Die Deutschlandfrage und die Anfänge des Ost-West-Konflikts 1945–1949 [1 ed.] 9783428456130, 9783428056132


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Die Deutschlandfrage und die Anfänge des Ost-West-Konflikts 1945–1949 [1 ed.]
 9783428456130, 9783428056132

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Die Deutschlandfrage und die Anfänge des Ost. West. Konflikts 1945 ·1949

STUDIEN ZUR DEUTSCHLANDFRAGE Herausgegeben vom Göttinger Arbeitskreis

BAND 7

Die Deutschlandfrage und die Anfänge des Ost-West-Konflikts 1945-1949

Mit Beiträgen von Alexander Fischer . J osef Foschepoth Renata Fritsch·Bournazel • Detlef Junker Wemer Link • Manfred Overesch

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

Die in dieser Reihe veröffentlichten Beiträge geben ausschließlich die Ansichten der Verfasser wieder.

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Die Deutscblandfrage und die Anfänge des Ost-West-Konfliktes 1945-1949: [d. Beitr. dieses Bd. fussen auf Vorträgen, d. auf d. wiss. Jahrestagung d. Göttinger Arbeitskreises am 28. u. 29. April 1983 in Mainz gehalten wurden] / mit Beitr. von Alexander Fischer .... Berlin: Duncker und Humblot, 1984. (Veröffentlichung / Der Göttinger Arbeitskreis; Nr. 434) (Studien zur Deutschlandfrage; Bd. 7) ISBN 3-428-05613-2 NE: Fischer, Alexander [Mitverf.]; Göttinger Arbeitskreis: Veröffentlichung; 2. GT

Der Göttinger Arbeitskreis: Veröffentlichung Nr. 434 Alle Rechte vorbehalten

@ 1984 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1984 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61

Printed in Germany ISBN ~1S-2

INHALT Die amerikanische Deutschlandpolitik 1945-1949 Von Prof. Dr. Werner Link, Universität Trier........................

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Die "revisionistische" Schule in der amerikanischen Historiographie und die Anfänge des Ost-West-Konflikts Von Prof. Dr. Detlet Junker, Universität Heidelberg .................. 25 Die Sowjetunion und die "deutsche Frage" 1945-1949 Von Prof. Dr. Alexander Fischer, Universität FrankfurtiMain ........ 41 Großbritannien und die Deutschlandfrage auf den Außenministerkonferenzen 1946/47 Von Dr. Joset Foschepoth, German Historical Institute, London ...... 59 Frankreich und die "deutsche Frage" 1945-1949 Von Dr. Renata Fritsch-Bournazel, Fondation Nationale des Sciences Politiques, Paris .................................................... 85 Westdeutsche Konzeptionen zur Lösung der deutschen Frage 1945-1949 Von Prof. Dr. Mantred Overesch, Hochschule Hildesheim .............. 97

Die Beiträge dieses Bandes fußen auf Vorträgen, die auf der Wissenschaftlichen Jahrestagung des Göttinger Arbeitskreises am 28. und 29. April 1983 in Mainz gehalten wurden.

DIE AMERIKANISCHE DEUTSCHLANDPOLITIK 1945-1949 Von Werner Link Die amerikanische Deutschlandpolitik in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war für den Zeitgenossen (für den deutschen zumal) eine Abfolge von Dissonanzen und verwirrenden Clustern,orchestriert im diffusen amerikanischen Politikprozeß - mit dem Neben- und Gegeneinander der verschiedenen Regierungsstellen sowie des Kongresses und seiner Ausschüsse in Washington und der amerikanischen Militärregierung in Deutschland. Sie war eine vielstimmige Politik, aus der schrill Emotionen klangen, die der totale Krieg und die unmittelbare Konfrontation mit der Inhumanität des Dritten Reiches ausgelöst hatten. Eine Politik, die nach dem Fehlschlag sowohl des Versailler Friedensvertrages als auch des "economic peace" von 1924 und nach dem zweiten deutschen "Griff nach der Weltmacht" das "ceterum censeo Germaniam esse delendam" zu vertonen schien. Eine Politik, die dann im Zuge des Kalten Krieges allmählich durch die Änderung des Vorzeichens transponiert wurde, wodurch ein Zugleich von alten Dissonanzen und neuen Konsonanzen entstand, was zunächst nicht weniger verwirrend klang - bis sich der Akkord der Eindämmungspolitik durchsetzte, in den die deutsche Stimme, gedämpft und geteilt, eingefügt wurdel. Es ist - um noch für einen Moment die musikalische Analogie beizubehalten - nicht meine Absicht, die Partitur dieses verwirrenden Tongemäldes aufzuzeichnen. Vielmehr sei gefragt: Gab es in dieser Kakophonie nicht doch (allen Mißklängen zum Trotz) so etwas wie einen cantus firmus oder ein Leitmotiv, das zumindest im nachhinein (gewissermaßen beim nochmaligen genaueren Hinhören) zu erkennen ist? Meine Antwort lautet: ja, und zwar ist das Leitmotiv in dem zentralen 1 Einen überblick über die FüUe der Literatur zu dieser Entwicklung bietet die Bibliographie, die Manfred Knapp in dem von ihm herausgegebenen Band "Die deutsch-amerikanischen Beziehungen nach 1945" (Frankfurt und New York 1975) zusammengestellt hat (S. 225 ff.). Zur weiteren Diskussion vgl. das Referat von Günter Moltmann und mein Korreferat auf dem Mannheimer 31. Deutschen Historikertag am 24.9.1976, "Zielperspektiven der amerikanischen Deutschlandpolitik in der frühen Nachkriegszeit" (veröffentlicht in: Zeitgeschichte, 5 (1977), S. 2-12). Siehe auch Werner Link: Der Marshall-Plan und Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 50/80, 13.12.1980,

S.3-18.

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sicherheitspolitischen Bereich zu erkennen. Es ist eine Variation jener "New American Doctrine", die bereits nach dem Ersten Weltkrieg von Senator Knox formuliert worden ist! und seither für die amerikanischen Führungseliten bestimmend blieb: "Wenn eine Situation entstehen sollte, in der irgendeine Macht oder Mächtegruppierung direkt oder indirekt Freiheit und Frieden in Europa bedroht, würden die Vereinigten Staaten eine solche Situation mit großer Betroffenheit als Gefährdung ihrer eigenen Freiheit und des Friedens betrachten, und sie würden mit anderen betroffenen Mächten Konsultationen aufnehmen mit dem Ziel, konzertierte Aktionen zur Beseitigung einer solchen Gefahr zu unternehmen." Die Variationen dieses Themas in der amerikanischen Europa-Politik nach 1945 folgten den Änderungen im globalen internationalen System, die eine Änderung des amerikanischen Friedenssicherungskonzeptes bewirkten. Mit anderen Worten: Die amerikanische Deutschland- und Europa-Politik ist eine Funktion dieser Änderungen. Auf diese friedens- und sicherheitspolitische Problematik konzentriere ich meine Ausführungen. Das amerikanische Konzept der Friedenssicherung war in den letzten Kriegsjahren und bei Kriegsende global und kooperativ-integrativ angelegt; das heißt (um ein geglücktes Begriffspaar von Alois Mertes3 zu gebrauchen): abwehrende Sicherheit gegenüber den Aggressorstaaten Deutschland und Japan, kooperative Sicherheit mit den anderen Großmächten und insgesamt mit den Vereinten Nationen. Es sollte ein "System der organisierten internationalen Zusammenarbeit zur Erhaltung des Friedens" (Hull) errichtet werden, dessen essentieller Kern die gleichberechtigte Kooperation der Großmächte war. Die Drei- bzw. Viermächte-Kontrolle über Deutschland war eine der konkreten Anwendungen dieses Konzepts der gemeinsamen Friedenssicherung. Wie im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen galt auch hier das Prinzip der Einstimmigkeit (d. h. negativ ausgedrückt, das Vetorecht). Eine einvernehmliche Politik war die Voraussetzung für das Funktionieren dieses Konzepts. Roosevelt und Stalin hatten dies immer wieder hervorgehoben, und auch der neue amerikanische Präsident Truman unterstrich in seiner Juni-Botschaft an Churchill, "that without continued unity of the Big Three there could be no reasonable prospect of peace"'. ! Rede vom 18.12.1918, zitiert von Lloyd E. Ambrosius, Wilson, the Republicans, and French Security after World War I, in: Journal of American History, 59 (1972/73), S. 345. 3 Alois Mertes: Friedenserhaltung Friedensgestaltung, in: EuropaArchiv, 38 (1983), S. 187 ff. Diese Unterscheidung entspricht dem von mir entwickelten Begriffspaar "integrative" und "regressive" Konfliktregulierung, siehe Werner Link: Der Ost-West-Konflikt, Stuttgart u. a. 1980. , Zit. bei Werner Link: Das Konzept der friedlichen Kooperation und der Beginn des Kalten Kriegs, Düsseldorf 1971, S. 36.

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Aus diesem Grunde sprach sich die Administration Truman bei der Vorbereitung der Potsdamer Konferenz gegen das britische Konzept einer Westblockbildung und gegen eine Interessensphärenpolitik in Ost und West aus - solange noch Hoffnung bestand, daß die UdSSR eine kooperative Politik betreiben würde5 : "The need of the moment is to promote understanding between Great Britain and Russia on all matters in dispute. We should do all we can in this connection and direct our best efforts towards smoothing out the points of friction between the two, thereby fostering the tripartite collaboration so neccessary to lasting peace." Der Komprorniß von Potsdam lag noch durchaus im Rahmen der kooperativen Politik (auch bezüglich der Reparationsfrage). Aus amerikanischer Sicht war die Einrichtung des Außenministerrats der Versuch, in der Deutschlandpolitik die Großmächtekooperation zu institutionalisieren, um damit eine regressive, abwehrende Sicherheitspolitik zwischen den Siegern zu verhindern6 : "Such a Council would tend to reduce the possibilities of unilateral action by either the Russians or the British and would serve as a useful interim means through which the United States could work for the liquidation of spheres of influence." In Anbetracht der tiefgehenden Interessen- und Werte-Antagonismen und angesichts der Tatsache, daß die UdSSR in Osteuropa bereits ihre Interessensphärenpolitik praktizierte und in Persien und im Mittelmeerraum entsprechende Bestrebungen sichtbar wurden, ist es nicht erstaunlich, daß die Kooperation auch in Deutschland zerbrach. Erstaunlich ist vielmehr, daß sie dort solange ernsthaft versucht wurde. Die Erklärung dafür dürfte darin zu finden sein, daß beide Hauptkontrahenten des Ost-West-Konflikts solange wie nur irgend möglich wenigstens gegenüber demjenigen Staat die "antagonistische Kooperation" fortsetzen wollten, der sie zustande gebracht hatte; daß beide Hauptmächte hofften, doch noch die Entscheidung über den Status des gemeinsamen Kriegsgegners gemeinsam treffen zu können oder doch wenigstens zu verhindern, daß der besiegte Gegner die Beute einer Seite würde. Das war der Sinn der Devise, die Byrnes in seiner Stuttgarter Rede vom September 1946 formulierte7 : Deutschland sollte weder Schachfigur noch Partner im Machtkampf zwischen Ost und West werden. Ein Vier5 Briefing Book Paper, British Plan for a Western European Bloc, 28.6. 1945, in: Foreign Relations of the United states (künftig zit. FR), Conference of Berlin, I, Doc. No. 224, S. 256-264 (hier S. 264). e Ebd., S. 263. 7 Rede vom 6.9.1946, abgedruckt in: B. J. Bernstein und Allen J. Matusow (eds.), The Truman Administration, New York u. a. 21968, S. 233-238 (hier S.234).

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Mächte-Vertrag, der die Entwaffnung Deutschlands für einen Zeitraum von 25 Jahren nach Beendigung der Besatzung garantieren sollte, schien aus amerikanischer Sicht am besten geeignet zu sein, diesem Zweck zu dienen, nämlich in dem vitalen sicherheitspolitischen Bereich die Kooperation zu fixieren und somit die drohende Alternative einer Interessensphärenpolitik abzuwenden; das französische, britische und russische Sicherheitsinteresse kooperativ zu befriedigen, ohne Deutschland zu einem Vasall eines Staates zu machen. Dasselbe Konzept, das zur Institutionalisierung der Zusammenarbeit im Außenministerrat geführt hatte, lag auch diesem Vertragsgedanken zugrunde8 • Diese Bedeutung des Viermächte-Vertragsvorschlags (meist ByrnesPlan genannt) ist in der Literatur bisher nicht 'genügend beachtet worden9 • Er ist der wichtigste Ausdruck der amerikanischen Konzeption kooperativer Friedenssicherung in Deutschland, und sein Scheitern signalisierte das Scheitern dieser Politik und leitete dann die Wende in der amerikanischen Deutschland- und Europa-Politik ein. Deshalb soll im folgenden näher darauf eingegangen werden. Die amerikanische Bereitschaft, für Jahrzehnte zusammen mit den anderen Großmächten die Entmilitarisierung Deutschlands zu garantieren und notfalls zu erzwingen, bedeutete - wie amerikanischerseits wiederholt zu Recht hervorgehoben wurde - eine bewußte Abkehr von der traditionellen Politik der vertraglichen Nicht-Bindung gegenüber Europa und war insofern in der Tat "revolutionär" (Byrnes). Es war die Bereitschaft, die "New American Doctrine" verbindlich qua Vertrag zu fixieren, sich vorab vertraglich zu binden. Die Idee war öffentlich zum ersten Mal vom Senator Vandenberg in seiner Senatsrede vom 10. 1. 1945 ventiliert worden10• Entsprechende Überlegungen waren dann bei der Vorbereitung der Potsdamer Konferenz von der Truman-Administration intern angestellt, aber auf der Konferenz nicht thematisiert wordenl l • Insoweit ist die Genese von Gimbel bereits aufgehellt wordenl2 • Was Gimbel jedoch nicht erwähnt, ist der zentrale Stellenwert, den der Vertragsgedanke für die Fortsetzung der kooperativen Friedenssicherungspolitik in Deutschland als Alternative zur Interessensphärenpolitik Siehe Anm. 5 und 6. Vgl. P. Dawson Ward: The Threat of Pe ace, James F. Byrnes and the Council of Foreign Ministers, 1945-1946, Kent, Ohio 1976, der die Entwicklung bis 1946 zusammenfaßt (S. 93 f. und S. 119 f.). 10 Siehe die Zusammenfassung in: Facts on File, V, 1945, S. 12. 11 Briefing Book Paper, Memorandum vom 27.6.1945, in: FR, Conference of Berlin, I, S. 450 ff.; vgl. auch ebd., S. 191 und S. 204. 12 John Gimbel: Die Vereinigten Staaten, Frankreich und der amerikanische Vertragsentwurf zur Entmilitarisierung Deutschlands, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 22 (1974), S. 258-286. 8

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hatte. In demselben Memorandum, in dem mit diesem Ziel die Einrichtung des Außenministerrats vorgeschlagen wurde, hieß es nämlichl3 : "An agreement between the United States, the United Kingdom, the Soviet Union, and France in the form of a treaty or an advance commitment in the Security Council to use force to effect and maintain the demilitarization of Germany or to suppress future German aggression, would go far to weaken British and Soviet justifications for the maintenance of spheres of influence in Western and Eastern Europe respectively. " Nicht Frankreich, sondern die Sowjetunion und Großbritannien waren also zunächst als Adressaten dieses Plans in Aussicht genommen worden. Freilich, als sich Frankreich als die eigentliche Blockademacht bei der Durchführung der Potsdamer Einheitsbeschlüsse erwies und mit seinen Teilungs- und Territorialforderungen hegemoniale Einflußsphärenpolitik und unilaterale Sicherheitspolitik betrieb, wurde der Vertragsplan ebenfalls zum Gegenkonzept zur französischen Politik. Byrnes besprach ihn in diesem Sinne mit dem französischen Außenminister Bidault am 24.8.1945. Die sowjetische Regierung machte er am 20. 9. 1945 (Gespräch mit Molotow) und am 24.12.1945 (Gespräch mit Stalin) mit dem Vertragsgedanken vertraut14• Da die Resonanz hier wie dort insgesamt wohlwollend-unterstützend war (ohne freilich die eigene Sicherheitspolitik aufzugeben!), leitete Byrnes im Februar 1946 einen konkreten Vertragsentwurf15 den Regierungen der UdSSR, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs zu - in Vorbereitung der Frühjahrskonferenz des Außenministerrats. Die britische Regierung ließ am 19. April den amerikanischen Außenminister wissen, daß sie den amerikanischen Vorschlag lebhaft begrüße ("warmly welcome")18, während die französische Regierung eine wohlwollende Prüfung zusagte, aber zugleich einwandte, daß das Problem der militärischen Entwaffnung Deutschlands in die Gesamtentscheidungen eingefügt werden müsse, die den künftigen Status Deutschlands festzulegen und - durch territoriale militärische und wirtschaftliche Bestimmungen - die Sicherheit der alliierten Staaten zu gewährleisten hätten. Der sowjetische Außenminister erhob am 20. April "ernste Bedenken" gegen den. Vertragsentwurf, war aber mit einem Gedankenaustausch auf der Pariser Ratskonferenz einverstanden17 • 13 Siehe Anm. 5. Noch ausführlicher im selben Sinne im Memorandum vom 27. 6. 1945 (Anm. 11). 14 FR, 1945, IV, S. 724; FR, 1944, II, S. 268, und FR, 1946, II, S. 431. 15 Text des Vertragsentwurfs in: FR, 1946, II, S. 190-193. 18 FR, 1946, II, S. 82. 17 FR, 1946, II, S. 57 und S. 83.

