aber auch der Mitwirkung des grundpfandrechtlich gesicherten Gläubigers, der eine Löschungsbewilligung abgeben muss. Rechtsfragen ergeben sich bei dem insoweit notwendigen einvernehmlichen Zusammenwirken von Insolvenzverwalter und gesichertem Gläubiger vor allem im Hinblick auf die Erlösverteilung. 7.580 Regelmäßig wird der Insolvenzverwalter eine Kostenbeteiligung an den Erlösen fordern zu Gunsten der Insolvenzmasse, und zwar selbst dann, wenn das Grundstück wertausschöpfend belastet ist und nach den gesetzlichen Verwertungsregelungen kein freier Übererlös für die Insolvenzmasse verbleiben würde. Üblich sollen dabei Beiträge zwischen 2 % und 10 % des Verkaufserlöses sein3. Mit der Kostenbeteiligung soll zum einen der Aufwand des Insolvenzverwalters für seine Tätigkeit bei der Veräußerung des Grundstücks abgegolten werden. Zum anderen soll die Beteiligung einen Ausgleich dafür darstellen, dass der Insolvenzverwalter bei der freihändigen Veräußerung die Gewährleistungsverpflichtungen zu Lasten der Masse übernehmen muss4. Entgegen der herrschenden Meinung, dass den Insolvenzverwalter keine Pflicht trifft, an einer freihändigen Verwertung mitzuwirken, wenn keine Einigung über die Beteiligung an dem Erlös erzielt wird5, kann eine Mitwirkungspflicht des Verwalters aus folgenden Gründen durchaus bestehen: Da der Grundschuldgläubiger nicht berechtigt ist, über das Eigentum an dem Grundstück durch Rechtsgeschäft zu verfügen, und er daher auch den Insolvenzverwalter nicht mit dem Verkauf und der Verwertung beauftragen kann, betreibt der Insolvenzverwalter mit der freihändigen Veräußerung auch kein Geschäft des Grundschuldgläubigers, für das der Grundschuldgläubiger Aufwendungsersatz schuldet6. Vielmehr führt der Insolvenzverwalter bei dem Verkauf des Grundstücks ausschließlich ein Verwertungsgeschäft der Insolvenzmasse aus (§§ 80, 159 ff. InsO)7. Zumindest in den Fällen, in denen der Aufwand des Verwalters 1 Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 90 Rz. 600 f.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.905. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.883 ff.; Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 165 InsO Rz. 177 ff. mit ausführlicher Darstellung; Förster/Klipfel, ZInsO 2013, 225; Raab, DZWIR 2006, 234 ff.; Weis/Ristelhuber, ZInsO 2002, 859 ff. 3 Tetzlaff, ZInsO 2004, 521. 4 Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 165 InsO Rz. 183. 5 Zur Diskussion mit weiteren Nachweisen Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 165 InsO Rz. 183; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.883. 6 Mitlehner, ZIP 2012, 649. 7 BGH v. 13.1.2011 – IX ZR 53/09, WM 2011, 367 Rz. 15.

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Verwertung von Kreditsicherheiten

7.581

bei der rechtsgeschäftlichen Veräußerung des Grundstücks nicht über den bei einer Verwertung im Zwangsversteigerungsverfahren anfallenden Aufwand hinausgeht (bei der er nach dem Gesetz keinen Kostenbeitrag beanspruchen kann und lediglich bei Vorhandensein von Grundstückszubehör für dessen Feststellung 4 % des Wertes des Zubehörs verlangen kann), ist der Verwalter zu einer Mitwirkung bei der freihändigen Verwertung des Grundstücks verpflichtet. Dies ergibt sich aus seiner Pflicht zur bestmöglichen Verwertung des Vermögens des Schuldners1. Da regelmäßig bei einer Verwertung in der Zwangsversteigerung ein geringerer Erlös erzielt wird als bei einer freihändigen Verwertung, kann durch mangelnde Mitwirkung des Insolvenzverwalters die Insolvenzmasse mit einer höheren Insolvenzforderung belastet bleiben, als dies bei einem freihändigen Verkauf der Fall gewesen wäre. Für den Schaden des Grundschuldgläubigers ist der Insolvenzverwalter dann u.U. ersatzpflichtig2. Wenn daher bei einer freihändigen Verwertung von Grundstücken ein Kostenbeitrag an die Insolvenzmasse gezahlt wird, geschieht dies auf Grund einer freiwilligen Vereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem gesicherten Gläubiger. Ein Insolvenzverwalter, der sich persönlich – also nicht für die Insolvenzmasse – eine Vergütung versprechen und gewähren lässt, handelt grob pflichtwidrig3. Daneben stellt sich die Frage, ob der nachrangige Grundpfandgläubiger eine Erlös- 7.581 beteiligung als „Lästigkeitsprämie“ erhalten kann, also seine Löschungsbewilligung als Voraussetzung der freihändigen Verwertung davon abhängig machen kann, dass er einen Teil des Erlöses erhält, obwohl seine Grundschuld angesichts des Nachrangs und des unzureichenden Verwertungserlöses nicht werthaltig ist. Dazu hat der BGH entschieden, dass jede Vereinbarung eines Erlösanteils für den durch eine offensichtlich wertlose nachrangige Grundschuld gesicherten Gläubiger wegen Insolvenzzweckwidrigkeit nichtig ist, wenn der Erlösanteil über die Kostenerstattung für die Löschungsbewilligung hinausgeht. Dies gilt zumindest dann, wenn mit der freihändigen Verwertung wegen der wertausschöpfenden Belastung durch vorrangige Grundpfandrechte kein Massezuwachs erzielt wird4. Einen Anspruch auf Erteilung einer Löschungsbewilligung hat der Insolvenzverwalter aber gegen einen nachrangigen Grundpfandrechtsgläubiger gleichwohl grundsätzlich nicht5. Etwas anderes kann in besonderen Fällen bei rechtsgeschäftlich bestellten nachrangigen Grundpfandrechten gelten; dort kann sich unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben aus dem Darlehens- oder dem Sicherungsvertrag eine nebenvertragliche Verpflichtung zur Erteilung einer Löschungsbewilligung ergeben6.

1 BGH v. 13.1.2011 – IX ZR 53/09, WM 2011, 367 Rz. 15. 2 Weis/Ristelhuber, ZInsO 2002, 859; Knees, ZIP 2001, 1568; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.883. 3 Eckardt, Grundpfandrechte im Insolvenzverfahren, 13. Aufl. 2012, Rz. 421; Mitlehner, ZIP 2012, 649. 4 BGH v. 20.3.2008 – IX ZR 68/06, ZIP 2008, 884. 5 BGH v. 30.4.2015 – IX ZR 301/13, ZInsO 2015, 1097, 1099, für den Fall einer Zwangssicherungshypothek. 6 LG Leipzig v. 27.11.2013 – 5 O 3032/12, ZInsO 2014, 100, 101 f.; OLG Schleswig v. 23.2. 2011 – 5 W 8/11, WM 2011, 1128, 1129; OLG Köln v. 12.6.1995 – 12 U 102/92, WM 1995, 1801, 1803.

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7.582

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

3. Abgesonderte Befriedigung aus Sicherungsübereignung und Sicherungsabtretung 7.582 Auch die Absonderungsbefugnis der an beweglichen Gegenständen, also Sachen und Forderungen, durch Sicherungsübereignung und Sicherungsabtretung besicherten Gläubiger wird sowohl im Hinblick auf ihre Verwertungsrechte als auch durch einen Kostenbeitrag eingeschränkt. Dies stellt sich wie folgt dar1: a) Verwertungsrecht bei beweglichen Sachen 7.583 Die Insolvenzordnung räumt das Verwertungsrecht weitgehend dem Insolvenzverwalter ein. Bewegliche Sachen, an denen ein Absonderungsrecht besteht, darf der Verwalter gemäß § 166 Abs. 1 InsO freihändig verwerten, sofern er sie in seinem Besitz hat2. Damit soll verhindert werden, dass die gesicherten Gläubiger ohne Rücksicht auf die Interessen der übrigen Gläubiger an einer wenigstens zeitweisen Unternehmensfortführung auf Grund ihrer Sicherungsrechte auch solche Sachen aus dem Unternehmensverbund herauslösen, die für die Fortführung unentbehrlich sind. Dies erklärt, warum die Verwertungszuständigkeit nur für bewegliche Sachen, die der Verwalter in seinem Besitz hat, auch beim Verwalter liegt. Denn bei Sachen, die der Schuldner bereits vor Verfahrenseröffnung in den Besitz Dritter gegeben hat, ist zu vermuten, dass sie für die Unternehmensfortführung entbehrlich sind3. 7.584 Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für das Verwertungsrecht ist dementsprechend gemäß § 166 Abs. 1 InsO der Besitz des Verwalters. Damit ist in erster Linie das Sicherungseigentum getroffen. Die Vorschrift kann sich aber auch auf gepfändete Sachen oder solche Sachen erstrecken, die mit einem Vermieterpfandrecht belastet sind, weil solche Gegenstände regelmäßig im Besitz des Kreditnehmers sind, so dass der Verwalter bei Eintritt der Insolvenz den Besitz übernehmen kann. Ausgenommen sind dagegen grundsätzlich solche Sachen, an denen der Gläubiger ein Vertragspfandrecht erworben hat, weil dazu gemäß § 1205 BGB der Besitzübergang auf den gesicherten Gläubiger erforderlich ist4. 7.585 Für das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters reicht auch der mittelbare Besitz aus, allerdings nur dann, wenn damit die Befugnis verbunden ist, den Sicherungsnehmer vom Besitz auszuschließen5. Das wird etwa dann der Fall sein, wenn der Sicherungsgeber (Schuldner) das Sicherungsgut an einen Dritten vermietet oder verleast hat. Denn wenn der Schuldner den Sicherungsgegenstand ge1 S. für einen Überblick auch Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 90 Rz. 581 ff.; Lange/Obermüller in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 15/381 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.704 ff.; Ganter, ZInsO 2007, 841; Lwowski/Heyn, WM 1998, 473 ff. 2 Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 90 Rz. 581, 581a; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.705 ff. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.708, 6.831. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.831. 5 BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, WM 2007, 172; BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, WM 2006, 818; Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 90 Rz. 581a; Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 166 InsO Rz. 15 ff.; Brinkmann in Uhlenbruck, § 166 InsO Rz. 14; Gundlach/Frenzel/Schirrmeister, NZI 2007, 327.

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Kuder/Unverdorben

Verwertung von Kreditsicherheiten

7.589

werblich einem Dritten gegen Entgelt überlassen hat, ist regelmäßig zu vermuten, dass der Insolvenzverwalter diesen Gegenstand sowohl für eine Unternehmensfortführung als auch für eine geordnete Abwicklung benötigt1. In anderen Fällen mittelbaren Besitzes, insbesondere wenn der Sicherungsnehmer selbst im unmittelbaren Besitz ist oder in der Reihenfolge der mittelbaren Besitzer näher am unmittelbaren Besitzer steht als der Schuldner, reicht dagegen der mittelbare Besitz des Insolvenzverwalters nicht aus2. Für die Anknüpfung des Verwertungsrechts an den Besitz reicht aus, wenn der 7.586 Verwalter den Besitz im Antragsverfahren in seiner Eigenschaft als vorläufiger Verwalter erworben hat und ein Veräußerungsverbot erlassen war. Denn von diesem Zeitpunkt an konnte er eine Herausgabe an den gesicherten Gläubiger abwehren. Hat aber ein Gläubiger das Sicherungsgut zum Zwecke der Verwertung zu einem früheren Zeitpunkt rechtmäßig und nicht gegen den Willen des Schuldners an sich gezogen, bevor der (vorläufige) Verwalter es in Besitz genommen hat, bleibt der gesicherte Gläubiger gemäß § 173 InsO zur Verwertung berechtigt3. Ist der Verwalter zur Verwertung berechtigt, muss er diese nicht notwendiger- 7.587 weise selbst vornehmen. Er kann gemäß § 170 Abs. 2 InsO die Verwertung auch dem Gläubiger überlassen. Dies kommt z.B. in Betracht, wenn der gesicherte Kreditgeber auf Grund seiner Branchenkenntnis bessere Verwertungserlöse erzielen kann, aber auch zur Vermeidung von Umwelthaftungsrisiken4. Ist der Gläubiger zur Verwertung berechtigt, kann ihm das Insolvenzgericht gemäß § 173 Abs. 2 InsO dazu eine Frist setzen. Die prinzipielle Zuweisung des Verwertungsrechts auf den Verwalter bei beweg- 7.588 lichen Sachen wird durch drei Regelungen zum Schutz der Gläubiger ausgeglichen5. Dem gesicherten Gläubiger steht gemäß § 167 Abs. 1 InsO erstens ein Auskunfts- 7.589 recht zu, also das Recht, sich über den Zustand des Sicherungsgutes zu informieren6. Dazu hat generell der Insolvenzverwalter dem Gläubiger Auskunft über den Zustand der Sache zu erteilen. Er kann stattdessen den Gläubiger aber auch darauf verweisen, die Sache zu besichtigen. Der Zweck des Auskunftsrechts ist, den gesicherten Gläubigern Gelegenheit zur Wahrnehmung ihrer beiden anderen Schutzrechte zu geben, weil die Wahrnehmung dieser Rechte den Gläubigern erleichtert wird, wenn sie über den Zustand des Sicherungsgutes unterrichtet sind7. 1 BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, WM 2006, 818. 2 BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419; Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 166 InsO Rz. 15; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.710. 3 Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 166 InsO Rz. 18 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.708. 4 Zu dieser Problematik Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.749 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 5 Dazu auch Obermüller, NZI 2003, 416; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.723 ff. 6 Zur Geltendmachung eines solchen Anspruchs durch den Vermieter auf Grund seines Vermieterpfandrechts BGH v. 4.12.2003 – IX ZR 222/02, WM 2004, 295. 7 Ausführlich zum Auskunftsanspruch aus § 167 InsO Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 167 InsO Rz. 1 ff.; Lwowski/Heyn WM 1998, 473, 474 ff.; Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 537, 538 f.

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7.590

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

7.590 Der gesicherte Gläubiger kann gemäß § 168 InsO zweitens auf die Verwertung Einfluss nehmen. Dazu muss der Verwalter dem Gläubiger mitteilen, wie die Veräußerung des Sicherungsgutes erfolgen soll. Binnen einer Woche kann der Gläubiger dann den Verwalter auf eine günstigere Verwertungsmöglichkeit hinweisen, insbesondere die Übernahme durch den Gläubiger selbst anbieten. Eine günstigere Verwertungsmöglichkeit hat der Verwalter entweder wahrzunehmen oder den gesicherten Gläubiger so zu stellen, als ob er sie wahrgenommen hätte. 7.591 Macht der gesicherte Gläubiger von seinem Eintrittsrecht Gebrauch, besteht also die günstigere Verwertungsmöglichkeit darin, dass der Gläubiger den mit seinem Sicherungsrecht belasteten Gegenstand zu den vorgesehenen Bedingungen selbst übernimmt, wird auf die gesicherte Kreditforderung der mit dem Verwalter vereinbarte Preis verrechnet. Das Risiko eines Mindererlöses und die Chance eines Mehrerlöses liegen bei dem Gläubiger; insbesondere wird ein durch die Weiterveräußerung erzielter Mehrerlös nicht auf die Insolvenzforderung des gesicherten Gläubigers angerechnet1. Da das Gesetz die Verwertung durch Übernahme seitens des Gläubigers derjenigen durch Veräußerung an einen Dritten gleichstellt, ist es nur konsequent, in diesem Fall den Gläubiger für das Insolvenzverfahren lediglich in Höhe des mit dem Verwalter einvernehmlich festgesetzten Wertes abzüglich der Feststellungs- und Verwertungspauschale daraus als befriedigt anzusehen und den Gläubiger wegen des verbleibenden Rests seiner Forderung als Insolvenzgläubiger gemäß § 52 InsO zu behandeln. Gegenüber einem weiteren Sicherungsgeber, insbesondere einem Bürgen, gilt dies aber nicht. Vielmehr muss sich der gesicherte Gläubiger diesem gegenüber den aus der Weiterveräußerung des Sicherungsguts erzielten Erlös – abzüglich der Kosten – auf seinen Anspruch gegen den weiteren Sicherungsgeber anrechnen lassen2. 7.592 Der gesicherte Gläubiger hat drittens einen verschuldensunabhängigen Zinsanspruch. Dazu hat grundsätzlich der Insolvenzverwalter gemäß §§ 169 Satz 1 InsO dem gesicherten Gläubiger vom Berichtstermin an bis zur Veräußerung der Sache laufend die geschuldeten Zinsen aus der Insolvenzmasse zu zahlen3. Der Zinslauf beginnt zwar grundsätzlich ohne die Prüfung jeglicher Verschuldensfragen mit dem Berichtstermin4. Dies gilt aber nur dann, wenn es dadurch tatsächlich zu einer insolvenzspezifischen Verzögerung der Verwertung kommt, also der gesicherte Gläubiger ohne den Übergang des Verwertungsrechts auf den Insolvenzverwalter hätte schneller verwerten können. Hätte dagegen auch der gesicherte Gläubiger eine frühere Zahlung nicht erlangen können, z.B. wegen der Beschaffenheit des Sicherungsguts, beginnt die Verzinsungspflicht erst mit dem Ablauf des Tages, an dem der Erlös beim Insolvenzverwalter eingeht5. Hat das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren einen Verwertungsstopp gemäß § 21 1 BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 181/04, WM 2005, 2400; Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 168 InsO Rz. 42; dazu auch Foerste, NZI 2006, 275; Streit/Büchler, BB 2006, 66. 2 BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 181/04, WM 2005, 2400; Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 168 InsO Rz. 42. 3 Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 169 InsO Rz. 20 ff.; BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, WM 2006, 818; BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, WM 2003, 694. 4 BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, WM 2006, 818 Rz. 13. 5 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, WM 2003, 694; BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, WM 2006, 818.

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Verwertung von Kreditsicherheiten

7.594

Abs. 2 Nr. 5 InsO angeordnet, beginnt die Zinszahlungspflicht spätestens drei Monate nach der Anordnung (§§ 21 Abs. 2 Nr. 5 Halbsatz 2, 169 Satz 2 InsO)1. Zudem ist ein durch die Nutzung entstehender Wertverlust von Anfang an2 durch laufende Zahlungen an den Gläubiger auszugleichen (§ 21 Abs. 2 Nr. 5 Halbsatz 3 InsO). Die Zinszahlungspflicht endet erst mit der Auszahlung des Erlöses an den Absonderungsberechtigten3. Der Zinssatz richtet sich nach dem zugrunde liegenden (Kredit-)Vertrag, entspricht nämlich den Zinsen, die der Gläubiger aus dem ungestörten Schuldverhältnis mit dem Schuldner beanspruchen konnte; sie beträgt jedoch mindestens 4 %. Verzugszinsen können nicht verlangt werden4. Der gesicherte Kreditgeber kann aber gemäß § 169 Satz 3 InsO auch nur Ausgleichszahlungen verlangen, soweit der Gläubiger angesichts des Wertes des Sicherungsgegenstandes und eventueller sonstiger Belastungen mit einem Verwertungserlös rechnen kann. Dies wird auf Grund des Marktwertes des Sicherungsguts durch den Insolvenzverwalter zum Zeitpunkt des Berichtstermins festgestellt5. b) Verwertungsrecht bei Forderungen Die Verwertung von Forderungen, an denen ein Absonderungsrecht auf Grund 7.593 einer Sicherungsabtretung besteht, ist in der Insolvenzordnung in vergleichbarer Weise wie die von beweglichen Sachen geregelt, d.h. gemäß § 166 Abs. 2 InsO ist bei der Sicherungsabtretung der Verwalter zur Verwertung durch Einziehung berechtigt6. Dabei ist allein maßgebend, ob die Forderungen zur Sicherung abgetreten worden sind, unabhängig davon, ob es sich um eine stille Zession oder eine offene Abtretung handelt7. Der gesicherte Gläubiger bleibt jedoch zur Verwertung von Forderungen berechtigt, wenn er sein Sicherungsrecht nicht durch Abtretung, sondern aus einem Pfandrecht an Forderungen, z.B. aus einer Forderungsverpfändung oder auch aus einer Pfändung im Wege der Zwangsvollstreckung herleitet. Hatte der durch eine Forderungsabtretung berechtigte Kreditgeber schon vor der 7.594 Verfahrenseröffnung mit der Verwertung seiner Sicherheit begonnen, indem er die abgetretenen Forderungen offen gelegt und eingezogen hat, darf er den Erlös behalten. Denn der Übergang des Verwertungsrechts wirkt nur ex tunc mit der Verfahrenseröffnung, weil Voraussetzung des Verwertungsrechts für den Insolvenzverwalter ist, dass die sicherungshalber abgetretene Forderung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch besteht8. Anders als bei der Verwertung sicherungsübereigneter Sachen darf der Gläubiger aber nach Verfahrenseröffnung die Verwertung durch Forderungseinzug nicht fortsetzen9. Dies ist im Ergeb1 Diese Vorschrift ist verfassungsgemäß BVerfG v. 22.3.2012 – 1 BvR 3169/11, NZI 2012, 617. 2 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, NZI 2012, 369. 3 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, WM 2003, 694. 4 BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, WM 2006, 818. 5 Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 169 InsO Rz. 40. 6 Für einen Überblick s. auch Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 166 InsO Rz. 62 ff. 7 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 174/04, WM 2006, 241; BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, WM 2003, 694; BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, NZI 2002, 599; OLG Hamm v. 20.9.2001 – 27U 54/01, NZI 2002, 50. 8 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 174/04, WM 2006, 241. 9 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.717.

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7.595

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

nis eine unglückliche Regelung. Denn einerseits wird damit für die gesicherten Gläubiger ein Anreiz geschaffen, frühzeitig mit der Verwertung ihrer Sicherungszession zu beginnen, um die Verwertung durch den Insolvenzverwalter und die damit verbundene Kostenbelastung (dazu bei Rz. 7.600 ff.) zu vermeiden. Eine solche Forderungsoffenlegung wird in der Krise aber regelmäßig zum endgültigen Zusammenbruch des bedrohten Unternehmens führen. Andererseits wird der Übergang des Verwertungsrechts vom gesicherten Gläubiger, der zunächst offen gelegt hat, auf den Verwalter nach Verfahrenseröffnung angesichts der damit beim Drittschuldner entstehenden Zweifel, an wen er schuldbefreiend leisten kann, sicher nicht zu einem optimalen Ergebnis des Forderungseinzugs beitragen, sondern es ist zu befürchten, dass die Drittschuldner noch zögerlicher leisten werden, als dies erfahrungsgemäß bei der Zessionsoffenlegung ohnehin schon der Fall ist. Daher scheint in diesen Fällen eine einvernehmliche Regelung mit dem Verwalter, dass der gesicherte Kreditgeber die begonnene Verwertung fortsetzt, in vielen Fällen sinnvoll1. 7.595 Der Schutz von Gläubigern, denen Forderungen zur Sicherheit abgetreten sind, ist entsprechend wie bei Absonderungsrechten an beweglichen Sachen ausgestaltet. 7.596 Erstens haben sie ein Auskunftsrecht, d.h. sie können sich über die Forderung, die der Verwalter einzuziehen berechtigt ist, gemäß § 167 Abs. 2 InsO informieren – durch Auskunft des Verwalters oder Einsicht in die Bücher. Auch hier dient das Auskunftsrecht dazu, den gesicherten Gläubigern die Wahrnehmung ihrer nachstehend genannten Rechte zu erleichtern, indem sie sich über die Höhe und Fälligkeit der Forderungen, etwa von den Drittschuldnern erhobene Einwendungen oder über Forderungsausfälle informieren2. 7.597 Zweitens haben die gesicherten Gläubiger gemäß § 168 InsO das Recht zur Einflussnahme auf die Verwertung, d.h. sie können verlangen, vom Insolvenzverwalter über die Verwertung informiert zu werden, und durch den Hinweis auf günstigere Verwertungsmöglichkeiten darauf Einfluss nehmen. Dies kommt vor allem in Betracht, wenn der Insolvenzverwalter die Forderungen anders als durch Einziehung, also z.B. durch Verkauf an einen Factor, durch Forfaitierung oder durch Veräußerung an ein Inkassounternehmen verwerten will3. 7.598 Drittens steht den gesicherten Gläubigern ein Ausgleichsanspruch zu, weil ihnen vom Berichtstermin an gemäß § 169 Satz 1 InsO laufend die geschuldeten Zinsen aus der Insolvenzmasse zu zahlen sind. Hat das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren einen Verwertungsstopp gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO angeordnet, beginnt die Zinszahlungspflicht spätestens drei Monate nach der Anordnung (§§ 21 Abs. 2 Nr. 5 Halbsatz 2, 169 Satz 2 InsO)4. Nur ein Ausgleich für den Wertverlust, der bei der Weiternutzung beweglicher Sachen für die Insolvenzmasse durch § 172 Abs. 1 InsO bzw. § 21 Abs. 2 Nr. 5 Halbsatz 3 InsO vorgesehen ist, kommt bei Forderungen naturgemäß nicht in Betracht. 1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.717. 2 Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 167 InsO Rz. 9 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.723 ff. 3 Obermüller/Hess, InsO, Rz. 775; Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 168 InsO Rz. 24 ff. 4 Diese Vorschrift ist verfassungsgemäß BVerfG v. 22.3.2012 – 1 BvR 3169/11, NZI 2012, 617.

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Verwertung von Kreditsicherheiten

7.602

Die Anwendung dieser Regelungen zur Geltendmachung des Absonderungsrech- 7.599 tes bei Forderungen auch bei sonstigen Rechten, an denen Gläubiger gesichert sein können (z.B. Patente oder Marken), ist nach dem Text der Insolvenzordnung ausgeschlossen. Während der Regierungsentwurf auch Regelungen vorsah, die nicht nur für Forderungen, sondern ausdrücklich auch für Rechte gelten sollten (§§ 199, 200 EInsO), schränkt die Insolvenzordnung in den §§ 186 bis 200 InsO das Verwertungsrecht des gesicherten Gläubigers ausschließlich bei Sicherungsrechten an Forderungen ein. Diesen Wortlaut hat der Gesetzgeber bewusst gewählt; insbesondere auch unter Berücksichtigung gewerblicher Schutzrechte. Mangels einer unbewussten Gesetzeslücke kommt daher auch eine analoge Anwendung der §§ 166 ff. InsO nicht in Betracht1. Ist der Gläubiger an sonstigen Rechten gesichert, z.B. an Patenten oder Marken, muss es daher dabei verbleiben, dass der Gläubiger allein zur Verwertung berechtigt ist. c) Kostenbeitrag Gläubiger, die an beweglichen Gegenständen gesichert sind, haben gemäß §§ 170, 7.600 171 InsO einen Kostenbeitrag bei der Verwertung ihrer Sicherheiten im Insolvenzverfahren aus dem Verwertungserlös aufzubringen. Dieser ist im Überblick bei Rz. 7.613 dargestellt. Im Einzelnen gilt Folgendes: Die Gläubiger haben aus dem Verwertungserlös gemäß §§ 170 Abs. 1, 171 Abs. 1 7.601 InsO zum einen die Kosten der Feststellung zu tragen. Dieses sind gemäß § 171 Abs. 1 InsO die Kosten der tatsächlichen Ermittlung und Trennung des belasteten Gegenstandes sowie der Prüfung der rechtlichen Verhältnisse. Dafür sieht die Insolvenzordnung eine Pauschale in Höhe von 4 % des Verwertungserlöses vor. Diese Kostenpauschale ist unabhängig vom Aufwand der Feststellung oder Verwertung, d.h. der gesicherte Gläubiger hat sie selbst dann zu tragen, wenn die Feststellung unproblematisch ist und die Masse tatsächlich nicht mit Kosten belastet2. Dieser Kostenbeitrag für die Feststellung ist auch zu leisten, wenn der Gläubiger selbst schon vor Verfahrenseröffnung mit der Verwertung begonnen hatte (insbesondere durch Offenlegung einer Sicherungszession), wenn der Gläubiger unberechtigterweise selbst verwertet (insbesondere mit Einziehung von abgetretenen Forderungen), wenn der Gläubiger von seinem Eintrittsrecht aus § 168 Abs. 3 InsO Gebrauch macht und das Sicherungsgut selbst übernimmt3 oder wenn der Verwalter keine Verwertungshandlungen vornimmt, sondern z.B. Zahlungen auf abgetretene Forderungen nach Eröffnung vom Drittschuldner direkt an den Gläubiger erfolgen4. Zum anderen wird den gesicherten Gläubigern für die Verwertungskosten pau- 7.602 schal ein Kostenbeitrag in Höhe von 5 % des Verwertungserlöses auferlegt. Diesen Anspruch auf Verwertungskosten hat der Verwalter aber nur, wenn er tatsäch1 Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 166 InsO Rz. 97 ff.; Gundlach/Frenzel/ Schmidt, NZI 2001, 119, 123; anders aber Häcker, ZIP 2001, 995 ff. 2 So BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, NZI 2002, 599; dagegen aber zuvor OLG Hamm v. 20.9.2001 – 27 U 54/01, NZI 2002, 50. 3 BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 181/04, ZIP 2005, 2214; Streit, BB 2005, 66. 4 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, WM 2003, 694; BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, WM 2004, 39; BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, WM 2007, 172; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.770 ff.

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7.603

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

lich verwertet. Er entsteht nicht, wenn der Verwalter dem Gläubiger gemäß § 170 Abs. 2 InsO die Verwertung überlässt oder wenn der Gläubiger, auch unberechtigterweise, selbst verwertet, z.B. mit unberechtigter Einziehung einer abgetretenen Forderung1. Sind die tatsächlichen Kosten der Verwertung allerdings niedriger oder höher, sind diese tatsächlichen Kosten maßgebend2. Die Einschränkung auf „erhebliche“ Abweichungen von den durch die Pauschale vermuteten Kosten soll im Ergebnis unergiebige Auseinandersetzungen zwischen dem Verwalter und den gesicherten Gläubigern verhindern. In einer Auseinandersetzung um die Höhe der Verwertungskosten hat der Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast für geringere Feststellungskosten; der Verwalter hat aber Rechnung zu legen. Dabei darf der Insolvenzverwalter die Verwertungspauschale gemäß § 171 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht neben gesondert geltend gemachten und bezifferten Verwertungskosten gemäß § 171 Abs. 2 Satz 2 InsO in Abzug bringen. Nach der Systematik des Gesetzes muss der Insolvenzverwalter sich entscheiden, ob er die Pauschale geltend macht oder nach tatsächlich entstandenen Kosten abrechnet. Eine „Mischkalkulation“, bei der der Insolvenzverwalter einen Teil der Verwertungskosten konkret berechnet und für einen anderen Teil die 5 %-Pauschale ansetzt, ist nicht statthaft3. 7.603 Schließlich hat der gesicherte Gläubiger gemäß § 171 Abs. 2 InsO die Umsatzsteuer zu tragen, sofern diese bei der Verwertung anfällt. Daraus ergibt sich für die Sicherungsnehmer an beweglichen Sachen ein weiterer Kostenbeitrag in Höhe von bis zu 19 % des Verwertungserlöses4. Auch auf die Verwertungskosten selbst ist Umsatzsteuer zu entrichten, da nach Ansicht des BFH auch bei der Verwertung von Sicherungsgut ein steuerbare Leistung durch den Insolvenzverwalter vorliegt5. 7.604 Wird die Entstehung der Kostenbeiträge verhindert, indem das gesicherte Kreditinstitut oder ein anderer Gläubiger vor dem oder im Insolvenzeröffnungsverfahren sicherungsübereignete Sachen in Besitz nimmt oder sicherungszedierte Forderungen einzieht, so kann dies nicht angefochten werden mit der Begründung, der Masse seien dadurch die Kostenbeiträge für die Verwertung nach §§ 170, 171 InsO entgangen6. Eine Anfechtung ist jedenfalls deshalb ausgeschlossen, weil der Umstand, dass der Masse der Anspruch auf die Verwertungskostenbeiträge entgeht, keine Gläubigerbenachteiligung i.S. des § 129 InsO darstellt. Denn diese Kostenbeiträge erstatten lediglich Kosten der Masse bei tatsächlicher Verwertung 1 BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, WM 2004, 39; dazu Leithaus, NZI 2004, 138; Brinkmann in Uhlenbruck, § 171 InsO Rz. 10. 2 Beispiele aus der Rechtsprechung („Verwertung“ durch Kündigung einer Lebensversicherung): OLG Jena v. 3.2.2004 – 5 U 709/02, ZInsO 2004, 509; AG Bonn v. 11.10. 2000 – 16 C 322/00, NZI 2001, 50. 3 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 112/06, WM 2007, 893. 4 Im Überblick dazu Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 171 InsO Rz. 39 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.791 ff. 5 BFH v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZInsO 2011, 1904. Ablehnend: Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 168 InsO Rz. 45 f.; d’ Avoine, ZIP 2012, 58; Schmittmann, ZInsO 2011, 1908. 6 BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 217/10; BGH v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, WM 2007, 1129; BGH v. 23.9.2004 – IX ZR 25/03, WM 2005, 126; BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, WM 2004, 39. Dazu auch Notthoff, DZWIR 2004, 207.

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Verwertung von Kreditsicherheiten

7.608

durch den Insolvenzverwalter. Daran ändert auch das vom Gesetzgeber gewählte Pauschalsystem nichts. Dessen Anwendung kann im Einzelfall ebenso zu einer Vermehrung wie zu einer Schmälerung der Masse führen. Dies ist jedoch systembedingt, so dass daraus keine Gläubigerbenachteiligung hergeleitet werden kann1. Im Übrigen stehen dem Insolvenzverwalter aber die allgemeinen bürgerlichrechtlichen Besitzschutzansprüche zu, wenn der Sicherungsgläubiger das Sicherungsgut nicht rechtmäßig in seinen Besitz gebracht hat2. Technisch erfolgt die Kostenbeteiligung gemäß § 170 InsO bei der Erlösvertei- 7.605 lung. Hat der Verwalter den Gegenstand verwertet, entnimmt er gemäß § 170 Abs. 1 InsO den geschuldeten Kostenbeitrag für die Masse vor der Ausschüttung an den absonderungsberechtigten Gläubiger. Hat der Verwalter die Verwertung dem gesicherten Gläubiger überlassen, hat dieser gemäß § 170 Abs. 2 InsO vorweg den Kostenbeitrag an die Masse abzuführen. Berechnungsgrundlage für die Feststellungskosten- und Verwertungskostenpauschalen ist dabei der Nettoerlös ohne Berücksichtigung der Umsatzsteuer3. Die Kostenbeiträge müssen nicht notwendigerweise zu einem Ausfall des gesi- 7.606 cherten Kreditgebers führen. Denn die gesicherten Gläubiger haben die Möglichkeit, den Kostenbeitrag durch entsprechende Übersicherung abzudecken, so dass eine volle Sicherung von Krediten durch Kreditsicherheiten rechtlich möglich ist4. 4. Abgesonderte Befriedigung aus Pfandrechten Gemäß § 50 InsO berechtigen auch die Mobiliarpfandrechte zur abgesonderten 7.607 Befriedigung. In aller Regel werden aber den gesicherten Pfandgläubigern, anders als anderen gesicherten Kreditgebern, weder Einschränkungen ihres Verwertungsrechts noch Kostenbelastungen zugemutet. a) Pfandrecht an beweglichen Sachen Gemäß § 166 Abs. 1 InsO steht dem Verwalter das Recht zur Verwertung beweg- 7.608 licher Gegenstände, an denen ein Absonderungsrecht besteht, nur dann zu, wenn die Sache im Besitz des Insolvenzverwalters steht. Damit ist das vertragliche Pfandrecht von dem Übergang des Verwertungsrechtes auf den Verwalter ausgenommen, da es gemäß § 1205 BGB nur durch Besitzübergang auf den gesicherten Gläubiger begründet werden kann5. Falls dem Schuldner, z.B. bei der Verpfändung von Aktien, ein gegenüber dem gesicherten Gläubiger nachrangiger mittelbarer Besitz verbleibt, begründet dies kein Verwertungsrecht des Insolvenzver1 BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, WM 2004, 39. 2 Ausführlich zum fehlerhaften Besitzerwerb, insbesondere bei Nacht- und Nebelaktionen, und zu den daraus resultierenden Besitzschutzansprüchen Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2013, § 166 InsO Rz. 26 ff. 3 Streitig, ausführlich dazu m.w.N. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.814; de Weerth, ZInsO 2007, 70. 4 So ausdrücklich Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 195 RegE S. 181. Dazu auch Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 170 InsO Rz. 35 f. 5 BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, WM 2012, 549 Rz. 34; BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797; Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 166 InsO Rz. 63.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

walters, da der Schuldner den Pfandgläubiger nicht vom unmittelbaren Besitz ausschließen kann1. Nur bei den besitzlosen gesetzlichen Pfandrechten, vor allem beim Vermieterpfandrecht, und den Pfändungspfandrechten, sofern der Gläubiger den Pfandgegenstand nicht schon vor der Insolvenz an sich gezogen hat, kann dem Verwalter ein Verwertungsrecht auf Grund seines Besitzes zustehen. In diesen Fällen gelten die obigen Erläuterungen (Rz. 7.583 ff.) zu den Verwertungsbefugnissen bei der Sicherungsübereignung und zu dem Kostenbeitrag in gleicher Weise. 7.609 Hat der Gläubiger dagegen ein Besitzpfandrecht, bleibt er gemäß § 173 InsO selbst zur Verwertung berechtigt. Der Verwalter hat aber zum einen die Möglichkeit, dem gesicherten Gläubiger gemäß § 173 Abs. 2 InsO vom Insolvenzgericht eine Frist zur Verwertung setzen zu lassen. Verstreicht diese Frist, geht das Verwertungsrecht auf den Verwalter über. Zum anderen bleibt dem Verwalter die Möglichkeit, wenn er auf den Sicherungsgegenstand für die Fortführung des Unternehmens angewiesen ist, diesen durch Berichtigung der gesicherten Forderung auszulösen2. 7.610 Der Gläubiger eines Besitzpfandrechtes hat keinen Kostenbeitrag zu leisten. Denn die Regelung des Kostenbeitrages in §§ 170, 171 InsO greift nur dann ein, wenn der Verwalter zur Verwertung berechtigt ist. Der gesicherte Kreditgeber ist in diesen Fällen auch nicht verpflichtet, die beim Verkauf der Sache vereinnahmte Umsatzsteuer abzuführen. Denn die Verwertung von Sicherungsgut, die einerseits nach Verfahrenseröffnung erfolgt und bei der andererseits der Verwalter kein Verwertungsrecht hat, fällt nicht unter die Regelungen der §§ 170, 171 InsO3. b) Pfandrecht an Forderungen 7.611 Dem Verwalter steht gemäß § 166 Abs. 2 InsO das Recht der Verwertung bei Forderungen ausdrücklich nur dann zu, wenn diese zur Sicherung eines Anspruchs „abgetreten“ sind. Die Verpfändung von Forderungen führt daher gemäß § 173 Abs. 1 InsO dazu, dass der gesicherte Gläubiger zur Verwertung durch Einziehung berechtigt ist. Gleiches gilt bei der Forderungspfändung. Wegen der fehlenden Verwertungsberechtigung des Verwalters wird dem Gläubiger bei der Forderungsverpfändung und -pfändung auch kein Kostenbeitrag auferlegt4. c) AGB-Pfandrecht 7.612 Für die Praxis des Kreditgeschäfts ist das AGB-Pfandrecht, das sich die Kreditinstitute gemäß Nr. 14 AGB-Banken bzw. Nr. 21 AGB-Sparkassen einräumen lassen, von besonderer Bedeutung5. Dabei handelt es sich, soweit bewegliche Sachen betroffen sind, um ein vertragliches Besitzpfandrecht, im Übrigen um ein Pfandrecht an Forderungen. Dementsprechend führt die Insolvenzordnung zu keiner 1 Wie hier: Ch. Berger, WM 2009, 577, 584 f.; anders, aber unzutreffend Hirte/Knof, WM 2008, 49. Dazu auch Uhlenbruck, ZInsO 2008, 114. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.831 ff. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.834. 4 Dazu auch Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 166 InsO Rz. 63; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.835 ff. 5 Eingehend dazu Mackenthun in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 1/381 ff.

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Inanspruchnahme der Mithaftung von Geschäftsführern und Gesellschaftern

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Entwertung des AGB-Pfandrechts. Denn weder geht das Verwertungsrecht auf den Verwalter über, noch wird dem gesicherten Kreditinstitut ein Kostenbeitrag auferlegt. 5. Der Kostenbeitrag der gesicherten Gläubiger im Überblick 7.613

IV. Inanspruchnahme der vertraglichen Mithaftung von Geschäftsführern und Gesellschaftern Nach der ausdrücklichen Regelung in § 13 Abs. 2 GmbHG haftet für die Verbind- 7.614 lichkeiten der GmbH nur das Gesellschaftsvermögen. Dennoch stellt sich für die Kreditgeber spätestens dann, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, praktisch immer auch die Frage, ob und inwieweit neben der Gesellschaft die Geschäftsführer und Gesellschafter (sowie evtl. deren Angehörige, soweit es sich bei Geschäftsführern und Gesellschaftern um natürliche Personen handelt) auf Rückzahlung der gewährten Kredite in Anspruch genommen werden können. Denn selbst wenn nicht ausnahmsweise trotz der gesetzlichen Haftungsbeschränkung ein Durchgriff auf gesetzlicher Grundlage gegen diesen Personenkreis (im FolgenKuder/Unverdorben

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

den als „nahestehende Personen“ bezeichnet1) in Betracht kommt (zu solchen Haftungsdurchgriffen ausführlich Rz. 1.35 ff., 11.1 ff.), so haben doch in vielen Fällen nahestehende Personen für die Kreditverbindlichkeiten der GmbH vertraglich durch eine Personalsicherheit, also vor allem durch eine Bürgschaft, aber auch durch Schuldbeitritt, Garantie und Patronatserklärung, die persönliche Mithaftung übernommen2. 7.615 Im Folgenden sollen daher zunächst in Form eines Überblicks die typischen Sicherungsformen, mit denen nahestehende Personen die Mithaftung für die Verbindlichkeiten ihrer GmbH übernehmen, dargestellt werden (nachstehend Rz. 7.616 ff.). Sodann werden die generellen Wirksamkeitsfragen dieser Personalsicherheiten erörtert (unten Rz. 7.622 ff.). 1. Typische Sicherungsformen a) Bürgschaft 7.616 Mit der in §§ 765 ff. BGB geregelten Bürgschaft verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Kreditgeber der GmbH, für die Erfüllung der Verbindlichkeiten der GmbH einzustehen3. Die Bürgschaft als Sicherungsmittel hat einerseits den Vorteil, dass es sich um eine sog. Personalsicherheit handelt, dass also eine eigene (wenn auch akzessorische) schuldrechtliche Verpflichtung des Bürgen begründet wird, für deren Erfüllung der Bürge mit seinem gesamten Vermögen haftet. Ihr Nachteil gegenüber einer Sachsicherheit, mit der dem gesicherten Gläubiger ein vorrangiger Zugriff auf bestimmte Vermögenswerte des Sicherungsgebers eingeräumt wird, liegt demgegenüber darin, dass das Vermögen des Bürgen nicht für den Kreditgeber reserviert ist, so dass der Kreditgeber trotz seiner Sicherheit in der Insolvenz der GmbH einen Ausfall erleidet, wenn auch der Bürge in Vermögensverfall geraten ist4. Die Insolvenzordnung verschärft dieses Ausfallrisiko, weil auch natürlichen Personen, die häufig als Geschäftsführer und/oder Gesellschafter die Bürgschaft für „ihre“ GmbH übernehmen, der Weg in die Restschuldbefreiung und damit die Befreiung von ihren Bürgschaftsverpflichtungen offen steht (dazu ausführlich unten Rz. 10.1 ff.). b) Schuldbeitritt 7.617 Der Schuldbeitritt, auch als (kumulative) Schuldmitübernahme bezeichnet, ist im Gesetz nicht geregelt. Beim Schuldbeitritt tritt der Sicherungsgeber, hier also z.B. der Geschäftsführer oder Gesellschafter einer GmbH, zusätzlich neben der GmbH in das Kreditverhältnis ein. Als Folge haften sowohl der Kreditnehmer 1 Die Bezeichnung lehnt sich an den von der Insolvenzordnung in § 138 InsO definierten Begriff an. 2 Nach Ansicht des BGH v. 11.12.1997 – IX ZR 274/96, WM 1998, 235, 236 = GmbHR 1998, 240, ist es „gängige Bankpraxis, bei der Gewährung von Geschäftskrediten für eine GmbH die Mithaftung der Gesellschafter zu verlangen“. 3 Zur Bürgschaft ausführlich auch Nobbe in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHandbuch, § 91 Rz. 1 ff.; Wagenknecht/Piekenbrock in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/1000a ff.; Fischer WM 2001, 1049, 1093. 4 Wagenknecht/Piekenbrock in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/1001.

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Inanspruchnahme der Mithaftung von Geschäftsführern und Gesellschaftern

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wie auch der beitretende Sicherungsgeber dem Gläubiger als Gesamtschuldner gemäß §§ 421 ff. BGB1. Wegen dieser Begründung einer eigenen schuldrechtlichen (Mit-)Verpflichtung des Beitretenden steht der Schuldbeitritt als Personalsicherheit der Bürgschaft sehr nahe2, wobei jedoch rechtlich die Verpflichtung des Beitretenden nicht akzessorisch ist, sondern die Verknüpfung zwischen den beiden gleichrangigen Verpflichtungen von Kreditnehmer und Sicherungsgeber durch §§ 421 ff. BGB geregelt ist. c) Garantie Die Garantie ist ein gesetzlich nicht geregelter formfreier Vertrag, durch den sich 7.618 der Garant gegenüber dem Gläubiger verpflichtet, für einen bestimmten wirtschaftlichen Erfolg oder das Risiko eines künftig eintretenden Schadens einzustehen. Der garantierte Erfolg kann auch darin bestehen, dass ein Kreditinstitut als Gläubigerin einer Kreditforderung den Kreditbetrag vom Kreditnehmer zurückerhält. Auf diese Weise dient die Garantie als Sicherungsmittel, das nach seinem wirtschaftlichem Zweck der Bürgschaft sehr nahe steht. Ihr rechtlicher Unterschied liegt darin, dass die Garantie eine eigene, vom Bestand der Hauptschuld unabhängige Verpflichtung des Sicherungsgebers begründet, die dahin geht, dass der Gläubiger die versprochene Leistung auf jeden Fall erhalten soll, selbst dann, wenn die Hauptschuld nicht (mehr) besteht3. Verschärft wird das Risiko des Sicherungsgebers, in jedem Fall ohne die Möglichkeit einer Einwendung Zahlung leisten zu müssen, noch dadurch, dass Bankgarantien, die von Kreditinstituten als Sicherungsmittel hereingenommen werden, regelmäßig die Verpflichtung zur Zahlung auf erstes Anfordern vorsehen. Mit dieser Verpflichtung sind dem Garanten nicht nur, wie ohnehin schon, evtl. Einwendungen aus dem gesicherten Grundverhältnis abgeschnitten, sondern darüber hinaus kann er sich auch nicht darauf berufen, dass der Garantiefall nicht eingetreten ist. Vielmehr ist der Garant immer dann, wenn lediglich die Inanspruchnahme der Garantie formal ordnungsgemäß ist und fristgerecht erfolgt, zur Zahlung verpflichtet, und wird dazu auch verurteilt. Ein Streit über die Berechtigung der Inanspruchnahme, vor allem das Bestehen der gesicherten Forderung, muss der Garant in einem separaten Rückforderungsprozess geltend machen4. Wegen dieser besonderen Risiken können Kreditinstitute Garantien von Nicht- 7.619 banken nicht uneingeschränkt hereinnehmen. Denn der BGH hat entschieden, dass das Garantiegeschäft, also die Übernahme von Garantien und die Übernahme der diesen vergleichbaren Bürgschaften auf erstes Anfordern für den Sicherungsgeber mit so hohen Risiken verbunden sei, dass das Eingehen einer solchen Verpflichtung, auf erstes Anfordern sofort ohne Rücksicht auf Einwendungen 1 S. zum Schuldbeitritt ausführlich auch Nobbe in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 92 Rz. 55 ff.; Wagenknecht in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/1320 ff.; Madaus, WM 2003, 1705; Fischer, WM 2001, 1049, 1093. 2 Zur Umdeutung eines Schuldbeitritts in eine Bürgschaft BGH v. 16.10.2007 – XI ZR 132/06, WM 2007, 2370. 3 S. zur Garantie auch Nobbe in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 92 Rz. 1 ff.; Wagenknecht in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/1291 f.; Kreft, WM 1997, Sonderbeilage 5, S. 6. 4 Wagenknecht in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/1299.

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Zahlungen leisten zu müssen, zumindest in Formularverträgen1 nur dann wirksam ist, wenn es sich bei dem Garanten um ein Kreditinstitut, ein Versicherungsunternehmen oder ein im internationalen Wirtschaftsverkehr erfahrenes, internationales Großunternehmen handelt2. Angesichts dieser Rechtsprechung kann man für die GmbH davon ausgehen, dass einerseits nicht jede nahestehende Person für die Kredite der GmbH formularmäßig eine Garantie wirksam übernehmen kann, insbesondere dann nicht, wenn es sich um eine natürliche Person handelt. Sofern es sich bei dem Gesellschafter der GmbH jedoch um ein im internationalen Geschäftsverkehr erfahrenes Großunternehmen handelt, kann dieses auch wirksam eine Garantie als Kreditsicherheit erteilen. d) Harte Patronatserklärungen 7.620 Nur die gegenüber dem Kreditgeber abgegebene3 harte Patronatserklärung kann als Kreditsicherheit angesehen werden, weil allein sie im Ergebnis zu einer Mithaftung des Sicherungsgebers führt. Mit der harten Patronatserklärung übernehmen die Muttergesellschaft oder andere nahe stehenden Personen gegenüber dem Kreditgeber einer Gesellschaft rechtsverbindlich die Verpflichtung, diese Gesellschaft so auszustatten, dass sie ihre Verpflichtungen aus dem Kreditverhältnis erfüllen kann („Ausstattungsverpflichtung“)4. Dabei handelt es sich um einen einseitig verpflichtenden Vertrag sui generis, bei dem die Ausstattungsverpflichtung als unechter Vertrag zu Gunsten Dritter (§ 329 BGB) ausgestaltet ist5. Obwohl harte Patronatserklärungen im wirtschaftlichen Ergebnis einer Bürgschaft nahe kommen, können sie formfrei, also auch mündlich abgegeben werden. Alle anderen Erklärungen, in denen keine Ausstattungsverpflichtung begründet wird6, sondern mit denen z.B. der Sicherungsgeber sein Einverständnis mit der Kreditaufnahme erklärt, sein Vertrauen in die Geschäftsführung des Kreditnehmers zum Ausdruck bringt oder Erklärungen zu seiner Geschäftspolitik abgibt, sind dagegen nur weiche Patronatserklärungen. Sie können nicht als Kreditsicherheit angese1 Garantien in Individualverträgen sind uneingeschränkt möglich gemäß BGH v. 12.3. 1992 – IX ZR 141/91, WM 1992, 854, aber in der Praxis des Kreditgeschäfts selten. 2 BGH v. 23.1.1997 – IX ZR 297/95, AG 1997, 324 = WM 1997, 656; BGH v. 12.3.1992 – IX ZR 141/91, WM 1992, 854; BGH v. 27.2.1992 – IX ZR 57/91, WM 1992, 773; BGH v. 5.7. 1990 – IX ZR 294/89, WM 1990, 1410; LG Stuttgart v. ó– 36 O 108/09 KfH, WM 2010, 1499. S. zur Entwicklung der Rechtsprechung im Überblick auch Schulz/Mettke, WM 2014, 54; Graf von Westphalen, ZIP 2004, 1433; Kreft, WM 1997, Sonderbeilage 5, S. 53 f. 3 Zur Kündbarkeit konzerninterner Patronatserklärungen vgl. BGH v. 20.9.2010 – II ZR 296/08, WM 2010, 2037 = GmbHR 2010, 1204 m. Komm. Ulrich/Rath; Blum, NZG 2010, 1331. 4 Ausführlich zur Patronatserklärung Wittig/Berger in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/2855 ff.; Habersack in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, vor § 765 BGB Rz. 49 ff.; Merkel/Tetzlaff in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 98 Rz. 4 ff.; Tetzlaff ZInsO 2008, 337 ff.; Küpper/ Heinze ZInsO 2006, 913 ff.; Wittig, WM 2003, 1981 ff. zum Konflikt von Patronatserklärungen für Unternehmen der öffentlichen Hand mit dem EU-Beihilferecht Soltész/Pfeffer/Wagner, WM 2013, 831. 5 Ausführlich dazu Habersack in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, vor § 765 BGB Rz. 50 f.; Michalski, WM 1994, 1229; Uwe H. Schneider, ZIP 1989, 619; Schröder, ZGR 1982, 552; Obermüller, ZGR 1975, 1. 6 Zur Abgrenzung OLG Brandenburg v. 19.9.2007 – 3 U 129/06.

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hen werden, weil sie entweder rechtlich unverbindlich sind oder zwar begrenzte Pflichten begründen, aber nicht in jedem Fall bei Insolvenz des Kreditnehmers zur Mithaftung des Sicherungsgebers führen1. Demgegenüber liegt der Sicherungswert einer harten Patronatserklärung darin be- 7.621 gründet, dass der Sicherungsgeber dem Kreditgeber bei Insolvenz des Kreditnehmers Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 280 Abs. 1, 281 BGB schuldet, weil der Sicherungsgeber seine Ausstattungsverpflichtung nicht erfüllt hat2. Dass der Sicherungsgeber seine Ausstattungspflicht i.S. von §§ 280 Abs. 1, 281 BGB nicht erfüllt hat, ist spätestens dann nachgewiesen, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Kreditnehmers eröffnet wurde, so dass die Inanspruchnahme jetzt jedenfalls möglich ist3. Erst recht muss dies gelten, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen wird, denn für die Haftung aus einer harten Patronatserklärung genügt nach Auffassung des Bundesgerichtshofes jeder Nachweis einer Zahlungsunfähigkeit des Kreditnehmers4. Obwohl die harte Patronatserklärung zunächst dem Kreditgeber keine einklagbaren Ansprüche auf Leistung an sich einräumt, hat daher der Kreditgeber die Möglichkeit, durch Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sich einen Zahlungsanspruch gegen den Sicherungsgeber zu verschaffen, wenn der an die patronierte Gesellschaft ausgereichte Kredit Not leidend wird. Die Schadensersatzpflicht des Sicherungsgebers ist dann darauf gerichtet, bei Fälligkeit des Kredits diesen in der in Anspruch genommenen Höhe zurückzuzahlen. Dabei haftet der Sicherungsgeber nicht etwa nur für einen eventuellen Ausfall, sondern neben dem Kreditnehmer als Gesamtschuldner auf Schadensersatz in voller Höhe5. Deshalb muss insbesondere der Kreditgeber vor Inanspruchnahme der Patronatserklärung nach Fälligkeit der gesicherten Forderung weder längere Zeit abwarten, bis die Höhe seines Ausfalls feststeht, noch muss er zuvor die Zwangsvollstreckung gegen den Kreditnehmer betreiben6.

1 So z.B. OLG Frankfurt v. 19.9.2007 – 4 U 22/07, AG 2008, 218 = ZIP 2007, 2316. Zu möglichen Formen und den Rechtsfolgen weicher Patronatserklärungen Wittig/Berger in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/2856 ff.; Habersack in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, vor § 765 BGB Rz. 54; Saenger/Merkelbach, WM 2007, 2309 ff. 2 BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, WM 2011, 1085 Rz. 20 = GmbHR 2011, 769 m. Komm. Blöse; BGH v. 22.9.2009 – XI ZR 286/08, WM 2009, 2073; BGH v. 8.5.2003 – IX ZR 334/01, WM 2003, 1178, 1179 f.; BGH v. 30.1.1992 – IX ZR/112/91, AG 1992, 447 = WM 1992, 501; OLG Rostock v. 16.12.2004 – 1 U 28/04, MDR 2005, 1277; OLG München v. 22.7.2004 – 19 U 1867/04, ZInsO 2004, 1040; Uwe H. Schneider, ZIP 1989, 619Rümker, WM 1974, 990. Ausführlich zu dieser Wirkung der harten Patronatserklärung auch Wittig/Berger in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/2879 ff.; Habersack in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, vor § 765 BGB Rz. 52. 3 BGH v. 30.1.1992 – IX ZR/112/91, AG 1992, 447 = WM 1992, 501. 4 BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, WM 2011, 1085 Rz. 20 = GmbHR 2011, 769 m. Komm. Blöse; BGH v. 30.1.1992 – IX ZR/112/91, AG 1992, 447 = WM 1992, 501; OLG München v. 22.7.2004 – 19 U 1867/04, ZInsO 2004, 1040. 5 BGH v. 30.1.1992 – IX ZR/112/91, WM 1992; OLG Stuttgart v. 21.2.1985 – 7 U 202/84, WM 1985, 455. 6 BGH v. 30.1.1992 – IX ZR/112/91, AG 1992, 447 = WM 1992, 501; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.1293.

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2. Grenzen der Durchsetzbarkeit und Wirksamkeit a) Inanspruchnahme des Gesellschafters in der Insolvenz (§ 93 InsO) 7.622 Der Kreditgeber ist bei der Inanspruchnahme einer Personalsicherheit des Gesellschafters der insolventen GmbH nicht eingeschränkt durch § 93 InsO (dazu auch Rz. 7.763). Zwar sieht § 93 InsO vor, dass im Insolvenzverfahren die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der insolventen Gesellschaft nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann. Dies gilt zum einen aber nur für Personengesellschaften, also nicht für die GmbH. Zum anderen hat die Rechtsprechung keinen Zweifel daran gelassen, dass der Anwendungsbereich von § 93 InsO auf die gesetzliche akzessorische Gesellschafterhaftung beschränkt ist (Rz. 7.150). § 93 InsO führt aber weder direkt noch analog dazu, dass Sicherheiten der Gesellschafter (insbesondere Bürgschaften) für Verbindlichkeiten der insolventen Gesellschaft im Insolvenzverfahren nur noch vom Insolvenzverwalter verwertet werden dürfen1. b) Schranken des Sicherungszwecks 7.623 Die Kreditgeber der GmbH können für ihre Forderungen gegen die GmbH die Mithaftung nahestehender Personen nur dann und nur insoweit in Anspruch nehmen, wie die jeweilige Sicherheit gerade für den betreffenden Kredit bestellt worden ist. Dies ergibt sich für die akzessorische Bürgschaft aus § 765 BGB und für die anderen Formen der Mithaftung aus der Zweckerklärung, d.h. aus der schuldrechtlichen vereinbarten Verknüpfung von Sicherheit und gesicherter Forderung2. 7.624 Dabei finden sich zum einen Personalsicherheiten mit weitem Sicherungszweck, die nach ihrem ausdrücklichen Text eine Mithaftung des Sicherungsgebers für sämtliche gegenwärtigen und künftigen Verbindlichkeiten begründet haben, soweit diese dem Kreditinstitut aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung gegen den Kreditnehmer zustanden3. Daneben gibt es Personalsicherheiten mit engem Sicherungszweck, die nach ihrem Wortlauf nur für eine oder mehrere bestimmte Kreditforderungen haften, die Anlass zur Hereinnahme der Personalsicherheit gegeben haben. 7.625 Grundsätzlich kann für die von einem Dritten bestellte Personalsicherheit4 formularmäßig nur der enge Sicherungszweck wirksam vereinbart werden5. Die for1 BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, WM 2002, 1770; BFH v. 2.11.2001 – VII B 155/01, WM 2002, 1361; Brandes/Gehrlein in Münchener Kommentar zur InsO, § 93 InsO Rz. 21. Ablehnend Klinck, NZI 2004, 651; Kesseler, ZIP 2002, 1974. 2 Zur Bestimmung des Sicherungszwecks durch die Zweckerklärung siehe auch Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 90 Rz. 94 ff. 3 Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 90 Rz. 96. 4 Dies gilt jedoch nicht für Sachsicherheiten wie Grundschuld oder Verpfändung, BGH v. 24.6.1997 – XI ZR 288/96, WM 1997, 1615; BGH v. 4.10.2001 – IX ZR 174/99, WM 2002, 919. 5 Ständige Rechtsprechung seit BGH v. 18.5.1995 – IX ZR 108/94, WM 1995, 1397, vorbereitet durch BGH v. 17.3.1994 – IX ZR 102/93, WM 1994, 784; BGH v. 1.6.1994 – XI ZR 133/93, WM 1994, 1242; auch für die Bürgschaft eines Kaufmanns: BGH v. 24.9.1998 – IX ZR 425/97, WM 1998, 2186; BGH v. 7.3.1996 – IX ZR 43/95, WM 1996, 766; BGH v. 13.6.1996 – IX ZR 229/95, WM 1996, 1391; BGH v. 2.7.1998 – IX ZR

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mularmäßige Vereinbarung des weiten Sicherungszwecks ist überraschend i.S. von § 305c Abs. 1 BGB, da sie von den Erwartungen des Sicherungsgebers deutlich abweicht und er damit den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Dies gilt auch dann, wenn es sich um eine Höchstbetragsbürgschaft handelt. Denn die vertragswesentlichen Rechte des Bürgen würden nicht nur dadurch ausgehöhlt, dass er u.U. für einen höheren Betrag haften muss, als es dem Anlass seiner Bürgschaftsübernahme entspricht, sondern auch dadurch, dass er für andere als die veranlassten Verbindlichkeiten einzustehen hat, weil deren Verwendungszweck, Tilgungsdauer oder zusätzliche Besicherung und damit das Ausfallrisiko abweichen können von dem Kredit, der Anlass der Bürgschaft war. Dies gilt nicht nur für die Bürgschaft, sondern auch für den Schuldbeitritt, da eine persönliche Mithaftung, die auf Verlangen des Kreditgebers zu dessen Sicherheit von einem Dritten übernommen werde, in ihrer wirtschaftlichen Funktion einer Bürgschaft so nahe steht, dass eine rechtliche Gleichbehandlung sachgerecht ist1. Jedoch führt die unzulässige Vereinbarung des weiten Sicherungszwecks bloß zur Teilunwirksamkeit der Zweckvereinbarung, und die Haftung dieser Sicherheiten bleibt für denjenigen Kredit bestehen, der Anlass für die Bürgschaft gegeben hat, für den sich der Bürge also ursprünglich verpflichtet hatte2. Ein weiter Sicherungszweck ist aber bei Personalsicherheiten von Geschäftsfüh- 7.626 rern und Allein- oder Mehrheitsgesellschaftern der GmbH möglich3. Denn der Geschäftsführer oder der Allein- bzw. Mehrheitsgesellschafter der GmbH kann bestimmenden Einfluss darauf nehmen, ob und in welchem Umfang weitere Kredite nach Übernahme der Mithaftung aufgenommen werden. Daher bedürfen diese Personen nicht des Schutzes des § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB und können sich auch nicht darauf berufen, durch zusätzliche Kreditaufnahmen überrascht zu sein4. Etwas anderes gilt nur da, wo der Gesellschafter der GmbH mangels Mehrheitsbeteiligung5 keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung und damit auf weitere Kreditaufnahmen hat6. Jedoch ist die formularmäßige Vereinbarung des weiten Sicherungszwecks für die Mithaftung des Minderheitsgesellschafters möglich, sofern gesellschaftsrechtlich, also durch den Gesellschaftsver-

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255/97, WM 1998, 1675 = GmbHR 1998, 927; BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 294/00, WM 2002, 1836; BGH v. 14.10.2003 – XI ZR 121/02, WM 2003, 2379; zum Sicherungszweck einer Bürgschaft für eine durch Verwaltungsakt festzusetzende Rückforderung einer staatlichen Subvention BGH v. 28.4.2009 – XI ZR 86/08, WM 2009, 1180 Rz. 35 ff. Zum Stand der Rechtsprechung vgl. auch Grüneberg, WM 2010, Sonderbeilage 2, S. 9 f. BGH v. 7.11.1995 – IX ZR 108/94, WM 1995, 2180. BGH v. 18.5.1995 – IX ZR 108/94 (Zweibrücken), WM 1995, 1397; OLG Celle v. 12.9. 2007 – 3 U 85/07, WM 2008, 296. Dazu detailliert auch Wagenknecht/Piepenbrock in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/1050a ff.; Grüneberg, WM 2010, Sonderbeilage 2, S. 10. BGH v. 20.7.2009 – II ZR 36/08, WM 2009, 1798 Rz. 12 = GmbHR 2009, 1096; BGH v. 9.12.2008 – XI ZR 588/07, WM 2009, 213 Rz. 18; BGH v. 16.1.2003 – IX ZR 171/00, WM 2003, 669; BGH v. 23.5.2000 – XI ZR 214/99, WM 2000, 1328; BGH v. 18.5.1995 – IX ZR 108/94, WM 1995, 1397; BGH v. 24.9.1996 – IX ZR 316/95, NJW 1996, 3205. Hatte der Gesellschafter eine Mehrheitsbeteiligung und nur rein faktisch die Geschäftsführung dem Mitgesellschafter überlassen, bleibt ein weiter Sicherungszweck wirksam, so OLG Köln v. 16.5.2001 – 13 U 204/00, WM 2002, 1389 = GmbHR 2001, 922. BGH v. 16.1.2003 – IX ZR 171/00, WM 2003, 669; BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 294/00, WM 2002, 1836; BGH v. 7.11.1995 – XI ZR 235/94, WM 1995, 2180.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

trag in Verbindung mit der Geschäftsordnung für die Geschäftsführung, sichergestellt ist, dass die besicherten Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht ohne Mitwirkung des Minderheitsgesellschafters ausgeweitet werden dürfen1. c) Formvorschriften für Verbraucherdarlehen 7.627 Wirksamkeitsschranken für die Inanspruchnahme der Personalsicherheiten nahestehender Personen ergeben sich u.U. bei natürlichen Personen als Sicherungsgeber daraus, dass die Mithaftungserklärungen (Bürgschaft, Schuldbeitritt, Garantie oder Patronatserklärung) evtl. nach den besonderen Regeln für Verbraucherdarlehen formunwirksam oder widerrufbar sind2. 7.628 Dabei finden nach der ständigen Rechtsprechung die besonderen Formvorschriften für Verbraucherdarlehen (§§ 491 ff. BGB) auf den sicherungshalber erklärten Schuldbeitritt zu einem Kreditvertrag Anwendung3. Der BGH wendet auf den Schuldbeitritt die Vorschriften für Verbraucherdarlehen analog an, weil derjenige, der die Mithaftung für eine Kreditschuld übernimmt, in gleicher Weise wie der Kreditnehmer schutzbedürftig sei. Für den persönlichen Anwendungsbereich der besonderen Schutzvorschriften kommt es deswegen auch nicht darauf an, ob der Kreditnehmer Verbraucher ist, sondern allein auf die Person des Sicherungsgebers, weil der Schuldbeitritt zwischen ihm und dem Kreditgeber ein selbständiges Schuldverhältnis begründet. Für die nahestehenden Personen, die durch Schuldbeitritt die Mithaftung für die Kreditverbindlichkeiten einer GmbH übernommen haben, bedeutet dies, dass die Beitrittserklärung immer dann den Anforderungen der §§ 491 ff. BGB genügen muss, wenn es sich bei dem Sicherungsgeber um eine natürliche Person handelt, die Verbraucher im Sinne des § 13 BGB ist. Verbraucher sind aber insbesondere auch Geschäftsführer, Mehrheitsgesellschafter und sogar geschäftsführende Alleingesellschafter der GmbH, was der BGH sehr dogmatisch damit begründet hat, dass rechtlich das Halten der Gesellschaftsbeteiligung an der GmbH keine gewerbliche Tätigkeit, sondern Vermögensverwaltung sei, und die Geschäftsführung der GmbH eine angestellte berufliche, also keine selbständige Tätigkeit darstelle4. 1 BGH v. 15.7.1999 – IX ZR 243/98, WM 1999, 1761 = GmbHR 1999, 975 m. Komm. Bärwaldt. 2 Dazu auch Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 90 Rz. 397 ff.; Nobbe in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 91 Rz. 36 ff.; Grüneberg, WM 2010, Sonderbeilage 2, S. 4; Madaus, BKR 2008, 54; Kulke, NJW 2006, 2223; Scherer/Mayer, DB 2000, 818; Scherer/Mayer, DB 1998, 1217. 3 BGH v. 5.6.1996 – VIII ZR 151/95, WM 1996, 1258; BGH v. 10.7.1996 – VIII ZR 213/95, WM 1996, 1781; BGH v. 12.11.1996 – XI ZR 202/95, WM 1997, 158; BGH v. 28.1.1997 – XI ZR 251/95, WM 1997, 663; BGH v. 25.2.1997 – XI ZR 49/96, WM 1997, 710 = GmbHR 1997, 444; BGH v. 27.6.2000 – XI ZR 322/98, WM 2000, 1799; BGH v. 28.6.2000 – VIII ZR 240/99, WM 2000, 1632 = GmbHR 2000, 878; BGH v. 24.6.2003 – XI ZR 100/02, WM 2003, 620; BGH v. 8.11.2005 – XI ZR 34/05, WM 2006, 81 = GmbHR 2006, 148; für Leasingverträge BGH v. 28.6.2000 – VIII ZR 240/99, WM 2000, 1632 = GmbHR 2000, 878. So auch Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 90 Rz. 397; Wagenknecht in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/1321a. Kritisch zur Rechtsprechung des BGH Madaus, BKR 2008, 54; Hänlein, DB 2001, 1185 ff. 4 BGH v. 24.7.2007 – XI ZR 208/06, WM 2007, 1833 = GmbHR 2007, 1154; BGH v. 8.11. 2005 – XI ZR 34/05, WM 2006, 81 = GmbHR 2006, 148; BGH v. 10.7.1996 – VIII ZR 213/95, WM 1996, 1781; BGH v. 5.6.1996 – VIII ZR 151/95, WM 1996, 1258.

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Kuder/Unverdorben

Inanspruchnahme der Mithaftung von Geschäftsführern und Gesellschaftern

7.632

Mit Anwendung der Regeln für Verbraucherdarlehen auf den Schuldbeitritt sind 7.629 zum einen die Formvorschriften des § 492 BGB zu beachten. Der Vertrag über den Schuldbeitritt muss schriftlich geschlossen werden und die einzelnen Angaben nach § 492 BGB i.V.m. Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB, z.B. den Nettokreditbetrag und den effektiven Jahreszins, enthalten. Eine Verletzung dieser Formvorschriften führt gemäß § 494 Abs. 1 BGB zur Nichtigkeit des Schuldbeitritts. Denn während für den Kredit nach § 494 Abs. 2 BGB Formfehler mit der Auszahlung geheilt werden, hat der BGH eine solche Heilung für den formunwirksamen Schuldbeitritt abgelehnt, weil die Auszahlung des Kredits nicht an den Sicherungsgeber erfolge1. Zum anderen besteht beim Schuldbeitritt für den Sicherungsgeber nach den be- 7.630 sonderen Bestimmungen für Verbraucherdarlehensverträge ein Recht zum Widerruf innerhalb von 14 Tagen gemäß §§ 495 Abs. 1, 355 BGB. Die Widerrufsfrist von 14 Tagen, die grundsätzlich mit Vertragsschluss (§ 355 Abs. 2 BGB) beginnt, wird bei Verbraucherdarlehensverträgen – und damit auch bei einem durch einen Verbraucher erklärten Schuldbeitritt zu einem Darlehensvertrag – erst in Lauf gesetzt, wenn zusätzlich zum Vertragsschluss eine der in § 356b Abs. 1 BGB genannten Voraussetzungen erfüllt ist, also der Darlehensgeber dem Schuldbeitretenden die Vertragsurkunde oder eine Abschrift ausgehändigt hat. Dies gilt gemäß § 356b Abs. 2 BGB nur, wenn die Vertragsurkunde alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB enthält. Dazu gehört auch die Unterrichtung über das Widerrufsrecht nach Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB. Demgegenüber finden die Sonderregelungen für das Verbraucherdarlehen auf die 7.631 Bürgschaft keine Anwendung2. Für Kredite an eine GmbH bedeutet dies, dass natürliche Personen, die als nahe stehende Personen eine Bürgschaft für Kredite an die GmbH übernommen haben, weder die Verletzung von Formvorschriften noch ein Widerrufsrecht auf Grund analoger Anwendung der Schutzvorschriften für Verbraucherdarlehen einwenden können. Gleiches muss auch für die Garantie und die Patronatserklärung gelten. Denn der 7.632 BGH hat es als wesentlichen Unterschied zwischen dem Schuldbeitritt und der Bürgschaft angesehen, dass der Beitretende dem Kreditvertrag als gleichrangiger selbständiger Schuldner beitritt, während die Bürgschaft nur eine akzessorische Haftung für fremde Schuld begründet und diese lediglich als Eventualverbindlichkeit für den Sicherungsfall absichert. Damit ist die Rechtsstellung des Bürgen von der des Kreditnehmers weiter entfernt als die des Mitschuldners3. Und dies ist ebenso bei der Garantie und der Patronatserklärung; denn hier wird eine Mithaftung übernommen, die noch nicht einmal auf einer akzessorischen Verknüpfung mit der fremden Schuld beruht, sondern lediglich eine Einstandspflicht für einen Erfolg (bei der Garantie) oder eine Ausstattungspflicht (bei der Patronatserklärung) begründet, so dass der Sicherungsgeber sogar noch weiter von der Rechtsstellung des Kreditnehmers entfernt ist, als bei der Bürgschaft. 1 BGH v. 24.7.2007 – XI ZR 208/06, WM 2007, 1833 Rz. 22 = GmbHR 2007, 1154; BGH v. 25.2.1997 – XI ZR 49/96, WM 1997, 710 = GmbHR 1997, 444; BGH v. 28.1.1997 – XI ZR 251/95, WM 1997, 663; BGH v. 12.11.1996 – XI ZR 202/95, WM 1997, 158. 2 EuGH v. 23.3.2000 – Rs. C-208/98, WM 2000, 713.; BGH v. 21.4.1998 – IX ZR 258/97, WM 1998, 1120 = GmbHR 1998, 679; kritisch dazu Nobbe in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 91 Rz. 38. 3 BGH v. 21.4.1998 – IX ZR 258/97, WM 1998, 1120 = GmbHR 1998, 679.

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7.633

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

7.633 Im Ergebnis gelten somit bei Mithaftungserklärungen nahestehender Personen für Kredite der GmbH die Regelungen über den Verbraucherdarlehensvertrag nur für den Schuldbeitritt natürlicher Personen1, aber nicht für Bürgschaften, Garantien und Patronatserklärungen dieses Personenkreises. d) Abschluss außerhalb der Geschäftsräume oder im Fernabsatz 7.634 Die Inanspruchnahme der von einer nahestehenden Person für die Kreditverbindlichkeiten der GmbH gestellten Sicherheit kann auch deshalb scheitern, weil der Sicherungsgeber den Widerruf des Sicherheitenvertrags nach dem Recht der außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträge oder nach dem Recht der Fernabsatzverträge gemäß §§ 355, 312g Abs. 1 BGB erklärt. Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie zum 13.6.20142 gilt für die Bestellung von Sicherheiten durch Verbraucher Folgendes: Wird die Sicherheit (z.B. Bürgschaft, Schuldbeitritt, Garantie, Verpfändung eines Kontoguthabens oder eines Depots) durch eine natürliche Person, die Verbraucher im Sinne des § 13 BGB ist, bestellt, und wird der Sicherheitenvertrag außerhalb der Geschäftsräume des Kreditinstituts im Sinne von § 312b BGB oder im Fernabsatz gemäß § 312c BGB abgeschlossen, hat das Kreditinstitut den Sicherungsgeber rechtzeitig vor Abschluss des Vertrages nach Maßgabe des Art. 246b EGBGB über den wesentlichen Inhalt zu informieren. Diese vorvertraglichen Informationen gemäß Art. 246b EGBGB müssen u.a. allgemeine Informationen zum Kreditinstitut, zum Sicherheitenvertrag allgemein und den wesentlichen Merkmalen der Sicherheit sowie zum Widerrufsrecht und den Folgen des Widerrufs enthalten. Die Pflicht zur Belehrung über das Widerrufsrecht bei Vertragsabschluss ergibt sich aus §§ 312g Abs. 1, 355 BGB i.V.m. Art. 246a § 1 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB. Außerhalb der Geschäftsräume des Kreditinstituts sind Verträge vor allem auch dann geschlossen, wenn nur der Verbraucher seine bindende Willenserklärung an einem Ort abgibt, der nicht zu den Geschäftsräumen der Bank zählt oder der Verbraucher vor dem Vertragsabschluss in der Bank persönlich auf den Vertrag angesprochen wurde und diese individuelle Ansprache durch den Bankmitarbeiter außerhalb der Geschäftsräume geschah (§ 312b Abs. 1 BGB)3. Um Fernabsatzverträge i.S. des § 312c BGB handelt es sich vor allem dann, wenn der Vertrag mit Kommunikationsmitteln angebahnt oder abgeschlossen wird, ohne dass die Vertragsparteien gleichzeitig körperlich anwesend sind. Dazu zählt z.B. der Briefverkehr, Telefonate sowie der E-Mail-Verkehr4. 7.635 Sofern der Sicherheitenvertrag nicht außerhalb von Geschäftsräumen oder im Fernabsatz abgeschlossen wird, besteht weder eine gesetzliche Pflicht, den Ver1 Zu Recht kritisch zu dieser Sonderbehandlung des Schuldbeitritts Madaus, BKR 2008, 54; Edelmann, RIW 2000, 461. 2 Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnraumvermittlung vom 20.9.2013, BGBl. I 2013, 2642. 3 Einzelheiten zu den Tatbestandsmerkmalen des § 312b Abs. 1 BGB bei Maume in Beck’scher Onlinekommentar zum BGB, § 312b BGB Rz. 11 ff.; ausführlich zur Anwendbarkeit des Rechts der außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträge und des Fernabsatzrechts auf Kreditsicherheiten Schürnbrand, WM 2014, 1157. 4 Schürnbrand, WM 2014, 1157, 1162, nach dessen Ansicht Sicherheitenverträge keine Fernabsatzverträge i.S. des § 312c Abs. 1 BGB sind.

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Kuder/Unverdorben

Inanspruchnahme der Mithaftung von Geschäftsführern und Gesellschaftern

7.638

braucher vorvertraglich zu informieren, noch besteht die Pflicht, den Verbraucher über ein Widerrufsrecht zu belehren. Ein gesetzliches Widerrufsrecht steht dem Sicherungsgeber in diesem Fall nicht zu. Die Widerrufsfrist beträgt bei ordnungsgemäßer Unterrichtung 14 Tage ab Vertragsabschluss (§ 355 BGB). Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Unterrichtung seitens des Kreditinstituts, beginnt die Frist nicht zu laufen (§ 356 Abs. 3 Satz 1 BGB). Das Widerrufsrecht gilt aber auch in diesem Fall nicht mehr unbegrenzt, sondern erlischt gemäß § 356 Abs. 3 Satz 2 BGB 12 Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss. Einer GmbH nahestehenden natürlichen Personen, die vor dem 13.6.2014 eine 7.636 Mithaftungserklärung für einen der GmbH gewährten Kredit abgegeben hatten, kann ein Widerrufsrecht nach der Regelung für Haustürgeschäfte aus § 312 BGB a.F. zustehen1. Voraussetzung für das Widerrufsrecht ist nur, dass das Sicherungsgeschäft als solches ein Haustürgeschäft i.S. von § 312 Abs. 1 BGB a.F. ist, insbesondere weil der Verbraucher durch mündliche Verhandlungen an seinem Arbeitsplatz oder im Bereich einer Privatwohnung zum Abschluss des Sicherungsvertrags bestimmt worden ist. An dieser Rechtslage für Altfälle hat sich durch das seit dem 13.6.2014 geltende Recht nichts geändert2. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung, erlischt das Widerrufsrecht allerdings ebenfalls gemäß Art. 229 § 32 Abs. 3 EGBGB 12 Monate und 14 Tage nach vollständiger Erbringung der beiderseitigen Leistungen aus dem Vertrag, jedoch frühestens am 27.6.2015. e) Grenzen für die Mithaftung Vermögensloser Es bleibt den nahestehenden natürlichen Personen der GmbH bei Insolvenz der 7.637 Gesellschaft gegenüber der von ihnen übernommenen Mithaftung der Einwand, dass ihre Inanspruchnahme sittenwidrig sei oder gegen Treu und Glauben verstoße, da sie vermögenslos und mit der Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen finanziell überfordert seien3. Grundsätzlich gilt dabei, dass eine Bürgschaft oder andere Mithaftungserklärung, 7.638 insbesondere ein Schuldbeitritt4, auch dann nicht sittenwidrig und damit nach § 138 BGB nichtig ist, wenn die Verpflichtungen daraus den Bürgen angesichts 1 BGH v. 2.5.2007 – XII ZR 109/04, WM 2007, 1209; BGH v. 10.1.2006 – XI ZR 169/05, WM 2006, 377; in Aufgabe der früheren Rechtsprechung (BGH v. 14.5.1998 – IX ZR 56/95, WM 1998, 1388). Vorbereitet durch ein obiter dictum in BGH v. 9.3.1993 – XI ZR 179/92, WM 1993, 683. So auch schon BGH v. 26.9.1995 – XI ZR 199/94, WM 1995, 2027 für die Grundschuld. 2 Einzelheiten bei Schürnbrand, WM 2014, 1157, 1159 ff. 3 Grundlegend: BVerfG v. 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89, WM 1993, 2199; dazu auch Nobbe in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 91 Rz. 90 ff.; Grüneberg, WM 2010, Sonderbeilage 2, S. 5 ff.; Schnabl, WM 2006, 706, Unger, BKR 2005, 432; Goette, DStR 2003, 301; Nobbe/Kirchhof, BKR 2001, 1. 4 Ursprünglich wurden Bürgschaft und Schuldbeitritt vom IX. und XI. Zivilsenat des BGH unterschiedlich behandelt, was sogar zu einer Vorlage an den Großen Senat führte: BGH v. 29.6.1999 – XI ZR 10/98, NJW 1999, 2584. Mittlerweile hat aber eine Annäherung in der Beurteilung von Bürgschaften bzw. Schuldbeitritt Vermögensloser stattgefunden; s. dazu auch Schimansky, WM 2002, 2437; Nobbe/Kirchhof, BKR 2001, 5.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

seiner Vermögenslosigkeit und geringen finanziellen Leistungsfähigkeit weit überfordern. Denn im Rahmen der Vertragsfreiheit ist jedem auch freigestellt, in eigener Verantwortung risikoreiche Geschäfte abzuschließen, und er kann sich selbst zu Leistungen verpflichten, die er nur unter besonders günstigen Bedingungen, ggf. unter dauernder Inanspruchnahme seines pfändbaren Einkommens, erbringen kann1. Sittenwidrig ist aber eine finanzielle Überforderung des Sicherungsgebers dann, wenn er in seiner Freiheit, sich für oder gegen eine vertragliche Bindung zu entscheiden, sowie in der Erkenntnismöglichkeit, mit welchen Rechtsfolgen die betreffende Verbindlichkeit verbunden sein kann, wesentlich beeinträchtigt worden ist2. Besteht ein krasses Missverhältnis zwischen den übernommenen Verpflichtungen und der Leistungsfähigkeit des Sicherungsgebers, sodass der Gläubiger kein berechtigtes Interesse an der Sicherheit haben kann, so besteht eine widerlegliche Vermutung, dass der Sicherungsgeber die Bürgschaft oder Mithaftung allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat3. Aus diesen Grundsätzen lassen sich drei Fallgruppen ableiten, in denen eine Mithaftungsübernahme des finanziell überforderten Sicherungsgebers als sittenwidrig anzusehen ist4. 7.639 Bei der ersten Gruppe handelt es sich um Fälle, in denen das Kreditinstitut selbst in verwerflicher Weise auf die Entschließung des Sicherungsgebers eingewirkt und ihn damit unzumutbar belastet hat. Als bekanntester Fall ist hier zu nennen, dass der Umfang und die Tragweite der Haftung verharmlost werden (z.B. mit der Aussage, die Bürgschaft sei „nur für die Akten“). Dazu zählen aber auch Gestaltungen, in denen außergewöhnliche Haftungsrisiken dem Sicherungsgeber verschwiegen werden oder wo der Gläubiger den Sicherungsgeber überrumpelt oder sonst in eine Zwangslage bringt5. 7.640 Zur zweiten Fallgruppe lassen sich die Sachverhalte zusammenfassen, in denen der gesicherte Gläubiger ein klar zutage tretendes sittlich missbilligenswertes Handeln des Kreditnehmers oder eines Dritten gegenüber dem Sicherungsgeber für eigene Zwecke ausnutzt. Dies sind insbesondere die Fälle, in denen Eltern unter Verstoß gegen ihre Beistands- und Rücksichtnahmepflicht aus § 1618a BGB ihre geschäftsunerfahrenen Kinder veranlassen, zu ihren Gunsten Bürgschaften einzugehen, die außer Verhältnis zu den gegenwärtigen und voraussehbaren künf1 BGH v. 14.10.2003 – XI ZR 121/02, WM 2003, 2379; BGH v. 24.2.1994 – IX ZR 93/93, WM 1994, 676; BGH v. 24.4.1994 – IX ZR 227/93, WM 1994, 680. 2 BGH v. 14.10.2003 – XI ZR 121/02, WM 2003, 2379; BGH v. 24.2.1994 – IX ZR 93/93, WM 1994, 676; BGH v. 24.4.1994 – IX ZR 227/93, WM 1994, 680; BGH v. 5.1.1995 – IX ZR 85/94, WM 1995, 237; BGH v. 18.1.1996 – IX ZR 171/95, WM 1996, 519; BGH v. 25.4.1996 – IX ZR 177/96, WM 1996, 1124. 3 BGH v. 14.10.2003 – XI ZR 121/02, WM 2003, 2379; BGH v. 24.2.1994 – IX ZR 93/93, WM 1994, 676; BGH v. 18.9.1997 – IX ZR 283/96, WM 1997, 2117; BGH v. 18.12.1997 – IX ZR 271/96, WM 1998, 239 = GmbHR 1998, 177; BGH v. 25.1.2005 – XI ZR 28/04, WM 2005, 421. 4 Zur Bildung der Fallgruppen Fischer, WM 1998, 1751 ff. 5 BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 283/99, WM 2003, 1563; BGH v. 8.11.2001 – IX ZR 46/99, WM 2002, 919, 922; BGH v. 24.2.1994 – IX ZR 93/93, WM 1994, 676; BGH v. 16.1. 1997 – IX ZR 250/95, WM 1997, 511; BGH v. 2.11.1995 – IX ZR 222/94, WM 1996, 53; Nobbe in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 91 Rz. 126 ff.

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Kuder/Unverdorben

Inanspruchnahme der Mithaftung von Geschäftsführern und Gesellschaftern

7.641

tigen wirtschaftlichen Verhältnissen der Kinder stehen1. Deshalb können solche Sachverhalte im Kreditgeschäft mit der GmbH insbesondere dann zur Nichtigkeit der Bürgschaft nahe stehender Personen führen, wenn es sich bei den Bürgen um die Kinder der Geschäftsführer oder Gesellschafter handelt. Ebenso können aus diesen Gründen die Bürgschaften der Ehegatten von Geschäftsführern oder Gesellschaftern für die Kredite der GmbH sittenwidrig sein. Anders als bei der Bürgschaft von Kindern ist aber bei Ehegattenbürgschaften davon auszugehen, dass eine dem Familienbetrieb dienende Kreditgewährung den Wünschen und Interessen beider Ehepartner entspricht. Der Kreditgeber muss deshalb mangels besonderer Anhaltspunkte nicht von einer missbilligenswerten Einflussnahme des anderen Ehepartners auf die Entscheidung des Bürgen ausgehen, sodass die Bürgschaften von Ehegatten regelmäßig deshalb nicht sittenwidrig sind, weil der Kreditgeber sich eine evtl. Einflussnahme des anderen Ehegatten auf die freie Willensbildung des Bürgen nicht zurechnen lassen muss2. Schließlich bilden die dritte Fallgruppe solche Konstellationen, in denen eine Mit- 7.641 haftung ausnahmsweise auch ohne unzulässige Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit des Sicherungsgebers sittenwidrig und deshalb nichtig ist, weil kumulativ (1) eine krasse finanzielle Überforderung des Sicherungsgebers vorliegt, (2) der Sicherungsgeber aus emotionaler Verbundenheit zum Hauptschuldner handelt und (3) die Sicherheit auch aus Sicht eines vernünftigen Gläubigers wirtschaftlich sinnlos ist3. Eine krasse finanzielle Überforderung scheidet aus, wenn der Sicherungsgeber die gesicherte Schuld durch Verwertung seines Vermögens tilgen kann4. Reicht dazu das Vermögen des Bürgen nicht aus, liegt eine krasse finanzielle Überforderung vor, wenn der Bürge voraussichtlich5 nicht einmal in der Lage ist, aus dem unter Berücksichtigung von Unterhaltspflichten pfändbaren Teil seines Einkommens oder Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalles dauerhaft die Zinsen der Hauptschuld zu tragen6. Weil aber neben die krasse Überforderung die emotionale Verbundenheit zum Hauptschuldner hinzutreten muss, können solche Ausnahmefälle, in denen die Bürgschaft auch ohne missbilligens1 BGH v. 24.2.1994 – IX ZR 93/93, WM 1994, 676; BGH v. 24.4.1994 – IX ZR 227/93, WM 1994, 680; BGH v. 10.10.1996 – IX ZR 333/95, WM 1996, 2194. 2 BGH v. 4.6.2013 – II ZR 207/10, WM 2013, 1556 Rz. 21; BGH v. 5.1.1995 – IX ZR 85/94, WM 1995, 237; BGH v. 18.1.1996 – IX ZR 171/95, WM 1996, 519; BGH v. 25.4.1996 – IX ZR 177/96, WM 1996, 1124; BGH v. 23.1.1997 – IX ZR 55/96, WM 1997, 465; BGH v. 15.1.2002 – XI ZR 98/01, WM 2002, 436 = GmbHR 2002, 262 m. Komm. Emde. 3 BGH v. 1.4.2014 – XI ZR 276/13, WM 2014, 989; BGH v. 24.11.2009 – XI ZR 332/08, WM 2010, 32 Rz. 11; BGH v. 16.6.2009 – XI ZR 539/07, WM 2009, 1460 Rz. 18; BGH v. 24.2.1994 – IX ZR 93/93, WM 1994, 676; BGH v. 18.9.1997 – IX ZR 283/96, WM 1997, 2117; BGH v. 18.12.1997 – IX ZR 271/96, WM 1998, 239 = GmbHR 1998, 177; BGH v. 8.10.1998 – IX ZR 257/97, WM 1998, 2327. 4 BGH v. 26.4.2001 – IX ZR 337/98, ZIP 2001, 1330. 5 Zu den Anforderungen an die Prognose detailliert mit Rechtsprechungsnachweisen Nobbe in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 91 Rz. 91 ff. 6 BGH v. 1.4.2014 – XI ZR 276/13, WM 2014, 989; BGH v. 24.11.2009 – XI ZR 332/08, WM 2010, 32 Rz. 11; BGH v. 16.6.2009 – XI ZR 539/07, WM 2009, 1460 Rz. 18; BGH v. 25.4.2006 – XI ZR 330/05, FamRZ 2006, 1024; BGH v. 25.1.2005 – XI ZR 28/04, WM 2005, 421; BGH v. 27.1.2000 – IX ZR 198/98, WM 2000, 410; BGH v. 14.11.2000 – XI ZR 248/99, WM 2001, 402 = GmbHR 2001, 247; BGH v. 29.6.1999 – XI ZR 10/98, WM 1999, 1556.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

werte Einflussnahme auf die Entscheidungsfreiheit des Bürgen als sittenwidrig anzusehen ist, nur bei Bürgschaften junger Erwachsener für die Verbindlichkeiten ihrer Eltern, von Ehegatten für die Schulden ihrer Ehepartner oder in vergleichbaren Fällen vorliegen1. 7.642 Dagegen führt allein das Missverhältnis zwischen der finanziellen Leistungsfähigkeit des Sicherungsgebers und dem Umfang der gesicherten Kreditforderung bei der Mithaftung von Geschäftsführern und Gesellschaftern für die Verbindlichkeiten ihrer GmbH regelmäßig nicht zur Sittenwidrigkeit der Sicherheit. Denn derjenige, der für die Schulden „seiner“ Gesellschaft haftet, nimmt in aller Regel kein unzumutbares Risiko auf sich, weil er auf Grund seiner mit dem Geschäftsbetrieb verbundenen Gewinnerwartung ein eigenes Interesse an der Kreditaufnahme hat und darauf Einfluss nehmen kann. Deshalb ist die Bürgschaft des GmbH-Gesellschafters selbst bei krasser finanzieller Überforderung nicht allein aus diesem Grund sittenwidrig2. 7.643–7.650

vacat

1 Grüneberg, WM 2010, Sonderbeilage 2, S. 7. 2 BGH v. 15.2.1996 – IX ZR 245/94, WM 1996, 588 = GmbHR 1996, 285; BGH v. 16.1. 1997 – IX ZR 250/95, WM 1997, 511; BGH v. 11.12.1997 – IX ZR 274/96, WM 1998, 235 = GmbHR 1998, 240; BGH v. 18.12.1997 – IX ZR 271/96, WM 1998, 239 = GmbHR 1998, 177; BGH v. 18.9.2001 – IX ZR 183/00, WM 2001, 2156 = GmbHR 2001, 1043 m. Komm. Emde; BGH v. 15.1.2002 – XI ZR 98/01, WM 2002, 436 = GmbHR 2002, 262 m. Komm. Emde. BGH v. 10.12.2002 – XI ZR 82/02, WM 2003, 275 = GmbHR 2003, 293; BGH v. 25.1.2005 – XI ZR 28/04, WM 2005, 421. Dazu auch Goette, DStR 2003, 301; Nobbe/Kirchhof, BKR 2001, 1, 14 f.; Nobbe in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHandbuch, § 91 Rz. 115 ff.

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Kuder/Unverdorben

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7.655

E. Steuerrechtliche Folgen im eröffneten Insolvenzverfahren I. Ertragsteuerrecht 1. Gesellschaft und Anteilseigner Wird die GmbH infolge Insolvenz liquidiert und beendet, so gelten für die Gesell- 7.651 schaftsebene vor steuerrechtlichem Hintergrund für die Konstellation der Insolvenz grundsätzlich keine Besonderheiten. Es kommen die oben (Rz. 3.101 ff.) erörterten Regeln der Liquidationsbesteuerung nach § 11 KStG zur Anwendung. Was die Anteilseignerebene angeht, ist steuersystematisch danach zu unterscheiden, ob es sich um eine steuerverstrickte Beteiligung im Betriebsvermögen oder im Privatvermögen oder um eine nicht steuerverstrickte Beteiligung handelt (vgl. Rz. 3.115 ff.). Die in der Praxis häufigste Fallkonstellation dürfte diejenige sein, dass der Gesell- 7.652 schafter der insolvent gewordenen GmbH die Beteiligung in seinem Privatvermögen hält/gehalten hat und dabei die Beteiligungsschwelle des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG erreicht ist. Für diese Fallgruppe ist steuersystematisch auf Folgendes hinzuweisen: Handelt es sich um eine steuerverstrickte Beteiligung im Privatvermögen, um 7.653 eine qualifizierte Beteiligung des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG, dann ist es zunächst steuersystematisch zutreffend, dass auch Verluste aus derartigen qualifizierten Beteiligungen steuerrechtlich erheblich sein können. Allerdings ist nach dem körperschaftsteuerrechtlichen Systemwechsel und dem Abgeltungsteuersystem die Ausgleichsbeschränkung in § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG zu beachten. Die Fallgruppe des § 17 EStG wird von § 3 Nr. 40 lit. c EStG erfasst (arg § 20 Abs. 8 EStG), so dass im Gegenzug nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG nur 60 v.H. der Anschaffungskosten der Beteiligung als Verlustausgleichsvolumen zu berücksichtigen sind. §§ 3 Nr. 40 lit. c, 3c Abs. 2 EStG statuieren also ein Teileinkünfteverfahren kombiniert mit einem Teilabzugsverfahren. Zu berücksichtigen ist weiterhin die spezielle Verlustausgleichsbeschränkung 7.654 des § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG, wonach ein Veräußerungsverlust bei einer qualifizierten Beteiligung u.a. dann nicht berücksichtigt werden kann, soweit er auf Anteile entfällt, die entgeltlich erworben worden sind und nicht innerhalb der letzten fünf Jahre zu einer qualifizierten Beteiligung des Steuerpflichtigen gehört haben. Das gilt wiederum nicht für innerhalb der letzten fünf Jahre erworbene Anteile, deren Erwerb zur Begründung einer qualifizierten Beteiligung des Steuerpflichtigen geführt hat oder die nach Begründung der Beteiligung des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG erworben worden sind1. Die Sonderregeln des § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG beschränken das Abzugsverbot auf 7.655 die vom Steuergesetzgeber als Missbrauchsfälle beurteilten Sachverhalte, in denen es so liegt/lag, dass durch den gezielten Zukauf von Anteilen die Wesentlichkeitsschwelle des § 17 EStG erreicht wird, um auf diese Art und Weise einen Verlust geltend machen zu können2. Ein Verlustabzug ist prinzipiell nur zulässig, wenn die veräußerten Anteile fünf Jahre lang Teil einer qualifizierten Beteiligung 1 Näher zu § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG z.B. Gosch in Kirchhof, § 17 EStG Rz. 113 ff. 2 Vgl. BT-Drucks. 14/23, S. 179; Strahl, KÖSDI 1998, 11786 f.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

waren. Dabei muss der Veräußerer mehr als fünf Jahre vor der Veräußerung und während dieses Zeitraums qualifiziert am Kapital der Gesellschaft beteiligt gewesen sein; die Beteiligung muss also ununterbrochen bestanden haben. Das ist ein Systembruch zu § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG, der auf die Beteiligungsquote innerhalb der letzten fünf Jahre abstellt. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG auch dann zur Verlustberücksichtigung führen kann, soweit es sich um Anteile handelt, die innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung erworben wurden und die zur Begründung einer qualifizierten Beteiligung (erst) geführt haben oder nach Begründung dieser Beteiligung erworben worden sind. Damit dürften insbesondere die für Sanierungssituationen wichtigen Kapitalerhöhungsfälle erfasst sein1. 7.656 Handelt es sich im Einzelfall um einen GmbH-Geschäftsanteil, der infolge einer Umstrukturierung nach §§ 20 ff. UmwStG entstanden ist, ohne dass im Zuge der Umstrukturierung der Teilwert/gemeine Wert aufgedeckt worden ist, so liegen nach heutiger Rechtslage sog. sperrfristbehaftete Anteile, nach früherer Rechtslage sog. einbringungsgeborene Anteile vor. Die Abgrenzung des alten zum neuen Recht richtet sich nach § 27 UmwStG (näher Rz. 2.558). Für die Einbringungsfälle nach § 20 UmwStG ist wichtig, dass dort die Verlustgeltendmachung im Grundsatz den allgemeinen Regeln unterliegt. Insbesondere enthält das UmwStG keine § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG entsprechende Regelung zur Einschränkung des Verlustausgleichs. Da in den Fällen der §§ 20 ff. UmwStG – unabhängig von der Beteiligungsquote – § 17 EStG verdrängt wird, kann also ein Verlust infolge Insolvenz auch dann steuerrechtlich relevant sein, wenn hinsichtlich der Anteile an und für sich die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG erfüllt werden. 2. Gesellschafterdarlehen a) GmbH 7.657 In steuersystematischer Hinsicht ist zunächst auf den Unterschied zwischen den Begriffen des verdeckten Eigenkapitals und der verdeckten Einlage hinzuweisen2. Zwar haben beide Institute ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis, doch geht es bei der verdeckten Einlage um offenes Eigenkapital. Rechtsfolge ist der Abzug von Gewinn bei der Ermittlung des Einkommens der Körperschaft und das Entstehen nachträglicher Anschaffungskosten auf die Beteiligung beim Anteilseigner, soweit es sich um eine steuerverstrickte Beteiligung handelt. Die mögliche Rechtsfolge des verdeckten Eigenkapitals ist demgegenüber die Umqualifizierung von Fremdkapital in Eigenkapital für steuerrechtliche Zwecke, so dass die angeblichen Fremdkapitalzinsen steuerrechtlich verdeckte Gewinnausschüttungen sind und die formelle Schuld nicht als Betriebsschuld bei der Einheitsbewertung abgezogen werden kann. 7.658 Vor dem Hintergrund der zivilrechtlichen Figur des (früheren) kapitalersetzenden Darlehens bzw. eines Gesellschafterdarlehens geht es im Steuerrecht darum, ob die formale Fremdfinanzierung der GmbH auch für steuerrechtliche Zwecke 1 Herzig/Förster, DB 1999, 711, 715 ff. 2 Grundlegend Döllerer, Verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen bei Kapitalgesellschaften, 2. Aufl. 1990, S. 203.

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durchgehalten wird, wenn aus zivilrechtlicher Sicht die Voraussetzungen besonderer Regeln für Gesellschafterdarlehen/Eigenkapitalersatz gegeben sind/waren. Die Leitentscheidung für den hier interessierenden Fragenkreis ist das Urteil des I. 7.659 Senats des BFH v. 5.2.19921. Die Entscheidung des BFH trifft zunächst – vor dem Hintergrund der §§ 8 Abs. 1 KStG, 5 Abs. 1 EStG – eine wesentliche handelsrechtliche Aussage, indem formuliert wird, dass Gesellschafterdarlehen in der Handelsbilanz grundsätzlich als Fremdkapital zu passivieren sind, wenn es um einen Jahresabschluss außerhalb eines formellen Insolvenzverfahrens geht. Derartige Darlehen sind auch geeignet, eine Zinsverbindlichkeit gegenüber dem Gesellschafter entstehen zu lassen, die ebenfalls in der Handelsbilanz zu Lasten des Gewinns zu passivieren ist. Die Rechtsprechung des BFH knüpft an die handelsbilanzrechtliche Dogmatik an, weil das Steuerrecht keine Regelung darüber enthält, ob die Überlassung eines einlagefähigen Wirtschaftsguts Eigenkapital oder Fremdkapital bei der empfangenden Gesellschaft auslöst2. Unabhängig davon, ob die gesellschaftsrechtlichen Sonderregeln für Gesellschafterdarlehen/kapitalersetzende Darlehen vorliegen, ist steuerrechtlich davon auszugehen, dass bei der Gesellschaft Fremdkapital zu passivieren ist. All dies entspricht auch der zivilrechtlichen Sichtweise, wie sie sich insbesondere aus der Auffassung des BGH ergibt, dass Forderungen eines Gesellschafters aus der Gewährung eigenkapitalersetzenden Leistungen selbst in der Überschuldungsbilanz der GmbH als Fremdkapital zu passivieren sind, soweit für sie keine Rangrücktrittserklärung abgegeben worden ist3. Letztlich liegt dieser Betrachtung die dogmatisch zutreffende Auffassung zugrunde, dass eventuelle zivilrechtliche Sonderregeln für Gesellschafterdarlehen auf eine bestimmte, nämlich die Krisen- und Insolvenzsituation zugeschnitten sind, so dass das Steuerrecht für die laufende Besteuerung aus dieser zivilrechtlichen Konfliktlage keine Konsequenzen ziehen darf. All dies hat der BFH4 in der Folgezeit bestätigt: Auch ein von Anfang an (nach frü- 7.660 herer Rechtslage) als kapitalersetzend zu qualifizierendes Gesellschafterdarlehen ist steuerrechtlich eine Betriebsschuld einer Kapitalgesellschaft und dementsprechend zu passivieren, selbst wenn die Gesellschaft wegen Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit zur Rückzahlung nicht in der Lage ist. Nach dem MoMiG liegt es nicht anders. Sowohl § 30 Abs. 1 GmbHG als auch § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zeigen, dass außerhalb des Insolvenzverfahrens das Darlehen eines GmbHGesellschafters den normalen Regeln unterliegt, so dass es im handelsrechtlichen Jahresabschluss als Fremdkapital zu bilanzieren ist. b) Anteilseigner aa) Betriebsvermögen Zu behandeln ist zunächst die Variante, dass es sich um einen notwendig steuer- 7.661 verstrickten GmbH-Geschäftsanteil in einem (anderen) Betriebsvermögen handelt. Aus der Sicht des Anteilseigners ist zu entscheiden, ob ein Gesellschafterdar1 2 3 4

BFH v. 5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532. Vgl. auch BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = GmbHR 1991, 45. BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = GmbHR 2001, 190. BFH v. 6.11.2007 – I B 50/07, BFH/NV 2008, 616.

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7.662

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

lehen bei Insolvenz der GmbH zu einer Erhöhung der Anschaffungskosten der Beteiligung führt, so dass insoweit auch das Verlustausgleichsvolumen erhöht wird. Außerdem besteht bei Darlehen, die mittelbar von einer Schwestergesellschaft an die Beteiligungsgesellschaft des Gesellschafters ausgereicht werden, die Möglichkeit einer verdeckten Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) bei der Schwestergesellschaft. 7.662 Wurde das Darlehen vor der Krise bzw. vor der Insolvenzsituation gewährt, dann führt es weder in handelsrechtlicher noch in steuerrechtlicher Sicht zu Anschaffungskosten auf die Beteiligungen; das Darlehen wird eben nicht zum Erwerb der Beteiligung geleistet. Auf Grund der Leitentscheidung des BFH v. 5.2.19921 ist es nicht mehr möglich, bei Gewährung des Darlehens in der Krise zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung zu kommen. Insofern muss – jedenfalls im Betriebsvermögen – eine korrespondierende Betrachtung stattfinden. Wenn das Darlehen auf der Gesellschaftsebene als Fremdkapital behandelt wird, dann ist auch auf der Gesellschafterebene eine Fremdkapitalbetrachtung vorzunehmen. Die Anschaffungskosten der Beteiligung werden nicht erhöht. Es bleibt der Anspruch auf die Darlehens- und Zinsforderung trotz des (früher) eigenkapitalersetzenden Charakters bestehen. 7.663 Ist also das Gesellschafterdarlehen eines betrieblich beteiligten Gesellschafters, und zwar nach EStG als auch nach KStG, prinzipiell mit seinem Nennwert als Forderung anzusetzen, dann wird es im Zuge der Krise oder der Insolvenz an Wert verlieren, so dass dann eine Abschreibung auf den Teilwert in Betracht kommt. Zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung kann allein ein Darlehensverzicht (Rz. 2.650 ff.) führen. Regelmäßig dürfte eine verdeckte Einlage vorliegen, da der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Einlage Vermögenswerte zuführt und dies seine Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat. 7.664 Die für das Steuerrecht entscheidende Problematik besteht darin, ob eine Gewinnminderung aus dem Ausfall oder auf Grund einer Wertminderung des Gesellschafterdarlehens von dem betrieblich beteiligten Gesellschafter geltend gemacht werden kann, ob insbesondere die Einschränkungen der §§ 3c Abs. 2, 8b Abs. 3 Satz 3 ff. KStG eingreifen. 7.665 Steuersystematisch ist davon auszugehen, dass jedenfalls der sog. normspezifische Anschaffungskostenbegriff des § 17 Abs. 2 EStG bei bilanzierenden Steuersubjekten keine Rolle spielt (Rz. 7.672)2. Darlehensforderungen eines Gesellschafters bleiben auch dann, wenn sie nach gesellschaftsrechtlicher Rechtslage als funktionales Eigenkapital einzustufen sind, Fremdkapital. Erst wenn der Gesellschafter auf das Darlehen verzichtet, ist zu klären, ob es zu einer Einlage nur in Höhe des Teilwerts kommt, so dass auch nur dieser Betrag in den Anwendungsbereich der §§ 3c Abs. 2 EStG, 8b Abs. 3 KStG fällt, oder ob es nicht so liegt, dass der nominelle Betrag der Forderung, auf die verzichtet wird, zu nachträglichen Anschaffungskosten führt3. Das hängt damit zusammen, ob man den Gedanken, 1 BFH v. 5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532. 2 BFH v. 18.12.2001 – VIII R 27/00, BStBl. II 2002, 733 = GmbHR 2002, 331; BFH v. 31.5. 2005 – X R 36/02, BFH/NV 2005, 1697 = 2005, 1219 = GmbHR 2005, 1219. 3 Vgl. Roser in Gosch, § 8 KStG Rz. 125.

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dass in der Bilanz eines an einer Kapitalgesellschaft betrieblich Beteiligten die Beteiligung einerseits und das Darlehen andererseits zwei separate Wirtschaftsgüter darstellen1, konsequent weiterführt. Das ist zu bejahen, da die Rechtsprechung des BFH zu § 17 EStG (Rz. 7.672 f.) nicht auf Bilanzierungssachverhalte übertragen werden kann. Daraus ergibt sich, dass bis zum Veranlagungszeitraum 2007 auch eigenkapital- 7.666 ersetzende Gesellschafterdarlehen im Rahmen der Einkommensermittlung eines bilanzierenden Steuersubjekts als eigene Wirtschaftsgüter und unabhängig von der Beteiligung zu behandeln sind. Infolgedessen konnten §§ 3c Abs. 2 EStG, 8b Abs. 3 KStG nicht eingreifen2. Im Ergebnis heißt das, dass der Verlust eines betrieblich ausgereichten Gesellschafterdarlehens an eine GmbH und damit auch eine Teilwertabschreibung auf das Gesellschafterdarlehen weder unter § 3c Abs. 2 EStG noch unter § 8b Abs. 3 KStG a.F. subsumierbar waren. Allerdings hat sich die Rechtslage (zumindest) ab dem Veranlagungszeitraum 7.667 2008 geändert (§ 34 Abs. 1 KStG). § 8b Abs. 3 KStG ist nunmehr um Sätze 4–8 ergänzt worden und enthält ein Abzugsverbot für bestimmte Gesellschafterdarlehen. Konsequenz des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG ist es, dass nunmehr Gewinnminderungen im Zusammenhang mit Gesellschafterdarlehen ebenso wie andere Gewinnminderungen des § 8b Abs. 3 KStG bei der Einkommensermittlung einer Kapitalgesellschaft nicht berücksichtigt werden3. Nach der Neufassung soll die Verlustgeltendmachung und die Teilwertabschreibung auf Gesellschafterdarlehen ohne Rücksicht auf die Verzinsung wie die Beteiligung selbst behandelt werden, wenn ein Körperschaftsteuersubjekt Gesellschafter und zu mehr als 25 v.H. an der Gesellschaft beteiligt ist. Eine Öffnungsklausel ist vorgesehen, wenn ein Dritter das Darlehen nachweislich gewährt und nicht zurückgefordert hätte. An der Regelung ist zunächst auffällig, dass das durch das MoMiG abgeschaffte System des Eigenkapitalersatzes erstmals in das Körperschaftsteuerrecht übernommen wird. Im Übrigen verstößt die Regelung gegen bilanzielle Grundsätze und das steuerrechtliche Nettoprinzip. Überaus streitig war die Frage, ob § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG konstitutiven oder 7.668 deklaratorischen Charakter hat. Nach Auffassung des Steuergesetzgebers4 sollte die Neufassung die Rechtslage nur klarstellen, so dass insoweit auch Gesellschafterdarlehen einer Körperschaft vor dem Veranlagungszeitraum 2008 betroffen wären. Dem ist nach hier vertretener Auffassung5 nicht zu folgen, weil die steuersystematischen Grundsatzüberlegungen (Rz. 7.666) deutlich machen, dass ein Gesellschafterdarlehen als Fremdkapital, also nicht als technische Beteiligung zu beurteilen ist. Von daher gesehen ist vor dem Veranlagungszeitraum 2008 für die Anwendung des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG kein Raum. Und weiterhin: Steuersystematisch gesehen sind § 3c Abs. 2 EStG, § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG schon isoliert gesehen unstimmig. Die Normen sollen das Pendant zum Teileinkünfteverfahren 1 BFH v. 16.5.2001 – I B 143/00, BStBl. II 2002, 436 = GmbHR 2001, 822 m. Komm. Eilers/ Wienands; Roser in Gosch, § 8 KStG Rz. 123 ff. 2 Ebenso Eilers/Schmidt, GmbHR 2003, 613; Füger/Rieger, FR 2003, 589; a.A. Buchna/Sombrowski, DB 2005, 1539. 3 Ausführlich Nöcker in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8b KStG J 07-5 ff. 4 BR-Drucks. 544/07, S. 94; vgl. auch Dötsch/Pung, DB 2007, 2669. 5 So auch FG Nds. v. 3.4.2008 – 6 K 442/05, BB 2008, 1661 m. Anm. Hahne.

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des § 3 Nr. 40 EStG und zu § 8b Abs. 1, 2 KStG darstellen, übersehen aber, dass das Teileinkünfteverfahren und § 8b Abs. 1, 2 KStG die Zielsetzung haben, Mehrfachbelastungen abzumildern. Damit hat ein Gewinnminderungsverbot bzw. ein Verlustabzugsverbot nichts zu tun. 7.669 Es ist daher folgerichtig, wenn der BFH1 den Sonderregeln für Gesellschafterdarlehen, die eine Körperschaft gewährt hat, in § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG nicht klarstellenden, vielmehr rechtsbegründenden Charakter zuspricht. Schon aus dem Umkehrschluss aus § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG sollte sich ergeben, dass Wertminderungen oder Verluste von Gesellschafterdarlehen bei Einkommensteuersubjekten mit Betriebsvermögen keine Fälle des § 3c Abs. 2 EStG sind; hier hatte der Steuergesetzgeber keine entsprechende Sonderregelung geschaffen. Dies ist auch die Auffassung des BFH2. Substanzverluste von im Betriebsvermögen gehaltenen Gesellschafterdarlehen (an eine GmbH) unterliegen unabhängig von der Frage der Fremdüblichkeit des Darlehens und einer etwaigen Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis mangels wirtschaftlichen Zusammenhangs mit nach § 3 Nr. 40 EStG teilweise befreiten Erträgen nicht dem Abzugsverbot des § 3c Abs. 2 EStG. Nunmehr ist § 3c Abs. 2 EStG aber geändert und auf Gesellschafterdarlehen ab einer bestimmten Beteiligungsquote erstreckt worden, und zwar analog § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG, so dass auch Darlehen erfasst werden (ab 2015, § 52 Abs. 5 EStG). bb) Privatvermögen vor MoMiG 7.670 Handelt es sich um ein Steuersubjekt, welches die kapitalgesellschaftsrechtliche Beteiligung (an der GmbH) in seinem Privatvermögen hält, dann kommt es zu einer Steuerverstrickung, mithin zu einer Erheblichkeit von Veräußerungsgewinn und Veräußerungsverlusten, insbesondere in den Konstellationen der § 17 EStG, § 21 UmwStG a.F., § 22 UmwStG (Rz. 2.556). Hier ist zu entscheiden, ob ein ausgefallenes Gesellschafterdarlehen zu nachträglichen Anschaffungskosten der Beteiligung führt, wobei dann allerdings § 3c Abs. 2 EStG mit dem Teilabzugsverbot zu beachten ist. 7.671 Wenn ein Kapitalgesellschafter zusätzlich zu seinem Festkapital einen Betrag in die Kapitalrücklage geleistet hat, dann handelt es sich zweifelsfrei um nachträgliche Anschaffungskosten. Entscheidet sich der Anteilseigner für die Ausreichung eines Darlehens, welches aus der Sicht der Gesellschaft Fremdkapital ist, dann geht es nicht nur um die gesellschaftsrechtliche Ebene, sondern – jedenfalls zunächst – um eine allgemein-schuldrechtliche Beziehung zwischen dem Gesellschafter und der juristischen Person. Damit ist die Gewährung eines Gesellschafterdarlehens grundsätzlich der sog. privaten Vermögenssphäre des Darlehensgebers zuzuordnen, so dass die Darlehensvaluta weder bei der Berechnung eines Veräußerungsgewinns noch eines Veräußerungsverlusts beachtlich ist3. Zwar mag man darüber streiten, ob das Argumentationsmuster der „privaten Ver1 BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = GmbHR 2009, 490. 2 BFH v. 18.4.2012 – X R 5/10, DB 2012, 1542 = GmbHR 2012, 867 m. Komm. Binnewies; gegen BMF, BStBl. I 2010, 1292. 3 BFH v. 16.4.1991 – VIII R 100/87, BStBl. II 1992, 234 = GmbHR 1991, 537; Gschwendtner, DStR 1999, Beihefter 32, S. 3.

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mögensebene“ in jeder Hinsicht überzeugend ist, doch ist zu berücksichtigen, dass nach der gegenwärtigen Rechtslage, insbesondere für § 17 EStG, regelmäßig eine Korrespondenz zwischen den (technischen) Anschaffungskosten und dem (potentiellen) Verlustausgleichsvolumen besteht. Gleichwohl hat sich die Rechtsprechung des VIII. Senats des BFH, der sich dann 7.672 die Finanzverwaltung und das Schrifttum weitgehend angeschlossen haben, für ein Sonderrecht im Bereich der Gesellschafterdarlehen ausgesprochen1. Auf Grund des sog. normspezifischen Anschaffungskostenbegriffs der Rechtsprechung des VIII. Senats des BFH gehören zu den Anschaffungskosten einer privaten kapitalgesellschaftsrechtlichen Beteiligung auch nachträgliche Aufwendungen, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungskosten sind. In expliziter Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH bzw. an die Normierung in den früheren §§ 32a, 32b GmbHG wird diese gesellschaftsrechtliche Veranlassung bejaht und mit nachträglichen Anschaffungskosten kurzgeschlossen. Im Grundsatz wird der eigenkapitalersetzende Charakter mit der Konsequenz von 7.673 Anschaffungskosten in folgenden Fallgruppen angenommen: – in der Krise der Gesellschaft gewährte Finanzierungsmaßnahmen, sog. Krisendarlehen; – vor der Krise gewährte und im Zeitpunkt des Kriseneintritts stehen gelassene Darlehen; – krisenbestimmte Darlehen, wenn vornherein und verabredungsgemäß auf Krisenfinanzierung angelegt; – Finanzplandarlehen. Der VIII. Senat des BFH löst sich mit dem Anschaffungskostenbegriff bei § 17 7.674 EStG von dem in § 255 Abs. 1 HGB formulierten und meint, dass das die Einkommensbesteuerung beherrschende Nettoprinzip im Anwendungsbereich dieser Norm zu berücksichtigen sei2. Bei der Besteuerung einer steuerverstrickten Beteiligung sei der durch sie veranlasste Aufwand gegenüberzustellen, zu dem auch die Verluste aus eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistungen zählen müssten. Dabei hat der VIII. Senat des BFH ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sein extensives Verständnis des Anschaffungskostenbegriffs bei § 17 EStG nur für diese Norm gelte, also nicht in dem Sinne verallgemeinert werden dürfe, dass er auch außerhalb des Anwendungsbereichs privater steuerverstrickter Beteiligung Geltung beanspruche3. Zwar mag man darüber streiten, ob die skizzierte Lösung des BFH steuersystema- 7.675 tisch stimmig ist4, doch ist für die Rechtslage vor Inkrafttreten des MoMiG von den Grundsätzen der BFH-Rechtsprechung auszugehen. Sie bedeuten im Ergebnis, dass Krisendarlehen, krisenbestimmte Darlehen und Finanzplankredite stets 1 BFH v. 24.4.1997 – VIII R 16/94, BStBl. II 1999, 339 = GmbHR 1997, 1159; BFH v. 4.11. 1997 – VIII R 18/94, BStBl. II 1999, 344 = GmbHR 1998, 198; BFH v. 10.11.1998 – VIII R 6/96, BStBl. II 1999, 348 = GmbHR 1999, 425; BMF, BStBl. I 1999, 545; Gosch in Kirchhof, § 17 EStG Rz. 94 ff.; Weber-Grellet in Schmidt, § 17 EStG Rz. 170 ff. 2 BFH v. 18.12.2001 – VIII R 27/00, BStBl. II 2002, 733, 736 = GmbHR 2002, 331. 3 BFH v. 18.12.2001 – VIII R 27/00, BStBl. II 2002, 733, 736 = GmbHR 2002, 331. 4 Vgl. Crezelius in FS Raupach, 2006, S. 327, 335 f.

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7.676

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

mit ihren vollen Nennwerten als nachträgliche Anschaffungskosten anzusetzen sind. Abzugrenzen davon ist das zunächst regulär gewährte Gesellschafterdarlehen, welches vor der Krise gewährt worden ist und in der Krise stehen gelassen wurde. Ein derartiger Kredit ist allein mit seinem tatsächlichen/gemeinen Wert im Zeitpunkt des Kriseneintritts anzusetzen1. Der Wert ist nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit der Werthaltigkeit zu bemessen, und er kann 0 Euro betragen2. Die steuerrechtliche Beweislast, die Feststellungslast für den tatsächlichen Wert trägt der Steuerpflichtige, der die nachträglichen Anschaffungskosten im Wege des Verlustausgleichs geltend machen will. cc) Privatvermögen nach MoMiG 7.676 Nach den neuen §§ 30 Abs. 1 GmbHG, 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO gibt es kein Sonderrecht für kapitalersetzende Gesellschafterdarlehen mehr. §§ 32a, 32b GmbHG a.F. sind ersatzlos gestrichen. Auf Grund des Insolvenzrechts genießen Gesellschafterdarlehen oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, kraft Gesetzes Nachrang. Damit wird heute jedes Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz nachrangig, unabhängig davon, ob es nach bisherigem Rechtsverständnis kapitalersetzend ist oder nicht. 7.677 Daraus ergibt sich das steuerrechtliche Problem, ob die traditionelle Sichtweise des VIII. Senats des BFH mit seiner Anbindung an das Gesellschaftsrecht beibehalten wird3. Das Grundproblem resultiert daraus, dass sich die bisherige Rechtsprechung des BFH im Grundsatz an der Rechtsprechung des BGH zum Eigenkapitalersatz orientiert hat4. Mit dem Inkrafttreten des MoMiG und der Streichung der §§ 32a, 32b GmbHG a.F. ist – jedenfalls formal – die dogmatische Grundlage der Rechtsprechung des VIII. Senats des BFH weggefallen. Ein Darlehen, welches ein Anteilseigner einer GmbH seiner Gesellschaft gewährt, ist nunmehr nicht mehr gesellschaftsrechtlich „verstrickt“ und wird selbst in der Krise der GmbH nicht mehr als funktionelles Eigenkapital eingestuft. 7.678 Für die neue Rechtslage kann an folgende Lösungsmöglichkeiten gedacht werden: – Es könnte zu einer Fortsetzung der Anbindung an das Zivilrecht kommen, die sich dann aber steuerrechtlich selbständig entwickeln müsste. – Denkbar erscheint es auch, nur noch verdeckte Einlagen auf Grund eines Forderungsverzichts als nachträgliche Anschaffungskosten anzuerkennen und Gesellschafterdarlehen in Übereinstimmung mit dem Gesellschaftsrecht der irrelevanten Privatsphäre zuzuweisen. – In Anknüpfung an das steuerrechtliche Veranlassungsprinzip kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass jedes Darlehen, das dem Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO unterfällt, unter Berücksichtigung des Nettoprinzips bei der Verlustermittlung nach § 17 Abs. 2 EStG berücksichtigt werden muss5. – Da heute jedes Kapitalvermögen nach § 20 EStG verstrickt ist, könnte das Abgeltungsteuersystem Anwendung finden. 1 2 3 4 5

BFH v. 24.4.1997 – VIII R 16/94, BStBl. II 1999, 339 = GmbHR 1997, 1159. Dazu Gosch in Kirchhof, § 17 EStG Rz. 94 ff. m.w.N. Dazu Heuermann, DStR 2008, 2089; Weber-Grellet in Schmidt, § 17 EStG Rz. 172. Vgl. Groh, FR 2008, 264, 266. Dazu Groh, FR 2008, 264, 267; Hölzle, DStR 2007, 1185.

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Crezelius

Ertragsteuerrecht

7.682

Nach hier vertretener Auffassung ist zu berücksichtigen, dass ein Gesellschafter 7.679 in der Insolvenz seine Darlehensforderung im Hinblick auf seine gesellschaftsrechtliche Position verliert, so dass die gesellschaftsrechtliche Veranlassung zu bejahen ist. Führt man diesen Gedanken konsequent fort, dann müsste in Zukunft jeder Darlehensverlust mit dem Nennwert bei den nachträglichen Anschaffungskosten in den Grenzen des § 3c Abs. 2 EStG berücksichtigt werden. Mit dieser Lösung stimmt auch der Rechtsgedanke des § 12 EStG überein. Immer dann, wenn es sich um einen Vorgang außerhalb der Privatsphäre handelt, muss es zur steuerrechtlichen Erheblichkeit kommen. Da auch die neuen gesellschaftsrechtlichen und insolvenzrechtlichen Regelungen zeigen, dass insbesondere der Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO auf einer gesellschaftsrechtlichen, also nicht auf einer privaten Veranlassung beruht, muss es zu nachträglichen Anschaffungskosten kommen. Die Finanzverwaltung1 steht auf dem Standpunkt, dass die Rechtsgrundsätze, die 7.680 der BFH vor dem Hintergrund der früheren gesellschaftsrechtlichen Lage entwickelt hat (Rz. 7.672 f.), für die steuerrechtliche Betrachtung im Rahmen des § 17 EStG weitergelten. Das führt zu dem überraschenden Ergebnis, dass der Zivilrechtsgesetzgeber das Recht der eigenkapitalersetzenden Darlehen abgeschafft hat, demgegenüber das Steuerrecht diese Rechtsgrundsätze weiterhin anwenden möchte. Gleichwohl ist die Ansicht der Finanzverwaltung nicht unverständlich. Zum einen kann auf die entwickelte Dogmatik der früheren Rechtslage zurückgegriffen werden. Zum anderen bleibt es damit der Rechtsprechung des BFH überlassen, wie sich die neue Rechtslage nach Inkrafttreten des MoMiG darstellt. 3. Bürgschaften Handelt es sich um die Bürgschaftsverpflichtung eines nach § 17 Abs. 1 Satz 1 7.681 EStG beteiligten Kapitalgesellschafters, dann ist zunächst festzuhalten, dass die Bürgschaftsverpflichtung als solche die Anschaffungskosten auf die Beteiligung nicht erhöht2. Erst bei Wertlosigkeit des Ersatzanspruchs nach § 774 BGB, den der Bürge gegen die GmbH hat, kann die Inanspruchnahme aus der Bürgschaftsverpflichtung des Gesellschafters für Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu nachträglichen Anschaffungskosten führen, wenn denn die Übernahme der Bürgschaftsverpflichtung ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat. Auch hier ist – wie bei Gesellschafterdarlehen – erforderlich, dass die Übernahme der Bürgschaft ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat und dass sich der Gesellschafter in der Krise der GmbH oder von vornherein für den Fall der Krise oder im Rahmen eines Finanzplans zu Gunsten der Kapitalgesellschaft verbürgt hat. Es besteht eine grundsätzliche Parallelität der Rechtsprechung zu Bürgschaften 7.682 und Sicherheitsleistungen im Vergleich zur Rechtsprechung zu den Gesellschafterdarlehen3. Fällt ein nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG beteiligter Gesellschafter mit einer Regressforderung aus der Bürgschaft für einen Kredit aus, der nach bisheriger Rechtslage von vornherein in die Finanzplanung der GmbH einbezogen war, dann erhöhen sich die Anschaffungskosten der Beteiligung um den Nennwert der Re1 BMF, BStBl. I 2010, 832. 2 Weber-Grellet in Schmidt, § 17 EStG Rz. 175. 3 BFH v. 26.1.1999 – VIII R 50/98, BStBl. II 1999, 559 = GmbHR 1999, 730.

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7.683

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

gressforderung. Dabei soll allerdings die Unentgeltlichkeit der Maßnahme nicht ausreichen, um den kapitalersetzenden Charakter (bisherigen Rechts) zu belegen1. 7.683 Da es sich bei den Einkünften aus § 17 EStG um gewerbliche Einkünfte handelt, für die das Abflussprinzip des § 11 EStG nicht gilt, kommt es auch grundsätzlich nicht darauf an, dass tatsächlich auf die Bürgschaft oder auf eine andere hingegebene Sicherheit geleistet wird. Entscheidend ist allein, dass das Vermögen des Gesellschafters infolge seiner Inanspruchnahme durch einen Gläubiger gemindert ist. Anders liegt es aber, wenn der betreffende Gesellschafter/Bürge im Zeitpunkt seiner Veranlagung nachweislich zahlungsunfähig ist2. Das ist folgerichtig, wenn man die Annahme der nachträglichen Anschaffungskosten im Rahmen des § 17 EStG aus dem einkommensteuerrechtlichen Nettoprinzip ableitet. Sollte sich jedoch die wirtschaftliche Lage des Gesellschafters verbessern, so dass die Bürgschaftsverpflichtung erfüllt werden kann, wirkt dies auf den Zeitpunkt der Auflösung der Kapitalgesellschaft zurück; dann ist die Einkommensteuerveranlagung dieser Periode nach § 175 AO zu korrigieren. 7.684 Über die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten entscheidet letztlich der Wert der Rückgriffsforderung3. Statt des Wertes der Rückforderung aus dem Gesellschafterdarlehen kommt es hier auf den Wert der Rückgriffsforderung aus der Bürgschaft an. Kann also festgestellt werden, dass die Bürgschaft von vornherein kapitalersetzenden Charakter hatte, dann ist der Nennwert der wertlos gewordenen Rückgriffsforderungen aus der für die Gesellschaft übernommenen Bürgschaft anzusetzen. Stellt sich heraus, dass die Bürgschaft erst durch das Stehenlassen bei Kriseneintritt eigenkapitalersetzend geworden ist, so ist die Rückgriffsforderung mit ihrem gemeinen Wert zu diesem Zeitpunkt anzusetzen. 7.685 Auch für Bürgschaftskonstellationen ist zu entscheiden, wie sich die Rechtslage nach MoMiG darstellt (Rz. 7.676 ff.). 4. Insolvenz bei Betriebsaufspaltung 7.686 Nach der einschlägigen Rechtsprechung des BFH und der Praxis der Finanzverwaltung wird eine Betriebsaufspaltungskonstellation wie folgt behandelt4: Machen die der Betriebsgesellschaft zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter die wesentliche oder eine wesentliche Grundlage des Betriebs dieses Unternehmens aus (sachliche Verflechtung) und kann bei den hinter dem Besitz- und Betriebsunternehmen stehenden Personen ein einheitlicher geschäftlicher Betätigungswille festgestellt werden (personelle Verflechtung), dann ist die Tätigkeit des Besitzunternehmens als gewerbliche zu qualifizieren, so dass die Einkünfte aus § 15 EStG auf Grund der Subsidiaritätsklausel des § 21 Abs. 3 EStG vorrangig sind. Damit sind die Einkünfte des Besitzunternehmens gewerbeertragsteuerpflichtig. Im Übrigen kommt es zu einem erweiterten Gewinnbegriff, da das an die Betriebs1 Zum Problem Gosch in Kirchhof, § 17 EStG Rz. 180. 2 BFH v. 8.4.1998 – VIII R 21/94, BStBl. II 1998, 660 = GmbHR 1998, 1091. 3 BFH v. 6.7.1999 – VIII R 9/98, BStBl. II 1999, 817 = GmbHR 1999, 1302 m. Komm. Hoffmann; Gosch in Kirchhof, § 17 EStG Rz. 180. 4 Statt aller Wacker in Schmidt, § 15 EStG Rz. 800 ff.

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Crezelius

Ertragsteuerrecht

7.689

kapitalgesellschaft (GmbH) überlassene Vermögen in vollem Umfang steuerverstrickt ist1. Da die Betriebsaufspaltung von einem personellen und einem sachlichen Element 7.687 der Verflechtung abhängig ist, soll daraus im Umkehrschluss folgen, dass die Betriebsaufspaltung beendet wird, wenn eines der Elemente der personellen und/ oder sachlichen Verflechtung entfällt. Entfallen die Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung, dann handelt es sich nach der mit dem Wortlaut des Gesetzes schwer zu vereinbarenden Auffassung des BFH2 um eine Betriebsaufgabe nach § 16 Abs. 3 EStG, die zur Versteuerung der im Vermögen des Besitzunternehmens aufgelaufenen stillen Reserven führt. Kommt es zur Eröffnung der Insolvenz über das Vermögen der Betriebskapitalge- 7.688 sellschaft, der GmbH, innerhalb der Betriebsaufspaltung, dann führt dies nach Auffassung des BFH3 regelmäßig zur Beendigung der personellen Verflechtung mit dem Besitzunternehmen und damit einer bestehenden Betriebsaufspaltung. Der Vorgang sei, wenn nicht das laufende Insolvenzverfahren mit anschließender Fortsetzung der Betriebsgesellschaft aufgehoben oder eingestellt werde, regelmäßig als Betriebsaufgabe zu qualifizieren, und zwar mit der Folge, dass die in dem Betriebsvermögen der Besitzgesellschaft enthaltenen stillen Reserven aufzudecken seien. Die maßgebliche Begründung des BFH liegt darin, dass in dem entschiedenen Sachverhalt die Betriebsaufspaltung deshalb beendet gewesen sei, weil die GmbH-Gesellschafter ihren Willen in der Kapitalgesellschaft nicht mehr haben durchsetzen können. Dies folge aus der Kompetenz des Insolvenzverwalters, der die alleinige Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der GmbH habe. Der Insolvenzverwalter übernehme die Unternehmensleitung und sei dabei nicht als Gesellschaftsorgan oder Vertreter, sondern kraft eigenen Amtes tätig. Das ist nach hier vertretener Auffassung eine Überstrapazierung der Position des Insolvenzverwalters, da die Insolvenz nichts an dem Umstand ändert, dass der Insolvenzverwalter als Liquidator ein Organ der Gesellschaft ist, welches nicht im eigenen Namen handelt, sondern im Namen der Schuldnerin. Nimmt man hinzu, dass die Gesellschaftsorgane trotz der Insolvenzeröffnung existent bleiben, dann hätte der Gedanke nahe gelegen, für steuerrechtliche Betriebsaufspaltungskonstellationen das Element der personellen Verflechtung temporär auch (noch) dann anzunehmen, wenn der Insolvenzverwalter an die Stelle der Gesellschafter der Betriebs-GmbH in der Betriebsaufspaltung tritt. Der Rechtsprechung ist vorzuwerfen, dass sie in begriffsjuristischer Manier aus den nicht kodifizierten Voraussetzungen der Betriebsaufspaltung Folgerungen für die Gewinnrealisierung zieht. Immerhin hält der BFH eine unterbrochene Betriebsaufspaltung für möglich. Soweit den Inhabern des ehemaligen Besitzunternehmens infolge der Figur der ei- 7.689 genkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung fortlaufend Aufwendungen auf die Wirtschaftsgüter entstehen, dürfte dies zu nachträglichen negativen Einkünften nach § 24 Nr. 2 EStG führen. Da mit der Betriebsaufgabe grundsätzlich die Pflicht 1 BFH v. 12.2.1992 – XI R 18/90, BStBl. II 1992, 723 = GmbHR 1992, 769. 2 BFH v. 15.12.1988 – IV R 36/84, BStBl. II 1989, 363 = GmbHR 1989, 305; BFH v. 25.8. 1993 – XI R 6/93, BStBl. II 1994, 23 = GmbHR 1994, 70. 3 BFH v. 6.3.1997 – XI R 2/96, BStBl. II 1997, 460 = GmbHR 1997, 664.

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7.690

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

und das Recht zur Buchführung und zum Betriebsvermögensvergleich endet, dürfen diese nachträglichen Einkünfte aus Gewerbebetrieb in entsprechenden Anwendung des § 4 Abs. 3 EStG ermittelt werden1. 7.690 Die vorstehenden Konsequenzen lassen sich vermeiden, wenn das Besitzunternehmen in einer Betriebsaufspaltungskonstellation als gewerblich geprägte Gesellschaft nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG konstituiert wird, weil auf diese Art und Weise die Gewinnrealisierung im überlassenen Anlagevermögen verhindert werden kann. 7.691 Die Konstellation, dass über das Vermögen des Besitzunternehmens das Insolvenzverfahren eröffnet wird, wird nicht diskutiert. Würde bei der Insolvenz des Besitzunternehmens, beispielsweise einer GmbH & Co. KG, die personelle Verflechtung entfallen, müsste nach Auffassung der Rechtsprechung der Tatbestand der Betriebsaufgabe gegeben sein und die in den GmbH-Anteilen enthaltenen stillen Reserven zwangsweise als Massebestandteile aufgedeckt werden.

II. Umsatzsteuer 7.692 S. dazu 4. Aufl. Rz. 7.488 ff. vacat

7.693–7.750

1 Offen gelassen in BFH v. 6.3.1997 – IV R 47/95, BStBl. II 1997, 509.

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GmbH & Co. KG

7.753

F. Die GmbH & Co. KG im gerichtlichen Insolvenzverfahren I. Zwei Schuldnerinnen, zwei Insolvenzverfahren, zwei Massen 1. Gestaltungsvielfalt der GmbH & Co. KG a) Die GmbH & Co. KG ist überaus vielgestaltig1. Der folgende Teil geht von der 7.751 klassischen GmbH & Co. KG aus, also von einer operativ tätigen Kommanditgesellschaft, deren einzige Komplementärin eine GmbH ist. Die GmbH ist typischerweise nicht am Vermögen der KG beteiligt, hat also keinen Kapitalanteil, kein Stimmrecht und außer der Haftungsprämie keinen Anteil am Gewinn der KG2. Bei einer solchen Gesellschaft ist davon auszugehen, dass der Gläubigerkreis beider Gesellschaften im Wesentlichen identisch ist. Die Verbindlichkeiten der GmbH sind im Innenverhältnis von der KG zu tragen (vgl. auch § 110 HGB). Das gilt selbst für die Körperschaft- und Gewerbesteuer und die etwa von der GmbH zu begleichende Umsatzsteuer (§ 1 KStG, § 2 GewStG, § 2 UStG), denn die GmbH agiert für Rechnung der Kommanditgesellschaft3. b) Die Spezifika der GmbH & Co.-Insolvenz basieren darauf, dass wir es mit zwei 7.752 Schuldnerinnen zu tun haben: der Kommanditgesellschaft und der GmbH4. Beide Gesellschaften sind insolvenzfähig (§ 11 InsO), ihre Organe ggf. insolvenzantragspflichtig (§ 15a Abs. 1 InsO). Ein Einheits-Insolvenzverfahren in dem Sinne, dass alle Rechtsverhältnisse der Kommanditgesellschaft und der GmbH in einem Verfahren abgewickelt werden, stellt das Gesetz nicht zur Verfügung. Deshalb muss zwischen dem Insolvenzverfahren der KG (also der Unternehmensträgerin) und dem Insolvenzverfahren ihrer Komplementär-GmbH unterschieden werden5. Es handelt sich um getrennte Insolvenzanträge, getrennte Insolvenzverfahren und getrennte Insolvenzmassen. Der Insolvenzverwalter der Komplementär-GmbH kann z.B. nicht über das Vermögen der KG (und umgekehrt) verfügen6. Beide Insolvenzverfahren werden zweckmäßigerweise in die Hand eines Verwalters gelegt. Aber auch dann agiert der Insolvenzverwalter für beide Gesellschaften rechtlich getrennt, kann auch für sie separat, z.B. in Streitgenossenschaft, prozessieren und z.B. mit der einen Gesellschaft als Nebenintervenient am Prozess der anderen teilnehmen. c) Die Insolvenzgründe bei der GmbH und bei der KG, also die Zahlungsunfähig- 7.753 keit (§ 17 InsO), die Überschuldung (§ 19 InsO) und für den Eigenantrag die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO), sind gleichfalls getrennt zu prüfen7, aber sie hängen miteinander zusammen. Die Komplementär-GmbH ist bei Überschuldung der KG ihrerseits überschuldet, wenn das Eigenvermögen der Komplemen1 Dazu etwa Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 11. Aufl. 2010, § 1 Rz. 5 ff. 2 Karsten Schmidt, JZ 2008, 425 ff. 3 Vgl. Sudhoff/Eberhard, GmbH & Co. KG, 6. Aufl. 2005, § 7 Rz. 7 sowie Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1652 f.; Karsten Schmidt, GmbHR 2002, 1209, 1211. 4 Dazu auch Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 11. Aufl. 2010, § 12; Lüke in Hesselmann/ Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 21. Aufl. 2016, § 10. 5 Der nachfolgende Text basiert in Teilen auf der Kommentierung Karsten Schmidt in Scholz, 9. Aufl., vor § 64 GmbHG Rz. 94 ff. (11. Aufl. fortgesetzt von Georg Bitter). 6 Vgl. BayObLG v. 15.3.1989 – BReg. 2 Z 26/89, BB 1989, 1074 = NJW-RR 1989, 977. 7 Karsten Schmidt in Scholz, 9. Aufl., vor § 64 GmbHG Rz. 96.

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7.754

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

tär-GmbH nicht ausreicht, die ungedeckten Schulden der KG zu begleichen. Verbindlichkeiten der KG, die über das Gesellschaftsvermögen der GmbH hinausgehen, führen nicht zur Überschuldung und Insolvenzreife der GmbH, wenn die KG ihrerseits nicht überschuldet ist, weil sie durch den Freistellungsanspruch gegen die KG aus § 110 HGB aufgewogen werden. Erst wenn das Vermögen der GmbH & Co. KG insgesamt die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, tritt Überschuldung beider Gesellschaften ein, und der Geschäftsführer muss für beide nach § 15a InsO Insolvenzantrag stellen (dazu Rz. 1.110, 11.1 ff.). 7.754 d) Ablehnung der Eröffnung mangels Masse (§ 26 InsO) ist eindeutig geboten, wenn weder das KG-Vermögen noch das GmbH-Vermögen die zu erwartenden Verfahrenskosten deckt. Dann ergehen in beiden Verfahren Beschlüsse nach § 26 InsO. Der Tatbestand des § 26 InsO wird für beide Gesellschaften individuell geprüft. Das führt in der Praxis häufig zur Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens hinsichtlich der Komplementär-GmbH und zur Eröffnung des Verfahrens über das Vermögen der Kommanditgesellschaft1. Obwohl bei der typischen GmbH & Co. KG (Rz. 7.751) die Kommanditgesellschaft der GmbH nach §§ 110, 161 Abs. 2 HGB verpflichtet ist, die durch Unternehmensverbindlichkeiten veranlassten Insolvenzverfahrenskosten zu erstatten, wird der Eröffnungsantrag bezogen auf die GmbH in vielen Fällen nach § 26 InsO abgelehnt2. Hat die GmbH außer den Freistellungsansprüchen nach §§ 110, 161 Abs. 2 HGB kein verwertbares Vermögen, so wird sie u.U. sogar wegen Vermögenslosigkeit gelöscht (zu diesem Tatbestand vgl. Rz. 6.12 f.). Mit dem Gedanken einer konsolidierten Gesamtabwicklung der GmbH & Co. KG (Rz. 7.757 ff.) verträgt sich das allerdings schlecht. 2. Sukzessivinsolvenz und Simultaninsolvenz 7.755 Im Anschluss an die Terminologie des Verfassers3 haben sich die Begriffe Sukzessivinsolvenz und Simultaninsolvenz eingebürgert4. Von einer Sukzessivinsolvenz wird hier gesprochen, wenn zunächst nur das Insolvenzverfahren wegen Eigenverbindlichkeiten der GmbH beantragt und eröffnet wird (ein seltener Fall, der bei einer GmbH mit Eigenaktivitäten kaum praktisch werden dürfte). Von einem Verfahren der Simultaninsolvenz wird hier gesprochen, wenn bei der Eröffnung eines der Insolvenzverfahren jedenfalls schon der Antrag hinsichtlich der anderen Gesellschaft gestellt ist und zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt oder – was ausreichen sollte – wenn die GmbH-Insolvenz sonst maßgeblich auf den Schulden der KG beruht5. 1 Vgl. z.B. BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342, 344 f. = GmbHR 1990, 251. 2 Dazu Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, Anh. § 158 HGB Rz. 60. 3 Zuerst Karsten Schmidt, GmbHR 2000, 1209 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2008, 2337, 2344, 2347. 4 Vgl. nur BGH v. 8.5.2014 – I ZR 217/12, BGHZ 201, 129 = GmbHR 2014, 871 = ZIP 2014, 1280; BGH v. 10.10.2013 – VII ZR 228/12; OLG Hamm v. 30.3.2007 – 30 U 13/06, ZIP 2007, 584; Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 11. Aufl. 2010, § 12 Rz. 36 ff.; Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 21. Aufl. 2016, Rz. 10.2 ff.; Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 22; Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, Anh. § 158 HGB Rz. 62. 5 Zu dieser Erweiterung des Tatbestands gegenüber dem vorausgegangenen Ansatz vgl. Karsten Schmidt, ZIP 2008, 2337, 2347.

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Karsten Schmidt

GmbH & Co. KG

7.760

a) Im Fall der Sukzessivinsolvenz werden KG und GmbH separat abgewickelt. 7.756 Wird die GmbH wegen eigener Schulden insolvent, so scheidet sie nach § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB aus der KG aus1. Mangels anderer Vertragsbestimmung ist dann die Kommanditgesellschaft wegen des Fortfalls ihres einzigen Komplementärs aufgelöst. Geschäftsführungs- und vertretungsberechtigt sind im Zweifel die Kommanditisten, weil § 146 HGB in diesem Fall nicht durch die Teilnahme des GmbH-Geschäftsführers verdrängt ist2. Die Haftung der verbleibenden Kommanditisten bleibt beschränkt. Das gilt auch, wenn die Gesellschaft durch das Ausscheiden der GmbH erlischt und das Gesamtvermögen den Kommanditisten zufällt (vgl. auch Rz. 7.760)3. b) Im Fall der Simultaninsolvenz beider Gesellschaften scheidet die Komplemen- 7.757 tär-GmbH nicht nach § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB aus der Gesellschaft aus (teleologische Reduktion des Tatbestands)4. Es finden zwei Insolvenzverfahren mit zwei voneinander zu unterscheidenden Insolvenzmassen statt, die jedoch organisatorisch und abwicklungstechnisch miteinander verzahnt sind5. Ebenso wenig werden nach § 146 HGB alle Gesellschafter der GmbH & Co. KG – die Kommanditisten eingeschlossen – zu Liquidatoren der Kommanditgesellschaft6. Das ist im Folgenden zu begründen. 3. Insolvenzverfahren und Haftungsabwicklung in Fällen der Simultaninsolvenz Die GmbH & Co. KG ist ein auf verschiedene Rechtsträger aufgeteiltes Unterneh- 7.758 men. Die Simultaninsolvenz beider Rechtsträger ist als Zusammenbruch eines Unternehmens zu handhaben, nicht bloß als die zufällige Insolvenz der Gesellschaft und eines Gesellschafters7. a) Auflösung der Gesellschaften: Nach § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB wird die Komman- 7.759 ditgesellschaft durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen aufgelöst. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH ist auch diese nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG aufgelöst. c) Ausscheiden der Komplementär-GmbH? Die Doppelinsolvenz bei der GmbH & 7.760 Co. KG schafft ungeklärte Koordinationsprobleme. Nach § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das 1 BGH v. 15.3.2004 – II ZR 247/01, GmbHR 2004, 952 = NZG 2004, 611; Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, Anh. § 158 HGB Rz. 63. 2 Vgl. Scholz/Bitter, 9. Aufl., vor § 64 GmbHG Rz. 208. 3 BGH v. 15.3.2004 – II ZR 247/01, GmbHR 2004, 952 = BB 2004, 1244; Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, Anh. § 158 HGB Rz. 63; Albertus/Fischer, ZInsO 2005, 246; Bork/Jakoby, ZGR 2005, 611, 641 ff.; Herchen, EWiR 2007, 527; Karsten Schmidt, ZIP 2008, 2337, 2344. 4 Vgl. zum Folgenden Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, Anh. § 158 HGB Rz. 62 ff.; Entwicklung des Modells bei Karsten Schmidt, GmbHR 2002, 1209 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 2003, 1404 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2008, 2337, 2344; Karsten Schmidt, KTS 2011, 161 ff. 5 Näher Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, Anh. § 158 HGB Rz. 121 ff. 6 So aber die h.M.; vgl. Henze in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Anh. A zu § 177a HGB Rz. 223. 7 Zuerst Karsten Schmidt, GmbHR 2000, 1209 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2008, 2337, 2344, 2347; der Begriff und das Gegensatzpaar haben sich eingebürgert.

Karsten Schmidt

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

Komplementärvermögen mangels abweichender gesellschaftsvertraglicher Vereinbarung zum Ausscheiden des Komplementärs aus der KG. In die Insolvenzmasse des Komplementärs fällt dann nicht sein Anteil, sondern nur seine Abfindungsforderung. Diese Regelung gilt grundsätzlich auch für die GmbH & Co. KG. Wie bei Rz. 7.757 geschildert, müssen aber die Koordinationsprobleme bei der Insolvenzabwicklung einer GmbH & Co. KG beachtet werden. Richtigerweise passt die Regel des § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB nur im Fall einer Sukzessivinsolvenz (zu dieser hier eingeführten Rechtsfigur vgl. Rz. 7.755)1. Eine Insolvenzverfahrenseröffnung nur über das Vermögen der Komplementär-GmbH lässt diese nach § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB aus der KG ausscheiden (sie kann dann durch eine neue Komplementärin ersetzt werden). Dasselbe gilt, wenn zunächst nur das GmbH-Insolvenzverfahren und davon unabhängig das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Kommanditgesellschaft (also „die Unternehmensinsolvenz“) eröffnet wird (vgl. zur Sukzessivinsolvenz Rz. 7.755). Nicht angemessen ist dagegen die Regel des § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB im Simultaninsolvenzverfahren, d.h. immer dann, wenn das Insolvenzverfahren hinsichtlich des Vermögens der GmbH Resultat des Zusammenbruchs der Kommanditgesellschaft ist (zur Rechtsfigur der Simultaninsolvenz vgl. Rz. 7.755)2. Es ist dies eine Unternehmensinsolvenz, bezogen auf eine Personengesellschaft, die ihrer KomplementärGmbH freistellungspflichtig ist, deren (mittelbares) Leitungsorgan als Geschäftsführung in der Komplementär-GmbH angesiedelt ist und die eines konsolidierten Insolvenzverfahrens bedarf3. Das Verfahren der Eigenverwaltung bei der GmbH & Co. KG (Rz. 7.767) zeigt dies nur noch mehr4: Wie soll eine solche Gesellschaft, wenn sie nur noch aus ihren Kommanditisten besteht, den Aufgaben der Eigenverwaltung nachkommen? Der mit der Einführung von § 131 Abs. 3 HGB verfolgte Zweck, den Fortbestand der Personengesellschaft nicht durch die Insolvenz eines persönlich haftenden Gesellschafters zu gefährden, passt nicht auf diese Konstellation. Die typische GmbH & Co. KG-Insolvenz führt vielmehr zu einem koordinierten Insolvenzverfahren über das Vermögen beider Gesellschaften5. 7.761 d) Die herrschende Auffassung erkennt diesen Rechtsgedanken in Anbetracht des Wortlauts von § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB allerdings nicht an6. Selbst eine der Vorschrift entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag wendet der BGH wortgetreu ohne teleologische Einschränkung gegenüber der Komplementärin an7: „Eine Bestimmung in einem Gesellschaftsvertrag einer Kommanditgesellschaft, nach der ein Gesellschafter, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröff1 Vgl. auch Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 131 HGB Rz. 55, 75 f.; zust. Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 358. 2 Vgl. Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 131 HGB Rz. 55, 75 f.; erweiternd Karsten Schmidt, ZIP 2008, 2337, 2347: Es genügt, dass die GmbH-Insolvenz auf den Schulden der KG beruht. 3 Eingehend Karsten Schmidt, KTS 2011, 161 ff. m.w.N. 4 Dazu Karsten Schmidt in FS Binz, 2014, S. 624 ff. 5 Vgl. zuletzt Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 356 ff. 6 BVerwG v. 13.7.2011 – 8 C 10/10, BVerwGE 140, 142 Rz. 15 ff.; BGH v. 8.5.2014 – I ZR 217/12, BGHZ 201, 129, Rz. 19 = GmbHR 2014, 897 = ZIP 2014, 1280; OLG Hamm v. 3.7.2003 – 15 W 375/02, GmbHR 2003, 1361 = ZIP 2003, 2264, 2265; Roth in Baumbach/ Hopt, Anh. § 177a HGB Rz. 45a; Albertus/Fischer, ZInsO 2005, 246, 250; Bork/Jacoby, ZGR 2005, 611, 652. 7 BGH v. 8.5.2014 – I ZR 217/12, BGHZ 201, 129 = GmbHR 2014, 897 = ZIP 2014, 1280.

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net wird, aus der Gesellschaft ausscheidet, findet auch im Fall der Simultaninsolvenz von Kommanditgesellschaft und Komplementärgesellschaft jedenfalls dann Anwendung, wenn noch weitere Gesellschafter verbleiben“. Das verwundert. Selbst eine vermittelnde Ansicht, die ein Ausscheiden der GmbH mit dem Eröffnungsbeschluss jedenfalls dann vermeiden will, wenn der Fortfall der Komplementärin die Gesellschaft zum Erlöschen brächte1, hat sich bisher nicht durchgesetzt. Deshalb sollte durch Vertragsklauseln in den KG-Verträgen klargestellt werden, dass die GmbH nicht ausscheidet, wenn das Insolvenzverfahren auch über das Vermögen der Kommanditgesellschaft eröffnet wird2. Fehlt es an einer gesellschaftsvertraglichen Lösung, so droht bei der Einpersonen-GmbH & Co. KG von der Anwendung des § 131 Abs. 3 HGB sogar ein ernsthaftes Haftungsproblem, weil der Kommanditist, folgt man der h.M., durch die Insolvenz der GmbH als Gesamtrechtsnachfolger der Kommanditgesellschaft zum Einzelkaufmann wird3. Mühsame Abhilfe schafft dann zwar eine an § 27 HGB orientierte Haftungsbeschränkung4, bzw. eine Analogie zu §§ 315 ff. InsO5: Das bisherige KGVermögen wird unter Ausschluss der persönlichen Haftung wie ein Nachlass abgewickelt. Diese Lösung ist aber ein Notbehelf, dessen es nur bedarf, wenn die GmbH wirklich ausgeschieden ist. Überzeugender ist eine Fortexistenz der insolventen KG und deren Abwicklung im Zuge der Doppelinsolvenz beider Gesellschaften6. 4. Insolvenzmassen Im Ausgangspunkt sind die Insolvenzmassen beider Gesellschaften zu unter- 7.762 scheiden7. Das gilt sinngemäß auch für Anfechtungsansprüche nach §§ 129 ff., 143 InsO. Jede der Gesellschaften macht sie für „ihre“ Masse separat geltend8. Insolvenzmasse der Kommanditgesellschaft ist deren gesamtes Eigenvermögen, also das sog. Gesamthandsvermögen der KG (zur Frage, ob es insolvenzfreies Vermögen gibt, vgl. Rz. 7.18). Dazu gehört außer dem Anlage- und Umlaufvermögen des Unternehmens auch die Firma (vgl. sinngemäß Rz. 7.11). Insolvenzmasse der Komplementär-GmbH ist deren Vermögen einschließlich etwa noch ausstehender Ansprüche auf Leistung von Stammeinlagen (§ 19 GmbHG) bzw. auf Rückzahlung verbotener Ausschüttungen (§ 31 GmbHG). Ansprüche aus § 31 GmbHG stehen allerdings nicht der GmbH-Masse, sondern der KG-Masse zu, wenn sie auf Zahlungen aus dem KG-Vermögen beruhen9. Ansprüche dritter Gläubiger gegen die KG 1 Vgl. OLG Hamm v. 30.3.2007 – 30 U 13/06, ZIP 2007, 584; Liebs, ZIP 2002, 1716, 1717. 2 Formulierungsempfehlung bei Karsten Schmidt, ZIP 2008, 2337, 2342. 3 Dazu Liebs, ZIP 2002, 1716 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 2002, 1209, 1214; s. auch Bork/ Jakoby, ZGR 2005, 611, 631. 4 BGH v. 15.3.2004 – II ZR 247/01, GmbHR 2004, 952 = BB 2004, 1244 = ZIP 2004, 1047. 5 Vgl. OLG Hamm v. 30.3.2007 – 30 U 13/06, ZIP 2007, 1233, 1237 f.; Bork/Jakoby, ZGR 2005, 611, 641 ff.; LG Dresden v. 7.3.2005 – 5 T 889/04, ZIP 2005, 955; Herchen, EWiR 2005, 809 f. 6 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, vor § 315 InsO Rz. 32; Karsten Schmidt, ZIP 2008, 2337, 2344. 7 Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 216 f. 8 Vgl. BGH v. 9.10.2008 – IX ZR 138/06, ZIP 2008, 2224, Leitsatz 2. 9 Vgl. sinngemäß BGH v. 29.3.1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324; BGH v. 29.9.1977 – II ZR 157/76, BGHZ 69, 274, 280; BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342 = GmbHR 1990, 251 = NJW 1990, 1725, Hirte in Uhlenbruck, § 35 InsO Rz. 414.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

können nur im KG-Insolvenzverfahren und nicht auch im Insolvenzverfahren der persönlich haftenden Komplementär-GmbH geltend gemacht werden, weil nur der Insolvenzverwalter der Kommanditgesellschaft diese Haftungsansprüche der Gläubiger geltend macht (§ 93 InsO und dazu Rz. 7.763). 5. Persönliche Haftung 7.763 Im Insolvenzverfahren der KG wird die Haftung der Komplementär-GmbH nach § 93 InsO durch den Insolvenzverwalter der Kommanditgesellschaft geltend gemacht (näher Rz. 7.148 ff.)1. Die Gläubiger der Kommanditgesellschaft melden ihre Forderungen im Fall der Doppelinsolvenz nur im KG-Insolvenzverfahren an. Die Haftung der Komplementär-GmbH ist auf die bis zur Eröffnung des KGInsolvenzverfahrens begründeten Verbindlichkeiten beschränkt2. Nach der wohl richtigen, wenngleich umstrittenen Auffassung macht der KG-Insolvenzverwalter nach § 93 InsO gegen die GmbH nicht die Summe aller Insolvenzverbindlichkeiten geltend, sondern die am Stichtag der KG-Insolvenzeröffnung bestehende Unterdeckung, d.h. den Ausfall der KG-Insolvenzgläubiger, berechnet auf den Stichtag der Verfahrenseröffnung (vgl. dazu schon Rz. 7.151). 7.764 Nach § 171 Abs. 2 HGB macht der Verwalter der KG-Insolvenz auch die beschränkte Haftung der Kommanditisten, die an und für sich gleichfalls eine Haftung gegenüber den Einzelgläubigern der KG ist, geltend. 6. Insolvenzverfahren nur über das KG-Vermögen 7.765 Wird das Insolvenzverfahren nur hinsichtlich der Kommanditgesellschaft eröffnet, so kann sich die Frage stellen, ob Gläubiger nur der Komplementär-GmbH (Beispiel: Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer) ihre Forderungen in der KG-Insolvenz geltend machen können. Dies müsste verneint werden, weil diese Gläubiger keinen Direktanspruch gegen die KG haben (unbefriedigend!). Fragen kann man auch, ob nun die GmbH doch ausscheidet (vgl. Rz. 7.838)3. 7. Das Sonderrecht der Einheits-GmbH & Co. KG 7.766 Die Einheits-GmbH & Co. KG ist eine Kommanditgesellschaft, die selbst Alleininhaberin ihrer Komplementär-GmbH ist4. Hier ist die konsolidierte Abwicklung in der Insolvenz (Rz. 7.760) angezeigt. Der BGH versteht die Einheits-GmbH & Co. KG formal in dem Sinne, dass die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH zugleich die Gesellschafterrechte vollends in der GmbH wahrnimmt, weil sie die Komplementärin und damit auch die KG und damit wiederum die Alleingesellschafterin der GmbH vertreten5. Die Übertragung dieses Konzepts auf den Fall 1 Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 220. 2 Karsten Schmidt, ZHR 152 (1988), 114 f. 3 Vgl. Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, § 131 HGB Rz. 74; a.M. aber Roth in Baumbach/Hopt, § 131 HGB Rz. 22. 4 Dazu eingehend Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 11. Aufl. 2010, § 8 Rz. 6 ff.; Reichert/ Liebscher, GmbH & Co. KG, 7. Aufl. 2015, § 3 Rz. 9; Lüke in Hesselmann/Tillmann/ Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 21. Aufl. 2016, Rz. 2.461 f.; Karsten Schmidt in FS Westermann, 2008, S. 1425 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2007, 2193. 5 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 109/06, GmbHR 2007, 1034 = BB 2007, 1914 = ZIP 2007, 1658.

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der Insolvenz fällt schwer. Den Vorzug verdient eine Zuweisung der Gesellschafterrechte an die Kommanditisten1.

II. Koordinationsprobleme bei Eigenverwaltung und im Insolvenzplanverfahren 1. Eigenverwaltung Eine koordinierte Eigenverwaltung nach den §§ 270 ff. InsO setzt bei der GmbH & 7.767 Co. KG voraus, dass die Komplementär-GmbH mit der Verfahrenseröffnung nicht nach § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB ausscheidet (dazu Rz. 7.758 ff.). Die Eigenverwaltung muss, wenn eine Sanierung der GmbH & Co. KG beabsichtigt ist, simultan für beide Gesellschaften beantragt und beschlossen werden2. Nur wenn die verzahnte Unternehmensorganisation der GmbH & Co. KG trotz der formellen Unterscheidung zweier Insolvenzverfahren bestehen bleibt, ist gewährleistet, dass eine Sanierung durch eine abgestimmte Eigenverwaltung nach den §§ 270 ff. InsO erfolgen kann. Eigenverwaltung bedeutet Kontinuität des Managements in der insolventen GmbH & Co. KG. Der oder die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH sind zur Eigenverwaltung auch bezüglich der Kommanditgesellschaft befugt, nicht etwa ein Insolvenzverwalter der GmbH. Sie bleiben für die Wahrnehmung der Schuldnerbelange im Insolvenzverfahren sowohl hinsichtlich der Komplementär-GmbH als auch hinsichtlich der Kommanditgesellschaft zuständig. Lediglich die Haftungsabwicklung verläuft hinsichtlich der Masseverbindlichkeiten für jede Gesellschaft getrennt. Die Insolvenzforderungen der Unternehmensgläubiger werden auf der Grundlage des § 93 InsO auch im Fall der Eigenverwaltung durch den Sachwalter der KG abgewickelt3. Große Bedeutung dürfte dies, wenn die Eigenverwaltung mit Sanierungszielen betrieben wird, nicht haben, weil die Unternehmensverbindlichkeiten im Innenverhältnis solche der Kommanditgesellschaft sind (vgl. §§ 116, 161 Abs. 2 HGB). Wie generell bei der Eigenverwaltung bleiben die Gesellschafter berechtigt, glücklose oder unfähige Geschäftsführer nach § 46 Nr. 5 GmbHG abzuberufen und einen oder mehrere neue Geschäftsführer für die GmbH zu bestellen, und zwar auch noch im eröffneten Verfahren. 2. Insolvenzplanverfahren Auch das Insolvenzplanverfahren der GmbH & Co. KG wirft Koordinationspro- 7.768 bleme auf (näher zum Insolvenzplanverfahren unten in Rz. 8.1 ff.)4. Ist sowohl über das Vermögen der GmbH & Co. KG als auch der Komplementär-GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet worden, bleiben der oder die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH berechtigt, gemäß § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO einen Insolvenzplan vorzulegen, der die Sanierung der GmbH & Co. KG vorsieht. Im Mittelpunkt steht auch hier die KG-Insolvenz (Rz. 8.252). Soll die GmbH & Co. KG 1 Eingehend Karsten Schmidt in Scholz, Anh. § 45 GmbHG Rz. 58 ff. 2 Karsten Schmidt in FS Binz, 2014, S. 628, 629 f.; Karsten Schmidt, GmbHR 2002, 1209, 1216. 3 Eingehend Karsten Schmidt in FS Binz, 2014, S. 628, 632 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 2002, 1209, 1216 f. 4 Ebd.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

als Ganzes saniert werden, so ist auf Vorlage eines konsolidierten Insolvenzplans zu achten1, obwohl technisch zwei Pläne in zwei Insolvenzverfahren vorliegen. Dadurch wird das Gericht zu einer Simultanentscheidung über beide Insolvenzplanbestätigungen angehalten und kann keine Bestätigung ohne die andere aussprechen. Kommt ein Insolvenzplan für die GmbH & Co. KG zu Stande, so ist sie nach dessen Durchführung gemäß § 227 Abs. 1 InsO von ihren restlichen Verbindlichkeiten gegenüber ihren Gläubigern befreit2. Für die KomplementärGmbH hat dies zur Folge, dass sie von der persönlichen Haftung nach den §§ 161 Abs. 2, 128 HGB ebenfalls befreit wird (§ 227 Abs. 2 InsO)3. Da durch die Bestätigung des Insolvenzplans bei der GmbH & Co. KG, soweit im Insolvenzplan nichts anderes bestimmt ist, zugleich auch der Umfang der persönlichen Haftung der Komplementär-GmbH begrenzt wird, ist immer zu überlegen, ob die Vorlage eines Insolvenzplans für die KG nicht ausreicht, um eine Simultansanierung unter Beibehaltung der vorhandenen Organisation herbeizuführen. Ist dagegen ein Austausch der Komplementärin vorgesehen, so kann auch dies durch eine koordinierte Abwicklung beider Verfahren auch dadurch herbeigeführt werden, dass nur für die Kommanditgesellschaft ein Insolvenzplan erarbeitet und dieser nach § 249 InsO unter die Bedingung gestellt wird, dass die Komplementär-GmbH ausscheidet und dass die Kommanditisten eine neue – vielleicht nicht mehr von ihnen, sondern von einzelnen Gläubigern beherrschte – GmbH aufnehmen4. Der Ausschluss der Komplementärin kann seit 2012 (ESUG) auch unmittelbar im KGInsolvenzplan beschlossen und vollzogen werden (Rz. 8.252). Durch das Ausscheiden der Komplementär-GmbH löst sich das GmbH-Insolvenzverfahren bei der Simultaninsolvenz vom KG-Insolvenzverfahren und kann gemäß § 213 InsO mit Zustimmung der Gläubiger eingestellt werden. vacat

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1 Vgl. ebd. 2 Vgl. Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 21. Aufl. 2016, Rz. 10.133. 3 So Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 21. Aufl. 2016, Rz. 10.133; Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, Anh. § 158 HGB Rz. 53. 4 Karsten Schmidt, GmbHR 2002, 1209, 1217.

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Karsten Schmidt

Beendigung des Insolvenzverfahrens

7.804

G. Beendigung des Verfahrens und gesellschaftsrechtliche Rechtsfolgen I. Die Beendigung des Insolvenzverfahrens Das Insolvenzverfahren endet im Regelfall durch Aufhebung. Bei einer vorzeiti- 7.801 gen Beendigung etwa wegen des Fehlens einer hinreichenden Masse (§§ 207, 208 InsO), des Wegfalls des Eröffnungsgrundes (§ 212 InsO) oder der Zustimmung der Insolvenzgläubiger (§ 213 InsO) spricht man von einer Einstellung des Verfahrens. 1. Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens a) Die Aufhebung des Regelinsolvenzverfahrens (§ 200 InsO) Nachdem der Insolvenzverwalter die Insolvenzmasse an die Insolvenzgläubiger 7.802 ausgekehrt hat, hebt das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren auf. Hierdurch verliert der Insolvenzverwalter seine Amtsstellung und mit ihr sämtliche Befugnisse im Hinblick auf das schuldnerische Vermögen. Die Bücher und Schriften einer Gesellschaft, die im Verfahren vollbeendigt worden ist (vgl. Rz. 7.835), muss der Insolvenzverwalter nach § 74 Abs. 2 GmbHG einem Gesellschafter oder einem Dritten übergeben, der sie zehn Jahre aufzubewahren hat. In der Praxis wird der Verwalter oft über die Finanzämter Druck auf einen der Gesellschafter ausüben müssen, die Unterlagen zu übernehmen1. b) Die Aufhebung des Planinsolvenzverfahrens (§ 258 InsO) Sobald die Bestätigung des Insolvenzplans rechtskräftig ist, hebt das Insolvenz- 7.803 gericht das Insolvenzverfahren gemäß § 258 InsO durch einen selbstständigen Beschluss förmlich auf. Hierdurch gewinnt die Gesellschaft die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Massegegenstände zurück und der Verwalter verliert seine Amtsstellung (§ 259 Abs. 1 InsO). Der Beschluss ist unanfechtbar2. Einzelheiten zur Aufhebung nach §§ 258 ff. InsO bei Rz. 8.177 ff. 2. Einstellung wegen Massearmut oder Masseunzulänglichkeit (§§ 207, 208 ff. InsO) Ergibt sich während des Verfahrens, dass die Masse nicht genügt, um die Kosten 7.804 zu decken („Massearmut“), muss das Verfahren gemäß § 207 InsO vorbehaltlich der Zahlung eines Vorschusses von Amts wegen eingestellt werden. Diese Situation, in der nicht einmal die Kosten gedeckt sind, ist von der so genannten „Masseunzulänglichkeit“ (§ 208 InsO) abzugrenzen. Masseunzulänglichkeit liegt vor, wenn die Masse zwar genügt, um die Kosten, nicht aber die Masseverbindlichkeiten zu decken (s. Rz. 7.810). Für beide Fälle enthalten die §§ 207–211 InsO eine 1 OLG Düsseldorf v. 31.5.2010 – I-3 Wx 104/10, DZWIR 2011, 166; Zipperer in FS Kübler, 2015, S. 859 ff.; Förster/Tost, ZInsO 1998, 297, 299; Windel in Jaeger, § 207 InsO Rz. 107; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 200 InsO Rz. 13. 2 Auch die Rechtspflegererinnerung kommt nicht in Betracht, da seit dem 1.1.2013 das Planverfahren nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG dem Richter vorbehalten ist.

Brinkmann

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7.805

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

gesetzliche Notordnung, die dazu dient, die Entstehung weiterer Verluste zu vermeiden und das Insolvenzverfahren zu einem förmlichen Abschluss zu bringen1. a) Die Einstellung wegen Massearmut (§ 207 InsO) aa) Die Feststellung der Massearmut 7.805 Zu den bei der Prüfung der Massearmut i.S. von § 207 InsO auf der Passivseite zu berücksichtigenden Posten gehören nach § 54 InsO die Gerichtskosten sowie die Vergütung und die Auslagen des (vorläufigen) Insolvenzverwalters2 bzw. der Mitglieder des Gläubigerausschusses3. Auf der Aktivseite sind alle liquiden Vermögenswerte anzusetzen. Nicht liquide Aktiva können nur in Ansatz gebracht werden, wenn sie innerhalb des Zeitraums liquide werden, innerhalb dessen die Massekosten zu begleichen sind4. 7.806 Die zur Beurteilung der Massearmut erforderlichen Informationen muss der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht verschaffen5. Vor der Einstellung hört das Gericht die Gläubigerversammlung, den Insolvenzverwalter und die Massegläubiger an (§ 207 Abs. 2 InsO). bb) Die Abwicklung des Insolvenzverfahrens bei Massearmut 7.807 Wird kein Kostenvorschuss nach § 207 Abs. 1 Satz 2 InsO gezahlt, muss das Verfahren abgewickelt werden. Hierzu verteilt der Verwalter die in der Masse befindlichen Barmittel an die Kostengläubiger anhand der Verteilungsordnung des § 207 Abs. 3 Satz 1 InsO. Verwertungsmaßnahmen, die freie Mittel generieren könnten, braucht er gemäß § 207 Abs. 3 Satz 2 InsO nicht mehr vorzunehmen, soweit hierdurch weitere Kosten entstünden. Die Massegläubiger sind während der Abwicklungsphase analog § 210 InsO daran gehindert, ihre Ansprüche im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen6. 1 Rechtspolitisch wird kritisiert, dass das Gesetz Massedürftigkeit und Masseunzulänglichkeit, die sich nur graduell unterscheiden, qualitativ unterschiedlich regelt. Welche Form der Massearmut vorliegt, kann umstritten sein und sollte innerhalb eines einheitlichen Verfahrens geklärt werden können: Windel in Jaeger, § 207 InsO Rz. 10; Pape/ Hauser, Massearme Verfahren nach der InsO, S. 79, Rz. 173. Kritisch auch Häsemeyer, Insolvenzrecht, 2007, S. 199 Rz. 7.77; Häsemeyer in FS Gerhardt, 2004, S. 341, 344 f. 2 Zu den Auslagen des Insolvenzverwalters gehören auch Steuerberatungskosten, BGH v. 22.7.2004 – IX ZB 161/03, BGHZ 160, 176 = ZIP 2004, 1717 = NZI 2004, 577, 580 mit Anm. Bernsau = DZWIR 2004, 468, 471 f. mit Anm. Graeber; Gerke/Sietz, NZI 2005, 373; Pape, ZInsO 2004, 1049, 1051; Wienberg/Voigt, ZIP 1999, 1662, 1665 ff. 3 Windel in Jaeger, § 207 InsO Rz. 34; Dinstühler, ZIP 1998, 1697, 1698. 4 Windel in Jaeger, § 207 InsO Rz. 47; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 207 InsO Rz. 19, 26. 5 BGH v. 16.7.2009 – IX ZB 221/08, NZI 2009, 602; BGH v. 21.9.2006 – IX ZB 11/04, ZInsO 2006, 1049, 1051; BGH v. 21.9.2006 – IX ZB 11/04, NZI 2006, 697; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 207 InsO Rz. 40; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 207 InsO Rz. 3; Breutigam in Blersch/Goetsch/ Haas, § 207 InsO Rz. 7, 8; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 207 InsO Rz. 9; Westphal in Nerlich/Römermann, § 207 InsO Rz. 17, 18; Ries in Uhlenbruck, § 207 InsO Rz. 16. 6 BGH v. 21.9.2006 – IX ZB 11/04, ZIP 2006, 1999; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 207 InsO Rz. 68; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 207 InsO Rz. 32; Weitzmann

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Brinkmann

Beendigung des Insolvenzverfahrens

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cc) Der Einstellungsbeschluss nach § 207 InsO Nachdem der Verwalter die Barmittel verteilt hat, erlässt das Insolvenzgericht 7.808 den Einstellungsbeschluss und macht diesen gemäß §§ 215, 9 InsO bekannt. Gegen den Beschluss ist für jeden Insolvenzgläubiger und den Schuldner gemäß § 216 InsO die sofortige Beschwerde statthaft. Der Insolvenzverwalter ist nicht beschwerdebefugt1. dd) Rechtsfolgen der Einstellung mangels Masse Nach der Einstellung muss der Insolvenzverwalter noch vorhandene Vermögens- 7.809 gegenstände zusammen mit den Geschäftsunterlagen2 an die Gesellschaft herausgeben, damit diese durch ein Liquidationsverfahren vollbeendigt werden kann3. Eine Löschung nach § 394 FamFG kommt nur dann in Betracht, wenn die Gesellschaft über gar kein Vermögen mehr verfügt (vgl. Rz. 7.845)4. Die Gesellschaft wird nach § 66 Abs. 1 GmbHG durch die bisherigen Geschäftsführer liquidiert, und zwar auch dann, wenn der Insolvenzverwalter das Anstellungsverhältnis nach § 113 InsO gekündigt hat5. Stellen die Geschäftsführer nach der Einstellung des Verfahrens fest, dass die Gesellschaft doch noch über verteilungsfähiges Vermögen verfügt, so müssen sie das Insolvenzgericht darauf hinweisen, um Nachtragsverteilungen zu ermöglichen, die nach neuerer Rechtsprechung analog § 211 Abs. 3 InsO auch bei Einstellung wegen Massearmut zulässig sind6.

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in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 207 InsO Rz. 25 a.E. A.A. Klopp/Kluth in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 74 Rz. 44, die eine analoge Anwendung des § 210 InsO ablehnen und den Verwalter auf die Vollstreckungsgegenklage verweisen. Rechtspolitisch kritisch, insbesondere weil dem Verwalter auch kein Rechtsmittel (vorbehaltlich der Rechtspflegererinnerung) gegen die Ablehnung der Einstellung zusteht, Windel in Jaeger, § 207 InsO Rz. 10, 113; Breutigam in Blersch/Goetsch/Haas, § 216 InsO Rz. 3 f., 11, 15 und 22. Vgl. OLG Hamm v. 3.7.1974 – 5 U 95/64, NJW 1964, 2355; OLG Stuttgart v. 3.1.1984 – 8 W 477/83, ZIP 1984, 1385 = GmbHR 1984, 240; Ries in Uhlenbruck, § 207 InsO Rz. 57; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 207 InsO Rz. 79. § 74 GmbHG ist nicht anwendbar, da die von dieser Vorschrift angeordnete Herausgabe an einen Gesellschafter oder einen Dritten erst nach dem Ende der Liquidation stattfindet. Vgl. Karsten Schmidt in FS Ulmer, 2003, S. 323, 328 f.; J. Uhlenbruck in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl., S. 1195, Rz. 18; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 207 InsO Rz. 54. Zur Lehre vom Doppeltatbestand s. BGH v. 23.2.1970 – II ZB 5/69, BGHZ 53, 264; Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, 11. Aufl. 2015, § 60 GmbHG Rz. 49; Karsten Schmidt in Scholz, 11. Aufl. 2015, § 74 GmbHG Rz. 13; Mohrbutter/Ringstmeier/Pape, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 12 Rz. 64; Ries in Uhlenbruck, § 207 InsO Rz. 54; Uhlenbruck, KTS 1998, 223, 234. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 66 GmbHG Rz. 1; M. Stobbe, Die Durchsetzung gesellschaftsrechtlicher Ansprüche der GmbH in Insolvenz und masseloser Liquidation, 2001, S. 143, Rz. 293; vgl. auch OLG Zweibrücken v. 5.12.2002 – 4 U 231/96, ZIP 2003, 1954, 1955. BGH v. 10.10.2013 – IX ZB 40/13, ZIP 2013, 2320; BGH v. 16.1.2014 – IX ZB 122/12, WM 2014, 328–329; Kübler in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl., S. 967, 980 f., Rz. 50; Klopp/Kluth in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 74 Rz. 49, Kießner in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 207 InsO Rz. 32; a.A. noch LG Darmstadt v. 29.5.2001 – 5 T 794/00, RPfleger 2001, 512 mit Anm. Kneller; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 207 InsO Rz. 87; Dinstühler, ZIP 1998, 1697, 1707.

Brinkmann

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7.810

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

b) Die Einstellung wegen Masseunzulänglichkeit (§§ 208, 211 Abs. 1 InsO) 7.810 Ist genügend Masse vorhanden, die Massekosten vollständig zu begleichen, reichen die Aktiva aber nicht aus, auch die anderen Masseverbindlichkeiten des § 55 InsO vollständig zu erfüllen, liegt Masseunzulänglichkeit vor. aa) Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Verwalter 7.811 Der Verwalter ist verpflichtet1, dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen, sobald er feststellt, dass die verfügbare Masse auch unter Ausschöpfung von Vorfinanzierungsmöglichkeiten2 nicht genügen wird, um die fälligen Masseverbindlichkeiten zu decken (§ 208 Abs. 1 InsO). Das Gericht macht die Anzeige gemäß § 208 Abs. 2 InsO bekannt; sie ist für das Gericht bindend und nicht justitiabel3. Aus haftungsrechtlicher Sicht hat die Anzeige der Masseunzulänglichkeit für den Verwalter die Konsequenz, dass er neue Masseverbindlichkeiten begründen kann, die gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO im zweiten Rang nach den Kosten zu befriedigen sind, so dass er insoweit der persönlichen Haftung des § 61 InsO entgeht. Eine Rückkehr in das Regelverfahren ist möglich, wenn der Verwalter glaubhaft macht, dass die Masse (wieder) „zulänglich“ in dem Sinn ist, dass sie zur Deckung der Masseverbindlichkeiten genügt4. bb) Die Abwicklung des Insolvenzverfahrens nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit 7.812 Auch nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist der Verwalter weiterhin verpflichtet, die Masse zu verwalten und zu verwerten. Verwertungshandlungen, die nicht gedeckte Kosten produzieren würden, sollen jedoch nicht vorgenommen werden5. 7.813 Aus den vorhandenen und durch weitere Verwertungsmaßnahmen gewonnenen Barmitteln hat der Verwalter die Massegläubiger entsprechend der in § 209 1 Die Anzeige ist eine Amtspflicht: BGH v. 19.11.2009 – IX ZB 261/08, ZIP 2010, 145; Westphal in Nerlich/Römermann, § 208 InsO Rz. 19; Ries in Uhlenbruck, § 208 InsO Rz. 17; Runkel/Schnurbusch, NZI 2000, 49, 51; Dinstühler, ZIP 1998, 1697, 1700. 2 AG Hamburg v. 2.2.2000 – 67c 157/99, NZI 2000, 140; Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 208 InsO Rz. 7; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 208 InsO Rz. 10; Kröpelin, Die massearme Insolvenz, 2003, S. 77–84, Rz. 173–192; Ries in Uhlenbruck, § 208 InsO Rz. 22; Uhlenbruck, NZI 2001, 408, 409. 3 Kritisch Windel in Jaeger, § 208 InsO Rz. 35 m.w.N.; Dinstühler, ZIP 1998, 1997, 1701 f.; Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 208 InsO Rz. 8; Runkel/Schnurbusch, NZI 2000, 49, 51 f.; der Unüberprüfbarkeit positiv gegenüberstehend etwa Förster, ZInsO 2005, 28 f.; Breutigam in Blersch/Goetsch/Haas, § 208 InsO Rz. 8. 4 Hierzu bedarf es analog § 212 InsO eines Antrags, in dem der Verwalter die Massezulänglichkeit glaubhaft macht, und eines entsprechenden Beschlusses, Windel in Jaeger, § 208 InsO Rz. 46 f.; A. Schmidt, NZI 1999, 442, 443; Pape, ZInsO 2001, 60, 62; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 208 InsO Rz. 53; Dinstühler, ZIP 1998, 1697, 1705; Uhlenbruck, NZI 2001, 408, 409; a.A. Kießner in Braun, § 208 InsO Rz. 33; Kießner in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 208 InsO Rz. 20; Ries in Uhlenbruck, § 208 InsO Rz. 62. 5 Ähnlich Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 208 InsO Rz. 20; Pape/Hauser, Massearme Verfahren nach der InsO, 2002, S. 156 ff., Rz. 358 ff.; Kröpelin, Die massearme Insolvenz, 2003, S. 92 f., Rz. 207; Windel in Jaeger, § 208 InsO Rz. 72 f.

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Brinkmann

Beendigung des Insolvenzverfahrens

7.817

InsO bestimmten Rangfolge zu befriedigen. Infolge des Vollstreckungsverbots aus § 210 InsO können Massegläubiger während dieser Phase ihre Forderungen nicht durchsetzen. Gegen verbotswidrige Vollstreckungen ist für den Verwalter die Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) statthaft1. Die Befriedigung der Massegläubiger kann gemäß § 210a InsO nach Anzeige der 7.814 Masseunzulänglichkeit auch in einem Insolvenzplan geregelt werden. In diesem Fall rücken die Massegläubiger durch § 210a InsO in die planverfahrensrechtliche Stellung ein, die im normalen Planverfahren den Insolvenzgläubigern zukommt, während diese in die Position zurückgestuft werden, die sonst die nachrangigen Insolvenzgläubiger einnehmen. In der Praxis wird die Ausarbeitung eines Insolvenzplans nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nur dann sinnvoll sein, wenn diese voraussichtlich temporär ist, so dass mit einer Rückkehr in das ordentliche Insolvenzverfahren zu rechnen ist2. cc) Einstellungsbeschluss nach Befriedigung der Massegläubiger (§ 211 InsO) Sobald der Verwalter die Masse nach § 209 InsO verteilt hat, stellt das Insolvenz- 7.815 gericht das Verfahren ein und macht den Beschluss bekannt. Gegen den Beschluss ist allenfalls die Rechtspflegererinnerung statthaft. Die Rechtsfolgen im Übrigen entsprechen denen des Einstellungsbeschlusses nach § 207 InsO (oben Rz. 7.808). 3. Die Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes (§ 212 InsO) Auf Antrag des Schuldners wird das Insolvenzverfahren eingestellt, wenn kein Er- 7.816 öffnungsgrund (mehr) vorliegt3. Das Fehlen eines Eröffnungsgrunds ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen. Hierzu müssen die Geschäftsführer einen aktuellen Finanzstatus und einen auf mindestens eineinhalb Jahre angelegten Finanzplan vorlegen, aus dem die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft hervorgeht4. Nach herrschender Meinung muss der Antrag von sämtlichen organschaftlichen 7.817 Vertretern des Schuldners gemeinsam gestellt werden, um widersprüchliches Verhalten zu verhindern5. In der führungslosen GmbH müssen analog § 15a Abs. 3 InsO i.V.m. § 15 Abs. 1 InsO alle Gesellschafter gemeinsam den Antrag 1 BGH v. 21.9.2006 – IX ZB 11/04, ZIP 2006, 1999; OLG München v. 30.4.2003 – 11 W 2839/01, ZIP 2004, 138; LG Trier v. 18.1.2005 – 4 T 26/04, NZI 2005, 170; Karsten Schmidt/Brinkmann in Münchener Kommentar zur ZPO, § 766 ZPO Rz. 33; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 210 InsO Rz. 4; Berscheid in Uhlenbruck, § 210 InsO Rz. 7. 2 Ebenfalls skeptisch zum Insolvenzplanverfahren Windel in Jaeger, § 208 InsO Rz. 87 f.; Häsemeyer in FS Gerhardt, 2004, S. 341, 350 ff.; Kluth, ZInsO 2000, 177, 184 f. 3 Lehnt das Insolvenzgericht die Einstellung ab, ist für den Insolvenzschuldner die sofortige Beschwerde eröffnet (§ 216 Abs. 2 InsO). 4 BGH v. 7.10.2010 – IX ZB 1/10, NZI 2011, 21; OLG Celle v. 7.9.2000 – 2 W 69/00, ZIP 2000, 1943; AG Hamburg v. 26.4.2006 – 67c IN 312/05, ZIP 2006, 1688; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 212 InsO Rz. 11; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 212 InsO Rz. 5 f.; Möhlmann, KTS 1998, 373, 374 ff.; Breutigam in Blersch/Goetsch/ Haas, § 212 InsO Rz. 9. 5 OLG Celle v. 7.9.2000 – 2 W 69/00, ZIP 2000, 1943; AG Hamburg v. 26.4.2006 – 67c IN 312/05, ZIP 2006, 1688; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 212 InsO Rz. 7; a.A. Windel in Jaeger, § 212 InsO Rz. 19 f.; Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 212 InsO Rz. 3.

Brinkmann

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7.818

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

stellen. Folgt man für die Doppelinsolvenz von KG und Komplementär-GmbH dem Vorschlag, § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB teleologisch zu reduzieren (Rz. 7.757), muss der Antrag in der Insolvenz der KG namens der GmbH von den (früheren) GmbH-Geschäftsführern gestellt werden1. 7.818 Das Gericht prüft gegebenenfalls nach Anhörung widersprechender Gläubiger (§ 214 Abs. 1 Sätze 1, 2 InsO), ob ein Insolvenzgrund vorliegt2. Auch Insolvenzverfahren, in denen eine Quote von 100 % absehbar ist, sind nicht zwingend nach § 212 InsO einzustellen, da bei der Prüfung des Vorliegens eines Insolvenzgrunds die künftige Entwicklung nach einer Einstellung des Verfahrens zu berücksichtigen ist. Die Überschrift des § 212 InsO ist in mehrfacher Hinsicht irreführend: Einerseits ist der Antrag auch dann begründet, wenn ein Eröffnungsgrund von vornherein nicht vorgelegen hat. Andererseits ist der Antrag nach § 212 InsO nicht begründet, wenn nunmehr ein anderer Insolvenzgrund vorliegt als derjenige, auf den sich das Gericht bei der Eröffnung gestützt hat3. Allein der Wegfall der Forderung des antragstellenden Gläubigers nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens reicht nicht aus, um die Voraussetzungen des § 212 InsO zu erfüllen4. 7.819 Der Einstellungsbeschluss kann erst ergehen, nachdem der Insolvenzverwalter die unstreitigen Masseverbindlichkeiten beglichen und für die streitigen Sicherheit geleistet hat (§ 214 Abs. 3 InsO). Gegen einen Einstellungsbeschluss steht jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu (§ 216 Abs. 1 InsO). 7.820 Durch eine Einstellung nach §§ 212, 214 InsO verliert der Insolvenzverwalter unmittelbar seine Amtsstellung, der Schuldner erhält die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zurück (§ 215 Abs. 2 InsO). Handlungen des Verwalters, die er während des Verfahrens vorgenommen hat – wie etwa eine Erfüllungswahl nach § 103 InsO oder Kündigungen –, bleiben wirksam. Bei anhängigen Prozessen findet ein Parteiwechsel statt, auf den § 239 ZPO analog anzuwenden ist5. Anfechtungsklagen erledigen sich durch die Einstellung des Insolvenzverfahrens6. 1 OLG Celle v. 7.9.2000 – 2 W 69/00, ZIP 2000, 1943. 2 BGH v. 18.6.2009 – IX ZA 13/09, NZI 2009, 517; BGH v. 6.2.2003 – IX ZB 287/02, ZInsO 2003, 216; OLG Celle v. 7.9.2000 – 2 W 69/00, NZI 2001, 28 = ZInsO 2000, 558, 559; LG Göttingen v. 3.11.2008 – 10 T 119/08, NZI 2008, 751. 3 Windel in Jaeger, § 212 InsO Rz. 12; Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 212 InsO Rz. 2; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 212 InsO Rz. 1; Westphal in Nerlich/ Römermann, § 212 InsO Rz. 3; a.A. Breutigam in Blersch/Goetsch/Haas, § 212 InsO Rz. 6, die den Schuldner allein auf die (fristgebundene) sofortige Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss gemäß § 34 Abs. 2 InsO verweisen. 4 BGH v. 7.10.2010 – IX ZB 1/10, NZI 2011, 21; BGH v. 27.7.2006 – IX ZB 12/06, NJOZ 2006, 3525, 3527 = ZVI 2006, 564, 565; BGH v. 27.7.2006 – IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 = NZI 2006, 693 = NJW 2006, 3553 = ZIP 2006, 1957, 1960 Rz. 19; Kießner in Braun, § 212 InsO Rz. 5. 5 Vgl. FG Berlin Brandenburg v. 23.5.2007 – 3 K 1407/03 B; Windel in Jaeger, § 80 InsO Rz. 207 f.; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 215 InsO Rz. 11; Wegener in Uhlenbruck, § 200 InsO Rz. 22: Ob das Verfahren unterbrochen wird, hängt entsprechend § 246 ZPO davon ab, ob sich der Verwalter hat vertreten lassen. 6 BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 206/08, DZWIR 2010, 199; BGH v. 2.4.2009 – IX ZB 182/08, NZI 2009, 313 ff.; Ries in Uhlenbruck, § 215 InsO Rz. 8; Westphal in Nerlich/Römermann, § 215 InsO Rz. 13; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 207 InsO Rz. 44.

