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German Pages 944 Year 2001
D I R K BAHRENFUSS
Die Entstehung des Aktiengesetzes von 1965
Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 86
Die Entstehung des Aktiengesetzes von 1965 Unter besonderer Berücksichtigung der Bestimmungen über die Kapitalgrundlagen und die Unternehmensverfassung
Von
Dirk Bahrenfuss
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Bahrenfuss, Dirk: Die Entstehung des Aktiengesetzes von 1965 : unter besonderer Berücksichtigung der Bestimmungen über die Kapitalgrundlagen und die Unternehmensverfassung / Dirk Bahrenfuss. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zur Rechtsgeschichte ; H. 86) Zugl.: Kiel, Univ., Diss., 1999/2000 ISBN 3-428-10263-0
Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 3-428-10263-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706θ
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1999/2000 von der Juristischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Großen Dank schulde ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Werner Schubert, der mir die Anregung für das Thema gab und ohne dessen Betreuung und Unterstützung, beginnend bei der Materialbeschaffung bis hin zur Finanzierung der Veröffentlichung, die Entstehung der Arbeit in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen wäre. Herrn Prof. Dr. Jickeli danke ich für die Erstattung des Zweitgutachtens. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Herrn Prof. Dr. Bruno Kropff, der sich nach Abschluß der Arbeit bereit erklärte, mir in einem persönlichen Gespräch zu inhaltlichen Fragen der Aktienrechtsreform umfassend Auskunft zu geben, und mir auf diese Weise einen Einblick in das ministerielle Umfeld während der Reformzeit vermittelte. Danken möchte ich an dieser Stelle auch den Mitarbeitern des Bundesarchivs in Koblenz, die mich bei der Nutzung und Sichtung der umfangreichen Materialien freundlich unterstützt haben. Gleiches gilt für die Mitarbeiter der Bibliotheken der Juristischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und des Instituts für Weltwirtschaft. Verschiedene Interessenverbände wie die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, der Bundesverband des Privaten Bankgewerbes, der Deutsche Industrie- und Handelstag, die Deutsche Angestelltengewerkschaft und der Deutsche Gewerkschaftsbund haben mir auf meine Anfragen hin Auskunft erteilt und Material zur Verfügung gestellt. Meinen Eltern und Katja danke ich herzlich dafür, daß sie mich während der mehrjährigen Entstehungszeit der Dissertation immer in meiner Arbeit bestärkt und unterstützt haben, mein Vater insbesondere durch die aufwendige Korrektur des Manuskripts. Die technische Erstellung der Arbeit lag vollständig in der Hand meines Bruders Ulf, ohne dessen Einsatz von viel Zeit und Mühe die Fertigstellung der Druckvorlage nicht möglich gewesen wäre. Die Drucklegung wurde durch einen großzügigen Druckkostenzuschuß der Marga und Kurt Möllgard-Stiftung unter Vermittlung der Dr. Otto-Bagge-Gedächtnisstiftung finanziell unterstützt.
Kiel, November 2000
Dirk Bahrenfuss
Inhaltsverzeichnis Α. Einleitung
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Β. Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung des Aktienrechts I. Oktroisystem der Handelskompagnien II. Code de Commerce und Preußisches Aktiengesetz von 1843 III. Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 IV. Reformen des Aktienrechts im 19. Jahrhundert V. Projekte in der Weimarer Zeit VI. Aktiengesetz von 1937 VII. Reformen von 1945 bis zum Aktiengesetz 1965
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C. Die politische und wirtschaftliche Lage während der Reformzeit I. Die Zeit von 1945 bis 1949 1. Politische und wirtschaftliche Lage 2. Wirtschaftskontrolle, Sozialisierung, Entflechtung und Dekartellisierung a) Alliierte Grundhaltung zur deutschen Wirtschaftskonzentration . . b) Sozialisierung von Schlüsselindustrien c) Entflechtung und Dekartellisierung II. Die Zeit von 1949 bis 1965 1. Regierungen von 1949 bis 1965 2. Politische Aufgaben 3. Wirtschaftliche Lage 4. Auswirkungen der sozialen Entwicklung auf die Machtstruktur der Aktiengesellschaft
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D. Die Arbeiten an der Aktienrechtsreform bis 1965 I. Erste Reformgedanken zum Aktienrecht 1945-49 1. Auswirkungen des nationalsozialistischen Einflusses auf das Aktiengesetz von 1937 2. Anregungen für eine Reform des Aktienrechts II. Reformarbeiten von 1949 bis zum Referentenentwurf 1958 1. Zuständigkeit des Bundesjustizministeriums 2. Vorarbeiten - Sammlung von Materialien a) Zeitlicher Rahmen und Verlauf der Vorarbeiten b) Verzicht auf die Einrichtung einer Sachverständigenkommission . aa) Keine Einrichtung zu Beginn der Vorarbeiten bb) Keine Einrichtung zum Abschluß der Vorarbeiten c) Ablehnung einer vorgezogenen Teilreform aa) Ausschuß für Kapital verkehr bb) Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesfinanzministerium cc) Weitere Eingaben von Prof. Bühler dd) Haltung des Bundesjustizministeriums zur Teilreform
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Inhaltsverzeichnis d) Abschluß der Vorarbeiten aa) Zeitliche Planung zu Beginn der zweiten Legislaturperiode . . bb) Beschleunigung der Vorarbeiten cc) Materialzusammenstellungen der Referenten ( 1 ) Themen und Zeitrahmen (2) Material zur Unternehmensverfassung e) Gesetzesinitiative zur Beschlußfahigkeit des Aufsichtsrats . . . . 3. Stellungnahmen von Wirtschaft und Wissenschaft a) Arbeitsgemeinschaft der Schutzvereinigungen für Wertpapierbesitz (DSW) aa) Aktienrechtsausschuß der DSW ab 1950 bb) Denkschrift der DSW von 1952 cc) Weitere Tätigkeiten der DSW 1953 b) Deutscher Industrie- und Handelstag (DIHT) aa) Aktienrechtsausschuß des DIHT ab 1951 bb) Denkschrift des DIHT von 1954 cc) Aufnahme der Denkschrift und weitere Tätigkeiten des DIHT c) Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) aa) Arbeitskreis Aktienrechtsreform im IWD ab 1951 bb) Denkschrift des IWD von 1956 cc) Aufnahme der Denkschrift dd) Ergänzende Vorschläge des Arbeitskreises von 1958 d) Bundesverband des Privaten Bankgewerbes (BvPB) aa) Aktienrechtskommission des BvPB ab 1951 bb) Denkschrift des BvPB von 1958 cc) Aufnahme der Denkschrift und weitere Tätigkeit des BvPB . . e) Deutscher Juristentag (DJT) aa) 39. Deutscher Juristentag in Stuttgart 1951 bb) Studienkommission des Deutschen Juristentages ab 1952 . . . cc) Aufgabenstellung der Studienkommission und Einsetzung von Ausschüssen dd) Arbeitsweise der Ausschüsse ee) Berichte der Ausschüsse der Studienkommission (1) Bericht Ausschuß 1 1955 (2) Bericht Ausschuß II 1955 (3) Bericht Ausschuß III 1957 ff) Weitere Tätigkeiten des DJT f) Sonstige Verbände, Gewerkschaften und Parteien aa) Gemeinsamer Ausschuß der Spitzenverbände der gewerblichen Wirtschaft ab 1956 bb) Gewerkschaften - Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) 1958 cc) Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU) 1958 dd) Deutscher Anwaltverein (DAV) 1958 ee) Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft (DGBetrWirt) . ff) Parteien g) Fachliteratur
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Inhaltsverzeichnis 4. Vorbereitung des Referentenentwurfs im Bundesjustizministerium . . a) Fortgang der Arbeiten in der zweiten Legislaturperiode b) Erstellung der Entwürfe durch die Referenten 1956-58 c) Erste Abstimmung der Vorarbeiten mit dem Bundeswirtschaftsministerium 1957 d) Arbeiten zu Beginn der dritten Legislaturperiode aa) Zusammenarbeit mit den anderen Bundesministerien bb) Chefbesprechung am 10.12.1957 e) Gesetz über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und die Gewinn- und Verlustrechnung („Kleine Aktienrechtsreform") 195759 f) Beratungen der Bundesministerien über die Grundzüge des Referentenentwurfs aa) Referentenbesprechungen April bis Juni 1958 bb) Chefbesprechung am 15.7.1958 cc) Besprechung zwischen Sts Strauß und BWiM Erhard am 28.8.1958 g) Beratung des Referentenentwurfs im Kabinett aa) Kabinettsvorlage vom 8.9.1958 bb) Kritik an der Kabinettsvorlage cc) Bemühungen der Wirtschaft um eine Vertagung der Kabinettsentscheidung dd) Verabschiedung der Kabinettsvorlage am 1.10.1958 und Veröffentlichung des Referentenentwurfs am 20.10.1958 III. Vom Referentenentwurf 1958 zum Regierungsentwurf 1960 1. Referentenentwurf von Oktober 1958 a) Gründe für die Vorlage eines Referentenentwurfs b) Zielsetzung des Referentenentwurfs c) Inhalt des Referentenentwurfs d) Begründung des Referentenentwurfs 2. Stellungnahmen zum Referentenentwurf a) Aussprache am 21.10.1958 im Presseclub Bonn b) Stellungnahmen von Interessenverbänden aa) Spitzenverbände der gewerblichen Wirtschaft bb) Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). . . cc) Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) dd) Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) ee) Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft (DGBetrWirt) . ff) Deutscher Anwaltverein (DAV) gg) Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) hh) Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) ii) Zusammenfassung c) Fachliteratur d) Eingaben von Privatleuten e) Stellungnahmen von Ministerien und Behörden 0 Bearbeitung der Stellungnahmen im Bundesjustizministerium . .
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Inhaltsverzeichnis 3. Ausarbeitung des Regierungsentwurfs 311 a) Besprechung der wirtschafts-, finanz- und sozialpolitisch wichtigen Fragen mit Staatssekretär Strauß am 19./20.5.1959 311 b) Chefbesprechung am 1.6.1959 312 c) Besprechung der Ergebnisse der Chefbesprechung mit Vertretern der Wirtschaft am 10.6.1959 315 d) Schriftwechsel zwischen vom Hofe und Geßler im Juni/Juli 1959 . 317 e) Austausch von Unterlagen zwischen den Ministerien im Juni/ Juli 1959 319 f) Besprechungen mit Interessenverbänden im Juni/Juli 1959 . . . . 320 g) Ressortbesprechungen im August 1959 322 h) Chefbesprechung am 19.10.1959 326 i) Besprechung des Regierungsentwurfs mit Vertretern der Wirtschaft im Dezember 1959 328 j) Erörterung letzter offener Fragen November 1958 bis Januar 1960 330 aa) Ausgestaltung des Depotstimmrechtes 330 bb) Abschaffung der Mehrstimmrechtsaktien 333 cc) Berichtsverlangen des Aufsichtsrats und Änderung der mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften 334 k) Verabschiedung der Kabinettsvorlage März 1960 und Veröffentlichung des Regierungsentwurfs April 1960 335 Vom Regierungsentwurf 1960 zum Aktiengesetz 1965 340 1. Regierungsentwurf von April 1960 340 a) Gründe für die Vorlage und Zielsetzung des Entwurfs 341 342 b) Inhalt des Regierungsentwurfes 2. Stellungnahmen zum Regierungsentwurf 343 a) Stellungnahmen der Interessenverbände und anderer Organisationen 343 aa) Spitzenverbände der gewerblichen Wirtschaft 343 bb) Zentralbankrat 344 cc) Deutscher Gewerkschaftsbund 345 dd) Deutscher Anwaltverein 348 ee) Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre 349 ff) Deutsche Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz 349 gg) Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer 350 hh) Deutsche Angestellten Gewerkschaft 351 ii) Forschungsstelle der Friedrich-Ebert-Stiftung 352 b) Tagungen zur Aktienrechtsreform 355 c) Beiträge von Mitarbeitern der Ministerien 356 d) Fachliteratur 357 3. Schicksal des Entwurfs in der dritten Legislaturperiode 1960-61 . . . . 362 a) Behandlung des Regierungsentwurfs im Bundesrat April 1960 . . 362 aa) Beratungen der Bundesratsausschüsse 363 bb) Beratung im Bundesratsplenum und Stellungnahme der Bundesregierung 368 b) Außerparlamentarische Aktivitäten des BMJ im Vorfeld der ersten Beratung im Bundestag 370
Inhaltsverzeichnis c) Behandlung des Regierungsentwurfs im Bundestag aa) Vorbereitung der ersten Lesung durch die CDU-Fraktion . . . bb) Vorbereitung der ersten Lesung durch die SPD-Fraktion . . . cc) Erste Lesung der Aktiengesetzentwürfe im Bundestag am 17.11.1960 dd) Beratungen der Bundestagsausschüsse 4. Behandlung im Bundestag der vierten Wahlperiode 1961-65 a) Neueinbringung des Regierungsentwurfs in den Bundestag im Dezember 1961 b) Beratung des Regierungsentwurfs in 1. Lesung am 23.2.1962 . . . c) Beratungen in den Bundestagsausschüssen aa) Zeitliche Planung und Einrichtung eines gemeinsamen Unterausschusses bb) Beratungen im Wirtschaftsausschuß cc) Beratungen im Ausschuß für Arbeit dd) Beratungen im Rechtsausschuß ee) Beteiligung des BMJ an den Ausschußarbeiten d) Beratungen in den Fraktionen der CDU/CSU und SPD aa) CDU/CSU-Fraktion bb) SPD-Fraktion e) Zweite Lesung im Bundestag am 19.5.1965 f) Dritte Lesung im Bundestag am 25.5.1965 g) Behandlung im Bundesrat 5. Aktiengesetz 1965 - Verkündung und Inkraftreten a) Wesentliche Änderungen gegenüber dem Aktiengesetz 1937 . . . b) Aufnahme des Gesetzes E. Einzelne Grundfragen der Aktienrechtsreform I. Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung 1. Einheitliches Unternehmensrecht - Sonderrecht für große Unternehmen a) Reformarbeiten bis zum Referentenentwurf 1958 aa) Erste Grundzüge im Verlauf der Aktienrechtsreform bb) Arbeiten der Studienkommission des 39. Deutschen Juristentages 1952-55 cc) Reformvorschläge dd) Arbeiten im Bundesjustizministerium b) Vom Referentenentwurf 1958 zum Regierungsentwurf 1960 . . . c) Vom Regierungsentwurf 1960 zum Aktiengesetz 1965 2. Einarbeitung der Mitbestimmung in das Aktiengesetz a) Reformarbeiten bis zum Referentenentwurf 1958 aa) Grundlegende Bedeutung der Einarbeitung bb) Stellungnahmen der Interessenverbände cc) Literatur dd) Arbeiten im Bundesjustizministerium b) Vom Referentenentwurf 1958 zum Regierungsentwurf 1960 . . . aa) Reaktionen
374 375 378 380 383 389 389 391 393 394 395 400 401 405 406 407 412 412 413 415 415 416 419 425 425 426 427 427 431 439 442 446 448 456 456 456 457 461 461 465 465
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Inhaltsverzeichnis
II.
bb) Arbeiten im Bundesjustizministerium c) Vom Regierungsentwurf 1960 zum Aktiengesetz 1965 aa) Reaktionen bb) Parlamentarische Beratungen Aktie 1. Mindestgrundkapital a) Gesetzliche Regelung bis zum Aktiengesetz von 1965 b) Reformarbeiten bis zum Referentenentwurf 1958 aa) Reformvorschläge bb) Arbeiten im Bundesjustizministerium c) Vom Referentenentwurf 1958 zum Regierungsentwurf 1960 . . . aa) Reaktionen bb) Arbeiten im Bundesjustizministerium d) Vom Regierungsentwurf 1960 zum Aktiengesetz 1965 2. Mindestnennbetrag der Aktie a) Gesetzliche Regelung bis zum Aktiengesetz von 1965 b) Reformarbeiten bis zum Referentenentwurf 1958 aa) Reformvorschläge bb) Arbeiten im Bundesjustizministerium c) Vom Referentenentwurf 1958 zum Regierungsentwurf 1960 . . . aa) Reaktionen bb) Arbeiten im Bundesjustizministerium d) Vom Regierungsentwurf 1960 zum Aktiengesetz 1965 3. Eigentumsstreuung - Volksaktie a) Der Übergang von der Arbeiteraktie zur Volksaktie b) Eigentumsstreuung durch Privatisierung von Bundesunternehmen c) Steigerung der Attraktivität der Aktie bei der Aktienrechtsreform . 4. Mehrstimmrechtsaktien a) Gesetzliche Regelung bis zum Aktiengesetz von 1965 b) Reformarbeiten bis zum Referentenentwurf 1958 aa) Reformvorschläge bb) Arbeiten im Bundesjustizministerium c) Vom Referentenentwurf 1958 zum Regierungsentwurf 1960 . . . aa) Reaktionen bb) Arbeiten im Bundesjustizministerium d) Vom Regierungsentwurf 1960 zum Aktiengesetz 1965 aa) Reaktionen bb) Parlamentarische Beratungen 3. Legislaturperiode cc) Parlamentarische Beratungen 4. Legislaturperiode e) Schlußbetrachtung 5. Nennwertlose Aktie a) Gesetzliche Regelung bis zum Aktiengesetz von 1965 b) Reformarbeiten bis zum Referentenentwurf 1958 aa) Reformvorschläge bb) Arbeiten im Bundesjustizministerium c) Vom Referentenentwurf 1958 zum Regierungsentwurf 1960 . . .