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Auf dieser Konferenz wurde der Vertragsentwurf am 28.4.1946 zunächst informell mit Molotow besprochenl8 , der ihn (für Byrnes überraschend) rundweg als unbrauchbar und ungeeignet ablehnte, und zwar mit der fadenscheinigen Begründung, daß er die Frage der deutschen Entwaffnung bis nach der Beendigung der Besatzung aufschiebe, während doch bereits gemeinsame Vereinbarungen bestünden, daß Deutschland sofort zu entwaffnen sei. Die Sowjetunion verlange die Einsetzung einer Kommission, um die Durchführung der Entwaffnungsbestimmungen zu überprüfen. Molotow wiederholte diese negative Antwort in der Ratssitzung vom 29. April, während der britische Außenminister den Vertrag im Prinzip guthieß und auch der französische Außenminister erklärte, daß seine Regierung im großen und ganzen dem Entwurf zustimmen könnel8 • Nach einem weiteren kurzen Meinungsaustausch am 16. Mai20 wurde am 8. Juli die sowjetische Position in einem vorbereiteten Statement (das anschließend in der "Istwestia" veröffentlicht wurde) von Außenminister Molotow ausführlich begründet!!: -

Deutschland müsse nicht für 25 Jahre, sondern für 40 Jahre entwaffnet werden;

-

die vorgeschlagenen Maßnahmen seien "völlig inadäquat" und weniger umfassend als die Vereinbarungen von Jalta und Potsdam;

-

insbesondere fehle die Einbeziehung der Entnazifizierung, der Zerschlagung der Monopole, der Landreform und der Demokratisierung;

-

schließlich ignoriere der Vertragsentwurf völlig die Notwendigkeit, "to secure reparation deliveries to which fact the Soviet Government can by no means agree".

Es war offenkundig, daß die Einbeziehung dieser kontroversen Probleme den Charakter des Entwaffnungsvertrages völlig verändert und einen Vertragsabschluß, durch den ja gerade die Einigung in den anderen Fragen gefördert werden sollte, vorab unmöglich gemacht hätte. Byrnes akzeptierte zwar sofort den Vorschlag, die Vertragsdauer von 25 auf 40 Jahre zu verlängern, lehnte aber seinerseits die verlangte "radikale Revision" ab. Auf der Moskauer Konferenz des Außenministerrats wurde der VierMächte-Vertragsentwurf am 14.4.1947 von dem neuen amerikanischen Außenminister Marshall erneut unterbreitet2!. In der Vorbereitungsphase hatten die Briten die Bekundung ihres großen Interesses an 18 18 20 21 22

FR, FR, FR, FR, FR,

1946, H, S. 146 f. 1946, H, S. 167 f. und S. 170 f. 1946, H, S. 430 ff. 1946, H, S. 842-847. 1947, II, S. 331 f.

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diesem Vertrag wiederholt und die amerikanische Regierung ermutigt, auf der Ratskonferenz die Angelegenheit energisch zu betreiben!3. Frankreich blieb zurückhaltend. Auf der Reise nach Moskau legte Außenminister Marshall in Paris einen Zwischenstop ein und erläuterte dem französischen Staatspräsidenten Auriol am 6.3.1947 noch einmal, daß nach amerikanischer Auffassung das Sicherheitsproblem nicht durch einseitige Maßnahmen der Nachbarn Deutschlands und nicht durch bilaterale Vereinbarungen (wie den Dünkirchen-Vertrag), sondern nur in dem breiten Rahmen eines Vierrnächtevertrags, d. h. unter Einschluß der USA und der Sowjetunion, gelöst werden könne24 • In einem Vorgespräch mit Bidault in Moskau am 13. 3. 1947 verdeutlichte Marshall diese amerikanische Position unter anderem mit den Worten 25 : "We do not fear so much seeing Germany rising again if a genuine agreement of the Four Powers is established. What we are worried about is a Germany which will ally herself with one or the other of these Four associated powers." Bidault würdigte zwar die große Bedeutung, die die amerikanische Präsenz in Europa und vor allem in Deutschland für die Friedenssicherung habe. Aber er äußerte die Befürchtung, daß der Vier-Mächte-Vertrag als ein Substitut für materielle Garantien territorialer und ökonomischer Art, die Frankreich als unabdingbar ansehe, verstanden werden könne. D. h. auch Frankreich betrieb eine Linkage-Politik, ohne freilich die Verbindungen der diversen Problembereiche im Vertrag selbst zu fordern. Ebenso wie Frankreich bei seiner Linkage-Politik blieb, beharrte Stalin auf seinem Verlangen nach Erweiterung des Vertragsinhalts durch die Einbeziehung der Demokratisierungs- und vor allem der Reparationsregelung (Gespräch zwischen Marshali und Stalin am 24. 3. 1947)26. Trotz der formalen Ähnlichkeit der Positionen war aber deutlich, daß nicht Frankreich sondern die Sowjetunion das Haupthindernis für die Verwirklichung des Vertrages darstellte. Die amerikanische Delegation versuchte zunächst, in der Reparationsfrage einen Komprorniß mit der Sowjetunion zu erreichen. Wenn dies gelungen wäre, ohne dadurch Deutschland ökonomisch oder gar politisch in den sowjetischen Einflußbereich gleiten zu lassen, wäre der VierMächte-Pakt von diesem Problem entlastet worden; er hätte die sicherheitspolitische Basis abgeben können, auf der eine Einigung über andere Punkte hätte angestrebt werden können; und er hätte die Gefahr gebannt, daß von einem ökonomisch wiedererstarkenden Deutschland 23

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1947, 11, 1947, 11, 1947, 11, 1947,11,

S. S. S. S.

183, Anm. 48. 194. 247. 281.

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allein oder in Kombination mit der Sowjetunion eine Bedrohung hätte erwartet werden müssen. Freilich verfolgten die USA ihrerseits in der Reparationsfrage eine Linkage-Politik, indem sie nämlich diese Frage mit der Herstellung der ökonomischen Einheit Deutschlands und mit der Gewährleistung freiheitlich-demokratischer Rechte in Deutschland verband. In diesem Kontext hatte sich das Reparationsproblem selbst bekanntlich auf die Kontroverse zugespitzt, daß die UdSSR Reparationen aus der laufenden Produktion verlangte, während die USA dem widersprach, um die deutschen Exporte für die Bezahlung der lebensnotwendigen Einfuhren (d. h. zur Entlastung der amerikanischen Steuerzahler) zu reservieren. Die USA wollten nicht indirekt durch ihre Kredite die Reparationen für die Sowjetunion zahlen. In dieser Situation hatte General Clay schon im November 1946 dem amerikanischen Außenminister vorgeschlagen, mit der UdSSR eine junktimartige Vereinbarung über die Entnahme von Reparationen aus der laufenden Produktion (mit festem Höchstsatz) und über die gleichzeitige Herstellung einer wirtschaftlichen und politischen Wiedervereinigung Deutschlands nach demokratischen Richtlinien zu treffen 27 • Marshali hat diesen Kompromißvorschlag am 1. 4. 1947 in Moskau unterbreitet, aber er wurde von Molotow sofort strikt abgelehnt28 • Der Grund dafür dürfte nicht primär der reparationspolitische Aspekt gewesen sein. Denn die reparationspolitische Bedingung, für die Reparationsentnahme aus der laufenden Produktion eine entsprechende Verminderung der Demontage (nicht deren völlige Aufgabe) vorzunehmen, lag deshalb nahe, weil die Sowjetunion in ihrer Zone bereits im Mai 1946 das Ende der Demontagen (zugunsten der Reparationen aus der laufenden Produktion) verkündet hatte. Entscheidend für die Ablehnung des amerikanischen Kompromißvorschlages war die gesamtpolitische Bedingung, ein freiheitlich-demokratisches Gesamtdeutschland herzustellen, was mit dem Ziel eines kommunistischen Gesamtdeutschlands kollidierte29 • Nicht für die Einschätzung der sowjetischen Ablehnung, wohl aber für die Beurteilung der amerikanischen Politik ist von Bedeutung, daß Marshali mit seinem vorsichtigen Kompromißvorschlag vom 1. April weiter gegangen war als der Präsident zu gehen bereit war - wie die nachträgliche Weisung Trumans vom Abend desselben Tages zeigt30• 27 Memorandum, November 1946, abgedruckt in: Jean E. Smith (ed.): The Papers of General Lucius D. Clay, Germany 1945-1949, Bloomington und London 1974, S. 279 ff. 28 FR, 1947, H, S. 303 f.; im Gegensatz zu John H. Backer (Die Entscheidung zur Teilung Deutschlands, München 1981, S. 260 f.) bin ich der Meinung, daß Marshalls Kompromißvorschlag mit demjenig,en, den Clay anregte, übereinstimmt. 28 Siehe Walrab von Buttlar: Ziele und Zielkonflikte in der sowjetischen Deutschlandpolitik 1945-1947, Stuttgart 1980. 30 FR, 1947, H, S. 301 ff.

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Nachdem die amerikanische Regierung mit der Truman-Doktrin eindeutig auf Eindämmungskurs gegangen war, bestand kaum noch ein Verhandlungsspielraum. Als schließlich auf der 28. Sitzung am 14. April (also nach fünfwöchiger Konferenzdauer) die Beratungen über den VierMächte-Vertrag aufgenommen wurden31 , war es mithin nicht verwunderlich, daß die UdSSR auf ihrer radikalen Revision des Vertragsentwurfs, die sie schon auf der Pariser Konferenz gefordert hatte, bestand, wodurch das Problem des Entwaffnungsvertrages zum Problem eines Friedensvertrages geworden wäre, über dessen Bestimmungen man sich ja gerade nicht hatte einigen können. Mit der sowjetischen Ablehnung des Vier-Mächte-Vertragsentwurfs war praktisch das kooperative Friedenssicherungskonzept der USA auch in Deutschland gescheitert, und zwar im zentralen sicherheitspolitischen Bereich. Welches Zwischenergebnis läßt sich aus dieser Entwicklung ziehen? Der Vier-Mächte-Vertragsvorschlag war - wie Gimbel richtig geurteilt hatS2 - "kein amerikanisches Manöver im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion" . Gimbel hat auch teilweise recht mit der These, daß dieser Vertragsentwurf ein "Schachzug" war, "mit dem erreicht werden sollte, daß Frankreich auf seine Pläne verzichtete, das Rheinland und das Ruhrgebiet von Deutschland abzutrennen [... ], mit dem die Franzosen ferner bewegt werden sollten, im Kontrollrat die Verwirklichung der Wirtschaftseinheit Deutschlands und die Schaffung der deutschen Zentralverwaltung nicht länger durch ihr Veto zu blockieren". Er übersieht jedoch, daß der Vertragsplan ursprünglich und primär ein Schachzug gegen die Interessensphärenpolitik der Sowjetunion und Großbritanniens war. D. h. auch, ja sogar in erster Linie, war die UdSSR der Adressat - freilich (wie gesagt) nicht im Kontext des späteren Kalten Kriegskonzepts, sondern im Kontext des Konzepts der kooperativen Friedenssicherung. Byrnes' Versicherung am 16.5.1946, er hätte den Vertragsentwurf der Konferenz des Außenministerrats nicht vorgelegt, wenn der Gedanke nicht zuvor von Stalin unterstützt worden sei, ist durchaus ernst zu nehmen, zumal Molotow in derselben Ratssitzung bestätigte, daß seinerzeit Stalin "im Prinzip" zugestimmt hatte33 • Durch den Vertrag sollte nicht nur Frankreichs Sicherheitsinteresse, sondern auch dasjenige der Sowjetunion (soweit es nicht expansiv war) kooperativ befriedigt werden; wie im Fall Frankreichs sollte die Sowjetunion durch die kooperative Friedenssicherung von weiteren expansiven Forderungen und von einer unilateralen Politik abgehalten und in ihrer Deutschlandpolitik kooperativ eingebunden werden. Insofern war die 31 32

33

FR, 1947, II, S. 334ff. Gimbel (Anm. 12), S. 282. FR, 1946, 11, S. 431 f.

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Unterbreitung des Vertragsentwurfs zugleich in der Tat ein "Test der sowjetischen Absichten" (Harold Callender in der New York Times vom 30. 4. 1946)34. Byrnes hatte das in seinem vorbereitenden Gespräch mit Molotow am 28.4. 1946 klar zum Ausdruck gebracht, indem er sagte35 : ,,[... ] frankly, there were many people in the United States who were unable to understand the exact aim of the Soviet Union - whether it was a search for security or expansionism." Der Test des Vier-Mächte-Vertragsentwurfs hatte nach amerikanischer Auffassung gezeigt, daß die Sowjetunion auch in ihrer Deutschlandpolitik nicht Sicherheit sondern Expansion anstrebte. Außenminister Marshall hatte vermutlich recht mit der Annahme, daß die UdSSR durch ihre Politik der Erweiterung des Inhalts des Vier-Mächte-Vertragsentwurfs beabsichtigte, einen solchen Vertrag zu verhindern, "which would bring the United States officially and formally into the military picture of Europe in such a manner" (Botschaft an den Präsidenten vom 22.4.1947)36. Für den ehemaligen General war die Ablehnung des Demilitarisierungsvertrages das entscheidende Indiz für das Scheitern der Kooperationspolitik37 : ,,[••• ] If we cannot agree to the basic first step of keeping Germany disarmed and unable to wage war, Marshall said, we have indicated to the world a complete lack of unity of purpose in our approach to the German settlement." Während Marshall die Truman-Doktrin anfangs als eine überreaktion kritisiert hatte, schwenkte er jetzt voll auf diesen regressiven Kurs ein. Fortan verlief die amerikanische Deutschlandpolitik nicht mehr im Rahmen des kooperativen Firedenssicherungskonzepts, sondern im Rahmen des abwehrenden Sicherheitskonzepts, und das hieß: westeuropäische Zusammenarbeit, ökonomisch und militärisch, Einfügung eines zu gründenden westdeutschen Staates in diesen westeuropäischen Verbund und europäisch-amerikanischer Beistand. Es war John Foster Dulles, der diese Perspektive präzisierte und Außenminister Marshall speziell während der Moskauer Außenministerratskonferenz und auf der Rückreise entsprechend beeinflußte. Dulles war zu dieser Zeit außenpolitischer Berater des republikanischen Präsidentschaftskandidaten und UN-Delegierter. Gegenüber der Stuttgarter Byrnes-Rede, deren entschiedenen Ton er ansonsten begrüßte, wandte er ein38 : ,,1 would have thought it better to envisage the German proZit. bei Gimbel (Anm. 12), S. 259, Anm. 3. FR, 1946, II, S. 146. 36 FR, 1947, II, S. 376. 37 FR, 1947, II, S. 335. 38 Brief an Senator Vandenberg vom 12. 9. 1946, Kopie (Dulles Papers, Princeton University Library). 34

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blem in the setting of an increasing political and economic unity for Western Europe." In seiner weithin beachteten Rede "Europe Must Federate or Perish" vom 17.1. 1947 legte er sein Konzept von der Einfügung der deutschen Frage in eine europäische Lösung der Öffentlichkeit vor. Diese Rede war der Auslöser für Marshalls Bitte, daß Dulles ihn nach Moskau zur Außenministerratskonferenz im Frühjahr 1947 begleiten möge. Nachdem sich Dulles zuvor im State Department Rückendeckung für seine europäische Konzeption verschafft hatte, setzte er sich in Moskau gegenüber der als antifranzösisch empfundenen Auffassung Clays und Murphys durch und überzeugte Marshall, "that the problem of Germany could not dealt with alone". Er hatte den Eindruck, daß Marshall auf seinem Rückflug die Idee seiner Harvard-Rede entwickelte, "the thought of which was that it was possible to solve the problem of Europe only as a whole". Dulles Vorstellungen trafen sich mit denjenigen, die im State Department vorherrschten; sie wurden nunmehr von Außenminister Marshall aufgegrüfen. Sie waren westeuropäisch orientiert, und in das neue westeuropäische Konzept wurde das Deutschland-Problem eingeordnet (nicht umgekehrt, wie John Gimbel meint)39. Daß sich der wirtschaftliche Aspekt dieses Konzeptes im ERP konkretisierte, ist in der Literatur hinreichend behandelt worden. Hingegen wurde die neue Weichenstellung im sicherheitspolitischen Bereich nicht genügend beachtet. Interessanterweise wäre die britische Seite im Sommer 1947 bereit gewesen, den Vier-Mächte-Vertragsgedanken weiterzuverfolgen und dabei den russischen Forderungen insoweit entgegenzukommen, daß eine Bestimmung aufgenommen werden sollte, nach der in anderen Bereichen, in denen später im Außenministerrat eine Einigung erzielt werden würde, dieselben Verfahrensweisen der Inspektion und der Erzwingung angewandt werden sollten, wie bei der Demilitarisierung4°. Auf britischen Wunsch wurde der amerikanische Vertragsentwurf am 26. 11. 1947 nochmals auf die Tagesordnung der Konferenz der Außenminister in London gesetzt, aber überhaupt nicht mehr diskutiert41 • Jetzt waren es die Franzosen, die es gerne gesehen hätten, wenn der Entwurf des Vier-Mächte-Vertrages in einen Drei-Mächte-Vertrag umgestaltet worden wäre, um die amerikanische Sicherheitsgarantie auf diese Weise gegen Deutschland zu erhalten. Aber dieser Vorschlag war nunmehr in amerikanischen Augen sv Dazu (mit den Zitat-Nachweisen) Werner Link: Deutsche und amerikanische Gewerkschaften und Geschäftsleute 1945-1975, Düsseldorf 1978,

S. 111 f. 40 FR, 1947, II, S. 677. 41 FR, 1947, II, S. 733. 2 Deutschlandfrage

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obsolet geworden'!. (Und auch in dieser Tatsache zeigt sich, daß nicht Frankreich sondern die UdSSR dessen eigentlicher Adressat gewesen war!) Daß dem französischen Drängen nach einem Sicherheitspakt gegen Deutschland nicht nachgegeben wurde, hatte allerdings gravierende Folgen für die neue amerikanische Deutschlandpolitik. Wie Murphy Ende 1948 klagte43 , wurde jeder Schritt einer progressiven amerikanischen Deutschlandpolitik dadurch behindert, daß Frankreich darauf bestand, jedes Problem mit der Sicherheitsfrage zu belasten, "whether relating to the manufacture of aspirin or textiles, traffic on the Rhine, the occupation statute, Western German Government, or the Ruhr Control Authority". Aber ohne Frankreich war auch die neue Politik nicht durchzuführen. Sie bestand darin, statt kooperativ-integrativer Sicherheitspolitik gegen Deutschland eine repressiv-abwehrende Sicherheitspolitik gegen die Sowjetunion zu betreiben - bei Einbeziehung Westdeutschlands in ein westliches Sicherheitssystem, das zunächst europäisch konzipiert war (Brüsseler Pakt mit der Perspektive des späteren Beitritts des westdeutschen Staates). Diese Politik wurde aber von Anfang an in dem Bewußtsein betrieben, daß eine amerikanischeuropäische Verklammerung notwendig sein würde, die dann bekanntlich in der NATO erreicht wurde. Es kann hier nicht nachgezeichnet werden, wie die USA Frankreich schrittweise dazu brachten, diese neue Sicherheitspolitik gegen Deutschland eine regressiv-abwehrende Sicherzitiert, die Außenminister Marshali am 19. Februar 1948 an die französische Regierung übermitteln ließu : "French preoccupation with Germany as major threat at this time seems to us outmoded and unrealistic. Germany might possibly become threat in distant future but in meantime real threat to France seems to us to be another power which will undoubtedly seek to utilize substantial segments of German economy if unable to get control of Germany. In our opinion French security for many years to come will depend on integration of Western Europe including western German economy. Unless western Germany during coming year is effectivley associated with Western European nations, first through economic arrangements, and ultimately perhaps in some political way, there is a real danger that whole of Germany will be drawn into the eastern orbit with obvious dire consequences for all of us." In diesen Worten ist die Politik der Anpassung der amerikanischen Deutschland- und Europapolitik an die neue Situation des Kalten Krieges treffend formuliert - eine Anpassung an die Bedingungen des '2 FR, 1948, H, S. 62 f.