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Brinkmann

Fortsetzung oder Abwicklung der Gesellschaft

7.831

4. Die Einstellung aufgrund einstimmigen Beschlusses der Insolvenzgläubiger (§ 213 InsO) Einem Antrag des Schuldners auf Einstellung des Insolvenzverfahrens ist statt- 7.821 zugeben, wenn der Schuldner Zustimmungserklärungen sämtlicher Insolvenzgläubiger beibringt. Erforderlich ist die Zustimmung aller Gläubiger, die Insolvenzforderungen angemeldet haben und deren Ansprüche nicht voll beglichen wurden. Bei Forderungen, die bestritten wurden, sowie bei Forderungen, für die Absonderungsrechte bestehen, entscheidet das Gericht, inwieweit Zustimmungen beigebracht werden müssen (§ 213 Abs. 1 Satz 2 InsO). Gegen den Einstellungsbeschluss ist für jeden Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde statthaft (§ 216 Abs. 1 InsO). Gerade bei der koordinierten Sanierung eines Konzerns könnte der Weg über § 213 7.822 InsO interessant sein, um das Verfahren über eine Konzerngesellschaft – z.B. die Holding – rasch zu beenden. vacat

7.823–7.830

II. Fortsetzung oder Abwicklung der Gesellschaft 1. Fortsetzung der Gesellschaft durch Gesellschafterbeschluss a) Die Zulässigkeit einer Fortsetzung der Gesellschaft ist in § 60 Abs. 1 Nr. 4 7.831 GmbHG teilweise, nämlich für zwei Fälle, geklärt1: für den Fall der Aufhebung nach Bestätigung eines Insolvenzplans (§ 258 InsO) und für den Fall der Einstellung des Insolvenzverfahrens auf Antrag der Schuldnerin (§§ 212 ff. InsO). Nicht ausdrücklich im Gesetz vorgesehen ist die Fortsetzung der Gesellschaft in den sonstigen Fällen der Verfahrensbeendigung (vgl. zu diesen Fällen Rz. 7.801 ff.). Dabei soll es nach der vorherrschenden Auffassung bleiben. Begründet wird dies mit dem Gesetzeswortlaut und dem Bedürfnis nach Gläubigerschutz sowie dem Fehlen eines unabweisbaren Bedürfnisses nach weiterer Zulassung einer Fortsetzung. Der Verfasser bevorzugt die Gegenansicht, die die Fortsetzung auch in anderen als den in § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG genannten Fällen zulässt2. Die Fortsetzungsfähigkeit aufgelöster Gesellschaften ist Resultat fortgebildeten Rechts, wonach grundsätzlich jeder Auflösungsgrund durch Fortsetzung behoben werden kann (vgl. auch Rz. 3.8, 4.2). Das gilt entgegen der h.M. auch für eine nach § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG wegen Masselosigkeit aufgelöste Gesellschaft3, vorausgesetzt, dass noch nicht mit der Vermögensverteilung begonnen worden ist (vgl. Rz. 6.34). Die Problemlösung besteht nicht in einem Verbot der Fortsetzung, sondern in den 1 Der folgende Text ist angelehnt an Karsten Schmidt in Scholz, 9. Aufl., vor § 64 GmbHG Rz. 88 (jetzt Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 179 ff.). 2 Vgl. LG Berlin v. 12.3.1971 – 92 T 4/71, BB 1971, 759 = MDR 1971, 848; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 60 GmbHG Rz. 34; Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 79. 3 Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 97; a.M. BGH v. 8.10.1979 – II ZR 257/78, BGHZ 75, 178, 180 = GmbHR 1980, 83 = NJW 1980, 233 (für AG); KG v. 1.7. 1993 – 1 W 6135/92, DB 1993, 1918 = GmbHR 1993, 822; BayObLG v. 14.10.1993 – 3 Z BR 116/93, GmbHR 1994, 189 = DB 1993, 2523 = NJW 1994, 594; OLG Düsseldorf v. 17.11.1992 – 3 W 412/92, GmbHR 1993, 231 = ZIP 1993, 214.

Brinkmann und Karsten Schmidt

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7.832

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

Mindestanforderungen, die an die Fortsetzung zu stellen sind. Die Fortsetzung aufgelöster Gesellschaften ist zulässig, wenn die aufgelöste Gesellschaft noch nicht erloschen, der Auflösungsgrund beseitigt und noch nicht mit der Vermögensverteilung begonnen worden ist1. Anders verhält es sich mit der Löschung nach § 394 FamFG wegen Vermögenslosigkeit. Eine Gesellschaft, die kein verteilungsfähiges Vermögen mehr hat, steht nicht mehr vor der Alternative, ihr Vermögen auszuschütten oder den Auflösungsgrund zu beheben. Hier kommt eine Fortsetzung nicht in Betracht2. 7.832 b) Die Behebung des Auflösungsgrundes, also der Insolvenz, ist unerlässlich. Die bloße Beseitigung der Masselosigkeit macht eine Gesellschaft nicht fortführungsfähig. Das bedeutet, da die Gesellschaft bereits insolvent ist: Beseitig werden muss die rechnerische Überschuldung. Die nach Liquidationswerten bewerteten Aktiven müssen also die Passiven übersteigen3. Um die Insolvenzreife zu beseitigen, müssen die Gesellschafter i.d.R. neben dem Fortsetzungsbeschluss eine Kapitalerhöhung durchführen. Die Zuführung von Gesellschafterdarlehen genügt nur, wenn sie mit einer Rangrücktrittsklausel verbunden ist. Ob sogar die Wiederherstellung eines dem (Mindest-)Stammkapital entsprechenden Gesellschaftsvermögens (bei der 25 000 Euro-GmbH also die Beseitigung einer Unterbilanz) zu verlangen ist4, ist zu bezweifeln5. Verlangt wird sie allerdings vom BGH im Fall einer „wirtschaftlichen Neugründung (Mantelverwendung)“6. 7.833 c) Der Beschluss wird mit qualifizierter (3/4-)Mehrheit gefasst7. Er ist, sofern nicht darin eine Satzungsänderung enthalten ist, formfrei8, ist jedoch in das Handelsregister einzutragen9. Konstitutive Wirkung nach § 54 Abs. 3 GmbHG hat diese Eintragung jedoch nur, soweit es um eine etwa mit der Fortsetzung einhergehende Satzungsänderung (z.B. Kapitalerhöhung) geht. 7.834 d) Rechtsfolge des Fortsetzungsbeschlusses ist die Beendigung des Auflösungsstadiums10. Die Gesellschaft tritt in das werbende Stadium zurück. Falls nicht mehr vorhanden, müssen Geschäftsführer bestellt werden. Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters, die gegenüber der Masse wirksam waren, muss die GmbH auch jetzt noch gegen sich gelten lassen. 1 Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 79. 2 Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 99. 3 Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 96; Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 181. 4 Vgl. LG Berlin v. 12.3.1971 – 92 T 4/71, BB 1971, 759 = MDR 1971, 848. 5 Karsten Schmidt in Scholz, 9. Aufl., vor § 64 GmbHG Rz. 89; Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 181. 6 BGH v. 7.7. 2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = GmbHR 2003, 684; speziell zur „wirtschaftlichen Neugründung“ in der Liquidation BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317 = ZIP 2014, 418; dagegen aber z.B. Altmeppen, DB 2003, 2050; Karsten Schmidt, NJW 2004, 1345 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2010, 857 ff. 7 Haas in Baumbach/Hueck, § 60 GmbHG Rz. 92; Karsten Schmidt in Scholz, 9. Aufl., § 60 GmbHG Rz. 53, vor § 64 GmbHG Rz. 90. 8 Karsten Schmidt in Scholz, 9. Aufl., § 60 GmbHG Rz. 87. 9 Haas in Baumbach/Hueck, § 60 GmbHG Rz. 53; Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 91; Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 91. 10 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1206.

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Karsten Schmidt

Fortsetzung oder Abwicklung der Gesellschaft

7.836

2. Vollabwicklung der GmbH im Insolvenzverfahren a) Der Regierungsentwurf der Insolvenzordnung hatte noch den folgenden § 1 7.835 Abs. 2 Satz 3 enthalten: „Bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit tritt das Verfahren an die Stelle der gesellschafts- oder organisationsrechtlichen Abwicklung.“ Das ist geltendes Recht1. Nur aus redaktionellen Gründen hat der Gesetzgeber diese Klarstellung aus dem Gesetz gestrichen. Insbesondere zeigt § 199 Satz 2 InsO – eine kaum zur praktischen Anwendung gelangende, jedoch systematisch vielsagende Regelung über die Verteilung etwaiger Überschüsse an die Gesellschafter –, dass das Gesellschafts-Insolvenzverfahren die Gesellschaft, sofern es nicht über den Insolvenzplan zu ihrer Fortsetzung führt, zur Vollbeendigung bringt (vgl. schon Rz. 4.3)2. Dieses Gesamtabwicklungskonzept ist für die Praxis der Insolvenzverwaltung folgenreich: Es zwingt zur Kongruenz von Gesellschaftsvermögen und Insolvenzmasse (vgl. Rz. 7.18 ff.), und es hat gravierende Auswirkungen auf die Abwicklungspflichten des Verwalters. Die bisher h.M. ging und geht davon aus, dass der Verwalter mit der Verteilung des Aktivvermögens seine Schuldigkeit getan hat und die Vollbeendigung der GmbH in die Hand der Geschäftsführer legen soll3. Insbesondere sah man die Geschäftsführer und nicht den Verwalter als befugt und verpflichtet an, die GmbH unter Verwertung des massefreien Vermögens abzuwickeln4. Im Hinblick auf das Liquidationsmodell der Insolvenzabwicklung war dieser überkommene Standpunkt schon unter der Geltung der Konkursordnung abzulehnen, auch ein von den Geschäftsführern zu verwaltendes massefreies Vermögen nicht anzuerkennen (Rz. 7.18)5. Seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung steht fest, dass er nicht dem geltenden Recht entsprechen kann6. Der Insolvenzverwalter ist nicht nur treuhänderischer Verwalter von Gläubigerinteressen, sondern er ist obligatorischer Treuhandliquidator der insolventen GmbH7. Dementsprechend umfassend sind seine Pflichten. b) Allerdings ist das Gesamtabwicklungskonzept noch immer umstritten8. Ins- 7.836 besondere hat der IX. Senat des BGH den Gesamtabwicklungszweck des Gesellschafts-Insolvenzverfahrens in zwei wichtigen Entscheidungen abgelehnt: In einem Urteil vom 5.7.2001 hat er ausgesprochen, dass auch in der Insolvenz einer GmbH „denkbare Liquidationsaufgaben“ des Insolvenzverwalters gegenüber der 1 Zu Unrecht a.M. Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 15 InsO Rz. 19; Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 108 ff. und 113 f. 2 Karsten Schmidt in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl, S. 1208; Karsten Schmidt in Scholz, 9. Aufl., vor § 64 GmbHG Rz. 54. 3 Vgl. nur Hachenburg/Ulmer, § 63 GmbHG Rz. 107 f.; so auch noch Baumbach/Hueck/ Schulze-Osterloh, 16. Aufl. 1996, § 63 GmbHG Rz. 47 f. 4 RG v. 26.10.1931 – VIII 117/31, RGZ 134, 91, 94; BayObLG v. 22.2.1979 – BReg. 1 Z 5/79, DB 1979, 831. 5 Karsten Schmidt in Scholz, 8. Aufl. 1995, § 63 GmbHG Rz. 73. 6 Karsten Schmidt, ZGR 1998, 636 f.; zust. H.-F. Müller, Der Verband in der Insolvenz, 2002, S. 13 ff.; Pape in Uhlenbruck, § 1 InsO Rz. 11; s. auch Haas in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 91 Rz. 13.; Ganter/Lohmann in Münchener Kommentar zur InsO, § 1 InsO Rz. 47; Henckel in Jaeger, § 35 InsO Rz. 147; Hirte in Uhlenbruck, § 35 InsO Rz. 305; Depré in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 199 InsO Rz. 3. 7 Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 107 ff. 8 Vgl. nur Peters in Münchener Kommentar zur InsO, § 35 InsO Rz. 113 f.

Karsten Schmidt

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7.837

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

Aufgabe bestmöglicher Gläubigerbefriedigung zurücktreten1. In den Entscheidungsgründen spricht sich die Entscheidung sogar sehr klar gegen das hier vertretene Konzept aus, freilich nur, um einen Vorrang der Gläubigerinteressen zu begründen. Am 18.4.2002 hat sich der Senat im Zusammenhang mit den umstrittenen Fragen der Altlastenhaftung neuerlich gegen das hier vertretene Konzept ausgesprochen (dazu auch Rz. 7.35)2. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dem angeschlossen (Rz. 7.32)3. Zu diesen Entscheidungen ist zu sagen, dass sie der hier vertretenen Auffassung unrichtigerweise unterstellen, sie wolle die Abwicklungsaufgabe über die Gläubigerinteressen stellen. Die Gesamtabwicklungsaufgabe des Verwalters entspricht dem klaren Gesetzgeberwillen. Sie überzeugt auch funktionell4 und hat mit einer Vernachlässigung der Gläubigerinteressen nichts zu tun. Richtig ist nur, dass für die Gläubiger nicht mehr da ist als das, was eine Gesamtabwicklung der Gesellschaft (auch unter Einbeziehung etwa vorhandener Kontaminationen eines Betriebsgrundstücks) ihnen lässt. An dieser Vernunftregel kann der vom BGH reklamierte Vorrang der Gläubigerinteressen nicht vorbeireden. 7.837 c) Die Insolvenzabwicklungspraxis muss also ihre Gewohnheiten ändern. Es ist zwar richtig, dass mit Schlussverteilung (§ 196 InsO) und Schlusstermin (§ 197 InsO) vorerst nur das Insolvenzverfahren, aber noch nicht die Gesellschaft als Rechtsträgerin abgewickelt ist5. Richtig ist aber auch, dass das Gesetz dem Insolvenzverwalter die unbequeme Aufgabe einer Vollbeendigung der Gesellschaft aufbürdet6. Er bringt sie zur Löschung im Handelsregister. 3. Fortsetzung oder Vollbeendigung der insolventen GmbH & Co. KG 7.838 a) Ist eine GmbH & Co. KG durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen aufgelöst, das Verfahren aber auf Antrag des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH eingestellt oder nach der Bestätigung eines Insolvenzplans, der den Fortbestand der Gesellschaft vorsieht, aufgehoben, so können die Gesellschafter auch hier die Fortsetzung der Gesellschaft beschließen. Die Fortsetzung der Gesellschaft setzt allerdings voraus, dass noch Gesellschaftsvermögen vorhanden ist. Jedenfalls muss der Insolvenzgrund der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit behoben sein, denn ansonsten wären die Geschäftsführer alsbald verpflichtet, erneut Insolvenzantrag zu stellen. Da nach der hier vertretenen Auffassung die Regelung des § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB, wonach der Komplementär mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen ausscheidet, auf die Simultaninsolvenz der GmbH & Co. KG keine Anwendung findet (Rz. 7.758 ff.), ist eine Fortsetzung der GmbH & Co. KG selbst dann möglich, wenn der Insolvenzantrag bezüglich der Komplementär-GmbH wegen Masselosigkeit (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO) unter gleichzeitiger Eröffnung des Insolvenzver1 BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, BGHZ 148, 252 = ZIP 2001, 1469; dazu Flitsch, EWiR 2002, 395; Scherer, DZWIR 2002, 184. 2 BGH v. 18.4.2002 – IX ZR 161/01, ZIP 2002, 1043 = EWiR 2002, 573 (Tetzlaff). 3 BVerwG v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145, 2147. 4 Vgl. schon unter der Konkursordnung Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 26 f., 70 ff., 99 ff. 5 Beck in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 12 Rz. 36. 6 Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 199 InsO Rz. 3.

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Karsten Schmidt

GmbH und GmbH & Co. KG nach Aufhebung/Einstellung

7.841

fahrens über das Vermögen der KG abgewiesen worden ist. Die Masselosigkeit bedeutet keine Vermögenslosigkeit1. Ein Fortsetzungsbeschluss muss solchenfalls sowohl für die KG als auch für die Komplementär-GmbH gefasst werden. Das gilt auch für die sog. doppelstöckige GmbH & Co. KG2. Wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Komplementär-GmbH mangels Masse abgelehnt (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO), so ist sie gem. § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG aufgelöst. Sie bleibt nach hier vertretener Auffassung als Liquidationsgesellschaft Komplementärin der Kommanditgesellschaft (dazu Rz. 7.765)3, scheidet also nicht analog § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB aus der KG aus. Anders als im Fall der Vermögenslosigkeit4 kann eine lediglich im Sinne von § 26 InsO massearme GmbH unter Beseitigung ihrer Insolvenz durch Beschluss fortgeführt werden (Rz. 6.34, 7.831)5. Doch dies ist umstritten. Auch aus praktischen Gründen liegt eine Auswechselung der Komplementärin u.U. näher (vgl. auch Rz. 7.768, 8.253) Dies würde bedeuten, dass die Komplementär-GmbH ausscheidet und vollbeendigt wird, während ein Kommanditist oder eine neu zu gründende Kapitalgesellschaft persönlich haftender Gesellschafter wird. Die Fortsetzung kann auch dann noch beschlossen werden, wenn das Insolvenzverfahren durchgeführt und nach Vollzug der Schlussverteilung aufgehoben wurde (§ 200 Abs. 1 InsO). Zwingende Voraussetzung ist aber immer, dass Vermögen vorhanden ist und der Insolvenzgrund beseitigt wird (Rz. 7.831)6. b) Für die Vollabwicklung der GmbH & Co. KG durch Abwicklung im Insolvenz- 7.839 verfahren gelten sinngemäß die Ausführungen unter Rz. 7.835 ff. Eine zwingende Regel, dass die KG und ihre Komplementärin gleichzeitig zur Vollbeendigung gebracht werden müssten, gibt es nicht. vacat

7.840

III. Die GmbH und GmbH & Co. KG nach Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens Das Insolvenzgericht hebt das Insolvenzverfahren auf, wenn es vollständig und 7.841 ordnungsgemäß durchgeführt worden und die Schlussverteilung erfolgt (§ 200 InsO) bzw. ein Insolvenzplan rechtskräftig bestätigt worden ist (§ 258 Abs. 1 InsO). Wird dagegen das Verfahren vorzeitig beendet, weil die gemeinschaftliche Befriedigung der Insolvenzgläubiger nicht erreicht werden kann, spricht das Gesetz von Einstellung des Verfahrens7. Der in der insolvenzrechtlichen Praxis häufigste Fall 1 BGH v. 7.10.1994 – V ZR 58/93, ZIP 1994, 1685 = GmbHR 1995, 234; Schlitt, NZG 1998, 755, 762; Kübler/Prütting/Noack, InsO, Gesellschaftsrecht Rz. 582; Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 363. 2 Kübler/Prütting/Noack, InsO, Gesellschaftsrecht Rz. 584; Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 364. 3 Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 Rz. 115; Karsten Schmidt, GmbHR 2002, 1209, 1213. 4 Angaben bei Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 97. 5 So Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 97. 6 Einzelheiten zur Fortsetzung der durch Insolvenzverfahrenseröffnung aufgelösten KG bei Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 179; Kübler/Prütting/Noack, InsO, Gesellschaftsrecht Rz. 581 ff. 7 Kießner in Braun, § 207 InsO Rz. 2; App, DGVZ 2001, 1 ff.

Karsten Schmidt und Vallender

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7.842

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

der Einstellung des Verfahrens ist die Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 211 InsO) (s. dazu Rz. 7.861). Weitere Einstellungsgründe sind darüber hinaus die Einstellung mangels Masse (§ 207 InsO) (näher dazu Rz. 7.860 ff.) sowie der Wegfall des Eröffnungsgrundes (§ 212 InsO) und die Zustimmung der Insolvenzgläubiger (§ 213 InsO). In sämtlichen Fällen entscheidet das Insolvenzgericht durch Beschluss. Unabhängig davon, ob das Gericht seine Entscheidung von Amts wegen oder auf Antrag trifft, führt die entsprechende Beschlussfassung zum Fortfall der seit der Eröffnung herrschenden Beschlagnahme des schuldnerischen Vermögens. 1. Vollabwicklung des Schuldnervermögens als insolvenzrechtliche Aufgabe 7.842 Die Vollabwicklung des Schuldnervermögens ist als insolvenzrechtliche Aufgabe zu bewältigen1. In der Allgemeinen Begründung zur InsO heißt es, das Verfahren übernehme bei Gesellschaften regelmäßig zugleich die Aufgabe der gesellschaftsrechtlichen Abwicklung bis hin zur Herbeiführung der Löschungsreife und anschließenden Löschung2. Für eine außergerichtliche Liquidation bestehe dann kein Bedürfnis mehr. Der Gesetzgeber der Insolvenzordnung hat sein Anliegen indes nur unvollkommen verwirklicht3. Auch wenn nach der Grundkonzeption des Gesetzes davon auszugehen ist, dass im Regelfall nach der Durchführung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH kein Gesellschaftsvermögen mehr vorhanden ist, hat der Gesetzgeber der Insolvenzordnung die Möglichkeit einer Nachtragsliquidation nicht ausgeschlossen, wie die Vorschrift des § 66 Abs. 5 GmbHG zeigt. Ob es dieser Regelung bedurft hätte, erscheint fraglich. Karsten Schmidt4 hat mit Recht die Frage gestellt, ob es für den Insolvenzfall nicht ausgereicht hätte, den Verwalter durch eine bei § 215 InsO zu platzierende Regelung zu verpflichten, bei Beendigung des Insolvenzverfahrens durch Schlussverteilung die Gesellschaft zur Löschung anzumelden. Eines Amtslöschungsverfahrens bedürfe es nicht. 2. Aufhebung des Insolvenzverfahrens 7.843 Sobald die Schlussverteilung vollzogen ist, beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 Abs. 1 InsO). Die Aufhebung des Verfahrens wirkt nur für die Zukunft5. Sie führt zur Beendigung des Insolvenzbeschlags für die meisten noch vorhandenen (das heißt nicht verwerteten und noch nicht freigegebenen) Massebestandteile der Gesellschaft6. Von der Beschlagnahmewirkung weiter erfasst bleiben indes die zurückgehaltenen Gelder (§§ 189 Abs. 2, 190 Abs. 2 Satz 2, 198 InsO). Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens ist zu veröffentlichen (§ 200 Abs. 2 InsO). Darüber hinaus sind all diejenigen Stellen von der Aufhebung des Verfahrens zu unterrichten, denen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mitgeteilt worden ist. Dazu zählt auch das Handelsregister (vgl. § 31 Nr. 1 InsO, IX Nr. 4 Abs. 1 Nr. 5 MiZi). 1 2 3 4 5 6

Das neue Insolvenzrecht, InsO, Bd. I, 1994, S. 105. Das neue Insolvenzrecht, InsO, Bd. I, 1994, S. 105/106. Uhlenbruck, ZIP 1996, 1641, 1647. Karsten Schmidt, GmbHR 1994, 829, 831. Uhlenbruck, ZIP 1993, 241 ff. Becker, Insolvenzrecht, 3. Aufl. 2010, Rz. 1480.

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Vallender

GmbH und GmbH & Co. KG nach Aufhebung/Einstellung

7.845

3. Keine Fortsetzung der GmbH nach Aufhebung des Verfahrens Nach der Schlussverteilung ist eine Fortsetzung der nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 7.844 GmbHG aufgelösten Gesellschaft grundsätzlich ausgeschlossen, so dass es unerheblich ist, dass die Löschung der Gesellschaft im Handelsregister noch nicht vollzogen ist1. Dies folgt einerseits aus dem Gesetzeswortlaut, der nur in zwei Ausnahmefällen die Fortsetzung einer Gesellschaft nach deren Insolvenz zulässt, nämlich bei der Einstellung des Insolvenzverfahrens auf Antrag des Schuldners oder der Bestätigung eines Insolvenzplanes, der den Fortbestand der Gesellschaft vorsieht (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG). Es ist auch auf die vergleichbare Regelung des § 274 Abs. 1 AktG für die Aktiengesellschaft zu verweisen, nach der ein Fortsetzungsbeschluss bereits dann nicht mehr wirksam getroffen werden kann, wenn mit der Vermögensverteilung begonnen worden ist. Hier ist diese sogar – auch der Sicht des Insolvenzverfahrens – bereits abgeschlossen. Diese Zäsur der Vermögensverteilung ist so bedeutsam und erweckt den Anschein der Beendigung, dass eine Fortsetzung der Gesellschaft durch schlichten Fortsetzungsbeschluss und dessen Eintragung ohne die bei einer wirtschaftlichen Neugründung erforderliche Registerkontrolle nach §§ 7, 8 GmbHG nicht möglich ist2. Etwas anderes kann auch nicht aus der Regelung des § 394 Abs. 1 Satz 2 FamFG abgeleitet werden, die nur die Voraussetzungen der Löschung der Gesellschaft von Amts wegen betrifft, nicht aber die Frage einer Fortsetzungsfähigkeit der Gesellschaft3. 4. Löschung der Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit § 60 Abs. 1 Nr. 7 GmbHG sieht die Auflösung der GmbH durch Löschung wegen 7.845 Vermögenslosigkeit nach § 394 FamFG4 vor. Nach § 394 Abs. 1 Satz 2 FamFG ist die GmbH „von Amts wegen zu löschen, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft durchgeführt worden ist und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Gesellschaft noch Vermögen besitzt“5. Zweck der Vorschrift ist die liquidationslose Beseitigung der GmbH, die trotz ihrer Vermögenslosigkeit noch im Handelsregister eingetragen ist6. Im Falle der Aufhebung des Insolvenzverfahrens hat die anschließende Löschung der Gesellschaft im Handelsregister allerdings nur geringe praktische Bedeutung, weil bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Auflösung der GmbH zur Folge hat. Ist die Gesellschaft tatsächlich vermögenslos, wird sie nach der Lehre vom Doppeltatbestand (näher dazu Rz. 7.854) durch die Löschung vollbeendet und nicht nur aufgelöst. 1 H.M. OLG Celle v. 29.12.2010 – 9 W 136/10, GmbHR 2011, 257; Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 82 m.w.N. 2 Vgl. im Ergebnis ebenso für die Aktiengesellschaft Koch in Hüffer, 11. Aufl., § 274 AktG Rz. 6. 3 OLG Celle v. 29.12.2010 – 9 W 136/10, GmbHR 2011, 257. 4 Zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.6.2014 (BGBl. I 2014, 786) m.W.v. 27.6.2014. 5 Die Löschung einer vermögenslosen GmbH hat grundsätzlich zur Folge, dass die Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit verliert und damit nach § 50 Abs. 1 ZPO auch ihre Fähigkeit, Partei eines Rechtsstreits zu sein. Eine nicht parteifähige Partei kann gleichwohl grundsätzlich Rechtsmittel einlegen, um die gegen sie ergangene Sachentscheidung zu beseitigen, wenn sie meint, in der Vorinstanz zu Unrecht als prozessfähig behandelt worden zu sein (KG Berlin v. 6.6.2012 – 8 U 73/12, GmbHR 2012, 1143). 6 Nerlich in Michalski, § 60 GmbHG Rz. 279.

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7.846

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

Mithin führt die Amtslöschung nicht zur Auflösung der GmbH sondern zu deren Vollbeendigung. 7.846 Nach § 394 Abs. 1, 3 FamFG kann eine GmbH, die kein Aktivvermögen besitzt, von Amts wegen oder auf Antrag der Steuerbehörde im Handelsregister gelöscht werden. Vermögenslosigkeit der GmbH liegt vor, wenn es an einer verteilungsfähigen Masse, die zur Gläubigerbefriedigung verwertbar wäre, fehlt. Schon das Vorhandensein von Vermögen, auch nur in geringem Umfang, steht der Annahme der Vermögenslosigkeit entgegen1. Wegen der schwerwiegenden Folgen der Löschung sind die Voraussetzungen für die Annahme einer Vermögenslosigkeit genau und gewissenhaft zu prüfen und die erforderlichen Tatsachen von Amts wegen (§ 26 FamFG) zu ermitteln2. Die Überzeugung von der Vermögenslosigkeit muss auf einer positiven Feststellung im Einzelfall beruhen, sie kann nicht allein auf die unterlassene Darlegung noch vorhandenen Vermögens gestützt werden. Auch Schulden oder eine fehlende Zahlungsmoral rechtfertigen für sich noch nicht die Annahme von Vermögenslosigkeit. 7.847 Da die Aufhebung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH nach Schlussverteilung die Annahme rechtfertigt, dass keine Vermögenswerte vorhanden sind, die für eine Gläubigerbefriedigung oder eine Verteilung an die Gesellschafter der GmbH in Betracht kommen, ist das Registergericht im Amtslöschungsverfahren insbesondere bei fehlendem Widerspruch gegen die Löschungsankündigung nicht gehalten, weitere Nachforschungen darüber anzustellen, ob trotz Durchführung der Schlussverteilung noch Vermögen der Gesellschaft vorhanden war3. 7.848 Die Ankündigung der Löschungsabsicht setzt gemäß § 394 Abs. 2 FamFG4 eine gerichtliche Überzeugungsbildung voraus, der abgeschlossene Ermittlungen zur Vermögenslosigkeit vorauszugehen haben, damit das Gericht über entsprechende gesicherte Erkenntnisse verfügt. Das gilt auch bei der GmbH i.L., auch muss das Gericht über Erkenntnisse verfügen, dass die Gesellschaft tatsächlich über kein Vermögen verfügt5. 7.849 Die Absicht der Löschung ist den gesetzlichen Vertretern der GmbH durch Zustellung einer Verfügung bekannt zu machen, in der ihnen gleichzeitig eine angemessene Frist zur Erhebung des Widerspruchs gesetzt wird (§ 393 Abs. 1 FamFG). Soweit das Registergericht trotz des erhobenen Widerspruchs die Löschung wegen Vermögenslosigkeit vornimmt, bleibt das gegen die Ankündigung gerichtete Rechtsmittel zulässig; die Amtslöschung ihrerseits ist von Amts wegen zu löschen. 7.850 Die Eintragung der Löschung wegen Vermögenslosigkeit ist als „Entscheidung“ im Sinne des § 37 Abs. 2 FamFG anzusehen und die dort normierte Ausprägung 1 OLG Karlsruhe v. 10.8.1999 – 14 Wx 24/99, GmbHR 1999, 1100 m.w.N. 2 OLG Düsseldorf v. 14.9.2012 – 3 Wx 62/12, GmbHR 2012, 1305; OLG Düsseldorf v. 13.11.1996 – 3 Wx 494/96, GmbHR 1997, 131. 3 OLG München v. 3.8.2005 – 31 Wx 4/05, GmbHR 2006, 91, 93, 94. 4 Die Ankündigung der Löschung einer Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit im IuKSystem des Registergerichts muss keine Einzelheiten zu Inhalt und Ergebnis der vorangegangenen Ermittlungen enthalten (OLG München v. 22.11.2012 – 31 Wx 421/12, GmbHR 2013, 39 = AG 2013, 137). 5 OLG Düsseldorf v. 5.4.2006 – 3 Wx 222/05, GmbHR 2006, 819.

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GmbH und GmbH & Co. KG nach Aufhebung/Einstellung

7.854

des verfassungsrechtlichen Gebots der Gewährung rechtlichen Gehörs auf das Löschungsverfahren nach § 394 FamFG anzuwenden. Beteiligte des Löschungsverfahrens ist die Gesellschaft selbst, deren gesetzliche Vertreter im Verfahren zuvor anzuhören sind. Das Amtsgericht muss der Gesellschaft mitteilen, auf welche Tatsachen und Beweisergebnisse es seine Überzeugung der Vermögenslosigkeit der Gesellschaft stützt1. Die Löschung der GmbH im Handelsregister erfolgt durch Eintragung des Ver- 7.851 merks „von Amts wegen gelöscht“ unter Hinweis auf die gesetzliche Grundlage (§ 395 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 19 Abs. 1 HRV). Sie kann auch dann erfolgen, wenn die GmbH nicht über einen gesetzlichen Vertreter verfügt. Das rechtliche Gehör wird durch die Veröffentlichung der Löschungsabsicht in den für die Bekanntmachung der Eintragung in das Handelsregister bestimmten Blättern gewahrt2. Die Löschung der Gesellschaft als vermögenslos hat grundsätzlich zur Folge, dass die Vertretungsmacht der bisherigen Geschäftsführer und Liquidatoren beendet ist. Nach § 58 Abs. 1 FamFG findet die sofortige Beschwerde gegen die im ersten 7.852 Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der Amts- und Landgerichte in Angelegenheiten nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) statt, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Eine beschwerdefähige Endentscheidung des Registergerichts im Sinne dieser Vorschrift liegt nach § 38 Abs. 1 FamFG vor, wenn und soweit durch die Entscheidung der Verfahrensgegenstand ganz oder teilweise erledigt wird. Im Amtslöschungsverfahren der Löschung einer GmbH ist die Gesellschaft beschwerdebefugt, da sie durch die Löschung in ihrer materiellen Existenz betroffen ist3. Für das Verfahren ist sie als fortbestehend anzusehen4. Sie kann in diesem Verfahren von ihren bisherigen gesetzlichen Vertretern vertreten werden, obwohl die Löschung der Gesellschaft als vermögenslos grundsätzlich zur Folge hat, dass die Vertretungsmacht der bisherigen Geschäftsführer und Liquidatoren beendet ist5. Sind bei der Löschung der vermögenslosen Gesellschaft wesentliche Verfahrens- 7.853 vorschriften außer Acht gelassen worden, kann eine Löschung der Amtslöschung erfolgen6. Hierfür reicht es nicht aus, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Gesellschaft noch über Vermögen verfügt7. In diesem Verfahren sind auch die Gesellschafter beschwerdebefugt8. 5. Nachtragsverteilung In Rechtsprechung und Literatur ist die Frage umstritten, unter welchen Voraus- 7.854 setzungen eine GmbH nach Löschung noch fortbesteht. Praktische Relevanz er1 2 3 4 5 6 7 8

OLG Köln v. 17.3.2011 – 2 Wx 28/11, OLG Report NRW 13/2011 Anm. 10. OLG München v. 3.8.2005 – 31 Wx 4/05, GmbHR 2006, 91. Vgl. BayObLG v. 12.1.1995 – 3 Z BR 256/94, GmbHR 1995, 531. OLG Hamm v. 12.11.1992 – 15 W 266/92, GmbHR 1993, 295. Vgl. BayObLG v. 4.6.1997 – 3 Z BR 44/97, GmbHR 1997, 1003 m.w.N. OLG München v. 3.8.2005 – 31 Wx 4/05, GmbHR 2006, 91. OLG Hamm v. 8.5.2001 – 15 W 43/01, GmbHR 2001, 819. BayObLG v. 4.6.1997 – 3 Z BR 44/97, GmbHR 1997, 1003 m.w.N.

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7.855

7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

langt die Fragestellung in den Fällen, in denen sich nach Löschung der Gesellschaft herausstellt, dass sie noch über Vermögenswerte verfügt. Nach einer früher in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung1 war eine Kapitalgesellschaft erst untergegangen, wenn sie vermögenslos ist. Demgegenüber erblickt eine in der Literatur2 häufig vertretene Auffassung in der Handelsregisterlöschung der Kapitalgesellschaft das entscheidende Kriterium für die Vollbeendigung der Kapitalgesellschaft. Unbeachtlich sei, ob die gelöschte Gesellschaft auch tatsächlich bei Löschung vermögenslos war. Die heute herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur3 vertritt die Auffassung, dass eine Kapitalgesellschaft erst dann als vollbeendet gilt, wenn die Gesellschaft sowohl im Handelsregister gelöscht wurde als auch bei Löschung tatsächlich vermögenslos war (Lehre vom Doppeltatbestand). Sofern diese beiden Voraussetzungen nicht erfüllt seien, bestehe die Kapitalgesellschaft weiter fort. 7.855 Stellt sich nach dem Schlusstermin bzw. nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens (vgl. § 203 Abs. 2 InsO) über das Vermögen der GmbH heraus, dass noch Massegegenstände oder Geldbeträge der früheren Insolvenzmasse aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen bei Aufstellung und Genehmigung des Schlussverzeichnisses und bei der Verteilung nicht berücksichtigt werden konnten oder werden Vermögensgegenstände nachträglich ermittelt oder fließen zur Masse zurück, müssen sie in einem besonderen Verfahren nach Maßgabe der §§ 203 ff. InsO verteilt werden4. Die Nachtragsverteilung, die von Amts wegen oder auf Antrag eines Insolvenzgläubigers oder des Insolvenzverwalters angeordnet wird, ist durch den Insolvenzverwalter nach § 205 InsO vorzunehmen. Dieser bleibt ausnahmsweise befugt, anhängige Prozesse fortzusetzen und neue einzuleiten, mit denen die der Nachtragsverteilung vorbehaltenen Masseaktiva realisiert werden sollen5. Der Nachtragsverteilung unterliegen keine Gegenstände, die der Insolvenzverwalter freigegeben hat. Ebenso wenig unterliegt der Veräußerungserlös eines freigegebe1 BGH v. 29.9.1981 – VI ZR 21/80, NJW 1982, 238 = GmbHR 1983, 20 (LS); BGH v. 9.12. 1987 – VIII ZR 374/86, GmbHR 1988, 139, 140; BayObLG v. 4.10.1955 – 2 Z 104/55, GmbHR 1956, 76 m. Komm. Gottschling; OLG Düsseldorf v. 13.7.1979 – 3 W 139/79, GmbHR 1979, 227, 228; OLG Frankfurt v. 28.9.1989 – 3 U 30/89, NJW-RR 1991, 318, 319; Ahmann, GmbHR 1987, 439, 440; Bokelmann, NJW 1977, 1130, 1131; Däubler, GmbHR 1964, 246; Müller, JurBüro 1985, 335, 339. 2 Buchner, Amtslöschung, Nachtragsliquidation und masselose Insolvenz von Kapitalgesellschaften, 1988, S. 105; Hönn, ZHR 138 (1974), 50 ff. 3 BGH v. 16.1.2014 – IX ZB 122/12, WM 2014, 328; BAG v. 22.3.1988 – 3 AZR 350/86, GmbHR 1988, 388; BGH v. 4.6.2003 – 10 AZR 448/02, GmbHR 2003, 1009, 1010; KG v. 6.7.2004 – 1 W 174/04, GmbHR 2004, 1286; OLG Frankfurt v. 27.2.2014 – 20 W 548/11, NJW-RR 2014, 1503; OLG Düsseldorf v. 14.11.2003 – I-16 U 95/98, GmbHR 2004, 572, 574; OLG Köln v. 11.3.1992 – 2 U 101/91, GmbHR 1992, 536; OLG Stuttgart v. 30.9. 1998 – 20 U 21/98, ZIP 1998, 1880, 1882 = AG 1999, 280; Haas in Baumbach/Hueck, § 60 GmbHG Rz. 6; Nerlich in Michalski, § 66 GmbHG Rz. 87; Karsten Schmidt in Scholz, § 74 GmbHG Rz. 13 f.; Vallender, NZG 1998, 249, 252. 4 Nach Auffassung des LG Hamburg (v. 22.9.2011 – 326 T 83/11) ist die Kosten/NutzenRelation gemäß § 203 Abs. 3 Satz 1 InsO, nach der zwischen der Höhe des zu verteilenden Betrages und den Kosten des für die Nachtragsverteilung erforderlichen Aufwands kein objektives Missverhältnis bestehen darf, selbst bei einem noch vorhandenen Betrag von 711,49 Euro gewahrt; bestätigt durch BGH v. 16.2.2012 – IX ZB 290/11. 5 BFH v. 6.7.2011 – II R 34/10, NZI 2011, 911.

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GmbH und GmbH & Co. KG nach Aufhebung/Einstellung

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nen Gegenstands, der nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens verkauft worden ist, der Nachtragsverteilung1. Einen nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO ermittelten Gegenstand hat der Insolvenzver- 7.856 walter zu verwerten; der Erlös und sonst freiwerdende Gegenstände sind an die Gläubiger zu verteilen2. Die Nachtragsverteilung gemäß § 211 Abs. 3 InsO erfasst auch Gegenstände, die der Verwalter zunächst nicht für verwertbar hielt und deswegen nicht zur Masse gezogen hat3. Allerdings ist die Anordnung der Nachtragsverteilung wegen eines versehentlich nicht verwerteten Grundstücks unzulässig, wenn vor der Anordnung die Auflassung erklärt und der Antrag auf Eintragung beim Grundbuchamt vom Erwerber oder vom Notar für diesen gestellt worden war4. Trotz der Löschung der GmbH im Handelsregister bleibt eine Nachtragsverteilung möglich, weil sie nur restliche Abwicklungsmaßnahmen betrifft und kein neues Insolvenzverfahren über das gelöschte Unternehmen darstellt5. Das Insolvenzgericht kann von der Anordnung der Nachtragsverteilung absehen, 7.857 wenn der für die Verteilung zur Verfügung stehende Betrag oder der voraussichtliche Verwertungserlös des ermittelten Gegenstandes mit den Kosten der Nachtragsverteilung in keinem angemessenen Verhältnis steht (§ 203 Abs. 3 Satz 1 InsO). Sieht das Gericht von der Anordnung einer Nachtragverteilung ab, stehen der Geldbetrag oder der Gegenstand der GmbH jedenfalls dann zur Verfügung, wenn der fragliche Gegenstand mit der Aufhebung des Verfahrens aus dem Insolvenzbeschlag entlassen worden ist6. 6. Nachtragsliquidation nach § 66 Abs. 5 GmbHG Die Regelung des § 66 Abs. 5 GmbHG manifestiert insoweit die Lehre vom Dop- 7.858 peltatbestand (näher dazu Rz. 7.854), als sie eine Liquidation in den Fällen verlangt, in denen sich trotz Löschung der GmbH im Handelsregister nach § 394 Abs. 1 Satz 1 FamFG wegen Vermögenslosigkeit noch verteilbares Vermögen findet7. Dagegen schließt ein nachträglicher Vermögenserwerb die Nachtragsliquidation aus8. Nach § 66 Abs. 5 Satz 2 GmbHG sind die Liquidatoren durch das Gericht zu er- 7.859 nennen. Die Liquidation richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 68 ff. GmbHG. Es handelt sich um eine erstmalige Liquidation, nicht um eine Nachtragsliquidation9. 7. Die GmbH nach Einstellung des Verfahrens Im Falle einer Einstellung des Verfahrens nach § 207 InsO mangels Masse, wegen 7.860 Wegfalls des Eröffnungsgrundes (§ 212 InsO) oder nach Zustimmung aller Insol1 2 3 4 5 6 7 8 9

BGH v. 3.4.2014 – IX ZA 5/14, ZIP 2014, 1183. Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 7. Aufl. 2008, Rz. 1736. BGH v. 21.9.2006 – IX ZB 287/05, ZInsO 2006, 1105. BGH v. 6.12.2007 – IX ZB 229/06, ZIP 2008, 322. Götker, Der Geschäftsführer in der Insolvenz der GmbH, 1999, Rz. 1073 m.w.N. Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 7. Aufl. 2008, Rz. 1734. KG Berlin v. 20.10.2011 – 25 W 36/11, GmbHR 2012, 216. V. Gerkan, EWiR § 2 LöschG 1/99, 1073. Haas in Baumbach/Hueck, § 66 GmbHG Rz. 40.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

venzgläubiger (§ 213 InsO) ist die Auflösung der Gesellschaft bereits durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt worden (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Die gesellschaftsrechtliche Folge der Auflösung ist die Überführung der GmbH in eine Liquidationsphase, die zur Vollbeendigung des Rechtsträgers führt1. Allerdings gelten im eröffneten Insolvenzverfahren die gesellschaftsrechtlichen Liquidationsregeln nicht. Vielmehr tritt an deren Stelle die Abwicklung nach der Insolvenzordnung. 7.861 Auch nach einer Abweisung mangels Masse (§ 207 InsO) erfolgt die Löschung nicht bereits auf Grund dieser Abweisung, sondern vielmehr wegen Vermögenslosigkeit. Die Gesellschaft muss tatsächlich vermögenslos sein, damit die Löschung erfolgen kann. Bei einer Einstellung des Insolvenzverfahrens nach § 211 InsO ergeben sich keine grundlegenden Unterschiede zu den Folgen der Einstellung nach § 207 InsO, mit Ausnahme der ausdrücklichen Zulässigkeit von Nachtragsverteilungen2. 7.862 Umstritten ist die Zulässigkeit von Nachtragsverteilungen nach Einstellung des Verfahrens mangels Masse (§ 207 InsO). Teilweise wird angenommen, für eine Nachtragsverteilung sei kein Raum3. Demgegenüber hält es B.M. Kübler4 für konsequent, die Regelung des § 211 Abs. 3 Satz 1 InsO auf solche Verfahren entsprechend anzuwenden, die gemäß § 207 InsO ohne weitere Verwaltung und Verwertung eingestellt worden sind, da nicht einmal die Kosten des Verfahrens gedeckt waren. Gegen diese Auffassung spricht der gesetzgeberische Wille. Hätte der Gesetzgeber in den Fällen der Einstellung mangels Masse die Nachtragsverteilung gewollt, hätte er dies ähnlich wie in § 211 Abs. 3 InsO zum Ausdruck gebracht. 7.863 Wird das Insolvenzverfahren mangels Masse (§ 207 InsO) oder nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 211 InsO) eingestellt, ist nach h.M.5 für eine Fortsetzung der GmbH kein Raum. Bitter6 hält dem entgegen, dass grundsätzlich jeder Auflösungsgrund durch Fortsetzung behoben werden könne. Dies setze neben dem Fortsetzungsbeschluss nur voraus, dass die Normativbestimmungen wieder hergestellt sind, von denen das Gesetz den Bestand der GmbH abhängig mache. Folgt man der h.M., die für sich in Anspruch nehmen kann, dass es der Gesetzgeber bei den in § 60 Abs. 1 Nr. 4 InsO aufgezählten Fällen belassen hat, schließt sich nach § 394 Abs. 1 FamFG die Löschung der Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit an, die ohnehin einem Fortsetzungsbeschluss entgegensteht7. 7.864 Soweit dagegen die Einstellung des Verfahrens gemäß § 212 InsO oder gemäß § 213 InsO erfolgt, ist eine Fortsetzung der GmbH zulässig. Allerdings darf die Gesellschaft noch nicht durch Beendigung erloschen, mit der Verteilung des Gesellschaftsvermögens an die Gesellschafter noch nicht begonnen worden sein und das 1 Noack/Casper/Schäfer, Gesellschaftsrecht, 2006, Rz. 91. 2 Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 211 InsO Rz. 12. 3 Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 207 InsO Rz. 10; Dienstühler, ZIP 1998, 1697, 1707; Uhlenbruck, ZIP 1993, 241, 244; Uhlenbruck, NZI 2001, 408 ff.; Westphal in Nerlich/Römermann, § 207 InsO Rz. 35. 4 In Kölner Schrift zur InsO, S. 967, 980 Rz. 50. 5 Vgl. nur Haas in Baumbach/Hueck, § 60 GmbHG, Rz. 95. 6 Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 179 ff. 7 Haas in Baumbach/Hueck, § 60 GmbHG Rz. 95.

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GmbH und GmbH & Co. KG nach Aufhebung/Einstellung

7.867

Gesellschaftsvermögen muss mindestens die Schulden decken1. In diesem Falle haben die Geschäftsführer der GmbH dafür Sorge zu tragen, dass die Gesellschafter die Fortsetzung der aufgelösten Gesellschaft beschließen2. Solange ein Fortsetzungsbeschluss nicht ergangen ist, üben die Geschäftsführer das Amt des Liquidators aus. Nach herrschender Meinung bedarf der Beschluss über die Fortsetzung der Gesell- 7.865 schaft in Anlehnung an § 274 Abs. 1 Satz 2 AktG einer Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen der Gesellschafter3. Der Beschluss ist grundsätzlich formfrei. Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine Satzungsänderung erforderlich wird (vgl. § 53 GmbHG). Zwar wird die Ansicht vertreten, dass der Fortsetzungsbeschluss auch stillschweigend gefasst werden kann4. Von dieser Möglichkeit sollte indes nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden, weil der Übergang zeitlich nur sehr schwer zu bestimmen ist und dadurch die Anmeldung verzögert werden kann5. Der Fortsetzungsbeschluss ist eintragungspflichtig. Die Eintragung hat jedoch nur deklaratorische Bedeutung und bedarf daher der Anmeldung6. Diese kann nur erfolgen, wenn zuvor auch die Auflösung eingetragen worden ist; spätestens mit der Fortsetzung ist auch die Auflösung anzumelden7. Mit dem Fortsetzungsbeschluss rücken die Liquidatoren wieder in ihre ursprüng- 7.866 liche Rechtsposition als Geschäftsführer der Gesellschaft ein. Eine Kündigung des Dienstvertrags durch den Insolvenzverwalter wird hiervon nicht berührt. Mithin bedarf es eines Neuabschlusses des Geschäftsführervertrages8. 8. Die GmbH & Co. KG nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG wird diese 7.867 nach § 131 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB aufgelöst. Dieser Umstand hat auf den Fortbestand der GmbH, soweit nicht für deren Auflösung ein Grund vorliegt, keinen Einfluss, wenn nicht im Gesellschaftsvertrag der GmbH gemäß § 60 Abs. 2 GmbHG etwas anderes bestimmt ist. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Komplementär GmbH führt zu deren Auflösung gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG und nach § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB zum Ausscheiden der GmbH aus der KG. Karsten Schmidt9 hält diese Rechtsfolge nicht in jedem Fall für sachgerecht. Er schlägt im Falle einer Simultaninsolvenz, bei dem (nahezu) gleichzeitig das Insolvenzverfahren über das Vermögen beider Gesellschaften eröffnet wird, vor, die Vorschrift des § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HGB teleologisch zu reduzieren, um ein Erlöschen der KG zu vermeiden und so ein Insolvenzverfahren über deren Vermögen zu ermöglichen10. Für eine solche Reduktion ist indes 1 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 60 GmbHG Rz. 28 ff.; Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 43, 45. 2 Uhlenbruck, GmbHR 2005, 817, 830. 3 Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 88 m.w.N. 4 S. dazu BayObLG v. 9.11.1989 – BReg.3 Z 17/89, DB 1990, 168 Rz. 15. 5 Fichtelmann, GmbHR 2005, 67, 69. 6 Fichtelmann, GmbHR 2005, 67, 73. 7 BayObLG v. 6.8.1987 – BReg.3 Z 106/87, GmbHR 1988, 60 = BB 1987, 2119. 8 Uhlenbruck, GmbHR 2005, 817, 830. 9 Karsten Schmidt in Scholz, 9. Aufl., vor § 64 GmbHG Rz. 158; ihm folgend Bitter in Scholz, 11. Aufl. 2014, vor § 64 GmbHG Rz. 204. 10 Ähnlich OLG Hamm v. 3.7.2003 – 15 W 375/02, GmbHR 2003, 1361, 1362.

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7. Teil: Die Gesellschaft im eröffneten Insolvenzverfahren

dann kein Raum vorhanden, wenn die Komplementär-GmbH gemäß § 394 FamFG als vermögenslos gelöscht und wegen tatsächlicher Vermögenslosigkeit vollbeendet ist1. Nach der Gegenansicht wird trotz Ausscheidens der Komplementär-GmbH ein über das KG-Vermögen eröffnetes Insolvenzverfahren in jedem Fall fortgeführt, bei Gesamtrechtsnachfolge auf den verbleibenden Kommanditisten als Partikularverfahren in analoger Anwendung der Vorschriften über die Nachlassinsolvenz (§§ 315 ff. InsO)2. 7.868 Der Anwendungsbereich des § 394 FamFG umfasst nach Abs. 4 der Vorschrift auch die GmbH & Co. KG. Die Vorschrift will verhindern, dass eine GmbH & Co. KG, die über kein Vermögen mehr verfügt, weiterhin am Geschäftsverkehr teilnimmt. Eine Löschung der GmbH & Co. KG im Handelsregister setzt, soweit sie sich auf die Vermögenslosigkeit bezieht, indes voraus, dass sowohl die KG als auch die Komplementär-GmbH vermögenslos sind (§ 394 Abs. 4 Satz 2 FamFG). Soweit eine GmbH & CO. KG nach § 131 Abs. 2 Nr. 2 HGB als vermögenslos gelöscht worden ist, scheidet ihre Fortsetzung aus. 7.869 Fortsetzungsfähig ist die GmbH & Co. KG nur, solange nicht mit der Verteilung des KG-Vermögens begonnen worden ist. Für die durch Insolvenzverfahrenseröffnung aufgelöste KG kann nach § 144 HGB die Fortsetzung beschlossen werden, wenn das Insolvenzverfahren nach Bestätigung des Insolvenzplans aufgehoben oder auf Antrag der Schuldnerin eingestellt ist3. Nach h.M. sind Fortsetzungsbeschlüsse über den Gesetzeswortlaut hinaus zulässig, wenn das Verfahren mangels Masse eingestellt oder nach dem Schlusstermin aufgehoben ist4. Soweit sich die Komplementär GmbH in der Insolvenz befindet, mangelt es der KG zur Fortsetzung an einem geeigneten Komplementär.

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Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 206. Albertus/Fischer, ZInsO 2005, 246 ff.; ausf. Bork/Jacoby, ZGR 2005, 611 ff. insbes. 650 ff. Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 229. Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 229 m.w.N.

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8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren A. Der Insolvenzplan I. Überblick 1. Planmotive Für den Schuldner stehen als Motive die Restschuldbefreiung (§§ 1 Satz 2, 227 8.1 InsO) und Erhaltung des Unternehmens (§ 1 Satz 1 InsO) im Vordergrund. Ein im Zusammenhang mit dem Suhrkamp-Verfahren in den Focus gerückter Nebeneffekt des eigentlich nur der besseren Gläubigerbefriedigung dienenden Gesellschafterwechsels ist eine Neuordnung des Gesellschafterkreises, namentlich durch Ausschluss oder Entmachtung eines lästigen Gesellschafters1. Deshalb sehen einige den Insolvenzplan schon als „gesellschaftsrechtliches Universalwerkzeug“2 an, was andere wiederum für eine missbräuchliche „Entrechtung der Gesellschafter“3 halten4. Vorrangiges Ziel bleibt jedoch die Gläubigerbefriedigung, was namentlich bedeutet, dass ein Insolvenzgrund von der die Umstrukturierung verfolgenden Gesellschaftergruppe nicht nur vorgeschoben werden darf. Die Neuordnung der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse ist nur legitim, wenn dies der Gläubigerbefriedigung dient. Der Erhalt des Unternehmens ließe sich auch dadurch erreichen, dass die Aktiva an eine aus den Gesellschaftern der Schuldnerin bestehende neue Gesellschaft verkauft werden würden. Gemäß § 162 InsO müsste darüber die Gläubigerversammlung befinden. Sie entscheidet mit einfacher Forderungsmehrheit (§ 76 Abs. 2 InsO). Über den Insolvenzplan wird hingegen in Gruppen abgestimmt (§§ 222, 243 InsO). In Verbindung mit dem Obstruktionsverbot reicht hingegen das Votum einer Minderheit aus, um dem Plan zum Erfolg zu verhelfen. Als Beispiel sei angenommen, dass die Banken 60 % der Forderungen auf sich vereinigen, die Lieferanten 25 % und diverse Vermieter 15 %. Für die Zustimmung einer Gruppe bedarf es der Kopf- und der Forderungsmehrheit (§ 244 Abs. 1 InsO). Für die Lieferanten- und die Vermietergruppe würden also gerundet 13 % bzw. 8 % der Forderungen genügen, einmal unterstellt, dass auch die Kopfmehrheit erreicht wird, für die viele kleine Gläubiger das Zünglein an der Waage sein können. Dann würden die jeweiligen gruppeninternen Mehrheiten von zusammen 21 % eine Gruppenmehrheit bilden. Diese Mehrheits-Mehrheit kann somit einen Insolvenzplan herbeiführen, selbst wenn die übrigen Gläubiger mit 79 % der Forderungen ihn ablehnen sollten; denn eine etwa fehlende Zustimmung der Bankengruppe würde als erteilt gelten, falls die Voraussetzungen des Obstruktionsverbots gemäß § 245 InsO vorlägen, wenn also insbesondere die in dieser Gruppe vertretenen Gläubiger nicht schlechter gestellt werden würden als ohne Plan (zu den Einzelheiten s. Rz. 8.65 ff.). 1 Vgl. die Fallgestaltungen bei BVerfG v. 17.10.2013 – 2 BvR 1978/13, ZIP 2013, 2163; BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442 Rz. 41 f. = AG 2014, 779. 2 Eidenmüller, NJW 2014, 17. 3 Müller, DB 2014, 41. 4 Der Streit basiert auf den unterschiedlichen Wertungen der „Gesellschaftsrechtler“ einerseits, z.B. Schäfer, ZIP 2014, 2417; Wertenbruch, ZIP 2013, 1693 und der „Insolvenzrechtler“ andererseits, z.B. Hölzle, ZIP 2014, 1819; Thole, ZIP 2013, 1937.

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8.2

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

8.2 Damit hat das Planverfahren neben dem Erhalt des Unternehmens und dem Fortbestehen des Schuldners als Unternehmensträger (§ 259 Abs. 1 Satz 2 InsO) auch den Zweck, den Willensbildungsprozess zu verändern. Besonders deutlich wird dies, seitdem verfahrensleitende Pläne (§ 217 Abs. 1 InsO: „Verfahrensabwicklung“) zulässig geworden sind. Damit kann in der Regelabwicklung all das, worüber Gläubigerausschuss oder Gläubigerversammlung mit Mehrheit entscheiden müssten, durch eine Mehrheits-Mehrheit via Insolvenzplan bestimmt werden. Dahinter steht die aus dem US-amerikanischen Chapter 11-Verfahren übernommene Vorstellung, dass die Willensbildung innerhalb von Interessengruppen zu sinnvolleren Ergebnissen führt als einfache Mehrheitsentscheidungen. 8.3 Für die Gläubiger steht als Motiv die bessere Befriedigung als bei der Regelabwicklung im Vordergrund. Das wird erreicht durch die indirekte Verwertung nicht übertragbarer Vermögensgegenstände wie beispielsweise Miet- oder Lizenzverträge. Während vor dem ESUG die Gläubiger von der Bereitschaft des Schuldners abhängig waren, einen Beitrag für die an der Gesellschaft „klebenden“ Werte zu zahlen, ermöglicht es § 225a InsO jetzt, die Gesellschafter durch den Insolvenzplan komplett auszuwechseln, so dass ein Investor auch die Vermögensgegenstände vergüten kann, die anderenfalls verloren gingen. 2. Plangegenstand 8.4 In einem Insolvenzplan dürfen nur die plandispositiven Rechte geregelt werden, die § 217 InsO abschließend1 aufzählt. Seitdem durch das ESUG auch die „Verfahrensabwicklung“ hinzugekommen ist, kann die gesamte Regelabwicklung im Plan modifiziert werden, nur dass das Ergebnis für die Beteiligten nicht verschlechtert werden darf (§ 251 InsO). Planresistent sind naturgemäß die Planvorschriften selbst sowie zentrale verfahrensrechtliche Bestimmungen, zu denen beispielsweise die Befugnisse des Insolvenzgerichts, die Unabhängigkeit und (wohl auch2) Haftung des Verwalters/Sachwalters sowie die Teilnahme der Gläubiger am Verfahren gehören. 8.5 Nach den Planzielen wird unterschieden zwischen einem Fortführungsplan, bei dem das schuldnerische Unternehmen zumindest teilweise vom Schuldner fortgeführt werden soll, einem Liquidationsplan, bei dem die Vermögensgegenstände einzeln oder in Gruppen veräußert werden, sowie einem verfahrensleitenden Plan, mit dem einige Abwicklungsvorschriften modifiziert werden. Die ersten führen zu einer Aufhebung des Insolvenzverfahrens, während der verfahrensleitende Plan die Fortsetzung des Verfahrens zu den im Plan geregelten Bedingungen bezweckt. Mischformen wie beispielsweise ein verfahrensleitender Liquidationsplan sind zulässig, weil seit dem ESUG große Gestaltungsfreiheit herrscht. In der Praxis gibt es bisher aber nahezu ausschließlich Fortführungspläne3. 1 BGH v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09, ZIP 2010, 1039 Rz. 21 = AG 2010, 491; BGH v. 5.2. 2009 – IX ZB 230/07, ZIP 2009, 480 Rz. 25 (beide jeweils zum Recht vor der Ergänzung des § 217 InsO um verfahrensleitende Pläne). 2 Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 217 InsO Rz. 9. 3 Zur Ausnahme eines – vor dem ESUG noch unzulässigen – verfahrensleitenden Plans s. BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, ZIP 2009, 480.

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Der Insolvenzplan

8.8

II. Einzelheiten zum Planinhalt 1. Darstellender Teil, Plananlagen Der Planinhalt soll den Gläubigern laut § 220 Abs. 2 InsO die Entscheidung darü- 8.6 ber ermöglichen, ob sie das Ergebnis einer Regelabwicklung zugunsten des Planergebnisses investieren wollen1. Außerdem muss das Gericht in die Lage versetzt werden, die inhaltliche Prüfung nach §§ 231, 250 InsO vorzunehmen und über ein Obstruktionsverbot (§ 245 InsO), einen Minderheitenschutzantrag (§ 251 InsO) sowie ein Rechtsmittel (§ 253 InsO) zu entscheiden. Deshalb ist als Erstes eine Vermögensübersicht erforderlich. Sie wird in § 229 8.7 InsO zwar nur für den Fall verlangt, dass die Gläubiger aus den Erträgen der Unternehmensfortführung befriedigt werden sollen, was sich aber auf die besonderen Fortführungswerte („bei einem Wirksamwerden des Plans“, § 229 Satz 1 InsO) bezieht, auf denen die Aufwendungen und Erträge (Plan-GuV) sowie die Liquiditätsentwicklung für den Zeitraum basieren, in dem die Gläubiger aus Fortführungserträgen befriedigt werden sollen. Unabhängig davon muss immer die Ist-Situation dargestellt werden. Ein Plan ohne Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO), Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) und Vermögensübersicht (§ 153 InsO) hat das Insolvenzgericht gemäß §§ 231 Abs. 1 Nr. 1, 250 Nr. 1 InsO zurückzuweisen2. Die Gliederungstiefe hängt von der wirtschaftlichen Bedeutung des Vermögensgegenstandes ab3. Eine Bewertung jedes einzelnen Gegenstandes, wie § 151 InsO sie vorschreibt, führt zur Unübersichtlichkeit und Scheingenauigkeit, weil sich sein Wert bei einer Fortführung nur aus dem Gesamtwert aller funktional zusammengehörenden Gegenstände ableiten lässt. Eine Einzeldarstellung macht hingegen Sinn, wenn eine Liquidation angestrebt wird, aber auch dort nur, soweit nicht funktional zusammengehörende Einheiten (z.B. Produktionsstraße, Gebäude mit Betriebsvorrichtungen) veräußert werden sollen. Ansonsten reicht eine Anlehnung an die Gruppen-Gliederung einer Bilanz mit Erläuterung besonders wichtiger Vermögensgegenstände. Bei einer Fortführung sind Angaben zum Unternehmenswert (Wert aller materiel- 8.8 len und immateriellen Vermögensgegenstände als Bewertungseinheit) schon im Hinblick auf etwaige Entscheidungen über das Obstruktionsverbot oder den Minderheitenschutz sinnvoll. Die Prüfungstiefe hängt von der Entscheidungsrelevanz ab. Stellen bspw. die Gesellschafter Mittel zur Gläubigerbefriedigung bereit, die jedweden Unternehmenswert übersteigen, bedarf es keiner aufwendigen Sachverständigengutachten. Gleiches gilt, wenn mit Einwänden gegen den Plan nicht zu rechnen ist. Für kleine Unternehmen gibt es häufig näherungsweise heranzuziehende Vergleichswerte4, so dass eine detaillierte Bewertung selten die Entscheidungsgrundlage verbessert. Nur bei Unternehmen, bei denen solche Vergleichswerte nicht existieren, müssen die künftigen Erfolge explizit geplant und bewertet werden5. Dann sollte schon dem darstellenden Teil ein Sachverständigengut1 2 3 4

BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012, 1640. BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012, 1640. BGH v. 3.12.2009 – IX ZB 30/09, ZIP 2010, 341. Zur Unternehmensbewertung mithilfe von Multiplikatoren bei kontinuierlichen Erträgen: Hachmeister/Ruthardt, DStR 2015, 1702 ff., 1769 ff. 5 IDW S 1, FN-IDW 2008, 271 ff.

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8.9

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

achten beigefügt werden. Das wird vom Gesetz zwar nicht verlangt, beschleunigt aber das Planverfahren, es sei denn, dass mit dissentierenden Beteiligten nicht gerechnet wird. Ein „Dual Track-Prozess“, bei dem das Unternehmen zum Verkauf angeboten wird, um einen Marktpreis zu ermitteln, ist hingegen nur erforderlich, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass Interessenten wegen der von ihnen realisierbaren Synergieeffekte einen höheren Preis zahlen würden als es dem Wert des Unternehmens in der Hand des Schuldners entspricht (Rz. 8.76, 9.36). 8.9 Bewertungen müssen durch eine Beschreibung der wirtschaftlichen Verhältnisse erläutert werden. Dazu sind die bisherige Entwicklung, die Krisenursachen, die gegenwärtige Lage, die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen bis hin zum Leitbild des sanierten Unternehmens darzustellen (§ 220 Abs. 1 InsO). Eines besonderen Sanierungsgutachtens bedarf es nicht zwingend, erst recht nicht in der Ausführlichkeit des IDW-Standards S 61. Auch ist nicht wie bei einem Schutzschirmantrag gemäß § 270b InsO die Sanierungsbescheinigung eines Sachverständigen beizufügen. Wichtig ist nur die nachvollziehbare und belastbare Erläuterung der Vermögensverhältnisse und künftigen Entwicklung, soweit sie für die Meinungsbildung der Gläubiger und eine streitige Entscheidung des Gerichts erforderlich sind (§ 220 InsO). Dazu gehört auch eine Vergleichsrechnung mit den Ergebnissen für die Gläubiger – und zwar auch für die gesicherten Gläubiger – bei einem Scheitern des Plans. Die Ausführlichkeit der Darstellung und ihre Unterlegung durch Sachverständigengutachten hängen letztlich von der Komplexität des Einzelfalls ab und insbesondere auch von der Vertrauenswerbung, die betrieben werden muss, um die Beteiligten von dem Plan zu überzeugen. 8.10 Besonders wichtig ist die Erläuterung der insolvenzspezifischen Ansprüche aufgrund einer etwaigen Geschäftsführerhaftung gemäß § 64 GmbHG oder Anfechtungen gemäß §§ 129 ff. InsO. Auch Ansprüche aus Einlageverpflichtungen oder Einlagenrückgewähr sind aufzunehmen. All das sollte nach Grund und Drittschuldner aufgeschlüsselt werden, weil zusammengefasste Positionen keine Beurteilung der Erfolgsaussichten und Risiken ihrer Durchsetzung zulassen. Eine „Scheu“ vor transparenten Verhältnissen ist bei Forderungen gegen nahestehende Personen und wesentliche Geschäftspartner naturgemäß verbreitet. Unvollständige Angaben führen aber zu einer Versagung der Bestätigung2. Zumindest führen sie zu Verzögerungen wegen Nachfragen des Insolvenzgerichts. Auch droht bei einem in der Eigenverwaltung eingereichten Plan ein Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung (§ 272 InsO). Die Planvorlage bewirkt keine Aufhebungssperre. Außerdem kann aus fehlerhaften Darstellungen eine Haftung der Geschäftsführung und, soweit er mitgewirkt (§ 284 Abs. 1 Satz 2 InsO) oder über Nachteile nicht informiert hat (§ 274 Abs. 3 InsO), des Sachwalters folgen. 2. Plangestaltungen 8.11 Der gestaltende Teil des Plans betrifft laut § 221 Satz 1 InsO die Veränderungen der Rechtsstellung der Beteiligten. Die Planwirkungen treten mit Rechtskraft der Bestätigung in Kraft (§§ 254 ff. InsO). Deshalb müssen die Gestaltungen – soweit nicht auch sachenrechtliche Änderungen vorgenommen werden – den schuld1 FN-IDW 2012, 719 ff. 2 BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012, 1640.

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Der Insolvenzplan

8.13

rechtlichen Anforderungen an Rechtsänderungen bzw. -begründungen genügen, was letztlich nur bedeutet, dass ein Dissens zu vermeiden ist1. Für die Insolvenzgläubiger ist festzulegen, wann sie welche Zahlungen erhalten sollen. Beides muss nicht terminlich oder betraglich fixiert, sondern kann auch von Bedingungen abhängig gemacht werden wie beispielsweise dem Erfolg einer Unternehmensfortführung. Das ist dann zwar gemäß § 257 InsO nur vollstreckbar, wenn die Fälligkeitsvoraussetzungen durch öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen werden2, aber immerhin eine Regelung, die sich für eine Planüberwachung (§ 260 InsO) eignet. Ebenso kann für die gesicherten Gläubiger festgelegt werden, wann und unter welchen Voraussetzungen sie welche Verwertungserlöse erhalten, wobei auch hier der Betrag von den Modalitäten der Verwertung abhängig gemacht werden kann. Bei einem verfahrensleitenden Plan kann für die Insolvenzgläubiger geregelt werden, wie ihre Forderungen berechnet werden3. Sollen Sicherungsrechte geändert werden, ist zu unterscheiden zwischen nur 8.12 schuldrechtlichen Änderungsabsprachen, die noch des Vollzuges bedürfen, und solche Abreden, die mit der Planbestätigung gemäß § 254a InsO wirksam werden sollen. Sie müssen dann dem sachenrechtlichen Gebot der Bestimmtheit bzw. bei Forderungen der Bestimmbarkeit und bei registrierten Gegenständen den besonderen dafür geltenden Anforderungen genügen (§ 228 InsO). Die Formerfordernisse wie insbesondere die notarielle Beurkundung gelten als durch den Plan gewahrt (§ 254a Abs. 1 InsO). Die Parteien der Rechtsänderungen müssen nicht zu den in § 222 InsO genannten 8.13 Beteiligten gehören. Auch vom Insolvenzverfahren nicht betroffene Dritte können sich dem Plan unterwerfen. § 230 Abs. 3 InsO spricht zwar nur von Verpflichtungen der Dritten gegenüber den Gläubigern. Das beschränkt sich jedoch nicht auf Plangaranten, gegen die Ansprüche der Gläubiger begründet werden. Auch die Verpflichtung eines Dritten beispielsweise zum Verkauf eines für die Betriebsfortführung notwendigen Gegenstandes oder zu einer Sacheinlage im Rahmen einer Kapitalerhöhung (s. hierzu § 230 Abs. 2 InsO) ist eine Verpflichtung, die unmittelbar zwar den Schuldner betrifft, gleichwohl aber auch im Interesse des Gläubigers liegt, weil davon die Realisierung des Planergebnisses abhängt. Deshalb bezieht § 254a Abs. 3 InsO die Einhaltung der Formvoraussetzungen allgemein auf sämtliche „Verpflichtungserklärungen“. Alternativ zur Aufnahme solcher Rechtsänderungen in den Plan kann ihre Durchführung auch als Bedingung vorgesehen werden. Sie muss vor der Planbestätigung vollzogen werden (§ 249 InsO). Sinnvoll ist eine solche separate Durchführung der Rechtsänderung, wenn darü1 Zur Auslegung s. Spliedt in Karsten Schmidt, Einl. § 217 InsO Rz. 5. 2 Dazu Spliedt in Karsten Schmidt, § 257 InsO Rz. 8. 3 Vor der Ergänzung des § 217 InsO um verfahrensleitende Pläne hat BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, ZIP 2009, 480 f. Rz. 25 f. eine Änderung der Vorgehensweise bei der Forderungsfeststellung noch für unzulässig gehalten, weil durch Mehrheitsbeschluss einzelnen Gläubigern die Forderung nicht entzogen werden darf. Die Begründung hat auch nach der Ergänzung des § 217 InsO Bedeutung, steht aber nunmehr im Konflikt mit §§ 245, 251 InsO, die eine Prüfung erst nach der Ablehnung durch eine Gruppe oder einen einzelnen Beteiligten zulassen, während planfeste Rechte von Amts wegen zu berücksichtigen sind. Die Grenze ist dort zu ziehen, wo ein Planeingriff in das Verfahren zur Feststellung von Forderungen nicht mehr durch eine unsichere Tatsachen- oder Rechtslage motiviert ist.

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8.14

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

ber bis zur Planvorlage mit den Dritten noch nicht in sämtlichen Punkten Einvernehmen erzielt werden konnte. 8.14 Der Insolvenzverwalter kann im Plan zu Ergänzungen und Durchführungsmaßnahmen bevollmächtigt werden (§ 221 Satz 2 InsO). Von der Vollmacht darf aber nur Gebrauch gemacht werden, wenn die Plangestaltung keinen Raum für einen Dissens lässt. In der Eigenverwaltung nimmt der Schuldner die Aufgaben des Insolvenzverwalters als Amtswalter1 wahr (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Wegen seiner unmittelbaren Betroffenheit von den Planregelungen ist die Erteilung der Durchführungsvollmacht an ihn jedoch unzulässig. Da der Wortlaut des § 221 InsO diesen Fall nicht ausdrücklich erfasst, ist im Wege der ergänzenden Auslegung eine Bevollmächtigung des Sachwalters als zulässig anzusehen2. 8.15 Ohne eine ausdrückliche Bestimmung im Plan wird die Rechtsstellung der Beteiligten nicht beeinträchtigt (§§ 223 Abs. 1, 224, 225a Abs. 1 InsO). Nur die nachrangigen Forderungen gelten bei einem Schweigen des Plans als erlassen (§ 225 Abs. 1, 3 InsO). Das gilt hingegen nicht für die Anteilsinhaber, obwohl sie wirtschaftlich als nach-nachrangige Gläubiger angesehen werden. Ihre Rechte ändern sich wie die anderer Beteiligter nur, wenn dies im Plan ausdrücklich vorgesehen ist und für sie eine gesonderte Gruppe gebildet wird (§§ 222 Abs. 1 Nr. 4, 225a Abs. 1 InsO). 3. Gruppenbildung 8.16 Die Gruppenbildung ist das Einfallstor für die Mehrheits-Mehrheit, mit der eine Forderungsminderheit das Verfahrensergebnis bestimmen kann (s. Rz. 8.1). Das taktische Motiv für die Gruppenbildung ist neben der Mehrheitsbeschaffung die formale Pflicht zur Gleichbehandlung der Gruppenmitglieder gemäß § 226 Abs. 1 InsO. Bei den Insolvenzgläubigern mögen bspw. Großgläubiger an der Erhaltung der Gesellschaft interessiert sein. Würden sie in einer Gruppe mit verärgerten Kleingläubigern zusammengefasst werden, läuft der Planverfasser Gefahr, dass die für die Abstimmung erforderliche Kopfmehrheit nicht erreicht wird. Deshalb wird er den Kleingläubigern eine höhere Quote anbieten, was aber wegen des Gleichbehandlungsgebots die Bildung einer gesonderten Kleingläubigergruppe erfordert. Allerdings kann an dieser Besserstellung das Obstruktionsverbot scheitern, vgl. § 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO. 8.17 Eine Unterteilung der Gläubiger in Gruppen ist andererseits aber auch nicht zwingend. Nur für den Pensionssicherungsverein sieht § 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG eine Pflichtgruppe vor, wenn er Versorgungsleistungen übernehmen muss. Im Übrigen kann sich der Plan auf eine einzige Gruppe aus den Insolvenzgläubigern beschränken3. Das Abstimmungsverfahren bei einem Ein-Gruppen-Plan unterscheidet sich von dem in der Gläubigerversammlung dadurch, dass es für die Planannahme neben der Summen- auch der Kopfmehrheit bedarf (§ 244 Abs. 1 InsO), während in der Gläubigerversammlung die Summenmehrheit genügt (§ 76 Abs. 2 InsO). 1 Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 270 InsO Rz. 141. 2 Thies in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 221 InsO Rz. 11. 3 AG Duisburg v. 15.8.2001 – 43 IN 40/00, NZI 2001, 605.

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Der Insolvenzplan

8.19

Beteiligte, in deren Rechtsstellung nicht eingegriffen wird, sind im Plan nicht zu 8.18 berücksichtigen. Etwas anderes gilt, wie soeben erwähnt, für die nachrangigen Insolvenzgläubiger, deren Forderungen gemäß § 225 InsO als erlassen gelten. Für sie ist eine Gruppe nur zu bilden, wenn sie ausnahmsweise eine Quote erhalten sollen (§ 222 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Ansonsten sind Gruppen für Beteiligte mit unterschiedlichen Rechtstellungen zu bilden (§ 222 Abs. 1 Satz 1 InsO). Darin liegt die Legitimation für die Mehrheits-Mehrheit: Nur wenn Gruppenangehörige nicht von Beteiligten mit einer anderen Rechtsposition majorisiert werden können, ist es gerechtfertigt, der Entscheidung einer Mehrheit der Gruppen eine Richtigkeitsgewähr beizumessen, die ein Obstruktionsverbot der Minderheit der Gruppen rechtfertigt (§ 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Erfüllt nur ein Beteiligter ein bestimmtes Kriterium (z.B. Vermieter des Betriebsgrundstücks), darf eine Gruppe auch nur aus ihm bestehen1. Für Arbeitnehmer sieht das Gesetz wegen der besonderen Rechtsnatur ihrer Ansprüche in § 222 Abs. 3 InsO eine besondere Gruppe vor, wenn sie mit erheblichen Forderungen beteiligt sind (dazu Rz. 8.96 ff.). Die Erheblichkeit wird aus der Arbeitnehmersicht definiert. Auf den Anteil ihrer Forderungen an den gesamten Verbindlichkeiten kommt es nicht an2. In der Praxis hat eine solche „Soll-Gruppe“ kaum Bedeutung, weil den Mitarbeitern wegen des mit dem Insolvenzgeld verbundenen Anspruchsübergangs nur die Vergütungsansprüche verbleiben, die die Beitragsbemessungsgrenze übersteigen. Auch wenn deshalb nur wenige Arbeitnehmer betroffen und die Voraussetzungen für die Soll-Gruppe nach § 222 Abs. 3 InsO nicht erfüllt sind, darf aus ihnen eine „Kann-Gruppe“ wegen der besonderen Interessenlage gebildet werden. Davon wird ein Planinitiator zur Mehrheitsbildung regelmäßig Gebrauch machen, weil den Arbeitnehmern an einer Erhaltung ihrer Arbeitsplätze und damit auch an der Annahme eines Insolvenzplans gelegen ist, so dass er auf die Zustimmung dieser Gruppe zählen kann. Zu den Kleingläubigern und den geringfügig beteiligten Anteilseignern heißt es in § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO, dass für sie gesonderte Gruppen gebildeten werden können. Die Beteiligten gleicher Rechtsstellung können weiter unterteilt werden in Betei- 8.19 ligte mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen (§ 222 Abs. 2 InsO). Ob dafür allein das Interesse am Planerfolg ausreicht, ist zweifelhaft. Dann könnte die Legitimationsgrundlage für die Mehrheits-Mehrheit – nämlich den Erfolgswillen nur innerhalb einer gleichartigen Gruppe durchsetzen zu können – unterlaufen werden. Der BGH hat es ausreichen lassen, dass sich die unterschiedlichen Interessen aus den Planwirkungen ergeben3. Das ist mehr als nur das Interesse an der erwarteten Quote, bspw. also zusätzlich an der Erhaltung des Arbeitsplatzes oder einer Fortsetzung der Geschäftsverbindung oder auch einer weiteren Beteiligung als Gesellschafter. Es dürfen mithin Lieferanten gleichartiger Gegenstände zu gleichartigen Preisen verschiedenen Gruppen zugeordnet werden, wenn mit dem einen die Geschäftsverbindung fortgesetzt werden soll, mit dem anderen hingegen nicht. Dadurch wird nicht das Gleichbehandlungsgebot des § 226 Abs. 1 InsO verletzt; denn dieses Gebot knüpft an die Gruppenmitgliedschaft an, nicht

1 Spliedt in Karsten Schmidt, § 223 InsO Rz. 24. 2 Spliedt in Karsten Schmidt, § 222 InsO Rz. 19. 3 BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648 unter III.4.b).

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8.20

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

an die Rechtsstellung als Lieferant. Sonst wäre eine zusätzliche Differenzierung nach wirtschaftlichen Interessen nicht möglich. 8.20 Eine besondere Rechtsstellung haben absonderungsberechtigte Gläubiger. Sie sind Insolvenzgläubiger, müssen sich aber den Sicherheitenerlös auf ihre Quote anrechnen lassen. In der Gruppe der Insolvenzgläubiger sind sie deshalb nur mit dem mutmaßlichen Ausfall zu berücksichtigen1. Wird in ihr Sicherungsrecht eingegriffen, ist für die betroffenen Gläubiger gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine gesonderte Gruppe zu bilden, in der sie ein Stimmrecht nach Maßgabe des Sicherungswertes haben. Die Eingriffe in Sicherungsrechte können reichen von einer Verzögerung einer Verwertung über einen Sicherheitentausch bis hin zum gänzlichen Verlust des Sicherungsrechts. Zivilrechtlich wäre die Mitwirkung des Sicherungsnehmers an einer dinglichen Rechtsänderung erforderlich, die durch die rechtskräftige Planbestätigung fingiert wird (§§ 254 Abs. 1, 254a Abs. 1 InsO), selbst wenn der betroffene Gläubiger am Planverfahren nicht teilgenommen oder dem Plan gar widersprochen hat (§ 254b InsO). Diese Möglichkeit zum Eingriff in individuelle Sicherungsrechte ist die Konsequenz der Einbindung von absonderungsberechtigen Gläubigern auch in die Regelabwicklung. Anders verhält es sich hingegen mit den aussonderungsberechtigten Gläubigern, deren Rechte nicht durch die InsO begrenzt werden, sondern sich gemäß § 47 InsO nach den Gesetzen außerhalb des Verfahrens richten. Das gilt auch für diejenigen aussonderungsberechtigten Gläubiger, die, wie insbesondere Eigentumsvorbehaltslieferanten, eine wirtschaftlich einem Sicherungsgeber vergleichbare Position innehaben. 8.21 Die janusköpfige Beteiligung der gesicherten Gläubiger mit ihrer Ausfallforderung in der Gruppe der Insolvenzgläubiger und mit dem gesicherten Teil ihrer Forderung in der Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger birgt die Gefahr der verschleierten Ungleichbehandlung. Ist für die gesicherten Gläubiger bspw. eine Quote von 90 % ihrer Forderungen vorgesehen, entspricht der Wert der Sicherheiten dem aber nicht, erhalten sie de facto diese Quote auch auf ihre ungedeckte Forderung. Das wäre eine erhebliche Besserstellung, wenn auf andere Insolvenzforderungen bspw. nur 15 % entfielen. Sie kommt dadurch zustande, dass die gesicherten Gläubiger auch mit ihrer Ausfallforderung der „Absonderungsgruppe“ zugeordnet wurden. Darin wird ein Verstoß gegen die von § 222 Abs. 2 InsO geforderte sachgerechte Abgrenzung gesehen, der schlagwortartig als das „Verbot von Mischgruppen“ bezeichnet wird2. An der Berechtigung eines solchen Verbots gibt es Zweifel, weil das Gleichbehandlungsgebot nur gruppenintern, nicht aber gruppenübergreifend gilt (s. oben Rz. 8.1). So könnte eine eigene Gruppe für Ausfallforderungen gebildet werden3. Wäre die darauf entfallende Quote höher als die auf andere Insolvenzforderungen, wäre das nur im Rahmen des Obstruktionsverbots oder des Minderheitenschutzes zu prüfen. Voraussetzung für eine solche Prüfung aber wäre eine Ablehnung des Plans durch eine Gruppe oder der Schutzantrag eines Beteiligten. Würde man stattdessen eine Mischgruppe ohne Rücksicht auf das Votum der Beteiligten für unzulässig halten, wäre der Plan schon 1 Anders ist es in der Gläubigerversammlung, in der sich ihr Stimmrecht nach ihrer Nominalforderung bemisst. 2 BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648. 3 Thies in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 222 InsO Rz. 9.

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Der Insolvenzplan

8.23

von Amts wegen im Rahmen der §§ 231 Abs. 1 Nr. 1, 250 InsO zu beanstanden. Dagegen spricht, dass eine Bewertung je nach Vermögensgegenstand einen erheblichen Beurteilungsspielraum eröffnet, den auszufüllen in erster Linie die Gläubiger aufgerufen sind, weil die Dispositionsbefugnis über die Befriedigungsquoten bei ihnen liegt1. Selbst aber wenn man mit der hier vertretenen Ansicht Mischgruppen für zulässig hält, müssen die Kriterien für die Gruppenbildung erläutert werden (§ 222 Abs. 2 Satz 3 InsO). Dazu gehört in erster Linie die Bewertung der Sicherheiten, weil nur dann deutlich wird, ob ein verkappter (Ausfall-)Insolvenzgläubiger in der Gruppe der Sicherheitengläubiger ist. Fehlt schon diese Erläuterung, ist der Plan von Amts wegen zurückzuweisen, nicht aber allein deshalb, weil das Gericht die Bewertung für falsch hält und deshalb eine verbotene Mischgruppe annimmt. Für die Bewertung des Sicherungsguts ist nach Auffassung des BGH der Fortfüh- 8.22 rungswert heranzuziehen2, wenn der Gegenstand weiterhin der Geschäftstätigkeit dienen soll. Es gibt jedoch keinen Grund, den Sicherungsgläubiger besser zu stellen als ohne Insolvenzplan. Mit dem Ansatz von Fortführungswerten wollte der BGH allerdings auch keinen Anspruch des Sicherungsgläubigers auf einen Erlös zu Fortführungswerten begründen, sondern nur eine Rechtfertigung für die höhere Quote im Vergleich zu den ungesicherten Gläubigern schaffen3. Insofern trifft es zu, dass eine Gruppe ungesicherter Gläubiger ihre Planablehnung nicht darauf stützen darf, dass die Ausfallforderung einiger gesicherter Gläubiger zu gering berechnet wurde, weil zu ihren Gunsten Fortführungswerte angesetzt wurden und sie deshalb auf einen eigentlich höheren Ausfall eine bessere Quote als die gänzlich ungesicherten Gläubiger beziehen. Wurden aber die Liquidationswerte angesetzt, darf der Plan nicht von Amts wegen zurückgewiesen werden. Vielmehr ist es das Vorrecht der Absonderungsgläubiger, den Plan abzulehnen, weil sie bei einer Regelabwicklung höhere Werte erzielen würden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Liquidationswert nicht identisch ist mit dem EinzelZerschlagungswert. Vielmehr kommt es auf die Zerschlagungsintensität an. Lässt sich eine Vermögensgesamtheit – technische Maschinengruppen über Teilbetriebe bis hin zum gesamten Unternehmen – besser veräußern als der einzelne Gegenstand, ist der dabei erzielbare Teilwert anzusetzen, auch wenn die Aufteilung wieder mit Unsicherheiten verbunden ist. Insofern kann also der Liquidationswert aus der Sicht des Verkäufers durchaus ein Fortführungswert aus der Sicht des Erwerbers sein. 4. Einbeziehung der Gesellschafter a) Gestaltungsmöglichkeiten Der durch das ESUG in die InsO eingefügte § 225a InsO eröffnet die Möglichkeit, 8.23 die Anteilseigner in den Insolvenzplan einzubeziehen und insbesondere durch 1 Denkbar wäre aber ein gruppeninterner Verstoß gegen § 226 InsO, wenn ein Sicherungsgläubiger mehr als den tatsächlichen Sicherungswert erhält. Auch dann aber liegt die Dispositionsbefugnis vorrangig bei den anderen Gruppenmitgliedern (§ 226 Abs. 2 InsO). 2 BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648. 3 BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648.

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8.24

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

neue Investoren zu ersetzen. Dadurch können nicht übertragbare Vermögensgegenstände wie beispielsweise Genehmigungen, Lizenzen oder Mietverträge über einen share deal vergütet werden. Ein Nebeneffekt ist die Erleichterung der Eigensanierung durch den Ausschluss lästiger Gesellschafter1, der jedenfalls dann der Gläubigerbefriedigung dient, wenn ein Gesellschafterstreit zur Beeinträchtigung der operativen Geschäftstätigkeit führt. 8.24 § 225a Abs. 3 InsO öffnet den Plan für jede gesellschaftsrechtlich zulässige Regelung. Dazu gehören bspw. Kapitalerhöhungen, Umwandlungen2 bzw. Ausgliederungen3, die Beteiligung neuer Gesellschafter, der Ausschluss von Bezugsrechten oder die Abfindung ausscheidender Gesellschafter. 8.25 Gesondert erwähnt § 225a InsO, dass schon im Plan eine Fortsetzung der durch die Insolvenzeröffnung aufgelösten Gesellschaft beschlossen werden darf. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG lässt einen solchen Fortsetzungsbeschluss zwar erst nach Aufhebung des Verfahrens zu. Angesichts der schon mit der Rechtskraft der Planbestätigung eintretenden Wirkungen, die eine Überschuldung beseitigen, ist § 225a InsO dahingehend zu verstehen, dass der Fortsetzungsbeschluss nicht erst unter der aufschiebenden Bedingung wirksam werden soll, dass das Insolvenzverfahren formell aufgehoben wird. Vielmehr kann er schon mit Rechtskraft der Planbestätigung wirksam werden4. b) Debt-Equity-Swap 8.26 Besonders hervor hebt das Gesetz die Beteiligung der Gläubiger gegen Einlage der Insolvenzforderung (Debt-Equity-Swap; dazu auch Rz. 2.395). Davon wird in der Praxis aber nur Gebrauch gemacht, wenn Gläubiger über einen Forderungskauf von vornherein die Übernahme der Schuldnerin beabsichtigt haben („loan to own“), um dort nach einem Insolvenzplan stille Reserven zu „heben“. Ansonsten macht die Einlage von Forderungen wenig Sinn, weil eine insolvente Gesellschaft meist „fresh money“ braucht und sich die aus „old money“ resultierende Überschuldung schon durch die mit dem Plan gemäß § 227 InsO verbundene Haftungsbefreiung erledigt. 8.27 Bei einem Swap bringt der Gläubiger seine Forderung als Sacheinlage ein und erhält dafür einen Geschäftsanteil an der Gesellschaft. Wegen des Vollwertigkeitsgebots des § 9 GmbHG wird die Bewertung der Forderung als ein Problem angesehen, obwohl eine eigene Schuld aus Sicht der Gesellschaft immer vollwertig ist5. Die Einlage der gegen die Gesellschaft selbst gerichteten Forderung ist nicht 1 S. zum „Sanieren oder Ausscheiden“ BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289 Rz. 28 ff. = GmbHR 2010, 32 m. Komm. Ulrich; BGH v. 25.1.2011 – II ZR 122/09, ZIP 2011, 768 Rz. 19 ff. = GmbHR 2011, 529 m. Komm. Ulrich; BGH v. 19.11.2013 – II ZR 150/12, ZIP 2014, 565 Rz. 18, 27; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, ZIP 2014, 2231 Rz. 18 f. = GmbHR 2014, 1303 m. Komm. Ulrich/Schlichting. 2 Vgl. den Suhrkamp-Fall, BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442 = AG 2014, 779. 3 Simon/Brünkmans, ZIP 2014, 657. 4 Vgl. zur Beschlussfassung außerhalb des Insolvenzverfahrens Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 179 ff. 5 Spliedt, GmbHR 2012, 462 ff.

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Der Insolvenzplan

8.30

vergleichbar mit der Einlage mit einer Forderung, die gegenüber Dritten besteht. Die überwiegende Meinung hält gleichwohl daran fest, dass die im Wege des Debt-Equity-Swaps eingebrachte Forderung nur mit dem Verkehrswert angesetzt werden darf, der auch bei einer Einbringung der Forderung in eine andere Gesellschaft zugrunde zu legen wäre. Bei gesicherten Gläubigern ist das der Verwertungserlös für das Absonderungsgut und die Quote auf den ungedeckten Teil, bei ungesicherten Forderungen nur die Quote. Diese Werte sind mit Prognoseunsicherheiten behaftet, so dass der in die Gesellschaft hineinwechselnde Gläubiger später Gefahr läuft, Differenzhaftungsansprüchen gemäß § 9 GmbHG ausgesetzt zu sein. Um einen Anreiz für den Debt-Equity-Swap zu bieten, bestimmt § 254 Abs. 4 InsO, dass der Schuldner nach der gerichtlichen Bestätigung keine Ansprüche wegen einer Überbewertung geltend machen kann. Gleiches gilt für spätere Gläubiger oder den Verwalter in einem Folgeinsolvenzverfahren, weil die Differenzhaftung ein Anspruch der Gesellschaft ist. § 254 Abs. 4 InsO will nur Bewertungsunsicherheiten vermeiden, ist aber kein 8.28 Freibrief für sichere Überbewertungen. Eine gezielte Umgehung des Vollwertigkeitsgebots ist ein Verstoß gegen den Inhalt des Plans und gebietet eine Zurückweisung durch das Insolvenzgericht gemäß §§ 231 Abs. 1 Nr. 1, 250 Abs. 1 InsO. Voraussetzung ist jedoch eine evidente und zudem nicht unwesentliche (vgl. § 9c Abs. 1 GmbHG) Überbewertung, weil anderenfalls das Ziel der Haftungsbefreiung nicht erreicht werden würde. Weist das Insolvenzgericht gleichwohl den Plan nicht zurück, kommt eine spätere Differenzhaftung in Betracht, weil § 254 Abs. 4 InsO teleologisch dahingehend zu reduzieren ist, dass unvertretbare Überbewertungen nicht erfasst werden sollen. c) Minderheitenschutz Die in § 225a Abs. 3 InsO erwähnte gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit meint 8.29 nur die formelle Zulässigkeit nach gesellschaftsrechtlichen Vorschriften, nicht aber auch die inhaltliche Zulässigkeit im Verhältnis der Gesellschafter zueinander. Eine Inhaltskontrolle auf eine sachliche Rechtfertigung oder die Einhaltung der Treuepflicht findet nicht statt. Dies hat aus Anlass des Suhrkamp-Verfahrens zu einer Diskussion darüber geführt, ob gesellschaftsrechtliche Bindungen vollständig suspendiert sind. Dafür spricht, dass es für das Stimmrecht des Gesellschafters gemäß § 238a InsO nur auf dessen Anteil am gezeichneten Kapital ankommt. Der Gesellschafter wird nach dem Rechtsgedanken des § 199 InsO wie ein letztrangiger Gläubiger behandelt, dessen Verfahrensrechte nur nach finanziellen Kriterien bemessen werden. Sonderstimmrechte oder Vetorechte oder auch Vereinbarungen der Gesellschafter untereinander haben keinen messbaren Wert, so dass sie das Stimmrecht im Planverfahren nicht beeinflussen. Daraus darf jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass diese Bindungen für die 8.30 Gesellschafter auch außerhalb des eigentlichen Planverfahrens keine Rolle spielen. Das Innenverhältnis zwischen den Gesellschaftern gehört zum insolvenzfreien Bereich (Rz. 9.130). Das Insolvenzgericht kann und darf darüber nicht befinden. Von dieser verfahrensrechtlichen Frage, ob und auf welche Weise das Innenverhältnis auf das Insolvenzplanverfahren durchschlagen kann, ist die Frage zu unterscheiden, ob sich das Innenverhältnis selbst durch die Insolvenz verändert. So muss eine Stimmbindungsvereinbarung keineswegs dieselbe Geltung Spliedt

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8.31

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

außerhalb eines Insolvenzverfahrens haben wie innerhalb. Auch sind die Treuepflichten in einem anderen Licht zu würdigen, wenn der ursprüngliche Fortführungszweck durch die Notwendigkeit überlagert wird, erst einmal die Insolvenzgründe zu beseitigen. 8.31 Die Treuepflicht im Planverfahren steht im Wechselverhältnis zu dem Gleichbehandlungsgebot des § 226 InsO. Sollte die sklavische Gleichbehandlung sämtlicher Anteilsinhaber geboten sein, bedarf es beispielsweise keiner Überprüfung eines Bezugsrechtsausschlusses anhand eines sachlichen Grundes oder einer Treuepflicht. Die Antwort hängt davon ab, ob sämtliche Anteilsinhaber in einer Gruppe angesiedelt werden müssen. Dagegen spricht schon § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO, der eine aus Kleingesellschaftern bestehende Gruppe ausdrücklich gestattet. Aber auch unabhängig davon sieht § 222 Abs. 2 InsO vor, dass Beteiligte mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen in Untergruppen zusammengefasst werden können, die im Planverfahren vollwertige Gruppen sind. Dass nach Gesellschaftergruppen unterschieden werden kann, sieht auch die Regierungsbegründung zum ESUG vor1. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der in § 225a Abs. 2 InsO ausdrücklich zugelassene Bezugsrechtsausschluss bei einer Gleichbehandlungspflicht sämtlicher Gesellschafter nur noch Bedeutung hätte, wenn davon alle Gesellschafter zugunsten eines neuen Gesellschafters betroffen wären, eine Einschränkung, die dem Ziel des ESUG, ein Verfahren zur Sanierung anzubieten, nicht gerecht werden würde. 8.32 Sind alle Gesellschafter in eine Gruppe eingebunden, stellt sich die Frage, ob sich die Gleichbehandlung auf den Planinhalt beschränkt oder auf die Planwirkung zu beziehen ist. Wird bspw. eine GmbH, in der Beschlüsse einer Mehrheit von 75 % bedürfen, in eine AG umgewandelt, dann mag der mit 25 % beteiligte Gesellschafter zwar dieselbe Beteiligungsquote behalten, aber er verliert seinen Einfluss, weil die Willensbildung in der AG anders abläuft als in der GmbH. Der Inhalt des Plans ist dann zwar für alle Gesellschafter gleich, weil jeder die gleichen Anteile an der umgewandelten Gesellschaft erhält, die Wirkungen aber völlig anders. Es spricht zwar einiges dafür, dass diese schon aus den Planunterlagen ersichtlichen unterschiedlichen Auswirkungen als ein Verstoß gegen § 226 Abs. 1 InsO anzusehen sind. Andererseits wiederholt sich hier der oben schon zum Verbot von Mischgruppen angesprochene Konflikt zwischen formellem und inhaltlichem Schutz. Es macht wenig Sinn, den Konflikt über das Gleichbehandlungsgebot innerhalb einer Gruppe zu lösen, wenn dieses Gebot durch die Bildung von zwei Gruppen mit unterschiedlicher Behandlung umgangen werden darf. Das kann durch die Bildung einer fortsetzenden und einer nicht fortsetzenden Gesellschafter-Gruppe geschehen oder in der bestehen bleibenden Gesellschaft – ohne Umwandlung – durch eine Kapitalherabsetzung auf „0“ mit anschließender Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts für eine Anteilsinhaber-Gruppe. Das bedeutet zwar eine Ungleichbehandlung der Gesellschafter, die aber insolvenzrechtlich zu akzeptieren ist. Man denke nur an die Situation, dass zur Sanierung neues Kapital benötigt wird und eine Gesellschaftergruppe nur bereit ist, es ohne die andere aufzubringen. Wäre die Beteiligung der anderen conditio sine qua non, würde die Sanierung scheitern. Die Frage könnte nur noch lauten, ob stattdessen die andere Gesellschaftergruppe den Vorrang hat, wenn auch sie das erfor1 BT-Drucks. 17/5712, S. 31.

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Der Insolvenzplan

8.34

derliche Kapital aufbringt. Diese Patt-Situation kann nur gelöst werden, indem diese Gruppe den Gläubigern schlichtweg ein besseres Angebot unterbreitet, über das im Abstimmungsverfahren zu entscheiden ist. Die außerhalb des Insolvenzverfahrens bestehende Option „Sanieren oder Ausscheiden“1 (s. auch Rz. 2.37 f.), die dem sanierungsbereiten Gesellschafter das Recht zur Teilnahme an der Sanierung einräumt, kann im Insolvenzplanverfahren nicht mehr gewährt werden2, solange keine vollständige Befriedigung der Gläubiger erreicht wird. Wird nach alldem eine Inhaltskontrolle der gesellschaftsrechtlich formal zulässi- 8.33 gen Regelung nicht schon durch das Gleichbehandlungsgebot ersetzt, bleibt entgegen der wohl überwiegenden Ansicht dafür außerhalb des Insolvenzverfahrens Raum3, was reaktiv nur im Wege des Schadensersatzes möglich ist4. In Betracht kommt auch eine einstweilige Verfügung zum Verhalten im Abstimmungstermin5, was aber auf eindeutige Fälle beschränkt ist, weil ein neuer Abstimmungstermin nur mit der Einreichung eines neuen Plans anberaumt werden kann, aus einer einstweiligen Regelung also meist eine endgültige werden würde6. Ein effizienter Schutz hinauszudrängender Gesellschafter wird deshalb nur über eine Einflussnahme auf den Insolvenzantrag und die Prüfung des Insolvenzgrundes zu erzielen sein. Ein Insolvenzantrag wegen nur drohender Zahlungsunfähigkeit bedarf eines Gesellschafterbeschlusses (Rz. 9.6), bei dessen Fassung die Hinausdrängungsabsicht noch nicht zutage getreten sein mag. Fehlt es sogar an einem Insolvenzgrund, kann ein Zurückdrängen lästiger Gesellschafter nicht mit dem Gläubigerinteresse gerechtfertigt werden. Allerdings ist der Insolvenzgrund von einer Geschäftsführung leicht herbeizuführen, so dass im Ergebnis dissentierende Gesellschafter nur geringe Schutzmöglichkeiten haben, die fortsetzungswilligen Gesellschafter dafür aber den Preis des Insolvenzverfahrens zahlen müssen. d) Obstruktionsverbot Bei einer Ablehnung des Plans durch eine Gruppe der Anteilseigner wird das für 8.34 ein Obstruktionsverbot notwendige allgemeine Angemessenheitskriterium (§ 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO) in § 245 Abs. 3 InsO auf das Verbot der Überbefriedigung und der Besserstellung gleichrangig Beteiligter konkretisiert. Zur Überbefriedigung gilt das Gleiche wie für die Insolvenzgläubiger (Rz. 8.68). Soweit es das Verbot der Besserstellung gleichrangiger Beteiligter betrifft, scheitert eine Zustimmungsersetzung der Gruppe, deren Mitglieder nicht mehr an der fortgesetzten Gesellschaft beteiligt werden sollen, nicht schon an dem Gleichbehandlungsgebot des § 226 InsO, weil das nur formal an die Gruppenzugehörigkeit anknüpft (s. Rz. 8.16). Der Ausschluss einzelner Gesellschafter verstößt auch nicht gegen die wirtschaftliche Gleichbehandlung des § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO, wenn die fort1 2 3 4

Zuletzt BGH v. 9.6.2015 – II ZR 420/13, ZIP 2015, 1626. Tendenziell a.A. Karsten Schmidt, ZGR 2012, 566, 580. Spliedt, ZInsO 2013, 2155 ff. Vgl. BGH v. 19.11.2013 – II ZR 150/12, ZIP 2014, 565 Rz. 18 zum Recht auf Beteiligung aller Gesellschafter an einer neuen Sanierungsgesellschaft, allerdings bezogen auf die Treuepflicht in der GbR. 5 Spliedt, ZInsO 2013, 2155 ff. 6 OLG Frankfurt v. 1.10.2013 – 5 U 145/13, ZIP 2013, 2018 gegen LG Frankfurt v. 10.9. 2013 – 3/09 96/13, ZIP 2013, 1831.

Spliedt

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8.35

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

setzenden Gesellschafter einen ihnen zufallenden Wert vergüten. Natürlich ist es auch möglich, dass sich die ausscheidenden Gesellschafter mit einer Beendigung ihrer Beteiligung ausdrücklich einverstanden erklären. Dann können sie sogar in derselben Gruppe wie die fortsetzenden Gesellschafter zusammengefasst werden (§ 226 Abs. 2 InsO). In der Regel wird das jedoch nur möglich sein, wenn die Gesellschafter eine Abfindung erhalten. Eine solche Regelung sieht § 225a Abs. 2 InsO ausdrücklich vor. Wird sie aus der Masse bezahlt, führt dies jedoch leicht zu einem Scheitern des Plans, weil die Zustimmung einer Gläubigergruppe wegen Zahlungen an nachrangige Beteiligte nicht mehr ersetzt werden kann (§ 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Ebenso wird ein Minderheitenschutzantrag leicht begründbar sein, weil es sich um Gelder handelt, die wahrscheinlich auch in der Regelabwicklung an die Gläubiger zu verteilen gewesen wären. Schließlich wird eine solche Abfindung wegen der bilanziellen Überschuldung am Verbot der Einlagenrückgewähr nur dann nicht scheitern, wenn im Zeitpunkt der Planbestätigung genügend freies Vermögen (wieder) vorhanden ist. 8.35 Statt einer Abfindungszahlung wäre an eine Ausgleichszahlung der fortsetzenden Gesellschafter an die ausscheidenden zu denken. Das ist nicht zu verwechseln mit den Mitteln, die gemäß § 251 Abs. 3 InsO zur Abwendung eines Minderheitenschutzantrages bereitgestellt werden. Vielmehr handelt es sich um Beträge, die zwar ausdrücklich im Plan für bestimmte Gesellschafter vorgesehen sind, aber von „außen“ durch die fortführenden Gesellschafter gezahlt werden. Nur ohne ausdrückliche Benennung im Plan dürfen solche Vereinbarungen nicht getroffen werden, weil § 226 Abs. 3 InsO einen nicht im Plan offengelegten „Stimmenkauf“ untersagt1. Auch wird dadurch die Zustimmungsersetzung einer ablehnenden Gläubigergruppe nicht verhindert, selbst wenn die Gläubiger nicht voll befriedigt werden. Zwar erhält eine an dem Schuldner beteiligte Person einen wirtschaftlichen Wert, was nach dem Wortlaut des § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO eine Zustimmungsersetzung hindern würde. Wird diese Anforderung aber so verstanden (s. Rz. 8.65), dass es damit um die Wahrung der bei einer Regelabwicklung zu berücksichtigenden Befriedigungsreihenfolge geht, tangieren außerhalb der Masse geleistete Zahlungen diese Reihenfolge nicht, weil sie in der Regelabwicklung nicht zu erzielen gewesen wären. Wäre das anders, wäre die nach § 226 Abs. 3 InsO ausdrücklich zugelassene offene Vorteilsgewährung nicht möglich. 8.36–8.40

vacat

1 BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, ZIP 2005, 719.

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Spliedt

Verfahrensablauf im Überblick

8.44

B. Verfahrensablauf I. Verfahrensablauf im Überblick Das Verfahren beginnt mit der Planvorlage, zu der nur der Verwalter und der 8.41 Schuldner berechtigt sind. Der Sachwalter in der Eigenverwaltung hat kein eigenes Planinitiativrecht, sondern kann einen Plan nur vorlegen, wenn er dazu von der Gläubigerversammlung beauftragt wird (§ 284 Abs. 1 InsO). Die Gläubigerversammlung wiederum hat das Initiativrecht, aber kein eigenes Vorlagerecht. Dazu muss sie den erwähnten Sachwalter oder – in der Regelabwicklung – den Insolvenzverwalter beauftragen (§ 218 Abs. 2 InsO). Da das Planverfahren eine Abweichung von der Regelabwicklung bedeutet, müs- 8.42 sen die Gläubiger darüber befinden, ob ihre dort erweiterte Quote zugunsten einer Planregelung investiert wird. Deshalb muss der Plan alle Informationen enthalten, die für eine solche Investitionsentscheidung benötigt werden, mithin in einem darstellenden Teil (§§ 220, 229 f. InsO) eine Erläuterung der wirtschaftlichen Verhältnisse und in einem gestaltenden Teil (§ 221 InsO) eine Festlegung der Investitionsmaßnahmen. Ergänzend bedarf es eines Verfahrensteils, in dem die Abstimmungsgruppen definiert werden (§ 222 InsO). Nach einer Vorprüfung (§ 231 InsO, Rz. 8.50 ff.) leitet das Insolvenzgericht den 8.43 Plan besonders betroffenen Personen und Gremien zur Stellungnahme zu (§ 232 InsO), um ihn sodann zur Einsichtnahme für alle Beteiligten niederzulegen (§ 234 InsO). Es folgt die Erörterung und Abstimmung des Plans, die regelmäßig in einem Termin erledigt und sogar mit der Prüfung der Forderungsanmeldungen verbunden werden kann (§§ 235 f., 241 f. InsO). Die letzte bedeutsame Hürde ist die Bestätigung des Plans durch das Insolvenzge- 8.44 richt (§ 248 InsO, Rz. 8.111 ff.). Sie ist die Voraussetzung für den Eintritt der Planwirkungen (§ 254 InsO) und die Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 258 InsO), falls es sich nicht um einen nur verfahrensleitenden Plan handelt. Die Bestätigung ist der Kulminationspunkt für sämtliche plannotwendigen Prüfungen des Gerichts und – mit Ausnahme des § 231 Abs. 3 InsO – einziger Gegenstand einer Beschwerde gegen den Plan (§ 253 InsO), da Zwischenentscheidungen wie insbesondere eine Stimmrechtsfestsetzung oder eine unterbliebene Zurückweisung (§ 231 Abs. 1 InsO) nicht gesondert angegriffen werden können. Für die Bestätigung muss das Gericht erneut prüfen, ob die Vorschriften über den Inhalt und die verfahrensmäßige Behandlung des Plans eingehalten wurden. Vor allem erstreckt sich die Prüfung darauf, ob bei einer Ablehnung des Plans durch einige Gruppen die Obstruktionsvoraussetzungen erfüllt sind, so dass deren Zustimmung fingiert wird (§ 245 InsO), und schließlich, ob bei einem Minderheitenschutzantrag ein Beteiligter schlechter als im Regelinsolvenzverfahren behandelt wird (§ 251 InsO). Stimmen alle Gruppen dem Plan zu und stellen einzelne Beteiligte auch keinen Minderheitenschutzantrag, reduziert sich die Prüfung darauf, ob die Gruppen sachgerecht gebildet und gruppenintern gleiche Rechte gewährt wurden (§§ 222, 226 InsO), sowie ob die Planannahme auf unlautere Weise zustande gekommen ist (§ 250 Nr. 2 InsO). Wird der Plan bestätigt, wirkt er für und gegen alle Beteiligte, unabhängig davon, ob sie ihm zugestimmt oder sich überhaupt an dem Verfahren beteiligt haben. Für ihre Planunterwerfung ist noch nicht einmal erforderlich, dass sie ihre Forderung angemeldet haben (vgl. §§ 259a f. InsO). Spliedt

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901

8.45

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

8.45 Auf die Bestätigung folgt die Aufhebung des Insolvenzverfahrens, wenn im Plan nichts anderes bestimmt ist, also kein verfahrensleitender Plan beschlossen wurde (§ 258 Abs. 1 InsO). Dann wird das Insolvenzverfahren zu den Planbedingungen fortgesetzt. Wird das Verfahren hingegen aufgehoben, erhält der Schuldner das Recht zurück, wieder über die Insolvenzmasse zu verfügen (§ 259 Abs. 1 InsO). Zwar kann im Plan vereinbart werden, dass dessen Erfüllung überwacht wird (§§ 260 f. InsO), was insbesondere dann praktiziert wird, wenn die Gläubiger aus künftigen Gewinnen befriedigt werden sollen. Hierfür haben Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter (§§ 261, 284 Abs. 2 InsO) bzw. Gläubigerausschuss und Insolvenzgericht (§ 261 Abs. 1 InsO) jedoch nur eine Kontrollfunktion, während die Verfügungsbefugnis des Schuldners nicht beschränkt werden darf, es sei denn, dass er im Plan einer andere Regelung bspw. in Form einer treuhänderischen Übertragung einzelner Vermögensgegenstände ausdrücklich zugestimmt hat. Seine Befreiung von den Verbindlichkeiten, die die Planquote übersteigen, tritt – vorbehaltlich einer abweichenden Regelung – unabhängig davon ein, ob die im Plan versprochenen Leistungen an die Gläubiger schon bewirkt wurden (§§ 227 Abs. 1, 254 Abs. 1 InsO). Gegenüber den Gläubigern, gegenüber denen der Schuldner mit der Erfüllung des Plans erheblich im Rückstand gerät, wird die Restschuldbefreiung hinfällig (§ 255 Abs. 1 InsO). Kommt es deshalb oder wegen neuer Schulden zu einem Folgeinsolvenzverfahren, entfällt die Restschuldbefreiung gegenüber allen Insolvenzgläubigern, deren Planansprüche bis dahin noch nicht vollständig befriedigt wurden1.

II. Planinitiativrecht 8.46 Das Recht zur Vorlage des Insolvenzplans an das Insolvenzgericht (Planinitiativrecht) haben der Insolvenzverwalter und der Schuldner (§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Vorlage durch den Schuldner kann mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden werden (§ 218 Abs. 1 Satz 2 InsO)2. Die Planvorlage durch den Schuldner kann den Vorteil haben, dass genügend Zeit zur Planvorbereitung, u.a. zu einer vorgerichtlichen Testabstimmung, bestand, so dass der „prepackaged“ (vorbereitete) Insolvenzplan der Zustimmung der wesentlichen Gläubigergruppen im Abstimmungstermin sicher ist3. Aus dem Recht des Schuldners zur Planvorlage kann für den GmbH-Geschäftsführer im Verhältnis zur Gesellschaft eine Pflicht werden, wenn der Insolvenzplan das optimale Instrument zur Sanierung der Gesellschaft ist4. 1 Spliedt in Karsten Schmidt, § 255 InsO Rz. 14. 2 Zur Verbindung der Planvorlage durch den Schuldner mit dem Antrag auf Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO, näher dazu Wehdeking/Smid, ZInsO 2010, 1713; Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11–38. 3 Engberding, DZWiR 1998, 95, weist allerdings zu Recht darauf hin, dass, wenn die Testabstimmung zu einer Zustimmung aller Gläubiger führt, ein Insolvenzverfahren unnötig ist oder ein bereits eröffnetes Verfahren nach §§ 214 ff. InsO eingestellt werden sollte. Die Notwendigkeit zur Durchführung des Verfahrens bleibt, wenn sich bei der Testabstimmung Akkordstörer offenbart haben. 4 Vgl. Schluck-Amend/Walker, GmbHR 2001, 375; zur Sanierungspflicht des organschaftlichen Vertreters gegenüber der Gesellschaft vgl. Uhlenbruck in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 7 Rz. 7.13.

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Spliedt und Vallender

Planinitiativrecht

8.48

Der Verwalter hat ein eigenes Recht zur Erstellung eines Insolvenzplans (§ 218 8.47 Abs. 1 Satz 1 InsO). Dieses Recht verpflichtet ihn aber auch zugleich zur Planerstellung, und zwar bereits mit Amtsübernahme, wenn ein Plan im Hinblick auf das Verfahrensziel geboten ist1. Zusätzlich kann die Gläubigerversammlung ihn mit der Planerstellung beauftragen und ihm das Ziel des Plans vorgeben (§ 157 Satz 2 InsO)2. Die Beauftragung durch die Gläubigerversammlung entbindet den Verwalter nicht von der Verpflichtung zur Erstellung eines eigenen Plans, wenn er die Planvorgaben der Gläubigerversammlung im Interesse der Gläubigergesamtheit für unzweckmäßig hält3. Wird der Verwalter gemäß § 157 InsO von der Gläubigerversammlung mit der Planerstellung beauftragt, so hat er den Plan „innerhalb angemessener Frist“ dem Gericht vorzulegen (§ 218 Abs. 2 InsO). Die Angemessenheit der Frist wird von dem Insolvenzgericht im Einzelfall zu bestimmen sein4. Nimmt der Insolvenzverwalter seine Arbeiten tatsächlich erst mit Auftragserteilung durch die Gläubigerversammlung, also sechs Wochen bis drei Monate nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO) auf, so kann eine der Situation des Schuldnerunternehmens angemessene Frist nur noch in Tagen zu bemessen sein, wenn es nicht ohnehin zur Erstellung eines Plans längst zu spät ist. Hat der Verwalter neben einem eigenen Plan auch einen Plan im Auftrag der 8.48 Gläubigerversammlung erstellt, so sind beide Pläne dem Insolvenzgericht vorzulegen. § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO, der den Verwalter zur Vorlage „eines“ Plans berechtigt, kann nicht als zahlenmäßige Begrenzung der Pläne verstanden werden. Ggf. tritt zu zwei Verwalterplänen noch ein Schuldnerplan. In diesem Fall der Konkurrenz alternativer Insolvenzpläne werden die Gläubiger über den zuerst vorgelegten Plan in Kenntnis des zweiten oder des dritten Plans abstimmen. Werden alle Pläne im jeweiligen Erörterungs- und Abstimmungstermin angenommen, so liegt die Wahl zwischen den Plänen beim Insolvenzgericht. Das Insolvenzgericht wird im Zweifelsfall denjenigen Plan bestätigen, der die größte Zustimmung der Gläubiger gefunden hat. Wird einer der Pläne rechtskräftig, so tritt hinsichtlich des anderen Plans Erledigungswirkung ein. Schuldner, Insolvenzverwalter und Gläubiger können die Möglichkeit des alternativen Planinitiativrechts (§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO) nutzen, um eine Konfrontationsstrategie durch Einreichung eines konkurrierenden Plans5 zu entwickeln. Der konkurrierende Planeinreicher muss verhindern, dass die anderen Pläne rechtskräftig werden. Es tritt ein Wettlauf ein, welcher Plan zuerst Rechtskraft erlangt6. 1 Lüke in FS Uhlenbruck, 2000, S. 527. 2 Planziele in diesem Sinne sind die Verwertungsalternativen Liquidation, übertragende Sanierung und Sanierung des insolventen Rechtsträgers. Riggert, WM 1998, 1524, nennt die Planziele „Gestaltungsvorstellungen“ der Gläubiger, zu deren Umsetzung der Verwalter verpflichtet sein soll. In dem Beispielsfall von Riggert muss die Hausbank des Schuldners, die keinen Einfluss auf den Schuldnerplan nehmen kann, versuchen, eine Mehrheit in der Gläubigerversammlung dafür zu gewinnen, den Verwalter mit der Planerstellung zu beauftragen. Weil eigennütziges Interesse der Hausbank nicht auszuschließen ist, wird der Verwalter zu prüfen haben, ob er den „Gestaltungsvorschlägen“ folgen kann. 3 Lüke in FS Uhlenbruck, 2000, S. 527; a.A. Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 218 InsO Rz. 12; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 218 InsO Rz. 82. 4 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 474. 5 Riggert, WM 1998, 1525. 6 Riggert, WM 1998, 1525.

Vallender

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8.49

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

8.49 Hat das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung angeordnet (§ 270 InsO), so kann die Gläubigerversammlung den Sachwalter oder den Schuldner mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragen (§ 284 Abs. 1 InsO). Anders als der Sachwalter ist der Schuldner auch ohne einen solchen Auftrag zur Vorlage des Plans befugt1. Eine Überwachung der Planerfüllung ist Aufgabe des Sachwalters (§ 284 Abs. 2 InsO).

III. Die Vorprüfung des Insolvenzplans 8.50 Das Insolvenzgericht hat gemäß § 231 InsO eine Vorprüfung des Insolvenzplans vorzunehmen. Auf diese Weise soll die Rechtmäßigkeit eines im Wesentlichen den Beteiligten zur autonomen Gestaltung überlassenen Verfahrens gewährleistet werden2. Gleichzeitig soll den Beteiligten die Beschäftigung mit einem gesetzwidrigen und aussichtslosen Insolvenzplan und eine damit verbundene Verzögerung der Masseverwertung erspart werden3. Eine endgültige Überprüfung des Plans erfolgt erst, wenn der Plan von den Beteiligten angenommen worden ist und nun bestätigt werden soll (§ 250 Nr. 1 InsO). Das Vorprüfungsverfahren geschieht von Amts wegen4 und muss nach Einreichung des Plans stattfinden5. Bei Planvorlage durch den Schuldner mit dem Eröffnungsantrag hat die Vorprüfung alsbald nach Eröffnung des Verfahrens zu erfolgen6. Nach § 231 Abs. 1 Satz 2 InsO, eingeführt durch das ESUG, soll die Entscheidung des Gerichts einen Zeitraum von zwei Wochen nicht überschreiten. Es liegt auf der Hand, dass eine übermäßig lange Prüfungsdauer das Zustandekommen eines Plans gefährden kann. Soweit Silcher7 mutmaßt, dass die Neufassung des Gesetzes in der Praxis zu keiner spürbaren Beschleunigung führen werde, weil es sich lediglich um eine Sollvorschrift handele, verkennt er, dass eine schuldhafte Verzögerung im Einzelfall zu Amtshaftungsansprüchen führen kann. Die bisherige Praxis hat im Übrigen gezeigt, dass die Gerichte bestrebt sind, die Frist einzuhalten. Das Vorprüfungsverfahren endet nach § 234 InsO mit der Niederlegung des Plans bzw. spätestens gemäß § 235 InsO mit der Anberaumung des Erörterungs- und Abstimmungstermins. Eines positiven Zulassungsbeschlusses bedarf es nicht. 8.51 Die Vorprüfung des Plans stellt das Gericht vor nicht zu unterschätzende Anforderungen8 und birgt erhebliche Haftungsrisiken in sich. Dies gilt insbesondere bei 1 2 3 4 5 6

7 8

Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 284 InsO Rz. 3. Otte in Kübler/Prütting/Bork, § 231 InsO Rz. 4. Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 231 InsO Rz. 1. Zum Prüfungsumfang des Gerichts s. Stapper/Jacobi, ZInsO 2014, 1821 einerseits und Horstkotte, ZInsO 2014, 1297 andererseits. Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 231 InsO Rz. 11. Vgl. aber AG Siegen v. 28.12.1999 – 25 IN 161/99, NZI 2000, 236, das einen vom Schuldner vorgelegten Plan bereits vor der Entscheidung über den Eröffnungsantrag gemäß § 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO zurückgewiesen hat, weil der Schuldner den Plan offensichtlich aus rechtlichen Gründen voraussichtlich nicht würde erfüllen können (hier: drohende Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO). Silcher in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, § 231 InsO Rz. 14. Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, Kap. 9 Rz. 16, bezeichnen die Vorprüfung des Plans gar als die „mit Abstand schwierigste Aufgabenstellung für das Insolvenzgericht“.

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Vallender

Vorprüfung des Insolvenzplans

8.52

Nichtannahme des Plans. Die dadurch bedingte Verzögerung eines angestrebten Sanierungsverfahrens kann zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Sanierungschancen führen. Die Vorprüfung ist um so schwieriger, als sie regelmäßig unter großem Zeitdruck zu erledigen sein wird. Aus diesem Grunde wird sich das Gericht grundsätzlich einer sachverständigen Hilfe nicht bedienen dürfen1. Es ist aber nicht zu verkennen, dass vor allem bei komplexen betriebswirtschaftlichen Sachverhalten die Gerichte mit der Vorprüfung des Plans zumeist überfordert sein dürften, so dass sich der Einsatz von Sachverständigen geradezu aufdrängt2. Der Gesetzgeber hat diese Schwierigkeiten erkannt und dem Insolvenzgericht dadurch „eine Brücke gebaut“, dass sich die Prüfung, soweit betriebswirtschaftliche Sachverhalte Prüfungsgegenstand sind, nur auf „offensichtliche“ Feststellungen zu beziehen hat. Mithin reicht eine summarische Prüfung aus. Diese setzt aber ebenfalls Grundkenntnisse über betriebswirtschaftliche Zusammenhänge voraus und ändert nichts an der erheblichen Verantwortung des Insolvenzgerichts für den weiteren Gang des Verfahrens3. Im Rahmen der Vorprüfung ist das Gericht befugt, den Vorlegenden zu ergänzenden Angaben aufzufordern (§ 4 InsO i.V.m. § 139 ZPO)4. Bei der in einem Insolvenzplan notwendigen „Vergleichsrechnung“ sind alle verwertbaren Teile der Insolvenzmasse mit einzubeziehen und ggf. nachvollziehbar ein behauptetes – schlechteres – Schicksal der Fortführung des Unternehmens darzulegen. Die Zahlung eventueller „Drittzahlungen“ für den Fall des Zustandekommens des Plans ist im gestaltenden Teil bestandssicher nachzuweisen5. Das Vorprüfungsverfahren ist ein formell-verfahrensrechtlicher Prüfungs- 8.52 abschnitt6. Seine Gestaltung unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Das Gericht darf für die Prüfung nach § 231 Abs. 1 InsO den Vorlegenden zu ergänzenden Angaben auffordern (§ 4 InsO i.V.m. § 139 ZPO)7. Hat das Insolvenzgericht vor einer beabsichtigten Zurückweisung des Plans den Hauptgläubiger zu einer möglichen Annahme angehört, steht jedenfalls die Vorschrift des § 231 Abs. 1 Nr. 2 InsO einer Verwertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse nicht entgegen8. Dies gilt gleichermaßen für Äußerungen des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses9. Soweit das Insolvenzgericht nach einer kursorischen Prüfung zu dem – vorläufigen – Ergebnis gelangt, der Plan sei zulässig, bietet es sich an, bereits zu diesem Zeitpunkt Stellungnahmen zum Plan gemäß § 232 InsO einzuholen. Die Regelung zwingt das Insolvenzgericht nicht, erst nach einem positiven Ausgang des Verfahrens die Anhörung der anderen Beteiligten zu veranlassen10. Eine solche Handhabung trägt nicht unwesentlich zu 1 2 3 4 5 6 7 8

A.A. LG Dresden v. 15.7.2005 – 5 T 830/02, ZIP 2005, 1607 = ZInsO 2005, 831, 832. Vgl. Hess/Weis, InVo 1996, 93. Hess/Weis, InVo 1996, 93. Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 1.43 ff. AG Hamburg v. 20.5.2014 – 67c IN 232/13, ZIP 2014, 1601. Braun in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 68 Rz. 68.9. Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 231 InsO Rz. 11. BGH v. 30.6.2011 – IX ZB 30/10, ZInsO 2011, 1550; BGH v. 23.7.2004 – IX ZB 276/03 n.v. 9 BGH v. 30.6.2011 – IX ZB 30/10, ZInsO 2011, 1550; Fortführung BGH v. 16.12.2010 – IX ZB 21/09, ZIP 2011, 340. 10 A.A. Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 231 InsO Rz. 11.

Vallender

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8.53

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

einem zügigen Ablauf des Verfahrens bei. Darüber hinaus ist auch eine Entscheidung über den Antrag des Schuldners oder Insolvenzverwalters auf Aussetzung von Verwertung und Verteilung näher in Betracht zu ziehen (§ 233 InsO). Funktionell zuständig für das Verfahren über den Insolvenzplan und damit auch für die Vorprüfung des Plans gemäß § 231 InsO ist auf Grund Art. 5 des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG)1 seit dem 1.1.2013 der Richter (vgl. § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG2). Für Insolvenzpläne, die bis zum 31.12.2012 eingereicht worden sind, bleibt es bei der Zuständigkeit des Rechtspflegers. 8.53 Das Insolvenzgericht hat den Plan zurückzuweisen3, wenn – die Vorschriften zur Vorlage und zum Inhalt des Plans nicht beachtet wurden und der Vorlegende den Mangel nicht beheben kann oder ihn nicht innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist behebt (§ 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO), – ein vom Schuldner vorgelegter Plan offensichtlich keine Aussicht auf Annahme durch die Gläubiger oder auf Bestätigung durch das Gericht hat (§ 231 Abs. 1 Nr. 2 InsO), – oder die im gestaltenden Teil den Beteiligten zugesagten Ansprüche offensichtlich nicht erfüllt werden können (§ 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO), oder – der Insolvenzverwalter die Zurückweisung eines neuen Plans beantragt, nachdem ein vorheriger vom Schuldner vorgelegter Plan von den Gläubigern nicht angenommen, vom Gericht nicht bestätigt oder vom Schuldner nach der öffentlichen Bekanntmachung des Erörterungstermins zurückgezogen wurde (§ 231 Abs. 2 InsO4). 8.54 Zu den Vorschriften, die nicht Gegenstand der Regelungen in einem Insolvenzplan sein können und damit der Beanstandung durch das Insolvenzgericht unterliegen, gehören die Bestimmungen über die Feststellung der Forderungen der Gläubiger (§§ 174 bis 186 InsO)5. Zu den Prüfungsaufgaben des Gerichts gemäß § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO zählt auch die Kontrolle der gesetzlich vorgeschriebenen sachgerechten Abgrenzung der Gläubigergruppen. Dieser Prüfungsaufgabe ist eine erhöhte Bedeutung beizumessen. Dies gilt vor allem bei einer Planvorlage durch einen – unredlichen – Schuldner. Diesem eröffnet die Gruppenbildung (und damit die Beeinflussung der Abstimmungsmehrheiten) „ein erhebliches Potential an Missbrauchsmöglichkeiten“6. Soweit Smid deshalb von dem Insolvenzgericht die Prüfung verlangt, ob die Gruppenbildung manipulativen Charakter7 1 BGBl. I 2011, 2582. 2 S. Neufassung des Rechtspflegergesetzes vom 14.4.2013, BGBl. I 2013, 778. Zu den gerichtlichen Erfahrungen mit dieser neuen Zuständigkeit s. Buchalik/Stahlschmidt, ZInsO 2014, 1144. 3 Zutreffend weist Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 231 InsO Rz. 12, darauf hin, dass der Prüfungsmaßstab größtenteils ein negativer sei. 4 Die Vorschrift ist nur auf den nach der Vorprüfung gescheiterten Plan des Schuldners anwendbar. 5 BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, NZI 2009, 230, 233. 6 S. dazu die Entscheidung des LG Neuruppin v. 19.4.2013 – 2 T 33/13, ZIP 2013, 646 m. Anm. Raab, jurisPR-InsR 15/2013 Anm. 4; Smid, InVo 1997, 171. 7 Smid, InVo 1997, 176 ff.; ähnlich Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 231 InsO Rz. 4.

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Vallender

Vorprüfung des Insolvenzplans

8.56

hat, überspannt dies allerdings die Anforderungen an die vom Gericht im Rahmen der Vorprüfung zu erfüllenden Pflichten. Auch insoweit gilt das Gebot der summarischen Prüfung; eine umfassende Inhaltskontrolle verlangt der Gesetzgeber nicht. Da im Vorprüfungsverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 5 InsO eingeschränkt ist, liefe das Postulat einer solch umfassenden Prüfungspflicht letztlich ins Leere, weil dem Gericht „die Hände gebunden wären“, wenn es erst auf Grund umfangreicher Ermittlungen den manipulativen Charakter einer Gruppenbildung aufklären könnte. Im Übrigen sind die Gläubiger durch die durchgängige Regel, dass sie durch den Plan nicht schlechter gestellt sein dürfen als ohne Plan (u.a. § 251 InsO), hinreichend geschützt. Der Planvorlegende hat die Gruppenbildung zu erläutern. Werden mehrere Gruppen aus „gleichstufigen“ Gläubigern gebildet, ist dies mit Angabe der jeweiligen Tabellenforderungen nachvollziehbar darzulegen1. Sieht der Insolvenzplan die Bildung einer Mischgruppe vor, die Gläubiger mit un- 8.55 terschiedlicher Rechtsstellung – insbesondere solche, denen eine abgesonderte Befriedigung gestattet ist, und einfache Insolvenzgläubiger – in sich vereint, ist eine solche unzulässige Gruppenbildung zu beanstanden und der Insolvenzplan ggfls. nach Maßgabe des § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO zurückzuweisen2. Dagegen ist nach Ansicht des BGH3 gegen die Bildung gesonderter Gruppen für absonderungsberechtigte Gläubiger innerhalb und außerhalb des Fortführungsbereichs der Schuldnerin nichts einzuwenden. Tatsächlich ist eine gesonderte Gruppenbildung für Absonderungsgläubiger, deren Gegenstände, Forderungen usw. weiter für die geschäftlichen Aktivitäten benötigt werden, nicht willkürlich, weil sich die Gruppenbildung durch die besonderen Interessen der dem Fortführungsbereich zugeordneten gesicherten Gläubiger an der Unternehmensfortführung und dem damit einhergehenden Erhalt des Wertes ihrer Sicherheiten rechtfertigt4. Sieht der Plan eine Präklusionsklausel nur hinsichtlich „Nachzügler-Gläubiger“ vor, ist er für Insolvenzverfahren unter Geltung des ESUG unzulässig, weil der Gesetzgeber die Frage der Durchsetzbarkeit der Forderungen von Nicht-Planteilnehmern nunmehr gesetzlich eindeutig mit §§ 259a, 259b InsO aufgegriffen und mit dem „ESUG“ geregelt hat5. Insbesondere §§ 254b, 259b InsO zeigen, dass Forderungen, die bei Planerstellung noch unbekannt waren, durch die Planbestätigung nicht ausgeschlossen werden können6. Bis zum Inkrafttreten des § 210a InsO auf Grund des Gesetzes zur weiteren Er- 8.56 leichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) war streitig, ob im masseunzulänglichen Verfahren ein Insolvenzplan vorgelegt werden kann. Die Vorschrift beseitigt die bestehende Rechtsunsicherheit und fehlende Planungssicherheit. Nunmehr stellt sich die Rechtslage wie folgt dar: Im Falle des § 207 Abs. 1 1 AG Hamburg v. 20.5.2014 – 67c IN 232/13, ZIP 2014, 1601. 2 BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, NZI 2005, 619, 621 = ZInsO 2005, 927; Eidenmüller in Münchener Kommentar zur InsO, § 222 InsO Rz. 44; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 231 InsO Rz. 19. 3 BGH v. 26.4.2007 – IX ZB 5/06, ZInsO 2007, 713. 4 Paul, ZInsO 2007, 856, 857. 5 AG Hamburg v. 20.5.2014 – 67c IN 232/13, ZIP 2014, 1601; Küpper/Heinze, ZInsO 2013, 471; Bremen, NZI 2014, 137, 142. 6 Bremen, NZI 2014, 137, 142; Stephan, VIA 2014, 25, 26.

Vallender

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907

8.57

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

InsO scheidet ein Insolvenzplan mangels Durchführbarkeit aus. Das Gericht hat in diesem Fall den Plan gemäß § 231 Abs. 1 Nr. 2 InsO zurückzuweisen. Bei Masseunzulänglichkeit i.S. des § 208 InsO ist nach dem neu eingeführten § 210a InsO die Vorlage eines Insolvenzplans möglich. Gegenstand des Plans wäre in der Hauptsache die Regelung der Altmasseverbindlichkeiten1. Bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit sind in einem Planverfahren die sogen. Altmassegläubiger (im Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) so zu behandeln, wie ansonsten die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger i.S. des § 38 InsO2. Da in die Rechte der Massegläubiger eingegriffen werden muss, erhalten sie ein Stimmrecht3. Die Ansprüche der Neumassegläubiger (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO) sind hiervon nicht erfasst und müssen voll bedient werden können4. 8.57 Im Rahmen seiner Vorprüfung des Insolvenzplans ist das Gericht nicht befugt, das Abstimmungsergebnis der Gläubiger zu prognostizieren. Erst Recht darf es die Entscheidung der Gläubiger nicht durch seine Einschätzung ersetzen5. Das Gericht ist indes nicht daran gehindert, bei offenkundig und objektiv fehlender Erfolgsaussichten in Einzelfällen bereits eingeholte Stellungnahmen mit der gebotenen Vorsicht zu berücksichtigen6. Zutreffend hat das LG Bielefeld in seinem Beschluss vom 30.11.20017 darauf hingewiesen, dass es an der Erfüllbarkeit eines vom Schuldner vorgelegten Plans offensichtlich nur dann fehle, wenn sich bei einem Vergleich der Planregelungen mit den Angaben über die wirtschaftliche Lage des Schuldners die Unerfüllbarkeit aufdrängt. An der Offensichtlichkeit i.S. des § 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO fehle es auch dann, wenn hinsichtlich einer möglichen Belastung durch einen so genannten Sanierungsgewinn die zuständige Finanzverwaltung zwar wohlwollende Prüfung zugesagt hat, aber die Entscheidung noch aussteht. Das gehört zu den allgemeinen Prognoserisiken eines Plans, die vom Gläubiger grundsätzlich hinzunehmen sind8. 8.58 Die Zurückweisung des Plans hat in Beschlussform zu ergehen. Dem Vorlegenden steht gegen diese Entscheidung das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu (§ 231 Abs. 3 InsO). Diese ist binnen einer Notfrist von zwei Wochen beim Insolvenzgericht einzulegen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung, oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung (§ 6 Abs. 2 InsO). Die Beschwerde hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung (§ 4 InsO i.V.m. § 572 ZPO). Dadurch wird dem Planvorlegenden die Möglichkeit eröffnet, nach Einlegung des Rechtsmittels bis zum Schlusstermin einen neuen, geänderten Insolvenzplan einzureichen9. Soweit Pläne nach dem 31.12.2012 eingereicht worden sind, steht die Abhilfebefugnis al1 2 3 4 5 6

Breuer in Münchener Kommentar zur InsO, § 231 InsO Rz. 24. Riedel in Graf-Schlicker, § 210a InsO Rz. 3. Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 127/11, S. 44. Riedel in Graf-Schlicker, § 210a InsO Rz. 4. Wenzel in Haarmeyer/Wutzke/Förster, § 231 InsO Rz. 11. BGH v. 16.12.2010 – IX ZB 21/09, ZIP 2011, 340; BGH v. 30.6.2011 – IX ZB 30/10, ZInsO 2011, 1550 mit Anm. Paul, ZInsO 2012, 259. 7 LG Bielefeld v. 30.11.2001 – 23 T 36/01, ZInsO 2002, 198. 8 Die Frage der drohenden Besteuerung des Sanierungsgewinns hat zwischenzeitlich durch das Schreiben des BMF v. 27.3.2003 (BStBl. I 2003, 240) etwas von ihrer Bedeutung im Rahmen der Aufstellung von Insolvenzplänen verloren. 9 Otte in Kübler/Prütting/Bork, § 231 InsO Rz. 23.

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Vallender

Planentscheidung

8.64

lein dem Richter zu. Für die vor diesem Zeitpunkt eingereichten Pläne bleibt es auch hinsichtlich der Abhilfebefugnis bei der Zuständigkeit des Rechtspflegers. Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam (§ 6 Abs. 3 Satz 1 InsO). Bei einer Entscheidung durch den bis zum 31.12.2012 funktional noch zuständigen Rechtspfleger gilt § 11 Abs. 1 RPflG. Soweit das Gericht ausnahmsweise einen Zulassungsbeschluss erlässt, ist hiergegen ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 6 Abs. 1 InsO)1. 8.59–8.60

vacat

IV. Planentscheidung 1. Abstimmungsverfahren Weist das Insolvenzgericht den Plan nicht gemäß § 231 InsO zurück, hat es einen 8.61 Erörterungs- und Abstimmungstermin anzusetzen, der möglichst innerhalb eines Monats stattfinden soll. Dazu sind die vom Plan betroffenen Beteiligten und etwaige Arbeitnehmervertretungen sowie natürlich der Insolvenzverwalter und der Schuldner besonders zu laden. Mit der Ladung ist der Plan oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts zu übersenden (§ 235 Abs. 3 InsO). Meistens wird dann noch im selben Termin, gelegentlich aber auch in einem gesonderten Termin oder schriftlich (§ 241 InsO), über den Plan abgestimmt. Die Abstimmung vollzieht sich getrennt nach Gruppen (§ 243 InsO). Innerhalb 8.62 jeder Gruppe bedarf es für die Zustimmung sowohl der Kopf- als auch der Summenmehrheit der sich an der Abstimmung beteiligenden Gläubiger (§ 244 Abs. 1 InsO). 2. Obstruktionsverbot a) Bedeutung Der Plan ist angenommen, wenn alle Gruppen zugestimmt haben. Eine fehlende 8.63 Zustimmung kann fingiert werden, wenn die Ablehnung als obstruktiv anzusehen ist. Das in § 245 InsO geregelte Obstruktionsverbot gehört zusammen mit der Vorschrift über die Gruppenbildung (§ 222 InsO) zu den „Königsnormen“ des Planverfahrensrechts, indem es ermöglicht, abweichend von der Abstimmung in einer normalen Gläubigerversammlung eine alle Beteiligten bindende Entscheidung durch die Mehrheits-Mehrheit – mithin durch eine Minderheit der Gläubiger – herbeizuführen (Rz. 8.1 f.). b) Voraussetzungen Formelle Voraussetzung ist, dass die Mehrheit der Gruppen dem Plan mit der 8.64 gruppeninternen Kopf- und Summenmehrheit zugestimmt hat (§ 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Wesentlich schwieriger als die formellen Voraussetzungen sind die inhaltlichen Voraussetzungen zu beurteilen. 1 Breuer in Münchener Kommentar zur InsO, § 231 InsO Rz. 25.

Vallender und Spliedt

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909

8.65

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

8.65 Die erste ist das Schlechterstellungsverbot in § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Kein Beteiligter soll im Verhältnis zur Regelabwicklung Nachteile erleiden, ein Kriterium, das bei dem individuellen Minderheitenschutz gemäß § 251 InsO erneut relevant wird. Das Ergebnis der Regelabwicklung ist den Gläubigern gleichsam garantiert, nur dass sie diese Garantie durch ihr Abstimmungsverhalten (bzw. einen Minderheitenschutzantrag) einfordern müssen. 8.66 Schwierig ist die Anwendung des allgemeinen Schlechterstellungsverbots auf absonderungsberechtigte Gläubiger, die in einer Gruppe zusammengefasst sind, denn jeder Sicherungsgegenstand hat einen anderen Realisationswert. Kurante Ware lässt sich schneller veräußern als Ladenhüter, das eine Grundstück ist besser verwertbar als das andere und Forderungen sind je nach Drittschuldner mit unterschiedlichen Risiken behaftet. Jedes Sicherungsrecht gewährt eine eigene Rechtsstellung, so dass auch für jeden Sicherungsnehmer eine eigene Gruppe gebildet werden dürfte. Das aber sieht § 222 Abs. 1 Nr. 1 InsO gerade nicht vor. Er spricht nur von einer Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger, wenn in deren Absonderungsrechte eingegriffen werden soll. Untergruppen können zwar, müssen aber nicht gebildet werden. Die Konsequenz dieser im Gesetz vorgesehenen Vereinheitlichung ist, dass für die Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger eine Durchschnittsbetrachtung vorzunehmen ist. Die individuelle Schlechterstellung gegenüber der Regelabwicklung kann nur über einen Minderheitenschutzantrag gemäß § 251 InsO berücksichtigt werden, freilich mit dem Nachteil, dass dort die Glaubhaftmachungslast beim Gläubiger angesiedelt ist. 8.67 Das zweite inhaltliche Obstruktionskriterium ist eine angemessene Beteiligung der Gruppenmitglieder am wirtschaftlichen Wert, der den Beteiligten auf der Grundlage des Plans zufließen soll (§ 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Die Angemessenheit wird in § 245 Abs. 2 InsO für die Gläubigergruppe(n) und in § 245 Abs. 3 InsO für die Anteilseignergruppe(n) (dazu Rz. 8.34) konkretisiert. Die fehlende Zustimmung einer Gläubigergruppe darf ersetzt werden, wenn (1.) kein Gläubiger mehr als das zur Befriedigung seines Anspruchs Erforderliche erhält und (2.) bis zur vollen Befriedigung des Gläubigers kein ihm nachrangiger Gläubiger oder der Schuldner einen wirtschaftlichen Wert erhält sowie (3.) kein gleichrangiger Gläubiger besser gestellt wird. 8.68 Da kaum ein Planverfasser den Gläubigern ausdrücklich mehr zugestehen wird, als sie beanspruchen können, ist das Verbot der „Überbefriedigung“ nur relevant für Leistungen an Erfüllung statt, insbesondere also für die Herausgabe von Absonderungsgut in Anrechnung auf die Insolvenzforderung (vgl. § 168 Abs. 3 InsO). Deshalb ist bei § 245 InsO auch nicht die Rede von Zahlungen – denn für sie würde es schon an einem Rechtsgrund fehlen –, sondern von „Werten“. 8.69 Das als weitere Voraussetzung genannte Verbot von Leistungen an nachrangige Gläubiger vor einer vollen Befriedigung vorrangiger Beteiligter knüpft an die bei der Regelverteilung gemäß §§ 38 f., 187 InsO geltende Reihenfolge an. Dieses Verbot geht über das allgemeine Schlechterstellungsverbot des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO insofern hinaus, als ein vorrangiger Gläubiger trotz Zahlungen an die nachrangigen durchaus im Vergleich zur Regelabwicklung besser stehen kann. Dass es trotzdem eine Obstruktionsvoraussetzung ist, liegt daran, dass anderenfalls mit der normalerweise gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht erforderlichen Einbezie910

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Spliedt

Planentscheidung

8.72

hung von nachrangigen Gläubigern leicht „Zähl-Gruppen“ geschaffen werden können, die dem Insolvenzplan zur Erreichung einer großen Mehrheit zustimmen. Das Verhältnis zwischen absonderungsberechtigten Gläubigern und Insolvenz- 8.70 gläubigern wird teilweise ebenfalls als ein Rangverhältnis angesehen. Dies beruht auf der Überlegung, dass Verwertungserlöse aus der Masse abzuführen sind (§ 170 InsO), so dass ein Absonderungsrecht im Regelverfahren vor einer Insolvenzforderung bedient wird. Wäre das ein Rangverhältnis i.S. des § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO, wäre die Ablehnung des Plans durch auch nur eine einzige Gruppe gesicherter Gläubiger nicht obstruktiv und müsste zu einer Bestätigungsversagung führen, wenn die Insolvenzgläubiger – wie regelmäßig – eine Quote erhalten sollen, bevor die Verwertungserlöse vollständig ausgekehrt wurden. Das Verhältnis zwischen Absonderungsanspruch und Insolvenzforderung ist kein 8.71 Rangverhältnis gemäß §§ 53, 38 f. InsO, was besonders deutlich wird, wenn das Verwertungsrecht gemäß § 166 Abs. 1, 2 InsO nicht beim Verwalter liegt. Dann findet die Befriedigung des Absonderungsanspruchs außerhalb der Masseverteilung statt. Das Absonderungsrecht hängt nur von dem zivilrechtlichen Bestand der gesicherten Forderung ab, nicht aber von deren insolvenzrechtlicher Einordnung. Deshalb ist das Sicherungsrecht sogar dann durchsetzbar, wenn die nach Verfahrenseröffnung laufenden Zinsen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO insolvenzrechtlich am Verfahren nicht teilnehmen1, was deutlich macht, dass die Ansprüche unabhängig voneinander sind, aber nicht hintereinander stehen. Ebenfalls zur Rangwahrung gemäß § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO gehört, dass dem 8.72 Schuldner oder einer an ihm beteiligten Person kein wirtschaftlicher Wert zufließt. Genau einen solchen Wert zu erhalten, ist jedoch die Motivation des Schuldners für die Fortführung des Unternehmens und insbesondere für die frühzeitige Einleitung eines Insolvenzverfahrens zum Zwecke der Sanierung. Es würde wenig Sinn machen, ihm solche Vorteile durch eine Bestätigungsversagung vorzuenthalten, wenn die Gläubiger diese Werte in der Regelabwicklung nicht realisieren könnten. Das gilt insbesondere für die nicht übertragbaren Vermögensgegenstände (z.B. Genehmigungen, Lizenzen, Mietverträge). Sogar im Regelinsolvenzverfahren kann ein Schuldner, wenn er eine natürliche Person ist, Vorteile aus einer Freigabe seiner selbständigen Tätigkeit ziehen, weil er aus dem Gewinn nur einen Anteil in Höhe eines angenommenen Gehaltes abgeben muss, den Rest aber behalten darf (§§ 35 Abs. 2, 295 Abs. 2 InsO). Dem Schuldner einen Fortführungsvorteil einzuräumen, ist dem Insolvenzrecht also nicht fremd. Die Lösung für die Obstruktionsbeurteilung folgt aus dem Charakter des Vorteilsverbots als Rangordnungsverstoß. Der Schuldner ist im Regelinsolvenzverfahren gemäß § 199 InsO letztrangiger Gläubiger. Deshalb darf er nur das nicht erhalten, was im Regelverfahren die Gläubiger bezogen hätten. Bleiben ihm hingegen die Werte der im Regelverfahren nicht veräußerbaren Vermögensgegenstände, wird den Gläubigern nichts vorenthalten, so dass auch ein Verstoß gegen § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO nicht vorliegt. Das Problem ist entschärft worden, seitdem im Plan ein Austausch der Gesellschafter vorgesehen werden kann, so dass neue Investoren den Wert nicht übertragbarer Vermögensgegenstände vergüten können. Das 1 BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 83/10, ZIP 2011, 579 Rz. 12.

Spliedt

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911

8.73

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

wirkt schon im Vorwege auf eine Erhöhung des Sanierungsbeitrags auch der Altgesellschafter hin. Dadurch hat sich die Vorteilsprüfung verändert: Ist nicht zu erwarten, dass Investoren den Unternehmenswert höher vergüten, als die Gesellschafter des Schuldners aufzubringen bereit sind, erhält der Schuldner keinen wirtschaftlichen Wert, der eine Planablehnung durch andere Beteiligte rechtfertigt. 8.73 Das dritte Kriterium für eine angemessene Beteiligung am wirtschaftlichen Wert ist schließlich der Quervergleich mit Gläubigern gleicher Rangordnung. Falls Kleingläubiger besser gestellt werden, scheitert hieran die Zustimmungsersetzung gegen den (mehrheitlichen) Willen von Großgläubigern. Dieser Quervergleich ist ein erneutes Einfallstor für die Beanstandung einer Leistung an absonderungsberechtigte Gläubiger, die oben schon mit dem Schlagwort des Verbots von Mischgruppen erläutert wurde (Rz. 8.21). Da die gesicherten Gläubiger in der Regel janusköpfig sowohl in der Gruppe der Insolvenzgläubiger in Höhe des Ausfalls als auch in der Gruppe der gesicherten Gläubiger in Höhe des Sicherungswertes vertreten sind, kann durch eine Überbewertung des Absonderungsgutes eine zu hohe Befriedigung der ungedeckten Insolvenzforderung zustande kommen. Das wäre dann ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot, das aber nicht schon bei der Planvorlage von Amts wegen, sondern, wie oben erläutert, erst zu berücksichtigen ist, wenn das Verhalten der Beteiligten durch die Ablehnung einer Gruppe dazu Veranlassung gibt. c) Darlegungs- und Beweislast 8.74 Die Bedeutung des Obstruktionsverbots hängt ganz wesentlich von der Darlegungs- und Beweislast für die Obstruktionsvoraussetzungen ab. Für die ablehnende Gruppe besteht keine Begründungspflicht. Insofern unterscheiden sich die Voraussetzungen des Obstruktionsverbots vom Minderheitenschutz, bei dem es Sache des Antragstellers ist, die voraussichtliche Benachteiligung im Vergleich zur Regelverwaltung glaubhaft zu machen (§ 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Auch enthält § 245 InsO keinen Vermutungstatbestand, dass ohne substantiierte Einwände weder eine Schlechterstellung im Vergleich zur Regelabwicklung noch keine angemessene Beteiligung am Planergebnis vorliegt. Vielmehr ist es umgekehrt so, dass das Insolvenzgericht bei der Zustimmungsersetzung überzeugt sein muss, dass es an der Schlechterstellung fehlt und die Angemessenheit gewahrt ist. Ein non liquet wirkt zugunsten der dissentierenden Gruppe. 8.75 Das Insolvenzgericht kann seine Erkenntnisse unter Anwendung des allgemeinen Verfahrensgrundsatzes der Amtsermittlung gewinnen (§ 5 InsO). In diesem Zusammenhang können Sachverständige und Zeugen vernommen werden. Eine Entscheidung über das Schicksal des Insolvenzplans ist allerdings eilbedürftig. Es bleibt keine Zeit für „Sachverständigenschlachten“. Das Spannungsfeld zwischen materieller Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Notwendigkeit bestimmt den Umfang der Amtsermittlung. Der Planinitiator muss erläutern, dass sein Plan die Anforderungen an ein Obstruktionsverbot erfüllt. Wurde der Plan vom Insolvenzverwalter vorgelegt, ist der Schuldner zu hören, stammt der Plan vom Schuldner, gilt Gleiches für den Insolvenzverwalter oder Sachwalter. Ein weiteres Erkenntnismittel sind die Einlassungen der Mitglieder des Gläubigerausschusses. Äußern sich die Angehörigen der ablehnenden Gruppe(n) dazu nicht, kann zwar 912

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Spliedt

Planentscheidung

8.77

die Ablehnung nicht allein deshalb als obstruktiv bezeichnet werden. Das Gericht kann jedoch den Verzicht auf eine Beibringung weiterer Erkenntnisse in die Gesamtwürdigung einbeziehen. Schließlich wird es auch die Eingaben anderer Beteiligter berücksichtigen. Hierzu bestehen zwar keine Vortragsfristen oder Präklusionsvorschriften. Was aber formlos beigebracht wird, muss zur Kenntnis genommen werden. Ein häufiger Einwand gegen einen Fortführungsplan ist, dass die Masse durch ei- 8.76 nen Unternehmensverkauf höher ausfallen würde. Deshalb wird von einigen schon vorbereitend ein Dual Track-Verfahren empfohlen, bei dem doppelgleisig sowohl die Konditionen für eine Sanierung durch fremde Investoren als auch durch die vorhandenen Gesellschafter geprüft wird. Soll ein solcher Markttest nicht nur Alibifunktion haben, müssen die Geschäftsgeheimnisse weitgehend offengelegt werden. Das sorgt für Verunsicherung bei Geschäftspartnern, die während dieser Phase nicht wissen, mit wem sie es später zu tun haben werden. Auch besteht die Gefahr einer Schmälerung des Unternehmenswertes durch die Informationserteilung an Wettbewerber. Ihnen muss eine umfassende Due Diligence ermöglicht werden. Die Gefahr ist dann groß, dass sie dies nur zum „Ausspionieren“ nutzen. Solange Interessenten wissen, dass es erst um einen Test geht, werden sie sich auf indizielle Angebote beschränken. Dass dazu später auch tatsächlich gekauft oder investiert wird, ist höchst fraglich. Ein Dual Track-Verfahren bringt somit nur eine Scheingenauigkeit. Außerdem wirkt es dem Ziel des ESUG entgegen, Anreize für eine möglichst frühzeitige Antragstellung zu schaffen. Wenn Gesellschafter und Management Gefahr laufen, das Unternehmen jederzeit verlieren zu können, werden sie einen Insolvenzantrag möglichst lange hinauszögern. Zur Entscheidung der Frage, ob dem Schuldner oder den an ihm beteiligten Per- 8.77 sonen entgegen § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO ein wirtschaftlicher Wert zufließt, ist eine Unternehmensbewertung ausreichend. Der ermittelte Wert kann zwar erheblich von dem erzielbaren Preis abweichen, weil etwaige Käufer künftige mit dem Unternehmen erzielbare Erträge anders einschätzen oder wegen unterschiedlicher Risikopräferenzen anders bewerten. Ein erzielbarer Preis muss keineswegs höher, sondern kann auch wesentlich niedriger liegen. Eindrucksvolle Beispiele sind die Gutachten in Zwangsversteigerungsverfahren. Der tatsächlich erzielte Erlös entspricht nur sehr selten dem Taxwert. Das mit jeder Begutachtung verbundene Prognoserisiko ist nicht zu vermeiden und im Übrigen auch typisch für viele insolvenzverfahrensrechtliche Entscheidungen. Das beginnt mit der Fortführungsprognose beim Insolvenzgrund der Überschuldung, wiederholt sich bei der nach § 157 InsO von der Gläubigerversammlung zu treffenden Entscheidung über die Stilllegung oder Fortsetzung des Geschäftsbetriebes und spielt beispielsweise auch bei der Eigenverwaltung eine Rolle, wenn es darum geht, die mit ihr verbundenen Nachteile zu prognostizieren (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Es gibt keinen Grund, bei § 245 InsO das gutachterliche Prognoserisiko zu vermeiden. § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO spricht deshalb zu Recht nur von einer voraussichtlichen, also prognostischen Schlechterstellung. Allerdings ist eine Ausnahme zu machen: Gibt es konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Interessenten aufgrund von Synergieeffekten einen höheren Preis zahlen würden, als es dem Wert des Unternehmens in der Hand des Schuldners bei einer „stand-alone-Lösung“ entspricht, ist Spliedt

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913

8.78

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

dem nachzugeben. Diese Anhaltspunkte sind schon bei der Bewertung zu berücksichtigen, weil dafür Angaben zu Markverhältnissen und Konkurrenten erforderlich sind. 8.78 Eine gutachterliche Bewertung reicht somit regelmäßig aus. Der Bewertungsaufwand hängt vom Einzelfall ab. Er muss in einem angemessenen Verhältnis zu etwaigen Nachteilen fehlerhafter Ergebnisse stehen. Eine Unternehmensbewertung durch Wirtschaftsprüfer nach dem IDW-Standard S 1 wird in vielen Fällen nicht erforderlich sein, sondern eine Beurteilung durch Steuer- bzw. Unternehmensberater oder auch durch den Sachwalter genügen. 8.79–8.90

vacat

V. Arbeitnehmerbeteiligung im Insolvenzplanverfahren 8.91 Arbeitsrechtliche Aspekte kommen im Insolvenzplanverfahren in dreifacher Hinsicht zum Tragen. Der Gesetzgeber hat erstens eine Beteiligung der Arbeitnehmer bzw. der Arbeitnehmervertretungen bei der Aufstellung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter vorgesehen. Die Bedeutung arbeitsrechtlicher Aspekte findet zweitens im darstellenden Teil ihren Niederschlag. Arbeitsrechtliche Maßnahmen sind drittens häufig auch im gestaltenden Teil betroffen. Diese Beteiligung ist von den Beteiligungsrechten nach dem BetrVG oder den §§ 121 ff. InsO bei bestimmten Maßnahmen im Insolvenzverfahren bzw. auch im Schutzschirmverfahren zu unterscheiden1. 1. Aufstellung a) Beratung 8.92 Der Betriebsrat und der Sprecherausschuss der leitenden Angestellten wirken bei der Aufstellung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter beratend mit (§ 218 Abs. 3 InsO). Die beratende Funktion von Betriebsrat und Sprecherausschuss bedeutet, dass diese keine Stellung haben, die eine erzwingbare inhaltliche Einwirkung ermöglicht. Betriebsrat und Sprecherausschuss können einen bestimmten Inhalt des Insolvenzplans weder erzwingen noch verhindern. Ebenso wenig hängt die Aufstellung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter von einer Zustimmung des Betriebsrats oder des Sprecherausschusses ab. Die Beratung bedeutet, dass Betriebsrat und Sprecherausschuss zu unterrichten und dass sie berechtigt sind, ihre Meinung zu den Regelungsvorschlägen des Insolvenzverwalters vorzutragen. Es geht um Mitsprache und nicht um Mitbestimmung2. Der Insolvenzverwalter ist an die Stellungnahmen von Betriebsrat und Sprecherausschuss nicht gebunden, sondern kann jederzeit von diesen abweichen3. Der Insolvenzverwalter muss sich inhaltlich mit den Vorstellungen von Betriebsrat und Sprecherausschuss auseinandersetzen und mit diesen die zur Sprache gebrachten 1 S. zur betrieblichen Mitbestimmung im Schutzschirmverfahren etwa Krolop, ZfA 2015, 287 ff. 2 Vgl. Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, 7. Aufl. 2013, § 218 InsO Rz. 49. 3 Vgl. Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 474; Eidenmüller in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2014, § 218 InsO Rz. 49.

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Spliedt und Moll

Arbeitnehmerbeteiligung

8.97

Gesichtspunkte mit dem Willen einer Verständigung erörtern; anderenfalls kann nicht von einer Beratung gesprochen werden: Beratung geht über Unterrichtung des anderen und Zurkenntnisnahme der Vorstellungen des anderen hinaus. Beratung beinhaltet mehr als Anhörung1. Die beratende Tätigkeit von Betriebsrat und Sprecherausschuss im Rahmen von 8.93 § 218 Abs. 3 InsO gehört zu deren gesetzlichen Aufgaben und wird von den allgemeinen Entgeltzahlungs- und Kostentragungsregelungen (§§ 37, 40 BetrVG, § 14 SprAuG) erfasst2. b) Stellungnahme Der Insolvenzplan wird, nachdem er entweder vom Insolvenzverwalter oder vom 8.94 Schuldner vorgelegt worden und vom Insolvenzgericht nicht nach § 231 Abs. 1 oder Abs. 2 InsO zurückgewiesen worden ist, von dem Insolvenzgericht dem Betriebsrat und dem Sprecherausschuss gemäß § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Stellungnahme zugeleitet. Deren Stellungnahmen sind wie der Insolvenzplan und alle übrigen beim Insolvenzgericht eingegangenen Stellungnahmen in der Geschäftsstelle zur Einsicht auszulegen (§ 234 InsO). Der Betriebsrat und der Sprecherausschuss sind gem. § 235 Abs. 3 Satz 1 InsO 8.95 ebenso wie die Insolvenzgläubiger, die Absonderungsberechtigten, der Insolvenzverwalter und der Schuldner zum Erörterungs- und Abstimmungstermin zu laden. Sie haben im Termin Rederecht. Die Äußerungen von Betriebsrat und Sprecherausschuss werden insbesondere bei einer mit dem Insolvenzplan verfolgten Unternehmensfortführung als wünschenswert und zweckmäßig anzusehen sein3. Der Insolvenzplan kann nach § 240 InsO – auch – auf Grund der Äußerung der Arbeitnehmervertreter noch im Erörterungstermin geändert werden. c) Abstimmung Die Abstimmung über den Insolvenzplan erfolgt in Gruppen (§§ 243, 244 InsO)4. 8.96 Die Arbeitnehmer „sollen“ eine besondere Gruppe bilden, wenn sie als Insolvenz- 8.97 gläubiger (§§ 38, 108 Abs. 2 InsO) mit nicht unerheblichen Forderungen beteiligt sind (§ 222 Abs. 3 Satz 1 InsO). Die Bedeutung des Erheblichkeitskriteriums ist ungeklärt. Teilweise wird auf einen Prozentsatz der Gesamtforderungen abgestellt5. Überwiegend wird eine gruppenbezogene Komponente befürwortet, d.h.,

1 S. zur Beratungskategorie etwa Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 122 InsO Rz. 25. 2 Vgl. Begr. zu § 254 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 108, 196; Warrikoff, BB 1994, 2338, 2346. 3 Vgl. Begr. zu § 279 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 108, 206; Warrikoff, BB 1994, 2338, 2346. 4 S. zur Altersversorgung und zum Pensionssicherungsverein etwa Rieger, NZA 2013, 671. 5 Breutigam in Berliner Kommentar zur InsO, § 222 InsO Rz. 30 will 20 % der Summe der Absonderungsrechte und aller nicht nachrangigen Forderungen zugrunde legen.

Moll

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8.98

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

die Forderungen müssen für die Arbeitnehmerschaft erheblich sein1. Die Beteiligung der Arbeitnehmer als Gruppe beruht darauf, dass sich ihre Interessenlage in der Regel von der anderer Insolvenzgläubiger abhebt2. Die Arbeitnehmer sind nicht nur an der Regulierung von Forderungen auf rückständiges Arbeitsentgelt interessiert (soweit es sich bei den Rückständen um Insolvenzforderungen (!) handelt), sondern gerade im Zusammenhang mit der Aufstellung und Durchführung des Insolvenzplans an der Erhaltung der Arbeitsplätze. Deren Existenz kann maßgeblich von der Gestaltung des Insolvenzplans abhängen. Insolvenzforderungen von Arbeitnehmern können auch aus der Durchbrechung von „Unkündbarkeit“ resultieren (§ 113 Satz 3 InsO). Der Insolvenzplan kann zudem Sozialplanbestimmungen bzw. Sozialplanvorgaben enthalten. § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO stellt die relative Obergrenze für die Gesamtheit von Sozialplanforderungen unter den Vorbehalt einer abweichenden Regelung im Insolvenzplan3. Diese Gesichtspunkte rechtfertigen es, für den Regelfall eine einheitliche Arbeitnehmergruppe im Rahmen der Gruppenbildung im Sozialplanverfahren vorzusehen, auch wenn die Interessenlage von entlassenen Arbeitnehmern unterschiedlich ist4. Arbeitnehmer können ausnahmsweise jedoch auch typisierte unterschiedliche Interessen haben, so dass auch mehrere Gruppen von Arbeitnehmern gebildet werden können, die gesondert über den Plan abstimmen (§ 222 Abs. 2 Satz 1 InsO). Es erscheint vorstellbar, dass zwischen gekündigten und ungekündigten Arbeitnehmern differenziert wird oder dass zwischen Arbeitnehmern differenziert wird, die einem zu erhaltenden oder einem stillzulegenden Betrieb angehören. Die Gruppen müssen sachgerecht abgegrenzt werden (§ 222 Abs. 2 Satz 2 InsO). Die Abgrenzungskriterien sind im Insolvenzplan anzugeben (§ 222 Abs. 2 Satz 3 InsO)5. § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO steht der Bildung mehrerer Arbeitnehmergruppen nicht entgegen. Die Regelung normiert lediglich den nach der Vorstellung des Gesetzgebers gegebenen Regelfall. Dieser liegt darin, dass normalerweise alle Arbeitnehmer übereinstimmende wirtschaftliche Interessen haben. Das Wort „sollen“ erweist, dass dies nicht zwingend ist, so dass unter Beachtung von § 222 Abs. 2 Satz 1 InsO Gruppen auch innerhalb der Arbeitnehmerschaft gebildet werden können. 8.98 Die Abstimmung der Gruppe der Arbeitnehmer richtet sich nach den allgemeinen, auch für die anderen Gruppen geltenden Vorschriften. 8.99 Der Arbeitnehmerschaft und erst recht etwa gebildeten (Unter-)Gruppen innerhalb der Arbeitnehmerschaft kommt im Hinblick auf die Bedeutung der einzelnen Gruppen ein erhebliches Einflusspotential zu. Dies hat im Schrifttum zu 1 Vgl. LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 222 InsO Rz. 26; Braun in Nerlich/Römermann, § 222 InsO Rz. 93; Eidenmüller in Münchener Kommentar zur InsO, § 222 InsO Rz. 119; Braun in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 67 Rz. 49; Frank in Anwaltshandbuch Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2008, § 13 Rz. 126; Huntemann/Brockdorff, Der Gläubiger im Insolvenzverfahren, 1999, Kap. 13 Rz. 29; Wenzel in Haarmeyer/Wutzke/Förster, 2. Aufl. 2012, § 222 InsO Rz. 11. 2 Vgl. Begr. zu § 265 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 108, 199 f.; Schmidt-Räntsch, § 222 InsO Rz. 5. 3 S. dazu näher Moll in Kübler/Prütting/Bork, §§ 123, 124 InsO Rz. 105. 4 Vgl. Krolop, ZfA 2015, 287, 308. Anders Eidenmüller in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl., § 222 InsO Rz. 125. 5 S. auch BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, DB 2015, 1651.

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Moll

Arbeitnehmerbeteiligung

8.101

dem Vorschlag geführt, die Arbeitnehmer dann nicht als Gruppe zu berücksichtigen, wenn kein Betriebsrat besteht oder mit einem Betriebsrat keine Einigung über einen Interessenausgleich/Sozialplan erzielt worden ist1. Dem kann de lege lata nicht gefolgt werden. Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Betriebsratsmitbestimmung geregelt, dass die Arbeitnehmer eine Gruppe bilden „sollen“. Diese Regel kann dann aber nicht durch das Bestehen eines Betriebsrats und eine mit diesem erzielte Einigung beiseite geschoben werden. 2. Darstellender Teil Die Bedeutung arbeitsrechtlicher, personalbezogener Aspekte kommt regelmäßig 8.100 im darstellenden Teil des Insolvenzplans (§ 220 InsO) zum Ausdruck. Der Regierungsentwurf sah eine ausdrückliche Erwähnung zum einen von Betriebsänderungen und anderen organisatorischen und personellen Maßnahmen innerhalb des Unternehmens und zum anderen des Gesamtbetrags der Sozialplanforderungen vor (§ 258 Abs. 2 Nr. 1 und 2 RegE). Diese Aspekte wurden als „beispielhaft wichtige“ Maßnahmen bei der Sanierung eines Unternehmens angesehen. Die Nichterwähnung im Gesetzeswortlaut hat nichts daran geändert, dass diese Maßnahmen im Insolvenzplan darzustellen sind2. Umstrukturierungsmaßnahmen jeder Art sind in der Tat mit vielfältigen organisatorischen und personellen Maßnahmen verbunden. Die Mitteilung über derartige Maßnahmen ist sowohl für Arbeitnehmer als auch für Gläubiger jeder Art eine wichtige Grundlage für die Entscheidung über den Insolvenzplan. In gleicher Weise muss Klarheit über die mit der Sanierung verbundenen Sozialplanforderungen bestehen. Je größer die Unsicherheit über den Gesamtbetrag der Sozialplanforderungen ist, desto mehr wird die Bereitschaft zur Annahme des Insolvenzplans herabgesetzt3. 3. Gestaltender Teil Der gestaltende Teil des Insolvenzplans (§ 221, 254 Abs. 1 InsO) kann Regelungen 8.101 vorsehen, durch die Arbeitnehmeransprüche beschränkt, insbesondere entstandene, rückständige Forderungen erlassen werden. Dies ist unproblematisch, wenn es sich um Ansprüche handelt, die zur Disposition der Arbeitnehmer stehen. Diese Dispositionsfreiheit besteht jedoch nicht immer. § 4 Abs. 3 Satz 1 TVG sieht vor, dass Arbeitnehmer auf durch Tarifvertrag eingeräumte Rechte nur mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien verzichten können. § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG lässt einen Verzicht auf durch Betriebsvereinbarung begründete Ansprüche nur mit Zustimmung des Betriebsrats zu. Entsprechende Fragestellungen entstehen, wenn es sich um gesetzlich unverzichtbare Ansprüche handelt (Bsp.: Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaub nach dem BUrlG). Die Auflösung des Konkurrenzverhältnisses zwischen arbeitsrechtlichen und insolvenzrechtlichen Regelungen in diesem Zusammenhang ergibt sich aus Inhalt und Rechtsnatur des In-

1 Vgl. Krolop, ZfA 2015, 287, 308. 2 Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2010, Kap. 38 Rz. 15. 3 Vgl. Begr. zu § 258 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 108, 197; Burger/Schellberg, DB 1994, 1833, 1834.

Moll

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8.102

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

solvenzplans. Der Insolvenzplan ist ein Übereinkommen zwischen Schuldner und (allen beteiligten) Gläubigern1. Der Insolvenzplan kann daher keine Betriebsvereinbarungs- oder Tarifregelungen ändern. Die Erfüllung bereits entstandener Forderungen wird durch den Insolvenzplan nun aber dadurch berührt, dass nach § 224 InsO der wesentliche Inhalt des Insolvenzplans darin besteht anzugeben, um welchen Bruchteil Forderungen von Insolvenzgläubigern gekürzt werden. Diese Wirkungen treten für und gegen die Insolvenzgläubiger auch dann ein, wenn der einzelne dem Insolvenzplan nicht zugestimmt hat (§ 254 Abs. 1 InsO i.V.m. § 254b InsO). Entscheidend ist mithin nicht ein „Verzicht“ des einzelnen Arbeitnehmers i.S. von § 4 Abs. 3 Satz 1 TVG oder § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG. § 4 Abs. 3 Satz 1 TVG und § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG stehen daher einer Reduzierung von Ansprüchen durch den Insolvenzplan nicht entgegen2. Entscheidend ist das Zustandekommen des Insolvenzplans im Rahmen eines formell-justizförmig geregelten Verfahrens. Einen Verzicht i.S. von § 4 Abs. 3 Satz 1 TVG oder § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG stellt dies nicht dar, so dass entstandene Ansprüche von Arbeitnehmern auf Grund Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag zur Disposition durch den Insolvenzplan stehen, ohne dass Betriebsrat oder Tarifvertragsparteien zustimmen müssten. 8.102 Eine andere Situation besteht, wenn es sich darum handelt, ob Entgeltreduzierungen für künftige Zeiträume festgelegt werden. Die §§ 224, 254 Abs. 1 InsO sind insoweit schon deshalb nicht anwendbar, weil die Arbeitnehmer im Hinblick auf die künftigen Ansprüche nicht Insolvenzgläubiger sind, sondern Massegläubiger. § 217 InsO lässt nicht erkennen, dass der Insolvenzplan auch in derartig künftig zu erdienende Ansprüche eingreift. Regelungen über künftige Ansprüche oder Entwicklungen im Arbeitsverhältnis sind daher durch den Insolvenzplan – unabhängig davon, dass es sich beim Zustandekommen des Insolvenzplans nicht um einen „Verzicht“ i.S. von § 4 Abs. 3 Satz 1 TVG oder § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG handelt – nicht möglich, weil dies Inhalt und Regelungskompetenz des Insolvenzplans, wie sie in § 217 InsO festgelegt sind, überschreitet. Die Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmern im Rahmen der künftigen Entwicklung des Arbeitsverhältnisses sind nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen zu gestalten, gegebenenfalls unter Anwendung insolvenzspezifischer Besonderheiten (Bsp.: § 120 InsO). vacat

8.103–8.110

VI. Gerichtliche Planbestätigung 1. Das Verfahren 8.111 Die §§ 248 ff. InsO regeln des Planbestätigungsverfahren. Mit der Bestätigung des Plans leistet das Insolvenzgericht einen „gesetzlichen Mindestschutz für alle Be-

1 Vgl. Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 463 ff.; Eidenmüller in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2014, § 217 InsO Rz. 23, 29. 2 Anders aber Breuer in Münchener Kommentar zur InsO, § 224 InsO Rz. 5.

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Moll und Vallender

Gerichtliche Planbestätigung

8.114

teiligten“1. Pleister2 nennt folgende Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen, damit das Gericht einen Plan bestätigen kann: Gesetzmäßigkeit des Planinhalts3 (§ 250 Nr. 1 InsO), korrekte Gruppenbildung, Gleichbehandlung der gruppenzugehörigen Gläubiger (§ 226 InO), erforderliche Mehrheiten: Zustimmung der Gläubigergruppen oder Ersetzung ihrer Zustimmung, Zustimmung des Schuldners oder Ersetzung seiner Zustimmung, Entscheidung über alle formund fristgerecht erhobenen Widersprüche, keine unlautere Herbeiführung des Plans4, Wahrung der Minderheitenrechte (§ 251 InsO) sowie Eintritt der im darstellenden oder gestaltenden Teil des Plans vorgesehenen Bedingungen (§ 249 InsO). Raum für eigene wirtschaftliche Gestaltungen räumt das Gesetz dem Gericht nicht ein5. Insbesondere ist es nicht befugt, Veränderungen an dem Plan vorzunehmen oder Auflagen zu erteilen6. Auch ist es dem Gericht nicht gestattet, einen Plan nur teilweise zu bestätigen7. Nach § 247 Abs. 1 InsO gilt die Zustimmung des Schuldners zum Plan als erteilt, 8.112 wenn er dem Plan nicht spätestens im Abstimmungstermin schriftlich widerspricht. Zugleich unterliegt der Widerspruch des Schuldners gemäß § 247 Abs. 2 InsO einem Obstruktionsverbot. 8.113

Der Widerspruch des Schuldners ist unbeachtlich, wenn – der Schuldner durch den Plan nicht schlechter gestellt wird, als er ohne den Plan stünde, und – kein Gläubiger einen wirtschaftlichen Wert erhält, der den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigt.

Bei Vorlage und Annahme mehrerer Pläne8 kommt eine Bestätigung gemäß § 248 8.114 InsO nicht in Betracht, weil das Gesetz ersichtlich davon ausgeht, dass nur ein Plan bestätigt werden kann. Das Gericht beschließt in einem solchen Fall die Versagung der Bestätigung, indem es feststellt, dass kein Plan i.S. von § 248 InsO angenommen worden ist9. Dabei ist jedem der angenommenen Pläne die Bestäti1 Pleister in Kübler/Prütting/Bork, § 248 InsO Rz. 2. Eine fortdauernde Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des vormaligen Insolvenzverwalters nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans und Aufhebung des Insolvenzverfahrens gibt es nicht (OLG Celle v. 20.11.2006 – 4 U 166/06, ZIP 2006, 2394). 2 Pleister in Kübler/Prütting/Bork, § 248 InsO Rz. 5. 3 Allein das Fehlen einer Seite des den Insolvenzgläubigern übersandten Insolvenzplans begründet jedenfalls dann nicht die Rüge der §§ 250 Nr. 1, 235 Abs. 3 Satz 2 InsO, wenn für die Gläubiger das Fehlen der Seite ersichtlich war und sie die Möglichkeit hatten, diese beim Insolvenzverwalter vor dem Abstimmungstermin, in dem der Verwalter die fehlende Seite im entschiedenen Fall nachgereicht hatte, anzufordern (OLG Dresden v. 21.6.2000 – 7 W 951/00, NZI 2000, 436). 4 S. dazu die Beispiele bei Pleister in Kübler/Prütting/Bork, § 248 InsO Rz. 5 sowie Braun/ Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenzrecht, S. 487. 5 Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 248 InsO Rz. 2. 6 Hess, 2. Aufl., § 248 InsO Rz. 10; Pleister in Kübler/Prütting/Bork, § 248 InsO Rz. 10. 7 Braun in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 68 Rz. 68.105. 8 Bei wörtlicher Anwendung des § 218 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 InsO ist eine gleichzeitige Vorlage zweier konkurrierender Pläne nur bei Planvorschlägen des Verwalters und des Schuldners möglich. Die Zulässigkeit der Vorlage zweier Pläne durch den Verwalter ist ohnehin ein mehr theoretisches Problem (Lüke in FS Uhlenbruck, 2000, S. 526). 9 So Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 248 InsO Rz. 5.

Vallender

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8.115

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

gung zu versagen. Allerdings kann es die Erörterung der Pläne wiedereröffnen (§ 156 ZPO) und den Beteiligten die Möglichkeit der Neuverhandlung einräumen. Demgegenüber vertreten Lüer/Streit1 die Auffassung, das Gericht habe jeden angenommenen Plan zu bestätigen, soweit kein Versagungsgrund gemäß §§ 250, 251 InsO vorliege. Die Bestätigung müsse gegebenenfalls jeweils der sachlichen Reihenfolge nach (Zeitpunkt der Befassung) mit einem Tag Unterschied verkündet werden, so dass auch die Beschwerdefrist unterschiedlich ende. 8.115 Funktionell zuständig für die Entscheidung über die Bestätigung oder Versagung der Bestätigung des Plans gemäß § 248 InsO ist der Richter2. Vor seiner Entscheidung soll das Insolvenzgericht den in § 248 Abs. 2 InsO Genannten rechtliches Gehör gewähren. Als Verfahrensbeteiligter ist auch dem Schuldner rechtliches Gehör zu gewähren. Eine Entscheidung ohne vorherige Anhörung des Insolvenzverwalters, des Schuldners und des Gläubigerausschusses, wenn ein solcher bestellt ist, stellt einen Verfahrensmangel dar, der grundsätzlich zu einer Aufhebung der Entscheidung führt3. Gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt oder die Bestätigung versagt wird, steht den Gläubigern, dem Schuldner und den am Schuldner beteiligten Personen die sofortige Beschwerde zu (§ 253 Abs. 1 InsO, § 6 Abs. 1 InsO). Das Beschwerderecht der Gläubiger ist nicht auf die stimmberechtigten Gläubiger beschränkt; es steht vielmehr auch den Gläubigern streitiger Forderungen zu, denen das Gericht kein Stimmrecht zuerkannt hat4. Sind im Insolvenzplan und in der für die Gläubiger bestimmten Zusammenfassung widersprüchliche Regelungen enthalten, ist der rechtskräftig bestätigte Insolvenzplan maßgeblich5, weil nur der Plan bestätigt wird. Offensichtliche Fehler des Plans können seit Inkrafttreten des ESUG am 1.3.2012 vom Verwalter nach § 221 Satz 2 InsO bei entsprechender Ermächtigung berichtigt werden, was der gerichtlichen Bestätigung bedarf (§ 248a InsO)6. 2. Minderheitenschutz 8.116 Die Planbestätigung ist auf Antrag eines Gläubigers oder, wenn der Schuldner keine natürliche Person ist, einer am Schuldner beteiligten Person zu versagen (§ 251 InsO), wenn der Antragsteller dem Plan spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder im Abstimmungstermin zu Protokoll (Terminsprotokoll)7 widersprochen hat und er durch den Plan voraussichtlich schlechtergestellt wird, 1 Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 248 InsO Rz. 7; ebenso Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 244 InsO Rz. 45. 2 § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG. Abs. 1 der Vorschrift wurde durch das ESUG mit Wirkung vom 1.1.2013 neu gefasst. Bis zu diesem Zeitpunkt fiel die Entscheidung in die Regelzuständigkeit des Rechtspflegers. Die neue Richterzuständigkeit gilt nur für Verfahren, die ab dem 1.1.2013 beantragt werden (Art. 103g Satz 2 EGInsO). 3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 16.10.1957 – 3 W 234/57 und 3 W 245–249/57, KTS 1959, 175; Vallender in Kölner Schrift zur InsO, S. 255 Rz. 14; das rechtliche Gehör kann allerdings im Abhilfeverfahren gemäß § 4 InsO, § 572 Abs. 1 ZPO nachgeholt werden. 4 Begr. zu § 300 RegE, BR-Drucks. 1/92, S. 212. 5 BGH v. 9.1.2014 – IX ZR 209/11 Rz. 18, MDR 2014, 622 = ZIP 2014, 330. 6 BGH v. 9.1.2014 – IX ZR 209/11 Rz. 18, MDR 2014, 622 = ZIP 2014, 330. 7 Vor Inkrafttreten des ESUG am 1.3.2012 konnte der Widerspruch zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Diese Möglichkeit wurde zur Vereinfachung der Abläufe bei Gericht gestrichen (BT-Drucks. 17/5712, S. 35).

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Vallender

Gerichtliche Planbestätigung

8.118

als er ohne einen Plan stünde. Die Vorschrift des § 251 InsO wurde durch das ESUG modifiziert. Da mit Inkrafttreten des ESUG in die Rechte der Anteilsinhaber durch den Insolvenzplan eingegriffen werden kann, wurden die Abs. 1 und 2 entsprechend angepasst und der Minderheitenschutz auf die Anteilsinhaber erstreckt1. Der Minderheitenschutz des § 251 InsO trägt dem Umstand Rechnung, dass die 8.117 Gruppenbildung (§§ 222 ff. InsO; dazu Rz. 8.16 ff.) nicht die unterschiedlichen Interessen aller einzelnen Gläubiger angemessen berücksichtigen kann. So mag die Mehrheit der Lieferantengläubiger die Kombination von Forderungsverzicht und Fortführung des Unternehmens durch den Schuldner favorisieren, weil sie sich Vorteile von den künftigen Geschäftsbeziehungen mit dem Schuldner versprechen, während einzelne (z.B. wegen Aufgabe des eigenen Geschäfts) an einer solchen Lösung nicht interessiert sind und deshalb in der Gruppe gegen den Plan stimmen. Letztlich schützt § 251 InsO den einzelnen Gläubiger und Anteilsinhaber davor, dass er von den planzustimmenden Beteiligten zu seinem Nachteil überstimmt wird2. Die Vorschrift soll jedem Gläubiger den Wert garantieren, den seine Rechtsposition im Insolvenzverfahren noch hat. Die Mehrheitsentscheidung ist keine ausreichende Legitimation dafür, dass einem einzelnen Beteiligten gegen seinen Willen Vermögenswerte entzogen werden3. Die Gewährung des Minderheitenschutzes nach § 251 InsO setzt einen entspre- 8.118 chenden Antrag voraus. Dieser kann frühestens nach Abschluss des Erörterungstermins gestellt werden. Der Versagungsantrag ist nur zulässig, wenn der Antragsteller spätestens im Abstimmungstermin seinen individualisierten Widerspruch schriftlich erklärt oder zum gerichtlichen Terminsprotokoll des Abstimmungstermins gegeben hat4. Der Widerspruch ist von dem Antrag auf Versagung der gerichtlichen Bestätigung zu unterscheiden. Zutreffend weisen Lüer/Streit5 darauf hin, dass ein Antrag gemäß § 251 Abs. 1 InsO kein Widerspruch gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist, noch in einem Widerspruch ein Antrag gemäß Abs. 1 enthalten ist6. Eines ausdrücklich erklärten Widerspruchs in der Form des § 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO bedarf es dann nicht, wenn der Antrag auf Minderheitenschutz bereits im Abstimmungstermin gestellt wurde7.

1 2 3 4

Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 251 InsO Rz. 3. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 211. BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, Rz. 6, WM 2012, 1640. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35; s. auch BGH v. 17.12.2009 – IX ZB 124/09, ZIP 2010, 292 Rz. 6. 5 In Uhlenbruck, § 251 InsO Rz. 18. 6 Nach Auffassung des BGH (v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 Rz. 11 f. („Suhrkamp“), MDR 2014, 1110 = ZIP 2014, 1442) ist es weder mit dem Gesetzeswortlaut des § 253 Abs. 2 Nr. 1 InsO noch mit den Gesetzesmaterialien vereinbar, die Zulässigkeit einer sofortigen Beschwerde an die ungeschriebene Voraussetzung eines vor dem Insolvenzgericht gestellten Minderheitenschutzantrags (§ 251 InsO) zu knüpfen (ebenso Frank in Braun, § 253 InsO Rz. 11 f.; Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 253 InsO Rz. 6; G. Fischer, NZI 2013, 513, 515; Fölsing, EWiR 2014, 293 ff.; Skauradszun, DZWiR 2014, 338, 339 f.; Spliedt in Karsten Schmidt, § 251 InsO Rz. 17, § 253 InsO Rz. 6; Sinz in Münchener Kommentar zur InsO, § 251 InsO Rz. 57). 7 BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 10/06, ZInsO 2007, 442, 443.

