Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften und der antiken Historiographie 9783110838367, 9783110041521


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German Pages 202 [204] Year 1973

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
I. Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften
Α. Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften auf losen Gegenständen
Β. Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften auf Runensteinen
II. Die germanische Frau im Lichte der antiken Historiographie
Schluß
Literaturverzeichnis
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Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften und der antiken Historiographie
 9783110838367, 9783110041521

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Reinhold Bruder Die germanische Frau

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker Begründet von

Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer Neue Folge Herausgegeben von

Stefan Sonderegger 57 ( 1 8 1 )

w DE

G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1974

Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften und der antiken Historiographie

von

Reinhold Bruder

w DE

G

Walter de Gruyter • Berlin · New York

1974

ISBN 3 11 004152 9

Library of Congress Catalog Card Number: 73—75482 © 1973 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlun^ · J, Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer Karl J. Trübner · Veit & Comp., Berlin 30 · Alle Redite, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrüddiche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Pnotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Franz Spiller, 1 Berlin 36 Printed in Germany

Vorwort E s g i b t innerhalb der deutschen G e r m a n i s t i k k a u m Werke, die sich als ebenso folgenreich erwiesen haben wie diejenigen ihres Begründers,

Jacob

G r i m m s . Folgenreich im positiven u n d im negativen Sinne: W o immer sich Jacob Grimm

wissenschaftlich betätigte, geschah es mit der i h m

eigenen

Gründlichkeit u n d U n i v e r s a l i t ä t . Generationen v o n Wissenschaftern haben v o n seinen Erkenntnissen u n d zumal v o n seinem umfassenden M a t e r i a l gezehrt u n d sich immer wieder auf ihn berufen, m a n denke nun an die G r a m matik, die Rechtsaltertümer o d e r die Deutsche Mythologie. D e r u m f a s s e n d e E i n s a t z J a c o b G r i m m s konnte zur H a l t u n g verleiten, das Wesentliche sei eigentlich getan, der G r u n d gelegt, es gelte n u r noch, auf ihm a u f b a u e n d , E i n zelerkenntnisse beizutragen, die Details zu pflegen. Wenn es i m folgenden d a r u m geht, v o n z w e i verschiedenen Seiten her die zentralen Wesenszüge und die gesellschaftliche Stellung der

germanischen

F r a u in unterschiedlichen Zeiten und R ä u m e n festzuhalten, so w i r d uns die e r w ä h n t e Tatsache mit aller Deutlichkeit bewußt. Z w a r sind die germanische Rechtsgeschichte und die Religionsgeschichte nicht bei J a c o b G r i m m stehengeblieben; aber innerhalb des Bereichs, der uns hier beschäftigt, sind keine wesentlichen Fortschritte erzielt w o r d e n . J a c o b G r i m m schreibt in seiner Deutschen M y t h o l o g i e über die Frauen in der s a k r a l e n S p h ä r e f o l g e n d e s : „ E s ist ein bedeutsamer z u g unseres heidenthums, daß zu diesem a m t f r a u e n u n d nicht m a n n e r auserlesen werden, die jüdische und christliche ansieht bildet hier einen gegensatz: propheten weissagen, engel, erscheinende heilige v e r k ü n d i g e n , und richten gottes befehle a u s ; die griechischen u n d deutschen götter

bedienen

sich männlicher u n d weiblicher boten. N a c h

deutscher

ansieht scheinen ausspriiehe des schicksals i m m u n d e der f r a u e n größere heiligkeit z u erlangen, Weissagung u n d Zauber in gutem wie bösem sinn sind v o r z u g s w e i s e g ä b e der f r a u e n , und vielleicht h ä n g t d a m i t noch z u s a m m e n , d a ß d i e spräche tugenden u n d laster durch f r a u e n allegorisiert. Wenn es in der n a t u r des menschen überhaupt gelegen ist, dem weiblichen geschlecht eine h ö h e r e scheu u n d ehrfurcht z u beweisen, so w a r sie den deutschen Völkern v o n jeher besonders e i n g e p r ä g t . " 1 1

Deutsche Mythologie, unveränderter reprografischer Nachdruck der 4. Ausgabe, Darmstadt 1965, S. 329.

VI

Vorwort

„Sie zeigen, daß er [sc. der Zauber] von männern wie von frauen getrieben wurde. Unser frühstes alterthum hat ihn aber schon vorzugsweise frauen zugeschrieben, einflußreicher, kundiger als der zouparari, vigelere, spämaSr, galdramaSr scheint die zoupararä, vicce, wikkerske, kalstarara, galdrakona, späkona, j a es treten andere, fast bloß auf weibliche Zauberkunst bezügliche namen hinzu. Den grund hiervon suche ich in allen äußeren und inneren Verhältnissen. Frauen, nicht männern, war das auslesen und kochen kräftiger heilmittel angewiesen, wie die bereitung der speise ihnen oblag." 2 „Hier fragt es sich nach den Weissagerinnen, priesterinnen des alterthums. D a s mundium, worin tochter, schwester, frau standen, scheint sie in der ältesten, heidnischen zeit nidit von heiligen ämtern wie z. b. vom opfer und von bedeutendem einfluß auf das volk auszuschließen."' Mit diesen und andern Worten hat J a c o b Grimm ein germanisches Frauenbild profiliert, das sich bis in die neuere deutsche Forschung hinein im wesentlichen gehalten hat. Die Frau mit dem Wesenskern des bereits von Tacitus hervorgehobenen „sanctum" und „ p r o v i d u m " tritt als Seherin, Zauberin und (Opfer)Priesterin in Erscheinung und übt trotz der schwachen rechtlichen Stellung (mundium) einen „bedeutenden einfluß auf das v o l k " aus. Gehalten hat sich auch weithin J a c o b Grimms Methode. Von den griechischen und lateinischen Zeugnissen aus vorchristlicher Zeit bis hinauf ins deutsche Mittelalter und bis zu den isländischen Sagas des 13. Jahrhunderts und zum heutigen Volksglauben werden Materialien zusammengetragen, nebeneinandergestellt, recht unbedenklich verglichen. Wo sich Tacitus mit isländischen Texten oder Volksaberglauben deckt, spricht man von Germanischem. Die germanische Frau scheint bei Rudolf Much und bei Andreas Heusler, bei Gustav Neckel und bei Bernhard Kummer oder I d a Naumann so lange keinen Wandlungen zu unterliegen, als nicht die christlich-antike Kultur den germanischen Kern verdeckt oder gar verschüttet. Die brukterische Veleda aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert und die Völven der isländischen Saga, Tacitus' Mitteilung, die germanischen Frauen hätten während der Schlacht die Wunden ihrer Gatten und Söhne untersucht, und die literarische Figur des heilkundigen Zauberweibs, zu dem der schwer verwundete Skalde Thormod nach der Schlacht von Stiklastad gelangt, werden bedenkenlos miteinander verglichen. 4 2 3 4

A.a.O., S. 867. A.a.O., S. 77. Der Titel der Arbeit könnte die Vermutung nahelegen, es sei auch hier von vornherein eine Konstanz und ungebrochene Kontinuität germanischer Kultur von Tacitus' Zeiten bis ins isländische Mittelalter vorausgesetzt. Dies ist nicht der Fall. „Germanisch" soll nicht im Sinne des Heuslerschen „Altgermanisch" als „Kulturbegriff ohne Jahresgrenzen: das von Kirche und antiker Bildung nicht greifbar bestimmte Germanentum" (Die altgermanische Dichtung, 'Darmstadt 1957, S. 8) verstanden werden. Wir denken vielmehr an die Gesamtheit der Erscheinungs-