FR, 1948, H, S. 1339. " FR, 1948, H, S. 71. 43

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Kalten Krieges, der nicht in Deutschland ausgebrochen war, aber nun dort voll durchschlug. Gleichwohl ist wichtig zu erkennen, daß die NATO auch Sicherheit gegen Deutschland geben sollte. Der neue Außenminister Acheson hat diesen Aspekt nicht nur gegenüber Frankreich, sondern auch in der internen vertraulichen Diskussion mit den amerikanischen Führungseliten eindeutig herausgestellt, so beispielsweise in einer Besprechung mit den Senatoren Connally und Vandenberg am 14.2.1949, indem er den Wert der NATO als Abschreckungsinstrument gegen jedweden künftigen Aggressor und deren Bedeutung für das Deutschland-Problem hervorhob, "since it was doubtful that, without some such pact, the French would ever be reconciled to the inevitable diminution of direct allied control over Germany and the progressive reduction of occupation troops; that a pact of this nature would give France a greater sense of security against Germany as wen as the Soviet Union and should materially help in the realistic consideration of the problem of Germany"45. Der Nordatlantik-Vertrag enthielt also auch Elemente, die als Ersatz für den verweigerten Drei-Mächte-Sicherheitsvertrag gegen Deutschland zu werten sind. Da die Einfügung der Westzonen bzw. der Bundesrepublik Deutschland in den westlichen Verband die einstweilige Hinnahme der Teilung Deutschlands bedeutete, war dadurch zugleich die Gefahr gebannt, daß sich Frankreich einem gesamtdeutschrussischen Machtkombinat gegenübersehen könnte. Die Hinwendung der USA "vom universalistischen Traum zur Realität der Einflußsphären" (R. Aron)48 beendete mithin auch den Traum von einem Gesamtdeutschland, dessen Verwirklichung unter westlich demokratischen oder östlich kommunistischen Vorzeichen die USA und die UdSSR sich gegenseitig verweigerten47 • Theoretisch blieb auch unter den Bedingungen des Kalten Krieges noch eine Alternative zur Einbeziehung der beiden Teile Deutschlands in die jeweilige Interessensphäre: nämlich die Ausklammerung oder Ausgrenzung Deutschlands mittels einer Neutralisierung und eines allgemeinen Disengagements (bei schrittweisem Truppenrückzug beider Seiten bzw. Truppenumgruppierungen auf wenige Enklaven). Derselbe George Kennan, der schon 1945 eine Interessensphärenpolitik vorgeschlagen und 1946/47 die Containment-Politik angeregt hatte, vertrat seit Sommer 1948 (nun wiederum im Gegensatz zur offiziellen amerikanischen Deutschlandpolitik) die Disengagement-Konzeption im Plau 46

47

FR, 1949, IV, S. 109. R. Aron: The Imperial Republic, Prentice Hall 1975, S. 40. Vgl. dazu v. Buttlar (Anm. 29), passim.

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nungsstab des State Department48 • Loth hat unlängst auf diesen (schon früher bekannten) Sachverhalt verwiesen49, ohne freilich zu berücksichtigen, daß die genannte Alternative nicht erst nach dem Erfolg der Berliner Luftbrücke fallengelassen wurde. Vielmehr stieß der KennanPlan von Anfang an auf die Ablehnung der Europa-Abteilung und des Assistant Secretary of State für Wirtschaftsfragen bzw. für besetzte Gebiete. John Hickerson (Leiter der Europa-Abteilung) erklärte in seinem Memorandum vom 31. 8.1948 klipp und klaro, daß ,,[... ] the dangers of the proposed approach outweigh its advantages and that it would not be in the interests of the United States to make this proposal". Es handelte sich also bei den Plänen des Disengagements bzw. der Truppenumgruppierung (Rückzug auf Enklaven) lediglich um unverbindliche Überlegungen des Planungsstabes, die im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer neuen Konferenz des Außenministerrats im Mai/ Juni 1949 genauer diskutiert und dann endgültig sowohl von der politischen und militärischen Führung der USA als auch von den Regierungen Großbritanniens und Frankreichs abgelehnt wurden51 • Eine Neutralisierung wurde völlig ausgeschlossen. Ein Rückzug der Besatzungstruppen in Enklaven ("regrouping") sollte höchstens für die Zeit in Aussicht genommen werden, wenn die neue Bundesregierung ihre Tätigkeit auf Gesamtdeutschland ausgedehnt habe und Recht und Ordnung dort gewährleisten könne52• Kennan hatte durchaus recht, in dieser Denktendenz ein Indiz dafür zu sehen, "that we do not really want to see Germany unified at this time, and that there are no conditions on which we would really find such a solution satisfactory" (Memorandum vom 20. 5. 1949)53. Es muß freilich hinzugefügt werden, daß sich die offizielle amerikanische Politik, vor einer Stabilisierung der Bundesrepublik keine Truppenreduzierung vorzunehmen, im vollen Einklang mit der Auffassung der deutschen Spitzenpolitiker Adenauer, Schumacher und Arnold befand (Bericht Bevins über seine diesbezüglichen Gespräche Anfang Mai 1949)54. Für die deutschen Demokraten rangierte Freiheit vor Einheit. Die deutsche Einheit wurde von den USA nicht als absoluter Wert an sich angesehen, sondern im Kontext der westeuropäischen Stabilisierungspolitik betrachtet, und zwar nicht nur von der Siehe die Dokumente in FR, 1948, II, S. 1287-1340. n Wilfried Loth: Die deutsche Frage als europäisches Problem, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 51-52/82, 25. 12. 1982, S. 10 f. 50 FR, 1948, II, S. 1287, Anm. 1. 51 Siehe FR, 1949, III, S. 856-1065; vgl. Dean Acheson: Present at the Creation, 1. Aufl. 1969, Signet-Book 1970, S. 384. 52 FR, 1949, III, S. 906. 53 FR, 1949, III, S. 889. 54 FR, 1949, III, S. 871. 48

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Regierung55 , sondern auch von der Opposition. Am präzisesten wurde die westeuropäische Perspektive wiederum von John Foster Dulles skizziert. In seinem Memorandum vom 11. 2. 1949, das er in einer Konferenz mit Außenminister Acheson am 14. 2. 1949 unterbreitete, hieß es56 : "As the situation was when the Atlantic pact began to be discussed, and as it still is, a withdrawal of United States occupation troops from Germany or the segregation of such troops in isolated areas such as Bremen and Hamburg and the establishment of a central all-German government would arise very serious problems. The American troops are now a barrier between the Red armies and Western Europe, they help do divide Germany and they form a vital part of the government of Germany. Withdrawal of that barrier and ending of the division of Germany and its military government would so accentuate fe ar of Russia, plus Germany, that fear, not confidence would become the dominating force in Western Europe." Der Widerspruch zwischen tatsächlicher Westintegration der Bundesrepublik Deutschland und der verbalen Bekundung des Einheitswillens wurde durch die Erwartung überwunden, daß von einem starken Westeuropa und einer integrierten Bundesrepublik Deutschland eine Magnetwirkung ausgehen würde. Erst wenn Westeuropa wirtschaftlich und militärisch stark sei, schien eine Wiedervereinigung Deutschlands (wie sie Kennan vorschlug) gefahrlos möglich zu sein57 . ERP, Brüsseler FünfMächte-Pakt und NATO waren die Instrumente dieser Stabilisierung. Wenn die Sowjetunion auf der Ratskonferenz im Mai/Juni 1949 auf den (einst von ihr blockierten) Viermächte-Entwaffnungsvertragsentwurf zurückgekommen wäre, hätte die· amerikanische Regierung bezeichnenderweise argumentiert, daß die gegenwärtigen Sicherheitsgarantien ausreichten und es überflüssig sei, alternative Maßnahmen in einem separaten Vertrag zu vereinbaren: "These should be incorporated in the final peace treaty, which the U.S. agrees should be concluded as soon as possible" (Memorandum vom 15.5.1949, "U.S. Position at the Council of Foreign Ministers")58. Zusammenfassung und Ausblick

Der Übergang vom Vier-Mächte-Vertragsentwurf zum Brüsseler Pakt und zur NATO ist zugleich der Übergang von der kooperativen Politik der abwehrenden Sicherheit gegen Deutschland zur regressiven Politik Vgl. FR, 1949, UI, passim, und Acheson (Anm. 51), S. 383. Kopie in den Dulles Papers. 57 Vgl. das oben zitierte Memorandum von Hickerson (Anm. 50). 58 FR, 1949, UI, S. 902. 55 56

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der abwehrenden Sicherheit gegen die Sowjetunion (unter Einbeziehung Westdeutschlands in die neue ökonomische und militärische Sicherheitspolitik). Aber ebenso wie bei dem Vier-Mächte-Pakt zugleich auch die Sowjetunion kooperativ gezähmt werden sollte, sollte durch den Westpakt auch die Bundesrepublik Deutschland kooperativ kontrolliert und beschränkt werden. D. h. die Einbeziehung Deutschlands in das ERP und die in Aussicht genommene spätere Einbeziehung in den Brüsseler Pakt bzw. in die NATO dienten sowohl zur Stärkung des Westens gegen die russische Expansion und kommunistische Infiltration als auch zur Eindämmung und Zähmung Westdeutschlands - wobei nach wie vor die Gefahr insbesondere in einer eventuellen russisch-deutschen Mächtekombination gesehen wurde. Diese Intention der amerikanischen Deutschlandpolitik wurde sowohl bei der Staatsgründung als auch später deutlich - beispielsweise 1958, als kein geringerer als John Foster Dulles vertraulich ausführtes,: "My own feeling about Germany is that Germany is not safe for the world unless Germany is tied in to other countries in some way that there cannot be a disengagement. It is the integration of Germany with France and the Netherlands, the UK, US, that is the thing which is going to make Germany safe." Mit anderen Worten, die Bundesrepublik Deutschland wurde als Partner im Ost-West-Konflikt betrachtet, aber zugleich mittels Integration und Kooperation kontrolliert. Nach dem Auseinanderbrechen der "Einen Welt" führte die Orientierung der amerikanischen Deutschlandpolitik an der globalen Eindämmung und an der westeuropäischen Stabilisierung dazu, daß der Politik der Westintegration der entstehenden Bundesrepublik Deutschland der Vorzug vor der gesamtdeutschen Politik gegeben wurde, um das Risiko der Ausweitung der sowjetischen Einflußzone auf Gesamtdeutschland zu vermeiden. Die Realität der Interessensphärenpolitik siegte über die Wunsch vorstellung nationaler Einheit und internationaler Einigung. Die Bundesrepublik Deutschland wurde zum Partner der USA im Ost-West-Machtkampf, weil ohne Westdeutschland eine ökonomische und politische Stabilisierung Westeuropas nicht denkbar war. Im Kern war das Gegenmachtbildung, balance of power policy, und die Bundesrepublik Deutschland erhielt ihren Stellenwert 1948/49 im Rahmen dieser Politik. In diesem Sinne schrieb Clay am 18.9.1948 an Byrnes80 : "I am convinced that a strong Western German government reoriented towards Western Europe would do much to restore the political and economic balances in Europe in our favor."

59 60

Ausführungen vom 9. 5. 1958 (Ms. in den Dulles Papers). Byrnes Papers (Clemson University Library).

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Durchgängiges Leitmotiv der amerikanischen Deutschland- und Europa-Politik war das Ziel, die Hegemonie eines europäischen Staates zu verhindern. Die USA waren -

gegen eine deutsche Hegemonie (d. h. gegen die Hegemonie eines wiedererstarkten Deutschlands),

-

gegen eine russische Hegemonie und

-

gegen eine französische Hegemonie (wobei eine französische oder russische Hegemonie jeweils durch die Beherrschung Deutschlands hätte entstehen können).

Die USA, Frankreich und Großbritannien trafen sich in dem gemeinsamen Interesse, eine Hegemonie der UdSSR mittels der Beherrschung Gesamtdeutschlands zu verhindern, und dieses Interesse teilte auch Westdeutschland bzw. die Bundesrepublik Deutschland. Diese Gemeinsamkeit war die Basis der westdeutschen Westbindung. Daß die drei Westmächte außerdem ein gemeinsames Interesse darin sahen, Deutschland nicht zu stark werden zu lassen und einzudämmen, machte ihre Distanz zur deutschen Politik aus. Daß sich die USA und die Bundesrepublik Deutschland in dem gemeinsamen Interesse trafen, sowohl eine russische Hegemonie als auch eine französische Hegemonie zu verhindern, begründete die besondere deutsch-amerikanische Interessengemeinsamkeit. Die Entscheidung Frankreichs, die sich im Schumann-Plan erstmals manifestierte, statt einseitiger direkter Kontrolle und Beherrschung Kontrolle durch Partnerschaft (Integration) zu betreiben, ermöglichte die zeitweise Übereinstimmung von atlantischem und europäischem Konzept - stellte also zumindest vorübergehend eine umfassende westliche transatlantische Interessensidentität her. Darin lag der große Erfolg der im Jahre 1947 eingeschlagenen amerikanischen Deutschlandund Europa-Politik.

DIE "REVISIONISTISCHE" SCHULE IN DER AMERIKANISCHEN HISTORIOGRAPHIE UND DIE ANFÄNGE DES OST-WEST-KONFLIKTS Von Detlef Junker Revisionen in der Geschichtswissenschaft gehören zur alltäglichen und zugleich beunruhigenden Erfahrung jedes Berufshistorikers. Beunruhigend deshalb, weil man aus der andauernden Erfahrung kontroverser Geschichtsschreibung über denselben Gegenstand außerordentlich skeptische Schlüsse ziehen kann. Wer etwa im Jahre 1983 den kühnen Versuch unternimmt, sich auf den sogenannten Stand der Forschungbeispielsweise über die englische oder die amerikanische oder die französische oder die gescheiterte deutsche oder die russische Revolution zu bringen, könnte zu der Anerkenntnis genötigt werden, daß die radikale philosophische Hermeneutik mit ihrem Urteil über die grundsätzliche Geschichtlichkeit, lebensweltbedingte Standortgebundenheit und damit Subjektivität jeder historischen Aussage recht hat. Für eine solche skeptische Position liefern die Historiker selbst, so scheint es, die besten Argumente, und zwar auf eine dreifache Weise. Erstens publizieren sie in allen Ländern mit einiger geschichtswissenschaftlicher Tradition in regelmäßigen Abständen Beiträge zur Geschichte der Forschung über denselben Gegenstand, in denen sie die aufeinanderfolgenden Richtungen, Strömungen, Schulen und Interpretationsmuster Revue passieren lassen. Zweitens werden als Ursache für die Entstehung einer neuen Schule oder einer neuen Interpretation in der Regel nicht neue Quellen, nicht Lücken in der historischen Forschung, etwa vernachlässigte Kausalzusammenhänge, angegeben, sondern Veränderungen der Realgeschichte, d. h. der Lebenswelt und Vorurteilsstruktur der nächsten Generation von Historikern. Drittens erhalten die unterschiedlichen Deutungen durch die Historiker nicht selten politisch-weltanschauliche Etiketten. Man unterscheidet ganz ungeniert eine katholische von einer evangelischen, eine marxistische, sozialistische, liberale von einer konservativen, eine deutsche, englische, amerikanische von einer französischen Interpretation eines historischen Gegenstandes - als wollten die Geschichtswissenschaftler selbst keinen Zweifel daran lassen, daß es wirklich der Herren eigener Geist ist, in dem die Zeiten sich bespiegeln.