Vallender

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8.119

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

8.119 Nach § 251 Abs. 2 InsO hat der Antragsteller glaubhaft zu machen, dass er durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt wird, als er ohne einen Plan stünde. Die behauptete Schlechterstellung durch den Insolvenzplan ist mit konkreten Tatsachen zu begründen, die glaubhaft zu machen sind1. Das Erfordernis der Glaubhaftmachung soll das Insolvenzgericht davor bewahren, dass ein Antrag, der auf bloße Vermutungen gestützt wird, zu umfangreichen Ermittlungen führt. Ob der Gläubiger durch den Plan wirtschaftlich benachteiligt wird, ist ausschließlich auf der Grundlage seines glaubhaft gemachten (§ 294 ZPO) Vorbringens zu beurteilen. Vergleichsmaßstab für eine Schlechterstellung ist das Liquidationsszenario2. Zu vergleichen sind also die Positionen des Antragstellers bei Abwicklung des Insolvenzverfahrens nach den Vorschriften der Insolvenzordnung und bei Ausführung des Insolvenzplans. Bringt der Plan für den widersprechenden Antragsteller wirtschaftliche Nachteile, hat der Widerspruch Erfolg3. Allein der Hinweis auf Vermutungen und allgemeine Prognosen sind nicht ausreichend4. Die Glaubhaftmachung hat spätestens im Abstimmungstermin zu erfolgen. Eine Glaubhaftmachung zu einem späteren Zeitpunkt führt zur Unzulässigkeit des Antrags gemäß § 251 Abs. 1 InsO5. 8.120 Der Minderheitenschutzantrag ist begründet, wenn der Antragsteller bei der Durchführung des Plans voraussichtlich schlechter gestellt wird, als er ohne Plan stünde und für diesen Fall im gestaltenden Teil des Insolvenzplans keine Mittel bereitgestellt werden, die die Schlechterstellung ggfls. ausgleichen (§ 251 Abs. 3 InsO). Die Darlegungs- und Beweislast trifft den Antragsteller; verbleibende Ungewissheit geht zu seinen Lasten6. Durch die Einfügung des Wortes „voraussichtlich“ in § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO wurde die Darlegungs- und Beweislast als solche nicht abgeändert, wohl aber erleichtert7. 8.121 Dagegen hat das Insolvenzgericht den Minderheitenschutzantrag gemäß § 251 Abs. 3 Satz 1 InsO zurückzuweisen, wenn im Plan Mittel bereitgestellt werden, die für eine nachgewiesene Schlechterstellung des Gläubigers bzw. Anteilsinhabers einen finanziellen Ausgleich bieten. Ein Streit um den finanziellen Ausgleich lässt das Insolvenzplanverfahren unberührt; er ist gesondert vor den ordentlichen Gerichten auszutragen (§ 251 Abs. 3 Satz 2 InsO)8. Gegen den Zurückweisungs-

1 S. in diesem Zusammenhang BGH v. 3.11.2011 – IX ZA 86/11, NZI 2012, 141. Nach dem vorgenannten Beschluss ist die Beurteilung, die Gläubiger einer Gruppe würden durch den vom Schuldner vorgelegten Plan schlechter gestellt als bei Durchführung des Insolvenzverfahrens, eine überwiegend in den Verantwortungsbereich des Tatrichters fallende Prognoseentscheidung und kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt nachgeprüft werden. 2 Pleister in Kübler/Prütting/Bork, § 251 InsO Rz. 8; Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 641. 3 Vgl. BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012, 1640. 4 LG Nürnberg v. 4.2.2011 – 11 T 10430/10, NZI 2011, 592; AG Bonn v. 27.5.2014 – 99 IN 153/13, ZInsO 2015, 353. 5 Pleister in Kübler/Prütting/Bork, § 251 InsO Rz. 14. 6 Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 251 InsO Rz. 7. 7 Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 251 InsO Rz. 7. 8 Sofern der Insolvenzplan bei der Gestaltung der Nachbesserungsklausel keine Bestimmung hinsichtlich des Klagegegners getroffen hat, dürfte der Schuldner der richtige Klagegegner sein (Pleister in Kübler/Prütting/Bork, § 251 InsO Rz. 25).

922

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Vallender

Rechtsmittel

8.132

beschluss steht dem Antragsteller kein Rechtsmittel zur Verfügung1. Wohl aber kann der Antragsteller gegen den Beschluss, durch den das Insolvenzgericht den Insolvenzplan bestätigt, gemäß § 253 Abs. 1 InsO sofortige Beschwerde einlegen (§ 6 InsO). Bereits vor Aufnahme des Abs. 3 in die Vorschrift des § 251 InsO durch das ESUG 8.122 konnte nach Auffassung des Gesetzgebers2 das Risiko der Versagung der Planbestätigung dadurch verhindert werden, dass im Plan zusätzliche Leistungen an solche Beteiligte vorgesehen werden, die dem Plan widersprechen und den Nachweis führen, dass sie ohne eine solche Zusatzleistung durch den Plan schlechter gestellt werden als ohne einen Plan. Der Hinweis des Gesetzgebers hat in der Praxis zur Anwendung salvatorischer Klauseln geführt, mit denen an durch den Plan benachteiligte Gläubiger Abfindungen gezahlt werden sollen, sofern die Benachteiligung rechtskräftig festgestellt werden sollte3. 8.123–8.130

vacat

VII. Rechtsmittel 1. Beschwerdevoraussetzungen Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den vom Gesetz 8.131 ausdrücklich bestimmten Fällen einem Rechtsmittel (§ 6 Abs. 1 InsO). Gegen Zwischenentscheidungen während des Planverfahrens ist es nicht vorgesehen, insbesondere auch nicht vorbeugend gegen eine Durchführung des Erörterungsund Abstimmungstermins, dem unmittelbar (§ 252 Abs. 1 InsO) die Bestätigung folgen kann. Verfassungsrechtlich ist das nicht zu beanstanden4. Einzige Ausnahme von der Rechtsmittelfreiheit verfahrensbegleitender Entscheidungen ist die Zurückweisung des Plans gemäß § 231 InsO, gegen die der Planeinreicher vorgehen darf, nicht aber ein Beteiligter, mögen die beabsichtigten Planregelungen auch noch so günstig für ihn sein. Unzulässig ist eine Beschwerde insbesondere gegen eine Stimmrechtsfestsetzung5. Entscheidungen über das Obstruktionsverbot oder einen Minderheitenschutzantrag fließen in den Beschluss über die Bestätigung des Insolvenzplans ein. Nur er ist rechtsmittelfähig (§ 253 Abs. 1 InsO). Die gegen die Planbestätigung oder deren Versagung gerichtete sofortige Be- 8.132 schwerde ist ausschließlich6 beim Insolvenzgericht einzureichen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 InsO), obgleich für die Beschwerdeentscheidung das Landgericht zuständig ist, wenn das Insolvenzgericht nicht abhilft (§ 72 Abs. 1 GVG). Durch die Einlegung beim Insolvenzgericht soll die Abhilfeprüfung beschleunigt werden. Die Beschwerdefrist beträgt zwei Wochen ab Verkündung der Entscheidung (§§ 6 1 Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 251 InsO Rz. 24. 2 Begr. zu § 298 RegE, BR-Drucks. 1/92, S. 221, 212. 3 Zum Muster einer solchen salvatorischen Klausel vgl. Braun/Uhlenbruck, Muster eines Insolvenzplans, 1998, S. 63 f. 4 BVerfG v. 17.10.2013 – 2 BvR 1978/13, ZIP 2013, 2163. 5 §§ 237, 238, 77 Abs. 2 InsO, dazu Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 237 InsO Rz. 14, § 238 InsO Rz. 9, § 238a InsO Rz. 10. 6 Demgegenüber ließe § 569 Abs. 1 ZPO die Wahl.

Vallender und Spliedt

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8.133

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

Abs. 2, 252 Abs. 1 InsO, 569 Abs. 1 ZPO). Das Rechtsmittel hat entgegen § 570 ZPO einen Suspensiveffekt, weil die Planwirkungen erst mit der Rechtskraft eintreten (§ 254 InsO). 8.133 Für die Zulässigkeit jeder Beschwerde bedarf es einer formellen und einer materiellen Beschwer. Eine formelle Beschwer des Gläubigers liegt vor, wenn er mit einem Verfahrensantrag gescheitert ist. Eine gegen den Plan abstimmende Gruppe ist nicht parteifähig, obwohl die Obstruktionsentscheidung sie und nicht das einzelne Gruppenmitglied betrifft. Beschwerdeführer kann nur ein Beteiligter sein. Dazu verlangt § 253 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO, dass er sowohl dem Plan widersprochen als auch gegen ihn gestimmt hat. Ein formeller Minderheitenschutzantrag ist hingegen nicht erforderlich. Zwar wäre das verfahrensökonomisch sinnvoll1, ist aber als Voraussetzung in § 253 InsO nicht genannt, so dass ein solcher Antrag wegen der gerade bei Rechtsmitteln erforderlichen Klarheit der Anfechtungsvoraussetzungen nicht verlangt werden darf2. Der Widerspruch und die Planablehnung sind entbehrlich, wenn auf deren Notwendigkeit nicht in der öffentlichen Bekanntmachung des Termins und (!) der entsprechenden Ladung hingewiesen wurde (§ 253 Abs. 3 InsO). Hat ein Beteiligter kein Stimmrecht erhalten, kann er allein gegen die Stimmrechtsfestsetzung zwar nicht vorgehen3. Ihm steht aber die Beschwerdemöglichkeit offen4. Sein Votum gegen den Plan ist – mangels Stimmrechts – naturgemäß keine Beschwerdevoraussetzung5. Erklären muss er aber den Widerspruch, falls er, wie es § 235 Abs. 3 InsO vorsieht, zum Termin geladen wurde. Hat ein Gläubiger keine Forderung angemeldet („Nachzügler“), hat er allein dadurch seine verfahrensrechtlichen Befugnisse nicht verwirkt. Das Gesetz kennt keine Ausschlussfrist6. Der Gläubiger gehört qua lege7 zu den Beteiligten, auch wenn er nicht teilgenommen hat. Dann ist er allerdings auch nicht gemäß § 235 Abs. 3 InsO zum Erörterungs- und Abstimmungstermin zu laden mit der Folge, dass er sich auf die Nichteinhaltung der formellen Beschwerdevoraussetzungen nur dann berufen darf, wenn die Hinweise auf die Notwendigkeit von Planwiderspruch und -ablehnung auch in der öffentlichen Bekanntmachung nicht erfolgten8. Ein unterlassener Hinweis in der Ladung spielt keine Rolle, weil dieses Erfordernis ihm gegenüber nicht besteht. 8.134 Die formelle Beschwer des Schuldners ist gegeben, wenn der Plan nicht bestätigt wird, den er vorgelegt hat. Hat der Verwalter den Plan vorgelegt, dessen Bestäti1 Fischer, NZI 2013, 513, 514; Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 253 InsO Rz. 6. 2 BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442 = AG 2014, 779; Spliedt in Karsten Schmidt, § 253 InsO Rz. 6 ff. 3 Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 237 InsO Rz. 12. 4 A.A. Thies in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 253 InsO Rz. 17. Dabei wird aber übersehen, dass nicht der Stimmrechtsausschluss geprüft wird, sondern die Rechtsbeeinträchtigung, Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 253 InsO Rz. 11; Spliedt in Karsten Schmidt, § 253 InsO Rz. 23. 5 Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 253 InsO Rz. 5; Thies in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 253 InsO Rz. 6; Spliedt in Karsten Schmidt, § 253 InsO Rz. 7. 6 Vgl. demgegenüber für die Durchsetzung nach Planbestätigung § 259b InsO. 7 Vgl. § 222 Abs. 1 InsO. 8 A.A. Thies in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 253 InsO Rz. 16.

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Rechtsmittel

8.137

gung versagt wird, folgt die Beschwer des Schuldners aus seiner Zustimmung, die er entweder ausdrücklich erklärt hat oder die gemäß § 247 Abs. 1 InsO als erklärt gilt. Wird der Plan hingegen bestätigt, kann der Schuldner ihn nur angreifen, wenn er im Abstimmungstermin widersprochen hat1. Dem Insolvenzverwalter fehlt eine formelle Beschwer. Er ist ein von allen Betei- 8.135 ligten unabhängiger2 Amtswalter, der keine eigenen Verfahrensrechte wahrnimmt3. Nur wegen des ihm ausdrücklich zugewiesenen4 Planinitiativrechts steht ihm gemäß § 231 Abs. 3 InsO die sofortige Beschwerde zu, nicht jedoch, wenn die Bestätigung des Plans später nach § 250 InsO vertagt wird. Eine materielle Beschwer liegt vor, wenn der Beschwerdeführer in seinen wirt- 8.136 schaftlichen Belangen beeinträchtigt wird. Eine Bestätigungsversagung belastet den Schuldner, dem die in § 227 Abs. 1 InsO vorgesehene Restschuldbefreiung nicht gewährt wird. Die Gläubiger sind materiell beschwert, wenn sie aufgrund des Plans Leistungen erhalten hätten. Es erfolgt kein Vergleich mit dem Ergebnis der Regelabwicklung, weil es allein auf die im Plan vorgesehenen Leistungen ankommt, die dem Gläubiger bei einer Versagung vorenthalten werden5. Anders ist es bei der Beschwer gegen eine Planbestätigung (s. sogleich). Auch die absonderungsberechtigten Gläubiger können beschwert sein, selbst wenn bei einer Bestätigungsversagung eine im Plan vorgesehene Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung nicht wirksam wird. Für sie gilt das Gleiche wie für die ungesicherten Insolvenzgläubiger: Sieht der Plan Leistungen an sie vor, ist eine Beschwerde zulässig6. Bei einer Planbestätigung nennt § 253 Abs. 2 InsO als besondere materielle Be- 8.137 schwer, dass der Beschwerdeführer durch den Plan gegenüber der Regelabwicklung wesentlich schlechter gestellt und dies auch nicht durch etwaige gemäß § 251 Abs. 3 InsO vorgesehene Ausgleichsmittel (dazu Rz. 8.121) kompensiert wird. Als wesentlich sieht die Gesetzesbegründung eine Schlechterstellung an, wenn die Abweichung mindestens 10 % beträgt7. Diese allgemein akzeptierte8 relative Grenze versagt bei kleineren Differenzen, so dass teilweise in Anlehnung an § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO eine absolute Grenze von 600,- Euro verlangt wird9. Da die Wesentlichkeitsschwelle einen Missbrauch verhindern soll, ist es sinnvoller, sowohl frühere Verhaltensweisen des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, wenn sie auf das Erstreben von Sondervorteilen (Lästigkeitsentschädigung) durch die Planblockade hindeuten, als auch die Rechtsverfolgungskosten in Betracht zu ziehen10. Wer viel Aufwand in eine Beschwerde investiert, von der er nur einen verhältnismäßig geringen Vorteil erwarten kann, strebt andere Ziele als den Aus1 §§ 247 Abs. 1, 253 Abs. 2 Nr. 1 InsO. Einem Fortführungsplan für Schuldner mit persönlicher Haftung ist gemäß § 230 Abs. 1 InsO die Zustimmung als Plananlage beizufügen. 2 § 56 Abs. 1 InsO. 3 Deshalb würde ihm im Übrigen auch die materielle Beschwer fehlen. 4 § 218 Abs. 1 InsO. 5 Spliedt in Karsten Schmidt, § 253 InsO Rz. 22. 6 A.A. Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 253 InsO Rz. 11. 7 BT-Drucks. 17/5712, S. 35. 8 Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 253 InsO Rz. 7. 9 Thies in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 253 InsO Rz. 19. 10 Spliedt in Karsten Schmidt, § 253 InsO Rz. 11.

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8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

gleich einer wesentlichen Schlechterstellung an. Der Schuldner ist schon durch das Zustimmungserfordernis der §§ 247 f. InsO geschützt, so dass es seiner Beschwerde nur bedarf, wenn sein berechtigter Widerspruch vom Gericht übersehen wurde1. 8.138 Die wesentliche Schlechterstellung ist glaubhaft zu machen (§ 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO). Zulässig sind gemäß § 294 ZPO nur präsente Beweismittel und die eidesstattliche Versicherung2, insbesondere in Verbindung mit dem Gutachten eines Sachverständigen. Das Beweismaß ist die überwiegende Wahrscheinlichkeit. Die Glaubhaftmachung muss sich auch auf die Forderung erstrecken3, falls sie nicht zur Tabelle festgestellt wurde, sowie auf die Unzulänglichkeit der Ausgleichsmittel des § 251 Abs. 3 InsO. Das kann der Beschwerdeführer nur beurteilen, wenn er das Ausmaß der Schlechterstellung sowohl derjenigen kennt, die einen Minderheitenschutzantrag gestellt haben, als auch derjenigen, die sich erstmals mit der Beschwerde gegen den Plan wenden dürfen, weil sie beispielsweise nicht gesondert geladen wurden und deshalb die Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 InsO nicht erfüllen müssen. Informationen dazu kann der Beschwerdeführer nur den Unterlagen entnehmen, die zur Gerichtsakte gereicht wurden. In Großverfahren mit zahlreichen Beschwerden wird die Einsichtnahme innerhalb der Beschwerdefrist schon aus technischen Gründen schwierig sein. Eine nachträgliche Glaubhaftmachung kommt an sich nicht in Betracht, da es um die Zulässigkeitsvoraussetzungen geht und nicht um die Beschwerdebegründung, für die gemäß § 571 Abs. 3 ZPO eine Frist gesetzt werden kann4. Gegebenenfalls ist, wenn die Glaubhaftmachung in diesem Punkt unverschuldet nicht innerhalb der Frist stattfinden kann, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen (§§ 233, 236 ZPO) und mit einer nachgeholten Glaubhaftmachung der Mittelunzulänglichkeit zu verbinden. 8.139 Ist die Beschwerde nach dem Vorgesagten zulässig, hat das Landgericht – falls nicht schon das Insolvenzgericht der Beschwerde gemäß § 572 Abs. 1 InsO abhilft – den Planinhalt und das Planverfahren vollständig zu überprüfen. Der Umfang entspricht den Aufgaben des Insolvenzgerichts bei der Bestätigungsentscheidung5. Es gilt das Amtsermittlungsprinzip des § 5 InsO6, allerdings hinsichtlich der Tatsachen beschränkt auf das vom Beschwerdeführer glaubhaft gemachte Vorbringen7, was insbesondere für die Schlechterstellung von Bedeutung ist. Soweit es um Rechtsverstöße geht, ergeben sie sich aus der Gerichtsakte, bedürfen also keines weiteren Beweises. Zwar liegt es nahe, dass nur diejenigen Rechtsverstöße erheblich sind, die eine wesentliche Schlechterstellung i.S. des § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO begründen, darf die Beschwerde dem Beschwerdeführer doch sogar durch die Ausgleichsmittel „abgekauft“ werden, weil die Prüfung der Rechtsverstöße dem

1 Anders kann es bei einer natürlichen Person sein, die als Alternative die Restschuldbefreiung gemäß §§ 286 ff. InsO hat. 2 BGH v. 19.5.2009 – IX ZB 236/07, ZIP 2009, 1384 Rz. 14. 3 BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499 Rz. 21 f. 4 Spliedt in Karsten Schmidt, § 253 InsO Rz. 13. 5 BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442 Rz. 35 = AG 2014, 779. 6 BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442 Rz. 35 = AG 2014, 779. 7 BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012, 1640 Rz. 6 zu § 251 InsO.

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Rechtsmittel

8.141

Gericht dann entzogen ist1. Nach Auffassung des BGH hat die Wesentlichkeitsgrenze jedoch nur Einfluss auf die Zulässigkeit der Beschwerde, nicht aber auf deren Begründetheit2. Die Konsequenz ist, dass bei einem Verstoß gegen Planvorschriften die Beschwerde auch dann begründet ist, wenn sich die glaubhaft gemachte Schlechterstellung in der weiteren Prüfung nicht bestätigt3, aber Rechtsverstöße vorliegen. Eine Verletzung des Minderheitenschutzes darf jedoch, so der BGH, nicht mehr geltend gemacht werden, wenn versäumt wurde, gegenüber dem Insolvenzgericht die Schlechterstellung glaubhaft zu machen4. Da § 251 InsO ohne einen formellen Minderheitenschutzantrag nicht verletzt wird5, wird wohl bis zum Abstimmungstermin nicht nur die Schlechterstellung glaubhaft gemacht, sondern auch der Versagungsantrag gestellt werden müssen. Ist das geschehen, kann die Beschwerde begründet sein, wenn die nach § 251 InsO erforderliche Schlechterstellung gegeben ist. Als wesentlich muss sie sich dann nicht erweisen. Die Wesentlichkeit ist nur die Zulässigkeitshürde, nicht aber Voraussetzung für die Begründetheit. Als Entscheidung kann das Gericht gemäß § 572 Abs. 3 ZPO entweder abschlie- 8.140 ßend über die Beschwerde befinden oder die Sache an das Insolvenzgericht zurückverweisen. Richtet sich die Beschwerde gegen eine Bestätigungsversagung, was in der Praxis insbesondere dann vorkommt, wenn die Voraussetzungen des Obstruktionsverbots verneint wurden, wird das Beschwerdegericht den Plan zumindest dann bestätigen, wenn es keiner weiteren Ermittlungen im Rahmen des § 5 InsO bedarf. Erachtet das Gericht die Beschwerde gegen eine Planbestätigung für begründet, hängt die Vorgehensweise vom Verfahrensstadium ab, in dem der Gesetzesverstoß begangen wurde. Liegt er in einer fehlerhaften Durchführung des Erörterungs- und Abstimmungstermins, muss das Verfahren in den Stand davor zurückversetzt und der Temin erneut durchgeführt werden. Sowohl für die Bestätigung als auch für die Versagung gilt, dass das Verfahren nicht endgültig kassiert werden sollte, solange der Mangel noch repariert werden kann, was insbesondere durch eine Änderung gemäß § 240 InsO geschehen kann. 2. „Freigabeverfahren“ a) Zurückweisungsbeschluss Mit dem ESUG wurde in § 253 Abs. 4 InsO nach dem Vorbild des § 246 AktG ein 8.141 „Freigabeverfahren“ eingeführt. Danach ist die Beschwerde auf Antrag des Insolvenzverwalters zurückzuweisen, wenn die Nachteile einer Bestätigungsverzögerung die vom Beschwerdeführer behaupteten Nachteile eines Vollzugs überwiegen, es sei denn, dass ein besonders schwerer Rechtsverstoß vorliegt. Der Beschwerdeführer kann nach einer solchen Zurückweisung nur noch Schadensersatz geltend machen. Der „Freigabeantrag“ wird zweckmäßigerweise mit einer Stellungnahme des Verwalters zur Beschwerde verbunden, so dass er sowohl 1 2 3 4 5

Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 253 InsO Rz. 10. BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442 Rz. 36 ff. = AG 2014, 779. BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442 Rz. 24 = AG 2014, 779. BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442 Rz. 39 = AG 2014, 779. BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442 thematisiert dies nicht.

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8.142

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

beim Insolvenzgericht1, als dem Adressaten der Beschwerdeschrift, als auch beim Landgericht eingereicht werden kann, in dessen alleinige Zuständigkeit die Entscheidung über den Freigabeantrag wegen der Eilbedürftigkeit fällt. Eine Abhilfemöglichkeit des Insolvenzgerichts besteht dann nicht mehr. Vielmehr muss es die Akten sofort dem Landgericht vorlegen (§§ 253 Abs. 4 InsO, 572 Abs. 1 ZPO). Antragsbefugt ist nur der Insolvenzverwalter. In der Eigenverwaltung tritt an seine Stelle der Schuldner, nicht der Sachwalter2, weil der Schuldner das Vollzugsinteresse wegen der bei ihm verbliebenen Verwaltungspflichten (§§ 270 Abs. 1 Satz 2, 80 InsO) hat. 8.142 Vergleichbar mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz3 erfolgt bei einem Freigabeantrag nur eine summarische Prüfung der für die Nachteilsabwägung erheblichen Tatsachen. Da eine Verzögerung alle Planbefürworter trifft, müssen beim Zweiten auch die Nachteile aller Planablehner zusammengerechnet werden, soweit sie eine zulässige Beschwerde eingereicht haben4. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Planablehner eine Kompensationsmöglichkeit durch den Schadensersatzanspruch erhalten, die Planbefürworter hingegen nicht, so dass deren Vollzugsinteresse tendenziell höher zu bewerten ist5. Ob die Erfolgsaussichten der Beschwerde geprüft werden müssen, ist zweifelhaft; denn anders als bei der einstweiligen Verfügung, bei der zwischen dem auf Schlüssigkeit zu prüfenden Verfügungsanspruch6 und dem nur glaubhaft zu machenden Verfügungsgrund7 unterschieden wird, kommt es bei § 253 Abs. 4 InsO allein auf eine Abwägung der Vollzugs- gegen die Verzögerungsfolgen an. Sie hat nur zu unterbleiben, wenn ein besonders schwerer Rechtsverstoß anzunehmen ist § 253 Abs. 4 Satz 2 InsO). Voraussetzungen dafür sind sowohl eine Evidenz der Rechtsverletzung8, als auch der Bezug zu einer grundlegenden Norm des Verfahrensrechts, als auch deren gravierende wirtschaftliche Auswirkungen. Werden beispielsweise die Absonderungsrechte eines Lieferanten nicht berücksichtigt, mag diese Verletzung evident und wegen des grundrechtlichen Eigentumsbezugs auch schwer sein. Handelt es sich jedoch um Gegenstände von geringem Wert, ist der Rechtsverstoß bei einer Gesamtbetrachtung nicht besonders schwer. 8.143 Der auf § 253 Abs. 4 InsO gestützte Zurückweisungsbeschluss kann nicht mehr nachgeholt werden, wenn sich nachträglich herausstellt, dass eine aus anderen Erwägungen zurückgewiesene Beschwerde im (zugelassenen) Rechtsbeschwerdeverfahren zu großen Verzögerungen führt9. Die „Freigabeentscheidung“ ist unan1 BT-Drucks. 17/7511, S. 36; Thies in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 253 InsO Rz. 25; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 251, 253 InsO Rz. 35; a.A. Fischer, NZI 2013, 513, 517: nur LG. 2 LG Berlin v. 14.4.2014 – 51 T 107/14; Thies in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 253 InsO Rz. 25a. 3 BGH v. 17.9.2014 – IX ZB 26/14, ZIP 2014, 2040 Rz. 14, 17. 4 Fischer, NZI 2013, 513, 518; Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 253 InsO Rz. 15. 5 Spliedt in Karsten Schmidt, § 253 InsO Rz. 17. 6 Vollkommer in Zöller, § 935 ZPO Rz. 7. 7 Vollkommer in Zöller, § 935 ZPO Rz. 10 ff. 8 BGH v. 17.9.2014 – IX ZB 26/14, ZIP 2014, 2040 Rz. 18. 9 BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442 Rz. 28 ff. = AG 2014, 779.

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Rechtsmittel

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fechtbar. Eine etwaige Zulassung der Rechtsbeschwerde1 ändert daran nichts, weil sich schon aus dem Eilcharakter des „Freigabeverfahrens“ die Unstatthaftigkeit einer Rechtsbeschwerde ergibt2. Deshalb ist es auch wichtig, dass das Gericht deutlich macht, ob die Beschwerde gemäß § 253 Abs. 4 InsO oder aus anderen Gründen zurückgewiesen wird. Selbst wenn durch die Freigabe in das Grundrecht insbesondere von (zurückgesetzten) Gesellschaftern eingegriffen wird, kann der Vollzug des Insolvenzplans nicht mit einer einstweiligen Anordnung des BVerfG blockiert werden, es sei denn, dass ausnahmsweise die Nachteile des Antragstellers den Nachteil einer Verzögerung deutlich überwiegen3. b) Schadensersatz Wird entsprechend § 253 Abs. 4 InsO verfahren, kann der Beschwerdeführer ei- 8.144 nen aus dem Planvollzug resultierenden Schaden außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend machen. Anspruchsgegner ist der Schuldner, der dafür unbeschränkt haftet, da nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens keine Insolvenzmasse mehr existiert, auf die sich die Haftung begrenzen ließe4. Ausschließlich zuständig für die gerichtliche Entscheidung über eine Schadensersatzklage ist das Landgericht, das die sofortige Beschwerde zurückgewiesen hat. Das hat zwar den Vorteil der Aktenkenntnis, aber den Nachteil, dass dasselbe Gericht über die Folgen seiner Freigabeentscheidung zu befinden hat. In der Regel wird der Beschwerdeführer auch einen Minderheitenschutzantrag ge- 8.145 stellt haben, der u.U. wegen der Ausgleichsmittel des § 251 Abs. 2 InsO zurückgewiesen worden sein könnte. Reichen diese Mittel aus, fehlt es an der Zulässigkeit der Beschwerde. Nur wenn er glaubhaft gemacht hat, dass sie nicht genügen, kann der Beschwerdeführer zusätzlich den Schadensersatz des § 253 Abs. 4 InsO beanspruchen, was sowohl verfahrensrechtlich als auch hinsichtlich des Haftungsschuldners – die Kompensationsmittel können u.a. von dritter Seite bereitgestellt werden – zu einer unglücklichen Gemengelage führen kann. Eine Zurückweisung nach § 253 Abs. 4 InsO darf an sich nur erfolgen, wenn die 8.146 Beschwerde den Zulässigkeitsanforderungen des § 253 Abs. 2 InsO genügt. Äußert sich das Beschwerdegericht dazu nicht oder nimmt es die Zulässigkeit irrtümlich an, darf dies im Schadensersatzprozess nicht mehr überprüft werden, weil nach dem Wortlaut allein die Zurückweisung gemäß § 253 Abs. 4 InsO einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach ermöglicht. 3. Rechtsbeschwerde Gegen eine Beschwerdeentscheidung des Landgerichts sieht die InsO keine wei- 8.147 tere Beschwerde vor. Die Einschränkung von Rechtsmitteln auf die in der InsO ausdrücklich genannten Fälle (§ 6 Abs. 1 InsO) betrifft aber nur die Entscheidungen des Insolvenzgerichts. Im Übrigen kommt der allgemeine Verweis in § 4 InsO auf die Vorschriften der ZPO zum Zuge, die in § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO die Rechtsbeschwerde ermöglichen, wenn das Beschwerdegericht sie zugelassen hat. Unge1 2 3 4

So bei LG Berlin v. 14.4.2014 – 51 T 107/14, DZWIR 2014, 375. BGH v. 17.9.2014 – IX ZB 26/14, ZIP 2014, 2040. BVerfG v. 18.12.2014 – 2 BvR 1978/13, ZIP 2015, 80. Spliedt in Karsten Schmidt, § 253 InsO Rz. 19.

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8.148

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

schriebene Tatbestandsvoraussetzung ist, dass es sich um einen Beschluss handelt, der der Art nach überhaupt beschwerdefähig ist. Für eine „Freigabeentscheidung“ lehnt der BGH dies wegen des Eilcharakters und der Ähnlichkeit mit der aktienrechtlichen Freigabeentscheidung ab, die in § 246a Abs. 2 Satz 6 AktG ausdrücklich als unanfechtbar bezeichnet wird1. Allerdings laufen in aktienrechtlichen Freigabeverfahren Beschlussanfechtungsklage und Freigabeantrag parallel (vgl. § 246a Abs. 4 AktG), während § 253 Abs. 4 InsO einen Beschluss auf Zurückweisung der Beschwerde und damit eine endgültige Erledigung sämtlicher Angriffsgründe vorsieht. Die weitere sofortige Beschwerde kraft Natur der Sache auszuschließen, begegnet deshalb Zweifeln2. Die gegenteilige Ansicht des BGH macht es jedenfalls erforderlich, dass das Landgericht deutlich zu erkennen gibt, dass es die Zurückweisung der Beschwerde auf § 253 Abs. 4 InsO stützt. Lässt es offen, ob es die Beschwerde für unbegründet oder den Planvollzug für vorrangig hält, bleibt die weitere Beschwerde zulässig. 8.148–8.150

vacat

VIII. Vollstreckungsschutz und Verjährung 1. Vollstreckungsschutz 8.151 Der Vollstreckungsschutz soll einer Gefährdung des Planziels durch Nachzügler entgegenwirken. Im Regelinsolvenzverfahren werden Forderungen bei der Verteilung nur berücksichtigt, wenn sie angemeldet und im Falle des Bestreitens ihre Feststellung zur Tabelle innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Wochen betrieben wird (§ 189 InsO). Unterbleibt die Anmeldung, geht die Forderung nicht unter, der Gläubiger kann nur an der Masseverteilung nicht partizipieren, seinen Anspruch aber nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens weiter gegen den Schuldner verfolgen (§ 201 Abs. 1 InsO). Die Stellung als Insolvenzgläubiger hat er unabhängig davon inne, ob er sich am Verfahren beteiligt (§ 38 InsO). Gleiches gilt nach der Verfahrensaufhebung im Anschluss an einen rechtskräftigen Insolvenzplan. Die Planregelungen wirken auch gegenüber einem Nachzügler, der keine Forderungen angemeldet hat (§ 254b InsO). Zu den im Plan für vergleichbare Gläubiger genannten Fälligkeitsterminen kann er seinen Anspruch in Höhe der entsprechenden Quote durchsetzen. Dazu muss er sich einen Titel beschaffen, weil mangels Forderungsanmeldung ein gemäß § 257 Abs. 1 InsO für die Vollstreckung ausreichender Tabellenauszug nicht existiert. Gemäß § 259 ZPO darf er aber auf künftige Leistung klagen, falls der Schuldner schon vor dem Fälligkeitstermin seinen Quotenanspruch bestreitet. Die anschließende Vollstreckung kann bei genügender Höhe der Forderung die Erreichung des gesamten Planziels gefährden. Um das zu vermeiden, kann das Insolvenzgericht gemäß § 259a InsO auf Antrag des Schuldners die Zwangsvollstreckung beschränken, wenn er die Gefährdung glaubhaft macht. Sie muss nicht unbedingt darin bestehen, dass die Planquote an andere Beteiligte nicht mehr gezahlt werden kann, sondern für die Gefährdung reicht es aus, dass für die Unternehmensfortführung notwendige Liquidität entzogen wird. Die Einschränkung der Zwangsvollstreckung ist auf längstens drei Jahre befristet. Voraussetzung ist, dass der Schuldner anschließend die Quote an den 1 BGH v. 17.9.2014 – IX ZB 26/14, ZIP 2014, 2040. 2 Spliedt, EWiR 2014, 685.

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Vollstreckungsschutz und Verjährung

8.154

Nachzügler zu zahlen in der Lage ist, weil sonst die Durchführung des Plans auch ohne Vollstreckungsschutz scheitern würde. Die Anordnung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, bei dessen Aus- 8.152 übung die Schutzwürdigkeit des Schuldners berücksichtigt wird. War dem Schuldner der Gläubiger bekannt, hat er aber darauf spekuliert, dass keine Ansprüche geltend gemacht werden, ist er weniger schutzwürdig, als wenn er mit der Verbindlichkeit nicht zu rechnen brauchte. Das ist insbesondere der Fall, wenn sich nachträglich hohe Mängelgewährleistungsansprüche aus früheren Leistungen ergeben. 2. Verjährung Der Vollstreckungsschutz wird ergänzt durch die besondere Verjährungsfrist des 8.153 § 259b InsO. Danach verjähren Forderungen, die nicht bis zum Abstimmungstermin angemeldet wurden, innerhalb eines Jahres, beginnend mit der Rechtskraft der Planbestätigung, frühestens jedoch mit der Fälligkeit der Forderung. Die Fälligkeitsfiktion des § 41 InsO ist mangels Anmeldung nicht maßgebend. Da § 259b InsO den Schuldner schützen will, wird eine nach dem Forderungsstatut früher eintretende Verjährung durch diese Vorschrift nicht verlängert. Fraglich ist, ob die Vorschrift auch den Gläubiger schützt gegen eine Planrege- 8.154 lung, die eine kürzere als die in § 259b InsO genannte Frist enthält. Zeiträume von nur zwei Wochen in Anlehnung an die Ausschlussfrist des § 189 Abs. 1 InsO sind in der Praxis keine Seltenheit. Eine Schutzwirkung zugunsten des Gläubigers wird man § 259b InsO jedoch nur schwerlich entnehmen können. Andererseits wäre diese Vorschrift überflüssig, wenn der Gesetzgeber davon ausgegangen wäre, dass sich der Schuldner durch eine entsprechende Planklausel selbst schützen könnte. Die Motive äußern sich nur zu einer Ausschlussfrist, die wegen verfassungsrechtlicher Bedenken verworfen wurde1. Wenig später hat auch der BGH zur Ausschlussfrist gemeint, dass sie wegen des Eingriffs in das Eigentumsrecht des Forderungsgläubigers der ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedürfe2. Zwar führt ein Verjährungseintritt nur zu einem Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners (§ 214 Abs. 1 BGB) und nicht, wie die Ausschlussfrist, zu einem Untergang der Forderung3. In beiden Fällen geht es jedoch um einen Rechtsverlust. Unter dem Blickwinkel des Art. 14 GG macht es keinen Unterschied, ob jemand ein Recht verliert oder nur nicht mehr durchsetzen kann. Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass verjährungserleichternde Vereinbarungen zulässig sind (§ 202 Abs. 1 BGB); denn es geht ja gerade um die Frage, ob der eine Verjährung vorsehende Planinhalt von Gesetzes wegen (§ 254b InsO) auf Gläubiger erstreckt werden darf, die sich am Verfahren nicht beteiligen. Eine Analogie zur kurzen Frist des § 189 Abs. 1 InsO, die ebenfalls den passiven Gläubiger trifft, ist nur gerechtfertigt, wenn es um dessen Berücksichtigung bei anstehenden Auszahlungen geht4. Insoweit handelt es sich um eine plandispositive Regelung des Verteilungsverfahrens (§ 201 Abs. 1 InsO). Davon zu unterscheiden ist die hier in 1 2 3 4

Begr. RegE BT-Drucks. 127/11, S. 54. BGH v. 10.5.2012 – IX ZR 206/11, ZIP 2012, 1359 Rz. 10. Ellenberger in Palandt, Überbl v § 194 BGB Rz. 13. BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499 Rz. 9 f.

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8.155

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

Rede stehende Frist für die Durchsetzbarkeit der (quotalen) Forderung gegen das nach der Verteilung vorhandene Vermögen des fortgeführten Schuldners. Ein gänzlicher Verlust des Anspruchs auf die Quote wäre schließlich auch noch ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des § 226 Abs. 1 InsO; denn der Nachzügler wird wie die Gläubiger derjenigen Gruppe behandelt, in die er bei einer Forderungsanmeldung eingeordnet worden wäre1. Dann aber darf er auch nicht schlechter gestellt werden, es sei denn, dass das Gesetz eine solche Schlechterstellung selbst vorsieht. Das ist durch § 259b InsO geschehen – aber eben auch nur in den dort genannten Grenzen. Kürzere Fristen für die Verjährung der Forderung – nicht nur für die Berechtigung an der jeweils anstehenden Verteilung – im Plan vorzusehen, ist unzulässig. 8.155 Eine nach § 259b InsO eingetretene Verjährung der Forderung erfasst nicht die Ansprüche, die aus einem Sicherungsrecht folgen (§ 216 BGB). Somit stellt sich hier erneut die Frage, ob eine Verjährung der Absonderungsansprüche im Plan geregelt werden kann. Das könnte schon deshalb zu verneinen sein, weil der Anspruch auf den Verwertungserlös eine Masseschuld ist2, Massegläubiger aber nicht zu den vom Insolvenzplan erfassten Beteiligten gehören3, vgl. § 258 Abs. 2 InsO. Indes gestattet § 223 Abs. 1 InsO ausdrücklich Regelungen über „das Recht der absonderungsberechtigten Gläubiger“. Statt an eine fehlende Forderungsanmeldung könnte der Rechtsverlust an die entgegen § 28 Abs. 2 InsO unterbliebene Anzeige der Sicherungsansprüche anknüpfen. Ob eine solche Pauschalregelung ohne die Bezeichnung des konkreten Absonderungsguts den Anforderungen des § 223 Abs. 2 InsO genügt, ist bereits zweifelhaft. Aber selbst wenn dem so wäre, müsste die Frist länger sein als die für die bloße Forderung geltende Jahresfrist, weil dem Schuldner nichts entzogen wird, was bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dem Werte nach in sein Vermögen gehört. Dass ein Schuldner durch Zeitablauf gegen einen dinglichen Anspruch weniger geschützt ist als gegen einen nur schuldrechtlichen, zeigt schon § 216 BGB. Allenfalls zulässig sollte sein, den Gläubiger entsprechend § 258 Abs. 2 InsO so zu behandeln, als wenn der Anspruch auf den Verwertungserlös mit der Bestätigung des Insolvenzplans fällig geworden wäre, auch wenn eine tatsächliche Verwertung noch nicht stattgefunden hat. Eine Planregelung, die die Regelfrist des § 195 BGB von drei Jahren unterschreitet, wäre danach unzulässig. vacat

8.156–8.170

1 OLG Celle v. 14.7.2011 – 13 U 26/11, ZIP 2011, 1577 Rz. 39; Begr. RegE BT-Drucks. 127/11, S. 54. 2 BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 Rz. 41; Gehrlein, ZIP 2011, 5, 11. 3 Die Ausnahme des § 210a Nr. 1 InsO ist hier nicht relevant.

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Rechtswirkungen des bestätigten Plans

8.172

C. Rechtswirkungen des bestätigten Plans I. Eintritt der rechtsgestaltenden Wirkungen Mit der Rechtskraft der Bestätigung des Plans1 äußert der Plan seine (unmittel- 8.171 baren materiellen) Wirkungen gegenüber allen Beteiligten, also gegenüber den absonderungsberechtigten Gläubigern, gegenüber den Insolvenzgläubigern, gegenüber dem Schuldner und, wenn dieser keine natürliche Person ist, gegenüber den am Schuldner beteiligten Personen2. Auf die Teilnahme am Planverfahren kommt es dabei ebenso wenig an wie auf einen Widerspruch gegen den Plan (§ 254b InsO). Damit wirken die Planregelungen zu Lasten und zu Gunsten der Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen nicht oder nicht rechtzeitig angemeldet haben. Die so genannten „Nachzügler“ müssen ihre Forderungen zunächst rechtskräftig durch das Prozessgericht feststellen lassen, bevor sie ihre Ansprüche durch Leistungsklage gegenüber dem Schuldner durchsetzen können. Dass solche Nachzügler das Planziel gefährden können, liegt auf der Hand, wenn der Planersteller deren Ansprüche wirtschaftlich nicht oder zumindest quantitativ unzureichend einkalkuliert hat3. Ob mit Aufnahme von Präklusionsklauseln, die über die gesetzlichen Regelungen der §§ 254 ff. InsO hinaus den Verlust von Ansprüchen fingieren, die dem Gläubiger bei rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans unbekannt waren, das Problem gelöst werden kann, erscheint fraglich. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur lehnt solche Klauseln ab4. Mag auch bis zum Inkrafttreten der §§ 259a InsO und 259b InsO durch das ESUG ein großes Bedürfnis für die Aufnahme solcher Klauseln in den Plan bestanden haben, stellen diese Regelungen eine wesentliche gesetzgeberische Maßnahme zum Schutz der im Plan ausgestalteten Sanierung dar und sind zumindest ein gewichtiges Indiz gegen die Zulässigkeit von Präklusionsklauseln. Die Wirkungen des Plans ergeben sich primär aus dem Plan selbst, nämlich dem 8.172 gestaltenden Teil des rechtskräftig bestätigten Plans5. Unter Gestaltungswirkungen sind materiellrechtliche Regelungen wie Erlass, Verzicht, Stundung oder Fristverlängerung zu verstehen. Die Rechtsqualität oder der Rechtsgrund der jeweiligen Forderung ändert sich dadurch nicht. Es entstehen weder neue Forderun-

1 Die gesetzliche Regelung, dass die Frist von zwei Wochen zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt wird, mit der Verkündung des Beschlusses beginnt, bleibt auch dann maßgebend, wenn vom Gericht hierüber falsch belehrt worden ist (BGH v. 16.10.2003 – IX ZB 36/03, ZInsO 2003, 1100). 2 Begr. RegE, BR-Drucks. 1/92, S. 212, 213. Zur Kritik an der Fassung des § 254 InsO s. Braun in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 69 Rz. 69.1. 3 Kebekus/Wehler in Graf-Schlicker, § 254b InsO Rz. 2; Smid, jurisPR-InsR 18/2011 Anm. 5. 4 BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346; ebenso jedenfalls nach Neufassung der Insolvenzordnung mit Wirkung v. 1.3.2012 Küpper/Heinze, ZInsO 2013, 471, 473 ff.; ähnlich zum alten Recht Schreiber/Flitsch, BB 2005, 1173, 1176 ff.; a.A. zum alten Recht OLG Hamm v. 3.12.2010 – 30 U 98/10, I-30 U 98/10 – zu II 1c bis f der Gründe; Jacobi/ Stapper, NJ 2012, 265, 266; Martini, jurisPR-InsR 16/2010 Anm. 2. 5 Bork in Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, S. 51.

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8.173

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

gen i.S. einer Novation noch zusätzliche i.S. einer Kumulation1. Nach § 254a Abs. 1 InsO2 sollen Willens- und Verpflichtungserklärungen, die sich auf die Abtretung von GmbH-Anteilen beziehen und in den Plan aufgenommen wurden (vgl. § 228 InsO), mit dem Wirksamwerden des Plans als abgegeben gelten. Dadurch etwa einzuhaltende Formvorschriften werden durch die vorgenannte Bestimmung ersetzt3. Insbesondere bedarf es keiner zusätzlichen notariellen Beurkundung oder Beglaubigung der Willenserklärungen4. Die Vorlage einer Ausfertigung des Insolvenzplans erbringt den Nachweis der Abtretung des Geschäftsanteils an einer GmbH (§ 15 Abs. 3 GmbHG)5. Sieht der Insolvenzplan Eingriffe in die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen vor, gelten die in den Plan aufgenommenen Gesellschafterbeschlüsse sowie sonstige Willenserklärungen der Beteiligten, die zur Durchführung der Eingriffe notwendig sind, nach § 254a Abs. 2 Satz 1 InsO ebenfalls als formwirksam abgegeben und bekanntgemacht6. Um Wirksamkeit zu erlangen, müssen die im Insolvenzplan gefassten Beschlüsse bzw. sonstigen Willenserklärungen nach Maßgabe der einschlägigen gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen eingetragen werden7. Der Insolvenzverwalter ist gemäß § 254a Abs. 2 Satz 3 InsO berechtigt, die erforderlichen Anmeldungen beim jeweiligen Registergericht vorzunehmen. Im gestaltenden Teil des Plans kann der Insolvenzverwalter auch zu weiteren Durchführungshandlungen ermächtigt werden, die der Vorbereitung des Gesellschafterbeschlusses dienen. Es erscheint sachlich gerechtfertigt, die vorgenannte Bestimmung entsprechend anzuwenden, um das Planverfahren nicht unnötig zu verzögern8. 8.173 Nach § 254a Abs. 1 InsO gelten die in den Plan aufgenommenen Willenserklärungen der Beteiligten bezüglich der Begründung, Änderung, Übertragung oder Aufhebung von Rechten an Gegenständen oder der Abtretung von Geschäftsanteilen an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung als in der vorgeschriebenen Form abgegeben. Entsprechendes gilt für Verpflichtungserklärungen bezüglich solcher Rechte (§ 254a Abs. 3 InsO). Die Vorschrift ersetzt die für derartige Erklärungen denkbaren Formanforderungen aus § 311b Abs. 3 BGB oder § 15 Abs. 4 GmbHG. Auch die Schriftform gilt als eingehalten9. Der Insolvenzplan kann allerdings nicht die Übertragung des Besitzes an einer Sache oder die Eintragung einer Rechtsänderung im Grundbuch ersetzen10. 1 Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 254 InsO Rz. 8; Jaffé in Frankfurter Kommentar zu InsO, § 254 InsO Rz. 9 ff. 2 Die Vorschrift ist durch das ESUG geschaffen worden. Abs. 1 entspricht nahezu wortgleich dem früheren § 254 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 InsO. Halbsatz 3 findet sich nunmehr in § 254a Abs. 3 InsO wieder. 3 Eidenmüller, ZGR 2001, 681, 691. Realakte kann der Insolvenzplan als Willensakt nicht ersetzen. Entsprechendes gilt auf Grund seiner subjektiven Reichweite für Maßnahmen und Handlungen von nicht plangebundenen Dritten (Madaus, ZIP 2013, 2133, 2138). 4 BT-Drucks. 127/11, S. 21 ff. 5 Sinz in Münchener Kommentar zur InsO, § 254a InsO Rz. 7. 6 Vgl. z.B. § 183 Abs. 1 Satz 2, § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG. 7 Kebekus/Wehler in Graf-Schlicker, § 254a InsO Rz. 3. 8 Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 573; Madaus, ZIP 2012, 2133, 2138. 9 Sinz in Münchener Kommentar zur InsO, § 254a InsO Rz. 19. 10 Begr. RegE, BR-Drucks. 1/92, S. 212, 213.

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Rechtswirkungen des bestätigten Plans

8.176

§ 225a Abs. 2 und 3 InsO erlaubt die Aufnahme der nach dem Plankonzept erfor- 8.174 derlichen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans. Zu den zulässigen Beschlussgegenständen nach Maßgabe dieser Bestimmungen zählen insbesondere Fortsetzungsbeschlüsse (§ 225a Abs. 3 InsO), satzungsändernde Beschlüsse über eine vereinfachte Kapitalherabsetzung durch Bareinlage oder Sacheinlage oder über einen Ausschluss des Bezugsrechts nach § 55 Abs. 2 GmbHG1. Nach Auffassung des AG Charlottenburg2 hat das Registergericht die registerrechtliche Eintragungsfähigkeit von im Insolvenzplan vorgesehen Maßnahmen ohne Einschränkung oder Bindung aufgrund der vorrangigen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts oder der Bestätigung des Insolvenzplans selbstständig zu prüfen. Die Bestätigung eines Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht führe dementsprechend nicht zu einer Bindung des Registergerichts dahingehend, dass auch im Insolvenzplan zwar vorgesehene, aber gesellschaftsrechtlich unzulässige Maßnahmen einzutragen wären. Da in Zukunft mit entsprechenden Entscheidungen der Registergerichte in der Schnittmenge zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht gerechnet werden müsse, solange keine obergerichtliche Klärung der Sachlage erfolgt sei, empfiehlt Horstkotte3 Vorabstimmungen der beabsichtigten gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen zwischen den Handelsregistern und Insolvenzgerichten. Ohne Vorbild in den früheren Insolvenzgesetzen ist die Regelung des § 254 Abs. 3 8.175 InsO. Hiernach besteht kein Rückforderungsanspruch an einen Gläubiger, der mehr erhalten hat, als ihm nach dem Plan zustünde. Auch wenn im Plan ein teilweiser Forderungserlass geregelt ist, besteht eine natürliche Verbindlichkeit fort, die den Rechtsgrund für eine volle Befriedigung bildet4. Die überplanmäßige Befriedigung eines Gläubigers durch den Insolvenzverwalter vor der Bestätigung des Insolvenzplans stellt keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar. Dies folgt daraus, dass der Plan auf den Zeitpunkt seiner Bestätigung bezogen ist und eine in diesem Zeitpunkt noch bestehende Forderung voraussetzt. Der durch das ESUG neu eingeführte § 254 Abs. 4 InsO soll für die Gläubiger 8.176 mehr Planungssicherheit herbeiführen. Die Vorschrift schließt eine spätere Nachschusspflicht nach den Grundsätzen der Differenzhaftung aus, wenn ein Gläubiger Forderungen im Rahmen eines Debt Equity Swap (§ 225a Abs. 2 InsO) in Gesellschaftsanteile an der GmbH umgewandelt hat. Weder der Schuldner noch der in einem Folgeinsolvenzverfahren bestellte Insolvenzverwalter können mit Erfolg geltend machen, dass die eingebrachte Forderung im Plan überbewertet war. Die Begründung zum Regierungsentwurf verweist insoweit darauf, dass Einwendungen gegen die Bewertung der Forderung im Insolvenzplanverfahren vorgebracht werden können5. Meyer/Degener6 sehen durch die Regelung den Schutz der Neugläubiger des sanierten Schuldners in Frage gestellt, weil diese im Vertrauen auf eine hinreichende Kapitalausstattung mit dem Schuldner kontrahie1 2 3 4 5 6

Sinz in Münchener Kommentar zur InsO, § 254a InsO Rz. 13. AG Charlottenburg v. 9.2.2015 – HRB 153203 B, ZIP 2015, 394. Horstkotte, ZInsO 2015, 416. Begr. RegE, BR-Drucks. 1/92, S. 212, 213. BT-Drucks. 17/5712, S. 36. Meyer/Degener, BB 2011, 846; Haas, NZG 2012, 961, 966; Schäfer, ZIP 2015, 1208, 1209 f.; Kebekus/Wehler in Graf-Schlicker, § 254 InsO Rz. 6.

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8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

ren, ohne in das vorangegangene Insolvenzverfahren eingebunden gewesen zu sein1. 8.177 Die prozessualen Wirkungen des Insolvenzplans ergeben sich aus §§ 257 bis 259a InsO. Sobald die Bestätigung des Insolvenzplans rechtskräftig ist, beschließt das Gericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 258 Abs. 1 InsO). Zuvor hat der Insolvenzverwalter die unstreitigen Masseansprüche zu berichtigen und für die streitigen Ansprüche Sicherheit zu leisten (§ 258 Abs. 2 InsO)2. Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens erlöschen die Ämter des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses. Der Schuldner erhält das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen (§ 259 Abs. 1 Satz 2 InsO). Nach Auffassung des OLG Frankfurt3 besteht an der Speicherung der Information über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 258 InsO ein berechtigtes Interesse des Geschäftsverkehrs. Entscheidend sei insoweit, ob eine Information geeignet ist, etwaige Kreditgeber zu einer sorgfältigen Bonitätsprüfung zu veranlassen4. Bereits aus dem Umstand, dass das Insolvenzverfahren nach § 258 InsO beendet wurde, ergäben sich Hinweise, die zu einer genaueren Bonitätsprüfung berechtigten Anlass geben können. Denn die Kunden der Beklagten könnten aufgrund dieser Information mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass der Insolvenzplan einen teilweisen Forderungsverzicht der Gläubiger vorsieht. 8.178 In seinem Urteil vom 6.2.2003 hat das OLG Jena5 im Rahmen eines Anfechtungsrechtsstreits zu der Frage Stellung genommen, welche Aussage ein Insolvenzplan treffen muss, damit der Insolvenzverwalter einen anhängigen Anfechtungsprozess auch nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens fortführen kann. Konkret ging es um die Formulierung in einem Insolvenzplan, wonach „§ 259 Abs. 3 InsO Anwendung findet“. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann der Verwalter einen anhängigen Rechtsstreit, der die Insolvenzanfechtung zum Gegenstand hat, auch nach der Aufhebung des Verfahrens fortführen, wenn dies im gestaltenden Teil des Plans vorgesehen ist6. Mit Recht vertritt das OLG Jena – anders als die Vorinstanz7 – die Auffassung, es sei nicht erforderlich, einen bestimmten Rechtsstreit oder eine Anzahl von Rechtsstreiten im gestaltenden Teil des Plans näher 1 Umfassend zu dieser Thematik Hölzle in Kübler, HRI, § 31 Rz. 47 ff. 2 Ob die Vorschrift auch in den Fällen Anwendung findet, in denen die Masseverbindlichkeiten nach der Bestätigung des Insolvenzplans bzw. sogar nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens, aber noch vor der entsprechenden öffentlichen Bekanntmachung begründet werden, die Fälligkeit indes erst nach der Veröffentlichung eintritt, erscheint fraglich. Das LG Stuttgart (v. 11.12.2002 – 27 O 295/02, DZWIR 2003, 171 ff.) vertritt die Ansicht, § 258 Abs. 2 InsO finde auf derartige Fälle keine Anwendung (kritisch dazu Busch, DZWIR 2003, 172 ff.; Paul, ZInsO 2004, 72, 75). 3 OLG Frankfurt v. 19.3.2015 – 7 U 187/13, ZIP 2015, 888. 4 OLG Frankfurt v. 1.9.2009 – 21 U 45/09 – Rz. 13 in juris und OLG Frankfurt v. 22.10. 2012 – 4 U 190/11 – Rz. 13 in juris. 5 OLG Jena v. 6.2.2002 – 2 U 1033/01, ZIP 2002, 538 ff.; dazu auch Michels, EWiR 2001, 1067 ff. 6 Soweit im darstellenden Teil des Insolvenzplans bezüglich des Anfechtungsanspruchs eine niedrigere Forderung als im gestaltenden Teil genannt wird, ist dies unbeachtlich, weil die Angabe der Forderungshöhe für das Fortbestehen der Prozessführungsbefugnis keine Voraussetzung ist (vgl. LG Wuppertal v. 27.12.2001 – 2 O 11/01, ZInsO 2002, 337). 7 LG Erfurt v. 26.7.2001 – 3 O 290/01, ZIP 2001, 1646 ff.; dazu Neußner, EWiR 2001, 1067 ff.

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Rechtswirkungen des bestätigten Plans

8.180

zu beschreiben, weil die Entscheidung, welche Prozesse er führt, letztlich beim Insolvenzverwalter verbleibt. Der Bundesgerichtshof hat diese Entscheidung mit Urteil vom 6.10.20051 bestätigt und klargestellt, dass es den Personen, die über die Annahme des Plans zu entscheiden haben und nicht wissen, was in § 259 Abs. 3 InsO steht, zuzumuten sei, die Gesetzesbestimmung nachzulesen. Ist das Insolvenzverfahren indes aufgehoben worden, schließt das Gesetz eine Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters für neue, erst anhängig zu machende Anfechtungsklagen schlechthin aus2. Da der bestätigte Insolvenzplan als „gerichtlicher Vergleich“ darstellt, tituliert 8.179 der Plan die Forderungen der Gläubiger3. Haben Gläubiger gegen den Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Titel erstritten, führt der Plan zu einer Novation des Titels. Nach § 257 Abs. 1 Satz 1 InsO kann ein Gläubiger, der im Plan Tilgungszusagen erhalten hat, die der Schuldner nicht erfüllt, aus dem rechtskräftig bestätigten Plan in Verbindung mit der Eintragung in die Tabelle vollstrecken. Die Eintragung in die Tabelle (§§ 175, 178 Abs. 2 und 3, 183 Abs. 2 InsO), der Plan sowie der Bestätigungsbeschluss gemäß § 248 InsO bilden zusammen den Vollstreckungstitel4. Soweit Dritte als Plangaranten auftreten5, ermöglicht § 257 Abs. 2 InsO die Zwangsvollstreckung auch gegen diese Personen. Die Vollstreckungsvoraussetzungen und Rechtsbehelfe gegen Vollstreckungsmaßnahmen sowie Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren richten sich nach den allgemeinen Bestimmungen der §§ 724 bis 793 ZPO6. Dies folgt mittelbar aus § 257 Abs. 3 InsO, der von der Notwendigkeit der Erteilung einer Vollstreckungsklausel ausgeht. Ein bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehendes Aufrechnungsrecht bleibt 8.180 auch dann erhalten, wenn die aufgerechnete Gegenforderung nach einem rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan als erlassen gilt7. Mit seiner Entscheidung vom 19.5.2011 beantwortet der BGH die durch die divergierenden Entscheidungen des OLG Celle (16. Zivilsenat8 versus 14. Zivilsenat9) aufgeworfene Streitfrage zur weiter bestehenden Aufrechnung nach rechtskräftig bestätigtem Insolvenzplan i.S. des § 94 InsO. Für Insolvenzgläubiger steht damit nach dieser Entscheidung fest, dass sie trotz eines im Plan enthaltenen (Teil-)Verzichts auf ihre Forderungen

1 BGH v. 6.10.2005 – IX ZR 36/02, NZI 2006, 100 = ZInsO 2006, 38. 2 BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 122/12, DZWIR 2013, 437; BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 206/08, WM 2010, 136. 3 Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 19.3. 4 Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 257 InsO Rz. 2; Otte in Kübler/Prütting/ Bork, § 257 InsO Rz. 6; a.A. Braun in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 69 Rz. 69.12; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 28.84; Schiessler, Der Insolvenzplan, 1997, S. 201; Hess, § 257 InsO Rz. 18. 5 Unter Plangarantie ist die schriftlich beim Insolvenzgericht eingereichte Erklärung eines Dritten zu verstehen, für die Erfüllung des Plans neben dem Schuldner ohne Vorbehalt der Einrede der Vorausklage einstehen zu wollen. 6 Hess, § 257 InsO Rz. 26. 7 BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, MDR 2011, 1074. 8 OLG Celle v. 13.11.2008 – 16 U 63/08, ZInsO 2008, 1327. 9 OLG Celle v. 23.12.2008 – 14 U 108/08, ZIP 2009, 140.

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8.181

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

weiterhin die Aufrechnung erklären können, soweit im Übrigen die Voraussetzungen der Aufrechnungslage gegeben sind1. 8.181–8.190

vacat

II. Auswirkungen des Plans auf die Haftung von Gesellschaftern, Mitschuldnern und Bürgen 1. Haftung der Gesellschafter 8.191 Ein Insolvenzplan wirkt nur gegenüber den Beteiligten (§ 254 Abs. 1 InsO), und das auch nur, soweit sie als Träger der in §§ 222 bis 225a InsO genannten Rechte betroffen sind. Gläubiger, die zugleich Schuldner der Gesellschaft sind, werden trotz ihrer Beteiligtenstellung nicht von ihrer Verbindlichkeit befreit, wenn der Plan nichts anderes regelt. Das gilt auch für Ansprüche gegen Gesellschafter, es sei denn, dass diese Forderungen nur im Rahmen eines Insolvenzverfahrens verfolgt werden können. So sind Erstattungsansprüche wegen zurückgewährter Gesellschafterdarlehen oder Befreiung von Gesellschaftersicherheiten nach Verfahrensaufhebung nur noch durchsetzbar, falls dies gemäß § 259 Abs. 3 InsO ausdrücklich vorgesehen und eine Klage bis zur Aufhebung des Verfahrens rechtshängig ist2. Ansprüche wegen der Verletzung von Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften oder einer Vorbelastung der Gesellschaft schon im Zeitpunkt der Eintragung sind hingegen nicht verfahrensverstrickt. Sie können auch nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens verfolgt werden, was in der Praxis insbesondere bei einem Folgeinsolvenzverfahren vorkommt, wenn der Verwalter frühere Vorgänge anders beurteilt. Das führt zu erheblichen Belastungen der Gesellschafter, wenn sie im ersten Insolvenzverfahren Sanierungsbeiträge geleistet haben. Vermeiden lässt sich die künftige Inanspruchnahme nur, wenn ein Verzicht ausdrücklich im Plan geregelt ist. Gesellschaftsrechtlich ist der Verzicht auf Haftungsansprüche wegen falscher Angaben bei der Gründung – insbesondere also im Zusammenhang mit fehlerhaften Sacheinlagen – nur zulässig, wenn der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger nicht erforderlich ist (§ 9b Abs. 1 GmbHG). Die Erforderlichkeit entfällt, wenn die Planwirkungen zur Befriedigung der Gläubiger eintreten. Die in § 9b Abs. 1 GmbHG ausdrücklich für zulässig erklärte Regelung in einem Insolvenzplan gilt hingegen nur für das Verfahren über das Vermögen des Ersatzpflichtigen3. Soweit es die Haftung der Gesellschafter gemäß § 19 GmbHG wegen nicht geleisteter Einlagen betrifft, steht ein Verzicht unter sehr engen Voraussetzungen4. In § 19 Abs. 3 GmbHG vorgesehen ist eine Befreiung zusammen mit einer Kapitalherabsetzung, wobei in den Kommentierungen auf § 58 GmbHG und nicht auch auf die vereinfachte Kapitalherabsetzung nach §§ 58a, 58 f GmbHG verwiesen wird5. Der Unterschied besteht darin, dass ein gesonderter Gläubigerschutz nur bei der normalen Kapitalherabsetzung durch § 58 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG vorgesehen ist. Eine Herabsetzung wird erst in das Handels1 Schrader, jurisPR-PrivBauR 11/2011 Anm. 6. 2 Die Anhängigkeit genügt laut BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 122/12, DZWIR 2013, 437 nicht. 3 Veil in Scholz, § 9b GmbHG Rz. 14. 4 Veil in Scholz, § 19 GmbHG Rz. 50, 66 f. 5 Veil in Scholz, § 19 GmbHG Rz. 58; Roth in Roth/Altmeppen, § 19 GmbHG Rz. 28.

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Vallender und Spliedt

Rechtswirkungen des bestätigten Plans

8.193

register eingetragen und somit auch erst zugunsten des Gesellschafters wirksam, wenn versichert wird, dass die der Herabsetzung nicht zustimmenden Gläubiger befriedigt wurden. Im Planverfahren macht diese Vorschrift jedoch keinen Sinn, weil die Gläubiger nur nach Maßgabe der InsO eine Befriedigung erhalten dürfen (§ 87 InsO). Deshalb tritt die Haftungsbefreiung i.S. des § 19 Abs. 3 GmbHG auch durch eine vereinfachte Kapitalherabsetzung ein, die üblicherweise in Plänen enthalten ist. Ansprüche schließlich aus der Verletzung des Kapitalerhaltungsgebots dürfen ebenfalls nicht erlassen werden (§ 31 Abs. 2 GmbHG). Eine Ausnahme wird nur bei der Zahlungsunfähigkeit des Gesellschafters gemacht1. Da es jedoch nur um den Schutz der Insolvenzgläubiger geht, sollte man ihre Befriedigung nach Maßgabe des Plans genügen lassen, um in einer flankierenden Regelung über die Ansprüche gegen die Gesellschafter keinen Verstoß gegen Verzichtsverbote zu sehen. Der Vertrauensschutz der künftigen Neugläubiger auf eine werthaltige Kapitalgarantie ist nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens schon durch § 254 Abs. 4 InsO eingeschränkt, so dass auch eine Regelung der vor Planbestätigung entstandenen Ersatzansprüche ihre Interessen nicht unangemessen beeinträchtigt. Ein analoge Anwendung des die Enthaftung der Personengesellschafter betreffenden § 227 Abs. 2 InsO kommt hingegen nicht in Betracht. Wegen der im GmbHG ausdrücklich vorgesehenen Verzichtsverbote fehlt es an einer Gesetzeslücke, die es rechtfertigen würde, auch die Haftung der GmbH-Gesellschafter bei einem Schweigen des Plans automatisch zu beschränken. Sind Gesellschafter zugleich Geschäftsführer, ist auch eine Haftung gemäß § 64 8.192 GmbHG zu berücksichtigen. Der BGH2 hält diese Norm für eine insolvenzrechtliche Vorschrift3, so dass eine Haftung wegen masseschmälernder Zahlungen nach Verfahrensaufhebung nicht mehr durchgesetzt werden könnte. Ob der für Anfechtungsprozesse geltende § 259 Abs. 3 InsO analog heranzuziehen ist, wird bisher nicht diskutiert. Praktisch bedeutsam ist dies vor allem im Verhältnis zu ausgeschiedenen Geschäftsführern, denen eine Schuld an der Krise beigemessen wird. Für einen Verzicht auf die Haftung im Insolvenzplan gilt das Vorgesagte entsprechend. § 64 Satz 4 GmbHG verweist auf § 43 Abs. 3 GmbHG, der wiederum auf § 9b GmbHG Bezug nimmt, wonach ein Verzicht nur zulässig ist, wenn der Geschäftsführer zahlungsunfähig ist, ein Insolvenzverfahren vermieden werden soll oder die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt ist. Nach der hier vertretenen Auffassung muss der Geschäftsführer, mit dem eine Fortführung der Schuldnerin beabsichtigt ist, nicht nachweisen, dass er eigentlich zahlungsunfähig ist. Das Gläubigerinteresse wird durch den Plan gewahrt. 2. Haftung von Mitschuldnern und Bürgen Ein Insolvenzplan führt mangels abweichender Bestimmungen nicht zum Erlö- 8.193 schen der gegen den Schuldner gerichteten Forderungen, sondern beschränkt nur deren Durchsetzbarkeit, arg e § 254 Abs. 3 InsO. Bei einer nicht akzessorischen Mithaftung können die Ansprüche schon nach allgemeinen Vorschriften gegen den Dritten verfolgt werden. Das gilt bspw. für die gesamtschuldnerische 1 Verse in Scholz, § 31 GmbHG Rz. 72. 2 BGH v. 2.12.2014 – II ZR 119/14, GmbHR 2015, 79 Rz. 18 ff. 3 Überblick bei Rz. 11.31 ff.

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8.194

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

Haftung (§ 425 Abs. 1 BGB) und für die steuerrechtliche Haftung nach § 69 AO1. Bei einer akzessorischen Haftung – Paradigma: Bürgschaft, vgl. § 768 Abs. 1 BGB – schließt § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO die Einrede der beschränkten Forderungsdurchsetzung gegen den Hauptschuldner aus. Das gilt sogar dann, wenn der Plan einen Erlass der Forderung vorsieht, wobei die InsO unter einem planbedingten Erlass das Fortbestehen als Naturalobligation versteht (§§ 255 Abs. 1, 254 Abs. 3 InsO)2. Ein darüber hinausgehendes Erlöschen der Forderung ist regelbar, bedarf aber der Zustimmung des betroffenen Gläubigers. 8.194 Begleitend trifft § 254 Abs. 2 Satz 2 InsO für sämtliche Fälle der Mithaftung dagegen Vorsorge, dass die Planwirkungen nicht dadurch unterlaufen werden, dass der Mithaftende Freihalte- oder Erstattungsansprüche geltend macht. Ihnen gegenüber wird der Schuldner ebenso befreit wie gegenüber dem Gläubiger, was bedeutet, dass er keinem Regress ausgesetzt ist, solange er die Planbestimmungen gegenüber dem Gläubiger einhält. 8.195 Abweichende Regelungen über die Mithaftung sind zulässig. Sie finden sich in der Praxis vor allem für persönliche oder dingliche Sicherheiten von Gesellschaftern, die sich an der Sanierung beteiligen. Da es sich bei den Haftungsansprüchen der Gläubiger gegen Dritte anders als bei Sicherungsrechten an Massegegenständen (vgl. § 50 Abs. 1 InsO) um Rechtspositionen handelt, die in der Regelabwicklung nicht in das Verfahren einbezogen werden, bedarf es zur Beschränkung der ausdrücklichen Zustimmung des Gläubigers3. 8.196 § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO lässt die dingliche Mithaftung nur von Gegenständen unberührt, die nicht zur Insolvenzmasse gehören. Für die an Massegegenständen gesicherten Gläubiger hat § 223 Abs. 2 InsO Vorrang, wonach diese Rechte durch den Plan nur dann nicht beeinträchtigt werden, wenn keine andere Regelung vorhanden ist. Vorrangig ist auch die Aufrechnungsbefugnis des Gläubigers gemäß § 94 InsO4. Da die Aufrechnungslage einem Absonderungsrecht des Gläubigers an der gegen ihn gerichteten Forderung des Schuldners entspricht, ist aber hier eine abweichende Regelung gemäß § 223 Abs. 2 InsO zulässig5. 8.197–8.200

vacat

III. Kreditgeschäfte im Insolvenzplanverfahren 8.201 Das Insolvenzplanverfahren will die Sanierung der insolventen GmbH oder eines anderen Unternehmens im Insolvenzverfahren erleichtern. Es sieht insbesondere auch – vor allem für den Fall des Scheiterns der Sanierungsbemühungen – klare Regelungen für Kredite vor, die das Unternehmen im Insolvenzplanverfahren neu aufnimmt. Denn auch im Insolvenzplanverfahren werden Kreditgeber nur bereit sein, neue Kreditmittel zur Verfügung zu stellen, wenn die Kreditgeber eine gewisse Sicherheit haben, beim Scheitern der Sanierung im Insolvenzplanverfah1 2 3 4 5

BFH v. 15.5.2013 – VII R 2/12, ZIP 2013, 1732 = AG 2013, 756. BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271 Rz. 8. OLG Dresden v. 18.12.2012 – 13 U 1032/12, ZIP 2013, 1341. BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271 Rz. 9 ff. BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271 Rz. 14 f.

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Spliedt und Kuder/Unverdorben

Kreditgeschäfte

8.205

ren und der anschließenden Eröffnung eines neuen Insolvenzverfahrens ihren Rückzahlungsanspruch realisieren zu können1. 1. Privilegierung von Neukrediten Für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Kredite im Rahmen eines 8.202 Insolvenzplanverfahrens als Masseverbindlichkeiten privilegiert sind, muss zwischen den verschiedenen Stadien des Insolvenzplanverfahrens unterschieden werden. a) Insolvenzantragsverfahren Kredite, die der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis oder mit 8.203 gerichtlicher Ermächtigung im Insolvenzantragsverfahren aufgenommen hat, führen (wie oben unter Rz. 5.352 ff. erläutert) nach Verfahrenseröffnung zu Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 InsO). An dieser Einordnung als Masseverbindlichkeiten und deren vorzugsweiser Befriedigung kann auch ein Insolvenzplan nichts ändern. Denn nach dem Grundsatz des § 217 InsO kann lediglich die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger, der Insolvenzgläubiger und der nachrangigen Insolvenzgläubiger anders als im Gesetz vorgesehen geregelt werden. In die Rechte der Aussonderungsberechtigten und der Massegläubiger kann der Plan dagegen nicht eingreifen2. b) Eröffnetes Insolvenzverfahren Kredite, die dem Insolvenzverwalter in der Zeit zwischen Verfahrenseröffnung 8.204 und Bestätigung des Insolvenzplanes gewährt werden (sog. Massedarlehen), sind in gleicher Weise privilegiert. Denn wie im allgemeinen Insolvenzverfahren führen im Planverfahren Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründet werden, gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu vorrangig zu befriedigenden Masseverbindlichkeiten. Damit sind auch im Planverfahren Kreditforderungen aus neuen Darlehen Masseverbindlichkeiten, die vorrangig gemäß §§ 55 Abs. 1 Nr. 1, 53 InsO zu berichtigen sind. Der Kreditgeber kann also nach Maßgabe des Kreditvertrages volle Befriedigung verlangen, ohne dass durch den Plan in seine Ansprüche eingegriffen werden könnte. Insbesondere bleiben von den Regelungen des Insolvenzplanes auch die vereinbarten Fälligkeiten und Kündigungsrechte unberührt. c) Planbestätigung Die Insolvenzordnung sieht keine Fortsetzung des Planverfahrens für die Zeit 8.205 zwischen Bestätigung des Insolvenzplanes und der Erfüllung der Insolvenzforderungen vor. Gemäß § 258 Abs. 1 InsO hat das Insolvenzgericht immer die Auf1 Dazu auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.500 ff.; Häuser in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 85 Rz. 155 ff.; Zuleger/Wegmann in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 2. Aufl. 2010, § 26 Rz. 112 ff.; Wittig, DB 1999, 197 ff. 2 Begr. RegE zu § 264 und zu § 217 InsO; vgl. auch § 258 Abs. 2 InsO; dazu Eidenmüller in Münchener Kommentar zur InsO, § 217 InsO Rz. 74 f.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.501.

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8.206

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

hebung des Insolvenzverfahrens zu beschließen, sobald der Insolvenzplan rechtskräftig bestätigt worden ist. Vor der Aufhebung muss der Verwalter gemäß § 258 Abs. 2 InsO die (unstreitigen) Masseansprüche berichtigen1. Soweit der zunächst während des Insolvenzverfahrens neu gewährte Massekredit im Schuldnerunternehmen auch in der Zeit nach Bestätigung des Insolvenzplanes benötigt wird, kann dies nach den gesetzlichen Vorgaben der Insolvenzordnung ohne besondere Regelung im Insolvenzplan nur geschehen, indem der Kredit bei Bestätigung des Insolvenzplanes zurückgezahlt und nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens neu gewährt wird. Für diesen Fall kommt allerdings der neuen Forderung aus der Ablösung des Massekredits und aus der Gewährung sonstiger neuer Kredite in einer „Anschlussinsolvenz“, also in einem Insolvenzverfahren, das in der Zeit zwischen Planbestätigung und Planerfüllung eröffnet wird, keine vorrangige Stellung zu, sondern die Forderung ist dann grundsätzlich eine bloße Insolvenzforderung. Damit ist die Möglichkeit, einen Massekredit als vorrangige Forderung über den Zeitpunkt der Planbestätigung hinaus stehen zu lassen, grundsätzlich abgeschnitten. Falls der Kreditnehmer die Mittel aus dem Verwalterdarlehen noch in dem sich an die Aufhebung des Verfahrens anschließenden Zeitraum benötigt, muss also der Kreditgeber bei seiner Kreditentscheidung beachten, dass er dann seinen Vorrang verliert. Falls der Kreditgeber über Sicherheiten verfügt, kann er darauf aber zurückgreifen. d) Rahmenkredite im Insolvenzplan 8.206 Zu dieser gesetzlichen Vorgabe kann der Insolvenzplan eine abweichende Regelung treffen. Damit trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass auch nach Bestätigung des Insolvenzplans jedes sanierte Unternehmen eine schwierige Anlaufzeit durchzustehen hat, so dass kein Kreditgeber ohne eine Absicherung in irgendeiner Form bereit sein wird, Kredit zu gewähren. Da aber nach einer Sanierung beleihbares Aktivvermögen in der Regel nicht mehr vorhanden ist, stehen dem Unternehmen die üblichen Kreditsicherheiten nicht zur Verfügung2. Zum Ausgleich sieht § 264 Abs. 1 InsO vor, dass im Insolvenzplan durch Beschluss der Insolvenzgläubiger ein Kreditrahmen für bestehen bleibende Massekredite beschlossen werden kann3. Im Fall einer übertragenden Sanierung gilt dies gemäß § 264 Abs. 1 Satz 1 InsO auch für Kredite an eine Übernahmegesellschaft, wenn über deren Vermögen während der Zeit der Planüberwachung des Schuldners ebenfalls ein Insolvenzverfahren eröffnet wird4. Forderungen, die in diesen Kreditrahmen fallen, können in einer „Anschlussinsolvenz“ Vorrang genießen. 8.207 Dazu kann im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgesehen werden, dass die Insolvenzgläubiger nachrangig sind gegenüber Gläubigern mit Forderungen aus Darlehen oder sonstigen Krediten, die ein Massegläubiger in die Zeit der Über1 Dazu Huber in Münchener Kommentar zur InsO, § 258 InsO Rz. 10 ff. 2 Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, § 264 InsO Rz. 1; Uhlenbruck, ZBB 1992, 284, 285. 3 Dazu auch Koch/de Bra in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 71; Häuser in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 85 Rz. 157 ff.; Zuleger/Wegmann in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 2. Aufl. 2010, § 26 Rz. 137 f.; Dinstühler, ZInsO 1998, 243. 4 Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, § 264 InsO Rz. 6.

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Kreditgeschäfte

8.209

wachung hinein stehen lässt (§ 264 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Plan kann die Kreditgeber zum Stehenlassen dieser Kredite allerdings nicht zwingen, vielmehr kann er ihnen nur durch Schaffung des Vorrangs einen Anreiz geben, sich mit einer Prolongation einverstanden zu erklären. Der Insolvenzplan kann nicht nur für die in die Zeit der Überwachung hinein ste- 8.208 hen bleibenden Massekredite, sondern für alle so genannten Rahmenkredite einen vorrangigen Kreditrahmen schaffen. Zu den Rahmenkrediten zählen auch Kredite, die in der Zeit der Planüberwachung neu aufgenommen werden, sofern dies im Insolvenzplan entsprechend vorgesehen ist. Die Privilegierung der Rahmenkredite durch den Insolvenzplan kann für alle Arten von Krediten vorgesehen werden, also nicht nur für Barkredite, sondern z.B. auch für Aval- und Diskontkredite. Davon ausgenommen sind aber, worauf bei Rz. 8.215 noch einzugehen ist, Gesellschafterdarlehen (§ 264 Abs. 3 InsO). Privilegiert sind jedenfalls Gelddarlehen; aber auch der Lieferantenkredit, also die Stundung von Kaufpreisforderungen, fällt unter den Begriff der „sonstigen“ Kredite in § 264 InsO1. Voraussetzung eines vorrangigen Kreditrahmens ist zunächst, dass sich an die Be- 8.209 stätigung des Insolvenzplans die Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter anschließt (§ 264 InsO). Dies muss gemäß § 260 InsO im Insolvenzplan beschlossen werden; die Überwachung durch einen bloßen Überwachungsbeauftragten, der bei einem im Regelinsolvenzverfahren vorgelegten Insolvenzplan abweichend von der gesetzlichen Regelung anstelle des vom Gesetz vorgesehenen Insolvenzverwalters und anstelle der in §§ 260 bis 269 InsO geregelten Überwachung auf Grundlage einer gewillkürten Bestimmung im Insolvenzplan die Überwachung des Plans vornimmt, genügt nicht. Solche an Stelle des Insolvenzverwalters mit der Planüberwachung betraute Überwachungsbeauftragte werden häufig irreführend als „Sachwalter“ bezeichnet; sie dürfen aber nicht mit einem Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren verwechselt werden2. Der Vorrang gilt nur in einem Insolvenzverfahren, das vor Aufhebung der Überwachung eröffnet wird (§ 266 InsO). Die Überwachung wird spätestens drei Jahre nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens beendet. Dies kann aber auch früher geschehen, nämlich wenn die Ansprüche, zu deren Erfüllung die Überwachung dient, erfüllt sind oder die Erfüllung gewährleistet ist. Die Beendigung ist öffentlich bekannt zu geben, wenn sie beschlossen ist. Eine vorherige Warnung der vorrangigen Gläubiger ist nicht vorgesehen3. Darüber hinaus sind in einem innerhalb der Überwachungsphase eröffneten Insolvenzverfahren weder die Aufnahme von Rahmenkrediten noch ihre Rückzahlung anfechtbar4.

1 So der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers gemäß Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 311 RegE, S. 216. Ebenso Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 264 InsO Rz. 2, 5; Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, § 264 InsO Rz. 4; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 264 InsO Rz. 3 ff. 2 Vgl. zur Abgrenzung zu einem Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren ausführlich unten Rz. 9.215. 3 Zur Laufzeit des Kreditrahmens s. auch Tetzlaff/Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 266 InsO Rz. 6 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.509. 4 Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 264 InsO Rz. 32.

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8.210

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

8.210 Weiterhin muss im Insolvenzplan beschlossen werden, welche Kreditforderungen zu Rahmenkrediten werden, also im Falle des Scheiterns der Sanierung im Insolvenzplanverfahren Vorrang genießen sollen (§ 264 Abs. 1 Satz 1 InsO): – Forderungen aus Darlehen und sonstigen Krediten, die der Schuldner während der Zeit der Überwachung neu aufnimmt und/oder – Forderungen aus Krediten, die ein Massegläubiger in die Zeit der Überwachung hinein stehen lässt. 8.211 Schließlich muss der Insolvenzplan einen Gesamtbetrag für die Rahmenkredite festlegen. Dieser Kreditrahmen ist beschränkt: Er darf den Wert der Vermögensgegenstände nicht übersteigen, die in der Vermögensübersicht des Plans (§ 229 InsO) aufgeführt sind (§ 264 Abs. 1 Satz 3 InsO). Das gebietet einerseits schon die kaufmännische Vernunft, weil es alle Beteiligten vor den Folgen einer übermäßigen Kreditaufnahme schützt. Zum anderen werden hiermit auch die Interessen von Neugläubigern gewahrt, die gegenüber den Forderungen aus Rahmenkrediten gemäß § 265 InsO im Nachrang sind, obwohl sie auf das Zustandekommen des Insolvenzplans keinen Einfluss haben1. 8.212 Ist auf diese Weise ein Kreditrahmen für vorrangige Kreditforderungen festgelegt worden, müssen bestimmte Anforderungen erfüllt sein, damit ein einzelner Kredit in den Kreditrahmen fällt und Vorrang genießen kann (§ 264 Abs. 2 InsO). Der Vorrang nach § 264 Abs. 1 InsO besteht nur für Gläubiger, mit denen vereinbart wird, dass und in welcher Höhe der von ihnen gewährte Kredit nach Kapital, Zinsen und Kosten innerhalb des Kreditrahmens liegt und gegenüber denen der Insolvenzverwalter diese Vereinbarung schriftlich bestätigt (§ 264 Abs. 2 InsO)2. Ein Kreditgeber muss daher auf Folgendes achten: – Zum einen muss das kreditnehmende Unternehmen jeweils mit dem Kreditgeber vereinbaren, dass und in welcher Höhe der gewährte Kredit nach Hauptforderung, Zinsen und Kosten innerhalb des Kreditrahmens liegt. – Zum anderen muss der Insolvenzverwalter, der gemäß § 261 InsO in seinem Amt bleibt, um die Planerfüllung zu überwachen, die jeweilige Vereinbarung schriftlich bestätigen. 8.213 Der Vorrang der Rahmenkredite, also von Kreditforderungen, die die vorgenannten Voraussetzungen erfüllen, gilt gemäß § 266 InsO gegenüber allen bisherigen Insolvenzgläubigern, falls während der Überwachung der Planerfüllung erneut ein („Anschluss-“)Insolvenzverfahren eröffnet wird3. Darüber hinaus genießen solche Forderungen Vorrang in einem eventuellen „Anschlussinsolvenzverfahren“ auch gegenüber allen Neugläubigern (§ 265 InsO), d.h. gegenüber Gläubigern mit vertraglichen Ansprüchen, die erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens während der Zeit der Überwachung begründet worden sind, und gegenüber Gläu1 Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 311 RegE, S. 216; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.507; kritisch zum wirtschaftlichen Sinn dieser Obergrenze Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, § 264 InsO Rz. 15 ff. 2 Dazu Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, § 264 InsO Rz. 8; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.508. 3 Ausführlich zu den Rangverhältnissen im Anschlussinsolvenzverfahren Tetzlaff/Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 266 InsO Rz. 11 ff.; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 266 InsO Rz. 3.

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Kreditgeschäfte

8.215

bigern aus fortlaufenden Dauerschuldverhältnissen nach dem erstmöglichen Kündigungstermin1. Dies soll die Kreditgeber von Rahmenkrediten davor schützen, dass ihnen faktisch ihre Privilegierung entzogen wird, indem der Schuldner durch die Aufnahme neuer, nicht in den Kreditrahmen fallender Kredite gleichrangige Forderungen begründet2. Kreditgeber müssen aber bedenken, dass der Vorrang der Rahmenkredite allen- 8.214 falls von begrenztem Wert ist3. Denn er gilt zum einen zwar gemäß §§ 264, 266 InsO gegenüber allen Insolvenzgläubigern des ersten Insolvenzverfahrens, falls während der Überwachung der Planerfüllung ein („Anschluss-“)Insolvenzverfahren eröffnet wird. Falls die Insolvenzgläubiger jedoch über Kreditsicherheiten verfügen und diese nicht auf Grund des Insolvenzplans freigegeben haben, bleibt ihnen in einem „Anschlussinsolvenzverfahren“ ihr bevorrechtigtes Absonderungsrecht auch gegenüber den Rahmenkrediten erhalten4. Zum anderen genießen die Forderungen aus den Rahmenkrediten in einem „Anschlussinsolvenzverfahren“ den Vorrang zwar gegenüber vertraglichen Neugläubigern (§§ 265, 266 InsO). Gläubiger eines gesetzlichen Schuldverhältnisses, das erst während der Überwachung entsteht, also z.B. Gläubiger mit Ansprüchen aus unerlaubter Handlung, werden aber nicht zurückgesetzt5. Schließlich sieht § 266 InsO keine Privilegierung für die Rahmenkredite als Masseverbindlichkeiten in einem neuen Insolvenzverfahren vor, so dass es sich zwar um vorrangige Insolvenzforderungen handelt, sie aber nachrangig zu den Masseverbindlichkeiten der Folgeinsolvenz sind6. Damit bleiben, vor allem angesichts der zahlreichen massearmen Verfahren, erhebliche Risiken, dass die Gläubiger von Rahmenkrediten trotz ihres Vorrangs in einem Folgeinsolvenzverfahren Ausfälle erleiden. In den Genuss der Privilegierung als Rahmenkredite können nicht Gesellschafter- 8.215 darlehen kommen (§ 264 Abs. 3 InsO)7. Der Gesetzgeber sähe in einer Privilegierung von Gesellschafterdarlehen eine bedenkliche Einladung zur Fremdfinanzierung in der Sanierungsphase. Denn können dritte Kreditgeber nicht gewonnen werden, so dass die Gesellschafter Darlehen gewähren müssen, dann erscheint die Gesellschaft kreditunwürdig. Die Privilegierung von Gesellschafterdarlehen durch Einbeziehung in den Kreditrahmen würde daher dem Ziel einer ordnungsgemäßen Kapitalausstattung der zu sanierenden Gesellschaft widersprechen8. 1 Ausführlich zu den Neugläubigern i.S. von § 265 InsO Tetzlaff/Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 265 InsO Rz. 6 ff. 2 Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 312 RegE, S. 216 f.; Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, § 264 InsO Rz. 11. 3 Dazu auch Wittig, DB 1999, 197 ff. 4 Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, § 264 InsO Rz. 12; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 264 InsO Rz. 29 f. 5 Im Detail dazu Tetzlaff/Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 265 InsO Rz. 23 ff. 6 Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 264 InsO Rz. 25, § 266 InsO Rz. 3. 7 Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, § 264 InsO Rz. 32, allerdings kritisch zur Ratio; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.505; Häuser in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 85 Rz. 159; a.A. aber Bieder, ZInsO 2000, 531, 532 f. 8 Tetzlaff/Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 266 InsO Rz. 20 f.; Uhlenbruck, ZBB 1992, 284, 285 f.; Karsten Schmidt, Finanzierungsaspekte der Insolvenzrechtsreform, in Bericht über die Fachtagung des Instituts der Wirtschaftsprüfer 1985, S. 165, 174; Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 311 RegE, S. 216.

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8.216

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

8.216 Der Vorrang der als Rahmenkredite privilegierten Kreditforderungen wird schließlich in einem weiteren Insolvenzverfahren nur berücksichtigt, wenn dieses weitere Insolvenzverfahren vor Aufhebung der Überwachung eröffnet wird (§ 266 InsO)1. Die Überwachung wird gemäß § 268 InsO durch das Insolvenzgericht aufgehoben, – wenn die Ansprüche, deren Erfüllung überwacht wird, erfüllt sind oder Erfüllung gewährleistet ist, – spätestens aber drei Jahre nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens, falls kein neuer Insolvenzantrag vorliegt2. e) Auswirkungen auf das Kreditgeschäft 8.217 Sollen Massekredite in einem Insolvenzplanverfahren aufgenommen werden, führt die geschilderte Rechtslage dazu, dass die Kreditgeber in der Praxis des Kreditgeschäfts Folgendes beachten müssen3. – Ein Kreditgeber, der einem sanierungsfähigen Unternehmen nach Aufhebung des Verfahrens neuen Kredit gewährt oder alten Kredit stehen lässt, muss Wert darauf legen, dass dieser Kredit in den vom Gesetz vorgesehenen Kreditrahmen fällt und auf diese Weise mit Zustimmung des Verwalters eine Privilegierung erfährt. – Die Kreditlaufzeit sollte die Dauer der Überwachung nicht überschreiten. – Mit dem Verwalter ist ein enger Kontakt zu halten, damit der Kreditgeber rechtzeitig von einer vorgezogenen Aufhebung der Überwachung erfährt. 2. Besicherung des Neukredits 8.218 Für die Praxis des Kreditgeschäfts wird man trotz der vorstehend beschriebenen Privilegierung davon ausgehen müssen, dass auch Rahmenkredite nur besichert vergeben werden. Denn es ist zweifelhaft, ob die Regelungen zum Insolvenzplan und die damit gewährleistete Privilegierung ausreichen, der zu sanierenden GmbH oder einem anderen Schuldner die Kreditaufnahme in der Sanierungsphase zu ermöglichen, weil zum einen der Vorrang, wie bei Rz. 8 115 erläutert, nur einen begrenzten Schutz vor Ausfällen in einer evtl. Folgeinsolvenz bietet. Zum anderen ist die zeitliche Begrenzung der Privilegierung kurz bemessen und damit das Risiko hoch, in diesem Zeitraum der Krisenanfälligkeit ungesicherte Kredite zu vergeben, die nach Beendigung der Überwachungsphase von maximal drei Jahren4 die Privilegierung verlieren. 1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.509; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 264 InsO Rz. 25. 2 Dazu auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.509. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.510. 4 Nach Auffassung des AG Duisburg soll es mit Zustimmung des Schuldners möglich sein, in einem Insolvenzplan den Zeitraum der Überwachung abweichend von § 268 InsO auf mehr als drei Jahre ab Aufhebung des Insolvenzverfahrens festzusetzen; für die Anwendung der §§ 264 bis 266 InsO gelte jedoch auch in einem solchen Fall als „Zeit der Überwachung“ nur ein Zeitraum von höchstens drei Jahren, AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447.

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Kreditgeschäfte

8.221

Dabei kann die GmbH den Kreditgebern als Sicherungsgegenstand das gesamte 8.219 nach Planbestätigung neu erworbene Vermögen anbieten, also vor allem neu hergestellte Waren und die Forderungen aus ihrer Veräußerung. Denn diese Gegenstände sind selbst dann nicht mit Sicherungsrechten Dritter belastet, wenn vor dem Insolvenzverfahren Globalsicherungsverträge zu Gunsten anderer Gläubiger bestanden, weil diese Verträge mit Verfahrenseröffnung ihr Ende gefunden haben (§ 103 InsO) und der Verlust der Verfügungsbefugnis des Schuldners (§ 80 InsO) die Entstehung von Sicherungsrechten verhindert. Zum anderen kann der Insolvenzplan vorsehen, dass absonderungsberechtigte Gläubiger Einschränkungen ihrer Sicherungsrechte hinnehmen (§ 223 Abs. 2 InsO), um freies Vermögen für die Besicherung der Rahmenkredite zu schaffen1. Sollen Kredite besichert werden, die schon vor Bestätigung des Insolvenzplanes 8.220 aufgenommen worden sind und in die Zeit der Überwachung hinein stehen bleiben, sollte der Kreditgeber vorsorglich davon ausgehen, dass ihre Besicherung im gestaltenden Teil des Insolvenzplanes (§ 215 InsO) vorgesehen sein muss. Mit rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplanes gelten dann gemäß § 254 InsO alle für die Begründung der Sicherungsrechte erforderlichen Willenserklärungen als abgegeben. Soweit zur wirksamen Bestellung der Kreditsicherheiten noch weitere Umstände hinzutreten müssen, beispielsweise die Besitzübertragung bei der Verpfändung beweglicher Gegenstände oder die Grundbucheintragung bei der Grundbuchbestellung, werden diese durch die gestaltende Wirkung des Insolvenzplanes aber nicht ersetzt2. Demgegenüber kann, sofern nicht gemäß § 263 InsO der gestaltende Teil des In- 8.221 solvenzplanes die Sicherheitenbestellung durch den Schuldner an die Zustimmung des Insolvenzverwalters bindet, nach Bestätigung des Insolvenzplanes der Schuldner für in der Zeit der Überwachung neu aufgenommene Rahmenkredite Sicherheiten bestellen. Denn mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens, die der Überwachung vorausgeht, erlangt der Schuldner grundsätzlich die volle Verfügungsbefugnis über sein Vermögen, d.h. über alle Gegenstände der Insolvenzmasse zurück3. Dies gilt allerdings nicht, wenn im gestaltenden Teil des Insolvenzplans gemäß § 263 InsO vorgesehen ist, dass die Bestellung von Kreditsicherheiten generell oder speziell die Verfügung über bestimmte Vermögensgegenstände, die als Kreditsicherheit dienen sollen (z.B. Immobilien), nur wirksam sind, wenn der Insolvenzverwalter ihnen zustimmt. Denn dann kann eine Kreditsicherheit auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens in der Zeit der Überwachung gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO wirksam nur mit Zustimmung des Insolvenzverwalters bestellt werden, falls nicht gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 InsO ausnahmsweise bei einer Grundschuld oder anderen Registerrechten der gute Glaube an die Verfügungsmacht des Schuldners geschützt wird4. Bestellt der Schuldner, ggf. mit der Zustimmung des Insolvenzverwalters, für den Neukredit Sicherhei-

1 2 3 4

Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 264 InsO Rz. 30. Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 301 RegE, S. 212 f. Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 1/92, § 310 RegE, S. 216. Zu den Rechtsfolgen nach § 263 InsO bei fehlender Zustimmung s. auch Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 263 InsO Rz. 9.

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8.222

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

ten, ist dies – als Bargeschäft – auch nicht anfechtbar, falls es zu einem weiteren Insolvenzverfahren kommt1. 3. Kündigung von Krediten 8.222 Sofern der Insolvenzplan einen Debt Equity Swap (s. hierzu Rz. 59 ff., 2.380 ff.) vorsieht, berechtigt eine solche Maßnahme nicht zum Rücktritt oder zur Kündigung von Krediten (§ 225a Abs. 4 InsO). Damit will der Gesetzgeber verhindern, dass es auf Grundlage der inzwischen weit verbreiteten Change-of-Control-Klauseln in Finanzierungs- und anderen Verträgen zu einer Beendigung von Vertragsverhältnissen kommt und damit die Sanierung gefährdet wird2. Im Hinblick auf Kreditverträge hat diese Bestimmung allerdings keine praktische Bedeutung. Kredite, die der vorläufige oder der endgültige Verwalter als Massekredite3 aufgenommen hat, sind als Masseverbindlichkeit gemäß § 258 Abs. 2 InsO spätestens vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens zurückzuzahlen. Zudem werden Massekredite in der Praxis nur befristet eingeräumt, z.B. bis zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung. Für Kreditgeber von Rahmenkrediten nach § 264 InsO wird die Frage der Eigentums- und Kontrollverhältnisse regelmäßig keine Rolle spielen. Sollte dies dennoch der Fall sein, wird der Kreditgeber die Einräumung eines Rahmenkredits oder das Stehenlassen eines Massekredits verweigern. vacat

8.223–8.230

IV. Wiederauflebensklausel 8.231 § 255 InsO unterscheidet zwischen Rechtswirkungen, die nur gegenüber bestimmten Insolvenzgläubigern eintreten (§ 255 Abs. 1 InsO) und solchen Rechtsfolgen, die sich auf alle Insolvenzgläubiger erstrecken (§ 255 Abs. 2 InsO)4. Die Vorschrift gilt auch für Insolvenzgläubiger, die nicht am Verfahren teilgenommen haben (§ 254b InsO)5. Sie können sich indes nur dann auf die Vorschrift berufen, wenn ihre Forderung zuvor vom Prozessgericht rechtskräftig festgestellt worden ist6. Dies zeigt erneut auf, welche praktischen Schwierigkeiten daraus erwachsen, dass die Insolvenzordnung zur Anmeldung von Insolvenzforderungen keine Ausschlussfristen vorsieht7. 1 Wittig, DB 1999, 197, 205; Rümker in Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, 1989, S. 149. 2 Zur Entstehungsgeschichte dieser Norm Eidenmüller in Münchener Kommentar zur InsO, § 225a InsO Rz. 106 f. 3 Huber in Münchener Kommentar zur InsO, § 258 InsO Rz. 10 f. 4 Braun in Nerlich/Römermann, § 255 InsO Rz. 1. 5 Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 255 InsO Rz. 4. 6 BGH v. 10.5.2012 – IX ZR 206/11, ZIP 2012, 1359 = NZI 2013, 84. 7 Der amtlichen Begründung zufolge ist der Gesetzgeber des ESUG der vielfach erhobenen Forderung (s. nur Reinhart, WuB VI A § 255 InsO 1.12), eine materielle Ausschlussfrist für im Insolvenzverfahren nicht angemeldete Forderungen zu schaffen, bewusst nicht gefolgt, weil eine Ausschlussfrist aus verfassungsrechtlichen Gründen mit der Möglichkeit einer Wiedereinsetzung verbunden sein müsse und die vergleichbare Ausschlussfrist des § 14 GesO zu zahlreichen und langwierigen Streitigkeiten über die Frage des Verschuldens bei der Fristversäumnis geführt habe (BT-Drucks. 17/5712, S. 37).

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Kuder/Unverdorben und Vallender

Wiederauflebensklausel

8.234

§ 255 Abs. 1 Satz 1 InsO regelt die Rechtsfolgen der insolvenzplanbedingten Leis- 8.232 tungsstörungen abschließend. Ein Gläubiger, dessen (schuldrechtliche) Forderungen oder dessen Ausfallforderungen1 im gestaltenden Teil des Insolvenzplans gestundet oder teilweise erlassen worden sind, kann nicht auf die allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zurückgreifen, wenn der Schuldner ihm gegenüber mit der Erfüllung des Plans erheblich in Rückstand gerät. Vielmehr bestimmt § 255 Abs. 1 Satz 1 InsO, dass in einem solchen Fall die Stundung oder der Erlass für den Gläubiger hinfällig wird. Wurde die nicht erfüllte Forderung nicht zur Tabelle festgestellt und ist und keine Entscheidung des Insolvenzgerichts über die vorläufige Berücksichtigung der Forderung ergangen, gerät der Schuldner nicht mit der Erfüllung des Insolvenzplans in Rückstand2. Liegen die Voraussetzungen des § 255 Abs. 1 InsO vor, leben Haupt- und Nebenforderung wieder vollständig auf. Dies gilt auch für die Zinsen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens3. Ein erheblicher Rückstand i.S. des § 255 Abs. 1 Satz 1 InsO liegt nur dann vor, wenn der Schuldner eine fällige Verbindlichkeit nicht rechtzeitig bezahlt, obwohl der Gläubiger schriftlich gemahnt und eine Nachfrist von mindestens zwei Wochen gesetzt hat (§ 255 Abs. 1 Satz 2 InsO)4. Die Rechtsfolgen des § 255 Abs. 1 Satz 1 InsO treten nur für denjenigen Gläubiger ein, in dessen Person die Voraussetzungen erfüllt sind5. Bei Eröffnung eines neuen Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuld- 8.233 ners während des Zeitraums der Planerfüllung fallen gemäß § 255 Abs. 2 InsO die Stundungen und Erlasse für alle Gläubiger weg6. Selbst wenn der Schuldner seiner bisherigen Ratenzahlungsverpflichtung nachgekommen ist und weitere Raten noch nicht fällig sind, findet die Vorschrift des § 255 Abs. 2 InsO Anwendung. Die Regelung ist konsequent, weil die im Insolvenzplan getroffenen Vereinbarungen auf Grund der erneuten Verfahrungseröffnung nicht mehr eingehalten werden können. Den beteiligten Gläubigern wird allerdings die Möglichkeit eröffnet, ihre Forderungen auch im neuen Insolvenzverfahren mit dem vollen Betrag anzumelden. Sie sind wegen der ihnen noch zustehenden Forderung nicht auf die Planquote aus dem alten Verfahren beschränkt7. Hatte der Schuldner bereits vor Eröffnung des neuen Verfahrens sämtliche Insolvenzforderungen erfüllt, findet § 255 Abs. 2 InsO nach seinem klaren Wortlaut keine Anwendung8. Nach § 255 Abs. 3 Satz 1 InsO können die Beteiligten Regelungen treffen, die von 8.234 den in Absatz 1 und Absatz 2 normierten Rechtsfolgen abweichen. Soweit sie die 1 § 52 Satz 2 InsO. Da der Anwendungsbereich des § 255 InsO auf schuldrechtliche Forderungen beschränkt ist, leben dingliche Ansprüche (Sicherungsrechte) nicht wieder auf. Braun in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 69 Rz. 69.9, rät dringend zur Gestaltung von „Ersatzlösungen“ im Plan, um bei Leistungsstörungen eine Aufrechterhaltung der dinglichen Position des gesicherten Gläubigers zu gewährleisten. 2 BGH v. 10.5.2012 – IX ZR 206/11, ZIP 2012, 1359 = NZI 2013, 84. 3 Braun in Nerlich/Römermann, § 255 InsO Rz. 3; Hess, § 255 InsO Rz. 20. 4 Eine ähnliche Regelung enthielt § 12 Abs. 1 Nr. 2 VerbrKrG (vgl. nunmehr § 498 Abs. 1 Satz 1 BGB). 5 Huber in Münchener Kommentar zur InsO, § 255 InsO Rz. 29. 6 Der Pensions-Sicherungs-Verein ist unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG von den Rechtsfolgen des § 255 Abs. 2 InsO ausgenommen. 7 Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 255 InsO Rz. 11. 8 Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 255 InsO Rz. 11.

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8.235

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

Wiederauflebensklausel gänzlich ausschließen, bleibt den Gläubigern bei Nichterfüllung der im Plan übernommenen Verpflichtungen nur die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Plan (§ 257 InsO). § 255 Abs. 3 Satz 2 InsO sieht ausdrücklich vor, dass von der Regelung in § 255 Abs. 1 InsO nicht zum Nachteil des Schuldners abgewichen werden kann. Eine Verschärfung der Fristen und Anforderungen an die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen ein erheblicher Rückstand angenommen wird, sind indes zulässig1. 8.235 In Ergänzung zu § 255 InsO regelt § 256 InsO den Fall, dass eine Forderung im Prüfungstermin bestritten wurde und deshalb nicht feststeht, inwieweit diese als bestehend behandelt werden kann2. Danach ist ein Rückstand, der die Wiederauflebensklausel auslöst, dann nicht gegeben, wenn der Schuldner die Forderung bis zur endgültigen Feststellung ihrer Höhe in dem Ausmaß berücksichtigt, das dem gewährten Stimmrecht entspricht (§ 256 Abs. 1 Satz 1 InsO). Ist eine Entscheidung über das Stimmrecht nicht getroffen worden, hat das Gericht gemäß § 256 Abs. 1 Satz 2 InsO auf Antrag des Schuldners oder des Gläubigers nachträglich festzustellen, in welchem Ausmaß der Schuldner vorläufig die Forderung zu berücksichtigen hat. 8.236 Ergibt sich nach einer endgültigen Feststellung der Forderung, dass der Schuldner zu wenig gezahlt hat, ist der Fehlbetrag nachzuzahlen. Ein „erheblicher Rückstand“ i.S. des § 255 Abs. 1 Satz 1 InsO liegt erst dann vor, wenn der Schuldner das Fehlende nicht nachzahlt, obwohl der Gläubiger ihn schriftlich gemahnt und ihm dabei eine mindestens zweiwöchige Nachfrist gesetzt hat (§ 256 Abs. 2 InsO). Eine Überzahlung kann der Schuldner nur insoweit zurückfordern, als der Mehrbetrag auch den nicht fälligen Teil der Forderung übersteigt, der dem Gläubiger nach dem Insolvenzplan zusteht (§ 256 Abs. 3 InsO). Ausfallforderungen unterliegen den gleichen Regelungen wie streitige Forderungen (§ 256 Abs. 1 Satz 1 InsO). Steht die Höhe der Ausfallforderung nicht fest, ist ein Rückstand i.S. des § 255 InsO nicht anzunehmen, wenn der Schuldner die vermutete Ausfallforderung insoweit bedient, als sie vom Insolvenzverwalter anerkannt ist3. Das Gericht hat nicht über die Höhe der Ausfallforderung zu befinden. vacat

8.237–8.240

V. Planüberwachung 1. Anordnung der Überwachung im Insolvenzplan 8.241 Im gestaltenden Teil des Insolvenzplans kann nach § 260 Abs. 1 InsO vorgesehen werden, dass die Erfüllung des Plans überwacht wird4. Die Überwachung findet außerhalb des Insolvenzverfahrens statt (§ 260 Abs. 1 InsO), so dass das eigentli1 Braun in Nerlich/Römermann, § 255 InsO Rz. 7; Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 255 InsO Rz. 13. 2 Braun in Nerlich/Römermann, § 256 InsO Rz. 1. 3 Hess/Obermüller, Insolvenzplan, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenz, Rz. 424. 4 Grundsätzlich zur Insolvenzplanüberwachung Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, 3. Aufl., Rz. 22.1 ff.; Haas in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 70; Lüer/ Streit in Uhlenbruck, § 260 InsO Rz. 1 ff.; W. Schiessler, Der Insolvenzplan, 1997, S. 207 ff.; T. Frank, Die Überwachung der Insolvenzplanerfüllung, 2002; R.A. Fischer,

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Planüberwachung

8.242

che Insolvenzverfahren aufgehoben werden kann. Die Planüberwachung ist nicht als Regelfall vorgesehen. Vielmehr soll es dem Planaufsteller überlassen bleiben, zu entscheiden, ob er eine Überwachung der Planerfüllung für angebracht hält. Die Planüberwachung liegt nicht nur im Interesse der Gläubiger, sondern zugleich auch im Schuldnerinteresse (vgl. §§ 227, 247 Abs. 2 Nr. 1 InsO)1. So können z.B. bestimmte Geschäfte des Schuldnerunternehmens oder einer Übernahmegesellschaft gemäß § 263 InsO von der Zustimmung des Insolvenz- oder Sachwalters abhängig gemacht werden, wodurch eine Kreditaufnahme durch das Schuldnerunternehmen (§§ 264 ff. InsO) erleichtert wird2. Die Überwachung ist Aufgabe des Insolvenzverwalters (§ 261 Abs. 1 Satz 1 InsO). Auf Grund der Vertragsfreiheit der Beteiligten und der Gläubigerautonomie sind auch andere Formen der Überwachung möglich, wie z.B. die Überwachung durch einen von den Gläubigern bestimmten Sachwalter3. Einzelheiten der Überwachung können abweichend vom Gesetz im Insolvenzplan geregelt werden, jedoch nicht zu Lasten des Schuldnerunternehmens oder dritter Personen4. Umstritten ist, ob der überwachende Sachwalter die gleichen Rechte hat wie der Insolvenzverwalter5. Nachteilig kann sich im Einzelfall auswirken, dass der Sachwalter auf Grund seines Vertrages mit dem Schuldnerunternehmen tätig wird, während der überwachende Insolvenzverwalter der insolvenzgerichtlichen Aufsicht unterliegt. Deshalb wird empfohlen, den Vertrag nach § 328 BGB zu Gunsten Dritter, nämlich der Gläubiger des Schuldners, auszugestalten6. Zutreffend weist Jaffé7 darauf hin, dass die Gläubiger, die vor der Entscheidung stehen, einen Sachwalter an Stelle des Insolvenzverwalters mit der Überwachung zu betrauen, zu bedenken haben, „dass diese Freiheit mit erheblichen Konsequenzen für die Effizienz der Überwachung verbunden ist.“ Das Planüberwachungsverfahren ist ein eigenständiges Verfahren, nicht etwa ein 8.242 Nachverfahren. Es hindert die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht (§§ 260 Abs. 2, 258 Abs. 1 InsO). Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens entfallen

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2 3

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7

Die unternehmerischen Mitwirkungsrechte der Gläubiger in der Überwachungsphase des Insolvenzplans, 2002; V. Mai, Insolvenzplanverfahren, 2008, S. 129 ff., Rz. 346 ff. Otte in Kübler/Prütting/Bork, § 260 InsO Rz. 4; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 260 InsO Rz. 3; Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 260 InsO Rz. 2; R.A. Fischer, Die unternehmerischen Mitwirkungsrechte der Gläubiger in der Überwachungsphase des Insolvenzplans, 2002, S. 111 Rz. 322 ff. Vgl. auch Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 260 InsO Rz. 1; Haas in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 70 Rz. 70.8. Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 260 InsO Rz. 7, 8, 18, 19; Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 260 InsO Rz. 3; Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 260 InsO Rz. 7; Otte in Kübler/Prütting/Bork, § 260 InsO Rz. 5 ff.; Smid/Rattunde, § 260 InsO Rz. 5. Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 260 InsO Rz. 7; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 260 InsO Rz. 9. Bejahend Hess, § 260 InsO Rz. 9; Smid/Rattunde, § 260 InsO Rz. 5; str., a.A. Otte in Kübler/Prütting/Bork, § 260 InsO Rz. 5; Breutigam in Blersch/Goetsch/Haas, § 260 InsO Rz. 17 ff. Vgl. auch Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 260 InsO Rz. 19. So Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 260 InsO Rz. 19; Otte in Kübler/Prütting/Bork, § 261 InsO Rz. 6; Breutigam in Blersch/Goetsch/Haas, § 261 InsO Rz. 10; Braun in Nerlich/ Römermann, § 261 InsO Rz. 6 ff.; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 261 InsO Rz. 5 ff. Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 261 InsO Rz. 10.

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8.243

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

grundsätzlich sämtliche Rechtswirkungen, die mit der Eröffnung des Verfahrens verbunden sind, wie z.B. Verfügungsbeschränkungen, Fremdverwaltung und Vollstreckungssperre. Zur Sicherung der Kontrollbefugnisse ordnet § 261 Abs. 1 Satz 2 InsO lediglich an, dass die Ämter des Verwalters und des Gläubigerausschusses sowie die Aufsicht des Insolvenzgerichts fortbestehen. Gegenstand der Überwachung ist die Erfüllung der Ansprüche der Insolvenzgläubiger sowie der absonderungsberechtigten Gläubiger, die diesen nach dem Insolvenzplan zustehen (§ 223 Abs. 2 InsO)1. Eine Planüberwachung ist nicht nur zulässig bei Fortführung des Schuldnerunternehmens oder bei Fortsetzung einer wirtschaftlichen Tätigkeit, sondern auch, wenn der Liquidationsplan eine sofortige Liquidation des Unternehmens vorsieht2. 2. Überwachung von Übernahmegesellschaften 8.243 Wird das Schuldnerunternehmen durch eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegründete Übernahmegesellschaft fortgeführt, erstreckt sich nach § 260 Abs. 3 InsO die Überwachung auf die Erfüllung der Ansprüche, die den Gläubigern nach dem gestaltenden Teil gegen eine juristische Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit zustehen3. Der Zweck der Regelung besteht darin, auch bei der Übernahme des Schuldnerunternehmens im Wege einer übertragenden Sanierung die Kontrolle der Planerfüllung zu gewährleisten. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ist den Gesellschaftern einer schon vor Verfahrenseröffnung bestehenden Gesellschaft und den Gläubigern einer solchen Gesellschaft eine Überwachung nicht zuzumuten. Die Kontrolle durch Überwachung kommt nur in Betracht für juristische Personen und Gesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit, wie z.B. eine BGB-Gesellschaft, OHG, KG, Partenreederei oder EWIV. Ist im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgesehen, dass eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegründete Gesellschaft den Schuldnerbetrieb übernehmen soll, ist die Planüberwachung nach § 260 Abs. 3 InsO ausgeschlossen4. Einer Übernahmegesellschaft, die nicht unter § 260 Abs. 3 InsO fällt, ist es jedoch unbenommen, sich freiwillig im Übernahmevertrag einer Überwachung 1 Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 260 InsO Rz. 5; Stephan in Münchener Kommentar zu InsO, § 260 InsO Rz. 15; Breutigam in Blersch/Goetsch/Haas, § 260 InsO Rz. 5; Braun in Nerlich/Römermann, § 260 InsO Rz. 3; Otte in Kübler/Prütting/Bork, § 260 InsO Rz. 8; Hess, § 260 InsO Rz. 7; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 260 InsO Rz. 13. 2 Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 260 InsO Rz. 5; Otte in Kübler/Prütting/Bork, § 260 InsO Rz. 9. 3 Einzelheiten Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 260 InsO Rz. 10 ff.; Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 260 InsO Rz. 7; Frank in Braun, § 260 InsO Rz. 8; Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 260 InsO Rz. 17–19; Breutigam in Blersch/ Goetsch/Haas, § 260 InsO Rz. 23 ff. 4 Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 260 InsO Rz. 17; Breutigam in Blersch/ Goetsch/Haas, § 260 InsO Rz. 28, 32; Kebekus/Wehler in Graf-Schlicker, § 260 InsO Rz. 2; Andres in Andres/Leithaus, § 260 InsO Rz. 5; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 260 InsO Rz. 27, 28; Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 260 InsO Rz. 6. Weitergehend Otte in Kübler/Prütting/Bork, § 260 InsO Rz. 10 ff.; Hess, § 260 InsO Rz. 7; Frank in Braun, § 260 InsO Rz. 8; Braun in Nerlich/Römermann, § 260 InsO Rz. 4. Vgl. auch Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 260 InsO Rz. 15, 16. Nach Meinung von Braun wird man in vielen Fällen zu praxisnahen Ergebnissen gelangen,

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Planüberwachung

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zu unterwerfen1. Die Erstreckung der Überwachung auf die Übernahmegesellschaft ist nach § 67 Abs. 2 Nr. 1 InsO zusammen mit dem Beschluss über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens öffentlich bekannt zu machen und dem Registergericht mitzuteilen. 3. Aufgaben und Befugnisse des Insolvenzverwalters im Rahmen der Überwachung Dem mit der Überwachung betrauten Insolvenzverwalter räumt das Gesetz durch 8.244 die Verweisung in § 261 Abs. 1 Satz 3 InsO auf die Vorschrift des § 22 Abs. 3 InsO weitgehend die Rechte eines vorläufigen Insolvenzverwalters ein. Er ist somit befugt, die Geschäftsräume des Schuldnerunternehmens bzw. der Übernahmegesellschaft zu betreten, Einsicht in Bücher und Geschäftspapiere zu nehmen sowie Auskünfte von den organschaftlichen Vertretern und Angestellten (§§ 97, 101 InsO) zu verlangen2. Der Verwalter hat die monatlichen Umsatzsteuererklärungen ebenso wie betriebswirtschaftliche Auswertungen zu sichten und zu bewerten. Eine intensive Liquiditätskontrolle ist ebenso unverzichtbar wie eine Kontrolle der vom Schuldnerunternehmen neu begründeten Verbindlichkeiten. Nach § 262 InsO hat der Insolvenzverwalter im Rahmen der Überwachung festzustellen, ob Ansprüche, deren Erfüllung er zu überwachen hat, nicht erfüllt werden oder werden können. Bei Gefahr der Nichterfüllung hat er unverzüglich dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht gegenüber Anzeige zu machen (§ 262 Satz 1 InsO). Ist ein Gläubigerausschuss nicht bestellt, hat der Verwalter alle Gläubiger zu unterrichten, denen nach dem gestaltenden Teil des Insolvenzplans Ansprüche gegen das Schuldnerunternehmen oder die Übernahmegesellschaft zustehen (§ 262 Satz 2 InsO). Ist im gestaltenden Teil des Insolvenzplans ein Zustimmungsvorbehalt (§ 263 InsO) vorgesehen, sind Rechtsgeschäfte des Schuldners oder der Übernahmegesellschaft während der Zeit der Überwachung nur wirksam, wenn der Insolvenzverwalter ihnen zustimmt (§ 263 Satz 1 InsO). Gegen das Zustimmungsgebot verstoßende Handlungen des Schuldners werden nach dem Gesetz so behandelt, als wären sie während des laufenden Insolvenzverfahrens vorgenommen worden (§§ 263 Satz 2, 81 Abs. 1, 82 InsO)3. Ist im Insolvenzplan die Überwachung durch einen Sachwalter vorgesehen, so obliegt diesem die Überwachung der Planerfüllung4. Die Überwachung durch einen Sachwalter

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wenn man für § 260 Abs. 3 InsO ausreichen lässt, „dass der Abschluss des Gründens während des Insolvenzverfahrens erfolgt.“ Der Neugründung steht der Erwerb einer schon früher gegründeten sog. Vorratsgesellschaft gleich (so Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 260 InsO Rz. 16; Frank in Braun, § 260 InsO Rz. 8). So auch Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 260 InsO Rz. 18. Zum Kontrollumfang vgl. Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 261 InsO Rz. 3 ff.; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 261 InsO Rz. 15–19; Braun in Nerlich/Römermann, § 261 InsO Rz. 3, 3a; Hess, § 261 InsO Rz. 1; Braun in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 70; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, 7. Aufl., Rz. 408; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 22.5. Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 263 InsO Rz. 5, 6; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 28.59; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 263 InsO Rz. 18. Smid/Rattunde, § 260 InsO Rz. 5; Hess, § 260 InsO Rz. 9 und § 261 InsO Rz. 4; Breutigam in Blersch/Goetsch/Haas, § 261 InsO Rz. 10; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 261 InsO Rz. 18.

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8.245

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

ist für die Gläubiger keineswegs risikolos, weil der Schuldnervertreter zum einen seine Rechtsstellung aus einer vertraglichen Vereinbarung mit dem Schuldnerunternehmen herleitet, zum anderen nicht der gerichtlichen Aufsicht nach § 58 InsO unterliegt und sich seine Haftung nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen bestimmt1. 4. Aufgaben des Gläubigerausschusses und Aufsichtsfunktion des Insolvenzgerichts 8.245 § 261 Abs. 1 Satz 2 InsO bestimmt, dass trotz Aufhebung des Verfahrens das Amt der Mitglieder des Gläubigerausschusses und die Aufsicht des Insolvenzgerichts fortbestehen. Auf Grund dessen kann der Gläubigerausschuss jederzeit einzelne Auskünfte oder einen Zwischenbericht des mit der Planüberwachung betrauten Insolvenzverwalters verlangen (§ 261 Abs. 2 Satz 2 InsO)2. Weitergehende Befugnisse räumt das Gesetz der Gläubigervertretung allerdings nicht ein. Insbesondere gewährleistet es keine rechtzeitige Informationsbeschaffung3. Auch die Aufsichtspflicht des Gerichts hat weitgehend formalen Charakter. Das Insolvenzgericht ist aber befugt, gemäß § 98 InsO ggfls. mit Zwangsmaßnahmen die Mitwirkungspflichten des Schuldners sowie der in § 22 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 i.V.m. § 101 Abs. 1 und 2, Abs. 2 InsO bezeichneten Personen durchzusetzen4. 5. Dauer und Aufhebung der Überwachung 8.246 Hinsichtlich der Dauer der Überwachung einer Planerfüllung hat der Gesetzgeber eine Begrenzung auf drei Jahre ab Aufhebung des Insolvenzverfahrens vorgesehen (§ 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO)5. Solange die Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter noch andauert, rechtfertigt dies nicht die Annahme, die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers sei beendet und ein neues Insolvenzereignis, das einen Anspruch auf Insolvenzgeld (§ 165 Abs. 1 SGB III) auslösen kann, könne eintreten6. Dies gilt auch, wenn das erste Insolvenzverfahren nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans aufgehoben, die im Insolvenzplan festgelegte Quote in den folgenden drei Jahren vollständig gezahlt und der Insolvenzplan lediglich hinsichtlich des Besserungsscheins noch nicht erfüllt worden ist7. 8.247 Eine vorzeitige Aufhebung der Überwachung ist möglich, wenn die Ansprüche, deren Erfüllung überwacht werden, erfüllt sind oder die Erfüllung dieser Ansprü1 Vgl. Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 261 InsO Rz. 12; Braun in Nerlich/ Römermann, § 261 InsO Rz. 6; Otte in Kübler/Prütting/Bork, § 261 InsO Rz. 6; Breutigam in Blersch/Goetsch/Haas, § 261 InsO Rz. 10; Braun in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 70 Rz. 70.10. 2 Thies in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 261 InsO Rz. 6. 3 Lissner, ZInsO 2012, 1452, 1454. 4 Hess, Insolvenzrecht, 2. Aufl., § 261 Rz. 10. 5 Soweit von einigen Gerichten (vgl. z.B. AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447 f.) angenommen wird, die Frist könne mit Zustimmung des Schuldners verlängert werden, ist dem nicht zuzustimmen. Vgl. Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 268 InsO Rz. 10; Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 268 InsO Rz. 2; Hess, § 268 InsO Rz. 1. 6 BSG v. 29.5.2008 – B 11a AL 57/06 R, ZIP 2008, 1889; Bestätigung und Weiterführung von BSG v. 21.11.2002 – B 11 AL 35/02, ZIP 2003, 157 = BSGE 90, 157. 7 LSG NRW v. 10.4.2014 – L 16 AL 171/11, ZIP 2014, 1602.

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Planüberwachung

8.248

che gewährleistet ist (§ 268 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Gewährleistet ist Erfüllung der Gläubigeransprüche nur, wenn entsprechende Sicherheiten für die Erfüllung vorliegen. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Erfüllung reicht nicht aus1. Erst der Beschluss über die Aufhebung der Planüberwachung führt zur die Beendigung des Insolvenzplanverfahrens2 und ist in gleicher Weise öffentlich bekannt zu machen wie die Überwachung selbst. Mit der Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses erlangt der Schuldner bzw. die Übernahmegesellschaft die volle Verfügungsbefugnis über das gesamte Vermögen. Zustimmungsvorbehalte (§ 263 InsO) entfallen. Der in § 264 InsO festgelegte Nachrang der Insolvenzgläubiger gegenüber Neugläubigern entfällt, soweit sie nicht dem festgelegten Kreditrahmen unterfallen. Der Verwalter oder ein Sachwalter hat die in seinem Besitz befindlichen aus der Überwachung resultierenden Unterlagen an das Schuldnerunternehmen bzw. die Übernahmegesellschaft herauszugeben3. Auch der Insolvenzbeschlag nach §§ 263 Satz 2, 81 Abs. 1, 82 InsO entfällt. Die Aufhebung der Überwachung ist in den Registern entsprechend §§ 268 Abs. 2 Satz 2, 267 Abs. 3, 31, 32 InsO zu vermerken und entsprechende Eintragungen sind zu löschen. 6. Kosten der Überwachung Nach § 269 Satz 1 InsO trägt der Schuldner die Kosten der Überwachung. Im Fall 8.248 des § 260 Abs. 3 InsO hat die Übernahmegesellschaft für die durch die Überwachung anfallenden Kosten einzustehen (§ 269 Satz 2 InsO). Zu den Kosten der Überwachung gehören auch die Vergütung des Insolvenzverwalters4 und der Mitglieder des Gläubigerausschusses, nicht dagegen die Kosten eines Sachwalters. Im Insolvenzplan kann die Kostentragungspflicht abweichend geregelt werden5. Es empfiehlt sich, die Vergütungs- und Auslagenansprüche vor der Aufhebung der Überwachung zu berichtigen6. Jedoch besteht auch nach Aufhebung 1 Breutigam in Blersch/Goetsch/Haas, § 268 InsO Rz. 5; Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 268 InsO Rz. 6; Braun in Nerlich/Römermann, § 268 InsO Rz. 2; Braun in Braun, § 268 InsO Rz. 3; Thies in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 269 InsO Rz. 3. Nach Auffassung von Lüer/Streit (in Uhlenbruck, § 268 InsO Rz. 3) genügt es, dass die Erfüllung gewährleistet ist. 2 LG Frankfurt v. 3.12.2013 – 2-14 O 85/13, Rz. 24, bestätigt durch OLG Frankfurt v. 20.10.2014 – 23 U 1/14. 3 OLG Stuttgart v. 3.1.1984 – 8 W 477/83, ZIP 1984, 1385 = GmbHR 1984, 240; LG Hannover v. 5.7.1972 – 23 T 2/72, KTS 1973, 191; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 268 InsO Rz. 12; Hess, § 268 InsO Rz. 4; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 268 InsO Rz. 5; Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 268 InsO Rz. 15. 4 Das Insolvenzgericht hat die Vergütung für die Überwachung des Insolvenzplans jedenfalls dann im Sinne eines Vollstreckungstitels gegen den ehemaligen Schuldner festzusetzen, wenn dieser die Kosten der Überwachung materiellrechtlich zu tragen hat und die Überwachertätigkeit durch den ehemaligen Insolvenzverwalter wahrgenommen worden ist (LG Memmingen v. 28.2.2011 – 44 T 207/11, ZInsO 2011, 1567). 5 Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 269 InsO Rz. 10; Smid/Rattunde, Der Insolvenzplan, S. 327 Rz. 18.14 ff.; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 269 InsO Rz. 1; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 269 InsO Rz. 2, 2a/b, 3–6; Andres in Andres/Leithaus, § 269 InsO Rz. 1; Braun in Nerlich/Römermann, § 269 InsO Rz. 1; Mai, Insolvenzplanverfahren, S. 135, Rz. 366. 6 Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 269 InsO Rz. 8; Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 269 InsO Rz. 11.

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8.249

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

der Überwachung die Möglichkeit, etwaige Kostenersatzansprüche durchzusetzen, denn der Festsetzungsbeschluss stellt einen Vollstreckungstitel dar1. 8.249–8.250

vacat

1 Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 269 InsO Rz. 2b; Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 269 InsO Rz. 1; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 269 InsO Rz. 3; Frank in Braun, § 269 InsO Rz. 3.

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GmbH & Co. KG

8.253

D. Besonderheiten bei der GmbH & Co. KG I. GmbH-Insolvenz und KG-Insolvenz Über das Verhältnis der GmbH-Insolvenz zur KG-Insolvenz (getrennte oder kon- 8.251 solidierte Abwicklung?) informieren die Ausführungen bei Rz. 7.755 ff. Die Gesellschaften können im Insolvenzverfahren getrennte Wege gehen, aber im Ausgangspunkt verdient eine konsolidierte Unternehmensinsolvenz den Vorzug. Diese besteht, wenn über beide Gesellschaftsvermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, in einer Verzahnung der Insolvenzverfahren.

II. Die Kommanditgesellschaft als Zentrum des Insolvenzplanverfahrens Im Insolvenzplanverfahren steht regelmäßig die Kommanditgesellschaft als Un- 8.252 ternehmensträgerin im Mittelpunkt (vgl. schon Rz. 7.768). Ein auch im Verfahren der GmbH-Insolvenz zu vollziehender koordinierter Insolvenzplan ist möglich (auch dazu Rz. 7.768). Ziel des Insolvenzplans kann es aber auch sein, sich der gleichfalls insolventen Komplementär-GmbH zu entledigen, falls dies nicht schon geschehen ist, und eine neue Komplementärin zu gründen. Diese Maßnahme kann auch Gegenstand eines bedingten Insolvenzplans nach § 249 InsO sein (vgl. wiederum Rz. 7.768).

III. Fortsetzung oder Vollbeendigung der insolventen GmbH & Co. KG 1. Fortsetzung

8.253

Ist eine GmbH & Co. KG durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen aufgelöst, das Verfahren aber auf Antrag des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH eingestellt oder nach der Bestätigung eines Insolvenzplans, der den Fortbestand der Gesellschaft vorsieht, aufgehoben, so können die Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft beschließen (näher Rz. 7.838). Die Fortsetzung kann und wird häufig Gegenstand des Insolvenzplans sein. Ein Fortsetzungsbeschluss muss solchenfalls sowohl für die KG als auch für die Komplementär-GmbH gefasst werden. Das gilt auch für die sog. doppelstöckige GmbH & Co. KG1. Wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Komplementär-GmbH mangels Masse abgelehnt (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO), so ist sie gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG aufgelöst. Sie bleibt im Fall der Simultaninsolvenz beider Gesellschaften als Liquidationsgesellschaft Komplementärin der Kommanditgesellschaft (str.; dazu Rz. 7.753 ff.)2, scheidet also nicht analog § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB aus der KG aus. Anders als im Fall der Vermögenslosigkeit3 kann eine lediglich im Sinne von § 26 InsO massearme GmbH unter Besei1 Kübler/Prütting/Noack, InsO, Gesellschaftsrecht Rz. 184; Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 364. 2 Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 115; Karsten Schmidt, GmbHR 2002, 1209, 1213. 3 Angaben bei Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 97.

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8.254

8. Teil: Das Insolvenzplanverfahren

tigung ihrer Insolvenz durch Beschluss fortgeführt werden1. Doch ist dies umstritten. Auch aus praktischen Gründen liegt näher, dass die Komplementär-GmbH ausscheidet und vollbeendet wird, während ein Kommanditist oder eine neu zu gründende Kapitalgesellschaft persönlich haftender Gesellschafter wird. Die Fortsetzung kann auch dann noch beschlossen werden, wenn das Insolvenzverfahren durchgeführt und nach Vollzug der Schlussverteilung aufgehoben wurde (§ 200 Abs. 1 InsO). Zwingende Voraussetzung ist aber immer, dass Vermögen vorhanden ist und der Insolvenzgrund beseitigt wird2. 8.254 2. Liquidation Auf die Vollabwicklung der GmbH & Co. KG im Insolvenzverfahren wurde unter Rz. 7.839 hingewiesen. Hervorgehoben sei, dass die Abwicklung auch durch den gestaltenden Teil eines Insolvenzplans geregelt werden kann.

1 So Karsten Schmidt/Bitter in Scholz, § 60 GmbHG Rz. 97. 2 Einzelheiten zur Fortsetzung der durch Insolvenzverfahrenseröffnung aufgelösten KG bei Bitter in Scholz, vor § 64 GmbHG Rz. 179; Kübler/Prütting/Noack, InsO, Gesellschaftsrecht Rz. 581 ff.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren A. Insolvenz- und haftungsrechtliche Besonderheiten I. Verhältnis Insolvenzverfahren, Eigenverwaltungsverfahren, Schutzschirmverfahren In der Presse ist regelmäßig zu lesen, das Unternehmen XY habe sich zur Vermei- 9.1 dung der Insolvenz in ein Sanierungsverfahren begeben. Diese öffentliche Wahrnehmung ist unzutreffend, war aber vom Gesetzgeber durchaus beabsichtigt, wird als Ziel der im März 2012 mit dem ESUG1 in Kraft getretenen Reform doch die Verbesserung der Sanierungschancen unterstrichen2. Die Ergänzungen betrafen jedoch nur die Eigenverwaltung, die eine Variante des Insolvenzverfahrens ist. Es gibt kein gesondertes Sanierungsverfahren3. Dahingehenden Überlegungen ist der Gesetzgeber bislang nicht gefolgt. In jüngster Zeit wurden sie erneut aufgegriffen4. Ob ein solches Sonderverfahren sinnvoll ist, mag bezweifelt werden, weil die regelungsbedürftigen Punkte dieselben bleiben: Transparenz des Verfahrens, Vertrauen der Neugläubiger in eine vorrangige Befriedigung, Verbot der Schlechterstellung einzelner Insolvenzgläubiger gegen ihren Willen und schließlich Vermeidung von Insolvenzgewinnen für „Trittbrettfahrer“ und Gesellschafter, all das eingebunden in ein effizientes Rechtsmittelsystem, das dem Eilcharakter des Verfahrens Rechnung trägt. Sämtliche Punkte werden in der InsO angesprochen. De lege lata gibt es deshalb zu Recht nur ein einziges Insolvenzverfahren. Sein Grundmuster, das als Regelverfahren bezeichnet wird, ist die Bestellung eines Insolvenzverwalters. Die Eigenverwaltung unterscheidet sich davon allein dadurch, dass – ganz nach dem US-amerikanischen Vorbild des debtor in possession5 – die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 InsO) beim Schuldner verbleibt, §§ 274 Abs. 1 Satz 1, 282 InsO. Da der Schuldner als Insolvenzverwalter agiert, muss er auch die Vorschriften einhalten, die für das Regelverfahren gelten (§ 274 Abs. 1 Satz 2 InsO), soweit sich aus den relativ wenigen Bestimmungen über die Eigenverwaltung nicht anderes ergibt. Das betrifft insbesondere die Bestellung eines Sachwalters zur Kontrolle des Schuldners und Durchsetzung von einigen besonders konfliktträchtigen Ansprüchen. Das in der Presse besonders hervorgehobene Schutzschirmverfahren ist nur eine 9.2 „Spielart“6 des auf einen Eigenverwaltungsantrag folgenden Vorverfahrens („Eröffnungsverfahren“) bis zur Entscheidung über die Insolvenzeröffnung. Vom normalen Eigenverwaltungs-Eröffnungsverfahren unterscheidet es sich allein dadurch, dass der Schuldner einen Anspruch auf bestimmte Anordnungen im Eröff1 „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ vom 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582. 2 BT-Drucks. 17/5712, S. 1 f. 3 Bork, ZIP 2010, 397 ff.; zum damaligen Diskussionsstand: Hirte, Karsten Schmidt, Jacoby, Streit, DB 2010, 25 f.; Paulus u.a., WM 2010, 1337, 1344 f. 4 INDat-Report 6/2013, 8 ff.; Nikolaus, BDU-Tagung 1.4.2014; Empfehlung der EU-Kommission v. 12.3.2014 C [2014] 1500 final. 5 BT-Drucks. 12/2443, S. 116. 6 Wimmer, Das neue Insolvenzrecht nach der ESUG-Reform, 2012, S. 25.

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9.3

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

nungsverfahren hat. Dazu gehört die Bewilligung einer Schonfrist von längstens drei Monaten zur Erarbeitung eines Insolvenzplans, die vorläufige Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die Ermächtigung zur Begründung künftiger Masseverbindlichkeiten und schließlich die Bestellung einer vom Schuldner benannten Person zum vorläufigen Sachwalter, es sei denn, dass sie offensichtlich ungeeignet ist. All dies ist auch im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung ohne Schutzschirmantrag möglich, nur dass die Anordnungen im Ermessen des Insolvenzgerichts stehen. Es wird aber ohne sachlichen Grund regelmäßig keine Veranlassung haben, Anregungen des Schuldners nicht zu folgen. Auch die im Schutzschirmverfahren zu gewährende Schonfrist von bis zu drei Monaten hat mehr theoretische Bedeutung, weil die Dauer in der Praxis durch den Insolvenzgeldzeitraum bestimmt wird. Unterm Strich sind die Vorteile des Schutzschirmverfahrens vor allem psychologischer Natur. Das ESUG hat damit eine auf eine Sanierung ausgerichtete „Insolvenzkultur“1 geschaffen. Die Insolvenz soll zum vorhersehbaren betriebswirtschaftlichen Kalkül werden, dessen Anwendung zurzeit bei einigen Gerichten allerdings noch auf Widerstand stößt2. Schon unabhängig von derartigen Anreizen sollten Geschäftsführer und Berater im Auge behalten, dass die Haftungsgefahr für Zahlungen, die angesichts drohender Zahlungsunfähigkeit geleistet werden, sehr hoch ist, zumal bei einer später tatsächlich eingetretenen Insolvenz rückblickend schon früher bestandene Insolvenzgründe schnell unterstellt werden. Hier wird auch die Reform des Insolvenzanfechtungsrechts keine Erleichterungen bringen. Zwar soll nach dem RegE zur Ergänzung des § 133 InsO3 die drohende Zahlungsunfähigkeit kein Vermutungstatbestand für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz mehr sein. Das schließt aber eben nur die Vermutung, nicht auch die Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung aus. Gerade bei Insidern wie Geschäftsführern und Beratern hat der Vermutungstatbestand wegen der Beweislastumkehr (§ 133 Abs. 2 InsO, der als Abs. 4 unverändert bleiben soll) keine Relevanz. Soweit es Zahlungen an außenstehende Dritte betrifft, ist zu berücksichtigen, dass jede Erschwerung der Anfechtung das potentielle Haftungsvolumen für den Geschäftsführer aus § 64 GmbHG erhöht, so dass die Reform des Anfechtungsrechts den Druck auf eine frühzeitige Antragstellung erhöht. 9.3 Nachfolgend werden die Grundform der Eigenverwaltung (Rz. 9.4 ff.) und dann die Besonderheiten des Schutzschirmverfahrens (Rz. 9.81 ff.) dargestellt.

II. Eigenverwaltung ohne Schutzschirm 1. Antrag 9.4 Die Eigenverwaltung setzt zunächst einen „normalen“ Insolvenzantrag voraus. Der Antrag auf Eigenverwaltung ist nur eine Ergänzung für diese Verfahrensvariante, die nicht von Amts wegen angeordnet werden darf. Auch wenn die Einleitung des Insolvenzverfahrens von einem Gläubiger beantragt wird, kann der Schuldner bis zur Eröffnungsentscheidung die Eigenverwaltung beantragen. Je später der Antrag gestellt wird, umso näher liegt jedoch die Vermutung, dass die Geschäftsführung zögerlich handelt und Nachteile für die Gläubiger entste1 Vallender, NZI 2008, 838 ff. 2 Exemplarisch AG Hamburg v. 19.12.2013 – 67c IN 501/13, ZIP 2014, 487. 3 ZIP 2015, Beilage zu Heft 40.

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Eigenverwaltung ohne Schutzschirm

9.7

hen können. Wenn schon die Initiative für die Einleitung des Insolvenzverfahrens nicht vom Schuldner stammt, sollte er den Antrag spätestens anlässlich der auf einen Fremdantrag hin durchzuführenden Anhörung (§ 14 Abs. 2 InsO) einreichen. Ab Verfahrenseröffnung kann die Eigenverwaltung nur noch von der Gläubigerversammlung beantragt werden (§ 271 InsO). Der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens muss den Anforderungen der 9.5 §§ 13, 15, 15a InsO genügen. Bestandteil des Insolvenzantrags sollte eine Liste möglicher Mitglieder eines vorläufigen Gläubigerausschusses sein (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO) samt deren Einverständniserklärungen; denn gemäß § 270 Abs. 3 InsO ist der Ausschuss zu dem Antrag auf Eigenverwaltung möglichst zu hören. Unterstützt er ihn einstimmig, gilt die Anordnung als nicht nachteilig1. Der Insolvenzantrag muss ggf. um den Antrag auf Eigenverwaltung ergänzt werden. Auch das ist eine Prozesshandlung, auf die gemäß § 4 InsO die ZPO ergänzend Anwendung findet. Besteht noch keine Antragspflicht gemäß § 15a InsO, muss dem Insolvenzantrag 9.6 ein Gesellschafterbeschluss vorausgehen, weil es den Gesellschaftern obliegt zu entscheiden, ob die mit der Verfahrenseröffnung verbundene Auflösung der Gesellschaft (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 InsO) eintreten oder eine Sanierung außerhalb des Verfahrens stattfinden soll2. Anderenfalls wäre auch die Verpflichtung zur Einberufung der Gesellschafterversammlung bei Verlust des hälftigen Stammkapitals (§ 49 Abs. 3 GmbHG) überflüssig3. Doch ist das Vorliegen eines ordnungsgemäß gefassten Beschlusses nicht vom Insolvenzgericht zu prüfen4, denn es kommt für die verfahrensrechtliche Wirksamkeit des Insolvenzantrags gemäß § 18 Abs. 3 InsO allein auf die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer an. Etwas anderes wäre mit dem Eilcharakter des Insolvenzverfahrens nicht vereinbar. Eine Begründung des Antrages auf Eigenverwaltung sieht das Gesetz nicht vor. 9.7 Die Ablehnung setzt voraus, dass keine Umstände bekannt sind, die Nachteile für die Gläubiger erwarten lassen. Die Begründungslast für eine Ablehnung liegt beim Insolvenzgericht (§ 270 Abs. 4 InsO). Die Beibringungslast liegt hingegen beim Schuldner5, von dem das Gericht Informationen anfordern wird. Das Verfahren sollte er dadurch erleichtern, dass er seinerseits schon im Antrag Umstände darlegt, die die Eigenverwaltung als für die Gläubiger vorteilhaft erscheinen lassen6. Das beinhaltet Angaben zum Zeitpunkt, in dem ein Insolvenzgrund eintrat, damit eine etwaige für die Gläubiger nachteilige Verschleppung ausgeschlossen werden kann. Des Weiteren ist die Erläuterung eines planvollen Vorgehens wichtig, so dass das Sanierungskonzept grob umrissen werden muss. Schließlich sollte 1 Zur Bestellung der Ausschussmitglieder Rz. 5.422 ff. 2 OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, GmbHR 2013, 590 m. Komm. Leinekugel; Geißler, ZInsO 2013, 919, 922; Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1593; Schäfer, ZIP 2013, 2237, 2241 f.; Spliedt in FS Vallender, 2015, S. 613, 614 ff.; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, 2014, Rz. 75 ff.; Madaus, ZIP 2014, 500, 502; Haas in Baumbach/Hueck, § 60 GmbHG Rz. 29; a.A. Eidenmüller, ZIP 2014, 1197, 1203; Hölzle, ZIP 2013, 1846, 1849 f.; Meyer-Löwy/Pickerill, GmbHR 2013, 1065, 1068. 3 Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1593. 4 Lang/Muschalle, NZI 2013, 953, 955 f. 5 Fiebig in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 270 InsO Rz. 24; Undritz in Karsten Schmidt, § 270 InsO Rz. 9; Henkel, ZIP 2015, 563, 570. 6 Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 270 InsO Rz. 24.

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9.8

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

auf die besonderen Vorteile der handelnden Personen hingewiesen werden, weil dies der wesentliche Unterschied zur Fremdverwaltung ist. Hierbei kann es sich um persönliche Beziehungen zu Geschäftspartnern oder besondere Fähigkeiten im leistungswirtschaftlichen Bereich handeln. Auch sollte dargestellt werden, dass die insolvenzverfahrensrechtlichen Anforderungen beherrscht werden1. Häufig wird ein Insolvenzverwalter als Chief Restructuring Officer („CRO“) in die Geschäftsführung berufen2, um damit die insolvenzrechtliche Expertise zu unterstreichen. Die leistungswirtschaftliche Sanierung beherrschen allerdings nur sehr wenige Insolvenzverwalter. Ihr Know-how liegt eher im Verfahrensablauf und in der finanzwirtschaftlichen Sanierung, so dass sie eher die Position eines „Chief Insolvency Officer“ („CIO“) ausfüllen und als CRO eine weitere in der betriebswirtschaftlichen Sanierung erfahrenen Person erforderlich ist. Beide können ihre Aufgaben auch als Berater erfüllen. Die Geschäftspartner erwarten allerdings, dass der Schuldner – repräsentiert durch seine Organe – und nicht nur ein Berater Verhandlungen führt. 9.8 Schließlich sollte darauf eingegangen werden, ob Gläubiger eine Eigenverwaltung im Rahmen der bisherigen Sanierungsgespräche schon abgelehnt haben. Zwar kann ein einziger Gläubiger die Anordnung im Gegensatz zum früheren Recht nicht mehr verhindern. Deshalb hat auch eine vorsorglich beim Gericht hinterlegte Schutzschrift eines Gläubigers nur den Charakter einer Anregung3. Etwaige Bedenken sollten jedoch von vornherein entkräftet werden. 2. Eröffnungsverfahren a) Befugnisse des Schuldners aa) Sicherungsmaßnahmen 9.9 Für das Insolvenzeröffnungsverfahren gelten gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO die allgemeinen Vorschriften sowie die in § 270a InsO vorgesehenen Besonderheiten. Ist der Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos, darf keine Verfügungsbeschränkung i.S. von § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO angeordnet werden. Deshalb ist statt eines vorläufigen Insolvenzverwalters auch nur ein vorläufiger Sachwalter zu bestellen (§ 270a Abs. 1 InsO). Vor dem ESUG gab es diese Vorschrift nicht. Es wurde häufig ein vorläufiger Insolvenzverwalters bestellt und damit vollendete Tatsachen geschaffen, die die angestrebte Eigenverwaltung unterliefen. Nunmehr soll der Schuldner seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis möglichst vollumfänglich behalten. Nicht aussichtslos ist der Eigenverwaltungsantrag, wenn bis zur Eröffnungsentscheidung „keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird“ (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Da über vorläufige Maßnahmen schon unmittelbar nach dem Antrag zu einem Zeitpunkt entschieden werden muss, zu dem die Nachteilsfrage noch nicht endgültig beantwortet werden kann, ist im Eröffnungsverfahren eine Offensichtlichkeit der Nachteile erforderlich (§ 270 Abs. 1 InsO). Die offensichtliche Aussichtslosigkeit einer Eigenver1 AG Hamburg v. 19.12.2013 – 67c IN 501/13, ZIP 2014, 487; Vallender, DB 2015, 231, 233. 2 Zum Aufgabenbereich: Klein/Thiele, ZInsO 2013, 2233 ff. 3 Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 270 InsO Rz. 41 f.

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Eigenverwaltung ohne Schutzschirm

9.11

waltung ist genauso1 zu interpretieren wie die offensichtliche Aussichtslosigkeit eines Insolvenzplans bei § 231 InsO2: es dürfen keine ernsthaften Zweifel am Erfolg bestehen3. Überwiegende Zweifel oder ein nur voraussichtlicher Misserfolg genügen nicht, weil der Gesetzgeber diese der InsO durchaus bekannten Prognosewahrscheinlichkeiten (z.B. §§ 18 Abs. 2, 19 Abs. 2 InsO) für die Nachteilsprognose im Eröffnungsstadium gerade nicht verwendet hat. Das Absehen von Verfügungsbeschränkungen unter Bestellung eines vorläufigen 9.10 Insolvenzverwalters ist laut § 270a Abs. 1 InsO nur eine Soll-Bestimmung. Da die allgemeinen Vorschriften Anwendung finden (§ 270 Abs. 1 InsO), ist das Gericht nicht gehindert, auch bei fehlender Offensichtlichkeit derartige Maßnahmen anzuordnen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sogar für die Eröffnungsentscheidung ein non liquet bei Beantwortung der Nachteilsfrage zugunsten des Schuldners wirkt. Das muss dann umso mehr gelten für die Entscheidung über vorläufige Sicherungsmaßnahmen. Deshalb ist auf einer zweiten Stufe erneut eine Nachteilsabwägung vorzunehmen: Auf der ersten ist es die Offensichtlichkeit der Nachteile einer Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren und auf der zweiten Stufe die Gefahr ungewöhnlich großer Nachteile fehlender Sicherungsmaßnahmen, wenn der Antrag des Schuldners später nicht positiv beschieden wird. Dass beide Nachteilserwägungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, wird in der Praxis kaum vorkommen. Das zweistufige Verfahren erleichtert dem Gericht aber die Begründung von Sicherungsmaßnahmen unterhalb der Schwelle einer Offensichtlichkeit. Auch hier gilt im Übrigen wie im Regelinsolvenzverfahren, dass Eingriffe in die Verfügungsbefugnis des Schuldners dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechen müssen4. Falls der Schuldner selbst Sicherungsmaßnahmen vorschlägt, können sie natürlich angeordnet werden. Das mag gelegentlich zur Vertrauensbildung sinnvoll sein, um eine spätere Anfechtung auszuschließen5 oder einen Neukredit an Vermögensgegenständen zu besichern; denn gegen eine insolvenzrechtliche Verfügungsbeschränkung verstoßende Maßnahmen sind insgesamt unwirksam (§ 81 Abs. 1 InsO), so dass der Gläubiger keinen Verlust seines Sicherungsguts durch einen gutgläubigen Erwerb befürchten muss. In der Regel wird es aber so sein, dass eine Eigenverwaltung keinen Erfolg haben wird, wenn die Gläubiger dem Schuldner misstrauen. Neuerdings wird eine Verfügungsbeschränkung an Kontoguthaben durch Übertragung der Kassenführung auf den Sachwalter propagiert6, um eine Haftung des Geschäftsführers für Steuern und Sozialabgaben zu vermeiden, deren Zahlung ihm bei fehlender Zustimmung eines vorläufigen Verwalters tatsächlich unmöglich ist. bb) Masseschuldermächtigung Bis zur Verfahrenseröffnung begründete Verbindlichkeiten dürfen später nur mit 9.11 der Insolvenzquote bedient werden (§§ 38, 87, 187 ff. InsO). Damit trotzdem Ver1 2 3 4 5

Neußner in Kübler, HRI, § 6 Rz. 136. Dazu Spliedt in Karsten Schmidt, § 231 InsO Rz. 5 f. Zu anderen Definitionen s. Henkel, ZIP 2015, 562, 570. BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625. BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314; BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 235/12, ZIP 2013, 1127 Rz. 36; BGH v. 10.1.2013 – IX ZR 161/11, ZIP 2013, 528. 6 AG Hamburg v. 14.7.2014 – 67b IN 196/14, ZIP 2014, 2101 mit kritischer Anm. Buchalik/Kraus, ZInsO 2014, 2354 und Erwiderung von Frind, ZInsO 2015, 22.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

träge mit hinausgeschobener Abwicklung geschlossen werden können, hat die Rechtsprechung für das Regelinsolvenzverfahren in Anlehnung an die gerichtliche Ausgestaltungsbefugnis des § 22 Abs. 2 InsO das Institut der sog. Einzelermächtigung entwickelt. Das Gericht darf einen vorläufigen Insolvenzverwalter auch ohne Übergang der Verfügungsbefugnis zur gesonderten Begründung künftiger Masseschulden analog § 55 Abs. 2 InsO ermächtigen1. Bei der Eigenverwaltung findet sich seit dem ESUG eine Regelung nur für das Schutzschirmverfahren in § 270b Abs. 3 InsO. Das wird von einer Mindermeinung als ein beredtes Schweigen für das Eröffnungsverfahren ohne Schutzschirmantrag interpretiert2 und die Ermächtigung dort für unzulässig gehalten. Übersehen wird dabei jedoch, dass § 270b InsO eine Vorschrift ist, die das richterliche Ermessen beschränken soll, um dem Schuldner eine größere Rechtssicherheit zu geben3. Liegen die Voraussetzungen für ein Schutzschirmverfahren vor, hat (!) das Gericht eine Masseschuldermächtigung zu erteilen, wenn es der Schuldner beantragt. Bei der normalen Eigenverwaltung fehlt nur diese Ermessensbeschränkung, es bleibt aber bei der Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften, von denen die Masseschuldermächtigung gedeckt ist4. Regt der Schuldner sie an, wird das Gericht auch im Eröffnungsverfahren der „einfachen“ Eigenverwaltung bei der Ausübung seines Ermessens berücksichtigen müssen, dass sie in der Regel notwendig ist, um den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Ohne Ermächtigung steht dem Schuldner hingegen keine Masseschuldbegründungskompetenz zu. Aus dem schon im Eröffnungsverfahren anwendbaren § 275 InsO ergibt sich keine solche Befugnis5. Dies zeigt sich daran, dass selbst § 270b Abs. 3 InsO eine gesonderte Anordnung für erforderlich hält, was überflüssig wäre, wenn der Schuldner schon qua lege die Masseschuldbegründungskompetenz hätte. Auch ist § 275 InsO nicht lex specialis zu § 38 InsO, der die vor Verfahrenseröffnung begründeten Verbindlichkeiten auf die Stufe der Insolvenzforderungen verweist. 9.12 Ist somit ein Ermächtigungsbeschluss des Gerichts erforderlich6, kann die Frage im Hinblick auf § 275 InsO nur lauten, ob zusätzlich auch noch eine Zustimmung des Sachwalters notwendig ist, obwohl schon das Gericht den Schuldner zur Eingehung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt hat. Die Antwort hängt davon ab, mit welcher Intensität das Gericht den Antrag prüft. Im Regelinsolvenzverfahren herrscht die Auffassung vor (s. ergänzend Rz. 5.510 ff.), dass das Gericht die Notwendigkeit und Erfüllbarkeit einzelner Verbindlichkeiten beurteilen muss7 und eine Globalermächtigung des „schwachen“ vorläufigen Verwalters un1 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625; BGH v. 16.6.2005 – IX ZB 264/03, ZIP 2005, 1372; BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 271/04, ZIP 2007, 438; BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, ZIP 2012, 737; Hölzle in Karsten Schmidt, § 21 InsO Rz. 65. 2 AG Fulda v. 28.3.2012 – 91 IN 9/12, ZIP 2012, 1471; Nöll, ZInsO 2013, 745 ff.; Pleister/ Tholen, ZIP 2013, 526. 3 M. Hofmann in Kübler, HRI, § 6 Rz. 103 f.; Klinck, ZIP 2013, 853, 859; Undritz, BB 2012, 1551, 1552. 4 LG Duisburg v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453; Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270a InsO Rz. 16; Undritz in Karsten Schmidt, § 270a InsO Rz. 6; Klinck, ZInsO 2014, 365. 5 A.M. LG Dresden v. 9.5.2014 – 10 O 2237/13, NZI 2014, 654; Frind, ZInsO 2012, 1099, 1101; Oppermann/Smid, ZInsO 2012, 862, 865 f. 6 LG Köln v. 4.7.2014 – 16 O 575/13, ZIP 2014, 1849. 7 Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 222, 226.

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Eigenverwaltung ohne Schutzschirm

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zulässig ist1. Im Schutzschirmverfahren soll das Gericht dem Schuldner hingegen auf dessen Antrag auch mit einer Pauschalermächtigung ausstatten müssen2. Dies steht im Einklang sowohl mit dem Wortlaut des § 270b Abs. 3 InsO als auch mit der Auffassung des Rechtsausschusses, dass der Schuldner wie ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter müsse handeln dürfen, dem gemäß § 55 Abs. 2 InsO eine pauschale Masseschuldbegründungskompetenz zusteht3. Nach überwiegender Ansicht ist deshalb nur im Schutzschirmverfahren keine Kontrolle durch das Gericht erforderlich, wohl aber in der Eigenverwaltung ohne Schutzschirm4. Zwingend ist dies nicht, weil auch bei einer Einzelermächtigung die Rechtsfolge auf einer analogen Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO beruht5. Für die Praxis ist aber davon auszugehen, dass im normalen Eröffnungsverfahren die engen Ermächtigungsvoraussetzungen gelten. Vorherrschend ist die Einzelermächtigung6, zulässig aber auch eine Gruppenermächtigung7. Da somit nach herrschender Ansicht schon das Gericht im Eröffnungsverfahren der einfachen Eigenverwaltung die Insolvenzzweckwidrigkeit der Begründung von Masseschulden prüft, ist eine spätere Mitwirkung des Sachwalters nicht erforderlich, selbst bei solchen Verbindlichkeiten nicht, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören (z.B. Massekredit). Damit wird ein Dissens zwischen Gericht und Sachwalter vermieden. Wegen der Eilbedürftigkeit einer Masseschuldermächtigung kann das Gericht allerdings die Einzelheiten nicht so intensiv prüfen, wie es der Sachwalter im Rahmen der ihm gemäß § 274 Abs. 2 InsO obliegenden Untersuchung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners tun muss. Deshalb kann es die Ausübung einer umfassenden Ermächtigung von der Zustimmung des Sachwalters abhängig machen8. Unklar ist jedoch, ob den Sachwalter dann eine Haftung für die Nichterfüllung der Verbindlichkeiten trifft. § 277 Abs. 1 Satz 2 InsO greift erst nach Verfahrenseröffnung ein, zumal § 277 InsO einen Gläubigerantrag voraussetzt und die bloße gerichtliche Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit nicht genügt9. Doch wird man einer vom Gericht für erforderlich erklärten Zustimmung nur Innenwirkung beimessen10. Eine ohne 1 Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, § 55 InsO Rz. 222. 2 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270b InsO Rz. 25; Undritz in Karsten Schmidt, § 270b InsO Rz. 11; Vallender, GmbHR 2012, 450, 454; a.A. Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, § 270b InsO Rz. 100. 3 BT-Drucks. 17/7511, S. 37; Vallender, GmbHR 2012, 445, 447. 4 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270a InsO Rz. 22, § 270b Rz. 25; a.A. Klinck, ZInsO 2014, 365, 370: Globalermächtigung ohne oder Einzelermächtigung mit Prüfung. 5 Hölzle in Karsten Schmidt, § 21 InsO Rz. 67. 6 Z.B. LG Duisburg v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453; AG Köln v. 29.11.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788; AG München v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12. 7 Vgl. OLG Naumburg v. 29.1.2014 – 5 U 195/13, ZIP 2014, 1452 Rz. 23 (zu LG Stendal v. 25.9.2013 – 23 O 12/13, ZInsO 2013, 2224); LG Dresden v. 11.9.2013 – 1 O 1168/13, ZIP 2013, 2116; dazu kritisch: Klinck, ZInsO 2014, 365. 8 M. Hofmann in Kübler, HRI, § 6 Rz. 94, 110; im Ergebnis ebenso: AG München v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 270, 270a InsO Rz. 23; a.A. Klinck, ZInsO 2014, 365, 369 f.; Klinck, ZIP 2013, 853, 859: Das Gericht dürfe die Verfahrensherrschaft nicht aus der Hand geben. 9 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270a InsO Rz. 24. 10 Frind, ZInsO 2012, 1099, 1103 f. (mit der Begründung, dass die Masseschuldermächtigung schon aus § 275 InsO folgt); Undritz in Karsten Schmidt, § 270a InsO Rz. 6.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

Beteiligung des Sachwalters begründete Masseschuld ist dann zwar wirksam, lässt aber erkennen, dass die Eigenverwaltung wegen des verfahrenswidrigen Verhaltens Nachteile für die Gläubiger erwarten lässt. Im Ermächtigungsbeschluss sollte die nur interne Bedeutung klargestellt werden. 9.13 Adressat der Masseschuldermächtigung ist der Schuldner1, also die Gesellschaft, nicht die Geschäftsführung oder der vorläufige Sachverwalter2. Beiden fehlt die Befugnis, im eigenen Namen Verbindlichkeiten für den Schuldner zu begründen, so dass sie auch nicht darüber befinden können3, ob Verbindlichkeiten in den Rang künftiger Masseschulden „gehoben“ werden sollen. 9.14 Gegen die Entscheidung über einen Ermächtigungsantrag gibt es kein Rechtsmittel4, und zwar weder von Gläubigern, die sich mit ihren Forderungen bspw. aus einem Dauerschuldverhältnis bei einer erteilten Einzelermächtigung übergangen fühlen, noch vom Schuldner gegen eine Ermächtigungsablehnung und nicht vom Sachwalter, selbst wenn die Ausübung der Ermächtigung von seiner Zustimmung abhängig gemacht wird, so dass ihn eine in der Anfangsphase schwer abzuschätzende Haftung triff (s. oben); denn gemäß § 6 Abs. 1 InsO ist ein Rechtsmittel nur gegeben, wenn die InsO das ausdrücklich vorsieht. Selbst wenn man die Ermächtigung als Sicherungsmaßnahme i.S. des § 21 Abs. 1 InsO ansehen wollte5, wäre ihre Ablehnung nicht beschwerdefähig6; dies allerdings um den Preis der Rechtszersplitterung, weil der BGH keine einheitliche Linie vorgeben kann7. b) Vorläufiger Sachwalter 9.15 Auf den vorläufigen Sachwalter sind die für den endgültigen Sachwalter geltenden §§ 274 f. InsO über die Bestellung sowie die Kontroll- und Mitwirkungspflichten entsprechend anzuwenden (§ 270a Abs. 1 Satz 2 InsO), so dass auf die Ausführungen bei Rz. 9.35 ff. Bezug genommen wird. Die wichtigste Aufgabe ist die Anzeige von Nachteilen der Eigenverwaltung8, was eine Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse voraussetzt. Dazu gehört auch eine Plausibilitätsprüfung des Sanierungskonzepts, weil eine Bewertung von Vermögenspositionen von deren Verwendbarkeit abhängt, die sich nur anhand der Unternehmensplanung beurteilen lässt. In diesem Zusammenhang müssen auch die Kosten der Eigenverwaltung mit denen der Regelabwicklung verglichen werden9, was in diesem frühen Verfah1 LG Duisburg v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453; AG München v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470; AG Köln v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788; Undritz in Karsten Schmidt, § 270a InsO Rz. 6; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 270, 270a InsO Rz. 22. 2 So aber AG Hamburg v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787; Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270a InsO Rz. 44. 3 A.A. Frind, ZInsO 2012, 1099, 1102 ff. und Oppermann/Smid, ZInsO 2012, 862, 864 ff., die dem Schuldner auch ohne gerichtlichen Beschluss eine Masseschuldbegründungskompetenz beimessen, für deren Ausübung es der Zustimmung des vorl. Sachwalters gemäß § 275 InsO bedarf. 4 BGH v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZIP 2013, 525. 5 A.A. Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270a InsO Rz. 25. 6 BGH v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZIP 2013, 525. 7 Pape, ZInsO 2013, 2129 f., 2134. 8 Frind, NZI 2014, 937, 939. 9 Frind, NZI 2014, 937 941, der eine Prüfung des Sanierungskonzepts ablehnt, gleichwohl aber einen Kostenvergleich verlangt.

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rensstadium jedoch nur eine Missbrauchskontrolle sein kann; denn Mehrkosten können kompensiert werden durch ein Mehrergebnis für die Gläubiger, das aber nur sehr grob prognostizierbar ist. Da sich eine Sanierungsplanung erst langsam entwickelt, ist ein Monitoring mit ständigem Soll-Ist-Vergleich erforderlich. Auf ein Scheitern der ursprünglich angestrebten Sanierung muss zwar nur im Schutzschirmverfahren reagiert werden, § 270b Abs. 4 Nr. 1 InsO. Eine Redepflicht trifft den vorläufigen Sachwalter aber auch in der einfachen Eigenverwaltung, sofern sich aus dem Scheitern Gläubigernachteile ergeben. Nicht in den Schutzbereich der Nachteilsmeldepflicht gehört die Erfüllbarkeit der aufgrund einer Ermächtigung begründeten Masseverbindlichkeit1; denn der vorläufige Verwalter haftet gemäß § 60 InsO nur gegenüber „allen Beteiligten“, zu denen die künftigen Massegläubiger (noch) nicht gehören. Der Erwerb einer von vornherein geminderten Forderung gegen den Schuldner ist allein durch § 61 InsO geschützt, der nach Verfahrenseröffnung nur in dem eng begrenzten Rahmen des § 277 Abs. 1 InsO (Zustimmungsbedürftigkeit bestimmter Rechtsgeschäfte) anzuwenden ist. Von § 60 InsO können die Massegläubiger erst profitieren, wenn sich ihre Befriedigungsaussichten nach Begründung ihrer Massegläubigerstellung weiter verschlechtern2. Nicht verwiesen wird in § 270a Abs. 1 InsO auf § 277 InsO, wonach Verpflichtungsgeschäfte des Schuldners von der Zustimmung des Sachwalters abhängig gemacht werden können. Eine analoge Anwendung im Eröffnungsverfahren ist unzulässig3, da keine unbeabsichtigte Gesetzeslücke besteht4. Zulässig ist aber, eine solche Anordnung als gesonderte Sicherungsmaßnahme auf §§ 21 Abs. 1, 22 Abs. 2 InsO zu stützen5. Die Einschränkung der Verpflichtungsbefugnis kommt einer Verfügungsbeschränkung gleich. Sie ist nicht nur ein Eingriff unterhalb dieser Schwelle, was schon daran deutlich wird, dass Verfügungen regelmäßig eine rechtsgeschäftlich geschaffene Verpflichtung voraussetzen. Der vorläufige Sachwalter ist kein Berater des Schuldners. Andererseits trifft ihn 9.16 eine Redepflicht nicht nur gegenüber dem Gericht. Auch dem Schuldner wird er mitteilen müssen, worin er eigenverwaltungshindernde Nachteile erblickt, was dann sinnvollerweise zur Erörterung von Verbesserungsmöglichkeiten führt. Damit verliert er seine Unabhängigkeit ebenso wenig6 wie ein Wirtschaftsprüfer, der mit der zu prüfenden Gesellschaft Bilanzierungsfehler erörtert. § 284 Abs. 1 InsO sieht sogar ausdrücklich die Beratung vor, wenn auch beschränkt auf einen sog. Auftrags-Insolvenzplan. Der (vorläufige) Sachwalter darf bei all dem aber nicht Auftragnehmer des Schuldners werden7 und insbesondere die Insolvenzgeldfinanzierung für den Schuldner bearbeiten8, obwohl er dafür im Vergleich zum Schuldner regelmäßig die besseren technischen und fachlichen Kapazitäten hat. Überschreitet der vorläufige Sachwalter seinen Aufgabenbereich gegenüber dem Schuldner durch Beratung oder gegenüber den Gläubigern durch „Gutsagung“ der 1 A.A. Frind, NZI 2014, 977, 980. 2 Spliedt in Pape/Graeber, Handbuch der Insolvenzverwalterhaftung, 2009, Rz. 350 ff. 3 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270a InsO Rz. 24; a.A. Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270a InsO Rz. 39, 41. 4 Frind, ZInsO 2015, 22, 24. 5 Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 270a InsO Rz. 18. 6 A.A. Frind, NZI 2014, 937, 940. 7 A.A. LG Dresden v. 11.9.2013 – 1 O 1168/13, ZIP 2013, 2116. 8 Frind, NZI 2014, 937, 941.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

Zahlung neuer Verbindlichkeiten haftet er nach den allgemeinen Vorschriften (c.i.c., §§ 276, 280 BGB)1. c) Vorläufiger Gläubigerausschuss 9.17 Ein vorläufiger Gläubigerausschuss ist von Amts wegen zu bestellen, wenn der Schuldner die in § 22a Abs. 1 InsO genannten Größenkriterien erfüllt. Das Insolvenzgericht kann den Schuldner zur Benennung geeigneter Personen auffordern, § 22a Abs. 4 InsO. Werden die Größenkriterien unterschritten, kann ein Ausschuss auf Antrag eingesetzt werden, mit dem eine Benennung der möglichen Mitglieder verbunden werden sollte. In sämtlichen Fällen handelt es sich nur um Vorschläge, denen das Gericht zu folgen nicht verpflichtet ist. Entsprechen sie jedoch den Anforderungen der §§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 67 Abs. 2 InsO, wird das Insolvenzgericht i.d.R. die genannten Personen berufen, es sei denn, dass eine anhand der gemäß § 13 Abs. 1 InsO einzureichenden Unterlagen vorgenommene Plausibilitätsprüfung zu Bedenken Anlass gibt. Ein „Family and Friends“-Ausschuss ist genauso unzulässig wie eine Überkreuzbesetzung durch eine Person, die z.B. Sachwalter in einem anderen Verfahren ist, bei dem der jetzige Sachwalter im Gläubigerausschuss sitzt. Der Ausschuss muss das Interesse der Gläubigergemeinschaft vertreten2, so dass das Gericht neben oder anstatt der vorgeschlagenen auch weitere juristische3 Personen ernennen darf. Üblicherweise sind Banken, Lieferanten, Arbeitnehmer, Kleingläubiger und ggfls. Vertreter besonders wichtiger Geschäftspartner Mitglieder des Ausschusses. Gegen einen Vertreter der Arbeitnehmer wird eingewandt, dass § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO für den vorläufigen Gläubigerausschuss nur auf § 67 Abs. 2 InsO verweist, wonach es sich bei den Mitgliedern um Gläubiger handeln muss. Nur dem nach Eröffnung bestellten Ausschuss können auch andere Personen angehören (§ 67 Abs. 3 InsO). Arbeitnehmer werden in rechtzeitig eingeleiteten Verfahren ihre Stellung als Insolvenzgläubiger verlieren, weil ihre Vergütungsansprüche mit dem Antrag auf Insolvenzgeld auf die Agentur für Arbeit übergehen (§ 169 SGB III). Bis zum Übergang oder bis zur Abtretung an eine das Insolvenzgeld finanzierende Bank sind sie jedoch Gläubiger. Im Übrigen sollte mit § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO nur die früher ohne gesetzliche Regelung in Großverfahren häufig praktizierte Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses, dem üblicherweise ein Arbeitnehmervertreter angehörte, rechtssicher geregelt werden4. Insofern ist § 67 Abs. 3 InsO jedenfalls für die Arbeitnehmer auch im Vorverfahren anwendbar. Das sollte entsprechend der früheren Usance nicht nur für Mitglieder der Belegschaft gelten, sondern auch für externe Vertreter insbesondere von Gewerkschaften oder auch für die Bundesagentur für Arbeit; denn es macht wenig Sinn, ausgerechnet im weichenstellenden Eröffnungsverfahren andere Personen als vorläufige Mitglieder für den Gläubigerausschuss vorzusehen als die endgültigen nach Verfahrenseröffnung. Die Aufgaben des vorläufigen Gläubigerausschusses5 entsprechen denen des endgülti1 2 3 4 5

Frind, NZI 2014, 977, 978. Jungmann in Karsten Schmidt, § 67 InsO Rz. 6. Zur Zulässigkeit: Jungmann in Karsten Schmidt, § 67 InsO Rz. 17. BT-Drucks. 17/5712, S. 27. Umfassend: Buchalik/Haarmeyer, Der (vorläufige) Gläubigerausschuss, abrufbar unter www.diai.org.

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gen Ausschusses, allerdings erweitert um den Einfluss auf die Bestellung des (vorläufigen) Sachwalters (§§ 270a Abs. 1 Satz 2, 274 Abs. 1, 56a InsO) und den Einfluss auf die Nachteilsprognose, die bei einem einstimmigen Votum des Ausschusses zwingend zugunsten der Eigenverwaltung ausfallen muss (§ 270 Abs. 3 InsO). Im Schutzschirmverfahren kommt ein Recht auf Aufhebung der Schutzschirmanordnungen hinzu (§ 270b Abs. 4 InsO). d) Sachverständiger Das Stufenverhältnis zwischen der für das Eröffnungsverfahren gemäß § 270a 9.18 Abs. 1 InsO genügenden „Offensichtlichkeit“ etwaiger Nachteile für die Gläubiger und der für die Eröffnungsentscheidung gemäß § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO erforderlichen „Erwartung“ solcher Nachteile führt zu der Frage, ob das Insolvenzgericht zur Nachteilsermittlung einen Sachverständigen beauftragen darf. Dem Wortlaut des § 270 Abs. 2 InsO ist keine Einschränkung des für das gesamte Insolvenzverfahren geltenden Amtsermittlungsprinzips (§ 5 Abs. 1 InsO) zu entnehmen1. Daraus folgt aber noch nicht, dass es sich dazu auch eines Sachverständigen bedienen darf; denn für das Eröffnungsverfahren wird ein vorläufiger Sachwalter bestellt (§ 270a Abs. 1 InsO), der gemäß § 274 Abs. 2 InsO zur Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners und gemäß § 274 Abs. 3 InsO zur Anzeige verpflichtet ist, sobald er Umstände feststellt, die Nachteile für die Gläubiger erwarten lassen. Einen darüber hinausgehenden Ermittlungsbedarf für einen gesonderten Sachverständigen gibt es nicht, so dass ein mit diesem Aufgabenbereich versehener Auftrag unzulässig ist2. Wird trotzdem ein Sachverständiger beauftragt, steht dem Schuldner kein Rechtsmittel zu, weil es sich nicht um eine Sicherungsmaßnahme handelt. Allerdings hat der Sachverständige dann auch keine weitergehenden Befugnisse als das Gericht. Nur ein vorläufiger Sachwalter darf ergänzend von den in § 22 Abs. 3 InsO genannten Rechten Gebrauch machen. Von der Beauftragung eines Sachverständigen zur Nachteilsermittlung zu unter- 9.19 scheiden ist ein Auftrag zur Ermittlung der Insolvenzgründe und der Verfahrenskostendeckung (dazu Rz. 6.1 ff.). Das ist zulässig3. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse des Sachverständigen können auch auf die Nachteilsprognose ausstrahlen. Stellt er nämlich fest, dass eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschul1 Schon im ursprünglichen RegE InsO hieß es zur damals vorgesehenen Eigenverwaltung, dass keine Nachforschungen erforderlich seien, BT-Drucks. 12/2443, S. 223; zum Schutzschirmverfahren wird in der Begr. RegE wiederholt, dass kein Sachverständiger bestellt werden soll, Begr. RegE BT-Drucks. 17/5712, S. 40 f., was allerdings im jeweiligen Gesetzeswortlaut nicht zum Ausdruck kommt, Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270 InsO Rz. 11. 2 Fiebig in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 270 InsO Rz. 26 f.; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260; Hölzle in Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, Kap. 14 Rz. 17 ff.; Undritz in Karsten Schmidt, § 270 InsO Rz. 9; Vallender, DB 2015, 231, 235; Vallender, GmbHR 2012, 445, 447; a.A. AG Kleve v. 2.12.2012 – 34 IN 38/12, n.v.; Schmidt/Linker, ZIP 2012, 963, 965; Henkel, ZIP 2015, 562, 570 m.w.N. in Fn. 113, der die zusätzliche Bestellung eines Sachverständigen als „best practice“ bezeichnet, ohne Kriterien für das „best“ zu nennen. 3 Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 270, 270a InsO Rz. 77; Schmidt/Linker, ZIP 2012, 963, 965; Vallender, DB 2015, 231, 235; Vallender, GmbHR 2012, 445, 446 f., 450, 452 f.; a.A. (hinsichtlich der Eröffnungsgründe) Smid, ZInsO 2013, 209, 215.

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dung schon länger vorliegen und deshalb der Insolvenzantrag verschleppt wurde, begründet dies regelmäßig weitere Nachteile für die Gläubiger (s. Rz. 9.22 ff.). Der Sachverständige kann personenidentisch sein mit dem vorläufigen Sachwalter1, es sei denn, dass ein schuldnerinterner Interessenskonflikt zwischen Geschäftsführern oder Gesellschaftern besteht. In solchen Fällen ist es zweckmäßig, eine andere Person zum Gutachter zu bestellen, weil die Belastung des Sachwalters mit einem solchen Konflikt für das Verfahren nicht förderlich ist2. e) Öffentliche Bekanntmachung 9.20 Der Antrag auf Eigenverwaltung hat den Vorteil, dass die Geschäftsführer damit ihrer Antragspflicht nachkommen, ohne dass dies veröffentlicht wird; denn bekannt gemacht werden müssen gemäß § 23 InsO nur Verfügungsbeschränkungen, vor denen auch ohne Schutzschirmantrag ja gerade abgesehen werden soll (§ 270a Abs. 1 InsO). Die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters ist wegen der nur internen Wirkung keine Verfügungsbeschränkung, ebenso wenig die Masseschuldermächtigung3. Gegen ein Veröffentlichungsverbot wird eingewandt, dass die Gläubiger zu schützen seien4. Verfahrensrechtlich ist ein solcher Schutz mangels Verfügungsbeschränkungen aber nicht erforderlich, wirtschaftlich wird er durch die fortbestehende Haftung des § 64 GmbHG (s. Rz. 9.148 f.) und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit verschiedenen Schutzgesetzen erreicht. Zwar führt ein „Geheimverfahren“5 meist zur Verbitterung der später vor vollendete Tatsachen gestellten Gläubiger, aber eine vom Gericht veranlasste öffentliche Bekanntmachung ist nicht zulässig6. f) Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung 9.21 Wird im Laufe des Eröffnungsverfahrens offensichtlich, dass die vorläufige Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führt, muss das Insolvenzgericht unverzüglich Sicherungsmaßnahmen anordnen. Die Entscheidungsgrundlage liefern vor allem die Informationen, die der Sachwalter zu erheben und ggfls. auch dem Insolvenzgericht zu übermitteln hat (§ 274 Abs. 2 und 3 InsO). Eine förmliche Aufhebung des Eröffnungsverfahrens ist nicht erforderlich. In diesem Punkt unterscheidet sich die normale vorläufige Eigenverwaltung vom Schutzschirmverfahren, in dem das Insolvenzgericht keine Sicherungsmaßnahmen treffen darf, bevor die Anordnung des § 274b Abs. 1 InsO nicht gemäß § 274b Abs. 4 InsO aufgehoben wurde. Demgegenüber stehen diese Anordnungen für das normale Eröffnungsverfahren in seinem Ermessen7 und können in jeder Phase des Vorverfahrens parallel zur weiterlaufenden vorläufigen Eigenverwaltung getroffen werden. In der Regel wird aber die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters aufgehoben 1 2 3 4 5 6

Vallender, DB 2015, 231, 235. Vallender, GmbHR 2012, 445, 447, 450, 453. Laroche, NZI 2010, 965, 972. Desch, BB 2011, 841; Frind, DB 2014, 165, 166. Frind, DB 2014, 165 f. Horstkotte, ZInsO 2012, 1161; Keller, ZIP 2012, 1895; Undritz in Karsten Schmidt, § 270a InsO Rz. 5. 7 § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO: „soll“.

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Eigenverwaltung ohne Schutzschirm

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und dieselbe Person zum vorläufigen Insolvenzverwalter ernannt1. Der Schuldner ist vor Anordnung einer Verfügungsbeschränkung anzuhören, wenn nicht Gefahr in Verzug ist. Dann sollte das Gericht ihm auch entsprechend § 270a Abs. 2 InsO Gelegenheit zur Rücknahme seines Antrags geben, falls zwischenzeitlich noch keine Insolvenzantragspflicht eingetreten ist. 3. Eröffnungsentscheidung a) Voraussetzung der Anordnung aa) Nachteilsprognose Die Anordnung der Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren setzt voraus, dass 9.22 keine Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sind (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Votiert ein vorläufiger Gläubigerausschuss einstimmig dafür, gilt die Eigenverwaltung als nicht nachteilig (§ 270 Abs. 3 InsO). Er ist nur zu hören, „wenn dies nicht offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt“. Ist er bei einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage schon nicht zu hören, so könnte die Schlussfolgerung lauten, dürfte selbst ein positives Votum für die Eigenverwaltung bei solchen Nachteilen nicht zu beachten sein. Die Parallele zur Formulierung in § 21 Abs. 1 InsO zeigt jedoch, dass es nur um den zeitlichen Ablauf geht2, falls sofort über die Verfahrenseröffnung in Eigenverwaltung entschieden werden muss, eine in der Praxis nicht vorkommende Situation. Ansonsten bleibt es bei dem Vorrang des Gläubigerausschussvotums. Spricht sich der vorläufige Ausschuss einstimmig für die Eigenverwaltung aus, muss sie angeordnet werden, selbst wenn das Insolvenzgericht nachteilige Veränderungen in der Vermögenslage erwartet3. Prognoseentscheidungen obliegen wegen der damit verbundenen Unsicherheiten in erster Linie den Gläubigern. Gibt es kein einstimmiges Votum, muss das Gericht eine Abwägung vornehmen. Die Nachteile für die Gläubiger können sowohl wirtschaftlicher als auch verfah- 9.23 rensrechtlicher Art sein4. Wirtschaftlicher Art sind sie, wenn eine mutmaßliche Quote geringer ausfallen oder aufgrund von Verfahrensverzögerungen5 später gezahlt werden würde als bei einem Regelinsolvenzverfahren. Die Verfahrensverzögerung, in § 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO a.F. als Hinderungsgrund ausdrücklich genannt, gilt nach wie vor als Kriterium, weil durch das ESUG keine Änderung beabsichtigt war6. Verfahrensrechtlicher Art sind die Nachteile, wenn sich das Ri1 LG Halle v. 14.11.2014 – 3 T 86/14, ZIP 2014, 2355 m. Anm. Spliedt, EWiR 2014, 789; bestätigt durch BGH v. 5.3.2015 – IX ZB 77/14, ZIP 2015, 648 (soweit i. R. eines Prozesskostenhilfeantrags entscheidungserheblich). 2 Vgl. die parallele Fragestellung bei §§ 22 Abs. 3, 56a Abs. 1 InsO. 3 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270 InsO Rz. 12. 4 S. die Beispiele bei Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 270 InsO Rz. 248 ff.; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2161 ff.; Vallender, DB 2015, 231 ff.; Henkel, ZIP 2015, 562, 563 ff., allerdings nicht immer zwischen rechtlichen und nur wünschenswerten Anforderungen unterscheidend. 5 AG Hamburg v. 28.2.2014 – 67c IN 1/14, NZI 2014, 566; AG Köln v. 1.7.2013 – 72 IN 211/13, ZIP 2013, 1390. 6 Fiebig in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 270 InsO Rz. 21; Undritz in Karsten Schmidt, § 270 InsO Rz. 10; Henkel, ZIP 2015, 563, 569; a.A.: Pape in Kübler/ Prütting/Bork, § 270 InsO Rz. 98.

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9.24

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

siko für die Gläubiger durch intransparente Verhältnisse1 erhöht, was zugleich auch höhere Verfahrenskosten durch einen steigenden Kontrollaufwand bedeutet. All das kann nur anhand von Indizien prognostiziert werden2, angefangen bei der persönlichen Befähigung der Geschäftsführung über eine ordnungsgemäße und auch nicht von Streit über die Einleitung des Insolvenzverfahrens3 gekennzeichnete Planung bis hin zur persönlichen Integrität der handelnden Personen. Fehlendes Know-how von den verfahrensrechtlichen Abläufen4, das schon an einem grob unzulänglichen Insolvenzantrag5 deutlich wird, kann jedenfalls zusammen mit anderen Umständen – dazu gehören insbesondere eine fehlende Mitwirkung und Informationserteilung im Eröffnungsverfahren6 – Nachteile für die Gläubiger erwarten lassen. bb) Integrität der Geschäftsführung 9.24 Hindernisse für die Eigenverwaltung können sich daraus ergeben, dass die Geschäftsführung in der Vergangenheit gläubigerschützende Bestimmungen verletzt hat. Schon ein konkreter Verdacht der Begehung von Vermögens-, Urkundenoder Bankrottdelikten rechtfertigt eine negative Prognose7. Eine Verurteilung ist nicht erforderlich. In Vermögensübersichten oder Angaben gegenüber dem Sachwalter dürfen weder Vermögensgegenstände noch Haftungsansprüche gegen nahe stehende Personen verschweigen werden. Auch eine Befangenheit bei der Durchsetzung solcher Ansprüche (Rz. 9.51) kann der Eigenverwaltung entgegenstehen8, wobei der Gesetzgeber allerdings eine gewisse Befangenheit unterstellt, weil dem Sachwalter in § 280 InsO die von besonderen Interessengegensätzen geprägten Ansprüche gemäß §§ 92 f. InsO und aufgrund Insolvenzanfechtung zur Durchsetzung überantwortet werden. Deshalb kann nicht jeder Kontrollbedarf zugleich eine Nachteilserwartung begründen9. Anderenfalls wären Verfahren über verbundene Unternehmen, zwischen denen es Geschäftsverkehr gibt, nur in Eigenverwaltung durchzuführen, wenn es jeweils unterschiedliche Organmitglieder gäbe. Das aber wird vom Gesetz nicht verlangt. Deshalb steht der Eigenverwaltung auch nicht entgegen, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer ein Interesse am Erwerb des Unternehmens durch eine Gesellschaft hat, in der er ebenfalls Gesellschafter-Geschäftsführer ist10. Ohne Eigeninteresse der Gesellschafter 1 AG Hamburg v. 15.7.2013 – 67e IN 108/13, ZIP 2013, 1684; Henkel, ZIP 2015, 562, 566. 2 Beispiele bei Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 270 InsO Rz. 43 ff.; Undritz in Karsten Schmidt, § 270 InsO Rz. 10 ff.; Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270 InsO Rz. 10 ff. 3 AG Mannheim v. 21.2.2014 – 4 IN 115/14, ZIP 2014, 484. 4 AG Hamburg v. 19.12.2013 – 67c IN 501/13, ZIP 2014, 487.m. krit. Anm. v. Möhlenkamp, BB 2014, 150. 5 AG Hamburg v. 28.2.2014 – 67c IN 1/14, NZI 2014, 566. 6 Pape, ZInsO 2013, 2129, 2133. 7 AG Hamburg v. 18.12.2013 – 67c IN 410/13, ZIP 2014, 390. 8 AG Hamburg v. 28.2.2014 – 67c IN 1/14, NZI 2014, 566. 9 Vallender, DB 2015, 231, 234. 10 Neußner in Kübler, HRI, § 10 Rz. 68; a.A. AG Hamburg v. 28.2.2014 – 67c IN 1/14, NZI 2014, 566; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2163; Henkel, ZIP 2015, 562, 568.

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Eigenverwaltung ohne Schutzschirm

9.26

am Erhalt des Unternehmens in ihrer Hand könnte die Eigenverwaltung nicht die Anreizfunktion entfalten, die der ESUG-Gesetzgeber ihr zugedacht hat. Das bedarf zwar der Kontrolle. Das Unabhängigkeitserfordernis gilt aber nur für den Sachwalter (§§ 274 Abs. 1, 56 InsO), nicht auch für den Schuldner oder seine Organe. Unabhängig davon wirkt es vertrauensbildend, wenn sich der Schuldner von vornherein einem Katalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte unterwirft. Ob eine Insolvenzverschleppung der Eigenverwaltung entgegensteht, ist zweifelhaft1. In der Rechtswirklichkeit werden Insolvenzanträge regelmäßig zu spät gestellt. Je höher die Anforderungen an einen Eigenverwaltungsantrag sind2, umso größer ist die Gefahr einer Verzögerung. In jeder Insolvenzverschleppung ein Hindernis für die Eigenverwaltung zu sehen, würde bedeuten, diese Verfahrensart selbst bei einem nur geringen Verschulden zu sperren. Eine von Dauer und Ursache der Insolvenzverschleppung abhängige Beurteilung ist sinnvoller als ein „Alles oder nichts“. Entscheidend sind die Eigenschaften der handelnden Personen. Selbst größere 9.25 Pflichtverletzungen der Vergangenheit rechtfertigen nicht unbedingt die Erwartung von Nachteilen, wenn die Handelnden ausgewechselt werden3. Zwar können neue Geschäftsführer eine mangelhafte Organisation und Kontrolle nicht von heute auf morgen ändern. Das aber kann ein Insolvenzverwalter ebenfalls nicht, so dass ein Regelverfahren nicht vorteilhafter wäre. Allerdings wird ein Insolvenzverwalter i.d.R. ein Team von Spezialisten einbeziehen. Soweit die neuen Geschäftsführer zur Beseitigung von Organisationsmängeln Gleiches tun, ist die Nachteilserwartung erschüttert. Sie werden jedoch die Indizien aus der Vergangenheit plausibel widerlegen und insbesondere darstellen müssen, dass die ehemaligen Entscheidungsträger auch mittelbar keinen Einfluss mehr ausüben können4. cc) Gläubigereinfluss Die Mitteilung einzelner Geschäftspartner, die Geschäftsverbindung zum 9.26 Schuldner nur mit einem vorläufigen Insolvenzverwalter fortzusetzen, kann ebenfalls Nachteile i.S. des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO begründen5. Zwar besteht im Gegensatz zur Rechtslage vor dem ESUG keine Verhinderungsmöglichkeit einzelner Gläubiger mehr6. Hier geht es aber nicht um die Gläubigerstellung, sondern um die Bereitschaft, als künftiger Lieferant oder Kunde oder Bank für einen Massekredit Nachteile der Eigenverwaltung zu vermeiden. Das hat Tatbestandswirkung und ist keine Ausübung von Verfahrensrechten. Ist der Geschäftspartner durch andere nicht zu ersetzen, kann er die Unternehmensfortführung und damit die Eigenverwaltung zu Fall bringen, wenn er nur mit einem Insolvenzverwalter 1 Bejahend: Frind, DB 2014, 165, 166. 2 AG Hamburg v. 19.12.2013 – 67c IN 501/13, ZIP 2014, 487 verlangt „wohl vorbereitete“ Anträge. 3 A.A. Henkel, ZIP 2015, 562, 566, der von einer „Unzuverlässigkeit des Unternehmens“ spricht. 4 Vgl. LG Halle v. 14.11.2014 – 3 T 86/14, ZIP 2014, 2355. 5 AG Köln v. 1.7.2013 – 72 IN 211/13, ZIP 2013, 1390. 6 Henkel, ZIP 2015, 562, 567.