Vorwort

νπ

Die vorliegende Arbeit möchte versuchen, ein etwas differenzierteres Bild zu vermitteln. Sie tut dies mit Hilfe von Material, das bis jetzt im Hinblick auf Wesen und Stellung der germanischen Frau zuwenig berücksichtigt worden ist. Für die Beurteilung und Kenntnis germanischen Lebens bilden die Runeninschriften neben den Grabfunden die sicherste Grundlage. Wir haben in den Runeninschriften ein Material vor uns, das für unseren Arbeitsbereich unmittelbare Einblicke in die Verhältnisse der Bekehrungszeit auf dem südgermanischen Festland und der nordgermanischen Wikingerzeit bis hinauf ins nordische Mittelalter zuläßt. Wir haben hier keine ethnographischen Muster, politischen Tendenzen, überlieferungsgeschichtlichen Probleme in Rechnung zu stellen; die Frage nach literarischer Darstellung fällt kaum in Betracht. Die Runeninschriften sind „die unmittelbarsten Urkunden altgermanischen Lebens." 5 Wenngleich durch die bestimmte Verwendungsart der Runen - das jüngere Material bietet vor allem Gedenkinschriften auf Runensteinen, das ältere magische Inschriften auf losen Gegenständen - die Lebenskreise, die sich im Runenmaterial spiegeln, beschränkt sind, so behalten sie doch stets ihren Wirklichkeitscharakter und ihre Lebensnähe. Bezogen auf die Darstellung der Frau bedeutet dies, daß wir kein vollständiges Bild zu geben vermögen, sondern bloß ein fragmentarisches. Dafür aber sind die einzelnen Züge, sofern das Material ausreicht, gesichert und zuverlässig. Wenn die Runeninschriften einer gründlichen Untersuchung unterzogen werden, so drückt sich darin die Ansicht aus - wir machen nochmals darauf aufmerksam sie seien im Verhältnis zu ihrer Bedeutung für die Kulturgeschichte des germanischen Altertums zuwenig herangezogen worden. Der zweite Teil der Arbeit versucht die antiken Quellen, vor allem die römischen Gewährsleute Cäsar und Tacitus, auf Wesen und gesellschaftliche Stellung der germanischen Frau hin zu befragen. Es zeigen sich dabei sehr große Schwierigkeiten: Allenthalben stellen sich die historiographisch-ethnographische Tradition, die politische oder moralische Tendenz und die dichterische Fiktion als Hindernisse in den Weg. Ein Abrücken von Tacitus und Cäsar drängt sich auf, fällt aber gerade innerhalb unseres Bereichs schwer, gibt es doch kaum Stellen, die mehr zitiert und geglaubt, häufiger in wissenschaftlicher und populärer Literatur überliefert worden sind als Germania 7 und 8.

8

formen im germanischen Raum von den ersten Erwähnungen bei antiken Autoren bis ins nordische Mittelalter, ohne je der Tendenz zu verfallen, zeitlich und räumlich bedingte Einsichten auf die ganze Zeitspanne und den gesamten germanischen Raum auszudehnen und zu verabsolutieren. Wir gewinnen damit die Möglichkeit, bestimmte Entwicklungstendenzen festzuhalten, eine Wandlung des Frauenbildes in einzelnen Bereichen zu verfolgen. A. Heusler, Die altgermanische Dichtung, S. 5.

Inhalt Vorwort

V

I. Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften A. Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften losen Gegenständen

auf

Einleitung

3

1. Besitzerinschriften

7

2. Zueignungsinschriften

10

3. Rechtliche Inschriften

12

4. Die Runenmeisterin

15

5. Magische Inschriften

22

6. Erotische Inschriften a) Erotische Inschriften im älteren Futhark b) Erotische Inschriften im jüngeren Futhark c) Typologie der Geliebten mit Ausblicken auf die isländische Saga .. d) Anhang zu den erotischen Inschriften

26 27 31 44 49

7. Ergebnisse und Probleme

54

B. Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften Runensteinen

auf

Einleitung

56

1. Die Frau als Gedenkende a) Frauen als alleinige Gedenkende b) Frauen als Gedenkende neben männlichen Angehörigen

64 64 73

2. Die Frau auf den nach ihr gesetzten Steinen a) Die Runensteine nach der Mutter b) Die Runensteine nach der Gattin c) Die Runensteine nach der Schwester d) Die Runensteine nach der Tochter e) Die Runensteine ηαώ entfernten weiblichenVerwandten f ) Die Runensteine ηαώ der Herrin

81 83 84 90 91 93 93

X

Inhalt

3. Anhang: Magische und gefühlshafte Inschriften a) Magische Inschriften b) Gefühlshafte Insdhriften

94 95 103

4. Ergebnisse, Probleme, Ausblidk auf die isländische Saga a) Ergebnisse b) Probleme c) Ausbilde auf die isländische Saga

109 109 110 112

II. Die germanische Frau im Lichte der antiken Historiographie Einleitung: Historiographische Tradition und politische Tendenz: Die Germanen im Lichte der griechisch-römischen Historiographie 121 1. Die Frau in unmittelbarer Verwicklung mit dem kriegerisdien Geschehen a) Die Frau als Mitkämpfende in der Schlacht b) Die Frau als Ermahnerin in der Schlacht c) Die Frau als Ärztin d) Die Frau als Geisel und Versklavte

128 129 136 143 145

2. Die Frau im sakralen Bereich: Die Seherin

151

3. Die Frau in der Familie und in der Gesellschaft a) Äußere Gestalt b) Sittlichkeit in Liebe und Ehe, Familienleben c) Arbeit d) Gesellschaftliche Stellung

162 166 167 175 177

Schluß

184

Literaturverzeichnis

187

I. Die germanische Frau im Lichte der Runeninsdiriften

Α. Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften auf losen Gegenständen Einleitung Die Runeninschriften auf losen Gegenständen (mit Einsdiluß der auf die Wände, Säulen und Türen von norwegischen Stabkirchen eingeritzten Inschriften) und die Inschriften auf Runensteinen müssen hinsichtlich der Gestalt der Frau getrennt untersucht werden. Es ist kein zeitliches Moment, das eine derartige Gliederung veranlaßt, sondern vielmehr der völlig verschieden geartete Charakter und der unterschiedliche Zweck der beiden Inschriftengruppen. Runensteine sind - abgesehen von den nordischen Steinen mit magischreligiösem Inhalt - zum größten Teil Gedächtnissteine, später christliche Grabsteine. Sie zeugen einerseits vom Toten und seinen Taten, anderseits von den Gliedern seiner Sippe, die den Stein nach ihm gesetzt haben. Die Frau erscheint auf den Runensteinen entweder als Tote, deren von ihren Angehörigen gedacht wird oder (häufiger) als die mit ihren Söhnen oder ihrem Gatten gedenkende Witwe oder Mutter. Eine bei weitem vielschichtigere Funktion - entsprechend der Verschiedenartigkeit der Runengegenstände und des Inschriftenzwecks - hat die Frau auf den Inschriften auf losen Gegenständen. Die Runeninschriften auf losen Gegenständen, die für Frauen von Bedeutung sind, haben zwei Schwerpunkte: das südgermanische Festland (Inschriften im älteren Futhark) und Norwegen (Inschriften im jüngeren Futhark). Die Inschriften im älteren Alphabet sind weder zahlreich noch besonders aufschlußreich. Sie finden sich meistens auf Gebrauchs- und Schmuckgegenständen aus Metall (Schnallen, Fibeln) und bezeichnen in einer Mitteilung, einer Zueignung oder einem Wunsch Besitzerin, Schenkgeberin und Glückwünschende. Außer der Inschrift auf der Bügelfibel von Charnay und einigen begriffsrunischen (nordischen) Denkmälern gehen die Zeugnisse im älteren Futhark nicht über den oben angedeuteten Inhalt hinaus. Bedeutsamer sind die im jüngeren nordischen Alphabet geritzten norwegischen Inschriften. Der größte Teil ist in Stabkirchen - entweder auf losen Gegenständen (Holzstäbchen) oder auf Wänden, Säulen, Türen und Bänken gefunden worden. Das hauptsächlichste Werkmaterial ist Holz. Bei mehreren Inschriften handelt es sich bloß um Gelegenheitsritzungen, die kaum mehr als einen Namen enthalten. Einige Zeugnisse - vor allem die magisch-erotischen -

4

Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften

sind aber sehr wichtig und einer genauen Untersuchung würdig. Zusammenfassend läßt sich über die beiden Inschriftengruppen folgendes sagen: Den in Deutschland gefundenen, aus dem 6./7. Jahrhundert stammenden, auf vorwiegend metallischen Gegenständen eingeritzten Inschriften im älteren Futhark stehen die zahlreicheren und interessanteren norwegischen Inschriften im jüngeren Alphabet, in der Hauptsache im 11.-13. Jahrhundert entstanden und auf Holz geritzt, gegenüber. Bei diesem Befund stellen sich zwei Fragen: 1. Warum sind fast keine Runengegenstände aus Holz mit Inschriften im älteren Futhark erhalten? 2. Steht die Tatsache, daß das ältere südgermanische Runenmaterial recht einförmig ist, mit der Beschaffenheit der runischen Gegenstände (beinahe keine Funde aus Holz) in Zusammenhang? Die Tatsache, daß Runeninschriften im älteren Futhark auf Holz fast gänzlich fehlen, darf nidit zum Gedanken verleiten, man habe ursprünglich Runen gar nicht auf Holz geritzt. Die Runen sind für Ritzungen auf Holz geradezu geschaffen.1 Die Holzgegenstände konnten sich aber nur in Ausnahmefällen während anderthalb Jahrtausenden erhalten. Das Material des Runengegenstandes und der Inhalt der Inschriften stehen offensichtlich in Beziehung zueinander. 2 So finden sich Besitzer- und Zueignungsinschriften vor allem auf kostbaren metallischen Gegenständen, magischerotische Inschriften dagegen auf Gegenständen aus Holz oder Bein. Worauf die Zuordnung eines bestimmten Stoffes für einen Inschriftentypus beruht, ist nicht mit Sicherheit auszumachen. Bei den Liebesinschriften sind Gegenstände herangezogen worden, mit denen die Frau in Berührung kam.® Diese bestanden oft aus Holz, Ton oder Bein. Doch auch Amulette, Brakteaten und andere metallische Gegenstände hätten zu berührungsmagischen Zwecken verwendet werden können. Sie waren aber aus schwer verständlichen Gründen weniger geeignet. Die Gleichförmigkeit der älteren Runenzeugnisse steht in Beziehung zur Gleichförmigkeit ihrer Werkstoffe. Zumal der Verlust der Runeninschriften auf Holz hat das Fehlen ganzer Inschriftengattungen zur Folge. Von den Inschriften im älteren und jüngeren Futhark, die in irgendeiner Form mit Frauen verknüpft sind, werden nicht alle zu einer näheren Betrachtung herangezogen. Folgende Inschriftengruppen sind ausgeschlossen: 1. Unergiebige Gelegenheitsritzungen (häufig bloße Namenüberlieferung). 4 1