468 470 470 472 478 478 479 481 481 482 483 483 484 486 488 488 490 490 493 494 494 495 496 502 503 506 524 531 532 536 536 539 548 548 555 560 560 561 564 590 592 594 597 597 604 612
Inhaltsverzeichnis aa) Reaktionen 612 bb) Arbeiten im Bundesjustizministerium 617 d) Vom Regierungsentwurf 1960 zum Aktiengesetz 1965 621 aa) Reaktionen 621 bb) Parlamentarische Beratungen 3. Legislaturperiode 621 cc) Parlamentarische Beratungen 4. Legislaturperiode 622 e) Schlußbetrachtung 649 III. Unternehmensverfassung 653 1. Board-System oder Zweiteilung der Verwaltung 653 a) Gesetzliche Regelung bis zum Aktiengesetz von 1965 653 b) Reformarbeiten bis zum Referentenentwurf 1958 662 aa) Reformvorschläge 662 bb) Arbeiten im Bundesjustizministerium 669 c) Vom Referentenentwurf 1958 zum Regierungsentwurf 1960 . . . 676 aa) Reaktionen 676 bb) Arbeiten im Bundesjustizministerium 679 d) Vom Regierungsentwurf 1960 zum Aktiengesetz 1965 681 aa) Reaktionen 681 bb) Parlamentarische Beratungen 3. Legislaturperiode 683 cc) Parlamentarische Beratungen 4. Legislaturperiode 685 e) Schlußbetrachtung 687 2. Feststellung des Jahresabschlusses 688 a) Gesetzliche Regelung bis zum Aktiengesetz von 1965 691 b) Reformarbeiten bis zum Referentenentwurf 1958 708 aa) Reformvorschläge 709 bb) Arbeiten im Bundesjustizministerium 724 c) Vom Referentenentwurf 1958 zum Regierungsentwurf 1960 . . . 743 aa) Reaktionen 743 (1) Interessenverbände 743 (2) Literatur 754 (3) Behörden und Ministerien 759 bb) Arbeiten im Bundesjustizministerium 762 d) Vom Regierungsentwurf 1960 zum Aktiengesetz 1965 783 aa) Reaktionen 783 bb) Parlamentarische Beratungen 3. Legislaturperiode 792 cc) Parlamentarische Beratungen 4. Legislaturperiode 796 e) Schlußbetrachtung 825 3. Geschäftsführungsbefugnisse der Hauptversammlung 829 a) Gesetzliche Regelung bis zum Aktiengesetz von 1965 829 b) Reformarbeiten bis zum Referentenentwurf 1958 836 aa) Reformvorschläge 836 bb) Arbeiten im Bundesjustizministerium 845 c) Vom Referentenentwurf 1958 zum Regierungsentwurf 1960 . . . 853 aa) Reaktionen 853 bb) Arbeiten im Bundesjustizministerium 856 d) Vom Regierungsentwurf 1960 zum Aktiengesetz 1965 857
Inhaltsverzeichnis
16
IV.
aa) Reaktionen bb) Parlamentarische Beratungen 3. Legislaturperiode cc) Parlamentarische Beratungen 4. Legislaturperiode Schlußbetrachtung
F. Abschließende Betrachtung der Reformarbeiten
857 861 863 869 871
Tabellarische Übersicht über den Verlauf der Reform zum Aktiengesetz 1965 . 881 Kurzbiographien
883
Code de Commerce von 1807
887
Vermerke Β 141 2343 S. 41-43-Vermerk von Eckardt Β 141 2343 S. 44-46 - Vermerk von Döllerer
888 888 889
Archivalienverzeichnis - Bundesarchiv Koblenz Bestand Bundesjustizministerium ( Β 141 ) Bestand Bundeswirtschaftsministerium ( Β 102 ) Bestand Bundesarbeitsministerium ( Β 149 ) Bestand Bundesfinanzministerium ( Β 126 ) Bestand Bundeskanzleramt ( Β 136 )
892 892 896 896 896 896
Literaturverzeichnis 897 Veröffentliche und unveröffentliche Stellungnahmen von Interessenverbänden ... 897 Monographien, Lehrbücher, Quellensammlungen, 900 Zeitschriften und Zeitungen 916 Sachwortverzeichnis
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Abkürzungs- und Zeitschriftenverzeichnis AA - Ausschuß für Arbeit a.A. - andere Ansicht a.a.O. - am angegebenen Ort Abs. - Absatz Abt. - Abteilung AcP - Archiv für die civilistische Praxis ADHGB - Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch AG - Aktiengesellschaft AG - Die Aktiengesellschaft, Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen AK - Arbeitskreis AkDR - Akademie für Deutsches Recht AktG - Aktiengesetz Aktr.auss. - Aktienrechtsausschuß Aktr.komm. - Aktienrechtskommission APuZ - Aus Politik und Zeitgeschichte Arbeitgeber - Der Arbeitgeber ArbGdVpB - Arbeitsgemeinschaft der Verbände des privaten Bankgewerbes ArbuR - Arbeit und Recht Art. - Artikel Aufl. - Auflage a.V. - als Vertreter BankArchiv - Bank-Archiv Β Β - Betriebsberater Bd. - Band BDA - Bundesverband der Arbeitgeber BDI - Bundesverband der Industrie Bdrat - Bundesrat BdW - Blick durch die Wirtschaft BFH - Bundesfinanzhof BFM - Bundesfinanzminister 2 Bahrenfuss
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Abkürzungs- und Zeitschriftenverzeichnis
BFuP - Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis BGB - Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. - Bundesgesetzblatt Β HE - Block der Heimat vertriebenen und Entrechteten BJM - Bundesjustizminister BKA - Bundeskanzleramt BM - Bundesminister BMA - Bundesarbeitsministerium BMF - Bundesfinanzministerium BMJ - Bundesjustizministerium BMWi - Bundeswirtschaftsministerium BMWirBes - Bundesministerium für wirtschaftlichen Besitz des Bundes BRat-Drucks. Bundesratsdrucksache BRat-Sten.Ber. - Bundesrat Stenographische Berichte BT-Sten.Ber. - Bundestag Stenographische Berichte BT-Drucks. Bundestagsdrucksache BvPB Bundesverband des Privaten Bankgewerbes BWiM - Bundeswirtschaftsminister CDU - Christlich Demokratische Union CSU - Christlich Soziale Union DA - Die Aussprache DAG - Deutsche Angestelltengewerkschaft DAV - Deutscher Anwaltverein DB - Der Betrieb ders. - derselbe DGB - Deutscher Gewerkschaftsbund DGBetrWirt - Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft DIHT - Deutscher Industrie- und Handelstag DJT - Deutscher Juristentag DJZ - Deutsche Juristenzeitung Dok. - Dokument DP - Deutsche Partei DRiZ - Deutsche Richterzeitschrift DSW - Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbestz
Abkürzungs- und Zeitschriftenverzeichnis DVO - Durchführungsverordnung DVP - deutsche Volkspartei d.Z. - der Zusammenstellung DZW - Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung E. - Entwurf EEG z.AktG - Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz EG z.AktG - Einführungsgesetz zum Aktiengesetz f - folgende Seite FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung ff - fortfolgende Seiten FDP - Freie Demokratische Partei Fn - Fußnote FS - Festschrift G - Gesetz GB - Gesamtdeutscher Block GDV - Gesamtverband der Versicherungswirtschaft gez. - gezeichnet GHEK - Geßler / Hefermehl / Eckardt / Kropff - Kommentar zum Aktiengesetz Gk - Grundkapital g.R. - gesetzliche Rücklagen Großkomm AktG - Großkommentar zum Aktiengesetz Handelsblatt - Handelsblatt HGB - Handelsgesetzbuch Hrsg. - Herausgeber JR - Juristische Rundschau JW - Juristische Wochenschrift JZ - Juristische Zeitung i.A. - im Auftrag IdW - Institut der Wirtschaftsprüfer i.d.F.v. - in der Fassung von IG - Interessengemeinschaft KGaA - Kommanditgesellschaft auf Aktien KK - Kölner Kommentar LG - Landgericht 2*
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Abkürzungs- und Zeitschriftenverzeichnis
Mitbestimmung - Die Mitbestimmung MDir - Ministerialdirektor MDirig - Ministerialdirigent MRat - Ministerialrat m.w.N. - mit weiteren Nachweisen NJW - Neue Juristische Wochenschrift Nr. - Nummer o.a. - oder andere OLG - Oberlandesgericht ORR - Oberregierungsrat Prof. - Professor RA - Rechtsausschuß RdA - Recht der Arbeit RefE - Referentenentwurf RegE - Regierungsentwurf RGBl. - Reichsgesetzblatt RGZ - Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RJM - Reichsjustizministerium ROHG - Reichsoberhandelsgericht RR - Regierungsrat Rs - Rückseite Rz - Randzahl S. - Satz (in Zusammenhang mit Gesetzesvorschriften) S. - Seite sc. - scilicet (Ergänzung in Zitaten) SdK - Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre SJZ - Süddeutsche Juristenzeitung s.o. - siehe oben Sparkasse - Die Sparkasse SPD - Sozialdemokratische Partei Deutschlands Spiegel - Der Spiegel s.R. - sonstige Rücklagen Stellv. - stellvertretend
Sts - Staatssekretär
Abkürzungs- und Zeitschriftenverzeichnis Stud.komm. - Studienkommission des DJT s.u. - siehe unten u. - und UA - Unterausschuß u.a. - unter anderem VfZ - Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte v. - vom vgl. - vergleiche Volkswirt - Der Volkswirt Vs - Vorderseite VSWG - Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte WA - Wirtschaftsausschuß Wertpapier - Das Wertpapier WiGBl. - Wirtschaftsgesetzblatt, Gesetzblatt des Vereinigten Wirtschaftsgebietes Wirtschaftsprüfer - Der Wirtschaftsprüfer Wp - Wahlperiode WPg - Die Wirtschaftsprüfung WSI - Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes WWI - Wirtschaftswissenschaftliche Mitteilungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften z.B. - zum Beispiel Zeit - Die Zeit ZfB - Zeitschrift für Betriebswirtschaft ZfbB - Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung ZfgSt - Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft ZfhwF - Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung ZfK - Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen ZGR - Zeitschrift für Unternehmens und Gesellschaftsrecht ZHR - Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht zit. - zitiert ZRG-Germ - Zeitschrift für Rechtsgeschichte Germanistische Abteilung
Α. Einleitung Im Jahr 1998 wurde das 1965 verabschiedete Aktiengesetz durch zwei Novellen in wesentlichen Punkten neu geregelt. Das Gesetz über die Zulassung von Stückaktien 1 führte die nennwertlose Aktie im deutschen Aktienrecht ein. Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich 2 verschärfte die Überwachung des Vorstandes durch den Aufsichtsrat, machte die Geschäftspolitik der Organe transparenter und ergänzte die Vorschriften über das Depotstimmrecht, um die Kontrolle durch die Hauptversammlung zu stärken und Interessenkollisionen zwischen beauftragtem Kreditinstitut und Aktionär zu vermeiden. Außerdem bestimmte es unter anderem die Abschaffung aller Mehrstimmrechtsaktien zum 1.6. 2003, wenn nicht die jeweilige Hauptversammlung zuvor mit Mehrheit von drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals ihre Fortgeltung beschlossen hat. Bereits 1994 war der Mindestnennbetrag der Aktie auf D M 5 3 und 1998 im Zuge der europäischen Währungsunion weiter auf einen Euro 4 herabgesenkt worden. Viele dieser Neuerungen betrafen Fragen, die bei der Aktienrechtsreform zum noch heute geltenden Aktiengesetz von 1965 bereits eine Rolle gespielt hatten. Schon zu dieser Zeit war darüber diskutiert worden, ob zur „Popularisierung der Aktie" der Mindestnennbetrag der Aktie gesenkt, die Mehrstimmrechtsaktien abgeschafft und die nennwertlose Aktie eingeführt werden sollten. Und auch während dieser Reform war man bemüht gewesen, das Zusammenwirken der Gesellschaftsorgane durch eine Neuordnung der Aufgabenbereiche zu verbessern, bei der Ausgestaltung des Depotstimmrechts die Wahrnehmung der Aktionärsinteressen sicherzustellen und die Publizität zu erhöhen. Nicht alle Anregungen wurden 1965 umgesetzt. Dies gilt .z.B. für die Einführung der nennwertlosen Aktie oder die Abschaffung der Mehrstimmrechtsaktien. Die 1998 vorgenommenen Änderungen stellen somit gleichsam den Abschluß oder die Fortführung einiger der während der Arbeiten zum Aktiengesetz 1965 begonnenen Reformbemühungen dar. Das Aktiengesetz von 1965 löste das nach dem zweiten Weltkrieg fortgeltende Aktiengesetz von 1937 ab und stellte den Abschluß einer langjährigen Reformdiskussion dar, die, bedingt durch die politische und wirtschaftliche Neuordnung, bereits kurz nach Kriegsende einsetzte. Damals stellte sich die Fra1
BGBl. 1998 I S. 590-595. BGBl. 1998 IS. 786-794. 3 Durch das Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz)\ BGBl. 1994 I S. 1749 (1777). 4 Durch das Gesetz über die Einführung des Euro\ BGBl. 1998 I S. 1242 (1244). 2
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Α. Einleitung
ge, wieweit das Aktiengesetz als nationalsozialistisches oder zumindest während des Nationalsozialismus ergangenes Gesetz auf Dauer aufrecht erhalten werden konnte. Die Reform umfaßte die Schwerpunkte: Grundlagen der Aktiengesellschaft (z.B. Grundkapital, Nennbetrag der Aktie, Mehrstimmrechtsaktien, nennwertlose Aktie), innere Verfassung (z.B. Board-System, Feststellung des Jahresabschlusses, Weisungsrecht der Hauptversammlung, Berichtspflicht des Vorstandes, Besetzung des Aufsichtsrats, Depotstimmrecht, Minderheitenrechte), Publizität (z.B. Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Mitwirkung der Abschlußprüfer) und Konzernrecht (z.B. Vertragskonzern, faktischer Konzern). Anders als bei anderen Reformprojekten wie etwa für das GmbH- und das Genossenschaftsrecht wurde keine Sachverständigenkommission mit der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs betraut, sondern die Vorbereitung der Aktiengesetzentwürfe lag allein in der Zuständigkeit des Bundesjustizministeriums und hier in den Händen des Referates „Recht der Kapitalgesellschaften" in der Wirtschaftsabteilung mit seinem Referenten Ernst Geßler. Geßler war es auch, der von Anfang an um eine umfassende Neuregelung des gesamten Aktienrechts bemüht war und jede Forderung nach einer Teilreform zurückwies. Die Arbeiten führten über die Vorlage eines Referentenentwurfs 1958 zu einem Regierungsentwurf 1960, der in der dritten Legislaturperiode zwar noch in den Bundestag eingebracht, aber nicht mehr in den Ausschüssen beraten worden war. Erst nach Neueinbringung des Regierungsentwurfs in der vierten Legislaturperiode im Herbst 1961 nahm der Bundestag die umfangreichen und lang andauernden Beratungen in dem Rechtsausschuß unter Bildung eines Unterausschusses „Aktienrecht", dem Wirtschaftsausschuß und dem Ausschuß für Arbeit auf. Die Ausschußberatungen sind eng verbunden mit dem Namen des Abgeordneten Hans Wilhelmi, Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz von April 1960 bis November 1961, der als Vorsitzender des Unterausschusses „Aktienrecht" und als Vorsitzender des Rechtsausschusses ab Dezember 1964 maßgeblich für den Fortgang der Beratungen verantwortlich war. 1965 konnten die Arbeiten schließlich mit der Verabschiedung des Aktiengesetzes beendet werden. In der Begründung zum Regierungsentwurf 1960 wurde die Notwendigkeit von gesetzlichen Maßnahmen folgendermaßen beurteilt: „Während der zwanzigjährigen Geltung des Aktiengesetzes (sc. von 1937) haben sich keine so ernsten Mißstände gezeigt, daß zu ihrer Bekämpfung ein Eingreifen des Gesetzgebers zwingend erforderlich wäre." 5 Entsprechend dieser Einschätzung ordnete das Aktiengesetz von 1965 keineswegs das Aktienrecht vollständig neu, sondern behielt - trotz vieler Änderungen im Detail - in vielen Bereichen die Struktur und die Grundentscheidungen des Aktiengesetzes von 1937 bei. Dies galt insbesondere für den von Anfang an im Mittelpunkt der Reformdiskussion stehenden und sehr umstrittenen Bereich der inneren Verfassung der Aktiengesellschaft. Stärker 5
BT-Drucks. III/1915 S. 92 bzw. BT-Drucks. IV/171 S. 92.