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9.27

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

die Geschäftsbeziehung aufrechterhalten würde1. Lehnen hingegen einzelne Gläubiger die Eigenverwaltung ab, ohne dass dies mit einer tatsächlichen Auswirkung auf die Tätigkeit der Schuldnerin verbunden ist, genügt dies selbst bei einem einstimmig ablehnenden Beschluss des Gläubigerausschusses nicht. Erst nach Eröffnung des Eigenverwaltungsverfahrens reicht für die Aufhebung gemäß § 272 InsO ein Beschluss der Gläubigerversammlung oder gar ein Antrag – dann aber mit Begründung – einzelner Gläubiger. Das darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass der Gläubigerausschuss erklärt, seine Zustimmung zu wesentlichen Maßnahmen zu versagen. Er ist verpflichtet, die Befriedigungsaussichten der Altgläubiger nicht durch eine Blockadepolitik zu beeinträchtigen. Bedenken der Gläubiger werden aber meist auf Gründen beruhen, die unabhängig vom Gläubigervotum Nachteile indizieren2. dd) Prognosewahrscheinlichkeit 9.27 Nur Nachteile, die aufgrund von Umständen „erwartet“ werden müssen, hindern die Eigenverwaltung. Ein non liquet, bei dem sich die für und gegen Nachteile sprechenden Umstände die Waage halten, wirkt zugunsten des Schuldners3. Andererseits muss auch nicht sicher sein, dass sie eintreten, sondern den Nachteilen muss nur ein gewisser „Erwartungswert“4 beizumessen sein, also ihr Eintritt aufgrund einer Prognose wahrscheinlicher sein als ihr Ausbleiben. Maßgebend ist eine Gesamtbetrachtung. Einzelne Nachteile können durch größere Vorteile ausgeglichen werden5. Ein Erwartungswert ist niemals monokausal. 9.28 Angesichts der Gesetzesformulierung ist die Diskussion darüber müßig, ob die Eigenverwaltung die Ausnahme6 oder die Regel ist. In tatsächlicher Hinsicht wird sie die Ausnahme bleiben, in rechtlicher Hinsicht wird diese Ausnahme aber nicht vermutet7. Gerade in diesem Punkt wurden die Anordnungsvoraussetzungen durch das ESUG geändert. Trotzdem besteht immer noch die Tendenz, die im Gesetz fehlende Vermutung durch eine weite Auslegung des Nachteilsbegriffs einzuschränken8, was die Gefahr begründet, ein non liquet weiterhin dem Schuldner anzulasten. Entweder aber gibt es Nachteile oder aber es gibt keine. Unerhebliche Nachteile dürfen nicht durch eine weite Auslegung erheblich „gemacht“ werden. Beim Schuldner bleibt nur die schon erwähnte Beibringungspflicht des Schuldners, die es dem Gericht ermöglicht, auch ohne Beauftragung eines Sachverständigen (Rz. 9.18) die Nachteilsprognose zu stellen. Verweigert der Schuldner transparente Verhältnisse, ist das ein gravierendes Indiz für Nachteile, liefert 1 2 3 4 5 6 7 8

LG Halle v. 14.11.2014 – 3 T 86/14, ZIP 2014, 2355 m. Anm. Spliedt, EWiR 2014, 789. Vallender, DB 2015, 231, 232. Undritz in Karsten Schmidt, § 207 InsO Rz. 8. AG Hamburg v. 28.2.2014 – 67c IN 1/14, NZI 2014, 566: „gewisse Wahrscheinlichkeit“. Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 270 InsO Rz. 12; a.A.: Undritz in Karsten Schmidt, § 270 InsO Rz. 8. So mit der überwiegenden Meinung AG Hamburg v. 18.12.2013 – 67c IN 410/13, ZIP 2014, 390; Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270 InsO Rz. 2; Vallender, DB 2015, 231; Henkel, ZIP 2015, 562 f. Neußner in Kübler, HRI, § 9 Rz. 35. Vallender, DB 2015, 231; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153.

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Eigenverwaltung ohne Schutzschirm

9.31

er sämtliche Informationen und begründen sie keine Nachteilserwartung, muss das Gericht die Eigenverwaltung anordnen. Unter diesen Voraussetzungen gibt es einen Anspruch auf diese Verfahrensart1. Das Ziel der Eigenverwaltung muss – anders als für die Schutzschirmanträge – nicht unbedingt in einer Erhaltung des Schuldners als Unternehmensträger bestehen2. Auch eine Liquidation kann verfolgt werden (arg. e. § 282 InsO)3, bei der die Eigenverwaltung zwar selten Vorteile gegenüber der Regelverwaltung hat. Entscheidend ist jedoch, wie erwähnt, nicht die Vorteilhaftigkeit, sondern maßgebend sind fehlende Nachteile. Will das Gericht den Eigenverwaltungsantrag zurückweisen, hat es dem Schuld- 9.29 ner Gelegenheit zu geben, einen wegen nur drohender Zahlungsunfähigkeit gestellten Antrag zurückzunehmen (§ 270a Abs. 2 InsO). Bei juristischen Personen hat das nur Sinn, solange keine Antragspflicht nach § 15a InsO eingreift. b) Rechtsmittel Lehnt das Gericht die Anordnung der Eigenverwaltung ab und eröffnet stattdessen 9.30 das Regelinsolvenzverfahren, sieht die InsO in § 34 Abs. 2 InsO nur ein Rechtsmittel gegen die Verfahrenseröffnung vor, nicht jedoch gegen die Ablehnung des Eigenverwaltungsantrags4. Der Schuldner hat de facto also keine Möglichkeit, die Anordnung der Fremdverwaltung daraufhin überprüfen zu lassen, ob eine Eröffnung mit Eigenverwaltung weniger stark in seine Rechte eingreifen würde. Verfassungsrechtlich ist das nur dann unproblematisch5, wenn man mit dem BGH6 die Eigenverwaltung als eine Verfahrensvariante im Interesse der Gläubiger und nicht auch im Interesse des Schuldners ansähe. Insofern hat das ESUG aber einen „Paradigmenwechsel“7 gebracht, der die frühere Entscheidung des BGH in einem anderen Licht erscheinen lässt. Trotzdem wurde ein Rechtsmittel im Gesetzgebungsverfahren abgelehnt8. Obwohl somit nach dem Gesetzeswortlaut die Ablehnung der Eigenverwaltung 9.31 nicht anfechtbar ist, ist sie gemäß § 270 Abs. 4 InsO zu begründen. Damit soll der Gläubigerversammlung eine Entscheidungsgrundlage an die Hand gegeben werden, um ggfls. nachträglich eine Eigenverwaltung gemäß § 271 InsO zu beschließen. Erforderlich ist dafür eine Kopf- und Summenmehrheit. Stimmt der Schuldner zu, muss das Gericht dem folgen. Es kommt nicht mehr darauf an, ob Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sind. Eine solche Prüfung hat auch nicht auf einer Vorstufe bei der Beschlusskontrolle nach § 78 InsO stattzufinden9. Jedenfalls lehnt der BGH dies für den umgekehrten Fall ab, dass die Gläubigerversammlung die Aufhebung der Eigenverwaltung beschließt (Rz. 9.60). Da es in 1 A.A. AG Hamburg v. 18.12.2013 – 67c IN 410/13, ZIP 2014, 390. 2 A.A. AG Hamburg v. 18.12.2013 – 67c IN 410/13, ZIP 2014, 390. 3 Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 270 InsO Rz. 66 ff., 103; a.A. AG Hamburg v. 18.12.2013 – 67c IN 410/13, ZIP 2014, 390. 4 BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448; LG Frankfurt v. 13.1.2014 – 2/09 T 66/13, ZIP 2014, 742; Undritz in Karsten Schmidt, § 270 InsO Rz. 21. 5 Mit Recht kritisch Smid, KTS 2008, 82 ff. 6 BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448. 7 Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337; Vallender, NZI 2010, 838, 840. 8 BT-Drucks. 17/5712, S. 58. 9 Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 271 InsO Rz. 6.

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9.32

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

dem einen wie dem anderen Fall um die Frage geht, ob die Gläubigerautonomie Vorrang hat, müssen die Beschlüsse für die Anordnung und die Aufhebung dieselben Rechtsfolgen haben. 9.32 Gegen die Anordnung der Eigenverwaltung gibt es gleichfalls kein eigenständiges Rechtsmittel, das gegen jede Verfahrenseröffnung gemäß § 34 Abs. 2 InsO statthaft ist. Anfechtungsbefugt ist gemäß § 34 Abs. 2 InsO nur der Schuldner gegen eine Eröffnungsentscheidung aufgrund eines Gläubigerantrags. Ist er hingegen nur hinsichtlich der Eigenverwaltung anderen Sinnes geworden, kann er deren Aufhebung gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO beantragen. Ein Gläubiger ist nicht befugt, die Anordnung isoliert anzufechten. Auch ihm bleibt nur der Weg über § 272 InsO, so dass er die Gläubigerversammlung zu einem Aufhebungsantrag bewegen muss1. 4. Sachwalter a) Auswahl 9.33 Auf die Auswahl des Sachwalter finden die für die Auswahl des Insolvenzverwalters geltenden Grundsätze entsprechende Anwendung (§ 274 Abs. 1 InsO). Das betrifft sowohl seine Qualifikation und Unabhängigkeit (§ 56 InsO) als auch die Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses und insbesondere die Bindung des Gerichts an ein einstimmiges Votum des Ausschusses (§ 56a InsO) mit der Folge, dass selbst in der normalen Eigenverwaltung ohne Schutzschirmantrag die „mitgebrachte“ Person bestellt wird, wenn dies im Vorwege mit denjenigen abgestimmt wurde, die zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses ernannt werden. Dadurch wird dem Schuldner ein „nahezu perfektes System“2 für größtmöglichen Einfluss mit größtmöglichen Freiheiten geboten. Bei einem Ausschussvotum sind etwaige Interessenkonflikte der Ausschussmitglieder zu berücksichtigen, sofern sie auf die Eignung der vorgeschlagenen Person ausstrahlen könnten. Anders als nach verbreiteter Ansicht zum Insolvenzverwalter3 bei einer Konzern- oder Gruppeninsolvenz in Regelabwicklung kann bei einer Eigenverwaltung in den jeweils selbständigen Verfahren dieselbe Person zum Sachwalter bestellt werden4, weil auf sie nicht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse (§ 80 InsO) übergehen. 9.34 Eine Eigenverwaltung wird nicht zuletzt wegen der Vorbereitungsmaßnahmen sehr stark von Beratern beeinflusst, die zu dem künftigen Sachwalter schon vor der Antragstellung Kontakt aufnehmen und ihn häufig aus früheren Verfahren kennen. Der Beratereinfluss beeinträchtigt die Unabhängigkeit nicht notwendigerweise. Erfahrungen mit der Person aus anderen Fällen zu nutzen und Vorbesprechungen im konkreten Fall zu führen, verlangt sogar die Professionalität des Beraters. § 56 Abs. 1 Nr. 2 InsO lässt Personenvorschläge ausdrücklich zu, 1 AG Köln v. 22.8.2005 – 71 IN 426/05, ZIP 2005, 1975. 2 Pape, ZInsO 2013, 2077, 2079 f. 3 Überblick über den Diskussionsstand zum Interessenkonflikt bei Graeber in Münchener Kommentar zur InsO, § 56 InsO Rz. 44 ff. Zur Verwalterbestellung im geplanten Konzerninsolvenzrecht: Flöther in Flöther, Handbuch zum Konzerninsolvenzrecht, 2015, § 4 Rz. 173 ff. sowie Pleister in Flöther, Handbuch zum Konzerninsolvenzrecht, 2015, § 5 Rz. 24. 4 Pleister in Flöther, Handbuch zum Konzerninsolvenzrecht, 2015, § 5 Rz. 25.

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Eigenverwaltung ohne Schutzschirm

9.35

was naturgemäß eine Personenkenntnis voraussetzt. Eine „dauernde Geschäftsverbindung“ zwischen einem Berater und meist auch zugleich Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners kann allerdings die Unabhängigkeit gefährden1. Wann die Geschäftsverbindung so intensiv ist, dass sie analog § 100 Abs. 1 Nr. 3 AktG einem institutionalisierten Kontrollverlust gleich kommt, hängt von der Art der Zusammenarbeit ab. Sowohl eine intensive Beratung des Schuldners als auch die Sachwaltertätigkeit nehmen über mehrere Monate einen erheblichen Teil der Arbeitszeit in Anspruch. Das schafft Abhängigkeiten, wenn das mit gleicher oder getauschter Rollenverteilung in den letzten (bspw.) drei Jahren mehrfach geschah, so dass (bspw.) vier gemeinsame Verfahren jedenfalls dann ernstliche Zweifel an der Unabhängigkeit wecken, wenn sich der Sachwalter veranlasst sieht, die Verbindung nicht von sich aus zu offenbaren2 Ein Einfluss kann auch durch die Bindung eines Massekredits an die Bestellung einer Person zum Sachwalter im eröffneten Verfahren ausgeübt werden. Behält sich die Bank anderenfalls die fristlose Kündigung vor, kann das einer Unabhängigkeit dieser Person entgegenstehen, wenn die Bank Insolvenzgläubigerin ist. Darüber hinaus kann das Zweifel an ihrer Eignung wecken, wenn der vorläufige Sachwalter durch sein Einverständnis mit solchen Bindungsklauseln die richterliche Bestellungskompetenz unterläuft3. Sachliche Gründe für ein solches Vorgehen wird es in aller Regel nicht geben, weil die Bonität des Schuldners nicht nur von einer einzigen als Sachwalter in Betracht kommenden Person abhängt. Im Übrigen kann die Vereinbarung einer vorzeitigen Kündbarkeit für Geschäftsführung (§ 43 Abs. 1 GmbHG) und zustimmenden Sachwalter (§ 60 InsO) eine Haftung begründen, wenn die Liquidität für eine vorgezogene Tilgung nicht vorhanden ist4. b) Kontrollaufgaben Der Sachwalter ist Kontrollorgan im Verwaltungsbereich (§§ 274 f., 277, 283 f. 9.35 InsO) und Handlungsorgan im Konfliktbereich (§ 280 InsO). So hat er die wirtschaftliche Lage und die Geschäftsführung des Schuldners (§ 274 Abs. 2 InsO) sowie das Verteilungsverzeichnis (§ 283 Abs. 2 InsO) zu prüfen. Besonders hervor hebt das Gesetz in §§ 281 Abs. 1, 283 Abs. 2 InsO, dass sich die Prüfung auch auf die Verzeichnisse der Massegegenstände und der Verbindlichkeiten sowie auf die Vermögensübersichten und schließlich das Verteilungsverzeichnis zu erstrecken hat, zu denen sich der Sachwalter schriftlich erklären muss. § 283 Abs. 1 InsO gewährt ihm ein eigenes Widerspruchsrecht gegen angemeldete Forderungen mit der Folge, dass die Forderung bei der Verteilung nur zu berücksichtigen ist, falls der Gläubiger auf eine rechtzeitig (§ 189 InsO) erhobene Feststellungsklage gegen den Sachwalter (§ 179 Abs. 1 InsO) obsiegt. Ebenfalls zu prüfen hat er die am Ende des Verfahrens vom Schuldner zu erstellende Schlussrechnung, § 281 Abs. 3 InsO. Er hat das Insolvenzgericht sowie den Gläubigerausschuss bzw., sollte keiner bestellt worden sein, die Insolvenzgläubiger unverzüglich über drohende Nachteile der Eigenverwaltung zu informieren, § 274 Abs. 2, 3 InsO. Unabhängig von einer solchen anlassbezogenen Redepflicht muss der Sach1 2 3 4

Pape, ZInsO 2013, 2129, 2132. So der Fall AG Stendal v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875. Ganter, ZIP 2013, 597, 600; Frind, DB 2014, 165, 170; Pape, ZInsO 2013, 2129, 2132. Ganter, ZIP 2013, 597, 600 ff.

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9.36

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

walter im Berichtstermin zu den Ausführungen des Schuldners (umfassend) Stellung nehmen (§ 281 Abs. 2 InsO) und neben dem Schuldner eigene Berichtspflichten erfüllen, soweit Vorgänge betroffen sind, die gemäß § 280 InsO allein seiner Verwaltung unterliegen oder bei denen er mitzuwirken hat. 9.36 Eine Vergleichsrechnung zwischen übertragender Sanierung und Fortführung durch die Schuldnerin anzustellen1, gehört nur bei leicht überschaubaren Verhältnissen zur Aufgabe eines Sachwalters. Meist wird eine Unternehmensbewertung erforderlich sein, die besondere Sachkunde verlangt (vgl. § 5 InsVV) erforderlich sein. Einen Bewertungsauftrag darf der Sachwalter nicht erteilen. Überdies weicht der Wert vom erzielbaren Preis meist stark ab, weil Kaufinteressenten unterschiedliche Synergieeffekte und Risikopräferenzen haben. Deshalb wird gelegentlich ein Markttest als Sorgfaltsstandard der Eigenverwaltung verlangt2. In einem „Dual Track-Prozess“ seien sowohl der Kaufpreis als auch der Gläubigervorteil bei einer Eigensanierung zu ermitteln, was durch die Einbeziehung weiterer Finanzierungsvarianten auch zu einem „Multi Track-Prozess“ ausgeweitet werden könne. Ein solches Verfahren anzustoßen, gehört noch weniger zu den Aufgaben des Sachwalters als die Auftragserteilung zu einer Unternehmensbewertung. Zwar hat er vor wie nach Verfahrenseröffnung Gläubigerausschuss und Insolvenzgericht zu informieren, sobald er Nachteile feststellt, § 274 Abs. 3 InsO. Das aber betrifft Nachteile der Verfahrensart, nicht des Verfahrensziels. Ob eine übertragende oder eine eigene Sanierung vorteilhafter ist, obliegt den Gläubigern zu entscheiden im Rahmen entweder des § 160 InsO oder des § 245 InsO (s. Rz. 8.64 ff.). Stattdessen können sie auch in einem gesonderten Beschluss gemäß § 78 InsO darüber befinden, ob ein M & A-Prozess durchgeführt werden soll. Lehnen sie ihn ab, ist das genauso wenig insolvenzzweckwidrig3 wie vorher die Unterlassung des Schuldners, das Unternehmen auf dem Markt anzubieten. Erst recht muss der Sachwalter nicht darauf drängen. Er gehört noch nicht einmal zu den Personen, die gemäß § 232 InsO einen Insolvenzplan votieren müssen. Vielmehr muss er von Gesetzes wegen – anders die Praxis, in der er regelmäßig einbezogen wird – nur tätig werden, wenn die Gläubigerversammlung ihn ausdrücklich mit der Erstellung eines Plans beauftragt oder zumindest dem Schuldner einen Auftrag erteilt, an dem er beratend mitwirken muss (§ 284 Abs. 1 InsO). Stets ein Dual Track-Vorgehen zu fordern, wäre nicht nur doppelgleisig, sondern auch doppelzüngig; denn die Eigenverwaltung hat regelmäßig i.S. von § 1 InsO den Erhalt des Unternehmens für den Schuldner als Ziel. Wenn das ESUG die Stärkung dieser Verfahrensvariante als Anreiz für eine frühzeitige Antragstellung bietet, darf nicht zugleich die Vorbereitung eines Unternehmensverkaufs verlangt werden. c) Mitwirkungsbefugnisse 9.37 Neben diesen Prüfungs- und Informationspflichten hat der Sachwalter Mitwirkungsbefugnisse, die nicht nur einseitig als eine Beschränkung des Schuldners zu verstehen sind, sondern dem Sachwalter auch eine Mitwirkungspflicht auferle1 AG Hamburg v. 20.12.2013 – 67g IN 419/12, ZIP 2014, 237. 2 Fröhlich/Ziegenhagen, return 2014, 30, 31 ff. 3 LG Hamburg v. 10.12.2014 – 326 T 143/14, ZInsO 2015, 209 sogar in einem Fall, in dem es ein unter Prüfungsvorbehalt stehendes Beteiligungsangebot gab.

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Eigenverwaltung ohne Schutzschirm

9.41

gen1. So soll die Begründung ungewöhnlicher Verbindlichkeiten von der Zustimmung des Sachwalters, für besonders bedeutsame Rechtshandlungen sogar des Gläubigerausschusses gemäß § 276 InsO (Rz. 9.55 f.) abhängen und die Eingehung üblicher Verbindlichkeiten unterbleiben, wenn er widerspricht (§ 275 Abs. 1 InsO). Außerdem soll die Erfüllungswahl bei schwebenden Verträgen wie auch die Beendigung von Dauerschuldverhältnissen nur im Einvernehmen mit ihm erfolgen (§ 279 InsO). Gleiches gilt für die Verwertung von Gegenständen, die mit Absonderungsrechten belastet sind (§ 282 Abs. 2 InsO). Einer Entscheidung des Insolvenzgerichts bedarf es dafür nicht. Adressat von Erklärungen des Sachwalters ist allein der Schuldner. Eine Außenwirkung kommt dem mit Ausnahme von bestimmten Maßnahmen im kollektiven Arbeitsrecht (§ 279 Satz 3 InsO, dazu sogleich) nicht zu. Eine trotz Zustimmungsverweigerung begründete Verbindlichkeit ist wirksam2. Eine Zustimmung kann zivilrechtlich sowohl als Einwilligung (§ 183 BGB) vor 9.38 als auch als Genehmigung (§ 184 BGB) nach Vornahme des Rechtsgeschäfts erklärt werden. Der Schutzfunktion des § 275 InsO wird zwar nur eine vorherige Abstimmung mit dem Sachwalter gerecht. Da aber eine Sanktion für die Verletzung der Mitwirkungsbefugnis des Sachwalters nur in einer Aufhebung der Eigenverwaltung bestehen kann, ist es de facto unschädlich, wenn der Sachwalter das Geschäft nachträglich genehmigt. Das Prüfungskriterium ist, ob durch die zu begründenden Verbindlichkeiten die 9.39 Masse trotz einer Gegenleistung gemindert wird oder sie aus anderen Gründen dem Insolvenzzweck widersprechen. Auf die Erfüllbarkeit der Verbindlichkeiten kommt es nur an, soweit dies für etwaige Nachteile der Gläubiger Bedeutung hat. Die Mitwirkungsbefugnis dient nicht dem Schutz der Massegläubiger, zumal das Gesetz in § 285 InsO die Möglichkeit der Masseunzulänglichkeit ausdrücklich vorsieht, ohne dass dies einen Nachteil begründet, dem die Aufhebung der Eigenverwaltung folgen muss. Natürlich darf der Sachwalter nicht sehenden Auges Verbindlichkeiten zustimmen, von denen er weiß, dass sie nicht zu erfüllen sind. Das wäre Beteiligung an einem Eingehungsbetrug. Er muss aber die Erfüllbarkeit nicht selbst prüfen. Anders verhält es sich nur bei den Masseverbindlichkeiten, für deren wirksame Begründung das Insolvenzgericht gemäß § 277 InsO die Zustimmung ausdrücklich anordnet. Die Verwaltungsbefugnis des Schuldners (§ 270 Abs. 1 InsO) umfasst sowohl die 9.40 Verfügungsbefugnis (vgl. § 81 InsO) als auch die Verpflichtungsbefugnis. Für eine Einschränkung dieser Befugnisse durch das Gericht fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Einzige Ausnahme ist § 277 InsO. Insofern ist die Situation vergleichbar mit der Aufhebung eines Regelinsolvenzverfahrens nach einem Insolvenzplan. Auch dort kann die in § 259 Abs. 1 InsO vorgesehene Wiedererlangung der Verfügungsbefugnis nicht eingeschränkt werden3. Auswirkungen hat das namentlich auf die Befugnisse des Sachwalters bei einer 9.41 Übernahme der Kassenführung4. Aus der gemeinsamen Verortung dieser Befug1 2 3 4

Hölzle in Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, Kap. 14 Rz. 58. Tetzlaff/Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 275 InsO Rz. 15. Spliedt in Karsten Schmidt, § 259 InsO Rz. 7. Zur Handhabung in Großverfahren s. M. Hofmann in Kübler, HRI, § 6 Rz. 62 ff.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

nisse in § 275 InsO mit dem nur intern wirkenden Zustimmungsvorbehalt in Abs. 1 und aus der Gesetzesformulierung („vom Schuldner verlangen“) wird deutlich, dass es sich um eine Maßnahme im Innenverhältnis handelt. Die Übernahme wird nicht wie eine gerichtlich angeordnete Verfügungsbeschränkung veröffentlicht. Der Sachwalter erhält nur eine vom Schuldner abgeleitete Berechtigung zur Verfügung über Konten und Entgegennahme von Zahlungen. Er handelt deshalb auch nicht wie ein Insolvenzverwalter als Amtsträger im eigenen Namen, sondern als Vertreter des Schuldners1. Diese Vertretung wurde schon früher aufgrund der ähnlich lautenden Bestimmung des § 57 Abs. 2 VglO als eine gesetzliche angesehen2, obwohl das nach dem Gesetzestext erforderliche „Verlangen“ des Sachwalters eher darauf hindeutet, dass es noch einer Erfüllung durch die Vollmachtserteilung des Schuldners bedarf. Sieht man mit der weitgehend einhelligen Meinung die Vertretung als schon eine durch das Gesetz erteilte Befugnis an, reicht gegenüber der Bank zur Erlangung der Kontoführungsbefugnis die Vorlage des Bestellungsbeschlusses. Gleiches gilt für den Forderungseinzug gegenüber Drittschuldnern3. 9.42 Die Kontoführungs- und Inkassobefugnis ist keine den Schuldner verdrängende Berechtigung4. Eine an ihn direkt geleistete Zahlung hat weiterhin Erfüllungswirkung. § 82 InsO findet keine analoge Anwendung. Ebenso haben Überweisungsaufträge des Schuldners Bestand5. Vermieden werden kann das, indem der Sachwalter ein Sonderkonto einrichtet, bei dem zwar der Schuldner Rechtsträger ist, die Kontoführungsbefugnis aber allein dem Sachwalter obliegt6. Der BGH hielt zur VglO sogar die Einrichtung eines Anderkontos für zulässig (s. ergänzend sogleich Rz. 9.46). 9.43 Der Sachwalter darf die Kontoführung nicht zur „Schattenverwaltung“ nutzen, indem er darüber befindet, welche Verbindlichkeiten bedient werden sollen. Will der Schuldner nicht zahlen, darf es auch der Sachwalter nicht, selbst wenn er die Forderung des Gläubigers für berechtigt hält. Will umgekehrt der Schuldner zahlen, darf der Sachwalter es nicht verweigern. Das gilt sogar, wenn die Verbindlichkeit ohne seine nach § 277 Abs. 1 InsO etwa erforderliche Zustimmung begründet wurde. Die Verletzung seiner Mitwirkungsbefugnisse wirkt eben nur im Innenverhältnis. Die Abhängigkeit von den Entscheidungen des Schuldners verdeutlicht, dass es sich bei der Kontoführung nur um eine Kontrollmaßnahme handelt. Davon müssen unter dem Blickwinkel der Pflichtenkollision zwei Ausnahmen gemacht werden. Die erste ist der Eintritt der Masseunzulänglichkeit. Sie verpflichtet den Sachwalter nicht nur zur unverzüglichen Anzeige an das In1 BGH v. 19.5.1988 – III ZR 38/87, ZIP 1988, 1136 zum Vergleichsverwalter. 2 BGH v. 19.5.1988 – III ZR 38/87, ZIP 1988, 1136 zum Vergleichsverwalter; Kilger/Karsten Schmidt, § 57 VglO Anm 3b. 3 Im Widerspruch dazu steht allerdings, dass als Voraussetzung der Zugang des Verlangens beim Schuldner als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung angesehen wird, Rattunde/Stark, Der Sachwalter, 2015, Rz. 388. 4 Fiebig in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 275 InsO Rz. 14; Harder, NZI 2015, 162 f.; Thole, DB 2015, 662, 668; a.A. Frind, ZInsO 2015, 22, 25. 5 Zumal es sich dabei nicht um ein Verfügungs-, sondern um ein Verpflichtungsgeschäft handelt (Rz. 5.476 ff.), für die ein Zustimmungsbedarf gemäß § 275 Abs. 1 InsO keine Außenwirkung hätte. 6 BGH v. 19.5.1988 – III ZR 38/87, ZIP 1988, 1136 zum Vergleichsverwalter.

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solvenzgericht (§ 285 InsO), sondern wegen des auf ihn anwendbaren § 60 InsO (i.V.m. § 274 Abs. 1 InsO) auch zur Verhinderung einer Befriedigung von Alt-Massegläubigern in einer dem § 209 InsO widersprechenden Reihenfolge1. Voraussetzung ist natürlich, dass er überhaupt die Rechtsmacht hat, diese Befriedigung zu verhindern, weil das mangels einer verdrängenden Kontoführungsbefugnis nur der Fall ist, wenn ausnahmsweise ein Sonderkonto eingerichtet wurde, über das allein er verfügen kann. Die zweite Ausnahme ist eine Kollision mit der Haftung nach § 61 InsO, die den Sachwalter für die Erfüllung derjenigen Verbindlichkeiten trifft, die kraft gerichtlicher Anordnung wirksam nur mit seiner Zustimmung begründet werden dürfen (§ 277 Abs. 1 Satz 3 InsO). Denkbar wäre zwar, eine Haftung bei Erfüllungsunwilligkeit des Schuldners abzulehnen, falls die Erfüllbarkeit bei Begründung der Verbindlichkeit bestand (§ 61 Satz 2 InsO). Dem Schutz des Neugläubigers wird man aber nur gerecht, wenn der Verwalter auch für die Erfüllung als solche Sorge trägt, also eine Zahlung von sich aus veranlassen darf, sofern keine rechtlichen Gründe (z.B. Schlechterfüllung des Vertragspartners) entgegenstehen. Keine Pflichtenkollision schafft hingegen eine vermeintliche Haftung gemäß § 69 AO. Zwar wird in der Übernahme der Kassenführung zunehmend die Erfüllung der Voraussetzungen des § 35 AO gesehen2, wonach ein Verfügungsberechtigter die Pflichten des gesetzlichen Vertreters hat, sofern er sie rechtlich oder tatsächlich erfüllen kann. Da die Entscheidungsbefugnis jedoch beim Schuldner liegt, darf der Sachwalter eine Steuerschuld „rechtlich“ nur erfüllen, wenn der Schuldner einverstanden ist. Was in seinem Zahlungsplan nicht enthalten ist, darf der Verwalter außer in den beiden vorgenannten Sonderfällen nicht bedienen. Selbst bei begrenzter Liquidität ist es allein Sache des Schuldners, darüber zu befinden, wie er die Mittel einsetzt. Gelegentlich wird der Sachwalter auch außerhalb der Kassenführung als eine Art 9.44 Treuhänder eingesetzt, so bei der Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen (vgl. § 280 InsO und dazu Rz. 9.51). Ein solcher Anfechtungsanspruch kann mit dem einer anderen Konzerngesellschaft gegen denselben Gegner konkurrieren, wenn Zahlungen im Dreiecksverhältnis abgewickelt wurden3. Im Regelinsolvenzverfahren wird der „Wettbewerb der Massen“4 dadurch entschieden, dass der eine Verwalter seinen Anfechtungsanspruch an den anderen abtritt5, der sodann beide Ansprüche gemeinsam geltend macht. Die Verteilung wird im Innenverhältnis zwischen den Verwaltern geregelt. In der Eigenverwaltung liegt eine Abtretung an einen der Sachwalter nahe. Ein anderer Anwendungsfall ist, dass der Sachwalter in die Abwicklung von Verträgen eingeschaltet wird, indem an ihn Zahlungen 1 Zur Haftung des Insolvenzverwalters in diesen Situationen vgl. Thole in Karsten Schmidt, § 60 InsO Rz. 26 f.; Spliedt in Pape/Graeber, Handbuch der Insolvenzverwalterhaftung, 2009, Rz. 350 ff. 2 Kahlert in Kübler, HRI, § 57 Rz. 70 m.w.N. in Fn. 108; Rattunde/Stark, Der Sachwalter, 2015, Rz. 570 f. m.w.N. in Fn. 936. 3 Der häufigste Fall ist die Zahlung auf die Schuld einer Konzerngesellschaft, die in der Insolvenz der zahlenden Gesellschaft gemäß § 134 InsO anfechtbar ist, z.B. LG Köln v. 22.10.2014 – 26 O 140/13, NZI 2015, 76. 4 Den BGH v. 16.11.2007 – IX ZR 194/04, ZIP 2008, 125 Rz. 34 zugunsten der Deckungsanfechtung in der Insolvenz des Forderungsschuldners entscheidet, falls die Anfechtung dort tatsächlich durchgesetzt wird. 5 Zur Zulässigkeit der Abtretung: Büteröwe in Karsten Schmidt, § 143 InsO Rz. 17.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

geleistet werden, die bei einem Scheitern der Vertragserfüllung insbesondere aufgrund einer Masseunzulänglichkeit erstattet werden sollen. 9.45 Gegen solche Gestaltungen spricht, dass ein Sachwalter in dieser Eigenschaft nicht Rechtsträger von Vermögen sein kann. Rechtsträger ist der Schuldner. Für eine Beschränkung seiner Verfügungsbefugnis fehlt die gesetzliche Grundlage. Er kann sich noch nicht einmal freiwillig einer Verfügungsmacht mit absoluter Wirkung nach außen begeben. Selbst die Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen gemäß § 280 InsO nimmt der Sachwalter nur in Prozessstandschaft vor. Rechtsträger bleibt auch hier der Schuldner. Entweder geht ein Rechtserwerb des Sachwalters ins Leere, so dass bspw. die vermeintlich abgetretenen Anfechtungsansprüche weiterhin dem Zedenten zustehen, oder aber der Schuldner wird Rechtsinhaber, wenn die Abtretungsvereinbarung dahingehend ausgelegt werden kann. Der Sachwalter würde diesen Anspruch dann nur in Prozessstandschaft oder als Bevollmächtigter durchsetzen. Fataler sind die Folgen bei der Zahlung an den Sachwalter zum Schutz vor einer gescheiterten Vertragsabwicklung. Gehört das Geld zur Masse, darf es auch bei einer Masseunzulänglichkeit, vor der diese Gestaltung gerade schützen soll, nicht zurückgezahlt werden. 9.46 Im Wege der Auslegung könnte man geneigt sein zu sagen, dass der Vermögensgegenstand dem Sachwalter nicht als Amtsträger, sondern als Privatperson übertragen werden soll. Mit einer solchen Doppelfunktion würde er aber die ihm in seiner Amtsträgereigenschaft zustehenden Befugnisse überschreiten. So wäre er als doppel-treuhänderischer Zahlungsempfänger nicht nur gegenüber dem Dritten gebunden, sondern wäre auch Schuldner des Schuldners, was zu Konflikten führen kann. Zwar hat der BGH zum Vergleichsverwalter entschieden, dass er statt eines Sonderkontos auch ein Anderkonto einrichten darf1, was genau den Effekt eines außerhalb der Masse liegenden Vermögens hat. Im Vergleichsverfahren nach der früheren VglO konnten jedoch wesentlich großzügiger Verfügungsbeschränkungen angeordnet werden (§ 58 VglO) als in der Eigenverwaltung nach der InsO. Ob der Sachwalter auch nach jetzigem Recht eine solche Sondermasse bilden darf2, ist äußerst fraglich. Selbst wenn man das aus historischen Gründen für die Kontoführung zulassen wollte, bleibt die Abtretung von Forderungen an den Sachwalter als Privatperson unzulässig, was auch bei der Auslegung der Parteierklärungen zu würdigen ist; denn ein Sachwalter wird sich innerhalb seiner Amtsbefugnisse bewegen wollen. Wäre es einmal anders, würde allerdings die insolvenzrechtliche Unzulässigkeit einem zivilrechtlich wirksamen Rechtserwerb nicht entgegenstehen, was dann aber wiederum bei einer Rechtsverfolgung berücksichtigt werden muss. Eine Klage von „XY als Sachwalter“ könnte nur im Wege der sachdienlichen Klageänderung (§ 263 ZPO) dahingehend gerettet werden, dass er nicht als Amtsträger Partei ist, sondern als eigenständiger Abtretungsempfänger. 9.47 Die Ausübung der Mitwirkungsbefugnisse steht nicht im freien Belieben des Sachwalters. Er darf sich keine „Generalzustimmungen“ erteilen oder bei der Kassenführung jedem Zahlungsvorschlag ohne Prüfung Folge leisten. Vielmehr muss er auf eine intensive Einbindung in die Unternehmensplanung drängen. Letztlich 1 BGH v. 19.5.1988 – III ZR 38/87, ZIP 1988, 1136. 2 Bejahend Frind, ZInsO 2015, 22, 25.

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fallen ihm dieselben Aufgaben zu, die auch ein Insolvenzverwalter erledigen muss, nur mit dem Unterschied, dass ihm die Rechtsmacht im Außenverhältnis fehlt. Das kann die Sachwaltertätigkeit erheblich erschweren. Er sollte deshalb mit der schuldnerischen Geschäftsführung konkrete Vereinbarungen über die Einhaltung und Aktualisierung der Informationen und Unternehmenspläne treffen1. Beachtet der Schuldner das nicht, kann der Sachwalter seine Aufgabe nicht erfüllen, worüber er die in § 274 Abs. 3 InsO genannten Beteiligten zu informieren hat. Die Konsequenzen daraus zu ziehen, obliegt freilich allein der Gläubigerversammlung. d) Zustimmung zur Wirksamkeit bestimmter Rechtsgeschäfte Ausnahmsweise hat eine Mitwirkungsbefugnis des Sachwalters Außenwirkung, 9.48 wenn das Insolvenzgericht diese Wirksamkeit bestimmter Rechtsgeschäfte von seiner Zustimmung abhängig macht (§ 277 Abs. 1 InsO). Dazu gehören auch einseitige (Gestaltungs-)Erklärungen wie z.B. Kündigungen2. Erforderlich ist ein Antrag der Gläubigerversammlung, bei Gefahr im Verzug auch eines einzelnen Gläubigers. Ein Antrag des Sachwalters reicht nicht aus. Auch kann das Insolvenzgericht den Zustimmungsbedarf nicht von Amts wegen beschließen. Die Anordnung muss sich auf bestimmte Rechtsgeschäfte erstrecken. Sie darf die engen Voraussetzungen für eine nachträgliche Aufhebung der Eigenverwaltung (§ 272 InsO) nicht dadurch umgehen, dass (nahezu) alle Rechtsgeschäfte der Zustimmung unterworfen werden; denn ein Beschluss der Gläubigerversammlung über die Aufhebung bedarf sowohl einer Kopf- als auch einer Summenmehrheit (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO), während über den Antrag auf Erlass des Zustimmungsvorbehalts nur die Mehrheit entscheidet (§ 76 Abs. 2 InsO). Die erfassten Geschäfte müssen so konkret bezeichnet werden, dass Dritte der Anordnung zweifelsfrei entnehmen können, was von ihr erfasst wird3. Die Verfügungsbeschränkung ist öffentlich bekannt zu machen und ggfls. in Register einzutragen (§ 278 Abs. 3 InsO). Die Rechtsfolgen des Zustimmungsvorbehalts nach § 277 InsO sind dieselben, 9.49 wie die eines Zustimmungsvorbehalts im Rahmen der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung (Rz. 5.470). Ohne Zustimmung des Sachwalters geschlossene Geschäfte sind absolut unwirksam (§ 277 Abs. 1 Satz 1 InsO). Nur der gute Glaube an die Richtigkeit von Registern wird geschützt (§ 81 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die für teilweise Verfügungsverbote bei der vorläufigen Verwaltung eingreifende nur relative Unwirksamkeit und der damit eröffnete Gutglaubensschutz (§§ 135 f. BGB) werden für den auf bestimmte Geschäfte beschränkten Zustimmungsvorbehalt (erstaunlicherweise) nicht diskutiert4 Unwirksamkeit bedeutet auch hier keine Nichtigkeit, so dass der Sachwalter die Zustimmung in Form der Genehmigung (§ 184 BGB) erteilen kann5, was allerdings bei einseitigen 1 2 3 4

Hölze in Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, Kap. 14 Rz. 41. Tetzlaff/Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 277 InsO Rz. 14. Undritz in Karsten Schmidt, § 277 InsO Rz. 2. Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 277 InsO Rz. 20; Undritz in Karsten Schmidt, § 277 InsO Rz. 6 und das, obwohl § 277 InsO noch nicht einmal auf § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO Bezug nimmt. 5 A.A. Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 277 InsO Rz. 10 bei Fn. 20.

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Rechtsgeschäften versagt (§ 182 Abs. 3 BGB). Leistungen an den Schuldner haben schuldbefreiende Wirkung, falls der Drittschuldner die Verfügungsbeschränkung nicht kannte, was nur vor der öffentlichen Bekanntmachung zu seinen Gunsten vermutet wird, danach aber von ihm zu beweisen ist1 (§ 82 InsO). Auch eine solche Erfüllung kann der Sachwalter aber nachträglich genehmigen. 9.50 Selbst ohne gerichtliche Anordnung gelten gemäß § 279 Satz 3 InsO dieselben Rechtsfolgen für einige Maßnahmen im (kollektiven) Arbeitsrecht. Darunter fallen die Kündigung von Betriebsvereinbarungen (§ 120 InsO) und Anträge auf gerichtliche Zustimmung zu einer Betriebsänderung (§ 122 InsO) bzw. gerichtliche Feststellung der Sozialauswahl (§ 126 InsO). Trotz der großen Bedeutung zählen dazu nicht der Abschluss eines Interessenausgleichs oder eines Sozialplans (§ 123 InsO). Diese Vorgänge unterliegen nur der allgemeinen Mitwirkungsklausel des § 275 InsO. e) Durchsetzung von Anfechtungs- und Haftungsansprüchen 9.51 Als Handlungsorgan wird der Sachwalter im Konfliktbereich tätig (§ 280 InsO). Dazu gehören die insolvenzrechtliche Anfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO und die Durchsetzung von Haftungsansprüchen gemäß § 92 und § 93 InsO. Die letztgenannte Vorschrift betrifft die persönliche Haftung des Mitglieds einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit. Für die GmbH hat sie nur Bedeutung, soweit eine analoge Anwendung zulässig ist2. Dazu zählen nicht die Ansprüche aufgrund von Verstößen gegen die Kapitalaufbringung und -erhaltung oder das Masseerhaltungsgebot des § 64 GmbHG, obwohl es hier denselben Interessenkonflikt wie bei der Verfolgung von Haftungsansprüchen gegen persönlich haftende Gesellschafter gibt. Da diese Ansprüche auch keinen „Gesamtschaden“ i.S. des § 92 InsO betreffen3, dessen Durchsetzung ebenfalls dem Sachwalter obliegt, ist es sinnvoll, dass der Schuldner den Sachwalter zur Verfolgung dieser Ansprüche gesondert ermächtigt, um nicht wegen Befangenheit4 eine die Anordnung der Eigenverwaltung hindernde Nachteilserwartung zu begründen. Gleiches sollte für etwaige Schadensersatzansprüche gegen Berater gelten, falls dafür Anhaltspunkte vorhanden sind. f) Insolvenzplan 9.52 Eine Zwitterstellung nimmt der Sachwalter bei der Ausarbeitung eines Insolvenzplans ein. Zur Planvorlage ist nur der Schuldner befugt (§ 218 Abs. 1 InsO), dessen Bemühungen der Sachwalter nicht durch einen eigenen Alternativplan konterkarieren kann5. Nur die Gläubigerversammlung kann ihn zur Erstellung eines „Auftragsplans“ mandatieren (§ 284 Abs. 1 InsO), der binnen angemessener Frist vorzulegen ist (§ 218 Abs. 2 InsO). Insofern bedarf § 218 Abs. 1 InsO, der den Sachwalter als Planeinreicher nicht nennt, der Korrektur. Darüber hinaus hat der Sach1 2 3 4 5

Sternal in Karsten Schmidt, § 83 InsO Rz. 18. Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 93 InsO Rz. 9 f. Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 92 InsO Rz. 4. AG Hamburg v. 28.2.2014 – 67c IN 1/14, NZI 2014, 566. Undritz in Karsten Schmidt, § 270b InsO Rz. 9.

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walter kein selbständiges Planinitiativrecht1 nach dem klaren Wortlaut des § 284 InsO. Zwar steht ein solches dem Insolvenzverwalter zu. Er aber hat auch die Verfügungsbefugnis über die Massegegenstände und deshalb ein Interesse, durch einen Insolvenzplan die Verwertungsform zu beschließen. Der Sachwalter ist zur Unterstützung des Schuldners verpflichtet, nach dem Gesetzeswortlaut zwar nur, wenn die Gläubigerversammlung den Schuldner anstatt den Sachwalter mit der Planerstellung beauftragt, § 284 Abs. 1 InsO. Ohne eine Abstimmung der laufenden Maßnahmen mit den Planzielen ist der Sachwalter jedoch nicht in der Lage, seine Mitwirkungsbefugnisse gemäß §§ 274 f. InsO auszuüben. g) Haftung Für die Haftung des Sachwalters gilt § 60 InsO entsprechend (§ 274 Abs. 1 InsO). 9.53 Er muss für eine Verletzung seiner Überwachungs- und Mitwirkungspflichten einstehen. Ein Schaden kann daraus sowohl dem Schuldner als auch den Gläubigern erwachsen. Allerdings dienen die im Rahmen der Eigenverwaltung genannten Mitwirkungsbefugnisse der Kontrolle und – außer beim Auftrags-Insolvenzplan – nicht der Unterstützung des Schuldners. Obwohl der Gesetzgeber für das Regelverfahren dem Gläubigerausschuss, der ebenfalls ein Kontrollorgan ist, in § 69 Satz 1 InsO auch die Unterstützung des Insolvenzverwalters zugewiesen hat, fehlt eine solche Vorschrift für den Sachwalter im Verhältnis zum Schuldner. In der Praxis sieht das anders aus, weil der Sachwalter ohne gegenseitige Abstimmung seine Verpflichtungen nicht erfüllen kann. Dadurch gelangt der Schuldner aber nicht in den Schutzbereich der Kontrollpflichten, soweit es Maßnahmen betrifft, die er selbst initiiert. Anders verhält es sich, wenn der Sachwalter die Zustimmung zu notwendigen Geschäften gegen den Willen des Schuldners verweigert und dadurch ein Schaden entsteht. Zwar wird sich der in erster Linie in einem Gesamtschaden der Gläubiger niederschlagen. Ein Schaden des Schuldners liegt vor, wenn ihm ohne die Pflichtverletzung ein Vermögensüberschuss verblieben wäre. Ein Gesamtgläubigerschaden kann entstehen, wenn der Sachwalter seiner Redepflicht (§ 274 Abs. 3 InsO) – bspw. über eine Zahlung von Insolvenzforderungen – oder der Anzeige einer Masseunzulänglichkeit (§ 285 InsO) nicht nachkommt und er den Gläubigern dadurch die Möglichkeit nimmt, künftige mit der Eigenverwaltung verbundene Nachteile durch den in einer Gläubigerversammlung beschlossenen Aufhebungsantrag zu verhindern. In der Praxis ist ein Nachweis der haftungsausfüllenden Kausalität allerdings schwierig. Ein Einzelgläubigerschaden ist vor allem durch Fehler bei der Verwertung von Sicherungsgut denkbar, an der der Verwalter gemäß § 282 Abs. 2 InsO mitzuwirken hat. Ebenso kann ein Einzelgläubigerschaden entstehen, wenn bei Ausschüttungen, die der Sachwalter gemäß § 283 Abs. 2 InsO zu prüfen hat, Fehler auftreten. Die in der Praxis größte Haftungsgefahr gegenüber einzelnen Gläubigern droht dem Sachwalter, wenn er die Anzeige der Masseunzulänglichkeit gemäß § 285 InsO verzögert. Dann verlieren nach Eintritt der Masseunzulänglichkeit hinzukommende Gläubiger ihren nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO bevorzugten Rang und werden nur quotal mit den Alt-Massegläubigern im Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO befriedigt. Einem Neugläubiger wird wegen der Nichterfüllung von 1 Spliedt in Karsten Schmidt, § 218 InsO Rz. 74; a.A. Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 270, 270a InsO Rz. 32 ff.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

Masseverbindlichkeiten ein auf § 61 InsO gestützter Schadensersatzanspruch eingeräumt, wenn die Begründung der Masseverbindlichkeit erst durch die Zustimmung des Sachwalters wirksam wurde (§ 277 Abs. 1 Satz 3 InsO). § 61 InsO erfasst im Regelinsolvenzverfahren auch die Verhinderung einer Vorleistung des Gläubigers auf eine schon vorher begründete Verbindlichkeit, wenn diese Verhinderung rechtlich noch zulässig ist1. Der Sachwalter hat hingegen nur Einfluss auf den Vertragsabschluss, nicht mehr auf die spätere Vertragsabwicklung. Er ist somit auch nicht in der Lage, eine Leistung noch zurückzuweisen. Für seine Haftung kann es deshalb nur auf die Umstände bei dem Abschluss des Vertrages ankommen. 9.54 Eine Haftung des Sachwalters für die unterbliebene Entrichtung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 266a Abs. 1, 14 StGB) kommt nicht in Betracht, weil Adressat der Strafvorschrift die GmbH als Arbeitgeber ist und der Sachwalter nicht zu den von § 14 StGB erfassten Personen gehört. Genauso wenig kann eine Haftung für die Entrichtung von Steuern gemäß §§ 69, 34 AO eingreifen, weil er nicht zu den von § 34 AO erfassten Personen gehört. Er ist nicht, wie der Insolvenzverwalter, ein Vermögensverwalter i.S. von § 34 Abs. 3 InsO2. Ob der Sachwalter i.S. von § 35 AO Verfügungsberechtigter ist, wenn er die Kassenführung an sich zieht, ist umstritten3. Im Verhältnis zu § 34 AO ist es ein Auffangtatbestand, der nur eingreift, wenn die Voraussetzungen des § 34 AO nicht erfüllt sind4. Deshalb erfasst § 35 AO weder einen Bevollmächtigten, auch wenn er beispielsweise zu einem umfassenden Inkasso befugt ist, noch die Bank, die aufgrund einer Globalzession sämtliche Forderungen vereinnahmt5. Da § 35 AO nur Lückenfüllungsfunktion hat, muss die Verfügungsberechtigung eine ähnliche umfassende wie bei § 34 AO sein6. Das trifft auf den Sachwalter nicht zu. Selbst mit der Kassenführung erhält er keine den Schuldner verdrängende Befugnisse7. Insbesondere darf er nicht etwas zahlen, was der eigenverwaltende Schuldner nicht zahlen will, so dass seine Haftung zumindest an der rechtlichen Unmöglichkeit einer Pflichterfüllung scheitert8. Zwar hat der BFH § 35 AO auf einen Prokuristen angewendet, dem eine den Einfluss der Geschäftsführer ebenfalls nicht verdrängende Verfügungsbefugnis eingeräumt worden war. Für zusätzlich erforderlich hielt der BFH jedoch, dass die fristgerechte Abgabe von Steuererklärungen und die fristgerechte Zahlung zu den ihm im Innenverhältnis übertragenen Pflichten gehörten9. Eine solche Zuständigkeit hat der Sachwalter nicht. In die Position des § 35 AO könnte er nur rutschen, wenn 1 BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107. 2 Kahlert in Kübler, HRI, § 57 Rz. 12, 29; Hobelsberger, DStR 2013, 2546, 2548 (für den vorl. Sachwalter). 3 Bejahend: Kahlert in Kübler, HRI, § 57 Rz. 13, 30 (anders wohl noch Kahlert, ZIP 2012, 2089); Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1407; verneinend: Pape in Kübler/ Prütting/Bork, § 274 InsO Rz. 49. 4 Rüsken in Klein, 12. Aufl. 2014, § 35 AO Rz. 1. 5 Rüsken in Klein, 12. Aufl. 2012, § 35 AO Rz. 14 f. 6 A.A. Kahlert in Kübler, HRI, § 57 Rz. 13, der den Sachwalter als Vertreter des Schuldners i.S. des § 35 AO ansieht. 7 Sonnleitner/Winkelhog, BB 2015, 88, 96 zum vorl. Sachwalter. 8 Thole, DB 2015, 662, 670: kein Verschulden wegen Pflichtenkollision. 9 BFH v. 23.4.2007 – VII B 92/06, ZIP 2007, 1659 Rz. 8 = GmbHR 2007, 1004.

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Eigenverwaltung ohne Schutzschirm

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man die Übernahme der Kassenführung als Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Schuldner interpretiert. So wird im Eröffnungsverfahren versucht, eine Haftung der Geschäftsführer für nicht abgeführte Steuern dadurch zu umgehen, dass der vorläufige Sachwalter die Kassenführung übernimmt und Zahlungsanweisungen des Schuldners nicht ausführt (s. Rz. 9.41 ff.). Diese Flucht des Organs aus der Haftung gemäß § 34 AO könnte für den „Fluchthelfer“ zur Haftung gemäß § 3 AO führen. 5. Gläubigerausschuss Im Eröffnungsverfahren kann der Gläubigerausschuss das „Zünglein an der Waa- 9.55 ge“ sein; denn die Eigenverwaltung gilt als nicht nachteilig für die Gläubiger, wenn der vorläufigen Gläubigerausschuss den Eigenverwaltungsantrag unterstützt (§ 270 Abs. 3 InsO). Auch ist er in die Auswahl des Sachwalters einzubinden. Er kann durch einstimmigen Beschluss sogar eine Person vorgeben, die das Insolvenzgericht dann ernennen muss, es sei denn, dass sie ungeeignet ist (§§ 274 Abs. 1, 56a Abs. 2 InsO). Im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren hat der Gläubigerausschuss dieselben Aufgaben wie im Regelverfahren. Die in § 276 InsO angesprochenen Mitwirkungen haben nur klarstellende Bedeutung. Er ist an grundlegenden Entscheidungen des Eigenverwalters ebenso zu beteiligen wie an solchen des Insolvenzverwalters. Das ergibt sich bereits aus der Generalverweisung in § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auf die allgemeinen Vorschriften. Die Zustimmung des Gläubigerausschusses hat der Schuldner einzuholen, nicht der Sachwalter (§ 276 InsO)1. Der Zustimmung des Gläubigerausschusses unterliegen bedeutsame Rechts- 9.56 handlungen. Sie umfassen die Begründung von Verbindlichkeiten, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen und deshalb gemäß § 275 Abs. 1 InsO auch noch der Zustimmung des Sachwalters unterliegen. Im Überschneidungsbereich ist allein die Entscheidung des Gläubigerausschusses maßgebend2. Das entspricht sowohl dem das Verfahren beherrschenden Grundsatz der Gläubigerautonomie als auch dem beredten Schweigen des Gesetzes über die Lösung einer ansonsten entstehenden Patt-Situation. Nur die Gläubigerversammlung ist befugt, einen Zustimmungsbeschluss des Gläubigerausschusses außer Kraft zu setzen (§ 161 Satz 2 InsO). Will der Sachwalter das erreichen, muss er Gläubiger mit dem in § 75 Abs. 1 Nr. 3 bzw. Nr. 4 InsO genannten Quoren veranlassen, die Einberufung einer Gläubigerversammlung zu beantragen. Bis dahin kann das Gericht die Durchführung der umstrittenen Rechtshandlung vorläufig untersagen. Die Entscheidung über eine Betriebsveräußerung an besonders Interessierte obliegt gemäß §§ 270 Abs. 1 Satz 2, 162 InsO ohnehin der Gläubigerversammlung, auch wenn ein Gläubigerausschuss bestellt ist. Ergänzend sind die Beteiligungsrechte des Gläubigerausschusses im Planverfah- 9.57 ren zu berücksichtigen. Der Ausschuss kann bereits bei der Aufstellung beratend mitwirken (§ 218 Abs. 2 InsO) und zu dem eingereichten Plan Stellung nehmen 1 Auch dies ergibt sich schon aus den allgemeinen Vorschriften, da der eigenverwaltende Schuldner an die Stelle des Insolvenzverwalters tritt. 2 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 276 InsO Rz. 6; a.A. Tetzlaff/Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 276 InsO Rz. 9.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

(§ 232 Abs. 1 Nr. 2 InsO), bevor er zur Einsicht für die Beteiligten ausgelegt wird. Vor der gerichtlichen Bestätigung des Insolvenzplans hat das Insolvenzgericht den Ausschuss zu hören (§ 248 InsO), was insbesondere im kontroversen Planverfahren von Bedeutung ist, weil mit der Bestätigung zugleich über das Obstruktionsverbot (§ 245 InsO) und einen Minderheitenschutzantrag (§ 251 InsO) entschieden wird. 9.58 Der Gläubigerausschuss entscheidet mit der Präsenzmehrheit, wenn die Mehrheit seiner Mitglieder an der Beschlussfassung teilgenommen hat (§§ 274 Abs. 1, 72 InsO). Als Kontrollorgan, das die Belange sämtlicher Gläubiger wahrnehmen muss, besteht eine Haftung der Mitglieder nicht gegenüber dem Schuldner, sondern nur gegenüber den Gläubigern (§ 71 InsO). 9.59 Bei einer Gesamtbetrachtung von Verfahrensbeginn bis zu dem in der Eigenverwaltung meist durch Insolvenzplan herbeigeführten Verfahrensende kommt dem Gläubigerausschuss eine größere Bedeutung als im Regelinsolvenzverfahren zu. Formaljuristisch ist es zwar möglich, gegen ihn zu agieren. De facto wird eine Sanierung wegen seines meinungsbildenden Einflusses auf die Gläubigergesamtheit und seine Verfahrensrechte kaum gelingen. Daraus folgt sowohl für den Schuldner als auch für den Sachwalter, dass der Ausschuss über die wenigen zustimmungspflichtigen Geschäfte hinaus über den Verwaltungsgang laufend informiert werden sollte, wenn er es wünscht. 6. Aufhebung der Eigenverwaltung 9.60 Die Eigenverwaltung ist unter den in § 272 InsO genannten Voraussetzungen aufzuheben. Dafür ist ein Antrag erforderlich. Eine Aufhebung durch das Gericht erfolgt nicht von Amts wegen. Beantragt der Schuldner die Aufhebung (§ 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO), muss dem schon deshalb Folge geleistet werden, weil eine Fortsetzung gegen seinen Willen für die Gläubiger gefährlich ist; denn der Schuldner würde nicht mehr ausreichend Sorge für die Masse tragen. Für einen Aufhebungsantrag der Gläubigerversammlung reicht die Kopf- und Summenmehrheit (§§ 272 Abs. 1 Nr. 1, 76 InsO). Eine Begründung ist nicht erforderlich. Der Beschluss unterliegt keiner inhaltlichen Kontrolle gemäß § 78 InsO1, so dass das Insolvenzgericht an den Antrag gebunden ist. Ein Antrag allein des Gläubigerausschusses genügt nach Verfahrenseröffnung hingegen nicht, obwohl der Gläubigerausschuss neben dem Insolvenzgericht Adressat der Mitteilung des Sachwalters (§ 274 Abs. 3 InsO) und der gemäß § 69 InsO vom Schuldner zu leistenden Informationen ist. Sowohl Gericht als auch Gläubigerausschuss verweist das Gesetz auf die Einberufung einer Gläubigerversammlung gemäß §§ 74 f. InsO, die dann über die Aufhebung zu entscheiden hat. 9.61 Im Aufhebungsantrag eines einzelnen Gläubigers muss sowohl dargelegt werden, dass die Anordnungsvoraussetzungen weggefallen sind, als auch, dass eine Fortsetzung Nachteile für die Gläubiger erwarten lässt, die darüber hinaus für den Antragsteller persönlich sogar die Schwelle der Erheblichkeit erreichen müssen. All das hat er glaubhaft zu machen (§ 272 Abs. 2 InsO). „Wegfall“ der Voraussetzungen bedeutet, dass zur Begründung nur solche Umstände in Betracht kommen, die 1 BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622.

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Schutzschirmverfahren

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bei der Anordnung noch nicht bekannt waren. Dass sie schon vorher eingetreten waren, steht dem nicht entgegen, nur eine andere Würdigung ist unzulässig1. Anders ist es, wenn erst eine Gesamtschau von altbekannten und neu bekannten Umständen das Nachteilsurteil rechtfertigen. Ein Rechtsmittel gewährt § 272 Abs. 2 InsO sowohl dem Schuldner als auch ei- 9.62 nem Gläubiger nur, wenn die Aufhebung auf einen Antrag einzelner Gläubiger erfolgte. Gegen die Aufhebung auf Antrag der Gläubigerversammlung oder des Schuldners ist kein Rechtsmittel vorgesehen. Die Aufhebung wirkt für die Zukunft. Für die Vergangenheit bleiben die Maßnah- 9.63 men des Schuldners wirksam, da es sich auch nach der Aufhebung um ein einheitliches Insolvenzverfahren handelt. An die Stelle des Schuldners als Eigenverwalter tritt nunmehr ein Insolvenzverwalter. Zweckmäßigerweise wird dieses Amt dem bisherigen Sachwalter angetragen, den das Gesetz in § 272 Abs. 3 InsO ausdrücklich als geeignet benennt. 9.64–9.80

vacat

III. Schutzschirmverfahren Das so genannte „Schutzschirmverfahren“ ist nur eine auf das Eröffnungsverfah- 9.81 ren beschränkte Unterart der Eigenverwaltung, die in einer einzigen Vorschrift geregelt ist, § 270b InsO (zum Verhältnis zwischen Schutzschirmverfahren und Eigenverwaltung s. Rz. 9.1). In der Öffentlichkeit vielfach als Sanierungsverfahren gepriesen, erschöpft sich die Bedeutung in der Einschränkung des richterlichen Beurteilungsspielraums bei der Dauer des Vorverfahrens, der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, der Bestellung des vorläufigen2 Sachwalters und schließlich der Masseschuldermächtigung. Es dient der Vorbereitung einer Sanierung, die ihren Abschluss durch einen Insolvenzplan erst im eröffneten Insolvenzverfahren finden kann. 1. Antragsvoraussetzungen a) Eigenverwaltungs- und Schutzschirmanträge Es gelten zunächst die allgemeinen Anforderungen an die Anträge auf Verfahrens- 9.82 eröffnung und auf Anordnung der Eigenverwaltung. Die in § 270b InsO genannten Schutzschirmanträge sind verfahrensrechtlich selbständig neben dem Antrag auf Eigenverwaltung (§ 270b Abs. 1 Satz 1 InsO)3. Da sie Maßnahmen im Eröffnungsverfahren für eine spätere Eigenverwaltung betreffen, darf deren Anordnung nicht 1 Undritz in Karsten Schmidt, § 272 InsO Rz. 4; Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 272 InsO Rz. 25. 2 Die Beschränkung des gerichtlichen Auswahlermessens gilt nicht für die Bestellung des „endgültigen“ Sachwalters bei Verfahrenseröffnung, für die die allgemeinen Vorschriften Anwendung finden, Begr. RegE BT-Drucks. 17/5712, S. 41. Ein Personenwechsel ist in der Praxis zwar selten, aber auch nicht ausgeschlossen, z.B. AG Stendal v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875. 3 Zur Strafbarkeit bei einem Missbrauch des Schutzschirmverfahrens: Brand, KTS 2014, 1 ff.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

i.S. von § 270a Abs. 1 InsO „offensichtlich aussichtslos“ sein (s. dazu Rz. 9.87 ff.), ein Kriterium, das schon in der Sanierungsbescheinigung (Rz. 9.93 ff.) berücksichtigt werden muss. Der Schutzschirmantrag kann ebenso wie der Antrag auf Eigenverwaltung auch nach dem Eröffnungsantrag eines Gläubigers gestellt werden (Rz. 9.4). Im Gegensatz zur Eigenverwaltung können die Schutzschirmanordnungen jedoch nur getroffen werden, wenn noch keine Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist, was bei einem Gläubigerantrag regelmäßig der Fall ist, einmal davon abgesehen, dass die Sanierungs- und Nachteilsprognosen bei einer solchen Verzögerung meist negativ sind. Der Schutzschirmantrag muss den Antrag auf eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans enthalten. Nach dem Gesetzeswortlaut obliegt es dem Gericht, die Länge der Frist festzusetzen1. Der Anreizfunktion des Schutzschirmverfahrens entspricht es hingegen, dass sich die richterliche Prüfung nur auf das „Ob“ der Fristgewährung erstreckt, nicht auf deren Länge, wenn die Voraussetzungen des § 270a Abs. 1 InsO erfüllt sind. Die Begr. RegE2 spricht im Zusammenhang mit den in § 270b Abs. 1 InsO genannten drei Monaten von einer „garantierten Frist“. Eine kürzere beantragte oder bewilligte Frist ist verlängerbar, darf jedoch insgesamt nicht mehr als drei Monate betragen (§ 270b Abs. 1 Satz 2 InsO)3. Die Länge der Frist sollte auf den Insolvenzgeldzeitraum abgestimmt werden, weil anderenfalls eine Anordnung der Eigenverwaltung hindernde Nachteile drohen. Die Anträge auf Bestellung einer bestimmten Person zum Sachwalter und Anordnung vorläufiger Maßnahmen gemäß § 270b Abs. 2 und Abs. 3 InsO können, müssen aber nicht gestellt werden. b) Insolvenzgrund 9.83 Als Insolvenzgründe dürfen nur die drohende Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung vorliegen. Zahlungsunfähigkeit schließt das Schutzschirmverfahren aus, muss also, falls doch bereits eingetreten, vorher behoben werden, und sei es auch nur vorübergehend. Diese Voraussetzung hat mehr eine Anreizfunktion für den Schuldner, weniger eine Schutzfunktion für die Gläubiger. Der Schutzschirmantrag wird, wenn eine einmal eingetretene Zahlungsunfähigkeit nur vorübergehend wieder beseitigt wird, von einigen für eine unzulässige Umgehung der Antragsvoraussetzungen gehalten4. Es gibt jedoch keine Missbrauchskontrolle5, auch wenn der BGH im Anfechtungsrecht für die Beseitigung der einmal eingetretenen Zahlungsunfähigkeit die allgemeine Wiederaufnahme der Zahlungen6, mithin die tatsächliche Bedienung der fälligen Verbindlichkeiten verlangt. 1 Schmidt/Linker, ZIP 2012, 963, 964: 1 Monat mit Verlängerungsmöglichkeit. 2 BT-Drucks. 17/5712, S. 40. 3 Vallender, GmbHR 2012, 450, 454; a.A. evtl. Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270b InsO Rz. 16 unter Hinweis auf § 224 Abs. 2 ZPO, der jedoch nur die Höchstfrist, nicht eine kürzere richterliche Frist betrifft. 4 AG Erfurt v. 13.4.2012 – 172 IN 190/12, ZInsO 2012, 944; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, § 270b InsO Rz. 13; Henkel, ZIP 2015, 563, 566. 5 AG Ludwigshafen v. 4.7.2014 – 3f IN 260/14 Ft, ZIP 2014, 1452; Ganter, NZI 2012, 985, 987 f.; Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 30; Fiebig in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 270b InsO Rz. 5. 6 BGH v. 25.10.2012 – IX ZR 117/11, ZIP 2012, 2355 Rz. 18 f.; BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, GmbHR 2011, 769 Rz. 26; BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, ZIP 2008, 420; BGH v. 25.10.2001 – IX ZR 17/01, ZIP 2001, 2235.

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Schutzschirmverfahren

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Im Anfechtungsrecht wird die tatsächliche Wiederaufnahme deshalb auch nur als Gegen-Indiz für die Indizwirkung einer Zahlungseinstellung verwendet1. Ein Anfechtungsgegner kann die Vermutungswirkung einer Zahlungseinstellung auch durch eine Liquiditätsbilanz2 widerlegen3. Ebenso ist es beim Schutzschirmantrag. Auch hier kommt es auf die wahren Verhältnisse an. Würde statt dessen verlangt werden, dass die einer Stundung nicht zustimmenden Gläubiger tatsächlich bedient werden, anstatt die Mittel im Interesse einer späteren gleichmäßigen Befriedigung aller zurück zu halten, würde das einen Anreiz für eine Gläubigerbenachteiligung schaffen. Nach dem herrschenden Verständnis des § 17 InsO bedarf es einer Prognose der 9.84 Liquiditätsentwicklung (dazu Rz. 5.26 ff.). Sie ist noch gegeben, wenn der Schuldner mindestens 90 % seiner Verbindlichkeiten befriedigen kann – es sei denn, dass sich die Liquiditätslücke voraussichtlich erhöhen wird4. Um die für ein Sanierungsverfahren nicht nachvollziehbare Differenzierung zu vermeiden, ist eine rein rechnerische Stichtagsbetrachtung ohne Prognose vorzuziehen5. Stundungsvereinbarungen sind nichtig, wenn sie in Täuschungsabsicht erfolgen6, 9.85 indem sie beispielsweise Gläubigern mit der Zusage eines alsbaldigen Ausgleichs abgerungen werden, wohl wissend, dass dies wegen eines geplanten Insolvenzantrages nicht mehr möglich ist. Dann liegt trotz der formell erklärten Stundung Zahlungsunfähigkeit vor. Maßgebender Beurteilungszeitpunkt für die Zahlungsunfähigkeit ist nach dem 9.86 klaren Gesetzeswortlaut der der Antragstellung, nicht der der Entscheidung über die Schutzschirmanordnungen7. Nur das wird der gesetzgeberischen Intention gerecht, mit den weitreichenden Einflussrechten des Schuldners einen Anreiz für die frühzeitige Einleitung eines insolvenzrechtlichen Sanierungsverfahrens zu bieten. Das würde unterlaufen werden, wenn man auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Anordnung abstellen würde, auf den der Schuldner keinen Einfluss hat. Und man würde den Schuldner auch zur „Heimlichtuerei“ auffordern, um keine Fälligstellungen oder Vorkasse zu provozieren. c) Sanierungsaussicht Weitere Voraussetzung für den Schutzschirmantrag ist, „dass die angestrebte 9.87 Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos“ ist. Dazu muss die „grundlegende 1 § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO: „in der Regel“. 2 Die auf seinen Antrag durch einen Sachverständigen zu erstellen ist, BGH v. 26.3.2015 – IX ZR 134/13, ZIP 2015, 1077. 3 BGH v. 7.5.2013 – IX ZR 113/10, ZIP 2013, 2323; BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 239/09, ZIP 2012, 735; ebenso zur Zahlungsunfähigkeit als Voraussetzung für eine Geschäftsführerhaftung gemäß § 64 GmbHG: BGH v. 26.2.2013 – II ZR 54/12, GmbHR 2013, 482. 4 BGH v. 7.5.2013 – IX ZR 113/10, ZIP 2013, 2323; BGH v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469; BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, GmbHR 2005, 1117; Ganter, NZI 2012, 985, 988. 5 A.A.: IDW S 9, ZIP 2014, 2275, Tz. 12; Steffan/Solmecke, WPg 2015, 269, 274 f. 6 Ganter, NZI 2012, 985, 988. 7 So aber AG Ludwigshafen v. 4.7.2014 – 3f IN 260/14 Ft, ZIP 2014, 1746.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

Sanierungsidee“1 in einem „Grobkonzept“2 dargestellt werden, ausgehend von den Krisenursachen über die gegenwärtige Situation bis hin zum Leitbild des sanierten Unternehmensträgers sowie den Mitteln zur Erreichung dieses Ziels. Eine mit insolvenzrechtlichen Mitteln verfolgte Sanierung erfasst die finanzwirtschaftliche Seite. Die InsO kann nur in Rechte, nicht aber in (tatsächliche) leistungswirtschaftliche Abläufe eingreifen. Die eine leistungswirtschaftliche Sanierung erleichternden Befugnisse wie das Erfüllungswahlrecht (§ 103 InsO) oder die Kündigungsbefugnis mit insolvenzrechtlich verkürzter Frist (§ 113 InsO) betreffen ebenfalls nur die (finanzwirtschaftlich relevanten) Verbindlichkeiten, indem sie drohende Masseschulden zu Insolvenzforderungen herabstufen. Eine finanzwirtschaftliche Sanierung bedeutet Sanierung des Unternehmensträgers, nicht des Unternehmens. Deshalb ist auch das Beurteilungsobjekt für die angestrebte Sanierung vorrangig der Unternehmensträger. Die leistungswirtschaftliche Sanierung des Unternehmens ist nur mittelbar von Bedeutung, weil andauernde Verluste finanzwirtschaftlich kein positives Sanierungsurteil ermöglichen. 9.88 Ein Schutzschirmantrag ist auch für eine übertragende Sanierung zulässig3, wenn erst der Erwerber die leistungswirtschaftlichen Abläufe neu gestalten soll. Praktisch relevant ist das nur in den seltenen Fällen, dass ein unter der Herrschaft des Schuldners stehender Unternehmensverkauf sinnvoller ist als im Regelverfahren mit einem Fremdverwalter, weil die Aufrechterhaltung der Geschäftstätigkeit von den bisher tätigen Personen abhängig ist. Nur die anschließende Liquidation der Unternehmensträgergesellschaft verträgt sich nicht mit dem Begriff der Sanierung, so dass eine Fortsetzung beabsichtigt sein muss, sei es auch nur durch die Verwaltung von Ansprüchen aus einem Unternehmensverkauf oder von zurückbehaltenem (nicht betriebsnotwendigen) Vermögen. 9.89 Die angestrebte Sanierung darf nicht offensichtlich aussichtslos sein. Die Anforderungen an das Kriterium der Offensichtlichkeit hängen von seinem Zweck ab. 9.90 Wer mit der Zugangshürde in das Schutzschirmverfahren ein Vertrauen des Rechtsverkehrs in ein möglichst erfolgreiches Verfahren stärken will4, wird hohe Anforderungen an den Nachweis der Sanierungsaussichten stellen. Wer hingegen in § 270b InsO einen Anreiz für eine möglichst frühzeitige Antragstellung sieht, wird die Zugangshürden niedrig halten. Genau diese Anreizfunktion entspricht den Motiven des Gesetzgebers, der sie im Gesetzestext durch das „nicht aussichtslos“ zum Ausdruck gebracht hat, ergänzt um die Offensichtlichkeit5. Sie darf nicht dadurch konterkariert werden, dass schon eine Planungstiefe verlangt wird, die einen Antrag verzögern würde. Die Begr. RegE setzt die Offensichtlichkeit mit Offenkundigkeit gleich6, was über § 4 InsO zur Anwendung des § 291 1 Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 733. 2 IDW S 9, ZIP 2014, 2277. 3 Siemon, ZInsO 2012, 1045, 1047; Vallender/Zipperer, NZI 2012, 729, 732; a.A. i.S. einer leistungswirtschaftlichen Sanierung: Buchalik, ZInsO 2012, 349, 351; Kraus/Lenger/ Radner, ZInsO 2012, 587, 589; Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 34. 4 Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, § 270b InsO Rz. 32 f. 5 BT-Drucks. 17/5712, S. 40. 6 Begr. RegE BT-Drucks. 17/5712, S. 40.

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Schutzschirmverfahren

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ZPO führt1. Offenkundig ist eine Tatsache, die keines weiteren Beweises bedarf2. Die Prämissen des Sanierungsplans und die darauf aufbauenden Prognosen müssen plausibel sein. Dazu hat der Schuldner ein Leitbild des Unternehmens – besser: der Unternehmensträgergesellschaft – vorzustellen und Maßnahmen zu skizzieren, die zur Erreichung dieses Leitbilds ergriffen werden sollen. Eine verbale Erläuterung reicht. Nicht erforderlich ist, dass schon eine Vorabstimmung mit wesentlichen Betei- 9.91 ligten stattgefunden hat. Das könnte sogar den gegenteiligen Effekt haben, weil als Reaktion Kreditkündigungen oder Liefersperren drohen und damit die Zahlungsunfähigkeit provoziert wird, die einem Schutzschirmantrag entgegensteht. Es bedarf auch keiner Prognose des Verhaltens der Gläubiger3, weil sich bis zur Abstimmung über einen Insolvenzplan noch zahlreiche Änderungen im Konzept und im Gläubigerverhalten ergeben können. Nur wenn ein wesentlicher Gläubiger von sich aus erklärt, eine sanierungsnotwendige Geschäftsverbindung nicht fortsetzen zu wollen, könnte es an hinreichenden Erfolgsaussichten fehlen. Eine Liquiditätsplanung über die mutmaßliche Verfahrensdauer ist nicht erfor- 9.92 derlich4. Kein anderes Dokument verdichtet sämtliche Informationen über die gesamte künftige Unternehmensentwicklung so stark wie ein Liquiditätsplan. In verlässlicher Form kann er nur erstellt werden, wenn alle Informationen vorliegen, eine Sanierungsplanung einschließlich Insolvenzplan also schon abgeschlossen ist. Ihn aber zu erarbeiten, ist gerade Zweck des Schutzschirmverfahrens. Sein Fehlen – zum „Notfallplan“ siehe sogleich – begründet deshalb nicht das Verdikt der offensichtlichen (!) Aussichtslosigkeit einer Sanierung5. In der Praxis ist es zwar Usance, eine Liquiditätsplanung für vorerst mindestens ein halbes Jahr vorzulegen, um die Vorteilhaftigkeit des Eigenverwaltungs- bzw. Schutzschirmantrags zu untermauern. Das sollte den meisten Schuldnern auch möglich sein, wenn die Erreichung des Sanierungsziels nur von wenigen Prämissen abhängt, insbesondere, wenn es keine verschachtelten Haftungsverhältnisse beispielswiese für Beteiligungsgesellschaften gibt. Andererseits steht noch nicht einmal eine nach Verfahrenseröffnung eintretende Illiquidität der Eigenverwaltung entgegen. § 285 InsO verpflichtet den Sachwalter nur zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit, ordnet aber nicht die Aufhebung der Eigenverwaltung an. Ebenso wenig hindert die Masseunzulänglichkeit die Vorlage eines Insolvenzplans (§ 210a InsO). Voraussetzung ist nur, dass die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit anfallenden Neumasseschulden gemäß § 209 InsO bedient werden können. Ein sehr frühzeitiger Eröffnungsantrag ist Ziel des ESUG und zur Reduzierung späterer Insolvenzanfechtungen auch sinnvoll6. Die Eigenverwaltung dient nicht nur der Vollendung, sondern auch der Vorbereitung einer Sanierung7. Wenn selbst der Eintritt der Masseunzulänglichkeit nach Verfahrenseröffnung der Ei1 2 3 4 5 6 7

Smid, ZInsO 2013, 209, 215 zur Offensichtlichkeit des § 270a Abs. 1 InsO. Beth, ZInsO 2015, 369, 371; Smid, ZInsO 2013, 209, 215 zu § 270a Abs. 1 InsO. A.A. IDW S 9, ZIP 2015, 2275 Tz. 28. Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 733; Weber/Knapp, ZInsO 2014, 2245, 2248. A.A. Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, § 270b InsO Rz. 42 ff. Kreft, ZInsO 2014, 1121. A.A. AG Hamburg v. 19.12.2013 – 67c IN 501/13, ZIP 2014, 487: nur „wohl vorbereitete“ Anträge.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

genverwaltung nicht entgegensteht, ist erst recht ein Liquiditätsplan über mindestens sechs Monate nicht zwingend erforderlich. Allerdings sollte der Schuldner die bis zur nächsten verfahrensrechtlichen „Weichenstellung“ beabsichtigten Maßnahmen darlegen. Das ist der Zeitpunkt, in dem über die Eröffnung entschieden wird1. Bis dahin wird es ihm relativ leicht gelingen, einen Liquiditätsplan unter Berücksichtigung der liquiditätsschonenden Effekte einer Insolvenzgeldfinanzierung und unter Berücksichtigung der auf die fortführungsnotwendigen Lieferungen und Leistungen beschränkten Zahlungen zu erstellen. Ergibt sich schon aus einem solchen „Notfallplan“, dass die Zahlungsfähigkeit – ohne Bedienung von Insolvenzforderungen – nicht gewährleistet ist, wird die Sanierung offensichtlich aussichtslos sein. d) Bescheinigung 9.93 Allein Angaben des Schuldners genügen für einen Schutzschirmantrag noch nicht. Deren Richtigkeit muss auch noch von einem Sachverständigen bescheinigt werden (§ 270b Abs. 1 Satz 2 InsO)2. Der für die Bescheinigung maßgebende Beurteilungszeitpunkt ist der der Antragstellung, was aber nicht einzuhalten ist, weil die Bescheinigung Bestandteil des Antrags ist und deshalb vorher erstellt werden muss. Technisch möglich ist eine Bescheinigung nur mit zeitnahem Erstellungsdatum, wobei die Zeitnähe eine quaestio facti ist. Eine Woche3 dürfte die Grenze sein. Die Bescheinigung kann vorbereitet und muss sodann nur um außerplanmäßige Geschäftsvorfälle ergänzt werden. Ggfls. muss auf Verlangen des Insolvenzgerichts eine Aktualisierung erfolgen4. 9.94 Die Bescheinigung muss erstens bestätigen, dass Überschuldung und/oder drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Das Ziel der Bescheinigung ist jedoch nicht, eine Eigenverwaltung ohne Insolvenzgrund zu verhindern5; denn im normalen eigenverwalteten Eröffnungsverfahren muss ein Insolvenzgrund noch nicht einmal glaubhaft gemacht werden, wenn der Antrag von allen Geschäftsführern gestellt wird (§ 15 Abs. 2 InsO). Im Wesentlichen geht es um die Bestätigung, dass keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt6. Allein davon hängt es ab, ob der Schuldner zusätzlich zu den Befugnissen, die ihm im Eröffnungsverfahren der normalen Eigenverwaltung eingeräumt werden, noch weitere Antragsrechte haben soll. 9.95 Zweitens muss sich die Bescheinigung darauf erstrecken, dass die „angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist“ (§ 270b Abs. 1 InsO). Die „angestrebte Sanierung“ ist diejenige, die der Schuldner durchzuführen beabsichtigt. 1 Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 733. 2 Zu Inhalt und Gliederung der Bescheinigung aus Sicht der Wirtschaftsprüfer s. Standard IDW S 9, ZIP 2014, 2275.m. Erl. von Steffen/Solmecke, ZIP 2014, 2271 u. kritischer Bespr. von Beth, ZInsO 2015, 369. 3 Beth, ZInsO 2015, 369, 373; Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 735; Gutmann/Laubereau, ZInsO 2012, 1861, 1871; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, § 270b InsO Rz. 53; a.A. Schmidt/Linker, ZIP 2012, 963: 3 Tage. 4 Schmidt/Linker, ZIP 2012, 964. 5 Deshalb bedarf es auch nicht der Prüfungstiefe, die in IDW S 11, ZInsO 2015, 1136 zur Beurteilung von Insolvenzgründen vorgeschlagen wird. 6 S. dazu IDW S 11, ZInsO 2015, 1136 zur Prüfung eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit.

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Schutzschirmverfahren

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Bei ihm liegt die Beibringungslast, so dass er die Informationen, auf denen seine Planung fußt, dem Sachverständigen zur Verfügung stellen muss. Ergibt sich daraus kein schlüssiges Sanierungskonzept, ist auch der Schutzschirmantrag unschlüssig. Ist das Konzept hingegen schlüssig, kann sich die Bescheinigung nur noch darüber auslassen, ob die Prämissen so fehlerhaft sind, dass das Schuldnerkonzept offensichtlich scheitern muss1. Bei den Prämissen wird es sich um leistungswirtschaftliche „Milestones“ wie z.B. eine Produktentwicklung handeln, vor allem aber um Zugeständnisse Dritter, sei es in Form eines Forderungsverzichts, einer Preisanpassung, einer Vertragsverlängerung, einer Kreditgewährung oder einer Investitionsbereitschaft. Dazu werden Erklärungen der Dritten in der Regel noch nicht vorliegen. Keinesfalls darf der Sachverständige von sich aus Nachfrage halten. Die Abgabe von Erklärungen Dritter ist aber auch nicht erforderlich2, ist doch gerade die Vorbereitung eines Insolvenzplans der Zweck des Schutzschirmantrags. Die Bescheinigung darf nicht etwa eine ablehnende Entscheidung Dritter unterstellen3. Der Sachverständige darf nur die Schlüssigkeit der vom Schuldner gesetzten Prämissen prüfen4. Wird beispielsweise die Laufzeit von Kundenforderungen verkürzt, wäre das im Versandhandel illusorisch – und damit offensichtlich aussichtslos –, bei einer Auftragsfertigung für wenige Kunden hingegen durchaus denkbar, auch wenn eine Entscheidung dieser Kunden noch nicht vorliegt. Soweit Erklärungen Dritter hingegen schon im Vorwege beschafft werden können, ohne dass damit nachteilige Auswirkungen verbunden sind, sollten sie zur Vertrauensbildung vom Schuldner beigefügt werden. Das gilt insbesondere für die Bereitschaft neuer Investoren. Die Bescheinigung ist mit Gründen zu versehen (§ 270b Abs. 1 Satz 3 InsO). Nur 9.96 dann ist das Insolvenzgericht in der Lage, sich ein eigenes Urteil über die Zulässigkeit des Schutzschirmverfahrens zu bilden. Dazu gehört eine Darstellung des Prüfungsablaufs, der Prüfungsunterlagen, der Schlüssigkeit des Konzepts und insbesondere der Prämissen5. Anhaltspunkte liefern die nach §§ 220, 221 InsO für einen Insolvenzplan benötigten Angaben6, soweit sie für dieses erste Stadium der Planvorbereitung angemessen sind. Die für ein Sanierungsgutachten erforderliche Begründungstiefe verlangt der Gesetzgeber wegen der damit verbundenen Kosten nicht7. Die Prüfung der Bescheinigung im Hinblick auf die (formalen) Anforderungen des § 270b Abs. 1 InsO obliegt allein dem Gericht. Es darf dazu kein 1 Die Kriterien des IDW S 6, FN-IDW 2012, 719 müssen nicht einmal annähernd erfüllt sein, vgl. Begr. RegE BT-Ducks. 17/5712, S. 40; a.A. Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, § 270b InsO Rz. 39. 2 Richter/Pluta, BB 2012, 1591, 1595; IDW S 9, ZIP 2014, 2275 Rz. 28; a.A. Undritz in Karsten Schmidt, § 270b InsO Rz. 5; Kolmann, Schutzschirmverfahren, Rz. 527 ff.; Frind, ZInsO 2012, 540 541; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, § 270b InsO Rz. 44, der sogar die Anforderungen des § 230 Abs. 3 InsO vorziehen will. 3 Entgegen Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, § 270b InsO Rz. 28 kommt es deshalb auch nicht darauf an, ob die Voraussetzungen eines Obstruktionsverbots gemäß § 245 InsO erfüllt sein können. 4 IDW S 9, ZIP 2014, 2275 Rz. 26 f. 5 Undritz in Karsten Schmidt, § 270b InsO Rz. 5; Kolmann, Schutzschirmverfahren, Rz. 545 ff.; Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729 733. 6 Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 733. 7 Begr. RegE BT-Drucks. 17/5712, S. 40.

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9.97

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

ergänzendes Sachverständigengutachten einholen1; denn das Gesetz verlangt wegen der Eilbedürftigkeit nur die Vorlage der von einer qualifizierten Person erstellten und nicht auch noch einer zusätzlich überprüften Bescheinigung2. Offenbare Unrichtigkeiten bei der Sanierungsprognose darf das Gericht hingegen berücksichtigen, weil insofern die Eilbedürftigkeit nicht entgegensteht. Dem Schuldner ist aber Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben3. Für die in die Bescheinigung aufzunehmende Bestätigung, dass (nur) drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegen, gilt die Einschränkung der „Offensichtlichkeit“ hingegen nicht, so dass eine weitere Amtsermittlung und damit auch die Prüfung durch einen Sachverständigen (§ 5 Abs. 1 InsO) nicht an § 291 ZPO scheitert. Zwar heißt es in der Regierungsbegründung zu den Schutzschirmanordnungen: „Den Nachweis der Anordnungsvoraussetzungen erbringt der Schuldner durch eine Bescheinigung“4. Das ist auch sinnvoll5, weil die Anordnungen eilbedürftig sind. Daneben bleibt aber für eine Prüfung Raum, soweit es um die Eröffnungsentscheidung geht. Insofern gilt das Gleiche wie in der einfachen Eigenverwaltung, dass nämlich die Bestellung eines Sachverständigen zulässig6, jedoch nur dann sinnvoll ist, wenn die Angaben des Sachwalters zur wirtschaftlichen Lage des Schuldners (§ 272 Abs. 1 InsO) unzureichend oder – insbesondere, weil er vom Schuldner „mitgebracht“ wurde – überprüfungsbedürftig sind. e) Aussteller der Bescheinigung 9.97 Bei dem Aussteller muss es sich um einen in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt oder eine Person mit vergleichbarer Qualifikation handeln. Als vergleichbar werden in der Begr. RegE7 Steuerbevollmächtigte, vereidigte Buchprüfer oder Personen ähnlicher Qualifikation aus dem EU-Raum genannt. In Betracht kommen auch juristische Personen, sofern sie diese „vergleichbaren“ Tätigkeiten ausüben dürfen8. § 270b InsO verlangt im Gegensatz zu §§ 274 Abs. 1, 56 InsO keine Tätigkeit einer natürlichen Person. Erforderlich ist nur9, dass der jeweilige Bearbeiter die persönlichen Anforderungen erfüllt10. Der erforderliche Umfang der Erfahrung geht aus der Begr. RegE nicht hervor. Auch hier sollte man sowohl die begrenzten verfahrensrechtlichen Wirkun1 Vallender, DB 2015, 231, 238; Beth, ZInsO 2015, 369, 370; Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 40. 2 Smid, ZInsO 2013, 209, 215 f.; Frind, ZInsO 2012, 540 f.; Vallender, GmbHR 2012, 450, 452; a.A. AG Erfurt v. 13.4.2012 – 172 IN 190/12, ZInsO 2012, 944. 3 Beth, ZInsO 2015, 369, 371; Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 38. 4 BT-Drucks. 127/11, S. 59. 5 Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1344; a.A. Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 33; Beth, ZInsO 2015, 369, 371 f., aber nur bei Anhaltspunkten gegen die Richtigkeit der Bescheinigung. 6 Beth, ZInsO 2015, 369, 371; Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 33; a.A. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1344. 7 Begr. RegE BT-Drucks. 17/5712, S. 40. 8 Beth, ZInsO 2015, 369, 373; Gutmann/Laubereau, ZInsO 2012, 1861, 1868 sowie (natürlich) IDW S 6, ZIP 2014, 2275 Tz. 6. 9 A.A. Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 207b InsO Rz. 43; Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 730. 10 IDW S 9, ZIP 2014, 2275 Rz. 6.

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Schutzschirmverfahren

9.98

gen des Schutzschirmantrags berücksichtigen als auch den Umstand, dass für die Beurteilung der offensichtlichen Aussichtslosigkeit einer Sanierung nicht schon das komplette Insolvenzplanverfahren gedanklich vorweggenommen werden kann. Der Schwerpunkt liegt in der kursorischen Würdigung des Sanierungskonzepts, wofür es Sanierungs-, aber keiner Insolvenzerfahrung bedarf. Im Übrigen geht es um die Prüfung rechtsgeprägter betriebswirtschaftlicher Tatbestände. Die Erstellung eines Überschuldungsstatus zu Liquidationswerten, die bei drohender Zahlungsunfähigkeit mangels positiver Fortführungsprognose anzusetzen sind, erfordert vor allem Kenntnisse des Standes der für das Unternehmen relevanten Technik und des wirtschaftlichen Umfeldes. Ansonsten sollte sich der Prüfer mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit auskennen und über Insolvenzgeld, Erfüllungswahl und Beendigung von Dauerschuldverhältnissen Bescheid wissen. Außerdem sollte er insolvenzspezifische Ansprüche – auch bezeichnet als insolvenzrechtliche Sonderaktiva – beurteilen können, wenn ihre Durchsetzung für die Finanzierung der Sanierung erheblich ist. Bei all dem handelt es sich um Wissen, das keine ausgeprägte Erfahrung in Insolvenzsachen erfordert, so dass ein Bescheinigungsverfasser nur mit großer Zurückhaltung als ungeeignet angesehen werden sollte. Zu den erfahrensten Sanierungsplanern gehören Unternehmensberater, die jedoch nicht Personen mit „vergleichbarer Qualifikation“ i.S. des § 270b Abs. 1 InsO sind1. In Anbetracht der eingeschränkten Bedeutung der Bescheinigung ist es äußerst fraglich, ob ihr Ausschluss aus dem geeigneten Personenkreis der verfassungsrechtlichen Kontrolle standhält2. Zur Unabhängigkeit des Austellers heißt es in § 270b Abs. 2 InsO, dass er per- 9.98 sonenverschieden vom Sachwalter sein muss; denn dessen Bestellung hängt u.a. vom Ergebnis der Bescheinigung ab, weil er nur im Schutzschirmverfahren „mitgebracht“ werden darf. Eine analoge Anwendung der für Abschlussprüfer geltenden Ausschlussgründe (§ 319 HGB) sieht das Gesetz hingegen ebenso wenig vor wie die der Anforderungen an die Unabhängigkeit des Sachwalters gemäß §§ 274 Abs. 1, 56 InsO3. Das ist auch sinnvoll; denn in einem Eilverfahren ist es notwendig, dass vorhandenes Wissen genutzt wird und Aussteller sowie Schuldner sich gegenseitig abstimmen. Müsste stets ein außenstehender Dritter beauftragt werden, würde das unangemessen viel Zeit und Geld kosten. Zwar ist ein durch Organstellung, Beteiligungsverhältnisse oder Verwandtschaft vermitteltes Näheverhältnis zum Schuldner unzulässig4. Der Ersteller und der Prüfer des Sanierungsplans können jedoch – nicht zuletzt wegen der geringeren Kosten5 – dieselbe Per-

1 So hat der BDU einen Leitfaden für Bescheinigungen erstellt, ZInsO 2013, 2095, der zwar zu detailliert ist, aber belegt, dass auch Berater mit nicht „vergleichbarer Qualifikation“ über große insolvenzrechtliche Expertise verfügen. 2 A.A. (interessensgemäß) Steffan/Solmecke, ZIP 2014, 2271, 2272. 3 Für eine analoge Anwendung auf den Aussteller: AG München v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1308; AG München v. 29.3.2012 – 1507 IN 1125/12, ZIP 2012, 789; Hölzle, ZIP 2012, 158, 161; Pape in Kübler/Prütting/Bork, 49. Lfg. 7/12, § 270b InsO Rz. 42. 4 Vallender/Zipperer, NZI 2012, 729, 731. 5 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270b InsO Rz. 10.

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9.99

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

son oder Kanzlei sein1; denn es geht nicht um eine Kontrolle2 im Sinne beispielsweise einer Abschlussprüfung, sondern nur um einen Seriositätsnachweis. Wenn sogar ein von einer fachkundigen Person erarbeitetes und zusätzlich nicht auch noch von einem Dritten kontrolliertes Sanierungskonzept im Anfechtungsrecht einer Gläubigerbenachteiligungsabsicht entgegensteht3, dürfen im Schutzschirmverfahren an den Unterzeichner der Bescheinigung keine höheren Anforderungen gestellt werden. Seine Qualifikation ist Antragsvoraussetzung für die Schutzschirmanordnungen und deshalb vom Schuldner darzulegen. Die persönliche Eignung des Ausstellers unterliegt anhand der vom Schuldner beizubringenden Informationen allein der richterlichen, nicht aber der sachverständigen Beurteilung4. Der Sachverständige muss sich also keiner Eignungsprüfung durch einen anderen Sachverständigen unterziehen. 9.99 Die Qualifikation des Ausstellers muss der Schuldner nachweisen, weil sie Voraussetzung für die Schutzschirmanordnungen ist5. Eine eidesstattliche Versicherung des Prüfers wäre bei ernsthaften Zweifeln zwar unzureichend, weil dies ein Mittel der Glaubhaftmachung ist, die aber bei § 270b InsO nicht erwähnt wird6. Trotzdem sollte man sich auch hier die begrenzte Bedeutung der Bescheinigung vor Augen führen. Zudem wäre der Bescheinigungsverfasser Zeuge. Zwar ist er naturgemäß an einer positiven Darstellung seiner Person interessiert. Damit wird er aber nicht zum Verfahrensbeteiligten. Ein Urkundsbeweis durch die Vorlage von Bestallungsurkunde etc. ist nicht erforderlich7, zumal dies bei außergerichtlicher Tätigkeit gegen die Verschwiegenheitspflicht verstoßen würde. f) Haftung des Ausstellers der Bescheinigung 9.100 Die Bescheinigung hat Konsequenzen für den weiteren Verfahrensgang, so dass eine Haftung gegenüber den Verfahrensbeteiligten8 in Betracht kommt. Das sind Insolvenz-, Sicherungs- und Aussonderungsgläubiger. Der Schuldner gehört zwar dazu, erteilt den Auftrag aber nicht zur Vermeidung eines eigenen Schadens, sondern zur Vorlage bei Gericht. Künftige Neugläubiger gehören nicht zu den Verfahrensbeteiligten. Das Gesetz verweist für die Haftung nicht, wie für den Sachwalter in § 274 InsO, auf eine analoge Anwendung des § 60 InsO. Nicht einschlä1 Steffan/Somecke, WPg 2015, 269, 273; Gutmann/Lubereau, ZInsO 2012, 1861, 1868; Schmidt/Linker, ZIP 2012, 963, 964; Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 730; a.A. AG München v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1308; v. 29.3.2012 – 1507 IN 1125/12, ZIP 2012, 789; Hermanns, ZInsO 2014, 922, 923; Pape, ZInsO, 2013, 2077, 2082; Pape, ZInsO 2013, 2129, 2132; Fischer, ZInsO 2013, 2348, 2349. 2 A.A. Schmittmann, ZInsO 2012, 1921, der deshalb meint, dass Kontrolleur und Kontrollierter nicht identisch sein dürfen. 3 So zutreffend der Hinweis von Hirte, ZInsO 2011, 401, 403 auf BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, ZIP 1998, 248, 251; s. auch BGH v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137 Rz. 11. 4 BT-Drucks. 17/5712, S. 41; Undritz in Karsten Schmidt, § 270b InsO Rz. 8; a.A. Frind, ZInsO 2011, 656, 660. 5 Beth, ZInsO 2015, 369, 373; Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 52. 6 Die ausdrückliche Zulassung im Gesetz ist Voraussetzung für eine Beschränkung des Beweismaßes, Greger in Zöller, 31. Aufl. 2016, § 294 ZPO Rz. 1. 7 A.A. Beth, ZInsO 2015, 369, 373. 8 Zur strafrechtlichen Haftung s. Brand, KTS 2014, 1 ff.

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Schutzschirmverfahren

9.102

gig ist auch § 839a BGB, der einen Sachverständigen einer Haftung gegenüber den Verfahrensbeteiligten für ein von ihm erstelltes Gutachten unterwirft; denn das gilt nur für vom Gericht ernannte Sachverständige, weil mit ihnen kein Vertrag geschlossen wird, so dass ohne § 839a BGB eine Haftungslücke bestünde1. Ebenfalls nicht einschlägig ist eine auf § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB gestützte Gutachterhaftung. Unabhängig von der Frage, ob ein Gutachter überhaupt das besondere Vertrauen i.S. von § 311 Abs. 2 BGB in Anspruch nimmt2, fehlt es an der Tatbestandsvoraussetzung, dass er Verhandlungen oder Entscheidungen der schuldnerischen Vertragspartner beeinflusst3. Dieselbe Erwägung spricht auch gegen einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Die Auswirkung auf eine Vielzahl von Beteiligten mag zwar deren Leistungsnähe begründen4. Das allein reicht aber für die Haftung nicht aus5. Zusätzlich ist erforderlich, dass Dritte im Vertrauen auf die Richtigkeit Entscheidungen treffen und der Auftragnehmer damit einverstanden ist bzw. nach Treu und Glauben sein Einverständnis unterstellt werden muss (Rz. 1.281). Das Gutachten soll jedoch eine Entscheidungsgrundlage nur für das Insolvenzgericht bilden, nicht für die Gläubiger, so dass deren Vertrauen nicht geschützt wäre. Überdies würde eine mit dem Schuldner vereinbarte Haftungsbeschränkung auch 9.101 gegenüber Dritten wirken. Zwar können die Gläubiger ihr Verhalten nicht nach einer durch die Haftungsbegrenzung „entwerteten“ Bescheinigung ausrichten6. Die Haftung darf von der vertraglichen Grundlage aber nicht so weit entkoppelt werden, dass eine dort vereinbarte Haftungsbeschränkung gegenüber Dritten nicht durchgreift. Auf all das wird es in der Praxis ohnehin nicht ankommen, weil ein der Beschei- 9.102 nigung zurechenbarer Schaden kaum eintreten kann7. Sie ist keine Voraussetzung für die vorläufige Eigenverwaltung, sondern nur für die Schutzschirmanordnungen8. Die vorläufige Eigenverwaltung kann auch ohne Bescheinigung beschlossen 1 Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, § 839a BGB Rz. 2 f. 2 Zum Diskussionsstand: BGH v. 12.1.2011 – VIII ZR 346/09, ZIP 2011, 719 Rz. 9 ff.; Emmerich in Münchener Kommentar zum BGB, § 311 BGB Rz. 195 ff. 3 Brinkmann, DB 2012, 1313, 1314; a.A. Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 66. 4 Zu diesem Kriterium s. Rz. 1.284. 5 A.A. Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270b InsO Rz. 16; Undritz in Karsten Schmidt, § 270b InsO Rz. 5; Brinkmann, DB 2012, 1313, 1315 die die Haftung damit begründen, dass der Bescheinigungsverfasser die Verwendung im Verfahren mit Wirkung für alle Beteiligten kennt. Lässt man das ausreichen, entfernt sich die Haftung von einer vertraglichen und wird zu einer deliktischen Expertenhaftung, für die sich der Gesetzgeber bisher aber außerhalb § 839a BGB nicht entschieden hat, Emmerich in Münchener Kommentar zum BGB, § 311 BGB Rz. 196; natürlich bleibt eine Haftung gemäß § 826 BGB wegen einer Bescheinigung „ins Blaue“ unberührt, dazu Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 734 f. 6 So die Einwände von Brinkmann, DB 2012, 1313, 1318; Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 66 gegen die Wirksamkeit der Haftungsbeschränkung. 7 Deshalb verneinen Gutmann/Laubereau, ZInsO 2012, 1861, 1872 schon das Schutzbedürfnis als Voraussetzung eines VzG. 8 Dies verkennen Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 67; Brinkmann, DB 2012, 1313, 1318, die auf die Eigenverwaltung abstellen, die es jedoch auch ohne Schutzschirm hätte geben können.

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9.103

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

werden. Die Schutzschirmanordnungen betreffen zunächst den „mitgebrachten“ Sachwalter und die Sanierungsfrist. Es kann nicht unterstellt werden, dass eine andere personelle Besetzung oder Dauer des Vorverfahrens zu anderen Ergebnissen geführt hätte. Wegen unterbliebener Sicherungsmaßnahmen ist ein Schaden ebenfalls kaum denkbar. Verfügungsbeschränkungen des Schuldners sind im Schutzschirmverfahren zwar unzulässig, ohne dass dem Gericht ein Ermessen zusteht § 270b Abs. 2 InsO i.V.m. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Aber auch im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung ohne Schutzschirmantrag soll davon möglichst abgesehen werden, § 270a Abs. 1 InsO. Ist der Vortrag des Schuldners zur Nachteilsvermeidung schlüssig, würde das Insolvenzgericht selbst im Eröffnungsverfahren der einfachen Eigenverwaltung vorerst keine Verfügungsbeschränkungen anordnen. Zeigen sich Nachteile, wird der Sachwalter hier wie dort unverzüglich darüber berichten (§ 274 Abs. 3 InsO), so dass das Gericht die Schutzschirmanordnungen aufheben kann, wenn die Sanierung aussichtslos geworden ist (§ 270b Abs. 4 Ziffer 1 InsO). Eine Masseschuldermächtigung schließlich kann ebenfalls keinen erstattungspflichtigen Schaden verursachen, da die Massegläubiger nicht zu den Beteiligten gehören, einmal davon abgesehen, dass eine Masseschuldermächtigung wohl auch ohne Schutzschirmantrag erteilt worden wäre. Denkbar wäre zwar die Argumentation, dass eine Bescheinigung dem Gericht Anlass gibt, die Gläubigernachteile nicht so genau zu prüfen. Selbst wenn man Neugläubiger in einen etwaigen Schutzbereich einbeziehen würde, würde wohl niemand eine neue (Lieferanten-)Kreditvergabe allein darauf stützen, dass eine künftige Sanierung als „nicht offensichtlich aussichtslos“ bescheinigt wurde. Gleiches gilt für Investitionsentscheidungen der Gesellschafter, einmal davon abgesehen, dass sie in einem Schutzbereich des Bescheinigungsauftrages genauso wenig einbezogen werden könnten wie der Schuldner. Somit hängt ein etwaiger Schaden von derart vielen Zwischenursachen ab, dass er kaum dem Prüfer zugerechnet werden kann1. 9.103 Zusammenfassend sind die Anforderungen an die Bescheinigung und die Person des Ausstellers gering. Gleiches gilt für das Haftungsrisiko. Die wohl überwiegende Meinung misst der Bescheinigung hingegen eine größere Bedeutung bei. Dabei wird übersehen, dass es nicht um die Frage geht, ob ein Eröffnungsverfahren in Eigenverwaltung statthaft ist, sondern nur darum, ob die wenigen Schutzschirmvorteile zusätzlich gewährt werden. Überdies steigen die Kosten für den Sachverständigen mit den Anforderungen und dem Haftungsrisiko erheblich. Ein Gesetz, das die Schwelle zur insolvenzrechtlichen Sanierung abbauen will, sollte nicht gleichzeitig die finanzielle Hürde für ein Testat mit nur sehr eingeschränkter Bedeutung erhöhen. Ist die Bescheinigung falsch, kommt eine Minderung der Vergütung wegen Schlechterfüllung des Auftrags in Betracht. Ein größeres Risiko dürfte für den Prüfer kaum praktisch relevant werden. 2. „Mitgebrachter“ Sachwalter 9.104 Hat der Schuldner die Hürde der Bescheinigung überwunden, muss das Insolvenzgericht die von ihm vorgeschlagene Person zum vorläufigen Sachwalter bestellen, wenn sie nicht offensichtlich ungeeignet oder identisch mit dem Aussteller der 1 Großzügiger Brinkmann, DB 2012, 1313, 1318.

1000

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Schutzschirmverfahren

9.106

Bescheinigung ist. Die Inhabilität gilt auch für die mit ihm zur gemeinsamen Berufsausübung verbunden Personen1; denn der Sachwalter soll gemäß § 274 Abs. 2 InsO alsbald die wirtschaftliche Lage des Schuldners prüfen und sein Urteilsvermögen nicht durch von ihm oder einem Partner geschaffenen Präjudizien beeinträchtigen lassen. Außerdem nimmt § 270b Abs. 2 InsO auf § 270a Abs. 1 InsO Bezug, der wiederum auf § 274 Abs. 1 InsO und damit auch auf § 56 InsO verweist. Deshalb gilt für den mitgebrachten Sachwalter das Gebot der Unabhängigkeit von Schuldner und Gläubigern. Eine „Seilschaft“ zwischen Sachwalter und Beratern des Schuldners, die schon in anderen Insolvenzverfahren diese Aufgabenverteilung übernommen haben, kann eine offensichtliche Ungeeignetheit nur dann begründen2, wenn im Zusammenhang mit diesem gemeinsamen Auftritt Kontrolldefizite bekannt geworden sind. Ansonsten ist bei der Anwendung dieses Kriteriums zu berücksichtigen, dass es nicht nur um den Gläubigerschutz, sondern auch um den Schutz des Schuldners geht, die Sanierung mit einer ihm vertrauten Person vorbereiten zu dürfen3 (s. Rz. 9.2). Fehlt dem Sachwalter eine jahrelange Erfahrung in Insolvenzverfahren, begründet 9.105 das keine offensichtliche (!) Ungeeignetheit4. Das gilt auch, wenn er bisher nur in kleineren Insolvenzverfahren tätig war. Den „geborenen“ Großverwalter gibt es nicht. Nur Quantensprünge über mehrere Größenklassen sollten vermieden werden. Ebenso wenig muss der Sachwalter dem Gericht bekannt oder dort gar „gelistet“ sein5. Unkenntnis über seine Person ist das Gegenteil von offensichtlich. Zwar gilt nicht für jede dem Gericht unbekannte Person die Fähigkeitsvermutung. Der Schuldner, der seinen mitgebrachten Sachwalter „durchbringen“ will, muss die dafür erforderlichen Informationen beitragen. Die Anforderungen sowohl an die Geeignetheit als auch an die Unabhängigkeit 9.106 sind nur schwer zu objektivieren. Obwohl das Risiko der Ablehnung durch das Merkmal der „Offensichtlichkeit“ begrenzt wird, sollten sich Schuldner und der von ihm ausgewählte Sachwalter rechtzeitig mit dem Gericht abstimmen, bevor ein ablehnender Beschluss ergeht, in dem die Ungeeignetheit des Kandidaten gemäß § 270b Abs. 2 InsO zu begründen ist. Die Ablehnung ist zwar nicht beschwerdefähig6. Die Begründung soll aber der Gläubigerversammlung eine Entscheidungsgrundlage für die nach Verfahrenseröffnung zulässige Wahl eines anderen Sachwalters (§§ 274 Abs. 1, 57 InsO) an die Hand geben7. Benennt der Schuldner keine Person, ist der vorläufige Sachwalter wie bei der „normalen“ Eigenverwaltung auszuwählen. Der Gläubigerausschuss hat hingegen keine Möglichkeit, einen vom Schuldner mitgebrachten Sachwalter abzulehnen. Das Schutzschirmverfahren ist jedoch auf seinen Antrag aufzuheben, ohne dass dem Gericht eine Prüfungskompetenz zusteht8. Der Antrag ist nicht begründungsbedürftig und 1 2 3 4 5

Frind, ZInsO 2012, 540. AG Stendal v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875. BT-Drucks. 17/5712, S. 40; Vallender, DB 2015, 231, 237. Smid, ZInsO 2013, 209, 217: keine „Bestenauslese“. Anders verhält es sich, wenn er „delistet“ wurde, AG Hamburg v. 2.7.2013 – 67e IN 108/13, ZIP 2013, 1684. 6 AG Hamburg v. 2.7.2013 – 67e IN 108/13, ZIP 2013, 1684. 7 Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 96. 8 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270b InsO Rz. 32.

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1001

9.107

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

wird mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst, so dass mittelbar eine dem Eröffnungsverfahren in der einfachen Eigenverwaltung entsprechende Situation geschaffen werden kann. Es braucht nur vor den Schutzschirmanordnungen ein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt zu werden, auf dessen Votum von vornherein nur das einfache Eröffnungsverfahren durchgeführt wird. 3. Zurückweisung des Schutzschirmantrags 9.107 Sind die Voraussetzungen für die Bestimmung einer Planvorbereitungsfrist nicht gegeben, ist also der Schuldner schon zahlungsunfähig oder die dem Antrag beigefügte Bescheinigung unzureichend, weist das Insolvenzgericht den Schutzschirmantrag zurück, was nur bedeutet, dass kein Anspruch auf die in § 270b InsO Maßnahmen besteht. Vorher hat es dem Schuldner Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben, (§ 4 InsO, § 139 ZPO). Eine vorherige Information an den Schuldner entsprechend § 270a Abs. 2 InsO ist nicht vorgesehen, weil die Zurückweisung des Schutzschirmantrags den Antrag auf Eigenverwaltung (formell) unberührt lässt, so dass das Gericht über alle flankierenden Maßnahmen gemäß § 270a InsO entscheiden kann. De facto ist ein schlecht vorbereiteter Schutzschirmantrag aber ein Indiz für offensichtliche Gläubigernachteile, so dass in der Praxis dann meist ein vorläufiger Verwalter bestellt wird. 4. Schutzschirmanordnungen, vorläufige Maßnahmen 9.108 Die Schutzschirmanordnung besteht zunächst in der Bestimmung einer Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans von höchstens drei Monaten. Diese Höchstfrist kann auch durch Verlängerung nicht überschritten werden (§ 4 InsO, § 224 Abs. 2 ZPO)1. 9.109 Das Gericht bestellt nach § 270b Abs. 2 3 InsO, regelmäßig dem Vorschlag des Schuldners folgend, einen vorläufigen Sachwalter und kann vorläufige Maßnahmen zum Schutz des Schuldners anordnen. 9.110 Das Gericht hat den Schuldner auf seinen Antrag auch zur Begründung von künftigen Masseverbindlichkeiten zu ermächtigen (§ 270b Abs. 3 InsO)2. Hierbei kann es sich sowohl um eine Pauschalermächtigung3 handeln mit der Folge, dass Insolvenzforderungen im selben Umfang wie bei einer vorläufigen Insolvenzverwaltung mit verfügungsbefugtem Verwalter nach Verfahrenseröffnung zu Masseschulden werden (§§ 22 Abs. 1, 55 Abs. 2 InsO). Es kann sich aber auch nur um eine Einzelermächtigung zur Begründung bestimmter Masseschulden handeln, was in der Praxis der Regelfall ist, um unerwünschte Masseschulden zu vermeiden; denn nach wie vor ist unklar, ob ein mit Pauschalermächtigung

1 Koch in Kübler, HRI, § 7 Rz. 54; a.A. ohne Begründung: Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, § 270b InsO Rz. 96. 2 Aus dem Wortlaut ergibt sich eindeutig, dass ein gerichtlicher Beschluss erforderlich ist und der Schuldner nicht schon kraft Gesetzes eine Masseschuldermächtigungskompetenz hat, OLG Köln v. 3.11.2014 – 2 U 82/14, ZIP 2014, 2523. 3 Vallender, DB 2015, 231, 238.

1002

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Schutzschirmverfahren

9.111

ausgestatteter Schuldner automatisch oder nur mit gesonderter Erklärung1 Masseschulden begründet und dabei sämtliche potentiellen Massegläubiger gleich behandeln muss2. Richtigerweise bedarf es einer besonderen Begründungserklärung3, was schon aus dem Begriff Ermächtigung folgt. Wird von ihr kein Gebrauch gemacht, können die Wirkungen nicht eingreifen. Eine Pflicht zur Gleichbehandlung gibt es nicht. Wenn das Gericht bei einer Einzelermächtigung selektieren darf, darf es auch der Schuldner bei einer Pauschalermächtigung, die ihm Handlungserleichterungen schaffen, die Sanierung aber nicht durch unerwünschte Masseschulden erschweren soll. Der Ermächtigungsantrag muss denselben Anforderungen genügen, die an ihn auch im vorläufigen Regelinsolvenzverfahren gestellt werden. Dem Gericht steht kein Ermessen zu4. Ob es bei einer Einzelermächtigung verlangen kann, dass der Schuldner die dafür im Regel-Eröffnungsverfahren nach überwiegender Ansicht geltenden Voraussetzungen5 einhält, zu denen insbesondere die Erfüllbarkeit der von der Einzelermächtigung erfassten Verbindlichkeiten gehört, ist äußerst fraglich6. Da ein Anspruch sogar auf Erteilung einer Pauschalermächtigung besteht7, könnte das Gericht nur überprüfen, ob die ins Auge gefassten Verbindlichkeiten – falls sie zumindest in einer groben Umschreibung angegeben werden – dem durch die Bescheinigung bestätigten Sanierungskonzept entsprechen. Beurteilungsmaßstab für das Sanierungskonzept ist aber die offensichtliche Aussichtslosigkeit, nicht die – wie bei der Einzelermächtigung im Regeleröffnungsverfahren – Erfüllbarkeit. 5. Aufhebung des Schutzschirmverfahrens Das Schutzschirmverfahren ist gemäß § 270b Abs. 4 InsO vorfristig aufzuheben, 9.111 wenn die angestrebte Sanierung aussichtslos geworden ist oder ein vorläufiger Gläubigerausschuss bzw., falls ein solcher nicht bestellt wurde, ein Gläubiger dies beantragt. Aufgehoben wird nur die Anordnung gemäß § 270b Abs. 1 InsO, also die Frist für die Erarbeitung des Insolvenzplans, nicht hingegen die vorläufige Eigenverwaltung und insbesondere auch nicht die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters8. Das Gericht entscheidet durch Beschluss. Ein Rechtsmittel ist nicht gegeben (§ 6 Abs. 1 InsO). Nach dem Wortlaut des § 270b Abs. 4 InsO müsste unmittelbar nach der Aufhebung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entschieden werden. Doch wird es zu Recht für zulässig gehalten, dass die Entscheidung über die Insolvenzeröffnung noch zurückgestellt wird9. Falls die Gründe für die Aufhebung des Schutzschirms zugleich Nachteile der Eigenver-

1 So Frind, NZI 2014, 977, 980 und Spliedt, ZIP 2001, 1941 zur Rechtslage vor der Grundsatzentscheidung des BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625. 2 So Frind, NZI 2014, 977, 980. 3 A.A. Klinck, ZInsO 2012, 365, 369 f.: Allein das Gericht darf auswählen. 4 Beschl-Empf. RechtsA, BT-Drucks. 17/7511, S. 20, 37; LG Dresden v. 11.9.2013 – 1 O 1168/13, ZIP 2013, 2116. 5 Dazu Hölzle in Karsten Schmidt, § 21 InsO Rz. 65 ff. 6 Ablehnend: Vallender, GmbHR 2012, 450; Undritz, BB 2012, 1551, 1555. 7 RechtsAussch. BT-Drucks. 17/7511, S. 37; Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 111; a.A. Klinck, ZInsO 2014, 365, 371 f.; Vallender, DB 2015, 231, 235. 8 Vallender, GmbHR 2012, 450, 454. 9 Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 140.

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9.112

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

waltung erwarten lassen, wird das Gericht vorläufige Sicherungsmaßnahmen anordnen und hierdurch automatisch den Übergang in ein vorläufiges Regelinsolvenzeröffnungsverfahren herbeiführen. 9.112 Eintretende Zahlungsunfähigkeit ist nach § 270b Abs. 4 InsO vom Schuldner oder vorläufigen Sachwalter dem Gericht unverzüglich anzuzeigen. Eine Versäumung der Anzeige kann ein Indiz für eine verfahrensrechtliche Unzuverlässigkeit des Schuldners und damit einhergehende Nachteile der Gläubiger sein. 6. Eröffnungsentscheidung nach Fristablauf 9.113 Liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 270b Abs. 4 InsO nicht vor, hat das Gericht nach Ablauf der dem Schuldner zur Vorlage eines Insolvenzplans gesetzten Frist eine Entscheidung über die Verfahrenseröffnung zu treffen. Das Gericht muss nach Fristablauf eine Entscheidung treffen, und zwar auch dann, wenn der Schuldner keinen Plan vorgelegt hat. Die Säumnis kann, muss aber kein Umstand sein, der Nachteile für die Gläubiger erwarten lässt1, so dass das Verfahren auch in Eigenverwaltung eröffnet werden kann2. In der Praxis wird die Frist des § 270b Abs. 1 InsO vorsorglich in voller Länge beantragt, um einen späteren Diskussionsbedarf mit dem Insolvenzgericht zu vermeiden. Tritt die Entscheidungsreife für die Eröffnung vorher ein, kann der Schuldner die Eröffnung auch vorzeitig anregen, z.B. weil der Insolvenzgeldzeitraum schon früher abläuft oder die besonderen erst nach der Verfahrenseröffnung eingreifenden Befugnisse insbesondere im kollektiven Arbeitsrecht (§§ 120 ff. InsO) ausgeübt werden sollen. Statt einer Verfahrenseröffnung kann das Gericht auch das Eröffnungsverfahren fortsetzen und bspw. einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen. Das widerspricht nicht dem Wortlaut des § 270b Abs. 4 Satz 3 InsO, weil nur über die Verfahrenseröffnung, nicht aber auch über die Zurückweisung des Eröffnungsantrags zu befinden ist, falls die Eröffnungsentscheidung noch zurückgestellt werden muss. Erforderlich kann das sein, wenn der Insolvenzgeldzeitraum noch nicht abgelaufen oder die Verfahrenskostendeckung fraglich (geworden) ist. 9.114 Mit der Eröffnung wird der vorläufige Sachwalter zum Sachwalter bestellt. Hat sich an den Schutzschirmvoraussetzungen nichts geändert, muss das Gericht den vom Schuldner mitgebrachten Sachwalter bestellen. Dies folgt aber aus dem Zweck des § 270b InsO, das Verfahren für den Schuldner planbar zu machen. Liegen allerdings Gründe vor, aus denen sich die Ungeeignetheit des Sachwalters i.S. von § 56 InsO ergibt, muss eine andere Person bestellt werden. Wird statt der Eigenverwaltung die Regelabwicklung angeordnet, wird der bisherige Sachwalter wie nach einem Eröffnungsverfahren in Eigenverwaltung ohne Schutzschirmanordnungen zum Insolvenzverwalter bestellt. Allein, dass er ursprünglich vom Schuldner „mitgebracht“ wurde, steht seiner Unabhängigkeit nicht entgegen, sondern mag nur zusammen mit anderen Umständen ein Indiz dafür sein.

1 Weber/Knapp, ZInsO 2014, 2245, 2253. 2 BT-Drucks. 17/7511, S. 20, 37.

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Verfahrens- und Beratungskosten

9.116

IV. Verfahrens- und Beratungskosten Der vorläufige1 und der endgültige Sachwalter (§ 12 InsVV) erhalten eine Ver- 9.115 gütung von jeweils 60 % der Regelvergütung eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters. Nach §§ 10, 3 InsVV sind im Einzelfall Zuschläge zu gewähren. § 12 Abs. 2 InsVV nennt als Beispiel die Anordnung eines Zustimmungsvorbehaltes. Wie beim vorläufigen Insolvenzverwalter ist der Bruchteil der Regelvergütung unmittelbar zu erhöhen2. Bei gleichem Arbeitsaufwand ist der dem vorläufigen Sachwalter gebührende Zuschlag in gleicher Höhe zu bemessen wie beim Sachwalter im eröffneten Verfahren3. Die Vergütung eines CRO/CIO4 ist gesetzlich nicht geregelt. Hierüber muss er 9.116 mit der Gesellschaft – vertreten durch die Gesellschafter, wenn er zum Geschäftsführer bestellt wird5 und nicht nur Berater ist – eine Vereinbarung treffen, bei der die erhöhte Haftungsgefahr für Fehler der Mitgeschäftsführer und vor allem zu berücksichtigen ist, dass der CRO/CIO nicht nur für die Beachtung der insolvenzrechtlichen Verfahrensvorschriften und die Durchführung der spezifischen Schuldneraufgaben im Rahmen der Eigenverwaltung zuständig ist, sondern er auch als Mediator zwischen den verschiedenen Interessengruppen fungiert, was durchaus dem Zeitaufwand eines Sachwalters übersteigen kann. Sofern nicht eine aufwandsabhängige Vergütung nach Zeiteinsatz6 oder nach bestimmten Arbeitsschritten7 erfolgt, hat sich als Pauschalvergütung eine gewisse Usance dahingehend herausgebildet, wonach der CRO/CIO zwei Drittel der Vergütung des Sachwalters erhält. Damit fallen für beide insgesamt 100 % der vergleichbaren Vergütung eines Insolvenzverwalters im Regelverfahren an. Beschränkt sich die Tätigkeit des Insolvenzspezialisten auf die Vorbereitung des Insolvenzantrags und die Betreuung nur einiger verfahrensrechtlicher Fragen, wird sein Honorar wesentlich geringer sein.

1 AG Essen v. 3.11.2014 – 166 IN 155/13, ZIP 2015, 538; AG Essen v. 17.1.2014 – 164 IN 135/13, NZI 2014, 271; AG Wuppertal v. 26.5.2014 – 145 IN 751/13, ZIP 2015, 541; LG Bonn v. 11.10.2013 – 6 T 184/13, ZIP 2014, 694; AG Köln v. 13.11.2012 – 71 IN 109/12, ZIP 2013, 426; a.A. AG Göttingen v. 28.11.2012 – 74 IN 160/12, ZIP 2013, 36; AG Hamburg v. 20.11.2013 – 67g IN 419/12, ZIP 2014, 237. 2 LG Bonn v. 11.10.2013 – 6 T 184/13, ZIP 2014, 694; zum vorläufigen Insolvenzverwalter: BGH v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518; für eine unterschiedliche Behandlung der Zuschläge s. Budnik, NZI 2014, 247. 3 BGH v. 4.11.2004 – IX ZB 52/04, NZI 2005, 106. 4 Zum Aufgabenbereich: Klein/Thiele, ZInsO 2013, 2233. 5 Zur Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Geschäftsführer: Uwe H. Schneider/Hohenstatt in Scholz, § 35 GmbHG Rz. 311 ff. 6 Lt. KPMG AG, „CRO-Quo Vadis? Der –Chief Restructuring Officer (CRO)’ im deutschen Restrukturierungsmarkt“, 2007 beliefen sich schon vor knapp zehn Jahren die Tagessätze auf 1 500,00 Euro bis 3 000,00 Euro. Angesichts der erheblichen Zunahme von Eigenverwaltungen sind die Tagessätze im Verfahren ab 500 Arbeitnehmern nennenswert höher, allerdings abhängig von Dauer und Häufigkeit des Einsatzes, vgl. Klein/Thiele, ZInsO 2013, 2233, 2242. 7 Z.B. Due Diligence, Grobkonzept, Insolvenzantrag, Planentwurf, Verhandlungen mit Gläubigern etc.

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9.117

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

9.117 Bei den Gesamtkosten sind noch die Honorare für die Bescheinigung nach § 270b InsO sowie anderer Berater, insbesondere im leistungswirtschaftlichen1 und steuerrechtlichen Bereich zu berücksichtigen. Hinzukommen Kosten für die Bewertung des Unternehmens, soweit sie zur Vorbereitung der Entscheidung über Obstruktionsverbot (§ 245 InsO), Minderheitenschutz (§ 251 InsO) oder Rechtsmittel (§ 253 InsO) bei einem Insolvenzplan sinnvoll ist. Tendenziell ist die Eigenverwaltung bei Betreuungs- und Verwaltungskosten teurer als ein Regelinsolvenzverfahren, in dem kein Insolvenzplan und allenfalls eine übertragende Sanierung angestrebt wird. Allein das begründet keinen Nachteil, der gemäß § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO der Eigenverwaltung entgegensteht. Der Mehraufwand kann durchaus gerechtfertigt sein; denn bei der übertragenden Sanierung übernimmt die Sanierungsaufgaben der Käufer, der die Kosten vom Kaufpreis abzieht. Sie sind geringer als bei einer Eigensanierung, wenn der Käufer das entsprechende Know-how hat und sich Synergieeffekte einstellen sollen, können aber auch höher liegen, wenn das Sanierungs-Know-How nicht vorhanden ist. Außerdem ist die Integration einer erworbenen in eine bestehende Organisation mit Reibungsverlusten verbunden, die ein Käufer kaufpreismindernd ansetzen wird. Die Kosten für eine Unternehmensbewertung oder für einen M & A-Prozess können ebenfalls im Regelinsolvenzverfahren anfallen. Höher werden die steuerrechtliche und die gesellschaftsrechtliche Beratung liegen sowie die Kosten für die Koordination mit Schuldverschreibungsgläubigern2. Dem kann die Erhaltung eines Unternehmenswertes gegenüberstehen, der bei einer übertragenden Sanierung wegen der an den Schuldner rechtlich (z.B. Verträge) oder tatsächlich (z.B. Mitarbeitertreue, Know-How) gebundenen Vermögenswerte verloren gehen würde. 9.118 Die Mehrkosten werden nicht durch eine „Steuerersparnis“ (teilweise) kompensiert, weil § 55 Abs. 4 InsO in der vorläufigen Eigenverwaltung nicht gilt3. Das bedeutet keine Aufwandsvermeidung, sondern nur eine Aufwandsverschiebung von Masseschulden in Insolvenzforderungen4. Allein die ausbleibende Masseschmälerung ist keine Rechtfertigung für im Vergleich zur Regelverwaltung überhöhte Kosten5. 9.119 Die wirtschaftliche Vertretbarkeit der Aufwendungen obliegt der Entscheidung des Sachwalters. Er muss ihnen zustimmen, da sie nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, mag der Zweck der Gesellschaft jetzt auch auf Sanierung gerichtet sein, was aber nur vorübergehend – also gerade ungewöhnlich – ist. Schon vorher hat er in seine Ermittlungen etwaiger Nachteile (§ 274 Abs. 3 InsO) auch die Verfahrenskosten einzubeziehen6, was natürlich in dem Anfangsstadium des Verfahrens nur anhand von sehr groben Prämissen möglich ist. Die vor dem Insolvenzantrag entrichteten Vergütungen muss er auf die Anfechtbar-

1 Einschließlich „personalwirtschaftlichen“. 2 Zum Erstattungsanspruch gegen die Masse s. Antoniadis, NZI 2014, 785 (nachrangige Insolvenzforderungen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO); Brenner, NZI 2014, 789 (Masseverbindlichkeit). 3 Kahlert in Kübler, HRI, § 57 Rz. 42 f. 4 A.A. Buchalik/Hiebert, ZInsO 2014, 1423, 1425, 1430. 5 Henkel, ZIP 2015, 562, 563. 6 AG Hamburg v. 20.12.2013 – 67g IN 419/12, ZIP 2014, 237.

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Verfahrens- und Beratungskosten

9.121

keit prüfen (§ 280 InsO). Unabhängig davon können unangemessene Beratungskosten auch eine Haftung der Geschäftsführung begründen. Vor einer Prüfung der tatsächlichen Angemessenheit steht die der rechtlichen Zu- 9.120 lässigkeit, ob Beratungskosten zulasten der Masse gehen dürfen. Der BGH hatte das für die mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans verbundenen Kosten unter dem Blickwinkel eines anfechtungshindernden Bargeschäfts (§ 142 InsO) verneint. Den Gesetzesmaterialen sei zu entnehmen, dass der Schuldner keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Masse habe1. In der Tat hatte der InsOE in einem § 256 Derartiges vorgesehen. Sogar die Verfahrenskosten, die durch die Behandlung des Plans zusätzlich entstehen, sollte der Planinitiator tragen, falls keine abweichende Regelung im Insolvenzplan getroffen wurde2. Der Rechtsausschuss hat diese Vorschrift zwar gestrichen, aber nur deshalb, weil sie keine praktische Bedeutung habe. Wenn der Schuldner einen eigenen Plan ausarbeite, besorge er ein eigenes Geschäft und nicht eines der Masse oder der Gläubigergesamtheit3. Schon in der erwähnten Entscheidung zur Anfechtbarkeit von Honorarvorschüssen hat der BGH die Konsequenzen nicht widerspruchsfrei gezogen, weil er eine Besicherung des Honoraranspruchs für möglich hielt, was naturgemäß ihre Berechtigung zulasten der Masse voraussetzt4. Unabhängig davon beziehen sich die Gesetzesmaterialien auf den Schuldnerplan in Konkurrenz zum Verwalterplan. Die Kosten, die im Zusammenhang mit dem von einem Verwalter ausgearbeiteten Insolvenzplan verbunden sind, können unbestritten zulasten der Masse gehen, entweder als Zuschlag zur Verwaltervergütung (§ 54 Nr. 2 InsO, § 3 Abs. 1e InsVV) und/oder als Honorar für Dritte, § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Entsprechendes muss über die Generalverweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO in der Eigenverwaltung für den Schuldner gelten, zumal die Gesellschafter ihre Anteile durch den Plan verlieren können (§ 225a InsO), so dass ihnen eine vorrangige Kostentragungslast nicht zugemutet werden kann. Auch gibt es kein konkurrierendes Planinitiativrecht des Sachwalters, dessen Kosten Vorrang vor denen des Schuldnerplans haben könnten. Zur tatsächlichen Angemessenheit könnte daran gedacht werden, die Rechtspre- 9.121 chung zum Bargeschäft heranzuziehen. Danach hat ein bloßes „Konzeptpapier“ keinen „praktischen Nutzen“ für die Gläubiger. Das soll erst der Fall sein, wenn ein daraus entwickelter Insolvenzplan die Zustimmung der Gläubiger erwarten lässt5. Zum Ausschluss eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners i.R.d. § 133 Abs. 1 InsO ist es gefestigte Rechtsprechung, dass ein Sanierungskonzept über das „Planungsstadium einzelner Sanierungen“ durch die „Entwicklung von Plänen und die Erörterung von Hilfsmöglichkeiten“ hinausgehen muss, damit eine „begründete Aussicht auf Erfolg“ besteht6. Angesichts dieser Voraussetzung dürfte ein (vorläufiger) Sachwalter einer Zahlung von Honoraren erst zustimmen, wenn ein Leistungsergebnis erreicht wurde, das einen Sanierungserfolg erwarten lässt. Bis dahin müsste der Berater auf eigenes Risiko vor1 2 3 4 5 6

BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 234 Rz. 21. RegE InsOE BT-Drucks. 12/2443, S. 50. BT-Drucks. 12/2302, S. 182. So der zutreffende Hinweis vom LG Berlin v. 26.6.2014 – 63 O 11/14, ZIP 2014, 1688. BGH v. 6.4.2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232 Rz. 24. BGH v. 3.4.2014 – IX ZR 201/13, ZIP 2014, 1032, Rz. 40 f.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

leisten. Ein Vorschuss ist nach herrschender Meinung kein Bargeschäft, weil allein der damit erworbene Anspruch auf künftige Tätigkeit kein gleichwertiger Ausgleich ist1. Vor allem aber steht im Zahlungszeitpunkt noch nicht fest, ob das Tätigkeitsergebnis „praktischen Nutzen“ für die Gläubiger haben wird. Für die Angemessenheit sollte es stattdessen genügen, wenn der Aufwand zur Erreichung einer finanz- und leistungswirtschaftlichen Sanierung sinnvoll ist. Dazu sollten kurzfristige Zwischenergebnisse vereinbart werden. Anfechtungsrechtlich hat der BGH solche Zwischenstadien zwar als eine gläubigerbenachteiligende „Entwicklung von Plänen und die Erörterung von Hilfsmöglichkeiten“2 angesehen. Auf die mit einer Eigenverwaltung verbundenen Kosten ist das jedoch nicht übertragbar. Der Beurteilungsmaßstab folgt aus § 270b Abs. 1 InsO: Solange sich die Sanierung aufgrund eines Zwischenergebnisses nicht als offensichtlich aussichtslos erweist, darf „weitergemacht“ werden3. Eine Krisenberatung gegen angemessene Vergütung darf weder an § 133 Abs. 1 InsO4 noch an der Geschäftsführerhaftung oder der Ablehnung durch einen vorläufigen Sachwalter scheitern, wenn das Ziel des ESUG, einen Anreiz zur Sanierung im Insolvenzverfahren zu bieten5, nicht unterlaufen werden soll. Das gilt auch schon für das Honorar, das zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags entrichtet wird. Der BGH hat in dem oben angeführten Urteil zwar die Auffassung vertreten, dass die dortige GmbH nach der Kenntnis vom Insolvenzgrund den Antrag auch ohne Hinzuziehung eines Beraters hätte stellen können6. Angesichts der durch §§ 13, 22a InsO gestiegenen Anforderungen, deren Erfüllung die Insolvenzgerichte in die Nachteilsprognose bei einer Eigenverwaltung einfließen lassen (Rz. 9.22 ff.), ist die verfahrensrechtliche Beratung ein notwendiger Bestandteil der Sanierung7.

V. Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung 1. Einfluss der Gesellschafter auf die Geschäftsführung a) Grundsatz 9.122 Außerhalb eines Insolvenzverfahrens kann die Gesellschafterversammlung gemäß § 45 GmbHG sämtliche Geschäftsführungsmaßnahmen an sich ziehen, so1 Ganter/Weinland in Karsten Schmidt, § 142 InsO Rz. 27, 43. 2 BGH v. 3.4.2014 – IX ZR 201/13, ZIP 2014, 1032 Rz. 40. 3 A.A. evtl. Buchalik/Hiebert, ZInsO 2014, 1423, 1424f., 1427, 1430: Gegenüberstellung im konkreten Einzelfall. 4 LG Berlin v. 26.6.2014 – 63 O 11/14, ZIP 2014, 1688; LG Würzburg v. 16.12.2013 – 93 O 2268/12, ZInsO 2014, 564; Ganter, ZIP 2012, 2303, 2041. 5 Begr. RegE BT-Drucks. 12/5712, S. 1. 6 BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232. 7 Bei alldem ist jeweils zu beachten, dass vor dem Antrag erbrachte Tätigkeiten auch vorher bezahlt werden. Die nachschüssige Bezahlung ist wegen der bereits im Eröffnungsverfahren analog § 105 InsO vorzunehmenden Abgrenzung genauso unzulässig wie die Vergütung von Warenlieferungen und (sonstiger) Werkleistungen. Es gibt kein Beraterprivileg (a.A. evtl. Buchalik/Hiebert, ZInsO 2014, 1423, 1429 f.). Außerdem muss der zeitliche Zusammenhang (s. die Dar- und insbesondere berechtigte Klarstellung der Rechtsprechung zu Dienstleistungen bei Ganter, ZIP 2012, 2037 sowie Ganter/Weinland in Karsten Schmidt, § 142 InsO Rz. 31 ff.) zwischen Honorarzahlung und Beratungsleistung gewahrt werden.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

9.123

weit der Gesellschaftsvertrag nicht entgegensteht. Demgegenüber heißt es in § 276a InsO, dass „die Gesellschafterversammlung oder entsprechende Organe keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners“ haben. Das Motiv ist laut BegrRegE, „dass die Überwachungsorgane bei Eigenverwaltung im Wesentlichen keine weitergehenden Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsführung haben sollen als in dem Fall, dass ein Insolvenzverwalter bestellt ist“1. Dem ist entgegenzuhalten, dass es in der GmbH, anders als bei der AG (§§ 76 Abs. 1, 111 Abs. 1 AktG), „keinen Kernbereich eigenverantwortlicher Geschäftsführung“2 gibt. Die Gesellschafter können nicht nur jede Geschäftsführungsmaßnahme an sich ziehen, sondern entscheiden auch bei einer Patt-Situation zwischen mehreren Geschäftsführern, eine Kompetenz, die gerade bei weichenstellenden Maßnahmen in der Eigenverwaltung wichtig ist, weil der Sachwalter die Lücke nicht füllen darf. Eigenverwaltung durch den Schuldner ist auch Willensbildung durch den Schuldner3. Sie vollzieht sich im Rahmen des gesellschaftsrechtlichen Organisationsstatuts. Wenn die BegrRegE darauf verweist, dass es keines zusätzlichen Überwachungsorgans bedarf4, wird verkannt, dass es nicht um Überwachung, sondern um eben diese Willensbildung geht. Das Insolvenzrecht dürfte den gesellschaftsrechtlichen Einfluss nur verdrängen, wenn der Insolvenzzweck den Entscheidungsspielraum der Gesellschafter auf „0“ reduziert hätte, was bei den kaufmännischen Themen aber selten der Fall ist. Eine insolvenzzweckwidrige Weisung ist ohnehin unverbindlich5, weil die Geschäftsführung die an die Gesellschaft als eigenverwaltende Schuldnerin adressierten Normen aufgrund ihrer Legalitätspflicht6 beachten muss. Gleiches gilt für die Gesellschafter, wenn sie Geschäftsführungsaufgaben wahrnehmen. Eine Beschränkung des Gesellschaftereinflusses kann nicht damit gerechtfertigt 9.123 werden, dass Gesellschafter in der Insolvenz zu besonders risikoreichen Geschäften neigen, weil ein überproportionaler Gewinn es ermöglichen würde, dass die Gesellschaft wie Phoenix aus der Asche wieder in ein insolvenzfreies Leben aufsteigt, während ein Verlust nur die Gläubiger belastet (gambling for resurrection)7. Es ist keineswegs so, dass die Gesellschafter in der Eigenverwaltung sanierungsfeindlich sind und die Geschäftsführer vor ihnen geschützt werden müssen. So geht bspw. die principal-agent-theory davon aus, dass es gerade nicht der Prinzipal (Geschäftsinhaber, Gesellschafter), sondern der Agent (Geschäftsführer) ist, der 1 Begr. RegE BT-Drucks. 17/5712, S. 42. 2 Haas in FS Stürner, 2013, S. 748, 756. 3 Karsten Schmidt, BB 2011, 1603, 1607: „Der eigenverwaltende Vorstand oder Geschäftsführer ist genuines Organ der Gesellschaft, nicht dagegen ein Insolvenzverwalterersatz ohne gesellschaftsrechtliche Einbindung“. 4 Begr. RegE BT-Drucks. 17/5712, S. 42. 5 Ähnlich Undritz in Karsten Schmidt, § 276a InsO Rz. 2. 6 Uwe H. Schneider in Scholz, § 49 GmbHG Rz. 74 ff. 7 Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 276a InsO Rz. 8; Klöhn, NZG 2013, 81, 83; vgl. schon Jungmann, NZI 2009, 80, der ebenfalls unter Hinweis auf unterschiedliche Risikopräferenzen von Insolvenzgläubigern und Gesellschaftern eine analoge Anwendung der Business Judgement Rule auf Entscheidungen von Insolvenzverwalter und Organen des eigenwaltenden Schuldners verneint. Gemeinsam ist diesen Überlegungen, dass sie auf unterstellten Verhaltensmustern beruhen, die keineswegs zwingend sind und deshalb für die Gesetzesauslegung nur herangezogen werden dürfen, wenn es Anhaltspunkte gäbe, dass sie in die Gesetzesfassung eingeflossen wären.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

einen Informationsvorsprung zu eigenen Gunsten, aber auf Risiko des Geschäftsherrn nutzen könnte. Die Diskussionen um ein Konzerninsolvenzrecht zeigen, dass eine Koordination der Sanierung trotz der Gesellschafteridentität durchaus im Gläubigerinteresse liegen kann1. Ausgerechnet in der Eigenverwaltung könnte dieses Ziel durch die Blockierung des Gesellschaftereinflusses konterkariert werden2. Teilweise wird eine teleologische Reduktion des Einflussverbots vertreten, indem analog § 276a Satz 2 InsO eine Einflussnahme zulässig sein soll, soweit sie nicht von Nachteil für die Gläubiger ist. § 276a InsO würde dann aber die Zustimmung des Sachwalters zur Einflussnahme verlangen3. Weisungen werden jedoch nur im Konfliktfall relevant, dessen Lösung eine Ermessungsentscheidung ist, so dass der Sachwalter nur sehr selten die Zustimmung verweigern dürfte4, womit die Weisungsabhängigkeit der Geschäftsführer wieder zur Regel werden würde, was dem eindeutigen Wortlaut des Satzes 1 widerspricht. Nach der jetzigen Gesetzeslage ist jedwede Weisung unzulässig. 9.124 Die Gesellschafter können die Beschränkungen des § 276a InsO leicht dadurch umgehen, dass sie vor der Insolvenzeröffnung ein Mitglied in die Geschäftsführung entsenden und die Vertretungsmacht anderer Geschäftsführer zumindest bei bestimmten Arten von Geschäften seiner Zustimmung unterwerfen. Während im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Zustimmungsvorbehalte der Gesellschafter von § 276a InsO erfasst werden5, bleiben organinterne Vertretungsregelungen und Kooperationspflichten für die Geschäftsführung unberührt6 Da die GmbH die typische Organisationsform für inhabergeführte Unternehmen ist, wandelt sich § 276a InsO von einer Vorschrift zum Schutz der Geschäftsführer zu einer Vorschrift zum Schutz der Mehrheit vor der Minderheit; denn die Geschäftsführer werden von der Mehrheit bestellt, die ihre Belange de facto weiterhin durchsetzen kann, während die die Minderheit in Gesetz oder Gesellschaftsvertrag schützenden Rechte durch § 276a InsO gesperrt werden. Eine Verfassungswidrigkeit dieser „Entmachtung“ der Gesellschafter wird im Gegensatz zum Ausschluss des Gesellschafters durch Insolvenzplan gemäß § 225a Abs. 2 InsO7 nicht diskutiert, obwohl an der Verhältnismäßigkeit erhebliche Zweifel bestehen8. b) Geschäftsführerbestellung und -abberufung 9.125 Der Gesetzgeber hat den eben erwähnten Ausweg, die Verdrängung des Gesellschaftereinflusses durch die Bestellung willfähriger Geschäftsführer zu umgehen, durchaus gesehen und den Gesellschaftern mit § 276a Satz 2 InsO die Freiheit zur 1 Ohne daraus allerdings im RegE BT-Drucks. 18/407 Konsequenzen für § 276a InsO zu ziehen. 2 Bilgery, ZInsO 2014, 1694, 1696 f. 3 Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1494; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 275. 4 Klöhn, NZG 2013, 41, 43, hält jede Einflussnahme im Schuldnerbereich für einen Nachteil. 5 Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 276a InsO Rz. 37. 6 Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 276a InsO Rz. 31 f. 7 Spliedt in Karsten Schmidt, § 225a InsO Rz. 7 ff. 8 Kritisch auch, ohne jedoch die Verfassungsmäßigkeit in Abrede zu stellen: Karsten Schmidt, BB 2011, 1603, 1606 f.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

9.127

Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung beschnitten, indem dies von der Zustimmung des Sachwalters abhängig gemacht wird. Er muss sie erteilen, wenn die Maßnahme nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führt. Ein non-liquet geht zu seinen Lasten1. Das Gesetz hält keine Regelung für den Fall bereit, dass sich der Sachwalter zu Unrecht weigert, einer Personalmaßnahme zuzustimmen. Es bleibt nur, eine Aufsichtsmaßnahme des Gerichts bis hin zu seiner Abberufung anzuregen (§§ 274 Abs. 1, 58 f. InsO)2 Im Gesetz nicht angesprochen wird das Schicksal der Geschäftsführerverträge. Sie 9.126 überdauern die Insolvenzeröffnung und können nur mit der insolvenzrechtlichen Sonderfrist des § 113 InsO gekündigt werden (Rz. 7.207 ff.). Seitens der Gesellschaft ist dafür die Gesellschafterversammlung zuständig3. Die Gesellschafter dürfen die Einschränkung ihrer Bestellungsbefugnis aber nicht dadurch unterlaufen, dass sie die Vergütung eines Geschäftsführers, zu dessen Abberufung die Zustimmung des Sachwalters fehlt, unzumutbar reduzieren. Der Konflikt kann nur so gelöst werden, dass die Zustimmung des Sachwalters auch für die Änderung des Geschäftsführervertrages erforderlich ist und dies nicht nur interne Bedeutung wie bei § 275 InsO hat, sondern konstitutive Außenwirkung gegenüber dem Geschäftsführer. Bei der Nachteilsabwägung muss der Sachwalter entscheiden, ob der Wegfall eines Geschäftsführers, der das Amt zu geänderten Bedingungen nicht weiter ausüben will, nachteiliger ist als die Kostenersparnis durch die Vergütungsreduzierung. Die Konsequenz der mit Außenwirkung versehenen Mitwirkungsbefugnis ist, dass die Einwilligung des Sachwalters der Kündigungserklärung zur Vermeidung einer Zurückweisung gemäß §§ 182 Abs. 3, 111 BGB beigefügt werden muss4. Im umgekehrten Fall, dass die Gesellschafterversammlung einen Geschäftsführer neu bestellen will, sollte ebenfalls die Zustimmung für den wirksamen Abschluss des Anstellungsvertrages erforderlich sein. Das folgt schon aus § 275 Abs. 1 InsO, hat nach dieser Vorschrift aber keine Außenwirkung. c) Zeitlicher Anwendungsbereich des § 276a InsO Die Einflusssperre zulasten der Gesellschafter ist erst bei den nach der Verfah- 9.127 renseröffnung eingreifenden Vorschriften geregelt. Auch Personalentscheidungen muss nur der Sachwalter und nicht schon der vorläufige Sachwalter zustimmen. Somit könnten im Eröffnungsverfahren noch schnell vollendete Tatsachen geschaffen werden, wenn man § 276a InsO nicht schon in diesem Verfahrensstadium anwenden würde5. Andererseits kann die GmbH den Antrag jederzeit vor Verfahrenseröffnung zurücknehmen, solange nur eine drohende Zahlungsunfähigkeit gegeben ist. Diese – wenngleich nur höchst formelle – Dispositionsbefugnis besteht erst danach nicht mehr, was es konsequent erscheinen lässt, vorher die Rolle der Gesellschafter nicht zu beschneiden. Eine Entscheidung über die 1 Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 276a InsO Rz. 58; a.A. Undritz in Karsten Schmidt, § 276a InsO Rz. 4. 2 Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 276a InsO Rz. 61. 3 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 35 GmbHG Rz. 167. 4 BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, ZIP 2003, 1161 zur Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, die der Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters bedarf. 5 Damit rechtfertigt Haas in FS Stürner, 2013, S. 749, 766 eine Vorziehung des § 276a InsO. Hölzle, ZIP 2427, 2429 verlangt zumindest ein Veränderungsverbot.

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9.128

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

Rücknahme des Antrages fällt genauso in ihre Zuständigkeit wie die über die Einreichung des Antrags (Rz. 9.6). Außerdem sind die Gläubiger bis zur Verfahrenseröffnung noch durch die – weisungsresistente1 – Geschäftsführerhaftung gemäß § 64 GmbHG geschützt (Rz. 9.148). Vor allem aber verbieten Wortlaut und systematische Stellung eine teleologische Erstreckung des § 276a InsO auf die Zeit vor Verfahrenseröffnung2. Eine unbeabsichtigte Gesetzeslücke kann nicht unterstellt werden. So hat der Gesetzgeber beim vorläufigen Sachwalter ausdrücklich die dem Wortlaut nach erst ab Eröffnung geltenden §§ 274 f. InsO auch im Eröffnungsverfahren für anwendbar erklärt, eine solche Vorziehung für das Einflussverbot aber unterlassen. d) Verbliebener Einflussbereich der Gesellschafter 9.128 Außerhalb eines Insolvenzverfahrens fallen Grundlagengeschäfte nicht unter die Geschäftsführungskompetenz (Rz. 1.124)3. Dazu gehören Maßnahmen, die außerhalb des Satzungszwecks liegen oder mittelbar4 die Verfolgung des Satzungszwecks erheblich verändern. Da schon allein die Insolvenzeröffnung gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG die Änderung vom werbenden in den abwickelnden Zweck bedeutet und hierbei sämtliche Aktiva zu versilbern sind (§ 70 GmbHG), könnte eine Einschränkung der Geschäftsführungsbefugnis nur damit gerechtfertigt werden, dass mit der Eigenverwaltung kein Liquidations-, sondern ein Sanierungszweck verfolgt wird. § 276a InsO definiert den Begriff der Geschäftsführung nicht. Der Vergleich mit den Befugnissen eines Insolvenzverwalters in der Begr. RegE5 lässt aber darauf schließen, dass damit die allumfassende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des § 80 Abs. 1 InsO gemeint ist6, „Geschäftsführung“ also das Amt und nicht den gesellschaftsrechtlich zulässigen Tätigkeitsbereich bezeichnen soll, so dass die Sperre auch für Maßnahmen von grundlegender Bedeutung gilt7. Das betrifft natürlich nur Maßnahmen, die auszuführen die Geschäftsführer aufgrund ihrer unbeschränkten (§ 37 Abs. 2 GmbHG) Vertretungsbefugnis in der Lage sind. Gesellschafterbeschlüsse einschließlich einer Änderung des Gesellschaftsvertrages können sie vornehmen. Darüber können aber die Gläubiger befinden, wenn dies Gegenstand eines von der Schuldnerin – und damit von der Geschäftsführung – eingereichten Insolvenzplans ist, so dass sich die Frage stellt, ob die Gesellschafter auf die Plangestaltung Einfluss ausüben können. 1 § 64 Satz 4 GmbHG verweist auf § 43 Abs. 3 GmbHG. 2 Undritz in Karsten Schmidt, § 276a InsO Rz. 2; Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 276a InsO Rz. 18; M. Hofmann in Kübler, HRI, § 6 Rz. 33, Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1494; a.A. Brinkmann, DB 2012, 1369 Fn. 50; Haas in FS Kübler, 2015, S. 203, 215 f.; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 273 f. 3 Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 37 GmbHG Rz. 15 ff. 4 So dass eine wesentliche Errungenschaft des ESUG in dem nunmehr gemäß § 225a InsO zulässigen Eingriff in Anteilsrechte gesehen wird, BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 – Gelatine I, ZIP 2004, 993. 5 Begr. RegE BT-Drucks. 17/5712, S. 42. 6 Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 276a InsO Rz. 28; a.A. Haas in FS Stürner, 2013, S. 751, 758 f., der die Grundlagengeschäfte wie bei der werbenden Gesellschaft definiert. 7 Klöhn, NZG 2013, 81, 85; Pleister in Flöther, Handbuch zum Konzerninsolvenzrecht, § 5 Rz. 15; Haas in FS Kübler, 2015, S. 203, 212 f.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

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Im Regelinsolvenzverfahren, mit dem die Gesetzesbegründung den Gesellschaf- 9.129 tereinfluss vergleicht1, wird2 zwischen Schuldnerbereich und Verdrängungsbereich unterschieden3. Im Schuldnerbereich kann der Schuldner ohne insolvenzrechtliche Restriktionen disponieren. Das betrifft beispielsweise die dem Insolvenzbeschlag nicht unterliegenden Gegenstände4, die Wahrnehmung der Verfahrensrechte wie insbesondere etwaiger Rechtsmittel und die Selbstorganisation wie die Durchführung von Gesellschafterversammlungen oder einer Kapitalerhöhung. Der Verdrängungsbereich wird hingegen abgesteckt durch die Reichweite der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters (§ 80 InsO), an dessen Stelle der Schuldner bei der Eigenverwaltung tritt. Als Drittes gibt es den „Überschneidungsbereich“5, auch als „Verdrängungsbereich II“6 bezeichnet. Dazu gehören die Angelegenheiten des Schuldnerbereichs, die einer insolvenzrechtlichen Regelung unterworfen werden können, was insbesondere7 für den Insolvenzplan zutrifft, durch den gemäß § 225a InsO in die ansonsten insolvenzfreien Gesellschafterrechte eingegriffen werden kann. Paradigma des Überschneidungsbereichs ist die Geschäftsführerbestellung – nicht zu verwechseln mit dem Anstellungsvertrag zulasten der Masse – die im Regelinsolvenzverfahren zum Schuldnerbereich gehört, in der Eigenverwaltung hingegen durch § 276a InsO partiell dem Verdrängungsbereich zugewiesen wird. Da der Schuldner in der Eigenverwaltung an die Stelle des Insolvenzverwalters 9.130 tritt, kann sich die Einflusssperre des § 276a InsO – außer auf die Besetzung der Geschäftsführung – auch nur auf den originären Verdrängungsbereich erstrecken8. Für den insolvenzfreien Bereich gilt sie nicht. Für den „Überschneidungsbereich“ oder „Verdrängungsbereich II“ stellt sich die Frage, ob die Gesellschafter der Geschäftsführung Weisungen für die Erstellung eines Insolvenzplans erteilen dürfen. Ein Planinitiativrecht hat außer beim Auftragsplan (§ 284 Abs. 1 InsO) nur der Schuldner, nicht auch die Gesellschafter, § 218 Abs. 1 InsO. Würde man eine Weisungsbefugnis wegen § 276a InsO ablehnen, könnte sich die Geschäftsführung gleichsam verselbständigen und die Gesellschafter im Rahmen der §§ 225a, 254a Abs. 2 InsO hinausdrängen oder beispielsweise im Plan eine erhebliche Verlängerung ihrer Amtszeit vorsehen9, ohne dass die Gesellschafter einen Alternativplan präsentieren dürften. Sie hätten nur die Möglichkeit, als Gruppe gegen den Plan zu stimmen, unterlägen dann aber regelmäßig dem Obstruktions1 2 3 4 5 6 7 8 9

Begr. RegE BT-Drucks. 17/5712, S. 42. Seit Weber, KTS 1970, 73. Ott/Vuia in Münchener Kommentar zur InsO, § 80 InsO Rz. 112. Zur umstr. Freigabe in der Gesellschaftsinsolvenz: Büröwe in Karsten Schmidt, § 35 InsO Rz. 38; zu Aktivprozessen, deren Aufnahme der Verwalter abgelehnt hat, vgl. § 85 Abs. 2 InsO. Ott/Vuia in Münchener Kommentar zur InsO, § 80 InsO Rz. 112. Hölzle in Kübler, HRI, § 31 Rz. 24. Aber nicht nur, sondern z.B. auch Maßnahmen, zu deren Vornahme es Mittel aus der Masse bedarf, z.B. Erfüllung kapitalmarktrechtlicher Pflichten, Ott/Vuia in Münchener Kommentar zur InsO, § 80 InsO Rz. 112c. Klöhn, DB 2013, 41, 42; Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 276a InsO Rz. 23; Undritz in Karsten Schmidt, § 276a InsO Rz. 3; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 275 f. Zu Planregelungen über die Organbesetzung: Spliedt in Karsten Schmidt, § 225a InsO Rz. 36.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

verbot, das allein an dem Ergebnis einer Liquidation, nicht aber an dem eines Alternativplans (§ 245 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 3 InsO) gemessen wird1. Ebenso kommt es für den Minderheitenschutzantrag (§ 251 InsO) und die sofortige Beschwerde auf einen Vergleich mit dem Ergebnis ohne einen Plan an. Auch hier spielt ein Alternativplan keine Rolle. Es gibt keinen Grund, den Einfluss der Gesellschafter auf die Plangestaltung zurückzudrängen. Da § 276a InsO erst nach Verfahrenseröffnung eingreift (Rz. 9.127), dürfen die Gesellschafter vor Verfahrenseröffnung den Inhalt eines insbesondere auch im Schutzschirmverfahren vorzubereitenden Plans bestimmen2. Dem Zweck dieser Vorbereitungsphase würde es widersprechen, wenn die Geschäftsführung nach Verfahrenseröffnung plötzlich aus eigener Machtvollkommenheit einen geänderten Plan vorlegen dürfte. Ihren Einfluss in der Eigenverwaltung zurückzudrängen, würde überdies die Anreizfunktion dieser Verfahrensalternative für einen möglichst frühzeitigen Antrag erheblich beeinträchtigen. 9.131 Der Einfluss auf die Plangestaltung kann allerdings durch die Veräußerung betriebsnotwendiger Vermögensgegenstände unterlaufen werden. Zwar sieht § 233 InsO die Möglichkeit vor, eine Verwertung auszusetzen. Das dient jedoch dem Schutz des Schuldners vor dem Verwertungsanspruch der (Sicherungs-)Gläubiger und ist deshalb auch nur auf einen Antrag des Schuldners (und wohl auch des Sachwalters) beschränkt. Die Gesellschafter sind nicht antragsbefugt. Der Wortlaut von § 276a InsO ist jedoch eindeutig. Der Verkauf wesentlicher Betriebsgrundlagen hängt nicht von einer Zustimmung der Gesellschafter ab3. Die Mitwirkungsbefugnis geht auf den Gläubigerausschuss bzw. die Gesellschafterversammlung über (§ 276 InsO). Eine Begrenzung des Einflussverbots analog Satz 3 auf nachteilige und ansonsten der Zustimmung des Sachwalters bedürftige Weisungen kommt nicht in Betracht (Rz. 9.123). Bei einem tiefgreifenden Dissens zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführer bleibt nur dessen Abberufung. Seine dafür erforderliche Mitwirkung wird der Sachwalter nur verweigern dürfen, wenn sich das Ermessen bei einem Verkauf auf null reduziert hat. e) Auskunfts- und Einsichtsrechte der Gesellschafter 9.132 Die Ausübung des den Gesellschaftern gemäß § 51a GmbHG zustehenden Auskunfts- und Einsichtsrechts macht nur Sinn, wenn die Gesellschafter mit den erhaltenen Informationen auch etwas anfangen können. Da sie keine Weisungsbefugnisse haben und es nach der Begr. RegE zu § 276a InsO keiner Kontrolle der Geschäftsführung durch die Gesellschafter bedarf, könnte ihnen auch ein berechtigtes Informationsinteresse fehlen4. Andererseits werden den Gesellschaftern sogar im Regelinsolvenzverfahren die Rechte des § 51a GmbHG zugebilligt5. In der Eigenverwaltung kommt hinzu, dass die Gesellschafter auf die Plangestal1 2 3 4

Spliedt in Karsten Schmidt, § 245 InsO Rz. 4. Haas in FS Kübler, 2015, S. 203, 209. Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 276a InsO Rz. 28. AG Montabaur v. 19.6.2012 – HRB 20744, ZIP 2012, 1307 zur Einberufung einer Hauptversammlung. 5 Karsten Schmidt in Scholz, § 51a GmbHG Rz. 16; Zöllner in Baumbach/Hueck, § 51a GmbHG Rz. 9.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

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tung über Weisungen an die Geschäftsführung einwirken können1 (Rz. 9.130), was – nicht zuletzt auch im Sinne der Gläubiger – nur effizient ist, wenn die Gesellschafter über die aktuellen Entwicklungen informiert werden. Vor allem aber setzt die den Gesellschaftern verbliebene eingeschränkte Kompetenz zur Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer voraus, dass sie über die Angelegenheiten der Gesellschaft informiert werden. Deshalb können sie auch im Verdrängungsbereich nicht nur von § 51a GmbHG2, sondern auch von etwaigen darüber hinausgehenden Befugnissen Gebrauch machen wie insbesondere die Vorlage – wegen § 276a InsO nicht aber mehr die Genehmigung – von Unternehmensplanungen3. 2. Gesellschafterdarlehen Ein Insolvenzantrag hat regelmäßig einen neuen Liquiditätsbedarf zur Folge, weil 9.133 Kredite gekündigt und Lieferungen auf Vorkasse umgestellt werden. Stellen die Gesellschafter einen Kredit nach Verfahrenseröffnung zur Verfügung, unterliegt die Rückzahlung nicht den Durchsetzungsbeschränkungen, die für Gesellschafterdarlehen seit dem MoMiG in der InsO geregelt sind; denn sie gelten nur für Ansprüche der Gesellschafter, die als Insolvenzforderungen anzusehen, mithin bis zur Insolvenzeröffnung entstanden sind, §§ 38, 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Das Zahlungsverbot des § 64 Satz 3 GmbHG gilt nach Verfahrenseröffnung ohnehin nicht mehr (Rz. 9.147). Wird das Gesellschafterdarlehen vor Verfahrenseröffnung ausgereicht, ist der Rückzahlungsanspruch im eröffneten Verfahren eine Insolvenzforderung im Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO4. Falls es binnen Jahresfrist vor Verfahrenseröffnung getilgt wird, ist der Betrag gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu erstatten. Das gilt auch, wenn das Darlehen erst nach dem Insolvenzantrag ausgereicht wird. Selbst kurzfristige Zwischenfinanzierungen der Gesellschafter sind als Darlehen i.S. von §§ 135, 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO anzusehen5. Auch werden Verbindlichkeiten gegenüber Mutter- und Schwestergesellschaften aus einem konzerninternen Zahlungsverkehr erfasst. Die Restriktionen für eine Gesellschafterfinanzierung enden erst mit der Verfahrenseröffnung6, Eine Ausnahme kann nicht mit der Einflussbeschränkung des § 276a InsO begründet werden, da auch sie erst ab Insolvenzeröffnung eingreift (s.o.). Vermieden werden kann der Nach1 Haas in FS Kübler, 2015, S. 203, 209. 2 Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 277; a.A. für den Verdrängungsbereich: Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 276a InsO Rz. 39; Undritz in Karsten Schmidt, § 276a InsO Rz. 2; Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 693, 697; Klöhn, DB 2013, 41, 44. 3 A.A. Klöhn, DB 2013, 41, 44; Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 276a InsO Rz. 39. 4 Eine Ausnahme gilt für die Gesellschafter, die nach dem Antrag Anteile zum Zwecke der Sanierung erworben haben, einmal unterstellt, dass eine Sanierung i.S. von § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO auch diejenige i.R. eines Insolvenzverfahrens ist. Ein Interessent wird es jedoch vorziehen, die Anteile erst durch einen bestätigten Insolvenzplan gemäß §§ 225a, 254a InsO zu erwerben. 5 BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 116/13, GmbHR 2014, 476; BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, GmbHR 2013, 464. 6 Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 39 InsO Rz. 38; a.A. ohne Begründung: Gehrlein in Münchener Kommentar zur InsO, § 135 InsO Rz. 19: Unanwendbarkeit schon ab Insolvenzantrag.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

rang nur durch eine Ermächtigung zur Begründung von Masseschulden1. Wird das Darlehen in Ausübung dieser Ermächtigung aufgenommen, gilt die Tilgungsverpflichtung insolvenzrechtlich analog § 55 Abs. 2 InsO als Masseverbindlichkeit, so dass § 135 InsO, der an Darlehen i.S. von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO anknüpft, nicht eingreift. 3. Gesellschaftsrechtliche Pflichten der Geschäftsführung 9.134 Gesellschaftsrechtlich haben die Geschäftsführer gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG „in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden“, bei deren Verletzung sie der GmbH solidarisch haften (§ 43 Abs. 2 GmbHG). Mit der Insolvenzeröffnung tritt die Gesellschaft in das Liquidationsstadium (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG), so dass sich vordergründig der werbende in einen abwickelnden Zweck wandelt. Ist aber das Ziel auf die Sanierung und damit die Fortsetzung der Gesellschaft gerichtet, wird der formale von diesem in der Regel von den Gesellschaftern beschlossenen und von den Geschäftsführern im Insolvenzantrag verlautbarten Verfolgung des Sanierungszwecks überlagert. Andererseits müssen die Geschäftsführer im Rahmen ihrer Legalitätspflicht darauf achten, dass die GmbH als Eigenverwalterin analog § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO „die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters“ anwendet. Die Insolvenzsituation ist regelmäßig durch fortlaufende Verluste gekennzeichnet ist. Die Frage lautet, ob der Geschäftsbetrieb unverzüglich eingestellt werden muss, wenn für die Gläubiger eine Quotenverschlechterung zu erwarten ist, ober ob die Geschäftsführung den aus Sicht der Gesellschaft eintretenden Quotengewinn berücksichtigen darf, wonach Verluste zwar zu einer geringeren Befriedigung der Gläubiger, dafür aber zu einem höheren Forderungsverzicht durch Insolvenzplan (§ 227 Abs. 1 InsO) führen können. Damit wird zwar das Verhaltensgebot der Gesellschaft als Eigenverwalterin verletzt. Ein Schaden der Gesellschaft entsteht aber nicht. Nur dann würden die Geschäftsführer haften. Das Korrektiv bildet allein die Nachteilsprognose bei der Anordnung oder Aufhebung der Eigenverwaltung. Absehbare Verluste begründen deshalb so lange keine Haftung gegenüber der Gesellschaft, solange die Geschäftsführer mit dem Erfolg eines Insolvenzplans und einen Quotengewinns rechnen dürfen. 4. Insolvenzverfahrensrechtliche Pflichten der Geschäftsführung 9.135 Insolvenzverfahrensrechtlich obliegen dem Geschäftsführer dieselben Mitwirkungs- und Auskunftspflichten wie im Regelverfahren (§ 274 Abs. 1 Satz 2 InsO). Dafür nennen §§ 97, 101 InsO als auskunftsberechtigt das Insolvenzgericht, den Insolvenzverwalter und den Gläubigerausschuss sowie auf gesonderte Anordnung des Gerichts auch die Gläubigerversammlung. Die Auskunftspflicht gegenüber dem Insolvenzverwalter entfällt in der Eigenverwaltung naturgemäß. An seine Stelle tritt der Sachwalter (§§ 274 Abs. 2 und 3, 22 Abs. 3 InsO). Verweigert die Geschäftsführung Informationen, die er zur Erfüllung seiner Prüfungs- und Mitwirkungspflichten gemäß §§ 274 Abs. 2, 3, 275, 277 InsO benötigt, begründet das einen Nachteil im Vergleich zum Regelverfahren mit den daran anknüpfenden 1 Dazu Rz. 9.11 ff.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

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Konsequenzen. Im Übrigen hat die Geschäftsführung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse auszuüben, die im Regelverfahren dem Insolvenzverwalter obliegen, allerdings nicht als Partei kraft Amtes, sondern als Organ der eigenverwaltenden Schuldnerin. 5. Insolvenzspezifische Haftung der Geschäftsführer a) Keine unmittelbare Anwendung der §§ 60 f. InsO Eine insolvenzspezifische Haftung der Geschäftsführer wird in den Vorschriften 9.136 über die Eigenverwaltung nicht angesprochen. In der Begr. RegE zu § 276a InsO heißt es, dass die Geschäftsführung eine dem Insolvenzverwalter ähnliche Stellung habe. Die Konsequenz könnte lauten, dass die Geschäftsführung dann auch haften müsse wie ein Insolvenzverwalter1. Das würde im Einklang stehen mit der Auffassung, die den Insolvenzverwalter im Regelverfahren als Organ der Schuldnerin ansieht („Organtheorie“)2; denn was für ihn als gekorenes Organ gilt, muss für die Geschäftsführung als geborenes Organ in der Eigenverwaltung erst recht gelten. Andererseits ist es bedenklich, die Haftung von einem Theorienstreit über die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters abhängig zu machen; denn immerhin streitet der Wortlaut der §§ 60 f. InsO gegen deren unmittelbare Anwendung auf die Geschäftsführer. Nicht sie sind der Eigenverwalter3, sondern die GmbH ist es. Der Vergleich mit der Stellung des Insolvenzverwalters in der Begr. RegE soll nur die Beschränkung des Gesellschaftereinflusses auf die Geschäftsführung rechtfertigen4. Zwar mag es sein, dass es ein Bedürfnis nach der Haftung weiterer Personen als nur des Schuldners gibt5. Haftungsbedarf gibt es aber in jeder Krise. Juristisch ausreichend ist das nur, wenn es anderenfalls eine unbeabsichtigte Haftungslücke6 gäbe und eine vergleichbare Interessenlage vorläge. Zur Prüfung der Haftungslücke ist ein Vergleich der insolvenzrechtlichen mit der 9.137 gesellschaftsrechtlichen Haftung erforderlich: Insolvenzrechtlich begründet § 60 InsO sowohl eine Innenhaftung als auch eine Außenhaftung. Eine Innenhaftung besteht für den Gesamtgläubigerschaden, der gemäß § 92 InsO in der Regelabwicklung durch einen Sonderinsolvenzverwalter zur Zahlung in die Insolvenzmasse geltend gemacht wird7. Daneben kann ein einzelner Gläubiger einen Individualschaden außerhalb der Insolvenzmasse liquidieren, wenn beispielsweise 1 Bilgery, ZInsO 2014, 1694, 1697; Fiebig in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 270 InsO Rz. 43; Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 270 InsO Rz. 179 f.; Flöther in Kübler, HRI, § 18 Rz. 26 ff. 2 Zum Theorienstreit s. Sternal in Karsten Schmidt, § 80 InsO Rz. 16 ff. 3 So aber Sonnleitner/Winkelhog, BB 2015, 88, 95. 4 Begr. RegE BT-Drucks. 17/5712, S. 42. 5 Flöther in Kübler, HRI, § 17 Rz. 26; Marotzke, KTS 2014, 113, 118. 6 Die sich entgegen Marotzke, KTS 2014, 113, 117, auch nicht allein damit rechtfertigen lässt, dass ein Insolvenzverwalter sonst nur schnell in die Organrolle schlüpfen müsste, um einer Haftung nach §§ 60 f. InsO zu entgehen. Die Organhaftung ist auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens nicht identisch mit einer Berater- oder Sachwalterhaftung. Warum sollte sie es also innerhalb des Verfahrens sein? 7 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 92 InsO Rz. 23.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

sein Absonderungsrecht übergangen1 oder er wegen verspäteter Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht als Neugläubiger privilegiert wurde2. Ebenfalls eine Außenhaftung statuiert § 61 InsO, die dem einzelnen Massegläubiger einen direkten Anspruch gegen den Insolvenzverwalter einräumt, wenn eine Masseverbindlichkeit nicht voll erfüllt wird. Demgegenüber ist die gesellschaftsrechtliche Haftung gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG als Innenhaftung gegenüber „der Gesellschaft“ konzipiert3. Aber nicht nur der Haftungsgläubiger kann bei der insolvenzrechtlichen Haftung ein anderer sein als bei der gesellschaftsrechtlichen, sondern auch der Haftungsumfang. Ein Schaden der GmbH bemisst sich gemäß § 249 BGB nach dem Reinvermögensvergleich. Das entspricht dem Gesamtgläubigerschaden durch eine Masseminderung. Der Einzelgläubigerschaden kann jedoch ungleich höher liegen, was am Beispiel der Verletzung von Absonderungsrechten deutlich wird: Verliert ein absonderungsberechtigter Gläubiger seine Sicherheit, erhält er nur noch die Quote auf seine Forderung. Am Reinvermögen der GmbH ändert sich hingegen nichts, wenn die GmbH für das Absonderungsgut einen Verwertungserlös vereinnahmt. Noch deutlicher wird der Unterschied bei § 61 InsO: Ein Geschäftsführer haftet wegen § 13 GmbHG – wenn keine Sondertatbestände erfüllt sind – nicht für die Bonität der GmbH, und zwar auch dann nicht, wenn er fahrlässig nicht erkannt hat, dass sie zur Erfüllung einer Verbindlichkeit nicht in der Lage sein wird. Erst recht trifft ihn kein Entlastungsbeweis wie bei § 61 Satz 2 InsO, dass er die Zahlungsunfähigkeit nicht hätte erkennen können. 9.138 Somit könnte eine im Vergleich zu §§ 60 f. InsO im Hinblick auf die Außenhaftung bestehende Lücke durchaus angenommen werden, wenn die Haftung auf eine gesellschaftsrechtliche Innenhaftung beschränkt wird. Zweifel bestehen jedoch schon bei der Antwort auf die Frage, ob die Haftungslücke unbeabsichtigt ist; denn immerhin hat der Gesetzgeber eine Anwendung der §§ 60 f. InsO auf den Sachwalter beschränkt (§§ 274 Abs. 1, 277 Abs. 1 InsO), wohl wissend, dass die meisten ESUG-Verfahren Kapitalgesellschaften mit Organhaftung betreffen4. Aber selbst wenn man auch diese Analogievoraussetzung annehmen wollte, würde es an einer vergleichbaren Interessenlage fehlen. 9.139 Der Geschäftsführer erklärt sich bei seiner Bestellung nur zur Übernahme der gesellschaftsrechtlichen, nicht aber auch zur Übernahme einer darüber hinausgehenden insolvenzrechtlichen Haftung bereit. Eine Haftungserweiterung allein aufgrund der Insolvenzeröffnung wäre unangemessen; denn eine Antragstellung steht noch nicht einmal bei drohender Zahlungsunfähigkeit in seinem Belieben, sondern ist von den Gesellschaftern zu beschließen. Erst recht hat er keine Wahl, wenn eine Antragspflicht eingreift. Einem Insolvenzverwalter ist hingegen die weitergehende Haftung zuzumuten; denn er muss sich zur Übernahme des Amtes bereit erklären (§ 56 Abs. 1 Satz 1, 2 InsO) und akzeptiert damit auch den Haftungsumfang. Er kann sich seine Mitarbeiter aussuchen, derer er sich zur Erfüllung seiner Pflichten bedient. Vom Insolvenzverwalter wird erwartet, dass er eine eigene „Mannschaft“ hat, um die Erledigung besonderer insolvenzspezi1 2 3 4

Thole in Karsten Schmidt, § 60 InsO Rz. 51. Thole in Karsten Schmidt, § 60 InsO Rz. 26. Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 288. So dass eine wesentliche Errungenschaft des ESUG in dem nunmehr gemäß § 225a InsO zulässigen Eingriff in Anteilsrechte gesehen wird.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

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fischer Aufgaben zu begleiten. Das wird bei der Vergütungshöhe berücksichtigt (vgl. §§ 3, 5 InsVV). Deshalb ist es gerechtfertigt, ihm lt. § 60 InsO die insolvenzspezifischen Pflichten persönlich aufzuerlegen und ihm die Fehler seiner Mitarbeiter gemäß § 278 BGB zuzurechnen. Der Geschäftsführer hingegen hat keine Wahl, ob er eigene oder schuldnerische Mitarbeiter einsetzt. Ihm obliegt nur die ordnungsmäßige Leitung der GmbH1. Er haftet für eigenes Organisationsverschulden, nicht aber gemäß § 278 BGB auch für Mitarbeiterverschulden2. Selbst der Verwalter hat gemäß § 60 Abs. 2 InsO ein Verschulden derjenigen Mitarbeiter des Schuldners nicht zu vertreten, die er zur Erfüllung der ihm obliegenden Pflichten einsetzen muss. Das muss dann erst recht für den Geschäftsführer gelten, der nur auf solche Mitarbeiter zurückgreifen kann. Eine Anwendung des § 60 InsO auf den Geschäftsführer könnte also nur die Verletzung derjenigen Pflichten betreffen, die er eigenhändig wahrnehmen muss. Mit jeder darüber hinausgehenden Haftung würde ihm eine Verantwortlichkeit zugewiesen, der nachzukommen ihm tatsächlich unmöglich ist3. Auf diese Weise würde eine Anwendung des § 60 InsO wieder auf das Pflichtenmaß reduziert werden, das auch gesellschaftsrechtlich gilt, von der bei § 43 Abs. 2 GmbHG fehlenden Außenhaftung einmal abgesehen. Last but not least ist ein Vergleich mit rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertretern eines Schuldners (z.B. CRO als Generalbevollmächtigter statt als Organ) zu ziehen4. Sie trifft keine insolvenzspezifische Haftung, obwohl sie in die Abwicklung einer Eigenverwaltung genauso eingeschaltet werden können wie organschaftliche Vertreter. Somit ist festzuhalten, dass die §§ 60 f. InsO nicht unmittelbar anzuwenden sind auf den Geschäftsführer5. b) Keine mittelbare Haftung gemäß §§ 60 f. InsO i.V.m. § 43 GmbHG Da die vorstehenden Bedenken zunächst nur für die unmittelbare Anwendung der 9.140 §§ 60 f. InsO gelten, schließt sich die Frage an, ob §§ 60 f. InsO auf die GmbH anwendbar sind und die Geschäftsführer sodann eine über § 43 GmbHG als „Transmissionsriemen“6 vermittelte Haftung im Umfang der §§ 60 f. InsO trifft. Die Übertragung der für den Fremdverwalter geltenden Haftung auf den Eigenverwalter erstaunt zwar auf den ersten Blick, weil die GmbH bereits Schuldnerin ist und durch die Pflichtverletzung nicht erst, wie der Insolvenzverwalter, zum Schuld1 Zur Abgrenzung zwischen nicht delegierbaren Leitungsaufgaben und delegierbaren Geschäftsführungsaufgaben in der AG: Spindler in Münchener Kommentar zum AktG, 4. Aufl. 2014, § 76 AktG Rz. 14 ff., § 77 AktG Rz. 5 f. 2 Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 31, 41. 3 Dieser Einwand kann auch nicht dadurch entkräftet werden, dass § 60 Abs. 2 InsO pauschal auf den Geschäftsführer angewendet wird. Dann bliebe immer noch die Belastung mit der persönlichen Eignungsprüfung, der Überwachung und den Entscheidungen von besonderer Bedeutung. Auch diese Aufgaben können bei größeren Unternehmen nur mit Hilfe von Mitarbeitern erledigt werden, die ein Verwalter in seinem eigenen Team hat, nicht aber der Geschäftsführer. 4 So zutreffend der Hinweis von Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1104. 5 Ebenso: Bachmann, ZIP 2015, 101, 104; Bierbach in Kübler, HRI, § 10 Rz. 169; Thole/ Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1102; Haas, ZHR 178 (2014), 603, 610 ff.; Weber/Knapp, ZInsO 2014, 2245, 2250; a.A. Tetzlaff in Münchener Kommentar zur InsO, § 270 InsO Rz. 179 f.; Flöther in Kübler, HRI, § 17 Rz. 25 ff. 6 Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1103.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

ner wird. §§ 60 f. InsO sind eigentlich nur erforderlich, um den Gläubigern einen zusätzlichen Schuldner zu geben. Andererseits sagt § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO, dass auf die Eigenverwaltung die allgemeinen Vorschriften anwendbar sind, so dass gegen eine Haftung der GmbH (!) gemäß §§ 60 f. InsO nicht viel vorzubringen wäre1. Andererseits findet sich eine ausdrückliche Bezugnahme auf diese Bestimmungen nur in den §§ 274 Abs. 1, 277 Abs. 1 InsO, die allein Pflichten des Sachwalters betreffen. Die Bezugnahme auf die allgemeinen Vorschriften in § 270 Abs. 1 InsO könnte deshalb durchaus so verstanden werden, dass dies nicht die Regelungen erfasst, die einen Verwalter als besonderen, neben dem Schuldner bestellten Amtsträger betreffen2. Eine Anwendung des § 60 InsO auf die GmbH ist nur insoweit sinnvoll3, als damit das Gebot eines insolvenzzweckgemäßen Verhaltens (§ 1 InsO) auf die Anwendung der „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters“ konkretisiert wird. Eine Hochstufung von Insolvenzforderungen in Masseschulden via Verletzung einer insolvenzspezifischen Pflicht gegenüber einem Gläubiger ist damit nicht verbunden4; denn der Masseschuldcharakter von Verbindlichkeiten, die aus fehlerhaften Verwaltungsmaßnahmen resultieren, ergibt sich schon aus § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO5. Ansonsten ist mit der Anwendung der §§ 60 f. InsO auf die GmbH nicht viel gewonnen; denn Haftungsschuldner gegenüber den Beteiligten bleibt die GmbH. Die Legalitätspflicht der Geschäftsführung, die Abläufe so zu organisieren, dass sich die GmbH rechtmäßig – also sorgfaltsgemäß i.S. der §§ 60 f. InsO – verhält, begründet keine Garantenpflicht gegenüber Dritten, aus deren Verletzung ein Schadensersatzanspruch auch im Außenverhältnis resultiert6. 9.141 Vor dem Insolvenzantrag kommt eine Haftung, wie oben erwähnt, nur im Innenverhältnis in Betracht. Stets bedarf es einer Beeinträchtigung des Reinvermögens. Nur ausnahmsweise ist der Geschäftsführer Hüter der Gläubigerinteressen, als er eine Begünstigung der Gesellschafter zulasten des Stammkapitals vermeiden muss. Nur eine scheinbare7 Ausnahme von dem Prinzip der Innenhaftung ist die unmittelbare organschaftliche Haftung der Geschäftsführer einer Komplementär GmbH gegenüber der Kommanditgesellschaft8. Auch hier wird nicht auf eine Beeinträchtigung des GmbH-Vermögens als vorrangige Anspruchsvoraussetzung verzichtet; denn sie sieht sich Ansprüchen der KG wegen fehlerhafter Geschäftsführung ausgesetzt. Der KG wird nur der „Umweg“ über die Inanspruchnahme der GmbH und anschließende Pfändung der Ansprüche gegen die 1 AG Duisburg v. 4.10.2005 – 60 IN 136/02, ZIP 2005, 2335; Fiebig in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 270 InsO Rz. 32; Undritz in Karsten Schmidt, § 270 InsO Rz. 17; a.A. Flöther in Kübler, HRI, § 17 Rz. 6; Marotzke in FS Kirchhof, 2003, S. 321, 349. 2 Bachmann, ZIP 2015, 101, 103. 3 Weber/Knapp, ZInsO 2014, 2245, 2250. 4 So aber Flöther in Kübler, HRI, § 17 Rz. 3; Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1102 f. 5 Bachmann, ZIP 2015, 101, 103. 6 BGH v. 18.6.2014 – I ZR 242/12, ZIP 2014, 1475 Rz. 23 = GmbHR 2014, 977 m. Komm. von Woedtke (zu Wettbewerbsverstößen); BGH v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, GmbHR 2012, 964. 7 Demgegenüber sieht Bachmann, ZIP 2015, 101, 105 dies als eine prinzipiell funktionale Betrachtungsweise an. 8 BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, ZIP 2013, 1712 = GmbHR 2013, 1044.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

9.142

Geschäftsführer erspart1. Ansonsten muss ein Geschäftsführer für einen Schaden der Gesellschaft unmittelbar gegenüber den Gläubigern selbst dann nicht einstehen, wenn es dadurch zur Insolvenz kommt2. Nach dem Insolvenzantrag ändert sich nichts an dem Erfordernis eines Gesellschaftsschadens, wenn § 43 GmbHG als Transmissionsriemen für die mittelbare Anwendung der §§ 60 f. InsO herangezogen wird. In der Eigenverwaltung entsteht durch die Verletzung der §§ 60 f. InsO jedoch 9.142 kein eigener Schaden der GmbH. Eine Haftung gemäß § 61 InsO für die Nichterfüllung einer Masseschuld führt bei ihr zu keinen größeren Nachteilen als die Haftung aufgrund der zivilrechtlichen Bestimmungen über Leistungsstörungen. Und eine Haftung gemäß § 60 InsO gegenüber Insolvenzgläubigern begründet keinen Schaden der GmbH, weil sie ohnehin schon Schuldnerin der gesicherten Verbindlichkeit ist3. Ist sie es nicht, was z.B. bei der Verletzung von Absonderungsrechten für fremde Schuld der Fall sein kann, wird ihr Reinvermögen ebenfalls nicht beeinträchtigt, weil an die Stelle des Sicherungsgutes der von der GmbH vereinnahmte Erlös tritt. Anders wäre es nur, wenn eine solche Vorteilsanrechnung eingeschränkt werden müsste. Im Zusammenhang mit gläubigerschützenden Überlegungen bei der Insolvenzverschleppungshaftung des Geschäftsführers gegenüber einem Lieferanten hat der BGH eine solche Vorteilsanrechnung eingeschränkt, indem er eine Kompensation neuer Forderungsausfälle durch die während des Verschleppungszeitraums bedienten Altforderung ablehnte4. Maßgebend war – wie allgemein bei einer Einschränkung des Vorteilsausgleichs5 – der Schutzzweck der verletzten Norm, der es verbietet, sich die Vorteile eines anderen rechtswidrigen Verhaltens, nämlich der Zahlung während des Verschleppungszeitraums, anrechnen zu lassen. Auf die Verletzung eines Absonderungsrechts und den dafür zugeflossenen Erlös ist das nicht übertragbar; denn es besteht nicht ein nur mittelbarer Zusammenhang6, sondern der Erlös ist das Surrogat für den Gegenstand. Selbst aber wenn nur ein mittelbarer Zusammenhang besteht wie bei dem Verkauf mehrerer Gegenstände, bei dem für das eine Sicherungsgut weniger als der Verkehrswert, für das andere hingegen mehr erzielt wird7, bedürfte es in wertender Betrachtungsweise einer Anrechnung. Es gibt keinen Grund, denselben Vorgang im Hinblick auf eine Haftung nach § 43 GmbHG außerhalb des Insolvenzverfahrens, wo eine Verletzung von Sicherungseigentum genauso möglich ist, anders zu behandeln als innerhalb des Verfahrens. Hier wie dort kommt es auf einen Reinvermögensvergleich an. Selbst also eine mittelbare Anwendung der 1 Deshalb entlastet ein Beschluss der Kommanditisten lt. BGH nicht nur die GmbH, sondern unmittelbar auch die Geschäftsführer. 2 BGH v. 31.1.2000 – II ZR 189/99, GmbHR 2000, 330. 3 Unklar Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1102 wonach die Haftung die Nominalforderung übersteigen kann. 4 BGH v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, GmbHR 2007, 599; anders nur bei einem Kontokorrentverhältnis: BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, GmbHR 2007, 482; allerdings hat BGH v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 = GmbHR 2015, 137 eine solche Kompensation bei der Haftung nach § 64 GmbHG anerkannt. 5 Oetker in Münchener Kommentar zur InsO, § 249 InsO Rz. 234 ff. 6 Erst dann stellt sich die Frage nach einer wertenden Einheitsbetrachtung, Grüneberg in Palandt, 73. Aufl. 2014, Vorb v § 249 BGB Rz. 69 f. 7 A.A. Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1105.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

§§ 60 f. InsO über § 43 GmbHG wegen Verletzung der Legalitätspflicht führt zu keiner erweiterten insolvenzspezifischen Haftung. c) Insolvenzspezifische Haftung i.V.m. § 823 BGB 9.143 In den sog. Baustoff-Urteilen1 hat der BGH eine Haftung des Geschäftsführers gemäß Abs. 1 des § 823 BGB wegen Verletzung von Eigentumsvorbehaltsware mit einer Garantenstellung zum Schutz fremder Rechtsgüter begründet. Der Geschäftsführer kann jedoch gerade bei großen Unternehmen nur für eine richtige Organisation einstehen. Die Organisationsverantwortung schafft keine Garantenstellung gegenüber Dritten2. Er haftet nur, wenn er persönlich Täter oder Teilnehmer der Verletzung eines von § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsguts ist3. Deshalb ist die Garentenstellung in den Baustoff-Urteilen zu weit gefasst4. 9.144 Die insolvenzrechtlichen Vorschriften und damit insbesondere die Bestimmungen über die Behandlung von Absonderungsgegenständen sind auch keine Schutzgesetze, deren Verletzung eine deliktische Haftung des Geschäftsführers i.S. von Abs. 2 des § 823 BGB begründet5. Es handelt sich um Verfahrensrecht, das den ordnungsgemäßen Ablauf des von multipolarer Konfliktlage6 gekennzeichneten Insolvenzverfahrens sicherstellen soll. Der Individualschutz ist allenfalls7 ein Reflex, nicht aber der gemäß § 823 Abs. 2 BGB erforderliche „Zweck“ der InsO. Eine Verletzung von Absonderungsrechten kann zwar als Bankrottdelikt gemäß § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB eine Schutzgesetzverletzung darstellen. Der Schutzzweck ist aber auf die Vermeidung eines Gesamtgläubigerschadens gerichtet8, begründet also keinen weitergehenden Anspruch als eine Haftung gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG. Zur deliktischen Haftung für Sozialabgaben s. Rz. 9.158 ff. d) Zwischenergebnis 9.145 Eine Haftung analog §§ 60 ff. InsO kommt somit nicht in Betracht, und zwar weder unmittelbar noch mittelbar über § 43 Abs. 1 GmbHG. Beides scheitert daran, dass die Geschäftsführer nur für einen Schaden der Gesellschaft einstehen müssen, der einem Gesamtgläubigerschaden entspricht, nicht aber für einen Einzel1 BGH v. 3.2.1987 – VI ZR 268/85, ZIP 1987, 509 = GmbHR 1987, 260; BGH v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, GmbHR 1990, 207. 2 BGH v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, ZIP 2012, 1552 Rz. 24 ff. = GmbHR 2012, 964. 3 BGH v. 18.6.2014 – I ZR 242/12, GmbHR 2014, 977 Rz. 25 m. Komm. von Woedtke; BGH v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03, ZIP 2006, 317 (Kirch vs. Deutsche Bank/Breuer), allerdings sehr nahe an der Organhaftung für die die Bank treffenden Verpflichtungen, vgl. II.B.2. 4 Schirmer, NJW 2012, 3398; so wohl auch unter Darstellung des Meinungsstands Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, § 823 BGB Rz. 112 ff. 5 A.A. in Analogie zu § 1243 Abs. 2 BGB: Bachmann, ZIP 2015, 101, 106; zweifelnd: Flöther in Kübler, HRI, § 17 Rz. 15. 6 BVerfG v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, ZIP 2006, 1355. 7 Schon an dem Individualschutz des Absonderungsgläubigers kann man zweifeln, werden ihm mit den §§ 166 ff. InsO doch gerade Rechte durch Verwertungsbeschränkungen und Kostenbeiträge genommen statt gewährt. 8 BGH v. 25.9.2014 – IX ZR 156/12, ZIP 2014, 2305, in dem es auch nur um eine eigenhändige Verletzung ging.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

9.147

gläubigerschaden. Zwar haben die Geschäftsführer wegen des Legalitätsprinzips die „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters“ (§ 30 Abs. 1 Satz 2 InsO) zu beachten – aber nur, soweit es die Eigenverwaltungstätigkeit der GmbH betrifft1. Zum Insolvenzverwalter werden sie dadurch nicht. Im Unterschied zur Haftung außerhalb eines Insolvenzverfahrens können sich die Geschäftsführer allerdings nur eingeschränkt darauf berufen, in Befolgung eines Gesellschafterbeschlusses gehandelt zu haben2. Der Grund liegt noch nicht einmal in dem (verfehlten) § 276a InsO3, der den Gesellschaftern jeden Einfluss auf die Geschäftsführung untersagt. Selbst wenn es diese Vorschrift nicht gäbe und die Gesellschafter eine Geschäftsführungsmaßnahme an sich ziehen dürften, sind insolvenzzweckwidrige, einen Gesamtgläubigerschaden verursachende Entscheidungen rechtswidrig und dürften von den Vertretungsberechtigten nicht ausgeführt werden. Eine Enthaftung wird durch den Gesellschafterbeschluss nur erreicht, soweit es um einen neben dem Gläubigernachteil bestehenden Schaden der Gesellschaft geht, etwa weil ein Insolvenzplan durch das Fehlverhalten nicht mehr realisiert werden kann. 6. Haftung gemäß § 64 GmbHG Eine Ausnahme von der Schadensberechnung nach dem Reinvermögensvergleich 9.146 kennt das GmbHG in § 64 Satz 1 GmbHG. Diese Vorschrift begründet nach der Rechtsprechung4 einen Ersatzanspruch sui generis, bei dem es nur auf die vermögensmindernde Verfügung5 ankommt. Eine Kompensation durch eine damit korrespondierende Vermögensminderung wird nur anerkannt, wenn beides im unmittelbaren Zusammenhang steht6. Die Frage lautet, ob § 64 GmbHG auch nach dem Insolvenzantrag anwendbar ist. Sie ist getrennt für die Zeit vor und nach Eröffnung des Verfahrens zu untersuchen, wobei zunächst die Zeit nach Eröffnung erörtert werden soll. Wäre eine Anwendung nämlich zu bejahen, müsste das erst recht vor Eröffnung der Fall sein. a) Nach Verfahrenseröffnung Dem Wortlaut nach gilt die Vorschrift auch nach einer Insolvenzeröffnung7. Sie 9.147 besteht jedoch weitgehend unverändert8 seit über 120 Jahren und stammt somit aus einer Zeit, in der es noch keine Eigenverwaltung gab. Die Geschäftsführung verlor mit der Verfahrenseröffnung stets die Verfügungsbefugnis, so dass sie keine 1 Haas, ZHR 178 (2014), 603, 612 f. 2 Der eine Haftung nur bei Einlagenrückgewähr unberührt lässt (§ 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG). 3 So aber Haas in FS Stürner, 2013, S. 749, 763; Haas, ZHR 178 (2014), 603, 612 f. 4 U.a. BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, GmbHR 2011, 642 m. Komm. Poertzgen = ZIP 2011, 1007 Rz. 20; BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 unter III.1. = GmbHR 2001, 190 m. Komm. Felleisen, zur Kritik s. Rz. 11.15 ff. 5 Wobei unter Zahlung sämtliche, auch gegenständliche Leistungen fallen, s. umfassend Rz. 11.37. 6 BGH v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 = GmbHR 2015, 137. 7 Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1100. 8 Von der Umgliederung des § 64 Abs. 2 GmbHG in § 15a Abs. 1 InsO einmal abgesehen.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

Zahlungen mehr leisten konnte. Es bestand kein Bedarf, neben dem Haftungsbeginn (Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung) auch noch die Insolvenzeröffnung als Haftungsende zu definieren. Das geschah allerdings auch nicht, als § 64 GmbHG durch das MoMiG 2008 in Kenntnis des Instituts der Eigenverwaltung novelliert wurde. Andererseits ist unter dem Blickwinkel des § 64 Satz 1 GmbHG die Bezahlung von Altforderungen eine „Todsünde“1, während genau darin das Ziel des Insolvenzverfahrens liegt, § 283 Abs. 2 InsO. Dieser Widerspruch wäre noch leicht aufzulösen, indem die Sorgfaltsausnahme des § 64 Satz 2 GmbHG auf all diejenigen Geschäftsvorfälle erstreckt werden würde, die dem Insolvenzzweck entsprechen. Einer nach Verfahrenseröffnung fortgeltenden Haftung steht aber der Zweck2 des § 64 GmbHG entgegen. Einige sehen die Vorschrift als Bestandteil einer einheitlichen Insolvenzverschleppungshaftung an3 („Druckfunktion“), andere als Ausdruck der neben einer Verschleppungshaftung bestehenden Verpflichtung zur Masseerhaltung4 („Kompensationsfunktion“). Nach dem BGH dient sie sowohl der Masseerhaltung5 als auch der Sicherstellung einer ranggerechten Befriedigung der Gläubiger6 im „Vorfeld des Insolvenzverfahrens“7. Sämtliche Zwecke sind mit der Verfahrenseröffnung erledigt. Spätestens dann endet eine Verschleppung, die aus dem Gesellschaftsvermögen gebildete Masse, die es vorher zu erhalten galt, wird konstituiert (§ 35 InsO), und die Gefahr einer rangwidrigen Befriedigung einzelner Gläubiger wird durch die insolvenzrechtlichen Verteilungsvorschriften gebannt. Das Vermögen wird der Gläubigerherrschaft überantwortet, indem seine Verwaltung unter das insolvenzrechtliche Regime gestellt wird. Somit gibt es keine Anwendung des § 64 GmbHG nach Verfahrenseröffnung8. Anderenfalls liefe ein Geschäftsführer Gefahr, nach Insolvenzeröffnung stärker zu haften als ein geschäftsführender oHG-Gesellschafter9, für den es keine vergleichbare Vorschrift gibt, obwohl § 128 HGB für Masseschulden nicht mehr eingreift10. b) Zwischen Antrag und Verfahrenseröffnung 9.148 Aus der Unanwendbarkeit des § 64 GmbHG nach Verfahrenseröffnung folgt nicht zwingend die Unanwendbarkeit schon ab dem Insolvenzantrag. Falls man § 64 GmbHG als Bestandteil einer einheitlichen Insolvenzverschleppungshaftung an1 Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2207. 2 Zum Meinungsstand: Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 694 ff. 3 Rz. 11.28 f.; Karsten Schmidt, NZG 2015, 129, 130; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 16 f., 68 ff., 147; Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2207 f. 4 Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 1a, b. 5 BGH v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rz. 9 m.w.N. = GmbHR 2015, 137. 6 BGH v. 25.1.2010 – II ZR 258/08, GmbHR 2010, 428, so dass insbesondere Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 698 ihr einen insolvenzanfechtungsähnlichen Zweck beimisst. 7 BGH v. 5.5.2008 – II ZR 38/07, GmbHR 2008, 813 Rz. 19. 8 Haas, ZHR 178 (2014), 603, 607 ff.; zweifelnd: Bachmann, ZIP 2015, 101, 107 ff.; Brinkmann, DB 2012, 1369; Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369, 376; Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1100; Weber/Knapp, ZInsO 2014, 2245, 2253; Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 67a (aber zurückhaltend wegen einer Kollision mit §§ 270a f. InsO); a.A. Klinck, DB 2014, 938, 941. 9 So der zutreffende Hinweis von Haas, ZHR 178 (2014), 603, 618. 10 BGH v. 24.9.2009 – IX ZR 234/07, ZIP 2009, 2204.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

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sieht mit einer Beweiserleichterung für die Gläubigerschaft1, könnte sich der Zweck der Haftung allerdings auch jetzt schon erledigt haben. Darauf deutet die einmal vom BGH verwendete Formulierung hin, die Haftung setze „eine schuldhafte Verletzung der Insolvenzantragspflicht voraus“2. Ist der Antrag gestellt, würde der Masseschutz durch das insolvenzverfahrensrechtliche Sicherungssystem der §§ 21 f. InsO ersetzt werden, ein Gesichtspunkt, unter dem soeben schon die Fortgeltung nach Verfahrenseröffnung abgelehnt wurde. Unterbleiben Sicherungsanordnungen, könnte dies allenfalls die Haftung des Insolvenzgerichts, nicht aber mehr die der Geschäftsführung begründen. Dass bei der Eigenverwaltung von Sicherungsmaßnahmen abgesehen werden soll, wäre eine Entscheidung des Gesetzgebers, die einer Verdrängung des gesellschaftsrechtlichen durch das insolvenzrechtliche Haftungsregime nicht entgegenstehen müsste. Andererseits dürfen auch im Eröffnungsverfahren der Regelverwaltung Verfügungsbeschränkungen schon aus grundrechtlichen Erwägungen nicht automatisch angeordnet werden. Vielmehr muss sich das Gericht zunächst von der Verhältnismäßigkeit überzeugen3. Bis dahin besteht die potentielle Gefährdung der Masse fort, die § 64 GmbHG vor Augen hat. Es erfolgt keine Verdrängung des Schutzzwecks von § 64 GmbHG durch das insolvenzrechtliche Sicherungsregime4. Selbst wenn im Regelverfahren sofort Sicherungsmaßnahmen wie insbesondere ein Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Insolvenzverwalters gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2 InsO angeordnet werden würden, muss der vorläufige Verwalter zur Vermeidung eines Betriebsstillstandes sofort Entscheidungen treffen, ohne in den ersten Tagen schon alles geprüft zu haben. Da nicht er, sondern weiterhin der Geschäftsführer als Organ der GmbH die Verfügungen vornimmt, zu denen der vorläufige Verwalter nur ein Zustimmungsrecht hat, besteht weiterhin ein Bedarf für den Schutz durch § 64 GmbHG. Das gilt natürlich erst recht für die Eigenverwaltung und noch mehr für das Schutzschirmverfahren, in denen Verfügungsbeschränkungen unterbleiben sollen (§ 270a Abs. 1 InsO) bzw. sogar müssen (§ 270b Abs. 2 InsO). Vor allem aber spricht die fortbestehende verfahrensrechtliche Dispositionsbefugnis der GmbH gegen eine Suspendierung des § 64 GmbHG. Erst mit der Eröffnungsentscheidung verliert sie die Befugnis, den Insolvenzantrag zurückzunehmen. Täte sie es, entstünde ein Haftungsvakuum für die Zeit zwischen Antragstellung und Antragsrücknahme, falls § 64 GmbHG während dieser Zeit nicht anwendbar wäre. Mehr noch: Wird der Antrag aufrechterhalten, die Eröffnung aber mangels Verfahrenskostendeckung abgelehnt, muss für die geordnete Befriedigung der Gläubiger aus einem etwaigen Restvermögen5

1 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, GmbHR 2007, 757 (ohne nähere Begründung); Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 6 ff., 63. 2 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, GmbHR 2007, 757, während er am 15.3.2011 – II ZR 204/09, GmbHR 2011, 642 Rz. 19 f. nur von funktionaler Nähe mit eigenständigen Schutzbereichen spricht. 3 Hölzle in Karsten Schmidt, § 21 InsO Rz. 9. 4 Haas, ZHR 178 (2014), 603, 610, der jedoch trotzdem die Anwendung von § 64 GmbHG ab Insolvenzantrag ablehnt. 5 Nach der „Wende“ verfügt manche ursprünglich für „masselos“ gehaltene Gesellschaft plötzlich über werthaltige Restitutionsansprüche. Auch kommt es vor, dass der Gutachter Vermögensgegenstände übersieht oder falsch beurteilt, ohne dass dies auf einer Täuschung durch die Geschäftsführung beruht.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

Sorge getragen werden1. Das Sperrjahr des § 79 GmbHG verhindert nur Zahlungen an Gesellschafter, nicht aber an bevorzugte Gläubiger. Deshalb muss § 64 GmbHG auch noch nach einem Insolvenzantrag anwendbar sein2. Das steht im Einklang mit der Auffassung, wonach der Zweck des § 64 GmbHG in dem Schutz der Masse liegt, die sich erst mit der Verfahrenseröffnung und nicht schon mit dem Insolvenzantrag konstituiert. Der Insolvenzantrag ist nur maßgebend für die Erfüllung der in § 15a InsO statuierten Pflicht3 und die aus einer Verletzung folgende Haftung. Mit der Antragstellung hätte sich zwar die Druckfunktion erledigt, die § 64 GmbHG beigemessen wird4, nicht aber auch die Kompensationsfunktion5, deren Zweck dem Insolvenzanfechtungsrecht ähnelt6, das durch den Antrag ebenfalls nicht suspendiert wird. 9.149 Mit einer Fortgeltung des § 64 GmbHG ist noch keine Aussage getroffen über seinen Anwendungsumfang; denn bei wirtschaftlicher Betrachtung könnten Zweifel aufkommen, einen Geschäftsführer vor Verfahrenseröffnung stärker haften zu lassen als danach, wenn der Gläubigerschutz durch eine Innenhaftung gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG i.V.m. der insolvenzspezifischen Legalitätspflicht gewährleistet ist (s. oben Rz. 9.140 ff.). Ein wirtschaftlicher Bedarf nach der Anwendung von § 64 GmbHG im Eröffnungsstadium besteht nur, um ein Haftungsvakuum im Falle einer Antragsrücknahme zu vermeiden7. Tritt dieser Fall nicht ein, besteht für eine unterschiedliche Haftung kein Bedarf. 9.150 Die nachfolgende Erörterung einer Haftungsbegrenzung beruht auf dem „Rechtsprechungsmodell“ des § 64 GmbHG, das den Schaden als einen solchen eigener Art ansieht und wegen dieser Abweichung von der Saldobetrachtung des § 249 BGB im jeweiligen Einzelfall erörtern muss, ob ausnahmsweise die Anrechnung eines Vermögensvorteils in Betracht kommt8. Diese Zuordnungsprobleme bestehen bei der unter Rz. 11.28 f. dargestellten Gegenansicht nicht. Die unterschiedlichen Auswirkungen beruhen letztlich auf dem Streit „Einzel- vs. Gesamtbetrachtung“, eine Diskussion, die ebenfalls im Insolvenzanfechtungsrecht geführt wird und gerade jüngst beim Insolvenzrechtssenat und beim Gesellschaftsrechtssenat parallel laufende Änderungstendenzen zeigt, auf die noch einzugehen sein wird. Der Umfang der erforderlichen Haftungsausnahmen wird zeigen, dass 1 Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369, 377; das Beispiel belegt im Übrigen den insolvenzanfechtungsähnlichen Charakter des § 64 GmbHG, Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 698 ff. 2 OLG Brandenburg v. 10.1.2007 – 7 U 20/06, ZIP 2007, 724, 725 a.E.; Bachmann, ZIP 2015, 101, 107 f.; Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 67a (a.A. jedoch Haas, ZHR 178 [2014], 603, 622 ff.); Müller in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 138; Siemon/Klein, ZInsO 2012, 2009, 2011 ff.; Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369, 375 f.; Klinck, DB 2014, 938,940; Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1100; Weber/Knapp, ZInsO 2014, 2245, 2250 f.; a.A. Brinkmann, DB 2012, 1369; Blöse, GmbHR 2012, 471, 474. 3 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, GmbHR 2011, 642. 4 Haas, ZHR 178 (2014), 603, 605; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 6 ff., 63. 5 BGH v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rz. 9 = GmbHR 2015, 137. 6 Gehrlein, ZInsO 2015, 477, 479, 483; Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1100. 7 Einen Bedarf gänzlich verneinend und damit die Anwendung auch ablehnend: Haas, ZHR 178 (2014), 603, 612 ff. 8 Karsten Schmidt, NZG 2015, 129, 131 bezeichnet die Orientierung an Einzelleistungen als den „Kardinalmangel“.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

9.151

jedenfalls nach einem Insolvenzantrag eine Haftung auch nach dem „Rechtsprechungsmodell“ nur noch selten angemessen ist. Eine insolvenzspezifische Begrenzung kann auf die objektive Pflichtwidrigkeit 9.151 i.S. von § 64 Satz 1 GmbHG abzielen oder auch erst auf die Sorgfaltsausnahme des § 64 Satz 2 GmbHG1. Bisher hat der BGH stets nur den letztgenannten Ansatz für möglich gehalten2, während er jüngst3 den Zahlungsbegriff des Satzes 1 teleologisch reduzierte4, ohne sich zur Abgrenzung gegenüber der Sorgfaltsausnahme des Satzes 2 zu äußern. Eigentlich müssten beide Wege zu denselben Ergebnissen führen, da auch die Sorgfaltsausnahme die objektive Pflichtwidrigkeit betrifft. Die Formulierung als Ausnahme beruht u.a. darauf, dass sie erst später in das Gesetz eingefügt wurde5. Zwar trifft für einen Verstoß gegen Satz 1 die Darlegungsund Beweislast den Insolvenzverwalter, für die Sorgfaltsausnahme hingegen den Geschäftsführer. Eine teleologische Reduktion des Zahlungsbegriffs bedeutet nicht zwingend eine Beweisbelastung des Klägers, weil der BGH von einer Kompensation der zunächst begründeten Haftung durch eine damit zusammenhängende Masseerhöhung spricht und dies mit einer Erfüllung des Haftungsanspruchs vergleicht6. Die Erfüllung hat stets derjenige zu beweisen, der sich darauf beruft. Unterschiedliche Auswirkungen hat die Anwendung von Satz 1 oder Satz 2 bspw. bei Vorleistungen der GmbH7. Fällt die Gegenleistung aus, fehlt es an der Kompensation i.S. von Satz 1, so dass nur noch eine Haftung über die Sorgfaltsausnahme des Satzes 2 vermieden werden kann8. Deshalb sollen – der bisherigen Rechtsprechung folgend – die Haftungsausschlüsse einheitlich im Rahmen der Sorgfaltsausnahme erörtert werden. 1 Bachmann, ZIP 2015, 101, 108 will entweder die Wertung des § 64 Satz 1 GmbHG in § 43 GmbHG hineinlesen oder die Wertung des § 43 Abs. 2 GmbHG in eine großzügigere Sorgfaltsausnahme gemäß § 64 Satz 2 GmbHG. 2 U.a. BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 unter II. = GmbHR 2001, 190 m. Komm. Felleisen. 3 Einem Gedanken des stellvertretenden Vorsitzenden des Gesellschaftsrechtssenats Strohn, NZG 2011, 1161, 1165 folgend. 4 BGH v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 m. Anm. Spliedt, EWiR 2015, 69 f. = GmbHR 2015, 137. 5 Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387, 397 f. 6 Ähnlich die Wertung des Insolvenzrechtssenats zur Begrenzung der Anfechtung der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen, BGH v. 4.7.2013 – IX ZR 229/12, ZIP 2013, 1629 = GmbHR 2013, 1034 m. Komm. Farian, und beim Staffelkredit, BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, ZIP 2013, 734 = GmbHR 2013, 464 m. Komm. Bormann. 7 Offengelassen von BGH v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rz. 16 = GmbHR 2015, 137. 8 Demgegenüber halten Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387, 414 ff. den Geschäftsführer bei Vorleistungen, die nicht im bargeschäftlichen Zusammenhang mit Gegenleistungen stehen, stets für haftbar. Gelangt die Gegenleistung später doch noch in die Masse, ist ihm ein Wertersatz anzurechnen. Damit trägt der Geschäftsführer das Verwertungsrisiko. Gelangt sie nicht in die Masse, kann sich der Geschäftsführer beim Zahlungsempfänger schadlos halten; ebenso Müller, DB 2015, 723, 724. Damit trägt er dessen Insolvenzrisiko. Diese Auffassung entspricht dem anfechtungsrechtlichen Prinzip der Einzelbetrachtung von Leistung und Gegenleistung und verschließt damit die Möglichkeit, mittelbare Vorteile wie insbesondere die Erhaltung der Sanierungsaussichten durch einzelne Verlustgeschäfte zu berücksichtigen. Karsten Schmidt, zuletzt NZG 2015, 129, 131 bezeichnet die Einzelbetrachtung als den „Kardinalmangel“ des vorherrschenden Verständnisses der Zahlungsverbote.