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Diese beunruhigenden Beobachtungen gelten auch für die Geschichte der amerikanischen Historiographie des 20. Jahrhunderts im allgemeinen, der Deutung des Kalten Krieges und seiner Entstehung im besonderen. Die sogenannte revisionistische Schule in der amerikanischen Geschichtswissenschaft - ein Phänomen der 60er und frühen 70er Jahre, über deren Interpretation der Ursprünge des Kalten Krieges zu berichten sein wird - steht selbst in einer Tradition sich ablösender Schulen. Fast alle Kenner der amerikanischen Historiographie stimmen darin überein, daß die Revisionisten die dritte ausgeprägte Schule der amerikanischen Geschichtswissenschaft in diesem Jahrhundert darstellen: nach den "progressive historians", die seit der Jahrhundertwende bis in die 30er Jahre - im zeitlichen und kausalen Zusammenhang mit den politischen Reformbewegungen des Wilsonschen Progressivismus und des Rooseveltschen New Deal - den Aufstand gegen den Historismus und das Objektivitätsideal der Väter probten; und nach den "consensus historians" der 40er und 50er Jahre, die ihre Argumente aus der Kritik der progressiven Schule und aus der Erfahrung der unmittelbaren Nachkriegszeit nach 1945 gewannen!. Die revisionistische Schule ihrerseits versteht sich als scharfe Kritikerin der Interpretationen der Konsensus-Historiker, sie knüpft zugleich teilweise an Motive, Analysen und Deutungen der progressiven Historiker an. Man könnte den aus Iowa stammenden Historiker William Appleman Williams als Vater, den ebenfalls im Mittleren Westen geborenen Charles A. Beard als Großvater der revisionistischen Schule bezeichnen. Beard hat im Jahre 1913 mit seinem Werk von unglaublicher Wirkungsgeschichte "An Economic Interpretation of the Constitution of the United States" und mit zahlreichen anderen Büchern, deren Gesamtauflage bis 1949 auf 11 Mill. gestiegen war, das Vorbild einer Geschichtsschreibung geliefert, deren Ingredienzen sich in unterschiedlichen Dosen auch in der revisionistischen Schule wiederfinden: Bewußt parteiisch und werturteilsgeladen, kritisch gegenüber der eigenen Geschichte, in einer nichtmarxistischen Weise einer ökonomischen Geschichtsbetrachtung verpflichtet, der Hoffnung hingegeben, für eine bessere Zukunft eine "brauchbare Vergangenheit" (usable past) zu finden s. 1 Vgl. dazu aus der deutschsprachigen Literatur zur amerikanischen Historiographie: Klaus Schwabe: Das amerikanische Geschichtsbewußtsein, in: Oswald Hauser (Hg.): Geschichte und Geschichtsbewußtsein. 19 Vorträge, GöttingenIZürich 1981, S. 312-329; Erich Angermann: Die amerikanische Revolution im Spiegel der Geschichte, in: Ders. (Hg.), Revolution und Bewahrung, Beiheft 5 (Neue Folge), Historische Zeitschrift, München 1979, S. 13-88; Udo Sautter: Geschichtsbild und Geschichtsbewußtsein in den Vereinigten Staaten, in: Saeculum 1977, S. 31--41. ! Charles A. Beard: Eine ökonomische Interpretation der amerikanischen Verfassung. Aus dem Amerikanischen von Ulrich Bracher. Einleitung Johann Baptist Müller, Frankfurt am Main 1974, S. 7.

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Auch die Darstellung der neuen Revisionisten beginnt in der Regel mit einer Beschreibung des politischen Hintergrunds ihrer Entstehungszeit. Die Bürgerrechtsbewegung, die Rassenkrawalle, die Probleme der Minderheiten in der amerikanischen Gesellschaft, die studentische Protestbewegung, vor allem aber der Krieg in Vietnam lieferten die Motive für die Herausbildung einer neuen, in sich keineswegs homogenen Gruppe teils linksliberaler, teils sozialistischer, auch marxistischer Historiker, die man nicht ganz zu Unrecht als "New Left"-Historiker bezeichnet hat. Das vielleicht bedeutendste historiographische Ziel dieser Revisionisten war es, den Konsens über die amtliche, bis Ende der 50er Jahre von der überwältigenden Mehrheit der Amerikaner und ihrer Historiker gebilligten Interpretation der Ursachen und Verlaufsform des Kalten Krieges zu zerstören. Arthur Schlesinger jr. hat an der Jahreswende 1967/68 diese sogenannte orthodoxe Auffassung in oft zitierten Worten zusammengefaßt: "The orthodox American view, as originally set forth by the American Government and as reaffirmed until recently by most American scholars, has been that the Cold War was the brave and essential response of free men to communist aggression4 ." Die Kritik der Revisionisten an dieser Interpretation wird in ein negativ bewertetes Kontinuum amerikanischer Außenpolitik gestellt. Es geht ihnen nicht nur darum, einzelne Aspekte wie die Einschätzung der sowjetischen Ziele, das Osteuropa- und Deutschlandproblem oder den Komplex "Atombombe" in Frage zu stellen, sondern mit der Geschichte des Kalten Krieges die gesamte amerikanische Außenpolitik seit der Gründung der Union umzuschreiben. Diese historische Dimension muß deshalb in den folgenden Versuch einbezogen werden, die wichtigsten Thesen der revisionistischen Historiker über die Entstehung des Kalten Krieges in einem idealtypischen Zusammenhang darzulegen. Im Zentrum der Interpretation durch die Neue Linke stehen die Begriffe Wirtschaft, Expansion und Imperium. Ihr Grundmuster hat der außerordentlich einflußreiche Historiker William Appleman Williams in zahlreichen Büchern, Aufsätzen und Quelleneditionen5 formuliert. 3 Ebd., S. 12-20; vgl. Charles A. Beard: Written History as an Act of Faith, in: American Historical Review, Vol. 39 (1933/34), S. 291-321. 4 Arthur Schlesinger jr.: Origins of the Cold War, in: Foreign Affairs 46 (1967/68), S. 22-52, Zitat S. 23. 5 Vgl. besonders William A. Williams: The Tragedy of American Diplomacy, New York 21962 (dt. übersetzung nach dieser Ausgabe: Die Tragödie der amerikanischen Diplomatie, Frankfurt 1973); ders.: The Roots of the Modern American Empire. A Study of the Growth and Shaping of Social Consciousness in a Marketplace Society, New York 1969; ders.: History as a Way of Learning, New York 1973 (Sammlung von Aufsätzen).

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Danach waren die USA seit ihrer Gründung und sind immer noch eine expansive und imperiale Macht. Bis zum Bürgerkrieg bedeutete diese Ausdehnung Landnahme auf Kosten der drei alten europäischen Kolonialmächte auf dem nord amerikanischen Kontinent, nämlich Englands, Frankreichs und Spaniens, sowie auf Kosten Mexikos und der Indianer. Nach dem Bürgerkrieg, der industriellen Revolution und dem offiziellen Ende der offenen Grenze auf dem nord amerikanischen Kontinent unterlag diese Expansion einem Form- und Bedeutungswandel. Seitdem war und ist amerikanische Außenpolitik in dieser Interpretation wesentlich ein Reflex des aus innerer ökonomischer Notwendigkeit auf äußere Expansion angelegten liberal-kapitalistischen Wirtschaftssystems der USA; eine Notwendigkeit, di{! von der außenpolitischen Entscheidungselite des Landes stets kongenial erkannt wurde. Dieser systemimmanente Zwang äußert sich in dem unablässigen Versuch, eine globale, den Handels- und Kapitalbedürfnissen dieser Wirtschaft angepaßte Pax Americana zu errichten und gegen alle revolutionären Bewegungen notfalls mit Gewalt zu konservieren. "Empire is as American as apple pie", wie Williams es einmal formuliert hat. Die liberalen Forderungen der USA nach ungehindertem Zugang zu den Weltmärkten, nach der Offenen Tür, nach gleichen Chancen und Gleichbehandlung auf den Auslandsmärkten sind in dieser Interpretation formale Postulate, die unter dem Schein von Gleichheit und Gerechtigkeit dem Aufbau eines "informal empire" dienen sollten und gedient haben, indem die USA auf Grund ihrer überlegenen Wirtschaftskraft de facto herrschen. Cuius oeconomia, eius regio. Die handelspolitischen Mittel dieser Politik sind einerseits der permanente Kampf gegen Schutzzölle und regionale Zollpräferenzsysteme (bei anderen), gegen handelspolitischen Bilateralismus, Autarkismus und Protektionismus, gegen zweiseitige Verrechnungsabkommen und Devisenkontrollen, seit 1923 auch gegen die nur bedingte Meistbegünstigungsklausel in Handelsverträgen und andererseits die ständige Forderung nach freiem Austausch von Waren und Gütern, nach freiem Zugang zu den Rohstoffen dieser Welt und nach Investitionsfreiheit. Eine nicht unerhebliche Zahl von Historikern, die diesem Erklärungsmuster von Williams folgen und/oder es durch ihre eigenen Forschungen bestätigt sehen, hat das Thema vom konterrevolutionären und imperialen Amerika in bewußt systemkritischer Absicht aufgenommen und die gesamte amerikanische Außenpolitik in diesem Sinne umgeschrieben, turning the Great American Success Story upside down. Wer sich genügend Zeit für die Lektüre revisionistischer Autoren nimmt, kann dieses so definierte imperiale Amerika in der gesamten Geschichte des 20. Jahrhunderts am Werke sehen: im spanisch-amerikanischen

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Krieg von 1898, beim Eintritt in den Ersten Weltkrieg, in Versailles, auf etwas subtilere Weise auch in der Zwischenweltkriegszeit, sofern man nicht auf die "Legende" (Williams) vom Isolationismus hereinfällt, beim Entschluß, die amerikanisch beherrschte Welt im Zweiten Weltkrieg gegen Hitler und Japan, im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion durchzusetzen8 • Das letztere, die Entstehung des Kalten Krieges, nimmt in dieser Interpretation einen hervorragenden Platz ein. Geplagt von der Erinnerung an die zerrüttete Weltwirtschaft der Zwischenkriegszeit und getrieben von der Furcht vor einer Rezession nach dem Kriege, war sich in der revisionistischen Interpretation die amerikanische Entscheidungselite schon vor dem Ende der militärischen Kämpfe darin einig, nach dem Krieg die eine, liberal-kapitalistische, von den USA geführte Welt zu schaffen. Wenn Roosevelt auch viele politische Probleme im engeren Sinne, etwa die Zukunft Deutschlands nach dem Kriege, vor sich herschob, habe es über dieses ökonomische Hauptziel eine fast selbstverständliche Einmütigkeit gegeben. Nach Kolko, Williams und Gardner zum Beispiel waren die zentralen Nachkriegsziele wirtschaftlicher Natur, die Politik war nur das Instrument, um Amerikas beispiellose Macht und Position in der europäischen und Weltwirtschaft zu erhalten und zu erweitern, den amerikanischen Kapitalismus zu Hause und in Übersee zu sichern7 • 6 Vgl. z. B. Williams: Tragedy; Walter F. LaFeber: The New Empire: An Interpretation of American Expansion, 1860-1898, Ithaca/New York 1963; Hans-Ulrich Wehler: Der Aufstieg des amerikanischen Imperialismus. Studien zur Entwicklung des Imperium Americanum 1865-1900, Göttingen 1974; Carl P. Parrini: Heir to Empire: Uni ted States Economic Diplomacy, 1916-1924, Pittsburgh 1969; Arno J. Mayer: Politics and Diplomacy of Peacemaking: Containment and Conterrevolution at Versailles, 1918-1919, New York 1967; N. Gordon Levin: Woodrow Wilson and World Politics, New York 1968; Robert Freeman Smith: American Foreign Relations, 1920-1942, in: Barton J. Bernstein (Ed.), Towards a New Past. Dissenting Essays in American History, New York 1967, S. 232-256; Lloyd C. Gardner: Economic Aspects of New Deal Diplomacy, Madison 1964; Hans-Jürgen Schröder: Deutschland und die Vereinigten Staaten 1933-1939, Wiesbaden 1970; vgl. auch das Gemeinschaftswerk dreier revisionistischer Autoren, eine Geschichte der amerikanischen Außenpolitik seit der Gründung der Union: Lloyd C. Gardner, Walter F. LaFeber, Thomas J. McCormick: Creation of the American Empire: U.S. Diplomatie History, Chicago 1973. In der Schärfe der Kritik vergleichbar ist Stephen E. Ambrose: Rise to Globalism, American Foreign Policy, 1938-1976, rev. edition, New York 1976. 7 Vgl. Gabriel Kolko: The Politics of War: Allied Diplomacy and the World Crisis of 1943-1945, London/New York 1968, besonders S. 242-279, 619-620; Lloyd C. Gardner: Architects of Illusion. Men and Ideals in American Foreign Policy. Chicago 1970, S. IX, 319; und Williams: Tragedy, S. 210: "Supported by a thoroughly bipartisan assortment of liberals and conservatives, this reassertion of the traditional open door strategy guided the community of American policymakers throughout the war and on into the cold war era ... As with Theodor Roosevelt's concern to save civilization and Wilson's crusade to make the world safe for democracy, however, the urge to give the future a New Deal was powered by a persuasive sense of the necessity to expand

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Das war, so diese Interpretation, die oberste strategische Maxime, die es nicht nur gegenüber den Feindstaaten Deutschland und Japan, sondern auch gegen die Interessen der Verbündeten England und Sowjetunion durchzusetzen galt. Gegenüber den Feindstaaten war diese Politik ohnehin selbstverständlich, denn schließlich war der Widerstand der USA gegen die Politik Hitlers und der Japaner, in Europa und Asien relativ autarke Markt- und Machtbereiche zu schaffen, eine Ursache für den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg gewesen. Doch auch das verbündete Großbritannien geriet, wie besonders Kolko ausführlich darstellt, schon während des Krieges unter den Druck des amerikanischen "Freihandelsimperialismus" , dem es sich - und das unterschied Großbritannien von der Sowjetunion - unter dem Zwang der Umstände und der Abhängigkeit von den USA beugen mußte. Der heftig umkämpfte Artikel VII des britisch-amerikanischen Abkommens zum Pacht- und Leihgesetz hatte aus amerikanischer Sicht letztlich keinen anderen Sinn, als das 1932 in Ottawa etablierte Zollpräferenzsystem des Britischen Empire und den Sterlingblock zum Einsturz zu bringen. Gleichzeitig nutzten die Amerikaner die Chance, den Engländern die Exportmärkte in Lateinamerika abzujagen, ab 1943 wurden die Amerikaner überdies zum großen Konkurrenten im Wettlauf um das Öl Saudiarabiens. Darüber, daß die Weltbank und der Weltwährungsfonds, über deren Grundsätze, Aufgaben und Funktionen man sich nach langen britisch-amerikanischen Kontroversen schließlich 1944 in Bretton Woods einig wurde, von den Amerikanern beherrschte Institutionen wurden, gibt es sowohl in der revisionistischen als auch in der "orthodoxen" Literatur ohnehin kaum Zweifel. economically in order to sustain democracy and prosperity in the United States." Zu weiteren Revisionisten würde ich zählen: Donna F. Fleming: The Cold War and its Origins, 1917-1960, 2 Bde., Garden City 1961; Gar Alperovitz: Atomic Diplomacy: Hiroshima and Potsdam, London 1966 I New York 1967; ders.: Cold War Essays, Garden City 1970; David Horowitz: The Free World Colossus, New York 1965. In England 1967 erschienen unter dem Titel: From Yalta to Vietnam: American Foreign Policy in the Cold War, Hammondsworth 1967 (dt.: Kalter Krieg. Hintergründe der US-Außenpolitik von Jalta bis Vietnam, Rotbuch 13 und 14, Berlin 1969) sowie zahlreiche andere Publikationen desselben Autors; Bruce Kucklick: American Policy and the Division of Germany. The Clash with Russia over Reparations, Ithaca/London 1972; Diane Shaver Clemens: Yalta. LondoniOxford/New York 1970; vgl. auch Thomas G. Paterson (Ed.): Cold War Critics, Chicago 1971. Im übrigen gab es auch schon während der Blütezeit des Kalten Krieges frühe Revisionisten wie z. B. P. M. S. Blackett: Military and Political Consequences of Atomic Energy, London 1948; ders.: Atomic Weapons and East West Relations. Cambridge 1956; K. Zilliacus: I Choose Peace, London 1949; Kenneth Ingrim: History of the Cold War, London 1955. - Viele Thesen der Revisionisten werden noch oder wieder vertreten durch Wilfried Loth: Die Teilung der Welt 1941-1955, München 1980; dazu kritisch Kurt Marko: Die Teilung der Welt - mit schiefem Blick, in: Österreichische Osthefte, Jg.24 (1982), Heft 1, S.91-103.