Α. Einleitung umgestaltet bzw. neu geregelt wurden die Ausübung des Depotstimmrechtes, die Publizitätsvorschriften und das Konzernrecht. Die Bedeutung des Aktiengesetzes von 1965 als Organisationsgesetz für die am Kapitalmarkt auftretenden Gesellschaften mit zumeist größerer Wirtschaftskraft sowie die intensive Reformdiskussion der Nachkriegszeit und der frühen Bundesrepublik rechtfertigen eine breit angelegte Darstellung der Aktienrechtsreform, um die während der Reformzeit auf die Umgestaltung des Aktienrechts wirkenden Kräfte zu erfassen. Dies gilt umso mehr, als sich die Aktienrechtsreform in einem Spannungsfeld von sozialen (Sozialisierung, Eigentumsstreuung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf Unternehmensebene) und wirtschaftlichen (Kapitalbeschaffung, internationale Wettbewerbsfähigkeit) Interessen bewegte, wobei sich Ausgangspunkt und Kräfteverhältnis im Laufe der Reform von den seitens der Aktionärsvereinigungen erhobenen Forderungen nach mehr Einflußnahme der Aktionäre zugunsten der von den Spitzenverbänden der Wirtschaft vertretenen Unternehmensinteressen verschoben. Der Arbeit vorangestellt ist ein kurzer geschichtlicher Abriß über die Entstehung des Aktienrechts in Deutschland, der einen Überblick über den historischen Kontext der Reformarbeiten geben soll. Der erste Hauptteil der Arbeit befaßt sich dann mit der aktienrechtlichen Diskussion und der Entstehung des Aktiengesetzes in ihrem Verlauf. Herausgearbeitet werden die gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Grundlagen der Reformüberlegungen sowie die wichtigsten Themenbereiche der Reformvorschläge. Wegen ihrer Bedeutung galt es, die Beiträge der Interessenverbände und Gewerkschaften, der Wissenschaft, der Ministerialbürokratie sowie der politischen Parteien - insbesondere in den parlamentarischen Verhandlungen - darzustellen. Hierbei konnte aufgrund der Länge der Reformarbeiten, der zeitlichen Abfolge und des Ineinandergreifens von Verbandsveröffentlichungen, der Beteiligung des Bundesjustizministeriums an Verbandstätigkeiten und aufgrund der sich im Laufe der Reform verändernden Einflußnahme auf die Arbeiten auf eine gewisse Ausführlichkeit nicht verzichtet werden. In diesem Zusammenhang konnte auf die 1997 veröffentlichte Arbeit von HeinzUwe Dettling unter dem Titel Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts im Aktiengesetz von 1965 nur im beschränkten Umfang zurückgegriffen werden, da im Mittelpunkt dieser Monographie eine eingehende Auseinandersetzung mit der wirtschaftlichen Konzentration und der Konzeption des Konzernrechts im Aktiengesetz von 1965 steht, sie die allgemeine Entstehungsgeschichte des Aktiengesetzes von 1965 und die klassischen Gebiete des Aktienrechts jedoch nicht oder allenfalls nur im Überblick behandelt. Gleichwohl war angesichts der Materialfülle bereits im ersten Teil eine Beschränkung notwendig. Ausgangspunkt der Darstellung waren die Akten des Bundesjustizministeriums, ergänzt durch die Akten anderer Ministerien und des Bundeskanzleramtes. Berücksichtigt wurden auch die meisten Beiträge zur Aktienrechtsreform sowie die Stellungnahmen der
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Α. Einleitung
Verbände und Vereinigungen, soweit sie dem Bundesjustizministerium bekannt waren. Dagegen wurde darauf verzichtet, der Meinungsbildung in den Verbänden und bei den Landesregierungen im einzelnen nachzugehen, zumal ein Großteil der Verbandsmaterialien nicht mehr greifbar ist. Im zweiten materiellrechtlich orientierten Hauptteil der Arbeit wird der Diskussionsverlauf zu wichtigen Problembereichen des Aktienrechts nachgezeichnet. Das gilt einmal für die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung durch die Schaffung eines einheitlichen Unternehmensrechts bzw. eines Sonderrechts für Großunternehmen sowie die Berücksichtigung der Mitbestimmung im Aktiengesetz. Sodann werden die Kapitalgrundlagen der Aktiengesellschaft beginnend mit dem Nennbetrag des Grundkapitals und der Aktie, der Eigentumsstreuung durch Privatisierung von Bundesunternehmen bis hin zu den Mehrstimmrechtsaktien und der nennwertlosen Aktie behandelt. Der zweite Teil schließt mit Problemen der Unternehmensverfassung ab: dem Board-System, der Zuständigkeit für die Feststellung des Jahresabschlusses und die Geschäftsführungsbefugnis der Hauptversammlung. Mit diesen Themenbereichen werden viele der Hauptfragen der Aktienrechtsreform abgedeckt, soweit sie in der Öffentlichkeit und der juristischen und wirtschaftlichen Fachliteratur auf breites Interesse stießen. Nicht behandelt werden konnte der umfangreiche Themenbereich der Publizität mit seinen vielfältigen Fragen zur Rechnungslegung und Information der Aktionäre. Ausgeklammert werden konnte das mit dem Aktiengesetz von 1965 neu geschaffene Konzernrecht, das in der oben erwähnten Monographie von Dettling ausführlich beschrieben ist. Darüber hinaus hätten zur Abrundung der Entstehungsgeschichte des Aktiengesetzes weitere interessante Themen behandelt werden können: die Zusammensetzung der Aufsichtsratsausschüsse; das Berichtsverlangen von Aufsichtsratsminderheiten gegenüber dem Vorstand; die Anzahl der Aufsichtsratsposten, die eine Person höchstens inne haben kann; die Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Abschlußprüfer; die Vertretung von Minderheits- und Kleinaktionären im Aufsichtsrat, z.B. über das Verhältniswahlrecht oder die Bildung von Aktionärsausschüssen; das Auskunftsrecht der Aktionäre; die Wahrnehmung von Minderheitsrechten; die Ausgestaltung des Depotstimmrechts. Alle diese Themen würden eigene Abhandlungen, wenn nicht sogar Monographien erfordern. Obwohl zu diesen Fragen im einzelnen sehr aufschlußreiche Diskussionen geführt wurden, würden sie für die Entstehungsgeschichte des Aktienrechts keine völlig neuen Aspekte eröffnen, weshalb auf ihre detaillierte Darstellung verzichtet werden konnte - und aus Platzgründen mußte6. Die Arbeit versteht sich als ein Beitrag zur Rechtsgeschichte der Bundesrepublik im allgemeinen und zur Rechtsgeschichte des Aktienrechts im besonderen. Dabei konnten rechtsdogmatische Einzelheiten nur am Rande besprochen 6
Vorbehaltlich einer späteren Bearbeitung.
Α. Einleitung werden, da die aktienrechtliche Diskussion der frühen Bundesrepublik weniger an der dogmatischen Begründung, sondern primär an der aus wirtschaftlichen und politischen Gesichtspunkten heraus getragenen Grundentscheidung der hier behandelten Fragen interessiert war. Der Verfasser hofft, daß seine Arbeit zur Entstehung des Aktiengesetzes einen Beitrag zur Erschließung der historischen Grundlagen des Aktienrechts leistet. Die Bedeutung rechtshistorischer Untersuchungen für das geltende Aktienrecht hat Raisch 1966 folgendermaßen formuliert: „Die Vergegenwärtigung der geschichtlichen Entwicklung wäre nicht nur von historischem Interesse. Der dogmatische Sinn geltender Normen wird nämlich erst dann deutlich, wenn sie als geschichtlich gewachsene Erscheinung begriffen werden. Die Erhellung der Entstehungsgeschichte einer Rechtsnorm ist nicht nur für die Gewinnung verbindlicher Interpretationsmaßnahmen von Bedeutung, sondern auch für die Lösung der rechtshistorischen Aufgabe, die tragenden Prinzipien eines Normenzusammenhanges zu erkennen, Widersprüche aufzudecken, sie mit den Mitteln rechtswissenschaftlicher Auslegung abzugleichen oder den Gesetzgeber auf nur durch ihn überbrückbare Lücken oder Ungereimtheiten hinzuweisen."7
7
Raisch JZ 1966, 501 (502).
Β. Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung des Aktienrechts Die folgende Darstellung soll einen kurzen Einblick geben, an welchen historischen Ursprung die uns heute bekannte Aktiengesellschaft anknüpft und in welcher Weise im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung das Aktienrecht in Deutschland und dabei insbesondere die innere Verfassung dieser Gesellschaftsform geregelt wurde.
I. Oktroisystem der Handelskompagnien Die moderne Aktiengesellschaft hat ihren Ursprung in den Handelskompagnien, die sich am Anfang des 17. Jahrhunderts zunächst in Holland und dann auch in anderen Ländern bildeten1. Aufgrund der wirtschaftlichen Notwendigkeit der Kapitalsammlung und Haftungsbegrenzung bei der Erschließung neuer Handelsgebiete schlossen sich Kaufleute zu einheitlichen Geschäftsunternehmen zusammen. Durch gesetzgeberischen oder fürstlichen Verwaltungsakt wurden diesen Gesellschaften Korporationsrechte zugestanden und sie somit zu juristischen Personen erklärt 2 . Diese staatliche Anerkennung (constitutio personalis 3) erfolgte zumeist gleichzeitig in einer Urkunde, dem „octroi" 4 , mit der Verleihung von Privilegien, also staatlichen Hoheitsrechten 5, die erforderlich wurden, weil die Handelskompagnien mit der Ausweitung des Welthandels zugleich auch der Kolonisation dienten6. Durch die Notwendigkeit der Verleihung von Privilegien und 1 Vgl. die Untersuchungen von Lehmann Entwicklung S. 1-56; ders. Aktiengesellschaft I S. 191; Fick ZHR 5 (1862), 1-63; Renaud S. 1-42; O.v. Gierke S. 965-1029; Schmoller S. 959-1018; Primker S. 476-523; Cohn S. 5-41; Rehme ZRG-Germ 47 (1927), 487 (501-520); Bösselmann S. 4975; Wiethölter S. 53-76; Rabe VSWG 49 (1962), 320-368; Dippel DRiZ 1965, 315 (315f); Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz 13-29; Reichelt S. 25ff. 2 Schmoller S. 986; Lehmann Aktiengesellschaft I S. 61; ders. Entwicklung S. 82f. In England gab es in der Folgezeit eine Vielzahl von nicht inkorporierten Gesellschaften, bei denen die Gesellschafter unbeschränkt hafteten und die meist Schwindel unternehmen waren; vgl. Wiethölter S. 64f; Renaud S. 33f. 3 Lehmann Aktiengesellschaft I S. 61 ; Primker S. 487. 4 Lehmann Aktiengesellschaft I S. 61. Vgl. Lehmann Entwicklung S. 29: Eingangsworte zum Octroi der Niederländisch Ostindischen Kompagnie; ders. S. 89-105: Octroi der DänischOstindischen Compagnie. 5 Dippel DRiZ 1965, 315 (316); Lehmann Entwicklung S. 83; O.v. Gierke S. 994. So erhielt die Niederländisch-Ostindische Kompagnie das Handelsmonopol für Ostindien, das Recht, mit fremden Fürsten Verträge zu schließen, Festungen zu bauen, Truppen zu unterhalten und Gerichtsbarkeit auszuüben; vgl. Mestmäcker S. 16.
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Β. Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung des Aktienrechts
Korporationsrechten war zu dieser Zeit der staatliche Einfluß bei der Gründung der Kompagnien sehr groß und konnte sich deshalb auch auf Fragen der inneren Organisation erstrecken. Dies und die überschaubare Anzahl der Gesellschaften machte eine allgemeine Regelung des Aktienrechts in Form eines Gesetzes überflüssig. Anfangs war die innere Verfassung der Handelskompagnien7 der Autonomie der Beteiligten bei Abschluß des Societätsvertrages (Statuten) überlassen8 und richtete sich nach Sitten und Gewohnheiten der Geschäftsunternehmen, aus denen die Gesellschaften hervorgingen 9. Ausdruck staatlicher Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Gesellschaft ist die Übernahme von Verfassungsbestimmungen, die sich in der Praxis bewährt hatten, in das Oktroi 1 0 . Das Oktroi regelte auf diese Weise bereits Teile der inneren Verfassung und somit eigentlich aktienrechtliche Fragen im modernen Sinne 11 , wodurch es zunächst zu einer gewissen Vereinheitlichung kam 1 2 . Dabei spielte der Gedanke der Rechtsgleichheit jedes Anteils eine immer stärkere Rolle 1 3 , und mit der Übernahme weiterer Rechte durch die inzwischen entstandene Generalversammlung wurden die Rechte des Vorstandes eingeschränkt und die der Aktionäre gestärkt 14 . Es fand eine zunehmende „Demokratisierung" der Verfassung statt, die Eingang in das Oktroi der Kompagnien fand 15 . Grundlage der Geschäftstätigkeit der Handelskompagnien war somit das Oktroi, das die staatliche Anerkennung, die Verleihung von Privilegien und zumeist auch die Grundzüge der inneren Verfassung regelte, so daß man von dem „Oktroisystem" 16 spricht. Erst im 18. Jahrhundert fand eine zunehmend deutlichere Trennung der Privilegierung (das eigentliche Oktroi), der Verleihung der Korporationsrechte und der inneren Verfassungsgebung statt 17 . Mit der Auflösung dieser engen Verknüpfung nahm der staatliche Einfluß auf die innere Verfassung (Statuten) der Kompagnien ab und das Gesellschaftsstatut wurde immer mehr zur privatrechtlichen Organisationsentscheidung, ohne daß sich aber eine einheitliche Statutenpraxis herausbildete 18. Das Oktroi und das zunehmend selb6 Renaud S. 28; Schmoller S. 977f. u. 1005; Frey S. 3f; Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz 27: „die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln". 7 Zur inneren Struktur der Handelskompagnien vgl. Lehmann Aktiengesellschaft I S. 62f; Schmoller S. 986f; Wiethölter S. 59f; Reichelt S. 29ff. Für die spanischen Aktiengesellschaften des 18. Jahrhunderts vgl. Frey S. 45-103. 8 Lehmann Aktiengesellschaft I S. 62; Schmoller S. 1006; Bösselmann S.61. 9 Schmoller S. 986. 10 Schmoller S. 1006. 11 Bösselmann S.61; Lehmann Entwicklung S. 83ff. 12 Lehmann Aktiengesellschaft I S. 65; Schmoller S. 1006; Primker S. 488. 13 Schmoller S. 986. 14 Schmoller S. 997; Wiethölter S. 62f; Lehmann Entwicklung S. 57-66. 15 Schmoller S. 997f mit den Beispielen Englisch-Ostindische Kompagnie und Bank von England. 16 Lehmann Aktiengesellschaft I S. 61; Dippel DRiZ 1965, 315 (316). 17 Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz 23; Wiethölter S. 64; Lehmann Entwicklung S. 8387.
II. Code de Commerce und Preußisches Aktiengesetz von 1843
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ständigere Gesellschaftsstatut bildeten somit das „Aktienrecht" für die einzelnen Handelskompagnien19. Generell gesetzlich geregelt waren die formalen Voraussetzungen der neuen Gesellschaftsform in keinem Staat 20 . Gesetzgeberische Maßnahmen wurden nur ergriffen, um einzelnen unerwünschten Erscheinungsformen vorzubeugen 21.