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9.152

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

c) Sorgfaltsausnahme aa) Voraussetzungen 9.152 Das Zahlungsverbot beginnt mit dem Eintritt der materiellen Insolvenz1. Für die Haftung vor einem Insolvenzantrag wird unterschieden zwischen Zahlungen vor und nach Ablauf der als Sanierungsfrist verstandenen drei Wochen des § 15a InsO2. Nach Ablauf wird dem Geschäftsführer eine wesentlich schärfere Haftung angesonnen, weil er es in der Hand hat, den Antrag rechtzeitig zu stellen. Ob das eine zutreffende Erwägung ist, kann hier dahinstehen, weil es um die Haftung nach Erfüllung der Antragspflicht geht. Bis zum Urteil vom 18.11.20143 hat der BGH eine Saldobetrachtung zur Eingrenzung des objektiven Tatbestands von Satz 1 des § 64 GmbHG abgelehnt4. Das hat sich nunmehr für Auszahlungen geändert, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit gleichwertigen Massemehrungen stehen. Die Gleichwertigkeit bemisst sich nicht nach dem Aufwand des Zahlungsempfängers, sondern nach der Verwertbarkeit für den Schuldner5 (zu Beratungsleistungen s. Rz. 9.116 ff.). Die Erhaltung der Sanierungschancen ist nur ein mittelbarer Vorteil, der von der teleologischen Reduktion des § 64 Satz 1 GmbHG nicht profitiert. Sie könnte gleichwohl über die Sorgfaltsausnahme des Satzes 2 haftungsfrei sein6, so dass auf deren Voraussetzungen näher einzugehen ist. Ein besonders krasses Beispiel ist der Konkurs der Herstatt-Bank. Während der Sanierungsfrist sei es zulässig gewesen, so der BGH, den Bankbetrieb aufrechtzuerhalten, also Auszahlungen auf Altforderungen zu tätigen und sogar Einlagen entgegenzunehmen, obwohl ein Sanierungserfolg und damit eine Rückzahlung nicht sicher war. Ansonsten wäre die Bank sofort zusammengebrochen7. Diese recht großzügige Handhabung betraf zwar die deliktische Haftung wegen Insolvenzverschleppung. Bei § 64 GmbHG werden jedoch ebenfalls sowohl unternehmenserhaltende Zahlungen während der Sanierungsfrist für zulässig gehalten8 als auch Zahlungen, die die Sanierungschance wahren. Es müssen „größere Nachteile für die Masse“ vermieden werden9, so dass der Betrieb nicht sofort eingestellt und „jede Chance auf Sanierung oder Fortführung im Insolvenzverfahren zu

1 BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, GmbHR 2009, 654. 2 Es sei dahingestellt, ob diese Einteilung angebracht ist, weil der Insolvenzgrund selten rechtzeitig wahrgenommen wird, so dass kaum ein Geschäftsführer auf das haftungsrechtlich sichere Sanierungsfenster vertrauen kann. Hinzukommt die Unsicherheit, ob der privilegierte Zeitraum mit der Kenntnis oder mit dem Kennenmüssen beginnt. Zum Meinungsstand: Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 124. 3 BGH v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 = GmbHR 2015, 137. 4 Paradigma: Saldo von Ein- und Auszahlungen über debitorisch geführtes Konto, BGH v. 3.6.2014 – II ZR 100/13, GmbHR 2014, 982; BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, GmbHR 2007, 596; Kritik ausführlich Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 19 ff. 5 Vgl. BGH v. 18.3.1974 – II ZB 3/74, NJW 1974, 1088; BGH v. 31.3.2003 – II ZR 150/02, GmbHR 2003, 664; Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387, 405. 6 S. Anwendungsbeispiele für Satz 2 bei: BGH v. 31.3.2003 – II ZR 150/02, GmbHR 2003, 664 und BGH v. 5.5.2008 – II ZR 38/07, GmbHR 2008, 81. 7 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, NJW 1979, 1823 unter II 1d–f. 8 Karsten Schmidt, NZG 2015, 129, 131; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 48; Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 73. 9 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, GmbHR 2001, 190.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

9.152

Nichte gemacht“ wird1. Eine Privilegierung muss folgerichtig ebenfalls den Zahlungen zuteil werden, die nach dem Antrag auf Einleitung einer auf Sanierung ausgerichteten Eigenverwaltung erfolgen. Die Grenzziehung ist allerdings unklar. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Erhaltung der Sanierungschancen und Erhaltung des Betriebes2. Zur Erhaltung von Sanierungschancen sind auch Zahlungen erlaubt, die nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Gegenleistungen stehen, wie bspw. Zahlungen an Berater oder – wie im Herstatt-Fall – Zahlungen an Altgläubiger (Auszahlung von Kontoguthaben). Andere Beispiele sind die Ausführung von Gewährleistungsarbeiten, die Einlösung einer „Geld-zurück-Garantie“ oder eines Gutscheins, sämtlich Maßnahmen, die zwar einzelne Gläubiger begünstigen, aber das allgemeine Kundenvertrauen fördern. In der Praxis kommen häufig Druckzahlungen an Lieferanten vor, die eine Neubelieferung davon abhängig machen, dass eine alte Forderung bezahlt wird, zumal sie ohne Meldung an den Warenkreditversicherer aus der Deckung läuft. Ähnlich verhält es sich mit der Zahlung auf rückständige Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, um eine Kündigung zu vermeiden. In diesen Fällen fehlt es an dem unmittelbaren Aktivtausch, wie er namentlich für das anfechtungsprivilegierte Bargeschäft (§ 142 InsO) erforderlich ist, weil die neue Lieferung rechtlich wegen der Entstehung einer neuen und nicht wegen der Befriedigung einer alten Forderung erbracht wird3. Seit kurzem verneint der Insolvenzrechtssenat bei § 133 InsO immerhin die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen der Gläubigerbenachteiligungsabsicht, wenn zur Aufrechterhaltung der Geschäftstätigkeit eine alte Forderung um einer neuen Lieferung willen bezahlt wird, aber nur, wenn beides gleichwertig ist, die neuen gelieferten Gegenstände nicht auch über einen verlängerten oder erweiterten Eigentumsvorbehalt für andere Verbindlichkeiten als die aus der Neulieferung haften und damit keine Verluste erwirtschaftet werden4. Schon vorher hatte er im Eigenkapitalersatzrecht beim sog. Staffelkredit mehrere Rechtshandlungen im Zusammenhang betrachtet. Der Gesellschaftsrechtssenat hat, wie oben erwähnt, Auszahlungen aus dem Anwendungsbereich des § 64 Satz 1 GmbHG herausgenommen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Zuflüssen stehen5. Ein rechtlicher Zusammenhang war im Urteilsfall zwar gegeben, nach dem Wortlaut des Tenors aber nicht erforderlich. Die Tendenz beider Senate könnte auf eine einheitliche Betrachtung der Gläubigerbenachteiligung i.S. von § 129 InsO und des Schadens eigener Art i.S. von § 64 GmbHG gerichtet sein6. Nach dem Eigenverwaltungsantrag sollte die Haftungsfreistellung entgegen der bisher herrschenden Meinung zur Situation vor dem Antrag7 noch darüber hinausgehen und sämtliche nach sorgfaltsgemäßer Sanierungsplanung auch nur erwarteten Vorteile ausreichen lassen. Das gilt nicht nur für Zahlungen auf debitorische Konten, die nach bisheriger Rechtsprechung als Gläubigerbefrie1 BGH v. 5.11.2007 – II ZR 262/06, GmbHR 2008, 142 Rz. 6. 2 So z.B. Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369, 373. 3 BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1243; Ganter/Weinland in Karsten Schmidt, § 142 InsO Rz. 21. 4 BGH v. 12.2.2015 – IX ZR 180/12, ZIP 2015, 585. 5 BGH v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 = GmbHR 2015, 137. 6 So das Plädoyer von Gehrlein, ZInsO 2015, 477, 478 f. 7 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, = ZIP 2001, 235 = GmbHR 2001, 190 m. Komm. Felleisen; Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387, 408; Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2207: „Todsünde“.

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

digung eine Haftung auslösten1, die durch Verfügungen aus einem derart wiedergewonnenen Kreditspielraum nicht beseitigt werden, weil das als ein unbeachtlicher Gläubigertausch angesehen wurde2. Das wird sich nunmehr durch die Entscheidung des Gesellschaftsrechtssenats vom November 20143 geändert haben. Das muss aber vor allem auch für Vorschüsse auf künftige Leistungen der Geschäftspartner gelten. Vor dem Insolvenzantrag mag es noch angehen, schon den damit „erkauften“ Anspruch auf die Gegenleistung nicht als ausreichende Kompensation anzusehen4, sondern erst die tatsächlich erbrachte Gegenleistung, so dass der Geschäftsführer das Bonitätsrisiko des Vertragspartners trägt. Nach dem Insolvenzantrag kann ihm eine Haftung allein aufgrund der Vorleistung schon allein deshalb nicht angesonnen werden, weil eine Aufrechterhaltung der Betriebstätigkeit häufig nur auf diese Weise möglich ist, wenn der Insolvenzantrag erst einmal bekannt wurde. Davon unberührt bleibt natürlich eine Haftung gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG, wenn die Bonität des Zahlungsempfängers nicht ausreichend überprüft wurde5. Bei einer Konzerninsolvenz kann selbst die Kreditvergabe an ein anderes Konzernunternehmen haftungsfrei sein, wenn dies zur Sanierung erforderlich ist und die Bonität der kreditnehmenden Gesellschaft den Vollwertigkeitsanforderungen des § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG genügt6. 9.153 Die Eigenverwaltung darf für die Gläubiger keine Nachteile bringen, aber auch keine „windfall profits“ durch eine Haftung des Geschäftsführers für Auszahlungen, die selbst in der Regelverwaltung vorgenommen worden wären. Für die Sorgfaltsausnahme ist somit als Maßstab das pflichtgemäße Verhalten eines vorläufigen Insolvenzverwalters heranzuziehen7. Dafür wiederum ist naturgemäß Voraussetzung, dass die Verfügung geeignet ist, die Gläubigerbefriedigung jedenfalls nicht zu verschlechtern. Beurteilt werden kann dies nur aufgrund einer Prognose unter Inkaufnahme der damit verbundenen Unsicherheiten. Ein Sanierungskonzept kann nicht von Anfang an verlangt werden8. Es muss sich erst in verschiedenen Stufen entwickeln9. Die drei Monate des § 270b Abs. 1 InsO geben einen An1 2 3 4 5 6 7

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Zuletzt BGH v. 3.6.2014 – II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523 Rz. 16 = GmbHR 2014, 982. Zuletzt BGH v. 3.6.2014 – II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523 Rz. 26 = GmbHR 2014, 982. BGH v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 = GmbHR 2015, 137. Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387, 415; Müller, DB 2015, 723, 725 f.; einschränkend Karsten Schmidt, NZG 2015, 129, 133: jederzeitige Realisierbarkeit analog § 19 Abs. 5 GmbHG genügt. OLG Koblenz v. 23.12.2014 – 3 U 1544/13, WM 2015, 340 = GmbHR 2015, 357. Balthasar in Flöther, Handbuch zum Konzerninsolvenzrecht, § 3 Rz. 17; fehlt es hingegen an werthaltigen Erstattungsansprüchen, haftet das Organ wie vor dem Antrag, dazu: OLG Düsseldorf v. 20.12.2013 – 17 U 51/12, GmbHR 2015, 303. Bachmann, ZIP 2015, 101, 108; Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387, 402; Weber/ Knapp, ZInsO 2014, 2245, 2250; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 49 ff.; Strohn, NZG 2011, 1161, 1166; Knittel/Schwall, NZI 2013, 782, 785 (sämtlich für die Zeit vor dem Antrag); Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369, 375 nennen als Maßstab „die ex ante-Perspektive eines sorgfältigen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers“. OLG München v. 6.11.2013 – 7 U 571/13, GmbHR 2014, 139, verlangt, dass das Sanierungskonzept schon in Umrissen vorliegen müsse. Diese Formulierung schließt jedoch nicht aus, dass die Umrisse von dem Planungsstand abhängen, der bei aller Sorgfalt erreichbar ist. Zu den durch Zeitablauf wachsenden Sorgfaltsanforderungen an den vorl. Verwalter s. Thole in Karsten Schmidt, § 60 InsO Rz. 36.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

9.155

haltspunkt dafür, welchen Zeitraum sich der Gesetzgeber vorgestellt hat, bis ein vorlagefähiger Insolvenzplan entwickelt worden sein muss. Innerhalb dieses Sanierungsrahmens hat der Geschäftsführer – wie auch der vorläufige Insolvenzverwalter – einen Ermessensspielraum. Was er heute für ein Bauvorhaben einkauft, dessen Fertigstellung er nach dem jeweiligen Planungsstadium erwarten darf, ist zumindest nicht gemäß Satz 2 sorgfaltswidrig, wenn sich morgen herausstellt, dass es aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht fertig gestellt werden kann. Neben Auszahlungen, denen erwartete Einzahlungen zugeordnet werden können, gibt es auch Auszahlungen, die zu kalkulierten Verlusten führen wie bspw. zur Erfüllung von Kundenverträgen unterhalb der Einkaufspreise oder zur Durchführung von Gewährleistungsarbeiten. Bei der Insolvenzanfechtung sind erwartete Verluste ein Indiz für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz trotz eines Leistungsaustausches mit bargeschäftlichem Charakter1. Der BGH begründete das damit, dass die Verluste für die Gesamtgläubiger keinen Nutzen hätten, insbesondere wenn sich ein Insolvenzantrag nicht vermeiden lasse. Nach Antragstellung ist der „Gläubigernutzen“ aber verfahrensrechtlich zu definieren. In der Regelverwaltung ist die Geschäftstätigkeit möglichst aufrechtzuerhalten, um die Gläubigerversammlung nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen. Gleiches gilt in der Eigenverwaltung. Die Gläubigerversammlung behält das Entscheidungsvorrecht (§§ 157, 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Ab welcher Verlusthöhe eine vorzeitige Stilllegung geboten ist, wird teilweise als eine Sache des Einzelfalls bezeichnet2, teilweise werden Prozentsätze zwischen 10 %3 und 25 %4 der Masse genannt. Allerdings müssen andere Möglichkeiten zur Wahrung der Gläubigerbelange ge- 9.154 nutzt werden. Drängen die Lieferanten auf die Begleichung von Altforderungen, gehört es zur Sorgfalt, eine etwaige spätere Insolvenzanfechtung nicht zu versperren. Ebenso würde sich ein vorläufiger Fremdverwalter verhalten. Außerdem kann der Geschäftsführer dadurch sein eigenes Haftungsrisiko reduzieren, falls er die Grenzen der Sorgfaltsausnahme überschritten haben sollte; denn der Anfechtungsanspruch ist Zug um Zug gegen Zahlung an ihn gemäß § 255 BGB abzutreten5, falls er nicht schon vorher vom Zahlungsempfänger im Wege des vorweggenommenen Gesamtschuldnerausgleichs Freistellung verlangt6. Zur Wahrung der Anfechtungsmöglichkeit reicht es aus, den Gläubiger über den 9.155 Insolvenzantrag zu informieren, ggfls. ergänzt um den Hinweis, dass eine etwaige Anfechtbarkeit zu prüfen sein wird. Der Zahlungsempfänger genießt nicht den Vertrauensschutz, auf den er sich im Regelinsolvenzverfahren wegen einer Mitwirkung eines vorläufigen Insolvenzverwalters berufen könnte7; denn in der 1 BGH v. 12.2.2015 – IX ZR 180/12, ZIP 2015, 585 Rz. 25. 2 Görg/Janssen in Münchener Kommentar zur InsO, § 158 InsO Rz. 17; Jungmann in Karsten Schmidt, § 158 InsO Rz. 21. 3 Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 22 InsO Rz. 57 f. 4 Mönning in Nerlich/Römermann, § 22 InsO Rz. 166. 5 Vgl. BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, = ZIP 2001, 235 a.E. = GmbHR 2001, 190 m. Komm. Felleisen; Müller, DB 2015, 723, 728. 6 Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387, 409; a.A. Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 715, weil die Anfechtungsvoraussetzungen dadurch umgangen werden könnten, was jedoch durchaus i.R.d. § 426 BGB berücksichtigt werden kann. 7 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, ZIP 2014, 584 Rz. 12 = GmbHR 2014, 417; BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, ZIP 2006, 431; BGH v. 9.12.2004; IX ZR 108/04, ZIP 2005,

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9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

Eigenverwaltung sind verfügungsbefugter Schuldner und nach Verfahrenseröffnung anfechtungsbefugter Sachwalter nicht personenidentisch1. 9.156 Allein die Zustimmung der Verfahrensorgane (Gläubigerausschuss, § 276 InsO, Gläubigerversammlung, §§ 160, 162 InsO, Sachwalter, § 275 InsO) zu einer Maßnahme beseitigt keinen Sorgfaltsverstoß2, hat aber eine Indizwirkung3, wenn die Geschäftsführung sie vollständig informiert hat. Aus eigener Kenntnis können zumindest Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss keine sachgerechte Entscheidung treffen4. Umgekehrt kann die pflichtwidrig unterlassene Einholung einer Zustimmung die Haftung begründen, wenn anzunehmen ist, dass keine Einwilligung erteilt und ein später eingetretener Schaden vermieden worden wäre5. bb) Darlegungs- und Beweislast 9.157 Die Sorgfalt des § 64 Satz 2 GmbHG ist eine Ausnahme vom prinzipiellen Zahlungsverbot des § 64 Satz 1 GmbHG, so dass die Darlegungs- und Beweislast beim Geschäftsführer liegt. Gleiches gilt (wohl) für den Nachweis der Kompensation, die nach der Entscheidung des BGH vom November 20146 bereits die objektive Pflichtwidrigkeit gemäß Satz 1 entfallen lässt. Wird die Sorgfältigkeit der Zahlungen an ein im Zeitablauf präziser werdendes Sanierungskonzept gebunden, muss der Geschäftsführer nur eine sorgfältige Planung nachweisen, nicht aber für Prognoseunsicherheiten einstehen7. Allerdings ist das Kriterium der planungsadäquaten Zahlung mit einer großen Rechtsunsicherheit verbunden. Deshalb sollte man sich bei der Beweislastverteilung vor Augen führen, dass Satz 2 erst später bei § 64 GmbHG ergänzt wurde, um ein Vergleichsverfahren nicht an der strengen Haftung des Satzes 1 scheitern zu lassen8. Die Privilegierung sollte alle Zahlungen erfassen, die auch im Rahmen eines Vergleichsverfahrens zulässig wären. Gleiches gilt nunmehr für die vorläufige Eigenverwaltung. Zulässig sind – wie in der Regelverwaltung – all die Zahlungen, die sich im Rahmen einer vertretbaren Prognose halten. Die beim Geschäftsführer verbleibende Darlegungs- und Beweislast gleicht damit derjenigen, die ihn auch bei der allgemeinen Sorgfaltshaftung

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314; kritisch zur Anfechtungseinschränkung allein wegen Zustimmung des vorläufigen Verwalters: Spliedt, ZInsO 2007, 405. Ob es anders sein könnte, wenn er als vorläufiger Sachwalter der Zahlung auf Verlangen eines Gläubigers zustimmen würde, sei dahingestellt. Dagegen spricht die fehlende rechtliche (vgl. § 274 Abs. 1 InsO, Rz. 9.37 ff.) Außenwirkung einer solchen Zustimmung. Andererseits gilt der vom BGH betonte Vertrauensschutz auch hier, wobei zweifelhaft ist, ob ein Gläubiger etwas behalten sollte, auf das er insolvenzrechtlich keinen Anspruch hat und wofür er auch nichts aufwendet, weil die Neulieferung neu bezahlt wird. Klinck, DB 2014, 938, 941; a.A. Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369, 375 f.; vgl. zur Rechtslage beim Fremdverwalter: Brandes/Wagner in Münchener Kommentar zur InsO, § 60 InsO Rz. 98 f. Bachmann, ZIP 2015, 101, 108. Siemon/Klein, ZInsO 2012, 2009, 2015. S. zur Haftung bei Umgehung von Zustimmungsorganen Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 81 f. BGH v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 = GmbHR 2015, 137. So aber Klinck, DB 2014, 938, 942. Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387, 397 f.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

9.159

nach § 43 Abs. 2 GmbHG trifft, bei der § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG entsprechend anwendbar ist1. Sie gleicht im Übrigen auch der sekundären Darlegungslast2, die dem Insolvenzverwalter bei einer Haftung gemäß § 60 InsO obliegt3. 7. Haftung für Steuern und Sozialabgaben, Pflichtenkollision Nach § 34 AO haben die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen die steuer- 9.158 lichen Pflichten zu erfüllen, soweit die Geschäftsvorfälle ihrer Verfügungsbefugnis unterliegen. Tun sie das nicht, haften sie für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) persönlich (§ 69 AO)4. Dass diese Haftung außerhalb eines Insolvenzverfahrens die Geschäftsführung trifft, ist unbestritten5. Ebenso unbestritten ist, dass sie nach Eröffnung eines Regelinsolvenzverfahrens für den Insolvenzverwalter gilt. In der Eigenverwaltung tritt an seine Stelle jedoch nicht die Geschäftsführung (s. oben Rz. 9.136), sondern die GmbH (§ 270 Abs. 2 Satz InsO). So wie die §§ 60 f. InsO über die Insolvenzverwalterhaftung nicht auf die Geschäftsführung anwendbar sind (Rz. 9.136 ff.), könnten es auch die §§ 69, 34 f. AO nicht sein. Der Zweck der abgabenrechtlichen Haftungsbestimmungen ist jedoch, im Wege eines Haftungsdurchgriffs die letztlich handlungsbefugten natürlichen Personen dafür einstehen zu lassen, dass die steuerlichen Pflichten in Bezug auf das Vermögen erledigt werden, auf das sie zugreifen können. Die Geschäftsführung haftet deshalb auch nach Verfahrenseröffnung in Eigenverwaltung gemäß §§ 34 f., 69 AO, allerdings – wie der Insolvenzverwalter6 – nur, soweit die Erfüllung auch insolvenzrechtlich zulässig ist, was insbesondere bei Masseunzulänglichkeit von Bedeutung ist. Erst recht sind die Haftungsvorschriften im Eröffnungsverfahren anwendbar, in dem es noch keine Insolvenzmasse gemäß § 35 InsO gibt. Eine persönliche Haftung der Geschäftsführer für die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung folgt aus dem Schutzgesetzcharakter des § 266a Abs. 1 StGB. Die Vorschrift richtet sich zwar an den Arbeitgeber und damit an die Gesellschaft, die strafrechtliche Verantwortlichkeit trifft gemäß § 14 StGB jedoch die Geschäftsführer, die somit auch zivilrechtlich als Verletzter des Schutzgesetzes i.S. von § 823 Abs. 2 BGB anzusehen sind mit der Folge einer persönlichen Haftung gegenüber den Sozialversicherungsträgern7. Die steuerrechtliche und die sozialversicherungsrechtliche Haftung führen – im 9.159 Eröffnungsverfahren – zu einer Kollision mit der insolvenzrechtlichen Nachteilsvermeidungspflicht zulasten der übrigen Gläubiger durch masseschmälernde Zahlungen. Im Hinblick auf eine Kollision mit dem Masseerhaltungsgebot des § 64 GmbHG hatte der Gesellschaftsrechtssenat des BGH ursprünglich dem Zah1 Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 234 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, § 43 GmbHG Rz. 36 ff. 2 Dazu Greger in Zöller, vor § 284 ZPO Rz. 34 ff. 3 Thole in Karsten Schmidt, § 60 InsO Rz. 52. 4 Überblick zur Geschäftsleiterhaftung in Krise und Insolvenz: Meyer, DStZ 2014, 228, 231 ff.; Sonnleitner/Winkelkog, BB 2015, 88 ff. 5 Crezelius in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 365. 6 S. dazu Spliedt in Pape/Graeber, Handbuch der Insolvenzverwalterhaftung, 2009, Rz. 1258 ff. 7 BGH v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, GmbHR 1997, 305; BGH v. 11.12.2001 – VI ZR 350/00, GmbHR 2002, 347; Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 406 ff.

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9.160

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

lungsverbot absoluten Vorrang eingeräumt1, setzte sich damit aber in Widerspruch zum Strafsenat, der strafbewehrte Handlungspflichten bei einem Überschreiten der dreiwöchigen Sanierungsfrist für vorrangig hielt2 und deshalb eine Strafbarkeit nicht an einer durch § 64 GmbHG begründeten rechtlichen Unmöglichkeit normgemäßen Verhaltens scheitern ließ. Der Gesellschaftsrechtssenat gab schließlich seine Ansicht vom Vorrang des § 64 GmbHG auf3, soweit der Geschäftsführer mit der Zahlung einer strafbewehrten persönlichen Haftung entgehen wollte, und erstreckte diesen Haftungsfreiraum auch noch auf Zahlungen, die zur Vermeidung einer Haftung nach §§ 69, 34 AO geleistet wurden, obwohl dies mit einer strafbaren Steuerhinterziehung oder Ordnungswidrigkeit4 nicht notwendigerweise korreliert. Später privilegierte er zusätzlich Zahlungen, die zur Reduzierung oder Beseitigung einer schon begründeten Haftung getätigt werden5. Nach einem Insolvenzantrag ist ein solches Haftungsprivileg bei § 64 GmbHG nicht mehr erforderlich6, weil es an der Pflichtenkollision mit dem Apell der §§ 69, 34 AO sowie im Übrigen auch des § 266a StGB fehlt; denn nunmehr gebührt der Massesicherungspflicht auch noch verfahrensrechtlich der Vorrang. Ihre Verletzung begründet somit nach Antragstellung ganz i.S. der früheren Auffassung des Gesellschaftsrechtssenats eine Haftung gemäß § 64 GmbHG7. Darf dem Geschäftsführer nämlich nicht angesonnen werden, Steuern und Sozialabgaben zu zahlen, würde er gegen seine Massesicherungspflicht nach § 64 GmbHG verstoßen, wenn er es trotzdem täte (s. auch Rz. 11.52). 9.160 Der BFH sah nur die dreiwöchige Antragsfrist des § 15a InsO – damals § 64 Abs. 1 GmbHG – als eine schuldausschließende „Schonfrist“ an, die ein Verschulden ausschloss8. Das änderte sich, nachdem der Gesellschaftsrechtssenat seine Auffassung vom Vorrang des Masseerhaltungsgebots aufgegeben hatte9. Demgegenüber hat der Strafsenat seine Ansicht zur „Schonfrist“10 bei der unterlassenen Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung noch nicht aufgegeben. Fraglich ist, ob der (frühere) Schonfrist-Gedanke nach einem Insolvenzantrag im Eröffnungsverfahren in Eigenverwaltung gilt. Im Eröffnungsverfahren der Regelverwaltung steht einer Haftung für neue Abgaben die tatsächliche Unmöglichkeit entgegen, dass ein regelmäßig bestellter vorläufiger Verwalter seine Zustimmung zur Zahlung verweigert11. Die Eigenverwaltung darf nicht zu Nachteilen 1 BGH v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, GmbHR 2005, 874; BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, GmbHR 2001, 196. 2 BGH v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, GmbHR 2005, 1419; BGH v. 21.9.2005 – 5 StR 263/05, NStZ 2006, 227. 3 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, GmbHR 2007, 757; BGH v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, GmbHR 2008, 815; BGH v. 5.5.2008 – II ZR 38/07, GmbHR 2008, 813. 4 § 26b UStG, § 380 AO, §§ 41a Abs. 1, 38 Abs. EStG. 5 BGH v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, GmbHR 2011, 367; Überblick zur Rechtsprechungsentwicklung und daraus folgender Geschäftsführerpflichten: Meyer, DStZ 2014, 228, 235 ff. 6 Bejahend Thole, DB 2015, 662, 665. 7 Thole, DB 2015, 662, 665. 8 BFH v. 4.12.2007 – VII R 18/06, GmbHR 2008, 386. 9 BGH v. 23.9.2008 – VII R 27/07, GmbHR 2009, 222. 10 BGH v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, GmbHR 2005, 1419. 11 BGH v. 18.11.1997 – VI ZR 11/97, GmbHR 1998, 280; BFH v. 19.2.2010 – VII B 190/09, ZIP 2010, 1900.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

9.161

für die Gläubiger im Vergleich zur Regelverwaltung führen. Ein Verhaltensappell, der diese Nachteile verlangt und damit gleichzeitig einen Grund für die Ablehnung der Eigenverwaltung liefert, würde die Einheit der Rechtsordnung stören. Es besteht eine rechtliche Unmöglichkeit, so dass eine Haftung am Verschulden scheitert. Die GmbH als Eigenverwalterin darf die Sozialabgaben und Steuerverbindlichkeiten nur in dem Umfang bedienen, in dem es auch ein vorläufiger Insolvenzverwalter getan hätte1. Eine weitergehende Verpflichtung kann nach dem für jede Geschäftsführungsmaßnahme geltenden Legalitätsprinzip auch der Geschäftsführung nicht angesonnen werden, und zwar weder im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB2 noch der §§ 34, 69 AO3. Zwar ist das Insolvenzanfechtungsrecht ein Beleg dafür, dass vor Verfahrenseröffnung getätigte Zahlungen nicht verboten, sondern allenfalls erstattungspflichtig sind. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass keine Pflichtenkollision besteht; denn nach dem Insolvenzantrag kommt die verfahrensrechtliche Sicherungspflicht hinzu, in der Regelverwaltung meist verstärkt durch Verfügungsverbote, in der Eigenverwaltung unterstrichen durch das Nachteilsvermeidungsgebot4. So hat der BFH eine umsatzsteuerliche Organschaft nach Insolvenzeröffnung mit dem Vorrang des Gläubigerinteresses abgelehnt5. Die gleiche Wertung gilt für die steuerlichen Pflichten schon ab Insolvenzantrag. Dem kann, soweit es die Steuern betrifft, nicht entgegengehalten werden, dass § 55 Abs. 4 InsO bestimmte Steuerverbindlichkeiten6 im Eröffnungsverfahren der Regelverwaltung als künftige Masseschulden fingiert. Da diese Vorschrift im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung nicht anwendbar sei7, trete durch eine persönliche Haftung „unterm Strich“ keine Schlechterstellung ein. Persönliche Haftung und Massebelastung sind jedoch wirtschaftlich nicht vergleichbar, was an der Situation der Masseunzulänglichkeit deutlich wird. Dann ist die Masseschuld erst einmal nicht zu bedienen, während die persönliche Haftung bestehen bliebe. Das AG Hamburg hat versucht, die Haftungsfreistellung der Geschäftsführer wie 9.161 im Regelverfahren durch die Herbeiführung einer tatsächlichen Unmöglichkeit zu bewirken, indem es eine Kassenführung durch den vorläufigen Sachwalter gemäß § 275 Abs. 2 InsO anordnete8. Die Tauglichkeit dieser Anordnung ist zweifelhaft, weil die Kassenführungsbefugnis keine den Schuldner verdrängende ist9. 1 Kahlert in Kübler, HRI, § 57 Rz. 26; Hobelsberger, DStR 2013, 2545, 2549; Hunsalzer, ZInsO 2014, 1748, 1749. 2 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 43 GmbHG Rz. 90. 3 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 43 GmbHG Rz. 90; Kahlert in Kübler, HRI, § 57 Rz. 29; Hobelsberger, DStR 2013, 2545, 2549; a.A. Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1408, die die außerhalb der Insolvenz bei Mittelknappheit geltenden Regeln anwenden wollen. 4 Thole, DB 2015, 662, 667. 5 BFH v. 19.3.2014 – V B 14/14, ZIP 2014, 889 = GmbHR 2014, 663. 6 Zu Umfang s. Thole in Karsten Schmidt, § 55 InsO Rz. 44 ff. 7 So schon die Ansicht des Bundesrats, BT-Drucks. 17/5712, S. 52; Hobelsberger, DStR 2013, 2545, 2547 f.; Kahlert in Kübler, HRI, § 57 Rz. 22 f.; wohl a.A. Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1407. 8 AG Hamburg v. 14.7.2014 – 67b IN 196/14, ZIP 2014, 2101.m. Erl. Frind, ZInsO 2015, 22 ff. 9 Fiebig in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 275 InsO Rz. 14; Harder, NZI 2015, 162 f.; Thole, DB 2015, 662, 669; a.A. Frind, ZinsO 2015, 22, 25.

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9.162

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

Wäre es anders, wäre das jedenfalls im Schutzschirmverfahren unwirksam1, weil § 270b Abs. 2 InsO keine Rechtsgrundlage für die Anordnung auch nur partieller Verfügungsverbote bietet. Möglicherweise mag sich der Schuldner mit einer solchen Sicherungsmaßnahme einverstanden erklären dürfen. Das beseitigt die Haftung seiner Organe indes nicht unbedingt, wird doch sogar in der vorläufigen Regelverwaltung verlangt, dass der weitgehend entmachtete Geschäftsführer auf die Zustimmung des vorläufigen Verwalters hinwirkt2. Dann darf er erst recht nicht durch sein Einverständnis eine tatsächliche Unmöglichkeit provozieren. Anders verhält es sich, wenn das Insolvenzgericht statt einer Übertragung der nach der hier vertretenen Auffassung den Schuldner nicht verdrängenden Kassenführung einen Zustimmungsvorbehalt anordnet3, was aber als Verfügungsbeschränkung allenfalls im Eröffnungsverfahren der einfachen Eigenverwaltung zulässig sein könnte4. Der erst nach Verfahrenseröffnung geltende § 277 Abs. 1 InsO wird dafür aber kaum eine Rechtsgrundlage bilden können5. Unabhängig von all dem entschärfte die Insolvenzanfechtung das Risiko für die Geschäftsführer. Weder die zivilrechtliche noch die steuerrechtliche Haftung6 leben nach der Anfechtung einer Zahlung wieder auf, falls nicht schon vorher der Haftungstatbestand verwirklicht worden war7 (s. sogleich). Voraussetzung der Anfechtung ist, dass der Gläubiger über den Insolvenzantrag informiert wurde (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Ein die Anfechtung hindernder Vertrauensschutz besteht nicht8, und zwar auch dann nicht, wenn der Schuldner umfassend zur Begründung künftiger Masseverbindlichkeiten ermächtigt wurde9. Auch liegt kein Bargeschäft vor, weil es an einer unmittelbaren Gegenleistung des Sozialversicherungsträgers fehlt10. 9.162 Ein Sonderproblem ist die bereits vor dem Insolvenzantrag begründete Haftung für Steuern und Sozialabgaben. Nach neuer Rechtsprechung verstößt eine Zahlung gesellschaftsrechtlich nicht gegen § 64 GmbHG, weil es dem Geschäftsfüh1 A.A. wohl Thole, DB 2015, 662, 669, weil er diese Sicherungsmaßnahme nur in dem durch § 270b Abs. 2 InsO nicht ausgeschlossenen § 21 Abs. 1 InsO verortet, nicht auch in dem ausgeschlossenen § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO. 2 BFH v. 19.2.2010 – VII B 190/09, ZIP 2010, 1900 Rz. 14. 3 So der nur mit einem Tenor veröffentliche Beschluss des AG Düsseldorf v. 10.7.2014 – 504 IN 124/14, ZInsO 2014, 2389; zustimmend Buchalik/Kraus, ZInsO 2014, 2354 ff. 4 Wobei fraglich ist, ob der Zustimmungsvorbehalt dem vorläufigen Sachwalter in dieser Funktion obliegt – so das AG Düsseldorf v. 10.7.2014 – 504 IN 124/14, ZInsO 2014, 2389.m. Zust. Thole, DB 2015, 662, 669 – oder er dann nicht eher in einer Doppelfunktion als vorläufiger Insolvenzverwalter auftritt, was Riggert in Braun, § 270a InsO Rz. 5 ohne Begründung für unzulässig hält. 5 Frind, ZInsO 2015, 22, 23. 6 BFH v. 11.11.2008 – VII R 19/08, GmbHR 2009, 499; BFH v. 4.12.2007 – VII R 18/06, GmbHR 2008, 386; Kahlert, ZIP 2012, 2089, 2092; Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1409. 7 BFH v. 15.6.2009 – VII B 196/08, BFH/NV 2009, 1605 Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1413. 8 OLG Dresden v. 18.6.2014 – 13 U 106/14, ZIP 2014, 1294; OLG Saarbrücken v. 22.5. 2014 – 4 U 99/13, ZIP 2014, 1791. 9 LG Hamburg v. 19.9.2014 – 303 O 29/14, ZInsO 2015, 516; so schon BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, ZIP 2014, 584 = GmbHR 2014, 417 für Zahlungen eines „starken“ vorl. Verwalters. 10 BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1243; OLG Dresden v. 18.6.2014 – 13 U 106/14, ZIP 2014, 1294; OLG Saarbrücken v. 22.5.2014 – 4 U 99/13, ZIP 2014, 1791.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

9.164

rer möglich sein soll, eine Haftung nachträglich zu beseitigen oder zu reduzieren1. Insolvenzrechtlich würde sie hingegen einen Nachteil im Vergleich zum Eröffnungsverfahren der Regelverwaltung bedeuten, was zu einem Auseinanderfallen der Haftungslage unmittelbar vor – dann kein Verstoß einer Zahlung auf Rückstände – und unmittelbar nach dem Insolvenzantrag – dann Verstoß – führt. Das ist hinzunehmen, weil anderenfalls eine Schlechterstellung im Vergleich zur Bestellung eines vorläufigen Verwalters vorläge, der einer Rückstandszahlung nicht zustimmen würde. Ein Geschäftsführer darf eine einmal begründete Haftung somit nur noch vor, nicht aber mehr nach Insolvenzantrag durch Leistung aus der Masse beseitigen2. 8. Haftung gemäß § 311 Abs. 3 BGB Eine Sachwalterhaftung der Geschäftsführer gemäß § 311 Abs. 3 BGB wegen In- 9.163 anspruchnahme persönlichen Vertrauens kann nicht schon allein damit abgelehnt werden, dass ihnen nach der grundlegenden Entscheidung des BGH aus 19943 regelmäßig kein Solvenzvertrauen entgegengebracht wird4; denn dass der GmbH die Solvenz fehlt, wird schon durch den Insolvenzantrag zum Ausdruck gebracht, so dass es nur um das Vertrauen in eine ordnungsgemäße Sanierung bzw. Abwicklung gehen kann. Gerade in der Krise werden an die handelnden Personen besondere Erwartungen gestellt. § 61 InsO zeigt jedoch, dass auch in der Insolvenzsituation eine persönliche Haftung allein nach allgemeinen Vorschriften nicht besteht. Diese Vorschrift hatte in der KO kein Vorbild, so dass eine Solvenzhaftung des Konkursverwalters verneint wurde5, falls nicht besondere Umstände vorlagen. § 61 InsO ist mithin konstitutiv, gilt aber nur für den Fremdverwalter und ist somit auf den Geschäftsführer nicht anwendbar (Rz. 9.136 ff.). Für seine Haftung ist vielmehr ebenso wie außerhalb eines Insolvenzverfahrens ein Verhalten erforderlich, das sich im Vorfeld6 der Übernahme einer persönlichen Garantie bewegt. Die Rechtsprechung ist bei Annahme dieser Voraussetzungen sehr zurückhaltend geworden7, so dass auch für den CRO allein der Hinweis auf seine Sanierungserfahrung zu keiner persönlichen Haftung gegenüber der Geschäftspartner im Außenverhältnis führt8. 9. Haftungsbeschränkung, Ressortaufteilung, D & O-Versicherung Haftungsbeschränkende Vereinbarungen können sowohl das Verschulden als 9.164 auch die Haftungshöhe betreffen. Gesellschaftsrechtlich ist die Haftung für Einlagenrückgewähr9 sowie Verletzung des Sperrjahrs oder für masseverändernde 1 2 3 4 5 6 7 8

BGH v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, GmbHR 2011, 367. Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1410. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, GmbHR 1994, 539. Tendenziell a.A.: Bachmann, ZIP 2015, 101, 107. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 114/01, ZIP 2005, 1327. Anderenfalls würde schon ein Vertrag gemäß § 311 Abs. 1 BGB vorliegen. Emmerich in Münchener Kommentar zum BGB, § 311 BGB Rz. 191. Anders noch BGH v. 3.4.1990 – XI ZR 206/88, ZIP 1990, 659, allerdings geprägt durch täuschende Angaben, die die Haftung schon in eine deliktische Nähe rückte. 9 Das ist nicht zu verwechseln mit der sogleich anzusprechenden Frage, ob die Haftungsbeschränkung selbst eine Einlagenrückgewähr darstellt.

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9.164

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

Auszahlungen nicht dispositiv (§§ 43 Abs. 3, 64 Satz 4, 71 Abs. 4 GmbHG). Ansonsten sind sie vor einem Insolvenzantrag nach Ansicht des BGH1 zulässig. § 93 Abs. 5 AktG, wonach ein Verzicht oder ein Vergleich über Haftungsansprüche keine Wirkungen gegenüber Gläubigern entfaltet, findet auf die GmbH außer in den im GmbHG ausdrücklich geregelten Fällen nach Ansicht des BGH keine Anwendung2, wobei eine Haftung für grobe Fahrlässigkeit als Mindeststandard angesehen wird3. Da die nach einem Insolvenzantrag auftretenden Geschäftsführungsfehler jedoch zulasten der Gläubiger gehen, stellt sich die Frage, ob eine frühere Disposition über Haftungsvoraussetzungen und -umfang noch fortwirkt. Für eine Antwort ist zwischen der gesellschaftsrechtlichen und der insolvenzrechtlichen Zulässigkeit zu unterscheiden. Gesellschaftsrechtliche Gründe sind für einen Geschäftsführer relevant, der zugleich Gesellschafter ist. Es könnte eine Einlagenrückgewähr vorliegen, wenn im Vorhinein nur societates causa auf einen Schadensersatzanspruch verzichtet wird, der gegen einen Fremdgeschäftsführer durchgesetzt werden würde. Für einen Verstoß gegen § 30 GmbHG kommt es auf den Zeitpunkt der Vermögensminderung an4. Im Zeitpunkt der Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung tritt nach der für Verstöße gegen das Kapitalerhaltungsgebot maßgebenden bilanziellen Betrachtungsweise keine Vermögensminderung ein, weil davon auszugehen ist, dass sich der Geschäftsführer sorgfaltsgemäß verhalten wird. Eine Verletzung des § 30 GmbHG käme somit nur in Betracht, wenn auf den Zeitpunkt der schädigenden Handlung abgestellt werden und der Schadensersatzanspruch gleichsam eine „juristische Sekunde“ vor der Verzichtswirkung entstehen würde. Bei der schuldrechtlichen Vertragshaftung, bei der sich die Haftungsvoraussetzungen allein nach den vertraglichen Abreden richten, entsteht ein über die Haftungsabrede hinausgehender Anspruch gar nicht erst. Mit der Geschäftsführerhaftung könnte es sich anders verhalten, weil die Pflichten aus dem Organverhältnis und nicht (nur) aus dem Anstellungsverhältnis resultieren. So entstehen gegen den Vorstand einer AG gemäß § 93 Abs. 5 Satz 3 AktG Haftungsansprüche unabhängig von haftungsmildernden Vereinbarungen. Für den GmbH-Geschäftsführer gibt es diese Vorschrift nicht, so dass eine dem Drittvergleich nicht standhaltende Haftungsbegrenzung in der Krise bzw. nach einem Insolvenzantrag an § 30 GmbHG scheitern könnte. Selbst aber wenn sie dem Drittvergleich standhält, wären insolvenzrechtliche Restriktionen zu beachten. Die Unterscheidung zwischen Anspruchsentstehung und Anspruchsverzicht hat auch hier Bedeutung. Die Haftungsbeschränkung könnte am Rechtsgedanken des § 91 InsO scheitern, wonach Rechte an Vermögensgegenständen – und das wäre auch das Recht auf die Beschränkung eines Haftungsanspruchs – nach Verfahrenseröffnung nicht erworben werden können, es sei denn, dass eine Handlung des Insolvenzverwalters vorliegt. Insolvenzverwalter ist die GmbH, die gegenüber dem Geschäftsführer durch die Gesellschafter vertreten wird. Sie aber dürfen gemäß § 276a InsO keinen Einfluss mehr auf die Geschäftsführung ausüben, was sich auch auf einen von ihnen erklärten (antizipierten) Haftungsverzicht erstrecken könnte. Andererseits ergibt sich aus § 276a 1 2 3 4

Zum Meinungsstand: Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 260 f. BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, GmbHR 2002, 1197. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 43 GmbHG Rz. 46. Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 30 GmbHG Rz. 15; Verse in Scholz, § 30 GmbHG Rz. 53.

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Gesellschafter und Geschäftsführer in der Eigenverwaltung

9.166

InsO, dass personelle Veränderungen nur mit Zustimmung des Sachwalters zulässig sind, die Rechtsstellung des Geschäftsführers also von der Verfahrenseröffnung ansonsten unberührt bleibt. Das muss dann ebenfalls für die Haftungsbeschränkung gelten1, zumal der Anstellungsvertrag gemäß § 108 InsO unverändert fortbesteht. Die Ressortaufteilung zwischen mehreren Geschäftsführern entspricht einer Be- 9.165 schränkung der Haftung auf Pflichtverletzungen im eigenen Bereich. Auch sie könnte daran scheitern, dass die Gesellschafter gemäß § 276a InsO keinen Einfluss mehr auf „die Geschäftsführung“ haben, die Zuweisung bestimmter Zuständigkeiten also obsolet geworden ist. Die Konsequenz wäre eine Gesamtverantwortung aller Geschäftsführer wie bei § 64 GmbHG2. Zwar haftet auch dort für eine Masseschmälerung nur der Veranlasser3. Eine Zahlung wird dem „Unterlasser“ nur dann nicht zugerechnet, wenn er sie trotz Einhaltung aller Kontrollpflichten nicht hätte verhindern können4. Diese Gesamtverantwortung ist zumutbar, solange es der unterlassene Geschäftsführer in der Hand hat, Zahlungen durch die Verabschiedung einer Krisengeschäftsordnung oder einen Insolvenzantrag zu unterbinden. Ist das geschehen, ist es ihm jedenfalls bei Unternehmen mit einer Vielzahl von täglichen Geschäftsvorfällen schon aus tatsächlichen Gründen unmöglich, einer Gesamtverantwortung nachzukommen. Soweit eine Ressortaufteilung erforderlich ist und sich im Rahmen eines sukzessive konkretisierten Sanierungsplans hält, ist die Haftung sowohl im Rahmen des ohnehin nur bis zur Insolvenzeröffnung anwendbaren § 64 GmbHG als auch im Rahmen des fortgeltenden § 43 GmbHG5 auf Pflichtverletzungen im eigenen Geschäftsbereich begrenzt. Eine andere Möglichkeit der Reduzierung des Haftungsrisikos besteht in dem Ab- 9.166 schluss einer D & O-Versicherung6. Neu berufene Krisengeschäftsführer sollten darauf achten, dass sie nicht unter das Dach der bestehenden, auf eine einheitliche Deckungssumme lautenden Versicherung schlüpfen. Erkennen sie nämlich Haftungstatbestände zulasten der bisherigen und machen das gegenüber dem Versicherer geltend, reduzieren sie damit zugleich die für die eigene Haftung verbleibende Deckung. Da eigene Fehler erst später festgestellt werden, kann der vorherige Erfolg bei der Anspruchsverfolgung gegen frühere Geschäftsführer zum Bumerang bei der eigenen Deckung werden. Außerdem ist darauf zu achten, dass die Versicherung auch nach Verfahrenseröffnung fortgeführt wird, da es für eine Deckung auf die Anspruchserhebung und nicht auf den Zeitpunkt der Pflichtverletzung ankommt. Eine im Versicherungsvertrag vorgesehene automatische Beendi-

1 A.A. Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1106, für einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 60 f. InsO, den sie über § 43 Abs. 2 GmbHG beim Geschäftsführer liquidieren wollen. 2 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 60. 3 BGH v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rz. 12 = GmbHR 2015, 137. 4 OLG München v. 28.11.2007 – 7 U 5444/05, GmbHR 2008, 320. 5 Zur Ressortaufteilung außerhalb der Insolvenz s. Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 35 ff. 6 Einzelheiten bei Weiß, GmbHR 2014, 574; Uwe H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG Rz. 435 ff.; Schenck, NZG 2015, 494.

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9.167

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

gung des Versicherungsvertrages dürfte gegen § 119 InsO verstoßen1, so dass die Erfüllungswahl gemäß § 103 InsO erklärt werden kann. 9.167–9.190

vacat

1 Zu Lösungsklauseln s. BGH v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZIP 2013, 274 Rz. 13 ff.; Werner, ZInsO 2014, 1940, 1943.

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Kreditgeschäft

9.197

B. Kreditgeschäft bei Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren Für das Kreditgeschäft in den verschiedenen Phasen und Spielarten des Eigenver- 9.191 waltungsverfahrens – insbesondere auch in den Eröffnungsverfahren gemäß § 270a InsO und dem Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung („Schutzschirmverfahren“) gemäß § 270b InsO – sind einige Besonderheiten gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren zu beachten.

I. Eröffnungsverfahren gemäß § 270a InsO Wie oben ausführlich dargestellt (vgl. Rz. 9.4 ff.) verbleibt der GmbH als Schuld- 9.192 nerin die allgemeine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über ihr Vermögen. Sie unterliegt aber durch die Mitwirkungsbefugnisse des vorläufigen Sachwalters (§ 270a Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. §§ 274, 275 InsO) gewissen Beschränkungen. Für das Kreditgeschäft hat dies folgende Auswirkungen: 1. Bestehende Kredite Auf die Wirksamkeit bestehender Kreditverträge haben weder der Antrag auf Ei- 9.193 genverwaltung noch die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters Auswirkungen. Das Kreditinstitut ist aber in der Regel berechtigt, Kreditverträge aus wichtigem Grund außerordentlich zu kündigen. Jedenfalls wenn das Kreditinstitut über revolvierende Kreditsicherheiten verfügt 9.194 und es ein Abschmelzen des unanfechtbaren Sicherheitenbestandes infolge der Rechtsprechung des BGH1 verhindern will, ist eine Kündigung des Kredits und der Widerruf der Einziehungsbefugnis bzw. der Verarbeitungs- und Veräußerungsermächtigung geboten (s. ausführlich oben bei Rz. 5.347). 2. Neue Kredite Der Schuldner bleibt zur Aufnahme von neuen Krediten berechtigt; er hat hierzu 9.195 allerdings die Zustimmung des vorläufigen Sachwalters einzuholen (§ 275 Abs. 1 Satz 1 InsO). Denn das Eingehen von Neukrediten zählt regemäßig nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb2. Kann die GmbH für einen neuen Kredit noch neue werthaltige Sicherheiten stel- 9.196 len, ist das wirtschaftliche Risiko für ein Kreditinstitut überschaubar, da es sich dann um ein Bargeschäft handelt und deswegen die Besicherung im eröffneten Verfahren grundsätzlich nicht anfechtbar ist3. Können seitens der GmbH keine neuen Sicherheiten gestellt werden, wird das 9.197 Kreditinstitut nicht zur Einräumung eines neuen Kredits bereit sein. Hinzu kommt, dass der Schuldner auch mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters 1 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, WM 2008, 204. 2 Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 275 InsO Rz. 11. 3 Zum Ausschluss der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 133 InsO bei Vorliegen eines Bargeschäfts s. Kayser, NJW 2014, 422.

Kuder/Unverdorben

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9.198

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

während der Dauer der vorläufigen Eigenverwaltung keine Verbindlichkeiten begründen kann, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten vorranging zu bedienen sind1. 9.198 In diesem Zusammenhang wird allerdings diskutiert, ob das Insolvenzgericht den Schuldner im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren gemäß § 270a InsO zur Begründung von Masseverbindlichkeiten (entsprechend der Regelung des § 55 Abs. 2 InsO) ermächtigen kann. Da eine Klärung dieser Frage durch den Gesetzgeber nicht zu erwarten ist2, müssen potenzielle Kreditgeber bis zu einer höchstrichterlichen Klärung3 mit dem rechtlichen Risiko leben, dass sich später herausstellt, dass der Schuldner – trotz Ermächtigung durch das Insolvenzgericht und Zustimmung des vorläufigen Sachwalters – keine Masseverbindlichkeiten wirksam begründen konnte. Sofern sich ein Kreditinstitut trotz dieses Risikos gleichwohl dazu entschließt, einer GmbH einen Massekredit im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren zu gewähren, sollten die folgenden Voraussetzungen vorliegen4: – Vertrauenswürdige Geschäftsführung der GmbH, – vertrauenswürdiger vorläufiger Sachwalter, – Zustimmung des vorläufigen Sachwalters zu dem Massekreditvertrag (§ 275 Abs. 1 Satz 1 InsO), – Kassenführungsbefugnis des vorläufigen Sachwalters (§ 275 Abs. 2 InsO), – Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses zum Massekreditvertrag, – persönliche Haftung der Geschäftsführung für das Massedarlehen, um eine § 61 InsO vergleichbare persönliche Haftung zu erhalten, – gerichtliche Ermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Zusammenhang mit dem Massekreditvertrag.

II. Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung (Schutzschirmverfahren) gemäß § 270b InsO 9.199 Die Einleitung eines Verfahrens zur Vorbereitung einer Sanierung gemäß § 270b InsO („Schutzschirmverfahren“) (s. oben Rz. 9.81) hat für Kredite die folgenden Auswirkungen:

1 Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 270a InsO Rz. 16; nach anderer Ansicht ist der Schuldner – auch ohne gesonderte Ermächtigung durch das Insolvenzgericht – bereits von Gesetzes wegen berechtigt, erforderlichenfalls Verbindlichkeiten zu Lasten der späteren Insolvenzmasse zu begründen, vgl. Frind, ZInsO 2012, 1099, 1104; AG Montabaur v. 27.12.2012 – 14 IN 282/12, ZInsO 2013, 397. 2 Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765. 3 Auch eine höchstrichterliche Klärung ist nicht zeitnah zu erwarten, da der BGH beschlossen hat, dass die Entscheidung des Insolvenzgerichts, den Schuldner nicht zur Begründung von Masseverbindlichkeiten zu ermächtigen, nicht mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden kann, BGH v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, NZI 2013, 342. 4 Wie hier: Huber, ZInsO 2013, 1, 10.

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Eröffnetes Verfahren

9.203

1. Bestehende Kredite Im Hinblick auf bestehende Kredite bestehen keine Unterschiede zum Eröff- 9.200 nungsverfahren nach einem Antrag auf Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO (s. oben Rz. 9.192 f.). Insbesondere hindert auch der „Schutzschirm“ die Kreditgeber nicht daran, bestehende Kredite zu kündigen. Die Beantragung eines Verfahrens zur Vorbereitung einer Sanierung gemäß § 270b InsO ist daher nur sinnvoll, wenn die GmbH diese Vorgehensweise gut vorbereitet und mit den wesentlichen Gläubigern abgestimmt hat. 2. Neue Kredite Da die GmbH als Schuldner auch im Schutzschirmverfahren die Verfügungs- 9.201 befugnis über ihr Vermögen behält und sie weiterhin selbst die Geschäfte unter Aufsicht des vorläufigen Sachwalters führt1, bleibt sie auch zur Aufnahme neuer Kredite berechtigt. Sie hat hierzu die Zustimmung des vorläufigen Sachwalters einzuholen (§ 275 Abs. 1 Satz 1 InsO). Die GmbH kann sich zudem gemäß § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO vom Insolvenzge- 9.202 richt zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigen lassen, mit der Folge, dass die Verbindlichkeit aus dem neuen Kreditvertrag im eröffneten Verfahren eine Masseverbindlichkeit darstellt2. Hierbei hat die GmbH die Wahl, ob sie bei dem Insolvenzgericht eine Einzelermächtigung beantragt3, die ihr lediglich die Aufnahme des neuen Kredits als Masseverbindlichkeit ermöglicht oder ob sie eine globale Ermächtigung beantragt, die ihr dann eine mit einem vorläufigen Insolvenzverwalter und angeordnetem Verfügungsverbot vergleichbare Stellung gibt4. Das Gericht ist bei einem entsprechenden Antrag des Schuldners verpflichtet, die Ermächtigung zu erteilen. Dem Gericht steht dabei kein eigenes Ermessen zu; eine Prüfung, ob die Ermächtigung der Sanierung dienlich ist, findet nicht statt5.

III. Eröffnetes Verfahren 1. Kreditaufnahme durch den Schuldner Soweit für die GmbH im eröffneten Insolvenzverfahren die Finanzierung durch 9.203 Fremdmittel erfolgen muss, gilt auch bei Anordnung von Eigenverwaltung der oben für das reguläre Insolvenzverfahren geschilderte Befund (s. bei Rz. 7.553 f.), dass eine Ausnutzung bestehender Kreditlinien zur Deckung des Finanzbedarfs durch die Beendigung der Kreditverträge mit Verfahrenseröffnung, jedenfalls 1 Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 45. 2 Ohne einen gerichtlichen Beschluss hingegen werden keine Masseverbindlichkeiten begründet, OLG Köln v. 3.11.2014 – 2 U 82/14, ZInsO 2015, 204. 3 LG Dresden v. 11.9.2013 – 1 O 1168/13, ZInsO 2013, 1962; Klinck, ZIP 2013, 853, 858; Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 111. 4 Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 108 ff.; Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 39; Schmittmann/Dannemann, ZIP 2013, 760, 761. 5 Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 270b InsO Rz. 107.

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9.204

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

aber durch die Kündigung der Kredite seitens der Kreditgeber verhindert wird und neue Kredite aufgenommen werden müssen. a) Befugnis zur Kreditaufnahme 9.204 Da der Schuldner berechtigt bleibt, die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen, ist die Geschäftsführung der GmbH bei Anordnung der Eigenverwaltung trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Aufnahme neuer Kredite befugt, die z.B. für die Unternehmensfortführung mit dem Ziel der Sanierung im Verfahren benötigt werden. Kreditaufnahmen durch den Schuldner führen bei Eigenverwaltung zu privilegierten Masseverbindlichkeiten i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO1. Denn nach dieser Regelung sind Masseverbindlichkeiten alle Verbindlichkeiten, die durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse entstehen, sei es durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise – also eben auch durch Handlungen des Schuldners, sofern dieser wegen Anordnung der Eigenverwaltung zur Verwaltung befugt ist. 9.205 Einschränkungen für die Aufnahme neuer Kredite durch die GmbH beim Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung ergeben sich nach § 275 InsO zum einen daraus, dass der Schuldner Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, nur mit Zustimmung des Sachwalters eingehen soll. Zum anderen soll der Schuldner selbst Verbindlichkeiten, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, dann nicht eingehen, wenn der Sachwalter widerspricht. Die fehlende Zustimmung des Sachwalters zu Kreditaufnahmen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs bzw. sein Widerspruch gegen die Aufnahme neuer Kredite im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hat auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts und auf die Einordnung der daraus resultierenden Forderungen als Masseverbindlichkeiten keinen Einfluss2. 9.206 Sofern den Gläubigern die bloße Überwachung der GmbH durch den Sachwalter nicht ausreicht, können sie nach § 277 InsO durch Beschluss der Gläubigerversammlung die Anordnung des Insolvenzgerichts erreichen, dass bestimmte Rechtsgeschäfte des Schuldners nur mit Zustimmung des Sachwalters wirksam sind. Das Zustimmungserfordernis kann für bestimmte Rechtsgeschäfte angeordnet werden, also z.B. generell für die Veräußerung oder Belastung von allen Grundstücken oder auch für schuldrechtliche Vorgänge wie z.B. den Abschluss neuer Kreditverträge3. 9.207 Wenn eine solche Anordnung ergangen ist, sind nach §§ 81 Abs. 1 Satz 2, 3 und 82 InsO verfügende Rechtsgeschäfte der GmbH mit Dritten, die ohne Zustimmung vorgenommen worden sind, auch im Außenverhältnis unwirksam. Sofern die Zustimmungsbedürftigkeit für schuldrechtliche Verträge vorgesehen ist, ergibt sich aus § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO, dass ohne die Zustimmung des Sachwalters solche Rechtsgeschäfte keine Masseverbindlichkeiten begründen. Ist angeordnet worden, dass Kreditaufnahmen der Zustimmung bedürfen, kann also die 1 Haas in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 90 Rz. 5. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.488; ausführlich dazu Tetzlaff/Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 275 InsO Rz. 7 ff., 15. 3 Tetzlaff/Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 277 InsO Rz. 6 ff.

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Verwertung von Kreditsicherheiten

9.210

Geschäftsführung der GmbH neue Kreditverträge nur wirksam abschließen und insoweit Masseverbindlichkeiten begründen, wenn der Sachwalter dem Vertragsschluss zustimmt1. Ist ein Gläubigerausschuss bestellt, so muss die Geschäftsführung der GmbH 9.208 nach § 276 InsO die Zustimmung des Gläubigerausschusses einholen, wenn sie Rechtshandlungen vornehmen will, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind. Fehlt ein Gläubigerausschuss, tritt insoweit gemäß § 160 Abs. 1 Satz 2 InsO die Gläubigerversammlung an Stelle des Gläubigerausschusses. Welche Geschäfte bedeutsam sind, ergibt sich wie im regulären Insolvenzverfahren aus § 160 Abs. 2 InsO. Dazu zählt die Aufnahme von Darlehen, die die Insolvenzmasse erheblich belasten würden. Für den Abschluss von Kreditverträgen zur Finanzierung der GmbH im Insolvenzverfahren, die dieses Gewicht haben, braucht die Geschäftsführung der GmbH daher bei Anordnung der Eigenverwaltung neben der Zustimmung des Sachwalters auch die von Gläubigerausschuss bzw. -versammlung2. Die Geschäfte sind aber auch bei fehlender Zustimmung wirksam (§§ 276 Satz 2, 164 InsO). b) Bestellung von Kreditsicherheiten Auf Grund seiner Befugnis aus § 270 InsO, über die Insolvenzmasse zu verfügen, 9.209 hat der Schuldner bei Eigenverwaltung die Rechtsmacht, den Kreditgebern Sicherheiten aus der Insolvenzmasse zu bestellen. Immer dann, wenn der Schuldner die Zustimmung von Sachwalter und/oder Gläubigerausschuss bzw. -versammlung für die Kreditaufnahme einholen muss, soll er die Zustimmung auch für die Besicherung dieser Kredite einholen. Eine fehlende Zustimmung lässt jedoch grundsätzlich die Wirksamkeit der Sicherheitenbestellung im Verhältnis zum Kreditgeber unberührt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Gericht auf Antrag der Gläubigerversammlung nach § 277 InsO angeordnet hat, dass die Bestellung der Kreditsicherheiten oder die sonstige Verfügung über die betreffenden Massebestandteile nur mit Zustimmung des Sachwalters wirksam ist. Eine wirksame Verfügung des Schuldners über Gegenstände der Insolvenzmasse kann selbst dann nicht angefochten werden, wenn später die Eigenverwaltung aufgehoben wird3.

IV. Verwertung von Kreditsicherheiten Zu den Aufgaben, die im Eigenverwaltungsverfahren dem Schuldner selbst über- 9.210 tragen sind, gehört gemäß § 282 InsO auch die Verwertung von Sicherheiten4. Der Schuldner übt insoweit das Recht des Insolvenzverwalters zur Verwertung von Gegenständen, an denen Absonderungsrechte bestehen, aus; er ist also nur dann zur Verwertung berechtigt, wenn der Insolvenzverwalter im regulären Insolvenz1 Tetzlaff/Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 277 InsO Rz. 36. 2 Zum Begriff der „Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung“: Tetzlaff/Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 276 InsO Rz. 4 ff. 3 Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 333 RegE, S. 224. 4 Detailliert zur Sicherheitenverwertung durch den Schuldner Tetzlaff/Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 282 InsO Rz. 14 ff.

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9.211

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

verfahren dazu nach §§ 165 ff. InsO berechtigt wäre (eingehend dazu oben bei Rz. 7.564 ff.). Das Gesetz sieht diese Regelung so vor, weil die Eigenverwaltung in der Regel dann angeordnet wird, wenn Aussichten bestehen, das Unternehmen des Schuldners im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu sanieren. Ein ungehinderter Zugriff der absonderungsberechtigten Gläubiger auf ihre Sicherheiten soll im Interesse der Erhaltung solcher Sanierungschancen daher genauso wenig erfolgen können wie im regulären Insolvenzverfahren. Mit der Übertragung des Verwertungsrechts auf den Schuldner wird es dagegen möglich, die gleichen Voraussetzungen für eine gemeinsame Verwertung aller Sicherungsgegenstände im Unternehmensverbund, auch durch Sanierung des Unternehmens insgesamt, zu schaffen, wie sie im regulären Insolvenzverfahren bestehen1. 9.211 Der Schuldner soll sein Verwertungsrecht nur im Einvernehmen mit dem Sachwalter ausüben. Ein Verstoß der GmbH-Geschäftsführung gegen diese Vorschrift hätte aber keine Außenwirkung, sondern die betreffenden Rechtsgeschäfte bleiben auch in einem solchen Fall wirksam. Der Schuldner muss allerdings damit rechnen, dass in einem solchen Falle ein absonderungsberechtigter Gläubiger nach § 272 InsO die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragen kann2. 9.212 Im Vergleich zu regulären Insolvenzverfahren werden bei Eigenverwaltung die gesicherten Gläubiger mit einem geringeren Kostenbeitrag belastet. Zunächst werden nach ausdrücklicher Regelung in § 282 InsO in keinem Fall die pauschalen Feststellungskosten erhoben (zu den Kosten bei der Verwertung im regulären Insolvenzverfahren bei Rz. 7.613). Denn der Schuldner, dem bei Eigenverwaltung die Verwertung obliegt, ist in der Regel über die Rechte der Gläubiger an den Gegenständen der Insolvenzmasse hinreichend informiert, und auch der Sachwalter braucht nur im Rahmen seiner allgemeinen Aufsicht eingeschaltet zu werden. Wenn aber damit Kosten der Feststellung tatsächlich nicht anfallen, brauchen sie den gesicherten Gläubigern auch nicht in Abzug gebracht zu werden3. 9.213 Auch die Verwertungskostenpauschale des § 171 Abs. 2 Satz 1 InsO in Höhe von 5 % des Verwertungserlöses, die im regulären Insolvenzverfahren dem gesicherten Gläubiger zur Last fällt, erschien dem Gesetzgeber bei der Eigenverwaltung nicht angemessen. Denn im typischen Fall der Eigenverwaltung, nämlich bei Fortführung des Unternehmens durch den Schuldner, werden regelmäßig keine aufwendigen Verwertungshandlungen stattfinden. So werden Sicherungsrechte am Anlagevermögen und sonstigen Betriebsmitteln bestehen bleiben, sicherungsübereignete Waren werden im laufenden Geschäftsbetrieb ohne besondere Kosten veräußert und genauso werden abgetretene Forderungen eingezogen4. Deshalb sieht § 282 Abs. 1 InsO vor, dass Verwertungskosten den gesicherten Gläubigern nur insoweit vom Verwertungserlös abgezogen werden, wie diese Kosten – einschließlich der Umsatzsteuerbelastung5 – bei der Verwertung tatsächlich entstan1 Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 343 RegE, S. 226. 2 Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 343 RegE, S. 226 mit Verweis auf § 340 RegE, S. 225; Vallender, WM 1998, 2129, 2135. 3 Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 343 RegE, S. 226. 4 Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 343 RegE, S. 226. 5 Hier ergeben sich keine Besonderheiten im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren, vgl. Tetzlaff/Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 282 InsO Rz. 27 m.w.N.; de Weerth, BB 1999, 821.

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Kredite im eigenverwalteten Insolvenzplanverfahren

9.215

den sind1. Unabhängig von der gesetzgeberischen Motivation für dieses Regelung führt sie zum Wegfall der Verwertungskostenpauschale aber auch dann, wenn bei einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung keine Unternehmensfortführung erfolgt, sondern der Schuldner unter Aufsicht des Sachwalters die Einzelverwertung seines Vermögens betreibt.

V. Kredite im eigenverwalteten Insolvenzplanverfahren Außer dem regulären Insolvenzverfahren kann auch das Insolvenzplanverfahren 9.214 in Eigenverwaltung abgewickelt werden (§ 284 InsO) (dazu auch oben Rz. 9.52 f.). Insbesondere das Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung gemäß § 270b InsO soll bereits im Eröffnungsverfahren der Vorbereitung eines Insolvenzplans dienen (s. oben Rz. 9.81). Hinsichtlich der Aufnahme neuer Kredite ergeben sich nur für die im Insolvenzplan vorgesehenen privilegierten Rahmenkredite Besonderheiten insoweit, als die Überwachung der Planerfüllung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß § 284 Abs. 2 InsO Aufgabe des Sachwalters ist2 (ausführlich zu den Rahmenkrediten s. oben Rz. 8.206 ff.). Der Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren übernimmt damit bei der Plan- 9.215 überwachung die Aufgaben, die im Regelinsolvenzfahren dem Insolvenzverwalter zufallen. Einzelne Kredite kommen daher in den Genuss der Privilegierung nach §§ 264, 265 InsO, wenn die gemäß § 264 Abs. 2 InsO erforderliche Vereinbarung mit dem Kreditgeber von dem Sachwalter schriftlich bestätigt wurde. Zu unterscheiden ist der Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren, der im Fall eines Insolvenzplans gemäß § 284 Abs. 2 InsO mit der Planüberwachung beauftragt ist (sofern diese gemäß § 260 Abs. 1 InsO im gestaltenden Teil des Plans vorgesehen ist), von einem in der Literatur häufig ebenfalls als „Sachwalter“ bezeichneten Überwachungsbeauftragten, der bei einem im Regelinsolvenzverfahren vorgelegten Insolvenzplan abweichend von der gesetzlichen Regelung anstelle des vom Gesetz vorgesehenen Insolvenzverwalters und anstelle der in §§ 260 bis 269 InsO geregelten Überwachung auf Grundlage einer gewillkürten Bestimmung im Insolvenzplan die Überwachung des Plans vornimmt3. Einem solchen als „Sachwalter“ bezeichneten Überwachungsbeauftragen, der nicht kraft Gesetzes gemäß § 284 Abs. 2 InsO den Insolvenzplan überwacht, stehen die in §§ 260 bis 269 InsO bestimmten Befugnisse nicht zu4. Er kann daher auch nicht die gemäß § 264 Abs. 2 InsO erforderliche schriftliche Bestätigung für Rahmenkredite erteilen5.

1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.784. 2 Tetzlaff/Kern in Münchener Kommentar zur InsO, § 284 InsO Rz. 31 f. 3 Für die Zulässigkeit einer „gewillkürten“ Planüberwachung durch einen „Sachwalter“ an Stelle des Insolvenzverwalters: Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 260 InsO Rz. 13; Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 260 InsO Rz. 7 m.w.N. 4 Haas in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 260 InsO Rz. 7. 5 Die Unterscheidung zwischen einem Sachwalter, der im Eigenverwaltungsverfahren bestellt wurde und die Planüberwachung gemäß § 284 Abs. 2 InsO wahrnimmt und einem „gewillkürten Sachwalter“ wird in der Literatur – sofern überhaupt auf einen Sachwalter an Stelle des Insolvenzverwalters eingegangen wird – häufig nicht vorgenommen. Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, § 264 InsO Rz. 5, geht

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9.216

9. Teil: Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

9.216 Für die Kündigung von Krediten können sich Einschränkungen aus § 225a Abs. 4 InsO ergeben, sofern der Insolvenzplan einen Debt Equity Swap vorsieht (ausführlich hierzu oben bei Rz. 8.222).

etwa pauschal davon aus, dass eine Überwachung durch einen Sachwalter nicht ausreichend sei, da dem Sachwalter die erforderlichen Befugnisse nach § 264 Abs. 2 InsO nicht zustünden. Letzteres trifft aber nur für einen Überwachungsbeauftragten, den „gewillkürten Sachwalter“, zu, nicht für den Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren, dem gemäß § 284 Abs. 2 InsO die Befugnisse zustehen, die sonst dem Insolvenzverwalter zustehen.

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10. Teil: Restschuldbefreiung für Geschäftsführer, Gesellschafter und andere Mithaftende der GmbH A. Mithaftung natürlicher Personen Wie bereits oben erläutert (bei Rz. 7.614 ff.), übernehmen in zahlreichen Fällen 10.1 Geschäftsführer und/oder Gesellschafter die Mithaftung für die Kredit- und anderen Verbindlichkeiten der GmbH (vor allem durch Bürgschaften und auch auf Grund von Schuldbeitritten oder Patronatserklärungen), um Kreditinstitute und andere Gläubiger trotz der beschränkten Haftung der GmbH zur Kreditvergabe und sonstigen Leistungen an die Gesellschaft zu bewegen. Solche Bürgschaften und Schuldbeitritte finden sich gerade auch dann, wenn es sich um natürliche Personen handelt, die als Geschäftsführer und Alleingesellschafter „ihr“ Unternehmen in der Rechtsform der GmbH betreiben, und sie werden in diesen Konstellationen häufig um entsprechende Haftungserklärungen von Familienangehörigen ergänzt. Kommt es zur Insolvenz der GmbH, so überwinden die vertraglichen Vereinbarungen die Haftungsbeschränkung der GmbH, und dieser Personenkreis hat im Umfang der übernommenen Verpflichtungen für die Verbindlichkeiten der GmbH einzustehen. Die vertraglich übernommene Mithaftung von Geschäftsführern und Gesellschaftern sowie evtl. ihrer Familienangehörigen führt dazu, dass die Insolvenz der GmbH auch den Verlust oder eine Minderung des Privatvermögens der Mithaftenden mit sich bringt. Darüber hinaus sehen sich diese Personen häufig Haftungsansprüchen seitens des Insolvenzverwalters ausgesetzt, die ebenfalls zu einer Verschärfung ihrer wirtschaftlichen Lage beitragen. Eine vergleichbare Situation kann sich für Geschäftsführer und Gesellschafter der 10.2 GmbH in der Insolvenz der GmbH & Co. KG ergeben. So wird ein Insolvenzverwalter bestrebt sein, Ansprüche der Gesellschaft gegen organschaftliche Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter (GmbH-Geschäftsführer) geltend zu machen1. In Betracht kommen Schadensersatzansprüche wegen Schädigung, wegen nicht – bzw. nicht rechtzeitiger – Stellung des Insolvenzantrags oder entgegen § 130a Abs. 2 HGB geleisteten Zahlungen (§§ 130a Abs. 3, 177a Satz 1 HGB). Gesellschafter der Komplementär-GmbH sehen sich unter Umständen Anfechtungsansprüchen nach § 135 Abs. 1 InsO ausgesetzt. Da bei einer GmbH & Co. KG die Vorschrift des § 93 InsO, nach der die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten einer insolventen Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann2, für die GmbH

1 Da alle Forderungen, die der KG gegen Dritte oder Gesellschafter zustehen, zur Insolvenzmasse gehören, ist der Insolvenzverwalter auf Grund seiner Verwaltungs- und Verfügungsmacht (§ 80 InsO) zum Einzug befugt. 2 Die dem Insolvenzverwalter in § 93 InsO vorbehaltene Prozessführungsbefugnis für die Geltendmachung von Haftungsansprüchen gegen Gesellschafter umfasst ebenso Aktivprozesse und Passivprozesse (BGH v. 12.7.2012 – IX ZR 217/11, MDR 2012, 1115).

Vallender

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10.3

10. Teil: Restschuldbefreiung

gilt1, kann die Realisierung dieser Ansprüche wiederum Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation des Gesellschafters der Komplementär-GmbH haben. Schließlich darf nicht übersehen werden, dass die Zahlungsunfähigkeit der KG die GmbH selbst zwangsläufig in eine Lage versetzt, die sie nach § 15a Abs. 1 InsO verpflichtet, selbst einen Insolvenzantrag zu stellen, falls nicht alsbald genügend neues Kapital beschafft werden kann2. Diese Situation verstärkt unter Umständen den wirtschaftlichen Druck auf Geschäftsführer und Gesellschafter, dass wegen ihrer persönlichen Inanspruchnahme ein Eröffnungsgrund entsteht. 10.3 Angesichts dieser Folgen der Insolvenz einer GmbH oder einer GmbH & Co. KG für die ihr nahe stehenden Personen (Geschäftsführer, Gesellschafter und deren Familienangehörige)3 ist es nicht verwunderlich, dass spätestens bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH und der daraufhin folgenden Inanspruchnahme der Mithaftenden durch die Gläubiger der GmbH oder den Insolvenzverwalter die betroffenen Personen nach Mitteln und Wegen suchen, Befreiung von der Mithaftung bzw. von den sonstigen Verbindlichkeiten zu erlangen. Bezüglich der Mithaftung bietet aber ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH keine Möglichkeiten. Denn ungeachtet des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH können, wie § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB, § 43 InsO zeigen, die Forderungen gegen Mithaftende in voller Höhe geltend gemacht werden4. Daran ändert auch ein Insolvenzplan für den Hauptschuldner, die GmbH, nichts, weil nach § 254 Abs. 2 InsO die Rechte der Gläubiger gegen Mithaftende davon ausdrücklich unberührt bleiben.

1 Lüke in Kübler/Prütting/Bork, § 93 InsO Rz. 38; Karsten Schmidt, GmbHR 2002, 1209, 1216. 2 BGH v. 27.9.1976 – II ZR 162/75, BGHZ 67, 171, 175; Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 355. 3 Mit dem Begriff „nahestehende Personen“ soll im Folgenden dieser Personenkreis gemeint sein. Die Bezeichnung lehnt sich an den von § 138 InsO definierten Begriff an. 4 Dazu ausführlich Wissmann, Persönliche Mithaft in der Insolvenz, 2. Aufl. 1998, Rz. 12 ff.

1050

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Vallender

Grundzüge

10.7

B. Restschuldbefreiungsverfahren I. Grundzüge Die Insolvenzordnung eröffnet mit dem Verfahren zur Restschuldbefreiung ge- 10.4 mäß §§ 286 ff. InsO einen Weg, auf dem sich die Geschäftsführer der GmbH und ihre Gesellschafter (soweit es sich dabei um natürliche Personen handelt) sowie ggf. deren Angehörige bei einer Insolvenz ihrer Gesellschaft den Verpflichtungen aus der von ihnen übernommenen Mithaftung für die Verbindlichkeiten der GmbH und den sonstigen persönlichen Verbindlichkeiten entledigen können. Voraussetzung der Befreiung von den Verpflichtungen aus Mithaftungserklärun- 10.5 gen und von sonstigen persönlichen Verbindlichkeiten, die diese natürlichen Personen (und nur diese!) im Restschuldbefreiungsverfahren erlangen können, ist, dass zunächst ein separates Insolvenzverfahren über das Vermögen der mithaftenden Geschäftsführer1, Gesellschafter und Angehörigen durchgeführt wird. Für den genannten Personenkreis wird dies häufig das Verbraucherinsolvenzverfahren sein2. Dieses steht gemäß § 304 InsO allen natürlichen Personen offen, die zum Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit (mehr) ausüben, zu diesem Zeitpunkt weniger als 20 Gläubiger haben und gegen die keine Forderung aus gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnissen bestehen3. Einer Erstreckung der Wirkungen der Restschuldbefreiung auf juristische Per- 10.6 sonen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit bedurfte es nicht. Denn bei juristischen Personen führt das Insolvenzverfahren zur Auflösung (§ 42 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 101 GenG) und regelmäßig auch zur Löschung im Handelsregister. Entsprechendes gilt für Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, wenn kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (§ 131 HGB), weil das den Gläubigern haftende beschränkte Vermögen regelmäßig durch das Verfahren selbst aufgezehrt ist4. Nach der Löschung im Handelsregister gibt es niemanden, gegen den sich eine Restforderung richten könnte. Um die Bedeutung der Insolvenzordnung für die Mithaftung von natürlichen Per- 10.7 sonen in der Insolvenz der GmbH zu erfassen, müssen daher das Insolvenzverfahren und das anschließende Rechtschuldbefreiungsverfahren als aufeinander folgende Abschnitte eines einheitlichen Ablaufs betrachtet werden.

1 Nach Auffassung des OLG Stuttgart (v. 26.10.2005 – 14 U 50/05, GmbHR 2006, 1258) kann die Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens über das Vermögen eines Geschäftsführers dessen sofortige Abberufung aus wichtigem Grund rechtfertigen. 2 Für die Anwendung der Vorschriften über das Verbraucherinsolvenzverfahren ist es ohne Bedeutung, ob die natürliche Person relativ vermögend ist oder nicht (Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, § 304 InsO Rz. 3; Römermann in Nerlich/Römermann, § 304 InsO Rz. 8; Müller, NZI 1999, 172, 173; Scholz, FLF 1995, 88, 89). 3 Vgl. BGH v. 14.11.2002 – IX ZB 152/02, BB 2002, 2631; Pape/Pape, ZIP 2000, 1553, 1554; Vallender, NZI 2001, 561, 563. 4 Smid/Haarmeyer, § 286 InsO Rz. 22.

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10.8

10. Teil: Restschuldbefreiung

II. Vorgeschaltetes Insolvenzverfahren 10.8 Zwingende Voraussetzung der Restschuldbefreiung1 ist – wie bereits oben Rz. 10.5 ausgeführt – ein vorangegangenes Insolvenzverfahren2. Den Unterhaltsschuldner trifft grundsätzlich eine Obliegenheit zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens, wenn dieses Verfahren zulässig und geeignet ist, den laufenden Unterhalt seiner Kinder dadurch sicherzustellen, dass ihm Vorrang vor sonstigen Verbindlichkeiten eingeräumt wird. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Unterhaltsschuldner Umstände vorträgt und gegebenenfalls beweist, die eine solche Obliegenheit im Einzelfall als unzumutbar darstellen3. 10.9 Mit Hilfe der Restschuldbefreiung können sich nicht nur Verbraucher, sondern auch unternehmerisch tätige Schuldner, verschuldete Freiberufler und andere selbständig tätige natürliche Personen von ihren Verbindlichkeiten befreien. Auf diese Möglichkeit soll das Gericht den Schuldner unmittelbar nach der Prüfung der Zulässigkeit des Insolvenzantrags hinweisen (§ 20 Abs. 2 InsO). Der Hinweis bezieht sich nur auf einen Gläubigerantrag. Bei einem Eigenantrag gilt die gesetzliche Frist von zwei Wochen nach § 287Abs. 1 Satz 2 InsO. Unterschiede zwischen den einzelnen Personengruppen bestehen lediglich hinsichtlich des vorgeschalteten Insolvenzverfahrens4. So haben nahe stehende Personen einer insolventen GmbH auch dann die Möglichkeit, ihrer Mithaftung ledig zu werden, wenn sie außerhalb der GmbH selbständig wirtschaftlich tätig sind. Sie können in das Restschuldbefreiungsverfahren eintreten, sobald über ihr Vermögen ein Insolvenzverfahren durchgeführt worden ist. Da die Erteilung der Restschuldbefreiung nach Maßgabe der §§ 286 ff. InsO die Durchführung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Person voraussetzt, die Restschuldbefreiung beantragt hat5, genügt es auch für die mithaftenden nahe stehenden Personen einer GmbH keinesfalls, wenn die GmbH in einem Insolvenzverfahren abgewickelt worden ist. Vielmehr muss für jeden einzelnen Geschäftsführer, Gesellschafter und Angehörigen, der Befreiung von der Mithaftung erlangen will, ein eigenes Insolvenzverfahren durchgeführt werden6. Insoweit eröffnen aber auch massearme Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen den Weg in die Restschuldbefreiung. 1 Literatur zur Restschuldbefreiung: Ahrens, Das neue Privatinsolvenzrecht, 2014, S. 185 ff.; Reill-Ruppe, Anspruch und Wirklichkeit des Restschuldbefreiungsverfahrens, Diss. 2013; Rothammer, Die insolvenzrechtliche Restschuldbefreiung. Probleme und Lösungen, 2008; Heyer, Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren, Diss. 2003; Döbereiner, Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung, 1997; Forsblad, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenz im künftigen deutschen Insolvenzrecht, 1997; GrafSchlicker/Livonius, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenz nach der InsO, 1999; Hoffmann, Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung, 1998; Prziklang, Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung, 2000; Trendelenburg, Restschuldbefreiung, 2000; Voigt, ZInsO 2002, 569; Hergenröder, DZWIR 2001, 397. 2 Der Gesetzgeber rechtfertigt den Vorrang des Insolvenzverfahrens damit, dass den Gläubigern die Restschuldbefreiung des Schuldners nur zuzumuten sei, wenn das gesamte Vermögen des Schuldners bereits verwertet worden ist und die Erlöse zur zumindest teilweisen Schuldtilgung eingesetzt worden sind. 3 BGH v. 23.2.2005 – XII ZR 114/03, BGHZ 162, 234 = NZI 2005, 342. 4 Römermann in Nerlich/Römermann, § 286 InsO Rz. 6. 5 Vgl. OLG Köln v. 23.2.2000 – 2 W 21/00, ZIP 2000, 548, 549; Wenzel, EWiR 2000, 501. 6 Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 235 RegE, S. 189; Vallender, ZIP 1996, 2058, 2059. Zur Kritik, dass mit dieser Regelung typische Wirtschaftsgemein-

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Vorgeschaltetes Insolvenzverfahren

10.13

1. Verfahrensart Für den Geschäftsführer oder Gesellschafter einer (gescheiterten) GmbH stellt 10.10 sich im Falle der eigenen Insolvenz zunächst die Frage der zulässigen Verfahrensart. Ist er den Regelungen über das Verbraucherinsolvenzverfahren zuzuordnen (§§ 304 ff. InsO), hat er vor Einleitung des Insolvenzverfahrens einen außergerichtlichen Einigungsversuch mit seinen Gläubigern zu unternehmen. Finden dagegen die Vorschriften des Regelinsolvenzverfahrens Anwendung, steht dem Geschäftsführer oder Gesellschafter der GmbH sogleich der Weg ins Insolvenzverfahren offen. Nach § 304 Abs. 1 InsO ist das Verbraucherinsolvenzverfahren durchzuführen, 10.11 wenn der Schuldner eine natürliche Person ist, die keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt oder ausgeübt hat (Satz 1). Hat der Schuldner eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt, gilt dies, wenn seine Vermögensverhältnisse überschaubar sind und gegen ihn keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen (Satz 2). Gesellschafter von Kapitalgesellschaften und Geschäftsführer einer GmbH üben 10.12 als solche grundsätzlich keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit aus1. War der Gesellschafter an der Gesellschaft mehrheitlich beteiligt, ist von einer früheren selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit auszugehen2. Dies gilt gleichermaßen, wenn der Alleingesellschafter der GmbH zugleich deren Geschäftsführer war3. Maßgebend ist nach Auffassung des BGH, ob die Verschuldensstruktur des Schuldners derjenigen eines Verbrauchers entspricht. Auch wenn der geschäftsführende Alleingesellschafter einer GmbH nicht unmittelbar im eigenen Namen, in eigener Verantwortung, für eigene Rechnung und für eigenes Risiko tätig werde, sei er angesichts seiner Teilhabe am Erfolg oder Misserfolg der Gesellschaft wirtschaftlich betrachtet wie bei einer Tätigkeit im eigenen Namen betroffen. Habe er für Gesellschaftsschulden einzustehen, sei seine Haftung mit der eines Verbrauchers typischerweise nicht vergleichbar. Die gleichen Erwägungen gelten für den geschäftsführenden Mehrheitsgesellschafter, und zwar auch dann, wenn sich Geschäftsführung und Beteiligung auf die Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG beschränken4. Maßgebend für die Anwendbarkeit des Verbraucher- oder des Regelinsolvenzver- 10.13 fahrens ist darüber hinaus, ob die Vermögensverhältnisse überschaubar sind und keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen (§ 304 Abs. 1 Satz 2 InsO). Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die wegen eines Antrags auf Insolvenzgeld auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen sind, bleiben Forderungen aus Arbeitsverhältnissen, die der Anwendung der Bestimmungen über das Verbraucherinsol-

1 2 3 4

schaften in einzelne Insolvenzverfahren aufgespalten werden, Scholz, DB 1996, 765, 770 m.w.N. BGH v. 23.3.1988 – VIII ZR 175/87, NJW 1988, 1908; Sternal in Uhlenbruck, § 304 InsO Rz. 8, 12; Hess, § 304 InsO Rz. 26. LG Köln v. 30.6.2004 – 19 T 115/04, NZI 2004, 673 = GmbHR 2004, 1588; Sternal in Uhlenbruck, § 304 InsO Rz. 8, 12. BGH v. 22.9.2005 – IX ZB 55/04, NZI 2006, 676 = GmbHR 2005, 1610; s. auch AG Duisburg v. 8.8.2007 – 62 IN 181/07, ZVI 2008, 114. BGH v. 12.2.2009 – IX ZB 215/08, ZIP 2009, 626 = GmbHR 2009, 547; s. dazu auch Henkel, ZVI 2013, 329.

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10.14

10. Teil: Restschuldbefreiung

venzverfahren bei früher selbstständig wirtschaftlich tätig gewesenen Schuldnern entgegenstehen1. In seiner Entscheidung vom 22.9.2005 hat der BGH2 ferner klargestellt, dass Forderungen auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer, die gegen den Schuldner als ehemaligen geschäftsführenden Alleingesellschafter einer GmbH nach Grundsätzen der Durchgriffshaftung geltend gemacht werden, Forderungen aus Arbeitsverhältnissen i.S. des § 304 Abs. 1 Satz 2 InsO sind. Dies entspreche dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers und dem Zweck der Regelung. Für die Zulässigkeit eines Antrags auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens kommt es nicht auf die Höhe der vom Schuldner angegebenen Forderungen an3. 10.14 Durch das am 1.7.2014 in Kraft getretene Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.20134 wurden die für das Verbraucherinsolvenzverfahren eingeführten Sondervorschriften in den §§ 312 bis 314 InsO gestrichen. Teilweise wurden die Regelungen in die allgemeinen Verfahrensregeln übernommen, da sie nicht nur im Verbraucherinsolvenzverfahren – wie etwa die Möglichkeit des schriftlichen Verfahrens (vgl. § 5 Abs. 2 InsO) oder die Bestimmung nur eines Prüfungstermins (vgl. § 29 Abs. 2 InsO) – sinnvoll sind. Andere Regelungen wurden in die allgemeinen Vorschriften überführt (Erweiterung der Rückschlagsperre nach erfolglosem außergerichtlichem Einigungsversuch, § 88 Abs. 2 InsO, Nichtanwendbarkeit der Vorschriften über den Insolvenzplan, § 217 Abs. 2 InsO). § 313 InsO (Treuhänder) und § 314 InsO (vereinfachte Verteilung) sind ersatzlos entfallen5. Statt eines Treuhänders mit eingeschränkten Befugnissen (§ 313 InsO a.F.) wird auch bei Verbraucherinsolvenzen, die ab oder nach dem 1.7.2014 beantragt worden sind, ein Insolvenzverwalter mit uneingeschränktem Aufgabenkreis tätig. Dies gilt insbesondere für die Anfechtungsbefugnis nach Maßgabe der §§ 129 ff. InsO. Während in den bis zum 1.7.2014 beantragten (und eröffneten) Verfahren das Anfechtungsrecht auch weiterhin jedem einzelnen Insolvenzgläubiger übertragen ist (§ 313 Abs. 2 InsO a.F.), steht dem Insolvenzverwalter des Verbraucherinsolvenzverfahrens von diesem Zeitpunkt an ebenso wie dem Verwalter des Regelinsolvenzverfahrens das originäre Anfechtungsrecht zu6. Allerdings hat der Verwalter in der Verbraucherinsolvenz ggf. einen geringeren Vergütungsanspruch7. Nach wie vor ist in Verbraucherinsolvenzverfahren die Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 270 InsO nicht vorgesehen. 2. Massearmut 10.15 Bei Masseunzulänglichkeit (Verfahrenskosten sind gedeckt, nicht jedoch die Masseverbindlichkeiten) kann das Insolvenzverfahren bis zur vollständigen Verwer1 2 3 4 5

BGH v. 20.1.2011 – IX ZR 238/08, MDR 2011, 452. BGH v. 22.9.2005 – IX ZB 55/04, NZI 2006, 676, 677 = GmbHR 2005, 1610. LG Göttingen v. 23.8.2006 – 10 T 75/06, NZI 2006, 603. BGBl. I 2013, 2379. Eine Übersicht über den Verfahrensablauf in den ab dem 1.7.2014 beantragten Insolvenzverfahren natürlicher Personen gibt Schmerbach in NZI 2014, 553. 6 Näher dazu Vallender, NZI 2014, 535. 7 Der Insolvenzverwalter erhält nach § 13 InsVV eine Vergütung von 800,– E, wenn die Unterlagen nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO von einer geeigneten Person oder Stelle erstellt wurden.

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Verfassungsmäßigkeit

10.17

tung der Insolvenzmasse und weitestgehenden Befriedigung der Massegläubiger durchgeführt und sodann durch öffentlich bekannt zu machenden Beschluss nach § 211 Abs. 2 InsO eingestellt werden. Ein solches Verfahren reicht gemäß § 289 InsO als Grundlage für ein nachfolgendes Restschuldbefreiungsverfahren aus, das sich dann an die Einstellung des Verfahrens anschließt. Bei einer Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse oder Einstellung mangels Masse (keine Deckung der Verfahrenskosten) nach § 207 Abs. 1 InsO liegt dagegen kein Insolvenzverfahren vor, das Grundlage für eine Restschuldbefreiung sein könnte1. Ist ein früher gestellter Antrag mangels Masse abgewiesen worden, kann dem Schuldner ein Rechtsschutzinteresse an der Durchführung eines Insolvenzverfahrens nicht abgesprochen werden2. Da im vorausgegangenen Verfahren auch der Schuldnerantrag mangels Masse hätte abgewiesen werden müssen, steht der Zulässigkeit eines mit einem Antrag auf Restschuldbefreiung verbundenen Antrags des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht entgegen, dass zuvor der Antrag eines Gläubigers mangels Masse abgewiesen worden ist3. Die Ergänzung des § 26 Abs. 1 InsO und des § 207 Abs. 1 InsO um die Stundungs- 10.16 regelung nach § 4a InsO hat allerdings zur Folge, dass eine Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse bzw. eine Einstellung des Verfahrens mangels Masse nicht in Betracht kommt, wenn dem Schuldner die Verfahrenskosten gestundet sind und damit de facto die Deckung der Verfahrenskosten für das gesamte Verfahren gegeben ist4.

III. Verfassungsmäßigkeit der Restschuldbefreiung Nach mittlerweile ganz herrschender Meinung5 verstößt das Rechtsinstitut der 10.17 Restschuldbefreiung nicht gegen die Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 Abs. 1 GG. Soweit ein Gläubiger sich durch das Rechtsinstitut der Restschuldbefreiung in seinen Grundrechten verletzt sieht, hat er ggf. den durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6, §§ 76 ff. BVerfGG aufgezeigten Weg zu beschreiten. Die Rechtsbeschwerde eines Gläubigers, der sich nur abstrakt gegen das gesetzgeberische Konzept der Restschuldbefreiung als vermeintlich verfassungswidrig wendet, ist jedenfalls unzulässig.

1 Pape, Rpfleger 1997, 237, 239 ff.; Streck in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 289 InsO Rz. 9. 2 Fischer, NZI 2006, 313, 324. 3 BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 86/13, ZInsO 2014, 1758; BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 186/05, NZI 2006, 181; Sternal in Uhlenbruck, § 287 InsO Rz. 27. 4 Pape, ZInsO 2001, 587, 589; Vallender, NZI 2001, 561, 562. 5 Streck in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 286 InsO Rz. 3 m.w.N.; a.A. AG München v. 30.8.2002 – 1506 IN 656/02, NZI 2002, 676; AG München v. 25.9. 2003 – 1507 IN 39/02, ZVI 2003, 546; s. dazu auch Sesemann, NZI 2002, 655 und Ahrens, ZVI 2003, 509; AG München v. 9.6.2004 – 1507 IN 39/02, NZI 2004, 456 m. Anm. Sesemann; s. dazu auch BVerfG v. 3.2.2003 – 1 BvL 11/02, 12/02, 13/02, 16/02 und 17/02, NZI 2003, 162; BVerfG v. 14.1.2004 – 1 BvL 8/03, NZI 2004, 222; BVerfG v. 22.12.2005 – 1 BvL 9/05, ZVI 2006, 125.

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10.18

10. Teil: Restschuldbefreiung

IV. Redlichkeit des Schuldners 10.18 § 1 Satz 2 InsO ordnet als eines der Verfahrensziele der Insolvenzordnung an, dass nur der redliche Schuldner Gelegenheit erhalten soll, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien. Die Redlichkeit der natürlichen Person ist damit gleichzeitig ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung des § 286 InsO1. Da die Vorschrift einem Missbrauch der Restschuldbefreiung vorbeugen soll, ist es gerechtfertigt, dem Restschuldbefreiung begehrenden Schuldner die Überprüfung seiner Redlichkeit zuzumuten2. Diese Prüfung hat sich jedoch an dem im Rechtsverkehr geltenden Grundsatz eines rechtmäßigen und damit redlichen Verhaltens eines Beteiligten, hier des Schuldners, zu orientieren3. Jeder Schuldner hat als redlich zu gelten, solange nicht das Gegenteil behauptet und notfalls bewiesen wird4.

V. Verfahrensablauf 10.19 Das Restschuldbefreiungsverfahren als „freiwilliges Verfahren“5 setzt zwingend einen schriftlichen Antrag des Schuldners voraus. Eine besondere Form sieht § 287 InsO für den Antrag auf Erteilung von Restschuldbefreiung nicht vor. Eine Antragstellung zu Protokoll der Geschäftsstelle ist seit dem 1.11.2001 nicht mehr möglich. An den Antrag sind keine besonderen inhaltlichen Anforderungen zu stellen. Insbesondere muss der Schuldner nicht ausdrücklich die Erteilung von Restschuldbefreiung beantragen. Da auch Prozesshandlungen einer Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zugänglich sind6, genügt es, wenn das Begehren des Schuldners, Restschuldbefreiung zu erlangen, hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt7. Bei Unklarheiten hat das Gericht unter Umständen beim Schuldner nachzufragen. 10.20 Im Verbraucherinsolvenzverfahren ist allerdings nur ein schriftlicher Antrag unter Verwendung der amtlichen Vordrucke zulässig. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 305 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 5 InsO. Danach hat der Schuldner mit dem schriftlich einzureichenden Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Antrag auf Erteilung von Restschuldbefreiung vorzulegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 VbrInsFV). 1. Eigenantrag des Schuldners a) Verbraucherinsolvenzverfahren 10.21 § 287 Abs. 1 Satz 1 InsO stellt unmissverständlich klar, dass Restschuldbefreiung nur auf Grund eines eigenen Insolvenzantrags des Schuldners gewährt werden kann. Für das Verbraucherinsolvenzverfahren ergibt sich dies aus dem Gesetz (§§ 305 Abs. 1, 306 Abs. 3 InsO). Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber einer 1 2 3 4

Sternal in Uhlenbruck, § 286 InsO Rz. 16. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 26.02. Ahrens, VuR 2000, 8, 12. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 26.17; kritisch dazu Trendelenburg, Restschuldbefreiung, 2000, S. 45. 5 Krug, Der Verbraucherkonkurs, 1998, S. 59. 6 BGH v. 9.7.1986 – IVb ZB 55/86, FamRZ 1986, 1087. 7 Römermann in Nerlich/Römermann, § 287 InsO Rz. 15; Streck in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 287 InsO Rz. 2.

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Verfahrensablauf

10.23

Entwertung des Schuldenbereinigungsverfahrens entgegentreten1. Denn ein den Regelungen des Verbraucherinsolvenzverfahrens unterliegender Schuldner könnte durch den Insolvenzantrag eines ihm wohlgesonnenen Gläubigers den außergerichtlichen und den gerichtlichen Einigungsversuch umgehen. b) Regelinsolvenzverfahren Auch im Regelinsolvenzverfahren bedarf es eines Eigenantrags des Schuldners, 10.22 der die Restschuldbefreiung anstrebt2. Dieses Verständnis legt zunächst der Wortlaut des § 287 Abs. 1 InsO nahe. Denn der Antrag auf Restschuldbefreiung soll mit seinem (eigenen) Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden werden. Der Vorschrift liegt die Konzeption zweier miteinander zu verbindender Anträge des Schuldners zugrunde. Da der Gläubiger keinen Antrag auf Restschuldbefreiung stellen kann, handelt es sich bei dem von § 287 Abs. 1 InsO vorausgesetzten Insolvenzantrag zwangsläufig um denjenigen des Schuldners3. Nach § 287 Abs. 1 Satz 1 InsO soll der Schuldner den Antrag auf Erteilung der 10.23 Restschuldbefreiung mit seinem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbinden. Stellt der Schuldner die beiden Anträge nicht gemeinsam, etwa aus Unkenntnis über die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung, so hat er diesen innerhalb von zwei Wochen nachzuholen, nachdem er gemäß § 20 Abs. 2 InsO über die Restschuldbefreiung belehrt worden war. Die Frist des § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO kann durch den Hinweis nach § 20 Abs. 2 InsO erst in Lauf gesetzt werden, wenn der Schuldner einen Eigenantrag gestellt hat4. Wird dem Schuldner die Frist des § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht mitgeteilt, ist ein verspätet eingegangener Antrag nicht verfristet5. Einer detaillierten Information des Schuldners durch das Insolvenzgericht bedarf es allerdings nicht. Denn es ist nicht Aufgabe des Gerichts, den Schuldner umfassend rechtlich zu beraten6. Ein Antrag des Schuldners auf Erteilung von Restschuldbefreiung, der nicht innerhalb von zwei Wochen nach dem Hinweis gemäß § 20 Abs. 2 InsO bei Gericht eingegangen ist, unterliegt der Zurückweisung als unzulässig7. Die Entscheidung des Insolvenzgerichts ist in diesem Falle bereits vor dem Schlusstermin zulässig und in der Regel auch geboten8. Ein Schuldner, der trotz ordnungsgemäßer Belehrung durch das Insolvenzgericht 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/5680, S. 43; Vallender, NZI 2001, 561, 566. 2 BGH v. 25.9.2003 – IX ZB 24/03, NZI 2004, 511; BGH v. 8.7.2004 – IX ZB 209/03, NZI 2004, 593; Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 287 InsO Rz. 13; Schmahl in Münchener Kommentar zur InsO, § 20 InsO Rz. 89; Uhlenbruck in Uhlenbruck, 13. Aufl., § 20 InsO Rz. 10; Vallender, NZI 2001, 561, 566; a.A. Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, § 287 InsO Rz. 3a; Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 287 InsO Rz. 2c. 3 BGH v. 8.7.2004 – IX ZB 209/03, NZI 2004, 593. 4 BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 186/05, NZI 2006, 181, 182. 5 BGH v. 17.2.2005 – IX ZB 176/03, NZI 2005, 271, 273. 6 Vgl. LG Duisburg v. 11.10.1999 – 24 T 210/99, NZI 2000, 184. 7 Vgl. BGH v. 25.9.2003 – IX ZB 24/03, ZVI 2003, 606; AG Köln v. 16.9.2002 – 72 IN 351/02, NZI 2002, 619; AG Köln v. 19.9.2002 – 71 IN 292/02, NZI 2002, 618; vgl. dazu auch AG Duisburg v. 12.2.2002 – 62 IN 134/01, NZI 2002, 216. 8 OLG Köln v. 24.5.2000 – 2 W 76/00, ZInsO 2000, 334; OLG Köln v. 4.10.2000 – 2 W 198/00, ZInsO 2000, 608, 609; LG Göttingen v. 4.11.2000 – 10 T 142/00, LS in ZInsORechtsprechungsreport, ZInsO 2000, 658; AG Bielefeld v. 5.7.1999 – 43 IK 67/99, ZIP 1999, 1180, 1181; AG Köln v. 8.2.2000 – 72 IK 69/99, InVo 2000, 127, 128; Wenzel in

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10.24

10. Teil: Restschuldbefreiung

seinen Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO stellt, kann wegen der Fristversäumnis nicht mit Erfolg Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. Bei der vorgenannten Frist handelt es sich weder um eine Notfrist noch um eine andere Frist i.S. des § 233 ZPO. Eine entsprechende Anwendung der Regelung des § 233 ZPO auf die Frist des § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO kommt nicht in Betracht, weil es an der erforderlichen Regelungslücke fehlt1. 10.24 Der Schuldner ist grundsätzlich gemäß § 4 InsO i.V.m. § 269 Abs. 1 ZPO befugt, seinen Antrag auf Erteilung von Restschuldbefreiung bis zur Rechtskraft der Erteilung zurückzunehmen2. Nimmt der Schuldner indes in der Wohlverhaltensperiode den Antrag auf Restschuldbefreiung zurück, nachdem er neue Schulden (hier: in Höhe von etwa 1 000 000 Euro) begründet hat, ist ein am folgenden Tag zur Durchführung eines neuen Insolvenzverfahrens gestellter Antrag auf Kostenstundung und Restschuldbefreiung unzulässig3. c) Erneuter Restschuldbefreiungsantrag 10.25 Soweit der Schuldner bereits einen Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung gestellt hatte, ist hinsichtlich eines erneuten Antrags danach zu unterscheiden, ob das Insolvenzverfahren vor oder nach dem 1.7.2014 beantragt worden ist. § 287a InsO4, eingeführt durch das am 1.7.2014 in Kraft getretene Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.20135, will mit der in Absatz 1 normierten „Eingangsentscheidung“ frühzeitig Rechtsklarheit herstellen und Aufwand und Kosten überflüssiger Insolvenzverfahren vermeiden6. Bei einem am 1.7.2014 oder zu einem späteren Zeitpunkt gestellten Insolvenzantrag hat das Insolvenzgericht spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Zulässigkeit des Restschuldbefreiungsantrags festzustellen (§ 287a Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Schuldner hat seinem Antrag auf Restschuldbefreiung gemäß § 287 Abs. 1 Satz 3 InsO eine Erklärung beizufügen, ob ein Fall des § 287a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 oder 2 InsO vorliegt. § 287 Abs. 1 Satz 4 InsO verlangt von ihm zudem die ausdrückliche Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Angaben und warnt ihn damit davor, dass er anderenfalls den Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO verwirklicht7. 10.26 Für alle vor dem 1.7.2014 beantragten Insolvenzverfahren bleibt es dabei, dass der Schuldner grundsätzlich nach dem Scheitern eines früheren Restschuldbefrei-

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Kübler/Prütting/Bork, § 289 InsO Rz. 3a; Holzer, DZWIR 2000, 174; Lücke/Schmittmann, ZInsO 2000, 87, 88; a.A. LG Münster v. 14.9.1999 – 5 T 858/99, DZWIR 1999, 474. BGH v. 3.7.2008 – IX ZB 182/07, NZI 2008, 609. Vgl. das obiter dictum des BGH v. 17.3.2005 – IX ZB 214/04, ZInsO 2005, 597, 598; Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 287 InsO Rz. 2a; Kohte/Ahrens/ Grote, Verfahrenskostenstundung, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenzverfahren, 3. Aufl. 2006, § 287 InsO Rz. 15. BGH v. 20.3.2014 – IX ZB 17/13, MDR 2014, 565. Eine Vorwirkung der Regelung hat der BGH (v. 7.5.2013 – IX ZB 51/12, NZI 2013, 848) abgelehnt. BGBl. I 2013, 2379 mit Wirkung vom 1.7.2014. BR-Drucks. 467/12, S. 36. Kexel in Graf-Schlicker, § 287 InsO Rz. 16.

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ungsverfahrens einen erneuten Anlauf zur Erteilung der Restschuldbefreiung nehmen kann. Allerdings schließt § 290 Abs. 1 Nr. 3 a.F. InsO denjenigen Schuldner von der Restschuldbefreiung aus, der in den letzten 10 Jahren vor dem Insolvenzantrag bereits die Restschuldbefreiung in einem vorherigen Verfahren erlangt hat oder dem die Restschuldbefreiung nach §§ 296, 297 InsO versagt wurde. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hält diese Hürde aus prozessökonomischen Gründen für unzureichend und hat eine angebliche Regelungslücke mit einer doppelten Analogie zu § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO a.F. auszufüllen versucht. Danach ist der Schuldner nahezu in allen Fällen der Versagung der Restschuldbefreiung im Schlusstermin nach § 290 Abs. 1 InsO befugt, erst nach Ablauf von drei Jahren, beginnend mit der Rechtskraft der Versagungsentscheidung, einen Folgeantrag zu stellen1. Die dreijährige Sperrfrist trifft den Schuldner ferner, wenn ihm in einem früheren Verfahren die Verfahrenskostenstundung wegen des Vorliegens eines zweifelsfrei erfüllten Versagungsgrundes rechtskräftig versagt wurde und dessen Anträge aus diesem Grunde erst gar nicht zu einer Eröffnung des Verfahrens geführt haben2. Dies gilt gleichermaßen bei Rücknahme eines Restschuldbefreiungsantrags nach Verwirkung eines Versagungstatbestandes oder der Versagung der Kostenstundung3. Gilt ein Antrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen und auf Restschuldbefreiung wegen Nichterfüllung einer zulässigen Auflage als zurückgenommen (§ 305 Abs. 1 InsO), kann nach Auffassung des BGH4 ein neuer Antrag erst nach Ablauf von drei Jahren gestellt werden. Unzulässig ist ein Restschuldbefreiungsantrag ferner, wenn der Schuldner in der Wohlverhaltensperiode den Antrag auf Restschuldbefreiung zurücknimmt, nachdem er neue Schulden (hier: in Höhe von etwa 1 000 000 Euro) begründet hat5. In seiner Entscheidung vom 20.3.2014 weist der BGH ausdrücklich darauf hin, dass § 287a InsO nicht den Fall der Antragsrücknahme erfasse. Seine Rechtsprechung zur Sperrwirkung des zurückgenommenen Antrags werde deshalb zu gegebener Zeit, nach Inkrafttreten der Vorschrift des § 287a InsO am 1.7.2014, zu überprüfen sein6. 2. Gläubigerantrag Nach Eingang eines Gläubigerantrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens 10.27 hat das Insolvenzgericht den Schuldner darauf hinzuweisen, dass er zur Erreichung der Restschuldbefreiung nicht nur einen entsprechenden Antrag, sondern darüber hinaus auch einen Eigenantrag auf Insolvenzeröffnung stellen muss; dafür ist dem Schuldner eine richterliche Frist zu setzen7. Diese sollte wegen des Gebots der Verfahrensbeschleunigung in der Regel nicht mehr als vier Wochen 1 Ausdrücklich zu § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO: BGH v. 14.1.2010 – IX ZB 257/09, ZVI 2010, 145; zu Nr. 5: BGH v. 16.7.2009 – IX ZB 219/08, ZVI 2009, 422; zu Nr. 6: BGH v. 11.2. 2010 – IX ZA 45/09, ZVI 2010, 100. 2 BGH v. 4.2.2010 – IX ZA 40/09, ZInsO 2010, 491; BGH v. 9.3.2010 – IX ZA 7/10, ZInsO 2010, 783. 3 BGH v. 12.5.2011 – IX ZB 229/10, WM 2011, 1144. 4 BGH v. 18.9.2014 – IX ZB 72/13, MDR 2014, 1352. 5 BGH v. 20.3.2014 – IX ZB 17/13, MDR 2014, 565. 6 BGH v. 20.3.2014 – IX ZB 17/13, MDR 2014, 565 Rz. 11. 7 BGH v. 17.2.2005 – IX ZB 176/03, BGHZ 162, 181 = NZI 2005, 271. Die Frist des § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO findet auf den Eigenantrag keine Anwendung.

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ab Zugang der Verfügung betragen und kann bei Bedarf auch verlängert werden (§ 4 InsO i.V.m. § 224 Abs. 2 ZPO). Die für den Restschuldbefreiungsantrag laufende nicht verlängerbare Zwei-Wochen-Frist steht dem nicht entgegen. Denn diese Frist wird erst in Lauf gesetzt, wenn der Eigenantrag auf Insolvenzeröffnung gestellt ist. Ein fehlerhafter, unvollständiger oder verspäteter Hinweis des Insolvenzgerichts darf dem Schuldner nicht zum Nachteil gereichen. Hat es das Insolvenzgericht versäumt, dem Schuldner für die Nachholung des Insolvenzantrags eine Frist zu setzen oder ist dem Schuldner die Fristsetzung nicht bekannt gemacht worden, läuft die Frist nicht1. 10.28 Hat ein Gläubigerantrag zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt, ist bis zum Abschluss des Verfahrens ein Eigenantrag des Schuldners nicht mehr zulässig2. Allerdings ist es dem Schuldner gestattet, noch einen Restschuldbefreiungsantrag zu stellen, wenn ihm weder die Frist des § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO mitgeteilt noch für einen Eigenantrag eine Frist gesetzt worden ist. Dies gilt sowohl für das Regel- als auch für das Verbraucherinsolvenzverfahren3. Die Antragstellung ist indes nur bis zum Schlusstermin zulässig4. 10.29 Hat der ordnungsgemäß belehrte Schuldner in einem früheren Insolvenzverfahren den Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung nicht rechtzeitig gestellt, führt die Präklusion des früheren Antrags zur Unzulässigkeit eines erneuten Restschuldbefreiungsantrags, wenn kein neuer Gläubiger hinzugekommen ist5. 3. Laufzeit der Abtretungserklärung bzw. Abtretungsfrist6 10.30 Das am 1.7.2014 in Kraft getretene Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013 sieht in § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO nunmehr eine Legaldefinition für den Zeitraum der in Absatz 2 genannten Frist vor. Der bis zu diesem Zeitpunkt in den §§ 294 bis 300 InsO gebräuchliche Begriff „Laufzeit der Abtretungserklärung“ wurde durch den präziseren Begriff der „Abtretungsfrist“ abgelöst7. Mit der Begrifflichkeit „Laufzeit der Abtretungsfrist“ wurde ursprünglich die mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung eingeführte siebenjährige „Wohlverhaltensperiode“ nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens bezeichnet. Seitdem der Fristbeginn des § 287 Abs. 2 InsO und damit auch die Laufzeit der Abtretungserklärung jedoch mit dem Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26.10.2001 (BGBl. I 2001, 2710) auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorverlegt wurde, war zwischen der Dauer des Abtretungsverfahrens und der sich erst 1 BGH v. 17.2.2005 – IX ZB 176/03, NZI 2005, 271, 272. 2 BGH v. 3.7.2008 – IX ZB 182/07, NZI 2008, 609; BGH v. 17.2.2005 – IX ZB 176/03, NZI 2005, 271, 272; AG Duisburg v. 5.12.2002 – 60 IN 255/02, NZI 2003, 159; AG Oldenburg v. 3.8.2004 – 60 IN 97/04, ZInsO 2004, 1154. 3 BGH v. 17.2.2005 – IX ZB 176/03, NZI 2005, 271, 272. 4 Vallender, WuB VI A § 299 InsO 1.05. 5 BGH v. 6.7.2006 – IX ZB 263/05, WM 2006, 1778 m. Anm. Vallender, WuB VI A. § 287 InsO 2.06. 6 Das in § 287 Abs. 2 InsO in Klammern gesetzte Wort Abtretungsfrist wurde eingeführt durch Art. 1 Nr. 20 lit. b, aa des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013 (BGBl. I 2013, 2379). 7 BT-Drucks. 17/11268, S. 29.

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mit Ankündigung der Restschuldbefreiung entfaltenden Rechtswirksamkeit der Abtretung zu unterscheiden. Diese Änderung wurde nach Auffassung des Gesetzgebers in den §§ 294 bis 300 InsO bislang nicht nachvollzogen1. Durch die Einführung einer Legaldefinition und entsprechende Folgeänderungen in den §§ 294 bis 300 InsO soll die mit dem Gesetz vom 26.10.2001 vollzogene Änderung auch in den §§ 294 ff. InsO umgesetzt werden. Mit dem Begriff „Abtretungsfrist“ soll verdeutlicht werden, dass in diesen Fällen der gesamte Zeitraum der in § 287 Abs. 2 InsO genannten Frist maßgeblich ist2. Auch nach der vorgenannten Gesetzesänderung bleibt es dabei, dass der Schuld- 10.31 ner seinem Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung die Erklärung beizufügen hat, dass er seine pfändbaren Teile des Arbeitsentgelts oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge für die Zeit von sechs Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an einen vom Insolvenzgericht noch zu bestimmenden Treuhänder abtritt (§ 287 Abs. 2 Satz 1 InsO)3. Die in der vorgenannten Bestimmung normierte Verpflichtung trifft auch den selbständig tätigen Schuldner. Ansonsten wäre nicht gesichert, dass seine Bezüge allen Insolvenzgläubigern zugute kämen, falls er im Laufe der Wohlverhaltensperiode eine abhängige Tätigkeit aufnimmt4. Die Abtretung erfasst zwei Gruppen von Forderungen. Die pfändbaren Forderungen aus einem Dienstverhältnis und die pfändbaren Ansprüche auf laufende Bezüge, die an die Stelle von Dienstbezügen treten. Zu den Bezügen aus dem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge zählen wie bei der entsprechenden Gesetzesformulierung in §§ 81 Abs. 2 Satz 1, 114 Abs. 1 InsO alle Vergütungen aus – bestehenden oder künftigen – Arbeits- oder sonstigen Dienstverhältnissen und alle Ruhestands-, Erwerbsunfähigkeits- und Arbeitslosenleistungen5. Die Abtretungserklärung des Schuldners umfasst sowohl die gegenwärtigen als auch die künftigen Bezüge6. Die rechtzeitige Vorlage der Abtretungserklärung durch den

1 BT-Drucks. 17/11268, S. 24. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 17/11268, S. 30. 3 Nach Ansicht des BGH (v. 13.7.2006 – IX ZB 117/04, ZInsO 2006, 995) ist die Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO vorrangig als Prozesshandlung zu verstehen; sie sei im Zweifel so auszulegen, dass der Schuldner die Restschuldbefreiung unter den jeweils gültigen gesetzlichen Bedingungen anstrebt. Dagegen deutet ein Teil der insolvenzrechtlichen Literatur die Abtretungserklärung als materiell-rechtliche Erklärung, die zu einem Abtretungsvertrag mit dem Treuhänder führt, sobald dieser gemäß § 291 Abs. 2 InsO vom Gericht bestellt worden ist, und mit der Übernahme des Amtes konkludent sein Einverständnis mit dem Abtretungsangebot erklärt hat (Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 287 InsO Rz. 16; Sternal in Uhlenbruck, § 287 InsO Rz. 65 ff.; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, § 287 InsO Rz. 5; Römermann in Nerlich/Römermann, § 287 InsO Rz. 29). 4 Trendelenburg, ZInsO 2000, 437, 438. Nach Auffassung des BGH (v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, NZI 2006, 457) stellen die Vergütungsansprüche eines Kassenarztes gegen die für ihn zuständige kassenärztliche Vereinigung keine Forderungen auf „Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge“ i.S. des § 114 Abs. 1 InsO dar. 5 Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 287 InsO Rz. 4. 6 Die Abtretung künftiger Bezüge ist zulässig, wenn die künftige Forderung bei der Abtretung so umschrieben ist, dass sie spätestens bei ihrer Entstehung nach Gegenstand und Umfang bestimmt oder zumindest bestimmbar ist (vgl. BGH v. 16.3.1995 – IX ZR 72/94, NJW 1995, 1668, 1669).

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10. Teil: Restschuldbefreiung

Schuldner stellt eine besondere Verfahrensvoraussetzung für die Gewährung von Restschuldbefreiung dar1. 10.32 Die sechsjährige Laufzeit der Abtretung beginnt nach dem Wortlaut des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die nunmehr legaldefinierte Frist berechnet sich nach § 4 InsO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Mit dem Ende der Frist endet die Wohlverhaltensperiode. Nach § 300 Abs. 1 Satz 1 InsO entscheidet das Gericht auch dann über den Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung, wenn die Abtretungsfrist ohne vorzeitige Beendigung des Verfahrens verstrichen ist. Eine vorzeitige Beendigung der Frist des § 287 Abs. 2 InsO kommt in Betracht in den Fällen des § 299 InsO oder einer vorzeitigen Beendigung aus anderem Grund. In Verfahren, die ab dem 1.7.2014 beantragt worden sind, kommt eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung unter den Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO in Betracht2. 4. Versagung oder Ankündigung der Restschuldbefreiung 10.33 In Verfahren, die ab einschließlich 1.7.2014 beantragt worden sind, ersetzt die in § 287a Abs. 1 InsO angeordnete Entscheidung des Gerichts partiell die nach altem Recht in §§ 289, 291 InsO a.F. vorgesehene Entscheidung über die Ankündigung der Restschuldbefreiung3. Die Eingangsentscheidung des Gerichts setzt eine reine Zulässigkeitsprüfung voraus. Das Verfahren wird durch die Einführung des § 287a InsO insoweit vereinfacht, als weder die Gläubiger noch der (vorläufige) Insolvenzverwalter zwingend zu hören sind. Spätere Einwendungen der Gläubiger werden dadurch nicht präkludiert4. Ihnen bleibt es unbenommen, Versagungsgründe nach § 290 Abs. 1 InsO und damit insbesondere auch eine Falschauskunft des Schuldners nach § 287 Abs. 1 Satz 3 InsO zu den „Unzulässigkeitsgründen“ des § 287a Abs. 2 Satz 1 InsO als Verstoß gegen die Mitteilungspflichten nach § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO bis zum Schlusstermin und nach Maßgabe des § 297a InsO noch über diesen Zeitpunkt hinaus geltend zu machen5. Bei einem zulässigen Restschuldbefreiungsantrag spricht das Gericht im Eröffnungsbeschluss zugleich aus, dass der Schuldner Restschuldbefreiung erlangt, wenn er den Obliegenheiten des § 295 InsO nachkommt und die Voraussetzungen einer Versagung nicht vorliegen. 10.34 In Verfahren, die vor dem 1.7.2014 beantragt worden sind, gilt weiterhin die Regelung des § 289 InsO a.F. Danach entscheidet das Insolvenzgericht über den Antrag auf Erteilung von Restschuldbefreiung durch Beschluss nach Anhörung der Insolvenzgläubiger und des Insolvenzverwalters bzw. Treuhänders (§ 289 Abs. 1 Satz 1 InsO a.F.). Dabei bestehen für das Gericht zwei Entscheidungsmöglichkeiten (§§ 290, 291 InsO a.F.): Entweder wird die Restschuldbefreiung bereits zu diesem Zeitpunkt versagt oder das Gericht gibt dem Restschuldbefreiungsantrag statt und kündigt die Restschuldbefreiung an. Dazu stellt das Gericht gemäß 1 OLG Köln v. 4.10.2000 – 2 W 198/00, ZInsO 2000, 608, 609; LG Münster v. 14.9.1999 – 5 T 858/99, Rpfleger 2000, 83, 84 = DZWIR 1999, 474, 475. 2 Näher dazu Ausführungen Rz. 10.76 ff. 3 Kexel in Graf-Schlicker, § 287a InsO Rz. 3. 4 BR-Drucks. 467/12, S. 36. 5 Kexel in Graf-Schlicker, § 287a InsO Rz. 4.

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Verfahrensablauf

10.36

§ 291 InsO a.F. durch Beschluss nach Anhörung der Insolvenzgläubiger und ggf. des Insolvenzverwalters (so § 289 Abs. 1 InsO) fest, dass der Schuldner Restschuldbefreiung erlangt, wenn er während der (restlichen) Laufzeit der Abtretungserklärung (s. Rz. 10.30) bestimmte Obliegenheiten erfüllt und Versagungsgründe während dieser Zeit oder danach nicht auftreten. Gegen diesen Beschluss kann jeder Insolvenzgläubiger, der im Schlusstermin die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt hat, die sofortige Beschwerde einlegen. Wird die Ankündigung der Restschuldbefreiung aber wirksam, liegt es nach dem Willen des Gesetzgebers während der Wohlverhaltensperiode allein in der Hand des Schuldners, durch Erfüllung seiner Obliegenheiten die Restschuldbefreiung zu erlangen1. Stellt sich nach Rechtskraft des Ankündigungsbeschlusses heraus, dass doch ein 10.35 Versagungsgrund bestanden hat, steht dies einem Übergang in die Wohlverhaltensperiode und der Erteilung der Restschuldbefreiung nicht entgegen2. Zu welch materiell-rechtlich unbefriedigenden Ergebnissen dies führen kann, macht ein vom AG Oldenburg3 entschiedener Fall deutlich, in dem eine Gläubigerin wenige Monate nach der Rechtskraft des Ankündigungsbeschlusses durch Zufall erfahren hatte, dass die Schuldnerin noch über Vermögenswerte verfügte, die sie im Insolvenzverfahren nicht angegeben hatte. Obwohl es der Gläubigerin mangels Kenntnis des Versagungsgrundes unmöglich war, rechtzeitig einen Versagungsantrag zu stellen, wies das Gericht – mit Recht – den nach Ankündigung der Restschuldbefreiung gestellten Versagungsantrag zurück4. Diesem Missstand ist der Gesetzgeber mit der Einführung des § 297a InsO durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte entgegengetreten5. a) Versagungsantrag gemäß § 290 InsO aa) Verfahren, die ab oder nach dem 1.7.2014 beantragt worden sind Die Vorschrift des § 290 InsO wurde durch das Gesetz zur Verkürzung des Rest- 10.36 schuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte v. 15.7.20136 wie folgt geändert: Absatz 1 a.F. sah vor, dass Versagungsanträge im Schlusstermin zu stellen sind. Diese Regelung wurde aufgehoben. Nunmehr können Insolvenzgläubiger, die ihre Forderung zur Tabelle angemeldet haben, den Versagungsantrag jederzeit schriftlich bis zum Schlusstermin stellen. Damit soll ausdrücklich die Rechtsprechung nachgezeichnet werden, die nur diesen Insolvenzgläubigern ein Antragsrecht zubilligt7. Die Einschränkung des Antragsrechts gilt ohne ausdrückliche Regelung über die Grundnorm des § 290 InsO hinaus auch für die 1 2 3 4

Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 240 RegE, S. 191. Heyer, Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren, 2004, S. 82. AG Oldenburg v. 13.2.2002 – 60 IK 40/00, ZInsO 2002, 389. Heyer, Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren, 2004, S. 83, empfiehlt den Gläubigern in einem solchen Fall, bei Vorliegen der notwendigen tatbestandlichen Voraussetzungen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren im Hinblick auf § 283c Abs. 1 Nr. 1 StGB oder entsprechend andere einschlägige Strafnormen zu initiieren. 5 Näher dazu Ausführungen Rz. 10.45 ff. 6 BGBl. I 2013, 2379. 7 BGH v. 22.2.2007 – IX ZB 120/05, MDR 2007, 912; BGH v. 8.10.2009 – IX ZB 257/08, MDR 2010, 108.

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10. Teil: Restschuldbefreiung

anderen Anträge auf Versagung oder Widerruf der Restschuldbefreiung1. Bei Anordnung des schriftlichen Verfahrens, das nach der Neufassung des § 5 Abs. 2 Satz 1 InsO den Regelfall darstellt, ist der Antrag spätestens bis zu dem Zeitpunkt zu stellen, der dem Schlusstermin entspricht. bb) Verfahren, die vor dem 1.7.2014 beantragt worden sind 10.37 Für Verfahren, die vor dem 1.7.2014 beantragt worden sind, ist der auf die Versagungsgründe des § 290 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 InsO gestützte Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung nur zulässig, wenn der Gläubiger diesen Antrag im Schlusstermin stellt2. Hierbei handelt es sich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers3; wird Restschuldbefreiung rechtskräfig angekündigt, soll das Verhalten des Schuldners in der Vergangenheit keine Rolle mehr spielen4. Ein nach Ende des Schlusstermins bei Gericht eingegangener Antrag ist verspätet und damit als unzulässig zurückzuweisen5. Dies gilt auch dann, wenn das maßgebliche Schuldnerverhalten erst nach diesem Zeitpunkt bekannt geworden ist6. Hat der Gläubiger den Versagungsantrag mündlich oder schriftlich vor dem Schlusstermin gestellt, handelt es sich lediglich um die – unbeachtliche – Ankündigung eines Versagungsantrags7. Der Schlusstermin bewirkt eine Zäsur. Zur Begründung eines im Schlusstermin gestellten Versagungsantrags ist der Gläubiger auf die in § 290 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 InsO a.F. aufgezählten Versagungsgründe beschränkt. Das Insolvenzgericht darf die Entscheidung über die Versagung der Restschuldbefreiung nicht von Amts wegen auf andere als die vom Antragsteller geltend gemachten Versagungsgründe stützen8. Obliegenheitsverletzungen nach § 295 InsO können zu diesem Zeitpunkt noch nicht geltend gemacht werden9. Soweit das Gericht gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 InsO a.F. angeordnet hat, dass das Verfahren oder einzelne seiner Teile schriftlich durchgeführt werden, kann der Versagungsantrag schriftlich bis zu diesem Termin bei Gericht gestellt und im schriftlichen Verfahren darüber entschieden werden10. Ebenso wie im mündlichen Verfahren bleibt ein vor Anordnung des schriftlichen Schlusstermins gestellter Versagungsantrag wirkungslos11.

1 BR-Drucks. 467/12, S. 39. 2 BGH v. 20.3.2003 – IX ZB 388/02, ZVI 2003, 170 = NZI 2003, 390 m. Anm. Kohte = ZInsO 2003, 314 m. Anm. Grote. 3 BT-Drucks. 12/2443, S. 189 zu § 237 RegE. 4 BT-Drucks. 12/2443, S. 191 zu § 240 RegE. 5 BGH v. 18.5.2006 – IX ZB 103/05, ZInsO 2006, 647; BGH v. 20.3.2003 – IX ZB 388/02, ZVI 2003, 170 = NZI 2003, 390 m. Anm. Kohte = ZInsO 2003, 314 m. Anm. Grote; OLG Celle v. 4.2.2002 – 2 W 5/02, ZVI 2002, 29, 31; LG Hof v. 11.9.2003 – 22 T 109/03, ZVI 2003, 545, 546; Sternal in Uhlenbruck, § 290 InsO Rz. 5 m.w.N. 6 BGH v. 18.5.2006 – IX ZB 103/05, NZI 2006, 538. 7 BGH v. 29.6.2004 – IX ZB 90/03, ZInsO 2004, 851, 852. 8 BGH v. 8.2.2007 – IX ZB 88/06, WM 2007, 661; Vallender, WuB VI A § 296 InsO 1.07. 9 BGH v. 29.6.2004 – IX ZB 90/03, ZInsO 2004, 851, 852; BGH v. 9.3.2006 – IX ZB 17/05, Rz. 20, NZI 2006, 481; BGH v. 5.4.2006 – IX ZB 227/04, ZVI 2006, 596. 10 BGH v. 20.3.2003 – IX ZB 388/02, MDR 2003, 831. 11 LG Mönchengladbach v. 14.7.2004 – 5 T 146/04, NZI 2004, 51: ein vor der Anordnung des schriftlichen Verfahrens gestellter Versagungsantrag ist wirkungslos.

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Verfahrensablauf

10.40

b) Versagungsgründe Alle Versagungsgründe des § 290 Abs. 1 InsO haben ihren Ursprung in dem 10.38 Grundsatz, dass nur ein redlicher Schuldner, der sich seinen Gläubigern gegenüber nichts hat zu Schulden kommen lassen, die Möglichkeit der Restschuldbefreiung erhält. Aus Gründen der Rechtssicherheit hat der Gesetzgeber sich jedoch auf die konkrete Aufzählung bestimmter Fallgruppen beschränkt1. Die Fallgruppen in § 290 Abs. 1 Nr. 1 bis 72 InsO n.F. sind abschließend3. Auf an- 10.39 dere als die dort genannten Verhaltensweisen kann ein Versagungsantrag nicht gestützt werden. Dies gilt gleichermaßen für Verfahren, die vor dem 1.7.2014 beantragt worden sind4. Bei den Versagungsgründen kommt ein mitwirkendes Verschulden eines Gläubigers nicht in Betracht, weil es nicht um eine Haftungsverteilung geht, sondern nur die Redlichkeit des Schuldners i.S. des § 1 Satz 2 InsO zu beurteilen ist5. Der antragstellende Gläubiger muss nicht selbst Opfer des unredlichen Verhaltens des Schuldners gewesen sein6. Vielmehr hat das Gericht die Restschuldbefreiung bei Vorliegen eines Versagungsgrundes zwingend zu versagen. Der Umstand, dass der Schuldner als Geschäftsführer einer GmbH verspätet Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft gestellt hat, rechtfertigt nicht die Versagung der Restschuldbefreiung in dem Insolvenzverfahren über sein Privatvermögen. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Norm, die auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners und nicht dritter Personen abstellt. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Insolvenz des Schuldners darauf zurückzuführen ist, dass er sich für Forderungen der Gesellschaft verbürgt hatte7. aa) Verfahren, die ab oder nach dem 1.7.2014 beantragt worden sind § 290 Abs. 1 InsO hat durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefrei- 10.40 ungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte8 in mehrfacher Hinsicht Änderungen und Ergänzungen erfahren. Nr. 1 der Vorschrift wurde in zweifacher Hinsicht geändert: Erstens wurde eine Fünfjahresfrist eingeführt, nach deren Ablauf die Versagung der Restschuldbefreiung aufgrund einer Verurteilung wegen der aufgeführten Straftaten nicht mehr gerechtfertigt ist. Zweitens wird eine Erheblichkeitsgrenze geschaffen, nach der nur die Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten zur Versagung der Restschuldbefreiung führt. Da durch das Gesetz der Ver1 Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 239 RegE, S. 190. 2 Nr. 7 wurde eingeführt durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013, BGBl. I 2013, 2379. 3 Scholz, Kreditpraxis 1989, Heft 1, 33, 36; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, § 290 InsO Rz. 2; Hess, § 290 InsO Rz. 1. 4 Näher dazu Rz. 10.37. 5 AG Hamburg v. 16.10.2000 – 68d IK 2/99, NZI 2001, 46, 47. 6 OLG Celle v. 7.6.2000 – 2 W 42/00, ZInsO 2000, 456, 457; Wenzel in Kübler/Prütting/ Bork, § 290 InsO Rz. 5; Römermann in Nerlich/Römermann, § 290 InsO Rz. 17; Vogelsang in Kraemer, Handbuch zur Insolvenz, Fach 1 Kap. 3, Rz. 153; a.A. AG Mönchengladbach v. 6.5.2001 – 32 IK 65/00, ZInsO 2001, 674, 676; Ahrens, NZI 2001, 113, 118. 7 Döbereiner, Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung, 1997, S. 135; a.A. Kraemer, DStZ 1995, 399, 402. 8 BGBl. I 2013, 2379.

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10. Teil: Restschuldbefreiung

sagungsgrund einer bereits erteilten oder versagten Restschuldbefreiung als Zulässigkeitsvoraussetzung in § 287a Abs. 2 InsO eingestellt wurde, konnte § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO gestrichen werden. In § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO erfolgte eine Anhebung der Frist auf drei Jahre. Die Vorverlagerung der Erwerbsobliegenheit auf den Zeitraum vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 287b InsO) erforderte auch eine Ausdehnung der Sanktionsmöglichkeiten. Die Versagung der Restschuldbefreiung wegen einer Verletzung der Erwerbsobliegenheit während des Insolvenzverfahrens wurde aus zwei Gründen in § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO verankert. Zum einen enthält § 290 InsO schon systematisch alle Versagungsgründe, die den Zeitraum bis zum Schlusstermin betreffen und von den Gläubigern auch bis spätestens zum Schlusstermin geltend gemacht werden müssen. Zum anderen sollen die Gläubiger mit ihrem Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung wegen einer Verletzung der Erwerbsobliegenheit während des Insolvenzverfahrens nicht an die subjektive Kenntnisnahmefrist des § 296 Abs. 1 Satz 2 InsO gebunden sein. Vielmehr sollen die Gläubiger bis zum Schlusstermin und damit dem Zeitpunkt, zu dem die Quote berechnet ist, in ihrer Entscheidung frei sein, eine Versagung der Restschuldbefreiung zu beantragen1. bb) Verfahren, die vor dem 1.7.2014 beantragt worden sind 10.41 Für die Versagung der Restschuldbefreiung2 in Verfahren, die vor dem 1.7.2014 beantragt worden sind, kommen folgende, in §§ 290 Abs. 1, 314 Abs. 3 InsO a.F. genannte Gründe in Betracht: – Der Schuldner ist wegen Insolvenzdelikten (§§ 283 bis 283c StGB) rechtskräftig verurteilt worden3. – Der Schuldner hat in den letzten drei Jahren vor dem Eröffnungsantrag oder danach vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht4. 1 BR-Drucks. 467/12, S. 46. 2 Näher dazu Vallender, Rbeistand 2002, 58. 3 Die Versagung der Restschuldbefreiung wegen einer Insolvenzstraftat setzt nicht voraus, dass die Straftat in einem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren steht, in dem die Restschuldbefreiung beantragt wird. Verurteilungen des Schuldners sind jedenfalls innerhalb der fünfjährigen Tilgungsfrist des § 46 Abs. 1 Nr. 1 BRRG zu berücksichtigen (BGH v. 18.12.2002 – IX ZB 121/02, ZVI 2003, 34). Das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG, das generell für sämtliche privaten und öffentlichen Rechtsbeziehungen gilt, kann allerdings nicht allein entscheidend sein. Ansonsten würden auch Verurteilungen wegen anderer Straftaten als der §§ 283 bis 283c StGB zu berücksichtigen sein, sofern diese im Rahmen einer Gesamtstrafenbildung in die Verurteilung eingeflossen sind und auf Grund der Gesamtstrafenbildung eine längere Tilgungsfrist eintritt, als die Tilgungsfrist, die sich allein auf Grund der Verurteilung wegen eines Insolvenzdelikts ergibt. Entscheidend ist, welche Tilgungsfrist bezüglich des Teils der Verurteilung bei einer Gesamtstrafenbildung hypothetisch in Ansatz zu bringen ist, welcher auf die Insolvenzstraftat nach §§ 283 bis 283c StGB entfällt. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers ist für die Versagung der Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur die rechtskräftige Verurteilung wegen einer Insolvenzstraftat, nicht jedoch die rechtskräftige Verurteilung wegen anderer Straftaten maßgeblich. Mithin kommt es auf die Tilgungsfristen des § 46 Abs. 1 BZRG an. 4 Unterlässt es ein Schuldner, der früher als drei Jahre vor der Insolvenzeröffnung vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, um Leistungen aus öffentlichen Mit-

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Verfahrensablauf

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– In den letzten zehn Jahren vor dem Eröffnungsantrag wurde dem Schuldner bereits Restschuldbefreiung erteilt oder wegen einer Obliegenheitsverletzung oder nach § 297 InsO versagt. – Der Schuldner hat im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder danach vorsätzlich oder grob fahrlässig die Befriedigung der Insolvenzgläubiger durch Begründung unangemessener Verbindlichkeiten oder ungerechtfertigte Verzögerung des Eröffnungsantrags beeinträchtigt. – Der Schuldner hat vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Auskunfts- oder Mitteilungspflichten aus der Insolvenzordnung verletzt1. – Der Schuldner hat vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben in den bei der Verbraucherinsolvenz gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorzulegenden Vermögens-, Gläubiger- oder Forderungsverzeichnissen gemacht2. – Der Schuldner hat in einem Verbraucherinsolvenzverfahren trotz Fristsetzung den zur Abwendung der Verwertung gemäß § 314 InsO bestimmten Betrag nicht bezahlt. c) Glaubhaftmachung des Versagungsgrundes Der Gläubiger hat den Versagungsgrund nach den für den Zivilprozess geltenden 10.42 Regeln und Maßstäben glaubhaft zu machen (§ 290 Abs. 2 InsO, § 4 InsO i.V.m. § 294 ZPO)3. Spricht bei umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalls mehr für die Erfüllung eines der in § 290 Abs. 1 InsO – abschließend – aufgeführten Versagungstatbestände als dagegen, ist dem Gläubiger die Glaubhaftmachung gelungen4. Eine nur plausible Darstellung des Sachverhalts reicht grundsätzlich nicht aus5; erst recht nicht eine bloße Behauptung ins Blaue hinein6. Eine auf Grund richterlicher Sachprüfung ergangene rechtskräftige Entscheidung 10.43 reicht regelmäßig zur Glaubhaftmachung des aus ihr ersichtlichen rechtserheblichen Sachverhalts aus. Ebenso genügt eine schlüssige Darstellung des Sachver-

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2 3 4 5 6

teln zu beziehen, diese Angaben innerhalb der Drei-Jahres-Frist zu berichtigen oder zu ergänzen, rechtfertigt dies allein die Versagung der Restschuldbefreiung auch dann nicht, wenn er zur Richtigstellung gesetzlich verpflichtet war (BGH v. 22.5.2003 – IX ZB 456/02, NZI 2003, 449). Nach Auffassung des BGH (v. 3.3.2005 – IX ZB 277/03, ZVI 2005, 276) wird der rechtsstaatliche Anspruch auf ein faires Verfahren nicht verletzt, wenn das Gericht sich zu den Versagungsgründen gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 und 6 InsO die Überzeugung bildet, der Schuldner habe seine Einkommensverhältnisse durch eine Tätigkeit für eine Limited verschleiert. Das Gericht ist nicht verpflichtet, den Geschäftsführer der Limited als Zeugen für ein bloß pfändungsfreies Einkommen des Schuldners zu vernehmen, wenn als Indizien für das „Verstecken hinter der Limited“ eine Namensähnlichkeit und dieselbe Firmenanschrift für die Limited und die Einzelfirma des Schuldners sowie eine Tätigkeit für beide Unternehmen angeführt werden. Näher dazu BGH v. 7.12.2006 – IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96. Eine Versagung der Restschuldbefreiung von Amts wegen sieht das Gesetz nicht vor. BGH v. 11.9.2003 – IX ZB 37/03, NZI 2003, 662, 663 m. Anm. Fuchs. BGH v. 11.9.2003 – IX ZB 37/03, NZI 2003, 662, 663 m. Anm. Fuchs. LG Göttingen v. 21.1.2005 – 10 T 14/05, ZInsO 2005, 154, 155.

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10.44

10. Teil: Restschuldbefreiung

halts, soweit der Schuldner diesen nicht bestreitet1. Die Amtsermittlungspflicht des Insolvenzgerichts setzt erst ein, wenn der Gläubiger den Versagungsgrund glaubhaft gemacht hat2. Das Insolvenzgericht darf dem Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung nur stattgeben, wenn es nach Ausschöpfung der ihm obliegenden Ermittlungspflicht zur vollen Überzeugung gelangt, dass der geltend gemachte Versagungsgrund gegeben ist. 10.44 Nach § 290 Abs. 2 Satz 2 InsO n.F. hat das Insolvenzgericht nach dem Schlusstermin über alle Versagungsanträge zu entscheiden. Diese Regelung entspricht im Kern dem früheren § 289 Abs. 1 Satz 2 InsO. Da nach der Konzeption des Gesetzes die Insolvenzgläubiger bis zum Schlusstermin einen Versagungsantrag stellen können, wird im Interesse der Justizentlastung vorgesehen, dass das Gericht über alle Anträge erst nach diesem Termin zu entscheiden hat. Damit wird auch klargestellt, dass diese Sachbehandlung nicht als unangemessene Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) gewertet werden kann3. d) Nachträgliches Bekanntwerden von Versagungsgründen 10.45 Die durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013 neu eingefügte Regelung des § 297a InsO, die für alle Verfahren gilt, die ab oder nach dem 1.7.2014 beantragt worden sind, ermöglicht es, die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn den Gläubigern Versagungsgründe des § 290 Abs. 1 InsO erst nach dem Schlusstermin bekannt geworden sind. Die Möglichkeit einer nachträglichen Versagung der Restschuldbefreiung beruht auf Forderungen der Praxis. Ausgelöst wurde sie durch mehrere gerichtliche Entscheidungen, in denen eine Versagung nicht ausgesprochen werden konnte, weil den Gläubigern der Versagungsgrund bis zur rechtskräftigen Ankündigung der Restschuldbefreiung unbekannt geblieben war. Nach der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung4 ist ein unredlicher Schuldner aber nicht deshalb schutzwürdig, weil der Schlusstermin bereits stattgefunden und kein Gläubiger den Versagungsgrund geltend gemacht hat. Vielmehr werde es allgemein als ungerecht empfunden, wenn ein Schuldner nur deshalb Restschuldbefreiung erhält, weil den Gläubigern der Versagungsgrund zu spät bekannt geworden ist. Die Änderung soll die Verfahrensrechte der Gläubiger stärken und dazu beitragen, die Akzeptanz des Restschuldbefreiungsverfahrens zu stärken. 10.46 Erfasst werden alle im Katalog des § 290 Abs. 1 InsO enthaltenen Versagungsgründe, die dem antragstellenden Gläubiger erst nach dem Schlusstermin oder der Einstellung des Verfahrens in den Fällen des § 211 InsO bekannt geworden sind. Im Interesse einer alsbaldigen Klärung kann der Versagungsantrag nur binnen sechs Monaten nach dem Zeitpunkt gestellt werden, zu dem der Versagungsgrund dem antragstellenden Gläubiger bekannt geworden ist. Die gegenüber § 296 Abs. 1 Satz 2 InsO verkürzte Frist ist als Überlegungsfrist ausreichend. 1 Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, § 290 InsO Rz. 20; Sternal in Uhlenbruck, § 290 InsO Rz. 22. 2 BGH v. 11.9.2003 – IX ZB 37/03, NZI 2003, 662. 3 BR-Drucks. 467/12, S. 47. 4 BR-Drucks. 467/12, S. 50.

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Wohlverhaltensperiode

10.49

Sie trägt angesichts des Fortschritts des Verfahrens dem gesteigerten Vertrauen des Schuldners in den erfolgreichen Abschluss des Restschuldbefreiungsverfahrens Rechnung. Zusätzlich hat der antragstellende Gläubiger das Vorliegen eines Versagungsgrundes nach § 290 Abs. 1 InsO sowie die Tatsache, dass er vor dem Schlusstermin bzw. der Einstellung des Verfahrens keine Kenntnis von dem Vorliegen des Versagungsgrundes hatte, glaubhaft zu machen. Dies stellt ein ausreichendes Regulativ zur Begrenzung der Anzahl nachträglicher Versagungsverfahren dar1. Eine Ausschlussfrist für den Gläubigerantrag war nicht vorzusehen, da der unredliche Schuldner auch in diesem Fall nicht als schutzwürdig anzusehen ist.

VI. Wohlverhaltensperiode Voraussetzung für die Erteilung der – angekündigten – Restschuldbefreiung ist im 10.47 Grundsatz, dass der Schuldner nach Beendigung des Insolvenzverfahrens für die Dauer der (restlichen) Laufzeit der Abtretungsfrist, die nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO bereits mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt2, die in § 295 InsO normierten Obliegenheiten erfüllt und bei unselbständiger Tätigkeit aus den Erlösen seiner Tätigkeit den pfändbaren Teil an seine Gläubiger abführt. Dazu wird vom Schuldner insbesondere verlangt, dass er mit dem Antrag auf Restschuldbefreiung seine pfändbaren Arbeitseinkünfte an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abtritt (§ 287 Abs. 2 InsO). 1. Einsetzung eines Treuhänders a) Verfahren, die ab oder nach dem 1.7.2014 beantragt worden sind In Verfahren, die ab dem 1.7.2014 beantragt worden sind, ist der Treuhänder mit 10.48 dem Aufhebungsbeschluss (§ 200 Abs. 1 InsO) und im Falle der Einstellung des Verfahrens wegen Masseunzulänglichkeit mit der Einstellungsentscheidung zu bestellen. Treuhänder kann gemäß § 288 InsO eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete natürliche Person sein, wobei der Schuldner und die Gläubiger ein Vorschlagsrecht haben. Jedoch besteht für die Gläubiger kein Recht zur Wahl oder Abwahl wie für den Insolvenzverwalter (§ 57 InsO), sondern nur die Möglichkeit eines Antrags auf Entlassung aus wichtigem Grund nach §§ 292 Abs. 3, 59 InsO vorgesehen. b) Verfahren, die vor dem 1.7.2014 beantragt worden sind In Verfahren, die vor dem 1.7.2014 beantragt worden sind, bestellt das Insolvenz- 10.49 gericht im Beschluss über die Ankündigung der Restschuldbefreiung nach § 291 1 BR-Drucks. 12/467, S. 50. 2 § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO ist im Ergebnis dahin gehend auszulegen, dass die Laufzeit der Abtretungserklärung auf die Dauer des eröffneten Verfahrens anzurechnen ist (Vallender, NZI 2001, Heft 9, VII f.; Vallender, NZI 2001, 561, 567; Gerigk, ZInsO 2001, 931, 937; a.A. Pape, ZInsO 2001, 593; Schütz, NZI 2001, Heft 9, VII f.). Sie kann aus rechtlichen Gründen nicht mit der Eröffnung des Verfahrens beginnen (Vallender, NZI 2001, Heft 9, VII). Insbesondere hat die Neufassung der Vorschrift keine Verschmelzung von Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren zur Folge.

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10.50

10. Teil: Restschuldbefreiung

InsO a.F. einen Treuhänder. Die Bestellung zum Treuhänder im vereinfachten Insolvenzverfahren umfasst auch das Restschuldbefreiungsverfahren, sofern die Bestellung im Eröffnungsbeschluss keine Einschränkung enthält1. Die Regelung in § 313 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO a.F. soll gewährleisten, dass bei Kleininsolvenzen zur Vereinfachung des Verfahrens und aus Kostengründen nur dieselbe Person für die Wahrnehmung der Verwalter- und Treuhänderaufgaben bestellt wird2. c) Aufgaben des Treuhänders in der Wohlverhaltensperiode 10.50 Die Tätigkeit des Treuhänders in der Wohlverhaltensperiode soll maßgeblich dazu beitragen, dass das Verfahren reibungslos und möglichst kostengünstig abgewickelt werden kann. Der Treuhänder in der Wohlverhaltensphase darf die Insolvenzgläubiger von Umständen unterrichten, welche die Versagung der Restschuldbefreiung begründen können, auch wenn ihm diese Aufgabe nicht eigens übertragen worden ist3. Auf Grund der Abtretung nach Maßgabe des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO erhält der Treuhänder die Verfügungsbefugnis über das pfändbare Vermögen des Schuldners. Seine Aufgabe ist es zunächst, den Arbeitgeber des Schuldners oder den sonstigen Zahlungsverpflichteten über die Abtretungserklärung und deren Laufzeit zu unterrichten. Sieht der Treuhänder im Fall eines abhängig beschäftigten Schuldners von der gesetzlich gebotenen Offenlegung der Abtretungsanzeige gegenüber dessen Arbeitgeber ab, hat er die vom Schuldner abzuführenden Beträge eigenverantwortlich zu berechnen und monatlich einzuziehen4. Darüber hinaus hat er die durch Abtretung erlangten und vom Schuldner zu zahlenden Beträge während der Treuhandphase zu verwalten und einmal jährlich auf Grund des Schlussverzeichnisses an die Gläubiger zu verteilen (§ 292 Abs. 1 Satz 2 InsO). Der Treuhänder ist während der Laufzeit der Abtretungserklärung des Schuldners kraft Amtes befugt, das nachträgliche Erlöschen von Forderungen, die in das Schlussverzeichnis des Insolvenzverfahrens aufgenommen worden sind, gegen den jeweiligen Insolvenzgläubiger im Klagewege geltend zu machen (Verteilungsabwehrklage)5. Nach den gesetzlichen Vorgaben des § 292 InsO soll der Treuhänder nicht der Vertraute und Helfer des Schuldners sein, sondern für die Gläubiger treuhänderisch tätig werden und dabei ihre Interessen, vor allem an einem vollständigen Einzug der zur Verfügung stehenden Mittel und ggf. auch an einer engen Überwachung der Wohlverhaltensobliegenheiten, verfolgen. Die Regelung des § 292 Abs. 1 Satz 4 InsO soll die Motivation des Schuldners stärken, die „Wohlverhaltensperiode“ durchzustehen6. Soweit die Gläubiger eine Überwachung des Schuldners für erforderlich und sinnvoll halten, kann die Gläubigerversammlung einen entsprechenden Beschluss fassen. § 292 Abs. 2 Satz 3 InsO stellt sicher, dass der Treuhänder den Schuldner nicht ohne Vergütung überwachen muss. Der Treuhänder steht während der Zeit seiner Amtsausübung unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts, das ihn ggf. aus seinem Amt entlassen kann. Dies wird durch die Verweisungsvorschrift in § 292 Abs. 3 Satz 2 1 2 3 4 5 6

BGH v. 26.1.2012 – IX ZB 15/11, NZI 2012, 515. BGH v. 24.7.2003 – IX ZB 458/02, ZVI 2004, 129. BGH v. 1.7.2010 – IX ZB 84/09, MDR 2010, 1083. BGH v. 7.4.2011 – IX ZB 40/10, MDR 2011, 694. BGH v. 29.3.2012 – IX ZR 116/11, MDR 2012, 936. Vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu § 346g, BT-Drucks. 12/7302, S. 188.

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Wohlverhaltensperiode

10.51

InsO auf die Regelungen der §§ 58, 59 InsO klargestellt. Allerdings kann der Treuhänder auch für die Wohlverhaltensperiode nur aus wichtigem Grund entlassen werden; sein Entlassungsgesuch allein genügt nicht1. In der nachhaltigen Weigerung, zu Anträgen des Schuldners und zu gerichtlichen Anfragen Stellung zu nehmen, kann eine schwere Verletzung von Verfahrenspflichten liegen, die die Entlassung des Treuhänders rechtfertigt. Das hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, die zu würdigen Aufgabe des Tatrichters ist2. 2. Lohnabtretung Mit dem Antrag auf Restschuldbefreiung hat der Schuldner die Abtretung seiner 10.51 pfändbaren Lohn- und Gehaltsansprüche für die Zeit von sechs Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder zu erklären. Die Abtretung wird erst wirksam mit der ausdrücklichen oder konkludenten Übernahme des Amtes durch den Treuhänder3. Die Abtretung erfasst nach dem Wortlaut des § 287 Abs. 2 InsO die pfändbaren Bezüge aus einem Dienstverhältnis des Schuldners. Dies sind nach dem Willen des Gesetzgebers alle Arten von Arbeitseinkommen i.S. des § 850 ZPO und darüber hinaus insbesondere auch Renten- oder sonstige Leistungen der Sozialversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit im Falle des Ruhestandes, der Erwerbsunfähigkeit oder der Arbeitslosigkeit4. Für die Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens ist Arbeitslosengeld II mit Arbeitseinkommen nicht zusammenzurechnen, wenn der Schuldner nur deshalb Arbeitslosengeld II erhält, weil sein Arbeitseinkommen bei anderen Personen berücksichtigt wird, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben5. Nach Ansicht des BGH erfasst die Abtretung nicht den Anspruch auf Erstattung von Lohn- und Einkommensteuerzahlungen6. Zwar gehöre auch die Lohnsteuer, die der Arbeitgeber gemäß § 38 EStG einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen habe, zum Arbeitslohn. Nach der Rechtsprechung des BFH wandele sich die Rechtsnatur des als Lohnsteuer einbehaltenen Teils der Bezüge jedoch auf Grund des entstehenden Lohnsteueranspruchs des Staates. Im Falle einer Rückerstattung werde aus dem Steueranspruch des Staates der Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen (§ 37 Abs. 2 AO), ohne dabei seinen öffentlichen Charakter zu verlieren. Der an den Steuerpflichtigen zu 1 BGH v. 24.7.2003 – IX ZB 458/02, ZVI 2004, 129. 2 BGH v. 3.4.2003 – IX ZB 37/02; Fischer, NZI 2004, 281, 296. 3 Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 287 InsO Rz. 6; Römermann in Nerlich/Römermann, § 287 InsO Rz. 21; Hess, § 287 InsO Rz. 54; Forsblad, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenz im künftigen deutschen Insolvenzrecht, 1997, S. 213; Döbereiner, Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung, 1997, S. 176; Vallender, VuR 1997, 155, 156; Wittig, WM 1998, 209, 213; Scholz, DB 1996, 765, 767; a.A. Jauernig, § 95 II. 3. a; Jauernig in FS Uhlenbruck, 2000, S. 3, 16; Ahrens, DZWIR 1999, 45 ff.; Grote, Einkommensverwertung und Existenzminimum des Schuldners in der Verbraucherinsolvenz, 2000, S. 99, 100 Rz. 140. 4 So auch Scholz, DB 1996, 765, 767, im Anschluss an Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BTDrucks. 12/2443, § 92 RegE, S. 136, § 236 RegE, S. 189. 5 BGH v. 25.10.2012 – IX ZB 263/11, MDR 2013, 369. 6 BGH v. 21.7.2005 – IX ZR 115/04, BGHZ 163, 391 = NZI 2005, 565; BGH v. 12.1.2006 – IX ZB 239/04, ZInsO 2006, 139; ebenso BFH v. 21.11.2006 – VII R 1/06, ZIP 2007, 347; a.A. AG Gifhorn v. 12.6.2001 – 2 C 1055/00, NZI 2001, 491; Wenzel in Kübler/Prütting/ Bork, § 287 InsO Rz. 9; Sternal in Uhlenbruck, § 287 InsO Rz. 41.

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10.52

10. Teil: Restschuldbefreiung

erstattende Betrag erlange, auch wenn er wirtschaftlich betrachtet das auf den Veranlagungszeitraum entfallende Einkommen erhöhe, nicht wieder den Charakter eines Einkommens, das dem Berechtigten auf Grund einer Arbeits- oder Dienstleistung zustehe. Folgt man der herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, hat dies zur Folge, dass eine Nachtragsverteilung nach § 203 Abs. 3 InsO, die auch im Verbraucherinsolvenzverfahren möglich ist1, zu erfolgen hat, soweit die Lohnsteuer vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens abgeführt worden ist und sich der Fiskus nicht durch Aufrechnung befriedigt (vgl. § 294 Abs. 3 InsO). 10.52 Lohnabtretungsverbote, wie sie z.B. in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen vorkommen, oder sonstige Vereinbarungen, die eine Abtretung von einer Bedingung abhängig machen oder sonst einschränken, sind für die Abtretung im Rahmen des Restschuldbefreiungsverfahrens gemäß § 287 Abs. 3 InsO insoweit unwirksam, als sie die Abtretung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO vereiteln oder beeinträchtigen würden. Bereits bestehende Lohnabtretungen hat der Schuldner in Verfahren, die vor dem 1.7.2014 beantragt worden sind, gemäß § 287 Abs. 2 InsO anzugeben2, diese bleiben nach § 114 Abs. 1 InsO, der ebenfalls zum 1.7.2014 aufgehoben wurde, nur noch für die Dauer von zwei Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam. In sogen. Altverfahren beschränken §§ 114 Abs. 2, 294 Abs. 3 InsO die Aufrechnungsbefugnis des Arbeitgebers, der zugleich Insolvenzgläubiger ist (also z.B. im Falle eines Arbeitgeberdarlehens), gegen künftige Lohnund Gehaltsansprüche des Schuldners3. 10.53 Die in § 287 Abs. 2 InsO normierte Verpflichtung zur Abtretung pfändbarer Lohnund Gehaltsansprüche für die Zeit von sechs Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens trifft auch den selbständig tätigen Schuldner. Ansonsten wäre nicht gesichert, dass seine Bezüge allen Insolvenzgläubigern zugute kämen, falls er im Laufe der Wohlverhaltensperiode eine abhängige Tätigkeit aufnimmt4. Übt der Schuldner während der gesamten Laufzeit der Abtretungserklärung eine unselbständige Tätigkeit nicht aus, geht die Abtretung ins Leere5. Ansonsten hat der Schuldner gemäß § 295 Abs. 2 InsO die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, als ob er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Diese Regelung wird in der Praxis wohl gerade bei den nahe stehenden Personen einer insolventen GmbH bedeutsam werden, wenn diese einen erneuten Anlauf wagen, unternehmerisch tätig zu sein. Der selbstständig tätige Schuldner, dem die Restschuldbefreiung angekündigt ist, hat in regelmäßigen Ab1 BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 17/04, NZI 2006, 180, 181. 2 § 287 Abs. 2 InsO wurde als Folgeänderung zur Aufhebung von § 114 Abs. 1 InsO auf Grund des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013 aufgehoben. 3 Dazu Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 92 RegE, S. 136, § 132 RegE, S. 151. 4 Trendelenburg, ZInsO 2000, 437, 438. 5 Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 251 ff.; Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 295 InsO Rz. 4; Römermann in Nerlich/Römermann, § 295 InsO Rz. 44, 47; Smid/Haarmeyer, § 295 InsO Rz. 9; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, § 295 InsO Rz. 14; Arnold, DGVZ 1996, 65, 69; Döbereiner, Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung, 1997, S. 156; Trendelenburg, ZInsO 2000, 437, 438.

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10.54

ständen, zumindest jährlich, Zahlungen an den Treuhänder zu erbringen1. Ist der Schuldner mit seinem Wirtschaftsbetrieb überdurchschnittlich erfolgreich, besteht keine Pflicht, einen etwaigen Überschuss an den Treuhänder herauszugeben2. Denn maßgeblich ist nur der erwirtschaftete Betrag, den die Gläubiger im Falle eines angemessenen Dienstverhältnisses des Schuldners erhalten hätten. In Ausnahmefällen kann dies dazu führen, dass ein Schuldner die gesamten erwirtschafteten Einnahmen behalten darf, wenn er gegenüber einem Versagungsantrag eines Insolvenzgläubigers einwenden könnte, es sei ihm in seiner konkreten Situation unmöglich gewesen, überhaupt ein Dienstverhältnis einzugehen. Hat der Schuldner in der Treuhandphase eine wirtschaftlich selbständige Tätigkeit ausgeübt, sind die Gläubiger wegen der Nichtabführung von Beträgen an den Treuhänder regelmäßig berechtigt, einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung erst am Ende dieses Verfahrensabschnitts zu stellen3. Nach Übernahme seines Amtes hat der Treuhänder den zur Zahlung der Bezüge 10.54 Verpflichteten (Arbeitgeber des Schuldners oder Sozialleistungsträger) über die Abtretung zu unterrichten und ihn aufzufordern, die pfändbaren Bezüge des Schuldners nur an ihn zu zahlen. Hat er keine Kenntnis darüber, ob der Schuldner in einem Dienstverhältnis steht oder laufende Bezüge erhält, die an deren Stelle treten, hat dieser ihm entsprechende Auskunft zu erteilen. Diese umfasst Angaben über die Höhe seiner Bezüge und die Zahl der unterhaltsberechtigten Personen. Die Angaben müssen es dem Treuhänder ermöglichen, das anzunehmende fiktive Nettoeinkommen zu ermitteln4. Dagegen ist der Schuldner nicht verpflichtet, Auskünfte über etwaige Gewinne aus seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit zu erteilen5. Verlangt ein Gericht eine solche – nicht durch § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO gedeckte – Auskunft, begründen die Nichterteilung der Auskunft, eine unvollständige oder verspätete Auskunft grundsätzlich keine Obliegenheitsverletzung nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO oder nach § 296 Abs. 2 Satz 3 Fall 1 InsO6. § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO begründet indes eine Verpflichtung des Schuldners, jeden Arbeitgeberwechsel anzuzeigen (§ 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Da sich die pfändbaren Bezüge des Schuldners während der Wohlverhaltensperiode ändern können, trifft den Treuhänder die Pflicht, sich über alle Veränderungen in der Entlohnung des Schuldners zu informieren. Dies betrifft auch die Wahl der günstigsten Steuerklasse. Um zu verhindern, dass der Schuldner durch Manipulationen seine Einkünfte reduziert und dadurch die Befriedigungsaussichten 1 BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 188/09, MDR 2012, 1122. 2 Vallender in Uhlenbruck, § 295 InsO Rz. 76 m.w.N.; a.A. Wenzel in Kübler/Prütting/ Bork, § 295 InsO Rz. 15a. 3 BGH v. 10.10.2013 – IX ZB 119/12, MDR 2014, 182. 4 Zur Glaubhaftmachung des fiktiven monatlichen Nettoeinkommens eines abhängig Beschäftigten im Versagungsantrag genügt es, wenn der Gläubiger sich insoweit auf die eigenen Angaben des selbständig tätigen Schuldners stützt. Maßgebend ist ein hypothetisches Einkommen aus einem angemessenen, nicht notwendigerweise der selbständigen Tätigkeit entsprechenden Dienstverhältnis. Der Schuldner ist nicht dadurch entlastet, dass ihn weder das Insolvenzgericht noch der Treuhänder in der Wohlverhaltensphase darauf hingewiesen hat, die an den Treuhänder abgeführten Beträge entsprächen nicht dem Pfändungsbetrag eines vergleichbar abhängig Beschäftigten (BGH v. 17.1.2013 – IX ZB 98/11, MDR 2013, 554). 5 BGH v. 26.2.2013 – IX ZB 165/11, MDR 2013, 489. 6 BGH v. 26.2.2013 – IX ZB 165/11, MDR 2013, 489 Rz. 8.

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10. Teil: Restschuldbefreiung

der Insolvenzgläubiger während der Laufzeit der Abtretungserklärung schmälert, muss er sich gegenüber diesen Gläubigern so behandeln lassen, als hätte er die ihm günstigere Steuerklasse gewählt1. Dies gilt indes nicht, wenn die Wahl der günstigeren Steuerklasse bereits vor dem Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung getroffen worden ist. 10.55 Es besteht auch keine Verpflichtung des Ehegatten, zu Gunsten der Gläubiger des anderen Ehegatten einer vom gesetzlichen Regelfall des § 38b Abs. 1 Nr. 4 EStG abweichenden Wahl der Steuerklassen zuzustimmen, die für ihn selbst nachteilig ist2. Fraglich erscheint, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Ehegatte den Treuhänder seines Ehegatten im Insolvenzverfahren auf Zustimmung zur Zusammenveranlagung in Anspruch nehmen kann. Nach Auffassung des BGH3 geht das Wahlrecht des Ehegatten nach § 26 Abs. 2 EStG auf Zusammenveranlagung in der Insolvenz auf den Insolvenzverwalter/Treuhänder über. 10.56 Der Treuhänder hat ferner darauf zu achten, dass der Zahlungspflichtige tatsächlich die geschuldeten Beträge an ihn abführt. Bei Zahlungsverzug oder Minderleistung hat der Treuhänder auf eine ordnungsgemäße Zahlung hinzuwirken. Der Treuhänder hat die eingehenden Beträge und sonstigen Leistungen des Schuldners oder Dritter von seinem Vermögen getrennt zu halten. Dies geschieht zweckmäßigerweise durch Einrichtung eines Treuhandkontos bei einem Kreditinstitut4. Die Auszahlung der Beträge, die der Treuhänder durch die Abtretung erlangt, und der sonstigen Leistungen des Schuldners oder Dritter hat an die Insolvenzgläubiger auf Grund des Schlussverzeichnisses zu erfolgen. Berücksichtigt werden danach nur die Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen im Insolvenzverfahren angemeldet hatten. Der Treuhänder hat bei Vornahme der Auszahlung die Weisungen des Insolvenzgläubigers, wie z.B. die Überweisung des Betrages auf ein bestimmtes Konto, zu befolgen5. Dagegen hat der Schuldner keine Befugnis, Einfluss auf die Auszahlung zu nehmen. Insbesondere ist der Treuhänder nicht verpflichtet, einseitige Treuhändertätigkeit für den Schuldner in der Weise zu übernehmen, dass er Tilgungsmittel nur unter Vorbehalt entgegennimmt und mit ihnen nach Weisung des Schuldners verfährt. Lohnabtretungsgläubiger werden als Absonderungsberechtigte in dem Schlussverzeichnis nur insoweit berücksichtigt, als sie mit ihrer Forderung ausgefallen sind oder auf abgesonderte Befriedigung verzichtet haben (§§ 52 Satz 2, 190 Abs. 1 InsO). Die Auszahlung an die Gläubiger hat der Treuhänder grundsätzlich einmal jährlich vorzunehmen. 10.57 Die an die Insolvenzgläubiger auszuzahlenden Quoten errechnen sich nach dem Verhältnis der Forderungen, die ihnen nach dem Schlussverzeichnis zustehen. Die Quotenbestimmung gestaltet sich schwieriger, wenn der Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Bezüge aus einem Dienstverhältnis abgetreten hat. Denn es ist regelmäßig erst nach Ablauf der in § 114 Abs. 1 InsO a.F. bestimmten Frist feststellbar, in welcher Höhe diese Gläubiger ausfallen6. Nach dem Wortlaut des § 292 Abs. 1 InsO würden Zessionare über das gesetzlich zwin1 2 3 4 5 6

Vgl. OLG Köln v. 3.1.2000 – 2 W 164/99, InVo 2000, 140. AG Duisburg v. 29.1.2002 – 62 IN 53/00, NZI 2002, 328. BGH v. 24.5.2007 – IX ZR 8/06, MDR 2007, 1156 = NZI 2007, 455. Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 292 InsO Rz. 4. Preuss, NJW 1999, 3450, 3451. Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, § 292 InsO Rz. 9.