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Wenn diese globale Politik der Offenen Tür schon keine Zollpräferenzsysteme tolerieren konnte, dann schon gar nicht einen Eisernen Vorhang, hinter dem die Sowjetunion unabhängig vom amerikanischen Einfluß schalten und walten konnte. Genau darin liegt in der Interpretation der Revisionisten eine, wenn nicht die entscheidende Ursache für die Entstehung des Kalten Krieges. Anstatt die begrenzten und nach der Erfahrung zweier Kriege auch legitimen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion in Europa anzuerkennen7a, durch großzügige ökonomische Hilfe am Wiederaufbau zu helfen und auf diesem Wege zu einem modus vivendi in Europa zu kommen, gingen die USA, z. B. in der Polen-, Rumänien-, Bulgarien- und Deutschlandfrage, im Iran und im Mittelmeer (Griechenland, Türkei), auf Konfliktkurs, um, wenn auch in Osteuropa vergeblich, ihr Konzept der Offenen Tür durchzusetzen. Im vollen Bewußtsein ihrer wirtschaftlichen Stärke und ihres militärischen Übergewichtes durch die Atombombe begann die Regierung Truman einen ständigen Druck auf die Sowjetunion auszuüben, um die Welt nach ihrem letztlich ökonomisch determinierten Weltbild zu formen - was die Sowjetunion zu harten, ursprünglich nicht beabsichtigten Reaktionen zwang. Dabei spielten, da ein Krieg gegen die Sowjetunion im Jahre 1945 einfach unvorstellbar war, außenwirtschaftliche Pressionsversuche eine große Rolle: Die Amerikaner behandelten den sowjetischen Wunsch vom 3. Januar 1945 nach einer amerikanischen Anleihe von 6 Milliarden Dollar zu 21/2 Prozent bewußt hinhaltend, um von Stalin politische Konzessionen in Ostmitteleuropa zu erzwingen; sie stoppten sofort nach dem Ende der Kämpfe in Europa alle Lieferungen aus dem Pacht- und Leihabkommen, von denen man vermutete, daß sie nicht mehr für Kriegszwecke gegen Japan, sondern zum Wiederaufbau verwendet würden; nach dem Sieg über Japan wurden sie völlig eingestellt. Die harte Kontroverse in Potsdam über die aus Deutschland zu entnehmenden Reparationen und den eigentlichen Beweggrund der amerikanischen Politiker deutet Williams so: "Er liegt ganz einfach darin, daß die USA im Vertrauen auf ihre große ökonomische und militärische Überlegenheit gegenüber der Sowjetunion Reparationsabkommen schlossen, um jede indirekte Finanzierung des sowjetischen Wiederaufbaus zu vermeiden. Die führenden amerikanischen Politiker waren sicher, daß die Bombe und Rußlands Wiederaufbaubedürfnisse ihnen den Hebel gaben, um in Osteuropa die Offene Tür und prowestliche 7a In einer rechtzeitigen, vertraglich geregelten Abgrenzung von Interessensphären in Europa zwischen den USA und der UdSSR, gekoppelt mit einem Arrangement in der atomaren Frage, sieht Werner Link - kein Revisionisteine Alternative zum Kalten Krieg, allerdings nicht zum Ost-West-Konflikt. In: Detlef Junker, Andreas Hillgruber, Alexander Fischer, Werner Link, Geir Lundestad: War der Kalte Krieg unvermeidlich? Beilage·zu "Das Parlament", B 25/83 v. 25. Juni 1983, S. 19-26.

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Regierungen wiederherzustellen8 ." Insgesamt verweigerten die USA Stalin also rußlandfreundliche Regierungen an der westlichen Peripherie der Sowjetunion und damit die Garantie, daß Deutschland nie wieder eine potentielle Gefahr werden könne, sowie die Mittel zum Wiederaufbau der russischen Ökonomie. Damit setzte nach dieser Interpretation nicht der "konservative"e Stalin, der, so Williams, bei Kriegsende begrenzte Sicherheitsinteressen verfolgte und im Interesse des Wiederaufbaus seines Landes einem modus vivendi mit den USA zuneigte, sondern die Imperialisten der Offenen Tür den eskalierenden Mechanismus von Aktion und Reaktion in Bewegung, in dem die noch aus der Kriegsallianz nachwirkenden kooperativen Elemente ständig abnahmen und die Spannungen mit dem gegenseitigen Mißtrauen wuchsen. Als die Sowjetunion, vom amerikanischen Atomwaffenmonopol unbeeindruckt, als Reaktion auf die harte Politik der USA den Druck auf die Staaten Ostmittel- und Südosteur0pas verstärkte und in der Deutschlandfrage hartnäckig Reparationen und Einfluß auf die Kontrolle des Ruhrgebietes verlangte, begannen die amerikanischen Politiker diese sowjetischen Reaktionen fälschlicherweise als Indizien für eine prinzipiell grenzenlose Expansionsabsicht der Sowjetunion und des internationalen Kommunismus zu deuten und ihrerseits ab Anfang 1946 eine noch unnachgiebigere Politik der Härte zu betreiben. Sie erzwangen den Rückzug sowjetischer Truppen aus dem Iran, stoppten im Mai 1946 alle Reparationslieferungen und legten im Juni 1946 mit dem Baruch-Plan einen Vorschlag über die Kontrolle von Atomwaffen auf den Tisch der Vereinten Nationen, der praktisch das amerikanische Atomwaffenmonopol so lange aufrechterhalten sollte, bis ein effektives internationales Kontrollsystem etabliert war. Falsche Lehren aus der Vergangenheit - nie wieder München, nie wieder Appeasementpolitik - und falsche Analogien zwischen Hitler und Stalin, zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der kommunistischen Sowjetunion, verstärkten, so die Revisionisten, diesen verhängnisvollen Zirkel. George F. Kennan schließlich habe der ob des sowjetischen Widerstandes frustrierten amerikanischen Entscheidungselite in seinem "langen Telegramm" aus Moskau im Februar 1946 und der amerikanischen Öffentlichkeit durch eine ausgearbeitete Fassung dieses Telegramms, den berühmt gewordenen "Mr. X"-Artikel in der Juliausgabe 1947 der Zeitschrift "Foreign Affairs", eine defensive Rechtfertigung für die neue Politik der Härte geliefert, die der Sowjetunion die alleinige Verantwortung für die weltpolitische Spannung anlastete, eine scheinbar konsistente Erklärung für Stalins Politik geben konnte und eine aktive Gegenstrategie der Eindämmung vorschlug. 8 I

Williams: Tragedy, S. 253. Ebd., S. 215, 217, 225.

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Bekanntlich legte Kennan in seinem Aufsatz dar, daß sowohl die marxistische Ideologie in sowjetischer Interpretation als auch die Umstände und Bedingungen des Machterhaltes der sowjetischen Machtelite die Sowjetunion auf eine prinzipiell feindliche Politik gegenüber der kapitalistischen Welt festlegten, sie auf eine zwar vorsichtige, nichtsdestoweniger beständige Politik der kommunistischen Expansion und Schwächung der westlichen Welt verpflichteten. Die sowjetischen Führer, so Kennan, dächten in langfristigen Perspektiven, sie rechneten mit einem Duell von unbegrenzter Dauer, das aber schließlich vom Kommunismus weltweit gewonnen werde. Diesem permanenten Druck gegen die freien Institutionen der Welt könne, so empfahl Kennan, nur durch die entschlossene Anwendung von Gegengewalt an ständig wechselnden geographischen und politischen Punkten, entsprechend den Änderungen und Manövern der sowjetischen Politik, begegnet werden. Eine solche Politik der Eindämmung könne überdies durchaus zu der Hoffnung berechtigen, daß sich das sowjetische System durch Druck von außen verändere10 • Diese, nach Ansicht der Revisionisten fälschlicherweise behauptete, globale Bedrohung durch den Kommunismus sei nur eine Rechtfertigungsideologie für den eigenen globalen Herrschaftsanspruch gewesen, den die USA in den drei entscheidenden Dokumenten der Jahre 1946 und 1947 erhoben, nämlich im Baruch-Plan, in der Truman-Doktrin und dem Marshall-Plan. Die Annahme des Baruch-Planes hätte nicht nur die gesamte Entwicklung des sowjetischen Atombombenprogramms, sondern auch Teile der sowjetischen Wirtschaft unter strikte internationale Kontrolle gebracht, sie ware einer Anwendung der Prinzipien der Offenen Tür auf Fragen der Atomenergie gleichgekommen; die dramatische und bewußt dramatisierende Rede von Harry S. Truman - für Williams eine "fast klassische Personifizierung der Politik der Offenen Tür"11 - am 12. März 1947 vor beiden Häusern des Kongresses, in der er allen freien Völkern der Welt amerikanische Unterstützung gegen die Unterjochung durch bewaffnete Minderheiten und Druck von außen zusagte, sei ein universaler Interventionstitel. Auch der Marshall-Plan entsprang nach Ansicht der Revisionisten nicht allein humanitären Motiven und der Sorge, die zerrüttete Wirtschaft Westeuropas wiederaufzubauen und damit der kommunistischen Gefahr die ökonomische Basis zu entziehen, sondern zielte ebenso darauf, die amerikanische Wirtschaft vor einer Rezession zu bewahren und die Länder Osteuropas wieder aus dem sowjetischen Einflußbereich zu lösen, ja das sowjetische System selbst zu erschüttern. "Hence the problem was to coerce Russia, 10

(George F. Kennan): The Sources of Soviet Conduct, in: Foreign Affairs

XXV (July 1947), S. 556-582.

11 Williams: Tragedy, S. 239.

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help western Europe, and thereby establish the reality of an open-door system throughout the world I2." Nicht zuletzt der regierungsamtlichen Propaganda des Antikommunismus und des bewußten Aufbaus eines Feindbildes war es nach Ansicht der Revisionisten zu verdanken, daß es spätestens seit dem Herbst 1948, als auch der republikanische Präsidentschaftskandidat Thomas E. Dewey die Politik der Eindämmung unterstützte, sie nur effektiver durchzuführen versprach, in den USA eine überparteiliche, kaum noch angezweifelte Interpretation des Kalten Krieges gab: Die Vereinigten Staaten führten die freie westliche Welt im Kampf gegen die totalitärkommunistische Weltverschwörung und ihre Welteroberungspläne. Die Berliner Blockade 1948/49, die Gründung der NATO 1949, die Machtübernahme der Kommunisten in China im gleichen Jahr und der 1950 beginnende Korea-Krieg bewirkten schließlich eine völlige Umkehrung der amerikanischen Dämonologie: Aus den bösen Deutschen, guten Russen, bösen Japanern und guten Chinesen des Zweiten Weltkrieges wurden die guten West-Deutschen, bösen Russen, guten Japaner und bösen Chinesen des Kalten Krieges. Ist so der Kalte Krieg entstanden? Wer diese einfache Frage stellt, gibt sich offensichtlich nicht mit dem Argument zufrieden, die Revisionisten seien Kinder ihrer Zeit und ihre Aussagen hätten - wie die Aussagen der vorangegangenen Konsensus-Historiker oder der nachfolgenden Postrevisionisten13 - ihr relatives Recht. Er stellt im GegenEbd., S. 268. Zu den Konsensus-Historikern im definierten Sinne würde ich zählen die frühen Arbeiten von William H. Chamberlin: America's Second Crusade, New York 1950; Chester Wilmot: The Struggle for Europe, London 1952, dt.: Der Kampf um Europa, FrankfurtJMain und Berlin 1954; die Serie von Herbert Feis: Churchill, Roosevelt, Stalin. The War they Waged and the Peace They Sought, Princeton 1957; ders.: Between War and Peace: The Potsdam Conference, Princeton 1960, dt.: Zwischen Krieg und Frieden. Das Potsdamer Abkommen, Frankfurt/Main und Bonn 1962; ders.: From Trust to Terror. The Outset of the Cold War 1945-1960, New York 1970; Adam B. Ulam: Expansion and Coexistence, The History of Soviet Foreign Policy 1917 to 1967, London 1968; ders.: The Rivals, America and Russia Since World War II, New York 1971. - Auch die Tradition derjenigen, die den Konflikt für mehr oder weniger unvermeidbar halten, beginnt früh mit der ausgezeichneten Studie von William H. McNeill: America, Britain, and Russia. Their Cooperation and Conflict 1941-1946, London 1953; vgl. auch Louis J. Halle: The Cold War as History, London 1967, dt.: Der Kalte Krieg. Ursachen, Verlauf, Abschluß, Frankfurt 1969; William L. Neumann: Churchill, Roosevelt, Stalin and the Making of the Peace. U.S. and Allied Diplomacy in World War II, New York 1967; Martin F. Herz: Beginnings of the Cold War, Bloomington/London 1966; John Lukacs: A History of the Cold War, New York 1961, dt.: Geschichte des Kalten Krieges, Gütersloh 1961; Andre Fontaine: Histoire de la Guerre Froide, 2 Bde., Paris 1965-1967; Walter F. LaFeber: America, Russia and the Cold War, 1945-1966, New York 1967. Zu den Postrevisionisten zähle ich: John L. Gaddis: The United States and the Origins of the Cold War, 1941-1947, New York/London 1972; Lynn E. 12

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teil an die Revisionisten die Wahrheitsfrage, hält an dem Postulat der Sachgerechtigkeit und dem Ideal der Objektivität als regulativer Idee der Geschichtswissenschaft fest. Wenigstens war das die selbstverständliche Voraussetzung jener amerikanischen Historiker, die in zahlreichen Büchern und Literaturberichten die Revisionisten in das Kreuzfeuer der Kritik nahmen, sowohl die Grundlagen ihrer Interpretation in Frage stellten als auch, und damit pflegen Auseinandersetzungen unter Wissenschaftlern ihren Höhepunkt zu erreichen, die wissenschaftliche Kompetenz einiger Vertreter der "Neuen Linken" bestritten. Robert James Maddox zum Beispiel hat in minuziöser Kleinarbeit versucht, namhaften Revisionisten, nämlich William A. Williams, Gar Alperovitz, Diane Shaver Clemens und Lloyd C. Gardner einen schludrigen, entstellenden und fälschenden Umgang mit Quellen nachzuweisen14• Robert W. Tucker, Joseph M. Siracusa, auch Raymond Aron haben sich in ihren Büchern systematisch mit den Schwächen, Grenzen und inneren Widersprüchen der revisionistischen Interpretation der Ursprünge des Kalten Krieges auseinandergesetzt15• Ähnliches wurde auch in einer ganzen Reihe VOn Aufsätzen geleistetl8 • Davis: The Cold War Begins. Soviet-American Conflict over Eastern Europe, Prineeton 1974; Martin J. Sherwin: A World Destroyed. The Atomie Bomb and the Grand Alliance, New York 1975; George C. Herring jr.: Aid to Russia 1941-1946. Strategy, Diplomaey and the Origins of the Cold War. New Yorkl London 1973; Geir Lundestad: The Ameriean Non-Poliey Towards Eastern Europe 1943-1947, 0510 - New York 1975; Daniel Yergin: Shattered Peace, The Origins of the Cold War and the National Security State, Boston 1977. 14 The New Left and the Origins of the Cold War, Prineeton 1973. 15 Robert W. Tucker: The Radical Left and Ameriean Foreign Policy, Baltimore 1971; Joseph M. Siraeusa: New Left Diplomatie Histories and Historians. The Ameriean Revisionists, Port Washington/N. Y., London 1973; Raymond Aaron: Die imperiale Republik. Die Vereinigten Staaten und die übrige Welt seit 1945, Stuttgart 1975 (aus dem Französischen), besonders Kap. I; Lloyd C. Gardner hat in einem nicht veröffentlichten Manuskript zu den von Maddox gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung genommen: On Robert Maddox's 'The New Left and the Origins of the Cold War'. A reply intended for the persistent and the patient (May 1973). Warren F. Kimball hat die von Maddox kritisierten Autoren zu verteidigen gesucht und ist deshalb selbst von Robert F. Loewenberg kritisiert worden. Vgl. Kimball: The Cold War Warmed Over. In: Ameriean Historical Review 79 (1974), S. 1119-36; Loewenberg: "Value-Free" Versus "Value-Laden" History: A Distinction Without a Differenee. In: The Historian (May 1976), S. 439-454. 16 Vgl. Schlesinger, Anm. 4; Irwin Unger: The "New Left" and Ameriean History: Some Reeent Trends in United States Historiography, in: Ameriean Historieal Review 72 (1966/67), S. 1237-1263; Paul Seabury: Brian Thomas, Cold War Origins land 11, in: Journal of Contemporary History 3 (1968), S. 169-198; Charles S. Maier: Revisionism and the Interpretation of Cold War Origins, in: Perspeetives in Ameriean History 4 (Cambridge/Mass. 1970), S. 313-347; J. L. Richardson: Cold-War Revisionism. A Critique, in: World Polities 24 (1972), S. 579-612; J. A. Thompson: William Appleman Williams and the "Ameriean Empire", in: Journal of Ameriean Studies 7 (1973), S. 91 -104; Thomas A. Bryson: The Coneept of Empire in Ameriean Diplomatie History, in: SHAFR (The Soeiety for Historians of Ameriean Foreign Re-

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Ich selbst halte die Kritik an den Revisionisten in vielen Punkten für richtig; besonders gegen zwei Komplexe, die im folgenden knapp umrissen werden sollen, müssen schwerwiegende Einwände erhoben werden. Die Kritik an den Revisionisten muß mit ihrer Darstellung der Gegenseite, nämlich der Außenpolitik der Sowjetunion, beginnen. Insgesamt wird ein apologetisches, den Machtanspruch, die Herrschaftsmethoden, die imperiale Herrschaftsintensität und die durchaus revolutionäre Qualität der sowjetischen Außenpolitik unterschlagendes Bild mit Begriffen gekennzeichnet, die den realen historischen Prozeß in Ostmittel- und Südosteuropa eher euphemistisch verschleiern als aufklären. Der Zweck dieses Vorgehens ist durchsichtig genug, nämlich die aggressive Politik der amerikanischen Imperialisten der Offenen Tür von der "mehrdeutigen, unentschiedenen und vorsichtigen"17 Politik des immer wieder als "konservativ" vorgestellten Stalin vorteilhaft abzusetzen und den Leser für die These von der amerikanischen Hauptschuld an der Entstehung, mindestens aber der Verschärfung des amerikanischrussischen Gegensatzes einzunehmen. Ein besonders prägnantes Beispiel ist Gabriel Kolko. Nach ihm mangelte es den Amerikanern daran, zwischen der UdSSR als Staat und der "internationalistischen bolschewistischen Ideologie" zu unterscheiden, der Rußland "huldigte" und von der Kommunisten bei Maifeiern zu sprechen pflegten. Das offizielle Washington habe nicht zur Kenntnis genommen, daß die Sowjetunion im Kriege ein "Modell von reinstem Pragmatismus" gewesen sei. Niemand in Washington habe die Ereignisse in Osteuropa in dem Sinne interpretiert, daß die Sowjets ihre Politik in diesem Raum auf "pluralistische, nicht ideologische" Reaktionen gründeten, die durch lokale, von ihnen nicht immer kontrollierte Umstände gefärbt seien. Außerdem hätten die führenden amerikanischen Politiker nicht begriffen, daß die Volksfrontideologie in "ganz Europa" entscheidende revolutionäre Aktionen gerade verhindert und der "alten Ordnung" in Europa eine Atempause gegeben hätte, um sich zu erholen. Den Sowjets sei, so Kolko, Ende 1944 klar gewesen, daß Osteuropa sich nach rechts, auf eine antisowjetische, oder nach links, auf eine prosowjetische oder auf eine wahrhaft neutrale Position zubewegen werde. Sie seien bereit gewesen, eine linke und eine - nota bene neutrale Blockbildung zu tolerieren, die Amerikaner nur eine rechte. lations) Newsletter, vol. IV, Dec. 1973, S. 7-19; Werner Link: Die amerikanische Außenpolitik aus revisionistischer Sicht, in: Neue Politische Literatur 16 (1971), S. 205-220; Lloyd E. Ambrosius: The Orthodoxy of Revisionism: Woodrow Wilson and the New Left, in: Diplomatie History, Vol. 1, No. 3 (Summer 1977), S. 199-214; Frank Ninkovich: Ideology, the Open Door, and Foreign Poliey, in: Diplomatie History, Vol. 6, No. 2 (Spring 1982), S. 185-208. 17 Williams: Tragedy, S. 226.