II. Code de Commerce und Preußisches Aktiengesetz von 1843 Mit zunehmender Verbreitung dieser Gesellschaftsform auf andere Wirtschaftszweige nahm der staatliche Einfluß ab, und als Frankreich am Ende des 18. Jahrhunderts die Gewerbefreiheit einführte, wurde dort eine gesetzliche Regelung des Aktienrechts erforderlich, um Mißständen durch eine unkontrollierte Bildung einer Vielzahl von Gesellschaften entgegenzuwirken 1. Die Regelung erfolgte 1807 im Code de Commerce, in dessen Art. 19 die neue Gesellschaftsform unter dem Begriff „société anonyme" anerkannt und in einigen wenigen Bestimmungen geregelt wurde 2 , die sich an dem in der Praxis herausgebildeten Gesellschaftstyp orientierten 3. Aufgrund der Erfahrungen mit der freien Gründbarkeit von Aktiengesellschaften wurde in den Artt. 37,40 und 45 die Errichtung einer anonymen Gesellschaft von der Erteilung einer staatlichen Konzession abhängig gemacht. Die Einführung des Konzessionssystems sollte in erster Linie Mißständen durch eine unkontrollierte Bildung einer Vielzahl von Gesellschaften vorbeugen, gestattete dem Staat aber gleichzeitig, auf die der Privatautonomie überlassene Statutenbildung einzuwirken und auf diese Weise allgemeine Grundsätze - vorgegeben in Ministerialinstruktionen - in die innere Verfassung der Aktiengesellschaften einfließen zu lassen4. Der Code de Commerce war für die weitere Entwicklung des Aktienrechts von großer Bedeutung, da sich viele Länder bei dem Erlaß aktienrechtlicher Bestimmungen an seinem Vorbild orientierten 5. Durch seine Fortgeltung nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft 1815 in den an Preußen gefalle18
Wiethölter S. 64; Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz 23. Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz 23. 2 0 Schmoller S. 1003; Lehmann Aktiengesellschaft I S. 65f. 21 Vgl. Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz 28. 1 Lehmann Aktiengesellschaft I S. 66f; Primker S. 501; Reichelt S. 35f. 2 Vgl. dazu den Abdruck der deutschen Übersetzung in Anhang 1. 3 Bösseimann S. 62. 4 Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz 33; Primker S. 501. 5 Lehmann Aktiengesellschaft I S. 72ff. Vgl. Frey S. 221-224 für den Einfluß auf den spanischen Código de Commercio ν. 1829. 19
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Β. Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung des Aktienrechts
nen Rheinprovinzen und in Rheinhessen, der bayrischen Rheinpfalz und Baden6 beeinflußte er auch die preußische Rechtspraxis und Gesetzgebung7. Im Bereich des Aktienrechts galt dies insbesondere für die Übernahme des Konzessionssystems. Noch in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hielt Preußen zunächst am Oktroisystem fest, da die neu gegründeten Gesellschaften zugleich mit Privilegien ausgestattet wurden 8. Inzwischen wurden aber auch Gesellschaften gegründet, die keine Privilegien beantragten und für die deshalb kein Oktroi als Verleihungsurkunde der Privilegien, verbunden mit der Anerkennung der Gesellschaft als Korporation, erforderlich wurde. Zunächst herrschte Unsicherheit darüber, ob deren Statuten einer ministeriellen Autorisation und Genehmigung bedurften und erst in den 20er Jahren legte sich die Regierung auf eine Konzessionspflicht fest, ohne daß diese gesetzlich fixiert war 9 . Allerdings machte man in ganz Preußen, d.h. auch in den Rheinprovinzen, unter Rückgriff auf § 25 I I 6 A L R 1 0 die Konzessionserteilung und damit die Verleihung von Korporationsrechten davon abhängig, daß die Gesellschaft einen fortdauernden gemeinnützigen Zweck verfolgte 11 . Dies wie auch ein äußerst schleppendes Genehmigungsverfahren und Probleme bei der Kapitalbeschaffung erschwerten die Neugründung von Aktiengesellschaften erheblich 12 . Es führte dazu, daß einigen Gesellschaften die Bestätigung und damit die Korporationsrechte ganz versagt und anderen Gesellschaften nur teilweise Korporationsrechte zugestanden wurden 13 . Erste Gedanken über eine Aktiengesetzgebung machte man sich im Verlauf der 1817 angeordneten Allgemeinen Preußischen Gesetz-Revision seit 1826 im Rahmen der Revision des Handelsrechts, kam aber über zunächst nur zu einer Sammlung von Materialien und Gutachten14. Bevor eine einheitliche Gesamtregelung des Aktienrechts normiert wurde, machte die wirtschaftliche Entwicklung im Bereich des Eisenbahnwesens eine Teilregelung erforderlich. Der im Verkehrsbereich aufkommende Eisenbahnbau war aufgrund des hohen Kapitalbedarfs nur im Wege einer Aktienfinanzierung möglich, weshalb neu gegründete Eisenbahngesellschaften Anträge auf Erteilung einer Konzession stellten 15 . 1836
6 Baums Einführung Entwurf ADHGB 1848/49 S. 25f; Rauch ZRG-Germ 69 (1852), 239 (270). Vgl. Übersichtskarte bei Conrad S. 99 u. S. 107f zur Geltung des französischen Rechts. 7 Conrads. 89. 8 Bösselmann S. 67 mit Fn 3; O.v. Gierke S. 1003. 9 Bösselmann S.68f; Martin VSWG 56 (1969), 499 (515f). 10 „Die Rechte der Corporationen und Gemeinen kommen nur solchen vom Staate genehmigten Gesellschaften zu, die sich zu einem fortdauernden gemeinnützigen Zwecke gebunden haben." 11 Schumacher S. 8; Rauch ZRG-Germ 69 (1952), 239 (273-278); Martin VSWG 56 (1969), 499 (514, 527-537). Vgl. das Schreiben von Minister Schuckmann an den König von 1831, abgedruckt bei: Baums Einführung Preuß. AktG 1843 S. 27f. Anders aber in den Hansestädten Hamburg und Bremen, die nur eine Hinterlegung der Statuten verlangten; vgl. O.v. Gierke S. 1003 mit Fn 94. 12 Bösselmann S. 64 u. 66. 13 Schumacher S. 29-32; Rauch ZRG-Germ 69 (1952), 239 (278). 14 Schumacher S. 46; Rauch ZRG-Germ 69 (1952), 239 (280 mit Fn 113).
II. Code de Commerce und Preußisches Aktiengesetz von 1843
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wurden die Grundbedingungen der Erlaubnis zu öffentlichen Eisenbahnen durch Privatunternehmungen erlassen, die sowohl Betriebsfragen als auch aktienrechtliche Gesichtspunkte wie z.B. die Konzessionspraxis regelte 16 . Daraufbaute das 1838 ergangene Gesetz über die Eisenbahnunternehmungen 17 auf, das sich in seinen aktienrechtlichen Bestimmungen am Code de Commerce orientierte 18 . Eine einheitliche Gesamtregelung des Aktienrechts wurde erst 1843 in dem Gesetz über die Aktiengesellschaften für die Königlich preußischen Staaten normiert 19 . Ausgangspunkt war die Allerhöchste Cabinetts-Odre vom 13.7.1837, in der bestimmt wurde, daß bald der Entwurf einer Verordnung über die Aktiengesellschaften vorzulegen sei 20 . Das Gesetz umfaßte dreißig Paragraphen und machte in § 1 die Errichtung einer Aktiengesellschaft von der „landesherrlichen Genehmigung" abhängig. Die herrschende Konzessionspraxis wurde damit für alle Aktiengesellschaften auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Um die Neubildung von Aktiengesellschaften einzuschränken 21, wurde 1845 die Instruktion erlassen, daß „der Antrag auf Genehmigung der Errichtung einer Aktiengesellschaft ... überhaupt nur dann zur Berücksichtigung geeignet [ist], wenn der Zweck des Unternehmens 1. an sich aus allgemeinen Gesichtspunkten nützlich und der Beförderung werth erscheint und 2. wegen der Höhe des erforderlichen Kapitals oder nach der Natur des Unternehmens selbst das Zusammenwirken einer größeren Anzahl von Teilnehmern bedingt, oder doch auf diesem Wege eher und sicherer als durch Unternehmungen einzelner zu erreichen ist" 2 2 . Die Regelung der inneren Organisation wurde vom Preußischen Aktiengesetz von 1843 weitgehend den privatrechtlichen Statuten überlassen 23. Gesetzlich vorgeschrieben war nur die Bildung eines geschäftsführenden Vorstandes mit einigen Aufgaben in den §§ 19-25 und die Einberufung einer Mitgliederversammlung in § 2 Ziff. 6-8, ohne daß ihr bestimmte Kompetenzen eingeräumt wurden. Dies führte zu den unterschiedlichsten Erscheinungsformen der Aktiengesellschaft (zwei-
15
Bösselmann S. 69; Schubert ZRG-Germ 116 (1999), 152 (153). Nach Bösselmann stammte der erste Konzessionsantrag von 1831, die erste Konzessionserteilung erfolgte aber erst 1837. 16 Bösselmann S. 69. 17 Gesetzsammlung 1838 S. 505-516. Zur Entstehung Schubert ZRG-Germ 116 (1999), 152-203. 18 Bösselmann S. 70. 19 Text und Materialien bei: Baums Preuß. AktG 1843. Zu den Materialien vgl. auch Schubert Preussische Gesetzrevision Abt. II 3 S. X X X I I . Zur Entstehungsgeschichte: Baums Einführung Preuß. AktG 1843 S. 26ff; Schumacher S. 45-51; Martin VSWG 56 (1969), 499-542. 2 0 Sie erging auf die Beschwerde einer Zuckersiedereigesellschaft auf Aktien in Stettin, der man nur teilweise Korporationsrechte gewährt hatte; vgl. Baums Einführung Preuß. AktG 1843 S. 29. 21 Rauch ZRG-Germ 69 (1952), 239 (284ff); Martens S. 9. 22 „Instruktion, die Grundsätze in Ansehung der Konzessionirung von Aktiengesellschaften betreffend" vom 22.4.1845, Ministerial-Blatt fUr die gesamte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten 1845, S. 121; abgedruckt in: Passow S. 63f. 2 3 Reichelt S. 37f. Zur staatlichen Einflußnahme durch Zirkularverfügungen Landwehr ZGRGerm 99 (1982), 1 (22-25). 3 Bahren fuss
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Β. Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung des Aktienrechts
oder dreigliedriges Organisationsmodell 24) ohne Orientierung an einer gemeinsamen Statutenpraxis 25.
III. Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 Im weiteren Verlauf war die Entwicklung des Aktienrechts in Deutschland geprägt durch das Bestreben, eine gemeinsame Regelung für ganz Deutschland zu schaffen. Die im Zuge der bürgerlichen Revolution 1848 in der Frankfurter Paulskirche gebildete Nationalversammlung bemühte sich auch um eine Vereinheitlichung des Privatrechts. Ein erster Entwurf für ein gemeinsames Handelsrecht, der auch Bestimmungen zur Aktiengesellschaft enthielt, wurde von einer vom Reichsjustizminister eingesetzten Kommission im April 1849 vorgelegt, aufgrund des Zerfalls der Nationalversammlung wurden die Arbeiten am Handelsgesetzbuch aber eingestellt1. Das Ziel einer Rechts vereinheitlichung auf dem Gebiet des Handelsrechts wurde nun im Deutschen Bund weiterverfolgt, dessen Bundesversammlung nach mehreren erfolglosen Anregungen auf Antrag Bayerns 1856 eine Kommission zur Entwerfung eines Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB) einsetzte2. Wesentliche Grundlage der Beratungen der Kommission, die ihre Tätigkeit 1857 in Nürnberg (sog. Nürnberger Konferenz) aufnahm, bildeten der Kommissionsentwurf von 1849, ein österreichischer Entwurf 3 und ein von Preußen 1857 fertiggestellter Entwurf eines Handelsgesetzbuches für die Preußischen Staaten4. 1861 hatte die Nürnberger Kommission ihre Arbeiten beendet und legte der Bundesversammlung das ADHGB vor 5 . Da dem Deutschen Bund auf dem Gebiet des Handelsrecht keine Gesetzgebungsbefugnis zukam, wurde das ADHGB auf „Einladung" der Bundesversammlung im Wege der einzelstaatlichen Gesetzgebung in Kraft gesetzt6. 24 Neben der „Direktion" (Geschäftsführer, Betriebsleiter, Vorsteher) und der Mitgliederversammlung bestand meist ein von Großaktionären oder Gründern zur Sicherung ihres Einflusses bestellter Verwaltungsrat (Ausschuß), dessen weitreichende Rechte regelmäßig unmittelbar auf den Statuten beruhten; vgl. Mestmäcker S. 83f. 25 Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz 65. Vgl. die Untersuchung der Statuten von 124 preußischen Aktiengesellschaften von Landwehr ZGR-Germ 99 ( 1982), 1 (24-85). 1 Baums Einführung ADHGB 1848/49 S.29-41. Abdruck des Entwurfs mit Motiven in: Baums Entwurf ADHGB 1848/49 S. 59ff. 2 Baums Einführung ADHGB 1848/49 S. 41 f. 3 Entwurf eines österreichischen Handelsrechts. Ministerieller Entwurf und Revidierter Entwurf abgedruckt in: Schubert Commissionsprotokolle ADHGB 1861, (1) Nr. 1 u. 2. 4 Abdruck des Entwurfs in: Schubert Commissionsprotokolle ADHGB 1861, (1) Nr.3. Es handelt sich um die von einer Sachverständigenkonferenz revidierte Fassung des Entwurfs von 1856. Abdruck des Entwurfs v. 1856 samt Protokollen der Sachverständigenkonferenz in: Schubert Entwurf HGB Preußen 1856. 5 Baums Einführung ADHGB 1848/49 S.42. 6 Baums Einführung ADHGB 1848/49 S.14f; Goldschmidt S. 126ff mit Abdruck des Beschlusses der Bundesversammlung.
III. Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861
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Das ADHGB von 1861 regelte die Aktiengesellschaft in den Artt. 207-249 7 . Bei den Kommissionsverhandlungen wurde das Aktienrecht insgesamt nur in geringem Maße erörtert. Dabei stand das Konzessionssystem im Mittelpunkt der Diskussion und war während der Beratungen sehr umstritten 8. Insbesondere die Vertreter Hamburgs, die das dort praktizierte Publizitätssystem durch gerichtliche Hinterlegung der Statuten9 vorzogen, sahen es als wirkungslos zur Verhinderung von Mißbräuchen an 1 0 . Als Kompromiß einigte man sich darauf, daß die Errichtung der Aktiengesellschaft grundsätzlich weiterhin genehmigungspflichtig (Art. 208) blieb, die Landesgesetzgeber aber davon abweichende Regelungen treffen durften (Art. 249) 11 . Fragen der inneren Organisation wurden nur nachrangig behandelt12. Dies hatte seinen Grund darin, daß man durch das grundsätzliche Festhalten an der Konzessionspflicht für die Aktiengesellschaft den mit der Konzessionsfreiheit verbundenen Gefahren nicht durch eine Regelung der inneren Organisation entgegenwirken mußte 13 . Deshalb hielt man eine umfassende Normierung der Verfassung nicht für erforderlich, sondern nahm nur solche Bestimmungen auf, die den gerade in Erscheinung tretenden Mißständen abhelfen sollten 14 . Auch die Abkehr von der zweigliedrigen Verfassung hin zum dreigliedrigen Organisationsaufbau durch die Einführung des fakultativen Aufsichtsrats (Art. 225) 15 neben Vorstand (Artt. 209 Ziff.7 u. 227ff) und Generalversammlung (Artt. 209 Ziff. 8-10 und 224) beruhte nicht auf der Absicht, die innere Organisation der Aktiengesellschaft systematisch auszubauen16. Der Aufsichtsrat ist nach Passow vielmehr „nur durch eine Flüchtigkeit, eine Unüberlegtheit der Redaktionskommission der Nürnberger Konferenz in das Gesetzbuch hineingekommen" 17 und verdanke seine Entstehung „einer Kette von irrtümlichen Auffassungen" 18 Demgegenüber geht Schumacher davon aus, daß sich der Aufsichtsrat „ganz natürlich auf Grund der damaligen Auffassung von Handelsgesellschaften entwickelt hat, und daß man mit den Vorschriften über den Aufsichtsrat ganz bestimmte, wohlüberlegte Zwecke verfolgte" 19 . Der von der Kommission beabsichtigte Charakter dieses Organs bleibt unklar. Schumacher sieht in ihm ein rei7
Abdruck des ADHGB in: Baums ADHGB 1861 S. 41-51. Wiethölter S. 272. 9 O.v. Gierke S. 1003 mit Fn 94. 10 Wiethölter S. 275; Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz 73. 11 Davon machten die drei Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck sowie Oldenburg, Baden, Württemberg und später auch Anhalt und Sachsen Gebrauch; vgl. Hahn Vorbemerkung II Titel, Novelle v. 1870 S. 533; Passow S. 67. 12 Wiethölter S. 272; Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz 72. 13 Schumacher S. 67. 14 Schumacher S. 68. 15 Zur Entstehung vgl. Passow ZHR 64 (1909), 27-57; ders. S. 392-400; Schumacher S. 69-76; Wiethölter S. 270-285; Landwehr ZGR-Germ 99 (1982), 1 (12-16); Reichelt S. 39-45. 16 Schumacher S. 69. 17 Passow ZHR 64 (1909), 27 (28). 18 Passow ZHR 64 (1909), 27 (42). 19 Schumacher S. 76. 8
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Β. Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung des Aktienrechts
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nes Kontrollorgan der Aktionäre zur Ausübung ihrer Aufsichtsrechte 20, während er für Mestmäcker die in der Praxis bereits bestehenden Verwaltungsräte in nunmehr legalisierter Form fortführt 21 . Wiethölter hingegen hält den Aufsichtsrat unter Hinweis auf § 231, der weiterhin einen Verwaltungsrat vorsieht, für ein neues vom bisherigen Verwaltungsrat zu unterscheidendes Organ, das sich als Fremdkörper darstellte und unter dessen Namen in der Praxis der bereits bewährte Verwaltungsrat fortgesetzt wurde 22 . Mit dem ADHGB v. 1861 galt erstmals in ganz Deutschland ein einheitliches Aktienrecht. Es übernahm das Konzessionssystem des Preußischen Aktiengesetzes von 1843 und beschränkte sich hinsichtlich der inneren Organisation der Aktiengesellschaft auf einzelne Bestimmungen, ohne aber eine systematische Regelung vorzunehmen.