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10.60

gend vorgeschriebene Maß hinaus bevorzugt. Sie würden unter Umständen sogar zu mehr als 100 % befriedigt, ohne dass ein Überschuss i.S. des § 199 InsO vorliegt1. Deshalb ist § 292 InsO bei einer Lohnabtretung unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung der Insolvenzgläubiger in der Weise auszulegen, dass eine Quotenermittlung auf der Grundlage der Forderungen vorzunehmen ist, die nach Auslaufen der Lohnabtretungen i.S. des § 114 Abs. 1 InsO noch offen sind2. Um dem Schuldner einen Anreiz zur Erfüllung seiner Obliegenheiten und ins- 10.58 besondere zur Arbeit zu geben, verbleibt ihm in Verfahren, die vor dem 1.7. 2014 beantragt wurden, nach Ablauf von vier Jahren ein höherer Teil seiner Einkünfte. Der Treuhänder muss im fünften Jahr 10 % und im sechsten Jahr 15 % der durch die Abtretung erlangten Beträge an den Schuldner abführen. Nach dem klaren Wortlaut des § 292 Abs. 1 Satz 4 InsO a.F.3 sind auch die sonstigen Leistungen, die der Treuhänder erhält, vom Motivationsrabatt erfasst4. Für den im Laufe der Jahre wachsenden Anteil des Schuldners ist es ohne Belang, ob in den vorangegangenen Jahren überhaupt Zahlungen auf dem Treuhandkonto eingegangen sind5. Einen Motivationsrabatt sieht die InsO in den ab dem 1.7.2014 beantragten Insol- 10.59 venzverfahren nicht mehr vor. Nach § 292 Abs. 1 Satz 4 InsO n.F. kann der Treuhänder die Verteilung längstens bis zum Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung aussetzen, wenn dies angesichts der Geringfügigkeit der zu verteilenden Beträge angemessen erscheint. Bei dieser jährlich neu vorzunehmenden Entscheidung hat er einerseits den Aufwand für die Auskehrung an die Gläubiger und andererseits deren Interesse an einer zeitnahen Befriedigung gegeneinander abzuwägen; spätestens zum Ende der Abtretungsfrist muss ausgekehrt werden6. 3. Vollstreckungsverbot Das gemäß § 294 Abs. 1 InsO in der Wohlverhaltensperiode zum Tragen kom- 10.60 mende Zwangsvollstreckungsverbot dient ähnlichen Zwecken wie der Ausschluss der Zwangsvollstreckung in insolvenzfreies Vermögen gemäß § 89 Abs. 1 InsO. Die Norm will erreichen, dass sich in der Wohlverhaltensperiode die Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger untereinander nicht verschieben7. Ferner soll der Neuerwerb des Schuldners, der nicht gemäß § 287 Abs. 2 InsO an den Treuhänder abgetreten oder an diesen gemäß § 295 InsO herauszugeben ist, dem Zugriff der Insolvenzgläubiger entzogen sein8. Aus diesem Grunde fallen nach fast 1 S. das Berechnungsbeispiel von Moch, NZI 1998, 68. 2 Ebenso Moch, NZI 1998, 68; Grote, ZInsO 1999, 31, 33. 3 § 292 Abs. 1 Sätze 4 und 5 InsO a.F. wurde ersetzt durch Satz 4 auf Grund des Art. 1 Nr. 24 des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte v. 15.7.2013, BGBl. I 2013, 2379. 4 Bei einer verkürzten Laufzeit der Abtretungserklärung gemäß Art. 107 EGInsO auf fünf Jahre kommt demnach nur die erste Stufe des Selbstbehalts von 10 % zum Tragen (Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 292 InsO Rz. 9). 5 Scholz, DB 1996, 65, 69; Vallender, VuR 1997, 155, 157; Römermann in Nerlich/Römermann, § 292 InsO Rz. 40. 6 Kexel in Graf-Schlicker, § 292 InsO Rz. 6. 7 BGH v. 13.7.2006 – IX ZB 288/03, ZInsO 2006, 994, 995. 8 BGH v. 21.7.2005 – IX ZR 115/04, BGHZ 163, 391, 396.

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10.61

10. Teil: Restschuldbefreiung

einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur Vollstreckungsmaßnahmen von Insolvenzgläubigern auch dann unter das Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO, wenn sie sich auf Forderungen beziehen, die nicht zur Tabelle angemeldet wurden und nicht bei der Verteilung der eingegangenen Beträge durch den Treuhänder berücksichtigt werden1. 4. Erfassung von Neuvermögen 10.61 Neuvermögen, das der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen erlangt, fällt in die Insolvenzmasse und ist damit einer Verteilung zugänglich. Allerdings gelten auch insoweit die Schranken des § 36 InsO. Darüber hinaus erhalten die Insolvenzgläubiger während eines anschließenden Restschuldbefreiungsverfahrens sogar noch weiter den Zugriff auf Neuvermögen, das der Schuldner erst nach Abschluss des eigentlichen Insolvenzverfahrens erwirbt2. 10.62 Dabei handelt es sich zum einen um den pfändbaren Teil der Lohn- und Gehaltsansprüche für die Restlaufzeit der Abtretungserklärung, der den Insolvenzgläubigern in der soeben beschriebenen Weise über den Treuhänder zufließt. Dieser Teil des Neuvermögens dient nicht nur zusätzlich zu der im Insolvenzverfahren verwerteten Insolvenzmasse zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger, sondern ist auch exklusiv für die Befriedigung ihrer Insolvenzforderungen reserviert, da Neugläubiger, die Forderungen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner erwerben, am Zugriff auf dieses Neuvermögen gehindert sind. Zwar steht § 294 Abs. 1 InsO einer Zwangsvollstreckung der Neugläubiger in Lohnund Gehaltsansprüche des Schuldners nicht im Wege, weil dieses Vollstreckungsverbot nur für die Vollstreckung wegen Insolvenzforderungen gilt. Wegen der bereits bei Verfahrensbeginn zu erklärenden Abtretung an den Treuhänder kann dieser aber einer etwaigen Lohnpfändung eines Neugläubigers mit der Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) entgegentreten. Für die Geschäftsführer und Gesellschafter einer gescheiterten GmbH (und ggf. ihre Angehörigen) bedeutet dies jedoch, dass sie während des Restschuldbefreiungsverfahrens die Lohn- und Gehaltsansprüche aus einer angestellten Tätigkeit weder für die Besicherung eines Neukredits anbieten noch diese Einkünfte evtl. Neugläubigern als Gegenstand der Zwangsvollstreckung zur Verfügung stellen können. Dies wird aller Voraussicht nach Personen, die sich im Restschuldbefreiungsverfahren befinden, während der restlichen Laufzeit der Abtretungserklärung nach Aufhebung des Verfahrens und Eintritt in die Wohlverhaltensperiode von Kreditgewährungen und u.U. sogar von anderen Leistungen, bei denen der Vertragspartner Vorleistungen erbringen soll, z.B. die Anmietung einer Wohnung oder Abzahlungskäufe, weitgehend ausschließen.

1 BGH v. 13.7.2006 – IX ZB 288/03, ZInsO 2006, 994; Andres/Leithaus, § 294 InsO Rz. 1; Lang in Braun, § 294 InsO Rz. 4; Streck in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 294 InsO Rz. 3; Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 294 InsO Rz. 3; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, § 294 InsO Rz. 2a; Sternal in Uhlenbruck, § 294 InsO Rz. 5. 2 Darauf weist zu Recht Arnold, DGVZ 1996, 129, 130, hin.

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Wohlverhaltensperiode

10.64

Die Insolvenzgläubiger erhalten im Restschuldbefreiungsverfahren auch die 10.63 Hälfte des Wertes einer etwaigen Erbschaft des Schuldners1. Unter den Erwerb von Todes wegen fällt der Erwerb des Erben auf Grund gesetzlicher, testamentarischer oder erbvertraglicher Erbfolge2. Dies gilt auch für den Fall der Mit-, Voroder Nacherbschaft. Zu dem Erwerb von Todes wegen zählen ferner der Erwerb aus Vermächtnis, Abfindungen für einen Erbverzicht und das aus einer Erbauseinandersetzung bzw. auf Grund eines Vergleichs in einem Erbschaftstreit Erlangte. Gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO muss der Schuldner die Hälfte des Wertes des erlangten Vermögens an den Treuhänder herausgeben, damit dieser davon die Schulden decke. Die andere Hälfte kann der Schuldner für sich behalten und darf darüber frei verfügen. Der Schuldner hat seine Obliegenheit zur Herausgabe der Hälfte des Wertes durch Zahlung des entsprechenden Geldbetrages zu erfüllen3. Die Obliegenheit, die Hälfte des Wertes des erworbenen Vermögens an den Treuhänder herauszugeben, kann auch dann nicht durch Übertragung eines Anteils am Nachlass erfüllt werden, wenn der Schuldner Mitglied einer Erbengemeinschaft geworden ist. Setzt die Erfüllung der Obliegenheit zur Herausgabe des hälftigen Wertes des erworbenen Vermögens die Versilberung des Nachlasses voraus, ist dem Schuldner vor der Entscheidung über den Antrag auf Restschuldbefreiung Gelegenheit zu geben, diese zu betreiben. Über den Antrag auf Restschuldbefreiung sowie über etwaige Versagungsanträge kann so lange nicht entschieden werden, wie der Schuldner ausreichende Bemühungen um die Verwertung des Nachlasses nachvollziehbar darlegt und gegebenenfalls beweist4. Die Begrenzung auf die Hälfte ist ein Kompromiss zwischen den Überlegungen, dass es einerseits unbillig wäre, wenn der Schuldner Restschuldbefreiung erhielte, ohne sein Vermögen anzutasten, dass aber andererseits bei vollem Gläubigerzugriff auf eine Erbschaft der Schuldner durch Ausschlagung oder in anderer Weise regelmäßig dafür sorgen wird, dass die Erbschaft ihm nicht zufällt5. Dabei ist der Schuldner zur Ausschlagung der Erbschaft befugt, ohne dass dies als Obliegenheitsverletzung gewertet werden kann6. Außer dem Arbeitsaufkommen und der Hälfte einer eventuellen Erbschaft ist im 10.64 Übrigen jedes evtl. sonstige Neuvermögen des Schuldners, z.B. aus Schenkungen oder aus einem Lotteriegewinn, dem Zugriff der Insolvenzgläubiger im Restschuldbefreiungsverfahren entzogen. Ein anderes Ergebnis kann von einzelnen Gläubigern auch nicht durch einvernehmliche Regelung mit dem Schuldner er1 Tritt der Erbfall in der Wohlverhaltensphase ein, entsteht die Obliegenheit des Schuldners, die Hälfte des Wertes des Vermächtnisses an den Treuhänder abzuführen, erst mit der Annahme des Vermächtnisses (Ergänzung von BGH v. 25.6.2009 – IX ZB 196/08), BGH v. 10.3.2011 – IX ZB 168/09, NZI 2011, 329. 2 Henning in Karsten Schmidt, § 295 InsO Rz. 21; Döbereiner, Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung, 1997, S. 162. 3 BGH v. 10.1.2013 – IX ZB 163/11, MDR 2013, 490. 4 BGH v. 10.1.2013 – IX ZB 163/11, MDR 2013, 490 Rz. 19. 5 Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 244 RegE, S. 192. 6 Döbereiner, Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung, 1997, S. 167; Vallender, InVo 1998, 177; Römermann in Nerlich/Römermann, § 295 InsO Rz. 27; Sternal in Uhlenbruck, § 295 InsO Rz. 25; Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 295 InsO Rz. 6; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, § 295 InsO Rz. 19b; a.A. Dieckmann in Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, S. 132, 133; Bruckmann, Verbraucherinsolvenz, 1999, § 4 Rz. 59; Thora, ZInsO 2002, 176 ff.

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10.65

10. Teil: Restschuldbefreiung

reicht werden, da nach § 294 Abs. 2 InsO im Interesse einer Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger jedes Abkommen des Schuldners mit einzelnen Gläubigern, das diesen Sondervorteile verschaffen soll, nichtig ist. Für die Kreditwirtschaft bedeutet dies beispielsweise, dass eine Vereinbarung mit einem mithaftenden Geschäftsführer oder Gesellschafter, mit der ein Kredit für den Aufbau einer neuen selbständigen Existenz gewährt wird, insoweit nichtig wäre, als an die Kreditzusage die Vereinbarung geknüpft ist, aus dem Kredit oder aus sonstigen Mitteln die alten Verbindlichkeiten aus der Mithaft zu bedienen. 5. Obliegenheiten des Schuldners 10.65 Wenn (ehemalige) Geschäftsführer oder Gesellschafter einer insolventen GmbH sich mittels Restschuldbefreiung von der Mithaftung für die Verbindlichkeiten ihrer GmbH entziehen wollen, müssen sie gemäß § 295 InsO während der Wohlverhaltensperiode bestimmte Obliegenheiten erfüllen. Diese reicht von der Ankündigung der Restschuldbefreiung bis zum Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung1. 10.66 Ziel ist es, dass der Schuldner sich während dieser Zeit nach Kräften bemüht, die Forderungen seiner Gläubiger so weit wie möglich zu tilgen2. Im Einzelnen wird dem Schuldner Folgendes abverlangt: – Damit Zahlungen an den Treuhänder zur Verteilung unter die Gläubiger fließen können, hat er eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben, sich zumindest um eine solche zu bemühen, und darf dabei keine zumutbare Tätigkeit ablehnen. Bei selbständiger Tätigkeit muss er durch Zahlungen an den Treuhänder die Insolvenzgläubiger so stellen, als ob er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. – Vermögen, das er geerbt hat, muss er zur Hälfte des Wertes an den Treuhänder herausgeben. – Jeder Wohnsitz- oder Arbeitswechsel ist unverzüglich dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder anzuzeigen. – Von der Abtretung erfasste Bezüge oder eventuelle Erbschaften dürfen nicht verheimlicht werden. – Auf Anforderung des Gerichts oder des Treuhänders muss der Schuldner Auskunft über seine Erwerbstätigkeit, sein Bemühen um eine solche sowie über Einkünfte und Vermögen erteilen3. – Zahlungen zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger darf der Schuldner nur an den Treuhänder leisten, und er darf keinem Gläubiger einen Sondervorteil verschaffen. 1 BGH v. 11.1.2007 – IX ZR 133/06, FamRZ 2007, 557; LG Göttingen v. 20.7.2004 – 10 T 83/04, NZI 2004, 596; AG Köln v. 9.3.2004 – 71 IK 116/01, NZI 2004, 331; AG Mönchengladbach v. 7.1.2005 – 32 IK 104/02, ZInsO 2005, 330; Sternal in Uhlenbruck, § 295 InsO Rz. 6; Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 205 InsO Rz. 2; a.A. AG Göttingen v. 17.1.2003 – 74 IK 191/01, ZVI 2003, 295; differenzierend Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, § 295 InsO Rz. 1c. 2 Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 244 RegE, S. 192. 3 Gegenüber den Gläubigern besteht dagegen die Pflicht zur Auskunftserteilung nicht (AG Leipzig v. 12.10.2004 – 94 IN 1357/01, ZInsO 2005, 387).

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Wohlverhaltensperiode

10.68

Insgesamt nennt das Gesetz in § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO drei Obliegenheiten des 10.67 nicht selbständig tätigen Schuldners. Während sich die erste Obliegenheit, eine angemessene Tätigkeit auszuüben, an den erwerbstätigen Schuldner richtet, hat sich der beschäftigungslose Schuldner um eine angemessene Erwerbstätigkeit zu bemühen; er darf keine zumutbare Tätigkeit ablehnen. Den Schuldner trifft aber keine Rechtspflicht, irgendeine Berufstätigkeit aufzunehmen. Aus diesem Grunde können die Insolvenzgläubiger den Schuldner nicht zwingen, eine besser bezahlte oder überhaupt eine geregelte Erwerbsarbeit aufzunehmen. Grundsätzlich erfüllt ein erwerbstätiger Schuldner seine Obliegenheiten, wenn er während der Wohlverhaltensperiode einer Erwerbstätigkeit nachgeht, die seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten entspricht. Dies gilt auch, wenn er während der Wohlverhaltensperiode seine Arbeitsstelle wechselt. Entscheidend ist nur, dass hierdurch die Befriedigungschancen der Gläubiger nicht geschmälert werden. Eine angemessene Erwerbstätigkeit setzt nicht nur eine gebührende Arbeitsleistung, sondern auch eine angemessene Bezahlung voraus1. Der Schuldner verstößt gegen die Erwerbsobliegenheit des § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn er im Zusammenwirken mit seinem Arbeitgeber sein Einkommen verschleiert oder „umleitet“2. Ein Verlust der Arbeitsstelle bedeutet nicht zwangsläufig eine Obliegenheitsverletzung durch den Schuldner. Vielmehr ist auf die Gründe abzustellen, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt haben3. Wird das Arbeitsverhältnis wegen mehrfachen Unterschlagungen gekündigt, rechtfertigt dies die Versagung der Restschuldbefreiung wegen Verletzung der Erwerbsobliegenheit gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO4. Nach § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO hat sich der beschäftigungslose Schuldner um eine 10.68 Arbeit zu bemühen; eine zumutbare Arbeit darf er nicht ablehnen. Zur Obliegenheit des Schuldners, sich um eine angemessene Beschäftigung zu bemühen, gehört es, sich im Regelfall bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden und laufend Kontakt zu den dort für ihn zuständigen Mitarbeitern zu halten. Weiter muss er sich selbst aktiv und ernsthaft um eine Arbeitsstelle bemühen, etwa durch stetige Lektüre einschlägiger Stellenanzeigen und durch entsprechende Bewerbungen. Als ungefähre Richtgröße können zwei bis drei Bewerbungen in der Woche gelten, sofern entsprechende Stellen angeboten werden. Der Schuldner wird dem Bemühen um eine Arbeitsstelle nicht gerecht, wenn er durchschnittlich alle drei Monate eine Bewerbung abgibt, sonst aber keine Aktivitäten entfaltet5. Gelingt es dem Schuldner nicht, eine seiner Ausbildung, seinen Fähigkeiten, dem Lebensalter und dem Gesundheitszustand entsprechende (vgl. § 1574 Abs. 2 BGB) Arbeitsstelle zu finden, muss er ggf. eine berufsfremde, eine auswärtige und notfalls eine Aushilfs- oder Gelegenheitstätigkeit annehmen6. Der Schuldner darf seine Bemühungen weder örtlich noch sachlich auf einen Teil des Arbeitsmarkts beschränken7. Es reicht nicht aus, sich lediglich auf Teil1 2 3 4 5 6

AG Dortmund v. 9.9.1999 – 259 IK 33/99, NZI 1999, 420, 421. Fuchs in Kölner Schrift zur InsO, S. 1740 Rz. 177. Römermann in Nerlich/Römermann, § 295 InsO Rz. 11. AG Holzminden v. 8.2.2006 – 10 IK 96/02, ZVI 2006, 260. BGH v. 19.5.2011 – IX ZB 224/09, MDR 2011, 885. Hess, § 295 InsO Rz. 31; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kap. 10 Rz. 74. 7 Streck in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 295 InsO Rz. 8.

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10.69

10. Teil: Restschuldbefreiung

zeitstellen zu bewerben1. Ein Schuldner, der lediglich eine Teilzeitbeschäftigung ausübt, hat sich im Rahmen der Erwerbsobliegenheit regelmäßig um eine angemessene Vollzeittätigkeit zu bemühen2. 10.69 Der Schuldner ist nicht verpflichtet, während der Wohlverhaltensperiode eine abhängige Tätigkeit aufzunehmen. § 295 Abs. 2 InsO stellt vielmehr klar, dass er auch dann Restschuldbefreiung erlangen kann, wenn er während der (restlichen) Laufzeit der Abtretungserklärung eine selbständige Tätigkeit ausübt, etwa ein Gewerbe, betreibt3. Dem Schuldner ist es sogar gestattet, während der Laufzeit der Abtretungserklärung zwischen einer nicht abhängigen und einer abhängigen Erwerbstätigkeit sowie umgekehrt zu wechseln4. Ein solcher Wechsel erscheint dann sinnvoll, wenn der Selbständige Forderungen aus seinem Gewerbebetrieb im Voraus abgetreten hat. Diese Beträge fallen nicht unter § 114 InsO, weil die Vorschrift nur Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende Bezüge erfasst. Ist der Schuldner wegen der Abtretung nicht in der Lage, den gemäß § 295 Abs. 2 InsO an die Gläubiger abzuführenden Betrag zu erbringen, bietet in diesem Fall oft nur die Aufnahme einer abhängigen Erwerbstätigkeit die Chance, einer Versagung der Restschuldbefreiung wegen schuldhafter Verletzung seiner Obliegenheiten zu entgehen5. Den Selbständigen trifft ebenso wie den abhängig Tätigen die Pflicht, sich um Arbeit zu bemühen und Gewinne an die Gläubiger abzuführen. Dabei hat der selbständig Tätige die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen so zu stellen, als würden ihnen die pfändbaren Bezüge aus einem entsprechenden angemessenen Dienstverhältnis zukommen. Dieser fiktive Verdienst stellt die Bemessungsgrundlage i.S. der §§ 850 ff. ZPO dar6. Übt der Schuldner neben seiner abhängigen Beschäftigung eine selbständige Tätigkeit aus, aus der er lediglich Verlust erwirtschaftet, sind die Insolvenzgläubiger nicht beeinträchtigt, wenn der Schuldner keine Möglichkeit hat, an Stelle der selbständigen Tätigkeit ein weiteres Arbeitsverhältnis einzugehen7. 10.70 Der Obliegenheitskatalog des § 295 InsO dürfte einem unredlichen Schuldner genügend Missbrauchsmöglichkeiten einräumen. Denn es bleibt trotz allem sehr unbestimmt, wann ein ausreichendes Bemühen um eine zumutbare Tätigkeit vorliegt bzw. welche Zahlungen von einem Selbständigen zu erbringen sind, damit die Gläubiger so gestellt werden, wie wenn der Schuldner eine angemessene angestellte Tätigkeit ausübe. Für die Gläubiger wird es in diesem weiten Rahmen ohne gezielte Überwachungsmaßnahmen kaum möglich sein, dem Schuldner einen Verstoß gegen die Obliegenheiten nachzuweisen und – wie erforderlich – binnen einer Jahresfrist dem Gericht glaubhaft zu machen8, vor allem, wenn der 1 AG Neu-Ulm v. 19.2.2002 – IK 317/03, ZVI 2004, 131. 2 BGH v. 14.1.2010 – IX ZB 242/06, NZI 2010, 228. 3 Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 244 RegE, S. 192; kritisch zu der Regelung des § 295 Abs. 2 InsO: Henckel, ZZP 97 (1984), 105, 112; Gerhardt in Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, S. 1, 3; Grub, ZIP 1993, 393, 398; Grub, AnwBl. 1993, 458, 459; Grub/Rinn, ZIP 1993, 1583, 1586; Döbereiner, Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung, 1997, S. 156 ff. 4 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 26.52; Trendelenburg, ZInsO 2000, 437, 440. 5 Trendelenburg, ZInsO 2000, 437, 440. 6 Streck in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 295 InsO Rz. 23 m.w.N. 7 BGH v. 5.4.2006 – IX ZB 50/05, NZI 2006, 413. 8 So auch Scholz, DB 1996, 765, 769.

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Wohlverhaltensperiode

10.71

Treuhänder wegen des fehlenden Auftrags der Gläubigerversammlung nach § 292 Abs. 2 InsO nicht verpflichtet ist, den Schuldner zu überwachen und die Gläubiger von Obliegenheitsverletzungen des Schuldners zu unterrichten. Erschwerend kommt hinzu, dass gemäß § 296 Abs. 1 InsO eine Obliegenheitsverletzung nur dann beachtlich ist, wenn sie kausal die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt. Weiterhin scheidet eine Versagung der Restschuldbefreiung nach § 296 Abs. 1 InsO dann aus, wenn dem Schuldner kein Verschulden zur Last fällt1. Schließlich sollen „unwesentliche Verstöße“ die Restschuldbefreiung angesichts des Verbots des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) nicht verhindern, um übermäßige Härten zu vermeiden2. Obwohl der Gesetzgeber von der Möglichkeit zur Versagung der Restschuldbefreiung bei Obliegenheitsverletzungen „eine heilsame Wirkung auf die Schuldnermoral“ erwartet3, sollten die Gläubiger daher nicht davon ausgehen, dass die gesetzlichen Vorgaben des § 295 InsO insolvente Schuldner in besonderem Maße dazu motivieren, (offiziell) eine bezahlte Tätigkeit aufzunehmen, um daraus während der restlichen Laufzeit der Abtretungserklärung ihre Gläubiger zu befriedigen. Vielmehr wird gerade für die einer gescheiterten GmbH nahe stehenden Personen befürchtet, dass unredliche Schuldner entsprechend schon bisher anzutreffender Praxis auch weiterhin nach der Insolvenz einen neuen Betrieb unter dem Namen des Ehegatten führen werden oder Strohmann-Geschäfte und Schwarzarbeit der Arbeit für die Gläubiger vorziehen4. Ein Verstoß gegen die Obliegenheiten des § 295 InsO kann nach §§ 296, 300 InsO 10.71 zur Versagung der Restschuldbefreiung führen. Die Versagung der Restschuldbefreiung wegen Verletzung der in § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO bestimmten Erwerbsobliegenheit setzt voraus, dass hierdurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt worden ist (§ 296 Abs. 1 Satz 1 InsO). Hierfür genügt nicht eine abstrakte Gefährdung der Befriedigungsinteressen der Gläubiger, sondern nur eine messbare tatsächliche Beeinträchtigung5. Zu den Obliegenheiten gehört aber keine irgendwie festgesetzte Mindesttilgung der verbliebenen Insolvenzforderungen. Für Gläubiger der GmbH, die während der restlichen Laufzeit der Abtretungserklärung in der Zeit der Wohlverhaltensperiode auf die zumindest teilweise Befriedigung ihrer nicht getilgten Forderungen hoffen, bedeutet dies, dass auch derjenige frühere Geschäftsführer oder Gesellschafter der insolventen GmbH, der in dieser Zeit keinen einzigen Cent zur Tilgung seiner Verbindlichkeiten aus der übernommenen Mithaftung an den Treuhänder leistet bzw. leisten kann, Restschuldbefreiung erlangt, solange er nur seine Obliegenheiten erfüllt und sich wenigstens um Arbeit bemüht.

1 Uhlenbruck, Das neue Insolvenzrecht, S. 113. 2 Rechtsausschuss, Beschlussempfehlung und Bericht zum RegE InsO v. 15.4.1992, BTDrucks. 12/7302, § 346k RegE, S. 188. 3 Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, Allgemeines, S. 101. 4 So Lösch, JA 1994, 44, 45 und Grub in Kölner Schrift zur InsO, S. 99. Ebenso geht Scholz, DB 1996, 765, 769 davon aus, dass die Regelungen dem Schuldner genügend Missbrauchsmöglichkeiten bieten, um ohne Zahlungen an die Gläubiger Restschuldbefreiung zu erlangen. Optimistischer Wenzel, ZRP 1993, 161, 164. 5 BGH v. 14.1.2010 – IX ZB 78/09, ZVI 2010. 203.

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10.72

10. Teil: Restschuldbefreiung

6. Versagung der Restschuldbefreiung 10.72 Verstößt der Schuldner schuldhaft gegen seine Obliegenheiten aus § 295 Abs. 1 InsO, so versagt das Insolvenzgericht auf Antrag eines Insolvenzgläubigers1 die Restschuldbefreiung. Die Entscheidung über die Gewährung oder Versagung der Restschuldbefreiung erfolgt regelmäßig am Ende der Wohlverhaltensperiode (§ 300 InsO). Ein zulässiger Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung während der Laufzeit der Abtretungserklärung setzt voraus, dass der Insolvenzgläubiger nicht nur die Obliegenheitsverletzung des Schuldners, sondern auch eine darauf beruhende Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger glaubhaft macht. Letzteres liegt vor, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung eine konkret messbare Schlechterstellung der Gläubiger wahrscheinlich ist2. Die Entscheidung kann gemäß § 296 InsO auf Antrag eines Gläubigers auch schon während der Wohlverhaltensperiode erfolgen, womit die Wohlverhaltensperiode zur Erlangung der Restschuldbefreiung vorzeitig abgebrochen wird3. Allerdings muss ein Gläubiger bei Verletzung einer Schuldnerobliegenheit aus § 295 InsO den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung innerhalb eines Jahres nach Kenntnis der Obliegenheitsverletzung stellen (§ 296 Abs. 2 InsO). Dabei ist es nicht Sache des Insolvenzgerichts, den Antragsteller bei der Beschaffung der erforderlichen Beweismittel zur Glaubhaftmachung durch Amtsermittlungen oder durch Vernehmung des Schuldners zu unterstützen4. Gegen die Entscheidung steht dem Antragsteller und dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu. Die Versagung ist öffentlich bekannt zu machen (§ 296 Abs. 3 Satz 2 InsO). 10.73 Auch in folgenden Fällen wird gemäß §§ 297, 298, 300 Abs. 2 InsO durch Gerichtsbeschluss die Restschuldbefreiung schon vorzeitig während der Dauer der sechsjährigen Wohlverhaltensperiode oder nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode versagt: – Auf Gläubigerantrag bei rechtskräftiger Verurteilung des Schuldners wegen einer Insolvenzstraftat nach §§ 283 bis 283c StGB (§ 297 InsO a.F.). Nach der ab 1.7.2014 geltenden Neufassung der Vorschrift setzt die Versagung eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten voraus; vergleichsweise „unbedeutende“ Straftaten hindern die Erteilung der Restschuldbefreiung nicht mehr5. Für „Altverfahren“ gilt diese Einschränkung nicht. – Auf Antrag des Treuhänders, wenn die an ihn abgeführten Beträge des jeweiligen Jahres nicht zur Deckung seiner Mindestvergütung ausreichen und der Schuldner den fehlenden Betrag nicht nach Aufforderung des Gerichts binnen 1 Antragsbefugt ist nur derjenige Insolvenzgläubiger, der seine Forderung zur Tabelle angemeldet hat (BGH v. 17.3.2005 – IX ZB 214/04, MDR 2005, 1191 = ZVI 2005, 322 Rz. 12). 2 BGH v. 14.1.2010 – IX ZB 78/09, ZVI 2010, 203; BGH v. 5.4.2006 – IX ZB 50/05, ZInsO 2006, 547; vgl. auch AG Regensburg v. 20.4.2004 – 2 IN 217/02, ZInsO 2004, 692 = ZVI 2004, 499. Das Gericht stellt den Schuldner als Geschäftsführer der GmbH seiner Tochter hinsichtlich seiner Entscheidungsbefugnis einem Selbständigen gleich, weil er sich selbst den Lohn anweise. Er sei deshalb verpflichtet, Beträge an den Treuhänder abzuführen, die denen eines selbständig tätigen Schuldners entsprechen. 3 Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 245 RegE, S. 193. 4 AG Duisburg v. 29.1.2002 – 62 IN 53/00, NZI 2002, 328. 5 BR-Drucks. 467/12, S. 39, 43.

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Wohlverhaltensperiode

10.75

zwei Wochen – z.B. aus dem unpfändbaren Vermögen – zahlt1. In Verfahren, die vor dem 1.7.2014 beantragt worden sind, ist nach der – nicht unumstrittenen – Rechtsprechung des BGH zu Sperrfristen2 der Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung unzulässig, wenn er innerhalb von drei Jahren nach rechtskräftiger Versagung der Restschuldbefreiung in einem früheren Verfahren wegen fehlender Deckung der Mindestvergütung des Treuhänders gestellt worden ist. Eine Stundung der Verfahrenskosten für einen solchen Antrag scheidet aus3. – Auf Antrag eines Insolvenzgläubigers, wenn den Gläubigern Versagungsgründe des § 290 Abs. 1 InsO erst nach dem Schlusstermin bekannt geworden sind. (§ 297a InsO)4. Die Vorschrift des § 297a InsO wurde durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013 neu eingeführt. Sie gilt für alle Verfahren, die ab oder nach dem 1.7.2014 beantragt worden sind. Eine vorzeitige Beendigung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf Grund einer 10.74 Versagungsentscheidung des Gerichts beendet nach der ausdrücklichen Regelung des § 299 InsO vorzeitig auch die Laufzeit der Abtretungserklärung an den Treuhänder, dessen Amt und die Beschränkung der Gläubigerrechte. Deren freies Nachforderungsrecht lebt wieder auf und es können wieder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen betrieben werden5. Gleiches gilt für die Gläubigerrechte auch dann, wenn die Restschuldbefreiung am Ende der Wohlverhaltensperiode versagt wird, weil in diesem Fall die Wirkungen der Restschuldbefreiung aus § 301 InsO nicht eintreten und die Beschränkungen für die Verfolgung der titulierten Insolvenzforderungen durch Zwangsvollstreckung aus § 294 Abs. 1 InsO durch Zeitablauf enden. Eine vorzeitige Beendigung des Restschuldbefreiungsverfahrens kommt ferner in 10.75 Betracht, wenn der Schuldner mit allen Insolvenzgläubigern, die Forderungen zur Tabelle angemeldet haben, in der Wohlverhaltensperiode einen Vergleich schließt und die Ansprüche dieser Gläubiger danach durch Teilzahlung und Teilerlass erloschen sind. In diesem Fall ist auf seinen Antrag die Wohlverhaltensphase vorzeitig zu beenden und die Restschuldbefreiung auszusprechen, sofern der Schuld-

1 § 298 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 InsO eröffnet dem Schuldner, der zwar die in § 54 InsO genannten Kosten berichtigen konnte, in der Wohlverhaltensperiode aber nicht mehr in der Lage ist, die Mindestvergütung für den Treuhänder aufzubringen, die Möglichkeit, noch während der Wohlverhaltensperiode unter den Voraussetzungen des § 4a Abs. 1 InsO Stundung zu beantragen. Der Antrag kann noch bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Versagungsantrag des Treuhänders gestellt werden. Da bis zur Entscheidung über die Stundung die in § 4a Abs. 3 Satz 1 InsO genannten Wirkungen der Stundung einstweilig eintreten, hat das Insolvenzgericht erst nach Rechtskraft der Entscheidung über den Stundungsantrag eine Entscheidung über den Versagungsantrag des Treuhänders zu treffen. Denn von dieser Entscheidung hängt es wiederum ab, ob die Mindestvergütung des Treuhänders gedeckt ist oder nicht. 2 S. dazu bereits die Ausführungen Rz. 10.26. 3 BGH v. 7.5.2013 – IX ZB 51/12, MDR 2013, 1066. 4 Näher dazu Ausführungen Rz. 10.45. 5 Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 247 RegE, S. 193.

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10.76

10. Teil: Restschuldbefreiung

ner belegt, dass die Verfahrenskosten und die sonstigen Masseverbindlichkeiten getilgt sind1. 7. Erteilung der Restschuldbefreiung 10.76 Nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode entscheidet das Insolvenzgericht nach Anhörung aller Beteiligten durch Beschluss über die Erteilung der Restschuldbefreiung (§ 300 InsO)2. Die Neufassung des § 300 Abs. 1 Satz 1 InsO auf Grund des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.201433 entspricht dem Regelungsgehalt des § 300 Abs. 1 InsO a.F. Der Gesetzgeber hat lediglich klargestellt, dass das Insolvenzgericht nach Ablauf der sechsjährigen Abtretungsfrist auch dann über die Erteilung der Restschuldbefreiung zu entscheiden hat, wenn das Insolvenzverfahren noch nicht aufgehoben ist4. Das Insolvenzgericht hat vor seiner Entscheidung die Insolvenzgläubiger, den Insolvenzverwalter oder den Treuhänder und den Schuldner anzuhören. 10.77 Um es noch einmal deutlich zu machen: Die Restschuldbefreiung wird gewährt, sofern keine Obliegenheitsver-letzung von einem Gläubiger geltend gemacht worden ist, ohne dass es darauf ankommt, ob und in welcher Höhe die Gläubiger befriedigt worden sind5. Für den Beschluss ist ein Termin nicht zwingend erforderlich, sondern das Insolvenzgericht kann im schriftlichen Verfahren entscheiden6. Der Beschluss ist öffentlich bekannt zu machen. a) Vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung (§ 300 InsO n.F.) 10.78 Die Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens ist seit dessen Einführung im Jahr 1999 umstritten und sie ist – isoliert betrachtet – im europäischen Vergleich verhältnismäßig lang7. Gescheiterte Unternehmer und Personen, die aufgrund alltäglicher Risiken – wie Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Krankheit – in die Überschuldung geraten, benötigen vielfach keine jahrelange Bewährung, sondern einen finanziellen Neuanfang8. Durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.20139, in Kraft getreten am 1.7.2014, wird es Schuldnern erstmals ermöglicht, das Restschuldbefreiungsverfahren vorzeitig nach drei oder fünf Jahren zu beenden, 1 BGH v. 29.9.2011 – IX ZB 219/10, MDR 2011, 1383. 2 Restschuldbefreiung kann unabhängig von der Dauer des Eröffnungsverfahrens regelmäßig erst sechs Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erteilt werden. Zeiten einer vom Insolvenzgericht zu vertretenden Verzögerung des Eröffnungsverfahrens sind auf die Laufzeit der Abtretungserklärung nicht anzurechnen (BGH v. 26.2.2015 – IX ZB 44/13, MDR 2015, 486). 3 BGBl. I 2013, 2379. 4 Grundlegend BGH v. 3.12.2009 – IX ZB 247/08, NZI 2010, 111. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.564. 6 Rechtsausschuss, Beschlussempfehlung und Bericht zum RegE InsO v. 19.4.1994, BTDrucks. 12/7302, § 346o RegE, S. 189. 7 Näher dazu Allemand/Baister/Kuglarz/Mathijsen/O'Neill/Potamitis/Vallender, NZI 2014, 1. 8 Begr. RegE, BT-Drucks. 17/211268, S. 1. 9 BGBl. I 2013, 2379.

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Wohlverhaltensperiode

10.80

wenn sie innerhalb der genannten Zeiträume eine Mindestbefriedigungsquote erfüllen oder zumindest die Kosten des Verfahrens tragen. Damit sollen auch bislang im Restschuldbefreiungsverfahren fehlende Anreize für Schuldner geschaffen werden, sich in besonderem Maße um eine Befriedigung der bestehenden Forderungen zu bemühen1. aa) Vorzeitige Erteilung Restschuldbefreiung gemäß § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO Nach dieser Vorschrift hat das Insolvenzgericht auf entsprechenden Antrag des 10.79 Schuldners vorzeitig die Restschuldbefreiung auszusprechen, wenn dieser die Kosten des Verfahrens berichtigt und im Verfahren kein Insolvenzgläubiger eine Forderung angemeldet hat oder wenn die Forderungen der Insolvenzgläubiger befriedigt sind und der Schuldner die sonstigen Masseverbindlichkeiten berichtigt hat. § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO erfasst die in der Rechtsprechung entwickelten Fälle der Unverhältnismäßigkeit der Durchführung des Restschuldbefreiungsverfahrens. Bis zum 1.7.2014 wurde auch ohne Zustimmung der Gläubiger in Analogie zu § 299 InsO vorzeitig eine Restschuldbefreiung erteilt, wenn kein Gläubiger im Insolvenzverfahren eine Forderung angemeldet hat2 oder wenn alle Gläubiger befriedigt werden3. bb) Vorzeitige Erteilung Restschuldbefreiung gemäß § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO Voraussetzung für die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung nach drei Jah- 10.80 ren ist, dass der Schuldner diese beim Insolvenzgericht beantragt und innerhalb von drei Jahren eine Mindestbefriedigungsquote von 35 Prozent erzielt hat4. Die Quote bezieht sich gemäß § 300 Abs. 4 Satz 4 InsO auf die Summe aller Forderungen, die in das Schlussverzeichnis aufgenommen wurden. Liegt ein Schlussverzeichnis nicht vor, ist das Verteilungsverzeichnis nach § 188 InsO maßgeblich5. Zu berücksichtigen sind alle bis zum Ablauf der drei Jahre festgestellten Forderungen sowie im Falle ihres Bestreitens solche, bezüglich derer die Gläubiger die Feststellungsklage erhoben oder ein entsprechend früher anhängiges Verfahren aufgenommen haben. Soweit für sie im Prüfungstermin ein vollstreckbarer Titel oder ein Endurteil vorliegt, sind bestrittene Forderungen ohne Weiteres zu berücksichtigen6. Neben der Mindestquote von 35 % hat der Schuldner zudem vorab die Verfahrenskosten und die sonstigen Masseverbindlichkeiten vollständig zu erfüllen (§ 300 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 InsO). Das Gesetz lässt unbeantwortet, wie sich der Schuldner Klarheit darüber verschafft, ob er mit der Zahlung tatsächlich die Restschuldbefreiung vorzeitig erlangt. Bislang gibt es keinen verlässlichen Auskunftsanspruch hinsichtlich der 1 BT-Drucks. 17/13535, S. 1. 2 BGH v. 17.3.2005 – IX ZB 214/04; BGH v. 18.11.2007 – IX ZB 115/04. 3 BGH v. 29.9.2011 – IX ZB 219/10, zu dem Fall eines Vergleichsschlusses in der Wohlverhaltensperiode; BGH v. 29.1.2009 – IX ZB 290/08. 4 Kritisch dazu Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2012, 558; Kluth, NZI 2014, 801; Frind, BB 2013, 1674; Kexel in Graf-Schlicker, § 300 InsO Rz. 14. 5 Begr. RegE, BR-Drucks. 467/12 S. 45. 6 Kexel in Graf-Schlicker, § 300 InsO Rz. 16.

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10. Teil: Restschuldbefreiung

Kosten des Verfahrens, weder gegenüber dem Treuhänder noch gegenüber dem Gericht1. Stehen die Verfahrenskosten nach Ablauf von drei Jahren noch nicht fest, ist der Schuldner auf Schätzungen angewiesen. Soweit Dritte bereit sind, die Mittel für eine vorzeitige Entschuldung aufzubringen, muss der entsprechende Betrag ebenfalls innerhalb der 3-Jahresfrist dem Insolvenzverwalter oder Treuhänder „zugeflossen sein“. Reicht der zur Verfügung gestellte Betrag nicht aus, verbleibt er in der Masse und kann nicht vom Dritten zurückgefordert werden. Allerdings dürfte mit der Zahlung regelmäßig gewährleistet sein, dass eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung nach fünf Jahren erfolgt. Bei Bereitstellung von Drittmitteln ist der Antrag des Schuldners auf vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung nur zulässig, wenn Angaben gemacht werden über die Herkunft der Mittel, die an den Treuhänder während der Wohlverhaltensperiode geflossen sind und die über die Beträge hinausgehen, die von der Abtretungserklärung erfasst sind (§ 300 Abs. 2 Satz 1 InsO). Der Schuldner hat dabei zu erklären, dass die Angaben nach Satz 1 richtig und vollständig sind. Der Schuldner hat das Vorliegen der Voraussetzungen von § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 InsO glaubhaft zu machen. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Regelung Dritte davon abhalten wird, Mittel zur vorzeitigen Erteilung der Restschuldbefreiung zur Verfügung zu stellen, weil sie befürchten, sich unspezifischen und möglicherweise unangenehmen Nachforschungen und Nachfragen ausgesetzt zu sehen, selbst wenn es sich bei dem Darlehensbetrag nicht um Schwarzgeld handelt2. cc) Vorzeitige Erteilung Restschuldbefreiung gemäß § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO 10.81 Die Vorschrift sieht eine vorzeitige Beendigung des Restschuldbefreiungsverfahrens vor, wenn der Schuldner innerhalb von fünf Jahren zumindest seine Verfahrenskosten begleicht. Hierdurch soll dem Schuldner, der die Mindestbefriedigungsquote verfehlt, ein weiterer Anreiz gesetzt werden, das Verfahren durchzustehen und durch eigene Bemühungen zu einem vorzeitigen Ende zu bringen3. Der Schuldner hat die vorzeitige Beendigung zu beantragen und ist darlegungsund beweispflichtig für die vollständige Berichtigung der Verfahrenskosten in der vorgegebenen Zeit. Anders als in den Fällen der Nr. 1 und 2 des § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO fordert das Gesetz vom Schuldner nicht die Begleichung der sonstigen Masseverbindlichkeiten4. Für die Beweisführung ist die Glaubhaftmachung ausreichend. Wird dieser Beweis von dem Schuldner nicht erbracht, darf die vorzeitige Restschuldbefreiung nicht erteilt werden5. b) Neuerwerb im laufenden Insolvenzverfahren (§ 300a InsO) 10.82 Die mit Wirkung vom 1.7.2014 neu geschaffene Regelung des § 300a InsO trägt dem Umstand Rechnung, dass dem Schuldner bereits während des laufenden In1 Vgl. BGH v. 24.3.2011 – IX ZB 67/10, ZInsO 2011, 777 ff.; Henning (ZVI 2014, 219, 221) bejaht einen Auskunftsanspruch. 2 Grote/Pape, ZInsO 2013, 1433. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 17/11268, S. 38. 4 Kexel in Graf-Schlicker, § 300 InsO Rz. 17. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 17/11268, S. 38.

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Wohlverhaltensperiode

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solvenzverfahrens die Restschuldbefreiung erteilt wurde. Sie regelt, dass in diesem Fall das Vermögen, dass der Schuldner nach Ende der Abtretungsfrist oder nach Eintritt der Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO erwirbt, nicht mehr zur Insolvenzmasse gehört. Ausgenommen davon sind Vermögensbestandteile, die auf Grund einer Anfechtung des Insolvenzverwalters zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden oder die auf Grund eines vom Insolvenzverwalter geführten Rechtsstreits oder auf Grund Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters zur Masse gehören. Nach § 300 Abs. 2 Satz 1 InsO hat der Insolvenzverwalter bis zur rechtskräftigen Erteilung der Restschuldbefreiung den Neuerwerb, der dem Schuldner zusteht, treuhänderisch zu vereinnahmen und zu verwalten. c) Die Wirkung der Restschuldbefreiung Die Wirkung der Restschuldbefreiung richtet sich gemäß § 301 InsO gegen alle 10.83 Insolvenzgläubiger, auch gegen solche, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben. Sie erfasst grundsätzlich alle Arten von Schulden, also die verbliebenen Verbindlichkeiten aus der Mithaftung für die gescheiterte GmbH ebenso wie die Privatschulden aus einem Konsumentenkredit. Mit Erteilung der Restschuldbefreiung erlöschen aber nicht etwa die davon erfassten verbliebenen Forderungen, sondern sie werden lediglich – wie § 301 Abs. 3 InsO deutlich macht – zu sog. unvollkommenen Verbindlichkeiten, die erfüllbar, aber nicht erzwingbar sind1. Nach § 301 Abs. 2 Satz 1 InsO werden Rechte der Insolvenzgläubiger, die gegen Mitschuldner und Bürgen bestehen, durch die Erteilung der Restschuldbefreiung ebenso wenig berührt wie ihre Zugriffsrechte auf dingliche Sicherheiten. Bis zum 1.7.2014 waren von der Restschuldbefreiung ausgenommen lediglich de- 10.84 liktische Ansprüche aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen des Schuldners sowie Geldstrafen und diesen gleichgestellte Verbindlichkeiten (§ 302 InsO)2. Dazu zählen die im Insolvenzumfeld nicht selten zu erwartenden Straftaten wie der Eingehungsbetrug (§ 263 StGB), die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB) oder auch die nicht rechtzeitige Beantragung des Insolvenzverfahrens als Verstoß gegen § 64 GmbHG3. In Verfahren, die ab dem 1.7.2014 beantragt worden sind, werden darüber hinaus 10.85 Verbindlichkeiten aus rückständigem gesetzlichen Unterhalt, den der Schuldner vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt hat, oder aus einem Steuerverhältnis, sofern der Schuldner in Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach §§ 370, 373 oder 374 AO rechtskräftig verurteilt worden ist, nicht von der Restschuldbefreiung erfasst4. Die Ergänzung des § 302 Nr. 1 Alt. 3 InsO um Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis beseitigt die insbesondere aus Sicht 1 Wenzel, ZRP 1993, 161, 162; Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 251 RegE, S. 194. 2 Die Forderung eines Gläubigers, die auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Schuldners beruht, wird von der Restschuldbefreiung erfasst, wenn der Gläubiger bei der Anmeldung seiner Forderung nicht die Tatsachen angibt, aus denen sich nach seiner Einschätzung ergibt, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Schuldners zugrunde liegt (§ 174 Abs. 2 InsO). 3 BGH v. 21.6.2007 – IX ZR 29/06, MDR 2007, 1283 Rz. 18. 4 Näher dazu Dornblüth/Pape, ZInsO 2014, 1625; Grunicke, ZVI 2014, 361.

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10.86

10. Teil: Restschuldbefreiung

des Fiskus unbefriedigende Rechtslage, dass Steuerstraftäter sich ggfls. über den Weg der Restschuldbefreiung der sie treffenden Nachzahlungspflicht doch noch entziehen können1. 8. Widerruf der Restschuldbefreiung 10.86 Auch wenn die Restschuldbefreiung bereits erteilt worden ist, muss dies noch nicht in jedem Fall das Ende des jetzt schon langen Verfahrens sein. Denn gemäß § 303 InsO kann es ausnahmsweise zu einem Widerruf der Restschuldbefreiung durch das Insolvenzgericht kommen. Der Widerruf erfolgt auf – einen in der insolvenzrechtlichen Praxis seltenen – Antrag eines Insolvenzgläubigers, wenn sich noch nachträglich herausstellt, dass der Schuldner eine seiner Obliegenheiten vorsätzlich verletzt und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger erheblich beeinträchtigt hat. Der Antrag muss aus Gründen der Rechtssicherheit innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft der Entscheidung über die Restschuldbefreiung gestellt und die Versagungsgründe müssen glaubhaft gemacht werden2. Mit öffentlich bekannt zu machendem rechtskräftigen Widerruf entfallen die Wirkungen der Restschuldbefreiung und das uneingeschränkte Nachforderungsrecht der Gläubiger lebt wieder auf. Auf Grund des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7. 20133 wurde die Vorschrift des § 303 InsO um drei Widerrufsgründe erweitert. Abs. 1 Nr. 2 sieht vor, dass ein Widerruf auf Grund entsprechenden Antrags zu erfolgen hat, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Schuldner während der Abtretungsfrist nach Maßgabe des § 297 Abs. 1 InsO verurteilt worden ist, oder wenn der Schuldner erst nach Erteilung der Restschuldbefreiung wegen einer bis zum Ende der Abtretungsfrist begangenen Straftat nach Maßgabe von § 297 Abs. 1 InsO verurteilt wird. Die ebenfalls mit Wirkung vom 1.7.2014 in Kraft getretene Regelung des Abs. 1 Nr. 3 wurde für den Fall geschaffen, dass dem Schuldner Restschuldbefreiung erteilt wurde, obgleich das Insolvenzverfahren noch andauert4. Verletzt der Schuldner nach der Erteilung der Restschuldbefreiung vorsätzlich oder grob fahrlässig Auskunfts- und Mitwirkungspflichten im Insolvenzverfahren, kann dies zwar nicht mehr gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO sanktioniert werden. Ein entsprechender Verstoß kann indes zum Widerruf der Restschuldbefreiung führen.

1 2 3 4

Kexel in Graf-Schlicker, § 302 InsO Rz. 10. Begr. RegE InsO v. 15.4.1992, BT-Drucks. 12/2443, § 252 RegE, S. 194. BGBl. I 2013, 2379. Kexel in Graf-Schlicker, § 303 InsO Rz. 12. S. auch Ausführungen Rz. 10.76.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken bei Verfahrensverschleppung und Insolvenzverursachung A. Haftung wegen Verfahrensverschleppung I. Geschäftsführerhaftung wegen Verletzung des § 15a InsO (§ 64 Abs. 1 GmbHG a.F., § 130a Abs. 1 HGB a.F.) 1. Bedeutung der sog. „Insolvenzantragspflicht“ § 15a InsO regelt die sog. Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung und Zah- 11.1 lungsunfähigkeit. Statt, wie üblich, von einer Insolvenzantragspflicht sollte allerdings richtigerweise von insolvenzrechtlichen Organpflichten gesprochen werden. Diese zielen nicht notwendig auf die Stellung eines Insolvenzantrags, sondern ggf. auf rechtzeitige Sanierung (Rz. 1.191 ff.). Die Geschäftsführerhaftung wegen Verletzung der sog. Insolvenzantragspflicht ist im Kern nicht eine Haftung für unterlassene Verfahrenseinleitung, sondern eine Haftung für verbotene Unternehmensfortführung1: Sie ist die deutsche Variante des „Wrongful Trading“ (vgl. Rz. 11.2 ff.)2. Hier liegt auch der Rechtfertigungsgrund für die Anwendung der Insolvenzverschleppungshaftungsregeln nicht nur zu Lasten von Geschäftsführern, sondern auch zu Lasten von sog. faktischen Geschäftsführern. Diese können, obwohl gar nicht zum Insolvenzantrag berechtigt (str.; vgl. Rz. 5.279), wegen Insolvenzverschleppung haften. Normadressaten sind demgemäß nicht nur die Geschäftsführer bzw. Liquidatoren der GmbH, sondern auch sog. faktische Geschäftsführer3, insbesondere solche, die sogar, wenn auch unwirksam, zu Geschäftsführern bestellt sind4. Keine Normadressaten des § 15a InsO sind dagegen die Aufsichtsratsmitglieder5, ebenso wenig bloße Bevollmächtigte der GmbH6. Auf eine mögliche Gesellschafterverantwortlichkeit nach § 15a InsO wird zurückzukommen sein (Rz. 11.58). Die sog. Insolvenzantragspflicht korre-

1 Vgl. zuerst Karsten Schmidt in FS Rebmann, 1989, S. 419, 434; seither öfter; zust. Altmeppen, ZIP 2015, 949, 952; anders (Unterlassungsdelikt) die h.M.; vgl. ausführlich Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 105. 2 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 132; eingehend Karsten Schmidt in Lutter, Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006, S. 188, 198 ff. 3 BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44 = GmbHR 1988, 299; BGH v. 28.6.1966 – 1 StR 414/65, BGHSt 21, 101, 103; BGH v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118 = GmbHR 1983, 43; BGH v. 18.12.2014 – 4 StR 323/14, 4 StR 324/14, ZIP 2015, 218; BayObLG v. 20.2.1997 – 5St RR 159/96, NJW 1997, 1936 = GmbHR 1997, 453; OLG Köln v. 15.12.2011 – 18 U 188/11, GmbHR 2012, 1364; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 153 f.; Karsten Schmidt in FS Rebmann, 1989, S. 435 ff.; str.; Überblick bei Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 70 ff.; Tiedemann/Rönnau in Scholz, § 84 GmbHG Rz. 17 ff. 4 Dazu näher Tiedemann/Rönnau in Scholz, § 84 GmbHG Rz. 18. 5 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 155; zur AG vgl. BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 106 = NJW 1979, 1823, 1826; BGH v. 9.7.1979 – II ZR 211/76, NJW 1979, 1829, 1831. 6 KG v. 3.4.2001 – 9 U 725/00, KGR Berlin 2001, 278.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

liert mit den Selbstprüfungspflichten der Geschäftsführer (zu ihnen vgl. Rz. 1.191 ff.). Mit Recht hat der BGH zu der in § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. enthaltenen Vorgängerregelung ausgesprochen1: „1. Der Geschäftsführer einer GmbH hat in Erfüllung der ihm insbesondere durch das Gesetz (§§ 43 Abs. 1, 49 Abs. 3 GmbHG) vorgeschriebenen Pflichten, in Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns anzuwenden, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu beobachten und sich bei Anzeichen einer krisenhaften Entwicklung durch Aufstellung einer Zwischenbilanz oder eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen. Denn nur dadurch kann er dem Gebot des § 49 Abs. 3 GmbHG und ggf. seiner Konkursantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG (scl.: jetzt § 15a InsO) gerecht werden. 2. Um diese Aufgaben erfüllen zu können, muss der Geschäftsführer für eine Organisation sorgen, die ihm die dafür erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht.“

11.2 Das hier zugrundegelegte und auch von den Geschäftsführern zugrundezulegende Konzept der sog. Insolvenzantragspflicht als Verbot unerlaubter Geschäftsfortführung kann nicht nachdrücklich genug herausgestellt werden: Das Management der GmbH genügt den angeblichen Insolvenzantragspflichten nicht dadurch am besten, dass es beizeiten einen Insolvenzantrag stellt, sondern am besten genügt es der zu Grunde liegenden Selbstprüfungspflicht, wenn es die drohende Insolvenz frühzeitig erkennt, diese abwendet oder ein sanierungsunfähiges Unternehmen rechtzeitig – unter Begleichung der Gesellschaftsverbindlichkeiten – liquidiert. Pflichtgemäß handelt das Management auch, wenn es eine sich etwa doch anbahnende Insolvenz alsbald durch Sanierungsmaßnahmen beseitigt. Erst wenn dies versäumt wird, konkretisiert sich die insolvenzrechtliche Organpflicht zu einer akuten Insolvenzantragspflicht. Wer die sog. Insolvenzantragspflicht als Verbot des Wrongful Trading versteht, wird auch den Sinn und Zweck der in § 15a InsO (früher § 64 Abs. 1 GmbHG a.F., § 130a Abs. 1 HGB a.F.) enthaltenen DreiWochen-Frist verstehen. Das Verbot unerlaubter Geschäftsfortführung greift grundsätzlich schon mit Eintritt der materiellen Insolvenz ein (Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit), also nicht etwa erst nach dem Ablauf von drei Wochen2. Die Drei-Wochen-Frist ist nichts als das Maximum, das zur Wahrung etwa noch bestehender Sanierungschancen genutzt werden kann (vgl. schon oben Rz. 1.193)3. Klärend waren insofern die Leitsätze eines BGH-Urteils v. 7.11.19944: „1. Bei der Annahme einer – für die Haftung wegen Konkursverschleppung nach § 64 Abs. 1 GmbHG erforderlichen – objektiv bestehenden Überschuldung ist zu berücksichtigen, dass die laufenden Betriebskosten durch Einnahmen nicht mehr vollständig gedeckt wurden. 2. Hinsichtlich des subjektiven Konkursverschleppungstatbestandes entfällt eine Haftung des Geschäftsführers nicht deshalb, weil er auf überdurchschnittliche Geschäfte gehofft hatte, obwohl nicht einmal die laufenden Betriebskosten erwirtschaftet wurden.“ 1 BGH v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, NJW-RR 1995, 669 = GmbHR 1995, 299. 2 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 111 f. = DB 1979, 1689, 1692 f.; allg. M. 3 Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 82; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 163 m.w.N. 4 BGH v. 7.11.1994 – II ZR 8/93, ZIP 1995, 124 = GmbHR 1995, 125.

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Geschäftsführerhaftung wegen Verletzung des § 15a InsO

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Man hat das Konzept der „Insolvenzantragspflichten“ hiernach als ein Verbot des 11.3 Wrongful Trading in dem Sinne zu verstehen, dass die der sog. Insolvenzantragspflicht zu Grunde liegenden Selbstprüfungspflichten kontinuierlich bestehen, allerdings in der sanktionsfähigen Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags mit Eintritt der materiellen Insolvenz kulminieren können. Was in der Verfahrensperspektive des Gesetzes als obligatorische Insolvenzverfahrenseröffnung erscheint, ist im Lichte der von der Geschäftsführung zu beachtenden Governanceregeln gleichsam nur die Spitze des Eisbergs. 2. Haftungstatbestände und Sanktionen a) Die zu Grunde liegenden Rechtsnormen waren bis 2008 in §§ 64 Abs. 1 11.4 GmbHG a.F., 130a Abs. 1 HGB a.F. enthalten. Seit dem Inkrafttreten des MoMiG am 1.11.2008 gilt § 15a Abs. 1 InsO: „Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Insolvenzantrag zu stellen. Das Gleiche gilt für die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter oder die Abwickler bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist; dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere Gesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.“

Auslösungstatbestände sind sowohl die Zahlungsunfähigkeit als auch die Über- 11.5 schuldung der Gesellschaft1. Der objektive Eintritt des Insolvenztatbestands und die schuldhafte Verletzung der sog. Antragspflicht reicht für die Haftung aus2. Dass sich der Insolvenztatbestand aus einer Bilanz ergibt, war entgegen dem Wortlaut der Vorgängerbestimmungen und entgegen der bis 1991 vom BGH3 vertretenen Auffassung bereits nach früherem Recht nicht erforderlich4. Die früher streitige Frage ist seit dem Bilanzrichtliniengesetz geklärt5. Die Haftung setzt außer der objektiven Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung nur noch ein Verschulden (i.d.R. Fahrlässigkeit) voraus, und dafür genügt die Vernachlässigung der bei Rz. 1.191 ff. dargestellten Selbstprüfungspflichten. Auf die Bedeutung der Prognose bei der Überschuldungsfeststellung und auf ihre 11.6 dominierende Rolle bei der Selbstprüfung seitens der Geschäftsführung wurde schon unter Rz. 5.2 ff.; 5.101 ff. hingewiesen. Es versteht sich, dass die Haftung nicht schon dann entfällt, wenn der Geschäftsführer auf ertragreiche Geschäfte gehofft hat, hierzu vielleicht sogar greifbaren Anlass hatte. Die wechselnden Überschuldungsdefinitionen mit der unterschiedlichen Tragweite des Prognose1 Eingehend Poertzgen, Organhaftung wegen Insolvenzverschleppung, 2006, S. 151 ff.; Goette, ZInsO 2001, 529 ff. 2 Ausführlich mit Angaben zum Streitstand Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 82 ff. 3 BGH v. 3.2.1987 – VI ZR 268/85, BGHZ 100, 19, 21 ff. = GmbHR 1987, 260, 261; BGH v. 9.7.1991 – VI ZR 14/91, LM § 64 GmbHG Nr. 9 m. krit. Anm. Heidenhain = GmbHR 1991, 412 = ZIP 1991, 1137 m. krit. Komm. Karsten Schmidt. 4 Vgl. 2. Aufl., Rz. 1230; anders die damalige strafrechtliche Rechtsprechung. 5 Gesetz vom 15.5.1986, BGBl. I 1986, 721.

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11.7

11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

merkmals (vgl. Rz. 5.84 ff.) haben hieran niemals etwas geändert. Der verbreiteten Annahme, die in diesem Buch favorisierte und im geltenden § 19 Abs. 2 InsO wieder etablierte „neue zweistufige“ Prüfungsmethode rechtfertige eine auf unbestimmte Erwartungen gestützte Insolvenzverfahrensverschleppung, wurde schon unter Rz. 5.84 ff. widersprochen. Auch eine Geschäftsverteilung unter den Geschäftsführern entbindet keinen Geschäftsführer von den Pflichten aus § 64 GmbHG (Rz. 11.12). b) Als Straf- und Haftungssanktionen sind die folgenden hervorzuheben: 11.7 aa) Die schuldhafte Verletzung des § 15a Abs. 1 InsO ist mit Strafe bedroht (§ 15a Abs. 4 und 5 InsO). Auf Rz. 11.81 ff. ist zu verweisen. 11.8 bb) § 15a Abs. 1 InsO ist, wie kaum noch bestritten wird1, Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB zu Gunsten der Gläubiger, so dass die vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung zum Schadensersatz führt2. Geschützt sind – Altgläubiger, deren Forderungen vor der Insolvenzverschleppungsphase begründet wurden3, – Neugläubiger, deren Forderungen während der Insolvenzverschleppungsphase begründet wurden4, – Sicherungsgeber, deren Rückgriffsmöglichkeit durch die verschleppte Insolvenz verschlechtert wird5. Gesellschafter, soweit es um Drittforderungen geht6, sowie umgekehrt Tochtergesellschaften, die etwa in einen Cash Pool eingezahlt haben7, können geschützte Insolvenzgläubiger sein, nicht dagegen Massegläubiger, die ihre Ansprüche erst im Verfahren erworben haben8. Auch Aus- und Absonderungsrechte werden nicht durch § 15a InsO geschützt9. 11.9 Umstritten geblieben ist, ob die Vorschrift auch solche Neugläubiger schützt, deren Ansprüche im Eröffnungsverfahren – also nach der Antragstellung, wenn auch vor der Verfahrenseröffnung – begründet worden sind10. Wer mit der hier vertretenen Auffassung einen ergänzenden Neugläubigerschutz aus dem Verbot vorver1 Gegen Schutzgesetzeigenschaft Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673, 679; Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2205. 2 Überblick bei Balthasar in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 29 Rz. 29.48 ff.; Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, InsolvenzrechtsHandbuch, § 92 Rz. 91; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 175; Haas, DStR 2003, 423 ff.; Freitag, NZG 2014, 447. 3 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = GmbHR 1994, 539; std. Rspr. 4 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = GmbHR 1994, 539; s. auch BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211 = ZIP 1998, 776 = GmbHR 1998, 594; std. Rspr. 5 A.M. OLG Rostock v. 8.4.2004 – 7 W 19/04, ZBB 2004, 417; aber die Sicherungsgeber sind als Regressgläubiger geschützt. 6 Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 35. 7 OLG Düsseldorf v. 20.12.2013 – I-17 U 51/12, ZIP 2015, 73 (rkr.). 8 BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342, 361 = NJW 1990, 1725, 1730; BGH v. 8.3.1999 – II ZR 159/98, NZG 1999, 718, 719. 9 BGH v. 3.2.1987 – VI ZR 268/85, BGHZ 100, 19, 24 = ZIP 1987, 509, 511 f. 10 Bejahend Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 220 ff.; verneinend Arnold in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rz. 97.

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Geschäftsführerhaftung wegen Verletzung des § 15a InsO

11.13

traglicher Schädigung, also aus culpa in contrahendo (§§ 280, 311 BGB) ableitet (Rz. 11.17), wird dem entscheidende Bedeutung nicht beigeben1. Altgläubiger und Neugläubiger sind allesamt Insolvenzgläubiger, aber Schaden 11.10 und Schadensverlauf unterscheiden sich. Die sog. Altgläubiger sind durch die Insolvenzverschleppung nur insoweit geschädigt, als sich ihre Insolvenzquote verschlechtert hat. Die Neugläubiger können dagegen, sofern sie Vertragsgläubiger sind, geltend machen, dass sie im Vertrauen auf die Solvenz kontrahiert, also einen Vertrauensschaden erlitten haben (Geltendmachung des negativen Interesses). Regressberechtigte Sicherungsgeber können Alt- oder Neugläubiger sein. Der individuelle Schutz der Neugläubiger setzt voraus, dass der Vertragsschluss in die Insolvenzverschleppungsphase fällt, also nicht etwa in eine Phase zwischenzeitlicher Erholung der Gesellschaft2. c) Der Schadensersatzanspruch setzt viererlei voraus: (1.) die objektiv-materielle 11.11 Insolvenz der Gesellschaft (Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit), (2.) die schuldhafte Verkennung des Insolvenztatbestands oder schuldhafte Übertretung des Verschleppungsverbots, (3.) den Schadenseintritt sowie (4.) die Vermeidbarkeit des Schadens durch pflichtgemäßes Handeln3. Die Beweislast trifft hinsichtlich des objektiven Tatbestands den Anspruchsteller, während sich der Geschäftsführer durch Exkulpation von der Verschuldensvermutung entlasten muss4. Die vorausschauende Einrichtung eines Risiko-Warnsystems in der GmbH (Rz. 1.153 f., 1.196 ff.) kann bei der Exkulpation helfen. Mehrere Geschäftsführer haften gesamtschuldnerisch (vgl. Rz. 5.251). Zwar haf- 11.12 tet jeder nur für das eigene Verschulden, aber es besteht eine Gesamtverantwortung auch bei einer arbeitsteilig organisierten Geschäftsführung5. Durch Arbeitsteilung – z.B. regionale oder sachliche Spaltung der Finanzierungsverantwortung – kann kein Geschäftsführer der Haftung zuverlässig entgehen, denn die Verantwortlichkeit besteht in diesem Fall als Kontrollverantwortung fort, so dass eine Haftung wegen Insolvenzverfahrensverschleppung durch Kontrollverschulden in Betracht kommt6. Nur wenn ein Geschäftsführer den ihm obliegenden Überwachungspflichten nachgekommen ist, kann er sich unter Berufung auf geschäftsordnungsmäßige Unzuständigkeit entlasten7. d) Unter den Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung 11.13 kann der Geschäftsführer in Fällen der Insolvenzverschleppung auch nach § 826 1 Vgl. dazu Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 176. 2 BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 = GmbHR 2005, 1425. 3 Vgl. BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = LMK 2007, I 98 m. Anm. Eilmann = DZWiR 2007, 337 m. Anm. Böcker = EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche) = GmbHR 2007, 482; Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 93 f. 4 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 200 = GmbHR 1994, 539, 545 = ZIP 1994, 1103, 1110; BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 185 f. = GmbHR 2000, 182, 183 m. Komm. Frings = ZIP 2000, 184, 185; OLG Koblenz v. 27.2.2003 – 5 U 917/02, GmbHR 2003, 419 = ZIP 2003, 571; std. Rspr. 5 Dazu BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92, GmbHR 1994, 460 = ZIP 1994, 891; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 210. 6 BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92, GmbHR 1994, 460 = ZIP 1994, 891. 7 Vgl. sinngemäß BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92, GmbHR 1994, 460 = JZ 1994, 961 m. Anm. Grunewald.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

BGB in Anspruch genommen werden1. Diese Anspruchsgrundlage kann im Schutzkreis über die durch § 15a InsO geschützten Gläubiger hinausgehen, enthebt den die Haftung geltend machenden Gläubiger aber nicht der Beweislast bezüglich des Schadens und seiner Verursachung durch den Verschleppungssachverhalt (hier liegt der Unterschied gegenüber der bei Rz. 11.151 ff. zu besprechenden Insolvenzverursachungshaftung)2. Der BGH hat deshalb eine auf § 826 BGB gestützte Klage der Bundesagentur für Arbeit auf Erstattung geleisteten Insolvenzgeldes abgewiesen3. 11.14 e) Für die Verjährung gelten nach h.M. die §§ 195, 199 BGB (Verjährung in drei Jahren ab Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Sachverhalts)4. Dem ist indes nur bezüglich der Geltendmachung von Individualschäden zuzustimmen (näher unten Rz. 11.30). 3. Der Umfang des Schadensersatzes: Quotenschaden, Gesamtschaden und Individualschaden 11.15 a) Der Umfang des Schadensersatzes war lange umstritten. Der unter dem § 64 GmbHG a.F. entstandene Meinungsstreit und die daraus resultierenden Lösungsangebote verunsichern die Praxis bis heute. Viel zu wenig auseinander gehalten wurden und werden noch immer zwei Fragen: – die Frage nach dem Umfang des zu ersetzenden Schadens und – die Frage nach der Schadensabwicklung. 11.16 Beide Fragen greifen in einer häufig verkannten Weise ineinander, und dieses Defizit wirkt sich nachteilig bis hinein in die gegenwärtige Gerichtspraxis aus. Bis 1994 herrschte in der Rechtsprechung die sog. Lehre vom Quotenschaden vor5. Diese oft missverstandene Lehre war am Modell der Schadensliquidation im eröffneten Insolvenzverfahren (damals noch Konkursverfahren) orientiert und beruhte auf folgenden Grundgedanken6: – Das Verschleppungsverbot, also die sog. Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO (damals § 64 Abs. 1 GmbHG a.F., resp. § 130a Abs. 1 HGB a.F.) schützt die Gläubiger in ihrer Gesamtheit, also alle Gläubiger gleichermaßen. – Der Schadensersatz wegen Verletzung des § 15a Abs. 1 InsO (damals § 64 Abs. 1 GmbHG a.F., resp. § 130a Abs. 1 HGB a.F.) führt im eröffneten Insol1 2 3 4

BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 = GmbHR 2008, 315. BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 = GmbHR 2008, 315. BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 = GmbHR 2008, 315. BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, GmbHR 2011, 642 = ZIP 2011, 1007; OLG Saarbrücken v. 6.5.2008 – 4 U 484/07, GmbHR 2008, 1036. 5 BGH v. 16.12.1958 – VI ZR 245/57, BGHZ 29, 100, 104 ff. = GmbHR 1959, 110, 111; BGH v. 3.2.1987 – VI ZR 268/85, BGHZ 100, 19, 23 f. = GmbHR 1987, 260, 262; BGH v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 136 = GmbHR 1990, 69; OLG Hamm v. 25.1.1993 – 8 U 250/91, GmbHR 1993, 584 = NJW 1993, 1445; OLG Celle v. 28.2.2002 – 13 U 219/01, ZInsO 2002, 1031 = GmbHR 2002, 912; zusammenfassend Uhlenbruck, DStR 1991, 357. 6 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1083 ff.; Karsten Schmidt, NZI 1998, 13 f.; Karsten Schmidt, KTS 2001, 381 ff.; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 189 ff., 213 ff.

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venzverfahren auf der Basis des § 823 Abs. 2 BGB zu einer Auffüllung der Masse zu Gunsten aller Gläubiger durch Gesamtschadensliquidation (d.h. heute: nach § 92 InsO). – Die Verletzung des § 15a InsO (damals noch § 64 GmbHG, resp. § 130a Abs. 1 HGB a.F.) führt demnach im Fall einer Ablehnung der Verfahrenseröffnung mangels Masse nur zu einem auf § 823 Abs. 2 BGB gestützten Anspruch jedes einzelnen Gläubigers auf das, was er zusätzlich aus der Masse erhalten hätte (sog. Quotenschaden), der im Insolvenzverfahren kollektiv durch den Verwalter durchgesetzt wurde. – Der Schadensersatz wegen Verletzung der gesetzlichen Antragspflicht (§ 15a InsO) ist deshalb von rechtspolitischem Gewicht (nur) in Bezug auf die Gesamtheit der Gläubiger. b) Diese sog. Lehre vom Quotenschaden beschränkte sich auf den durch Insol- 11.17 venzverschleppung herbeigeführten Gesamtgläubigerschaden und zielte in erster Linie auf seine Liquidation im eröffneten Insolvenzverfahren. In Verkennung dieser Besonderheit ist darüber gespottet worden, dass doch ein einzelner Gläubiger kaum je seinen Quotenschaden einklagen wird1 und dass die Führung eines Quotenschadensprozesses für ihn auch praktisch undurchführbar2, die ganze Rechtsfigur gar nur eine „juristische Spielerei“ sei3. Ursache für diese Polemik waren Missverständnisse. Unzweifelhaft ist zwar der Gedanke rein akademisch, einzelne Gläubiger würden riskante und kostenträchtige Prozesse führen, um statt der mageren Ist-Quote von, sagen wir, 10 % eine Soll-Quote von vielleicht 20 % auf ihre Forderungen zu erhalten. Die Rechtskonstruktion des Quotenschadens ist aber gar nicht erfunden worden, um die Einträglichkeit von Quotenschadensprozessen für einzelne Gläubiger zu verdeutlichen. Aufgabe der Lehre vom Quotenschaden ist es vielmehr, die Liquidation des Gesamtgläubigerschadens vom Individualschadensersatz für geschädigte Neugläubiger abzuheben und die unterschiedlichen Voraussetzungen dieser Schadensersatzleistungen zu demonstrieren4. Diese Unterscheidung ist für die kollektive und die individuelle Abwicklung von Insolvenzverschleppungsschäden und vor allem für die Anwendung von § 92 InsO von überaus großer Bedeutung. Das Konzept ist das folgende5: – Der Gesamtgläubigerschaden wird im Fall der Insolvenzverfahrenseröffnung vom Verwalter kollektiv liquidiert (vgl. heute ausdrücklich § 92 InsO)6. Der so eingetriebene Schadensersatz wird an alle Gläubiger verteilt, die auf diese 1 Vgl. die Hinweise bei BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 197 f. = GmbHR 1994, 539, 544; Mertens in FS Lange, 1992, S. 577. 2 Schanze, AG 1993, 380; s. auch Bauder, BB 1993, 2473. 3 Gerd Müller, GmbHR 1994, 212. 4 Näher Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 66 f., 84 ff.; Karsten Schmidt, KTS 2001, 382 f.; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 180 ff., 186 ff., 191 ff., 196 ff. 5 Vgl. zusammenfassend Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 37 ff., 41 ff. 6 Über das dem § 92 InsO vorausgegangene Rechtsprechungsrecht vgl. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 190 = GmbHR 1994, 539, 543; Brinkmann, Die Bedeutung der §§ 92, 93 InsO für den Umfang der Insolvenz- und Sanierungsmasse, 2001, S. 4; Brandes/Gehrlein in Münchener Kommentar zur InsO, § 92 InsO Rz. 3; Karsten Schmidt, ZGR 1996, 209, 212, 216.

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Weise selbstverständlich jeweils nicht mehr als die Quotendifferenz erhalten. Bei Insolvenzverwalterklagen im eröffneten Insolvenzverfahren hat sich noch niemand über die so sonderbar scheinende „Lehre vom Quotenschaden“ gewundert. Der Gesamtgläubigerschaden, den der Verwalter nach § 92 InsO geltend machen kann, ist nichts anderes als der akkumulierte Quotenschaden aller geschützten Gläubiger. Die im Fall der Verfahrensablehnung eintretende scheinbar absurde Lage (wer wird schon die Quotendifferenz einklagen?) beruht nicht auf der Absurdität eines Anspruchs auf Ersatz der Quotendifferenz, sondern auf den unerquicklichen Konsequenzen der Verfahrensablehnung mangels Masse (dazu Rz. 6.31 ff.). Die Schwierigkeit, den Gesamtgläubigerschaden in Fällen der Masselosigkeit außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend zu machen, ist nichts als ein Resultat der trotz materieller Insolvenz der Gesellschaft abgelehnten Insolvenzverfahrenseröffnung. Zur Prozessführung werden in diesen Fällen nur geschädigte Neugläubiger bereit sein (sie verlangen Ersatz ihres negativen Interesses), nicht dagegen die auf die Quotendifferenz verwiesenen Altgläubiger, denn eine Aufbesserung der durch die Verschleppung reduzierten Insolvenzquote ist kein attraktives Klagziel. Zugegebenermaßen ist eine kollektive Gesamtschadensliquidation zu Gunsten aller Gläubiger außerhalb des Insolvenzverfahrens, d.h. ohne § 92 InsO, nicht möglich. Aber dieser Mangel sollte an seiner Quelle bekämpft werden: bei der Verfahrensablehnung mangels Masse nach § 26 InsO (vgl. Rz. 6.41 ff.). – Vom Gesamtgläubigerschaden, der naturgemäß nur zum Ausgleich der Quotendifferenz für alle Gläubiger führt, müssen die Individualschäden der im Vertrauen auf die Solvenz der Gesellschaft noch kontrahierenden Neugläubiger unterschieden werden. Neugläubiger sind diejenigen Gläubiger, deren Forderungen erst nach Beginn der Verfahrensverschleppung begründet wurden1. Altgläubiger sind die Gläubiger von Forderungen aus der Vor-Verschleppungsphase. Genau genommen werden hierbei nicht Gläubigergruppen unterschieden, sondern Forderungsgruppen. Derselbe Gläubiger kann mit seinen Forderungen teils Alt- und teils Neugläubiger sein2. Beispielsweise ist eine Bank in einem während der Verschleppung fortgeführten Kontokorrentverhältnis Neugläubigerin, soweit sich das von der GmbH in Anspruch genommene Kreditvolumen in der Phase der Insolvenzverschleppung erhöht hat3. Die Lehre von der Quotendifferenz wurde nun ursprünglich dahin missverstanden, dass auch Neugläubiger ihr über den Quotenschaden hinausgehendes negatives Interesse nicht ersetzt erhalten4. Diese Deutung konnte nicht richtig sein. Die Lehre vom Quotenschaden konnte nur besagen, dass der vom Gesamtschaden nicht erfasste Individualschaden neuer Gläubiger vom Gesamtscha1 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = GmbHR 1994, 539; BGHZ 171, 46 = LMK 2007, I 98 m. Anm. Eilmann = DZWiR 2007, 337 m. Anm. Böcker = GmbHR 2007, 483 = EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); Hirte in Uhlenbruck, § 15a InsO Rz. 40, § 92 InsO Rz. 12; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 176. 2 BGH v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, GmbHR 2007, 599 = ZIP 2007, 1060; s. auch Arens, GmbHR 2015, 584 m.w.N. 3 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05 = LMK 2007, I 98 m. Anm. Eilmann = DZWiR 2007, 337 m. Komm. Böcker = GmbHR 2007, 483 = EWiR 2007, 305 (Haas). 4 Vgl. mit umfangreichen Nachw. BGH v. 3.2.1987 – VI ZR 268/85, BGHZ 100, 19, 23 f. = GmbHR 1987, 260.

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den (Quotenschaden) zu unterscheiden und separat zu liquidieren ist1. Gestützt wird der Individualschadensersatz für die Neugläubiger nach der vom Verfasser vertretenen Ansicht auf das Konzept der Eigenhaftung als Geschäftsführer aus culpa in contrahendo, nach der neueren BGH-Praxis dagegen gleichfalls auf die §§ 823 Abs. 2 BGB, 15a InsO (bis 2008 § 64 Abs. 1 GmbHG). Dies war der noch heute relevante, durch neuere BGH-Entscheidungen allerdings empfindlich gestörte Ausgangspunkt der „Lehre vom Quotenschaden“ und der Verschiedenbehandlung von Alt- und Neugläubiger. Die Eigenhaftung aus culpa in contrahendo kann seit dem Schuldrechtsänderungsgesetz auf §§ 280, 311, 241 Abs. 2 BGB gestützt werden, insbesondere unter Beachtung des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB. 4. Der Stand seit BGHZ 126, 181 a) Seit einem Grundlagenurteil des BGH vom 6.6.1994 steht für die Praxis fest2: 11.18 Die (Neu-)Gläubiger, die ihre Forderungen gegen die GmbH nach dem Eintritt der Konkursantragspflicht erworben haben, können von dem schuldhaft pflichtwidrig handelnden Geschäftsführer gemäß § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO (vormals § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. bzw. § 130a Abs. 1 HGB a.F.) Ausgleich des vollen Schadens verlangen, der ihnen dadurch entsteht, dass sie in Rechtsbeziehungen zu einer überschuldeten oder zahlungsunfähigen Gesellschaft getreten sind. Neugläubiger erhalten also als Schadensersatz das nicht auf den Quotenschaden verkürzte negative Interesse. Ausnahmsweise, nämlich wenn dem Neugläubiger aufgrund des Abschlusses mit der bereits insolventen Gesellschaft ein lukratives Geschäft entgangen ist, kann dieses negative Interesse sogar entgangenen Gewinn mit umfassen3. Der BGH hat diese neue Rechtsprechung mehrfach bestätigt4, und zwar auch für die GmbH & Co. KG5. Die vollständigen Leitsätze des Grundlagenurteils vom 6.6.1994 lauten: „1. Ein Geschäftsführer haftet unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss nicht deswegen persönlich für eine Verbindlichkeit der GmbH, weil er zu Gunsten der Gesellschaft Sicherheiten aus seinem eigenen Vermögen zur Verfügung gestellt hat. 2. Die (Neu-)Gläubiger, die ihre Forderungen gegen die GmbH nach dem Zeitpunkt erworben haben, zu dem Konkursantrag hätte gestellt werden müssen, haben gegen den insoweit schuldhaft pflichtwidrig handelnden Geschäftsführer einen Anspruch auf Ausgleich des vollen – nicht durch den ‚Quotenschaden‘ begrenzten – Schadens, der ihnen dadurch entsteht, dass sie in Rechtsbeziehungen zu einer überschuldeten oder zahlungsunfähigen GmbH getreten sind (insoweit Aufgabe von BGHZ 29, 100). 3. Zur Frage der Beweislast in Fällen der Haftung des Geschäftsführers wegen Verstoßes gegen die Konkursantragspflicht.“ 1 Vgl. Karsten Schmidt, ZIP 1988, 1503 ff. 2 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = GmbHR 1994, 539; seither st. Rspr.; vgl. nur BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46, 52 = DZWiR 2007, 337 m. Anm. Böcker = EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche) = GmbHR 2007, 482, 484; weitere Nachw. bei Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 183. 3 Vgl. BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, GmbHR 2009, 817 = ZIP 2009, 1220; Haas, NZG 1999, 376. 4 BGH v. 7.11.1994 – II ZR 8/93, GmbHR 1995, 125; BGH v. 7.11.1994 – II ZR 108/93, ZIP 1995, 211 = GmbHR 1995, 226 und ausführlich Karollus, ZIP 1995, 269 ff. 5 BGH v. 7.11.1994 – II ZR 138/92, ZIP 1995, 31 = GmbHR 1995, 130.

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11.19 b) Überwiegend wird die durch das Urteil von 1994 eingeleitete Praxis begrüßt1, verschiedentlich aber auch kritisiert2. Eine Stellungnahme muss davon ausgehen, dass die Zuerkennung eines Individualanspruchs der Neugläubiger auf Ersatz ihres negativen Interesses ein großer Fortschritt war3. Wer gegen das Verschleppungsverbot verstößt, muss nicht nur den Gesamtgläubigerschaden aller Altund Neugläubiger ersetzen, sondern auch den jedem schützenswürdigen Neugläubiger entstandenen Individualschaden (negatives Interesse). Die individuelle Geltendmachung dieser über den Quotenschaden hinausgehenden Schäden lässt sich auch nicht als akademische „Spielerei“ (Rz. 11.17) abqualifizieren. Insofern kann ernsthaft nur um die Frage gestritten werden, ob diese Haftung auf das negative Interesse von Neugläubigern überzeugend auf § 823 Abs. 2 BGB zu stützen ist (BGH) oder nach §§ 280, 311, 241 Abs. 2 BGB auf culpa in contrahendo (so der Verfasser)4. Der BGH hält die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB auch bezüglich der Neugläubiger-Individualschäden für gesetzesnäher als die bei (Rz. 11.17, 11.20) vorgestellte Lösung des Verfassers5, was nach der Schuldrechtsreform bestritten werden könnte (§§ 280, 311, 241 BGB). Die Praxis wird den Unterschied wenig spüren, solange es um vertragliche Neugläubiger geht, so dass die Divergenz in diesem Punkt mehr dogmatische als praktische Relevanz hat6. Für die Praxis war nach diesem Stand festzuhalten: – Der Geschäftsführer muss im Fall schuldhafter Insolvenzverfahrensverschleppung allen Gläubigern, den Alt- wie den Neugläubigern, nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO (bis 2008 § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. [dazu Rz. 11.2]) die Quotendifferenz ersetzen, was sich regelmäßig nur durch Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bewerkstelligen lässt und bei Insolvenzverfah1 Vgl. nur Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 132; Goette, § 8 Rz. 242 ff.; Hirte in Uhlenbruck, § 15a InsO Rz. 40; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 74; Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur Inso, § 15a InsO Rz. 31 ff.; H.-Fr. Müller in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 183 ff.; Nerlich in Michalski, § 64 GmbHG Rz. 59 ff.; Schmidt-Leithoff/Baumert in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 GmbHG Rz. 84, 89; Karollus, ZIP 1995, 269 ff.; Bork, ZGR 1994, 505 ff.; Kübler, ZGR 1995, 481 ff.; Wilhelm, ZIP 1993, 1833; Bayer/Lieder, WM 2006, 1 ff. 2 Vgl. mit unterschiedlichem Akzent Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 106; Altmeppen in Roth/Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 127 f.; Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, 18. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 93; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 186; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1084 ff.; Ulmer, ZIP 1993, 771; Schüppen, DB 1994, 200 ff. m.w.N.; grundsätzlich krit. Gerd Müller, GmbHR 1996, 393 ff. 3 Diese Fortentwicklung entsprach auch den Forderungen des Verfassers, der nicht etwa einen Ersatz des negativen Interesses, sondern umgekehrt den unzureichenden Neugläubigerschutz durch die ältere Rechtsprechung abgelehnt hatte; Verkennung der Diskussion bei Nerlich in Michalski, § 64 GmbHG Rz. 61 f. 4 Dazu Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 39; näher Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 186, 189; insoweit ähnlich Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 ff.; einschränkend Altmeppen, ZIP 2015, 949, 955. 5 Wie der BGH z.B. auch OLG Koblenz v. 27.2.2003 – 5 U 917/02, GmbHR 2003, 419 = ZIP 2003, 5712; insoweit auch Poertzgen, Organhaftung wegen Insolvenzverschleppung, 2006, S. 95 ff., 345 ff.; Hirte in Uhlenbruck, § 15a InsO Rz. 38. 6 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1088 f.; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 189 f.; Karsten Schmidt, ZGR 1996, 209.

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rensablehnung mangels Masse kaum zu realisieren ist, weil eine kollektive Quotenschadensersatzklage außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht gegeben ist. Es handelt sich um eine kollektive Quotenersatzklage, gezielt auf Ersatz des Gesamtgläubigerschadens durch Zahlung in die Insolvenzmasse (heute § 92 InsO). – Der Geschäftsführer, der im Stadium schuldhafter Insolvenzverfahrensverschleppung noch mit Neugläubigern kontrahiert, ohne sie vor dem möglichen Forderungsausfall zu warnen, muss diesen Gläubigern das negative Interesse (also nicht nur den Quotenschaden) ersetzen, wobei die dem BGH folgende herrschende Meinung auch diesen Anspruch auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO (bis 2008: § 64 Abs. 1 GmbHG resp. § 130a Abs. 1 HGB a.F.) stützt, während der Verfasser die Eigenhaftung aus culpa in contrahendo für vorzugswürdig hält (Rz. 11.17). Ein Anspruch auf Ersatz des Ausfallschadens über den Quotenschaden hinaus ist nach der hier vertretenen Auffassung auf Vertragsgläubiger begrenzt1. Insofern ist die Literatur noch nicht festgelegt2, jedoch hat der BGH ganz im hier vertretenen Sinne entschieden3: „Eine über den Ersatz des sog. ‚Quotenschadens‘ hinausgehende Insolvenzverschleppungshaftung des Geschäftsführers einer GmbH aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 64 Abs. 1 GmbHG erstreckt sich nur auf den Vertrauensschaden, der einem Neugläubiger dadurch entsteht, dass er der aktuell insolvenzreifen GmbH Kredit gewährt oder eine sonstige Vorleistung an sie erbringt (vgl. Senat, BGHZ 126, 181 = GmbHR 1994, 539).“

Damit zeigt sich noch mehr, dass die Ergebnisse bis hierher konvergieren. Fest steht: Seinen Individualschaden muss jeder Neugläubiger selbst gegen den Geschäftsführer geltend machen. c) Die praktischen Unterschiede reduzieren sich einerseits auf die Verschiedenbe- 11.20 handlung vertraglicher und gesetzlicher Gläubiger und anderseits auf die Frage, ob die Schadensersatzhaftung schon vor dem Zeitpunkt der gesetzlichen Insolvenzantragspflicht (Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit) einsetzen kann. Für die BGH-Lösung (§ 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO) ist das zu verneinen, während die vom Verfasser favorisierte Lösung über §§ 280, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB (culpa in contrahendo) die Frage zulässt: Gibt es Offenbarungspflichten auch schon in der Krise, also vor Eintritt der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit4? Der hier vertretenen Culpa-in-contrahendo-Lösung wohnt also gegenüber der Rechtsprechung ein Potential an Haftungsverschärfung inne. Sicher ist nur, dass die Offenbarungspflichten der Geschäftsführer gegenüber Neugläubigern spätestens mit Beginn der Insolvenzverschleppung einsetzen5, und eben diese Fälle erfasst auch der BGH mit der Deliktshaftung nach § 15a InsO, § 823 1 Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 40; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 180, 200 f. 2 Altmeppen in Roth/Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 135 f.; für Einbeziehung gesetzlicher Neugläubiger Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 73; Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO Rz. 35. 3 BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 = ZIP 2005, 1743 = GmbHR 2005, 1425 m. Komm. Wackerbarth; dazu Bayer/Lieder, WM 2006, 1 ff. 4 Zum Beginn der Offenbarungspflicht vgl. Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 215 ff; bedenklich OLG Koblenz v. 6.1.2015 – 4 U 398/14, GmbHR 2015, 582 m. Komm. Arens. 5 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 219.

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Abs. 2 BGB. Ob in Einzelfällen schützendes Anbahnungsvertrauen schon in der Krise begründet sein kann, sollte mit großer Vorsicht geprüft werden. Ein Haftungsbeschränkungspotential liegt in der culpa-in-contrahendo-Lösung insofern, als diese auf Vertragsgläubiger beschränkt ist und gesetzliche Gläubiger, denen das Anbahnungsvertrauen fehlt, ausnimmt. Gerade in dieser Hinsicht sprach mehr für die cic-Lösung als für die Deliktslösung des BGH. Aber die Unterschiede waren nur ausnahmsweise erkennbar. Wesentliche praktische Divergenzen zwischen der BGH-Praxis und der hier vertretenen Ansicht ergaben sich erst bei der Schadensabwicklung, und gerade insofern hat sich die BGH-Lösung in der Fortentwicklung als fragwürdig erwiesen (dazu sogleich unter Rz. 11.22 ff.). 5. Quotenschaden und Gesamtschadensliquidation nach § 92 InsO 11.21 a) Im Schrifttum ist die im Jahr 1994 eingeleitete Rechtsprechung des BGH zunächst als „Abschied vom Quotenschaden“ gefeiert worden1. Das war missverständlich, denn es kann einen solchen „Abschied“ nicht geben. „Abschied“ nahm der BGH damals berechtigterweise nur von der Annahme, kein Gläubiger – auch kein Neugläubiger – erhalte im Insolvenzverschleppungsfall Schadensersatz über den Quotenschaden hinaus (vgl. Rz. 11.17 f.). Die Unterscheidung zwischen dem Gesamtgläubigerschaden (Quotenschaden) und den Individualschäden einzelner (Neu-)Gläubiger ist als solche unvermeidlich, und das wurde mit der Einführung des § 92 InsO nur noch deutlicher2: Nach § 92 InsO können Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Ersatz eines Schadens, den sie gemeinschaftlich durch Verminderung der Insolvenzmasse erlitten haben (Gesamtgläubigerschaden), während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Verwalter geltend gemacht werden (dazu Rz. 11.17, 11.19)3. Es gibt also keinen „Abschied vom Quotenschaden“, sondern die Insolvenzverwalterklage nach § 92 InsO zielt geradezu auf den kollektiven Quotenschadensersatz. Die Rechtsprechung hat seither mehrfach bestätigt, dass der Quotenschaden und sein Ersatz nach wie vor eine Rolle spielen4. Klargestellt hat sie vor allem, dass der Quotenschaden (bei der Verwalterklage also die Differenz zwischen der Soll-Masse und der IstMasse) nur aus der für die Gläubigerbefriedigung zur Verfügung stehenden „freien“ Masse, insbesondere also unter Abrechnung von Absonderungsrechten, berechnet werden muss5. Das leuchtet ein, weil eben der Quotenschaden nichts anderes ist als die Differenz zwischen der Befriedigungserwartung der Gläubiger aus vorhandener Masse und der gebotenen, jedoch aufgrund der Verschleppung nur noch hypothetischen Soll-Befriedigung im Fall rechtzeitiger Insolvenzantragstellung. Daneben kann jeder Neugläubiger auch im eröffneten Insolvenzverfahren seinen Individualschaden selbst einklagen. Alle anderen – nach der hier vertretenen Auffassung: alle – Gläubiger müssen dagegen die Liquidation ihres „Quoten1 Hirte, Abschied vom Quotenschaden, ZIP-Sonderdruck 1994; Hirte, NJW 1995, 1202. 2 Karsten Schmidt, ZGR 1996, 209 ff.; Karsten Schmidt, KTS 2001, 384 ff. 3 Zu § 92 InsO vgl. ausführlich m.w.N. Brandes/Gehrlein in Münchener Kommentar zur InsO, § 92 InsO Rz. 4 ff.; Heitsch, ZInsO 2006, 568 ff. 4 BGH v. 28.4.1997 – II ZR 20/96, GmbHR 1997, 898 = ZIP 1997, 1542; BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211 = ZIP 1998, 776 = GmbHR 1998, 594. 5 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211 = ZIP 1998, 776 = GmbHR 1998, 594; vgl. bereits BGH v. 28.4.1997 – II ZR 20/96, GmbHR 1997, 898 = ZIP 1997, 1542; dazu Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617 ff.

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schadens“ nach § 92 InsO in die Hand des Verwalters legen. Das ist das Konzept des Gesetzes. b) Für die praktische Handhabung des § 92 InsO ist nun die Frage ausschlag- 11.22 gebend, welche Gläubiger an der Gesamtschadensliquidation teilhaben: nur die Altgläubiger oder alle durch § 15a InsO geschützten Gläubiger? Von geradezu schicksalhafter Bedeutung für die weitere Handhabung des § 92 InsO war ein Urteil des II. Zivilsenats vom 30.3.1998 über die Nichteinbeziehung der Neugläubiger in die Quotenschadensklage des Verwalters1. Dieses Urteil spricht den Neugläubigern jede Teilnahme an der in § 92 InsO geregelten Gesamtschadensliquidation ab. In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der Konkursverwalter gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO (bis 2008 § 64 Abs. 1 GmbHG) Klage gegen den Geschäftsführer auf Ersatz eines Quotenschadens sämtlicher Konkursgläubiger erhoben. Der Senat entschied2: „Der Verwalter im Konkurs einer GmbH ist nicht berechtigt, einen Quotenschaden oder sonstigen Schaden der Neugläubiger wegen schuldhaft verspäteter Stellung des Konkursantrags gegen den Geschäftsführer geltend zu machen“. Die Entscheidungsgründe schließen an die Grundsatzentscheidung vom 6.6.1994 (Rz. 11.18 ff.) an: Die einzelnen Neugläubiger seien befugt, ihren nicht auf Ersatz eines Quotenschadens begrenzten Anspruch auf Ausgleich ihres negativen Interesses gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO (zuvor § 64 Abs. 1 GmbHG a.F.) gegenüber dem Geschäftsführer – auch in deren Konkurs – selbst geltend zu machen. Für eine konkurrierende, im Senatsurteil vom 6.6.1994 noch offen gelassene Befugnis des Insolvenzverwalters zur Geltendmachung eines Quotenschadens der Neugläubiger nach § 823 Abs. 2 BGB, § 92 InsO oder eines solchen Schadens als Gesellschaftsschaden sei daneben kein Raum. Der Begründungsansatz des Urteils vom 30.3. 1998 ist teils praktischer, zum überwiegenden Teil aber rein rechtsdogmatischer Art. Drei Wege zur Geltendmachung eines eventuellen Quotenschadens der Neugläu- 11.23 biger stellt der Senat im Urteil vom 30.3.1998 zur Diskussion: – Wollte man den Quotenschaden der Neugläubiger in die Insolvenzverwalterklage einbeziehen, so müsste für jeden einzelnen Neugläubiger ermittelt werden, um wie viel sich dessen Quote vom Zeitpunkt der Begründung seiner Forderungen durch die weitere Konkursverschleppung verringert hat, was in der Insolvenzpraxis nicht darstellbar sei und für den einzelnen Gläubiger auch nur zu einer minimalen Quotenaufbesserung führe. – Die Bildung einer Sondermasse auf Grund von § 92 InsO für jeden einzelnen (in unterschiedlicher Höhe quotengeschädigten) Neugläubiger liefe dem Zweck des Insolvenzverfahrens und der Funktion des Insolvenzverwalters zuwider. – Ebenso wenig könne aber auch von einem einheitlichen Quotenschaden der Alt- und Neugläubiger gesprochen werden. Die Annahme eines solchen Schadens durch eine bis zu dem Urteil vom 6.6.1994 vorherrschende Ansicht könne seit diesem den Neugläubigern einen Schadensersatz in Höhe des negativen Interesses zuerkennenden Urteil nicht aufrechterhalten werden. Dies würde 1 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211 = ZIP 1998, 776 = GmbHR 1998, 594. 2 Leitsatz 1.

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nämlich zu einer schadensersatzrechtlich nicht begründbaren Aufspaltung der einheitlichen Ansprüche der Neugläubiger führen. 11.24 Dieses Konzept des II. Zivilsenats bestimmt seit dem Urteil von 1998 die Gerichtspraxis1. Durch Urteil vom 5.2.2007 hat der BGH die Haftung gegenüber Neugläubigern dadurch verschärft, dass er das negative Interesse des Neugläubigers nicht mehr2 um die für diesen zu erwartende Insolvenzquote kürzt3. Das ist konsequent. Wie bei der Haftung für „verbotene Zahlungen“ lässt der BGH den Geschäftsführer auf das Ganze haften und gibt ihm nur einen Anspruch analog § 255 BGB auf Abtretung der dem Neugläubiger zustehenden Insolvenzforderung gegen die Gesellschaft4. Auch im Fall der Insolvenzablehnung mangels Masse lehnt der BGH sogar eine Kürzung des Schadensersatzanspruchs um solche Teilbeträge ab, die die GmbH an den geschädigten Neugläubiger auf Altforderungen gezahlt hatte5. Ein Neugläubiger, der keinen Individualschaden belegen kann, erhält dagegen nichts, auch nicht den Quotenschaden6. 11.25 c) Die Erwägungen des BGH haben vielfach Zustimmung gefunden7. Sie führen jedoch zu praktisch schwer erträglichen Konsequenzen (Rz. 11.27) und sind auch in rechtsdogmatischer Hinsicht abzulehnen8. Richtig an ihnen ist, dass die Vermögenseinbuße jedes Neugläubigers, also der jedem Neugläubiger zu ersetzende Schaden, unterschiedlich ist. Richtig ist weiter, dass der Verwalter nach § 92 InsO nicht befugt ist, die individuellen, auf das negative Interesse gerichteten Neugläubigerschäden durch Einforderung zur Masse zu liquidieren. Das ist nicht der Sinn und Zweck des § 92 InsO und auch praktisch nicht durchführbar. Die individuell verschiedenen Schäden können nicht kollektiv eingeklagt werden und gehören auch nicht in die Hand des Insolvenzverwalters. Sonst 1 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = DB 2007, 791 = DZWiR 2007, 337 m. Anm. Böcker = EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche) = GmbHR 2007, 482; BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, DB 2008 460 = GmbHR 2008, 315; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, GmbHR 2009, 817 = NZG 2009, 750 = ZIP 2009, 1220. 2 Anders noch BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = GmbHR 1994, 539. 3 Zust. Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 128. 4 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = DZWiR 2007, 337 m. Anm. Böcker = EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche) = GmbHR 2007, 482; BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, GmbHR 2008, 315 = ZIP 2008, 361. 5 BGH v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, GmbHR 2007, 599 = ZIP 2007, 1060. 6 BGH v. 7.7.2003 – II ZR 241/02, GmbHR 2003, 1133 = ZIP 2003, 1713 m. Anm. Karsten Schmidt (Klage einer Sozialversicherung auf Ersatz ausgefallener Arbeitnehmeranteile). 7 Vgl. nur OLG Karlsruhe v. 20.6.2002 – 19 U 150/01, ZIP 2002, 2001 = GmbHR 2002, 1076; Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 106 ff., 118 ff., 127 ff., 546; Schmidt-Leithoff/Baumert in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 GmbHG Rz. 89; Brandes/Gehrlein in Münchener Kommentar zur InsO, § 92 InsO Rz. 34; Gehrlein in Gehrlein/Ekkenga/Simon, vor § 64 GmbHG Rz. 119; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, § 92 InsO Rz. 48 ff.; H.-F. Müller in Jaeger, § 92 InsO Rz. 15; Hirte in Uhlenbruck, § 92 InsO Rz. 12 ff. (jedoch nicht in jeder Konsequenz); Haas, DStR 2003, 423, 429. 8 Vgl. Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHR Rz. 186 ff.; Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 42; näher Karsten Schmidt, ZGR 1998, 665 ff.; Karsten Schmidt, NZI 1998, 9 ff.; Karsten Schmidt, KTS 2001, 381 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2005, 2177, 2182 ff.; so auch Poertzgen, Organhaftung wegen Insolvenzverschleppung, 2006, S. 322 ff.; Poertzgen, DZWiR 2007, 101 ff.; vorsichtig sympathisierend auch Hirte in Uhlenbruck, § 92 InsO Rz. 13.

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müsste der einzelne Neugläubiger im Insolvenzverfahren einer GmbH ja zusehen, wie sich die Masse seinen Ersatzanspruch einverleibt und diese Massevermehrung allen Gläubigern einschließlich der Altgläubiger zugute käme. Nach § 92 InsO ist eine solche Quersubventionierung der Altgläubiger durch die Neugläubiger auch nicht ernsthaft zu befürchten. Bis hier verdienen die Überlegungen des II. Zivilsenats also Zustimmung. Bedenklich und unpraktisch ist dagegen die Annahme des Senats, der Verwalter könne nicht einen einheitlichen Quotenschaden der Alt- und Neugläubiger geltend machen, „wodurch die Neu- den Altgläubigern gleichgestellt und so behandelt würden, als ob sie ihre Forderungen schon bei Eintritt der Konkursreife erworben hätten“. Dass die Verletzung der Insolvenzantragspflicht zum Ersatz eines solchen Gesamtgläubigerschadens führt1, sieht der II. Senat als eine „petitio principii“ an und gibt zu bedenken, dass es einen einheitlichen bzw. „gemeinschaftlichen“ Schaden von Alt- und Neugläubigern nicht gebe und ein solcher auch nicht durch die Zugehörigkeit beider zum Kreis der Konkursgläubiger geschaffen werde2. Außerdem gehe es nicht an, den einheitlichen Anspruch des Neugläubigers auf Ersatz seines Vertrauensschadens ohne schadensersatzrechtlich überzeugenden Grund aufzuspalten und ihn der Geltendmachung durch verschiedene Anspruchsinhaber zu überantworten. Die Existenz eines für jeden Insolvenzgläubiger oder auch nur für jeden Neugläu- 11.26 biger identischen Quotenschadens will der Senat nicht anerkennen, weil der Quotenschaden jedes Neugläubigers je nachdem, ob dieser sogleich nach Konkursreife oder erst kurz vor der Verfahrenseröffnung mit der Schuldner-Gesellschaft kontrahiert hat, sehr unterschiedlich sei3. Diese Doktrin ist zivilrechtlich (schadensersatzrechtlich) verfehlt, und sie basiert auf einem Missverständnis des § 92 InsO. Sie geht davon aus, dass § 92 InsO nur diejenigen Gläubiger umfasst, deren Schaden sich im Gesamtgläubigerschaden (also der Quotendifferenz) erschöpft. Sie geht außerdem davon aus, dass der Schaden des Gläubigers unteilbar und entweder mit der Quotendifferenz (Altgläubiger) oder mit dem negativen Interesse (Neugläubiger) deckungsgleich ist. Da jeder Neugläubiger nur einen einzigen, dafür aber individuell verschiedenen Schaden hat, kann der Neugläubigerschaden – so die Gerichtspraxis – nicht mit der Quotendifferenz identisch sein, und hieraus wird weiter gefolgert, dass es diesen Quotenschaden der Neugläubiger nicht gibt. Diese Annahme ist unrichtig, denn § 92 InsO ist keine Vorschrift über die Schadensfeststellung, sondern eine Vorschrift über die kollektive Schadensabwicklung. Der Schaden aller Insolvenzgläubiger wird, soweit vom Gesamtschaden erfasst, nach § 92 InsO liquidiert. Es gibt keinen Insolvenzgläubiger, der nicht mindestens in dieser Höhe geschädigt wäre. Die Neugläubiger sind von § 92 InsO mit erfasst, nicht weil sie zwei Löcher im Vermögen haben (die Quotendifferenz und den Individualschaden), sondern weil die auf jeden Gläubiger entfallende Quotendifferenz in ihrem Schaden enthalten ist. Der allen Insolvenzgläubigern – auch den Neugläubigern – gemeinsame Quotenschaden ist also bereits berücksichtigt, 1 Der Senat wendet sich hier gegen Karsten Schmidt in Scholz, 8. Aufl. 1995, § 64 GmbHG Rz. 33. 2 Entscheidungsgründe unter II 1b. 3 Entscheidungsgründe unter II 1c; vgl. demgegenüber Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 187, 190; Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 18; seither auch Poertzgen, Organhaftung wegen Insolvenzverschleppung, 2006, S. 322 ff.; Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 130.

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bevor es zur Berechnung des überschießenden Individualschadens eines Neugläubigers kommt. Und der Quotenschaden ist allen Gläubigern – nicht nur den Altgläubigern – zu ersetzen, weil sich der Verstoß des Geschäftsführers gegen § 64 GmbHG gegen alle auf die Insolvenzquote angewiesenen Gläubiger einheitlich richtet1. Man darf sich deshalb auch nicht darüber wundern, dass der Quotenschaden eines Neugläubigers teils vor, teils nach der Begründung seiner Forderung verursacht wird. Selbst wer noch am Tag vor der Insolvenzantragstellung kontrahiert hat, nimmt an der Quote und am Quotenschadensersatz teil. Da der auf diese Weise nicht liquidierte überschießende Individualschaden jedes Neugläubigers, also sein negatives Interesse, durch die Höhe seines Ausfalls bestimmt wird, kann er nicht unabhängig von der Frage sein, wie viel über § 92 InsO zur Verteilung an alle Insolvenzgläubiger gelangt. Das bedeutet: Nicht, wie der Bundesgerichtshof befürchtet, der Quotenschaden jedes Neugläubigers ist unterschiedlich, sondern unterschiedlich sind nur die überschießenden Individualschäden der einzelnen Neugläubiger2. Die Auffassung des BGH ist also schon in der Begründung abzulehnen. Sie beruht auf falsch verstandener Zivilrechtsdogmatik. 11.27 d) Regelrecht besorgniserregend ist aber die praktische Konsequenz, die der II. Senat aus der von ihm vertretenen Auffassung für den Verwalter ableitet: Da zwischen den Schadensersatzansprüchen der Neu- und Altgläubiger zu differenzieren sei und der Verwalter nur die Altgläubigeransprüche soll geltend machen können, darf er die hierauf eingezogenen Beiträge nach dem Urteil vom 30.3.1998 nur für die Altgläubiger verwenden und muss dies bei der Masseverteilung entsprechend berücksichtigen. Beschwichtigend fügt der Senat hinzu, dass hiergegen nach Erklärung des IX. Zivilsenats auch aus konkursrechtlicher Sicht keine Bedenken bestünden. Das wird in der Insolvenzabwicklungspraxis offenbar anders gesehen3. Das BGH-Modell geht an der durch § 92 InsO vorgegebenen Aufgabe des Insolvenzverwalters hinsichtlich der Schadensliquidation vorbei. Der Insolvenzverwalter hat die ihm durch § 92 InsO zugewiesene Aufgabe gerade nicht darin zu sehen, für verschiedene Gläubigergruppen unterschiedliche Kassen zu führen, sondern er zieht die nach § 92 InsO von ihm zu liquidierenden Schadensersatzsummen ein, als gehörten sie zur Masse. Auch etwaige Vergleichsgespräche zur Streitbeilegung mit dem haftenden Geschäftsführer haben nur Aussicht, wenn der Verwalter über den Gesamtschaden aller Gläubiger verfügen kann4. Der BGH bringt hier ein durchdachtes Aufgabenprogramm der insolvenzrechtlichen Haftungsabwicklung in Gefahr und macht seine Erfüllung nachgerade unmöglich5. Soll wirklich der Insolvenzverwalter vor der Erhebung einer Gesamtschadensklage nach § 92 InsO definitiv festlegen, welche der Gläubiger er als Altgläubiger aus der Zeit vor der Insolvenzreife der Gesellschaft einschätzt? Soll er, wenn er nach § 92 InsO gegen die Geschäftsführer aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO prozessiert, verantwortlich (§ 60 InsO!) festlegen, welche Gläubiger er hie1 2 3 4 5

Karsten Schmidt, NZI 1998, 13 f.; Karsten Schmidt, KTS 2001, 383 ff. Karsten Schmidt, KTS 2001, 384. T. Wellensiek, BB 1998, 1278 f. Karsten Schmidt, KTS 2001, 386. Nur von akademischen Nutzen, weil in den Voraussetzungen kaum feststellbar, ist auch die Formel von Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 128: Gesamtschaden = Sollmasse – (Forderungen der Altgläubiger: Gesamtforderungen) × Istmasse.

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raus zu bedienen gedenkt? Wer sagt ihm, wann genau die Überschuldung eingetreten und von welchem Tag an genau der Antrag schuldhaft versäumt worden ist? Wie soll er eine Haftung gegenüber denjenigen vermeiden, die er zu Recht oder zu Unrecht für Neugläubiger hält und deshalb nach dem Urteil des BGH übergehen muss? Soll er vielleicht denen den Streit verkünden, die er als Neugläubiger unberücksichtigt lassen will? Und soll er Vergleichsverhandlungen mit dem Geschäftsführer stets nur mit dem Vorbehalt führen, dass er die Gläubiger, über deren Quotenschaden er verhandelt, nicht mit Gewissheit identifizieren kann? Da der Insolvenzverwalter gar nicht im Stande sein wird, die Gesamtgläubigerschaft zuverlässig in Altgläubiger und Neugläubiger zu teilen (er müsste dazu den Beginn der Insolvenzverschleppung nach Tag und Stunde festlegen können), hat die Rechtsprechung aus § 92 InsO auf seinem wichtigsten Aufgabenfeld totes Recht gemacht1. Schadensersatzklagen wegen Insolvenzverschleppung (§ 823 BGB i.V.m. § 15a InsO resp. § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. oder § 130a HGB a.F.) versprechen nach diesem Modell praktisch nur noch als Individualklagen Erfolg, was nach Rz. 11.17 ff. bedeutet: als Klagen von Neugläubigern2. Die vom Gesetz intendierte Auffüllung der Masse durch Gesamtschadensersatzklagen des Verwalters wird durch die Rechtsprechung unnötigerweise vereitelt3. Dass dem BGH nicht seit 1998 ein Sturm der Entrüstung aus der Profession der Insolvenzverwalter entgegenweht, dürfte nur darauf beruhen, dass sich die Verwalter in eine Phalanx von Klagen wegen „verbotener Zahlungen“ geflüchtet haben … mit allen daraus resultierenden Problemen (vgl. Rz. 11.38 ff.). 6. Aufruf zu einer Änderung der Rechtsprechung a) Sowohl in dogmatisch-grundsätzlicher Hinsicht als auch in den Konsequenzen 11.28 für die praktische Rechtsdurchsetzung ist der ganze Ansatz der hier geschilderten Rechtsprechung verfehlt. Dabei darf es nicht bleiben. Es bedarf dringend der Revision der durch das Urteil vom 30.3.1998 eingeleiteten Rechtsprechung. Den Vorzug verdient ein auf praktische Belange zugeschnittenes und mit § 92 InsO ebenso wie mit der Dogmatik des Delikts- und Insolvenzrechts verträgliches Rechtsbild der Haftungsabwicklung bei Insolvenzverschleppung4: – Hinsichtlich der Tathandlung ist zwischen dem alle Gläubiger treffenden „Dauerdelikt Insolvenzverschleppung“ und der individuellen Schädigung eines Neugläubigers zu unterscheiden (was für die einheitlich deliktsrechtliche BGHKonstruktion schwerer zu erkennen und abzubilden ist als bei der hier favorisierten Unterscheidung zwischen § 823 Abs. 2 BGB und culpa in contrahendo). Vom ersten Tag der Insolvenzverschleppung an schädigt der pflichtwidrig han1 Karsten Schmidt, ZIP 2005, 2177, 2178. 2 Charakteristisch der Fall BGH v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, GmbHR 2007, 599 = ZIP 2007, 1060: s. auch BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = LMK 2007, I 98 m. Anm. Eilmann = DZWiR 2007, 337 m. Anm. Böcker = EWiR 2007, 305 (Haas) = GmbHR 2007, 482. 3 Vgl. Altmeppen in Roth/Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 128: „Es ist nicht bekannt, dass eine derartige Berechnung des Quotenschadens der Altgläubiger in der Praxis auch nur ein einziges Mal funktioniert hätte.“ 4 Vgl. Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 189 ff.; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, § 92 InsO Rz. 18 ff.; Karsten Schmidt, ZGR 1998, 668 f.; Karsten Schmidt, NZI 1998, 13 f.; Karsten Schmidt, KTS 2001, 380 ff.; Karsten Schmidt, NZG 2015, 129, 133; zustimmend Poertzgen, DZWiR 2007, 101 ff.; Fritsche/Lieder, DZWiR 2004, 93 ff.

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delnde Geschäftsführer die bereits vorhandenen und die künftigen Gläubiger und fügt ihnen sukzessiv einen Schaden in Höhe der ex ante nicht präzisierbaren Quotendifferenz zu (unerlaubte Handlung nach § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO). Daneben fügt er in der Insolvenzverschleppungsphase jedem neuen Vertragspartner durch Einzelhandlungen einen vom Quotenschadensersatz nicht gedeckten Individualschaden zu (culpa in contrahendo bzw. nach dem Ansatz des BGH wiederum § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO, vormals § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. resp. § 130a Abs. 1 HGB a.F.). Die Höhe dieser Schäden kann stets nur ex post präzisiert werden, typischerweise im Zivilprozess. – Hinsichtlich der Schadensposten ist zwischen dem in § 92 InsO beschriebenen (im Betrag selbstverständlich für jeden Gläubiger unterschiedlichen, als Prozentsatz für alle geschützten Gläubiger gleichen) Quotenschaden aller Gläubiger (Gesamtschaden) und den Individualschäden der Neugläubiger zu unterscheiden. Der Gesamtschaden ist die Summe, die der Masse zugeführt werden muss, damit die bei rechtzeitigem Insolvenzantrag gewährleistete Insolvenzquote erreicht wird. Er deckt die Quotendifferenz aller Gläubiger, auch der Neugläubiger (anders insofern der BGH). Die Neugläubiger sind sowohl durch das Insolvenzverschleppungsdelikt als auch durch die Individualschädigung betroffen. Jeder Neugläubiger erleidet einen individuell unterschiedlichen Schaden, in dem aber die Quotendifferenz als Teil des Gesamtschadens aller Gläubiger enthalten ist (insofern a.M. der BGH). – Hinsichtlich der Befugnis zur individuellen Geltendmachung der Schäden ist im eröffneten Insolvenzverfahren gleichfalls zwischen dem Gesamtschaden (§ 92 InsO) und den Individualschäden zu unterscheiden. Die Altgläubiger haben außerhalb des § 92 InsO keinerlei Schaden, also auch keinerlei Anspruch. Ihr Schaden und Schadensersatz erschöpft sich in der als Gesamtschaden vom Insolvenzverwalter zu liquidierenden Quotendifferenz (das ist unstreitig). Anderes gilt für die Neugläubiger (auch dies ist unstreitig). Jeder Neugläubiger kann und muss ggf. neben der Gesamtschadensliquidation nach § 92 InsO aber nur seinen überschießenden Individualschaden außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend machen (a.M. der BGH). Ob er überhaupt Neugläubiger ist und wie sich sein Individualschaden bemisst, fällt in sein individuelles Prozessrisiko. 11.29 b) Die praktischen Folgen für die Schadensabwicklung sind nach diesem Modell wesentlich einfacher als alles, was der BGH anbietet1: – Im eröffneten Insolvenzverfahren klagt der Insolvenzverwalter nach § 92 InsO den an der Masse entstandenen Insolvenzverschleppungsschaden, also den kumulierten Quotenschaden aller Insolvenzgläubiger ein, also nicht nur für die Altgläubiger. Auch Vergleichsverhandlungen über den Quotenschaden führt er mit Wirkung für und gegen alle. Die erforderliche Summe kann, da der exakte Zeitpunkt der materiellen Insolvenz und Beginn der Verschleppung kaum ermittelbar ist, meist nur geschätzt werden (§ 287 ZPO). Was der Insol1 Vgl. Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 42; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 189 ff.; Karsten Schmidt, ZGR 1998, 668 f.; Karsten Schmidt, NZI 1998, 13 f.; Karsten Schmidt, KTS 2001, 380 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2003, 1716; ausführlich dazu seither Poertzgen, Organhaftung wegen Insolvenzverschleppung, 2006, S. 322 ff., 343 f.

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venzverwalter auf diese Weise erlangt, gebührt quotengerecht allen Insolvenzgläubigern (anders bisher der BGH). – Wird das Insolvenzverfahren nicht eröffnet (z.B. auf Grund Masselosigkeit), so kann jeder Gläubiger seinen ganzen Schaden selbst einklagen: die Altgläubiger den Quotenschaden (das bleibt nach Rz. 11.17 Theorie), die Neugläubiger ihren ungekürzten Individualschaden (das ist unbestritten). Wiederum trägt, wer Neugläubigerrechte reklamiert, dieses Prozessrisiko selbst. – Zur Geltendmachung ihrer individuellen Schadensersatzansprüche außerhalb des Insolvenzverfahrens sind selbstverständlich nur die Neugläubiger befugt, weil nur sie einen über den Gesamtschaden (§ 92 InsO) hinausgehenden Individualschaden erlitten haben. Die Höhe dieses Schadens und des vom Geschäftsführer an sie zu zahlenden Ersatzes ist das ungeteilte – auch nach der hier vertretenen Auffassung ungeteilte! – negative Interesse, und dieses bestimmt sich nach dem Ausfall der Neugläubiger im Insolvenzverfahren1. Die hier angebotene Lösung verhilft dem § 92 InsO zu praktischer Wirksamkeit und gibt ihm seinen Geltungsanspruch zurück. Aber noch steht das Grundlagenurteil vom 30.3.19982 im Wege. Zu hoffen ist, dass sich dies ändert. 7. Verjährungsfragen Auch in der Frage der Anspruchsverjährung schlägt sich der unausgetragene 11.30 Streit um die Haftungsdogmatik und Haftungsabwicklung in Verschleppungsfällen nieder3. Nach der Auffassung des BGH verjährt der individuelle Anspruch eines Neugläubigers (Rz. 11.10) auf Ersatz seines Vertrauensschadens (Rz. 11.17, 11.19) wegen Insolvenzverschleppung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO) mangels einer dem § 64 Satz 4 GmbHG entsprechenden Verweisung auf § 43 Abs. 4 GmbHG nach den für deliktische Ansprüche allgemein geltenden §§ 195, 199 BGB nach Ablauf von drei Jahren4. Dem ist bezüglich des Individualschadensersatzes für Neugläubiger, der allerdings besser aus culpa in contrahendo abzuleiten wäre (Rz. 11.19), zu folgen5, nicht aber bezüglich des Gesamtschadensersatzes (vgl. bestätigend auch § 130a Abs. 2 Satz 6 HGB). Richtig scheint6: Der auf Ersatz des Gesamtgläubigerschadens gerichtete Ersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO verjährt gemäß den entsprechend anwendbaren §§ 64 Satz 4, 43 Abs. 4 GmbHG in fünf Jahren7, nicht gemäß § 195 BGB in drei 1 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 180. 2 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211 = GmbHR 1998, 594. 3 Vgl. Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 209; Karsten Schmidt in FS Lwowski, 2014, S. 264 ff. 4 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, GmbHR 2011, 642 = NZG 2011, 624 = NJW 2011, 2427 = ZIP 2011, 1007; zustimmend Haas, NZG 2011, 691; Poertzgen, GmbHR 2011, 646; Kort, EWiR 2011, 503; s. auch bereits Haas, NZG 2009, 976, 977 f.; eingehend Karsten Schmidt in FS Lwowski, 2014, S. 263 ff. 5 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 209. 6 Karsten Schmidt in FS Lwowski, 2014, S. 263, 273 f. 7 So bereits OLG Köln v. 19.12.200 – 22 U 144/00, NZG 2001, 411, 412 = GmbHR 2001, 574; ebenso Arnold in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rz. 85; Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 64 Rz. 99; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 85; Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15 InsO Rz. 249 ff.; s. auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 64 GmbHG Rz. 29.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

Jahren1. Das gilt auch für den Anteil der Neugläubiger am Gesamtgläubigerschaden (Rz. 11.26 ff.) Die für die Haftung wegen „verbotener Zahlungen“ – diese ist richtigerweise ein Spezialfall der Verschleppungshaftung (Rz. 11.35) – speziell geregelte Verjährung (§ 64 Satz 4 GmbHG) tritt an die Stelle des § 195 BGB, und zwar auch bei den in § 64 GmbHG nicht erwähnten Fällen der Liquidation von Verschleppungsschäden durch den Insolvenzverwalter (§ 92 InsO) und auch für den Direktanspruch eines Gläubigers aus § 823 Abs. 2 BGB2. In dieser Hinsicht sollte auf den Charakter des schädigenden Verhaltens als Dauerdelikt Rücksicht genommen und ein Verjährungsbeginn erst mit der Beendigung der schuldhaften Verfahrensverschleppung angenommen werden. Bezogen auf den über den Quotenschaden hinausgehenden (!) Vertrauensschaden eines Neugläubigers (Rz. 11.26) bleibt es dagegen bei den allgemeinen Regeln der §§ 195, 199 BGB3.

II. Haftung für „verbotene Zahlungen“ nach § 64 GmbHG bzw. § 130a HGB 1. Gesetzesrecht 11.31 a) Während die Schadensersatzhaftung für Insolvenzverschleppung (also für „Verletzung der Konkursantragspflicht“) durch die BGH-Praxis zurückgedrängt worden ist, hat diese die Haftung für verbotene Zahlungen nach § 64 GmbHG bzw. § 130a i.V.m. § 177a HGB (bis zur Reform von 2008 handelte es sich um die Absätze 2 dieser Bestimmungen) in den Vordergrund gerückt (s. auch ausführlich und auf die Eigenverwaltung bezogen Rz. 9.146 ff.)4. Diese Bestimmungen bergen so, auch nach einer sich abzeichnenden Entschärfung der Rechtsprechung, brandgefährliches Haftungspotential. Danach müssen die Geschäftsführer – auch sog. faktische Geschäftsführer5 – der Gesellschaft Zahlungen ersetzen, die nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach der Feststellung der Überschuldung geleistet wurden. Die „Zahlungen“ des Geschäftsführers können auch durch einen vom Geschäftsführer angewiesenen Dritten durchgeführte Geldbewegungen6 und auch andere Vermögensbewegungen sein (Rz. 11.37)7. Entscheidend ist, dass 1 So aber OLG Naumburg v. 21.8.2003 – 7 U 23/03, GmbHR 2004, 364 = NJW-RR 2004, 613 (zu § 852 BGB a.F.); OLG Saarbrücken v. 6.5.2008 – 4 U 484/07–165, GmbHR 2008, 1036 = NJW-RR 2008, 1621 = ZIP 2009, 565. 2 OLG Saarbrücken v. 22.9.1999 – 1 U 3/99–1, GmbHR 1999, 1295 = NJW-RR 2000, 180. 3 Im Ergebnis richtig insofern BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, GmbHR 2011, 642 = NZG 2011, 624 = ZIP 2011, 1007; Arnold in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rz. 85; Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 145; Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 250; Haas, NZG 2009, 976, 977. 4 Vgl. Altmeppen, ZIP 2015, 949 ff.; Goette, ZInsO 2001, 529 ff.; Gross/Schork, NZI 2004, 358 ff.; Haas, NZG 2004, 737; Habersack/Forster, ZHR 178 (2014), 387 ff.; Haas in FS Gero Fischer, 2008, S. 209 ff.; H.-Fr. Müller, DB 2015, 723 ff.; Uhlenbruck, WiB 1996, 457 ff.; Karsten Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 2000, 1229 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2005, 2177, 2179 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401 ff.; Karsten Schmidt, NZG 2015, 129 ff. 5 BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, GmbHR 2005, 1987 = ZIP 2005, 1550. 6 OLG Schleswig v. 14.2.2007 – 9 U 97/06. 7 Arnold in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rz. 15; Casper in Großkommentar zum GmbHG, 1. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 83.

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Haftung für „verbotene Zahlungen“ nach § 64 GmbHG

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im Zeitpunkt des Vermögenstransfers materielle Insolvenz der Gesellschaft (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) vorlag1. Die für die GmbH und die GmbH & Co. KG maßgeblichen Bestimmungen haben seit 2008 folgenden Wortlaut2: 11.32

§ 64 GmbHG lautet in seinen Sätzen 1 und 2: „Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Dies gilt nicht von Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind.“

Dem entspricht § 130a HGB für die GmbH & Co.. Die beiden ersten Sätze dieser 11.33 Bestimmung lauten: „Nachdem bei einer Gesellschaft, bei der kein Gesellschafter eine natürliche Person ist, die Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist oder sich ihre Überschuldung ergeben hat, dürfen die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter und die Liquidatoren für die Gesellschaft keine Zahlungen leisten. Dies gilt nicht von Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind.“

Für die Kapitalgesellschaft (GmbH) & Co. KG wird die Bestimmung ergänzt durch § 177a HGB, wonach Kommanditgesellschaften auch erfasst sind, wenn als Kommanditisten (aber nur als Kommanditisten) natürliche Personen beteiligt sind. b) Die in § 64 GmbHG und § 130a HGB enthaltenen „Zahlungsverbote“ waren 11.34 bis 2008 in den Absätzen 2 dieser Bestimmungen enthalten und direkt an die damals in den Absätzen 1 enthaltenen Regelungen über die „Insolvenzantragspflicht“, also die Verschleppungsverbote, angehängt. Diese Systematik unterstrich die Zusammengehörigkeit beider Komplexe, und zwar mit Recht: Verbotene Zahlungen sind nichts anderes als Elemente des durch das Dauerdelikt des „Wrongful Trading“ herbeigeführten Insolvenzverschleppungsschadens3. Die Reform von 2008 (MoMiG) hat die „Insolvenzantragspflicht“ in § 15a InsO zusammengefasst und dadurch die in § 64 GmbHG, § 130a HGB verbliebenen „Zahlungsverbote“ im Gesetzesaufbau hiervon getrennt. Dies hat der Verkennung des Einheitskonzepts des Verbots des „Wrongful Trading“ und der zunehmenden Verselbständigung der „Zahlungsverbote“4 zu eigenständigen, schwer kontrollierbaren Haftungsdrohungen weiteren Auftrieb gegeben. Neu angehängt wurden außerdem Regeln über die Geschäftsführerhaftung für insolvenzauslösende Zahlungen (§ 64 Satz 3 GmbHG, § 130a Abs. 1 Satz 3 HGB). Diese Tatbestände sind richtigerweise weiter von den allgemeinen „Zahlungsverboten“ bei Insolvenz entfernt als diese von der Insolvenzverschleppungshaftung5. Sie werden im Zusammenhang mit der Insolvenzverursachungshaftung behandelt (dazu Rz. 11.158 ff.).

1 OLG Hamburg v. 25.5.2007 – 11 U 116/06, GmbHR 2007, 1036. 2 Überblick über die Rechtslage vor dem MoMiG bei Karsten Schmidt, KTS 2001, 287; Karsten Schmidt, ZIP 2005, 2177 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2008, 481 ff. 3 Karsten Schmidt, in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 9 ff., 15 ff.; str. 4 Kritisch dazu Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1403. 5 Vgl. Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 78, 80.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

11.35 c) Die rechtsdogmatischen Grundlagen der „Zahlungsverbote“ sind umstritten1, und dieser Streit hat Bedeutung für die praktische Handhabung2: – Schulze-Osterloh meint3, hier werde die Gläubigergleichbehandlung gesichert. § 64 GmbHG bzw. § 130a HGB sei die Sanktion für die Vorwegbefriedigung eines Gläubigers. Auch sonst – nicht zuletzt in der Rechtsprechung4 – klingt dieser Gleichbehandlungsgedanke an5. In der Tat sanktioniert ja das Verbot nicht einfach die Masseschmälerung als solche, sondern die Leistung an einen Empfänger. Doch ist diese Deutung abzulehnen. Nach ihr müsste § 64 GmbHG ein Sonderfall des Anfechtungsrechts sein6, und es wäre unbegreiflich, warum nicht der Empfänger der Zahlung, sondern der Geschäftsführer das Erlangte herausrücken soll7. – Nach der Rechtsprechung des BGH begründet § 64 Satz 1 GmbHG bzw. § 130a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 HGB einen eigenartigen Anspruch der GmbH, der nichts mit dem bis 2008 in § 64 Abs. 1 GmbHG geregelten, durch die Reform 2008 (MoMiG) in die Insolvenzordnung ausgewanderten Insolvenzverschleppungsverbot und mit dem Schadensersatz wegen Insolvenzverschleppung zu tun hat8. Dieser Anspruch sui generis geht nach der Rechtsprechung einfach auf Korrektur der durch die Zahlung bewirkten Veränderung im Gesellschaftsvermögen. Charakteristisch für dieses Haftungsverständnis ist die Betrachtung nicht eines die Gläubiger treffenden Schadensverlaufs während der Insolvenzverschleppungsphase, sondern der einzelnen Vermögensbewe-

1 Vgl. zum Folgenden wörtlich schon Karsten Schmidt, KTS 2001, 288; Meinungsüberblick auch bei Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 9 ff. 2 Beschönigend Haas in FS Gero Fischer, 2008, S. 209, 210; nach ihm sollten „Die Auswirkungen … nicht überbewertet werden“, weil der ausbezahlte Betrag dem Gesamtgläubigerschaden entspreche; Beobachtung und Überlegung zeigen aber, dass genau dies nicht der Fall ist. 3 Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, 18. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 78; Schulze-Osterloh in FS Bezzenberger, 2001, S. 419 ff. 4 Zusammenfassend BGH v. 23.6.2015 – II ZR 366/13, ZIP 2015, 1480 Rz. 24. 5 Vgl. besonders Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 698 ff. 6 Nach Thole, ebd., S. 703, ist das Verbot keine „Anfechtungsnorm im eigentlichen Sinne“, sondern eine Vorschrift, die „anfechtungsrechtlich bekannte Pflichten auf die Leitungsorgane transferiert“. 7 So auch Bitter, WM 2001, 669 in Fn. 34; dagegen aber Schulze-Osterloh in Baumbach/ Hueck, 18. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 78; vgl. auch in polemischer Deutlichkeit Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 703: Dies sei ein „seinerseits nicht verständlicher Einwand“. 8 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 278 = WM 2001, 317, 322 = GmbHR 2001, 190 m. Komm. Felleisen, BGH v. 11.2.2008 – II ZR 291/06, DB 2008, 1202 = GmbHR 2008, 702; std. Rspr.; vgl. BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, GmbHR 2011, 642, 644 = ZIP 2011, 1007, 1009; ausführlich und zustimmend Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 169 ff.; Brandes/Gehrlein in Münchener Kommentar zur InsO, § 92 InsO Rz. 34 ff.; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas, § 130a HGB Rz. 44; Haas in FS Gero Fischer, 2008, S. 209 f.; unstimmig Casper in Großkommentar zum GmbHG, wo das „zweigleisige Modell“ de lege lata befürwortet (1. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 7), dann aber die Folge des Zahlungsverbots i.S. eines Schadensersatzes korrigiert wird (1. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 82).

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Haftung für „verbotene Zahlungen“ nach § 64 GmbHG

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gungen1. Kausalitäts- oder Schadensüberlegungen und Massekalkulationen werden nicht angestellt. Anders lautet allerdings § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB (bis 2008 § 130a Abs. 3 Satz 1 HGB a.F.). Während § 64 GmbHG vom „Ersatz von (verbotenen) Zahlungen“ spricht, ist nach dieser Bestimmung der Geschäftsführer „zum Ersatz des entstandenen Schadens“ verpflichtet. Der BGH hat aber durch Urteile vom 5.2.20072 und vom 26.3.20073 ausdrücklich entschieden, dass § 130a Abs. 2 HGB – wie § 64 GmbHG – im Sinne einer strikten Erstattungspflicht für jede unerlaubte Zahlung zu lesen ist, weil der in § 130a Abs. 2 HGB apostrophierte „Schaden“ schon durch den Abfluss von Mitteln aus dem Gesellschaftsvermögen bewirkt sei4. – Altmeppen5 erkennt einen Zusammenhang mit der „Insolvenzantragspflicht“ (vormals § 64 Abs. 1 GmbHG n.F., heute § 15a InsO), der er allerdings deliktsrechtlichen Schutzgesetzcharakter abspricht (Rz. 11.8). Was der Gesetzgeber ungeschickt als Verbot von Zahlungen beschreibt, ist nach dieser Ansicht ein allgemeines Verbot der Masseschmälerung durch Insolvenzverschleppung. Diese Masseschmälerung sei nach § 64 GmbHG, § 130a HGB (bis 2008 nach den Absätzen 2 dieser Bestimmungen) auszugleichen, womit die sog. Zahlungsverbote auf der Rechtsfolgenseite zu einer Verlustausgleichspflicht, bezogen auf die Insolvenzverschleppungsphase führt6. – Konzeptionell mit dieser Ansicht verwandt, ohne mit ihr übereinzustimmen, ist die hier vertretene, vom Verfasser mehrfach begründete Auffassung7. Aus dem Verschleppungsverbot (§ 15a InsO) und dem sog. Zahlungsverbot (§ 64 GmbHG, § 130a HGB) ergibt sich danach ein einheitlicher Verbots- und Haftungstatbestand des Wrongful Trading mit Schadensersatzfolge. Die „verbotenen Zahlungen“ markieren nicht einen separaten Verbotstatbestand, sondern nur Elemente der haftungsausfüllenden Kausalität im Rahmen der Insolvenzverschleppungshaftung. § 64 Satz 1 GmbHG ist nichts als eine Darlegungsund Beweiserleichterung für den durch die Auszahlung aus der Masse angerichteten Schaden. § 64 GmbHG und noch deutlicher § 130a Abs. 2 HGB ist gleichsam der Urvater des § 92 InsO, ergänzt durch eine Darlegungs- und Beweiserleichterung, und bringt zugleich zum Ausdruck, dass der am Gesellschaftsvermögen entstandene Gesamtgläubigerschaden auch außerhalb des Insolvenzverfahrens durch Leistung in das Gesellschaftsvermögen liquidiert werden kann. Indem der Verwalter aus § 64 GmbHG gegen den Geschäftsfüh1 Dazu krit. Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 17, 20; Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1406 ff.; Karsten Schmidt, NZG 2015, 129, 131; insoweit wie hier Altmeppen, ZIP 2015, 949, 953, 956. 2 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 51/06, GmbHR 2007, 936 = ZIP 2007, 1501. 3 BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, GmbHR 2007, 596 = ZIP 2007, 1006. 4 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 51/06, GmbHR 2007, 936 = ZIP 2007, 1501; so im Ergebnis auch schon OLG Schleswig v. 27.10.2005 – 5 U 82/05, GmbHR 2005, 1625 = ZIP 2005, 2211; zust. statt vieler Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 130a HGB Rz. 14a. 5 Vgl. auch schon Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 ff. 6 Altmeppen, ZIP 2001, 2201 ff.; Altmeppen, ZIP 2015, 949, 952 f. 7 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 9 ff., 15 ff.; in gleicher Richtung schon Karsten Schmidt, GmbHR 2000, 1226 f.; Bitter, WM 2001, 666, 670 f.; sympathisierend Arnold in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rz. 7; Casper in Großkommentar zum GmbHG, 1. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 79 ff.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

rer vorgeht, liquidiert er den durch die Zahlungen angerichteten mutmaßlichen Gesamtgläubigerschaden. § 64 GmbHG (bzw. § 130a HGB) steht deshalb nicht in einem Gegensatz zu § 15a InsO, sondern die Vorschrift ist Bestandteil der heute über § 823 Abs. 2 BGB, § 92 InsO konstruierten Schadensersatzhaftung wegen Insolvenzverschleppung. Die Höhe der „verbotenen Zahlungen“ begründet nur die Vermutung eines entsprechenden Masseschadens. Dieser Zusammenhang war bis 2008 aus dem Gesetz klarer abzulesen als heute. Bis damals waren nämlich die Verschleppungsverbote in den Absätzen 1 der § 64 GmbHG, § 130a HGB niedergelegt, die „Zahlungsverbote“ jeweils in den Absätzen 2. Die GmbH-Reform 2008 hat diese Regelungen redaktionell auseinander gerissen, vermag jedoch deren Sinneinheit nicht zu zerstören. 11.36 d) Haftungsadressaten sind die Geschäftsführer1 – auch faktische Geschäftsführer –, im Fall der Führungslosigkeit entsprechend § 15a Abs. 3 InsO die Gesellschafter2. Eine Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern – entgegen dem Doberling-Urteil3 auch bei einem obligatorischen Aufsichtsrat – ist richtigerweise abzulehnen4. Prokuristen, Handlungsgehilfen und sonstige Bevollmächtigte der Gesellschaft haften gleichfalls nicht für verbotene Zahlungen5. Umstritten ist, ob das Zahlungsverbot nach der Antragstellung – also im Eröffnungsverfahren – fortwirkt6. Sieht man mit der hier vertretenen Ansicht die Haftung nur als Bestandteil der Verschleppungshaftung an (Rz. 11.35), so ergibt sich: Der Verschleppungsschaden kann sich noch vergrößern, aber mit einem Zahlungsverbot hat das nichts zu tun7. 11.37 e) Zahlungen i.S. der Zahlungsverbote sind masseschmälernde Vermögensleistungen8, insbesondere Bar- oder Buchgeldzahlungen9, auch Kontoverrechnungen10, nicht dagegen bloße Dienst- oder Werkleistungen ohne Vermögenstransfer oder bloße Nicht-Geltendmachung einer Forderung11 und auch nicht die bloße Begründung einer Leistungsverpflichtung der Gesellschaft (Rz. 11.54). Der Begriff ist damit enger als derjenige der anfechtungsrechtlichen „Rechtshandlung“ (§ 129 InsO)12. 1 Arnold in Henssler/Strohn, § 65 GmbHG Rz. 8. 2 Arnold in Henssler/Strohn, § 65 GmbHG Rz. 8; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 55. 3 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 = JZ 2010, 118 m. Anm. Habersack = GmbHR 2010, 1200; s. auch Arnold in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rz. 9 m.w.N. 4 Ausführlich Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 56. 5 Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 8; H.-Fr. Müller in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 130; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 57. 6 So etwa OLG Hamm v. 15.10.1979 – 8 U 149/78, ZIP 1980, 280, 281; OLG Brandenburg v. 10.1.2007 – 7 U 20/06, ZIP 2007, 724; a.M. H.-Fr. Müller in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 138. 7 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 27. 8 Näher Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 31 ff. 9 Vgl. aber OLG Düsseldorf v. 19.1.1995 – 6 U 272/93, GmbHR 1996, 616, 619. 10 OLG München v. 13.2.2013 – 7 U 2831/12, NJW 2013, 1747 = GmbHR 2013, 316. 11 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 32.; anders für Dienst- und Werkleistungen aber OLG Düsseldorf v. 19.1.1995 – 6 U 272/93, GmbHR 1996, 616, 619 = NJW-RR 1996, 1443, 1445. 12 Vgl. BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211, 216 f. = GmbHR 1998, 594, 595 = ZIP 1998, 2667, 2668.

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Haftung für „verbotene Zahlungen“ nach § 64 GmbHG

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2. Eine drakonische Rechtsprechung und ihre Entschärfung a) Die Schlagkraft der Geschäftsführerhaftung für „verbotene Zahlungen“ ist er- 11.38 heblich. Sie ist Resultat der vom BGH zugrundegelegten theoretischen Deutung der § 64 GmbHG, § 130a HGB. Die Kasuistik der höchstrichterlichen Rechtsprechung gibt hiervon einen Eindruck. Der BGH nimmt jede einzelne Zahlung an einen Gläubiger und addiert aus diesen Zahlungen eine Gesamthaftung des Geschäftsführers auf Erstattung „verbotener Zahlungen“, ohne ein Gesamtbild der Schadensentwicklung zu entwerfen. Hier einige charakteristische Fälle, die auf der Basis des bisherigen Gesetzeswortlauts entschieden worden sind: – Am 18.12.1995 entschied der II. Zivilsenat, dass der nach § 64 (Abs. 2 a.F.) GmbHG in Anspruch genommene Geschäftsführer nicht berechtigt sei, die Erfüllung dieser Verpflichtung mit der Begründung zu verweigern, der Insolvenzverwalter habe die aussichtsreiche Möglichkeit einer Insolvenzanfechtung durch Verstreichenlassen der Anfechtungsfrist (jetzt: Verjährungsfrist) versäumt1. Der Geschäftsführer haftet nach der Rechtsprechung primär, selbst wenn gleichzeitig im Anfechtungswege gegen den Empfänger geklagt wird2. Das ist konsequent, wenn man die Haftung mit dem BGH vom Schadensersatz streng trennt (vgl. Rz. 11.35). – Nach einem Urteil vom 29.11.1999 ist auch der von dem Geschäftsführer einer insolventen GmbH veranlasste Einzug eines Kundenschecks über ein debitorisches Bankkonto grundsätzlich als eine zur Ersatzpflicht nach § 64 (Abs. 2 a.F.) Satz 1 GmbHG führende „Zahlung“ zu Gunsten der Bank zu qualifizieren3. Der Senat hat diesen – wahrhaftig nicht selbstverständlichen – Standpunkt ein Jahr später noch einmal bekräftigt4. Wie aus einem rechtskräftigen Urteil des OLG Oldenburg ersichtlich ist, macht auch die Zusendung von Rechnungen an Schuldner der Gesellschaft aus der Zahlung der Rechnungsbeträge auf das debitorische Konto eine verbotene Zahlung (!) des Geschäftsführers an die Bank5. – Ein Urteil des BGH vom 11.9.2000 spricht darüber hinaus aus, dass der Ersatzanspruch der GmbH aus § 64 (Abs. 2 a.F.) GmbHG im Fall ihrer masselosen Insolvenz der Pfändung durch einen Gesellschaftsgläubiger zugänglich ist6. Es ist unverkennbar, dass hierdurch die Insolvenzverschleppung bis zur Masselosigkeit unter ein vormals ganz unbekanntes Risiko gestellt worden ist.

1 BGH v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, BGHZ 131, 325 = LM § 64 GmbHG Nr. 13 m. Anm. Wilhelm = GmbHR 1996, 221; dazu eingehend Paulus in Prütting, Insolvenzrecht 1996, 1997, S. 211 ff.; Gerd Müller, ZIP 1996, 1153 ff.; Uhlenbruck, WiB 1996, 1641. 2 OLG Oldenburg v. 10.5.2004 – 15 U 13/04, GmbHR 2004, 1014 = MDR 2004, 1383. 3 BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 = LM § 64 GmbHG Nr. 18 m. Anm. Heidenhain = GmbHR 2000, 182 m. Komm. Frings = DStR 2000, 210 m. Anm. Goette = EWiR 2000, 295 (Noack) = WuB II C. § 64 GmbHG 1.01 m. Anm. Bitter; vgl. schon OLG Hamm v. 21.4.1995 – 11 U 195/93, GmbHR 1995, 521 = ZIP 1995, 913; dagegen hier noch die 2. Aufl., Rz. 1245. 4 BGH v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, GmbHR 2000, 1149 = ZIP 2000, 1896. 5 OLG Oldenburg v. 10.3.2004 – 1 W 2/04, GmbHR 2004, 1340 = ZIP 2004, 1315. 6 BGH v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, GmbHR 2000, 1149 = ZIP 2000, 1896; dazu Karsten Schmidt, GmbHR 2000, 1225.

Karsten Schmidt

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11.38

11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

– Sodann hat der BGH am 8.1.2001 entschieden1: „Zahlungen, die der Geschäftsführer dem Verbot des § 64 (Abs. 2 a.F.) GmbHG zuwider geleistet hat, sind von ihm ungekürzt zu erstatten (Abweichung von BGHZ 143, 184 = KTS 2000, 115 = GmbHR 2000, 182). Ihm ist in dem Urteil vorzubehalten, seinen Gegenanspruch, der sich nach Rang und Höhe mit dem Betrag deckt, den der begünstigte Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätte, nach Erstattung an die Masse gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen. Etwa bestehende Erstattungsansprüche der Masse gegen Dritte sind Zug um Zug an den Geschäftsführer abzutreten.“2 Dieser Vorbehalt hinsichtlich seines Verfolgungsrechts gegen den Insolvenzverwalter wird nach einem BGH-Urteil vom 11.7.20053 von Amts wegen in das Zahlungsurteil gegen den Geschäftsführer aufgenommen. Das ist indessen ein schwacher Trost für den primär haftenden Geschäftsführer. – Die ganze Härte der Rechtsprechung kam in einem BGH-Urteil vom 31.3.2003 ans Licht4. Hier hatte im Rahmen einer umsatz- und gewerbesteuerlichen Organschaft der Geschäftsführer einer Holdinggesellschaft von einer Bau-Tochtergesellschaft eine Gutschrift entgegengenommen und sodann aus dem kreditorischen Bankkonto mittels Scheck die Zahlung an das Finanzamt vorgenommen. Im Saldo war dies ein neutraler, die Gläubiger nicht schädigender Vorgang5. Dennoch entschied der BGH: „Der Geschäftsführer einer GmbH verletzt seine Pflicht, das Gesellschaftsvermögen zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller künftigen Insolvenzgläubiger zusammenzuhalten, auch dann, wenn er bei Insolvenzreife der Gesellschaft Mittel von einem Dritten zu dem Zweck erhält, eine bestimmte Schuld zu tilgen, und kurze Zeit später dementsprechend die Zahlung an den Gesellschaftsgläubiger erwirkt.“ – Gleichfalls bemerkenswert ist ein Urteil des OLG Celle vom 20.6.2007 über eine Vermögensverschiebung innerhalb einer GmbH & Co. KG6. Der Geschäftsführer hatte nach Stellung des Insolvenzantrags bezüglich der Kommanditgesellschaft das Bankguthaben der Komplementär-GmbH in Höhe von 34 000 Euro an die Kommanditgesellschaft überwiesen. Das OLG hielt den Geschäftsführer für ersatzpflichtig, obwohl die Gläubiger der GmbH weitgehend dieselben waren wie die der KG. – Die Dramatik bei der Durchleitung von Liquidität im Konzern zeigte sich in einem Urteil des OLG München vom 15.10.2008 („Taurus GmbH & Co. KG“)7. Der erste Leitsatz dieses Urteils lautet:

1 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235 = GmbHR 2001, 190 m. Komm. Felleisen. 2 Haas (in FS Gero Fischer, 2008, S. 209, 212 ff.) begründet dies analog § 144 InsO. 3 BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, GmbHR 2005, 1187 = ZIP 2005, 1550. 4 BGH v. 31.3.2003 – II ZR 150/02, DB 2003, 1213 = ZIP 2003, 1005. 5 So in der Vorinstanz OLG Brandenburg v. 10.4.2002 – 7 U 147/01, GmbHR 2002, 910. 6 OLG Celle v. 20.6.2007 – 9 U 135/06, ZIP 2007, 2210 = GmbHR 2008, 101 (rechtskräftig durch Zurücknahme der Revision unter II ZR 156/07). 7 OLG München v. 15.10.2008 – 7 U 4972/07, ZIP 2008, 2169 = GmbHR 2009, 490 (rechtskräftig durch Abweisung der Nichtzulassungsbeschwerde; vgl. BGH v. 21.6. 2010 – II ZR 246/08).

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Karsten Schmidt

Haftung für „verbotene Zahlungen“ nach § 64 GmbHG

11.39

„Der Geschäftsführer mehrerer Gesellschaften haftet für Zahlungen nach Insolvenzreife bei jeder einzelnen Gesellschaft gesondert, wenn ein und dieselbe Zahlung durch mehrere Gesellschaften gelaufen ist.“

– Mit einem blauen Auge davongekommen ist der Geschäftsführer einer Konzerngesellschaft in einem auf den ersten Blick ähnlichen, vom BGH am 5.5. 2008 entschiedenen Fall1. Hier hatten die Muttergesellschaft und mehrere Schwestergesellschaften Beträge in Höhe von mehr als einer halben Mio. Euro auf das Konto der GmbH geleitet, um diese Summen dem Zugriff ihrer Hausbanken zu entziehen. Diese treuhänderisch gehaltenen Geldsummen hatte dann der Geschäftsführer auf Weisung der Konzerngesellschaften an deren Gläubiger gezahlt. Das OLG hatte, gestützt auf das Urteil von 2003, der Klage stattgegeben. Aber der BGH wies sie ab, freilich ohne den Grundansatz des Urteils von 2003 aufzugeben. Das Urteil trägt folgenden, noch auf die alte Fassung des § 64 GmbHG bezogenen Leitsatz2: „Der Geschäftsführer einer GmbH verletzt seine Massesicherungspflicht aus § 64 (Abs. 2) Satz 1 GmbHG auch dann, wenn er mit Geldern, die von anderen Konzerngesellschaften auf das Geschäftskonto der GmbH gezahlt worden sind, Schulden dieser Gesellschaften begleicht; seine Haftung ist aber nach § 64 (Abs. 2) Satz 2 GmbHG ausgeschlossen, weil er bei den Auszahlungen angesichts des Zusammentreffens der Massesicherungspflicht mit der – durch § 266 StGB strafbewehrten – Pflicht zur weisungsgemäßen Verwendung fremder Gelder mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes gehandelt hat.“

Erkennbar bestätigt der erste Teil dieses Leitsatzes den Ansatz aus dem Jahr 2003, während der zweite Teil Rettung bei der Exkulpationsregel sucht. Das Ergebnis überzeugt mehr als die Begründung. Angenommen, die anderen Konzerngesellschaften wären gleichfalls insolvent geworden, so hätte der BGH möglicherweise deren Geschäftsführer für zahlungspflichtig gehalten, denn mittelbar hatten sie aus dem Treuhandkonto gezahlt. b) Dass die unklare Normstruktur des § 64 GmbHG (bis 2008 § 64 Abs. 2 GmbHG 11.39 a.F.) praktische Folgen auch bei der schlichten Unternehmensfortführung haben kann, zeigt das folgende, bereits an anderer Stelle entworfene Beispiel3: Angenommen, der Geschäftsführer einer kleinen GmbH hat die Insolvenz nach der Behauptung des klagenden Verwalters 100 Tage lang verschleppt. Er hat in dieser Zeit durch Bezahlung von Lieferantenrechnungen und durch von ihm veranlasste Gutschriften auf dem debitorischen Bankkonto der Gesellschaft Zahlungen in Höhe von 1 Mio. Euro vorgenommen. In dieser Höhe in Anspruch genommen, macht er neben dem üblichen Bestreiten der Verschleppung und seines Verschuldens Folgendes geltend: Durch die inkriminierten Kontobewegungen, selbst wenn sie verboten gewesen sein sollten, habe er die Weiterführung des Unternehmens finanziert. Die in den fraglichen 100 Tagen eingetretene Masseschmälerung betrage nicht 1 Mio., sondern allenfalls 100 000 Euro. Würde das Gericht einen solchen Geschäftsführer in Höhe von 1 Mio. Euro verurteilen, ohne Beweis über die eingetretene Masseschmälerung zu erheben? Müsste es den Geschäftsführer sogar dann voll verurteilen, wenn der klagende Verwalter die Verteidigung 1 BGH v. 5.5.2008 – II ZR 38/07, DB 2008, 1428 = ZIP 2008, 1229 = GmbHR 2008, 813 m. Komm. Lindemann. 2 Die Hinweise auf Abs. 2 a.F. sind deshalb in Klammer gesetzt. 3 Vgl. bereits Karsten Schmidt, KTS 2001, 288 f.

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11.40

11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

des beklagten Geschäftsführers nicht einmal bestreitet? Der BGH müsste diese Fragen bejahen. Nach seiner Auffassung werden ja einfach die Zahlungsbeträge summiert und eingefordert, und seien es Millionenbeträge, ohne dass es auf die vielleicht viel geringere Einbuße in der Masse ankäme. Man mag dieses Haftungsmodell konsequent und konsistent finden, aber wertungsmäßig wäre eine solche Lösung im Ergebnis schwerlich zu akzeptieren. 11.40 Diese Überlegung legt den Gedanken nahe, dass es sich der BGH mit seiner Deutung der „Zahlungsverbote“ schon in theoretischer Hinsicht zu leicht macht. Der Kardinalfehler liegt darin, dass der BGH den Gesetzeswortlaut buchstäblich liest und statt auf den Vermögens- und Schadensablauf auf jede einzelne Zahlung blickt1. Herkömmlich wurde nicht einmal – was angemahnt wurde2, jedoch das Problem nicht löst – ein Leistungsaustausch gegengerechnet. Der Fall zeigt aber auch, dass die Insolvenzverschleppungsrisiken für Geschäftsführer durch die neue Rechtsprechung im Vergleich zu der konventionellen Schadensersatzhaftung wegen Verletzung des § 15a InsO (§ 64 Abs. 1 GmbHG a.F.) buchstäblich potenziert werden3. 11.41 c) Eine Entschärfung der Rechtsprechung, die mehrfach schon angemahnt worden war4, wird in der Anrechnung von Gegenleistungen, vor allem bei schlichtem Hin- und Herzahlen erblickt5, wie sie seit einem BGH-Urteil vom 18.11.2014 anerkannt ist6. „1. Die Ersatzpflicht des Organs für Zahlungen nach Insolvenzreife entfällt, soweit die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen wird. 2. Der als Ausgleich erhaltene Gegenstand muss nicht noch bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorhanden sein. Maßgeblich für die Bewertung ist der Zeitpunkt, in dem die Massekürzung durch einen Massezufluss ausgeglichen wird.“

Es ging um die mehrfache Inanspruchnahme eines der Gesellschaft zu Sanierungszwecken zur Verfügung gestellten Treuhandkontos, aus dem sich die Gesellschaft zur Liquiditätsbeschaffung bedienen konnte. Das Urteil ist in dem Sinne verstanden worden, dass es die gegen die „Zahlungsverbote“ erhobenen Einwände behebt7. Doch ist die Remedur genau so einzelgegenständlich gedacht wie in den Augen der h.M. der ganze Verbotstatbestand. Den Anforderungen eines 1 Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1408; Karsten Schmidt, NZG 2015, 129, 131; zust. Altmeppen, ZIP 2015, 949, 953, 956. 2 Statt vieler Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 184. 3 Das leugnet zu Unrecht Haas in FS Gero Fischer, 2008, S. 209, 210. 4 Vgl. nur Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 717; Arnold in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rz. 20; Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 85; Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 70b; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, § 64 GmbHG Rz. 7; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 41; Bitter, WuB II C, § 64 GmbHG 1, 3; Haas, NZG 2004, 737, 741; Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387, 403 ff.; Strohn, NZG 2011, 1161, 1164. 5 Vgl. schon BGH v. 31.3.2003 – IX ZR 150/02, ZIP 2003, 1005, 1006. 6 BGH v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, GmbHR 2015, 137 = NZG 2015, 149 = ZIP 2015, 71; dazu Altmeppen, ZIP 2015, 949; H.-Fr. Müller, DB 2015, 723; Karsten Schmidt, NZG 2015, 129. 7 So namentlich H.-Fr. Müller, DB 2015, 733.

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Karsten Schmidt

Haftung für „verbotene Zahlungen“ nach § 64 GmbHG

11.42

dynamischen Liquiditätsmanagements wird das Urteil nicht gerecht, weil es, wie das Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO, nur Einzelbewegungen miteinander verrechnet1. Ähnliches gilt für das Urteil vom 23.6.20152, das den Zahlungstatbestand verneint, wenn die auf ein debitorisches Konto eingezogene Forderung ohnedies zur Sicherheit an die kontoführende Bank übertragen war (vgl. Rz. 11.42). Insgesamt verliert die Rechtsprechung offenkundig an Schärfe, dies aber vollends auf Kosten ihrer Konsistenz. 3. Umgang mit kreditorischen und debitorischen Girokonten a) Durch die Praxis der unbaren Zahlungen ist das Haftungsrisiko vollends unab- 11.42 schätzbar geworden. Die Rechtsprechung behandelt Zahlungen vom Bankkonto und auf das Bankkonto der Gesellschaft vollständig unterschiedlich, je nachdem, ob das Konto kreditorisch oder debitorisch ist3. Beim kreditorischen Konto ist die Rechtslage einfach: Unbare Zahlungen aus dem Girokonto der Gesellschaft sind Zahlungen, unbare Eingänge auf diesem Konto sind Eingänge. Beim debitorischen Konto dreht sich die Rechtslage nach der Rechtsprechung um. Das hatte schon das bei Rz. 11.38 zitierte Urteil vom 29.11.1999 gezeigt, wonach der Einzug von Kundenschecks eine verbotene Zahlung an die kontoführende Bank sein kann4. Darauf, ob Eingänge auf dem Konto der Aufrechterhaltung des Zahlungsverkehrs dienen, kommt es nach der Rechtsprechung nicht an5. Zahlungseingänge auf dem debitorischen Konto, die der Geschäftsführer veranlasst oder nicht verhindert, sind nach der Rechtsprechung „Zahlungen“ (nämlich an die Bank!)6. Charakteristisch für die Rechtsprechung ist ein Urteil des BGH vom 26.3.20077. Hier hatte der Geschäftsführer von dem debitorischen Bankkonto der Gesellschaft – es war eine GmbH & Co. KG – 33 362,15 Euro ausgezahlt, und 20 108,73 Euro waren auf dem Konto eingegangen. Das OLG hatte den Geschäftsführer zur Zahlung von 33 362,15 Euro verurteilt. Der II. Zivilsenat erkannte auf Erstattung von 20 108,83 Euro. Der dritte Leitsatz des Urteils lautet: „Der Geschäftsführer einer insolvenzreifen GmbH (oder GmbH & Co. KG) muss auf Grund seiner Masseerhaltungspflicht dafür sorgen, dass Zahlungen von Gesellschaftsschuldnern nicht auf ein debitorisch geführtes Bankkonto der Gesellschaft geleistet werden; andernfalls haftet er für die Zahlungen gem. § 64 Abs. 2 GmbHG, § 130a Abs. 3 HGB (Ergänzung zum Senatsurt. v. 29.11.1999, BGHZ 143, 184 = ZIP 2000, 184 = GmbHR 2000, 182).“

Dies war der Grund, weshalb die Eingänge auf dem debitorischen Konto (20108,73 Euro) nach der Ansicht des BGH als unerlaubte Zahlungen an die Bank eine Erstattungspflicht des Geschäftsführers begründeten. Einschränkend hat allerdings ein Urteil vom 23.6.2015 klargestellt, dies gelte nur, wenn durch 1 Karsten Schmidt, NZG 2015, 129, 133; krit. auch Altmeppen, ZIP 2015, 949 ff. 2 BGH v. 23.6.2015 – II ZR 366/13, ZIP 2015, 1480. 3 Eingehend Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 35 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401 ff. 4 BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 = GmbHR 2000, 182 = ZIP 2000, 184. 5 So auch wieder BGH v. 23.6.2015 – II ZR 366/13, ZIP 2015, 1480 Rz. 31; krit. Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 87. 6 Dazu statt vieler Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 175. 7 BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, GmbHR 2007, 596 = ZIP 2007, 1006.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

den Forderungseinzug die den Gläubigern zur Verfügung stehende Vermögensmasse geschmälert wird. Daran fehle es beim Einzug von Forderungen, die an die Bank zur Sicherheit abgetreten waren1. Der Tatbestand einer verbotenen Zahlung könne auch ausscheiden, soweit infolge der Verminderung des Debetsaldos durch die Einziehung und Verrechnung einer Forderung weitere sicherungsabgetretene Forderungen frei werden. Im Grundsätzlichen hat aber der BGH an seiner Rechtsprechung festgehalten. 11.43 Die Zahlungen vom debitorischen Girokonto (33362,15 Euro), auf die das OLG abgestellt hatte, waren dagegen nach dem Urteil vom 26.3.2007 keine „verbotenen Zahlungen“! Der diesbezügliche zweite Leitsatz des Urteils lautet2: „Zahlungen mit Kreditmitteln aus einem debitorisch geführten Bankkonto einer insolvenzreifen GmbH oder GmbH & Co. KG fallen nicht unter die – dem Schutz ihrer Gläubigergesamtheit dienenden – § 64 Abs. 2 GmbHG, § 130a Abs. 2, 3 Satz 1 HGB, sondern gehen allein zum Nachteil der Bank.“

11.44 b) Die Rechtsprechung gibt dem Geschäftsführer einer in die Krise geratenen Gesellschaft den ernsthaften Rat, neben dem debitorisch geführten Konto ein anderes kreditorisches Konto zu begründen3. Sie lässt den Umgang mit einem kreditorischen und einem debitorischen Konto vollkommen unterschiedlich erscheinen4: – Überweisungen und Abbuchungen vom kreditorischen Konto können „verbotene Zahlungen“ sein; Eingänge auf dem kreditorischen Konto sind dagegen haftungsneutral, weil sie nicht gegen das Verbot der Masseschmälerung verstoßen. – Überweisungen und Abbuchungen vom debitorischen Konto sind haftungsneutral, weil sie allein auf Kosten der kontoführenden Bank geschehen; Eingänge auf dem debitorischen Konto können dagegen „verbotene Zahlungen“ an die Bank darstellen. 11.45 Für die Strategie der Geschäftsführung einer GmbH oder GmbH & Co. KG in der Krise bedeutet dies5: Solange das Konto debitorisch ist, muss der Geschäftsführer, um „verbotene Zahlungen“ zu vermeiden, Eingänge auf diesem Konto verhindern. Dazu muss er nicht nur Einzahlungen aus der Tageskasse und Scheckeinreichungen bei der kontoführenden Bank vermeiden, sondern auch die Schuldner (!) der GmbH von Zahlungen auf das debitorische Konto abhalten. Er muss, wenn er sich an die vom BGH aufgestellten Maximen halten will, Gutschriften auf dem debitorischen Bankkonto auch insoweit verhindern, als diese auf Daueraufträgen oder auf früher mitgeteilten Kontoangaben gegenüber dem Schuldner beruhen. Solange das Konto kreditorisch ist, kann der Geschäftsführer ohne Haftungsrisiko Schuldnerzahlungen auf diesem Konto einsammeln, muss aber Abbuchungen von diesem Konto vermeiden. Er muss also, um „verbotene Zahlungen“ zu vermeiden, nicht nur eigene Überweisungen von diesem Konto unterlassen, sondern 1 BGH v. 23.6.2015 – II ZR 366/13, ZIP 2015, 1480; dazu Römermann, BB 2015, 2128. 2 BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, GmbHR 2007, 596 = ZIP 2007, 1006. 3 OLG Celle v. 20.6.2007 – 9 U 135/06, ZIP 2007, 2210 = GmbHR 2008, 101 (rechtskräftig durch Zurücknahme der Revision unter II ZR 156/07). 4 Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1404 ff. 5 Krit. Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1404 ff.; s. auch Sandhaus in Gehrlein/Ekkenga/ Simon, § 64 GmbHG Rz. 16 f.

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Haftung für „verbotene Zahlungen“ nach § 64 GmbHG

11.47

auch Gläubiger der Gesellschaft an Abbuchungen und sonstigen Zugriffen auf das Konto hindern1. Kurz gesagt: Ein Geschäftsführer, der sich an die Rechtsprechung des BGH hält, wird, solange die Bank mitmacht, dafür sorgen, dass das debitorische Konto immer weiter ins Soll sinkt; zugleich wird er dafür sorgen, dass ein kreditorisches Konto unangetastet bleibt und durch Eingänge immer mehr gefüllt wird. Dieses Vorgehen steht naturgemäß unter dem Vorbehalt einer Verrechnung seitens der Bank. Es ist wider jede Vernunft, aber es ist eine Antwort auf die Rechtsprechung des BGH. Im Hinblick auf das bei Rz. 11.41 dargestellte BGH-Urteil vom 18.11.20142 liegt 11.46 in der Krise der Rat an die Geschäftsführung nahe, Kontobewegungen möglichst nach Art eines Bargeschäfts (§ 140 InsO) Zug um Zug durch Gegenleistungen auszugleichen. Wie jedoch schon herausgestellt wurde: Dies ist, wenn man das dynamische Cash Management einer Gesellschaft bedenkt, ein ziemlich akademischer Ratschlag (vgl. auch hierzu Rz. 11.41). 4. Vermutetes Verschulden und Exkulpation bei den „Zahlungsverboten“ a) Die Haftung setzt Pflichtwidrigkeit und Verschulden voraus3. Nach § 64 Satz 2 11.47 GmbHG bzw. § 130a Abs. 1 Satz 2 HGB greift die Haftung nicht ein bei Zahlungen, die auch nach dem Zeitpunkt materieller Insolvenzreife mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar sind (bis 2008 § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG) (s. dazu auch Rz. 9.152 ff.). Dieser Tatbestand ist nicht bloß eine etwa dem § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechende Exkulpationsregel4, sondern eine Reduktion des objektiven Tatbestands für Fälle fehlender Pflichtwidrigkeit5. § 64 Satz 2 GmbHG wird eng ausgelegt6. Es genügt insbesondere nicht, dass der Zahlungsanspruch des Gläubigers begründet und die Forderung fällig ist. Zulässig sind nach h.M. in erster Linie Zahlungen, die auch ein Insolvenzverwalter vorgenommen hätte7 und die keine Verkürzung der Masse bewirken8. Unschädlich sind im Übrigen diejenigen Zahlungen, die auch unter Berücksichtigung der Insolvenzantragspflicht dem Interesse der Gesellschaft (der Masse) dienen. Das ist insbesondere der Fall, wenn durch die Zahlung größere Nachteile für die Insolvenz1 Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1404 ff.; s. auch OLG Oldenburg v. 10.3.2004 – 1 W 2/04, GmbHR 2004, 1340 = ZIP 2004, 1315. 2 BGH v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, GmbHR 2015, 137 = NZG 2015, 149 = ZIP 2015, 71; dazu Altmeppen, ZIP 2015, 949; H.-Fr. Müller, DB 2015, 723; Karsten Schmidt, NZJ 2015, 129. 3 Arnold in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rz. 32; Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 84 m.w.N. 4 Vgl. aber BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 274 = GmbHR 2001, 190, 193 = ZIP 2001, 235, 238: „Verschulden“. 5 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 49; s. auch Arnold in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rz. 26; Sandhaus in Gehrlein/Ekkenga/Simon, § 64 GmbHG Rz. 25. 6 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, NJW 2007, 2118 = GmbHR 2007, 757 = ZIP 2007, 1265; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 64 GmbHG Rz. 20. 7 OLG Celle v. 23.12.2003 – 9 U 176/03, GmbHR 2004, 568 = ZIP 2004, 1210. 8 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 275 = ZIP 2001, 235, 238 = GmbHR 2001, 190 m. Komm. Felleisen; OLG Celle v. 23.12.2003 – 9 U 176/03, GmbHR 2004, 568 = ZIP 2004, 1210.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

masse abgewendet werden sollen1 oder wenn vorteilhafte Austauschverträge geschlossen bzw. erfüllt werden2. Zulässig sind insbesondere Zahlungen, die der besseren Durchführung eines Insolvenzverfahrens dienen3. Es genügt nicht, dass durch die Zahlungen die (rechtswidrige!) Fortführung des Unternehmens ermöglicht wird, sondern zulässig sind nur solche Zahlungen, die einen unkontrollierten, auch durch sofortige Stellung des Insolvenzantrags nicht behebbaren Zusammenbruch mit weiteren Gläubigerschäden verhindern4. 11.48 Zu überzeugen vermag all das nicht5. Schon der Fall eines um Null oszillierenden Kontos6 lässt Zweifel an der Überzeugungskraft der vom BGH konstruierten Unterschiede aufkommen, ebenso der Fall eines Kontenausgleichs durch Umbuchung vom kreditorischen auf ein debitorisches Konto7. Diese Beispiele verdeutlichen nur aufs Neue den Kardinalfehler des Gesetzeswortlauts und der auf diesen gestützten Praxis, nämlich die einzelgegenständliche, auf Zahlungsleistungen statt auf periodische Vermögensschmälerungen gestützten Betrachtungsweise (Rz. 11.40). 11.49 b) Die Beweislast für den Ausnahmetatbestand des § 64 Satz 2 GmbHG sowie für fehlendes Verschulden trägt im Streitfall der Geschäftsführer8. Für die Exkulpation genügt es nicht, dass der Geschäftsführer die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht gekannt hat. Ein Verstoß gegen die unter Rz. 1.191, 11.2 dargestellte Selbstprüfungspflicht reicht für die Haftung aus9. Ist die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung für den maßgeblichen Zeitpunkt nachgewiesen, so wird deren Erkennbarkeit vermutet und der Geschäftsführer muss sich exkulpieren10. Als Vorsorge kann die Einholung qualifizierter externer Beratung hilfreich sein. Der Geschäftsführer verletzt seine insolvenzrechtlichen Pflichten nicht schuldhaft, wenn er zur Klärung ihm nicht aus eigener Sachkunde erkennbarer Tatsachen oder Würdigungen den Rat eines qualifizierten und unabhängigen 1 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 274 f. = ZIP 2001, 235, 238 = GmbHR 2001, 190 m. Komm. Felleisen; BGH v. 5.11.2007 – II ZR 262/06, GmbHR 2008, 142; OLG Dresden v. 21.9.2004 – 2 U 1441/04, GmbHR 2005, 173, 174 m. Komm. Lindemann. 2 OLG Celle v. 23.12.2003 – 9 U 176/03, GmbHR 2004, 568 = ZIP 2004, 1210. 3 So OLG Hamburg v. 29.12.2003 – 11 W 90/03, GmbHR 2004, 797, 798; das OLG ergänzt: „oder auch im Interesse einer ernstlich erwarteten Sanierung“. 4 OLG Dresden v. 21.9.2004 – 2 U 1441/04, GmbHR 2005, 173, 174 m. Komm. Lindemann. 5 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 39; s. auch Sandhaus in Gehrlein/Ekkenga/Simon, § 64 GmbHG Rz. 17. 6 Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1407; Werres, ZInsO 2008, 1001, 1007 f. 7 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 38; Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1408. 8 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, GmbHR 2007, 757, 758 m. Komm. Schröder = ZIP 2007, 1265, 1265 f.; OLG Hamburg v. 29.12.2003 – 11 W 90/03, GmbHR 2004, 797; BGH v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, GmbHR 2009, 991, 992 = NJW 2009, 2599, 2600; OLG München v. 28.11.2007 – 7 U 5444/05, GmbHR 2008, 320 = DB 2008, 457; Arnold in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rz. 41. 9 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 200 = GmbHR 1994, 539, 545. 10 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 200 = GmbHR 1994, 539, 545; BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 185 = GmbHR 2000, 182, 183; OLG Hamburg v. 29.12.2003 – 11 W 90/03, GmbHR 2004, 797, 798; OLG München v. 28.11. 2007 – 7 U 5444/05, DB 2008, 457 = GmbHR 2008, 320.

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Karsten Schmidt

Haftung für „verbotene Zahlungen“ nach § 64 GmbHG

11.50

Sachverständigen einholt, den er über die entscheidenden Tatsachen informiert hat1. Er muss den sachverständigen Rat allerdings einer Plausibilitätskontrolle unterwerfen2. Fehlt es an einer solchen Absicherung, so genügt die bloße Befragung eines Sachverständigen nicht für die Exkulpation3. 5. Normenkollisionen: Zahlungsverbote trotz Zahlungspflicht? a) Umstritten war das Verhältnis zwischen dem sog. Zahlungsverbot nach § 64 11.50 GmbHG und dem Straftatbestand des § 266a StGB. Nach dieser Bestimmung ist die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber strafbar. Die Strafbestimmung gilt auch in der Unternehmenskrise, insbesondere auch in der Insolvenzverschleppungsphase4. Sie ist Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB, so dass eine Verletzung auch zur Schadensersatzpflicht führt5. Hieraus resultierte eine Pflichtenkollision: Dem Geschäftsführer ist bei Strafe verboten, die Sozialversicherungsbeiträge einzubehalten (§ 266a StGB), gleichzeitig aber muss er verbotene Zahlungen erstatten (§ 64 GmbHG bzw. § 130a HGB). Der II. Zivilsenat hatte im Jahr 2005 ausgesprochen, dass die gesellschaftsrechtliche Erstattungspflicht von diesen strikten Zahlungsgeboten unberührt bleibe6. Das bedeutete, dass der Geschäftsführer in der Phase materieller Insolvenz durch die strafrechtlich gebotene Zahlung unweigerlich in die Haftung wegen Verstoßes gegen das gesellschaftsrechtliche „Zahlungsverbot“ geriet. Diese Rechtsprechung war hier schon in Vorauflagen auf Kritik gestoßen7. Sie wurde aufgegeben durch das eine Aktiengesellschaft betreffende Urteil des II. Zivilsenats vom 14.5.20078: Der Leitsatz dieses Urteils lautet auf der Gesetzesgrundlage vor dem MoMiG: „Ein organschaftlicher Vertreter, der bei Insolvenzreife der Gesellschaft den sozial- oder steuerrechtlichen Normbefehlen folgend Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherung oder Lohnsteuer abführt, handelt mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters und ist nicht nach § 92 Abs. 3 AktG oder § 64 Abs. 2 GmbHG der Gesellschaft gegenüber erstattungspflichtig (– insoweit – Aufgabe von BGH, Urt. v. 8.1.2001, II ZR 88/99, BGHZ 146, 264; Urt. v. 18.4.2005, II ZR 61/03, GmbHR 2005, 874 = ZIP 2005, 1026).“ 1 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, BB 2007, 1801, 1803 = GmbHR 2007, 757; eingehend Arends/Möller, GmbHR 2008, 169, 171; Groß, KSI 2007, 226, 239. 2 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, BB 2007, 1801, 1803 = GmbHR 2007, 757. 3 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 226/06, DStR 2006, 1641. 4 BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, GmbHR 2004, 122; BGH v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, GmbHR 2005, 1419; a.M. noch BGH v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, GmbHR 2005, 874, 875; Sontheimer, DStR 2004, 1005 ff. 5 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 371 = ZIP 1996, 2017, 2018 = GmbHR 1997, 25; Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, § 823 BGB Rz. 390 ff.; Streit/Bürk, DB 2008, 742, 744. 6 BGH v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, GmbHR 2005, 874 = ZIP 2005, 1026; grundlegend BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235 = GmbHR 2001, 190 m. Komm. Felleisen. 7 Vgl. 3. Aufl., Rz. 714 (Uhlenbruck). 8 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, GmbHR 2007, 757 = ZIP 2007, 1265; bestätigend BGH v. 2.5.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 = GmbHR 2008, 815 m. Komm. Podewils; BGH v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, GmbHR 2008, 1324; BGH v. 8.6.2009 II ZR 147/08, GmbHR 2009, 991; eingehend dazu Arends/Möller, GmbHR 2008, 169 ff.; Streit/Bürk, DB 2008, 742 ff.; Normen noch vor dem MoMiG.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

11.51 Das Fazit lautet: Der Geschäftsführer kann und muss, um eine Strafbarkeit nach § 266a StGB und eine Schadensersatzpflicht wegen Verletzung dieser Bestimmung zu vermeiden, die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung pünktlich an den Sozialversicherungsträger abführen, und zwar buchstäblich bis zum letzten Sous, selbst wenn keine Löhne mehr gezahlt werden können. Er verstößt in diesem Fall nicht gegen das Zahlungsverbot des § 64 GmbHG (bzw. § 130a HGB). Die strafbewehrte Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen hat also Vorrang1. Dass sie keine Exkulpation bezüglich anderer Zahlungen zur Folge hat2 und nicht vor den Sanktionen des § 15a InsO schützt, dürfte sich von selbst verstehen. 11.52 b) Ein ähnlicher Konflikt ergab sich im Verhältnis zu § 69 AO (zu dieser Vorschrift Rz. 9.158). Der Geschäftsführer muss nach § 34 AO als gesetzlicher Vertreter der GmbH deren steuerliche Pflichten erfüllen und haftet nach § 69 AO für die unberechtigte Nichtabführung von Steuern. In diesem Fall erlässt das Finanzamt – übrigens ungestört durch § 93 InsO selbst noch nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft3 – Haftungsbescheide gegen die Geschäftsführer. Wiederum war die Frage zu klären, was Vorrang hat: das Zahlungsgebot des § 69 AO oder das Zahlungsverbot des § 64 GmbHG (§ 130a HGB). Auch hier gilt, dass die strikten steuerrechtlichen Pflichten ungeachtet der Insolvenzantragspflicht weiterlaufen4. Es gibt keinen Vorrang der Massesicherungspflicht und damit der sog. Zahlungsverbote5. Vielmehr tritt insofern das Zahlungsverbot zurück. Steuerschulden – es geht in der Praxis vor allem um abzuführende Lohn- und Umsatzsteuer – müssen auch nach Eintritt der materiellen Insolvenz abgeführt werden (vgl. auch Rz. 9.158). Dies entlastet zwar nicht von der allgemeinen Insolvenzverschleppungshaftung (Rz. 11.3 ff.), aber die Steuerzahlung ist nicht nach § 64 GmbHG oder § 130a HGB zu erstatten. 11.53 c) Die Rechtsprechung zum Vorrang der § 266a StGB, § 69 AO stellt eine Befreiung der Praxis aus einer zuvor schwer auflösbaren Pflichtenkollision dar. Der Geschäftsführer kann und muss seinen Pflichten aus § 266a StGB, §§ 34, 69 AO ohne Einschränkung nachkommen6. Diskutiert wurde allerdings, ob die Nichtzahlung von Arbeitnehmeranteilen und Steuern jedenfalls innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 15a InsO (§ 64 GmbHG a.F., 130a HGB a.F.) straffrei sei. Das wurde mit Recht verneint7. Der 5. Strafsenat des BGH und der 7. Senat des BFH 1 Dazu statt vieler Casper in Großkommentar zum GmbHG, 1. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 91 f.; Sandhaus in Gehrlein/Ekkenga/Simon, § 64 GmbHG Rz. 30; vgl. schon Karsten Schmidt, WPg-Sonderheft 2003, 141, 146. 2 BGH v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, GmbHR 2008, 1324 m. Komm. Podewils. 3 BFH v. 2.11.2001 – VII B 155/01, ZInsO 2002, 126 = ZIP 2002, 179; s. auch BGH v. 4.7. 2002 – IX ZR 265/01, BGHZ 151, 245 = ZIP 2002, 1492. 4 BFH v. 27.2.2007 – VII R 67/05, BFHE 216, 491 = GmbHR 2007, 999; BFH v. 23.9.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228 = ZIP 2008, 122 = GmbHR 2009, 222; BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, GmbHR 2007, 757 = ZIP 2007, 1265. 5 BFH v. 27.2.2007 – VII R 67/05, BFHE 216, 491 = GmbHR 2007, 999. 6 BFH v. 27.2.2007 – VII R 67/05, BFHE 216, 491 = GmbHR 2007, 999, 1000; BFH v. 23.9. 2008 – VII R 27/07, ZIP 2009, 122 = GmbHR 2009, 222; BGH v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, NZG 2011, 303 = GmbHR 2011, 367 m. Komm. Poertzgen; Haas/Kolmann/Pauw in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 182. 7 BFH v. 23.9.2008 – VII R 27/07, ZIP 2009, 122 = GmbHR 2009, 222.

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Haftung für „verbotene Zahlungen“ nach § 64 GmbHG

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haben ihre Urteile auf die Pflichtenkollision zwischen zwingenden Vorschriften gestützt1, und eine solche Pflichtenkollision während der Drei-Wochen-Frist ist nicht erkennbar, wenn die Zahlungspflicht Vorrang hat2. 6. Verbotene Verpflichtungsgeschäfte? Ob neben der Begleichung von Schulden der Gesellschaft auch die Begründung 11.54 solcher Schulden Ansprüche nach § 64 GmbHG auslöst, ist umstritten. Eine lange Zeit herrschende Lehre bejahte diese Frage3. Der BGH hat sie jedoch mit Bezug auf sein strenges Verständnis der Ersatzpflicht verneint4. Auch die Belastung der Gesellschaft mit Zinsverbindlichkeiten durch Zahlungen aus debitorischem Konto wird nicht als eine haftungsbegründende „Zahlung“ angesehen5. Richtig ist, dass der Individualschaden der Neugläubiger durch Zahlung an diese selbst und nicht durch Zahlung in die Masse ausgeglichen wird (Rz. 11.19). Richtig ist aber auch, dass die durch die Begründung neuer Insolvenzverbindlichkeiten entstehende Belastung der Masse (Quotenschaden der Gläubiger) Bestandteil des nach § 92 InsO zu liquidierenden Schadens ist, sei es nun über § 15a InsO oder über § 64 GmbHG6. All diese Überlegungen sollten sich erledigen, wenn § 64 GmbHG auf der Rechtsfolgenseite domestiziert und auf Schadensersatzfolgen reduziert wird (dazu Rz. 11.35 ff.). 7. Folgerungen de lege lata und de lege ferenda a) Das Haftungskonzept der „verbotenen Zahlungen“ ist neben der Insolvenzver- 11.55 schleppungshaftung entbehrlich und mit dem cash management einer Gesellschaft kaum in Einklang zu bringen. Schon nach geltendem Recht sollte den haftenden Geschäftsführern der Beweis belassen werden, dass der aus der Insolvenzverschleppung resultierende Gesamtgläubigerschaden niedriger als die Summe der „verbotenen Zahlungen“ ist (Vermutungswirkung der „Zahlungsverbote“)7. b) Nicht um die Geschäftsführer in Verschleppungsfällen mit Samthandschuhen 11.56 anzufassen, sondern um auf der Sanktionsseite für Verhältnismäßigkeit und Stimmigkeit zu sorgen, wird hier de lege ferenda für eine Abschaffung der Zah1 Vgl. BFH v. 4.7.2007 – VII B 268/06, BFH NV 2007, 2059; BFH v. 9.9.2007 – VII R 39/05, BFH NV 2008, 18; BFH v. 4.12.2007 – VII R 18/06, GmbHR 2008, 386, 389 f.; Beck, ZInsO 2007, 1233, 1237 f.; Streit/Bürk, DB 2008, 742, 746. 2 BFH v. 23.9.2008 – VII R 27/07, ZIP 2009, 122 = GmbHR 2009, 222. 3 Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, 16. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 14; Altmeppen in Roth/Altmeppen, 5. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 80; Flume, ZIP 1994, 337, 341; Poertzgen, GmbHR 2007, 1258, 1262; a.M. bereits Hachenburg/Ulmer, § 64 GmbHG Rz. 40. 4 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211 = ZIP 1998, 776, 778 = GmbHR 1998, 594; vgl. auch Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 66; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 33. 5 BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 187 f. = GmbHR 2000, 182, 183 = ZIP 2000, 184, 186; BGH v. 25.1.2010 – II ZR 258/08, GmbHR 2010, 428, 429 = ZIP 2010, 470, 471; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 33. 6 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 31; Bitter, WM 2001, 672. 7 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 62 ff.; zust. Arnold in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rz. 33.

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11.57

11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

lungsverbote plädiert1. Die Schmälerung des Gesellschaftsvermögens ist Teil des zu ersetzenden Schadens. Die Streichung des § 64 Satz 1 GmbHG und seiner Schwestervorschriften sollte mit einer Reaktivierung des § 92 InsO in Insolvenzverschleppungsfällen einhergehen (Rz. 11.29)2. 11.57 c) Von den Zahlungsverboten bei materieller Insolvenz streng zu unterscheiden ist die Haftung für insolvenzauslösende Zahlungen an Gesellschafter (dazu Rz.11.15).

III. Gesellschafterhaftung wegen Verfahrensverschleppung 1. Gesellschafterhaftung in der führungslosen GmbH 11.58 Durch das MoMiG eingeführt wurde die Insolvenzverschleppungshaftung der Gesellschafter im Fall der Führungslosigkeit (zu diesem Tatbestand vgl. Rz. 5.204 ff.). § 15a Abs. 3 InsO lautet: „Im Fall der Führungslosigkeit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist auch jeder Gesellschafter, im Fall der Führungslosigkeit einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft ist auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Stellung des Antrags verpflichtet, es sei denn, diese Person hat von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis.“

11.59 Die Zahlungsverbote der § 64 GmbHG, § 130a HGB enthalten eine solche Erweiterung der Haftung auf die Gesellschafter nicht, aber sie gelten für faktische Geschäftsführer (dazu Rz. 11.36). Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen der führungslosen Gesellschaft mangels Masse nicht eröffnet, so mag die Vorschrift des § 15a Abs. 3 InsO Effektivität versprechen. Ihre Hauptaufgabe wird in der Abschreckungswirkung liegen. 2. Deliktshaftung 11.60 a) Die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO trifft die Normadressaten und nur die Normadressaten, also nur bestellte und sog. faktische Geschäftsführer oder Liquidatoren (vgl. Rz. 11.1). Gesellschafter als solche sind – abgesehen vom Fall der Führungslosigkeit – nicht Normadressaten des § 15a InsO. Damit sind aber nicht-geschäftsführende Gesellschafter nicht von jeder Haftungsgefahr frei. Sie sind zwar nicht taugliche Täter, wohl aber ist an eine Teilnehmerhaftung über § 830 Abs. 2 BGB zu denken, soweit die Gesellschafter als mittelbare Normadressaten – bzw. besser: als garantenpflichtige Teilnehmer des Delikts – in Betracht gezogen werden dürfen. Anstiftung und Beihilfe setzen im Strafrecht allerdings vorsätzliche Teilnahme an vorsätzlicher Tat voraus. Dem Vorschlag des Verfassers, die Teilnehmerhaftung nach § 830 BGB autonom, also nicht strafrechtsakzessorisch, auszulegen3, scheint der BGH nicht zu folgen4. Die herr1 Karsten Schmidt, ZHR 175 (2011), 433; dagegen allerdings Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387, 395. 2 Zusammenfassend Karsten Schmidt, NZG 2015, 129, 133. 3 Zum Streitsand Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 211; zuerst Karsten Schmidt, JZ 1978, 661, 666; zust. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 68; Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 277; ausführlich z.B. Ehricke, ZGR 2000, 351, 356 ff. m.w.N. 4 BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 = ZIP 2005, 1734 = GmbHR 2005, 1425 m. Komm. Wackerbarth; ausführlich Bayer/Lieder, WM 2006, 1 ff.