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Die Sowjets hätten 1945 nicht die Absicht gehabt, Osteuropa zu bolschewisieren. Für die sozialen Revolutionen im Machtbereich der Roten Armee seien mehr oder weniger "natürliche und bodenständige" Entwicklungen verantwortlich gewesen. Die Tatsache, daß es in diesen Ländern keinen ernsthaften Widerstand gegen die kommunistischen Machtergreifungen, weil keine Bürgerkriege gegeben habe, reflektiere sowohl die fundamentale Schwäche der "alten Ordnung" als auch die Flexibilität und Subtilität der verschiedenen kommunistischen Parteien und der Russen18 • Werner Link hat schon 1971 zu Recht darauf hingewiesen, daß sich eine zynischere Argumentationsweise - ein Hohn auf die Opfer des NKWD - kaum vorstellen lasselD• Von der Darstellung der sowjetischen Politik in der revisionistischen Literatur abgesehen, entzündet sich die Kritik an den Revisionisten immer wieder an einem Punkt, an ihrer tendenziell monokausal-wirtschaftlichen Erklärung der amerikanischen Außenpolitik und der Ursprünge des Kalten Krieges, obwohl es auch hier zwischen den einzelnen Historikern Unterschiede gibt. Allgemein liegt, so meine ich, dieser Reduktion auf das Wirtschaftliche eine einseitige, verengte und damit falsche Vorstellung von den Motiven und Zielen außenpolitischer Handlungen eines Staates zugrunde. Die fundamentale Unterscheidung jeder Außenpolitik, nämlich die Unterscheidung der internationalen Umwelt in Freund und Feind, wird so gut wie nie ausschließlich, selten überwiegend aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten getroffen. Konkret müßte sich die wirtschaftliche Interpretation des Kalten Krieges mit zwei Sachverhalten auseinandersetzen, die für jeden, der sich nur ein wenig mit der amerikanischen Kriegs- und N achkriegspolitik beschäftigt, als Gegenargumente auf der Hand liegen. Erstens: Die amerikanische Außenpolitik im Kriege war in erster Linie und vor allem eine Politik für die erfolgreiche Beendigung des Krieges. Das primäre militärische und politische Ziel war im Grunde identisch, nämlich die Vernichtung der nazistisch-faschistischen Gegner. Mögliche politische Konflikte über die Nachkriegsordnung durften nicht dazu führen, diese Allianz zu sprengen. Mag man auch an dieser Strategie Kritik üben und den amerikanischen Politikern und Militärs vorwerfen, im Gegensatz zu Stalin Clausewitz nicht gelesen zu haben, die Tatsache bleibt bestehen. Zweitens: Dennoch mußten Roosevelt und auch Churchill für ihre Völker eine positive Vision der Zukunft entwerfen, mußten Grundsätze und Prinzipien für den zukünftigen Frieden verkünden, mußten ihren Völkern sagen, wofür diese denn all die Leiden und Opfer des Krieges auf sich nähmen. Die Atlantik-Charta, die Er18

IV

Kolko: Politics, S. 164-170,405,619. Werner Link: Die amerikanische Außenpolitik (Anm. 15), S. 210.

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klärung der Vereinten Nationen, die Erklärung über das befreite Europa in Jalta und die Grundsätze für den Aufbau der Vereinten Nationen hatten diese Funktion. Der Inhalt dieser Grundsatzerklärungen, dieser positiven Leitbilder für die Zukunft, waren alte amerikanische Ideale, die sich in der Substanz nicht von den Ideen Wilsons unterschieden: Frieden, Selbstbestimmungsrecht der Völker, Freihandel, Abrüstung. Es waren die klassischen aufklärerischen Ideale einer bürgerlich-liberalen und Handel treibenden Republik, die als Modell für die ganze Welt gelten sollten und in denen der ökonomische Universalismus der Offenen Tür nur ein Moment neben anderen darstellte. Ihre Verkündung hatte für die amerikanischen Politiker nicht nur eine außenpolitische, sondern auch eine eminent innenpolitische Funktion, nämlich die Loyalität der amerikanischen Bevölkerung, die Einsatzbereitschaft für den Krieg und die Rüstungswirtschaft zu erhalten, ihnen zu demonstrieren, daß es ein Krieg für eine bessere Welt, nicht für territoriale Gewinne und "Interessensphären" war, den die amerikanische Nation mit den anderen Alliierten führte. Es sei nur daran erinnert, daß der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg keineswegs selbstverständlich war, sondern erst nach einer harten innenpolitischen Konfrontation zwischen Isolationisten und Internationalisten erfolgte!o. Während des ganzen Krieges nun versuchten die USA, mit der Sowjetunion eine verbale übereinstimmung über diese Grundsätze zu erzielen, bis 1943, um zu demonstrieren, daß die Anti-Hitler-Koalition doch eine gemeinsame Wertbasis habe, ab 1944, um die Einigkeit der Koalition über den Tag des Sieges hinaus zu verbürgen, das Vertrauen des amerikanischen Volkes in die Vereinten Nationen nicht zu gefährden und einen Rückfall in den Isolationismus zu verhindern. Der potentielle Konflikt mit der Sowjetunion lag nun nicht darin, daß die Forderung nach freien Wahlen und Selbstbestimmung bewußte oder unbewußte überbauargumente einer im Kern wirtschaftlich konzipierten Politik waren; sondern darin, daß Roosevelt selbst im Rahmen seines der amerikanischen Öffentlichkeit verschwiegenEm machtpolitischen Konzepts der "Vier Weltpolizisten" vermutlich Stalin zu der Ansicht verleitet hatte, daß die USA den Sowjets in Osteuropa freie Hand gewähren würden - während er bei seinem Tode die amerikanische !O Vgl. dazu Detlef Junker: Der unteilbare Weltmarkt. Das ökonomische Interesse in der Außenpolitik der USA 1933-1941, Stuttgart 1975; ders.: Nationalstaat und Weltmacht. Die globale Bestimmung des nationalen Interesses der USA durch die Internationalisten 1938-1941, in: Oswald Hauser (Hg.), Weltpolitik 11, 1939-1945. 14 Vorträge, Göttingen 1975, S. 7-36; ders.: Franklin D. Roosevelt. Macht und Vision. Präsident in Krisenzeiten, Göttingen 1979.

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Öffentlichkeit dahin gebracht hatte, freie Wahlen in Osteuropa zu erwarten. Der aktuelle Konflikt mit der Sowjetunion und das amerikanische Dilemma begannen, als sich nach J alta endgültig herausstellte, daß man nicht beides zugleich haben konnte: Freundschaft mit der Sowjetunion und Anwendung der Prinzipien der Atlantik-Charta. Die vergebliche amerikanische Forderung nach einer repräsentativen Regierung in Polen und nach freien Wahlen wurden zum Symbol für dieses Dilemma. Weil die amerikanische Regierung einerseits nie von diesen Grundsätzen abrückte, andererseits aber noch weniger tat, als sie wohl tun konnte, um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, verfehlten die USA schließlich beide Ziele: Kooperation mit der Sowjetunion und Selbstbestimmung der Völker Europas. Objektiv fiel auseinander, was Roosevelt zugleich verwirklichen wollte: die machtpolitische Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und die amerikanische Vision einer besseren Welt. Wie so oft in der amerikanischen Geschichte konnte die realistische und die idealistische Komponente amerikanischer Außenpolitik, konnten Macht und Vision nicht zur Deckung gebracht werden.

DIE SOWJETUNION UND DIE "DEUTSCHE FRAGE" 1945-1949 Von Alexander Fischer Ihrer herausragenden Bedeutung für das politische Schicksal Deutschlands nach 1945 gemäß gehört die sowjetische Politik in der "deutschen Frage" zu den häufig thematisierten, jedoch auch ungewöhnlich komplizierten Problemen der westlichen Zeitgeschichtsschreibung1 • Das gilt besonders für den Zeitraum zwischen der Kapitulation des "Dritten Reiches" im "unvergeßlichen Frühling"! des Jahres 1945 und der Gründung zweier deutscher Republiken im Herbst des Jahres 1949. In der engagierten Diskussion um Wendepunkte und Weichenstellungen der Sowjetunion in der "deutschen Frage" ist bisher in der Regel unbeachtet geblieben, daß aus der Feder des Moskauer Diplomaten V. N. Beleckij eine Untersuchung vorliegt3 , die das Deutschlandproblem der Nachkriegszeit auf einen einfachen Nenner zu bringen vermag. Folgt man dieser ersten und bisher einzigen sowjetischen Monographie "über die Politik der UdSSR in den deutschen Angelegenheiten in der Nachkriegszeit", so wird man zwar eindringlich darüber belehrt, daß sich der übergang vom Krieg zum Frieden nach 1945 im allgemeinen "als ein komplizierter Prozeß" erwiesen habe4 • Offenbar gehörte aber das besondere Problem der "deutschen Frage" nicht zu den schwer zu deutenden Vorgängen dieser geschichtsträchtigen Periode. Dem Leser wird vielmehr ein recht unkompliziertes Bild vermittelt: Am Ende des Krieges hätten sich "zwei entgegengesetzte Entwicklungstendenzen" herausgebildet, "eine demokratische und eine imperialistische". In den "deutschen Angelegenheiten" seien diese beiden Tendenzen "beim Herangehen an deren Lösung" zwei entgegengesetzten Linien gefolgt. Die Jahre 1945 1 Vgl. Bibliographie zur Deutschlandpolitik 1941-1974, hrsg. vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Frankfurt a. M. 1975, S. 49 ff. 2 So der Titel eines Erinnerungsbandes des sowjetischen Literaturwissenschaftlers A. L. Dymsic, der nach 1945 mehrere Jahre als Kulturoffizier der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) tätig war: Alexander Dymschiz: Ein unvergesslicher Frühling, Berlin (Ost) 1970. 3 V. N. Belezki: Die Politik der Sowjetunion in den deutschen Angelegenheiten in der Nachkriegszeit 1945-1976, Berlin (Ost) 1977; vgl. dazu auch Rolf Badstübner I Siegfried Thomas: Die Spaltung Deutschlands 1945-1949, Berlin (Ost) 1966. 4 Belezki, S. 13.

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bis 1949 gelten in dieser Sicht als eine Periode, "in der diese zwei Linien immer deutlicher geprägt wurden und überall aufeinandertrafen"5. Es verdient zweifellos Aufmerksamkeit, wenn in einer sowjetischen Publikation über die Moskauer Deutschlandpolitik der Nachkriegszeit darauf hingewiesen wird, man habe sich in den "deutschen Angelegenheiten" auch "vom Vertrauen in die Kraft des deutschen Proletariats und seines Vortrupps", außerdem vom Glauben an "die schöpferische Energie der deutschen Werktätigen und der demokratischen Kräfte des deutschen Volkes" leiten lassen8 • Schließlich wird damit recht unverhohlen auf die enorme Bedeutung der Kader der Kommunistischen Partei Deutschlands für die Durchsetzung der sowjetischen Deutschlandpolitik hingewiesen7 • Im Blick auf die vorgegebene Fragestellung nach der Haltung der Sowjetunion auf den Konferenzen des Rates der Außenminister zwischen U)45 und 1947 bleibt aber vorrangig zu beachten, daß die sowjetische Geschichtsschreibung und ihr verpflichtete Historiographien wie die der DDR behaupten, Moskau habe seiner Politik in der "deutschen Frage" stets die Beschlüsse der Teilnehmerstaaten der "Anti-Hitler-Koalition", insbesondere die Beschlüsse der Konferenzen von Jalta und Potsdam, zugrundegelegt. Hervorgehoben werden in der Regel die Potsdamer Beschlüsse "über die Entmilitarisierung, Entnazifizierung, Entkartellisierung. und Demokratisierung Deutschlands"8. Im Blick auf die Entmilitarisierung Deutschlands - d. h. die "Auflösung der faschistischen Wehrmacht und der anderen militärischen und halbmilitärischen Organisationen und ihren Stäben und Ausbildungszentren" sowie die "Zerschlagung der Rüstungsindustrie des Landes" und die "Schaffung zuverlässiger Garantien gegen die Ausnutzung seiner wirtschaftlichen Ressourcen zur Vorbereitung einer neuen Aggression" wird angesichts des Schicksals der "Anti-Hitler-Koalition" nach 1945 zunächst hervorgehoben, daß es anfangs gelungen sei, "vergleichsweise größere Ergebnisse zu erzielen als in anderen Fragen". Das schützt die Westmächte jedoch nicht vor dem Vorwurf, von dieser positiv zu bewertenden Ausgangsposition nach und nach abgewichen zu sein: Allmählich, so heißt es bei Beleckij, hätten sie ihre Bemühungen verstärkt, "die Kader der Hitlerwehrmacht und das deutsche Rüstungspotential in dieser oder jener Form zu erhalten und sie ihrer Kontrolle zu unterstellen"p. Die Legende von den Tausenden von deutschen Offizieren und Ebd., S. 11. Ebd., S. 21. 7 Vgl. die Untersuchungen von Arnold Sywottek: Deutsche Volksdemokratie, Düsseldorf 1971, S. 148 ff.; und vom Verf. dieses Beitrages: Sowjetische Deutschlandpolitik im Zweiten Weltkrieg 1941-1945, Stuttgart 1975, S. 83 ff. 8 Belezki, S. 11 f., 21 und 24. D Vgl. ebd., S. 25 f. 5

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Soldaten unter amerikanischem oder britischem Oberbefehl in den Jahren 1945 und 1946 muß dann herhalten, um einen Beleg für die frühzeitige Existenz einer "militärischen und politischen Kaderreserve des deutschen Militarismus" zu erbringen, die später - jedenfalls in der Einschätzung der östlichen Historiographie - zum "Kern der Bundeswehr" wurde10 • Bei der Entnazifizierung, in sowjetischen Darstellungen gemeinhin "eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Gewährleistung von Frieden und Sicherheit in Europa", wird zunächst einmal nicht übersehen werden dürfen, daß dieses Schlagwort in der Regel mit dem Zusatz von der "Ausrottung aller Überreste des Faschismus" verbunden ist. Entnazifizierung bedeutete damit nicht nur die Auflösung aller Institutionen des Hitlerregimes oder Maßnahmen zur Liquidierung der NSDAP, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Organisationen oder den Beschluß von speziellen Gesetzen und Verordnungen "zur Ausrottung des Nazismus auf allen Gebieten", zur Aufhebung der nationalsozialistischen Gesetzgebung, zur Entfernung ehemaliger Nationalsozialisten aus verantwortlichen Positionen sowie zur Unterbindung jeder nazistischen und militaristischen Betätigung und Propaganda11 • In der sowjetischen Interpretation trug sie stets klassenkämpferische Züge, so daß z. B. die "preußische Adelskaste" und Ostelbien als "Hort der Reaktion" ins Blickfeld gerieten, weil "Adelskaste" und "Junkertum" mit Hilfe der Schablone des Marxismus-Leninismus als Säulen "des militaristischen preußisch-deutschen Staates" ausgemacht worden waren12 • Unter solchen ideologischen Voraussetzungen war der Vorwurf, das in Jalta und Potsdam vereinbärte Entnazifizierungsprogramm sei in den Westzonen "von Anfang an völlig unbefriedigend verwirklicht" worden, vorgegeben1a• Ein besonders großes Sündenregister der Westmächte wird in den sowjetischen Untersuchungen aufgeführt, wenn es um die auf der Potsdamer Konferenz festgeschriebene Demokratisierung des gesellschaftlichen und politischen Lebens in Deutschland geht. Während der sowjetischen Besatzungsmacht unter Verweis auf den Befehl Nr.2 der SMAD, auf die Bodenreform (Untergrabung der "politischen und ökonomischen Positionen des Junkerturns"), auf die Industrieenteignung 10 Ebd., S. 26 f.; vgl. dazu Heinz-Ludger Borgert / Walter Stürm / Norbert Wiggershaus: Dienstgruppen und westdeutscher Verteidigungsbeitrag, Boppard a. Rh. 198!. 11 Belezki, S. 30. l! Vgl. als Beispiel dieser Interpretation den vom Ostberliner Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenscha.ften der DDR herausgegebenen Band: DDR - Werden und Wachsen, Frankfurt a. M. 1975, S. 56. 13 Belezki, S. 30.