IV. Reformen des Aktienrechts im 19. Jahrhundert 1. Aktienrechtsnovelle von 1870 - Schon bald nach Einführung des ADHGB wurde im Zuge einer Vereinheitlichung der Gesetzgebung der Einzelstaaten durch den Norddeutschen Bund insbesondere auf den ökonomisch relevanten Gebieten 1870 auch das Aktienrecht novelliert 1 . Das Konzessionssystem wurde ganz abgeschafft und statt dessen das Normativsystem eingeführt 2, das die Gründung der Gesellschaft von gesetzlich festgelegten Mindestvoraussetzungen 3 abhängig machte. Mit der Aufhebung der Genehmigungspflicht, die eine Schädigung von Aktionären und Gläubigern nicht hatte verhindern können, wurde auch eine Neuordnung der inneren Organisation notwendig. Als Ersatz für die entfallene Staatsaufsicht wurde der Aufsichtsrat obligatorisches Organ der Aktiengesellschaft (Art. 209 Ziff 6) und sollte dadurch größere Bedeutung erlangen, daß er die Interessen der Aktionäre als Kontrollorgan wahrzunehmen hatte4. Ihm wurden Überwachungsaufgaben zugewiesen (Art. 225a), die durch eine Schadensersatzpflicht (Art. 225b) und Strafbestimmungen (Art. 249) ergänzt wurden. Zugleich wurden auch die Aufgaben der Generalversammlung im Gründungsverfahren er2 0 Schumacher S.73, 75f. Dies führt aber zu einer doppelten Repräsentation der Aktionäre; vgl. Wiethölter S. 282. 21 Mestmäcker S. 85f. Dagegen kann aber die Verlagerung von Verwaltungskompetenzen auf den Vorstand sprechen (Vorstandsverfassung); vgl. Wiethölter S. 283f. 22 Wiethölter S. 285. 1 Abdruck der aktienrechtlichen Bestimmungen des ADHGB i.d.F.v. 11.6.1870 mit Hervorhebung der Änderungen zum ADHG v. 1861 in: Schubert/Hommelhoff Modernes Aktienrecht S. 107-
126. 2
Dazu Schubert ZGR 1981, 285-317. Z.B. die Einführung von Mindestnennbeträgen in Art. 207a, keine Ausgabe von Aktien vor Handelsregistereintragung in Art. 211; vgl. im Einzelnen Schubert ZGR 1981, 285 (302ff). 4 Vgl. dazu Mestmäcker S. 85; Reichelt S. 45ff. 3
IV. Reformen des Aktienrechts im 19. Jahrhundert
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weitert (Feststellung der Grundkapitalszeichnung und -einzahlung in Artt. 209a, 209b). Durch diese Änderungen sollte die nach Fortfall der staatlichen Genehmigung allein den Aktionären obliegende Gesellschaftsaufsicht institutionalisiert und der Aktienschwindel auf organisatorischen Wege unterbunden werden 5. In der Praxis wurden diese Erwartungen nicht erfüllt. Man behielt die alte Aufgabenverteilung zugunsten des Verwaltungsrats bei, indem entweder zusätzlich ein Aufsichtsrat eingeführt, der Verwaltungsrat in den Vorstand integriert oder in den meisten Fällen der Verwaltungsrat zum Aufsichtsrat wurde 6 . Zudem blieb der Aufsichtsrat mangels gesetzlicher Vorgaben Interessenvertretung der Gründer oder einflußreicher Großaktionäre 7. Auf diese Weise konnte er sich nicht zum selbständigen Kontrollorgan gegenüber der Verwaltung entwickeln. 2. Aktienrechtsnovelle von 1884 - In den Jahren 1871-1873 wurden aufgrund des Wegfalls der Genehmigungspflicht und der durch die nach Ende des DeutschFranzösischen Krieges von 1870/71 aus Frankreich nach Deutschland fließenden Kriegskontributionen angefachten Konjunktur eine Vielzahl von Aktiengesellschaften neugegründet 8. Darunter waren auch zahlreiche, deren einziger Zweck darin bestand, ihren Gründern einen möglichst hohen Gewinn zu verschaffen 9. Dies führte unvermeidlich zu einer Krise, in deren Verlauf ein Großteil der Aktiengesellschaften in Konkurs ging oder im Wege der Liquidation verschwand 10. Schon bald nach der Novelle von 1870 wurden deshalb 1873 erste Reform Vorschläge gemacht und Reformarbeiten eingeleitet, die aber erst 1884 mit einer zweiten Novelle des Aktienrechts 11 abgeschlossen wurden 12 . Die Novelle gestaltete das Aktienrecht differenzierter und komplexer aus und bestimmte dessen weitere Entwicklung maßgeblich mit, zum Teil mit Einfluß bis in das geltende Recht 13 . Um den in der Praxis aufgetretenen Mißständen abzuhelfen, wurde in Fortentwicklung der mit der Aktienrechtsnovelle von 1870 eingeschlagenen 5
Wiethölter S.286f. Passow S. 404; Renaud S. 630ff; Hommelhoff Eigenkontrolle S. 91. Nachweise über Satzungen bei Passow S. 355ff. 7 Schubert ZGR 1981, 285 (303). 8 Planitz S. 4; Cohn S. 47; Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz 83. Nach Planitz, Fn 6 auf S. 21, wurden in Preußen vor 1871 nur 459 Aktiengesellschaften errichtet, allein zwischen 1871 und 1873 in Deutschland aber 925 mit 2781 Mill. Kapital neu gegründet. Von 5060 Aktiengesellschaften, die 1906 in Deutschland bestanden, stammten nur 526 aus der Zeit bis 1870. 9 Zum Gründungsschwindel: Hommelhoff Eigenkontrolle S. 64f; ROHG-Gutachten in: Schubert/Hommelhoff Modernes Aktienrecht S. 160ff; Reich Entwicklung S. 268f. 10 Hommelhoff Eigenkontrolle S. 55; Allgemeine Begründung zum Entwurf eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG v. 7. März 1884 in: Schubert/Hommelhoff Modernes Aktienrecht S. 408ff. 11 Abdruck des Gesetzes, betreffend die KGaA und die AG v. 18.7.1884 in: Schubert/Hommelhoff Modernes Aktienrecht S. 560-607. 12 Zum Verlauf der Reformarbeiten vgl. Schubert Aktiengesetz v. 1884 S. 2-50. 13 Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz. 104. 6
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Β. Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung des Aktienrechts
Richtung das System der Normativbestimmungen, insbesondere in den Bereichen des Gründungsrechts, der inneren Verfassung und der Individual- und Minderheitenrechte, ausgebaut. In den Artt. 209-213f 14 wurde das Gründungsverfahren stark formalisiert und zugleich die für die Kontrolle des Gründungsvorganges notwendige Transparenz durch eine Erhöhung der Publizität verstärkt, was dazu beitragen sollte, die Kapitalaufbringung sicherzustellen. Außerdem wurde die Vorgesellschaft durch die Schaffung eines Gründungsvorstandes und -aufsichtsrats vor Eintragung in das Handelsregister verselbständigt. Für die Erfüllung ihrer Pflichten wurden die am Gründungsvorgang Beteiligten durch Haftungsregeln (Artt. 213a-f) und Strafbestimmungen (Artt. 249a Ziff. 1 u. 2, 249d Ziff. 1 ) besonders verantwortlich gemacht. Im Bereich der inneren Verfassung der Aktiengesellschaft 15 sollten durch eine klarere Abgrenzung der Aufgaben und Kompetenzen der Organe die organisatorischen Voraussetzungen für eine gesellschaftsinterne Vorbeugung gegen und Bereinigung von Mißständen geschaffen werden. Dazu wurden zum einen die Rechte der Generalversammlung verstärkt, indem man ihr als zwingende und unentziehbare Aufgaben die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder (Art. 224 i.V.m. Art. 191) und die Änderung des Gesellschaftsvertrages (Art. 215) sowie des Grundkapitals ( Art. 215a) zuwies. Davon versprach sich der Gesetzgeber auch „eine größere und lebendigere Theilnahme" der Aktionäre an der Generalversammlung 16 . Zum anderen wurde die Funktion des Aufsichtsrats als Kontrollorgan deutlicher betont, indem die Organe Vorstand und Aufsichtsrat durch das Verbot der gleichzeitigen Zugehörigkeit zu beiden Organen (Art. 225a) stärker voneinander getrennt und die Überwachungspflichten des Aufsichtsrats (Art. 225) sowie die Ersatzpflichten bei Pflichtverstößen (Art. 226) verschärft wurden. Allerdings durften dem Aufsichtsrat durch den Gesellschaftsvertrag auch weiterhin Verwaltungsaufgaben zugewiesen werden (Art. 225 Abs.3), so daß in der Praxis der Aufsichtsrat aufgrund des Statuts die Stellung des früheren Verwaltungsrates einnehmen konnte, was aber dem angestrebten Ziel einer strikteren Trennung der Organfunktionen widersprach. Die bereits bestehenden Individual- und Minderheitenrechte 17 wurden verbessert und durch die Einführung neuer Rechte 18 erweitert, um das Gewicht der 14
Zum Folgenden Hommelhoff Eigenkontrolle S. 65-85. Zum Folgenden Hommelhoff Eigenkontrolle S. 85-96. 16 Allgemeine Begründung zum Entwurf eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG v. 7. März 1884 in: Schubert/Hommelhoff Modernes Aktienrecht S. 464. 17 Zum Folgenden Hommelhoff Eigenkontrolle S. 96-102. 18 Dazu gehören: Anfechtung von Beschlüssen der Generalversammlung durch den einzelnen Aktionär (Art. 222); Erzwingung der Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen Gründer oder Organe durch eine 20 % Minderheit (Art. 223); gerichtliche Einsetzung von Revisoren auf Betreiben einer 10 15
V. Projekte in der Weimarer Zeit
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Aktionäre zu stärken. Dies geschah aber nur in geringem Umfang, und ihre Ausübung wurde zum Teil nur sehr großen Aktionärsminderheiten zugestanden, um die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft nicht durch die Einräumung von Einzeloder Minderheitenbefugnissen zu gefährden. Handesgesetzbuch von 1897 - Die schon länger geforderte Revision des ADHGB wurde erst im Zusammenhang mit der Verabschiedung des BGB 1896, die auch die Neuordnung des Handelsrechts erforderlich machte, durch die Erstellung des Handelsgesetzbuches (HGB) von 1897 19 vorgenommen 20. Auch wenn das Aktienrecht neben redaktionellen 21 auch eine Vielzahl von teils erheblichen materiellen Änderungen erfuhr, wurde es gegenüber der Novelle von 1884 nicht grundlegend geändert 22.Um den in der Praxis noch vorhandenen Mißständen 23 abzuhelfen, wurden die gegen Mißbräuche bereits bestehenden Schutzvorschriften durch die Erweiterung der Befugnisse des Einzelaktionärs und der Minderheitsrechte und die Einführung einer Reihe von allgemeinen und besonderen Schutzbestimmungen verstärkt 24 . Diese Änderungen betrafen dabei vor allem „die Gründung und Nachgründung; die Berufung, Abhaltung und Beschlußfassung der Generalversammlungen; das Recht der Teilnahme und Abstimmung an und in den letzteren; die Erhöhung und Herabsetzung des Grundkapitals; die Auflösung der Gesellschaft und die civil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit der bei der Gründung und Verwaltung der Gesellschaft, bei den Abstimmungen und bei der Aktienbegebung beteiligten Personen" 25.
V. Projekte in der Weimarer Zeit Mißstände in der Praxis - Die mit der Aktienrechtsnovelle von 1884 angestrebten Ziele im Bereich der inneren Organisation der Aktiengesellschaft wurden in der Praxis nicht erreicht. Die Verstärkung der Kompetenzen der Generalversammlung bewirkte keine intensivere Teilnahme der Aktionäre am Gesell% Minderheit (Art. 224); Einberufung einer Generalversammlung oder Ergänzung der Tagesordnung durch eine 5 % Minderheit (Art. 237). 19 Abdruck samt EG z. HGB in: Schubert/Schmiedel/Krampe Quellen HGB 1897 Bd IS. 717-851. Aktienrechtliche Bestimmungen S. 751-795. 2 0 Zur Entstehungsgeschichte Schubert HGB 1897 S. 1-30. 21 Die Bestimmungen zur AG fanden sich jetzt in den §§ 178-319. 22 Schubert Zweites Buch HGB 1897 S. 67; Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz. 119; a.A. Riesser S. 8, der insgesamt 145 materielle Änderungen zählte. 2 3 Begründung zum Entwurf eines Handelsgesetzbuches für das Deutsche Reich von 1895 in: Schubert/Schmiedel/Krampe Quellen HGB 1897 Bd II, 1. S. 106. 24 Riesser S.l 1; zu den Änderungen im Einzelnen ders. S. 12-88. Zu den Änderungen betreffend den Aufsichtsrat Reichelt S. 52-56. 25 Riesser S. 11.
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Β. Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung des Aktienrechts
schaftsieben 1. Der Grund dafür dürfte in der tatsächlichen Einflußlosigkeit des einzelnen Kleinaktionärs auf die Geschäftsleitung zu suchen sein. Einfluß hatte dieser nur auf seine Investionsentscheidung am Kapitalmarkt, eine Rolle, mit der er sich bei nachhaltigen Dividendenerträgen gerne zufrieden gab2. Auch das Bestreben, den Schwerpunkt der Tätigkeit des Aufsichtsrats auf die Funktion als Kontrollorgan zu legen, setzte sich in der Praxis nicht durch 3 . Viele Statuten machten von der gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch, dem Aufsichtsrat Verwaltungsaufgaben zu übertragen, so daß er im wesentlichen zum Verwaltungsorgan mit Leitungs- und Beratungsfunktionen wurde. Die eigentliche Überwachungsfunktion erfüllte der Aufsichtsrat nicht in ausreichendem Maße, was neben anderen Gründen insbesondere auf der zu umfassenden Revisionsaufgabe beruhte, die ihm das Gesetz in § 246 HGB v. 18974 zuwies. Dies löste zur Jahrhundertwende eine Debatte um die Funktion des Aufsichtsrats aus5, die aber nicht zu gesetzlichen Änderungen führte. Ein anderes in der Praxis auftretendes Problem, das von dem geltenden Aktienrecht nicht zufriedenstellend erfaßt wurde, den Gesetzgeber aber nicht veranlaßte, tätig zu werden, war die Bildung von Konzernen und Kartellen 6 . Dieser Konzentrationsprozeß wurde zunächst durch die Kriegswirtschaft des ersten Weltkrieges 7 und dann nach Kriegsende durch den Strukturwandel der Wirtschaft 8 verstärkt. Die verschiedenen kurz aufeinanderfolgenden Wirtschaftsphasen (Inflation: 1918-1923; Stabilisierung, Rationalisierung und Zufluß ausländischen Kapitals: 1924-1929; Wirtschaftskrise: 1929-1932) führten zu unterschiedlichen Entwicklungen im Aktienwesen (Mehrstimmrechtsaktien, Vorratsaktien, Depotstimmrecht der Banken)9. Gesetzliche Maßnahmen wurden aber nur vereinzelt ergriffen. So wurde durch das BetriebsräteG von 1920 (RGBl. 1920 I 1437), wonach der Betriebsrat zwei Mitglieder des Aufsichtsrats stellte, die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Gesellschaftsleitung eingeführt 10 . Reformdebatte in den zwanziger Jahren 11 - Mitte der zwanziger Jahre setzte wieder eine Reformdebatte um das Aktienrecht ein, deren Ziel in einer Anpas1
Riesser S. 7. Horn S. 164. Zu den verschiedenen Gründen der geringen Bedeutung der Generalversammlung vgl. Passow S. 479ff insbesondere S. 486-489. 3 Dazu Passow S. 433-447 mit Beispielen von Statuten. 4 „Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung der Gesellschaft in allen Zweigen der Verwaltung zu überwachen und sich zu dem Zweck von dem Gange der Angelegenheiten der Gesellschaft zu unterrichten." 5 Sog. Aufsichtsratsfrage; vgl. Wiethölter S. 288f m.w.N. in Fn 58; Reichelt S. 57fT. 6 Vgl. dazu Grossfeld S. 149ff; Reich Konzentration S. 255-273. 7 Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz 125ff. 8 Nörr ZHR 150(1986), 155 (156). 9 Nörr ZHR 150 (1986), S. 155 (160ff). 10 Nörr ZHR 150 (1986), 155 (162); Reichelt S. 82. 11 Zum Folgenden Schubert Reichswirtschaftsrat S. 27ff; ders. ZRG-Germ 103 (1986), 140 (MOMS). 2
V. Projekte in der Weimarer Zeit
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sung der gesetzlichen Bestimmungen des Aktienrechts an die tatsächlichen Ausprägungen des Aktienwesens lag 1 2 , wobei die Notwendigkeit einer Reform sehr umstritten war 1 3 . Der 33. DJT in Heidelberg 1924 und der 34. DJT in Köln 1926 beschäftigten sich mit der Anpassung des deutschen Aktienrechts an das angloamerikanische Rechtssystem, sprachen sich aber gegen die Übernahme von Regelungsvorbildern aus. Der Kölner Juristentag setzte zusätzlich eine Kommission ein, die die Reformbedürftigkeit des deutschen Aktienrechts untersuchen sollte. Diese Kommission lehnte in ihrem Abschlußbericht 1928 eine Reform ab. Zu dem gleichen Ergebnis kam 1928 auch die 3. Arbeitsgruppe des 1. Unterausschusses des Ausschusses „zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft" (sog. Enquête-Auschuß). Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (El) von 1930u - Im Reichsjustizministerium begann man Ende 1927 die Reformarbeiten mit einer Bestandsaufnahme des ausländischen Aktienrechts und stellte 1928 einen detaillierten Arbeitsplan auf. Außerdem wurde beschlossen, die Reformüberlegungen auf das gesamte Aktienrecht zu erstrecken. Um Wissenschaft, Praxis und Verbände an den Reformbemühungen zu beteiligen, verschickte es einen 720 Fragen umfassenden Fragebogen 15. Nach Abschluß der Aktion wurde 1930 der „Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien sowie Entwurf eines Einführungsgesetzes nebst erläuternden Bemerkungen" vom Reichsjustizministerium veröffentlicht 16 . Der Entwurf wollte der in der Praxis eingetretenen Verlagerung der Macht auf die Verwaltung der Aktiengesellschaft nicht entgegenwirken, ihr aber durch eine Erweiterung der Rechenschaftspflicht und der Kontrollen entsprechen 17. Dazu sollte u.a. die vierteljährige Berichterstattungspflicht des Vorstandes gegenüber dem Aufsichtsrat (§ 70) und die Pflichtrevision (§ 118) eingeführt werden 18 . Amtlicher „Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien " (Ell) und Notverordnung von 193719 - Der Entwurf von 1930 wurde in einer vom Reichsjustizministerium einberufenen Konferenz 12 13 14
Nörr ZHR 150(1986), 155 (156). Vgl. Nachweise bei Wiethölter S. 37. Zum Folgenden Schubert Reichswirtschaftsrat S. 29ff; ders. ZRG-Germ 103 (1986), 140 (145-
153). 15 Die Fragen sind zusammen mit der Stellungnahme des Deutschen Anwalts Vereins abgedruckt in: Druckschriften des DAV Nr. 20 u. 22. Neuabdruck bei Schubert Aktienrecht S. 207-291. 16 RJM Entwurf 1930. Sogenannter „E I". 17 RJM Entwurf 1930S. 95. 18 Im Einzelnen Schubert Reichswirtschaftsrat S. 31 f. 19 Zum Ganzen Schubert Reichswirtschaftsrat S. 32-35; ders. ZRG-Germ 103 (1986), 140 (153157).