2

s 4

Vgl. W. Krause, Runeninschriften im älteren Futhark, Göttingen 1966, S. 1, und S. Sierke, Kannten die vorchristlichen Germanen Runenzauber? Königsberg und Berlin 1939, S. 70 und S. 96. Vgl. S. Sierke, der die Runeninsdiriften nach den einzelnen Werkstoffen untersucht. Vgl. S. 61 ff. Beispiel: Inschrift XVIII von Lom kirke, NIYR 1, Nr. 47: rahna.

Einleitung

5

2. Inschriften in christlich-religiösem Zusammenhang, wenn sie keine für die Frauengestalt wesentlichen Gesichtspunkte enthalten. 5 Ins Material aufgenommen sind dagegen in christlicher Zeit entstandene und sogar offensichtlich von christlichem Geist geprägte Inschriften, wenn sie Aufschlüsse über Wesen, Tätigkeit und soziale Stellung der Frau zu geben vermögen.* Christliche Runeninschriften sind also nicht rundweg aus dem Material ausgeschlossen worden. Zum einen hätte sich dadurch die Zahl der für eine nähere Untersuchung in Frage kommenden Inschriften sehr stark vermindert, und mehrere bedeutende Zeugnisse hätten nicht berücksichtigt werden können. Zum anderen sind Begriffe wie „christliche Inschriften" und „heidnische (germanische) Inschriften" problematisch, und zwar in folgender Hinsicht: Bei den älteren festländischen Inschriften ist es sehr schwer zu entscheiden, ob sie heidnisch oder christlich sind. Beim Übergang vom Heidentum zum Christentum handelt es sich nicht um ein klares Nacheinander, sondern um eine sukzessive Ablösung nach einem zeitweiligen Nebeneinander. Gerade zu der Zeit, da die meisten deutschen Runeninschriften entstanden sind (6./7. Jahrhundert), war dieser Ablösungsprozeß in vollem Gange. Es ist deshalb unzulässig, kategorisch von heidnischen und christlichen Inschriften zu sprechen; wir haben es stets nur mit Tendenzen und Schattierungen in der einen oder anderen Richtung zu tun. 7 Die jüngeren norwegischen Inschriften, die zum größten Teil aus dem 11.-13. Jahrhundert stammen, sind vorwiegend in christlicher Zeit entstanden. Viele von ihnen sind in Stabkirchen entdeckt worden. Einige Inschriften stehen ausschließlich in christlich-religiösem Zusammenhang; andere handeln nicht ausschließlich von religiösen Dingen oder haben gar keine Beziehung zur christlichen Religion und ihrem Geist. Eine letzte Gruppe schließlich ist man versucht, als heidnisch zu bezeichnen. Heidnisch-magische Bräuche setzen sich bei ihnen in christlicher Zeit fort. Wie im Süden, so ging auch im Norden der Religionswechsel nicht reibungslos und vor allem nicht schnell vor sich. Die Norweger hielten hartnäckig an den alten Gebräuchen fest, und nur unter Anwendung von Gewalt gelang es den norwegischen Königen, das Volk zum Christentum zu bekehren. So wenig wie bei den deutschen dürfen wir bei den norwegischen Runeninschriften ohne weiteres mit den Begriffen „heidnisch" und „christlich" ' Beispiel: Inschrift von Udda kirke, NIYR 4, Nr. 277: tu artip inkibiarkar er primr nottom firi mariu messo i fostu. Übersetzung: Der Todestag Ingeborgs ist drei Tage vor der Marienmesse in den Fasten. • Beispiele: Inschrift von Maere kirke, NIYR 5, Nr. 534 (vgl. S. 47 ff.). Inschrift XX von Urnes kirke, NIYR 4, Nr. 337 (vgl. S. 46 f.). 7 Für einen Synkretismus zwischen Heidentum und Christentum tritt mit Nachdruck auch Arntz in H. Arntz und H. Zeiss, Die einheimischen Runendenkmäler des Festlandes, Leipzig 1939, S. 134, ein.

6

D i e germanische Frau im Lichte der R u n e n i n s c h r i f t e n

operieren. A u d i hier findet sich eine S k a l a von Gradunterschieden, die von unzweifelhaft heidnisch-magischen über religiös irrelevante zu von christlichem Geist geprägten Zeugnissen reicht: Hurum I V Webebrett von L u n d (S. 49 ff.) Ä r d a l (S. 53 ff.) "5 Ό

Β υ

ε

λΟ) Ö 3 Ν

Besitzerinschriften (S. 14 ff.) Storhedder I I I (S. 44 ff.) Urnes X X (S. 46 f.)

M a r e (S. 47 ff.) L o m X V I I (S. 33, Anm. 5)

heidnischer Schadenzauber? heidnischer Schadenzauber Schmähinschrift in heidnischgermanischer Tradition mit christlicher Motivik religiös irrelevante Inschriften religiös irrelevante Inschrift christlich gefärbte Runen- und Berührungsmagie in heidnischer Tradition christliche Fürbitte christliche Fürbitte

Aus den genannten Gründen geht es nicht an, gewisse in ihrer religiösen Einordnung zweifelhafte Inschriften als heidnisch, andere als christlich z u bezeichnen und sie danach ins Material aufzunehmen oder daraus auszuschließen. E s gilt vielmehr, die nicht sehr zahlreichen rein christlich-kirchlichen Inschriften und einige unergiebige Zeugnisse abzusondern, den Rest aber, auch wenn ein christlicher Hintergrund unverkennbar ist, zur Untersuchung heranzuziehen. Die Runeninschriften auf Gegenständen, die für eine Untersuchung von Wesen, Tätigkeit und sozialem R a n g der F r a u in Frage kommen, sind nicht sehr zahlreich. D i e älteren festländischen Zeugnisse sind zudem recht einförmig, die jüngeren norwegischen Inschriften zwar vielfach bedeutsam u n d aufschlußreich, aber z u m Teil nicht älter als die am Ende des 12. Jahrhunderts einsetzende nordische literarische Überlieferung. Man kann sich bei dieser Sachlage fragen, ob es sinnvoll sei, das runische Material, das v o m inhaltlichen S t a n d p u n k t aus neben den literarischen Quellen unerheblich erscheinen muß, so eingehend zu behandeln. Zwei Gründe sind es, die f ü r eine gebührende Berücksichtigung der Runeninschriften sprechen: 1. D i e Runeninschriften im älteren Futhark fallen in eine Zeit, wo eine außerrunische einheimische schriftliche Überlieferung der Germanen völlig fehlt. Wir sind f ü r diesen Zeitraum allein auf die antiken und frühmittelalterlichen Zeugnisse in den klassischen Sprachen angewiesen. Die norwegischen Inschriften im jüngeren Futhark, die im Zusammenhang mit der Frauengestalt von besonders großer Bedeutung sind, gehören wenigstens zu einem Teil ebenfalls einer vorliterarischen Zeit an. 2. D e r Quellenwert der Runeninschriften ist höher als der literarischer Zeugnisse. Runenmaterial ist Tatsachenmaterial, wirklich, mit lebendigem

Besitzerinschriften

7

H i n t e r g r u n d . Es ist häufig unbearbeitet u n d formal anspruchslos. Literarische Fiktion

fehlt.

Das

wirklichkeitsgetreue

Runenmaterial

kann

zudem

eine

H a n d h a b e für die Beurteilung der literarischen Wirklichkeit bieten.