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und auf die "Demokratisierung des Bildungssystems" gleichsam mustergültige Sollerfüllung bescheinigt wird, wimmelt es in den westlichen Besatzungszonen geradezu von vermeintlich reaktionären Politikern und Organisationen. Das beginnt bei eDU und esu, die - angeblich "hinter Phrasen von ,Freiheit' und ,Demokratie'" versteckt - als Zentren lIder reaktionären Kräfte der herrschenden Klasse" vorgeführt werden, setzt sich fort mit der Diffamierung der SPD als "Sammelpunkt der Kräfte der rechten Sozialdemokraten" mit "extrem rechten Elementen" an der Spitze und gipfelt in der Behauptung, das Wahlsystem in den Westzonen habe auf Gesetzen beruht, "denen bei weitem keine demokratischen Prinzipien zugrunde lagen und die vor allem das Ziel hatten, eine unerwünschte Opposition zu entfernen". Wenn - wie zu vermuten ist - in letzterem Falle die Fünf-Prozent-Hürde und das damit verbundene politische Scheitern der KPD gemeint ist, dann fällt es einer leninistisch orientierten Historiographie natürlich besonders leicht, den Vorwurf zu erheben, daß lIder Wille der Volksmassen" unterdrückt worden seP4. Zieht man eine Bilanz dieser Art von Geschichtsschreibung oder Publizistik, deren Dürftigkeit in den Nachweisen übrigens beklagenswert ist, dann läuft sie auf eine einfache Formel hinaus: Im Gegensatz zu "den herrschenden Kreisen der USA und Großbritanniens", die allmählich eine Abkehr von den in Jalta und Potsdam gefaßten Beschlüssen vollzogen hätten, erscheint die UdSSR in dieser Lesart als Vollstreckerin des deutschlandpolitischen Willens der "Großen Drei" und als Hüterin des deutschlandpolitischen Vermächtnisses der "Anti-HitlerKoalition"15. Diese einseitige und verharmlosende Sicht ist Grund genug, um zunächst einmal die Frage zu stellen, welche außenpolitischen Zielvorstellungen Moskau am Ende des Zweiten Weltkrieges verfolgte, um danach an Einzelbeispielen das Verhalten zu Teilproblemen der "deutschen Frage" zu überprüfen und schließlich abschließend eine Antwort auf die Frage nach der tatsächlichen Verwirklichung der deutschlandpolitischen Vorstellungen der Sowjetunion zu versuchen. I. Die Frage nach dem Grundprinzip der sowjetischen Europapolitik am Ende des Zweiten Weltkrieges stellen, heißt unwillkürlich versucht zu sein, sie mit dem nunmehr schon klassisch zu nennenden - von 14

Vgl. ebd., S. 32 ff.

15 Vgl. z. B. L. Kölm: Das Ringen der UdSSR um eine demokratische und

friedliche Nachkriegsordnung in Europa, in: Horst Bartel / A. L. Naroenickij (Hrsg.), Sowjetische Friedenspolitik in Europa 1917 bis Ende der siebziger Jahre, Berlin (Ost) 1982, S. 176 und 195 ff.

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Milovan Djilas überlieferten - Ausspruch Stalins zu beantworten: In diesem Kriege lägen die Dinge anders als im vorigen, so soll er im April 1945 im Gespräch mit führenden jugoslawischen Kommunisten dargelegt haben, wer immer ein Territorium besetze, der zwinge ihm auch "sein eigenes System" auf nach dem Motto: "Jeder führt sein System ein, so weit seine Armee vordringtI6 ." Beim Zitieren dieses Stalin-Ausspruchs wird leicht übersehen, daß die sowjetische Außenpolitik nicht nur auf das Bewahren erreichter Einflußsphären, sondern im Blick auf den von Stalin offenbar für unvermeidlich gehaltenen Zusammenstoß mit den "imperialistischen Mächten" des Westens auch auf Erweiterungen der eigenen Einflußzone ausgerichtet gewesen ist. Schließlich äußerte Stalin im Gespräch mit den jugoslawischen Genossen auch die überzeugung, man werde sich in fünfzehn, zwanzig Jahren erholt haben, und dann werde es "von neuem 10sgehen"17. So ist es kein Zufall, wenn es Stalin gegenüber dem amerikanischen Diplomaten Harriman 1945 in Potsdam beklagte, nicht wie sein "Vorgänger" Zar Alexander I. bis Paris gekommen zu seinl8 • Auch Äußerungen gegenüber hochrangigen chinesischen Politikern belegen seinen offensiven "Drang nach Süden und Westen": Er beabsichtige, so erklärte Stalin dem in Moskau zur Ausbildung weilenden Tschiang Tsching-ko, Sohn des Marschalls Tschiang Kai-schek, "seine Herrschaft in den angrenzenden Gebieten überall dort, wo er dazu in der Lage sei, zu verstärken und so viele strategische Positionen wie möglich zu erlangen"18. Die in solchen Äußerungen anklingende dynamische Grundkonzeption der sowjetischen Außenpolitik im allgemeinen wie der Moskauer Europapolitik im besonderen ist seit langem bekannt. Für diejenigen, deren Blick dafür sich unter dem Einfluß der revisionistischen Schule in der amerikanischen Historiographie oder deutscher Entspannungseuphorie in den letzten Jahren etwas trübte, kann es nur hilfreich sein, daß der tschechoslowakische Exilhistoriker Karel Kaplan vor zwei J ahren auf einer bis dahin nicht für möglich gehaltenen Quellengrundlage diese Tatsache nachdrücklich wieder in das Bewußtsein zurückrief. Seit Kaplans Untersuchung über Vorgeschichte und Geschichte der kommunistischen Machtergreifung in der Tschechoslowakischen Repu18 Milovan Djilas: Der Krieg der Partisanen, Wien/München/Zürich/Innsbruck 1978, S. 558. 17 Ebd., S. 559. 18 Averell Harriman: Das Ende der Konfrontation, in: "DIE ZEIT", Nr.22 vom 28.5.1971, S. 8. l t W. Averell Harriman / EHe Abel: In geheimer Mission, Stuttgart 1979, S.414.

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blik im Jahre 1948 20 wissen wir, daß eine zurückhaltende, die defensive Grundhaltung betonende Interpretation sowjetischer Nachkriegspolitik nicht mehr am Platze ist. Die Moskauer Außenpolitik nach 1945 ist vielmehr im wesentlichen von der offensiven "Konzeption eines sozialistischen Europas" bestimmt worden, d. h. von den Vorstellungen Stalins "über den allmählichen Sieg der Revolution in Europa und die Erweiterung des sowjetischen Einflusses auf den gesamten Kontinent"21. Diese Europakonzeption Moskaus war unter zwei Voraussetzungen konzipiert worden: Zum einen lag ihr die Annahme zugrunde, daß das militärische Engagement der Vereinigten Staaten von Amerika nicht von Dauer sein werde; zum anderen war mit ihr die Auffassung verbunden, daß sowohl Großbritannien als auch Frankreich eine nachhaltige, wenn nicht sogar entscheidende Schwächung ihrer Stellung als europäische Großmächte erfahren hatten. Damit glaubte sich die UdSSR nicht nur imstande, sondern als siegreiche Großmacht auch berechtigt, das Machtvakuum in Europa ausfüllen und so "schrittweise ihren Einfluß und den Sozialismus auf den gesamten Kontinent" ausdehnen zu können. Stalin kalkulierte offenbar damit, "daß zusammen mit der allgemeinen Verlagerung Europas nach links soziale Krisen in den westlichen Staaten die Voraussetzungen für ein machtpolitisches übergewicht der Kommunisten, insbesondere in Italien, Frankreich und Deutschland, bilden würden"22. Im Vertrauen auf den beträchtlichen politischen Einfluß der Kommunistischen Parteien in Frankreich und Italien sowie auf den Führungsanspruch der deutschen Kommunisten, die in vermeintlicher Ermangelung einer sozialdemokratischen oder "bürgerlichen" Alternative die politische Führung und Erziehung der deutschen Nation zu übernehmen beanspruchten23, scheint in Moskau die Vorstellung geherrscht zu haben, den westlichen Teil Europas "auf friedlichem Wege" in die sowjetische Einflußsphäre integrieren zu können 24 . Im Zusammenhang mit unserer Fragestellung verdient es besondere Aufmerksamkeit, daß die Bedingungen für die Entwicklung in Deutschland wegen der sehr bald nach Potsdam einsetzenden Kontroversen über die Auslegung und Verwirklichung der dort erzielten Vereinbarungen "vom Fortgang der großen Politik abhängig" wurden 25 • Unter dem lockeren Zwang der gemeinsamen Besatzungsherrschaft war die sowjetische Seite zwar um eine kurzfristig tragfähige Plattform für eine 20 Karel Kaplan: Der kurze Marsch, München/Wien 1981. 21 Ebd., S. 90 f. 22 Ebd., S. 91. 23

24 25

Fischer, Deutschlandpolitik, S. 87 f. Kaplan, S. 91. Thilo Vogelsang: Das geteilte Deutschland, München 1966, S. 27.

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gemeinsame Besatzungspolitik in Deutschland bemüht gewesen. Jedoch hatte sie in ihrer Besatzungszone bereits frühzeitig Schritte eingeleitet, um die Entwicklung Deutschlands nach Möglichkeit in einem ihren Zielsetzungen günstigen Sinne zu beeinflussen. Mit der Rückendeckung durch die in Jalta festgeschriebenen, im sowjetischen Sinne interpretierbaren Prinzipien über die Besetzung und Kontrolle Deutschlands legte sie es noch vor Beginn der Konferenz von Potsdam darauf an, "sich in Deutschland gewisse Schlüsselpositionen und damit einen politischen Vorsprung zu sichern, um in dem gemeinsam besetzten Land die Verwirklichung der auf der Krim-Konferenz gefaßten Beschlüsse für seinen Neuaufbau in einer Weise einzuleiten, die der sowjetischen Auffassung möglichst weitgehend entsprach"28. Daß in Moskau nach Kriegsende ein Rivalitätsdenken - mit einer Politik destruktiver Kompromißlosigkeit in der "deutschen Frage" als Konsequenz - Platz gegriffen hatte, während in den westlichen Hauptstädten, insbesondere in Washington, gelegentlich noch die Gemeinsamkeiten der "Anti-Hitler-Koalition" beschworen wurden, soll an zwei Beispielen belegt werden: an der Frage der Oder-Neiße-Linie und am Problem der Sicherheitsgarantie. 11.

Das erste Beispiel berührt ein besonders schmerzliches, bis zu Beginn der 70er Jahre heftig umstrittenes Teilproblem der "deutschen Frage" nach dem Zweiten Weltkrieg: die Festlegung der deutschen Ostgrenze27 • Bekanntlich haben die beiden angelsächsischen Mächte die von Polen mit Billigung und Unterstützung Stalins im Sommer 1944 de jure und ein Jahr später de facto vorgenommene einseitige Vereinnahmung der Gebiete jenseits von Oder und Neiße28, d. h. im Hinblick auf einen Friedensvertrag die Festschreibung der Oder-Neiße-Linie als deutschpolnische Grenze, rückgängig zu machen versucht2'. Die Sowjetunion und Frankreich sollten für eine mittlere Linie zwischen der deutschpolnischen Vorkriegsgrenze und der Oder-Neiße-Linie als künftige deutsch-polnische Grenze gewonnen werden. Washington und London beriefen sich dabei auf das Potsdamer Abkommen, das nach ihrer Auf28 Vgl. die Ausführungen vom Verf. dieses Beitrages in: Der Weg nach Pankow, München/Wien 1980, S. 16. 27 Vgl. dazu generell Hans-Georg Lehmann: Der Oder-Neiße-Konflikt, München 1979. 28 Alexander Uschakow: Das Erbe Stalins in den deutsch-polnischen Beziehungen, Köln o. J., S. 5 ff.; und Lehmann, S. 33 f. It Die folgenden Ausführungen nach Wolfgang Marienfeld: Konferenzen über Deutschland, 2. Teil, Hannover 1962, S. 317 ff.

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fassung die Oder-Neiße-Linie nur als "vorläufige und insofern modifizierbare Verwaltungsgrenze" nannte und eine endgültige Festlegung der Friedenskonferenz anheimstellte. Hinter der angelsächsischen Forderung stand in erster Linie die mittlerweile handgreiflich gewordene Erfahrung, daß die in den Westzonen zusammengedrängten Bevölkerungsmassen bei weitem nicht aus der verbliebenen landwirtschaftlichen Nutzfläche ernährt werden konnten. Die westlichen Besatzungsmächte befürchteten, daß entweder ständige Zuschußlieferungen erforderlich werden würden oder aber eine das Vorkriegsniveau beträchtlich übersteigende Industrialisierung zugelassen werden müsse, wenn das künftige Deutschland nicht "als überfülltes Elendsquartier oder als ein Armenhaus der europäischen Wirtschaft im Herzen dieses Erdteiles"30 weiterbestehen solle. Auf der Moskauer Außenministerkonferenz im Frühjahr 1947 hielt das State Department den Zeitpunkt für gekommen, eine "Prüfung der Frage der endgültigen Festlegung der polnisch-deutschen Grenze" vornehmen zu lassen'l. Bei aller Anerkennung der im Prinzip seit der Kon~ ferenz von Teheran feststehenden Grundüberzeugung, die auf eine wesentliche Revision der deutschen Vorkriegsgrenze zugunsten Polens hinauslief!, sahen die Amerikaner die Aufgabe des Rates der Außenminister nunmehr in der Klärung der Frage, "wie die deutsch-polnische Grenze endgültig festzulegen sei". Marshall wie seinem britischen Kollegen Bevin kam es darauf an, unnötige und ungerechtfertigte wirtschaftliche Umwälzungen zu vermeiden, den unvermeidlichen Irredentismus auf ein Minimum zu reduzieren, um nationalistische Bewegungen und internationale Konflikte einzudämmen". Das anglo-amerikanische Vorhaben scheiterte auf der ganzen Linie. Wohl auch im Hinblick auf die sowjetische Besitzstandswahrung in Polen wies Molotow die Revisionswünsche seiner Kollegen in der Grenzfrage schroff zurück. Westliche überlegungen, die in diesem Zusammenhang vor allem auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Deutschen abhoben, blieben dabei ebenso unbeachtet wie die Forderung, das oberschlesische Industriegebiet dem wirtschaftlichen Wiederaufbau ganz Europas nutzbar zu machen. Um gar keinen Zweifel an der sowjetischen Position in dieser Frage aufkommen zu lassen, wies er das letztere Ansinnen als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines ande'0 So eine Formulierung des amerikanischen Außenministers George C. Marshall: Walter Bedell Smith, Meine drei Jahre in Moskau, Hamburg 1950, S.315. 31 Marienfeld, S. 317; vgl. dazu auch: Foreign Relations of the United States (künftig zitiert: FRUS) 1947, Vol. 11, Washington 1972, S. 320 ff. 32 Fischer, Deutschlandpolitik, S. 68. 33 Vgl. Lehmann, S. 100 f.; und Marienfeld, S. 318.