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Β. Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung des Aktienrechts
mit Vertretern der Ministerien des Reichs, Preußens und der Länder erörtert, anschließend vom Reichsjustizministerium unter Beteiligung des Wirtschaftsministeriums und des Finanzministeriums überarbeitet und in revidierter Form am 17.7.1931 dem Reichskanzleramt vorgelegt. Zwischenzeitlich hatte das Reichskabinett im Juli 1931 aufgrund der Bankenkrise, ausgelöst durch den Zusammenbruch der „Darmstädter und Nationalbank" 20 , den Justizminister zur Vorlage eines Verordnungsentwurfs über die Reform des Aktienrechts aufgefordert. Eine Durchsetzung des gesamten Entwurfs im Wege der Notverordnung, also ohne parlamentarische Beratung, hielt man aber nicht für politisch machbar, so daß nur ein Teil der Reformvorschläge im Rahmen der „Verordnung über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über eine Steueramnestie" vom 19.9.193121 umgesetzt wurden. Dazu gehörten u.a. auch die Erweiterung des Informationsrechtes des Aufsichtsrats (§ 246 Abs.l S.3), die Unterrichtungspflicht des Vorstandes gegenüber dem Aufsichtsrat (§ 239a), die Ausweitung der Berichts- und Rechnungslegungspflichten des Vorstandes (§ 260a) und die Einführung der Pflichtrevision (§ 262a-g). Der vollständige „Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien" - ausgenommen die bereits von der Notverordnung geänderten Vorschriften - wurde im Oktober 1931 veröffentlicht, erläuternde Bemerkungen legte das Reichsjustizministerium erst 1932 für den internen Gebrauch vor 2 2 . Aktienrechtlicher Arbeitsausschuß des Reichswirtschaftsrates 23 - Der Gesamtentwurf wurde im Juni 1932 dem aktienrechtlichen Arbeitsausschuß des Vorläufigen Reichswirtschaftsrat 24 zur Verhandlung überwiesen. Ziel der Beratungen war die Erstellung eines Gutachtens über den noch nicht in der Notverordnung umgesetzten Teil des Entwurfs von 1931, um der Reichsregierung dessen schnelle Verabschiedung zu ermöglichen 25 . Allerdings bezog der Ausschuß die bereits geänderten Teile in seine Überlegungen mit ein 2 6 . Zentraler Gegen2 0
Nörr ZHR 150 (1986), 155 (166); Born Bankenkrise S. 152-155. RGBl. 19311S. 493-509. Abdruck der aktienrechtlichen Vorschriften in: Schubert/Hommelhoff Aktienrechtsreform Weimar S. 833-848. 22 Abdruck des Entwurfs - sogenannter E II - samt erläuternden Bemerkungen des RJM in: Schubert/Hommelhoff Aktienrechtsreform Weimar S. 849-937; Zusammenfassung der Änderungen gegenüber dem E I bei Schubert Reichswirtschaftsrat S. 34f. Einzelheiten zu wichtigen Reformfragen (Vorstand, Aufsichtsrat, Pflichtrevision, Mehrstimmrechtsaktien, Depotstimmrecht und Auskunftsrecht der Aktionäre) in Schubert ZRG-Germ 103 (1986), 140 (159-189). 2 3 Zum Folgenden Schubert Reichswirtschaftsrat S. 62-69; ders. ZRG-Germ 103 (1986), 140 (157-159). Vgl. auch die Verhandlungsprotokolle des Arbeitsausschusses abgedruckt in: Seitubert/Hommelhoff Aktienrechtsreform Weimar S. 101 ff. 24 Zum Vorläufigen Reichswirtschaftsrat vgl. Schubert Reichswirtschaftsrat S. 9-25 m.w.N. Fn 1. 25 Vgl. die einleitenden Ausführungen des Ministerialdirektors Richter, Leiter der Abteilung V (Handels- und Verkehrsrecht, öffentliches Recht) im Reichsjustizministerium, zum Beratungsbeginn im Protokoll der Sitzung des Arbeitsausschusses vom 21.9.1932, in: Schubert/Hommelhoff Aktienrechtsreform Weimar S. 102f mit Personaldaten S. 952. 21
VI. Aktiengesetz von 1937
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stand der Ausschußberatungen 27 war die in den Aktiengesetzentwürfen angestrebte Neugestaltung der drei Gesellschaftsorgane Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung. Durch die Reform der Organisationsverfassung sollte das im Publikum erschütterte Vertrauen zu den Aktiengesellschaften und den Unternehmensleitungen gestärkt und die Akzeptanz der zumeist in der Form der Aktiengesellschaft betriebenen großen Wirtschaftsunternehmen in der Öffentlichkeit verbessert werden. Die Geschäftsführung sollte in ihren Entscheidungen aber so wenig wie möglich eingeschränkt werden, ein Machtausgleich vielmehr durch verstärkte Kontrolle und erweiterte Informationspflichten erfolgen. Seine Ergebnisse zu diesem und anderen Themen legte der Arbeitsausschuß in einem anonym gehaltenen Abschlußbericht nieder, der am 7.3.1933 der Reichsregierung vorgelegt wurde 28 . Aufgrund der veränderten politischen Lage nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten schenkte man den Beratungsergebnissen in der Öffentlichkeit nur geringe Aufmerksamkeit. Neben einzelnen positiven Beurteilungen griff besonders die nationalsozialistische Presse den Ausschußbericht aufgrund der an seinem Zustandekommen beteiligten Ausschußmitglieder und des zurückhaltenden Reformkurses an. Vor diesem Hintergrund konnten die Ergebnisse nicht zu einem raschen Abschluß der Aktienrechtsreform führen. Trotzdem fanden nicht nur viele Einzel vorschläge später Eingang in das Aktiengesetz von 1937, sondern auch die im Ausschuß diskutierten Leitlinien für die Neugestaltung der Gesellschaftsorgane - Stärkung der Verwaltung bei gleichzeitigem Machtausgleich durch andere Maßnahmen wie z.B. eine verstärkte Informationspflicht - sind Bestandteil der modernen Organisationsverfassung geworden 29 .
VI. Aktiengesetz von 1937 Ausschuß für Aktienrecht der Akademie für Deutsches Recht 1 - Die nationalsozialistische Wirtschaftspresse forderte jetzt eine Reform des Aktienrechts, in der die nationalsozialistischen Gedanken wie z.B. das „Führerprinzip" und die Aufhebung der „Anonymität" der Aktie Berücksichtigung finden müßten2. Das Reichsjustizministerium sammelte zunächst solche Reformanregungen und legte im Herbst 1933 vorläufige Vorschläge zur Aktienrechtsreform vor. Zur Umsetzung der nationalsozialistischen Rechtserneuerung auf dem Gebiet des Aktien26 Vgl. die Ausführungen des Vorsitzenden Hachenburg im Protokoll der Sitzung vom 21.9.1932, in: Schubert/Hommelhoff Aktienrechtsreform Weimar S. 103f mit Personaldaten S. 944f. 27 Zu den wichtigsten Themen der der Ausschußberatungen vgl. Hommelhoff Eigenkontrolle S. 72-96; Schubert Entwürfe S. 159-189. 2 8 Abdruck des Berichts in: Schubert/Hommelhoff Aktienrechtsreform Weimar S. 823-831. 2 9 Hommelhoff Eigenkontrolle S. 73; Schubert Reichswirtschaftsrat S. 67. 1 Zum Folgenden Schubert Einleitung AkDR I S. X X V ff. 2 Z.B. Bachmann Die deutsche Volkswirtschaft 1933, 264ff; ders. a.a.O. S. 277; vgl. aber auch v. Falkenhausen Bankarchiv 33 (1933-34), 107-115. Literaturzusammenstellung in: Schubert Akademie S. L X V I ff.
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Β. Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung des Aktienrechts
rechts schaltete das Reichsjustizministerium dann zunächst die 1933 gegründete Akademie für Deutsches Recht3 ein. Deren aktienrechtlicher Ausschuß begann unter Mitwirkung des Reichsjustizministeriums im Januar 1934 mit seinen Sitzungen4 und legte im April 1934 einen ersten Bericht 5 vor. In diesem wurde trotz eines Eingehens auf die nationalsozialistischen Reformvorstellungen und deren Terminologie klar, daß der Ausschuß keine vollständige Erneuerung beabsichtigte, sondern eine Reform auf der Basis des überlieferten Aktienrechts anstrebte, weshalb er zum Teil heftig kritisiert wurde. Dennoch hielt der Ausschuß auch in seinen weiteren Beratungen an der eingeschlagenen Linie fest, was auch in seinem zweiten Bericht vom März 19356 zum Ausdruck kommt, der terminologisch zurückhaltender war als der erste Bericht 7 . Aktiengesetz von 1937 s - Ausgehend von den Arbeiten des Ausschusses und unter Umarbeitung des Entwurf von 1931 stellte das Reichsjustizministerium im Sommer 1935 einen ersten Entwurf fertig. Im Rahmen einer kommissarischen Beratung im Oktober 1935 kam aus dem Reichswirtschaftsministerium Widerstand gegen eine Vielzahl von Bestimmungen, die auf Vorschlägen des Akademieausschusses beruhten. Aufgrund einer weiteren Besprechung zwischen Justizminister Gürtner und dem Reichsbankdirektor und Reichswirtschaftsminister Schacht wurde der Entwurf erneut überarbeitet. Schacht warnte auch in einer Rede vor der Vollversammlung der Akademie für Deutsches Recht am 30.11.1935 davor, die aus der nationalsozialistischen Ideologie stammenden Leitlinien wie das Führerprinzip ohne Prüfung ihrer Auswirkungen schlagwortartig und schematisch auf das Wirtschaftsleben zu übertragen 9. Seine klaren Worte führten zu einer Versachlichung der Diskussion über die Neugestaltung des Aktienrechts. Das Reichsjustizministerium nahm aufgrund des Widerstandes auch anderer Ministerien weitere Änderungen vor und präsentierte den Ministern im Mai 1936 einen neuen Entwurf, der im Oktober 1936 vom Aktienrechtsausschuß der Akademie für Deutsches Recht weitgehend gebilligt wurde. Das Ministerium Heß stellt zwar eine Reihe von Forderungen auf, diese führten aber nur zu einigen Kompromissen bei unwichtigeren Detailfragen. Aufgrund seines Umfangs von 304 Paragraphen wurde das Aktienrecht aus dem HGB herausgenommen und in einem eigenständigen Aktiengesetz geregelt. Am 30.1.1937 wurde das neue Gesetz von Hitler vollzogen und am 4.2.1937 im Reichsgesetzblatt veröffent3
Zur Akademie vgl. Schubert Einleitung AkDR I S. V I I I ff. Abdruck der Sitzungsprotokolle in: Schubert Akademie S. 3-469. 5 Bericht von Kißkalt vom April 1934 in: Schubert Akademie S. 473-496. 6 Bericht von Kißkalt vom April 1935 in: Schubert Akademie S. 497-518. 7 Auf Einzelheiten der Akademieberatungen wird im dritten Teil im Zusammenhang mit der geschichtlichen Entwicklung einzelner Regelungen eingegangen. 8 Zum Folgenden Schubert Einleitung AkDR I S. X L ff. 9 Schacht Die deutsche Aktienrechtsreform. 4
VI. Aktiengesetz von 1937
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licht 1 0 . Es wurde 1937 und 1938 durch drei Durchführungsverordnungen ergänzt 11 . Im Bereich der inneren Organisation der Aktiengesellschaft sah das Gesetz eine Verlagerung der Macht auf den Vorstand bei gleichzeitiger Einschränkung der Kompetenzen von Generalversammlung (nun Hauptversammlung genannt) und Aufsichtsrat vor. Der Vorstand sollte die Gesellschaft eigenverantwortlich leiten (§ 70 Abs.l), so daß er in der Ausübung der Geschäftsführung vollständig unabhängig war. Die Hauptversammlung hingegen konnte anders als vorher nur noch dann über Geschäftsführungsfragen entscheiden, wenn dies der Vorstand verlangte (§ 103 Abs.2), und war auf die Wahrnehmung der ihr ausdrücklich durch Gesetz und Satzung zugewiesenen Rechte beschränkt (§ 103 Abs.l). Der Aufsichtsrat wurde zum reinen Kontrollorgan der Geschäftsführung des Vorstandes (§ 95 Abs.l). Ihm konnten im Gegensatz zu der bis dahin bestehenden Rechtslage und Praxis keine Aufgaben der Geschäftsführung durch Satzung mehr übertragen werden (§ 95 Abs.5), wodurch er seine Mitverwaltungsfunktion vollständig verlor. Allerdings war ihm jetzt das bislang der Generalversammlung zustehende Recht zur Bestellung des Vorstandes zugewiesen (§ 75 Abs.l). Verbunden mit der Kompetenzverlagerung wurde zugleich die Verantwortlichkeit von Vorstand (§ 84) und Aufsichtsrat (§§ 99, 84) gegenüber Gläubigern und Aktionären erhöht. Änderungen und Erweiterungen wurden auch in den Bereichen Publizität und Rechnungslegung, Kapitalbeschaffung sowie Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen vorgenommen. Ausgenommen von einigen wenigen Bestimmungen (z.B. Definition des Konzerns in § 15) wurde aber von einer umfassenden Regelung des Konzernrechts abgesehen12. Einfluß nationalsozialistischer Ideologien auf die Regelungen des Aktiengesetzes von 1937 - Das Aktiengesetz 1937 schloß die schon Mitte der zwanziger Jahre begonnene Reformdiskussion ab. Obwohl es zur Zeit des Nationalsozialismus erlassen wurde, wurde es nach 1945 von Regierungsseite nicht als „typisch nationalsozialistisch" bezeichnet13. Zwar hatte nach der Machtübernahme 1933 die nationalsozialistische Wirtschaftspresse verlangt, das Gesellschaftsrecht nach nationalsozialistischen Gesichtspunkten vollständig neuzuordnen, aber im Verlaufe der weiteren Reformarbeiten wurde dieser Einfluß stark zurückgedrängt, wofür insbesondere die Anknüpfung an den aus der Zeit der Weimarer Republik stammenden Entwurf von 1931 kennzeichnend ist. Ob einzelne Bestim10 RGBl. 1937 1 107-165; Einführungsgesetz RGBl. 1937 1 166-170; Begründung Reichsanzeiger Nr. 28 v. 4.2.1998 S. 1-4 sowie Erste und Zweite Beilage. 11 1. DVO v. 29.9.1937 (RGBl. 1937 1 1026); 2. DVO v. 19.11.1937 (RGBl. 1937 I 1300); 3. DVO v. 21.12.1938 (RGBl. 1938 I 1839). Abdruck bei Kropff AktG S. 644-651. 12 Zu den Änderungen Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz 164ff. Zur inneren Organisation auch Reichelt S. 73-77. 13 Begründung RegE BT-Drucks. IH/1915 u. IV/171 S. 92.
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Β. Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung des Aktienrechts
mungen Ausdruck nationalsozialistischen Gedankenguts sind, wird selbst bei anscheinend so eindeutigen Regelungen wie der Machtverlagerung von der Hauptversammlung auf den Vorstand in Frage gestellt, die auf den ersten Blick einer Übertragung des ,»Führerprinzips" auf das Aktienrecht entspricht 14 . Besonders der Einfluß, den Reichswirtschaftsminister Schacht in der Abschlußphase auf den Aktienrechtsentwurf ausübte, orientierte sich nicht an nationalsozialistischen Ideologien, sondern an der Notwendigkeit, einen funktionierenden „kapitalistisch-technischen Apparat aufzubauen und wirtschaftlich zu tragen" 15 . Das Aktiengesetz von 1937 diente also in Fortführung der Reformbemühungen während der Weimarer Republik in erster Linie der Anpassung des Aktienrechts an die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse und der Beseitigung von in der Praxis aufgetretenen Mißständen.