1. Besitzerinschriften Besitzerinschriften, d. h. Runeninschriften, die die F r a u als Besitzerin des mit R u n e n versehenen Gegenstandes zeigen, sind sehr zahlreich und stammen v o m südgermanischen Festland (älteres F u t h a r k ) und aus N o r w e g e n (jüngeres Futhark). Den

einfachsten T y p u s der Besitzerinschriften repräsentieren

Denkmäler

wie die Scheibenfibel von Friedberg und der K a m m v o n T r o n d h e i m : -

Sdieibenfibel v o n Friedberg, Arntz-Zeiss N r . 1 6

-

K a m m v o n Trondheim, N I Y R 5, N r . 4 6 8

f)uruj>hild asa Beide Inschriften weisen n u r einen N a m e n , PuruJjhild, b z w . A s a auf, die w i r als die N a m e n der Besitzerinnen auffassen dürfen. 1 Bei v i e r norwegischen Inschriften im jüngeren F u t h a r k ist die Besitzerin ausdrücklich genannt, und z w a r mit dem V e r b u m „haben". -

T r u h e ( N r . 9 0 8 4 ) im Nationalmuseum in Kopenhagen, N I Y R 5, N r . 5 4 1 r a n v a i k a kistu {»asa

Übersetzung:

1

2

R a n v e i g besitzt diese Truhe 2

So S. Sierke, a.a.O., S. 75 und 77, O. von Friesen, Runorna, Nordisk Kultur V I , Stockholm 1933, S. 71, und Arntz, a.a.O., S. 235. Krause, a.a.O., S. 281, sieht hinter dem Frauennamen PuruJ>hild die Besitzerin oder die Schenkende. Um die Namen der Besitzerinnen handelt es sich wahrscheinlich auch bei den folgenden Denkmälern: Brakteat von Börringe, Krause Nr. 110: tanulu al l a u k a R ; Halsring von Strarup, D R Sp. 43 f.: lepro; Fibel von Himlingoje, D R Sp. 2 8 5 f.: hariso; Bügelfibel Α von Weimar, Arntz Nr. 33: haribrig hiba liubi leob; Schiebeschnalle C von Weimar, Arntz Nr. 3 5 : ida bugina hahwar awimund is dir leob idu; Angelstein von Forde, Krause Nr. 4 9 : aluko (Krause vermutet einen Fischzauber; Aluko wäre dann die Frau oder Geliebte des Fischers); Englische Münze aus dem 5. Jahrhundert, Nachbildung eines Honoriussolidus, von Friesen, S. 5 0 : skanomodu. Zu Frauennamen auf Schmuckstücken vgl. E . Moltke, D R Sp. 832 f.: „Imidlertid t0r det anses for givet, at enlige navne pä brakteater ikke angiver ejer eller forfasrdiger, men runemesteren, medens kvindenavne pä smykker vel har betegnet disses ejerinder." Weitere Beispiele: Wäschebleuel von Borgund, N I Y R 5, Nr. 595, 13.-15. Jhdt.?: aeltrif» a; Silberspange von Helbostad, N I Y R 5, Nr. 535, 2. Hälfte des 14. J h d t . : margret a mek; Spindel von Uppstad, N I Y R 5, Nr. 582, undatiert: halha a snalt J>enan (Helga besitzt dieses Spindelrad).

8

Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften

Die Bezeichnung des Besitzers ist bei den norwegischen Inschriften mit den jüngeren Runen außerordentlich gut belegt. Die Ausdrucksweise ist formelhaft: Ν . N . besitzt midi (sc. den Gegenstand). 5 Es war im mittelalterlichen Norwegen Sitte, Gegenstände mit dem N a m e n des Eigentümers zu beritzen. Wie wir aus dem Material ersehen, geschah dies nicht nur bei kostbaren Gegenständen wie Spangen, Truhen u. ä., sondern audi bei ganz gewöhnlichen Gebraudisgegenständen (Wäschebleuel, Spinnrad). Das zeigt, daß die Runenschrift im nordisdien Mittelalter in hohem M a ß e zur Gebraudissdirifl geworden war. 4 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß im älteren wie im jüngeren Futhark der Typus der Besitzerin wohl bezeugt ist. Offenbar haben die Frauen dem Besitz von Schmuck- und Gebrauchsgegenständen zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Gebieten des germanischen Raums große Bedeutung beigemessen. I n den Besitzerinsdiriften drüdkt sich der Stolz der germanischen Frau aus: über die materiellen Grundlagen alltäglicher häuslicher Wirksamkeit, die ihren Lebenskreis darstellt, einerseits, über die Mittel, die Reichtum und Schönheit an den festlichen Höhepunkten des Daseins bezeugen, andererseits. Die Frau in ihrer Doppelrolle als Inhaberin der Schlüsselgewalt, als Herrin über Wäscheschreine und Vorratskammern, und als stolze Gastgeberin bei den jährlichen Festlichkeiten kommt in Sicht. Gesetzestexte und hohe Literatur gehen auf die Frau als Besitzerin im alltäglichen wie im festlichen Bereich ein: Die altschwedischen Landschaftsgesetze beziehen sich aus naheliegenden Gründen mehr auf die dauernde Wirksamkeit in Haus und H o f , das Heldenlied, bzw. das Heldenepos zeigt auf die Herrin, die Königin, die ihre Pflichten als Gastgeberin erfüllt, die Helden bewirtet und das Gold aus ihren Schatzkammern fließen läßt.

3

4

Beispiele für die Bezeichnung eines männlichen Besitzers, die die große Verbreitung des Typus zeigen, sind u. a. die folgenden: NIYR 2, Nr. 133, Mehltrog von Bondi; N I Y R 2, Nr. 178, Eisenbeschlag von Roindal; NIYR 2, Nr. 179, Türe von Rauland; NIYR 3, Nr. 189, Schild von Rike; NIYR 4, Nr. 291, Holzmesser von Bergen; NIYR 4, Nr. 429, Türring von Eid; NIYR 5, Nr. 451, Walroßzahn von Rommen; NIYR 5, Nr. 464, Holzstück von Trondheim; NIYR 5, Nr. 545, Dokumentenschrein (jetzt im Kunstindustriemuseum Oslo). Etwas anders liegen die Akzente bei einer alten festländischen und einer jüngeren norwegischen Inschrift: - Webeschwert Α von Westeremden, Arntz Nr. 37, um 800 adugislu mp gisuh[i]ldu - Altarüberzug von Bilden kirke, N I Y R 1, Nr. 70 (verloren), 12. Jhdt.? lofien markape ver raknilti systurtotor sini Übersetzung·. Lopen beschriftete den Überzug für Ragnhild, seine Nichte. Die beiden Inschriften stellen weniger die Besitzer als die Tätigkeit des Schenkens in den Vordergrund. Adugisl und Gisuhild (Westeremden) und Ragnhild (Bilden) sind die Beschenkten.

Besitzerinschriften

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Äldre Vöstgötalagen, Jiiuva: b o l k « r 5, § 2 N u xn hittir i luctu asllaer Ixstu kari, ark x\\xr kistu, pxr havir husprea lykil til, J)a xr husprea J j i u v s r . Übersetzung: Wenn man es (sc. das Diebesgut) aber in einem verschlossenen oder verriegelten Gefäß, Schrein oder Schrank findet, zu dem die Hausfrau den Schlüssel hat, dann ist die Hausfrau die Diebin."' - Beowulf 2 0 1 6 b ff. Hwilum m ä r u cwen, friöusibb folca, flet eall geondhwearf, bcedde byre geonge; oft hio beahwriSan secge (sealde), xr hie tö setle geong. Hwilum for (d)uguSe dohtor Hröaen giptas malum raf>£. sum skyldsstasr s r . han a kono manni giptce til he{)a:r ok til husfru. ok til siaeng halfra:. til läse ok nykliE. ok til lagha: J>riJ>iunx i allu han a j lösörum. Übersetzung: Derjenige hat die Hochzeit auszurichten, der am nächsten verwandt ist. Er hat die Frau dem Manne übergeben zur Ehre und zur Ehefrau und zum halben Bett, zu Schloß und Riegel und zum gesetzlichen Anteil von einem Drittel an aller beweglichen Habe, die er besitzt. Vgl. audi Beow. 621 ff., 1215 ff., 1926 b ff.; ferner Gudrun in Akv. 39 und Am. 46, Brünhild in Sg. 46 und 49, und besonders RJ>. 23, wo die Braut, die der freie Bauer heimführt, als hanginlucla (mit Schlüsseln Behängte) bezeichnet wird.