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Karsten Schmidt

Gesellschafterhaftung wegen Verfahrensverschleppung

11.62

schende Auffassung versteht den Anstifter- und Gehilfenbegriff wie im Strafrecht und verlangt beiderseits jedenfalls bedingten Vorsatz1. Immerhin kann die Haftung zum Zuge kommen, wenn die Gesellschafter den Geschäftsführer durch Weisung von einem begründeten Insolvenzantrag abhalten. b) Keine Teilnehmerhaftung der Gesellschafter gibt es nach der herrschenden 11.61 Auffassung für verbotene Zahlungen nach § 64 GmbHG bzw. §§ 130a, 177a HGB. Diese Haftung ist nach dem Verständnis der Rechtsprechung keine deliktische Schadensersatzhaftung, sondern eine Erstattungshaftung eigener Art (Rz. 11.35). Diese trifft nur die gesetzlichen Normadressaten, also die Geschäftsführer bzw. faktischen Geschäftsführer2. 3. Haftung aus der Gesellschafterverantwortung Es muss aber an die Rechtsprechung zur Eigenhaftung der Gesellschafter für die 11.62 Veranlassung verbotener Ausschüttungen erinnert werden. Wie bei Rz. 1.51 ausgeführt, hatte der BGH einen Gesellschafter, der durch zustimmende Mitwirkung bei verbotenen Ausschüttungen einen Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsregel des § 30 GmbHG mit herbeigeführt hatte, bereits im Jahr 1984 auf Schadensersatz haften lassen3. Es handelt sich hierbei nicht, wie damals behauptet wurde, um eine Ausdehnung des Normadressatenkreises von §§ 30, 31 GmbHG4, sondern um eine Haftung aus der gesellschaftsrechtlichen Sonderrechtsbeziehung zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft5. Diese Haftung setzt ein Verschulden voraus und ist auf Ersatz des der Gesellschaft entstandenen Schadens gerichtet6: Frühere Auflagen dieses Buchs haben im Hinblick auf diese Gesellschafterhaftung vor der Gefahr einer Ausuferung gewarnt und hervorgehoben, dass die Gesellschafter einer GmbH zwar die Geschäftsführung kontrollieren (§ 46 Nr. 6 GmbHG), aber doch nicht Aufsichtsrat sind7. Durch fahrlässige Verkennung der Insolvenzsituation und Vernachlässigung von Aufsichtskompetenzen gegenüber dem Management handeln sie zunächst gegen die eigenen Interessen, machen sich aber noch nicht schadensersatzpflichtig. Auch aktives Finanzierungsgebaren der Gesellschafter, das in der Vergangenheit von der Rechtsprechung zum Eigenkapitalersatz an ihrer sog. „Finanzierungs(folgen)verantwortung“ gemessen wurde (dazu Rz. 2.95), genügt nicht als Grundlage einer allgemeinen Gesellschafterhaftung. Die Gesellschafterhaftung wegen verbotener Schädigung ihrer Gesellschaft zum Nachteil der Gläubiger ist aber in der nachfolgenden 1 Vgl. nur Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 164; Altmeppen in Roth/Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 142; Bayer/Lieder, WM 2006, 1, 4 ff. 2 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 54 f. 3 BGH v. 10.12.1984 – II ZR 308/83, BGHZ 93, 146 = GmbHR 1985, 191; dazu näher in der 2. Aufl., Rz. 67, 1247. 4 So der Diskussionsansatz von Ulmer, ZGR 1985, 600 ff. 5 Näher 2. Aufl., Rz. 1247; Karsten Schmidt, ZIP 1988, 1506. 6 Grundlegend Wilhelm, Rechtsform und Haftung der juristischen Person, 1981, S. 334 ff.; zusammenfassend Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2009, Rz. 518 ff.; zum rechtsdogmatischen Konzept vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 243 f., 1220 ff., 1225 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 1986, 141; Karsten Schmidt, ZIP 1991, 1325, 1330; Karsten Schmidt, ZIP 1993, 549, 552; Karsten Schmidt, NJW 2001, 3577; Ulmer, ZIP 2001, 2021 ff.; Ulmer, JZ 2002, 1049 ff. 7 Vgl. Karsten Schmidt, NJW 2001, 3580.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

Rechtsprechung zunehmend entschärft worden. Nach dem BGH-Urteil vom 21.6. 1999 haften Gesellschafter, die nicht selbst Empfänger verbotener Auszahlungen sind, grundsätzlich nur gemäß § 31 Abs. 3 GmbHG (dazu Rz. 1.49 ff.) und nicht auch auf Schadensersatz1. Auch die Existenzvernichtungshaftung ist seit dem „Trihotel“-Urteil vom 16.7.20072 und dem „Gamma“-Urteil vom 28.4.20083 auf den Tatbestand einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB beschränkt (vgl. Rz. 1.34, 11.155)4. Richtig ist, dass sich die Gesellschafterhaftung in kalkulierbaren Grenzen halten muss. 11.63–11.80

vacat

1 BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, BGHZ 142, 92 = NJW 1999, 2817 = GmbHR 1999, 921 m. Komm. Müller. 2 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = GmbHR 2007, 927 = ZIP 2007, 1552 (Trihotel); dazu namentlich Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274 ff. 3 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = ZIP 2008, 1232 = GmbHR 2008, 805 m. Komm. Ulrich; dazu ausführlich Altmeppen, ZIP 2008, 1201 ff. 4 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = ZIP 2008, 1232 = GmbHR 2008, 805 m. Komm. Ulrich; BGH v. 15.9.2014 – II ZR 442/13, GmbHR 2015, 644 m. Komm. Ulrich/Schlichting.

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Strafbare Insolvenzverschleppung

11.82

B. Strafbare Insolvenzverschleppung I. Die gesetzliche Regelung der Strafbarkeit 1. Grundlagen Seit Jahren führen Unternehmen in der Rechtsform der GmbH und GmbH & Co. 11.81 KG die Liste der strafbaren Insolvenzdelikte an1. Diese Delikte, begangen durch Geschäftsführer, Gesellschafter und Aufsichtsratsmitglieder, aber auch deren Berater und Sanierungsgeschäftsführer machen mehr als die Hälfte aller jährlich in Deutschland eingeleiteten und abgeurteilten Wirtschaftsstrafverfahren aus2. Gesellschaften in der Rechtsform der GmbH oder GmbH & Co. KG gelten als besonders kriminalitätsanfällig3. Nach Schätzungen liegt in jedem zweiten Insolvenzfall eine verspätete Insolvenzantragstellung vor4. Mit der Krisennähe nimmt zugleich auch die Deliktanfälligkeit zu5. § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO ist nicht nur als Gebot zu verstehen, bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen, sondern zugleich auch als Verbot, die insolvenzreife Gesellschaft fortzuführen und hierdurch die Interessen der Gläubiger zu gefährden oder diese zu schädigen6. Letztlich kommt es für die Strafbarkeit des Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung nicht darauf an, ob die Fortführung der Geschäfte für die GmbH im Einzelfall „ertragreich, neutral oder verlustträchtig“ war7. Der Geschäftsführer erfüllt durch die vorsätzliche Weiterführung der Geschäfte zugleich auch den Tatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB8. Unter den strafrechtlichen Begriff der Insolvenzverschleppung fällt jeder Verstoß 11.82 eines organschaftlichen Vertreters oder Abwicklers einer antragspflichtigen juristischen Person gegen die Pflicht, ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich), spätestens aber drei Wochen nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 InsO). Strafrecht1 Vgl. Uhlenbruck, WiB 1996, 409; Uhlenbruck, BB 1985, 1277, 1278 ff.; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 3; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 4; Bisson, GmbHR 2005, 843; Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. 2015, § 80 Rz. 7; Weyand, ZInsO 2010, 359, 363; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 141, 142. 2 S. Tiedemann, GmbH-Strafrecht, 4. Aufl. 2002, Vorwort, Sonderdruck aus Scholz, GmbH-Strafrecht; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 1; Joecks in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 82 GmbHG Rz. 11; Bittmann, NStZ 2009, 113; Haas in Berliner Kommentar Insolvenzrecht, § 15a InsO Rz. 3. 3 Vgl. Meyer, GmbHR 2004, 1417 ff.; Tiedemann in Leipziger Kommentar, vor § 283 StGB Rz. 13; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 3. 4 Vgl. Reck, Insolvenzstraftaten und deren Vermeidung, 1999, Rz. 19; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, 2004, Rz. 6; Haas/Hossfeld in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 2. 5 Vgl. Uhlenbruck, BB 1985, 1277. 6 Vgl. Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 24 u. Rz. 64; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 132, 160; Altmeppen, ZIP 2015, 949, 952. 7 Altmeppen, ZIP 2015, 949, 952, der darauf hinweist, dass in concreto nicht einmal ein Schaden für den Gläubiger entstanden zu sein braucht. 8 Vgl. Ransiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 39; Bittmann, NZWiSt 2013, 270, 271.

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11.83

11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

lich ist der Begriff der Insolvenzverschleppung durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 28.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026) erweitert worden um die Tatbestandsmerkmale der nicht richtigen oder nicht rechtzeitigen Antragstellung1. Das Verhältnis der Insolvenzverschleppungsverbote zu den „Zahlungsverboten“ nach § 64 GmbHG (§§ 130a, 177a HGB) ist umstritten. Die höchstrichterliche Rechtsprechung2 und die vorherrschende Literaturmeinung3 sehen in der Insolvenzantragspflicht und in den Zahlungsverboten voneinander unabhängige Rechtspflichten. 2. Strafrechtliche Spezifika 11.83 Die Legaldefinitionen der Krisenmerkmale in den §§ 17 Abs. 2 Satz 1, 19 Abs. 2 Satz 1 InsO (Rz. 1.10) sind in ihrer strafrechtlichen Anwendung umstritten. Die Auffassungen reichen von einer „strikt zivilrechtsakzessorischen“4 über eine „zivilrechtsorientierte“ bis hin zu einer „strafrechtsautonomen Begriffsbestimmung“5. Grundsätzlich sind den strafrechtlichen Tatbeständen die insolvenzrechtlichen Definitionen der InsO zugrundezulegen6. Die Feststellung der Insolvenzgründe (Rz. 5.6 ff. und 5.81 ff.) hat hier ex post zu erfolgen. In der strafrechtlichen Praxis wird die Zahlungsunfähigkeit wirtschaftskriminalistisch aus der Häufung von Krisenwarnzeichen festgestellt, wie z.B. Wechsel- und Scheckproteste, Lastschriftrückgaben, Steuer- und Sozialversicherungsrückstände oder die Nichtzahlung laufender Verbindlichkeiten sowie erfolglose Pfändungen oder Ausschöpfung des Kreditrahmens7. 11.84 Die Feststellung der Überschuldung (§ 19 InsO) macht in der strafrechtlichen Praxis oftmals Schwierigkeiten. Von einer strafrechtlich relevanten Überschuldung i.S. von § 19 InsO wird man nur dann ausgehen können, „wenn alle einschlägigen betriebswirtschaftlichen Bewertungsmethoden im Ergebnis zu einer Überschuldung gelangen“8. Bei Anwendung der sog. modifizierten zweistufigen Prüfungsmethode ergeben sich im Strafrecht Abweichungen gegenüber dem Zivilrecht, insbesondere hinsichtlich der Prognosemerkmale. Im Strafrecht muss wegen des Grundsatzes „in dubio pro reo“ und des durch Art. 103 Abs. 2 GG garantier1 Vgl. Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 141; Blöse, GmbHR 2012, 471; Cymutca, BB 2012, 3151; Müller-Gugenberger, GmbHR 2009, 578; Wagner, Grundfragen der Insolvenzverschleppungshaftung nach der GmbH-Reform, in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1665. 2 Vgl. BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHSt 143, 184 = GmbHR 2000, 182. 3 Vgl. Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 143 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 64 GmbHG Rz. 3, 4. 4 Vgl. Ransiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz 41. 5 Vgl. Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 42. 6 Vgl. BGH v. 23.5.2007 – 1 StR 88/07, NStZ 2007, 643, 644 m. krit. Anm. Wegener, wistra 2007, 386, 387; BGH v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, BGHSt 53, 24, 54 = GmbHR 2009, 205 m. Komm. Schröder. 7 Vgl. BGH v. 3.12.1991 – 1 StR 496/91, wistra 1992, 145, 146 = GmbHR 1992, 678; BGH v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, BGHSt 53 24, 25 = GmbHR 2009, 205; BGH v. 21.8.2013 – 1 StR 665/12, GmbHR 2013, 1206. 8 Vgl. Preuß in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 74; Büttner, ZInsO 2009, 841, 857; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 46, 47; Bisson, GmbHR 2015, 843, 845.

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ten Vertrauensschutzes schon von der Möglichkeit einer Fortführung des Unternehmens ausgegangen werden, wenn diese nicht ganz unwahrscheinlich war1. Modifikationen, z.B. durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG) vom 17.10.2008, werden auch bei der strafrechtlichen Beurteilung berücksichtigt2. Die Beweiserleichterungen für den Verstoß gegen § 15a Abs. 1 InsO, wie sie für das Insolvenzrecht bejaht werden, finden bei der strafrechtlichen Beurteilung einer Insolvenzverschleppung keine Anwendung3. Die Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung ist oftmals tateinheitlich verbun- 11.85 den mit dem Straftatbestand der unterlassenen Verlustanzeige (§ 84 GmbHG), denn oftmals scheuen sich Geschäftsführer, einen Verlust der Hälfte des Stammkapitals den Gesellschaftern anzuzeigen, weil sie ein Versagen nicht eingestehen wollen oder eine zivilrechtliche Haftung, Strafbarkeit oder Entlassung befürchten. Die Gefährdung eigener Interessen bis zur drohenden Entlassung des Geschäftsführers oder drohender Arbeitslosigkeit kann im Extremfall die Rechtfertigungsgrenze des § 34 StGB erreichen4. Eine dadurch verursachte Insolvenzverschleppung wird damit aber nicht gerechtfertigt. 3. Beginn und Ende der Insolvenzverschleppung Bei der Insolvenzverschleppung handelt es sich um ein Dauerdelikt, das bereits 11.86 mit dem Eintritt der Insolvenzreife vollendet ist5. Eine neue Tathandlung und Strafbarkeit ist nur dann gegeben, wenn die Krise beseitigt wird und der Insolvenzgrund erneut eintritt6. Das Verbot der Insolvenzverschleppung beginnt mit dem objektiven Eintritt der 11.87 Insolvenzgründe Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und Überschuldung (§ 19 InsO), nicht dagegen bei drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO). Die Dreiwochenfrist des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO hat keine Aufschubwirkung (Rz. 5.170)7. Eine Kenntnis des Insolvenzgrundes verlangt das Gesetz gemäß § 15a Abs. 3 InsO nur für die Pflichtenentstehung und den Fristbeginn für die antragspflichtigen Gesellschafter im Fall der Führungslosigkeit8. Die Insolvenzantragspflicht beginnt ansonsten mit dem objektiven Vorliegen des rechtlich schwierigen Tat1 Vgl. Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 46; Kiethe/Hohmann in Münchener Kommentar zum StGB, § 15a InsO Rz. 51; Preuß in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 74. 2 Vgl. Karsten Schmidt, ZIP 2013, 485, 487 f.; Böcker-Poertzgen, GmbHR 2008, 1289, 1295; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 47, 48. 3 S. auch Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 73, 204. 4 Tiedemann/Rönnau in Scholz, § 84 GmbHG Rz. 48. 5 BGH v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, NZI 2009, 124 = ZIP 2008, 2308 = GmbHR 2009, 205 m. Komm. Schröder. 6 Ransiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 39. 7 Für das Strafrecht fordert eine noch vor dem 1.11.2008 (MoMiG) überwiegende Meinung für den Fristbeginn die Kenntnis des Geschäftsführers. Vgl. Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 42, 50 u. 53, S. 4637 Fn. 7 unter Hinweis auf BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, BGHSt 48, 307, 309 = GmbHR 2004, 122. 8 Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 119; Hirte in Uhlenbruck, § 15a InsO Rz. 62; Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 17; Brand, NZI 2009, 712, 714; Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 19; Passarge/Brete, ZInsO 2011, 1293, 1297 ff.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

bestandes der Überschuldung1 oder mit dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Die positive Kenntnis vom Vorliegen eines Insolvenzgrundes wird allerdings bei der Prüfung des Verschuldens relevant. Für das Strafrecht empfiehlt Altmeppen zugunsten des Geschäftsführers eine vereinfachte Faustregel, wonach die strafrechtliche Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung „erst dort beginnt, wo auch die für den Täter günstigste denkbare Bewertungsmethode zur Überschuldung führt“. Der Tatbestand der Insolvenzverschleppung ist vollendet, wenn der Geschäftsführer es unterlässt, den Insolvenzantrag trotz Kenntnis der Sach- und Rechtslage nicht unverzüglich, spätestens aber nach Ablauf von drei Wochen zu stellen2. Die Insolvenzverschleppung als Dauerdelikt und Unterlassungstat wird erst dann beendet, wenn das Insolvenzverfahren auf Antrag eines Gläubigers eröffnet worden oder Abweisung mangels Masse erfolgt ist3. 11.88 Eine Insolvenzverschleppung liegt auch vor, wenn sämtliche Gesellschafter sowie wesentliche oder alle Gläubiger auf die Stellung eines Insolvenzantrags durch den Geschäftsführer des Schuldnerunternehmens verzichten. Die Insolvenzantragspflicht ist eine öffentliche Pflicht, die weder dem Weisungsrecht der Gesellschafter noch der Disposition der Gläubigerschaft unterliegt4. Eine Weisung der Gesellschafter kann allenfalls ein Verschulden des Geschäftsführers beeinflussen5. Befreien die Gläubiger den Geschäftsführer ohne nähere Konkretisierung von der Antragspflicht, kann hierin im Wege der Auslegung allenfalls die Zusicherung zu sehen sein, fällige Forderungen nur im Rahmen von Liquiditätsüberschüssen geltend zu machen. 11.89 Die Insolvenzantragspflicht entfällt bei Wegfall der materiellen Insolvenz, d.h. bei vollständiger und nachhaltiger Beseitigung des Insolvenzgrundes. Eine außergerichtliche Sanierung kann die Insolvenzantragspflicht entfallen lassen6. Allerdings muss eine rechtzeitige Sanierung ernstlich zu erwarten sein7. Eine kurzfris-

1 Vgl. Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 32; Hirte in Uhlenbruck, § 15a InsO Rz. 14; A. Schmidt in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, Anh. zu § 35 InsO H Rz. 17; einschränkend Altmeppen in Roth/Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 81, wonach die Frist mit der Kenntnis des Geschäftsführers von der Überschuldung, spätestens aber dann beginnt, wenn die Geschäftsführer bereits vorher fahrlässig gehandelt und deshalb die Insolvenzreife nicht bemerkt haben. 2 Vgl. BGH v. 6.5.1960 – 2 StR 65/60, BGHSt 14, 280, 281; BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 111 f.; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 53. 3 Vgl. Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. 2015, § 80 Rz. 49; Köhler in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 37 Rz. 28. 4 Vgl. Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 168; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 62; Altmeppen in Roth/Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 51; H. F. Müller in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 70; Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 123; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 30; Geißler, ZInsO 2013, 167, 168; Uhlenbruck, GmbHR 2005, 817; Hirte in Uhlenbruck, § 15a InsO Rz. 66. 5 Vgl. Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 169. 6 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 167. 7 Vgl. BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, BGHSt 48, 307, 309 = GmbHR 2004, 122; BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 111 f.; BGH v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, NZG 2012, 464, 465 = GmbHR 2012, 566; Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 31; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 53.

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tige Verbesserung der wirtschaftlichen Situation reicht1 ebenso wenig aus wie bloße Sanierungshoffnungen oder die feste Erwartung, die Gesellschaft könne nach Fristablauf saniert werden2. Auch heilt die Stellung eines Insolvenzantrages nicht rückwirkend eine schon begonnene Insolvenzverschleppung3. Stellt ein Gläubiger Insolvenzantrag, so führt dies nicht zu einem Erlöschen der Antragspflicht des Geschäftsführers4. Die Insolvenzantragspflicht des Schuldners entfällt erst mit der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Geschäftsführer sind nicht nur berechtigt, sondern vielmehr verpflichtet, sich dem begründeten Insolvenzantrag des Gläubigers anzuschließen5. Zweifelhaft ist, ob eine strafbewehrte Antragspflicht auch dann besteht, wenn ein 11.90 Insolvenzantrag zunächst mangels Masse abgewiesen worden ist, später aber der Gesellschaft Vermögenswerte zufließen, die die Verfahrenskosten decken würden. Nach Auffassung des BGH lebt solchenfalls die Antragspflicht nicht wieder auf, so dass ein Geschäftsführer oder Liquidator, der den Antrag unterlässt, sich nicht wegen Insolvenzverschleppung strafbar macht6. Der Gesetzgeber hat in Fällen wirtschaftlicher Notlage wie z.B. bei der Hochwasserkatastrophe 2002, die Unterbrechung der Insolvenzantragspflicht durch das Flutopfersolidaritätsgesetz angeordnet, solange ernsthafte Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen geführt werden7. Die Insolvenzantragspflicht endet mit der Beendigung der Organstellung. So lässt 11.91 z.B. eine Amtsniederlegung die Organpflichten entfallen8. Nur wenn die Amtsniederlegung ausnahmsweise wegen Missbrauchs unwirksam ist oder wenn der Geschäftsführer trotz Niederlegung als faktisches Organ weiter tätig bleibt, bleiben die Pflichten aus § 15a InsO bestehen (faktische Geschäftsführung) (Rz. 5.278)9.

1 Altmeppen in Roth/Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 83; Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 120; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 53 f. 2 Umfassend zur Problematik Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 135. 3 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 48; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 161, 166; Altmeppen in Roth/Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 68; Casper in Großkommentar zum GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 43; Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 120. 4 BGH v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, BGHSt 53, 24 = GmbHR 2009, 205; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 166; Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 137; Bork in Bork/Schäfer, § 64 GmbHG Rz. 68; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 100; Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 114, 120. 5 BGH v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, GmbHR 2009, 205; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 166; Uhlenbruck, GmbHR 1972, 172. 6 So BGH v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, ZIP 2008, 2308 = GmbHR 2009, 205 m. Komm. Schröder. 7 BGBl. I 2002, 3651; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, 2004, S. 83 Rz. 180. 8 Vgl. BGH v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82, 93 = GmbHR 1980, 273; BayObLG v. 15.6.1999 – 3 Z BR 35/99, DB 1999, 1748 = GmbHR 1999, 980; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 170. 9 So zutr. BGH v. 18.12.2014 – IV Str 323/14, IV Str 324/14, NZI 2015, 186 m. Anm. Floeth; Weyand, ZInsO 2015, 1773; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 170 a.E.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

4. Täter einer Insolvenzverschleppung 11.92 a) Bei § 15a Abs. 4, 5 InsO handelt es sich um ein Sonderdelikt. Bei einer GmbH & Co. KG können nur Geschäftsführer und im Falle Führungslosigkeit nur Gesellschafter Täter sein. Normadressat ist demgemäß bei einer GmbH & Co. KG der Geschäftsführer bzw. der Liquidator der Komplementär-GmbH. Im Fall einer doppelstöckigen bzw. mehrstufigen GmbH & Co. KG sind die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH für die rechtzeitige Insolvenzantragstellung verantwortlich1. Hat eine antragspflichtige Gesellschaft mehrere Vertretungsorgane, so ist jedes Mitglied oder jeder Abwickler antragspflichtig (vgl. Rz. 5.248, 5.251)2. Ist von zwei Geschäftsführern einer GmbH einer für den technischen, der andere für den kaufmännischen Bereich zuständig, entbindet die Aufgabenteilung den technischen Geschäftsführer nicht von seiner Insolvenzantragspflicht. Die fahrlässige Unkenntnis vom Vorliegen einer antragspflichtigen Insolvenzgrundes führt zu einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4 InsO). 11.93 Seit dem MoMiG unterliegen nicht nur die Mitglieder des gesetzlichen Vertretungsorgans der Insolvenzantragspflicht, sondern im Fall der Führungslosigkeit alle Gesellschafter (§ 15a Abs. 3 InsO)3. Die Pflichtwidrigkeit entfällt bei diesen allerdings, wenn sie nachweisen können, dass sie von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis hatten (§ 15a Abs. 3 InsO)4. 11.94 Eine Strafbarkeit des stellvertretenden Geschäftsführers nach § 15a Abs. 4, 5 InsO kommt nur bei längerer Verhinderung des eigentlichen Geschäftsführers in Betracht, wenn der Stellvertreter in dieser Zeit als Geschäftsführer tätig geworden ist5. 11.95 b) „Faktischer Geschäftsführer“ ist, wer ohne Geschäftsführer zu sein, die „Geschicke der Gesellschaft wie ein solcher maßgeblich in die Hand nimmt“6. Auch ein Geschäftsführer, der nicht förmlich bestellt oder nicht ordnungsgemäß bestellt worden ist, kann Täter einer Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4 1 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 151. 2 BGH v. 1.3.1993 – II ZR 81/94, GmbHR 1994, 460, 461; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 150; Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 22; Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 8; Altmeppen in Roth/ Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 55 ff.; Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 114. 3 Die Einbeziehung der Gesellschafter in die Insolvenzantragspflicht bei Führungslosigkeit dient vor allem der Missbrauchsbekämpfung durch sog. Bestattungsgesellschaften. Vgl. Müller-Gugenberger, GmbHR 2009, 578, 580; Bittmann, NStZ 2009, 113 ff. 4 Vgl. Müller-Gugenberger, GmbHR 2009, 578 ff.; Hefendehl, ZIP 2011, 601; Hirte, ZInsO 2008, 689; Ransiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 39; Bremen in Graf-Schlicker, § 15a InsO Rz. 14. 5 Vgl. Köhler in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 37 Rz 20. 6 Vgl. BGH v. 18.12.2014 – 4 StR 323/14, 4 StR 324/14, ZIP 2015, 218; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 153 unter Berufung auf BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61, 68 = GmbHR 2002, 549, 552; BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, GmbHR 2005, 1187, 1188. Eingehend auch Schmidt/Friedrich in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. 2015, 130 Rz 56 ff.

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Strafbare Insolvenzverschleppung

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InsO sein1. Zu unterscheiden sind allerdings zwei Fallgestaltungen: Entweder ist der Bestellungsakt unwirksam oder jemand führt ohne formellen Bestellungsakt die Geschäfte der Gesellschaft (auch hierzu Rz. 5.278). 5. Tathandlungen a) Tathandlung ist das vollständige Unterlassen eines Insolvenzantrags bei Vorlie- 11.96 gen eines antragspflichtigen Insolvenzgrundes sowie die unrichtige und die verspätete Antragstellung (§ 15a Abs. 4 InsO). Dass der Antrag fristgemäß zu stellen ist, ergibt sich schon aus § 15 Abs. 1 Satz 1 InsO (eingehend Rz. 5.245). b) Strafbar ist seit dem Inkrafttreten des MoMiG am 1.11.2008 auch die Stellung 11.97 eines „nicht richtigen“ Insolvenzantrags (§ 15a Abs. 4 InsO)2. Die Vorschrift des § 15a Abs. 4 InsO gilt wegen ihres weiten und unbestimmten Wortlauts als missglückt. Sie ist restriktiv auszulegen3. Zweifelhaft ist, ob damit jeder Insolvenzeigenantrag strafbar ist, der nicht den Mindestanforderungen an einen zulässigen Insolvenzantrag entspricht4. Richtig ist, dass nicht jeder Fehler des Insolvenzantrags zur Bejahung der Unrichtigkeit führt. Zu unterscheiden ist vielmehr zwischen einem unzulässigen Insolvenzantrag und einem unrichtigen Insolvenzantrag. Genügt ein Insolvenzantrag nicht den Mindestanforderungen, hat das Gericht den Schuldner auf den Mangel hinzuweisen und eine Frist zu dessen Behebung zu setzen. Nach fruchtlosem Ablauf hat es den Antrag ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen als unzulässig zurückzuweisen5. In diesem Fall kann eine Insolvenzverschleppung i.S. von § 15a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Alt. 2 InsO vor1 BGH v. 18.12.2014 – 4 StR 323/14, 4 StR 324/14, GmbHR 2015, 191 m. Anm. Priebe, EWiR 11/2005, 337; BGH v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, ZIP 2008, 2308 = GmbHR 2009, 205 m. Komm. Schröder; BGH v. 24.3.2009 – 5 StR 353/08, ZIP 2010, 471; BGH v. 23.1.2013 – 1 StR 459/12, ZInsO 2013, 721; Preuß in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 26; Heß, Sanierungshandbuch, Kap. 35 Rz. 198, 199; Karsten Schmidt, Die Strafbarkeit „faktischer Geschäftsführer“ wegen Insolvenzverschleppung als Methodenproblem, FS Rebmann, 1989, S. 419; Haas, NZI 2006, 494; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 153; Haas in Berliner Kommentar Insolvenzrecht, § 15a InsO Rz. 14; Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 328; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 32; a.A. Hirte in Uhlenbruck, § 15a InsO Rz. 64; Kiethe/Hohmann in Münchener Kommentar zum StGB, § 15a InsO Rz. 21 m.w.N.; Haas, DStR 2003, 423 f. 2 Vgl. auch BGH v. 12.12.2002 – IX ZB 426/02, ZIP 2003, 358; Brettner, Die Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung gem. § 15a InsO, Berlin 2013; N. M. Schmidt, ZInsO 2014, 2352 ff.; Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004, § 11; Bremen in Graf-Schlicker, § 15a InsO Rz. 15; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 60 GmbHG Rz. 87; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 54; Hirte in Uhlenbruck, § 15a InsO Rz. 64; Rönnau/Wegner, ZInsO 2014, 1025. 3 Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 66; Poertzgen, ZInsO 2007, 574, 578; Altmeppen in Roth/Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 103. 4 So z. B. Marotzke, DB 2012, 560, 565; Müller/Rautmann, ZInsO 2012, 918, 920. Für einen „besonnenen Umgang“ mit der Strafnorm und eine restriktive Auslegung Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 87. 5 BGH v. 12.12.2002 – IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205 = ZIP 203, 358; BGH v. 12.7.2007 – IX ZB 82/04, ZIP 2007, 1868; Wegener in Uhlenbruck, § 13 InsO Rz. 98; Rönnau/Wegner, ZInsO 2014, 1027.

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11.97

11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

liegen1. Ein nicht richtiger Insolvenzantrag liegt jedenfalls vor, wenn einzelne Angaben unrichtig sind. Ob Formfehler des Eröffnungsantrages das Tatbestandsmerkmal der Unrichtigkeit erfüllen, ist umstritten, wird aber von der h.M. bejaht2. Doch müssen die Antragsmängel so schwerwiegend sein, dass sie eine insolvenzgerichtliche Entscheidung verhindern oder erheblich erschweren3. Schließlich wird die Auffassung vertreten, dass ein unzulässiger Antrag dem Rechtsgüterschutz abträglich ist, so dass seine Herbeiführung grundsätzlich strafwürdiges Unrecht darstellt4. Das komplette Fehlen eines Gläubiger- oder Schuldnerverzeichnisses führt zur Unzulässigkeit des Antrags und damit zur Strafbarkeit des Geschäftsführers nach § 15a Abs. 4/5 InsO5. Insolvenzschuldner müssen dem Verfahren zum Zwecke der Massesicherung möglichst schnell zugeführt werden6. Daraus folgt „die gerichtliche Pflicht, den Schuldner auf Zulässigkeitshindernisse hinzuweisen und ihm eine angemessene Nachbesserungsfrist zu setzen“7. Erst nach Ablauf der Frist darf der Antrag ggf. als unzulässig abgewiesen werden und frühestens dann liegt ein „nicht richtiger“ Antrag vor8. Einzelne Mängel, wie z.B. eine Unvollkommenheit des Gläubigerverzeichnisses (§ 13 Abs. 1 Satz 3 InsO) oder eine fehlende Erklärung zur Vermögensentwicklung, erfüllen dagegen nicht den strafrechtlichen Tatbestand der nicht richtigen Antragstellung. Falsche Angaben bei einem Antrag auf Schutzschirmverfahren, wie z.B. die falsche Bescheinigung gemäß § 270b Abs. 1 InsO, dass nur drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt, aber keine Zahlungsunfähigkeit und dass die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist, führen zu einer Strafbarkeit nach § 15a Abs. 4 InsO, weil der Antrag auf Schutzschirm eine Einheit mit dem Eröffnungsantrag darstellt9.

1 Der Begriff des „nicht richtigen“ Antrags ist nicht identisch mit dem des zulässigen Insolvenzantrags i.S. von § 13 InsO. So aber Schmahl, NZI 2008, 6, 9; ähnlich auch Marotzke, DB 2012, 560, 565 ff.; Rönnau, ZIP 2014, 1025 f. 2 Bittmann, NStZ 2009, 113, 116; Blöse, GmbHR 2012, 471, 473; Haas/Hossfeld in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 71; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 67; Poertzgen, ZInsO 2007, 574, 577; Weyand, ZInsO 2010, 359, 363; verneinend Müller/Rautmann, ZInsO 2012, 918, 920. 3 Kiethe/Hohmann in Münchener Kommentar zum StGB, § 15a InsO Rz. 56; Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 333. 4 So Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 56. 5 Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 57; Blöse, GmbHR 2012, 471, 473; Preuß in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 77. 6 Müller/Rautmann, ZInsO 2012, 918, 920 f.; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 56. Vgl. auch Pape, ZInsO 2011, 2154, 2166. 7 BGH v. 12.12.2002 – IX ZB 426/02, NJW 2003, 1187; BGH v. 12.7.2007 – IX ZB 82/04, ZInsO 2007, 887; Vallender, MDR 2012, 61; Wehr in Hamburger Kommentar Insolvenzrecht, § 13 InsO Rz. 30; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 56. 8 So z.B. Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 56; Haas/Hossfeld in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rz. 71; Preuß in Kübler/Prütting/Bork, § 15 InsO Rz. 77; Ransiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 41; Römermann, ZInsO 2010, 355, 356; Brete/Thomsen, KSI 2009, 66, 71. 9 Einzelheiten bei Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 58; Brandt, KTS 2014, 1, 13 ff.; Mönning in FS Kübler 2015, S. 431, 437; str. a.A. Rönnau/Wegener, ZInsO 2014, 1025, 1031.

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Strafbare Insolvenzverschleppung

11.99

c) Bei Führungslosigkeit der Gesellschaft ist nur das vorsätzliche Unterlassen ei- 11.98 nes richtigen oder rechtzeitigen Antrags durch die Gesellschafter strafbar1. Bei Gesellschaftern von Kleingesellschaften wird die Kenntnis häufig fehlen2. Eine Beweislastumkehr entsprechend § 15a Abs. 3 InsO findet strafrechtlich nicht statt3. Die bloße Nichterreichbarkeit des organschaftlichen Vertreters ist keine Führungslosigkeit,4 wohl aber ein endgültiges Abtauchen5. 6. Vorsatz und Fahrlässigkeit Strafrechtliche Sanktionen hat neben (auch bedingt) vorsätzlichen Verhalten 11.99 (§ 15a Abs. 4 InsO) auch ein bloß fahrlässiges Verhalten (§ 15a Abs. 5 InsO) zur Folge6. Der Vorsatz muss sich auf sämtliche Tatbestandsmerkmale beziehen, welche die Antragspflicht begründen. Dolus eventualis genügt7. Ein Geschäftsführer kann sich nicht darauf berufen, dass er von dem komplizierten Tatbestand der Überschuldung, der zivilakzessorisch auszulegen ist, keine Kenntnis gehabt habe8. Bei Anzeichen einer wirtschaftlichen oder finanziellen Krise der GmbH ist der Geschäftsführer verpflichtet, sich mittels eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand der Gesellschaft zu verschaffen. Verstößt er gegen diese Pflicht, sich über die wirtschaftliche Lage der GmbH zu informieren und hat er deswegen keine Kenntnis von der Überschuldung der GmbH, handelt er bezüglich der Unterlassung der Antragspflicht mit bedingtem Vorsatz9. Lässt sich nicht ausschließen, dass der Geschäftsführer mit einer relevanten Besserung der Verhältnisse gerechnet hat, so gilt dies im Zweifel zu seinen Gunsten10. Eine Zahlungsunfähigkeit i.S. des § 17 Abs. 2 InsO kann neben der üblichen betriebswirtschaftlichen Methode auch durch sog. wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen belegt werden11. Unkenntnis von der Pflicht ist ein Gebotsirrtum (Verbotsirrtum), der nach § 17 Satz 1 StGB lediglich bei Unvermeid1 Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 39; Hirte in Uhlenbruck, § 15a InsO Rz. 63; Preuß in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 68; Berger, ZInsO 2009, 1977; Poertzgen, ZInsO 2007, 574, 576 f. 2 Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 39; Mönning in Nerlich/Römermann, § 15a InsO Rz. 35. 3 Hefendehl, ZIP 2011, 601, 606 f.; Ransiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 40. 4 Brand/Brand, NZI 2010, 712, 714; Kleindiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 17; Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 19. 5 Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1160; Passarge, GmbHR 2010, 295, 297; Passarge/Brete, ZInsO 2011, 1293, 1297 ff.; a.A. Haas in Berliner Kommentar zum Insolvenzrecht, § 15a InsO Rz. 38. 6 Vgl. BGH v. 21.12.1956 – 1 StR 247/56, GA 1958, 46; BGH v. 21.8.1987 – 3 StR 178/87; wistra 1988, 69, 70; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 66. 7 Ransiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 42. 8 Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 64; Ransiek in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 39; Natale/Bader, wistra 2008, 413. 9 OLG Saarbrücken v. 24.4.2008 – 8 U 5/08, ZIP 2008, 2077 = GmbHR 2008, 1101. 10 Altmeppen in Roth/Altmeppen, vor § 64 GmbHG Rz. 104; Einzelheiten bei Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 65; Klöhn in Münchener Kommentar zur InsO, § 15a InsO Rz. 336. 11 BGH v. 21.8.2013 – 1 StR 665/12, NZI 2013, 970; Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. 2015, § 78 Rz. 39 ff. zum sog. „Bugwellenmodell“.

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11.100

11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

barkeit zur Straffreiheit führt1. Für den Geschäftsführer oder Liquidator ist ein Verschulden schon dann zu bejahen, wenn er die „Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters“ außer acht lässt. Bei fehlender Sachkenntnis hinsichtlich der Überschuldensprüfung hat der Geschäftsführer einen Sachverständigen bzw. Sanierungsexperten einzuschalten2. 7. Berufsverbot bei Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung 11.100 Die Verurteilung eines Geschäftsführers wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung führt gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3a GmbHG zu einer Amtsunfähigkeit (Inhabilität) für die Dauer von fünf Jahren ab Rechtskraft des strafgerichtlichen Urteils. Die rechtskräftige Verurteilung wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung in Form der nicht rechtzeitigen Stellung eines Insolvenzantrags oder eines unrichtigen Antrags (§ 15a Abs. 4 Alt. 3 InsO) führt in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3a GmbHG zu einem temporären Berufsverbot3. Trotz missverständlichem Gesetzeswortlaut wird allgemein angenommen, dass auch eine Verurteilung wegen verspäteter oder unrichtiger Insolvenzantragstellung den Ausschlusstatbestand des § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3a GmbHG erfüllt4. Die Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 3 GmbHG gilt entsprechend bei einer Verurteilung im Ausland wegen einer Tat, die mit den in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3a GmbHG genannten Taten vergleichbar ist (§ 6 Abs. 2 Satz 3 GmbHG). Im Zweifel hat das Registergericht ausländische Gerichtsentscheidungen zu prüfen und die Gleichwertigkeit der angewandten ausländischen Strafnormen festzustellen, was oftmals nicht ohne Rechtsgutachten möglich ist5. Bei der Feststellung der mindestens einjährigen Freiheitsstrafe kommt es auf die verhängte Gesamtstrafe an6. 1 Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 67. 2 Vgl. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199 = GmbHR 1994, 539; BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, NJW-RR 2013, 983, 985 = GmbHR 2013, 543; Wißmann in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 84 GmbHG Rz. 235; Tiedemann/Rönnau in Scholz, vor §§ 82 ff. GmbHG Rz. 71. 3 Vgl. OLG Celle v. 29.8.2013 – 9 W 109/13, NZI 2013, 852 m. Anm. Floeth, S. 853 = GmbHR 2013, 1140 m. Komm. Römermann; Gundlach/Müller, NZI 2011, 480, 481; Goette in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 6 GmbHG Rz. 33; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 GmbHG Rz. 14; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 6 GmbHG Rz. 31; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 6 GmbHG Rz. 23; Weyand, ZInsO 2007, 754; Weyand in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, 2012, Kap. 18 Rz. 8; str. a.A. Römermann, NZI 2008, 641, 648; Tebben in Michalski, § 6 GmbHG Rz. 24; krit. auch Karsten Schmidt/Herchen in Karsten Schmidt, § 15a InsO Rz. 66. 4 OLG Celle v. 29.8.2013 – 9 W 109/13, GmbHR 2013, 1140 m. Komm. Römermann; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 GmbHG Rz. 20; Gundlach/Müller, NZI 2011, 480; Goette in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 6 GmbHG Rz. 33; str. a.A. Römermann, NZI 2008, 641, 646; Schäfer in Bork/Schäfer, § 6 GmbHG Rz. 9; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, § 6 GmbHG Rz. 31; s. auch Ebner, Auswirkungen der Inhabilität von § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3a GmbHG auf die Strafbarkeit des GmbH-Geschäftsführers bei fortgesetzter Insolvenzverschleppung, wistra 2013, 86; Weyand, ZInsO 2008, 702, 703. 5 Vgl. Weyand, ZInsO 2008, 702, 703. 6 Weyand, ZInsO 2008, 702, 704. S. auch Vallender, ZGR 2006, 425, 441; Poertzgen, ZInsO 2007, 574, 576; Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. 2015, § 76 Rz. 70.

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Strafbarkeitsrisiken des Sanierungsberaters

11.103

II. Strafbarkeitsrisiken des Sanierungsberaters 1. Vorbemerkung Der hohe Anteil von Unternehmensinsolvenzen in den letzten Jahrzehnten hat 11.101 dazu geführt, dass sich Staatsanwaltschaften und Gerichte in zunehmendem Maße mit Straftaten zu befassen hatten, die sich als Teilnahme an einer Insolvenzverschleppung darstellten. Die Sanierungsberatung ist nicht nur die vielgepriesene Herausforderung für wirtschaftsberatende Berufe, sondern zugleich auch eine Gratwanderung zwischen strafloser Beratung und Beihilfe zu Insolvenzdelikten1. Die Sanierungsfähigkeitsprüfung nach § 270b Abs. 1 InsO stellt eine besondere 11.102 Herausforderung für die Beratungspraxis dar. Für den Ausschluss der Zahlungsunfähigkeit genügt ein stichtagsbezogener Finanzstatus2. Die Vorlage eines tragfähigen Sanierungskonzepts ist unverzichtbare Voraussetzung für jede nachhaltige Unternehmenssanierung, sei es gerichtlich oder außergerichtlich3. Der Berater läuft, insbesondere wenn er sich an den Sanierungsverhandlungen aktiv beteiligt, Gefahr, sich wegen Betrugs (§ 263 StGB) oder aber der Beihilfe zum Betrug schuldig zu machen, wenn er die wirtschaftliche Situation der von ihm beratenen Unternehmung falsch darstellt. Eine Anstiftung zur Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4 InsO, § 26 StGB) kommt vor allem in Betracht, wenn der Berater wegen aussichtsreicher Sanierungsbemühungen den organschaftlichen Vertreter eines insolvenzantragspflichtigen Unternehmens dazu bewegt, die gesetzliche Drei-Wochen-Frist für den Insolvenzantrag zu überschreiten. Neben dem Risiko der faktischen Geschäftsführung, besteht für den Berater besondere strafrechtliche Risiken nach dem ESUG: Falschangaben bei der Antragstellung (§ 13, 270 ff. InsO), falsche Bescheinigung (§ 270b InsO), „untaugliche“ Bescheinigung und Sachverhalt sowie Verletzung von Berichts- und Anzeigepflichten (§ 270 Abs. 2 Nr. 2, 270b Abs. 3 Satz 2 InsO). Die Grenze zur strafbaren psychischen Beihilfe wird vor allem auch überschrit- 11.103 ten, wenn der Berater trotz bestehender Insolvenzantragspflicht bei der Abwicklung der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens mitwirkt und damit hilft, die Gesellschaft weiter aufrecht zu erhalten, selbst wenn er schriftliche Warnungen und Belehrungen gibt4. Der Sanierungsberater läuft immer Gefahr, sich der Anstiftung (§ 26 StGB) oder Beihilfe (§ 27 StGB) zu Bankrottdelikten i.S. der §§ 283 ff. StGB schuldig zu machen, wenn er z.B. zur Umfirmierung, Betriebsaufspaltung, Verschmelzung, Umwandlung oder übertragenen Sanierung rät. Hinhal1 Vgl. Uhlenbruck, WPg 1978, 616 ff.; Leibner, Der Steuerberater als Krisen- und Insolvenzberater, 2004, S. 35; Leibner, ZInsO 2002, 1020 ff.; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, 2004, Rz. 563 ff.; Häcker in Müller-Guggenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. 2015, § 90 Rz. 1 ff. S. auch Sundermeier/Gruber, Die Haftung des Steuerberaters in der wirtschaftlichen Krise des Mandanten, DStR 2000, 929, 935. 2 Zipperer in Uhlenbruck, § 270b InsO Rz. 22, 23; Uhlenbruck, Die Sanierung von Krisenunternehmen als Herausforderung für die Beratungspraxis, KTS 2004, 505 ff. 3 Vgl. E. Braun, Die Prüfung von Sanierungskonzepten, WPg 1989, 683 ff.; P. J. Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaft, 2. Aufl. Köln 1988. 4 Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, 2004, Rz. 573 unter Berufung auf BGH v. 20.9. 1999 – 5 StR 729/98, NStZ 2000, 34, 36; Baumgarten, wistra 1982, 41; Leibner, ZInsO 202, 1020, 1022.

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11.104

11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

tende Äußerungen und Aufforderung gegenüber Gläubigern der Gesellschaft, verbunden mit angeblichen langfristigen Tilgungsplänen, die Einrichtung von Anderkonten und angebliche Mittelbereitstellung durch Dritte führen nicht selten zur Auszahlung der Mittel, die zuvor dem schuldnerischen Unternehmen entzogen worden sind (§ 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB), oder von Drittmitteln, die der Sanierung dienen sollen, die aber der Sanierer als Beratungshonorar beansprucht. 2. Der Sanierungsberater als Täter der Insolvenzverschleppung 11.104 Die strafbare Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4, 5 InsO ist ein Sonderdelikt, das grundsätzlich den oder die Geschäftsführer bzw. die Liquidatoren einer GmbH oder GmbH & Co. KG betrifft. Übernimmt jedoch der Berater selbst die Geschäftsführung im Krisenunternehmen oder lässt er sich zum Liquidator bestellen, so wird er formell oder faktisch Geschäftsführer und ihn treffen unmittelbar die Insolvenzantragspflichten1. Oftmals wird ein versierter Insolvenzberater als geschäftsführender Vorstand in das notleidende Unternehmen eingewechselt, vor allem, um die Voraussetzungen für eine Eigenverwaltung nach den §§ 270 ff. InsO zu schaffen2. 3. Der Berater als Teilnehmer einer Insolvenzverschleppung 11.105 a) Häufiger als eine Täterschaft kommen für den Unternehmensberater strafbare Teilnahmehandlungen an einer Insolvenzverschleppung in Form der Anstiftung (§ 26 StGB) oder der Beihilfe (§ 27 StGB) in Betracht. Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer bemerken oftmals noch vor den Geschäftsführern die Krise der GmbH oder GmbH & Co. KG. Grundsätzlich hat der Berater, vor allem, wenn er langjährig für das Unternehmen tätig ist oder als Sanierungsberater zugezogen worden ist, die Geschäftsführung oder die Liquidatoren über die Verpflichtung, unverzüglich, spätestens aber innerhalb von drei Wochen, Insolvenzantrag bei dem zuständigen Insolvenzgericht zu stellen, zu informieren3. Die Verpflichtung, den Mandanten zur Erfüllung der Insolvenzantragspflichten anzuhalten, besteht grundsätzlich nur, wenn sich eine solche Verpflichtung als vertragliche Nebenpflicht aus dem Beratungsverhältnis oder aus der Berufsordnung ergibt, wie z.B. aus §§ 2, 43 Abs. 4 Nr. 1 WPO4. In der Regel umfasst die Informationspflicht des Beraters auch den Hinweis auf die haftungs- und strafrechtlichen Folgen einer Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4, 5 InsO). Berät ein Sanierungsberater die Ge1 Vgl. Häcker in Müller-Guggenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. 2015, § 95 Rz. 10 ff.; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, 2004, Rz. 564; Weyand, ZInsO 2000, 413 f.; Baumgarten, wistra 1992, 41 ff.; Wessing, NZI 2003, 1, 4 ff. 2 S. Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 169; Sondermeier/Gruber, DStR 2000, 929, 933 ff. 3 Weitergehend Geyer in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004, § 28 Rz. 34, die eine Verpflichtung des Beraters bejahen, den Mandanten anzuhalten, die entsprechenden Pflichten zu erfüllen. Für Wirtschaftsprüfer ergebe sich dies aus §§ 2, 43 Abs. 4 Nr. 1 WPO, beim Steuerberater sei es vertragliche Nebenpflicht aus dem Beratungsverhältnis. Für Steuerberater richtet sich die Prüfung der Insolvenzantragspflicht nach § 5 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 RDG. S. auch Römermann, GmbHR 2013, 513, 518. 4 So zutr. Häcker in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. 2015, § 96 Rz. 14.

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Strafbarkeitsrisiken des Sanierungsberaters

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schäftsführung einer zahlungsunfähigen oder überschuldeten GmbH bzw. GmbH & Co. KG dahingehend, trotz des Laufs der Dreiwochenfrist zunächst einen außergerichtlichen Vergleich mit den Gläubigern zu versuchen, so kann er wegen Anstiftung zur Insolvenzverschleppung strafbar sein (§ 15a Abs. 4 InsO, § 26 StGB). In der Beratungspraxis wird oftmals übersehen, dass selbst aussichtsreiche Sanierungsbemühungen von der Insolvenzantragspflicht nicht befreien. Ein außergerichtlicher Vergleich mit den Gläubigern ist in der Regel nur dann sinnvoll, wenn die Vergleichsverhandlungen vor Eintritt der Insolvenzreife stattfinden1. Dem Berater ist zu empfehlen, die Information der Geschäftsführung zu dokumentieren. Weigern sich die Geschäftsführer, ihrer gesetzlichen Insolvenzantragspflicht nach den § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO nachzukommen, sollte der Berater das Mandat beenden. Andernfalls droht zumindest das Risiko einer Beihilfestrafbarkeit2. Für die strafbare Teilnahme des Beraters an Insolvenzverschleppungsdelikten in 11.106 Form einer Anstiftung oder Beihilfe ist zwingende Voraussetzung, dass er den antragspflichtigen GmbH-Geschäftsführer zu einer vorsätzlichen Tat anstiftet oder zu einer solchen Beihilfe leistet. Handelt der GmbH-Geschäftsführer seinerseits nur fahrlässig, so macht er sich zwar selbst nach § 15a Abs. 5 InsO strafbar. Eine Strafbarkeit des Sanierungsberaters scheidet in diesen Fällen jedoch aus, denn sowohl die Anstiftung (§ 26 StGB) als auch die Beihilfe (§ 27 StGB) sind nur strafbar, wenn die Haupttat vorsätzlich begangen wird (§ 15a Abs. 4 InsO). War der GmbHGeschäftsführer zur Begehung der konkreten Tat bereits fest entschlossen, so kommt allenfalls eine Bestrafung wegen Beihilfe in Betracht3. Als Teilnehmer an der Haupttat des Geschäftsführers macht sich der Berater in jedem Fall nur strafbar, wenn er das Unterlassen eines Insolvenzantrags seinerseits vorsätzlich unterstützt, sich also mit dem Täter solidarisiert. Eine Beihilfe zur Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4 InsO, § 27 StGB) scheidet deshalb aus, wenn der Berater oder Wirtschaftsprüfer irrtümlich eine falsche Fortführungsprognose stellt und auf Grund falscher Bewertung die Überschuldung verneint4. Verhandelt der Berater nach Eintritt der Krise mit den Gläubigern, um Stundungen oder Teilverzichte zu erreichen, so liegt dagegen die Annahme einer strafbaren Beihilfe besonders nahe5. Wer als Berater trotz bestehender Insolvenzantragspflicht an der Abwicklung der weiteren Geschäftstätigkeit eines Unternehmens mitwirkt oder eine außerge-

1 So auch Häcker in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. 2015, § 96 Rz. 18; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, 2004, Rz. 573; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 768. 2 So Leibner, Der Steuerberater als Krisen- und Insolvenzberater, 2004, S. 38, der zutreffend darauf hinweist, dass schriftliche Warnungen und Belehrungen gegenüber dem Mandanten nicht ausreichen, um die Strafbarkeit auszuschließen. 3 Hartung, Insolvenzbedrohte und insolvente Mandanten, 1990, Rz. 327, 329, der darauf hinweist, dass insoweit eine Strafbarkeitslücke besteht, als der Berater straflos bleibt, wenn er dem Mandanten das Vorliegen des Insolvenzgrundes verschweigt, so dass dieser nicht wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung bestraft werden kann. Eine Täterschaft des Beraters scheidet aus, weil die Bestrafung wegen Anstiftung und Beihilfe eine Vorsatztat des Haupttäters voraussetzt. 4 S. auch Geyer in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004, § 28 Rz. 37. 5 Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, 2004, Rz. 573; Köhler in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, Rz. 225; Leibner, ZInsO 2002, 1020, 1021; Leibner, Der Steuerberater als Krisen- und Insolvenzberater, 2004, S. 37 f.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

richtliche Liquidation betreibt, überschreitet die „Grenze zur strafbaren psychischen Beihilfe“1 und wird zum Teilnehmer an der Tat. b) Teilnahme an der Insolvenzverschleppung bei Führungslosigkeit der Gesellschaft 11.107 Nach § 15a Abs. 3 InsO ist im Fall der Führungslosigkeit der Gesellschaft (§ 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG) oder bei unbekanntem Aufenthalt der Geschäftsführer auch jeder Gesellschafter zur Stellung des Antrags verpflichtet, es sei denn, er hat von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis (Rz. 5.248). Der Berater ist grundsätzlich verpflichtet, die Gesellschafter im Falle der Führungslosigkeit der Gesellschaft rechtlich zu informieren, dass die Insolvenzantragspflicht nach den § 15a Abs. 3 InsO auf sie übergegangen ist und so lange weiter besteht, bis ein Geschäftsführer bestellt wird. Ein jahrelanges Mandat oder Berufspflichten nach §§ 2, 43 Abs. 4 Nr. 1 WPO können ebenso wie vertragliche Vereinbarungen die vertragliche Nebenpflicht begründen, die Gesellschafter zum Insolvenzantrag anzuhalten. Erkennt der Sanierungsberater die Führungslosigkeit der GmbH, so besteht nicht nur für die Gesellschafter, sondern auch für ihn Anlass zur Nachforschung, wie es um die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft bestellt ist. Strafbare Beihilfe zur Insolvenzverschleppung ist dann zu bejahen, wenn der Berater das Bemühen der Gesellschafter, der Insolvenzantragspflicht zu entgehen, vorsätzlich unterstützt. 4. Der Berater als „Firmenbestatter“ 11.108 Seit Beginn der neunziger Jahre wurde in Tageszeitungen von unseriösen Geschäftemachern angeboten, Geschäftsanteile insolvenzbedrohter Gesellschaften aufzukaufen und die Altgeschäftsführer von den Haftungsrisiken freizustellen. Inzwischen sind solche Offerten auch im Internet zu finden. Die Anbieter kaufen die Gesellschaftsanteile der notleidenden GmbH zu einem symbolischen Preis, bestellen einen Gefälligkeitsgeschäftsführer und verlegen den Gesellschaftssitz unter Änderung der Firmenbezeichnung in andere Gerichtsbezirke2. Teilweise wird auch versucht, die GmbH nach Sitzverlegung ins Ausland dort still zu liquidieren und sich auf diese Weise der Gläubiger bzw. der Verbindlichkeiten zu entledigen3. Wird den Gläubigern durch Umfirmierung und Sitzverlegung unter Liquidation noch vorhandenen Aktivvermögens Haftungsmasse entzogen, ist regelmäßig der Tatbestand eines Bankrottdelikts i.S. von § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Beiseiteschaffen von Vermögen) durch die Altgesellschafter erfüllt. Allerdings ist zu beachten, dass gemäß § 283 Abs. 6 StGB die Tat nur dann strafbar ist, wenn das Unternehmen seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen das Insol1 Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, 2004, Rz. 573. 2 Einzelheiten zu dieser Praxis bei Gerloff in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004, § 29 S. 687 ff.; Häcker in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. 2015, § 96 Rz. 19; Pananis/Börner, GmbHR 2006, 513 ff. 3 Vgl. zur Anfechtbarkeit BGH v. 22.12.2005 – IX ZR 190/02, ZIP 2006, 244 = NZI 2006, 155 = GmbHR 2006, 316 m. Komm. Blöse; OLG Karlsruhe v. 30.5.2005 – 15 AR 8/05, ZIP 2005, 1475 = GmbHR 2005, 1192; OLG Hamm v. 4.7.2002 – 27 U 187/01, ZIP 2002, 2321; AG München v. 1.4.005 – 1506 IN 356/04, ZIP 2005, 1052; zur Gehilfenhaftung des Notars s. Schröder, DNotZ 2005, 596. Eingehend auch Hey/Regel, GmbHR 2000, 115 ff.

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Strafbarkeitsrisiken des Sanierungsberaters

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venzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist. Die Zahlungseinstellung wird jedoch in den meisten Fällen ebenso zu bejahen sein wie eine Untreue des Geschäftsführers i.S. von § 266 Abs. 1 StGB. Der Geschäftsführer schafft zwar nicht sein eigenes Vermögen beiseite, jedoch wird ihm nach der sog. Interessentheorie1 über § 14 Abs. 1 StGB das Verhalten strafrechtlich zugerechnet. Zweifelhaft ist dies allerdings, wenn der Geschäftsführer sämtliche Geschäftsanteile der GmbH hält2. Der Berater, der den Geschäftsführern und Gesellschaftern einer insolvenzreifen GmbH die Veräußerung an einen Firmenbestatter empfiehlt, macht sich u.U. nicht nur der Anstiftung zur Insolvenzverschleppung des Altgeschäftsführers schuldig (§ 15a Abs. 4 InsO, § 26 StGB), sondern bei vorsätzlicher Mitwirkung auch der Beihilfe zur Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4 InsO, § 27 StGB) und der Anstiftung zur Untreue (§§ 266, 26 StGB)3. Zu beachten ist, dass die Strafbarkeit des Beraters nicht rückwirkend entfällt, wenn der Geschäftsführer nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO sein Amt niederlegt (Rz. 11.91). Insgesamt muss jedem an diesem „Entsorgungsmodell“ (GmbH-Bestattung im Ausland) Interessierten nicht erst seit dem MoMiG abgeraten werden. vacat

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1 Vgl. BGHSt 28, 371; BGHSt 30, 127, 128 = GmbHR 1982, 131; BGHSt 34, 221; Gerloff in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004, § 29 Rz. 55. 2 Vgl. hierzu Schönke/Schröder, § 283 StGB Rz. 4a, § 14 StGB Rz. 26, § 266 StGB Rz. 21a; Gerloff in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004, § 29 Rz. 57. 3 Vgl. auch Hey/Regel, GmbHR 2000, 115, 122 f.; Gerloff in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004, § 29 Rz. 54 ff., 102; Pananis/Börner, GmbHR 2006, 513, 517 ff.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

C. Haftungsrisiken für Kreditinstitute 11.121 Um die Haftungsrisiken, die sich für Kreditinstitute in der Krise oder bei der Insolvenz aus ihrer Rolle als Kreditgeber der insolventen GmbH ergeben können1, beurteilen zu können, ist danach zu differenzieren, welche Art der Kreditentscheidung auf Seiten des Kreditgebers getroffen wird. Dabei befinden sich Kreditinstitute häufig in einem Dilemma2: 11.122 Will das Kreditinstitut mit der Gewährung neuer Kredite an der Sanierung mitwirken, vor allem um die drohende Zahlungsunfähigkeit des Kreditnehmers abzuwenden und als Folge der dadurch ermöglichten Sanierung die bereits gewährten Kredite zu retten, so kann dies bei einem Scheitern der Sanierung Schadensersatzansprüche wegen Insolvenzverschleppung aus § 826 BGB nach sich ziehen. 11.123 Wird dagegen die Kündigung der bereits gewährten Kredite gewählt, um im besten Fall noch die Rückzahlung der Kredite vor dem Zusammenbruch des Kreditnehmers zu erreichen, so sieht sich das Kreditinstitut Vorwürfen der Gesellschafter, der Geschäftsführung, der Arbeitnehmer und u.U. der Öffentlichkeit ausgesetzt, der Kreditgeber habe seine „Bankenmacht“ im eigenen Interesse rücksichtslos ausgenutzt und damit Arbeitsplätze vernichtet3. 11.124 Angesichts dieser Risiken scheint häufig das sog. Stillhalten diejenige Verhaltensweise zu sein, die die geringsten Haftungsrisiken mit sich bringt, aber naturgemäß dem Kreditinstitut auch am wenigsten Möglichkeiten bietet, selbst zur Rettung seiner Kreditforderungen beizutragen. Unter dem Begriff des Stillhaltens kann der Verzicht auf die Ausübung eines Kündigungsrechts, das nicht ernsthafte Einfordern einer fälligen Forderung oder auch die Prolongation von befristeten Krediten verstanden werden (s. dazu ausführlich oben bei Rz. 2.402 ff.). Das Stillhalten wird sich insbesondere dann anbieten, wenn die Informationen für eine fundierte Beurteilung der weiteren Aussichten des Kreditnehmers noch nicht ausreichen, weil damit dem Kreditnehmer Gelegenheit gegeben wird, ein Sanierungskonzept zu erstellen, auf dessen Basis dann über eine Unterstützung der Sanierungsmaßnahmen durch Beiträge des Kreditinstituts (dazu oben bei Rz. 2.410 ff.) oder – bei fehlenden Sanierungschancen – über die Kündigung entschieden werden kann4.

I. Neue Kredite 11.125 Die Voraussetzungen, unter denen sich Kreditinstitute mit neuen Krediten an der Sanierung einer insolvenzbedrohten GmbH oder eines anderen Unternehmens beteiligen können und die damit verbundenen Haftungsrisiken sind oben (bei Rz. 2.416 ff.) ebenso ausführlich dargestellt worden wie die Möglichkeiten und Grenzen der Besicherung von Sanierungskrediten (bei Rz. 1.398 ff.). Zusammenfassend wird dem Kreditgeber hier nochmals anzuraten sein, die rechtlichen Vo1 Zu den Haftungsrisiken für Kreditinstitute auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.11 ff.; Kemper in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 4. Aufl. 2014, § 3 Rz. 1 ff.; Thole, WM 2010, 685; Theewen, BKR 2003, 141. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.21 ff. 3 So schon Rümker, KTS 1981, 494. 4 Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, II. Kap. Rz. 222 f.

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Kuder/Unverdorben

Haftungsrisiken für Kreditinstitute

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raussetzungen für die Gewährung von Sanierungskrediten genau zu beachten. Anderenfalls besteht das Risiko, sich mit der Gewährung neuer Kredite in der Krise für den Fall eines Scheiterns der Sanierung Schadensersatzansprüchen anderer Gläubiger aus § 826 BGB wegen Insolvenzverschleppung oder Gläubigergefährdung auszusetzen und u.U. vom Insolvenzverwalter mit dem Verlangen nach Rückgabe der Sicherheiten wegen Nichtigkeit nach § 138 BGB konfrontiert zu werden1.

II. Kündigung bestehender Kredite Selbstverständlich kann sich das Kreditinstitut auch dafür entscheiden, sich aus 11.126 dem Kreditengagement zurückzuziehen, wenn die kreditnehmende GmbH oder ein anderer Kreditnehmer in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Dies kann durch ordentliche und außerordentliche Kündigung geschehen. Die Voraussetzungen einer wirksamen Kreditkündigung und die Haftungsrisiken bei unberechtigter Kündigung sind oben (bei Rz. 1.449 ff.) detailliert erörtert.

III. Stillhalten Wenn auch, wie oben gezeigt, Kreditinstituten bei unmittelbar drohender Insol- 11.127 venz des Kreditnehmers in aller Regel ein Kündigungsrecht zusteht, werden Kreditinstitute von ihrem Kündigungsrecht nicht leichtfertig Gebrauch machen, auch nicht in der Krise des Kreditnehmers. Zu einer Unterstützung des Kreditnehmers durch die Weitergewährung von be- 11.128 reits eingeräumten Krediten und Kreditlinien sind Kreditinstitute auch berechtigt. In der Krise eines ihrer Kreditnehmer können sich Kreditinstitute grundsätzlich darauf beschränken, abwartend stillzuhalten. Selbst wenn das Kreditinstitut Kenntnis von der wirtschaftlich aussichtslosen Lage seines Kreditnehmers hat, begründet allein die unterlassene Kündigung eines bestehenden Kredits keine Haftung des Kreditinstituts. Vielmehr bleibt es dem Kreditinstitut zu eigener Entscheidung überlassen, ob und wann ein Not leidendes Unternehmen, dem ein Kredit gewährt wird, fallen gelassen werden soll2. Kreditinstitute sind also nicht verpflichtet, den Kredit fällig zu stellen und den Kreditnehmer dadurch zu einem Insolvenzantrag zu zwingen3. Dritte können dem Kreditinstitut bei einem solchen Stillhalten auch keine sittenwidrige Schädigung vorwerfen. Denn deren Interessen braucht das Kreditinstitut bei seinen eigenen Entschließungen über Stillhalten oder Kündigung des Kredits nicht zu berücksichtigen, und zwar selbst dann nicht, wenn das Kreditinstitut erkennt, dass dritte Gläubiger des Kreditnehmers möglicherweise zu Schaden kommen, weil sie die drohende Insolvenz ihres Ge-

1 Zum Risiko der Haftung von Kreditgebern nach § 826 BGB ausführlich Thole, WM 2010, 685; Gogger, Insolvenzgläubiger-Handbuch, 3. Aufl. 2011, § 3 Rz. 288 ff. 2 So BGH v. 29.5.2001 – VI ZR 114/00, ZIP 2001, 1412. 3 BGH v. 27.6.1963 – III ZR 166/61, WM 1963, 1094; BGH v. 14.4.1964 – VI ZR 219/62, WM 1964, 671, 673; BGH v. 9.2.1965 – VI ZR 153/63, WM 1965, 476; BGH v. 9.12.1969 – VI ZR 50/68, WM 1970, 400; Kiehte, KTS 2005, 179; Ehlers, ZInsO 2005, 169; Theewen, BKR 2003, 141; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.207 f.

Kuder und Unverdorben

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

schäftspartners nicht erkennen1. Auch die guten Sitten fordern von einem Kreditinstitut nicht, die Wahrnehmung seiner eigenen Interessen hinter die Belange anderer Gläubiger zurücktreten zu lassen2. 11.129 Insbesondere sind Kreditinstitute nicht verpflichtet, Beitreibungsmaßnahmen zu ergreifen3 oder selbst den Insolvenzantrag zu stellen. Kreditinstitute können aber dem Kreditnehmer als sachkundiger Ansprechpartner bei der Erörterung der Frage zur Verfügung stehen, zu welchem Zeitpunkt der Kreditnehmer zweckmäßigerweise den unumgänglich gewordenen Insolvenzantrag stellt. Eine Pflicht des Kreditinstituts, den Kunden auf eine möglicherweise bestehende Insolvenzantragspflicht hinzuweisen, besteht aber nicht4. 11.130 Eine andere Beurteilung der Haftungsrisiken bei bloßem Stillhalten ist auch dann nicht gerechtfertigt, wenn das Kreditinstitut aus dem Stillhalten Vorteile zieht, beispielsweise wenn der Kreditnehmer während der Zeit, in der der Kreditgeber stillhält, Sicherungsgut des Kreditinstituts z.B. durch Weiterverarbeitung aufwertet. Denn einem Kreditinstitut kann nicht zugemutet werden, eigene Interessen derart zurückzustellen, dass es zum eigenen Schaden zur Vergrößerung der Insolvenzmasse beiträgt5. 11.131 Die oben dargestellten Grundsätze gelten aber nur, wenn sich das Kreditinstitut völlig passiv verhält. Dazu zählen vor allem der Verzicht auf die Ausübung eines ordentlichen oder außerordentlichen Kündigungsrechts und der Verzicht auf die Beitreibung von Forderungen, die ohne Kündigung fällig geworden sind. Ein völliges Stillhalten in diesem Sinne ist aber auch gegeben, wenn die Inanspruchnahme eines bisher noch nicht ausgeschöpften Kreditrahmens zugelassen und damit die Zahlungsfähigkeit aufrechterhalten wird. Denn ohne eine Kündigung, zu der das Kreditinstitut nicht verpflichtet ist, bleibt der Kreditgeber auf Grund seiner Kreditzusage auch in der Krise zur Auszahlung des Kredits verpflichtet6. Von einem Stillhalten kann erst dann nicht mehr die Rede sein, wenn der Kreditgeber in die Geschäftsführung seines Kreditnehmers eingreift oder auf dessen Vertragspartner Einfluss nimmt.

IV. Eingriffe in die Geschäftsführung 11.132 Ein Kreditinstitut kann sich gegenüber dritten Gläubigern schadensersatzpflichtig machen, wenn es die Geschäftsführung des Schuldnerunternehmens zu seinem Vorteil und zu Lasten anderer Gläubiger praktisch entmachtet und sie selbst durch Vertrauensleute übernimmt oder zumindest wesentlich beeinflusst und beispielsweise jede Verfügung über Vermögenswerte an seine vorherige Zustim1 BGH v. 27.6.1963 – III ZR 166/61, WM 1963, 1094; BGH v. 9.2.1965 – VI ZR 153/63, WM 1965, 476; Uhlenbruck, Gläubigerberatung in der Insolvenz, S. 111; Rümker, KTS 1981, 493, 512. 2 BGH v. 9.12.1969 – VI ZR 50/68, WM 1970, 400; BGH v. 8.3.1982 – II ZR 60/81, WM 1982, 480; BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, WM 1983, 1406. 3 Wuschek, ForderungsPraktiker 2011, 268. 4 OLG Frankfurt v. 14.7.2010 – 23 U 184/06. 5 BGH v. 9.12.1963 – VII ZR 101/62, WM 1964, 117; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.211. 6 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.202 f.

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Kuder und Unverdorben

Haftungsrisiken für Kreditinstitute

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mung knüpft1. Zwar ist dem Schuldner eine gewisse Kontrolle der Geschäftsführung durch den Kreditgeber zuzumuten, solange ihm noch eine ausreichende wirtschaftliche Bewegungsfreiheit und die Möglichkeit bleiben, auch andere Gläubiger in angemessenem Rahmen zu befriedigen2. Das Kreditinstitut darf sich auch das Recht zur Überprüfung der geschäftlichen Unterlagen eines Kunden vorbehalten, sofern ihm bedeutende Kredite eingeräumt worden sind3. Ebenso ist es zulässig, dass ein maßgebliches Kreditinstitut die Verlängerung einer für die GmbH lebenswichtigen Kreditlinie von der Abberufung eines bestimmten Mitglieds der Geschäftsführung abhängig macht4. Letztlich kommt es auf eine Gesamtschau sämtlicher Beschränkungen und Ein- 11.133 griffe an, die ein Kreditinstitut dem Kreditnehmer auferlegt. Sittenwidrig handelt ein Kreditinstitut, das nach dieser Gesamtschau „den Schuldner zu ihrem Strohmann erniedrigt, der nur noch nach außen hin als Inhaber des Geschäfts erscheint; ihm gegenüber in Wirklichkeit nur noch die Stellung eines abhängigen Verwalters hat, und zwar so, dass der ganze Gewinn des Geschäfts dem Sicherungsnehmer zufließt, ein etwaiger Verlust von ihm nicht getragen und jede Haftung für die Geschäftsschulden auch bei fehlender Deckung von ihm abgelehnt wird“5.

V. Information von Geschäftspartnern des Kunden Ein Kreditinstitut darf weder die Öffentlichkeit noch Geschäftspartner des Kredit- 11.134 nehmers über dessen wirtschaftliche Schwierigkeiten unterrichten. Nicht nur das Bankgeheimnis verpflichtet das Kreditinstitut zur Verschwiegenheit. Auch aus dem Kreditvertrag ergibt sich eine Nebenpflicht zur Interessenwahrung und Loyalität; insbesondere mit dem Inhalt, die Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers weder durch Tatsachenbehauptungen, auch wenn sie wahr sind, noch durch Werturteile oder Meinungsäußerungen zu gefährden6. Auch wenn die Geschäftspartner seines Kreditnehmers selbst zu dem Kundenkreis des Kreditinstituts gehören, ist der Kreditgeber deshalb weder berechtigt noch verpflichtet, sie auf die Risiken des vorgesehenen Geschäfts hinzuweisen, und zwar selbst dann nicht, wenn das Kreditinstitut erkennt, dass die Geschäftspartner des Kreditnehmers sich über dessen fehlende Kreditwürdigkeit im Unklaren sind und von einem ihnen drohenden 1 Im Überblick dazu auch Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.212 ff., 5.43 ff.; Theewen, BKR 2003, 141; Ahnert, BKR 2002, 254, 255; Neuhof, NJW 1999, 20, 21 f. Beispiele aus der Rechtsprechung BGH v. 14.4.1964 – VI ZR 219/62, WM 1964, 671, 673; OLG Köln v. 10.9.1999 – 19 U 93/97, ZIP 2000, 742. 2 BGH v. 9.11.1955 – IV ZR 196/54, WM 1955, 1667; BGH v. 20.12.1957 – VI ZR 188/56, WM 1958, 250; BGH v. 11.10.1961 – VIII ZR 113/60, WM 1961, 1297, 1298. 3 BGH v. 4.3.1955 – I ZR 183/53, WM 1955, 916; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.216. 4 BGH v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, ZIP 2007, 119 = AG 2007, 125. 5 RG v. 9.4.1932 – IX 74/31, RGZ 136, 253, ausführlich dazu Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.212 ff; zu den Grenzen der Einflussnahme auf Unternehmensleitentscheidungen durch Kreditgläubiger Hoffmann, WM 2010, 10 m.w.N. 6 BGH v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03, WM 2006, 380; dazu Höpfner/Seibl, BB 2006, 673; Möllers/Beutel, NZG 2006, 338; Bitter, WM 2007, 1953; OLG München v. 14.12.2012 – 5 U 2472/09, WM 2013, 795.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

Ausfall nichts ahnen. Vielmehr ist es die Aufgabe dessen, der mit dem Not leidenden Unternehmen in Geschäftsverbindung treten will oder steht, sich aus anderen Quellen über das damit verbundene Risiko zu informieren1. 11.135 Von diesem Grundsatz der Verschwiegenheit gibt es Ausnahmen, in denen das Kreditinstitut zur Aufklärung Dritter über die schwierige wirtschaftliche Situation des Kreditnehmers verpflichtet sein kann und Schweigen Schadensersatzpflichten des Kreditinstituts gegenüber anderen Gläubigern des Kreditnehmers auslöst. Voraussetzung dafür ist aber stets, dass über den Informationsvorsprung des Kreditinstituts hinaus auf Grund besonderer Umstände ein besonderes Schutz- und Aufklärungsbedürfnis des Verhandlungspartners besteht und sich das Kreditinstitut bewusst darüber hinwegsetzt2. Dies ist in folgenden Situationen anzunehmen: 11.136 Ein Ausnahmefall, in dem eine Haftung des Kreditinstituts in Betracht kommt, liegt vor, wenn sich der Kreditgeber aktiv in die Sanierungsbemühung einschaltet, weil er Hauptgeldgeber des in der Krise befindlichen Unternehmens und daher an dessen Sanierung wirtschaftlich interessiert ist3. Wirkt in einer solchen Position das Kreditinstitut aktiv an der Werbung der insolvenzbedrohten GmbH oder eines anderen Unternehmens mit, neue Geldgeber zu finden, indem der Kreditgeber selbst potentielle Geldgeber anspricht und deren Engagement befürwortet, so haftet das Kreditinstitut, wenn die Neugläubiger einen Schaden durch den Ausfall in der Insolvenz erleiden, sofern sie nicht vollständig über die mit ihrem Engagement verbundenen Risiken aufgeklärt worden sind4. 11.137 Ein weiterer Fall, in dem ausnahmsweise Kreditinstitute in die Haftung genommen werden können, ist gegeben, wenn ein Kreditinstitut einen Vertrauensmann in das Unternehmen entsendet, der das Geschäftsgebaren des Kreditnehmers wesentlich beeinflusst und vor allem seinerseits Geschäftspartner zum Stillhalten bewegt5. 11.138 Schließlich können sich für Kreditinstitute Warn- und Hinweispflichten bei Abwicklung des Zahlungsverkehrs ergeben. Grundsätzlich werden Kreditinstitute im bargeldlosen Zahlungsverkehr zwar nur zum Zweck der technisch einwandfreien, einfachen und schnellen Abwicklung tätig und haben sich schon wegen dieses begrenzten Geschäftszwecks und der Massenhaftigkeit der Geschäftsvorgänge nicht um die Interessen ihrer Kunden zu kümmern. In Ausnahmefällen können aber Warn- und Hinweispflichten der Kreditinstitute zum Schutz ihrer Kunden vor drohenden Schäden bestehen. Eine solche Pflicht ist im Überwei1 BGH v. 27.6.1963 – III ZR 166/61, WM 1963, 1094; BGH v. 29.5.1978 – II ZR 173/77, WM 1978, 897; BGH v. 8.6.1978 – III ZR 136/76, WM 1978, 1038; BGH v. 8.3.1982 – II ZR 60/81, ZIP 1982, 545; BGH v. 14.7.1983 – III ZR 177/82, WM 1983, 1039; ausführlich Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.220; Ahnert, BKR 2002, 254, 256; Uhlenbruck, Gläubigerberatung in der Insolvenz, S. 111. 2 Ahnert, BKR 2002, 254, 256. 3 So bestätigt durch BGH v. 29.5.2001 – VI ZR 114/00, ZIP 2001, 1412. 4 BGH v. 21.9.2010 – XI ZR 232/09, NJW-RR 2011, 124; BGH v. 29.5.1978 – II ZR 173/77, WM 1978, 897; Uhlenbruck, Gläubigerberatung in der Insolvenz, S. 112 f. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.43 ff.; Uhlenbruck, Gläubigerberatung in der Insolvenz, S. 112 f.

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Kuder und Unverdorben

Haftungsrisiken für Kreditinstitute

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sungs- und Lastschriftverkehr anzunehmen, wenn dem ausführenden Kreditinstitut der ersichtlich unmittelbar bevorstehende wirtschaftliche Zusammenbruch des Zahlungsempfängers oder der Empfängerbank bekannt ist1. Dies folgt aus dem allgemeinen Grundsatz, dass Vertragsparteien sich bei der Abwicklung eines Schuldverhältnisses so verhalten müssen, dass die Rechtsgüter, auch das Vermögen, des anderen Teils nicht verletzt werden. Entsprechend ergibt sich auch aus einem Girovertrag für das jeweilige Kreditinstitut die Schutzpflicht, die Interessen seines Kunden zu wahren2. Allerdings sind die Voraussetzungen für eine Warn- und Hinweispflicht sehr hoch, um die Kreditinstitute nicht unzumutbar zu belasten. Kreditinstitute müssen weder generell prüfen, ob die Abwicklung eines Zahlungsverkehrsvorgangs Risiken für einen Beteiligten begründet, noch Kontobewegungen allgemein und ohne besondere Anhaltspunkte überwachen. Eine Warnpflicht besteht erst dann, wenn ohne nähere Prüfung schon im Rahmen der normalen Bearbeitung eines Zahlungsverkehrsvorgangs die mögliche Schädigung des Auftraggebers der Zahlung objektiv evident ist3. Dies wird man nur dann annehmen können, wenn der wirtschaftliche Zusammenbruch des Zahlungsempfängers oder der Empfängerbank bereits öffentlich bekannt ist, weil nur so im Übrigen auch der Konflikt einer Warnpflicht mit den Vertraulichkeitsverpflichtungen gegenüber dem Empfänger aufzulösen ist. Solange die drohende Insolvenz noch nicht öffentlich ist, noch Sanierungsanstrengungen unternommen werden oder im Fall eines insolvenzreifen Kreditinstituts eine Sicherungseinrichtung eines Verbands der Kreditinstitute (Einlagensicherungsfonds) Vorsorgemaßnahmen getroffen hat, scheidet eine Warnpflicht gegenüber dem Auftraggeber der Zahlung dagegen aus, weil dies im Ergebnis sämtliche Versuche einer stillen Sanierung vereiteln würde4. vacat

11.139–11.150

1 BGH v. 20.10.1960 – II ZR 141/59, WM 1960, 1321, 1322; BGH v. 9.3.1961 – II ZR 105/60, WM 1961, 510, 511; BGH v. 20.6.1963 – II ZR 185/61, WM 1963, 829, 830; BGH v. 29.5.1978 – II ZR 89/76, WM 1978, 588, 589; BGH v. 29.9.1986 – II ZR 283/85, WM 1986, 1409 f.; BGH v. 6.5.2008 – XI ZR 56/07, WM 2008, 1252, Rz. 14 ff. 2 BGH v. 6.5.2008 – XI ZR 56/07, WM 2008, 1252, Rz. 14. 3 Zu diesen engen Voraussetzungen BGH v. 6.5.2008 – XI ZR 56/07, WM 2008, 1252, Rz. 16. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.108 ff.

Kuder und Unverdorben

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11.151

11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

D. Insolvenzverursachungshaftung I. Gesellschafterhaftung? 1. Grundlagen 11.151 a) Es gibt keine allgemeine Unterkapitalisierungshaftung im geltenden GmbHRecht (oben Rz. 1.33 ff.). Auch die hier in der dritten Auflage1 noch erwogene Kapitalausstattungspflicht kraft Finanzierungsverantwortung der Gesellschafter hat in der Gerichtspraxis keine Grundlage gefunden. Ein nicht unerheblicher Teil der früher vom BGH entschiedenen angeblichen Konzernhaftungsfälle (Autokran, Video, TBB etc.), die seit den Urteilen „Bremer Vulkan“2 und „KBV“3 von der Existenzvernichtungshaftung aufgefangen wurden (Rz. 1.34, 7.148), könnte sachlich in diesen Bereich fallen. Stets zu bedenken ist aber, dass es sich dabei nicht um eine Garantie- oder Strukturhaftung auf der Basis von Unterkapitalisierung oder Konzernleitungsmacht, sondern stets nur um eine Verhaltenshaftung handeln kann. Das „KBV“-Urteil sagte noch in den amtlichen Leitsätzen: „Zugriffe der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen, welche die auf Grund dieser Zweckbindung gebotene angemessene Rücksichtnahme auf die Erhaltung der Fähigkeit der Gesellschaft zur Bedienung ihrer Verbindlichkeiten in einem ins Gewicht fallenden Maße vermissen lassen, stellen deshalb einen Missbrauch der Rechtsform der GmbH dar, der zum Verlust des Haftungsprivilegs führt, soweit nicht der der GmbH durch den Eingriff insgesamt zugefügte Nachteil bereits nach §§ 30, 31 GmbHG ausgeglichen werden kann. Bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen sind die Gesellschaftsgläubiger deshalb außerhalb des Insolvenzverfahrens grundsätzlich berechtigt, ihre Forderungen unmittelbar gegen die an den Eingriffen in das Gesellschaftsvermögen mitwirkenden Gesellschafter geltend zu machen soweit sie von der Gesellschaft keine Befriedigung erlangen können.“

11.152 Die Geltendmachung dieser Außenhaftung als vormals vieldiskutiertes Thema4 hat sich weitgehend erledigt, seitdem der BGH im „Trihotel“-Urteil von 20075 die Haftung zu einer Innenhaftung erklärt und sie hier wie auch im „Gamma“-Urteil von 20086 auf vorsätzliche sittenwidrige Schädigungen beschränkt hat (Rz. 1.34). Ob jede Gesellschafterhaftung für Insolvenzverursachung unterhalb der Ebene vorsätzlich sittenwidriger Schädigung des Gesellschaftsvermögens und der Gläubiger ausgeschlossen ist7, bleibt abzuwarten8. Noch 1993 hieß es 1 Rz. 1944 ff. 2 BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61 = ZIP 2002, 848 = GmbHR 2002, 549 m. Komm. Bender. 3 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = GmbHR 2002, 902 = ZIP 2002, 1578. 4 Vgl. nur Bork, KTS 2006, 39 ff. 5 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = DB 2007, 1802 m. Anm. Paefgen = GmbHR 2007, 927 m. Komm. Schröder. 6 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = BB 2008, 1697 m. Anm. Möller = GmbHR 2008, 8059 m. Komm. Ulrich. 7 Vgl. dazu Altmeppen, ZIP 2008, 1201; Stöber, ZIP 2013, 2295. 8 Nach Zöllner/Beurskens in Baumbach/Hueck, GmbHG, SchlAnhKonzernR Rz. 122 ist (!) die sog. Existenzvernichtungshaftung eine Insolvenzverursachungshaftung.

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Karsten Schmidt

Insolvenzverursachungshaftung

11.154

im konzernrechtlichen Urteil „EDV-Peripherie“1, erst nach einer Zurückverweisung in die Tatsacheninstanz werde „sich auch beurteilen lassen, ob der Bekl. die von ihm beherrschte GmbH mit ihrem beschränkten Haftungsvermögen etwa für ein Projekt missbraucht hat, das von vornherein mit Risiken in einer Größenordnung behaftet war, die seine Durchführung als Spekulation auf Kosten der Gläubiger erscheinen ließ (vgl. auch OLG Hamburg, BB 1973, 1231 [1232]).“ In einem seinerzeit noch gleichfalls konzernrechtlich eingeordneten Urteil von 1996 heißt es zur negativen Abgrenzung der Haftung aus § 826 BGB allerdings2: „Ein derartiges Unwerturteil scheitert daran, dass die Gesellschafter einer GmbH nicht verpflichtet sind, deren Geschäftsbetrieb im Interesse von Gesellschaftsgläubigern im bisherigen Umfang fortzuführen. Sie können die Beendigung des Geschäftsbetriebs und die Auflösung der Gesellschaft beschließen, Warenbestände veräußern, die Geschäftstätigkeit einschränken und auf vielfache andere Weise Maßnahmen treffen, durch die sich die Vollstreckungsaussichten von Gesellschaftsgläubigern vermindern. An solche Maßnahmen können sich Rechtsfolgen knüpfen (wie Liquidation, Konkursantragspflicht, Erstattungspflicht, Anfechtbarkeit), die auch dem Gläubigerschutz dienen, bei Unternehmensübertragung auf einen anderen Träger u.U. auch dessen Haftung nach § 25 Abs. 1 HGB oder § 419 Abs. 1 BGB, nicht aber – jedenfalls solange keine besondere Verwerflichkeit begründenden Umstände hinzutreten – eine Schadensersatzpflicht nach § 826 BGB.“

b) Ausnahmsweise kommt eine Direkthaftung der Gesellschafter und Geschäfts- 11.153 führer aus § 826 BGB gegenüber einzelnen Gesellschaftsgläubigern in Betracht3: Wer im Namen einer unterkapitalisierten GmbH größere Aufträge an Unternehmen vergibt, deren Organe oder Bevollmächtigte auf die Finanzkraft der Gesellschaft vertrauen, kann diesen Gläubigern, wenn er den Ausfall ihrer Forderungen in Kauf nimmt, wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung zum Ersatz ihrer Ausfälle verpflichtet sein4. Neben der Schadensersatzpflicht aus Insolvenzverschleppung und vorvertraglichem Verschulden (Rz. 11.4) ist diese Haftung aber nur von eingeschränkter Bedeutung. 2. Verschuldenshaftung aus mitgliedschaftlicher Finanzierungsverantwortung? a) Im Hinblick hierauf wurde hier in der 3. Aufl. über schadensersatzbe- 11.154 wehrte mitgliedschaftliche Pflichten der Gesellschafter gegenüber ihrer Gesellschaft diskutiert5. Durchgesetzt hat sich dieser Haftungsansatz einstweilen 1 BGH v. 13.12.1993 – II ZR 89/93, AG 1994, 171, 172 = NJW 1994, 446, 447 m. Anm. Karsten Schmidt = GmbHR 1994, 171; eingehende Besprechung bei Raiser, ZGR 1995, 156 ff. 2 BGH v. 12.2.1996 – II ZR 279/94, GmbHR 1996, 366 = DB 1996, 1028. 3 Dazu BGH v. 12.2.1996 – II ZR 279/94, GmbHR 1996, 366 = DStR 1996, 839 m. Anm. Goette = ZIP 1996, 637; Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, § 826 BGB Rz. 104; Wüst, JZ 1995, 994; Karsten Schmidt, NJW 2001, 3580; Schwab, GmbHR 2012, 1213. 4 Vgl. BGH v. 30.11.1978 – II ZR 204/76, NJW 1979, 2104; BGH v. 25.4.1988 – II ZR 175/87, NJW-RR 1988, 1181 = DB 1988, 1848; OLG Oldenburg v. 10.2.2000 – 8 U 187/99, GmbHR 2000, 720 = NZG 2000, 558 m. Anm. Emmerich; Wüst, JZ 1995, 994. 5 3. Aufl., Rz. 1945 f. m.N.; Eckholdt, Materielle Unterkapitalisierung, 2002, S. 621 ff.; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 525 f.; Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 86 ff.; Karsten Schmidt, NJW 2001, 3579 f.; Altmeppen, ZIP 2001, 1842 ff.; vgl. jetzt aber Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 13 GmbHG Rz. 118.

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11.155

11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

nicht1. Nach den Urteilen „Trihotel“ und „Gamma“ wird es zunächst dabei bleiben (Rz. 1.51). Noch weniger konnte sich der Gedanke etablieren, die Gesellschafter hafteten wie Fremdgeschäftsführer nach aus § 43 GmbHG ableitbaren Grundsätzen bzw. aus zivilrechtlichen Fremdgeschäftsführungsregeln2. 11.155 b) Auf längere Sicht verdient eine mitgliedschaftsrechtliche Verschuldenshaftung gegenüber der Gesellschaft aber doch wieder vermehrte Aufmerksamkeit3: Unternehmerisch beteiligten Gesellschaftern – auch einem Alleingesellschafter4 – obliegen im Interesse des Rechtsverkehrs korporative Schutzpflichten gegenüber ihrer Gesellschaft. Sie unterliegen zwar keiner allgemeinen Kontrollpflicht und haften nicht wie Aufsichtsräte (Rz. 11.62)5. Auch dürfen sie, ohne sich schadensersatzpflichtig zu machen, die Gesellschaft nach dem gesetzlich vorgesehenen Ritual auflösen und liquidieren (arg. § 60 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG)6, nicht aber dürfen sie die Gesellschaft zu deren und ihrer Gläubiger Schaden in den absehbaren Ruin treiben7. Auch nachdem der BGH die zuvor tendenziell überzogene Verschuldenshaftung der Gesellschafter für existenzgefährdende Eingriffe radikal reduziert hat (Rz. 1.51)8, sollte für klare Fälle der gläubigerschädigenden Existenzvernichtung durchaus eine Insolvenzverursachungshaftung der Gesellschafter anerkannt werden. Einseitige Spekulation auf Kosten der Gläubiger ist verboten und hat Haftungsfolgen9. Auf der Basis der gegenwärtigen Rechtsprechung wird die weitere Entwicklung von der Konkretisierung des Kriteriums der Existenzvernichtung und von der Schärfe der den Gesellschaftern aufzuerlegenden Finanzierungsmitverantwortung abhängen (dazu Rz. 1.35)10. Bei diesen Fragen der Gesellschafter(mit)verantwortung hat die Arbeit nach den Urteilen „Trihotel“ und „Gamma“ neu zu beginnen. Die systemfremd bei § 826 BGB angesiedelte Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft (vgl. Rz. 1.34) ist als organisationsrechtliche Verschuldenshaftung nicht vom Gesetz auf den Extremfall vorsätzlich sittenwidriger Schädigung festgelegt.

1 Vgl. nur Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 GmbHG Rz. 150 ff. m.w.N.: nur bei Hinzutreten weiterer Umstände; zu den Folgen des „Gamma“-Urteils Altmeppen, ZIP 2008, 1201 ff. 2 Eingehend Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2009, Rz. 518 ff.; Wilhelm, NJW 2003, 178 ff.; zur ablehnenden Haltung der Literatur Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 13 GmbHG Rz. 119. 3 Eingehend Eckhold, Materielle Unterkapitalisierung, 2002, S. 327 ff.;Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 394 ff.; Altmeppen, ZIP 2001, 1842 ff.; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 525 f.; Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht, S. 86 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 1988, 1497 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 1989, 546 f.; Karsten Schmidt, NJW 2001, 3579 f.; Ulmer, ZIP 2001, 2026 f. 4 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10 = GmbHR 2001, 1036; Priester, ZGR 1993, 512 ff. 5 Dazu noch ausführlicher in der 3. Aufl., Rz. 1950. 6 Vgl. BGH v. 12.2.1996 – II ZR 279/94, DB 1994, 1028 = GmbHR 1996, 366. 7 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 525 f.; Karsten Schmidt, NJW 2001, 3580. 8 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10 = GmbHR 2001, 1036 = AG 2002, 43. 9 Vgl. Bitter in Scholz, § 13 GmbHG Rz. 163 mit reichen Nachweisen. 10 Ausführlicher 3. Aufl., Rz. 1947 f.

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Insolvenzverursachungshaftung

11.157

II. Geschäftsführerhaftung 1. Missmanagement a) Eine Haftung der Geschäftsführer nach § 43 GmbHG kommt bei insolvenzaus- 11.156 lösendem Missmanagement in Betracht, und zwar wiederum nicht nur für die wirksam bestellten, sondern auch für die „faktischen Geschäftsführer“. Die meisten Geschäftsführer-Haftungsprozesse haben eigensüchtige oder grob unkaufmännische Maßnahmen zum Gegenstand – z.B. Selbstbereicherungen oder Eigenanmaßungen von Geschäftschancen1 oder der Abschluss eines nachteiligen Beratervertrages2 –, aber auch schlichtes Missmanagement kann die Haftung auslösen3, ebenso die Eingehung unvertretbarer Risiken4 sowie Fehlleitungen monetärer Mittel zum Nachteil des Gesellschaftervermögens5, wobei sich die Beweislast mehr und mehr zu Lasten der Geschäftsführung verschiebt6. Dasselbe gilt für die wechselseitige Beaufsichtigung7. Bei all dem gilt aber die GmbH-spezifische Variante der sog. business judgment rule8: Den Geschäftsführern steht im operativen wie im finanzstrategischen Bereich ein unternehmerisches Handlungsermessen zu9, das allerdings durch die Pflicht zur Vorlage wichtiger Grundentscheidungen an die Gesellschafter (Rz. 2.235, 2.253) im Vergleich zum AGVorstand erheblich eingeschränkt ist10. b) Die bloße Verletzung des § 43 GmbHG genügt nicht, um den Geschäftsführer 11.157 für den gesamten Insolvenzverursachungsschaden aufkommen zu lassen. Die Bestimmung ist auf die Haftung für die durch einzelne Geschäftsführungsakte herbeigeführten Schäden zugeschnitten. Da Unternehmenszusammenbrüche vielfach auf Managementfehler zurückgeführt werden, könnte dies zu exorbitanten Haftungsrisiken führen. Eine echte Insolvenzverursachungshaftung kommt nur

1 Vgl. nur BGH v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, GmbHR 1986, 19 = EWiR 1985, 787 (Fleck); BGH v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, GmbHR 1986, 42 = NJW 1986, 585; BGH v. 12.6. 1989 – II ZR 334/87, GmbHR 1989, 365 = NJW-RR 1989, 1255; BGH v. 26.1.1990 – II ZR 223/89, WM 1991, 281 = GmbHR 1991, 101; KG v. 11.5.2000 – 2 U 4203/99, NZG 2001, 129; KG v. 16.3.2010 – 14 U 45/09, GmbHR 2010, 869. 2 BGH v. 9.12.1996 – II ZR 240/95, WM 1997, 224 = GmbHR 1997, 163. 3 Zur Problematik vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 43 GmbHG Rz. 22 ff. 4 Vgl. die Angaben bei Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 43 GmbHG Rz. 16; die Gegenposition von Paefgen in Großkommentar zum GmbHG, § 43 GmbHG Rz. 141 dürfte sich in einem Aufruf zur Differenzierung erschöpfen. 5 BGH v. 9.12.1991 – II ZR 43/91, WM 1992, 223 = GmbHR 1992, 166. 6 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, NJW 2003, 358 = GmbHR 2003, 113 m. Komm. Lelley; eingehend Goette, ZGR 1995, 648 ff. 7 Dazu BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = NJW 1997, 125 = GmbHR 1997, 25; OLG Jena v. 12.8.2009 – 7 U 244/07, NZG 2010, 226 = GmbHR 2010, 483; BGH v. 18.12.2012 – II ZR 220/10, NZG 2013, 301 = GmbHR 2013, 265 m. Komm. Werner; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 43 GmbHG Rz. 26. 8 Vgl. für die AG BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 = NJW 1997, 1926 = AG 1997, 377. 9 Vgl. OLG Oldenburg v. 13.7.2000 – 1 U 35/00, GmbHR 2001, 76 (L); OLG Jena v. 8.8. 2000 – 8 U 1387/98, GmbHR 2001, 863 (L) = NZG 2001, 86. 10 BGH v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, NJW 2008, 3361 = JuS 2008, 1128 (Karsten Schmidt) = GmbHR 2008, 1033.

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11.158

11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

in Betracht, wenn unvertretbares Geschäftsführerhandeln unmittelbar in die Insolvenz geführt hat. 2. Verbotene Zahlungen an Gesellschafter 11.158 a) Seit 2008 (Inkrafttreten des MoMiG) enthalten die § 64 GmbHG, § 130a HGB ein die erst nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung eingreifenden Zahlungsverbote ergänzendes Verbot insolvenzauslösender Zahlungen an Gesellschafter (§ 64 Satz 3 GmbHG, § 130a Abs. 1 Satz 3 HGB). Diese Haftungsbestimmungen dehnen die bei Rz. 11.31 ff. behandelten „Zahlungsverbote“ des § 64 GmbHG bzw. § 130a HGB und ihre Sanktionen aus auf „Zahlungen an Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der in Satz 2 bezeichneten Sorgfalt nicht erkennbar.“ Diese neuen Zahlungsverbote sind als Regelungen über die „Insolvenzverursachungshaftung“ bezeichnet worden1. Allerdings zielt die Haftung nicht auf den Ersatz des aus einer Insolvenzverursachung resultierenden Schadens. Sie ist nicht zuletzt als Ersatz für die durch das MoMiG beseitigten Rechtsprechungsregeln über Gesellschafterdarlehen zu verstehen2, die allerdings bald mehr und mehr in Vergessenheit geraten werden. Deshalb zur Erinnerung: Die dem MoMiG vorausgegangenen „Rechtsprechungsregeln“ führten in der Krise der Gesellschaft dazu, dass „eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen“ analog § 30 GmbHG im Gesellschaftsvermögen gebunden waren und dass eine etwaige Rückzahlung in der Krise den Gesellschafter analog § 31 GmbHG zur Wiedereinzahlung in das Gesellschaftsvermögen (die Insolvenzmasse) verpflichtete. Diese Gesellschafterhaftung gibt es seit dem MoMiG nicht mehr (§ 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG; zur Anfechtung gemäß § 135 Abs. 1 InsO vgl. aber Rz. 2.127 ff.). Dafür muss nun der Geschäftsführer (!) diese Beträge erstatten, wenn ihre Rückzahlung zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen musste. 11.159 Konzeptionell gleichen diese Zahlungsverbote auf den ersten Blick den in § 64 Satz 1 GmbHG, § 130a Abs. 1 Satz 1 HGB ausgesprochenen Verboten3. Von einer bloßen Vorverlagerung dieser Verbote ist die Rede4. Das überzeugt nicht. Während nämlich die Zahlungsverbote der Sätze 1 im rechtspolitischen Umfeld des Verschleppungsverbots angesiedelt sind (Rz. 11.37, 11.55), liegen die Zahlungsverbote der Sätze 3 eher im Umfeld des § 30 GmbHG5, denn die Bestimmung soll Liquiditätsabflüsse im Interesse präventiven Gläubigerschutzes verhindern. Anders als bei den Sätzen 1 kann man deshalb von echten Zahlungsverboten sprechen. Auch dass die Sanktion – wie bei den anderen Zahlungsverboten auch –

1 Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 2011, S. 304 ff.; Casper in Großkommentar zum GmbHG, 1. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 103; Greulich/Brunnemann, NZG 2006, 681, 684; Greulich/Rau, NZG 2008, 284 ff.; Knof, DStR 2007, 1536 ff., 1580 ff.; Susanne Meyer, BB 2008, 1742, 1745; s. auch Karsten Schmidt, GmbHR 2007, 1072, 1074. 2 Vgl. Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 42, 46. 3 Vgl. Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 64 GmbHG Rz. 67. 4 Vgl. Kleindiek in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 893, 904; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 64 GmbHG Rz. 22. 5 Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 79.

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Insolvenzverursachungshaftung

11.162

statt der Empfänger die Handelnden trifft, ist bei insolvenzverursachenden Zahlungen rechtspolitisch jedenfalls vertretbar1. b) Verboten sind insolvenzverursachende Zahlungen an Gesellschafter. Ein Klein- 11.160 beteiligungsprivileg gibt es nicht2. Ob gesellschafterähnliche Dritte gleichgestellt sind, stellt das Gesetz nicht klar. Man wird die Anwendung aber bejahen müssen, soweit die Stellung des Dritten der des Gesellschafters bei einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entspricht (vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO)3. Erfasst werden dieselben Dritten, die auch auf der Basis des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO (§ 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG a.F.) einem Gesellschafter entsprechen (dazu Rz. 2.99 ff.). Die von einem Gesellschafter für seine Rechnung veranlasste Zahlung an einen Dritten reicht gleichfalls aus4. c) Zahlungen können auch zahlungsgleiche Leistungen sein (Aufrechnungen, 11.161 Verrechnungsverträge, Leistungen an Erfüllungs Statt usw.)5. Erfasst sind Leistungen, die die Liquidität der Gesellschaft beeinträchtigen6. Im Gegensatz zu § 30 GmbHG geht es nicht nur um offene oder verdeckte Ausschüttungen, sondern (zumindest auch) um die Zahlung geschuldeten Geldes an die Gesellschafter. Um eine Zuwendung causa societatis muss es sich nicht handeln7. Auch gibt es nicht, wie bei § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG, einen Ausnahmetatbestand für Kreditrückzahlungen: Diese waren, im Gegenteil, geradezu im Fadenkreuz der Neuregelung8. Noch ungeklärt ist die Frage, ob sich aus § 135 Abs. 3 InsO ein Privileg für die Zahlung von Nutzungsentgelten ergibt (zu § 135 Abs. 3 InsO vgl. Rz. 2.156 ff.)9. Die bloße Begründung von Verbindlichkeiten steht dagegen auch hier nicht gleich (vgl. sinngemäß Rz. 11.54)10. Eine sich liquide im Gesellschaftsvermögen niederschlagende Leistung kann gegengerechnet werden11, nicht dagegen die bloße Befreiung der Gesellschaft von einer Verbindlichkeit. d) Erfasst sind Zahlungen, die zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen 11.162 mussten. Dazu gehört zunächst, dass diese Zahlungen objektiv auch zur Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 InsO) geführt haben. Der Eintritt und die Verursachung einer bloßen Überschuldung genügt nicht12. Nicht erforderlich ist, dass das Insolvenzverfahren nach § 17 Abs. 2 InsO auch eröffnet worden ist. Der Eintritt der Insolvenzlage genügt. Hinzu kommen muss ein spezifischer Zusammenhang mit der Zahlung. Dieser wird im Fall der Inanspruchnahme zwar ex post festgestellt, jedoch in Form einer Prognose. Entscheidend sind Ursächlichkeit und 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Eingehend Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 85. Casper in Großkommentar zum GmbHG, 1. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 106. Undeutlich Casper in Großkommentar zum GmbHG, 1. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 106. Dazu Casper in Großkommentar zum GmbHG, 1. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 106. Knof, DStR 2007, 1536, 1537 f. Greulich/Rau, NZG 2008, 284, 287. So Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 91; Spliedt, ZIP 2009, 149, 159 f.; a.M. z.B. Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 64 GmbHG Rz. 72, 78; Arnold in Henssler/ Strohn, § 64 GmbHG Rz. 50. Vgl. Begr. RegE MoMiG BT-Drucks. 16/6140, S. 46 f. Vgl. Karsten Schmidt, NJW 2015, 1057, 1060; befürwortend Karsten Schmidt in FS Wellensiek, 2011, S. 551, 558 f. Arnold in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rz. 68. Arnold in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rz. 54. A.M. Casper in Großkommentar zum GmbHG, 1. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 107.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

Unausweichlichkeit. Ursächlichkeit liegt vor, wenn die Zahlung, sei es auch neben anderen Ursachen, die Zahlungsunfähigkeit herbeigeführt oder verschärft hat. Monokausalität im Wortsinn ist nicht erforderlich1. Adäquate Verursachung gibt den Ausschlag2, aber hinzukommen muss eine sachliche und zeitliche Nähe zum Eintritt der materiellen Insolvenz3. Unausweichlichkeit bedeutet, dass die Ursächlichkeit ex ante erkennbar und überwiegend wahrscheinlich war4. 11.163 e) Ein Verschulden im Sinne der Vorhersehbarkeit (Erkennbarkeit) ist erforderlich5. Diese wird jedoch nach dem klaren Gesetzwortlaut („es sei denn“) vermutet, so dass sich der leitende Geschäftsführer im Streitfall entlasten muss6. 11.164 f) Das strikte Zahlungsverbot geht mit einem Leistungsverweigerungsrecht einher7. In diesem in der anfänglichen Diskussion mehrfach verkannten Verbot, nicht in einer erheblichen Haftungsrechtsprechung, liegt sogar der Hauptakzent der noch wenig praktizierten Regelungen: Sie hindern die Geschäftsführer an liquiditätsschädlichen Auszahlungen (vgl. auch Rz. 11.158). Das Verbot ist stärker als eine Weisung der Gesellschafter. Der Geschäftsführer darf einer solchen Weisung also nicht folgen. Ein entsprechender Gesellschafterbeschluss wäre nichtig, der Gesellschafter zur Rückzahlung verpflichtet. Da die Geschäftsführerhaftung nach § 64 Satz 3 GmbHG, § 130a Abs 1 Satz 3 HGB keine Schadensersatzhaftung ist, sondern auf Zahlungsersatz geht, kann der Geschäftsführer zu seiner Entlastung nicht auf eine Primärhaftung des Empfängers verweisen. Er haftet selbst primär.

III. Haftung für fehlerhafte Beratung 1. Allgemeine Berufshaftung der freiberuflichen Rechtsberater, Unternehmensberater, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater 11.165 Beratungsfehler im Vorfeld der Insolvenz sind haftungsrelevant (Rz. 1.271 ff., 1.288). Neben die spezifische Berufshaftung von Freiberuflern8 tritt die allgemeine Haftung für Schlechterfüllung der mit dem Mandat verbundenen Verträge. Maßgeblich sind die sich im Einzelfall aus dem Mandat ergebenden Pflichten. Nach der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des BGH ergibt sich aus einem Steuerberatungs- oder Bilanzierungsmandat ohne erweiternden Auftrag keine insolvenzrechtliche Prüfungs- und Warnpflicht (vgl. demgegenüber §§ 252 Abs. 1

1 2 3 4 5 6 7

Greulich/Rau, NZG 2008, 284, 288. Casper in Großkommentar zum GmbHG, 1. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 108 f. Vgl. Greulich/Rau, NZG 2008, 284, 288: „Weichenstellung ins Aus“. Vgl. Knof, DStR 2007, 1536, 1540 f., 1580 ff. Greulich/Rau, NZG 2008, 284, 288. Casper in Großkommentar zum GmbHG, 1. Aufl., § 64 GmbHG Rz. 111. BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = GmbHR 2013, 31 = NJW 2012, 2391; Arnold in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rz. 65; H.-Fr. Müller in Münchener Kommentar zum GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 174; Karsten Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG Rz. 106; a.M. OLG München v. 22.12.2010 – 7 U 4960/07, ZIP 2011, 225, 226 = GmbHR 2011, 195 m. Komm. Blöse; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 64 GmbHG Rz. 72 ff. 8 Dazu grundlegend Hirte, Berufshaftung, 1996, S. 11 ff.

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Insolvenzverursachungshaftung

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Satz 2, 264 Abs. 2 HGB)1. Im Einzelfall kann aber der Auftrag – auch stillschweigend – in diesem Sinne ausgedehnt werden2. Gesellschafter können, wenn sie vom Insolvenzverwalter auf Neueinzahlung unwirksam erbrachter Einlagen verklagt werden, in vielen Fällen ihren Beratern mit Erfolgsaussicht den Streit verkünden (§ 72 ZPO). Zur notariellen Beratungspflicht hat der BGH entschieden3: „Der Notar, dem bei der Beurkundung eines Kapitalerhöhungsbeschlusses erklärt wird, die neuen Einlagen seien bereits voll ‚einbezahlt‘, muss sich darüber vergewissern, dass die Beteiligten die Bedeutung dieses Begriffs im Zusammenhang mit der Übernahme einer Bareinlageverpflichtung kennen, notfalls muss er sie darüber aufklären.“ Auch Steuerberater sind schon wegen schuldhafter Schädigung der Gesellschaft durch Entzug gebundenen Kapitals in Anspruch genommen worden, wobei sich die Frage stellt, ob die Haftung der Zahlungsempfänger Vorrang hat4: Ein Steuerberater S einer GmbH hatte, ohne deren Überschuldung zu erkennen, zur Zahlung einer überhöhten Abfindung an einen ausscheidenden Gesellschafter geraten. Als sich die wahre Vermögenslage der Gesellschaft herausstellte, nahm diese den S auf Schadensersatz in Anspruch. S verwies die Gesellschaft auf ihre Ansprüche gegen den Zahlungsempfänger. In der Tat hatte der BGH zuvor für die Kapitalaufbringung entschieden, dass die Schadensersatzhaftung eines Gründungsprüfers für mangelnde Kapitalaufbringung so lange nicht in Betracht komme, wie ein realisierbarer Deckungsanspruch gegen den betreffenden Gesellschafter bestehe5. Der IVa-Senat des BGH meinte dann aber im Steuerberater-Fall, bei Verstößen gegen die Kapitalerhaltungsregeln sei die Lage anders, weil hier nicht nur der ursprüngliche Einlageanspruch gefährdet, sondern das Gesellschaftsvermögen nachträglich verkürzt worden sei. Der Berater hafte primär. 2. Haftung gegenüber Gesellschaftern und Gläubigern Bemerkenswerterweise hat der BGH seit 1995 mehrfach eine Sachverständigen- 11.166 haftung für Vermögensschäden nicht nur gegenüber dem Vertragspartner, sondern auch gegenüber leistungsnahen Drittgeschädigten bejaht6. Er hat in weiteren Entscheidungen an diesem viel diskutierten Ansatz festgehalten7. Im Anschluss an diese Rechtsprechung hat der BGH im Jahr 2012 entschieden8: „Der Gesellschafter und der Geschäftsführer können in den Schutzbereich eines zwischen einer 1 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZIP 2013, 829, 830 = GmbHR 2013, 543; Kayser, ZIP 2014, 597, 601; a.M. Schwarz, NZI 2012, 869, 870 f.; NZI 2008, 652, 654; Zugehör, WM 2013, 1965, 1968. 2 Eingehend Kayser, ZIP 2014, 597, 602 f. 3 BGH v. 16.11.1995 – IX ZR 14/95, AG 1996, 175 = GmbHR 1996, 217. 4 BGH v. 17.2.1982 – IVa ZR 284/80, VersR 1982, 580; dazu Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1146. 5 BGH v. 27.2.1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52, 62 f. = DB 1978, 778, 780. 6 BGH v. 10.11.1994 – III ZR 50/94, BGHZ 127, 378 = NJW 1995, 392; dazu Canaris, JZ 1995, 441 ff. 7 BGH v. 13.11.1997 – X ZR 144/94, NJW 1998, 1059 (dazu Canaris, JZ 1998, 603 ff.); BGH v. 14.11.2000 – X ZR 203/98, DStR 2001, 2090; BGH v. 17.9.2000 – X ZR 237/01, NJW 2002, 3625; BGH v. 13.10.2011 – IX ZR 145/11, ZIP 2011, 2475; eingehend Kayser, 2014, 597 ff. 8 BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 = ZIP 2012, 1335 = GmbHR 2012, 1009; dazu eingehend Kayser, ZIP 2014, 597 ff.

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11. Teil: Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

GmbH und einem Steuerberater geschlossenen Vertrags einbezogen sein, welcher die Prüfung einer möglichen Insolvenzreife der GmbH zum Gegenstand hat.“ In diesem Fall hatte die Gesellschaft den Steuerberater mit der Solvenzprüfung beauftragt. Die Prüfung hatte sich als unrichtig erwiesen, und die geschäftsführende Alleingesellschafterin war in der nachfolgenden Insolvenz erfolgreich wegen verbotener Zahlungen (§ 64 Satz 1 GmbHG) in Anspruch genommen worden. Das Revisionsurteil des BGH hob ein die Klage abweisendes OLG-Urteil auf. 11.167 Im Einzelnen kommt es auf eine doppelte Voraussetzung an: erstens auf den Umfang der vertraglichen Prüfungspflicht (dazu Rz. 11.165) und zweitens auf den Kreis derer, die in den Schutzbereich des Vertrags einbezogen sind. Der Schutzkreis kann sich über die an der Gesellschaft selbst beteiligten Gesellschafter und/ oder Geschäftsführer beispielsweise auch auf die Hausbank ausdehnen, wenn die Vorlage des Prüfungsergebnisses bei dieser absehbar war1. Eine allgemeine Haftung der Krisenberater und Krisenmanager gegenüber potentiell geschädigten Dritten – z.B. beliebigen Gläubigern – für sämtliche Vermögensschäden schon bei einfacher Fahrlässigkeit lässt sich aus dieser Rechtsprechung allerdings nicht ableiten. Das wäre gegenüber dem vorherigen Stand eine gravierende Verschärfung (über die Teilnehmerhaftung bei Insolvenzverschleppungsfällen vgl. schon oben Rz. 11.60 f.). 3. Insolvenzverschleppungshaftung 11.168 Wendet man die Rechtssprechungsgrundsätze auf die Insolvenzverschleppung (Rz. 11.1) an, so stehen die Berater in Fällen der Fehlberatung eines Geschäftsführers in der Krise deshalb unter einem erheblichen Haftungsrisiko (Rz. 1.281 ff.). Die Rechtsprechung ist indes gerade im Zusammenhang mit der Unternehmenskrise zur Zurückhaltung in der Annahme berufsrechtlicher Prüfungs- und Warnpflichten (Rz. 11.165 ff.) aufgerufen, soll nicht das Insolvenzrisiko von den Gesellschaftern und Geschäftsführern auf die Berater abgewälzt werden. Die Haftung wegen Fehlberatung kann vollends entfallen, jedenfalls nach § 254 BGB reduziert werden, wenn die Unternehmensleitung die Insolvenzreife und die Antragspflicht kennt2. Eine regelrechte Haftung von Beratern für Schäden der Gesellschaft wegen schuldhafter Insolvenzverursachung wird auf Fälle krasser Pflichtverletzungen beschränkt bleiben müssen.

1 BGH v. 20.6.2013 – IX ZR 61/10; angeführt bei Kayser, ZIP 2014, 597. 2 Eingehend Kayser, ZIP 2014, 597, 604.

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12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen A. Einleitung Durch die vielfachen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den Rechtssub- 12.1 jekten innerhalb und außerhalb der Europäischen Union kommt es immer häufiger zu grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren. Die Geschäftstätigkeit von Unternehmen greift mehr und mehr über die einzelstaatlichen Grenzen hinaus. Dies führt dazu, dass das Vermögen von Unternehmen und Personen sich nicht auf den Verwaltungs- oder Wohnsitz beschränkt, sondern über verschiedene Staaten verteilt ist. Damit untersteht es voneinander unabhängigen Rechtsordnungen1. Für die Attraktivität eines Handelsplatzes ist ein funktionierendes Insolvenzrecht eine zentrale Voraussetzung. Es gewährleistet eine optimale Befriedigung sämtlicher Gläubiger, schafft die Voraussetzungen für die Durchsetzbarkeit von Sicherungsrechten und baut Barrieren auf, die Vermögensverschiebungen verhindern sollen. Auf internationaler Ebene ist ein funktionierendes Insolvenzrecht die Voraussetzung dafür, dass multinationale Unternehmen und Unternehmensgruppen bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes rasch und kostengünstig grenzüberschreitend entschuldet und saniert werden können2.

1 Stephan in Heidelberger Kommentar zur InsO, Vor §§ 335 ff. InsO Rz. 1. 2 Walther in DACH (Hrsg.), Grenzüberschreitendes Insolvenzrecht, 2004, S. 59.

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12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

B. Gesetzliche Grundlagen zur Koordinierung von internationalen Insolvenzen 12.2 Das Internationale Insolvenzrecht war bis zum Inkrafttreten der §§ 335 ff. InsO und der EuInsVO lückenhaft in Art. 102 EGInsO a.F. geregelt. Die Vorschrift enthielt jedoch keine Kollisionsregelungen für Inlandsverfahren mit grenzüberschreitenden Bezügen1. Bis zum 31.5.2002 gab es auch keinen rechtlichen Rahmen zur Koordinierung von internationalen Insolvenzen im Bereich der Europäischen Union. Mit dem Inkrafttreten der Europäischen Insolvenzverordnung2 hat sich diese Situation grundlegend gewandelt. Innerhalb ihres sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereichs ersetzt die EuInsVO andere zwischen den Mitgliedstaaten geschlossene Übereinkünfte3. Sie ist als Sekundärrechtsakt gemäß Art. 288 Abs. 2 Satz 2 AEUV in all ihren Teilen verbindlich und entfaltet in jedem Mitgliedstaat unmittelbare Geltung4. Im Verhältnis zu Drittstaaten findet die Verordnung indes keine Anwendung (Ziffer 14 der Erwägungsgründe zur Verordnung). Vielmehr gelten insoweit die am 20.3.2003 in Kraft getretenen Vorschriften der §§ 335 bis 358 InsO des autonomen deutschen Internationalen Insolvenzrechts.

I. Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) 12.3 Die EuInsVO enthält eine umfassende Normierung des Internationalen Insolvenzrechts. Sie gilt ausschließlich im Verhältnis zu Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme Dänemarks und erfasst entsprechend ihrer Zielsetzung allein grenzüberschreitende Insolvenzverfahren innerhalb des Binnenmarktes5. Innerhalb der Europäischen Union hat sie Vorrang vor dem deutschen Internationalen Insolvenzrecht. Die Anwendung ihrer Vorschriften setzt voraus, dass das beantragte bzw. eröffnete Insolvenzverfahren in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechtsakts fällt6. Dafür bedarf es des Vorliegens des zeitlichen (Art. 43 EuInsVO), persönlichen (Art. 1 Abs. 2 EuInsVO), sachlichen (Art. 1 Abs. 1 EuInsVO) und räumlichen Anwendungsbereichs (Art. 3 EuInsVO). Darüber hinaus muss ein besonderes innergemeinschaftliches – im Sinne eines zwischenmitgliedstaatlichen – grenzüberschreitendes Moment (Auslandsbezug) vorliegen. Davon ist z.B. auszugehen, wenn die GmbH Vermögen in anderen Mitgliedstaaten besitzt7 oder Rechtsverhältnisse mit Auslandsbezug abgeschlossen wurden. Mithin ist der (räumliche) Anwendungsbereich der EuInsVO auf die Fälle 1 Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., Kapitel 10 Rz. 143. 2 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 (ABl. EG Nr. L 160 v. 30.6.2000, S. 1, in Kraft getreten am 31.5.2002). 3 Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 536. 4 Allerdings kann jeder Mitgliedstaat für das nationale Recht gewisse Anpassungen vornehmen. Deutschland hat in Art. 102 EGInsO §§ 1–11 (Gesetz vom 14.2.2003, BGBl. I 2003, 345) die Anpassung des nationalen Rechts an die sich aus der EuInsVO ergebenden Fragen vorgenommen. 5 Vgl. Erwägungsgründe 1 bis 5. 6 Duursma-Kepplinger, NZI 2003, 87. 7 Davon geht offensichtlich auch der deutsche Gesetzgeber aus, vgl. Art. 102 EGInsO § 2.

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zu beschränken, in denen der Mittelpunkt der hauptsächlichen Schuldnerinteressen in einem Mitgliedstaat liegt und ein Bezug zu mindestens einem weiteren Mitgliedstaat gegeben ist1. Ein rein nationales Verfahren, bei dem die Auswirkungen der Insolvenz auf das Gebiet eines Mitgliedstaats beschränkt sind2, unterliegt dagegen nicht ihrem Anwendungsbereich. Die EuInsVO erfasst neben den eigentlichen Insolvenz- auch die meisten der im 12.4 Binnenmarkt bekannten Sanierungs- sowie Reorganisationsverfahren. Aus Art. 2 lit. a und c EuInsVO in Verbindung mit den Anhängen A und B folgt dabei, welche mitgliedstaatlichen Verfahren in concreto dem Gemeinschaftsrechtsakt zuzuordnen sind3. Die Verordnung findet nach Art. 43 Satz 1, Art. 47 EuInsVO nur auf Insolvenzverfahren Anwendung, die nach dem Inkrafttreten am 31.5.2002 eröffnet worden sind.

II. Die reformierte EuInsVO vom 20.5.2015 Um eine dynamische Entwicklung der EuInsVO zu ermöglichen, sieht Art. 46 12.5 EuInsVO die Vorlage eines Berichts durch die Europäische Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Wirtschafts- und Sozialausschuss bis zum 1.6.2012 vor4. Dieser Bericht dient der Evaluierung der Anwendung der Verordnung und kann Vorschläge zu deren Änderung enthalten5. Dementsprechend hatte die Kommission am 29.3.2012 die Öffentlichkeit aufgefordert, Vorschläge zur Reform der EuInsVO zu unterbreiten. Die Auswertung der eingegangenen Antworten und Ergebnisse mündete schließlich in dem am 12.12.2012 veröffentlichten Vorschlag für eine Änderung der EuInsVO6. In seiner legislative Entschließung hat das Europäische Parlament am 5.2.2014 zu 12.6 dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfah1 Carstens, Die Internationale Zuständigkeit im europäischen Insolvenzrecht, 2004, S. 35; ähnlich U. Huber in FS Gerhardt, 2004, S. 397, 403, der die Auffassung vertritt, die Verordnung finde Anwendung, wenn in einem Mitgliedstaat der Union ein Insolvenzverfahren anhängig ist und der Fall in irgendeiner Weise Auslandsberührung zu einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union aufweist. Einschränkend Balz, ZIP 1996, 948; P. Huber, EuZW 2002, 490, 491; Ehricke/Ries, JuS 2003, 313; Paulus, ZIP 2003, 1725, 1726 ff., die unter Berufung auf Erwägungsgrund 14 der EuInsVO („Diese Verordnung gilt nur für Verfahren, bei denen der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners in der Gemeinschaft liegt.“) fordern, dass der Schuldner in einem Mitgliedstaat den „Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat“. Diese Ansicht verkennt, dass die Verordnung auch dann zur Anwendung gelangt, wenn ein Gericht eines Mitgliedstaats zu Unrecht angenommen hat, der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen liege in diesem Mitgliedstaat (s. den Nachweis bei U. Huber in FS Gerhardt, 2004, S. 403, 404). 2 P. Huber, ZZP 114 (2001), 133, 136. 3 Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 541. 4 Riedemann in Pannen, Art. 46 EuInsVO Rz. 1. 5 Riedemann in Pannen, Art. 46 EuInsVO Rz. 1. 6 Näher dazu Prager/Keller, NZI 2013, 57; Paulus, BB 2013, Heft 4, I.

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ren1 Stellung genommen und einige Änderungsvorschläge zu dem Entwurf der Kommission unterbreitet. Das Parlament wollte mit seinen Änderungen u.a. für eine ausreichende Kontrolle durch die Gerichte Sorge tragen und kurzfristige Verschiebungen des Sitzes des Schuldners zur Erschleichung eines andren Gerichtsstandes vermeiden. Auch die Regelungen im Zusammenhang aber gerade auch der Vermeidung von Sekundärinsolvenzen sollten ergänzt werden. 12.7 Mit ihren Empfehlungen vom 12.3.2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen2 wollte die Europäische Kommission gewährleisten, dass in finanziellen Schwierigkeiten befindliche wirtschaftlich bestandsfähige Unternehmen ungeachtet ihres Niederlassungsortes in der Union Zugang zu nationalen Insolvenzrahmen haben, die ihnen ermöglichen, frühzeitig eine Restrukturierung vorzunehmen, um eine Insolvenz zu verhindern und dadurch für Gläubiger, Beschäftigte, Anteilseigner und die Wirtschaft insgesamt ein Höchstmaß an Wert sicherzustellen. Darüber hinaus sollte mit der Empfehlung redlichen Unternehmern, die von einer Insolvenz betroffen sind, eine zweite Chance in der Union geboten werden. Da mehrere Mitgliedstaaten derzeit ihre nationalen Insolvenzvorschriften mit Blick auf eine Verbesserung des Rahmens für Unternehmenssanierungen und die zweite Chance für Unternehmer überprüften, sei es angezeigt, die Kohärenz dieser und künftiger Initiativen auf nationaler Ebene zu fördern, um das Funktionieren des Binnenmarkts zu stärken. 12.8 Am 20.5.2015 hat das Europäische Parlament die Neufassung der EuInsVO (VO Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 2000) beschlossen. Am 5.6.2015 wurde die reformierte EuInsVO im Amtsblatt der Europäischen Union (L 149, S. 19) veröffentlicht und gilt gemäß Art. 92 Satz 2 EuInsVO n.F. ab dem 26.6.2017 verbindlich für alle Mitgliedstaaten der Union mit Ausnahme Dänemarks3. Diese sieht tiefgreifende Änderungen der Verordnung für grenzüberschreitende Restrukturierungen und Insolvenzverfahren in Europa vor. Sie bezieht ausdrücklich vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren ein. Zwingende Voraussetzung für eine Einbeziehung in die Verordnung ist, dass die Verfahren in Anhang A aufgeführt sind (Art. 1 Abs. 1 Satz 3 EuInsVO n.F.). Ferner nehmen die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit und zum COMI (Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen) die bisherige Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 EuInsVO auf. Zur Vermeidung von missbräuchlichem Forum Shopping gilt die Vermutung des COMI am Sitz einer Gesellschaft oder juristischen Person nicht, wenn innerhalb von drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag eine grenzüberschreitende Sitzverlegung stattgefunden hatte. Hat eine natürliche Person, die keine selbständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt, ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Zeitraum von sechs Monaten vor dem Eröffnungsantrag in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, wird vermutet, dass die Veränderung des maßgebenden Anknüpfungskriteriums lediglich in der Absicht erfolgt ist, sich ein günstigeres Forum zu erschleichen. 12.9 Neu ist die Regelung des Art. 4 EuInsVO. Danach ist das angerufene Insolvenzgericht verpflichtet, die internationale Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen. In 1 COM (2012) 0744 – C7-0413/2012 - 2012/0360 (COD). 2 COM (2014) 1500 final. 3 Näher zum Ganzen Vallender, ZIP 2015, 1513.

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der Entscheidung zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat das Gericht die Gründe anzugeben, auf denen seine Zuständigkeit beruht. Das deutsche Recht enthält bereits seit 2003 eine vergleichbare Regelung in Art. 102 § 2 EGInsO1. Wie umfangreich die Ermittlungspflicht zu sein hat, lässt das Gesetz offen. Nach Erwägungsgrund 32 sollte indes das Gericht in allen Fällen, in denen die Umstände des Falls Anlass zu Zweifeln an seiner Zuständigkeit geben, den Schuldner auffordern, zusätzliche Nachweise für seine Behauptung vorzulegen. Das Gericht ist auch befugt, einen Sachverständigen mit den erforderlichen Ermittlungen zu beauftragen (vgl. § 5 InsO). Der neu eingefügte Art. 5 EuInsVO räumt dem Schuldner und jedem Gläubiger 12.10 die Befugnis ein, die Eröffnungsentscheidung aus Gründen der internationalen Zuständigkeit anzufechten. Dies führt zu einer Erweiterung der Beschwerdeberechtigten nach deutschem Recht, weil § 34 Abs. 2 InsO lediglich für den Schuldner die Beschwerbefugnis gegen die Eröffnungsentscheidung vorsieht. Der neue Art. 6 EuInsVO sieht ferner die weitreichende internationale Zustän- 12.11 digkeit für Annexklagen vor, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen, wie z.B. Anfechtungsklagen. Erwägungsgrund Nr. 35 nennt als weiteres Beispiel für eine Annexkompetenz Klagen auf Verpflichtungen, die sich erst im Lauf des Insolvenzverfahrens ergeben, wie beispielsweise der Vorschuss von Verfahrenskosten. Als negatives Beispiel, das eindeutig nicht unter die Norm zu subsumieren ist, werden Klagen wegen der Erfüllung von Verpflichtungen aus einem Vertrag genannt, der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossen wurde. Zu dieser Gruppe zählen auch eindeutig die Klagen, die der Insolvenzverwalter zur Durchsetzung von Forderungen der Masse gegenüber Drittschuldnern erhebt2. In ihrem Vorschlag zur Änderung der EuInsVO vom 12.12.2012 hatte die Europäi- 12.12 sche Kommission Probleme bei der Bewältigung von Sekundärinsolvenzverfahren festgestellt. Dieses Verfahren könne die effiziente Verwaltung der Schuldenmasse behindern. So habe der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens bei Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens nicht länger die Kontrolle über das in einem anderen Mitgliedstaat belegene Vermögen. Dies erschwere den Verkauf eines noch aktiven Unternehmens (going concvern). Da Sekundärinsolvenzverfahren zwingend Liquidationsverfahren seien, werde eine erfolgreiche Restrukturierung des insolventen Unternehmens erschwert. Vor diesem Hintergrund sieht die Neufassung vor, dass ein Sekundärinsolvenzverfahren nicht mehr zwingend ein Liquidationsverfahren sein muss. Zur Vermeidung eines Sekundärinsolvenzverfahrens kann der Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens zudem gegenüber lokalen Gläubigern die Zusicherung abgeben, dass ihre lokalen Rechte gewahrt bleiben (Art. 36 EuInsVO n.F.). Nach Art. 38 Abs. 2 EuInsVO n.F. hat das angerufene Gericht von der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens abzusehen, wenn es davon überzeugt ist, dass die Zusicherung die allgemeinen Interessen der lokalen Gläubiger angemessen schützt. Im Sekundärinsolvenzverfahren gelten zudem künftig weitreichende Kooperationspflichten zwischen Gerichten und Verwal1 Eingeführt durch das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts (BGBl. I 2003, 345). 2 Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1.

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tern (Art. 41 ff. EuInsVO n.F.). Neu ist dabei die in Art. 42 EuInsVO n.F. geregelte Zusammenarbeit und Kommunikation der Gerichte. 12.13 Daneben sieht die EuInsVO-Neufassung die Einrichtung eines europaweit vernetzten Insolvenzregisters (Art. 24 ff. EuInsVO n.F.) und eine standardisierte Forderungsanmeldung (Art. 55 EuInsVO n.F.) vor. Damit trägt der Verordnungsgeber dem Umstand Rechnung, dass die Leistungsfähigkeit grenzüberschreitender Insolvenzverfahren zu einem guten Teil davon abhängt, dass die Entscheidungen in solchen Verfahren veröffentlich werden. Seit dem 7.7.2014 ist das Europäische Insolvenzregister über das Europäische Justizportal mit den Insolvenzregistern im Rahmen des Pilotprojekts von sieben Unionsmitgliedstaaten verbunden (mit Deutschland, Estland, die Niederlande, Österreich, Rumänien, Slowenien und Tschechien). Dadurch wird eine mehrsprachige Suchanfrage in allen vernetzten Registern ermöglicht. Die nationalen Insolvenzregister werden in den Unionsmitgliedstaaten indes weiterhin von diesen nach ihrem innerstaatlichen Recht betreut und geführt. 12.14 Völlig neu ist das Kapitel zur Konzerninsolvenz mit Vorschriften zur grenzüberschreitenden Kooperation von Insolvenzgerichten und Insolvenzverwaltern verschiedener insolventer Gruppengesellschaften (Art. 56 ff. EuInsVO n.F.) und zum neuen Koordinationsverfahren (Art. 61 ff. EuInsVO n.F.). Ebenso wenig wie die Insolvenzordnung erfasst die EuInsVO ausdrücklich die Insolvenz von Konzernen. Trotz des Schweigens der EuInsVO zu Konzernsachverhalten1 ist die Insolvenz von europaweit tätigen Konzernen Realität, mit der sich die Geschäftsführer oder Vorstände der insolventen Gesellschaften, Gläubiger, Berater, Gerichte und Verwalter auseinanderzusetzen haben2. Für die Eröffnung oder Verbindung von Insolvenzverfahren gegen einen Unternehmensträger, der einem Konzern angehört, gilt nach derzeitiger Rechtslage die allgemeine Regelung, dass für jeden betroffenen Schuldner mit eigener Rechtspersönlichkeit die Zuständigkeit nach der EuInsVO zu prüfen ist3. Zu einem einheitlichen Konzerngerichtsstand am Sitz der Muttergesellschaft gelangt man nur dann, wenn alle Tochtergesellschaften dort den Mittelpunkt ihrer hauptsachlichen Interessen (im Folgenden abgekürzt mit „COMI“, von centre of main interests) haben4. Die Praxis hat angesichts der Regelungsabstinenz der EuInsVO5 in der Vergangenheit Modelle entwickelt, die bei grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen zur bestmöglichen Befriedigung der Konzerngläubiger führen können6. Dazu zählen unter anderem der Einsatz 1 Wimmer (jurisPR-InsR 13/2012 Anm. 1) weist darauf hin, dass das Problem der Insolvenz von Unternehmensgruppen bewusst ausgeklammert wurde, weil ansonsten die Gefahr bestanden hätte, dass das gesamte Projekt EuInsVO an dem Versuch gescheitert wäre, für die Abwicklung von Konzerninsolvenzen angemessene Regelungen zu schaffen. Siehe Erläuternder Bericht Virgos-Schmidt Nr. 76. 2 Ausführlich zur Behandlung von Konzerninsolvenzen unter Geltung der EuInsVO: Deyda, Der Konzern im europäischen internationalen Insolvenzrecht, Diss. 2008. 3 Riedemann in Pannen, Europäische Insolvenzordnung, 2007, Art. 1 Rz. 134. 4 Kindler in Kindler/Nachmann, Handbuch Insolvenzrecht in Europa, § 2 Rz. 43. 5 Vallender, ZInsO 2015, 57. 6 Vallar, The insolvency of members of a group of companies in the proposal for amendment of the European Insolvency Regulation, S. 89 f. in The Grand Project: Reform of the European Insolvency Regulation, 2014.; Reinhart, NZI 2012, 304, 311 weist ebenfalls zutreffend darauf hin, dass die zumeist mit Fragen der Praktikabilität begründete

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vertragsrechtlicher Instrumentarien wie protocols oder Insolvenzverwaltungsverträge. Die Vorschriften des neuen Kapitel V sehen weder eine Konsolidierung der Haf- 12.15 tungsmassen noch eine Verfahrenskonsolidierung vor. Der Schwerpunkt der Regelungen liegt vielmehr auf einer Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Insolvenzverwaltern, den Gerichten und zwischen den Insolvenzverwaltern und Gerichten. Bereits unter der allgemeinen Kooperationspflicht müssen Verwalter (und Gerichte) zusammenarbeiten, Informationen austauschen und sich gegenseitig anhören. Sie können ggf. einen einheitlichen Sanierungsplan abstimmen und die Aussetzung von Verwertungsmaßnahmen beantragen. Die Kooperationspflicht gilt allerdings nur, soweit dies mit den lokalen Verfahrensvorschriften vereinbar ist und keine Interessenkonflikte bestehen (Art. 56 Abs. 1 EuInsVO n.F.). Um diese Zusammenarbeit zu erleichtern, sind die für diese Unterstützungsmaßnahmen anfallenden Kosten von der Masse des Verfahrens zu tragen, bei dem das Ersuchen eingeht (Art. 59 EuInsVO n.F.). Die Verordnung sieht in Art. 61 ff. EuInsVO n.F. zur weiteren Verbesserung der 12.16 Koordinierung der Insolvenzverfahren über das Vermögen von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe und zur Ermöglichung einer koordinierten Sanierung der Gruppe ein Koordinationsverfahren vor. Dieses Verfahren gibt einen formalen Rahmen für die Kooperation, indem ein betroffenes Insolvenzgericht zum Koordinationsgericht ernannt und ein Gruppenkoordinator bestellt wird. Als Koordinator kann nur eine Person eingesetzt werden, die nach dem jeweiligen nationalen Recht die Eignung hat, als Insolvenzverwalter tätig zu sein. Die wichtigste Eigenschaft des Koordinators ist jedoch seine Unabhängigkeit, und zwar hinsichtlich aller Mitglieder der Gruppe, ihrer Gläubiger und der übrigen bestellten Verwalter (Art. 71 EuInsVO n.F.). Das Gericht kann den Koordinator von Amts wegen oder auf Antrag eines Verwalters entlassen, wenn er Gläubiger eines beteiligten Gruppenmitglieds schädigt oder er seine Pflichten verletzt (Art. 75 EuInsVO n.F.). Wird ein Verfahren über ein Gruppenmitglied in Eigenverwaltung abgewickelt, so gelten die Vorschriften über den Koordinator auch für den Schuldner in Eigenverwaltung (Art. 76 EuInsVO n.F.). Der Gruppenkoordinator gibt Empfehlungen ab und schlägt einen Gruppenkoordinationsplan vor (Art. 72 EuInsVO n.F.), welche die Verwalter der beteiligten Gesellschaften berücksichtigen, aber nicht befolgen müssen. Folgen die Verwalter dem Koordinator und dem Plan nicht, haben sie den lokalen Verfahrensbeteiligten und dem Koordinator die Gründe hierfür darzulegen (Art. 70 EuInsVO n.F.).

Steuerung der Konzerninsolvenz über einen einzigen Insolvenzverwalter bereits heute auf der Grundlage der EuInsVO umgesetzt werden kann, solange die nationalen Rechtsordnungen über hinreichende Flexibilität verfügen. Dagegen begegnet Verhoeven, Die Konzerninsolvenz, 2011, S. 158 der derzeitigen Praxis besonders kritisch. Er attestiert den Beteiligten „einen Einfallsreichtum im Erfinden von Umgehungstaktiken“, konzediert aber gleichzeitig, dass angesichts des Vorgehens englischer Gerichte bei der Behandlung von Konzerninsolvenzen „faktisch“ ein europäisches Konzerninsolvenzrecht existiert.

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12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

III. Art. 102 §§ 1 bis 11 EGInsO 12.17 Auch wenn die Europäische Insolvenzverordnung allgemein und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt und keiner besonderen Umsetzung bedarf (Art. 288 AEUV1), bleibt es den einzelnen Mitgliedstaaten unbenommen, für das nationale Recht gewisse Anpassungen vorzunehmen, um dadurch die Effizienz des Verfahrens zu steigern2. Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts vom 14.3.20033 Gebrauch gemacht, mit dem u.a. Art. 102 EGInsO neu gefasst wurde. Bei der Vorschrift handelt es sich um eine Ausführungsvorschrift zur EuInsVO. Sie findet nur bei internationalen Insolvenzverfahren im Geltungsbereich der EuInsVO Anwendung. Gegenüber den Regelungen in Art. 102 §§ 1 bis 11 EGInsO hat die EuInsVO Vorrang4. 12.18 Die Ausführungsvorschrift (Art. 102 EGInsO5) sieht insbesondere Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit (§ 1) und der Verfahrensweise bei Kompetenzkonflikten vor (§§ 2 bis 4). In den §§ 5 bis 7 finden sich Umsetzungsregelungen für die sich aus Art. 21 und 22 EuInsVO ergebenden Bekanntmachungs- und Eintragungspflichten6. § 8 enthält Regelungen zur Vollstreckung aus der Eröffnungsentscheidung. § 9 (Insolvenzplan) setzt die Vorschrift des Art. 34 Abs. 2 EuInsVO i.S. des § 355 Abs. 2 InsO um. § 10 (Aussetzung der Verwertung) bezweckt den Schutz absonderungsberechtigter Gläubiger bei einer Aussetzung der Verwertung in einem inländischen Sekundärinsolvenzverfahren7. § 11 regelt die Unterrichtung der ausländischen Gläubiger über die Verfahrenseröffnung und ihre Wirkungen.

IV. Autonomes deutsches Internationales Insolvenzrecht 12.19 Die im Elften Teil der Insolvenzordnung verankerten Regelungen der §§ 335 ff. InsO haben mit ihrem Inkrafttreten am 20.3.2003 auf Grund des „Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts“8 die fragmentarische Regelung des Internationalen Insolvenzrechts in Art. 102 EGInsO a.F. abgelöst und enthalten eine umfassende Kodifikation des deutschen Internationalen Insolvenzrechts. Sie schaffen Rechtsklarheit im Rechtsverkehr zu Drittstaaten, die nicht unter den Anwendungsbereich der EuInsVO fallen9. 12.20 Fraglich erscheint, ob die Regelungen der §§ 335 ff. InsO ohne weiteres zur Schließung von Lücken, die der Verordnungsgeber der EuInsVO gelassen hat, herangezogen werden können. Bei einer bewussten Regelungslücke ist ein Rückgriff auf das 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Union (Vertrag von Lissabon), in Kraft getreten 1.12. 2009, konsolidierte Fassung bekanntgemacht im ABl. EG Nr. C 115 v. 9.5.2008, S. 47. 2 Kindler in Münchener Kommentar zum BGB, IntInsR Rz. 867. 3 BGBl. I 2003, 345. 4 Pannen/Riedemann, NZI 2004, 301. 5 Zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013, BGBl. I 2013, 2379. 6 Stephan in Heidelberger Kommentar zur InsO, Art. 102 EGInsO Vorbem. 7 Näher dazu Vallender in FS Kreft, 2004, S. 565 ff. 8 BGBl. I 2003, 345. 9 Hierzu zählen neben Dänemark auch Norwegen und Island.

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autonome deutsche Internationale Insolvenzrecht möglich1. Dies gilt indes nicht ohne weiteres für planwidrige Lücken. Soweit sie sich aus dem Zusammenhang der Normen der EuInsVO erschließen lassen, ist das autonome nationale Recht nicht heranzuziehen2. Ebenso wie die EuInsVO geht auch das autonome internationale Insolvenzrecht 12.21 vom Grundsatz der eingeschränkten Universalität aus3. Danach unterliegen die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens – d.h. sowohl eines Inlandsverfahrens wie auch eines Auslandsverfahrens – grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem das Verfahren eröffnet wurde (§ 335 InsO). Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH in Deutschland erfasst das weltweite Vermögen der Gesellschaft. Der vom Insolvenzgericht eingesetzte Verwalter hat die Befugnis, weltweit tätig zu werden, um das in anderen Ländern befindliche Vermögen des Schuldners zu verwerten. Dies setzt indes voraus, dass die ausländische Rechtsordnung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH in Deutschland anerkennt (näher dazu Rz. 12.72 ff.).

V. Staatsverträge Mit Einführung der EuInsVO sind die in Art. 44 Abs. 1 der Verordnung aufgezähl- 12.22 ten zweiseitigen Staatsverträge am 31.5.2002 außer Kraft getreten (Art. 44, 47 EuInsVO)4. Dies gilt namentlich für den zwischen Deutschland und Österreich abgeschlossenen Vertrag vom 25.5.19795 auf dem Gebiet des Konkurs- und Vergleichs- (Ausgleichs-)Rechts sowie für den Deutsch-Niederländischen Vollstreckungsvertrag vom 30.8.19626. Dagegen sind für den außergemeinschaftlichen Raum weiterhin zwei insolvenzrechtliche Abkommen zu beachten, die die Krone Württemberg und das Königreich Bayern mit der Mehrzahl der Schweizer Kantone abgeschlossen haben: „Die Übereinkunft des Vorortes der Schweiz. Eidgenossenschaft mit der Krone Württembergs betreffend die Konkursverhältnisse und Gleichbehandlung der beiderseitigen Staatsangehörigen in Konkursfällen vom 13.5.1826“7 und die „Übereinkunft der königlich-bayerischen Staatsregierung mit mehreren Schweizer Kantonen, die gleichen Konkurs- und Klassifikationsrechte bei Insolvenz-, Erklärungs- und Konkursfällen der gegenseitigen Staatsangehörigkeiten betreffend vom 11.5.1834“8. vacat

12.23–12.30

1 Wenner in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, § 20 Rz. 13 führt als Beispiel das in Art. 32 Abs. 3 EuInsVO genannte Mitwirkungsrecht des Insolvenzverwalters durch § 341 Abs. 3 InsO an. 2 Stephan in Heidelberger Kommentar zur InsO, vor §§ 335 ff. InsO Rz. 20; Wenner in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, § 20 Rz. 13; Kemper in Kübler/Prütting/Bork, Vor §§ 334–358 InsO Rz. 14; Reinhart in Münchener Kommentar zur InsO, Art. 102 EGInsO Rz. 6; s. auch Pannen/Riedemann, NZI 2004, 301. 3 Liersch, NZI 2003, 302, 303. 4 Kindler in Münchener Kommentar zum BGB, InterInsR, Rz. 23. 5 BGBl. II 1985, 420. 6 BGBl. II 1965, 27. 7 S. dazu Urteil des schweizerischen Bundesgerichts v. 15.6.2005 – BGE 7B.31/2005, ZInsO 2007, 608. 8 Vgl. den Text zum Übereinkommen in ZIP 1983, 143.

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C. Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH in Deutschland mit Auslandsbezug I. Insolvenzverfahren mit Bezug zu mindestens einem weiteren Mitgliedstaat der Europäischen Union 12.31 Weist das in Deutschland über das Vermögen der GmbH beantragte Insolvenzverfahren einen Bezug zu mindestens einem weiteren Mitgliedstaat der Europäischen Union auf, finden die Vorschriften der EuInsVO vom 29.5.2000, die am 26.6.2017 durch eine Neufassung ersetzt wird1, Anwendung. Im Verhältnis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union untereinander bestimmt sich die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung von Insolvenzverfahren ausschließlich nach Art. 3 EuInsVO. Dabei ist zwischen Haupt-, Sekundär- und Partikularinsolvenzverfahren zu unterscheiden (Art. 3 EuInsVO). 12.32 Das Hauptinsolvenzverfahren kann nur in dem Mitgliedstaat eröffnet werden, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO wird „bei Gesellschaften und juristischen Personen bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist“2. 12.33 Die Durchführung eines Sekundärinsolvenzverfahrens hat die Eröffnung eines Hauptverfahrens zur Voraussetzung. Das Sekundärinsolvenzverfahren selbst kann nur als Liquidationsverfahren durchgeführt werden (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO)3. Nach Art. 2 lit. c EuInsVO ist ein „Liquidationsverfahren“ ein Insolvenzverfahren …, das zur Liquidation des Schuldnervermögens führt, und zwar auch dann, wenn dieses Verfahren durch einen Vergleich oder eine andere die Insolvenz des Schuldners beendende Maßnahme oder wegen unzureichender Masse beendet wird. Diese Verfahren sind in Anhang B aufgeführt. Bezogen auf Deutschland sind dies das Konkursverfahren, das Gesamtvollstreckungsverfahren und das Insolvenzverfahren. 12.34 Ein Partikularverfahren hingegen ist gemäß Art. 3 Abs. 4 EuInsVO nur vor der Eröffnung des Hauptverfahrens am Ort der Niederlassung des Schuldners (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO) zulässig4. Außerdem kann das Verfahren nur in folgenden Fällen durchgeführt werden: 1 Näher dazu Ausführungen oben Rz. 12.5 ff. Im Folgenden wird die bis zum 26.6.2017 gültige Fassung der EuInsVO behandelt, aber überall dort, wo erforderlich, werden Hinweise auf die neue Fassung gegeben. 2 Diese können sich aus dem Vorbringen des Schuldners oder eines sonstigen Beteiligten, den Medien oder sonstigen aktenkundigen Umständen ergeben (Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzverordnung, Kommentar, 2002, Art. 3 EuInsVO Rz. 25). 3 Paulus (NZI 2001, 505, 514) spricht sich mit guten Gründen dafür aus, unbeschadet des klaren Wortlauts das „muss“ in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO in ein „soll“ oder „kann“ umzuinterpretieren. Die reformierte EuInsVO sieht eine wesentliche Änderung zum geltenden Recht vor. Sekundärinsolvenzverfahren sollen künftig nicht länger Liquidationsverfahren sein müssen. Vielmehr soll das Insolvenzgericht, bei dem die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens beantragt wird, gemäß Art. 29a Abs. 3 in der Lage sein, jedes in dem Niederlassungsstaat zulässige Verfahren zu eröffnen. 4 Näher dazu EuGH v. 17.11.2011 – C-112/10, ZIP 2011, 2415 m. Anm. Mankowski, NZI 2012, 103.

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12.36

– Nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates ist die Durchführung eines Hauptverfahrens nicht zulässig. (Beispiel: Der Schuldner ist kein Kaufmann, nach dem Recht des Mitgliedstaates kann daher über sein Vermögen kein Insolvenzverfahren durchgeführt werden.) (Art. 3 Abs. 4 lit. a EuInsVO1). – Die Eröffnung des Partikularinsolvenzverfahrens wird von einem Gläubiger beantragt, der seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in dem Mitgliedstaat hat, in dem sich die betreffende Niederlassung befindet (Art. 3 Abs. 4 lit. b 1. Alt. EuInsVO). – Die Eröffnung des Partikularinsolvenzverfahrens wird von einem Gläubiger beantragt, dessen Forderung auf einer sich aus dem Betrieb dieser Niederlassung ergebenden Verbindlichkeit beruht (Art. 3 Abs. 4 lit. b 2. Alt. EuInsVO). 1. Hauptverfahren (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO) Art. 3 EuInsVO regelt die internationale Zuständigkeit für die in Art. 1 Abs. 1 12.35 EuInsVO genannten insolvenzrechtlichen Gesamtverfahren für alle Mitgliedstaaten der EU (mit Ausnahme Dänemarks)2. Nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet die GmbH den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen hat. Bei der Prüfung einer Zuständigkeit nach der EuInsVO ist umstritten, inwieweit das Gericht verpflichtet ist, stets den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen zu ermitteln. Bei Gesellschaften und juristischen Personen, für die Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO eine Vermutungsregel aufstellt, wird davon ausgegangen, dass Satz 2 dann eingreift, wenn nach einer von Amts wegen eingeleiteten Ermittlung des COMI ein solcher nicht festzustellen ist, d.h. das Gericht aufgrund der Ermittlungen diesen nicht sicher bestimmen kann und daher auf die Zweifelsregel zurückgreifen muss3. Damit die Prüfpflicht nicht zum fast gänzlichen Verlust der praktischen Bedeutung des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO führt, sind die Insolvenzgerichte nur dann zur Amtsermittlung verpflichtet, wenn Anhaltspunkte für ein Auseinanderfallen von im Gesellschaftsvertrag bestimmtem und tatsächlichem Verwaltungssitz vorliegen. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO „hierarchisiert“4 insoweit parallel eröffnete Insolvenzver- 12.36 fahren, als die Vorschrift ein einziges Verfahren in den Rang eines Hauptinsolvenzverfahrens erhebt, während die anderen Verfahren den Rang eines nachgeordneten Verfahrens erhalten.

1 Der Ausdruck „die Bedingungen, die … vorgesehen sind“ ist dahin auszulegen, dass er sich nicht auf die Voraussetzungen bezieht, nach denen bestimmte Personen aus dem Kreis derjenigen ausgeschlossen sind, die befugt sind, die Eröffnung eines solchen Verfahrens zu beantragen (EuGH v. 17.11.2011 – C-112/10, ZIP 2011, 2415, vgl. Rz. 21, 23–24, 26). 2 Smid, Deutsches und Europäisches Internationales Insolvenzrecht, 2004, Art. 3 EuInsVO Rz. 3. 3 AG Köln v. 19.1.2012 – 74 IN 108/10, NZI 2012, 379; Pannen, Art. 3 EuInsVO Rz. 33 m.w.N. 4 Paulus, Art. 3 EuInsVO Rz. 11.

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12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

a) Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 12.37 Die Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners („COMI = center of main interests“)1 nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist für alle Verfahrensbeteiligten von erheblicher Bedeutung. Dies wird vor allem deutlich, wenn man sich die Rechtsfolgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens im Gegensatz zu denen eines Sekundär- bzw. Partikularinsolvenzverfahrens vor Augen führt. So entfaltet ein Hauptinsolvenzverfahren in den anderen Mitgliedstaaten die Wirkungen, die ihm nach dem Recht des Eröffnungsstaates zukommen (Art. 17 Abs. 1 EuInsVO). In das Verfahren wird das gesamte Vermögen der GmbH im Eröffnungsstaat sowie in allen anderen europäischen Mitgliedstaaten einbezogen. Dagegen hat das Sekundärinsolvenzverfahren keine universale Wirkung, sondern beschränkt sich gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 EuInsVO auf das Vermögen des Schuldners, das in dem jeweiligen Mitgliedstaat belegen ist. 12.38 In einem Hauptinsolvenzverfahren hat der Insolvenzverwalter weit reichende Kompetenzen. So darf er in den anderen Mitgliedstaaten alle Befugnisse ausüben, die ihm sein Heimatrecht verleiht (Art. 18 Abs. 1 EuInsVO). Er kann die Aussetzung der Verwertung in einem Sekundärinsolvenzverfahren beantragen (Art. 33 EuInsVO) und Vorschläge für verfahrensbeendende Maßnahmen im Sekundärinsolvenzverfahren unterbreiten (Art. 34 Abs. 1 EuInsVO). Bereits diese Wirkungen und Kompetenzen zeigen auf, dass vor allem Konzerne ein besonderes Interesse daran haben, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihrer Tochter, einer selbstständigen juristischen Person, nicht am satzungsmäßigen Sitz der Tochter sondern am Sitz der Mutter zu erreichen. 12.39 Die am 26.6.2017 in Kraft tretende Neufassung der EuInsVO sieht einen Konzerninsolvenzgerichtsstand nicht vor. Dabei wäre es auch auf europäischer Ebene denkbar, das Koordinierungsproblem durch Schaffung eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes weitgehend zu entschärfen2. Letztlich ist die Entscheidung nachvollziehbar. Denn ein Vorschlag, bei dem sich der Interessenmittelpunkt am Gesamtunternehmen auszurichten hätte, ließe die berechtigten Interessen der Gläubiger weitgehend außer Acht, weil für sie der Interessenmittelpunkt ihres jeweiligen Vertragspartners nicht ohne weiteres erkennbar wäre. Die Gläubiger müssten im Falle einer Konzerninsolvenz die Gruppenstruktur ausloten. Kleingläubiger dürften dazu kaum in der Lage sein3. Knüpfte man dagegen an den Sitz der Muttergesellschaft an, hätte dies zur Konsequenz, dass bei einer solventen Mutter, aber insolventen Töchtern eine fremde Rechtsordnung auf das Verfahren einer Konzerngesellschaft Anwendung fände, obwohl diese evtl. als einziges Gruppenmitglied einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt hätte. Letztlich wäre die Einführung eines Gruppengerichtsstandes nicht zielführend, weil am COMI der jeweiligen Tochtergesellschaften weiterhin Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden könnten. Dort sind die 1 S. dazu Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646; Freitag/Leible, RIW 2006, 641; Mankowski, BB 2006, 1753; Armour, The Cambridge Law Journal 2006, 505; Decleercq, Nederlands tijdschrift voor Europees recht, 2006, 188; Dammann, Recueil Le Dalloz 2006, 1752. 2 Asimacopoulos, IILR 2011, 248, 251. 3 Vallender, ZInsO 2015, 57, 61.

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Voraussetzungen für eine Niederlassung nach Art. 3 Abs.2 EuInsVO ohne weiteres gegeben1. aa) Erwägungsgrund 13 Ausgehend von der in Erwägungsgrund 13 der Verordnung enthaltenen Vorgabe 12.40 für die Bestimmung des COMI haben rein interne Regelungen außer Betracht zu bleiben. Vielmehr ist auf äußere Kriterien abzustellen, die den Verwaltungsort für Dritte feststellbar machen2. Deshalb reichen Organisationsstrukturen, Betriebsabläufe, strategische Vorgaben, die Finanzierung durch die Muttergesellschaft, Buchhaltung, Berichtspflichten und Genehmigungserfordernisse nicht aus, um die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO, derzufolge bei Gesellschaften an den Satzungssitz anzuknüpfen ist, zu widerlegen. Sie betreffen lediglich das Innenverhältnis zwischen dem Firmensitz der Schuldnerin und der in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Managementzentrale3. Für potenzielle Gläubiger sind sie typischerweise nicht ersichtlich. bb) Operative Leitung des Schuldnerunternehmens Da nach Erwägungsgrund 13 maßgeblich darauf abzustellen ist, wo der Schuldner 12.41 für die Gläubiger erkennbar gewöhnlich der „Verwaltung“ seiner Interessen nachgeht, kommt es nicht darauf an, wo sich die meisten Gläubiger aufhalten. Vielmehr wird ein Unternehmen dort verwaltet, wo es geleitet wird4. Dies muss für Gläubiger erkennbar sein, so dass es nicht auf die strategische Führung ankommt, sondern auf die operative Leitung des Schuldnerunternehmens5. Diese erfordert organisatorische Strukturen wie Büros, Personal, EDV und Kommunikationseinrichtungen. Meist befindet sich dort auch der Ort des Geschäftskontos der Schuldnerin, von dem aus der Zahlungsverkehr mit den Gläubigern erfolgt. In diesem Zusammenhang kann auch die Bereitstellung von Kreditsicherheiten durch Dritte für Gläubiger des Schuldners von Bedeutung sein. Diesen Anforderungen ist das AG Mönchengladbach in seinem Beschluss vom 27.4.20046 in besonderer Weise gerecht geworden, weil es wegen der Anknüpfung des COMI an den Ort des operativen Geschäfts auf Kriterien des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin Bezug genommen hat, die auch für außen stehende Dritte – Gläubiger des Schuldners – erkennbar waren7. Dabei ist nicht auf die konkrete Erkennbarkeit abzustellen. Vielmehr reicht es aus, dass der Ort für Gläubiger erkennbar wäre, wenn sie sich 1 Reinhart, NZI 2012, 304, 311. 2 Die Neufassung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO sieht ausdrücklich vor, dass der Verwaltungsort für Dritte feststellbar ist. 3 Dagegen entspricht es vor allem der englischen Auslegungsart, auf die „head office functions“ bzw. die Belegenheit des „mind of management“ abzustellen. 4 Konecny, ZIK 2005, 1, 4. 5 So mit Recht Konecny, ZIK 2005, 1, 5; Wimmer, ZInsO 2005, 122 m.w.N.; ähnlich Kübler in FS Gerhardt, 2004, S. 554; a.A. Tribunal de Commerce de Nanterre v. 15.2.2006 – PLC 2006J00174, EWIR Art. 3 EuInsVO, 4/06, S. 207 (Penzlin). 6 NZI 2004, 382 m. Anm. Lautenbach = ZIP 2004, 1064; dazu auch Bähr/Riedemann, ZIP 2004, 1066. 7 Kübler in FS Gerhardt, 2004, S. 527, 549.

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12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

darüber informieren wollten. Kübler1 weist in diesem Zusammenhang mit Recht darauf hin, dass bei anderer Betrachtungsweise der Insolvenzrichter erhebliche Probleme hätte, zeitnah Aufschluss über die eigene internationale Zuständigkeit zu gewinnen und somit im Sinne einer schnellen Verfahrensabwicklung frühzeitig Sicherungsmaßnahmen zu treffen und das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Erstreckt sich die Geschäftstätigkeit des Schuldners alleine darauf, in Deutschland belegenes Immobilienvermögen zu vermieten und zu verwalten und befindet sich lediglich der Sitz des Geschäftsführers außerhalb Deutschlands, ist der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Interessen der Schuldnerin in Deutschland begründet2. 12.42 Soweit die operative Leitung eines Unternehmens mit nach außen erkennbaren Einrichtungen in verschiedenen Mitgliedstaaten durchgeführt wird, ist für die Bestimmung des COMI entscheidend, wo die zentralen Geschäftsführungsmaßnahmen vorgenommen werden3. Dabei hat der Insolvenzrichter eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen. Nur dann, wenn es sich bei dem Schuldner um eine wirtschaftliche und faktische Betriebsabteilung einer ausländischen Gesellschaft statt um eine tatsächlich selbständige juristische Person handelt, erscheint es ausnahmsweise vertretbar, im Hinblick auf die konzerninternen Beziehungen und Abhängigkeiten zur Beurteilung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen auf den Ort der strategischen Geschäftsentscheidungen abzustellen4. cc) Widerlegung der Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO 12.43 Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Tochtergesellschaft, deren satzungsmäßiger Sitz in einem anderen Mitgliedstaat liegt als der der Muttergesellschaft, kann nach der Entscheidung des EuGH vom 2.5.2006 (Eurofood)5 die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO nur widerlegt werden, sofern objektive und für Dritte feststellbare Elemente belegen, dass in Wirklichkeit die Lage nicht derjenigen entspricht, die die Verortung am genannten satzungsmäßigen Sitz widerspiegeln soll. Dies könne insbesondere bei einer Gesellschaft der Fall sein, die im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, keiner Tätigkeit nachgeht („Briefkastenfirma“). Wenn jedoch eine Gesellschaft ihrer Tätigkeit im Gebiet des Mitgliedstaates, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, nachgehe, so reiche die Tatsache, dass ihre wirtschaftlichen Entscheidungen von einer Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat kontrolliert werden, nicht aus, um die mit der Verordnung aufgestellte Vermutung zu entkräften6. 12.44 Auch wenn sich durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 2.5. 2006 (Eurofood)7 ein Teil der Diskussion über den Begriff „COMI“ erledigt hatte, 1 2 3 4 5 6 7

Kübler in FS Gerhardt, 2004, S. 557. AG Ludwishafen v. 4.7.2014 – 3f IN 260/14, ZIP 2014, 1476. AG Köln v. 19.2.2008 – 73/E 1/08, NZI 2008, 257; Konecny, ZIK 2005, 1, 5. Lautenbach, NZI 2004, 384, 386. Eurofood, C-341/04, ZIP 2006, 907. EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ZIP 2006, 907. NZI 2006, 360.

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hat vor allem das Insolvenzverfahren über das Vermögen der in Deutschland ansässigen Hans Brochier Holdings Limited belegt, dass sich am englischen Rechtsverständnis in internationalen Insolvenzsachverhalten nichts Grundlegendes geändert hat1. Dies dürfte aber nach Inkrafttreten der reformierten EuInsVO ein Ende haben. Denn Art. 3 Abs. 1 EuInsVO n.F. stellt darauf ab, dass der für die internationale Zuständigkeit maßgebliche Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners der Ort ist, an dem dieser gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist. In seiner Interedil-Entscheidung vom 20.10.20112 hatte sich der EuGH erneut mit 12.45 der Frage zu befassen, wie der Mittelpunkt der hauptsächlichen wirtschaftlichen Interessen eines Insolvenzschuldners (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, das sog. COMI (= Centre of Main Interests)) methodisch zu ermitteln ist, wenn unklar ist, ob das COMI vom satzungsmäßigen Sitz abweicht, der in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO als Mittelpunkt der Interessen widerlegbar vermutet wird3. Dabei streiten der „mind of management“-Ansatz und der „business activities“-Ansatz gegeneinander. Wie bereits in seiner Eurofoods-Entscheidung hat der EuGH nochmals klargestellt, dass bei der Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen einer Schuldnergesellschaft dem Ort der Hauptverwaltung dieser Gesellschaft, wie er anhand von objektiven und durch Dritte feststellbaren Faktoren ermittelt werden kann, der Vorzug zu geben ist. Wenn sich die Verwaltungs- und Kontrollorgane einer Gesellschaft am Ort ihres satzungsmäßigen Sitzes befänden und die Verwaltungsentscheidungen der Gesellschaft in durch Dritte feststellbarer Weise an diesem Ort getroffen werden, lasse sich die in dieser Vorschrift aufgestellte Vermutung nicht widerlegen. Befinde sich der Ort der Hauptverwaltung einer Gesellschaft nicht an ihrem satzungsmäßigen Sitz, könnten das Vorhandensein von Gesellschaftsaktiva und das Bestehen von Verträgen über deren finanzielle Nutzung in einem anderen Mitgliedstaat als dem des satzungsmäßigen Sitzes der Gesellschaft nur dann als zur Widerlegung dieser Vermutung ausreichende Faktoren angesehen werden, wenn eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren die von Dritten überprüfbare Feststellung zulasse, dass sich der tatsächliche Mittelpunkt der Verwaltung und der Kontrolle der Gesellschaft sowie der Verwaltung ihrer Interessen in diesem anderen Mitgliedstaat befindet. Werde der satzungsmäßige Sitz einer Schuldnergesellschaft verlegt, bevor ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt wird, werde vermutet, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen dieser Gesellschaft am Ort ihres neuen satzungsmäßigen Sitzes befindet. Nunmehr steht fest, dass der unmittelbar für Art. 3 Abs. 1 EuInsVO und mittelbar für Art. 4 Abs. 1 EuInsVO relevante Anknüpfungstatbestand des COMI verordnungsautonom auszulegen ist4.

1 High Court of Justice London v. 15.8.2006 – No. 5618/06, NZI 2007, 187; AG Nürnberg v. 1.10.2006 – 8034 IN 1326/06, NZI 2007, 186; dazu Andres/Grund, NZI 2007, 137. 2 C -396/09, ZIP 2011, 2153. 3 Zur ersten Anwendung dieser Entscheidung s. das Coeur Defense-Urteil des Cour d’Appel Versailles v. 19.1.2012 – 11/03519 m. Anm. Dammann/Müller, NZI 2012, 643. 4 EuGH v.2.5.2006 – C-341/04, Rz. 31 (Eurofood), ZIP 2006, 907.

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12.46

12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

b) Verlagerung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen nach Antragstellung 12.46 Während nach deutschem Recht die örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts durch Veränderung der sie begründenden Umstände nach Eintritt der Rechtshängigkeit nicht entfällt (vgl. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO), enthält die EuInsVO keine Regelung zu der Frage, ob durch Verlagerung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen die Eröffnungszuständigkeit bei dem angerufenen Gericht verbleibt oder auf das örtlich und sachlich zuständige Insolvenzgericht des anderen Mitgliedstaats übergeht. Der BGH hat diese Frage mit einem am 27.11. 2003 erlassenen ersten Vorlagebeschluss1 dem EuGH gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 234 EG zur Entscheidung unterbreitet. In dem Ausgangsverfahren hatte die Schuldnerin, eine Einzelunternehmerin, ihren Wohnsitz und Tätigkeitsort nach Antragstellung, aber vor Verfahrenseröffnung von Deutschland nach Spanien verlegt. 12.47 Mit Urteil vom 17.1.2006 hat der EuGH2 entschieden, Art. 3 EuInsVO sei dahin auszulegen, dass das Gericht des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Schuldner bei Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, für die Entscheidung über die Eröffnung dieses Verfahrens zuständig bleibt, wenn der Schuldner nach Antragstellung, aber vor der Eröffnungsentscheidung den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats verlegt3. Im Anschluss an diese Entscheidung hat der BGH4 klargestellt, dass das Gericht eines Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Schuldner bei Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, auch für weitere Eröffnungsanträge zuständig ist, die nach Verlegung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners in einem anderen Mitgliedstaat, aber vor rechtkräftiger Erledigung des Erstantrags bei ihm eingehen5. Wird dagegen der satzungsmäßige Sitz einer Schuldnergesellschaft verlegt, bevor ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt wird, wird vermutet, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen dieser Gesellschaft am Ort ihres neuen satzungsmäßigen Sitzes befindet6. c) Zuständigkeit für Annexverfahren 12.48 Im Deko-Marty-Urteil vom 12.2.20097 hatte sich der EuGH auf Vorlage des Bundesgerichtshofes mit der Frage der gerichtlichen Zuständigkeit für insolvenz1 IX ZB 418/02, NZI 2004, 139 = ZIP 2004, 94. 2 C-1/04, ZIP 2006, 188. 3 In der Interedil-Entscheidung hat der EuGH dies ausdrücklich im Kontext einer Verlegung des COMI vor Antragstellung bestätigt (v. 20.10.2011 – C-396/09, EuZW 2011, 912, 915). 4 BGH v. 2.3.2006 – IX ZB 192/04, ZIP 2006, 767. 5 S. auch LG Leipzig v. 27.2.2006 – 12 T 1207/05, ZInsO 2006, 378. Danach reicht die Verlegung des Verwaltungssitzes durch bloßes Verbringen der Geschäftsunterlagen an einen anderen Ort zur Verlagerung des Mittepunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nicht aus. 6 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ZIP 2011, 2153. 7 EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07, ZIP 2009, 427.

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rechtliche Anfechtungsklagen zu befassen. Darin legt das Gericht Art. 3 Abs. 1 EuInsVO dahin aus, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner, der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, zuständig sind. In Deutschland sind der Rechtsweg und die sachliche Zuständigkeit nach den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und der jeweiligen Prozessordnungen zu beurteilen. Lässt sich in einem grenzüberschreitenden Verfahren bei einer Anfechtungsklage die örtliche Zuständigkeit nicht begründen, ist analog § 19a ZPO das sachlich zuständige Gericht am Sitz des Insolvenzgerichts ausschließlich örtlich zuständig1. Von einer Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 der EuInsVO sind auch nach dem vorgenannten Urteil nur insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen erfasst, die in einem engen Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehen, wogegen schuldrechtliche Anfechtungsklagen nicht darunter fallen. Der EuGH2 hat die Annexkompetenz der Gerichte des Eröffnungsstaats auf Anfechtungsgegner erweitert, die ihren Wohnsitz nicht im Gebiet eines Mitgliedstaats haben. In einer weiteren Entscheidung vom 4.12.20143 hat er diese Kompetenz auch für Klagen bejaht, die der Insolvenzverwalter einer insolventen Gesellschaft gegen deren Geschäftsführer auf Rückzahlung von Beträgen erhebt, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet wurden (§ 64 GmbHG). Dagegen sind Klagen gegen Kündigungen, die ein Insolvenzverwalter im Sinne der EuInsVO in Deutschland nach deutschem Recht erklärt hat, auch dann keine Annexverfahren i.S. des Art. 3 EuInsVO, wenn sie auf der Grundlage eines Interessenausgleichs mit Namensliste nach § 125 InsO und mit der kurzen Frist des § 113 InsO erklärt worden sind. Für solche Verfahren bestimmt sich nach Auffassung des BAG4 die internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO und nicht nach der EuInsVO. Der europäische Verordnungsgeber hat in der Neufassung der EuInsVO die Deko- 12.49 Marty-Doktrin fortgeschrieben. Nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO n.F. sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren nach Art. 3 EuInsVO n.F. eröffnet worden ist, für alle Klagen zuständig, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammen damit stehen, wie beispielsweise Anfechtungsklagen5. 2. Sekundärinsolvenzverfahren (Art. 3 Abs. 3 EuInsVO) Sekundärinsolvenzverfahren sind reine Territorialverfahren6. Vom Vermögens- 12.50 beschlag werden nur solche Vermögenswerte des Schuldners erfasst, die im betref1 2 3 4 5 6

BGH v. 19.5.2009 – IX ZR 39/06, MDR 2009, 1250. EuGH v. 16.1.2014 – C-328/12, NJW 2014, 610. EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ZIP 2015, 196 = NZI 2015, 88. BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, MDR 2013, 727 = ZIP 2012, 2312. Näher dazu Ausführungen oben Rz. 12.11. Das Sekundärinsolvenzverfahren selbst kann nur als Liquidationsverfahren durchgeführt werden, Art. 3 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO; kritisch dazu Paulus, EWS 2002, 497, 502 („fragwürdige gesetzliche Vorgabe“). Satz 2 findet sich in der Neufassung der EuInsVO nicht mehr. Damit ist künftig vor allem der Weg für eine erleichterte Sanierung von konzernverbundenen Unternehmen bei anhängigen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet.

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fenden Mitgliedstaat belegen sind (Art. 27 EuInsVO). Um welche Verfahren es sich dabei handelt, ergibt sich aus Anhang B zur EuInsVO. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO stellt dies noch einmal klar. In Deutschland zählen zu den in Anhang B aufgeführten Verfahren das Konkurs-, das Gesamtvollstreckungs- und das Insolvenzverfahren. Die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens setzt zwingend die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens im Bereich der Mitgliedstaaten voraus. 12.51 Gemäß Art. 28 EuInsVO ist das Sekundärinsolvenzverfahren nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, durchzuführen – freilich vorbehaltlich abweichender Vorschriften in der Verordnung. Dies hat zur Folge, dass bei einem in Deutschland eröffneten Sekundärinsolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH die Vorschriften der Insolvenzordnung anzuwenden sind. Eine zeitliche Schranke hat der Verordnungsgeber für die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens nicht vorgesehen1. 12.52 Anträge auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH nach Art. 3 Abs. 2, 3 EuInsVO beschäftigen auch zunehmend die deutschen Insolvenzgerichte2. Die Gründe hierfür sind mannigfach3. So kann das Vermögen des Schuldners zu verschachtelt sein, um als Ganzes verwaltet zu werden4. Des Weiteren können die Unterschiede in den betroffenen Rechtsordnungen so groß sein, dass Schwierigkeiten unvermeidbar erscheinen, wenn das Recht des Staates der (Haupt-)Verfahrenseröffnung seine Wirkungen in allen anderen Staaten entfaltet (Art. 4, 16, 17 EuInsVO), in denen Vermögensgegenstände des Schuldners belegen sind5. Um mit Sicherungsrechten Dritter belastete Gegenstände, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem eröffnenden befinden (vgl. Art. 5 Abs. 1 EuInsVO), einer Verwertung zuführen zu können, eröffnet Art. 29 lit. a EuInsVO deshalb dem Hauptverwalter die Möglichkeit, die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens im Belegenheitsstaat zu beantragen. Ferner kann durch die Einleitung eines Sekundärinsolvenzverfahrens verhindert werden, dass die im Gebiet des Eröffnungsstaats belegene Partikularmasse zur Finanzierung der durch das Hauptinsolvenzverfahren hervorgerufenen Masseverbindlichkeiten herangezogen wird6. Schließlich sind gerade bei organschaftlichen Vertretern einer deutschen juristischen Person Unsicherheiten hinsichtlich der Insol1 Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 569. 2 AG Köln v. 27.4.2004 – 71 IN 54/04, NZI 2004, 151; AG Düsseldorf v. 12.3.2004 – 502 IN 126/03, NZI 2004, 269; AG Mönchengladbach v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, NZI 2004, 383; vgl. ferner LG Innsbruck v. 11.5.2004 – 9 S 15/04m, ZIK 2004, 107. 3 Die Erwägungsgründe zur EuInsVO sowie der Erläuternde Bericht zum Europäischen Insolvenzübereinkommen (abgedr. in Stoll, Vorschläge und Gutachten des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im Deutschen Recht, 1997) nennen verschiedene Konstellationen, bei denen ein solcher Antrag näher in Betracht zu ziehen sein kann oder sogar geboten erscheint. 4 Wimmer, ZIP 1998, 985. 5 Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 27 EuInsVO Rz. 12; Erwägungsgrund Nr. 19; Virgos/Schmidt, Erläuternder Bericht in Stoll (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im Deutschen Recht, 1997, Rz. 33. 6 Bloching, Pluralität und Partikularinsolvenz, 2000, S. 211, 212; Smid, Deutsches und Europäisches Internationales Insolvenzrecht, 2004, Art. 27 EuInsVO Rz. 6.

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venzantragspflicht bei vorangegangener Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat zu beobachten1. Offensichtlich befürchtet man, sich ohne Stellung eines weiteren Antrags auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens in Deutschland schadensersatzpflichtig oder strafbar zu machen2. a) Antragsvoraussetzungen Die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens können nach Art. 29 EuInsVO 12.53 der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens und jede andere Person oder Stelle, der ein Antragsrecht nach dem Recht des Mitgliedstaats zusteht, in dessen Gebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden soll, beantragen. Dieses Recht darf allerdings nicht auf die Gläubiger mit Wohnsitz oder Hauptsitz in dem Mitgliedstaat, in dem sich die betreffende Niederlassung befindet, oder auf die Gläubiger, deren Forderung auf einer sich aus dem Betrieb dieser Niederlassung ergebenden Verbindlichkeit beruht, beschränkt werden3. Das angerufene Gericht hat zu prüfen, ob es sich bei dem in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Verfahren um ein wirksam eröffnetes Hauptinsolvenzverfahren i.S. des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO handelt, seine internationale Zuständigkeit für die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens vorliegt und auch seine innerstaatliche Zuständigkeit gegeben ist. Nach Art. 3 Abs. 2 Halbsatz 2 EuInsVO ist zwingende Voraussetzung für die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts eine den Anforderungen des Art. 2 lit. h EuInsVO genügende „Niederlassung“ in seinem Gebiet. Die Eröffnungsvoraussetzungen ergeben sich grundsätzlich aus dem Recht des Eröffnungsstaats (Art. 28 EuInsVO). Zu den weiteren vom Insolvenzrichter zu prüfenden Eröffnungsvoraussetzungen zählen die Insolvenzfähigkeit des Schuldners und die Antragsbefugnis des Antragstellers (Art. 29 EuInsVO). Dagegen entbindet Art. 27 EuInsVO das Gericht von der Prüfung des Insolvenzgrundes4. Das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens befasste Gericht hat die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, über dessen Vermögen in einem anderen Mitgliedstaat ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, selbst dann nicht zu prüfen, wenn das Hauptinsolvenzverfahren einem Schutzzweck dient5. Das für die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zuständige Gericht hat unter Beachtung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit die Ziele des Hauptinsolvenzverfahrens zu berücksichtigen und der Systematik der Verordnung Rechnung zu tragen6. Ist das Sekundärinsolvenzverfahren beendet, kann der Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens einen zur Masse eines Sekundärinsolvenzverfahrens gehörenden Anspruch aus Insolvenzanfechtung geltend machen, wenn der Anspruch vom Verwalter des Sekundärverfahrens nicht verfolgt worden ist7. 1 2 3 4

Näher dazu Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829. Näher dazu Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 830; Smid, DZWIR 2004, 397, 404 ff. EuGH v. 4.9.2014 – C-327/13, ZIP 2014, 2513. S. AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, NZI 2004, 151; LG Klagenfurt v. 2.7.2004 – 41 S 75/04h, EWiR 2005, 217 (Beutler/Debus). 5 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, NZI 2013, 106. 6 EuGH a.a.O. 7 BGH v. 20.11.2014 – IX ZR 13/14, MDR 2015, 180 = ZIP 2015, 42.

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12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

b) Niederlassung i.S. des Art. 2 lit. h EuInsVO 12.54 Der Begriff der Niederlassung ist das wesentliche Anknüpfungskriterium für die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens. Nach Art. 2 lit. h EuInsVO setzt die Qualifizierung als Niederlassung kumulativ den Einsatz von Personal und Vermögen zu geschäftlichen Zwecken voraus, ohne dass es auf eine Eintragung als Niederlassung im Handelsregister ankäme. Das bloße Vorhandensein einzelner Vermögenswerte oder von Bankkonten genügt nicht für eine Qualifizierung als Niederlassung1. Die Belegenheit eines Grundstücks im Inland reicht nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine nach außen hin wahrnehmbare wirtschaftliche Tätigkeit, welche darüber hinausgeht und durch Personal erbracht wird. Es müssen nicht zwingend eigene Arbeitnehmer der Schuldnerin eingesetzt werden, wohl aber Personen, welche von ihr beauftragt wurden und nach außen hin erkennbar für sie tätig sind2. 12.55 Nach Auffassung des AG Köln3 hindert die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens über das Vermögen einer deutschen GmbH in England nicht die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens in dem Mitgliedstaat, in dem der Schuldner seinen satzungsmäßigen (und eingetragenen) Sitz hat, soweit die weiteren Eröffnungsvoraussetzungen gegeben sind4. Bedenken gegen diese Qualifikation des Hauptsitzes als Niederlassung i.S. des Art. 2 lit. h EuInsVO könnten sich daraus ergeben, dass das Sekundärinsolvenzverfahren quasi das gesamte Vermögen des Schuldners erfasst, so dass die Gefahr besteht, dass das in einem anderen Mitgliedstaat eröffnete Hauptverfahren entwertet und ausgehöhlt wird. Dem hält Sabel5 mit Recht entgegen, dass das Sekundärinsolvenzverfahren gerade kein zweites, konkurrierendes Hauptverfahren sei. Durch die territoriale Einschränkung der Wirkungen des Sekundärinsolvenzverfahrens werde dem Gedanken des Vorrangs und der Leitfunktion des Hauptverfahrens Rechnung getragen. Zudem könne in diesen Fällen nur über ein Sekundärinsolvenzverfahren in die dinglichen Rechte der Gläubiger eingegriffen werden, so dass die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens auch im Interesse des Insolvenzverwalters des Hauptinsolvenzverfahrens zulässig sein müsse6.

1 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ZIP 2011, 2153; BGH v. 8.3.2012 – IX ZB 178/11, ZIP 2012, 782; Carstens, Die internationale Zuständigkeit im europäischen Insolvenzrecht, 2004, 74 f. 2 BGH v. 21.6.2012 – IX ZB 287/11, ZIP 2012, 1920; Stephan in Heidelberger Kommentar zur InsO, 7. Aufl. 2014, Art. 2 EuInsVO Rz. 13; Lüer in Uhlenbruck, InsO, Art. 2 EuInsVO Rz. 17; Vallender, NZI 2008, 633. 3 NZI 2004, 151 („automold“); zustimmend AG Düsseldorf v. 12.3.2004 – 502 IN 126/03, ZIP 2004, 623, 625; Huber in FS Gerhardt, 2004, S. 397, 412; Konecny, ZIK 2005, 2, 4 Fn. 29. 4 Dieser Auffassung sind inzwischen zahlreiche Gerichte gefolgt, vgl. LG Innsbruck v. 11.5.2004 – 9 S 15/04, ZIP 2004, 1721; LG Klagenfurt v. 2.7.2004 – 41 S 75/04h, EWiR 2005, 217; zustimmend Beutler/Debus, EWiR 2005, 217, 218; kritisch dagegen Kemper in Kübler/Prütting/Bork, Art. 27 EuInsVO Rz. 5, die in der Niederlassung kein Minus zum Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen, sondern ein Aliud sieht. 5 NZI 2004, 126, 127. 6 Ebenso Deyda, Der Konzern im europäischen internationalen Insolvenzrecht, 2008, S. 187.

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Eine juristisch selbstständige Tochtergesellschaft eines insolventen Rechtsträ- 12.56 gers fällt dagegen nicht unter den Niederlassungsbegriff des Art. 2 lit. h1. Das Sekundärinsolvenzverfahren richtet sich nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 EuInsVO gegen den Insolvenzschuldner des Hauptinsolvenzverfahrens. Das Sekundärinsolvenzverfahren ist gerade kein gesellschaftsrechtliches Liquidationsverfahren gegen Unternehmen, an denen der Insolvenzschuldner des Hauptinsolvenzverfahrens Anteile hält2. Dies gilt selbst dann, wenn die Tochtergesellschaft mehrheitlich oder zu 100 % vom Schuldner beherrscht wird3. Nach Art. 27 EuInsVO kann ein Sekundärinsolvenzverfahren in dem Mitglied- 12.57 staat eröffnet werden, in dem der Schuldner eine Niederlassung hat, wenn das Hauptinsolvenzverfahren einem Schutzzweck dient. Das für die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zuständige Gericht hat unter Beachtung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit die Ziele des Hauptinsolvenzverfahrens zu berücksichtigen und der Systematik der Verordnung Rechnung zu tragen4. Ein wesentliches Anliegen der Neufassung der am 26.6.2017 in Kraft tretenden 12.58 EuInsVO ist es, die Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren möglichst zurückzudrängen oder die potentiellen Konflikte zumindest zu entschärfen5. Dazu sieht die Verordnung nunmehr drei Wege vor. Zum einen soll über die Bereitstellung von sog. synthetischen Sekundärverfahren die Eröffnung störender Territorialverfahren überhaupt unterbunden werden (Art. 36 ff. EuInsVO n.F.), zum anderen kann auf Antrag des Hauptinsolvenzverwalters die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens um drei Monate ausgesetzt werden (Art. 38 Abs. 3 EuInsVO n.F.) und drittens werden die Pflichten zur Kooperation ausgeweitet (Art. 41 ff. EuInsVO n.F.). 3. Publizität Auf Antrag des Verwalters ist in jedem anderen Mitgliedstaat der wesentliche In- 12.59 halt der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung und gegebenenfalls der Entscheidung über eine Bestellung entsprechend den Bestimmungen des jeweiligen Staates für öffentliche Bekanntmachungen zu veröffentlichen. In der Bekanntmachung ist ferner anzugeben, welcher Verwalter bestellt wurde und ob sich die Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 oder aus Art. 3 Abs. 2 EuInsVO ergibt (Art. 21 Abs. 1 EuInsVO). Nach Absatz 2 der Vorschrift kann jeder Mitgliedstaat, in des1 Näher dazu Deyda, Der Konzern im europäischen internationalen Insolvenzrecht, 2008, S. 20 ff. 2 Smid, DZWIR 2004, 397, 400. 3 Gottwald, Grenzüberschreitende Insolvenzen, 1997, S. 21 ff. 4 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ZIP 2012, 2403. 5 Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1; s. auch Erwägungsgrund 37: „Das Recht, vor der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in dem Mitgliedstaat, in dem der Schuldner eine Niederlassung hat, zu beantragen, sollte nur lokalen Gläubigern und Behörden zustehen beziehungsweise auf Fälle beschränkt sein, in denen das Recht des Mitgliedstaats, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens nicht zulässt. Der Grund für diese Beschränkung ist, dass die Fälle, in denen die Eröffnung eines Partikularverfahrens vor dem Hauptinsolvenzverfahren beantragt wird, auf das unumgängliche Maß beschränkt werden sollen.“

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12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

sen Gebiet der Schuldner eine Niederlassung besitzt, die obligatorische Bekanntmachung vorsehen. Art. 102 § 5 EGInsO setzt die in Art. 21 EuInsVO getroffenen Regelungen ins deutsche Recht um. Der Antrag auf öffentliche Bekanntmachung ist nach der vorgenannten Bestimmung an das nach § 1 Abs. 3 EGInsO zuständige Gericht zu richten. Dies ist das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk sich Schuldnervermögen befindet. Die öffentliche Bekanntmachung ist von Amts wegen durchzuführen, wenn der Schuldner im Inland eine Niederlassung i.S.v. Art. 2 lit h EuInsVO hat (Art. 102 § 5 Abs. 2 EGInsO). 4. Forderungsanmeldung 12.60 Art. 32 und Art. 39 EuInsVO räumen jedem Gläubiger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt, Wohn- oder Firmensitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU als dem Staat der Verfahrenseröffnung hat, das Recht ein, seine Forderungen in jedem Insolvenzverfahren anzumelden, das in der EU anhängig ist. Die Vorschrift des Art. 39 EuInsVO gilt sowohl für Haupt- als auch für Territorialverfahren. Das Recht auf Forderungsanmeldung wird für die im Mitgliedstaat der Verfahrenseröffnung ansässigen Gläubiger durch die lex fori concursus bestimmt1. Die Vorschrift des Art. 39 EuInsVO wird durch Art. 41 EuInsVO (Inhalt einer Forderungsanmeldung) und Art. 42 EuInsVO (Sprachen) vervollständigt, die ebenfalls von dem Prinzip der grundsätzlichen Anwendung der lex fori concursus abweichen2. Die Regelungen zur Forderungsanmeldung finden sich in der reformierten EuInsVO in Kapitel IV, Art. 53 ff. EuInsVO n.F. Art. 54 Abs. 2 bis 4 EuInsVO n.F. präzisiert die Art und Weise der Unterrichtungspflicht durch Gericht und Verwalter. Art. 55 Abs. 6 EuInsVO n.F. gewährt ausländischen Gläubigern eine Anmeldungsfrist von 30 Tagen nach Bekanntmachung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Insolvenzregister des Staats der Verfahrenseröffnung. Bei Zweifeln an der angemeldeten Forderung hat das Gericht, der Verwalter oder der Schuldner in Eigenverwaltung dem Gläubiger Gelegenheit zu geben, zusätzliche Belege für das Bestehen und die Höhe der Forderung vorzulegen (Art. 55 Abs. 7 EuInsVO n.F.). 5. Anwendbares Recht (Art. 4, 28 EuInsVO) 12.61 Mit der internationalen Zuständigkeit verbunden ist die aus ihr folgende Entscheidung über das anwendbare Recht (vgl. Art. 4, 28 EuInsVO). Die lex fori concursus bestimmt, unter welchen Voraussetzungen das Haupt- oder Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet wird, wie es durchzuführen und zu beenden ist und welche materiell-privatrechtlichen Wirkungen von der Eröffnung des Verfahrens ausgehen. Das Insolvenzstatut erlangt bereits vor der Verfahrenseröffnung Bedeutung. Es bestimmt die Insolvenzantragspflichten3. Mithin finden auf ein in Deutschland eröffnetes Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH mit Bezug zu mindestens einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Vorschriften der Insolvenzordnung Anwendung. Nach der lex fori concursus bestimmen sich auch die Befugnisse des Verwalters eines Hauptinsolvenzverfahrens (s. 1 Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht Rz. 269. 2 Riedemann in Pannen, Art. 39 EuInsVO Rz. 15. 3 Westphal/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, 2008, S. 341; Leithaus/ Riewe, NZI 2008, 598, 599.