VII. Reformen von 1945 bis zum Aktiengesetz 1965 Fortgeltung des AktG 1937 - Das AktG von 1937 konnte sich aufgrund der weiteren Entwicklung zunächst kaum bewähren. Trotzdem wurde es nach dem Krieg nicht beseitigt, sondern blieb ebenso wie seine drei Durchführungsverordnungen in Kraft 1 . Die zahlreichen Verordnungen über Maßnahmen auf dem Gebiete des Rechts der Handelsgesellschaften, mit denen während des Krieges in das Aktienrecht eingegriffen worden war, galten zum Teil in den einzelnen Besatzungszonen und Ländern fort, wurden aber 1950 durch § 1 HandelsBerG endgültig aufgehoben. Gleiches galt 1952 auch für die zunächst weitergeltende Dividendenabgabeverordnung von 1941. Das Aktiengesetz von 1937 wurde durch Gesetzgebungsakte der Militärregierungen nicht direkt berührt, verschiedene Maßnahmen der Alliierten betrafen aber auch mittelbar das Aktienrecht 2 . Im Zuge der Währungsreform verabschiedete der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes das Gesetz über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung (D-Markbilanzgesetz) vom 21.8.19493 so14 Nach Schubert Einleitung AkDR I S. XLVII mit Fn 155a, soll für die Reform der Organisation weniger das „Führerprinzip" als das nordamerikanische Aktienrecht, vermittelt durch eine Studie von Zahn „Wirtschaftsführertum und Vertragsethik im neuen Aktienrecht" maßgebend gewesen sein. Vgl. Dippel DRiZ 1965, 353 (353f)· Auf die unterschiedlichen Sichtweisen, die in diesem Punkt während der Reformarbeiten zum AktG 1965 vertreten wurden, wird an den entsprechenden Stellen der folgenden Teile näher eingegangen. 15 Schacht S.7. 1 Dazu Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz 171 f. 2 Z.B. die Rückerstattungsgesetze (Ges. Nr. 59 US-Zone/Britische-Zone, VO Nr. 102 Französische-Zone, BK/O (49) 180 Berlin), die zur Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts unter anderem auch die Rückerstattung rechtswidrig entzogenen Vermögens von Aktiengesellschaften oder von Aktien vorsahen. Vgl. dazu und zu den gegen eine übermäßige Konzentration deutscher Wirtschaftskraft gerichteten Entflechtungsmaßnahmen Meyer-Landrut in Großkomm AktG (3.) Einleitung S. 6; Hachenburg JZ 1947, 506-511 u. 599-610.
VII. Reformen von 1945 bis zum Aktiengesetz 1965
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wie das Gesetz zur Bereinigung des Wertpapierwesens ( Wertpapierbereinigungsgesetz) vom 19.8.19494, die beide später durch den Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland ergänzt wurden 5. Beide Gesetze suchten den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen und der besonderen Situation im Nachkriegsdeutschland gerecht zu werden. Das D-Markbilanzgesetz sah in § 1 für alle Kaufleute mit Hauptsitz im Währungsgebiet die Aufstellung einer Eröffnungsbilanz in D M zum 21. Juni 1948 und in § 4 deren Feststellung durch die Hauptversammlung vor. Neben Bewertungsvorschriften regelte es auch die Neufestsetzung der Kapitalverhältnisse. Das Grundkapital der Altgesellschaften mußte gemäß § 44 nach der Neufestsetzung zumindest im Wege der Kapitalerhöhung - mindestens D M 50.000 betragen und konnte gemäß § 61 bis zu wesentlichen Änderungen der Gesellschafts Verhältnisse beibehalten werden. Ihr Aktiennennbetrag konnte gemäß § 44 Abs.3 auf D M 20, D M 50, D M 100 oder ein Vielfaches davon lauten. Für Neugesellschaften wurde in Anpassung an die wirtschaftliche Lage durch § 60 auch das Aktiengesetz geändert und der Mindestnennbetrag des Grundkapitals auf D M 100.000 und der der Aktien auf D M 100 festgesetzt. Gleichzeitig wurde die Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder geändert. Das Wertpapierbereinigungsgesetz sollte das durch die Kriegs- und Nachkriegsereignisse in Mitleidenschaft gezogene deutsche Wertpapierwesen neu ordnen. Viele Wertpapiere waren im Krieg vernichtet, von ihren Inhabern bei der Evakuierung zurückgelassen oder auf der Flucht verloren worden. Ein Großteil der Girosammei- und Streifbandwertpapiere befand sich in Berlin bei der ehemaligen Deutschen Reichsbank oder auch in der Ostzone und war den Eigentümern nicht zugänglich. Zur Beseitigung der daraus resultierenden negativen Folgen für das Wertpapierwesen wurde nun für die Westzonen, nachdem lange vergeblich eine gesamtdeutsche Lösung angestrebt worden war, ein Verfahren zur Bereinigung der unklaren Eigentumsverhältnisse geregelt. Die Wertpapierbereinigung war erst Ende 1964 abgeschlossen. Erste Reformen - Die junge Bundesrepublik Deutschland stand vor einem politischen und wirtschaftlichen Neubeginn. Ziemlich bald wurde eine Reform des Aktiengesetzes von 1937 verlangt, um es zu „entnazifizieren". Die einsetzenden Reformbemühungen konzentrierten sich auf eine grundlegende Überarbeitung des Aktienrechts, so daß erst 1965 das neue Aktiengesetz erlassen wurde. Zwischenzeitlich wurden verschiedene gesetzliche Maßnahmen ergriffen, die entwe3 WiGBl. 279-290; Öffentlicher Anzeiger 1949 Nr. 78 v. 1.9.1949 S. lf; Wirtschaftsrat Drucksachen 1949 Sonderdruck zwischen Nr. 1391 u. Nr. 1391. 4 WiGBl. 295-301; Öffentlicher Anzeiger 1949 Nr. 79 v. 3.9.1949 S.4f mit Begründung S. 6f; Wirtschaftsrat Drucksachen 1949 Nr. 1387 u. 1490. 5 Meyer-Landrut in Großkomm AktG (3.) Einleitung S. 7.
Β. Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung des Aktienrechts
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der im Rahmen der Reform für unaufschiebbar gehalten wurden oder die aus anderen Bereichen auch auf das Aktienrecht einwirkten. So wurde durch den Erlaß der Mitbestimmungsgesetze6 die Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat 7 zwingend vorgeschrieben 8. 1959 wurden durch das „Gesetz über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über Gewinn- und Verlustrechnung" vom 23. Dezember 1959 (BGBl. 1959 I S.789.) als sogenannte „Kleine Aktienrechtsreform" verschiedene Maßnahmen des Reformprogramms zur Verbesserung der Lage des Kapitalmarktes und der Neugliederung der Gewinn- und Verlustrechnung vorweggenommen 9. Aktiengesetz von 1965 - Die Reformbestrebungen selbst führten 1958 zur Vorlage eines Referentenentwurfs durch das Bundesjustizministerium 10. Dem folgte 1960 ein Regierungsentwurf 11. Dieser wurde von der Bundesregierung im April 1960 dem Bundesrat und im Juli dem Bundestag vorgelegt, konnte aber nach erster Lesung und Verweisung an den Rechtsausschuß - zusammen mit zwei SPD-Vorlagen - aufgrund des Ablaufs der Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden. In der nächsten Legislaturperiode wurde er in unveränderter Form erneut eingebracht. Nach erster Lesung im Februar 1962 wurde er mit den SPD-Vorlagen an den Rechtsausschuß verwiesen und in dessen Unterausschuß für Aktienrecht sowie in den Ausschüssen für Wirtschaft und für Arbeit beraten. Die zweite und dritte Lesung im Bundestag (am 19. und 25.5. 1965) brachten noch einige Änderungen des Entwurfs, der dann in revidierter Fassung einstimmig (bei einer Enthaltung) angenommen wurde. Das Gesetz wurde am 6.9.1965 verkündet 12 und trat am 1.1.1966 in Kraft 13 Das Aktiengesetz von 1965 umfaßte 410 Paragraphen. Ziel der Neugestaltung war es zum einen, die Bereitschaft der privaten Eigentümer zur Verfügungstellung von Kapital zu erhöhen. Zum anderen sollten die Voraussetzungen für eine Beteiligung weiter Bevölkerungsschichten am Produktionsvermögen geschaffen werden, wobei die breite Eigentumsstreuung zugleich der wirtschaftlichen Kon-
6
Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 21. Mai 1951, BGBl. 1951 I S.347; Betriebsverfassungsgesetz vom 11. Oktober 1952 BGBl. 1952 I S. 681. 7 In der Montanindustrie wurde die Beteiligung auch im Vorstand durch die Bestellung eines Arbeitsdirektors eingeführt. 8 Meyer-Landrut in Großkomm AktG (3.) Einleitung S. 7. 9 Meyer-Landrut in Großkomm AktG (3.) Einleitung S. 7. 10 BMJ Referentenentwurf eines Aktiengesetzes, 1958, nebst erläuternden Bemerkungen. 11 Entwurf eines Aktiengesetzes und eines Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz, BT-Drucks. III/1915 u. IV/171, nebst Begründung. 12 BGBl. 1965 I 1089; EGAktG BGBl. 1965 I 1185. 13 Zum Ganzen Dippel DRiZ 1965, 353 (3550-
VII. Reformen von 1945 bis zum Aktiengesetz 1965
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zentration entgegenwirken sollte 14 Um diese Ziele zu erreichen, sollten die Rechte des Aktionärs gestärkt und sein Schutz im Konzern verbessert werden 15 . Im Bereich der inneren Organisation der Aktiengesellschaft wurde die vom Aktiengesetz 1937 bewirkte Stärkung der Stellung der Verwaltung, Vorstand und Aussichtsrat, gegenüber den Aktionären in der Hauptversammlung als unerläßlich anerkannt und grundsätzlich beibehalten. Allerdings sprach man der Hauptversammlung einzelne Befugnisse z.B. durch die Neuregelung der Bilanzfeststellung (§ 172f), der Verwendung des Bilanzgewinns (§ 119 Abs.l Nr.l, § 58) und der Bildung offener (§ 58) und stiller Rücklagen (§ 153-156) 16 wieder zu, so daß die Aktionäre dadurch an der wichtigen Entscheidung über die Verwendung des Jahresüberschusses wirklich beteiligt waren. Außerdem sollte durch Maßnahmen wie den Ausbau der Berichterstattungspflichten des Vorstandes gegenüber dem Aufsichtsrat (§ 90) oder die Begrenzung der Höchstzahl von Aufsichtsratssitzen einer Person (§ 100 Abs.2) die Kontrolle der Aktionäre über die laufende Verwaltung durch eine „Aktivierung der Arbeit des Aufsichtsrates" gestärkt werden 17 . Um dem Aktionär einen besseren Einblick in die Unternehmenslage zu ermöglichen, wurden die Publizitätsvorschriften durch eine neue Gliederung der Jahresbilanz (§151) und die Festlegung des Inhalts des Geschäftsberichts (§ 160) erhöht. Darüber hinaus wurde das Auskunftsrecht des einzelnen Aktionärs ausgebaut, indem die Verwaltung die Auskunft nur noch in Sonderfällen verweigern durfte und die gerichtliche Durchsetzung erleichtert wurde (§§ 131, 132). Auch die Information des Aktionärs über die wesentlichen Angelegenheiten der Gesellschaft im Vorfeld der Hauptversammlung (§§ 125-128) wurde verbessert. Dazu gehörte die Neugestaltung des Depotstimmrechts, die die Ausübung der Stimmrechte durch Kreditinstitute von einer Bevollmächtigung durch den Aktionär, besonderen Mitteilungspflichten der Kreditinstitute und der Bindung an Weisungen der Aktionäre (§§ 135,128) abhängig machte. Die Ausübung der Rechte von Klein- und Minderheitsaktionären wurde durch Rechtsbehelfe gegen den festgestellten Jahresabschluß (§§ 256) und eine Neuregelung der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen (§§ 243ff) sowie der Streitwerthöhe (§ 247) erleichtert. Außerdem wurden die der Minderheit eingeräumten Befugnisse nicht mehr nur von einer festen Quote am Grundkapital abhängig gemacht, sondern zum Teil auch bei Erreichen eines bestimmten Aktiennennbetrags zugestanden (z.B. § 135 Abs.2). Die auffallendste Änderung des Aktiengesetzes war die Einführung eines geschlossenen Systems konzernrechtlicher Bestimmungen, daß den in der Praxis 14 15 16 17
RegE BT-Drucks. III/1915 S. 93 bzw. IV/171 S. 93. RegE BT-Drucks. III/1915 u. IV/171 S. 93ff. Vgl. Dippel DRiZ 1965, 353 (3560RegE BT-Drucks. III/1915 u. IV/171 S. 93.
4 Bahrenfuss
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Β. Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung des Aktienrechts
eingetretenen Konzentrationsprozeß erstmals rechtlich erfaßt, ohne ihn grundsätzlich zu verbieten. Es sollte dem besseren Schutz des einzelnen Aktionärs und der Gläubiger gegen die Gefahren der Konzernbildung dienen 18 . Das Aktiengesetz von 1965 enthielt also eine Reihe von wesentlichen Änderungen gegenüber dem Aktiengesetz von 1937, die zur besseren Übersichtlichkeit den Erlaß eines neuen Gesetz erforderlich machten, dessen Aufbau sich aber an das alte Gesetz anlehnte19. Welche Ziele, Gedanken und Hintergründe im Einzelnen die Reformüberlegungen getragen haben, die ihren Abschluß im Aktiengesetz von 1965 fanden, soll in den folgenden Teilen der Arbeit untersucht werden 20 .
18
Regierungsentwurf BT Drucks. III/1915 u. IV/171 S.94f u. 214f. Zu den konzernrechtlichen Bestimmungen vgl. Dippel DRiZ 1965, 353 (3600; Dettling S. 274-288. 19 RegE BT-Drucks. III/1915 u. IV/171 S. 96. 2 0 Zu den Änderungen des Aktiengesetzes nach 1965 z.B. aufgrund der Ausweitung der Arbeitnehmermitbestimmung oder der Durchführung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft vgl. Assmann in Großkomm AktG (4.) Einl Rz 21 Off und die Übersicht der Änderungen seit 1965 in der Gesetzessammlung Schönfelder Deutsche Gesetze Nr.51.
C. Die politische und wirtschaftliche Lage während der Reformzeit I. Die Zeit von 1945 bis 1949 Nach Ende des zweiten Weltkrieges befand sich Deutschland in einer wirtschaftlich schwierigen und politisch ungewissen Lage und seine Zukunft hing maßgeblich davon ab, in welcher Weise die Alliierten es neu gestalten und sein Wirtschaftssystem neu ordnen würden. Für die Zukunft der Aktiengesellschaften waren die allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen wie auch die sie spezifisch betreffenden Maßnahmen der Alliierten von entscheidender Bedeutung.
1. Politische und wirtschaftliche Lage Politische und wirtschaftliche Teilung Deutschlands - Mit Ende des zweiten Weltkrieges übernahmen die Alliierten in Deutschland die alleinige Staatsgewalt1. Das deutsche Staatsgebiet wurde entsprechend den Beschlüssen der alliierten Kriegskonferenzen in vier Besatzungszonen mit dem Berliner Sonderstatus aufgeteilt. Entscheidungen über alle Deutschland als Ganzes betreffenden wesentlichen Fragen sollte der nach Kriegsende errichtete Alliierte Kontrollrat, bestehend aus den vier Militärgouverneuren der Zonen, treffen. Die Ziele der künftigen Besatzungs- und Friedenspolitik wurden auf der Potsdamer Konferenz (Juli/August 1945 - ohne Beteiligung Frankreichs) festgelegt und sahen als Leitlinien eine Entnazifizierung, Entmilitarisierung und demokratische Umgestaltung und Umerziehung Deutschlands vor 2 . Politisch sollte Deutschland nicht zerschlagen werden, aber in Besatzungszonen aufgeteilt bleiben. Zur Koordination bestimmter wesentlicher Bereiche wie Finanzen, Transport, Verkehr, Außenhandel und Industrie zentrale deutsche Verwaltungsstellen unter der Leitung des Kontrollrates eingerichtet werden - ein Ausdruck der wirtschaftlichen und indirekt auch der politischen Einheit. Die deutsche Wirtschaft sollte zwar als Einheit erhalten bleiben, aber durch den Abbau der Rüstungsindustrie, Produktionsbeschränkungen und wirtschaftliche Kontrolle auf ein niedriges Niveau gedrückt 1 2
*
Zum Folgenden Birke S. 18f; Winkel S. 9ff. Dazu Birke S. 33-43; Jerchow S. 154ff; Winkel S. 1 lf.