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D i e germanische F r a u i m Lichte der R u n e n i n s c h r i f t e n

2. Zueignungsinschriften In enger Verbindung mit den Besitzerinschriften stehen die Zueignungsinschriften. Sie können formal als Erweiterungen der Besitzerinsdiriften betrachtet werden. Sie enthalten neben den Namen von Spendern, Besitzern und Beschenkten einen Glücks- und Segenswunsch. Die Gruppe wird ausschließlich von festländischen Denkmälern gebildet: - Bügelfibeln Α und Β von Weimar, Arntz-Zeiss Nr. 33/34, 1. Hälfte 6. Jhdt. A: haribrig hiba liubi leob B: hiba bubo - Schiebeschnalle C von Weimar, Arntz-Zeiss Nr. 35, 1. Hälfte 6. Jhdt. ida bugina hahwar awimund is dir leob idu - Bernsteinperle D von Weimar, Arntz-Zeiss Nr. 36, 1. Hälfte 6. Jhdt. J)iuJ) ida leob ida hahwar - Bügelfibel von Freilaubersheim, Arntz-Zeiss N r . 15, 2. Hälfte 6. Jhdt. boso wra:t runa J>k dalena golida - Bügelfibeln Α und Β von Pallersdorf, Arntz-Zeiss Nr. 27/28, 6. Jhdt. 1 A: godahid unja B: k arsiboda segun - Bügelfibel Α von Nordendorf, Arntz-Zeiss Nr. 24, 1. Hälfte 7. Jhdt. awa leubwini wigijaonar wodan logajiore - Scheibenfibel von Soest, Arntz-Zeiss Nr. 30, Ende 6. Jhdt. 2 rajja daf>a Die typologisch älteste Form der Zueignungsinschrift finden wir auf der Bügelfibel Α von Nordendorf. Die drei Götternamen Donar, Wodan und LoSurr weisen die Inschrift der heidnischen Sphäre zu. Mit Krause betrachte ich awa und leubwini als die beiden Schenkenden. Die Segenswörter, die auf den festländischen Fibeln und Schnallen belegt sind, betrachtet Arntz als christlich.3 Am offensichtlichsten scheint der christliche Bedeutungsinhalt in segun auf der Bügelfibel Β von Pallersdorf. Arsiboda wünscht Godahild Segen, himmlische Glückseligkeit; das Gegenstück dazu irdische Freude - finden wir in unja auf der Bügelfibel Α von Pallersdorf. In dieselbe Richtung weist f)iu{) auf der Bernsteinperle D von Weimar. In die gleiche Gruppe gehört auch leob (Hub). Auf der Bernsteinperle D von Weimar erscheint es als Synonym zu J)iuJ), während es sich auf der Bügelfibel Α von 1

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K . Schneider, D i e germanisdien Runennamen, Meisenheim a m G l a n interpretiert die P a l l e r s d o r f e r Inschriften als Zeugungszauber. K . Schneider, a.a.O., S. 506 f., sieht in der Inschrift von Soest einen Zur G r u p p e der Zueignungsinschriften gehört möglicherweise audi von S k o d b o r g (Sßnderjylland), D R , Br. 8: a u j a a l a w i n auja a l a w i n jalawid. A . a . O . , S. 1 3 3 - 1 4 3 ; vgl. a u d i S. Sierke, a.a.O., S. 76.

1956, S. 509, Liebeszauber. der B r a k t e a t a u j a alawin-

Zueignungsinschriften

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Weimar und der Schiebeschnalle C von Weimar vom bloßen Segenswunsch entfernt und sich der Sphäre des Liebesgeständnisses nähert. Das scheint besonders bei Weimar C der Fall zu sein: awimund is dir leob idu D a leob auf Weimar D aber keineswegs in erotischem Zusammenhang steht, darf wohl audi auf Weimar C das erotische Moment nicht allzu stark betont werden. Es fehlen ja im übrigen - von der Inschrift auf der Bügelfibel von Charnay abgesehen - Belege f ü r Zueignungsinschriften erotischen Inhalts vom südgermanischen Festland. In die Nähe der Nomina, die Segen, Freude, Gelingen u. ä. bedeuten, stellt sich das Verbum golida auf der Bügelfibel von Freilaubersheim. Es drückt nicht einen Glückwunsch, sondern bloß einen Gruß (oder eine Widmung) des Runenmeisters an die Beschenkte aus. Auch die Gruppe der Zueignungsinschriften scheint auf den ersten Blick f ü r unsere Problemstellung nicht besonders fruchtbar zu sein. Doch die Form der Inschriften und die Art der Gegenstände, auf die sie eingeritzt sind, erlauben doch einige vorsichtige Schlüsse. Die Runengegenstände sind im wesentlichen Fibeln und Schnallen. Sie dienen einem praktischen Zweck, sind aber kunstvoll gearbeitet. Es handelt sich bei ihnen ausschließlich um Geschenke an eine Frau. In welchem Verhältnis der Spender (der mit dem Runenmeister nicht identisch zu sein braucht) zu der Frau stand, die er beschenkte, geht aus den Inschriften nicht hervor. Sie nennen ja i. a. nur N a m e n und Zueignungen in Form von Glücks- oder Segenswünschen. Der Schenkende kann der Freund oder der Geliebte der Frauen gewesen sein, denkbar ist aber auch, daß es sich bei den Fibeln und Schnallen um Gastgeschenke von Verwandten oder Bekannten handelt. Auffällig ist, daß magische (magisch-erotische) Züge in den Inschriften fehlen. Anders als auf den nordischen Brakteaten will der Schenkende, bzw. der Runenmeister keine Macht über die Beschenkte ausüben, das Geschenk seinen Wünschen dienstbar machen oder die Frau als Objekt seines Wollens betrachten; die Form der Inschriften legt vielmehr ein partnerschaftliches, freies Verhältnis zwischen Mann und Frau, Schenkendem und Beschenkter, nahe. Wir vermuten, daß dieses Verhältnis an die Entstehungszeit der Inschriften gebunden ist. A r n t z glaubt, sämtliche Segensnomina außer awa 4 auf der Bügelfibel Α von Nordendorf seien christlichen Ursprungs. Krause, Arntz und Jänichen sind sich aber der Tatsache bewußt, daß zur Zeit der Entstehung der meisten deutschen Runendenkmäler mit einer gegenseitigen Durchdringung von Heidentum und Christentum zu rechnen ist. 5 Eine starre Gliederung der Runeninschriften in heidnische und christliche ist deshalb kaum zu verantworten. Freilich sind 4

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Arntz faßt awa nicht als weiblichen Personennamen, sondern als Form des magischen Formelwortes auja. Vgl. S.3.

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Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften

Unterschiede - wie ζ. B. zwischen den Inschriften von Nordendorf und Pallersdorf - unverkennbar: Wodan, D o n a r und Lodurr sind ohne Zweifel heidnische Gottheiten. D a ß jedoch die drei germanischen Götter bei ihren N a m e n angerufen werden, ist als Zeichen des späten Heidentums zu werten. 6 Bezeichnenderweise ist übrigens die Bügelfibel von Nordendorf später geschaffen worden als die Bügelfibeln von Pallersdorf und die Weimarer Denkmäler. Die deutschen Zueignungsinschriften stammen aus der Übergangszeit vom Heidentum zum Christentum. In dieser Übergangszeit scheint sich die Frau einer bestimmten Achtung ihrer Person erfreut zu haben. 7

3. Rechtliche I n s c h r i f t e n Die einzige Runeninschrift auf einem losen Gegenstand, die die Frau im rechtlichen Bereich beleuchtet, bietet der aus dem 10. Jhdt. stammende Krug von T r ä (Hordaland). Er wurde 1912 in einem Frauengrab gefunden. Von den drei Inschriften, die auf ihm eingeritzt sind, ist die eine für uns bedeutsam. Sie lautet: t avarkar karjjir is kuinnk Der Schenkkrug von T r a ist in einem Frauengrab gefunden worden. Er hat offensichtlich einer Frau gehört, die auf Gelagen als Wirtin aufgetreten ist. Zu Gelagen versammelten sich Sippengenossen, Freunde und Bekannte bei den jährlichen Festen, den Hochzeiten und beim Erbbier. Während die Frauen mit der Bewirtung beschäftigt waren oder sich auf der Querbank (an. pallr) aufhielten, widmeten sich die Männer dem Trunk. Dabei kam es oft zu hitzigen Gesprächen (u. a. Männervergleich) und Feindseligkeiten, die zu Tätlichkeiten, Verletzungen und Totschlägen führen konnten. 1 Die Strafen für Verletzung u n d Totschlag auf Gastmählern waren ungleich höher als in gewöhnlichen Fällen. Die nordgermanischen Gesetze kennen dafür besondere Bestimmungen und betonen damit ihr häufiges Vorkommen. 2 Die außerordentlich strenge Bestrafung von tätlichen Auseinandersetzungen auf Gelagen ist die Sühne f ü r den Bruch des dort herrschenden höheren Friedens: Die Tischgemeinschaft war 0

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Vgl. das Protokoll der Arbeitsgemeinschaft für gesdiichtlidie Landeskunde am Oberrhein e. V. vom 21. Februar 1964 über H. Jänichens Vortrag „Die Bedeutung der süddeutschen Runeninschriften", S. 7. Zeugnisse, die die Frau als Spenderin und Glückwünschende zeigen, sind sehr selten. Es war offenbar nicht Sitte, daß Frauen jemanden beschenkten. Nur in zwei Inschriften erscheint die Frau als Schenkende: Bronzekapsel von Schretzheim, Arntz-Zeiss Nr. 29, um 600 (gefunden in einem Frauengrab): arogis d alagup leuba dsedun; Kamm von Lund 1, DR Nr. 303, 11. Jahrhundert?: arngun gaf ma:r kab. vgl. Saxo I, 19 und II, 56; Eg., c. 44; Vatnsd., c. 32; Finnb., c. 34. vgl. Gul. 157; Frost. IV, 14 (15); ÄVgL, Orb. § 8.