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Art. 18 Abs. 1 EuInsVO). Die vorgenannte Bestimmung gestattet es ihm, grundsätzlich auch in allen anderen Mitgliedstaaten seine ihm nach dem Recht des Eröffnungsstaats zustehenden Befugnisse auszuüben. Zu den Wirkungen des Insolvenzverfahrens i.S. des Art. 4 EuInsVO gehört auch die Haftung des Geschäftsführer der GmbH nach § 64 Satz 2 GmbHG1. Besonderheiten gelten für dingliche Rechte (Art. 5 EuInsVO)2, die Anfechtung 12.62 (Art. 6 EuInsVO), den Eigentumsvorbehalt (Art. 7 EuInsVO), Verträge über unbewegliche Gegenstände (Art. 8 EuInsVO), Zahlungssysteme und Finanzmärkte (Art. 9 EuInsVO), den Arbeitsvertrag (Art. 10 EuInsVO), Gemeinschaftspatente und -marken (Art.12 EuInsVO) sowie die Anfechtung (Art. 13 EuInsVO) und den Schutz von gutgläubigen Dritterwerbern (Art. 14 EuInsVO). Hierfür sieht die EuInsVO besondere Anknüpfungen vor3. 6. Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Insolvenzeröffnungsverfahren Wie im nationalen Insolvenzverfahren ist auch in Verfahren nach der EuInsVO 12.63 eine zügige und effektive Sicherung der Masse für die Abwicklung grenzüberschreitender Verfahren von besonderer Bedeutung4. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO umfasst die internationale Zuständigkeit des Eröffnungsgerichts für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen ab dem Zeitpunkt des Antrags auf Verfahrenseröffnung5. Zwar lässt sich dies nicht ohne weiteres dem Wortlaut der Vorschrift entnehmen. Ein Indiz für die Richtigkeit dieser Annahme ergibt sich indes aus Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 3 EuInsVO, wonach Entscheidungen über Sicherungsmaßnahmen ohne weitere Förmlichkeit anerkannt werden6. Darüber hinaus betont Erwägungsgrund 16, dass das für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständige Gericht zur Anordnung einstweiliger Sicherungsmaßnahmen ab dem Zeitpunkt des Antrags auf Verfahrenseröffnung befugt sein soll. Ob und ggf. wel1 EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ZIP 2015, 196. Nach Ansicht des EuGH steht der Umstand, dass nach dem Wortlaut von § 64 GmbHG eine Klage grundsätzlich auch dann erhoben werden kann, wenn kein Insolvenzverfahren über das Vermögen der betreffenden Schuldnergesellschaft eröffnet worden ist, für sich genommen der Einstufung einer solchen Klage als Klage, die unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren hervorgeht und in engem Zusammenhang damit steht, nicht entgegen, sofern diese Klage tatsächlich im Rahmen eines Insolvenzverfahrens erhoben wird (Rz. 12.20). Erwägungsgrund 47 der reformierten EuInsVO sieht bei Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren ausdrücklich vor, dass die Verordnung die Gerichte der Mitgliedstaaten, in denen Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet worden sind, nicht daran hindern sollte, gegen Mitglieder der Geschäftsleitung des Schuldners Sanktionen wegen etwaiger Pflichtverletzung zu verhängen, sofern diese Gerichte nach nationalem Recht für diese Streitigkeiten zuständig sind. 2 Wenner in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, § 20 Rz. 294, sieht in der Regelung den Versuch des Gesetzgebers, lokale Gläubiger zu bevorzugen. 3 Taupitz, ZZP 111 (1998), 315, 327 ff. 4 S. Erwägungsgrund 16. 5 Virgos/Schmidt, Erläuternder Bericht v. 3.5.1996 (Zum Entwurf eines Europäischen Insolvenzübereinkommens), abgedr. u.a. in Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht, 1997, Rz. 78; Kemper in Kübler/Prütting/Bork, Art. 3 EuInsVO Rz. 8; Wimmer, ZInsO 2005, 119, 126. 6 BGH v. 27.11.2003 – IX ZB 418/02, NZG 2004, 197; vgl. auch Erwägungsgrund 16.

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12.64

12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

che Sicherungsmaßnahmen der Insolvenzrichter anordnet, bestimmt sich in einem Verfahren, auf das die Vorschriften der Insolvenzordnung Anwendung finden (Art. 4, 28 EuInsVO), nach §§ 21, 22 InsO. 12.64 Sobald feststeht, dass es sich bei dem beantragten Verfahren über das Vermögen der GmbH um ein Hauptverfahren i.S. des Art. 3 Abs. 1 InsVO handeln wird, stellt sich für das angerufene Gericht in aller Regel die Frage nach den vorläufigen Sicherungsmöglichkeiten in den anderen Mitgliedstaaten1. Bei einer Antragstellung in Deutschland kann das Insolvenzgericht zur Sicherung der künftigen Masse nach Maßgabe der §§ 21 ff. InsO sowohl in einem Haupt- als auch in einem Sekundärinsolvenzverfahren einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen, weil dieser gemäß Art. 2 lit. b EuInsVO i.V.m. Anhang C als ein möglicher Akteur vom Anwendungsbereich der Verordnung erfasst wird. Nach Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 3 EuInsVO sind die in einem Hauptinsolvenzverfahren getroffenen Sicherungsmaßnahmen in allen Mitgliedstaaten ohne weitere Förmlichkeiten anzuerkennen2. Zur Vollstreckung bedarf es indes – anders als im Fall der Verfahrenseröffnung – eines Beschlussverfahrens nach Art. 39 ff. EuGVVO3. Soweit einzelne Gläubiger im Wege der Zwangsvollstreckung auf die künftige Insolvenzmasse Zugriff zu nehmen versuchen, kommt eine Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO in Betracht (vgl. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO). Auch wenn in einem anderen Mitgliedstaat bereits Sicherungsmaßnahmen über das Vermögen desselben Schuldners angeordnet worden sind, aber eine Verfahrenseröffnung noch aussteht, beansprucht der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens noch keine Geltung. Deshalb tritt eine Sperrwirkung zu Gunsten der ersten Sicherungsmaßnahme nicht ein. 12.65 Nach Ansicht des EuGH kann allerdings die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters prinzipiell als Verfahrenseröffnung anzusehen sein, wenn ein partieller Wechsel der Kontrolle vom Schuldner auf die repräsentierte Gläubigergesamtheit vorliegt4. Dementsprechend vertreten einige Gerichte und Stimmen in der Literatur die Ansicht, dass nur eine starke vorläufige Insolvenzverwaltung als Verfahrenseröffnung anzusehen sei5. Der Cour d’appel Colmar6 erkennt dagegen eine vorläufige Insolvenzverwaltung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO in Frankreich nicht als Insolvenzeröffnung i.S. von Art. 16 EuInsVO an.

1 Näher dazu Thomas, Grenzüberschreitende Insolvenzeröffnungsverfahren, 2013, S. 7 ff. 2 Da sich die Befugnisse eines in einem Sekundärinsolvenzverfahren eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalters auf das im Gebiet der Niederlassung belegene Vermögen des Schuldners beschränken und die Einleitung eines Sekundärinsolvenzverfahrens die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens voraussetzt, kann es in diesem Verfahren nicht zu dem beschriebenen Konflikt kommen. 3 Die EuGVVO (Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen) wurde mit Wirkung zum 15.1.2015 neu gefasst (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012). 4 Mankowski, EWiR 2010, 453. 5 OLG Innsbruck v. 8.7.2008 – 1 R 176/08d; Country Court of Croydon v. 21.10.2008 – No. 1256/08, NZI 2009, 136; AG Köln v. 6.11.2008 – 71 IN 487/07, ZIP 2009, 1142; Paulus, NZG 2006, 609, 613. 6 Urt. v. 31.3.2010 – 1re ch. Civ. B 08/04852, Recueil Dalloz 2010, 1262 mit Besprechung Mankowski.

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12.68

a) Konkurrierende Sicherungsmaßnahmen Es liegt auf der Hand, dass konkurrierende Sicherungsmaßnahmen verschiedener 12.66 Insolvenzgerichte der Mitgliedstaaten über das Vermögen der schuldnerischen GmbH zu Konflikten führen können. So hat der vorläufige Insolvenzverwalter die schuldnerische Masse zu sichern. Bei gleichzeitiger Bestellung eines ausländischen vorläufigen Insolvenzverwalters wird auch dieser bestrebt sein, wegen des universellen Charakters das im Ausland belegene Vermögen der GmbH zu sichern. Damit ist ein Streit um die Befugnis zur Sicherung derselben Masse vorprogrammiert1. Die inländische Entscheidung genießt – entgegen dem Grundsatz des Art. 29 EuGVVO – stets den Vorrang2. b) Art. 38 EuInsVO Art. 38 EuInsVO3 erweitert die Möglichkeiten zur Sicherung der Masse in der 12.67 Weise, dass der vom Gericht des Hauptinsolvenzverfahrens eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter – ohne Rücksicht auf die Kompetenzen, die ihm sein Heimatrecht verleiht – sich zusätzlich der in einem anderen Mitgliedstaat, in dem ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden könnte, vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen bedienen kann4. Da die Vorschrift das Stadium vor der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens regelt, wird das Vorhandensein einer Niederlassung des Schuldners in dem betreffenden Mitgliedstaat vorausgesetzt5. Nach Art. 102 EGInsO § 1 Abs. 2 ist die inländische Niederlassung, die nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO im Rahmen der internationalen Zuständigkeit zuständigkeitsbegründend wirkt, auch für die örtliche Zuständigkeit des deutschen Insolvenzgerichts maßgebend. c) Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen Die Aufhebung oder Änderung von Sicherungsmaßnahmen erfolgt entweder 12.68 durch das Sekundärinsolvenzgericht nach Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens auf entsprechenden Antrag des Hauptverwalters oder durch Anordnung des Gerichts des Hauptinsolvenzverfahrens. Dessen Befugnis ergibt sich daraus, dass die von dem Sekundärinsolvenzgericht angeordneten Sicherungsmaßnahmen den im Laufe des Hauptverfahrens getroffenen Entscheidungen des nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zuständigen Gerichts untergeordnet sind6. Die universale Geltung des Hauptinsolvenzverfahrens und damit auch die Befugnis des Gerichts des Hauptin1 Näher dazu Thomas, Grenzüberschreitende Insolvenzeröffnungsverfahren, 2013, S. 117 ff. 2 Geimer in Zöller, 31. Aufl. 2016, Anhang I Art. 45 EuGVVO Rz. 50. 3 Künftig Art. 52 EuInsVO n.F. 4 Dem vorläufigen Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens steht neben Art. 38 EuInsVO auch der Weg über Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 3 EuInsVO zu (Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 570; Paulus in Konecny, Insolvenzforum 2001, S. 140). 5 Virgos/Schmidt, Erläuternder Bericht, in Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht, 1997, Rz. 262; Thomas, Grenzüberschreitende Insolvenzeröffnungsverfahren, 2013, S. 133. 6 Virgos/Schmidt, Erläuternder Bericht, in Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht, 1997, Rz. 78 fünfter Abs.

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12.69

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solvenzverfahrens zur vorgenannten Anordnung entfällt indes bei Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens. In diesem Falle erlöschen die getroffenen Maßnahmen ex lege, es sei denn, der Insolvenzrichter hält die Sicherungsmaßnahmen aufrecht. Hierzu bedarf es eines besonderen Beschlusses. Die EuInsVO enthält keine Regelung für den Fall, dass das Hauptinsolvenzverfahren nicht eröffnet wurde. Thomas1 schlägt bei dem Erlass von Sicherungsmaßnahmen nach deutschem Recht auf der Grundlage von Art. 38 EuInsVO vor, auf die Wirkungen der Sicherungsmaßnahmen Art. 102 § 4 Abs. 2 EGInsO analog anzuwenden,. Danach hätten diese unangetastet zu bleiben und könnten nachträglich nicht mehr in Frage gestellt werden. 7. Kooperations- und Unterrichtungspflichten der Insolvenzverwalter2 12.69 Eine effiziente Durchführung von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren ist nur dann möglich, wenn die Verwalter beider Verfahren über den jeweiligen Stand informiert sind und beide Verwalter eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten3. Um mögliche Widersprüche, die sich insbesondere dadurch ergeben können, dass der Verwalter des Sekundärinsolvenzverfahrens eine eigenverantwortliche und selbständige Rechtsstellung gegenüber dem Verwalter des Hauptverfahrens einnimmt, zu beseitigen, hat der Verordnungsgeber die als Sachnorm ausgestaltete Kooperations- und Unterrichtungspflicht der Verwalter des Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahrens gemäß Art. 31 EuInsVO eingeführt, die in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung entfaltet. 12.70 Auch wenn die Art. 32 Abs. 2 und 3, 33 Abs. 1, 34 und 35 EuInsVO die dominierende Rolle des Hauptinsolvenzverwalters in dem eröffneten Sekundärinsolvenzverfahren dokumentieren, bedeutet dies nicht, dass der Hauptinsolvenzverwalter „Herr dieses Verfahrens“ ist. Es besteht vielmehr ein Nebeneinander von in- und ausländischen Verwaltern. Vor diesem Hintergrund ist ein Mindestmaß an Kooperation und Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Verwaltern unabdingbar, wenn ein aufeinander abgestimmter Ablauf der Parallelverfahren sichergestellt werden soll. Diesem Ziel dient Art. 31 EuInsVO4, der damit zu einer der wichtigsten Vorschriften der Verordnung wird. Die vorgenannten Grundsätze finden sich in Erwägungsgrund 20 der EuInsVO wieder. 12.71 Die reformierte EuInsVO sieht ab Sommer 2017 in Art. 41 EuInsVO n.F. weiterhin eine Pflicht zur Zusammenarbeit und Kommunikation der Verwalter vor. Das neue Recht dehnt die Kooperations- und Kommunikationspflichten auf Gerichte (Art. 42 EuInsVO n.F.) sowie Verwalter und Gerichte aus (Art. 43 EuInsVO n.F.)5. 1 Thomas, Grenzüberschreitende Insolvenzeröffnungsverfahren, 2013, S. 140. 2 Näher dazu Vallender in Insolvenz-Forum 2006, 2007, S. 191 f.; Vallender, KTS 2008, 59 f. 3 Paulus, ZIP 2001, 505, 515; Staak, NZI 2004, 480, 481. 4 Näher dazu Vallender, KTS 2008, 59 ff. 5 S. Erwägungsgrund 48: „Hauptinsolvenzverfahren und Sekundärinsolvenzverfahren können zur wirksamen Verwaltung der Insolvenzmasse oder der effizienten Verwertung des Gesamtvermögens beitragen, wenn die an allen parallelen Verfahren beteiligten Akteure ordnungsgemäß zusammenarbeiten. Ordnungsgemäße Zusammenarbeit setzt voraus, dass die verschiedenen beteiligten Verwalter und Gerichte eng zusammenarbeiten, insbesondere indem sie einander wechselseitig ausreichend informieren.“

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12.73

8. Automatische Anerkennung der Eröffnungsentscheidung Nach Art. 16 Abs. 1 EuInsVO wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch 12.72 ein nach Art. 3 EuInsVO zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist. Für den Wirkungseintritt sind keine Förmlichkeiten erforderlich; er erfolgt vielmehr automatisch. Das Gericht kann grundsätzlich davon ausgehen, dass ein Insolvenzverfahren i.S. des Art. 16 EuInsVO von einem Gericht oder einer Behörde mit entsprechender Funktion durchgeführt wird1. Selbst wenn das eröffnende Gericht seine internationale Zuständigkeit fälschlicherweise angenommen hat oder die Eröffnungsentscheidung mangelhaft begründet wurde, sind die Gerichte der Mitgliedstaaten verpflichtet, die Entscheidung des Gerichts eines anderen Mitgliedstaats über die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens i.S. des Art. 3 EuInsVO anzuerkennen2. Sie sind nicht berechtigt, nach dem Recht des anderen Mitgliedstaats Vollstreckungsmaßnahmen in Bezug auf in diesem anderen Mitgliedstaat befindliche Vermögenswerte des Schuldners, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, anzuordnen, wenn das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dies nicht erlaubt und die Voraussetzungen für die Anwendung der Art. 5 und 10 der Verordnung nicht erfüllt sind3. Nach Auffassung des EuGH4 ist Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO dahin aus- 12.73 zulegen, dass die von einem Gericht eines Mitgliedstaats auf einen entsprechenden, auf die Insolvenz des Schuldners gestützten Antrag auf Eröffnung eines in Anhang A der Verordnung genannten Verfahrens hin erlassene Entscheidung eine Eröffnung eines Insolvenzverfahrens darstellt, wenn sie den Vermögensbeschlag gegen den Schuldner zur Folge hat und durch sie ein in Anhang C der Verordnung genannter Verwalter bestellt wird. Ein solcher Vermögensbeschlag – so der EuGH – bedeute, dass der Schuldner die Befugnisse zur Verwaltung seines Vermögens verliert.

1 Nach Art. 2 lit. d EuInsVO ist unter „Gericht“ das Justizorgan oder jede sonstige zuständige Stelle eines Mitgliedstaats zu verstehen, die befugt ist, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen oder im Laufe des Verfahrens Entscheidungen zu treffen (Lehr, KTS 2000, 578). Nach Ansicht des OLG Düsseldorf (Urt. v. 23.8.2013 – 22 U 37/13, ZVI 2014, 425) ist die Prüfung der internationalen Zuständigkeit eines englischen Insolvenzgerichts zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Art. 16 ff. der VO(EG) Nr. 1346/2000 den deutschen Gerichten nicht entzogen, da gemäß Art. 16/17 (nur) eine Art. 3 Abs. 1 entsprechende Eröffnung eines Verfahrens in einem anderen Mitgliedstaat (ohne irgendwelche Förmlichkeiten) die Wirkungen entfaltet, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt und insoweit der – materiell- bzw. verfahrensrechtliche – „ordre public“-Vorbehalt eingreifen kann. 2 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ZIP 2006, 907 = NZI 2006, 360; vgl. EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ZIP 2010, 187; OLG Graz v. 20.10.2005 – 3 R 149/05i, ZIP 2006, 1544; OLG Frankfurt v. 28.8.2012 – 5 U 150/11, ZInsO 2012, 1990. 3 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ZIP 2010, 187. 4 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ZIP 2006, 907 m. Anm. Knof/Mock = NZI 2006, 360.

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12.74

12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

a) Ordre-public-Klausel 12.74 Nur dann, wenn ausnahmsweise Zweifel bestehen sollten, dass die Eröffnungsentscheidung tatsächlich von einem Gericht i.S. des Art. 2 lit. d EuInsVO getroffen worden ist, bietet die ordre-public-Klausel des Art. 26 EuInsVO eine Grundlage dafür, die Anerkennung der Eröffnungsentscheidung zu verweigern1. Dagegen stellt die fehlerhafte Beurteilung der internationalen Zuständigkeit regelmäßig keinen ordre-public-Verstoß dar2. Wohl kann ein Mitgliedstaat einem in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahren die Anerkennung versagen, wenn die Eröffnungsentscheidung unter offensichtlichem Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör einer von einem solchen Verfahren betroffenen Person ergangen ist3. Bedeutung erlangt die Vorschrift des Art. 16 EuInsVO vor allem bei einem Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens (näher dazu Rz. 12.50 ff.). b) Keine Prüfungsbefugnis 12.75 Das Insolvenzgericht hat die Annahme der internationalen Zuständigkeit durch das Eröffnungsgericht auf Grund des Prinzips des gemeinschaftsweiten Vertrauens in die Gerichte der Mitgliedstaaten („community trust“) grundsätzlich nicht nachzuprüfen4. Entscheidend ist nicht, ob nach Auffassung des Gerichts des Zweitstaats das Eröffnungsgericht tatsächlich international zuständig war, sondern ausschließlich, ob dieses die Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO in Anspruch genommen hat5. Eine Überprüfung des Eröffnungsbeschlusses ist nur im Eröffnungsstaat mit den dort vorgesehenen Rechtsbehelfen möglich6. Denn die Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit obliegt allein den Gerichten des Staates, in dem die Entscheidung ergangen ist. Betroffene, die Einwände gegen die Zuständigkeit geltend machen wollen, müssen im Staat der Verfahrenseröffnung ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung, mit der die Zuständigkeit beansprucht wird, einlegen7. 1 Eingehend dazu Fuchs, Nationale und internationale Aspekte des Restschuldbefreiungstourismus, 2015. 2 Herchen, ZInsO 2004, 61, 65 m.w.N. 3 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ZIP 2006, 907 m. Anm. Knof/Mock = NZI 2006, 360; s. auch BGH v. 14.1.2014 – II ZR 192/13, MDR 2014, 362 = ZIP 2014, 394. 4 Vgl. Erwägungsgrund 22. S. aber OLG Düsseldorf v. 23.8.2013 – 22 U 37/13, ZVI 2014, 425, das die – unzutreffende – Auffassung vertritt, die Prüfung der internationalen Zuständigkeit eines englischen Insolvenzgerichts zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Art. 16 ff. EuInsVO sei den deutschen Gerichten nicht entzogen, da gemäß Art. 16/17 (nur) eine Art. 3 Abs. 1 EuInsVO entsprechende Eröffnung eines Verfahrens in einem anderen Mitgliedstaat (ohne irgendwelche Förmlichkeiten) die Wirkungen entfaltet, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt und insoweit der – materiell- bzw. verfahrensrechtliche – „ordre public“-Vorbehalt eingreifen könne. 5 OLG Wien v. 9.11.2004 – 28 R 224/04w, NZI 2005, 56, 58 m.w.N. 6 Carstens, Die Internationale Zuständigkeit im Europäischen Insolvenzrecht, 2005, S. 98 m.w.N. 7 Virgos/Schmidt, Erläuternder Bericht v. 3.5.1996 (zum Entwurf eines Europäischen Insolvenzübereinkommens), in Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EUÜbereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Rechts, 1997, Rz. 202.

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Insolvenzverfahren mit ausschließlichem Drittstaatenbezug

12.79

9. Wirkungen der Anerkennung eines Insolvenzverfahrens Art. 17 Abs. 1 EuInsVO erstreckt die Wirkung, die ein Mitgliedstaat einem der in 12.76 Anhang A der Verordnung aufgelisteten Verfahren beimisst, auf das Gesamtterritorium sämtlicher Mitgliedstaaten1. Das in einem anderen Vertragsstaat eröffnete Verfahren wird hinsichtlich seiner Wirkung nicht einem inländischen Verfahren gleichgestellt, sondern wird in den anderen Mitgliedstaaten mit genau denselben Wirkungen anerkannt, die ihm das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung beilegt2. Eine Durchbrechung erfährt die Universalität des Hauptverfahrens nicht nur durch die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens, sondern auch auf Grund der Regelungen in Art. 5 bis 15 EuInsVO. Diese Bestimmungen sehen vom lex-fori-Grundsatz des Art. 4 EuInsVO abweichende Anknüpfungen vor3. Art. 17 Abs. 2 EuInsVO befasst sich mit der Wirkung der Anerkennung von Par- 12.77 tikularverfahren i.S. des Art. 3 Abs. 2 EuInsVO. Hierzu zählt auch das Sekundärinsolvenzverfahren. Das Sekundärinsolvenzverfahren entfaltet nur hinsichtlich des im eröffnenden Mitgliedstaats belegenen Vermögens seine Wirkungen4. Gleichzeitig begrenzt es die exterritorialen Wirkungen des Hauptverfahrens.

II. Insolvenzverfahren mit ausschließlichem Drittstaatenbezug Liegt der Interessenmittelpunkt der GmbH in Deutschland und bestehen grenz- 12.78 überschreitende Bezüge allein zu Drittstaaten, so ist der räumliche Anwendungsbereich der EuInsVO nicht eröffnet. Das Verfahren richtet sich nach dem autonomen deutschen Internationalen Insolvenzrecht (§§ 335 ff. InsO), nach dem sich auch die internationale Eröffnungszuständigkeit bestimmt. 1. Internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts Das deutsche Internationale Insolvenzrecht enthält keine Regelung der interna- 12.79 tionalen Zuständigkeit. Es ist deshalb entsprechend dem allgemeinen Prozessrecht auf die Regeln der örtlichen Zuständigkeit in § 3 InsO zurückzugreifen. Ein deutsches Insolvenzgericht ist demnach örtlich zuständig, wenn der Mittelpunkt der selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit der GmbH in dessen Bezirk liegt. Es ist darauf abzustellen, wo die grundsätzlichen Entscheidungen der Unternehmensleitung in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden5. Liegen die Voraussetzungen des vorrangig zu prüfenden § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht vor, ist maßgeblich, wo der Schuldner im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand i.S. des § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO hat. Dieser entspricht bei einer GmbH ihrem eingetragenen Sitz (§ 17 ZPO). Er bleibt maßgeblich, wenn die Gesellschaft ihre 1 Paulus, Art. 16 EuInsVO Rz. 2. 2 Virgos/Schmidt, Erläuternder Bericht v. 3.5.1996 (zum Entwurf eines Europäischen Insolvenzübereinkommens), in Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EUÜbereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Rechts, 1997, Rz. 153. 3 Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzverordnung, Kommentar, 2002, Art. 17 EuInsVO Rz. 12. 4 Bornemann/Sabel/Schlegel in Graf-Schlicker, InsO, Art. 17 EuInsVO Rz. 4. 5 Vgl. BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269, 272 = GmbHR 1986, 351; AG Köln v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07, NZI 2008, 254.

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12.80

12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

Tätigkeit eingestellt hat. Dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungssitz danach – z.B. zu Liquidationszwecken – verlegt wurde1. 2. Sekundärinsolvenzverfahren über das Inlandsvermögen 12.80 Nach § 356 InsO schließt die Anerkennung eines ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens ein Sekundärinsolvenzverfahren über das inländische Vermögen nicht aus. Die Wirkungen eines solchen Verfahrens erstrecken sich auf das inländische (deutsche) Vermögen. Allgemeines Insolvenzstatut des Sekundärinsolvenzverfahrens ist deutsches Recht2. Neben dem Gläubiger (§ 354 Abs. 1 InsO) ist auch der ausländische Insolvenzverwalter antragsberechtigt (§ 356 Abs. 2 InsO). Dagegen steht dem Schuldner nach dem Wortlaut des § 354 Abs. 1 InsO ein Antragsrecht nicht zu. § 356 Abs. 3 InsO sieht in Anlehnung an Art. 27 Satz 1 EuInsVO vor, dass das zuständige Insolvenzgericht einen Eröffnungsgrund nicht feststellen muss. 3. Lex fori concursus und Sonderanknüpfungen 12.81 Nach § 335 InsO unterliegen das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen dem Recht des Staates, in dem das Verfahren eröffnet worden ist (lex fori concursus). Die Vorschrift ist als allseitige Kollisionsnorm ausgestaltet. Sie regelt zum einen, dass bei Eröffnung eines Verfahrens im Inland deutsches Recht anzuwenden ist, zum anderen erkennt sie an, dass bei Eröffnung eines Verfahrens im Ausland das ausländische Recht auch im Inland anerkannt wird. Zu dem Begriff „Insolvenzverfahren und seine Wirkungen“ zählen das Insolvenzantragsverfahren, die Eröffnung und die Beendigung des Verfahrens. Zu den Wirkungen des Insolvenzverfahrens i.S. des § 335 InsO gehört auch die Haftung des Geschäftsführer der GmbH nach § 64 Satz 2 GmbHG. Die Vorschrift umfasst sowohl das Verfahrensrecht als auch das materielle Insolvenzrecht3. 12.82 Abweichende Anknüpfungen finden sich im autonomen deutschen Internationalen Insolvenzrecht insbesondere in §§ 336, 337, 339, 340, 351 Abs. 2 und § 354 Abs. 3 InsO. 4. Anerkennung der deutschen Eröffnungsentscheidung im Ausland 12.83 Während nach Art. 16 Abs. 1 EuInsVO die Eröffnungsentscheidung des deutschen Insolvenzgerichts über das Vermögen einer GmbH im Anwendungsbereich der Verordnung automatisch anerkannt wird (näher dazu Rz. 12.72 ff.), entscheidet bei einem Drittstaatenbezug jeder ausländische Staat nach seinem autonomen internationalen Insolvenzrecht, ob er ein in Deutschland eröffnetes Verfahren über das Vermögen einer GmbH anerkennt und ihm ganz oder teilweise Inlandswirkungen beimisst4. 1 2 3 4

Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 7. Aufl. 2014, § 3 InsO Rz. 16. Bornemann/Sabel/Schlegel in Graf-Schlicker, § 356 InsO Rz. 2. Stephan in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 335 InsO Rz. 9. Kohlmann/Keller in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 131 Rz. 87 ff.

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Insolvenzverfahren mit ausschließlichem Drittstaatenbezug

12.85

a) Schweiz Verfügt eine GmbH, über deren Vermögen in Deutschland ein Insolvenzverfahren 12.84 eröffnet worden ist, z.B. über ein Konto in der Schweiz, ist es dem deutschen Insolvenzverwalter verwehrt, in der Schweiz belegenes Vermögen des Schuldners zwangsweise in Ausland zu schaffen. Dies folgt aus dem in der Schweiz geltenden Grundsatz der passiven Territorialität, wonach ausländische Insolvenzverfahren in der Schweiz grundsätzlich keine Wirkungen entfalten1. Aus Sicht des Schweizer Kreditinstituts bleibt die GmbH trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen in Deutschland über ihr Schweizer Konto verfügungsberechtigt, so dass die Bank weiterhin zur Erfüllung gegenüber dem ausländischen Schuldner verpflichtet bleibt2. Wohl können ausländische und inländische Gläubiger auf das Vermögen der GmbH einen Ausländerarrest legen3. Zugunsten des deutschen Hauptinsolvenzverfahrens kann in der Schweiz indes ein sog. „Hilfs- bzw. Anschlusskonkurs“ durchgeführt werden. Die Eröffnung eines solchen Verfahrens setzt die Anerkennung eines vollstreckbaren ausländischen Konkursdekrets gemäß Art. 166 IPRG in der Schweiz voraus. Das schweizerische Vermögen des Schuldners wird sodann in einem abgekürzten Konkursverfahren liquidiert. Die entsprechenden Wirkungen richten sich gemäß Art. 170 Abs. 1 IPRG nach schweizerischem Konkursrecht. Befriedigung erhalten indes nur die pfandgesicherten und die privilegierten Forderungen von Gläubigern mit Wohnsitz in der Schweiz. Nur dann, wenn sichergestellt ist, dass die schweizerischen Drittklassgläubiger auch im ausländischen Insolvenzverfahren angemessen berücksichtigt werden, wird ein etwaiger Überschuss aus der Verwertung der ausländischen Masse zur Verfügung gestellt4. b) Vereinigte Staaten von Amerika Nach § 1571 (a) (l) (2) BC (Bankruptcy Code) des am 17.10.2005 in Kraft getretenen 12.85 Bankruptcy Abuse Prevention und Consumer Protection Act of 2005, das unter anderem eine umfangreiche Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts (Chapter 15 „Ancillary and other cross border cases“) enthält, setzt die Anerkennung eines ausländischen Insolvenzverfahrens in den USA voraus, dass es der Definition eines foreign proceeding in § 101 (23) BC genügt und ein main proceeding oder nonmain proceeding (§ 1502 (4), (5) BC ist. Sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Treuhänder eines deutschen Insolvenzverfahrens fallen regelmäßig unter den Begriff des foreign representative (§ 101 (24) BC). Der deutsche Verwalter hat seinen Antrag auf Anerkennung des deutschen Insolvenzverfahrens beim zuständigen Bankruptcy Court (28 U.S.C. § 1408 (1) zu stellen5. Bei Vorliegen der formellen und materiellen Voraussetzungen ist die Anerkennung auszusprechen. Soweit eine Anerkennung der deutschen Eröffnungsentscheidung in den Vereinigten Staaten erforderlich erscheint, dürfte es die Anerkennungsentscheidung erleichtern helfen, wenn im Eröffnungsbeschluss das deutsche Verfahren und die 1 2 3 4

Näher dazu Liersch/Walther, ZInsO 2007, 582. Walther in DACH (Hrsg.), Grenzüberschreitendes Insolvenzrecht, 2004, S. 67. BGE 107 II 484 ff. Walther in DACH (Hrsg.), Grenzüberschreitendes Insolvenzrecht, 2004, S. 70; ausführlich Bürgi in DACH (Hrsg.), Grenzüberschreitendes Insolvenzrecht, 2004, S. 79 ff. 5 Näher zu den Antragvoraussetzungen Rüfner, ZIP 2005, 1859, 1861.

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12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

Stellung des Insolvenzverwalters unter Rückgriff auf den Gesetzeswortlaut kurz charakterisiert werden1. Auf diese Weise wird eine aus amerikanischer Sicht hinreichende Grundlage für die Vermutungen nach § 1516 (a) BC2 geschaffen. 12.86 Auf Grund der Anerkennung der deutschen Eröffnungsentscheidung tritt das umfassende Beitreibungsverbot (automatic stay) in Kraft. Es verhindert jegliches Vorgehen gegen den Schuldner persönlich (§ 362 (a) (l) BC und Vollstreckungen in die Masse (§ 362 (a) (2) BC. Daneben tritt bei der Anerkennung des main proceeding ein allgemeines Verfügungsverbot für die GmbH hinsichtlich ihres in den USA belegenen Vermögens ein (§ 1520 (a) (2) BC. Die Verwaltungsbefugnis über das in den USA belegene Vermögen geht auf den deutschen Verwalter über (§ 150 (a) (3) BC. Im Falle eines nonmain proceeding kann das Gericht Sicherungsmaßnahmen anordnen, die an den Schutz im main proceeding heranreichen. 12.87 Der Insolvenzverwalter über das Vermögen der GmbH muss ein Anerkennungsverfahren durchlaufen, bevor er einen sogen. „full case“ (selbständiges Insolvenzverfahren, § 1511 BC) einleiten kann3. Ein solches Verfahren bietet sich an, wenn der deutsche Verwalter von den Vorschriften des Bankruptcy Code, insbesondere den weit reichenden Anfechtungsmöglichkeiten, Gebrauch machen will. 5. Anerkennung der ausländischen Eröffnungsentscheidung in Deutschland (§ 343 InsO) 12.88 Das deutsche Internationale Insolvenzrecht wird vom Grundsatz der automatischen Anerkennung bestimmt. Wegen der nationalen Rechtsunterschiede sieht § 343 Abs. 1 InsO eine gewisse Kontrolle der ausländischen Entscheidung vor. Anerkennungsvoraussetzungen sind4: 12.89 Es muss sich bei dem ausländischen Verfahren um ein „Insolvenzverfahren“ handeln5; das ausländische Gericht muss nach deutschem Recht für die Eröffnung des Verfahrens international zuständig sein; die Anerkennung der Eröffnung eines ausländischen Verfahrens oder darin ergehender Entscheidungen darf nicht zu einem Ergebnis führen, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist („ordre public“-Vorbehalt). Mit dem deutschen ordre public i.S. von § 343 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO ist eine Entscheidung nicht 1 Rüfner, ZIP 2005, 1859, 1861. 2 Nach dieser Vorschrift darf das Gericht vermuten, dass das Verfahren und der Verwalter den Anforderungen an ein foreign proceeding bzw. einen foreign representative entsprechen. 3 Rüfner, ZIP 2005, 1859, 1864. 4 Stephan in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 343 InsO Rz. 4. 5 Nach Ansicht des BAG (Urt. v. 18.7.2013 – 6 AZR 882/11, AP Nr. 1 zu § 352 InsO) ist das brasilianische Insolvenzverfahren nach Art. 73, 75 ff. des Gesetzes Nr. 11.101/05 ein anerkennungsfähiges Insolvenzverfahren i.S. des deutschen autonomen Internationalen Insolvenzrechts (§ 343 Abs. 1 Satz 1 InsO). Das gerichtliche Sanierungsverfahren verstoße ebenso wenig wie das Insolvenzverfahren brasilianischen Rechts, in das sich die gerichtliche Sanierung umgewandelt hat, gegen die deutsche öffentliche Ordnung i.S. von § 343 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO. Die gerichtliche Bestätigung des Nachlassvertrags gemäß Art. 304 Abs. 2 SchKG (Schweizer Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs) beansprucht eine extraterritoriale Geltung und ist deshalb im Inland anzuerkennen (BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, ZIP 2014, 1997).

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Insolvenzverfahren mit ausschließlichem Drittstaatenbezug

12.100

schon dann unvereinbar, wenn der deutsche Richter – hätte er über die Frage entschieden – auf Grund zwingenden deutschen Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach inländischer Vorstellung untragbar erscheint1. 6. Kooperations- und Informationspflichten von Insolvenzverwaltern und Gerichten Für grenzüberschreitende Insolvenzverfahren außerhalb des Anwendungs- 12.90 bereichs der EuInsVO enthält § 357 InsO eine ähnliche Regelung wie Art. 31, 32 Abs. 3 EuInsVO. Die Vorschrift normiert die Verpflichtung für die Insolvenzverwalter des Sekundärverfahrens und des Hauptverfahrens zur Zusammenarbeit. Auch wenn die Vorschrift nach ihrem Wortlaut allein auf die Kooperation des inländischen Sekundärinsolvenzverwalters mit dem ausländischen Verwalter des Hauptverfahrens zugeschnitten ist, lassen sich die Grundgedanken der Norm auch auf die Kooperation eines inländischen Hauptverfahrens mit einem ausländischen Sekundärverfahren und auch zwischen mehreren Sekundärverfahren entsprechend anwenden. § 348 Abs. 2 InsO, eingeführt durch das ESUG2, soll dazu beitragen, die Kooperation und Kommunikation zwischen den beteiligten Gerichten zu fördern. Das deutsche Gericht ist befugt, Informationen weiterzugeben, die für das ausländische Verfahren von Bedeutung sind. vacat

12.91–12.100

1 BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, NZI 2013, 758; vgl. ferner BGH v. 8.5.2014 – IX ZB 35/12, ZIP 2014, 1131. 2 Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, BGBl. I 2011, 2582.

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12.101

12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

D. Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union I. „Konzerninsolvenzgerichtsstand“ im Ausland? 12.101 Schon ein Jahr nach Inkrafttreten der EuInsVO wandten sich Geschäftsführer deutscher Tochtergesellschaften insolventer englischer Muttergesellschaften – in den meisten Fällen handelte es sich bei der Tochtergesellschaft um eine GmbH – an ein englisches Gericht, um dort einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, dem die angerufenen Gerichte auf Grund einer weiten Auslegung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO regelmäßig entsprachen1. Bestimmend für dieses Verhalten war insbesondere das Bestreben der Insolvenzverwalter der Muttergesellschaften, „alles in der Hand zu behalten“, um durch diese verfahrensrechtliche Konzentration leichter zu einer konzernweiten Sanierung zu gelangen2. Zwar enthält die EuInsVO keine Regelung für eine Konzerninsolvenz3. Unbeschadet der rechtlichen Selbständigkeit von Mutter- und Tochtergesellschaft kommt die Argumentation englischer Gerichte, der „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ der Tochtergesellschaften liege wegen der Beherrschung durch die Muttergesellschaft ebenfalls an deren Sitz, der faktischen Annahme einer Konzerninsolvenz mit einem „Konzerninsolvenzgerichtsstand“ gleich. 12.102 Die am 20.5.2015 verabschiedete neue Europäische Insolvenzverordnung, die am 26.6.2017 in Kraft treten wird, sieht in Kapitel V erstmals Regelungen für Insolvenzverfahren über das Vermögen von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe vor. Anders als der von der Bundesregierung am 30.1.2014 vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen4 enthält die reformierte EuInsVO keine Regelung zum Konzerninsolvenzgerichtsstand5. Dies mag auf den ersten Blick verwundern. Letztlich ist diese gesetzgeberische Abstinenz aber verständlich, weil eine Regelung, bei der sich der Interessenmittelpunkt am Gesamtunternehmen auszurichten hätte, die berechtigten Interessen der Gläubiger weitgehend außer Acht ließe. Denn für sie wäre der Interessenmittelpunkt ihres jeweiligen Vertragspartners nicht ohne weiteres erkennbar. Die Gläubiger müssten im Falle einer Konzerninsolvenz die Gruppenstruktur ausloten. Kleingläubiger dürften dazu kaum in der Lage sein. Knüpfte man dagegen an den Sitz der Muttergesellschaft an, hätte dies zur Konsequenz, dass bei einer solventen Mutter, aber insolventen Töchtern eine fremde Rechtsordnung auf das Verfahren einer Konzerngesellschaft Anwendung fände, obwohl diese evtl. als 1 Z.B. High Court of Leeds („Daisytek“), ZIP 2003, 818; High Court of Justice Leeds, ZIP 2004, 963; Trib. Civ. Di Parma, ZIP 2004, 1220; High Court of Justice Birmingham („automold“), NZI 2005, 467. 2 So Tribunal de Commerce de Nanterre, Urt. v. 15.2.2006 – PLC 2006J00174, EWIR Art. 3 EuInsVO, 4/06, S. 207 (Penzlin). 3 Deyda, Der Konzern im internationalen europäischen Insolvenzrecht, 2008, S. 262. 4 BT-Drucks. 18/407. 5 Der deutsche Gesetzentwurf enthält in § 3a die Regelung eines Gruppen-Gerichtsstands.

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GmbH in einem anderen Mitgliedstaat der EU

12.105

einziges Gruppenmitglied einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt hätte. Um eine bessere Abwicklung von Insolvenzverfahren konzernangehöriger Unter- 12.103 nehmen zu ermöglichen, bietet die Verordnung ein Gruppen-Koordinationsverfahren (Art. 61 f. EuInsVO n.F.) an. Der entsprechende Antrag kann von einem Verwalter, der in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mitglieds der Gruppe bestellt worden ist, bei jedem Gericht, das für das Insolvenzverfahren eines Mitglieds der Gruppe zuständig ist, gestellt werden. Art. 64 EuInsVO n.F. räumt dem für ein Mitglied einer Gruppe bestellten Verwalter die Befugnis ein, Einwände gegen die Einbeziehung seines Verfahrens in das Koordinationsverfahren oder die als Koordinator vorgeschlagene Person zu erheben. Die Entscheidung über die Einwände trifft das zuständige Insolvenzgericht (Art. 68 Abs. 1 EuInsVO n.F.). Art. 72 EuInsVO n.F. bestimmt die Rechte und Pflichten des vom Gericht bestellten Koordinators. Dieser legt Empfehlungen für die koordinierte Durchführung der Insolvenzverfahren fest und stellt diese dar. Ferner schlägt er einen Gruppen-Koordinationsplan vor, der einen umfassenden Katalog für einen integrierten Ansatz zur Bewältigung der Insolvenz der Gruppenmitglieder festlegt, beschreibt und empfiehlt. Darüber hinaus sind die an den einzelnen Hauptverfahren beteiligten Verwalter und Gerichte verpflichtet, miteinander zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren (Art. 56 bis 58 EuInsVO n.F.). 1. Gefahren für die Tochtergesellschaften Nach der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens im Ausland über das Ver- 12.104 mögen der deutschen GmbH mit Satzungs- und Verwaltungssitz in Deutschland wurde diesem Unternehmen nicht immer die Zuwendung durch den ausländischen Insolvenzverwalter zuteil, wie dies bei Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in Deutschland mit Bestellung eines deutschen Verwalters der Fall gewesen wäre. Die Folge war häufig der Verlust von Arbeitsplätzen, wenn das deutsche Unternehmen im Konzernverbund „ausgedient“ hatte und liquidiert wurde. Zwar wurden die angestrebten Ergebnisse gelegentlich dadurch torpediert, dass in Deutschland ein Sekundärinsolvenzverfahren beantragt und eröffnet wurde (näher dazu Rz. 12.50 ff.), das vor allem aus Sicht des Hauptinsolvenzverwalters geeignet ist, die Umsetzung des Konzeptes einer europaweiten Sanierung zu gefährden. Dies änderte aber nichts an dem Bestreben der Beteiligten, die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in England zu erreichen. 2. Strategien zur Vermeidung „störender“ Sekundärinsolvenzverfahren Die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens am Sitz der Tochtergesell- 12.105 schaft nach Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens am Sitz der Muttergesellschaft hat regelmäßig zur Folge, dass (fast) das gesamte Vermögen der Tochtergesellschaft dem Beschlag des Sekundärinsolvenzverfahrens unterliegt. Denn die Produktion bzw. sonstige Geschäftstätigkeit der Tochtergesellschaft findet typischerweise im Staat ihres eigenen satzungsmäßigen Sitzes statt, so dass sich dort auch (fast) ihr gesamtes Vermögen befindet1. 1 Deyda, Der Konzern im internationalen europäischen Insolvenzrecht, 2008, S. 182 mit zahlreichen Rechtsprechungsbeispielen.

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12.106

12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

12.106 Um „störende“ Sekundärinsolvenzverfahren zu vermeiden, haben die englischen Verwalter im Rover- und Collins&Aikman-Verfahren den – erfolgreichen – Versuch unternommen, die ausländischen Gläubiger durch Abgabe einer bestimmten Erklärung in ihre Strategie einzubinden1. Für den Fall, dass keine Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet würden, werde die finanzielle Stellung der Gläubiger nach dem anwendbaren Insolvenzrecht des (nicht eröffneten) Sekundärinsolvenzverfahrens auch in der englischen administration so weit wie möglich berücksichtigt2. Der High Court of Justice trat den administrators zur Seite, indem er sie ermächtigte, die Verteilung entsprechend den jeweiligen nationalen Verteilungsregelungen vorzunehmen3. Im Ergebnis erzielten die englischen Hauptinsolvenzverwalter einen Mehrerlös in Höhe von 45 Mio. Euro im Vergleich zu den prognostizierten Erlösen4. Ob dieses Beispiel eines kreativen Insolvenzmanagements Schule machen wird, bleibt abzuwarten. Das erzielte Ergebnis wird jedenfalls für eine bestimmte Gruppe von Beteiligten ein weiterer Beleg dafür sein, dass das englische Insolvenzrecht bessere Sanierungschancen bietet. Damit nimmt der Konkurrenzdruck auf das deutsche Insolvenzrecht weiter zu. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass der pragmatische Ansatz englischer Insolvenzverwalter und -gerichte auch Schwächen hat. Die in den Verfahren Rover und Collins&Aikmann praktizierte Verfahrensweise vermag es nicht, die Einbeziehung von dinglichen Rechten Dritter an Gegenständen, die sich Staat der Niederlassung befinden, in das Hauptinsolvenzverfahren zu ermöglichen (Art. 5 EuInsVO). Hinzu kommt, das nicht jede nationale Rechtsordnung die praktizierte flexible Verteilung des Verwertungserlöses zulässt. Soweit bestimmte Gläubiger mit der angebotenen Lösung nicht einverstanden sind, steht es ihnen frei, einen Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zu stellen. 12.107 Der Europäische Verordnungsgeber hat die Erfahrungen mit „störenden“ Sekundärinsolvenzverfahren insoweit in der reformierten EuInsVO aufgegriffen, als der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens die Möglichkeit erhält, den lokalen Gläubigern die Zusicherung zu geben, dass sie so behandelt werden, als wäre das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet worden (Art. 36 EuInsVO n.F.). Bei dieser Zusicherung sind einige Voraussetzungen zu erfüllen. Sie muss insbesondere von einer qualifizierten Mehrheit der lokalen Gläubiger gebilligt werden. Das mit dem Antrag auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens befasste Gericht kann den Eröffnungsantrag ablehnen, wenn es der Überzeugung ist, dass die Zusicherung die lokalen Gläubiger angemessen schützt (Art. 38 Abs. 2 EuInsVO n.F.). Darüber hinaus sieht die Verordnung zur Vermeidung „störender“ Sekundärinsolvenzverfahren vor, dass das Gericht die Eröffnungsentscheidung vorläufig aussetzt, wenn im Hauptinsolvenzverfahren eine vorläufige Aussetzung von Einzelzwangsvollstreckungsverfahren gewährt wurde, um die Wirksamkeit der im Hauptinsolvenzverfahren gewährten Aussetzung zu wahren (Art. 46 Abs. 1 EuInsVO n.F.). 1 High Court of Justice Birmingham, Beschl. v. 30.3.2006 – No. 2377/2006, NZI 2006, 416 m. Anm. Mankowski und High Court of Justice London, Urt. v. 9.6.2006 – EWHC 1343 (Ch.), NZI 2006, 654. 2 Meyer-Löwy/Plank, NZI 2006, 622, 623. 3 NZI 2006, 654. 4 Meyer-Löwy/Plank, NZI 2006, 622, 623.

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Migration einer GmbH ins Ausland

12.110

II. Migration einer GmbH ins Ausland Bis vor einigen Jahren war in Europa eine neue Variante grenzüberschreitender sa- 12.108 nierungs- bzw. insolvenzrechtlicher Migration zu beobachten. Von der Insolvenz betroffene deutsche GmbHs oder AGs richteten ihren Fokus insbesondere nach England, um auf der Insel im neuen Mantel einer englischen juristischen Person ihre Restrukturierung zu versuchen und beim Scheitern dieser Bemühungen das englische Sanierungs- und Insolvenzrecht als eine vermeintlich bessere Möglichkeit der Gläubigerbefriedigung zu nutzen. Das gezielte Ausnützen der nicht aufeinander abgestimmten nationalen Rechtsordnungen mit dem Bestreben, das für das Unternehmen jeweils günstigste Recht zu wählen, ist kein europäisches Phänomen1. Bereits in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts waren US-amerikanische Unternehmen, begünstigt durch die dortigen insolvenzrechtlichen Bestimmungen, auf die Idee verfallen, ein Insolvenzverfahren an dem Gericht zu beantragen, das ihnen die für die Durchführung des Verfahrens günstigsten Bedingungen bot2. Dazu zählte aus deutscher Sicht zumindest einige Jahre das englische company voluntary arrangement (CVA)3. Um die Vorteile dieses Verfahrens nutzen zu können, sahen sich manche deutsche GmbHs veranlasst, ihren Verwaltungssitz nach England zu verlegen. 1. Verlegung des Verwaltungssitzes Die Verlegung des Verwaltungssitzes der GmbH ins Ausland – vorzugsweise nach 12.109 England – war bis zum Inkrafttreten des MoMiG nicht gestattet. Aus § 4a Abs. 1 GmbHG bzw. § 5 Abs. 1 AktG folgte, dass als Sitz der Gesellschaft nur ein genau bestimmter Ort im Sinne einer politischen Gemeinde gewählt werden kann4. Da dieser Ort im Bundesgebiet liegen musste, ließ die Rechtsprechung die Sitzverlegung einer GmbH aus dem In- ins Ausland nicht zu5; sachlich rechtlich wurde der Verlegungsbeschluss als Beschluss zur Auflösung der Gesellschaft gedeutet. Durch die Streichung des Absatzes 2 des § 4a GmbHG und der älteren Parallelnorm des § 5 Abs. 2 AktG ist es deutschen Gesellschaften nunmehr möglich, einen Verwaltungssitz zu wählen, der nicht notwendig mit dem Satzungssitz übereinstimmt. Entfaltet die GmbH ihre Geschäftsaktivitäten in einem Mitgliedstaat der EU, hat 12.110 dieser Staat auf Grund der EuGH-Rechtsprechung nach den Urteilen Überseering vom 5.11.20026 und Inspire Art vom 30.9.20037 die GmbH als „Auslandsgesellschaft“ anzuerkennen. Soweit der einzige Bezug der GmbH zu Deutschland die Eintragung im Handelsregister ist, dürfte die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO widerlegt sein und für eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das 1 Näher dazu Willcock, How Europe became the capital of Forum Shopping, INSOL World III, 2003, 8 f. 2 Näher dazu Vallender, NZI 2007, 129, 130. 3 Näher dazu Rz. 12.115 ff.. 4 Emmerich in Scholz, § 4a GmbHG Rz. 11 m.w.N. 5 Vgl. BGH v. 21.11.1955 – II ARZ 1/55, BGHZ 19, 102, 105; BayObLG v. 11.2.2004 – 3 Z BR 175/03, GmbHR 2004, 490, 491; OLG Brandenburg v. 30.11.2004 – 6 Wx 4/04, GmbHR 2005, 484, 485. 6 C-208/00, GmbHR 2002, 1137. 7 C-167/01, GmbHR 2003, 1260 m. Komm. Meilicke.

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12.111

12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

Vermögen der GmbH das Gericht des Ortes international zuständig sein, an dem die GmbH ihren Verwaltungssitz begründet hat. Damit sind auch die Vorschriften des Staates des Verwaltungssitzes maßgeblich dafür, ob und unter welchen Voraussetzungen die GmbH ein Insolvenzverfahren zu beantragen hat (Art. 4 Abs. 1 EuInsVO). Die Regelung des § 15a Abs. 1 InsO findet in diesen Fällen keine Anwendung. 2. Umwandlung der GmbH 12.111 Auch ohne Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland gibt es für die GmbH noch andere Möglichkeiten, in der Krise des Unternehmens Vorteile einer ausländischen Rechtsordnung für die angestrebte Sanierung des Unternehmens oder die Durchführung eines Insolvenzverfahrens zu nutzen1. Es bieten sich einige gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten mit Auslandsbezug an2. So kommt z.B. die Umwandlung einer GmbH in eine GmbH & Co. KG in Betracht, der eine englische public limited company oder limited als persönlich haftender Gesellschafter beitritt3. Bei einem Ausscheiden der beiden anderen Gesellschafter wächst sämtliches Vermögen bei der public limited company oder der limited an; die KG erlischt. 3. Grenzüberschreitende Herausverschmelzung 12.112 Näher in Erwägung zu ziehen ist auch eine grenzüberschreitende „Herausverschmelzung“ über die deutsche Grenze4. Nach § 1 Abs. 1 UmwG sind zwar alle Rechtsträger mit ausländischem Sitz aus dem Anwendungsbereich des UmwG ausgeschlossen. Soweit ein ausländisches Recht die grenzüberschreitende Verschmelzung einer ausländischen Gesellschaft zulässt und als rein nationalen Vorgang bewertet, wäre auch nach dem UmwG ein solcher Vorgang möglich und zulässig, wenn die deutsche Rechtsordnung eine „Mitwirkung“ nicht voraussetzt. 12.113 Auf Grund des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes vom 19.4.2007 (BGBl. I 2007, 5425) kann eine GmbH leichter über die Grenzen hinweg mit anderen Unternehmen aus der Europäischen Union fusionieren (§ 122b UmwG). Für eine grenzüberschreitende Verschmelzung müssen u.a. ein gemeinsamer Verschmelzungsplan, der Verschmelzungsbericht und die Verschmelzungsprüfung vorliegen sowie die Sonderregeln zum Schutz von Minderheitsaktionären und Gläubigern beachtet sein. Sind diese Voraussetzungen für eine deutsche Gesellschaft erfüllt, kann sie bei dem zuständigen Registergericht eine 1 Bücker in Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2005, § 3 Rz. 13 führt eine Vielzahl strategischer, operativer, steuerlicher, regulatorischer und gesellschaftsrechtlicher Gründe für gesellschaftsrechtliche Gestaltungen mit Auslandsbezug an. 2 Bücker in Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2005, § 3 Rz. 31 ff. 3 Nach st. Rechtsprechung zahlreicher Oberlandesgerichte ist anerkannt, dass eine ausländische Kapitalgesellschaft die Funktion eines Komplementärs in einer deutschen KG (z.B. Ltd. & Co. KG) übernehmen kann; s. die Nachweise bei Baumbach/Hopt, § 105 HGB Rz. 28. 4 Schelo, NZI 2006, Heft 12, VII. 5 Zuletzt geändert durch Art. 22 des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst vom 24.4.2015 (BGBl. I 2015, 642).

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Migration einer GmbH ins Ausland

12.116

sog. Verschmelzungsbescheinigung beantragen. Für die Eintragung der Verschmelzung im ausländischen Register ist dann nur noch die Vorlage dieser Bescheinigung erforderlich. Das Gesetz setzt den gesellschaftsrechtlichen Teil der Europäischen Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten in deutsches Recht um, die am 15.12. 2005 in Kraft getreten ist. Außerdem trägt das Gesetz der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 12.114 13.12.2005 in der Sache „SEVIC Systems AG“1 Rechnung. Das Gericht hatte entschieden, dass in Deutschland Umwandlungen unter Beteiligung von Kapitalgesellschaften aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union möglich sein müssen. Das Umwandlungsgesetz wurde so ergänzt, dass für grenzüberschreitende Verschmelzungen größtenteils dieselben Bestimmungen wie für innerstaatliche Verschmelzungen gelten. Neue Vorschriften gibt es lediglich dort, wo der grenzüberschreitende Charakter der Verschmelzung und die Richtlinie dies erfordern. 4. Sanierung in einem CVA-Verfahren Das englische Insolvenzrecht kennt insgesamt sieben Gesamtverfahren im wei- 12.115 testen Sinne: Das winding-up-Verfahren in Gestalt des compulsory winding up, das creditors voluntary winding up und das members volantary winding up, ferner das company voluntary arrangement (CVA)2, die administration, das scheme of arrangement sowie die administrative receivership, die allerdings durch bestimmte Regelungen im Enterprise Act 2002 faktisch abgeschafft ist3: Ein besonders flexibles Verfahren, das der schuldnerischen Gesellschaft die Möglichkeit eröffnet, während einer Krise außerhalb der materiellen Insolvenz Sanierungsschritte rechtzeitig zu ergreifen, ist das im Insolvency Act 1986 näher geregelte (sections 1–7B) Company voluntary arrangement (CVA), das entweder völlig eigenständig oder in Verbindung mit anderen Insolvenzverfahren (regelmäßig mit dem administration-Verfahren) durchgeführt werden kann. Bei dem CVA-Verfahren handelt es sich um einen außergerichtlichen Vergleich, der zwischen der Gesellschaft und ihren Gläubigern getroffen wird, um ein formelles Insolvenzverfahren zu vermeiden oder aus einem solchen formellen Insolvenzverfahren wieder „herauszuführen“. Das Insolvenzgericht ist bei einem CVA-Verfahren kaum involviert. Es hat lediglich Kontrollaufgaben wahrzunehmen und greift nur auf Antrag der Beteiligten ein. Zwar bedarf es auch bei einem CVA-Verfahren, das nur vom Geschäftsführer der 12.116 Gesellschaft, dem administrator oder liquidator eingeleitet werden kann, einer kurzen Begründung, warum die Durchführung dieses Verfahrens sinnvoll ist und warum zu erwarten ist, dass die Gläubiger dem Vorschlag zustimmen werden. An dieser Hürde scheitern indes die wenigsten Verfahren. Ebenso wie in einem Insolvenzplanverfahren nach der Insolvenzordnung können die Beteiligten 1 EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03, GmbHR 2006, 140. 2 Eingehend Steffek in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, 4. Aufl. 2013, Bd. 6, Teil 2, 2. Kapitel, § 39 Rz. 1 ff. 3 Müller-Seils, Rescue Culture und Unternehmenssanierung in England und Wales nach dem Enterprise Act 2002, 2006, S. 71.

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12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

ein Moratorium, Ratenzahlungen, Stundung, einen (Teil-)Erlass von Forderungen, die Zuführung neuen Kapitals, aber auch komplexere und innovativere Inhalte vereinbaren. Von besonderem Interesse dürfte für bestimmte Gläubigergruppen die Umwandlung von Forderungen in Gesellschaftskapital (debt to equity swap) auf der Grundlage eines proposals sein. 12.117 Ein proposal gilt nach sec. 4 A (2) des Insolvency Acts 1986 als angenommen, wenn entweder sowohl die Gläubigerversammlung als auch die Gesellschafterversammlung dem Vorschlag zustimmen oder aber nur die Gläubigerversammlung zustimmt. Damit liegt „die Entscheidungshoheit“ bei den Gläubigern. Teilnahme- und stimmberechtigt sind diejenigen Gläubiger, die über die Gläubigerversammlung in Kenntnis gesetzt wurden, aber auch diejenigen, die auf anderem Wege davon erfahren haben. Da arrangements mit einer 3/4-Summenmehrheit der abstimmenden Gläubiger in Kraft gesetzt werden können, stellt sich in einem cva-Verfahren das Problem von Akkordstörern nicht. 12.118 Das CVA-Verfahren ist für die Gläubiger zwar risikoarm, aber nicht gänzlich risikofrei. Da das proposal Grundlage der Verfahrensdurchführung ist, muss es alle denkbar auftretenden Problemfelder abdecken. Damit sind an die Verfasser des proposals hohe Anforderungen zu stellen. Sie müssen detaillierte Regelungen über den Ablauf und die notwendigen Befugnisse treffen. Darüber hinaus findet das angenommene proposal seine zulässige Grenze im Verbot „unfairer Beteiligung“ (unfair prejudices) der betroffenen Interessen. Ist diese Grenze überschritten, können stimmberechtigte Gläubiger, Gesellschafter und unter bestimmten Voraussetzungen auch der Verwalter das volontary arrangement anfechten (vgl. sec 6 (1) und (2) Insolvenvcy Act 1986.). Schließlich darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Rechtsposition von gesicherten und vorrangig zu bedienenden Gläubigern (secured and preferential debt) gegen den Willen der betreffenden Gläubiger nicht beeinträchtigt werden darf. Dies schmälert die praktische Bedeutung dieses Verfahrens. 12.119 Seit Inkrafttreten des ESUG scheint die Alternative einer Sanierung nach dem CVA-Verfahren1 aus Kosten- und Zeitgründen an Attraktivität verloren zu haben. Es sind keine Fälle mehr bekannt geworden, dass eine deutsche GmbH durch Verlegung ihres Verwaltungssitzes den Zugang zu diesem Verfahren gesucht hätte. 5. Risiken einer Migration 12.120 Im Falle der Insolvenz muss sich die GmbH, die von den gesellschaftsrechtlichen Mobilitätsvorgaben Gebrauch gemacht hat, an den maßgeblichen Bestimmungen der EuInsVO bzw. den nationalen insolvenzrechtlichen Regelungen messen lassen, ob sie im Ausland ein Insolvenzverfahren über ihr Vermögen herbeiführen kann. 12.121 Durch die Wahl des Anknüpfungspunktes des „Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen“ im Sinne des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO hat der Europäische Verordnungsgeber einen Weg gesucht, dem forum shopping und der dadurch eintretenden Verzerrung des Wettbewerbs, die gleichzeitig eine Gefahr für das Funktionie1 Näher dazu Ausführungen Rz. 12.115 ff.

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Migration einer GmbH ins Ausland

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ren des Binnenmarkts bedeutet, wirksam begegnen zu können1. Der Regelung über die internationale Zuständigkeit kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil mit ihr gleichzeitig die Entscheidung über das anwendbare Recht getroffen wird. Vor allem einheitliche Kollisionsnormen wie die Regelungen in Art. 4 und 28 EuInsVO sollen verhindern, dass es für den insolventen Schuldner beziehungsweise einzelne Gläubiger vorteilhafter ist, Vermögensgegenstände oder Rechtsstreitigkeiten von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlagern, um auf diese Weise eine verbesserte Rechtsstellung zu erlangen2. Allerdings stellen die zahlreichen Sonderanknüpfungen und die in der Verordnung normierten Ausnahmen (Art. 5 bis 15 EuInsVO) eine Durchbrechung eines gemeinschaftsweiten Einheitskonkurses dar und tragen mit dazu bei, dass die Idee des forum shopping nach wie vor, wenn auch mit immer neuen Varianten, weit verbreitet ist. Gegen diese Maßnahmen trifft die EuInsVO keine Vorsorge, sondern überlässt sie 12.122 dem nationalen Recht. Extremen Auswüchsen möchte Duursma-Kepplinger3 daher im Wege der Versagung der Anerkennung infolge Ordre-Public-Widrigkeit (Art. 26 EuInsVO) entgegenwirken4. Smid5 hält diesem Postulat entgegen, dass es eines besonderen Schutzes nicht bedürfe, weil die Sitzverlegung dem schuldnerischen Unternehmen bei dem Versuch eines forum shopping nicht „helfe“. Die Verlagerung des Mittelpunkts der Interessen im Sinne einer faktischen Verlagerung der wirtschaftlichen Tätigkeit erfordere den Einsatz erheblicher finanzieller Mittel. Derartiges scheitere regelmäßig in einer Liquiditätskrise. Werde dagegen eine Sitzverlegung mit Satzungsinstrumentarien vollzogen und „ziehe“ der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Interessen nicht nach, stehe die Regelung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO einem forum shopping entgegen. Diese Überlegungen treffen zwar zu, schließen aber im Einzelfall nicht aus, dass ein ausländisches Gericht gleichwohl ein Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH im Ausland eröffnet. Anschauliche Beispiele dafür liefern das Daisytek-, Automold- und Collins-Aikmann-Verfahren. Da einige Gerichte der Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren in recht groß- 12.123 zügiger Weise ihre internationale Zuständigkeit bejaht und dadurch die Befriedigungsmöglichkeiten lokaler Gläubiger des Schuldners erschwert haben, normiert 1 Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Vorbem. Rz. 11, 13, Art. 3 EuInsVO Rz. 17. 2 Erläuternder Bericht in Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im Deutschen Recht, 1997, Rz. 9; Kolmann, Kooperationsmodelle im Internationalen Insolvenzrecht – Empfiehlt sich für das deutsche Internationale Insolvenzrecht eine Neuorientierung?, 2001, S. 265. 3 Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 EuInsVO Rz. 17. 4 Das autonome französische Recht lässt z.B. einen Sitzwechsel innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten vor Stellung eines Insolvenzeröffnungsantrags unberücksichtigt, vgl. Dostal, ZIP 1998, 970. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH v. 20.3.1996 – X ARZ 90/96, BGHZ 132, 195, 197 ff.) kann eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Zuständigkeit nicht allein daraus abgeleitet werden, dass eine große Anzahl von Firmen übernommen und anschließend deren Sitz verlegt worden ist. Es reiche jedoch aus, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens innerhalb von drei Wochen nach Beurkundung des Beschlusses über die Sitzverlegung gestellt wurde. 5 Deutsches und Europäisches Internationales Insolvenzrecht, 2004, Art. 3 EuInsVO Rz. 14.

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12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

Art. 4 Abs. 1 EuInsVO n.F. zur Vermeidung unerwünschten Form Shoppings1 eine Verpflichtung der Gerichte zur Prüfung der internationalen Zuständigkeit von Amts wegen2. Dies bedeutet indes noch nicht eine Ermittlung von Amts wegen3. Vielmehr hat der Antragsteller, um die Prüfung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zu ermöglichen und damit seinen Antrag zulässig zu machen, alle die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründenden Tatsachen anzugeben4. Erst dann ermittelt das (deutsche) Gericht, sofern erforderlich, nach § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO die seine internationale Zuständigkeit begründenden Umstände von Amts wegen. Da auch die reformierte Verordnung bei juristischen Personen und Gesellschaften den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen am Satzungssitz vermutet, darf das für diesen Sitz zuständige Gericht zunächst von seiner internationalen Zuständigkeit ausgehen, solange sich aus dem Vortrag des Antragstellers nicht etwas anderes ergibt5. Hat der Schuldner indes seinen Sitz6 innerhalb der letzten drei Monate vor der Antragstellung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, findet die Vermutungsregelung des Art. 3 Abs. 1 Satz 3 EuInsVO n.F. keine Anwendung (Art. 3 Abs. 1 Satz 4 EuInsVO n.F.). Das Gericht hat den COMI nach objektiven, von Dritten erkennbaren Tatsachen zu ermitteln7. Gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners am Sitz des angerufenen Gerichts ist, kann es von seiner internationalen Zuständigkeit ausgehen, wenn die COMI-Verlagerung nicht missbräuchlich bzw. betrügerisch8 erfolgt ist. Nur auf Grund dieser weiteren Prüfung kann dem Anliegen des Verordnungsgebers hinreichend Rechnung getragen werden, dass die Verlagerung des Interessenmittelpunktes des Schuldners die Effizienz von Insolvenzverfahren nicht beeinträchtigen darf9. Grundsätzlich ist die Verlegung des COMI von einem Mitgliedstaat in einen anderen von der Niederlassungsfreiheit geschützt und bedeutet keinen Missbrauch der Art. 49 und 54 AEUV10 oder der EuInsVO. Ob es für die 1 2 3 4 5

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S. Erwägungsgrund Nr. 29 n.F. Erwägungsgrund Nr. 30 Satz 1 n.F. mahnt eine „sorgfältige Prüfung“ an. BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, ZIP 2012, 139 Rz. 10 = GmbHR 2012, 216. AG Köln v. 1.12.2005 – 71 IN 564/05, NZI 2006, 57; Undritz in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, Art. 3 EuInsVO Rz. 55 ff. BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, ZIP 2012, 139 Rz. 12 = GmbHR 2012, 216; DuursmaKeppelinger/Duursma/Chalupsky, /Art. 3 EuInsVO Rz. 25; Vallender/Fuchs, Die Antragspflicht der organschaftlichen Vertreter einer juristischen Person vor dem Hintergrund der Europäischen Insolvenzordnung, ZIP 2004, 829, 831. Mit Sitz ist der Satzungssitz gemeint. Dies erschließt sich zwar nicht ohne weiteres aus der deutschen Fassung der Vorschrift. Deutlich wird dies jedoch auf Grund der englischen Fassung, in der von registered office die Rede ist. Werner/Schuster in Frankfurter Kommentar zur InsO, Anhang I Rz. 11. Rechtsmissbrauch ist ein Problem der Rechtsanwendung auf einen bestimmten Sachverhalt. Betrugsfälle stellen ein Problem der korrekten Sachverhaltsermittlung dar (Eidenmüller, Rechtsmissbrauch im Europäischen Insolvenzrecht, KTS 2009, 137, 143/144). Vgl. dazu statt aller Kindler, IPRax 2006, 114 ff. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Fassung aufgrund des am 1.12. 2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon (Konsolidierte Fassung bekanntgemacht im ABl. EG Nr. C 115 v. 9.5.2008, S. 47), zuletzt geändert durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien und die Anpassung des Vertrags über die Europäische Union, des Vertrags über die Arbeitsweise der Euro-

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Annahme der Missbräuchlichkeit bereits ausreicht festzustellen, dass keine anderen Gründe als die Durchführung des Insolvenzverfahrens im Aufnahmestaat vorliegen und ein Großteil der Gläubiger im Wegzugstaat zurückbleibt1, erscheint fraglich. Zu fordern ist vielmehr, dass die Sitzverlagerung dazu dienen soll, den Schuldner auf Kosten der Gläubiger oder bestimmte Gläubiger auf Kosten anderer zu bereichern2. Im Einzelfall dürfte diese Feststellung allerdings nicht einfach zu treffen sein. 6. Insolvenzantragspflicht der organschaftlichen Vertreter Für den Geschäftsführer der deutschen GmbH, deren Verwaltungssitz sich in ei- 12.124 nem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union befindet, stellt sich spätestens bei Eintritt der Insolvenz die Frage, ob er die Antragspflicht gemäß § 15a Abs. 1 InsO zu beachten hat oder sich eine etwaige Antragspflicht nach dem Recht des Staates richtet, in dem die GmbH ihren Verwaltungssitz genommen hat3. Für das materielle Insolvenzrecht ist gemäß Art. 4 EuInsVO maßgebend das Recht des „Staates der Verfahrenseröffnung“, also das Recht des Staates, in dem ein Gericht das Verfahren eröffnet hat (lex fori concursus)4. Dieses Recht des Staates der Verfahrenseröffnung ist auch maßgeblich für die Entscheidung des zuständigen Gerichts darüber, „unter welchen Voraussetzungen das Verfahren eröffnet wird“ (Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO)5. Solange es indes kein mit der Sache befasstes Konkursgericht gibt, findet die EuInsVO und damit auch die Vorschrift des Art. 4 keine Anwendung6. Es erscheint vielmehr sachgerecht, hinsichtlich der Insolvenzantragspflicht auf das Recht des Staates abzustellen, dessen Gerichte für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens international zuständig wären, wenn ein Insolvenzantrag gestellt würde7. Befindet sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der GmbH in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, ist nach deutschem Kollisionsrecht § 15a Abs. 1 InsO unanwendbar8. Die organschaftlichen Vertreter der GmbH haben vielmehr eine Insolvenzantragspflicht des betreffenden ausländischen Rechts zu beachten. Etwaige Haftungsfolgen richten sich nicht nach deutschem Recht (vgl. § 64 GmbHG), sondern nach dem Recht des ausländischen Staates9. An dieser Betrachtungsweise ändert die reformierte EuInsVO nichts.

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päischen Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. EU L 112 v. 24.4.2012, S. 21) m.W.v. 1.7.2013. Kindler, Hauptfragen der Reform des Europäischen Internationalen Insolvenzrechts, KTS 2014, 25, 34. Vgl. AG Köln v. 19.2.2008 – 73 IE 1/08 (PIN II), NZI 2008, 257, 260; Eidenmüller, Rechtsmissbrauch im Europäischen Insolvenzrecht, KTS 2009, 137, 161. Näher dazu Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 830. Huber in FS Gerhardt, 2004, S. 397 ff., 414. Huber in FS Gerhardt, 2004, S. 425, 426. So mit Recht Huber in FS Gerhardt, 2004, S. 426. H.-F. Müller, NZG 2003, 414, 416; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3589; vgl. auch Wenner in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, § 20 Rz. 266. Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 833 ff.; Haas in Baumbach/Hueck, § 64 GmbHG Rz. 3; Huber in FS Gerhardt, 2004, S. 426. S. in diesem Zusammenhang EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ZIP 2015, 196.

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12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

III. Realisierung von Forderungen bei Verfahren im Anwendungsbereich der EuInsVO 12.125 Ist über das Vermögen einer GmbH bzw. einer umgewandelten oder verschmolzenen Gesellschaft ein Insolvenzverfahren im Ausland eröffnet worden, stellt sich für die Gläubiger dieser Gesellschaft die Frage, welche Möglichkeiten ihnen zur Realisierung ihrer Forderungen zur Verfügung stehen. Soweit es sich um ein Verfahren im Anwendungsbereich der EuInsVO handelt, bestimmt Art. 32 Abs. 1 EuInsVO, dass jeder Gläubiger seine Forderung im Hauptinsolvenzverfahren und in jedem Sekundärinsolvenzverfahren grundsätzlich zum vollen Nominalwert anmelden kann (vgl. Art. 20 Abs. 2 EuInsVO). Handelt es sich allerdings um einen dinglich gesicherten Gläubiger, der bereits im Wege der abgesonderten Befriedigung eine spezielle Befriedigung erhalten hat, kann er nur wegen des unbefriedigten Teilbetrags seine Forderung anmelden, wenn dies das entsprechende Recht vorsieht. Nach Art. 32 Abs. 2 EuInsVO steht den jeweiligen Verwaltern darüber hinaus das Recht der „Sammelanmeldung“ zu, das zahlreiche Probleme aufwirft1. 12.126 Nach der lex fori concursus richtet sich wiederum, welche Forderungen als Insolvenzforderungen anzumelden sind und wie Forderungen zu behandeln sind, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen (Art. 4 Abs. 2 lit. g EuInsVO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Forderungen privilegiert oder nachrangig oder gleich zu behandeln sind (vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. i EuInsVO). Für das deutsche Recht sind demnach die §§ 38 ff. InsO maßgeblich2. Ebenso richtet sich die verfahrensrechtliche Seite der Anmeldung, die Prüfung und Feststellung von Forderungen, nach der lex fori concursus (Art. 4 Abs. 2 lit. h EuInsVO). 12.127 Im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH in Deutschland mit Auslandsbezug finden §§ 28, 174 ff. InsO Anwendung. Zu beachten sind darüber hinaus die Vorschriften der Art. 39 ff. EuInsVO. Art. 39 EuInsVO sieht vor, dass jeder Gläubiger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat der Verfahrenseröffnung hat, seine Forderung in dem Insolvenzverfahren schriftlich anmelden kann. Nach Art. 40 EuInsVO sind die außerhalb des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung residierenden Gläubiger von der Eröffnung und Anmeldemöglichkeit zu unterrichten. 12.128 Soweit Gläubiger nicht oder verspätet unterrichtet werden und dadurch einen Schaden erleiden, stellt sich für den betroffenen Gläubiger zunächst die Frage, wer Adressat der Unterrichtungspflicht ist und ob das Recht des Eröffnungsstaates bei Pflichtverletzungen Haftungsansprüche vorsieht. Nach deutschem Recht (Art. 102 EGInsO § 11) ist entweder das Insolvenzgericht oder der von diesem Gericht bestellte Verwalter (vgl. §§ 8 Abs. 3, 28 Abs. 1 Satz 1, 30 Abs. 2 InsO) zur Unterrichtung der Gläubiger verpflichtet. 12.129 Die Verteilung des Erlöses aus der Verwertung des Vermögens, der Rang der Forderungen und die Rechte der Gläubiger, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Grund eines dinglichen Rechts oder infolge einer Aufrechnung teil1 Beck, NZI 2007, 1, 5. 2 Paulus, Art. 4 EuInsVO Rz. 29.

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Realisierung von Forderungen

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weise befriedigt werden, bestimmt sich ebenfalls nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung (Art. 4 Abs. 2 lit. i EuInsVO). So kann nach der Insolvenzordnung eine gesicherte Forderung zwar in voller Höhe angemeldet werden. Der Gläubiger kann indes bei der Schlussverteilung Befriedigung nur insoweit verlangen, als er bei der Verwertung ausgefallen ist (§ 52 InsO). Im Falle der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens und eines oder mehrerer 12.130 Sekundärinsolvenzverfahren finden auf Grund der verschiedenen Verteilungsverfahren getrennte Auszahlungen an die Gläubiger statt. Um den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zu wahren, sieht Art. 20 Abs. 2 EuInsVO vor, dass „ein Gläubiger, der in einem Insolvenzverfahren eine Quote auf seine Forderung erlangt hat, an der Verteilung im Rahmen eines anderen Verfahrens erst dann teilnimmt, wenn die Gläubiger gleichen Rangs oder gleicher Gruppenzugehörigkeit in diesem Verfahren die gleiche Quote erhalten haben. Dem Verteilungsverfahren liegen vier Axiome zugrunde1: – Kein Gläubiger erhält mehr als 100 % seiner Forderung. – In jedem Verfahren kann die Forderung mit ihrem vollen Wert angemeldet werden. – Eine Forderung wird bei der Verteilung nicht berücksichtigt, bis nicht alle Forderungen gleichen Rangs prozentual gleich befriedigt wurden. – In jedem Verfahren richtet sich der Rang der Forderung nach dem nationalen Recht. Ist das Verfahren in einem Drittstaat eröffnet worden, sind die nationalen Vor- 12.131 schriften maßgeblich. Die reformierte EuInsVO enthält für die Anmeldung von Forderungen Erleichte- 12.132 rungen. So sollen im Wege eines Durchführungsrechtsakts für die Mitteilung an die Gläubiger und für die Anmeldung der Forderungen Standardformulare eingeführt werden (Art. 54 Abs. 3, Art. 55 EuInsVO n.F.). Das Formular zur Unterrichtung der Gläubiger wird im Europäischen Justizportal veröffentlicht und trägt die Überschrift „Mitteilung über ein Insolvenzverfahren“ in sämtlichen Amtssprachen der Organe der Union. Auch die Standardformulare für die Forderungsanmeldung werden in allen Amtssprachen der Union vorliegen (Art. 55 Abs. 1 EuInsVO n.F.), so dass geringere Übersetzungskosten anfallen. Ausländische Gläubiger erhalten für die Anmeldung ihrer Forderungen eine Frist von mindestens 30 Tagen nach Bekanntmachung der Insolvenzeröffnung im Insolvenzregister des Staats der Verfahrenseröffnung (Art. 55 Abs. 6 Satz 1 EuInsVO n.F.). Für die Anmeldung einer Forderung im Ausland besteht kein Anwaltszwang, so dass für die Gläubiger geringere Kosten anfallen (vgl. Art. 53 Satz 2 EuInsVO n.F.).

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12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

IV. Neue Sanierungsoption für deutsche GmbHs – scheme of arrangement 12.133 Seit einigen Jahren haben einige deutsche Unternehmen (z.B. Tele Columbus, Primacom1 und Rodenstock2) ungeachtet der verbesserten Sanierungschancen auf Grund der Einführung des modifizierten Eigenverwaltungs- und des Schutzschirmverfahrens sowie der Neuregelung zum Insolvenzplanverfahren3 das scheme of arrangement (SoA)4, geregelt in part 26 des Companies Act von 2006, Section 895–901, als neue Option für eine Restrukturierung ihrer Passivseite entdeckt und genutzt. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die GmbH – anders als bei einer Inanspruchnahme des CVA-Verfahrens5 – ihren Sitz bzw. den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen i.S. des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nicht in England haben muss, sondern bereits eine „sufficient connection“ in England für die Zulässigkeit des Antrags ausreicht. Aus Sicht institutioneller Kreditgeber eignet sich das scheme of arrangement vor allem für eine Restrukturierung von Unternehmen mit einer komplexen Finanzierung der Gesellschaft, ohne dass die Insolvenz der Gesellschaft vorliegen muss6. Diese hat mit der Wahl des SoA die Möglichkeit, mit ihren Gläubigern und/oder ihren Gesellschaftern einen Vergleich oder eine sonstige Einigung, einschließlich einer Reorganisation des Gesellschaftskapitals zu vereinbaren7. Darin können einzelne Gläubigergruppen auf einen Teil ihrer Sicherheiten oder Forderungen verzichten oder Zahlungsaufschübe vereinbaren8. Zulässig ist auch eine Veränderung der Gesellschafterstellung durch einen debt equity swap9. Auch kann der das scheme Vorlegende Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen und sonstige ungesicherte Verbindlichkeiten ausnehmen10 und nur die Finanzgläubiger in die finanzielle 1 High Court of Justice (Chancery Division) v. 20.1.2012 (2012) EWHC 164 (ch), ZIP 2012, 440. 2 High Court of Justice (Chancery Division) v. 6.5.2011 (2011) EWHC 1104 (ch), ZIP 2011, 1017. 3 Cranshaw weist in diesem Zusammenhang mit Recht darauf hin, dass es nicht wenige Fälle gibt, bei denen die Insolvenz der unvermeidbare Weg ist, der aber bei guter Vorbereitung zu einer Sanierung „durch die Insolvenz“ führe. Dies sei ein vom Gesetzgeber unverändert angestrebter Weg. 4 Bei dem SoA handelt es sich nicht um ein Insolvenzverfahren, so dass es auch nicht in den Anwendungsbereich der EuInsVO fällt. Eingehend dazu Steffek in Münchener Handbuch zum Gesellschaftsrecht, 2013, Bd. 6, Teil 2, 2. Kapitel, § 39 Rz. 231 ff.; s. ferner Winfried M. Carli/Matthias Weissinger, DB 2014, 1474 ff.; eingehend Thole, ZGR 2013, 109. 5 Näher dazu Ausführungen Rz. 12.115 ff. 6 Näher dazu Westphal/Knapp, ZIP 2011, 2033, 2034 ff.; Keay/Walton, Insolvency Law Corporate and Personal, 197; Mäsch, IPRax 2013, 234. Nach Ansicht von Cranshaw (DZWIR 2012, 223, 232) eignet sich das SoA „für Sanierungen mit großvolumigen Kreditvolumina unter Konsortien, sofern die Transaktionen englischem Recht unterstellt sind und eine hinreichende Verbindung zum Vereinigten Königreich aufweisen“. 7 Schillig in Kindler/Nachmann, Handbuch Insolvenzrecht in Europa, 2009, GB Rz. 287. 8 Lüke/Scherz, ZIP 2012, 1101. 9 Gebler, NZI 2010, 665, 668. 10 Nach einer Entscheidung des High Court of Justice in der Sache Re Bluebrock Ltd. (2009, EWHC 2114 (Ch)) müssen Gläubiger, deren Rechte oder wirtschaftliche Inte-

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Neue Sanierungsoption für deutsche GmbHs – scheme of arrangement

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Restrukturierung einbeziehen1. Für eine deutsche GmbH bietet dieses Verfahrens den großen Vorteil, dass damit eine oftmals zeit- und kostenaufwändige Sitzverlegung, die ggfls. mit einer Rechtsformänderung verbunden sein muss2, entbehrlich wird3. Allerdings ist dieses Verfahren nicht zum „Nulltarif“ zu haben4. Ob die in England getroffenen Regelungen eines scheme of arrangement indes in Deutschland anzuerkennen sind, wird nicht einheitlich beantwortet5. 1. Antragsvoraussetzungen Eine GmbH kann das scheme of arrangement als Sanierungsoption nutzen, wenn 12.134 die Anwendung englischen Rechts eröffnet ist und die Zuständigkeit des englischen Gerichts für ein Verfahren nach sec. 221 Insolvency Act (IA) 1986 gegeben ist. Nach dieser Vorschrift können Unternehmen, die ihren Sitz nicht in England haben, das englische Sanierungsrecht in Anspruch nehmen, wenn eine „sufficient connection“ zu England (oder) Wales vorliegt, eine vernünftige Möglichkeit besteht, dass die Antragsteller von dem Verfahren profitieren und ein oder mehrere Personen, die an dem Verfahren interessiert sind, der Zuständigkeit der (englischen) Gerichte unterliegen. Sehen z.B. Darlehensverträge vor, dass sie englischem Recht unterliegen und im Streitfall ein englisches Gericht zuständig ist6, kann dies bereits einen hinreichenden Bezug zur englischen Rechtsordnung begründen. Anders als bei einem CVA-Verfahren müssen nicht die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO vorliegen. Die rechtliche Grundlage für ein SoA schafft Sec. 895 (CA). Danach hat auch 12.135 GmbH die Möglichkeit, mit ihren Gläubigern und/oder ihren Gesellschaftern einen Vergleich oder eine sonstige Einigung, einschließlich einer Reorganisation des Gesellschaftskapitals zu vereinbaren. Das Verfahren wird durch einen Antrag beim zuständigen Gericht eingeleitet (Sec. 896 CA). Antragsberechtigt sind die Gesellschaft, jeder Gläubiger oder Gesellschafter sowie der administrator bzw. liquidator, wenn sich die Gesellschaft in administration oder Liquidation befindet (Sec. 896(2) CA). Damit hat das SoA den Charakter eines freiwilligen Verfahrens7. Das vorgeschlagene scheme muss die unterschiedlichen Gläubigerinteressen durch die Bildung verschiedener Gläubigergruppen berücksichtigen, ohne dass notwendigerweise alle Gläubiger der Gesellschaft in die Vereinbarung einzubeziehen sind (Sec. 895 (2) CA)8. Dem Antrag ist ein Schreiben der Geschäftsführung

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ressen durch das SoA nicht beeinträchtigt werden, nicht in das SoA einbezogen werden. Westphal/Knapp, ZIP 2011, 2033, 2040. S. Ausführungen Rz. 12.111 ff. Lambrecht, ZInsO 2011, 124, 125. Nach Bork, ZIP 2011, 2035, handelt es sich bei dem SoA um ein teures Verfahren. Näher dazu Ausführungen Rz. 12.139 ff. Re DAP Holding N. V. (2005) EWHC 2092; Re La Seda de Barcelona SA (2010) EWHC 1364 (Ch). Westphal/Knapp, ZIP 2011, 2033, 2037. „Arrangement“ includes a reorganisation of the company’s share capital by the consolidation of shares of different classes or by the division of shares into shares of different classes, or by both of those methods“.

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beizufügen, in dem der bisherige Restrukturierungsprozess, die Notwendigkeit des SoA, die vorgeschlagenen Maßnahmen sowie ggfls. die Klasseneinteilung erläutert werden (sogen. Witness Statement)1. Ferner ist der Eröffnungsantrag um ein Explanatory Statement zu ergänzen. Es soll den betroffenen Gläubigern einen umfassenden Überblick über die wesentlichen Merkmale des SoA, dessen Wirkungsweise und die damit verbundenen Risiken vermitteln (Sec. 897 (2) CA)2. 2. Abstimmungsverfahren und gerichtliche Überprüfung des angenommenen scheme 12.136 Nach einem zulässigen Antrag beruft das Gericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die entsprechenden Gesellschafter- und Gläubigerversammlungen ein (sec. 896 (1) CA)3. Dabei macht es die gesamte Dokumentation den von dem SoA betroffenen Gläubigern zugänglich. Die Entscheidung über die Annahme erfordert keine Einstimmigkeit. Vielmehr ist eine 3/4 Mehrheit nach Wert in jeder einzelnen Gesellschafter- bzw. Gläubigerklasse ausreichend. Angenommen ist das scheme, wenn es in jeder Klasse die Zustimmung der einfachen Kopfmehrheit und der Mehrheit von 75 % nach Forderungsbeträgen der bei der Abstimmung anwesenden oder vertretenen Gläubiger erhält (Sec. 899 (1) CA)4. 12.137 Ist das SoA in den creditors meetings angenommen worden, übermittelt der Vorsitzende dieser meetings dem Gericht das jeweilige Abstimmungsergebnis. Das Gericht überprüft anschließend, ob die Interessen der Gläubiger angemessen berücksichtigt, die Gläubigergruppen sinnvoll gebildet und die Verfahrensvorschriften eingehalten wurden und keiner der Beteiligten in unfairer Weise benachteiligt wird5. Ist es hiervon überzeugt, genehmigt bzw. bestätigt es das scheme of arrangement. Vor diesem Hintergrund stellt die gerichtliche Bestätigungsentscheidung keine reine Formalität dar, sondern beruht auf einer materiellen Kontrolle und der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens6. Das scheme wird erst mit der Zustellung an den Registerführer (registrar) wirksam (Sec. 899 (4) CA). 12.138 Das gerichtlich bestätigte SoA entfaltet Bindungswirkung für alle von ihm Betroffenen, unabhängig von ihrem Stimmverhalten oder ihrer Teilnahme an Abstim1 Westphal/Knapp, ZIP 2011, 2033, 2039. 2 „The statement must–(a)explain the effect of the compromise or arrangement, and (b)in particular, state–(i)any material interests of the directors of the company (whether as directors or as members or as creditors of the company or otherwise), and (ii)the effect on those interests of the compromise or arrangement, in so far as it is different from the effect on the like interests of other persons“. 3 „The court may, on an application under this section, order a meeting of the creditors or class of creditors, or of the members of the company or class of members (as the case may be), to be summoned in such manner as the court directs“. 4 „If a majority in number representing 75 % in value of the creditors or class of creditors or members or class of members (as the case may be), present and voting either in person or by proxy at the meeting summoned under section 896, agree a compromise or arrangement, the court may, on an application under this section, sanction the compromise or arrangement.“ 5 Keay/Walton, Insolvency Law Corporate and Personal, 197. 6 Howard/Hedger, Restructuring Law and Practice, 2008, Rz. 7.79.

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Neue Sanierungsoption für deutsche GmbHs – scheme of arrangement

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mung und Verfahren (Sec. 899 (3) CA)1. Die Frage der Anerkennung von Wirkungen eines SoA in Deutschland oder anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union stellt sich nach zutreffender Ansicht von Lüke/Scherz2 mittelbar im Falle anschließender Streitigkeiten über seine Gestaltungswirkungen. 3. Anerkennung in Deutschland Während in der Literatur3 weitgehend die Anerkennungsfähigkeit eines solvent 12.139 scheme of arrangement4 bejaht wird, bei dem es um Finanzierungsverträge geht, die englischem Recht unterliegen, nimmt die deutsche Rechtsprechung einen anderen Standpunkt ein. In seinem Urteil vom 15.2.20125, das er durch zwei weitere Urteile vom 18.4.2012 bestätigt hat6, hat der BGH zunächst entschieden, dass das Vergleichsplanverfahren kein anerkennungsfähiges ausländisches Insolvenzverfahren sei. Auch finde eine Anerkennung nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2201 vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO7) nicht statt. Darüber hinaus hat er für den Erstversicherungssektor klargestellt, dass die Möglichkeit der Anwendung eines scheme bei einem Erstversicherungsunternehmen zumindest insoweit ausscheidet, als der betreffende Versicherungsbestand auch Verträge mit Versicherungsnehmern umfasst, die ihren Wohnsitz in Deutschland haben. Der Anerkennung eines schemes in Deutschland stünden jedenfalls Art. 8, 12 Abs. 18, 359 EuGVVO entgegen, weil die Bestimmungen über die Zuständigkeit in Versicherungssachen nicht gewahrt seien10. Auch wenn nach Ansicht des BGH die besseren Argumente dafür sprechen, dass es sich bei dem scheme of arrangement um eine Entscheidung nach der EuGVVO handelt11, konnte er diese Frage mangels Entscheidungserheblichkeit offen lassen. Aufgrund 1 „A compromise or arrangement sanctioned by the court is binding on– (a)all creditors or the class of creditors or on the members or class of members (as the case may be), and (b)the company or, in the case of a company in the course of being wound up, the liquidator and contributories of the company.“ 2 ZIP 2012, 1101, 1112. 3 Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210; Mankowski, WM 2011, 2101; Paulus, ZOP 2011, 1077; Petrovic, ZInsO 2010, 265; Westphal/Knapp, ZIP 2012, 2033, 2034. 4 Die Anerkennung eines insolvent scheme, eines scheme, das in Verbindung mit einem englischen Insolvenzverfahren durchgeführt wird, ergibt sich Art. 25 Abs. 1 EuInsVO (Steffek in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, 2013, Bd. 6, Teil 2, 2. Kapitel, § 39 Rz. 44 m.w.N.). 5 BGH v. 15.2.2012 – IV ZR 194/09, MDR 2012, 711, ebenso OLG Celle v. 8.9.2009 – 8 U 46/09, ZIP 2009, 1968. 6 BGH v. 18.4.2012 – IV ZR 147/10, NJW 2012, 2352; BGH v. 18.4.2012 – IV ZR 193/10, VersR 2012, 110. 7 Zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 517/2013 vom 13.5.2013 m.W.v. 1.7. 2013. 8 Nunmehr Art. 10, 14 EuGVVO. 9 S. Art. 45 EuGVVO n.F. 10 Mäsch (IPRax 2013, 234) wirft dem BGH vor, er sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass der Versicherer gemäß Art. 12 EuGVVO (heute Art. 14 EuGVVO) am Wohnsitz des Versicherten klagen müsse. 11 Nach Auffassung von Lüke/Scherz, ZIP 2012, 1011, fällt das SoA nicht unter die Anwendungsbereiche von EuInsVO und EuGVVO.

Vallender

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12.140

12. Teil: Grenzüberschreitende GmbH-Insolvenzen

des gemeinschaftsrechtlichen Ursprungs der Bestimmungen der EuGVVO und der umstrittenen Auslegung des Begriffes „Entscheidung“ im Hinblick auf ein scheme liegt die maßgebliche Auslegungskompetenz letztlich beim EuGH1. 12.140 Neben der bis zu einer solchen – nicht konkret absehbaren – Entscheidung weiterhin bestehenden Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Anerkennungsfähigkeit eines scheme of arrangement birgt dieses Sanierungsinstrument für den Schuldner, der eine Sanierung nach englischem Gesellschaftsrecht anstrebt, ein weiteres nicht zu unterschätzendes Risiko. Das explanatory statement verschafft Gläubigern aus Sicht des Schuldners unerwünschte Erkenntnisse, die es Gläubigern unter Umständen erst ermöglichen, einen zulässigen Insolvenzantrag, gestützt auf die Eröffnungsgründe der §§ 17 ff. InsO, zu stellen. Hiervon wird ein Gläubiger unter Umständen Gebrauch machen, wenn er das scheme of arrangengement nicht als eine für ihn günstige Befriedigungsmöglichkeit ansieht2. 12.141 Auch die reformierte EuInsVO dürfte keine Rechtssicherheit hinsichtlich der Anerkennungsfähigkeit eines scheme of arrangement schaffen. Zwar will die Verordnung auch solche Verfahren abdecken, die lediglich die Finanzgläubiger des Schuldners erfassen, sofern eine Sanierung angestrebt wird3. Das scheme of arrangement dürfte diese Voraussetzung regelmäßig erfüllen. Zu berücksichtigen ist indes, dass es nicht in Annex A aufgeführt ist. 12.142 Die Frage, ob Verfahren, die an sich dem Anforderungsprofil des Art. 1 EuInsVO n.F. genügen, zwingend auch in den Anhang A aufzunehmen sind, ist bislang nicht abschließend geklärt. Insofern wird in Art. 1 Abs. 1 Satz 3 EuInsVO n.F. lediglich bestimmt, dass die Verfahren in Anhang A aufgeführt sind. Ob der Bundesgerichtshof sich darüber hinwegsetzen und auf Grund der Neufassung des Art. 1 EuInsVO das scheme of arrangement dem Anwendungsbereich der Verordnung unterstellen wird, bleibt abzuwarten.

1 Schröder/Fischer, VW 2012, 1260. 2 Lambrecht, ZInsO 2011, 124, 129. 3 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 14.

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Stichwortverzeichnis Verfasserin: RAin Petra-Andrea Block-Funken Abberufung, Geschäftsführer – einstweiliger Rechtsschutz 2.213, 2.219 – Klage, Verwirkung 2.217 – Sonderrechte 2.212 – wichtige Gründe 2.209 ff. Abfindung – Arbeitnehmer 7.343 – Betriebsübergang 3.94 – Geschäftsführervertrag, Aufhebung 2.226 ff. – Gesellschafter 2.37 Abgeltungsteuer 2.552 f. Absonderungsrecht – AGB-Pfandrecht, Banken 7.612 – Durchsetzung, vorläufige Verwaltung 5.487, 5.493 – Forderungsverwertung 7.593 ff. – Immobilienverwertung 7.569 ff. – Insolvenzplanverfahren 8.20 – Mobiliarpfandrecht 7.607 ff. – Pfandrecht an Forderungen 7.611 ff. – Sicherheitenverwertung 7.568 – Sicherungsabtretung 7.582 – Sicherungseigentum 7.582 – Verjährungsregelung, Insolvenzplan 8.155 – Verwertung, Kostenbeitrag 7.600 ff. – Zwangsvollstreckung, Einstellung 5.211 Abtretung – Bankgeheimnis 2.434 – Distressed Debt 2.426 ff. – Globalzessionsvertrag 2.458 – Lohnansprüche, Wohlverhaltensperiode 10.47, 10.51 Abweisungsbeschluss – Anhörung 6.17 – Beschwerdebefugnis 5.225 – Eröffnungsantrag, erneuter 6.20 – Hinweispflicht 6.17 – mangels Masse 6.17 – Rechtsmittel 6.18

– Vollstreckungssperre, Beendigung 6.18 Akkordstörer – außergerichtliche Sanierung 2.6 – Insolvenzplan 8.34 ff., 8.44 – kollektiver Gläubigerverzicht 2.353, 2.361 Akteneinsicht – Geschäftsführerrechte 5.226 Alleingesellschafter-Geschäftsführer – Dienstvertrag, Kündigung 7.202 – faktischer Geschäftsführer 5.279 Altersteilzeit s. Arbeitnehmer Altersversorgung s.a. Betriebliche Altersversorgung – Geschäftsführer, Reduzierung/Einstellung 2.327 ff. – Widerruf, außergerichtlicher Vergleich 2.331 ff. – wirtschaftliche Notlage, Wegfall 2.329 ff. Altgläubiger – Begriff 11.17 – Quotenschaden s. dort Altlasten – Ersatzvornahme 7.38 – Freigabe aus der Masse 7.36 ff. – Gefahrverursachung, Zeitpunkt 7.24 ff. – Haftungskontinuität 7.29 ff., 7.41 – Ordnungspflicht 7.25 ff., 7.31 ff. – Verhaltensempfehlungen 7.39 f. Amtsniederlegung s. Geschäftsführer Anerkennung s. Internationales Insolvenzrecht Anfechtung s. Insolvenzanfechtung Anhörung – Abweisung mangels Masse 6.17 – Geschäftsführer, Insolvenzverfahren 7.298 – Geschäftsführermehrheit, Eigenantrag 5.226 – Insolvenzplanbestätigungsverfahren 8.114 1207

Stichwortverzeichnis

Anteile – Betriebsvermögen 2.555 – Privatvermögen 2.556 – Umwandlung, einbringungsgeborene Anteile 2.558 – Umwandlung, sperrfristbehaftete Anteile 2.559 Anteilserwerb – Auffanggesellschaft 3.17 – Liquidationsverfahren 3.16 f. – Mantelkauf, Verlustabzug 2.592 ff.; s.a. dort – nahestehende Personen 2.610 ff. Anteilsveräußerung s. Anteilserwerb Arbeitnehmer – Abfindungsansprüche 7.343 – Altersteilzeit 7.342 – Arbeitsverhältnis, Befristung 7.355 – Begriff 7.226 – Beschlussverfahren 7.423 ff. – Betriebsübergang s. dort – freigestellter 7.338 – Geschäftsführer Abgrenzungskriterien 7.226 ff. – Insolvenzplan, Gruppenbildung 8.96 ff. – Kündigung s. dort – Leistungsklage 7.339 f. – Nachteilsausgleichungsansprüche 7.341 – Personalabbau, Zustimmung 7.381 ff. – Urlaubsanspruch 7.334 – Vergütungsansprüche 7.332 ff. Arbeitsverhältnis – Aufhebungsvereinbarung 3.94 – Kündigung s. dort Asset Deal s. Übertragende Sanierung Auffanggesellschaft s. Übertragende Sanierung Auflösung – durch Abweisung mangels Masse 6.31 ff. – durch Beschluss 3.3 f., 3.17 – durch Insolvenzverfahren 7.5 ff. – Liquidation s. dort Aufrechnung – Insolvenzplanverfahren 8.180, 8.195 – Verrechnung 1.315 1208

Aufsichtsrat – Eigenantrag 5.178 – Krisenvorsorge, Überwachungspflichten 1.156 ff. – Mitbestimmung 2.203 – Solvenz- und Sanierungsbedarf, Prüfungspflicht 1.191 f. Auskunftspflichten – Falschauskunft, Strafbarkeit 7.288 – Geschäftsführer, eröffnetes Verfahren 7.283 ff. – Geschäftsführer, faktischer 5.263 – Geschäftsführer, ggü. Insolvenzgericht 5.259 ff. – Geschäftsführer, ggü. vorläufigem Insolvenzverwalter 5.265 ff. – Verwendungsverbot 5.263 – Zahlungsverbot 11.36 Auslandsbezug – EuInsVO 12.2 ff. – GmbH, Umwandlung 12.111 – grenzüberschreitende Insolvenzen s. dort – Insolvenzantrag, örtliche Zuständigkeit 5.166 – internationale Zuständigkeit s. dort – internationales Insolvenzrecht s. dort Ausschüttungsverbot – Aufrechnungsverbot 1.47 – Auszahlung, Begriff 1.39 – Balsam/Procedo-Urteil 1.47 – bilanzieller Unterbilanztest 1.38 – Buy-Out, Auszahlungspflicht 1.48 – Geschäftsführer, Haftung 1.54 ff. – GmbH & Co. KG 1.58 ff. – GmbH & Still 1.60 – Haftung, Empfänger 1.43 ff., 1.48 – Haftung, Mitgesellschafter 1.49 ff. – Haftung, Nichtgesellschafter 1.48 – Kompensation, nachträgliche 1.47 – materielle Insolvenz 1.41 – MoMiG 1.47 – nahestehende Dritte 1.39, 1.48 – Rückzahlungspflicht, Empfänger 1.43, 1.49 f., 1.53 – Schutzzweck 1.39 – Unterbilanz 1.38 ff. – Untreue 1.57

Stichwortverzeichnis

– verdeckte Ausschüttungen 1.39, 1.41 – Vertragskonzern 1.42 – Wertveränderungen 1.45 ff. Aussonderungsrechte – Durchsetzung, vorläufige Verwaltung 5.487, 5.493 – Eigentumsvorbehalt 7.567 – Insolvenzplan 8.20 – Sicherheitenverwertung, eröffnetes Verfahren 7.565 ff. Aussonderungssperre – Ausgleichsanspruch 2.163 ff. – Betriebsgrundstück 2.159 – gesellschaftergleiche Dritte 2.158 – Kleinbeteiligtenprivileg 2.158 – Nutzungsüberlassung 2.156 ff. – Zwangsvollstreckung, Einstellung 5.211 Balsam/Procedo-Urteil 1.47 Bank s. Kreditinstitut Bankgeheimnis – Distressed Debt 2.434 ff., 2.438 ff. – Verstoß 11.134 ff. Bankgeschäfte – AGB-Pfandrecht 7.612 – Bargeschäfte 1.318 ff. – Cash Pool 1.323 f. – Drittsicherheiten 1.363 – im Eigenverwaltungsverfahren 9.192 ff. – als Finanzierungshilfe bei Betriebsfortführung 5.547 ff. – inkongruente Deckung s. dort – Insolvenzanfechtung s. dort – im Insolvenzplanverfahren 9.214 ff. – Kenntnis der Bank 5.307 ff. – kongruente Deckung s. dort – Kreditbesicherung s. Kreditsicherheiten – Kreditgeschäfte 5.341 ff. – Lastschriftverfahren, eröffnetes Verfahren 7.539 ff. – Nachbesicherung bestehender Kredite 1.409 ff., 1.425 ff., 1.432 ff. – Neukredite, eröffnetes Verfahren 7.551 ff.

– Schenkungsanfechtung 1.420 ff. – im Schutzschirmverfahren 9.199 ff. – SEPA-Lastschriftverfahren 5.321 ff. – Sicherungsabtretung 1.316 – Vorsatzanfechtung, nachträglicher Besicherung 1.410 ff. – Zahlungsausführung nach Anordnung vorläufiger Maßnahmen 5.312 ff. – Zahlungsausführung aus debitorischem Konto ohne zugesagte Kreditlinie 5.311 – Zahlungsausführung aus Guthaben 5.308 f. – Zahlungsausführung aus offener Kreditlinie 5.310 – Zahlungsverkehr s. dort Bankrottdelikt – Geschäftsführer, unrichtige Angaben 5.275 – übertragende Sanierung, gescheiterte 2.11 Bareinlage – Kapitalerhöhung, Voreinzahlung 2.47 ff. – Verdeckte Sacheinlage s. dort Bargeschäft – Betriebsveräußerung 5.578 – Kreditbesicherung bei Kreditauskehrung 2.128 – Privilegierung 1.318 ff.; 2.126 Beihilfen – Begriff 2.503 – Bürgschaften 2.517 ff. – „De-Minimis“-Regel 2.510 f. – europarechtliche 2.507 ff. – Formen 2.504 – Garantien 2.517 ff. – KMU 2.513 f. – öffentliche Hand 2.501 ff. – privat-rechtliche 2.505 f. – Rückforderung 2.522 ff. – Sanierungskredite 2.517 ff. Berater – Haftungsrisiken 1.284 ff.; 11 165 ff. – Strafbarkeitsrisiken 11.101 ff. Beratervertrag – drittschützende Wirkung 1.281 ff. 1209

Stichwortverzeichnis

– Krisenfrüherkennung, Expertenhaftung 1.282 Berichtspflichten s. Geschäftsführerpflichten Berufsverbot s. Insolvenzverschleppung Beschwerde, sofortige – Abweisung mangels Masse 6.18 – Beschwerdebefugnis, Geschäftsführer 5.225, 5.229 – Einstellung wegen Massearmut 7.808 – Eröffnungsverfahren, abschließende Entscheidungen 5.236 – Insolvenzeröffnungsverfahren 5.238 ff. – Insolvenzplan 8.58, 8.115, 8.132 ff. – Sicherungsmaßnahmen, Gegenmaßnahmen 5.235 – vorläufiger Gläubigerausschuss, Bestellung 5.438 Besserungsabrede – mit Forderungsverzicht 2.362 f. – Kreditinstitut 2.401 – beim Rangrücktritt s. Rangrücktritt – steuerliche Behandlung 2.660 ff. Besteuerung s. Liquidationsbesteuerung; Sanierungs-Steuerfolgen Betriebliche Altersversorgung – Geschäftsführer 7.231 ff. – Gesellschafter-Geschäftsführer 7.257 ff. – Insolvenzsicherung, außerhalb BetrAVG 7.243 ff. – Insolvenzsicherung, BetrAVG 7.236 ff. – Lebensversicherungen 7.243 ff. – Versorgungsformen 7.231 ff. – Versorgungsleistungen 7.235, 7.250 ff. Betriebsaufspaltung – Insolvenz, Steuerfolgen 7.686 ff. – übertragende Sanierung s. dort Betriebsbedingte Kündigung – Änderungskündigung 2.308 – Arbeitsmenge, Umverteilung 2.279 – dringende betriebliche Erfordernisse 2.274 ff. – Interessenabwägung 2.291 – Prüfungsschema 2.274 1210

– Sanierungsinstrument 2.274 ff. – Sozialauswahl 2.292 ff. – Ultima-Ratio-Prinzip 2.280 ff. Betriebsfortführung – Anlaufliquidität, Schaffung 5.544 ff. – Betriebsschließungspflicht 7.78 ff. – Eröffnungsverfahren 5.541 ff. – Finanzierungshilfe 5.547 ff. – Gläubigerversammlung, Entscheidungsvorrecht 7.51 ff. – Gründe 7.53 ff. – Insolvenzgeld, Vorfinanzierung 5.550 ff. – Insolvenzplan, Angaben zum Unternehmenswert 8.8 – im Insolvenzverfahren 7.51 ff.; s.a. dort – Insolvenzverwalter, Haftung 7.77, 84 ff. – Insolvenzverwalter, Pflichten 7.72 – Insolvenzverwalter, Unternehmerstellung, Übergang 7.81 ff. – Kostendeckung 7.80 – Massedarlehen 7.66 – Maßnahmen 7.63 ff. – Neukredite 7.551 ff. – übertragende Sanierung s. dort – Verwertungsverbot, vorläufiges 7.73 – Zwangsversteigerung s. dort Betriebsgrundstück – Aussonderungssperre 2.159 – Nutzungsüberlassung s. dort Betriebsprüfung s. Krisenfrüherkennung Betriebsrat – Anhörung, Interessenausgleich 7.422 – Arbeitnehmerkündigung, Unterlassungsanspruch 3.64 ff. – Beschlussfassung statt Interessenausgleich 7.439 – Betriebsstilllegung s. dort – Insolvenzplanverfahren, Mitwirkung 8.92 ff. – Sozialplan, Widerruf 7.458 ff. Betriebsstilllegung – arbeitsrechtliche Folgen 3.42, 3.54 ff.; 7.100; 7.478 – vor und nach Berichtstermin 7.93 ff.

Stichwortverzeichnis

– Betriebsrat, Beteiligung 3.42, 3.58 – Betriebsübergang, Abgrenzung 3.55; s.a. Betriebsübergang – Betriebsverfassungsrecht 3.57 ff. – Betriebsverlegung, Abgrenzung 3.56 – im eröffneten Verfahren 7.477 ff. – Gläubigerausschuss, Zustimmungsvorbehalt 7.95 – Gläubigerversammlung, Zustimmungsvorbehalt 7.74 f. – im Insolvenzeröffnungsverfahren 5.553 ff. – Insolvenzgericht, Zustimmung 5.543 ff., 5.553 ff. – Insolvenzverfahren, Betriebsschließungspflicht 7.78 ff. – Interessenausgleich s. dort – Massenentlassung s. dort – Sozialauswahl s. dort – Sozialplan s. dort – Teilbetriebsstilllegung 5.557 – Untersagungsverfahren 7.96 f. – während vorläufiger Verwaltung 5.527; 7.184 ff. Betriebsübergang – Abfindungsvereinbarung 3.94 – Arbeitnehmer, Unterrichtung 3.84 – Arbeitsgericht, Beschlussfassung 7.482 – Aufhebungs- und Änderungsvereinbarungen 7.486 ff. – Betriebsrat, Unterrichtung 3.82 – Betriebsstilllegung, Abgrenzung 3.55; s.a. Betriebsstilllegung – Dienstleistungs- und Handelsbetriebe 3.50 – im eröffneten Verfahren 7.470 ff. – Fortsetzungsanspruch gegenüber Erwerber 3.90 ff. – Haftung des Erwerbers 5.584, 5.587 f. – Haftungsprivileg 7.472 ff. – identitätswahrende Übertragung 3.45 ff. – Interessenausgleich s. dort – Kündigungssperre 7.477 ff. – Lemgoer Modell 7.488 – Produktionsbetriebe 3.49 – steuerrechtliche Haftung des Erwerbers 5.585 f.

– übertragende Sanierung s. dort – Voraussetzungen 3.45 ff. – Widerspruch, Auswirkungen 3.84 ff. – Wiedereinstellungsanspruch 3.89 ff. – Zeitpunkt, maßgeblicher 7.475 Betriebsveräußerung – Anfechtbarkeit 5.577 ff. – Auffanggesellschaft 5.566 – Bargeschäft 5.579 – Betriebsrat, Unterrichtung 3.82 – im eröffneten Verfahren 7.470 ff. – Haftung des Erwerbers 5.584 ff. – Haftungsprivileg 7.472 ff. – identitätswahrende Übertragung 3.45 ff. – im Liquidationsverfahren 3.16 f. – durch vorläufigen Verwalter 5.567 ff., 5.574 ff., 5.577 ff., 5.582 Betriebsvereinbarungen – Änderungen 7.367 – Begriff 7.368 – Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen 7.368 – Geschäftsgrundlagenlehre 7.376 ff. – Kündigung 7.371 ff. – Nachwirkung 7.374 ff. – Turboprämien 3.75 – Verhandlungsaufruf 7.368 ff. Betriebsverfassungsrecht – Betriebsstilllegung 3.57 ff. – Betriebsverlegung 3.56 – Mitbestimmung 3.66 Betriebsvermögen – Erbschaft-/Schenkungsteuer 3.122 ff. – Gesellschafterbesteuerung, eröffnetes Insolvenzverfahren 7.661 ff. – Gewinnbesteuerung 2.555 – Liquidationsbesteuerung, Anteilseigner 3.116 ff. Beweislast – Verfahrensverschleppung 11.11 – Zahlungsverbot 11.47 Bewertung – Dual Track Process 8.8 – Sacheinlage s. dort – Unternehmen 5.102; 8.8 1211

Stichwortverzeichnis

Bezugsrecht s. Kapitalerhöhung Bilanzanalyse – Diskriminanzanalyse 1.208 ff. – klassische 1.122 ff. – Kreditinstitute 1.234 f. Bilanzierung s. Rechnungslegung Bundesagentur für Arbeit – Insolvenzgeld, Zustimmung zum Forderungskauf 5.400 ff. Bürge – Haftung nach Aufhebung des Insolvenzplanverfahrens 8.193 ff. – Mithaftung, Restschuldbefreiung 10.1 Bürgschaft – als Beihilfe s. dort – Fernabsatz, Informationspflichten 7.634 ff. – nahestehende Personen 7.616 – wesentliche Beteiligung, Steuerfolgen 7.681 ff. – Widerrufbarkeit, Verbraucherrecht 7.627 ff. Buy Out – Begriff 2.236 ff. – Management Buy Out s. dort – Private Equity s. dort – verbotene Ausschüttung, Auszahlungspflicht 1.48; 2 238 Cash-Flow – Finanzplan 1.111 ff. – Krisenfrüherkennung 1.207 – Prognoserechnungen 1.103, 111 Cash-Pooling – Gesellschafterdarlehensrecht 2.143 ff. – Gläubigerbenachteiligung 2.146 – Insolvenzanfechtung 2.143 ff. – Kapitalerhaltung 1.78 – Kapitalerhöhung 1.79 f. – Liquiditätsbilanz 5.22 – MoMiG 1.79 f. – Novemberurteil s. dort – Zahlungsausgänge, Privilegierung 1.350 – Zahlungseingänge, Privilegierung 1.323 f. 1212

Contractual Trust Arrangement – Vermögensübertragungen, Anfechtbarkeit 7.254 Controlling 1.136 Corporate Governance – Begriff 1.198 – Deutscher Corporate Governance Kodex 1.198 – Risikomanagement 1.198 Covenants s. Financial Covenants Culpa in contrahendo – Insolvenzverschleppung 11.17, 11.19 ff. – Insolvenzverwalter, Haftung 7.173 – vorläufiger Insolvenzverwalter, Haftung 7.187 CVA-Verfahren s.a. Grenzüberschreitende Insolvenzen – England 12.115 ff. D & O-Versicherung s. Geschäftsführerhaftung Darlehen – an Geschäftsführer 1.68 ff. – an Gesellschafter 1.65 ff. – Gesellschafterdarlehen s. dort – konzerninterne Kredite 1.73 ff. – Kreditbesicherung s. Kreditsicherheiten – Kreditgeschäft s. dort – Kreditvergabe an Gesellschafter 1.61 ff. – Kündigung in der Krise 1.449 ff. – Massedarlehen 8.204 – Mezzanine-Kapital 2.82 ff. – Rahmenkredite, Insolvenzplan 8.206 ff. – revolvierende 2.140 ff. – Sanierungskredite 2.91 ff. – verbundene 2.140 ff. Datenschutz s. Distressed Debt Debt Equity Swap – Abgrenzung 2.384 – Barkapitalerhöhung 2.61 – Begriff 2.380 – Bewertungen 2.393 ff. – Debt Mezzanine Swap, Abgrenzung 2.383

Stichwortverzeichnis

– Distressed Debt Purchase 2.64, 2.381 – ESUG 2.389 – als externe Sanierung 2.59 ff., 2.241, 2.380 ff. – Forderung mit vereinbartem Rangrücktritt 2.388 – Forderungsumwandlung in haftendes Kapital 2.62 – Gebot der Vollwertigkeit 2.63, 2.390 f. – GmbH & Co. KG 2.63, 2.397 ff. – Insolvenzplan 8.26 ff., 8.222 – Insolvenzplanverfahren 2.395; 4.8, 4.16 – Kapitalerhöhung 2.380, 2.386 – Kapitalherabsetzung 2.382 – loan to own 8.26 – MoMiG 2.64 – Rangrücktritt 2.388 – Rechtsgrundlagen 2.385 ff. – Sachkapitalerhöhungsbericht 2.391 – Sanierungsprivileg 2.386 – Steuerfolgen 2.687 – Überbewertung, Differenzhaftung 2.392 – Unterdeckungsrisiko 2.64 Debt Mezzanine – Debt Mezzanine Swap, Abgrenzung 2.383 – Nachrangdarlehen 2.81 – Steuerfolgen 2.588 Deko-Marty-Urteil 12.48 ff. Deliktshaftung – Existenzvernichtungshaftung s. dort – Gesellschafterhaftung, Verfahrensverschleppung 11.60 f. Diskriminanzanalyse s. Bilanzanalyse Distressed Debt, Trading 2.426 ff. – Abtretungsverbot, vertragliches 2.437 – Bankgeheimnis 2.434 ff. – Debt Equity Swap s. dort – Distressed Debt Purchase 2.64 – Investoren, Motive/Strategien 2.428 ff. – MoMiG 2.386 f. – Transaktionsstrukturen 2.431 ff. – Wirksamkeit 2.434 ff.

– Zustimmungen Dritter 2.433 Distressed M & A – Share Deal s. dort – Übertragende Sanierung s. dort Doberlug-Urteil 11.36 Downstream Loans s. Konzern Drittdarlehen, gesellschafterbesicherte – Darlehensgeberstellung 2.151 – Doppelsicherheiten 2.153 ff. – Tilgungsanfechtung 2.149 ff. Drohende Zahlungsunfähigkeit s. Zahlungsunfähigkeit, drohende Dual Track-Prozess – Unternehmenswert, Ermittlung 8.8 Durchgriffshaftung – Existenzvernichtungshaftung s. dort – Unterkapitalisierung 1.34 EBITDA Interest Cover Ratio – Zinsdeckungsklausel 1.249 Eigenantrag – Antragsberechtigung 5.177 – Aufsichtsrat 5.178 – Eigenverwaltung 5.228, 5.248 – einvernehmlicher 5.248 – formelle Anforderungen 5.170 ff. – Führungslosigkeit 5.174 – Geschäftsführermehrheit 5.226 – Glaubhaftmachung 5.174 f. – Risiken 5.54 – Rücknahme 5.176 – Sicherungsmaßnahmen 5.257 Eigenkapital – Kapitalschutz s. dort – Mezzanine-Kapital 2.79 ff. – verdecktes 7.657 Eigentumsvorbehalt – Aussonderungsrechte s. dort – Wahlrecht, Ausübung 7.567 Eigenverwaltung – Abberufung/Neubestellung des Geschäftsführers 9.125 f. – Ablehnung 9.31 – Anordnung 9.22 ff. – Anspruch auf Eigenverwaltung 9.28 – Antrag 9.4 ff. – Aufhebung 9.21, 9.60 ff. – Befugnisse des Schuldners 9.9 1213

Stichwortverzeichnis

– D & O-Versicherung 9.166 – Einbindung des vorläufigen Gläubigerausschusses 5.448 – Einfluss auf Geschäftsführung 9.122 ff. – Eröffnung, Anfechtbarkeit 9.30 ff. – Eröffnungsverfahren 9.9 ff. – Geschäftsführer, haftungsbeschränkende Vereinbarungen 9.164 – Geschäftsführer, Mitwirkungs- und Auskunftspflichten 9.135 – Geschäftsführer, steuer-/sozialversicherungsrechtliche Haftung 9.158, 9.162 – Geschäftsführer, Unterstützungsund Mitwirkungspflichten 7.281 – Geschäftsführer, Verfahrensrechte 7.302 – Geschäftsführerhaftung 9.136 ff. – Geschäftsführerpflichten 7.281; 9.134 ff. – Geschäftsführervertrag, Änderung 9.126 – Gesellschafterdarlehen 9.133 – Gläubigerausschuss 9.55 ff. – GmbH & Co. KG 7.767 – Hindernisse 9.24 ff. – Informationsrechte s. dort – Insolvenzgeld 5.390 – Insolvenzplanerfüllung 8.49 – Kreditaufnahme 9.203 ff. – Kredite, Insolvenzplanverfahren 9.214 ff. – Kreditgeschäft s. dort – Kreditsicherheiten s. dort – Masseschuldermächtigung 9.11 – Rechtsmittel 9.30 ff. – Ressortaufteilung 9.165 – Sachverständiger s. dort – Sachwalter s. dort – Sanierungsmaßnahmen 4.21 f., 4.27 ff. – Schutzschirmverfahren s. dort – Sicherungsmaßnahmen 9.9 f. – Verfahrens- und Beratungskosten 9.115 ff. – Veröffentlichungsverbot 9.20 – Verwaltungsbefugnis 9.40 – vorläufige 5.42 1214

– vorläufiger Gläubigerausschuss 9.17 – vorläufiger Sachwalter 9.9, 9.15 ff. – Zustimmungsvorbehalt 9.48 ff. Einlagepflicht – Kapitalerhöhung 2.32 – Voreinzahlungen 2.47 ff. Einpersonen-GmbH – faktischer Geschäftsführer, Verfahrensrechte/-pflichten 5.279 Einsetzungssperre – vorläufiger Gläubigerausschuss 5.428 ff. Einstellung des Insolvenzverfahrens – gesellschaftsrechtliche Folgen 7.860 ff. – Gläubigerzustimmung 7.821 f. – Massearmut 7.804 ff. – Masseunzulänglichkeit 7.810 ff. – Nachtragsverteilung 7.862 – Vollabwicklung 7.842 ff. – Wegfall des Eröffnungsgrundes 7.816 ff. England – CVA-Verfahren 12.115 ff. – Scheme of arrangement s. dort Erbschaft s. Wohlverhaltensperiode Erbschaft/-Schenkungsteuer – Auslandsvermögen 3.97 – Betriebsvermögensübergang 3.122 ff. – ErbStG, Verfassungswidrigkeit 3.126 ff. – GmbH & Co. KG 3.143 f. Erlassvertrag – als Sanierungsmaßnahme 2.360 ff. Eröffnungsgrund – Bedeutung 5.1 ff. – drohende Zahlungsunfähigkeit s. Zahlungsunfähigkeit, drohende – einzige Forderung 5.192 – Glaubhaftmachung 5.190 – Sachverständiger, Ermittlung 9.19 – Überschuldung s.dort – Wegfall 7.816 ff. – Zahlungsunfähigkeit s. dort Erwerberhaftung – im Insolvenzverfahren 7.142 – übertragende Sanierung 2.232 ESUG – Insolvenzplanverfahren s. dort

Stichwortverzeichnis

– Schutzschirmverfahren s. dort – strategische Insolvenz s. dort – Wegfall 7.816 ff. EuGH – Deko-Marty-Urteil 12.48 ff. – Interedil-Entscheidung 12.45 ff. EuInsVO – anwendbares Recht 12.61 f. – Ausführungsvorschrift, nationale Anpassung 12.17 f. – Eröffnungsentscheidung, Anerkennung 12.74 ff. – Forderungsanmeldung 12.60 – Forderungsrealisierung 12.125 ff. – Insolvenzregister 12.13 – internationale Zuständigkeit 12.9 ff. – Konzerninsolvenzen 12.14 ff. – Kooperations- und Unterrichtungspflichten 12.69 ff. – Koordinationsverfahren 12.14 ff. – Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen 12.37 ff. – Niederlassung 12.54 ff. – Ordre-public-Klausel 12.75 – Publizität 12.59 – Reform 12.5 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren 12.50 ff., 12.80, 12.104 ff. – Sicherungsmaßnahmen 12.63 ff. Europäische Union – KMU 2.513 f. – Sanierungsbeihilfen 2.507 ff. Existenzvernichtungshaftung – Durchgriff 1.34 – Gamma-Urteil 1.34, 1.51; 7 148 – insolvenzbedrohende Auszahlung/ Kreditbesicherung 1.81 f. – Insolvenzverursachung 11.151 ff. – Trihotel-Urteil s. dort – Unterkapitalisierung 1.34 ff. Expertenhaftung – Abschlussprüfung 1.286 – Berater s. dort – Beweislast 1.290 ff. – Geschäftsführer Mitverschulden 1.294 ff. – Krisenfrüherkennung 1.282

– Überschuldungsvertiefungsschaden 1.288 – Verjährung 1.298 Faktischer Geschäftsführer – Antragsberechtigung 5.177 – Auskunftspflichten 5.263 – Begriff 5.278 – Einpersonen-GmbH 5.279 – Insolvenzantragspflicht 5.279 – Insolvenzverschleppung s. dort – verbotene Ausschüttung, Haftung 1.55 – Verfahrensrechte/-pflichten 5.278 ff.; 7.206 Falschauskunft s. Straftaten Fernabsatzgeschäft – Mithaftung, nahestehender Personen 7.634 ff. Financial Covenants – Begriff 1.240 – Eigenkapitalausstattung 1.244 f. – Inhalt 1.243 ff. – Krisenindikatoren 1.239 ff. – Liquiditätsklausel 1.251 f. – Risikofrüherkennungsinstrument, Bewertung 1.255 ff. – Sanktionen 1.253 f. – Verschuldungsgradklausel 1.246 – Waiver-Fee 1.254 – Zinsdeckungsklausel 1.249 ff. Finanzbehörden – Insolvenzantrag, Glaubhaftmachung 5.190 – Krisenfrüherkennung 1.217 – Liquiditätsprüfung 1.218 ff. – Löschungsantrag wg. Vermögenslosigkeit 7.846 Finanzierungsverantwortung – Gesellschafterdarlehen s. dort – Solvenzprüfungspflichten 1.35 – Unterkapitalisierung 1.35 f. Finanzplankredit – und Darlehenszusagen 2.109 – Gesellschafterbesteuerung, im eröffneten Insolvenzverfahren 7.673 Finanzplanung – Cash-Management 1.113 1215

Stichwortverzeichnis

– und Eröffnungsgründe 5.4 – Liquiditätsanalyse 1.97 ff. – Maßnahmen zur kurzfristigen Verbesserung 1.115 – Überschuldungsprüfung 5.140 ff. Firma s. Insolvenzmasse Firmenbestattung – Führungslosigkeit s. dort – Sanierungsberater, Strafbarkeitsrisiko 11.107 f. – vereinfachte Zustellung s. Führungslosigkeit Firmenfortführung – handelsrechtliche Haftung des Erwerbers 5.584 – übertragende Sanierung 2.232 Forderungseinzug – Einzugsermächtigung des vorläufigen Verwalters 5.497 f. – Globalzession, vorläufige Verwaltung 5.505 Forderungsverkauf – Bankgeheimnis, Verletzung 2.434 ff., 2.438 ff. – Datenschutz 2.434 ff. – Kreditinstitute, Distressed Debt 2.426 ff. Forderungsverzeichnis s. Restschuldbefreiung Forderungsverzicht – Akkordstörer 2.361 – mit Besserungsklausel, Sanierung 2.362 f. – Gläubigerforderungen 2.360 ff. – GmbH & Co. KG, steuerliche Behandlung 2.666 ff. – individueller 2.361 – kollektiver 2.361 – steuerliche Behandlung 2.650 ff. – Verbot, Insolvenzverwalter 7.154 ff. Fortbestehensprognose – handelsbilanzrechtliche Fortführungsannahme, Abgrenzung 5.142 – IDW-Standard IDW S 11 5.119 f. – Konkretisierung 5.140 ff. – Prognosedauer 5.141 – überwiegende Wahrscheinlichkeit 5.144 1216

Fortführungsgesellschaft 3.17 Fortsetzung – Gesellschaft – nach Aufhebung/Einstellung des Verfahrens 7.831, 7.863 ff. – GmbH & Co. KG 7.869; 8.253 – Insolvenzplan, Überwachung 8.242 – nach Schlussverteilung 7.844 Freigabe – Altlastengrundstücke 7.39 ff. – Massegegenstände 7.19 ff. – Sonderformen 7.20 Freigabeverfahren – Insolvenzplanverfahren 8.141 ff. – Schadensersatz 8.144 ff. – Zurückweisungsbeschluss 8.141 ff. Freizügigkeit 12.108 ff. – CVA-Verfahren 12.115 ff. – Herausverschmelzung 12.112 ff. – Rechtsgrundlagen 12.108 ff. – Risiken 12.120 ff. – Umwandlungen 12.111 – Verwaltungssitzverlegung 12.109 Führungslosigkeit – Begriff 5.201 – Eigenantrag 5.174 – Geschäftsführer, Abberufung 2.68 – Gesellschafter, Rechtsstellung im eröffneten Verfahren 7.204 ff. – Insolvenzantragsrecht 5.204 – Insolvenzverschleppung 11.58 f., 11.87, 11.98 – Notgeschäftsführung 5.202 – Sanierungsberater, Strafbarkeitsrisiko 11.106 – subsidiäre Selbstorganschaft 5.203 – vereinfachte Zustellung 5.205 ff. – Verfahrenseinstellung, Wegfall des Eröffnungsgrundes 7.817 Future Service – Pensionsanwartschaft 2.679 Gamma-Urteil 1.34, 1.51; 7.148; 11 152 Garantieerklärung – Insolvenzverwalter, Haftung 7.172 – vorläufiger Insolvenzverwalter, Haftung 7.187

Stichwortverzeichnis

Garantiehaftung – Fernabsatz, Informationspflichten 7.634 ff. – Mithaftung, nahe stehende Personen 7.618 f. – Widerrufbarkeit, Verbraucherrecht 7.632 Garantien s. Beihilfen Gelatine-Urteil 2.253 Genussrechte s. Mezzanine-Kapital Gerichtsstand – Insolvenzverfahren s. dort – Konzerngerichtsstand 5.164 Gesamtgläubigerschaden – Altgläubiger 11.21 ff. – Neugläubiger 11.25 ff. Geschäftsführer – Abberufung 2.68, 2.202 ff., 2.205 ff., 2.209 ff.; 7 203; 9 125 f. – Abfindung 2.226 ff. – Akteneinsicht 5.226 – Amtsniederlegung 2.221 ff.; 7.203 – Amtsunfähigkeit, Straftaten 11.100 – als Arbeitnehmer 7.226 ff. – Auskunftsanspruch gegen vorläufigen Insolvenzverwalter 5.227 – Auskunftspflicht 2.204; 5.25, 5.265 ff. – Auswechselung 2.201 ff. – Beschwerderechte 5.225, 5.229 – Bestellung, fehlerhafte 5.279 – betriebliche Altersversorgung 7.231 ff. – Business Judgment Rule 11.156 – Eigenverwaltung s. dort – Falschauskunft, Strafbarkeit 7.288 – gesellschaftsrechtliche Stellung 7.311 ff. – Haftung s. Geschäftsführerhaftung – Insolvenzantrag s. dort – Insolvenzgeld 7.226 ff. – Insolvenzplan, Vorlage 5.228 – Insolvenzverschleppung s. dort – Kündigung 2.206; 7.201 ff. – Liquidatorenstellung 3.11 – Mitwirkungs- und Auskunftspflichten 5.268, 5.479; 9.135 – Ruhegehaltsansprüche, Reduzierung 2.327 ff.

– Sanierungsgeschäftsführer 2.224 f. – Schutzschrift, Einreichung 5.244 – Sozialversicherungspflicht (Statusverfahren) 7.229 – Suspendierung 2.223 – Verfahrensrechte, Eigenverwaltungsverfahren 7.302 – Verfahrensrechte, Insolvenzverfahren 7.298 ff. – Verfahrensrechte, Planverfahren 7.303 – Vergütung 2.323 ff.; 7.207 ff. – Vorlagepflichten 2.235, 2.253, 2.702 – Zwangsmaßnahmen 5.271 ff.; 7 292 ff. Geschäftsführer, faktischer s. Faktischer Geschäftsführer Geschäftsführerhaftung – nach Aufhebung des Insolvenzplanverfahrens 8.192 – Ausschüttungsverbot 1.54 ff. – Außenhaftung, Geltendmachung durch Insolvenzverwalter 7.153 f. – D & O-Versicherung 9.166 – Eigenverwaltung 9.136 ff., 9.158 – Faktischer s. dort – Haftungsbeschränkung 9.164 – Innenhaftung, Geltendmachung durch Insolvenzverwalter 7.152 – Insolvenzverschleppung s. dort – Insolvenzverursachungshaftung 11.153, 11.156 ff. – Kreditrückzahlung 7.614 ff. – Missmanagement 11.156 f. – Ressortaufteilung 9.165 – Restschuldbefreiung 10.1 ff. – Sachwalterhaftung 9.163 – Steuern/Sozialabgaben, Pflichtenkollision 9.158 Geschäftsführerpflichten – Auskunftspflichten 5.258 ff., 5.265 ff.; 7 283 ff. – Berichtspflichten 1.150 – Business Judgment Rule 11.156 – Finanzplanung, Berichtspflichten 1.35 – Governance-Regeln 1.35; 11 156 – mehrköpfige Geschäftsführung 5.251 1217

Stichwortverzeichnis

– Mitwirkungslasten 5.249 – Mitwirkungspflichten 5.268 ff. – Selbstprüfungspflicht 1.35, 1.116, 1.191 ff. – Sicherungsmaßnahmen, Gegenmaßnahmen 5.234 f. – Sofortmaßnahmen 2.65 – Solvenzprüfung 1.35 – Zwangshaft 7.294 Geschäftsführervertrag – Änderung, Eigenverwaltung 9.126 – Aufhebung 2.226 ff. – im Insolvenzverfahren 7.208 ff. – Kündigung 2.202 ff., 2.214 ff.; 7 208 Gesellschafter – Auskunfts- und Einsichtsrechte, Eigenverwaltung 9.132 – Einflussnahme bei Eigenverwaltung 9.122 ff. – Haftung s. Gesellschafterhaftung – Insolvenzantragspflicht, Führungslosigkeit 5.204 – Kapitalerhöhung, Bezugsrechtsausschluss 2.240 – Treupflicht, Liquidationsverfahren 3.7 Gesellschafterdarlehen – Altverfahren 2.94 – Befriedigung, Bargeschäftsprivileg 2.126 – Bilanzierung 2.117, 645 ff. – Eigenverwaltung, vor/nach Eröffnung 9.133 – Finanzierungsverantwortung 11.155 – Forderungsverzicht s. dort – gesellschafterbesicherte Drittdarlehen 2.148 ff. – gesellschaftergleiche Dritte 2.99 ff. – GmbH & Co. KG 2.97 – Grundlagen 2.96 ff. – Insolvenzanfechtung s. dort – Insolvenzplanverfahren, Aufhebung 8.191 – Kleinbeteiligtenprivileg 2.104 f., 2.120 – Kontokorrentkredit 2.136 – Kreditbesicherung, 10-Jahresfrist 1.418 f.; 2 130 f. – Liquidationsbesteuerung 3.114 1218

– MoMiG 2.93 f., 2.243 – Nachrangigkeit 2.95, 2.118 ff. – nahestehende Personen 2.103 – Novemberurteil s. dort – Rahmenkredite, Insolvenzplan 8.215 – Rangrücktritt s. dort – revolvierende Kredite 2.140 ff. – rückständige Vergütung 7.220 – Rückzahlung, Gläubigerbenachteiligung 2.124 f. – Sanierungsprivileg 2.106 ff., 2.120 – Schwestergesellschaft 2.102 – Sicherheitenbestellung 2.116 – Steuerfolgen 2.643 ff.; 7.657 ff. – verbundene Kredite 2.140 ff. – Verfahrensrechte 2.119 – Verlustabzug 7.662 ff. – vorinsolvenzliche Zinszahlung 2.122 – wirtschaftlich entsprechende Rechtshandlung 2.103, 2.112 ff. – Zinszahlung 2.122 Gesellschafter-Geschäftsführer – Abberufung 2.211 – Arbeitnehmer 7.227 – betriebliche Altersversorgung 7.257 ff. – Dienstvertrag 7.202 – Pensionsanwartschaft 2.679 – Vergütung, Herabsetzung 2.324 Gesellschafterhaftung – Außenhaftung 7.148 f. – Durchgriffshaftung s. dort – Existenzvernichtungshaftung s. dort – als faktischer Geschäftsführer 1.35 – Finanzierungsverantwortung 11.154 f. – Gamma-Urteil 1.34 – Innenhaftung 7.146 – Insolvenzplanverfahren, Aufhebung 8.191 – Insolvenzverschleppung s. dort – Insolvenzverursachungshaftung s. dort – Kapitalerhöhung 2.41 ff. – KBV-Urteil 1.34 – Kreditrückzahlung 7.614 ff. – Restschuldbefreiung 10.1 ff.

Stichwortverzeichnis

– Trihotel-Urteil s. dort – Unterkapitalisierung s. dort – verbotene Ausschüttung 1.43 ff. – Verfahrensverschleppung 11.58 ff. Gesellschafterversammlung – im eröffneten Verfahren 9.129 – GmbH & Co. KG 2.398 – Vorlagepflichten s. Geschäftsführer Girmes-Urteil 2.253 Glaubhaftmachung – Eröffnungsgrund 5.189 – Finanzbehörde 5.190 – Gegenglaubhaftmachung, Geschäftsführer 5.196, 5.243 – Insolvenzforderungen 5.188 – Restschuldbefreiung, Versagungsgrund 10.42 ff. Gläubiger – Sanierungsbeiträge 2 354 ff. – Sicherheitenverwertung, Eröffnungsverfahren 5.376 ff. – Verfahrenseinstellung, Zustimmung 7.821 f. Gläubigerantrag – Antragsberechtigung s. Insolvenzantrag – Geschäftsführer, Gegenglaubhaftmachung 5.243 Gläubigerausschuss – Eigenverwaltungsverfahren 9.55 ff. – Insolvenzplanverfahren, Beteiligungsrechte 9.57 – Planüberwachungsverfahren, Aufgaben 8.245 – Vergleichsverbot, Insolvenzverwalter 7.154 ff. – vorläufiger s. Vorläufiger Gläubigerausschuss – Zustimmungsvorbehalt 9.56 Gläubigerbenachteiligung – Besicherung von Neukrediten 1.355 ff. – Betriebsveräußerung nach Antragstellung 5.578 – Cash-Pooling 2.146 – Drittsicherheiten 1.365 – Geschäftsführerbezüge 7.214, 7.222 ff. – Gesellschafterdarlehen 2.124 f.

– Kreditbesicherung 1.418 f. – Nachbesicherung bestehender Kredite 1.361 ff., 1.409 ff., 1.425 ff. – Sicherheitenpoolbildung 2.454 ff. – Überbrückungskredit 2.423 – Verrechnung von Zahlungseingängen 1.325 ff. – Vorsatzanfechtung, nachträglicher Besicherung 1.410 ff. Gläubigerschutz – Gläubigerschutzsystem 1.31 – Insolvenzprognoseverfahren 1.265 ff. – Insolvenzverschleppung s. dort – Kapitalsicherung s. dort – Liquidationsverfahren 3.10 – Obstruktionsverbot 8.34 ff., 8.44 – Umwandlung, Sanierung 2.245 Gläubigerversammlung – Betriebsstilllegung nach Berichtstermin 7.98 f. – Entscheidungsvorrecht bei vorläufiger Verwaltung 5.493 – Geschäftsführer, Teilnahmerecht 7.299 – Planinitiativrecht 8.41 Gläubigerverzeichnis s. Restschuldbefreiung GmbH & Co. KG – Alt-Kapitalanteile, Herabsetzung 2.39 – Auflösung 3.18 – Ausschüttungsverbot 1.58 ff. – Debt Equity Swap 2.63, 2.397 ff. – Doppelinsolvenz 8.251; 7.760 f., 7.760 f. – Eigenverwaltung 7.767 – Einheits-GmbH & Co. KG 7.766 – Einstellung mangels Masse 6.38; 7.754 – Erbschaft-/Schenkungsteuer bei Liquidation 3.143 f. – Eröffnung des Insolvenzverfahrens 7.867 ff. – Forderungsverzicht, steuerliche Behandlung 2.666 ff. – Fortsetzung der aufgelösten KG 7.838 f. – Fortsetzungsbeschluss 7.869; 8.253 – Freistellungspflicht 5.139 1219

Stichwortverzeichnis

– Haftungsansprüche gegen Gesellschafter 7.148 f. – Insolvenzantrag 5.180, 5.185 – Insolvenzgründe 7.753 – Insolvenzmasse 7.762, 7.762 – Insolvenzplanverfahren 7.768; 8.251, 8.252 – Insolvenzschuldner 7.751 ff. – Insolvenzverschleppung s. dort – Kapitalerhöhung 2.38 f. – Kapitalsicherung 2.58 – KG, Auflösung 7.759 f. – KG, Insolvenz 7.759 f. – Kommanditanteil, Erhöhung 2.38 – Liquidation 3.18 ff. – Liquidation, Besteuerung 3.130 ff. – persönliche Haftung der GmbH 7.763 – Restschuldbefreiung 10.2 f. – Sanieren oder Ausscheiden s. dort – Simultaninsolvenz 7.755 – Sukzessivinsolvenz 7.755 – Überschuldung 5.138 f. – Vollbeendigung 8.254 GmbH & Still – Umwandlung, Sanierung 2.243 – verbotene Ausschüttung 1.60 Governance – Business Judgment Rule 11.156 – Krise 2.35 – Krisenvorsorge 1.31, 1.191 – Liquiditätsvorsorge 2.116 Grenzüberschreitende Insolvenzen – autonomes deutsches Internationales Insolvenzrecht 12.19 ff. – CVA-Verfahren 12.115 ff. – Eröffnungsbeschluss, Anerkennung 12.74 ff., 12.83 ff. – EU-Bezug 12.31 ff. – EuInsVO s. dort – Forderungsanmeldung 12.60 – Forderungsrealisierung 12.125 ff. – Hauptinsolvenzverfahren, EU-Bezug 12.37 ff. – Herausverschmelzung, grenzüberschreitende 12.112 ff. – Insolvenzantragspflicht 12.124 – Insolvenzverwalter, Kooperationsund Unterrichtungspflichten 12.69 ff., 12.90 ff. 1220

– Konzerninsolvenzen 12.14 ff. – Koordinierung, gesetzliche Grundlagen 12.2 – Migration ins Ausland 12.108 ff. – Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen 12.37 ff. – Partikularverfahren 12.34 – Publizität 12.59 – Schweiz, Eröffnungsbeschluss 12.84 – Sekundärinsolvenzverfahren s. EuInsVO – Staatsverträge 12.22 – USA, Eröffnungsbeschluss 12.85 ff. Haftanordnung – Geschäftsführer, Eröffnungsverfahren 5.272 f. – Wohnung, Betretungsverbot 5.275 Haftung – Existenzvernichtungshaftung s. dort – Geschäftsführerhaftung s. dort – Gesellschafterhaftung s. dort – Insolvenzverschleppung s. dort – Insolvenzverursachung s. dort – Insolvenzverwalterhaftung s. dort – Staatshaftung 7.188 ff. Handelsregister – Kapitalerhöhung 2.31 – Löschung wegen Vermögenslosigkeit 7.845 ff. Haustürgeschäft s. Verbraucherrecht Hin- und Herzahlen – Kapitalerhöhung 2.50 ff. – MoMiG 2.54 f. Hinweispflichten – Krisenfrüherkennung, mehrere Dienstleister 1.279 – Krisenfrüherkennung, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer 1.271 ff. – Verjährung s. dort – Verletzung, Krisenfrüherkennung 1.288 Holzmüller-Urteil 2.253 IDW-Standard IDW S 11 – Fortbestehungsprognose 5.119 f. – Überschuldungsprüfung 5.113 ff.

Stichwortverzeichnis

– Zahlungsunfähigkeit 5.10 Immobilien – freihändige Verwertung 7.579 ff. – Kreditsicherheiten, Verwertung 7.569 ff. Impaired Debt 2.426 Informationsrechte – Geschäftsführer s. dort – Gesellschafter 9.132 Informationssystem – Berichtspflichten s. Geschäftsführerpflichten – Risikofrüherkennungssystem s. Krisenfrüherkennung – Überwachungssystem s. Selbstprüfungspflicht Inkongruente Deckung – Begriff 1.333 – Kontokorrentkredit, Verrechnung 1.336 f. – Kreditrückführung durch Verrechnung 1.335 – Nachbesicherung bestehender Kredite 1.414, 1.425 ff. – Sicherheitenbestellung 1.426 f. – Zahlungseingänge nach Insolvenzantrag 5.303 Insolvenzanfechtung – nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens 8.178 – Bankgeschäfte 1.310 ff. – Bargeschäfte 2.318 ff.; 5.488 – Bargeschäftsprivileg 2.126 – Betriebsveräußerung nach Antragstellung 5.577 – Cash-Pooling 2.323 f.; 2.143 ff. – Contractual Trust Arrangement 7.254 – Deko-Marty-Urteil 12.48 ff. – Drittdarlehen, gesellschafterbesicherte 2.148 ff. – Drittsicherheiten 2.363 – Einschränkung, vorläufige starke Verwaltung 5.495 – Forderungsbefriedigung, Zustimmung des vorläufigen Verwalters 5.488 – Geschäftsführervergütung 7.214, 7.217, 7.219 ff., 7.222 ff.

– Gesellschafterdarlehen 2.120 ff., 2.127 ff. – Globalzession 1.424 – inkongruente Deckung s. dort – insolvenzbedrohende Auszahlung/ Kreditbesicherung 1.81 f. – Kleinbeteiligtenprivileg 2.120 – kongruente Deckung s. dort – Kontokorrentkredite 2.136 ff. – Kreditbesicherung 1.425 ff., 1.423 ff.; 2.131 ff. – Neukredit, Besicherung im eröffneten Verfahren 7.562 – Rangrücktritt 2.123 – revolvierende Darlehen 2.140 ff. – Sanierungsprivileg 2.120 – Schenkungsanfechtung 1.420 ff. – Sicherheitenpoolbildung 2.454 ff. – Sicherungsabtretung 1.316 – übertragende Sanierung 2.233 – Verrechnung von Zahlungseingängen 1.325 ff. – Versorgungsleistungen, betriebliche 7.250 ff. – Vorsatzanfechtung 1.410 ff. – Zuständigkeit, EU-Bezug 12.48 ff. Insolvenzantrag – Anträge, mehrere 5.184 – Antragsberechtigung 5.169 ff. – Auslandsbezug 5.166 – Eigenantrag 4.6 ff.; 5.53 f., 5.170 ff. – Eigenverwaltung 9.4 ff. – Erledigungserklärung 5.197 ff. – fahrlässiger, Haftung 5.195 – Finanzbehörde 5.190 – Form 5.167 ff. – Gegenglaubhaftmachung, Geschäftsführer 5.196 – gelöschte Gesellschaft 5.183 – Geschäftsführer, Anhörung 5.226 – Gesellschafter, Führungslosigkeit 5.204 – Glaubhaftmachung 5.188, 5.190 – Gläubigerantrag 4.5; 5.179 ff. – GmbH & Co. KG 5.180, 5.185 – konzernverbundene Unternehmen 5.164 – Missbrauch 5.230 – Notgeschäftsführung 5.183 1221

Stichwortverzeichnis

– ordnungsgemäßer 5.180 ff. – Rechtsschutzinteresse 5.193 – Rücknahme 5.176, 5.197 – Strategien 4.4 ff. – Teilbetrag 5.182 – Vollmacht 5.183 – Vorgründungsgesellschaft 5.183 – vorsätzlich sittenwidriger 5.195 – Zulassungsverfahren 5.196 – Zuständigkeit 5.152 ff. Insolvenzantragspflicht – Amtsniederlegung 11.91 – Beginn 11.87 ff. – Drei-Wochen-Frist 1.193; 5.36; 11.2 – Ende 11.91 – faktischer Geschäftsführer 5.279; 11.1 – Führungslosigkeit 11.98 – Geschäftsführer 11.1 ff. – Gesellschafterhaftung 11.58 ff. – grenzüberschreitende Insolvenzen 12.124 – Pflichtenkollision 1.193 – Sanierungs-Geschäftsführer 2.224 – Verbot unerlaubter Geschäftsfortführung 11.2 – Verfahrensverschleppung s. Insolvenzverschleppung Insolvenzeröffnung s. Insolvenzverfahren Insolvenzeröffnungsverfahren – abschließende Entscheidungen 5.236 f. – Abweisung mangels Masse s. Masselosigkeit – Akteneinsicht 5.226 – Anlaufliquidität 5.544 ff. – Anordnung vorläufiger Maßnahmen 5.312 ff. – Auskunftsanspruch s. Informationsrechte – Auskunftspflichten 5.259 ff. – Beschwerdeverfahren 5.238 ff. – Betriebsfortführung s. dort – Betriebsstilllegung s. dort – Betriebsveräußerung s. dort – Eigenverwaltungsverfahren 9.9 ff. – Ermittlungsmaßnahmen 5.232 f. 1222

– erneutes nach Abweisungsbeschluss 6.20 – Eröffnungsbeschluss, Rechtsmittel 5.237 – Eröffnungsgründe 5.1 – faktischer Geschäftsführer, Verfahrensrechte/-pflichten 5.278 ff. – Gehör s. Anhörung – Geschäftsführer s. dort – Insolvenzgeld, Vorfinanzierung 5.381 ff.; s.a. dort – Insolvenzplan, Vorlage 5.228 – internationale Anerkennung 12.83 ff., 12.88 f. – Kreditaufnahme 5.353 ff. – Kreditsicherheiten 5.364, 5.373 ff. – Massekredite 4.18 – Masselosigkeit s. dort – Missbrauch 5.230 – Neukredite 8.203 – quasi-streitiges Parteiverfahren 5.196 – Rückschlagsperre 5.214 – Schutzschirmverfahren s. dort – Überschuldungsprüfung 5.106 – Verfügungsverbot, allgemeines 5.271 f., 5.304 – Verwertungs- und Einziehungsstopp 5.342 – vorläufige Eigenverwaltung 5.42 – vorläufige Insolvenzverwaltung 5.254 – vorläufiger Gläubigerausschuss 5.411 ff., 5.446 ff. – vorläufiger Verwalter, Bestellung 5.350 – Zahlungsverkehr 5.301 ff. – Zustimmungsvorbehalt s. dort – Zwangsmaßnahmen ggü. Geschäftsführer 5.271 ff. – Zwangsvollstreckung, Einstellung 5.211 ff. Insolvenzforderung – Bedingung/Befristung 5.186, 5.193 – Finanzbehörde 5.190 – gestundete 5.193 – Glaubhaftmachung 5.188, 5.190 – Nachrang 2.118 ff.; 5.186 – nicht titulierte 5.191

Stichwortverzeichnis

– Tilgung nach Antragstellung 5.186 f. – verjährte 5.193 Insolvenzgeld – Anspruchsinhaber 5.385 – Begriff 5.382 – Betriebsfortführung, Vorfinanzierung 5.550 ff. – Drei-Monats-Frist 5.387 – im Eigenverwaltungsverfahren 5.390 – Entgeltansprüche, Übergang auf Bundesagentur für Arbeit 5.392 f. – Eröffnungsverfahren 5.382 – Forderungskauf 5.394 f. – Forderungskauf, Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit 5.400 ff. – Geschäftsführer 7.226 ff. – Höhe 5.388 – Insolvenzereignis beim Arbeitgeber 5.384 – missbräuchliche Inanspruchnahme 5.400 ff. – Personalkosten 5.382 – Schutzschirmverfahren 5.393 – Vorfinanzierung 4.20; 5.381 ff. – Vorschusszahlung 5.391 Insolvenzgericht – Auswahl- und Überwachungspflichtverletzung 7.188 ff. – Betriebsstilllegung, Zustimmung 5.527, 5.543, 5.553 ff. – Ermittlungsmaßnahmen 5.232 f. – Insolvenzplanverfahren 8.43 ff., 8.111 ff. – Kooperations- und Unterrichtungspflichten, Drittstaatenbezug 12.90 ff. – Masseschuldermächtigung, Beschluss 9.12, 9.110 – Nachtragsverteilung 7.854 ff. – Planüberwachungsverfahren 8.245 – Rechnungslegungsprüfung 7.118 – Restschuldbefreiung 10.34 f., 10.72 ff. – Sachverständigenbeauftragung 5.232 f. – Schutzschirmverfahren 4.17; 5.215 – Zuständigkeit 5.151 ff., 5.164 – Zwangsmaßnahmen ggü. Geschäftsführer 5.271 ff.

– Zwangsverwaltung, Anordnung 5.213 – Zwangsvollstreckung, Einstellung 5.211 ff. Insolvenzmasse – Bestandteile 7.11 ff. – Einzelerfassungsgebot 7.113 – Firma 7.11, 7.762 – Freigabe, Altlastengrundstück 7.21, 7.39 ff. – GmbH & Co. KG 7.762 – Haftungsansprüche g. Gesellschafter 7.146 ff. – liquidierbares Vermögen 6.3 – massefreies Vermögen 7.14, 7.17 – Massegegenstände, Freigabe 7.19 ff. – Massegegenständeverzeichnis 7.113 – Neumasseverbindlichkeiten 7.336 ff. – Sanierungs-Sondermasse 7.14 Insolvenzplan – ab-/aussonderungsberechtigte Gläubiger 8.20 – Anlagen 8.6 – Anteils- und Mitgliedschaftsrechte, Einbeziehung 8.172 ff. – Anteilseigner, Einbeziehung 8.23 ff. – Aufstellung 8.92 ff. – Bereinigung von Gesellschafterstreitigkeiten 4.8 – bestätigter, Rechtswirkungen 8.171 ff. – Bestätigung, gerichtliche 8.111 ff. – Beteiligte 8.11 ff. – darstellender Teil 8.6, 8.101 – Debt Equity Swap 8.26 ff., 8.222 – Durchführungsvollmacht 8.14 – Eigenverwaltung 8.49 – Fortführungsplan 8.5 ff. – Fortsetzungsbeschluss 8.25, 8.174 – Gesellschafterausschluss, Ausgleichszahlung 8.35 – Gesellschafterhaftung 8.191 f. – gesicherte Gläubiger 8.21 – gestaltender Teil 8.101 f. – Gläubigerverzeichnis 8.7 – GmbH & Co. KG 8.252 – Gruppenbildung s. Insolvenzplanverfahren 1223

Stichwortverzeichnis

– insolvenzspezifische Ansprüche 8.10 – Kapitalerhöhung im eröffneten Verfahren s. dort – Liquidationsplan 8.5 – Mehrheit von Vorlagen 8.114 – Minderheitenschutz 8.29 ff., 8.44, 8.65 f. – Mithaftung, abweichende Regelungen 8.195 – Mitschuldner/Bürgen, Haftung 8.193 ff. – Neukredite 8.201 ff., 8.222 – Novation 8.179 – Obstruktionsverbot s. Insolvenzplanverfahren – Plangegenstand 8.4 ff. – Plangestaltungen 8.11 ff. – Planinitiativrecht 8.46 ff. – Planmotive 8.1 – Präklusionsklausel 8.55, 8.171 – Rahmenkredite 8.206 ff. – Restschuldbefreiung 8.1 – Sanieren oder Ausscheiden s. dort – Sanierungsmaßnahmen 4.16 f. – Sicherungsgut, Bewertung 8.22 – übertragende Sanierung 7.144 – verfahrensleitender Plan 8.2, 8.5 – Verjährung der Absonderungsansprüche 8.155 – Vermögensübersicht 8.7 – Verzeichnis der Massegegenstände 8.7 – Vollstreckungstitel, Novation 8.179 – Vorlagefrist, Schutzschirmanordnung 9.108 – Wiederauflebensklausel 8.231 ff. Insolvenzplanverfahren – Abstimmungsverfahren 8.61 f., 8.96 ff. – Arbeitnehmerbeteiligung 8.91 ff. – Aufhebung 7.803 – Aufrechnungsbefugnis des Gläubigers 8.195 – Bestätigung/Versagung, sofortige Beschwerde 8.132 ff. – Betriebsrat, Mitwirkung 8.92 ff. – eigenverwaltetes, Kreditgeschäfte 9.214 ff. 1224

– Forderung, Verjährung 8.153 – Freigabeverfahren 8.141 ff. – Geschäftsführer, Verfahrensrechte 7.303 – Gesellschafterdarlehen 8.191 – GmbH & Co. KG 8.251 f.; 7.768 – Gruppenbildung 8.54, 8.62, 8.96 ff. – Kreditgeschäfte 8.201 ff. – Leistungsstörungen, planbedingte 8.232 – Massedarlehen 8.204, 8.217 – Minderheitenschutz 8.116 ff. – Obstruktionsverbot 8.63 ff., 8.112 – Planbestätigung, gerichtliche 8.111 ff. – Planentscheidung 8.61 ff. – Planerfüllung s. Planüberwachungsverfahren – Planinitiativrecht 8.41, 8.46 ff. – Rangverhältnisse 8.69 ff. – Rechtsmittel 8.131 ff., 8.147 – Schlechterstellungsverbot 8.65 f. – Sprecherausschuss, Mitwirkung 8.92 ff. – Überbefriedigungsverbot 8.68 – Überwachung s. Planüberwachungsverfahren – Verbot von Mischgruppen 8.21 – Verfahrensablauf 8.41 ff. – Vollstreckungsschutz 8.151 f. – Vorprüfung des Insolvenzplans 8.43, 8.50 ff. – Zurückweisung 8.53 ff. – Zuständigkeit 8.52 – Zwangsvollstreckung, Beschränkung 8.151 f. Insolvenzprognose – Datenquellen 1.266 – Motivation 1.265 – Schätzgüte 1.267 – Überschuldungsprüfung 5.110 ff. Insolvenzregister, europäisches 12.13 Insolvenzverfahren – Ablehnung mangels Masse s. Abweisungsbeschluss – Abweisungsbeschluss s. dort – Altlasten s. dort – Amtslöschungsverfahren 7.845

Stichwortverzeichnis

– Arbeitsverhältnisse 7.331, 7.345 ff., 7.355 – Auflösung der Gesellschaft 7.5 ff. – Auskunftspflichten, Geschäftsführer s. Geschäftsführerpflichten – außergerichtliche Sanierung, Scheitern 2.705 – Betriebsfortführung 7.51 ff. – Betriebsstilllegung 7.91 ff., 7.477 ff. – Betriebsübergang 7.470 ff. – Betriebsvereinbarungen s. dort – Eigenverwaltung s. dort – Einstellung 7.804 ff., 7.816 ff. – faktischer Geschäftsführer 7.206 – Gehör s. Anhörung – Gerichtsstand s. Zuständigkeit – Gesamtabwicklungskonzept 7.835 ff. – Geschäftsführer s. dort – Gesellschaft, Fortsetzung 7.831 ff., 7.844 – Gesellschafter, Rechtsstellung bei Führungslosigkeit 7.204 ff. – gesellschaftsrechtliche Auswirkungen 7.1 ff. – GmbH & Co. KG s. dort – grenzüberschreitende Insolvenzen s. dort – Hauptinsolvenzverfahren, EU-Bezug 12.37 ff. – IDW-Rechnungslegungshinweise 7.111 – Nachtragsliquidation 7.858 f. – Nachtragsverteilung 7.854 ff. – Personalabbau 7.380 ff. – Rechnungslegung s. dort – Restschuldbefreiung s. dort – Risiken 4.24 f. – Sanierung, GmbH & Co. KG 4.22 ff. – Sanierung im Regelverfahren 4.11 ff. – Sanierung, übertragende 4.31 f. – Sanierungschancen 4.9 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren, EU-Bezug 12.50 ff. – Steuerfolgen s. Steuerrecht – Verfahrenskostenvorschuss 6.11 ff. – Vergütungsansprüche, Arbeitnehmer 7.332 ff. – Verhältnis z. Liquidation 4.2 f.

– Verwalter, Zuständigkeit 7.7 – Vollabwicklung des Schuldnervermögens 7.842 ff. – Vollbeendigung 7.835 ff. – Vorsteuerabzug 7.490 – Zahlungsverkehr s. dort – Zweck 4.1 ff. Insolvenzverschleppung – Altgläubiger, Schaden 11.10, 17 ff. – Beginn 11.86 ff. – Beraterhaftung 11.168 – Berufsverbot 11.100 – Beweislast 11.11 – Drei-Wochen-Frist 11.2 – faktischer Geschäftsführer 5.177 – Führungslosigkeit 11.58, 11.87, 11.98 – Gesamtgläubigerschaden 11.17 ff. – Gesamtschadensliquidation 11.20 ff. – Geschäftsführer 11.81 ff. – Geschäftsführer, Abberufung 2.209 – Geschäftsführer, Amtsunfähigkeit 11.100 – Geschäftsführer, Suspendierung 2.223 ff. – Gesellschafter 11.87, 11.93 – Gesellschafterhaftung 11.58 ff. – GmbH & Co. KG 11.18, 11.92 – Haftung 11.4 ff. – Individualschaden 11.17 ff. – Insolvenzantragspflicht 11.1 f. – Insolvenzstrafrecht 11.81 ff. – Kostenvorschusspflicht 6.13 f. – Kreditgewährung 11.122, 11.125 – Krisenwarnzeichen, Häufung 11.83 – Massekostenvorschuss, Ersatz 6.41 ff. – Masselosigkeit 6.39 ff. – Masselosigkeit, rechtspolitische Überlegungen 6.45 ff. – mehrere Geschäftsführer 11.12 – Neugläubiger, Schaden 11.10, 11.17 ff. – Neukredit in der Krise 2.419 f., 2.425 – Quotenschaden s. dort – Rechtsprechung 11.18 ff., 11.24 ff. – Sanierung, gescheiterte 2.10 – Sanierungsberater 11.101 ff., 11.106 ff. 1225

Stichwortverzeichnis

– Sanktionen 11.7 ff. – Schadensersatzanspruch 11.11 ff. – sittenwidrige Schädigung 11.13 – Strafbarkeit 11.81 ff. – Täter 11.92 ff. – Tathandlungen 11.96 – Überschuldung 5.81 f. – Verjährung 11.14, 11.30 – Vorgründungsgesellschaft 5.183 – Vorsatz/Fahrlässigkeit 11.99 – wrongful trading 11.1 – Zahlungsverbot s. dort Insolvenzverursachungshaftung 11.151 ff. – Existenzvernichtungshaftung s. dort – Missmanagement 11.156 f. – verbotene Zahlungen 11.158 ff. Insolvenzverwalter – Altlasten s. dort – Arbeitgeberpflichten 7.82 – Beschlussverfahren, statt Interessenausgleich 7.423 ff. – Betriebsfortführung 7.51 ff., 7.81 ff. – Betriebsfortführung, vorläufiges Verwertungsverbot 7.73 – Betriebsschließungspflicht 7.78 ff. – Betriebsstilllegung, Unterrichtungspflicht 7.96 – Betriebsveränderung 7.7 – Durchführungsvollmacht s. Insolvenzplan – Eigenverwaltung, Anordnung 7.8 f. – Forderungsverzicht, Verbot 7.154 ff. – Geschäftsführervertrag, Kündigung 7.210 ff. – Haftung s. Insolvenzverwalterhaftung – Haftungsansprüche g. Geschäftsführer 7.152 ff. – Haftungsansprüche g. Gesellschafter 7.146 ff. – Insolvenzeröffnungsbilanzpflicht 7.122 – Jahresabschluss, Veröffentlichungspflicht 7.127 – Jahresabschlusspflicht, Rumpfgeschäftsjahr 7.121 1226

– Kooperations- und Unterrichtungspflichten, Internationales Insolvenzrecht 12.69 ff., 12.90 ff. – Massedarlehen, Aufnahme 7.66 – Masseunzulänglichkeit, Anzeigepflicht 7.811 – Personalabbau, Vermittlungsversuch 7.380 – Planerfüllung, Überwachung 8.241 – Planinitiativrecht/-pflicht 8.47 ff. – Planüberwachungsverfahren 8.244 – Planvorlage 8.41 – Rechnungslegungspflicht 7.120, 7.123 – Rechtsstellung im eröffneten Verfahren 7.3 ff. – Sozialplan 7.407 ff., 7.458 ff. – steuerrechtliche Pflichten 7.489 – Umsatzbesteuerung 7.491 f. – Verfahrenspflichten, Delegation 7.89 – Vergleichsverbot 7.154 ff. – Zwangsversteigerung, Einstellung 7.570 ff. Insolvenzverwalterhaftung – nach § 61 InsO 7.178 ff. – Altlasten s. dort – Arbeitnehmer 7.170 – Arbeits- und Sozialrecht 7.175 – culpa in contrahendo 7.173 – deliktische 7.174, 7.187 – Fristüberschreitung 7.177 – Garantieerklärung 7.172 – Haftungsrisiken 7.161 ff. – für Hilfspersonen 7.90, 7.168 ff. – insolvenzspezifische 7.161 ff., 7.176 – Massekredit 5.355 ff. – für Masseverbindlichkeiten 7.166 f., 7.178 ff. – Neukreditaufnahme, eröffnetes Verfahren 7.560 – öffentlich-rechtliche Pflichten 7.39 ff., 7.175 – Patentverletzung 7.174 – schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter 5.470 ff. – Staatshaftung 7.188 ff. – starker vorläufiger Insolvenzverwalter 5.489 ff.

Stichwortverzeichnis

– Steuerrecht 7.175, 7.187 – für Verrichtungsgehilfen 7.169 – vertragliche 7.172 ff., 7.187 – vorläufiger Insolvenzverwalter s. dort Interedil-Entscheidung 12.45 ff. Interessenausgleich – Beschlussverfahren, statt Interessenausgleich 7.423 ff. – Betriebsratsanhörung 7.422 – Betriebsstilllegung 3.59 ff.; 5.561 – Drei-Wochen-Frist 7.383 – Massenentlassung s. dort – mit Namensliste 7.392 ff. – Personalabbau, gerichtliche Zustimmung 7.381 ff. – Sozialplan s. dort Internationale Zuständigkeit – Annexverfahren 12.11, 12.48 ff. – EuInsVO s. dort – Drittstaatenbezug, deutsche GmbH 12.79 – Eröffnungsentscheidung, Anfechtbarkeit 12.10 – Prüfung von Amts wegen 12.9 Internationales Insolvenzrecht – autonomes deutsches Internationales Insolvenzrecht 12.19 ff., 12.78 ff. – Drittstaatenbezug, lex fori concursus 12.81 f. – EuInsVO s. dort – Schweiz 12.84 – Staatsverträge 12.22 – USA 12.85 ff. Jahresabschluss – Insolvenzverwalter, Veröffentlichungspflicht 7.127 – Krisenfrüherkennung 1.205 ff., 1.234 f. – Offenlegung, Verpflichteter 7.125 – Rumpfgeschäftsjahr 7.121 Kapitalerhaltung – Cash-Pooling 1.78 ff. – Insolvenzverursachungshaftung 11.151 ff.

– Krisenbereinigung 1.37 – Krisenvorsorge 1.31 ff. – Limitation Language 1.372 f. Kapitalerhöhung – Anmeldung 2.31 – Ausfallhaftung 2.41 – Barkapitalerhöhung 2.31 – Bezugsrecht 2.32, 2.240; 7 241 – Bezugsrechtsausschluss 2.31, 2.240, 2.385; 8.32 – Cash-Pooling 1.79 f. – Debt Equity Swap 2.59 ff., 2.380 – Einzahlung auf debitorische Konten 2.42 – im eröffneten Verfahren 7.14 ff. – Forderungsumwandlung in haftendes Kapital 2.241 – genehmigtes Kapital 2.31 – Gesellschafter, Bezugsrechtsausschluss 2.240 – Gesellschafteraufnahme, Sanierung 2.240 ff. – Gesellschafterdarlehen, Steuerfolgen 2.580 ff. – GmbH & Co. KG 2.38 f. – Hin- und Herzahlen 2.50 – Kapitalaufbringungsregeln 1.37 – Kapitalschnitt 2.33 ff. – Liquidationsverfahren 3.8 – Mezzanine-Kapital 2.79 – Mittelverwendung vor Eintragung 2.43 f. – ordentliche 2.31 ff. – Private Equity 2.72 ff. – Risiken 2.40 ff. – Risikokapitalerhöhung, atypische 2.71 ff. – Sachkapitalerhöhung 2.31, 2.385 – sanierende 2.40 ff. – Sanierungszwecke, Insolvenzplan 7.14 – Sofortmaßnahmen 2.65 ff. – Steuerfolgen 2.573 ff. – stille Beteiligungen 2.84 – Übernahmevertrag 2.32 – Venture Capital 2.72 – Verwendungsabsprachen 2.46 – Vorleistungen auf noch nicht beschlossene 2.47 ff. 1227

Stichwortverzeichnis

– Zahlung an einen Dritten 2.45 Kapitalherabsetzung – Debt Equity Swap 2.382 – GmbH & Co. KG, Alt-Kapitalanteile 2.39 – Kapitalschnitt 2.33 – Liquidationsverfahren 3.8 – Mindeststammkapital 2.34 – auf null 2.35 – Sachsenmilch-Urteil 2.36 – Steuerfolgen 2.589 ff. – Treuepflichten 2.37 – vereinfachte 2.33 Kapitalschnitt s. Kapitalerhöhung; Kapitalherabsetzung Kapitalschutz s. Kapitalerhaltung; Kapitalerhöhung; Kapitalherabsetzung KBV-Urteil 1.34; 7 148; 11 152 Kennzahlen – Nichteinhaltung, Sanktionen 1.253 f. – Risikofrüherkennung 1.207 ff. Kleinbeteiligtenprivileg – Gesellschafterfinanzierung 2.104 f. – Insolvenzanfechtung 2.120 – Nutzungsüberlassung 2.157 KMU 2.513 f. Knebelung s. Sittenwidrigkeit Kongruente Deckung – Begriff 1.333 – Globalzessionsvertrag 1.424; 2.458 – Kontoüberziehung, geduldete 1.334 – Kreditsicherheiten 1.423 f., 1.430 ff. – nachträgliche Besicherung aus dem GmbH-Vermögen 1.416 „Konkurs im Konkurs“ s. Masseunzulänglichkeit Kontokorrentkredit – Gesellschafterdarlehen 2.136 – insolvenzrechtliche Behandlung 2.136 ff. – Kreditlinien 7.553 f. – Neukreditaufnahme 7.555 ff. – Staffelkreditentscheidung 2.140 – Stundung 2.515 – Überziehung, geduldete 1.334 – Verrechnung, inkongruente 1.336 f. – Verrechnungsverbot, eröffnetes Verfahren 7.532 f. 1228

– Zahlungseingänge, nach Insolvenzantrag 5.302 ff. Konzern – Cash-Pooling s. dort – Konzernabschluss, IAS/IFRS 1.214 – Konzerngerichtsstand 5.164 – Konzerninsolvenz, grenzüberschreitende 12.14 ff. – Konzerninsolvenz, Gruppen-Gerichtsstand-Regelung 5.165 – konzerninterne Kredite 1.73 ff.; 2 143 – Muttergesellschaft, Sanierung 2.252 ff. – Privileg 1.73 ff.; 12.14 ff. – Tochtergesellschaften, Sanierung 2.249 ff. – Upstream Loans 1.73 – Verfahrenseinstellung, Gläubigerzustimmung 7.821 – Verlustdeckungsvereinbarung 5.136 Kostendeckung – Aktivmasse 6.6 f. – Auslagen 6.9 – Insolvenzverwalter, Vergütung 6.9 – Liquiditätsprognose 6.4 ff. – Prüfungsmaßstab 6.10 – Verfahrenskosten 6.8 – Vorschuss 6.11 ff., 6.41 ff. Kreditbesicherung s. Kreditsicherheiten Kreditgeschäft – Altkredit 5.343 ff., 5.351 – Ausnutzung bestehender Kreditlinien, eröffnetes Verfahren 7.553 f. – Betriebsfortführung, Finanzierungshilfe 5.547 ff. – Betriebsmittelkreditlinie 2.404 – Darlehen s. dort – Distressed Debt s. dort – Eigenverwaltung 9.192 ff., 9.203 ff. – Fernabsatz 7.634 ff. – Financial Covenants s. dort – Forderungsverkauf 2.426 ff. – Haftungsrisiko der Bank 11.121 ff. – Haustürgeschäft 7.636 ff. – Insolvenzanfechtung s. Insolvenzanfechtung – im Insolvenzeröffnungsverfahren 5.341 ff.

Stichwortverzeichnis

– Insolvenzgeld, Forderungskauf 5.381 ff., 5.394 f. – Insolvenzplanverfahren, eigenverwaltetes 9.214 ff. – Insolvenzverwaltung, vorläufige 5.341 – konzerninterne Kredite 1.73 ff. – Kündigung s. Kreditkündigung – Massedarlehen 5.358; 8.204 – Mithaftung 7.614 ff., 7.637 ff. – Neukredit s. dort – Prolongation 2.406 ff., 2.414 – Rahmenkredit, Insolvenzplan 8.206 ff. – Refinanzierung 2.407 – Roll-over-Kredit 2.407 – Schutzschirmverfahren 9.199 ff. – sittenwidrige Nachbesicherung s. Sittenwidrigkeit – Staffelkreditentscheidung 2.140 – Stillhaltevereinbarung 11.124, 11.127 ff.; s.a. dort – Stundung s. dort – Überbrückungskredit 2.423; s.a. Sanierungskredit – Verbraucherdarlehen 7.627 ff. – nach Verfahrensaufhebung 8.217 – Verfügungsverbot 5.341 – Verrechnung s. Inkongruente Deckung; 1.335 – Verwertungs- und Einziehungsstopp 5.342 – vorläufiger Insolvenzverwalter s. dort – Zins- und Tilgungsraten s. Stundung – Zustimmungsvorbehalt, Insolvenzgericht 5.356 Kreditinstitut – Bankgeheimnis 2.434 ff. – Bilanzanalyse 1.234 f. – Datenschutz 2.434 ff. – Distressed Debt 2.426 ff. – Eingriff in die Geschäftsführung 11.132 f. – Financial Covenants s. dort – Haftung 11.121 ff., 11.134 ff. – Kontokorrentkredit, Stundung 2.515

– Kreditvertragsklauseln, Financial Covenants 1.239 ff. – Krisenfrüherkennung 1.231 ff. – Krisenprüfung MaRisk, KWG 1.234 f. – Sanierungkredit 2.416 ff.; s.a. dort – Sanierungsbeiträge 2.401 ff. – Sicherheitenpool 2.445 ff. – Sicherheitenprüfung 1.236 Kreditkündigung – ausreichende Sicherheiten 1.460 ff. – außerordentliche 1.452 ff. – Gefährdung der Darlehensrückzahlung 1.453 – ordentliche 1.450 f. – Schuldnerinteressen 1.457 ff. – unzulässige, Rechtsfolgen 1.464 – Verzicht 2.403 ff. Kreditlinie – Betriebsmittelkreditlinie, Aufrechterhaltung 2.404 – Gesellschafterdarlehen s. dort Kreditsicherheiten – AGB-Pfandrecht, Banken, Verwertung 7.612 – akzessorische Sicherheiten 2.133 – anfechtbar gewährte, Rückgewährpflicht 2.131 – Anfechtung s. Insolvenzanfechtung – Bestellung der vorläufigen Insolvenzverwalter 5.362 ff. – bilanzielle Prüfung, Zeitpunkt 1.70 – Doppelsicherheiten 2.153 ff. – Drittkredit 2.116 – Drittsicherheiten 1.363 ff. – Eigenverwaltung 9.209 f. – Fernabsatz, Informationspflichten 7.634 ff. – freihändige Verwertung 7.579 ff. – Geschäftsführer 1.68 – Gesellschafterdarlehen 1.65 ff., 1.418 f.; 2.127 ff. – Haustürgeschäft 7.636 ff. – Immobilienverwertung 7.569 ff. – Insolvenzplanverfahren 8.191 – Knebelung 1.434 ff. – kongruente Deckung s. dort – Kreditkündigung 1.449 ff., 1.457 ff. 1229

Stichwortverzeichnis

– Mithaftung, bei Vermögenslosigkeit 7.637 ff. – Mobiliarpfandrechte, Verwertung 7.607 ff. – Nachbesicherung 1.361 ff. – nahestehende Personen 1.422; 7.614 ff. – Neukredit, eröffnetes Verfahren 7.561 ff.; 8.218 ff. – Neukredite 1.355 ff. – Novemberurteil 1.63 – Personalsicherheiten 7.622 ff. – Pfandrecht an Forderungen, Verwertung 7.611 ff. – prolongierter Kredit 2.414 – Sanierungskredite 1.357 ff. – Schenkungsanfechtung 1.421 – Sicherheitenpoolvertrag 2.445 ff. – Sicherheitentausch 2.458 – Sicherungsabtretung, Forderungsverwertung 7.593 ff. – Sicherungseigentum s. dort – sittenwidrige 1.432 ff. – Sonnenring-Urteil 1.63 – Überschuldungsvermeidung 5.138 – Verbraucherdarlehen 7.627 ff. – Verfügungsverbot 5.349 – Verwertung 7.564 ff.; 9 210 – Verwertung, Kostenbeitrag 7.600 ff. – Verwertung, Steuerfolgen 7.496 ff. – Verwertung, unzulässige 5.373 ff. – Verwertungs- und Einziehungsstopp, Anordnung 5.377 – Verwertungsbefugnis, Eröffnungsverfahren 5.364 ff. – Verwertungsbefugnis, gesicherter Gläubiger 5.376 ff. – Verwertungsbefugnis, vorläufiger Insolvenzverwalter 5.365 ff. – vorläufiger Verwalter 5.362 f. – zugunsten der Bank 1 355 ff. – zugunsten von Gesellschaftern 1.61 ff.; 2 134 Kreditunwürdigkeit – Begriff 1.11 ff. – Kreditunwürdigkeitsprüfung 1.234 f. Krise – Begriff, betriebswirtschaftlicher 1.1 ff. 1230

– Begriff, rechtlicher 1.10 ff. – Kreditunwürdigkeit 1.11 ff. – Krisenanfälligkeit 1.19 – Krisenanzeichen 1.10, 1.213, 1.232 ff., 1.237 f. – Liquiditätskrise 1.91 – Symptome 1.24 – Szenarien 1.25 – Ursachen 1.17 ff. Krisenfrüherkennung – Betriebsprüfung 1.216 – Bilanzanalyse 1.122 ff. – Cash-Flow 1.207 – Controlling 1.136 – Corporate Governance 1.191, 1.198 – Diskriminanzanalyse 1.126, 1.208 ff. – Drei-Wochen-Frist 1.193 – ESUG 1.192 – Expertensystem 1.211 – Financial Covenants s. dort – Finanzbehörden 1.217 ff. – Geschäftsbeziehungen, Überprüfung 1.237 – IAS/IFRS 1.214 – Insolvenzprognoseverfahren 1.265 ff.; s.a. dort – Jahresabschluss 1.234 f. – Kennzahlensysteme 1.207 ff. – Kreditinstitute, MaRisk, KWG 1.231 ff. – Kreditvertragsklauseln s. Financial Covenants – Kreditwürdigkeit s. dort – Krisensignale 1.10, 1.213, 1.232 ff., 1.237 f. – Lagebericht 1.206, 1.276 – Liquiditätsprüfung 1.218 ff. – MaRisk 1.234 f. – Risikofrüherkennungssystem (RFS) 1.196 ff. – Risikomanagementsystem (RMS) 1.201 ff. – Schwachstellenanalyse 1.161 ff. – Scoring-Verfahren 1.212 – Selbstprüfungspflicht 1.191 ff.; s.a. dort – Sozialversicherungsträger 1.215 – Statistik, betriebliche 1.127 ff. – Unternehmensplanung 1.132 ff.

Stichwortverzeichnis

– Unternehmensstruktur, Kontrollsysteme 1.150 ff. – Unternehmensumwelt, Analyse 1.137 f. – Vertragsgläubiger, Möglichkeiten 1.205 ff. – Warnpflichten, Berater/Wirtschaftsprüfer 1.271 ff.; s.a. Rechtsanwälte; Steuerberater; Wirtschaftsprüfer Krisenmanagement – Bilanzanalyse 1.122 ff. – Geschäftsleitung, Austausch 1.166 ff. – Informationsstruktur, Verbesserung 1.172 f. – Krisenmanager 1.166 ff. – operativer Bereich 1.165 – Projektgruppen 1.173 – rechtlicher Bereich 1.176 ff. – Sanierungsberater 1.179 – Sanierungsmaßnahmen 1.171 ff. – Sanierungsplan 1.171 – Schwachstellenanalyse 1.161 ff. – Statistik, betriebliche 1.127 ff. Krisenvorsorge – Aufsichtsorgan, Errichtung 1.155 – Ausschüttungsverbot s. dort – Berichtspflichten 1.150 – Cash-Pool-Probleme 1.78 ff. – Controlling 1.126, 1.154 – Finanzierungsverantwortung 1.35 f. – Finanzplanung 1.35 – Governance 1.31, 1.35 – Informationssystem, Rechnungslegung 1.31 – Kapitalerhaltung 1.37 – Kapitalerhöhung 1.37 – Kapitalschutzsystem 1.31 ff. – Liquiditätsschutz 1.61 ff.; s.a. dort – Liquiditätsvorsorge 1.91 ff. – Organisationsstruktur, krisenaverse 1.144 ff. – Risikomanagement 1.35 – Schwachstellenanalyse 1.161 ff. – Solvenzprüfung, ständige 1.35 – Überwachungssystem 1.35 – Unternehmensstruktur, Kontrollsysteme 1.154 f.

Kündigung – Änderungskündigung 2.308 – befristete Arbeitsverhältnisse 7.353 – Beschlussfassung, nach Betriebsübergang 7.482 – Beschlussverfahren, statt Interessenausgleich 7.423 ff. – betriebsbedingte s. dort – Betriebsrat, Rechte 3.64 ff. – Betriebsstilllegung 3.57 ff.; 7.100, 7.477 ff. – Betriebsübergang 3.89 ff.; 5.588; 7.470 ff. – Fortsetzungsanspruch gegenüber Erwerber 3.90 ff. – Höchstkündigungsfrist 7.347 ff. – Interessenausgleich 3.59 ff. – Konsultationsverfahren 3.81 – Kreditbesicherung s. dort – Kreditgeschäft s. dort – Kreditkündigung s. dort – Kündigungsschutz, allgemeiner 7.345 – Kündigungsschutzklage 5.523; 7.363 ff. – Massenentlassungen 3.81; 7.345, 7.421 – Nachkündigung 7.358 – Nachteilsausgleich 3.63 – Sonderkündigungsschutz 7.345, 7.356 – Sozialplan 7.409 – Sozialplan, Widerruf 7.458 ff. – Teilbetriebsstilllegung 5.559 – unbefristete Arbeitsverhältnisse 7.352 – unkündbare Arbeitsverhältnisse 7.354 ff. – Vermittlungsversuch 7.380 – vorzeitige, Schadensersatz 7.359 ff. – Widerspruchsrecht, Betriebsübergang 3.83 – Zustimmung des vorläufigen Verwalters 5.526 Kurzarbeit 2.289 Lagebericht – Krise, Früherkennung 1.276 1231

Stichwortverzeichnis

– Krisenfrüherkennung, Außenstehende 1.206 Lastschriftverfahren s. Bankgeschäfte Lebensversicherung – betriebliche Altersversorgung 7.243 ff. Lemgoer Modell 7.482 Leveraged Buy-Out 2.236 Limitation Language 1.372 f. Liquidation – Auffanggesellschaft 3.17 – Auflösungsbeschluss 3.3 f., 3.18 – Auflösungstatbestände 3.1 ff., 3.18 f. – Betriebsstilllegung 3.42 – Betriebsveräußerung 3.16 f., 3.43 – Eröffnungsbilanz 3.13 f. – GmbH & Co. KG s. dort – Kapitalbindung 3.10 – Kapitalmaßnahmen 3.8 – Liquidationsbesteuerung s. dort – Liquidationsplan 3.3 f. – masselose 3.5 f.; 6.31 ff., 6.35 ff. – Nachtragsliquidation 7.858 f. – Pflichtprüfung 3.15 – Rechnungslegung 3.12 ff. – Rechtsfolge, gesellschaftsrechtliche 3.7 ff. – Rechtsformzusatz 3.11 – Strategien 2.704 ff. – Unternehmensübertragung 3.17 – Verhältnis z. Insolvenzverfahren 4.2 f. – Zerschlagung 3.7 Liquidationsbesteuerung – Anfangs-/Endvermögen 3.103, 3.107 – Anteilseignerebene 3.115 ff. – Besteuerung der GmbH 3.101 ff. – Besteuerung der GmbH & Co. KG 3.130 ff. – Betriebs-/Privatvermögen 3.115 ff. – Betriebsaufgabe 3.132 – Erbschaft-/Schenkungsteuer 3.122 ff. – Ertragsteuer 3.115 ff. – Gesellschafterdarlehen 3.114 – Gewerbesteuer 3.109 – Körperschaftsteuerguthaben 3.110 – Körperschaftsteuersatz 3.112 – Liquidationsgewinn 3.101 ff. 1232

– Mindestbesteuerung 3.113 – Sachauskehrung 3.102, 3.108 – Umwandlung 3.129 ff. – Veranlagungszeitraum 3.105, 3.111 – Verlustausgleich 3.106 Liquidität – Betriebsfortführung, Eröffnungsverfahren 5.544 ff. – dynamische 1.97 – und Eröffnungsgründe 5.4 – Finanzplanung s. dort – Kennzahlen 1.98 – Kreditvertragsklauseln, Financial Covenants 1.251 f. – Schutzschirmverfahren 9.85 – statistische 1.97 – Zahlungsunfähigkeit 5.6 ff., 5.25 ff. Liquiditätsanalyse – Anlagendeckungsgrad 1.100 – Cash-burn-Rate 1.106 ff. – Cash-Flow-Prognoserechnungen 1.103 – Kapitalflussrechnung 1.109 f. – Liquiditätskennzahlen 1.98 Liquiditätsbilanz – Aktiva 5.22 ff. – Cash-Pooling 5.22 – fällige Geldforderungen 5.11 ff. – nachrangige Forderungen 5.19 – streitige Forderungen 5.15 ff. – Überschuldungsprüfung 5.140 – Zahlungsunfähigkeitsprüfung 5.25 ff. Liquidi