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C. Die politische und wirtschaftliche Lage während der Reformzeit
werden, das den europäischen Durchschnitt nicht überstieg und eine beherrschende Stellung in Europa auf lange Zeit unmöglich machen sollte. In der Reparationsfrage waren die Westmächte bemüht, Deutschland bei aller geplanten Schwächung doch soviel Wirtschaftskraft zu lassen, daß es sich selbst versorgen konnte. So sollten Ausfuhren nicht nur zur Bezahlung der Kriegsschuld, sondern auch für die Finanzierung der Einfuhr lebensnotwendiger Güter dienen. Bei der Umsetzung der vereinbarten Ziele, die den Besatzungsmächten viel Interpretationsspielraum gewährten, brachen die schon vorher deutlich gewordenen Interessengegensätze endgültig hervor. Das Veto Frankreichs gegen die Einrichtung der geplanten zentralen Verwaltungsstellen 3 und die Meinungsverschiedenheiten, insbesondere über die sowjetischen Reparationsentnahmen, ließen eine gemeinsame Wirtschaftspolitik für alle Zonen scheitern 4. Der Schwerpunkt der Politik der Besatzungsmächte verlagerte sich auf ihre jeweiligen Zonen, die sich wirtschaftlich und politisch immer mehr voneinander entfernten und verselbständigten5. Unter Leitung ihrer jeweils zur zonalen Regierung zuständigen Institutionen bauten sie unter Einrichtung von Ländern die deutsche Verwaltung wieder auf, um die organisatorischen und wirtschaftlichen Probleme in den Griff zu bekommen6. Unter der Kontrolle der Besatzungsmächte bildeten sich wieder Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände sowie politische Parteien, wobei in der sowjetischen Zone ein zentralistischer Parteiaufbau angestrebt wurde, während in den Westzonen Parteigründungen zunächst auf örtlicher Ebene einsetzen und sich erst später zu länder- und zonenübergreifenden Organisationen zusammenschlossen7. Die verwaltungstechnische Zusammenarbeit der Länder beschränkte sich jedoch auf die jeweilige Besatzungszone. Aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtung der Zonen untereinander drohte durch diese Entwicklung ein vollständiger Zusammenbruch der Versorgung der Bevölkerung 8. Deshalb bot Amerika den anderen Besatzungsmächten den wirtschaftlichen Zusammenschluß der Zonen an, was nach Ablehnung durch die Sowjetunion und Frankreich 1947 zur Bildung der amerikanisch-britischen Bizone führte. Dort wurden gemeinsame Verwaltungen und Verwaltungsräte für Wirtschaft, Finanzen, Post, Ernährung und Landwirtschaft sowie Verkehr und im Zuge einer Reorganisation ein Wirtschaftsrat mit Gesetzgebungs- und Verordnungskompetenz vorbehaltlich alliierter Genehmigung errichtet 9. Frankreich verfolgte in seiner Zone zunächst eigene wirtschaftliche Ziele und näherte sich erst 1948 angesichts wirtschaftlicher und politischer Probleme der Bizone an, um 3 4 5 6 7 8 9
Abelshauser S. 19\JerchowS. 172ff. Birke S. 47f; Venvaltungsgeschichte-Morsey S. 89f. Vogel/Weisz S. 21, Abelshauser S. 19. Dazu Birke S. 49 u. 58ff; VogeUWeisz S. 29ff. Birke S. 98. Zu den Wahlen in den Westzonen Vogel/Weisz Winkel S. 12, Abelshause r S. 19. Werner S. 25ff; Vogel/Weisz S. 79ff; Weisz S. 16f.
S. 26ff; Birke S. 112.
I. Die Zeit von 1945 bis 1949
53
von den Wirtschaftshilfen des Marshall-Plans zu profitieren, mit denen Amerika eine Gesundung Deutschlands und Europas mit dem Ziel der wirtschaftlichen Eigenversorgung anstrebte 10. Nachdem die drei westlichen Außenminister im Februar/März 1948 über die Zukunft Deutschlands in ihrem Einflußgebiet verhandelt hatten und eine Unterrichtung der Sowjetunion über die gefaßten Pläne ablehnten, zog diese am 20.3.1948 aus dem Alliierten Kontrollrat aus und machte ihn damit handlungsunfähig 11 . Da unter diesen Umständen eine wirtschaftliche Einheit aller vier Zonen nicht mehr denkbar war, wurde die bereits seit 1945 diskutierte Währungsreform nun in den drei Westzonen (20.6.1948) und in der Ostzone (23.6.1948) getrennt durchgeführt 12. Die Annäherung der Westzonen untereinander und die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion, die in der Berlin-Blockade von Juni 1948 bis Juli 1949 13 deutlich hervortrat, führten schließlich 1949 zur Teilung Deutschlands und der Bildung der Bundesrepublik Deutschland am 23.5. bestehend aus den drei Westzonen14, und der Deutschen Demokratischen Republik am 7.10. 15 . Am 7.9.1949 konstituierten sich in Bonn der Bundesrat und der erste Bundestag der Bundesrepublik Deutschland. Am 15.9. wurde Konrad Adenauer vom Bundestag zum Bundeskanzler gewählt und mit der Ernennung des Kabinetts am 20.9. hatte die Bundesrepublik ihre erste eigene Regierung nach dem Krieg gebildet 16 . Das Grundgesetz stand unter dem Vorbehalt des von den westlichen Alliierten ausgehandelten Besatzungsstatuts17, das für die Alliierte Hohe Kommission, die an die Stelle der Militärgouverneure getreten war 1 8 , eine Reihe von Befugnissen in auswärtigen Angelegenheiten, bei der innerdeutschen Verwaltung und Gesetzgebung, hinsichtlich der Kontrolle der Wirtschaft sowie in militärischen Sicherheitsfragen vorsah 19 . Wirtschaftliche Lage in den Westzonen - Nach Kriegsende brach die deutsche Wirtschaft zusammen und die Produktion in den für die Versorgung der Bevölkerung wichtigen Wirtschaftszweigen kam fast völlig zum Erliegen. Die für die Energieversorgung grundlegende Steinkohleförderung sank im Mai 1945 auf ca. 5 % der Vorkriegsförderung 20 und die industrielle Produktion erreichte im dritten 10
Winkel S. 24ff; Abelshauser S. 19f, 37ff u. 61f; Kreikamp S. lOff. Winkel S. 13; Overesch II S. 476. 12 Abelshauser S. 48ff; Winkel S. 54ff; Birke S. 132 ff. 13 Dazu Birke S. 196ff. 14 Das Saarland wurde erst 1957 wieder eingegliedert; vgl. Winkel S. 8f; Birke S. 338f. 15 Dazu im Einzelnen Verwaltungsgeschichte-Aiora)' S. 9Iff; Birke S. 208ff. 16 Verwaltungsgeschichte-Morsey S. 98; Overesch II S. 774f. 17 Wortlaut abgedruckt in: Geschichte in Quellen Dok 86 b) S. 192f. 18 Vgl. Schlußkommunique der Außenministerkonferenz der drei Westmächte in Washington vom 5.-8. April 1949 in: Geschichte in Quellen Dok 86 a) S. 191f. 19 Birke S. 242; Overesch II S. 696 u. 776. 11
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C. Die politische und wirtschaftliche Lage während der Reformzeit
Quartal 1945 in der amerikanischen und britischen Besatzungszone nur 12 bzw. 15 % des Niveaus von 1936 21 . Die Faktoren für dieses drastische Herabsinken der Wirtschaftszahlen waren vielfältig. Die Bedeutung der Kriegsschäden am industriellen Anlagevermögen wurden dabei vielfach überschätzt. Die Finanzminister der britischen Besatzungszone glaubten im November 1945 noch, daß der Produktionsapparat auf einem Stand sei, „der nahezu auf die Anfangszeiten der Industrialisierung Deutschlands zurückgeworfen ist" 2 2 . Tatsächlich waren die Produktionsanlagen nur zu einem geringen Teil durch die Bombardements zerstört oder beschädigt worden und befanden sich aufgrund der hohen Investitionen während der Kriegszeit qualitativ in keinem schlechten technischen Zustand 23 . Allerdings kam es in der Nachkriegszeit zu Plünderungen und Demontagen für Reparationszwecke, deren kapazitätsmindernde Auswirkungen nur schwer einzuschätzen sind, in den Westzonen jedoch zusammen mit den kriegsbedingten Zerstörungen nicht zu einem Absinken der Produktionskapazität unter den Stand von 1936 geführt haben sollen 24 . Für die Ausnutzung der noch vorhandenen Kapazitäten fehlten aber die Rohstoffe und Halbfertigprodukte, denn Deutschland konnte wichtige Produktionsgrundlagen mangels Devisen nicht importieren, und auch die auf niedrigem Niveau befindliche und durch Zwangsexporte belastete Energieversorgung behinderte die Produktion 25 . Industriezweige, die für Rüstungszwecke verwendet werden konnten, waren generell verboten oder mit Produktionsbeschränkungen belegt 26 . Dazu gehörte auch der Industrie-Plan von 1946, dessen Beschränkung der deutschen industriellen Produktion auf 50-55 % des Standes von 1938 27 erst später aufgrund der veränderten Besatzungspolitik für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet wesentlich erleichtert wurde 28 . Außerdem behinderte die kriegsbedingte Zerstörung der Verkehrs- und Transportsysteme die Produktion und Verteilung der Güter sehr stark 29 . 2 0 Winkel S. 2; Overesch I S. 17. Zu den Gründen vgl. Vogel/Weisz S. 23; Akten zur Vorgeschichte Bd. 1/1 Dok. 1 Punkt IV S. 121-124. 21 Abelshauser S. 34,Birke S. 130. 22 „Detmolder Memorandum" v. 17. November 1945, in: Möller S. 116-132 (117). 2 3 Vogel/Weisz S. 22; mit Zahlen bei Abelshauser S. 20ff; kritisch zur Datenbasis von Abelshauser Klemm/Trittel VfZ 35 (1987), 571 (580). Für die Eisen- und Stahlindustrie vgl. Stahltreuhändervereinigung S. 46f. 24 Vgl. Winkel S. 43-49; Abelshauser S. 24-27. Für Eisen- und Stahlindustrie vgl. Stahltreuhändervereinigung S. 47 ff. 25 Verwaltungsgeschichte-//enm'ng S. 35 u. 37f; Abelshauser S. 30f; Zahlen für Kohle, Gas und Elektrizität bei Overesch II S. 483 u. 642. 2 6 Verwaltungsgeschichte-//enm'rtg S. 34f. 2 7 Entspricht etwa dem Niveau von 1932, d.h. auf dem Tiefstand der Weltwirtschaftskrise; Verwaltungsgeschichte-//é7im>ï£ S. 34; Jerchow S. 183f. 2 8 Winkel S. 44 u. 46; Übersicht bei Jerchow S. 203fif. 2 9 Winkel S. 2f; Zahlen zum Ausmaß bei Overesch I S. 16f.
I. Die Zeit von 1945 bis 1949
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Die wichtigsten Probleme der Bevölkerung, die sich über den Arbeitsmarkt auch auf die Wirtschaft auswirkten, waren die Wohnraum-, Flüchtlings- und Ernährungslage. Über 20 % der Wohnungen, vorwiegend in den Städten, waren zerstört, ca. 5-10 Millionen Menschen bombengeschädigt30. Gleichzeitig stieg die Bevölkerungszahl trotz der über 7 Millionen Kriegstoten durch ca. 11 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene 31. Aufgrund der starken BevölkerungsVerschiebungen und des Wohnraummangels in den Städten konnte das vorhandene Arbeitskraftpotential nicht entsprechend seiner Qualifikationen genutzt werden 32 . Hinzu kam eine auch in den Folgejahren anhaltende katastrophale Ernährungssituation der Bevölkerung, die durch den Verlust der landwirtschaftlich genutzten Ostgebiete, die Isolierung der Zonen untereinander, die geringeren Ernten (Kriegsschäden, ausgelaugte Böden, fehlende Düngemittel) und das schlechte Transportsystem verursacht wurde 33 . Trotz Aufrechterhaltung des Bewirtschaftungssystems, Rationierung mit niedrigen, gebundenen Preisen und Nahrungsmitteleinfuhren der Alliierten konnte die Ernährungslage bis Mitte 1948 nicht entscheidend verbessert werden, so daß die Tagesrationen nur die Hälfte oder sogar nur ein Drittel des Mindestbedarfs deckten 34 . Unterernährung und Hungerkrankheiten ließen die Arbeitsproduktivität drastisch absinken 35 , und die Bevölkerung orientierte sich in die ländlichen Gebiete mit besserer Versorgungslage, zumal für das Arbeitsentgelt in den Städten meist kein Gegenwert erworben werden konnte 36 . Die auf der Reichsmark beruhende Geldmarktordnung war aufgrund des Mißverhältnisses zwischen Geldumlauf und realem Volksvermögen funktionsunfähig 37 . Alle diese Faktoren waren ursächlich dafür, daß die wirtschaftliche Entwicklung nur schleppend voranging und die industrielle Produktion 1948 nur ca. 60% des Stands von 1936 38 erreichte. Währungsreform 1948 und Einführung der sozialen Marktwirtschaft - Der bestehende Geldüberhang wurde erst durch die Währungsreform am 20.6.1948 beseitigt 39 . Sie war mit einer Neuordnung des Wirtschaftssystems verbunden 40. 3 0
Verwaltungsgeschichte-Z/e/mmg S. 32; Übersicht bei Overesch I S. 14ff und Birke S. 24. Overesch I S.14 mit Übersichten auf S. 57 u. 299f; Verwaltungsgeschichte-/fe/mm£ S. 32; Winkel S. 4-6. 32 Birke S. 126; Müller-List Neubeginn S. 11. 3 3 Winkel S. 29ff; Verwaltungsgeschichte-//enm7ig S. 32. 34 Lantpert S. 76; Werner S. 15f; Übersicht bei Overesch IS. 34 u. 301 ; vgl. Geschichte in Quellen Dok. 10 a-nS. 33-39. 3 5 Vgl. Stahltreuhändervereinigung S. 56ff. 3 6 Winkel S. 29-36; Werner S. 14f; Klemni/Trittel VfZ 35 (1987), 571 (604ff); Verwaltungsgeschichtt-Henning S. 38f. 3 7 Lantpert S. 77f; Winkel S. 52f; Werner S. 15. Vgl. Geschichte in Quellen Dok 11 a-f S. 39-42. 3 8 Birke S. 130. 39 Birke S. 133ff; Winkel S. 52ff. Zur Währungsreform Laitenberger APuZ 1988 Β 23 S. 29-44. 4 0 Winkel S.59ff. 31
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C. Die politische und wirtschaftliche Lage während der Reformzeit
Die Preis- und Bewirtschaftungsvorschriften wurden in der Folgezeit schnell in weiten Teilen aufgehoben und die Preisbildung wurde für diese Waren dem Markt überlassen 41. Es wurde aber keine reine, sondern eine „soziale" Marktwirtschaft 42 als Wirtschaftssystem angestrebt, in der die Vorteile eines auf wirtschaftlicher Freiheit basierenden marktwirtschaftlichen Systems mit staatlichen Eingriffen zum Zweck der Vermeidung unsozialer Auswirkungen und der Erreichung sozialer Gerechtigkeit verbunden werden 43 . Diese Konzeption war sehr umstritten, insbesondere die SPD und die Gewerkschaften, aber auch große Teile der CDU sahen jedoch angesichts der Zustände im Nachkriegsdeutschland in einer staatlichen Lenkung der Wirtschaft den einzigen Weg aus der Krise 44 . Währungsreform und Neuordnung des Wirtschaftssystem führten zunächst zu dem erstaunlichen Erfolg, daß das Warenangebot zumeist aus gehorteten Beständen, aber auch aus verstärkter Produktion wieder stieg. Es kam aber auch zu negativen Auswirkungen, wie z.B. erheblichen Preissteigerungen aufgrund der hohen Nachfrage und steigenden Arbeitslosenzahlen, die die Marktwirtschaft in eine schwere Krise stürzten 45. Einer der Faktoren war, daß der Wirtschaft die für den Aufbau einer Investitionsgüterindustrie dringend benötigten Finanzmittel fehlten. Die aufgestaute Nachfrage bevorzugte die Konsumgüterindustrie und die Notenbank begegnete den inflationären Tendenzen Ende 1948 mit einer restriktiven Geldpolitik 46 . Voraussetzung für die Vergabe mittel- und langfristiger Kredite an Wirtschaftsunternehmen durch Banken war zunächst die Bildung von Sparguthaben 47. Erst 1949 verbesserte sich die wirtschaftliche Lage, als endlich auch die Gelder aus dem Marshall-Plan flössen, die zum einen dem Import knapper Waren und Rohstoffe und zum anderen der Bereitstellung von Investitionsmitteln für die Wirtschaft dienten 48 . Die industrielle Produktion erhöhte sich zunehmend seit Mitte 1948 und erreichte Ende 1949 erstmals wieder das Niveau von 1936 49 . Zwar hielt die Kritik an der sozialen Marktwirtschaft insbesondere aufgrund der steigenden Arbeitslosenzahlen an 5 0 , aber sie setzte sich im Zusammenhang mit der Währungsreform und den Geldern aus dem Marshall-Plan durch und führte zu einer ersten Entspannung des wirtschaftlichen Klimas in den Westzonen Deutschlands.
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Birke S. 142ff; Winkel S. 59f; Weisz S. 49ff; Overesch II S. 536 u. 539. Zur Herkunft der Konzeption Lantpert S. 88