Rechtliche Inschriften

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geheiligt. 3 Wer gegen seinen Tischgenossen die Hand erhob, wurde heillos; er beging eine Neidingstat. 4 In diesen höheren Frieden waren Mann und Frau, Herr und Knecht in gleichem Maße eingeschlossen.5 Dies sind die Voraussetzungen für das Verständnis der Inschrift auf dem Krug von Trä. Sicher deutbar sind außer der Konjunktion er (is) die beiden Wörter avarkar und karf>ir. Die Übersetzung dieses ersten Teils der Inschrift lautet: Körperverletzungen werden verklagt. 6 Diese beiden Ausdrücke weisen eindeutig in die rechtliche Sphäre. In die rechtliche Sphäre wird auch das letzte, nur fragmentarisch überlieferte Wort kuinnk gehören. Daß es sich dabei um ein Kompositum mit dem ersten Bestandteil kven- „ F r a u " handelt, scheint unbestreitbar. Unsicher ist dagegen das zweite Glied der Zusammensetzung. Von ihm ist nur der erste Laut, k, erkennbar. Die Rune Y kann im 16typigen Futhark vor dem Durchbruch der punktierten Runen im Mittelalter audi den Lautwert g haben. M. Olsen findet nur e i n e Zusammensetzung mit kven- als erstem Glied und g, bzw. k als Anlaut des zweiten passend. Er ergänzt kvinngrif) „Friedheiligkeit der Frau". Es gibt indessen ein weiteres Wort, das runisch kuinnk- geschrieben werden könnte und das in den rechtlichen Wortschatz gehört: kvenngjgf, bzw. den Plural kvenngjafir. Wie kvennagrif), so ist audi kvenngjgf schwach bezeugt, ist aber gegenüber kvennagrif) in folgenden Punkten unbedenklicher: 1. Kvenngjgf ist in einem der ältesten Gesetzestexte, dem Gulathings-Lov, belegt, 7 während kvennagrif) erst in späteren Gesetzen und zudem in Zusammenhang mit kirkjufrif) genannt ist. 2. Kvenngjgf kommt stets als Stammkomposition vor. Kvennagrif) dagegen ist nur als Genetivkomposition belegt. 8 3. Kvenngjgf ist inhaltsmäßig passender als kvennagrif). Kvenngjcjf bezeichnet die Buße, die der Totschläger und seine weiblichen Verwandten (Frau, Mutter, Schwester, Tochter) den entsprechenden Ver3

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Z u r Heiligkeit der Tischgemeinschaft v g l . V. Grönbech, K u l t u r u n d Religion der G e r m a n e n , ®Darmstadt 1961, Zweiter B a n d , S. 91 ff. Ä V g L , O r b . § 8: Orxpxr maf):er m a n i ölbamk m « f ) knivi, sitir um knif o k kötstycki mxp hanum, pxt xr nif)ingsva:rk. Ä V g L , A f m a n d r a p i 13: D r s p i r m a n m a n i ö l s t u v u , J)r)·

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Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften

wandten des Erschlagenen auszurichten hatten.® Solche Bußen stellten eine große Belastung dar, und es ist klar, daß man unter allen Umständen versuchte, einen Vergleich zustande zu bringen, wenn Verwundungen oder Totschlag auf einem Gelage vorgekommen waren. D a ß avarkar karfjir einen Vergleich absieht, hat M. Olsen wahrscheinlich gemacht. 10 Die Inschrift auf dem Krug von T r ä ist, wenn wir kvenngjafir ergänzen, folgendermaßen zu deuten: Körperverletzungen (sollen) privat verglichen (werden), wo Frauenbußen (herrschen). Wenn bei einem Totschlag kein Vergleidi zustande kam und die Partei des Erschlagenen beim Thing eine Klage anhängig machte, so waren auch die Frauenbußen zu bezahlen. Auf sie wird in der Inschrift auf dem Krug von Tra angespielt. Olsen stellt den Zusammenhang zwischen avarkar karjiir und kvennagrif) nur mangelhaft her. Es ist nicht ohne weiteres einzusehen, wie die Unverletzlichkeit der Frau mit den Händeln unter Männern in Beziehung steht. Wie verlockend audi der Gedanke ist, die Institution des kvennagrij» ( = kvennafrijj) bereits für das 10. Jahrhundert vorauszusetzen, so sprechen ihm doch die Belege aus den Gesetzen, die kvennagrijj mit kirkjugrij) in Verbindung setzen, entgegen. Sie lassen eher an ein Aufkommen der Friedheiligkeit der Frau unter kirchlichem Einfluß denken. Für welche Lesung man sidi auch entscheidet, die hinter der Inschrift stehende Haltung bleibt im Großen gesehen dieselbe: Die Inschrift drückt die Angst der Frau vor den auf Gastmählem nicht unüblichen Streitigkeiten, Schlägereien und Totschlägen aus. Nehme nun die Inschrift mehr auf die materielle (kvenngjafir) oder die rechtsethische (kvennagrip) Seite Rücksicht, deutlich ist jedenfalls die zwielichtige Situation der als Gastgeberin auftretenden Frau. Einerseits hatte sie beim Gelage mit einer reichlichen Bewirtung die Ehre des Hauses hochzuhalten, andererseits mußte sie stets Zusammenstöße zwischen den Trunkenen befürchten. D a ß sie um ihre eigene Sicherheit bangte, scheint nicht ansprechend. Vielmehr fürchtete sie sich vor Streitigkeiten und ihren allfälligen rechtlichen und materiellen Folgen. In der Institution der kvenngjafir offenbart sich der enge Sippenzusammenhalt. Nicht nur die männlichen Verwandten des Totschlägers haben neben ihm 9

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vgl. Fritzner: „kvenngjöf f. Gave som Drabsmanden tilligemed sin Hustru, Moder og Datier skulde give de Kvinder, der stode i lige Slasgskabsforhold til den drEebte". Gul. 221: Su er more ein at kvengjofum. P a scolo konor. iiij. taca ef pa:r ero til. seal taca moper hins daupa oc dotter oc systir oc kona hins daupa. ij. aura hver peirra ef pasr ero allar til. En hvervitna pess er konornar ero eigi til. pa seal taca sunr hins daupa. N u ef allra missir kvennanna. p a seal vigande taca p a more, oc bceta syni hins daupa. Vgl. audi Gul. 245. Siehe Anm. 6.

Die Runenmeisterin

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selbst f ü r die Mannesbuße aufzukommen, sondern audi die Frauen haben ihren Teil zu leisten. Dahinter verbirgt sich archaisches Sippendenken. Die Sippe des Totschlägers hat die Sippe des Erschlagenen geschwächt und beleidigt. Die ganze Sippe muß deshalb entschädigt werden. Selbst die weiblichen Verwandten haben eine Buße zu entrichten. Das Fehlen der Sitte der kvenngjafir in den jüngeren norwegischen Gesetzen und den schwedischen Landschaftsgesetzen beweist die hohe Altertümlichkeit. 11

4. D i e R u n e n m e i s t e r i n Die Anzahl der mit Sicherheit von Frauen geritzten Inschriften ist außerordentlich gering. 1 Wir besitzen keine einzige Inschrift im älteren Futhark, die einer Frau zugewiesen werden kann. N a m e n von Runenmeisterinnen sind uns keine bekannt. Entweder waren Frauen kaum runenkundig, oder es sind uns bloß keine sicheren Zeugnisse überliefert. Wie dem auch sei - wir werden uns mit dem Problem zu beschäftigen haben - , klar ist, daß die Runenkunst in ihren magischen und technisch-handwerklichen Aspekten eine vorwiegend männliche Kunst ist. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang die folgenden Punkte: 1. Der Mythos schreibt die Entdeckung und Schöpfung der Runen Odin zu. Odin war der erste und größte Runenmeister. Er ist gleichzeitig audi der Eroberer des Dichtermets und der Herr und Beschützer der Skalden. Dafür, daß Dichter runenkundig waren, finden wir in der Runenpoesie mehrere Beispiele. Skalde und Runenmeister können sich in einer und derselben Person vereinigen (Egil Skallagrimsson). Auf diesem mythischen Hintergrund sind Dichtung und Runenkunst Sache des Mannes. 2. Die Aufgabe des Runenmeisters bedingt und bewirkt eine sozial angesehene Stellung. Zu bedenken ist die wichtige öffentliche Funktion, die vor allem im Bereich der Fruchtbarkeitsmagie und bei Steinsetzungen nicht zu übersehen ist. Zumal die magischen Grabinschriften, die vor Grabschändung und Wiedergängertum schützen sollen, sind hier zu erwähnen. 2 Die Frau kam offenbar f ü r magische Handlungen, die auf die Öffentlichkeit bezogen und zu deren Schutz gedacht waren, nicht in Frage. Sie erscheint auf den Runensteinen im 11

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vgl. Holmbäck-Wessen, ÄVgL, Svenska landskapslagar, Band 5, 1946, S. 42, Anm. 35. Mit großer Wahrscheinlichkeit stammen die folgenden Zeugnisse von weiblichen Ritzerinnen: Inschrift X I I I von Lorn kirke, N I Y R 1, Nr. 42: kristr hialbi ]borst£eini poressyni hvar he sim han fer; Inschrift von Meere kirke, N I Y R 5, Nr. 534, um 1200: ki«ete guf> Jjess erk olmafia (vgl. S. 47 ff.); Stein von Jättendal (Hälsingland). Der Stein von Jättendal ist der einzige von einer Frau bearbeitete Stein, vgl. S. B. F. Jansson, Hälsingerunor 1951, S. 13. Vgl. W. Krause, a.a.O., bes. S. 142-158 („Der Runenmeister'").

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Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften

älteren Futhark audi nie als Gedenkende in doppelseitigen Grabinschriften. Wo aber ein Stein nach ihr gesetzt ist, liegt der Gedanke an die Beschwörung der Toten nahe. 3 3. Der Runenmeister ist nicht nur Magier oder Dichter, ein in das Zusammenspiel freundlicher und feindlicher Mächte Eingeweihter, er ist nicht nur „wilagaR" (Amulett von Lindholm) oder „farawisa" (Brakteat von Seeland), der Spender von „auja" (Brakteat von Seeland) oder „fehu" (Stein von Gummarp), der Runenmeister ist auch Handwerker. Das gilt besonders - wir denken etwa an die schwedischen Runenmeister im Mittelalter, die ihre Kunst berufsmäßig ausübten - bei der Bearbeitung von Steinen. Doch es brauchte auch ein gewisses handwerkliches Können, um Brakteaten oder Waffen zu beritzen. Solche Arbeit haben Frauen wohl kaum geleistet; sie blieb dem Mann vorbehalten. Während wir aus älterer Zeit keine Inschriften besitzen, die von der Runenkenntnis der Frau Zeugnis ablegen, so zeigen sich im Ausgang des Frühmittelalters (vom 11. Jahrhundert an) Spuren weiblicher Beschäftigung mit Runen. Drei ziemlich gesicherte Belege haben wir bereits angeführt. Bei einigen Inschriften ist Schöpfung durch Frauen ungesichert und umstritten. 4 Schließlich hat M. Olsen auf eine Gruppe von späten Inschriften aufmerksam gemacht, die sehr wohl Frauen geritzt haben können. Sie befinden sich nämlich jeweilen auf der Frauenseite einer Kirche. 5 Wenn wir die sicher oder möglicherweise von Frauenhand stammenden Inschriften überblicken, so stellen wir folgendes fest: 1. Inschriften im älteren Futhark fehlen vollständig, im jüngeren Alphabet dagegen nehmen sie im Laufe der Zeit zu. Nach der Einführung des Christentums treten die ersten auf, und mit seiner Festigung vermehrt sich die Anzahl. 2. Die von Frauen geritzten Inschriften entbehren jedes heidnisch-magischen 3

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Stein von Opedal, vgl. S. 114. Eine Ausnahme bildet der Stein von Stenstad, Krause Nr. 81, sofern sich hinter igijon ein Frauenname verbirgt. Spindelrad von H o f t u f t , N l y R 3, N r . 188: kunitr kerfi snalt, vgl. M. Olsen, N l y R 3, S. 41; Spindelrad von Uppstad, N l y R 5, N r . 582, vgl. S. 17, Anm. 2; Silberspange von Helbostad, N l y R 5, Nr. 535, vgl. S. 17, Anm. 2; Truhe (Nr. 9084) im Nationalmuseum in Kopenhagen, N l y R 5, N r . 541, vgl. S. 14. Im weitern können audi alle diejenigen Inschriften von Frauen geritzt sein, die nur einen weiblichen Besitzernamen aufweisen. Doch ist audi ihnen mit Vorsicht zu begegnen. Solange wir nur so wenig gesichertes Material haben, müssen wir dem Auftreten der Frau als Runenritzerin skeptisch gegenüberstehen. Vgl. M. Olsen, N l y R 5, S. 113, Anm. 4: „Det er o g s l rimelig at flere innskrifter i stavkirkene - pä kvinnesiden - er ristet av kvinner." Beispiele: Inschrift X V I I von Lom kirke, N l y R 1, Nr. 46: stat i frijji ku{is osa; Inschrift X V I I I von Lom kirke, N l y R N r . 47: rahna. Zu Lom kirke X V I I und X V I I I schreibt M. Olsen, N l y R 5, S. 249: „Er de to innskrifter ett farvel til to kvinner som pleide a stä ved siden av hinannen her pä kvinnesiden i kirken, fra to bortdragende hvorav den ene hilser Äsa og den annen (visst med forskjellig hand) Ragna? Og har iallfall den ene av de to kvinner kunnet lese runer?"

Die Runenmeisterin

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Charakters. Die Frauen wenden die Runen als Gebrauchsschrift an, oft in christlichem Sinn und Geist. Sie wünschen Segen, sie bezeichnen einen Gegenstand, oder sie ritzen Gelegenheitsinschriften. Das Christentum befreite die Runenschrift von ihrer Verbindung mit der heidnischen Religion und trug dazu bei, daß sie zur Gebrauchsschrift werden konnte. 6 Als solche wurde sie jetzt weiter verbreitet und audi von Frauen angewendet. Die Runenkunst ist eine männliche Kunst. Erst als ihr unter dem Einfluß des Christentums der magisch-religiöse Charakter genommen wurde, erlangte sie einen solch allgemeinen Gebrauch, daß auch Frauen ihrer Kenntnis teilhaftig wurden und sie beherrschen lernten. Dieses Ergebnis, das aus dem Primärmaterial der Runeninschriften auf losen Gegenständen gewonnen worden ist, gilt es in der Folge zu prüfen. Sehr häufig bedienen sich Frauen in der Literatur der Runenschrift als einer Gebraudisschrift ohne magische Hintergründe. Vielerorts mag es sich dabei um eine Übertragung der Sitte, die vor allem im 12. Jahrhundert in Norwegen bezeugt ist, auf frühere Zeiten handeln. Denn daß wir in heidnischer Zeit und auf sie gehen ja die eddischen und Sagastoffe zurück - nicht mit einer verbreiteten Anwendung der Runen als Gebrauchsschrift rechnen dürfen, hat sich gezeigt. Aus der E d d a und den Sagas ergibt sich das folgende Material: Atlamal 4; 11 Gudrun 7 Atlamal 9; 11 Kostbera D r a p Niflunga Gudrun Egils saga, c. 78 Thorgerd (Egils Tochter) Grettis saga, c. 62 Hallmunds Tochter Svarfdoela saga, c. 14 Thorarna I'orsteins {)attr oxaf0ts (Flat. I, S. 251) Ornny Viglundar saga, c. 17 KetilriSr Sturlaugs saga starfsama, c. 22 Mjöll

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Vgl. F. Jonsson, Runerne i den norske-islandske Digtning og Litteratur, Aarbegcr for nordisk Oldkyndighed og Historie 1910, S. 293: „Det forekommer mig, at der af alt det anfarte kun kan drages den slutning, at runerne i hedenskabets sidste tider (det 9. og 10. arh.) i reglen brugtes til magiske indskrifter, der skulde have en eller anden s^rlig virkning, udßve magt over en andens sind, derimod sjslden til meddelelser af almindelig art. Dette bliver de ferst efter kristendommens indferelse; kirken forbad og straffede trolldom og galder af enhver art og altsa ogsl en sldan brug af runerne . . . Runerne künde nu atter som i den ieldre («eldste) periode blive almindeligc meddelelsesmidler, og det bliver de allered i 11. Irh., men navnelig i det 12. og 13., vistnok ferst i Norge, s l p ! Island, men efter alt at domme har de va:ret mere almindelige i Norge end ρ ! Island." Mit dem Eindringen des Christentums beginnt auch die Sitte, in großer Anzahl Runensteine als Gedächtnis- und Grabsteine zu errichten. Vgl. S. 75 ff. Forsdiungsberidit über die Runenbotschaft in den Am. siehe A. B«ksted, Mälruner og Troldruner, Runemagiske studier, Kobenhavn 1952, S. 101-110.

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Die germanische Frau im Lichte der Runeninschriften

Die wichtigsten und bei weitem umstrittensten Stellen sind diejenigen aus den Atlamal. G u d r u n warnt ihre Brüder mit einer Runenbotschaft davor, ins Hunnenland zu ziehen. Der ebenfalls runenkundige Bote verändert aber die Mitteilung. Kostbera, Högnis Gattin, vermag die Runen nicht sicher zu deuten, ahnt aber, bestärkt durch böse Träume, den wahren Inhalt der Botschaft. Ein Vergleich mit der entsprechenden Partie der AtlakviSa ist aufschlußreich. Auch dort werden Gunnar und Högni vor der Heimtücke Atlis gewarnt: Gudrun wickelt einen Ring in Wolfshaar. 6 Die falsche Gesinnung Atlis wird mit einem treffenden Bild dargestellt. In den jüngeren Atlamal dagegen wird die Warnung auf eine moderne, zeitgemäße Art realisiert. Die Gewohnheit, Runen auf Runenstäbchen zu ritzen, hatte sich im Norden verbreitet und schlug sich auch - zumindest in der jüngeren - Heldendichtung nieder. Es scheint mir sehr bezeichnend, daß erst in den Atlamäl, nicht aber in der älteren AtlakviSa Runen zu einem praktischen Zweck gebraucht werden. 9 Eine Projektion einer zur Zeit der Niederschrift üblichen Sitte auf die Zeit, da sich die Ereignisse abspielten, dürfte auch bei den Sagastellen vorliegen, die von praktischer Anwendung der Runen berichten. Erstaunlicherweise sind es immer wieder Frauen, die Runen meist auf Runenstäbchen (an. kefli) einritzen. 10 Es handelt sich dabei ohne Zweifel um einen Topos. Besonders auffällig sind die beiden Zeugnisse in der Egils saga, c. 78, und in der Grettis saga, c. 62, wo sich Thorgerd, die Tochter Egils, bzw. die Tochter Hallmunds anerbieten, lange Gedichte ihrer Väter auf Holzstäbchen einzuritzen. Die Sitte des Runenritzens auf kefli hat in die Literatur Eingang gefunden und sich dort dermaßen verbreitet, daß in allen möglichen und unmöglichen Situationen auf sie zurückgegriffen wird. Denn daß das Sonatorrek mit Runen aufgezeichnet worden ist, klingt kaum glaubhaft. Es paßt aber stilistisch ausgezeichnet zu den denkwürdigen Entstehungsumständen der Sohnesklage, daß zu ihrer Niederschrift Runen, die nunmehr entheiligten und entzauberten, in früherer Zeit aber kraftgeladenen Schriftzeichen verwendet werden. Der Dich-

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Akv. 8. Die Beispiele für praktische Runenanwendung in den eddischen Gedichten und in sich zeitlich früh abspielenden Sagas dürfen nicht als Beweis dafür gelten, daß diese von früher Zeit an gegenüber der Runenmagie die Hauptrolle gespielt hat. Wir erblicken in den oben angeführten Beispielen bloß eine Übertragung eines späteren Brauchs. B^ksteds These von der Runenschrift als einer Gebraudisschrift (auch schon in frühgermanischer Zeit), die materialmäßig schwach unterbaut ist, wirkt nicht überzeugend. Kefli ( < >:"kablja, „Holzstab zum Einritzen von Runen") ist nur im Norden als Nomen im Zusammenhang mit Runeninschriften bezeugt; vgl. H . Kuhn, Das Zeugnis der Sprache über Alter und Ursprung der Runenschrift, Beiträge zur Runenkunde und nordischen Sprachwissenschaft, Gustav Neckel zum 60. Geburtstag, Leipzig 1938.

Die Runenmeisterin

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ter d ü r f t e aus stilistischen G r ü n d e n , nicht bloß in der A u f n a h m e eines Topos, R u n e n herangezogen haben. 1 1 D i e übrigen Beispiele stützen die These, daß die Runenkenntnis zur Zeit der Sagaredaktionen auch unter Frauen eine gewisse Verbreitung gefunden hat. Wie wir festgestellt haben, bietet unser P r i m ä r m a t e r i a l keinerlei A u f schlüsse über eine von Frauen als Runenmeisterinnen ausgeübte Runenmagie. Sämtliche Zeugnisse, die sicher oder möglicherweise weiblichen Ursprungs sind, entbehren des magischen Charakters. 1 2 Bei dieser Lage der Dinge zu behaupten, Frauen seien v o r dem christlichen Mittelalter nicht runenkundig gewesen u n d hätten mit Runenmagie nichts zu schaffen gehabt, hieße aus dem Fehlen v o n einschlägigem P r i m ä r m a t e r i a l weitreichende u n d unerlaubte Schlüsse ziehen. Es wäre eigenartig, wenn den Frauen, denen im germanischen A l t e r t u m auf dem Gebiet des Zaubers u n d der Magie eine wichtige Rolle zugeschrieben w i r d , gerade der Runenzauber verschlossen geblieben wäre. Eine G r u p p e von literarischen Zeugnissen m u ß herangezogen werden. Es ist zu untersuchen, o b die bei ihnen sich zeigende A n w e n d u n g der Runenmagie durch Frauen die Lücke in der Überlieferung von authentischem Material zu schließen vermag. Folgende Stellen sind in diesem Zusammenhang zu nennen: -

Saxo Grammaticus I, 38 Vgluspä 20 Sigrdrifomal 5 ff. GuSrunarqviSa g n n o r 21 f. Grettis saga, c. 79 Bosa saga

Harthgrepa Nornen Sigrdrifa Grimhild Thurid Busla

W e n n wir die genannten Stellen überblicken, so stellen wir fest, d a ß es v o r allem Zauberinnen sind, die Runenmagie ausüben. T h u r i d und Busla, aber a u d i Grimhild u n d in einer speziellen Schattierung H a r t h g r e p a sind Zauberinnen. Alle bedienen sich der vernichtenden schwarzen Magie. Uber die A n w e n d u n g von Runenmagie durch T h u r i d , mit deren H i l f e die Ü b e r w i n d u n g Grettirs schließlich gelingt, lesen w i r in der Grettis saga, c. 79, folgendes: „ N u v a r sva gQrt, sem hon beiddi, ok er hon k o m til strandar, haltraSi hon f r a m me5 Stenum, sva sem henni Vieri visat til. P a r la f y r i r henni r o t a r t r e sva mikit sem axlbyrSr. H o n leit a tr£it ok baS f>a snua f y r i r s i r ; f>at v a r sem sviSit ok gniSat gSrum megin. H o n let telgja ί litinn flatveg, J>ar gniSat v a r ; siSan tar y f i r

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Zu Eg., c. 78, vgl. F. J0nsson, a.a.O., S. 292. J0nsson weist darauf hin, daß oft Frauen mit dem Runenritzen auf kefli in Verbindung stehen. Vgl. aber S. 122 ff.

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Die germanische Frau im Lichte der Runeninsdiriften

rriQrg r g r n m ummasli. E p t i r J>at \χττ h o n h r i n d a t r e n u a s j i o k madti sva f y r i r , a t J>at s k y l d i r e k a u t til D r a n g e y j a r , o k v e r ö i G r e t t i a l l t m e i n a t . " I n d e r Bosa saga g e l i n g t es der z a u b e r k u n d i g e n P f l e g e m u t t e r Bosis, m i ' H i l f e v o n Fluchversen 1 3 u n d schließlich m i t R u n e n m a g i e , d i e b e i d e n G e f a n genen, d e n K ö n i g s s o h n H e r r ö d u n d Bosi, v o m K ö n i g f r e i z u b e k o m m e n . E r s t als d e r K ö n i g Bosi nach d e n V e r w ü n s c h u n g s v e r s e n noch i m m e r nicht freigeben will, greift Busla z u m R u n e n z a u b e r . D a ß d i e sechs W ö r t e r , die d u r c h K o m b i n a t i o n v o n e i n z e l n e n R u n e n g e w o n n e n w e r d e n k ö n n e n , in magischen Z u s a m m e n h a n g g e h ö r e n , ist d e u t l i d i . I m Detail umstritten, was Grimhilds Vertrautheit mit Runenmagie b e t r i f f t a b e r eindeutig, ist G u Ö r u n a r q v i S a