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ren Staates, in diesem Falle Polens, zurück. Im übrigen konzentrierte sich seine Gegenargumentation auf zweierlei: zum einen auf die Behauptung, daß für Polen die deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße keine Entschädigung für territoriale Verluste im Osten darstellten, sondern nur die Rückgewinnung alten polnischen Territoriums; zum anderen auf den Nachweis, daß in Potsdam natürlich eine endgültige Entscheidung im Hinblick auf die deutsche Ostgrenze getroffen worden sei, die lediglich noch der formellen Bestätigung durch einen Friedensvertrag bedürfe. Die Auffassung, Polen sei auf Kosten Deutschlands für Gebietsverluste an die Sowjetunion entschädigt worden, nannte Molotow primitiv. An sein Land, so erläuterte er die bekannte sowjetische Position zur Einverleibung der polnischen Ostgebiete, seien nur mit Ukrainern und Weißrussen bevölkerte Gebiete "übergegangen", "die naturgemäß mit ihren Brüdern in der Sowjet-Ukraine und in Sowjet-Bjelorußland wiedervereint werden mußten". Im Westen hingegen, so unterstrich er unter ausdrücklichem Hinweis auf den Piastenstaat, sei Polen wieder in Gebiete eingezogen, "die einst die Wiege des polnischen Staates waren"34. Was den - von den Anglo-Amerikanern in Zweifel gezogenen Potsdamer Beschluß über die Festlegung der neuen polnisch-deutschen Grenze anging, so konnte Molotow ein nicht zu unterschätzendes Argument anführen: den Beschluß über die Aussiedlung der Deutschen aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße. Er verwies darauf, daß der Allüerte Kontrollrat am 20. November 1945 den Plan für die Aussiedlung der Deutschen festgelegt habe und dieser daraufhin "in raschem Tempo" durchgeführt worden sei. Laut Mitteilung des Kontrollrates an die Außenminister, so fügte er zur Bekräftigung seiner Auffassung hinzu, hätten bis zum 1. Januar 1947 5687936 Deutsche die Ostgebiete verlassen, die "illegale Übersiedlung" nicht mitgerechnet. Außerdem habe die polnische Regierung vor kurzem bekanntgegeben, daß in den neugewonnenen Westgebieten inzwischen etwa 5 Millionen Polen und nur noch 400 000 Deutsche lebten, d. h. die Zahl der Deutschen dort inzwischen weniger als ein Zehntel der Gesamtbevölkerung ausmache35 . Das alles sprach nach Molotow dafür, daß der Beschluß der Potsdamer Konferenz über die neue Westgrenze Polens von den "Großen Drei" als "ein endgültiger Beschluß" betrachtet worden sei. Es könne keinem einfallen, daß Maßnahmen wie die Aussiedlung der Deutschen aus diesen Gebieten und die Ansiedlung von Polen in diesen Gebieten 34 Marienfeld, S. 321 f.; FRUS 1947, II, S. 321 f. 35 Marienfeld, S. 320 f.; Lehmann, S. 103. 4 Deutschlandfrage

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lediglich den Charakter von vorübergehenden Experimenten besessen hätten. Mit solchen Dingen, so belehrte Molotow seine Kollegen, dürfe man schon im Hinblick darauf nicht spielen, daß dies nicht nur den Polen, sondern auch den Deutschen gegenüber "unstatthaft grausam" wäre36 . Molotows Stellungnahme bekräftigte den sowjetischen Standpunkt, daß der Potsdamer Beschluß "im Kern der Sache" ein endgültiger Beschluß gewesen sei und es sich demzufolge bei der Oder-Neiße-Linie um "eine bereits delimitierte Grenze" handele. Neu an seiner Argumentation war nur das Bestreben, von der Kompensationsthese abzulenken, und an ihre Stelle die "historische" Reminiszenz treten zu lassen, "Polen sei rechtmäßig in alte piastische Territorien ,zurückgekehrt"'37. Es bleibt der Eindruck, daß an diesem Beispiel - dem kompromißlosen Festhalten an der Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnische Grenze - nicht nur ein Grundprinzip Stalinscher Außenpolitik erkennbar wird, das darauf hinausläuft, einmal dem eigenen Einflußbereich einverleibte Gebiete nicht wieder zur Disposition stellen zu lassen, sondern auch eine Linie der sowjetischen Europapolitik aufscheint, der es - in den Worten Robert Murphys - darauf ankam, "die westlichen Pläne für die wirtschaftliche Gesundung Deutschlands zu vereiteln und damit den Wiederaufbau des nichtkommunistischen Europa in Frage zu stellen"38.

m. Daß der Eindruck entstehen konnte, Moskaus Politik in der "deutschen Frage" nach 1945 sei allein auf ein großes Verzögerungsmanöver hinausgelaufen, läßt sich am zweiten Beispiel, einer Erörterung der vieldiskutierten Sicherheitsproblematik, belegen. Die interalliierte Diskussion des Sicherheitsproblems nahm ihren Anfang von einem amerikanischen Entwurf zu einem Vier-Mächte-Vertrag über Deutschland88 • Er war dem sowjetischen Alliierten schon während eines informellen Gesprächs zwischen Byrnes und Molotow während des Londoner Treffens der Außenminister im Herbst 1945 bekanntgegeben worden und in Moskau offenbar auf Interesse gestoßen40 • Am 29. April 1946, während des Pariser Treffens der Außenminister, wurde er als förmlicher Vorschlag von Byrnes in die Runde seiner Kollegen eingeführt41 • Der Ver36

Marienfeld, S. 321.

87 Lehmann, S. 103. 38 Robert Murphy: Diplomat unter Kriegern, Berlin 21966, S. 374. 3V

40 41

V gI. Marienfeld, S. 336 ff. VgI. FRUS 1945, Vol. 11, Washington 1967, S. 267 f. FRUS 1946, Vol. 11, Washington 1970, S. 175.

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tragsentwurf sollte nicht an die Stelle eines später abzuschließenden Friedensvertrages treten, sondern mit der Garantie der Entmilitarisierung Deutschlands nur das allgemeine Sicherheitsbedürfnis befriedigen "und damit ein Element der Beruhigung in die europäische Politik hineintragen"42. Der Entwurf sah vor, Deutschland vorerst auf 25 Jahre vollständig entmilitarisiert zu halten. Im einzelnen wurde vorgeschlagen, den Deutschen - abgesehen von einer Schutzpolizei - den Aufbau militärischer und halbmilitärischer Verbände in jedweder Form zu untersagen. Das Verbot erstreckte sich auf Kriegsgerät unter Einschluß von Flugzeugen aller Art, auf Produktion oder Import spaltbaren Materials sowie auf die Errichtung und Planung von Befestigungsanlagen und Produktionsstätten. Die Aufrechterhaltung der einzelnen Entmilitarisierungsbestimmungen sollte nach dem Ende der militärischen Besetzung Deutschlands durch eine Vier-Mächte-Kontrollkommission gewährleistet werden43 • Der amerikanische Vertragsentwurf kam nicht nur dem legitimen Sicherheitsbedürfnis aller europäischen Mächte entgegen. Er war ganz besonders, in seiner Entstehung ein Relikt aus dem Jahre 1945 44 , auf das sowjetische Sicherheitsbedürfnis abgestellt und zielte darauf ab, positive Wirkungen hinsichtlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des politischen Einvernehmens zwischen den Mächten der sogenannten Anti-Hitler-Koalition zu erreichen46. Das State Department glaubte, mit diesem Vertrag den sowjetischen Befürchtungen begegnen zu können, "daß es Deutschland eines Tages erlaubt werde, seine Stärke wiederzugewinnen", und daß der ehemalige Kriegsgegner gar von den Westmächten "in ein antisowjetisches Bündnis einbezogen" werden könnte. Dahinter stand die Erwartung, daß sich die Sowjetunion unter solchen Voraussetzungen zu "einer liberaleren Politik, insbesondere in Osteuropa", bereitfinden und auf diese Weise "der Teufelskreis" durchbrochen werden könne, "in dem sich die Sowjetunion zur Gewährleistung ihrer Sicherheit bewegt"46. Die ersten Reaktionen Molotows und Stalins klangen vielversprechend. Molotow nannte anläßlich einer ersten Information durch Byrnes den amerikanischen Vorschlag "eine interessante Idee"47, und Stalin äußerte sich gegenüber dem amerikanischen Staatssekretär sogar zuMarienfeld, S. 337. Wortlaut des amerikanischen Entwurfs: FRUS 1946, II, S. 190 ff. U Vgl. FRUS: The Conference of Berlin 1945, Vol. I, Washington 1960, S. 450 ff. U Marienfeld, S. 337. 46 FRUS: The Conference of Berlin, S. 450. 47 FRUS 1945, II, S. 268. 4!

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4*

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stimmend48 • Diese verheißungsvolle Haltung änderte sich jedoch in dem Augenblick, als Byrnes Ende April 1946 den Vertragsentwurf auf der Pariser Außenministerkonferenz offiziell zur Diskussion stellte. Sogleich begann der sowjetische Außenminister nach Ausflüchten zu suchen, wenn er z. B. behauptete, der Vertrag verzögere die Entwaffnung Deutschlands, oder den Versuch machte, die Frage der Inspektion in den Mittelpunkt der Diskussion zu rücken4u• Erst als der Rat der Außenminister sein Pariser Treffen nach einer Unterbrechung im Juli 1946 fortsetzte, zeigte sich Molotow zu einer detaillierten, freilich negativen Stellungnahme bereit: Nun sprach er von der "Unzulänglichkeit" der im Entwurf vorgeschlagenen Maßnahmen und nannte einen solchen Vertrag "keine zuverlässige Garantie für die Sicherheit in Europa und in der ganzen Welt". Seine Einzelkritik richtete sich zunächst gegen die vorgesehene Dauer des Vertrages von 25 Jahren, die er auf mindestens 40 Jahre ausgedehnt wissen wollte. Darüber hinaus störte ihn der Grundsatz, daß Interventionen in innerdeutsche Verhältnisse nur durch Mehrheitsbeschluß herbeigeführt werden sollten. Außerdem erklärte Molotow sowohl die bisher durchgeführte als auch die im amerikanischen Vertragsentwurf vorgesehene industrielle Abrüstung als völlig unzureichend. Schließlich kritisierte er, daß der Vertragsentwurf die Möglichkeit ins Auge fasse, die Besetzung des deutschen Territoriums durch die Alliierten aufzuheben. Er machte deutlich, daß davon erst gesprochen werden könne, wenn "die militärische und wirtschaftliche Entwaffnung Deutschlands" sowie "die Demokratisierung des Regimes in Deutschland" sichergestellt und die Reparationsverpflichtungen erfüllt seien50• Es ist nicht bekannt, ob Molotow mit seiner Haltung die Geduld der Amerikaner in der "deutschen Frage" überstrapazieren wollte. Nicht schwer zu erkennen ist aber, daß die Auslassungen des sowjetischen Außenministers, mit denen er faktisch jede Bestimmung des amerikanischen Vertragsentwurfes in Frage stellte, einer Ablehnung durch die Sowjetregierung gleichkamen. Während Molotow noch auf den Pariser Sitzungen im April und im Mai 1946 nur vereinzelte Einwände vorgebracht hatte, die seinem amerikanischen Kollegen zumindest noch die Hoffnung beließen, seinen Plan auf interalliierter Ebene durchsetzen zu können, machte die Stellungnahme vom 9. Juli 1946 jede Hoffnung dieser Art zunichte. Darüber hinaus enthielt die Erklärung Molotows nicht nur ein kaum verhülltes "Njet" zum Byrnes-Plan, sondern auch direkte und massive Beschuldigungen an die Adresse der Westmächte 48

49

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FRUS 1946, H, S. 62 f.

Ebd., S. 146 ff. Ebd., S. 843 ff.; dazu Marienfeld, S. 338 f.

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im allgemeinen und der USA im besonderen, Abmachungen der Alliierten über Deutschland nicht eingehalten zu haben51 • Die ausgesprochen destruktive Kritik Molotows machte schlagartig deutlich, wie wenig Gemeinsamkeiten die beiden Hauptmächte der "Anti-Hitler-Koalition" noch verbanden, wie stark und unversöhnlich vielmehr inzwischen die Gegensätze zwischen Ost und West bereits angewachsen waren. Der amerikanische Vertragsentwurf, der eigentlich zur Befriedigung der Sicherheitsbedürfnisse aller Beteiligten und damit eine Art Krönung der alliierten Bemühungen um eine Friedensordnung im Jahre 1946 hätte werden sollen, wurde von sowjetischer Seite - so der amerikanische Eindruck - zum Gegenstand taktischer Finessen. Molotow habe einfach Ausreden gesucht, so vermutete Byrnes später, um die Verhandlungen in die Länge ziehen zu können5!. Praktische Vorschläge der Amerikaner wie z. B. die Ernennung von Sonderbeauftragten zur Vorbereitung einer Friedensregelung für Deutschland53, die - auf der Basis des Entmilitarisierungsvertrages eingebracht - geeignet gewesen wären, das Deutschlandproblem einer Lösung näherzubringen, schien der sowjetische Außenminister auf diese Weise abblocken zu wollen. In der Tat gehörte es offenbar zur sowjetischen Verhandlungstaktik, in der Diskussion um die "deutsche Frage" auf den Tagungen des Rates der Außenminister in Einzelfragen starr an bestimmten Vorstellungen und Forderungen (z. B. 10 Milliarden Dollar Reparationen) festzuhalten und alle westlichen Vorschläge kompromißlos abzulehnen. Zu der wenig konzilianten Haltung Moskaus in Einzelfragen gesellte sich in der Regel das alles blockierende Verlangen hinzu, das deutsche Problem sei nicht in einzelnen Teilen, sondern nur "in seiner Gesamtheit" zu lösen54 • Wenn so bei Zeitgenossen der Eindruck entstehen konnte, als laufe die Zielvorstellung der sowjetischen Deutschlandpolitik letztlich, möglicherweise in der Hoffnung auf einen baldigen Abzug der Amerikaner, auf die Verzögerung aller wichtigen Entscheidungen hinaus55, dann bleibt festzuhalten, daß dieser destruktiven Politik kein Erfolg beschieden gewesen ist. Mit dem vorläufigen Stopp der Demontagen zugunsten der Sowjetunion durch den amerikanischen Militärgouverneur, General Clay, am 3. Mai 1946 kam vielmehr eine anglo-amerikanische Deutschlandpolitik in Gang, die - aller Verschleppungs- und Verweigerungstaktik Moskaus zum Trotz - auf eine wirtschaftliche Gesundung WestFRUS 1946, 11, S. 845. James F. Byrnes: In aller Offenheit, Frankfurt a. M. o. J., S. 234. 53 Ebd., S. 250. 54 FRUS 1946, 11, S. 935. 55 Byrnes, S. 214; vgl. auch George F. Kennan: Memoiren eines Diplomaten, Stuttgart 1968, S. 564 ff. 51

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deutschlands hinauslief und dessen Bodenschätze sowie Produktionsmittel als Bestandteil einer gemeinsam aufzubauenden europäischen Wirtschaft verstand 58 . Die Ratstagungen der Außenminister zwischen dem Herbst 1945 und dem Spätherbst 1947 haben sich daher für Moskau als ein - in den Worten eines amerikanischen Diplomaten57 - "sehr erfolgreicher Fehlschlag" - erwiesen, weil sie, trotz aller Enttäuschungen, wesentlich zur Klarheit über die sowjetische Haltung in der "deutschen Frage" beitrugen. Die sowjetische Deutschlandpolitik blieb von diesem Mißerfolg nicht unberührt: Da ein "friedliches, demokratisches" Deutschland im Sinne der UdSSR nicht zu erreichen war, zog Moskau nach dem Scheitern des Londoner Außenministertreffens im Dezember 1947 auf seine Weise die Konsequenzen und versuchte, den eigenen Herrschaftsbereich zu konsolidieren. Auch hier erwies sich freilich der entsprechende Versuch im speziellen deutschen Fall, die Blockade Berlins 1948/49, als ein Fehlschlag, der daraufhin im Herbst 1949 mit Hilfe der Gründung eines deutschen Modellstaates, der Deutschen Demokratischen Republik, wettgemacht werden sollte. IV.

Das Stichwort "Deutsche Demokratische Republik" leitet über zu der abschließenden Frage, ob es bei aller destruktiven Haltung auf der interalliierten Ebene der Außenministerkonferenzen sowjetischerseits konkrete Vorstellungen von einem neuen, demokratischen Deutschland gegeben hat und wie diese - gegebenenfalls - aussahen. Wer die diesbezüglichen Vorstellungen Moskaus kennenlernen möchte, der wird an der seinerzeit - in den Worten von Byrnes58 - "bedeutsamsten Erklärung über die sowjetische Deutschlandpolitik" nicht vorbeigehen können: an den Ausführungen Molotows auf der Ratssitzung in Paris vom 10. Juli 19465'. Zu offenkundig war sein Bemühen, "in der strengen Runde der Sieger unter lauter Richtern als einziger Anwalt und Fürsprecher des Delinquenten aufzutreten"80, zu überraschend seine Darlegungen. Molotow ging dabei unvermittelt von der für ihn feststehenden Tatsache aus, "daß es vom Standpunkt der Interessen der Weltwirtschaft und des Friedens in Europa falsch wäre, einen Kurs einzuschlagen, der zur staatlichen Vernichtung oder Agrarisierung Deutschlands einschließlich der Vernichtung seiner Hauptindustriezentren führen 58 Vogelsang, S. 39.

Smith, S. 293. Byrnes, S. 240. 58 FRUS 1946, H, S. 869 ff. 80 So Walrab von Buttlar: Ziele und Zielkonflikte der sowjetischen Deutschlandpolitik 1945-1947, Stuttgart 1980, S. 179. 67

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werde". Zur Verhinderung einer chronischen politischen Krise in Deutschland, die ein solcher Kurs nach seiner Meinung unweigerlich nach sich ziehen würde, schlug er deshalb vor, "Deutschland in einen demokratischen und friedliebenden Staat zu verwandeln", der "neben seiner Landwirtschaft auch seine eigene Industrie und seinen eigenen Außenhandel" haben sollte61 • Pläne zur Aufgliederung Deutschlands "in einzelne ,autonome' Staaten" sowie überlegungen zu seiner Föderalisierung und zur Abtrennung des Ruhrgebietes kritisierte der sowjetische Außenminister als mit den Interessen und Wünschen des deutschen Volkes nicht vereinbar. Molotow machte sich vielmehr "zum namhaftesten und ersten öffentlichen Anwalt für Deutschlands Wiederaufbau", wenn er für eine Steigerung der Kapazitäten der deutschen Friedensindustrie eintrat - mit dem Recht zum Import und Export, mit Steigerungen der deutschen Kohleförderung sowie der Produktion von Stahl und Industrieprodukten für Friedenszwecke62 • Zeitgenössische Beobachter gewannen den Eindruck, als habe der sowjetische Außenminister mit seiner Rede um die Gunst des deutschen Volkes werben wollen - ein Gesichtspunkt, der im Blick auf die seinerzeit anstehenden Wahlen in allen Besatzungszonen gar nicht so abwegig war. Es schien, als wollte Moskau unter Ausnutzung der "Verwirrung" (Byrnes), die in den westlichen Ländern im Hinblick auf die "deutsche Frage", insbesondere in den USA, immer noch herrschte, eine Kehrtwendung vollziehen und sich von der bisher geübten alliierten Deutschlandpolitik, die deutlich Strafcharakter trug, zurückziehen63 • Wer sich die konkreten Vorschläge Molotows genauer betrachtet, dem muß freilich klar werden, daß hier nur in einem sehr eingeschränkten Sinne von einem Entgegenkommen an die Deutschen oder gar von einem Liebeswerben um die Deutschen die Rede sein konnte. Immerhin setzte schon damals eine stetige, in späteren Jahren ständig zunehmende Abwanderungsbewegung aus den Städten und Dörfern der SBZ ein, die auch ein Protest gegen jenes Deutschland-Modell gewesen ist, das Molotow nicht müde wurde, seinen Kollegen auf den Ratstagungen in den rosigsten Farben auszumalen64 • In der SBZ in die Wirklichkeit umgesetzt, trug es die Züge der gemeinsamen deutschlandpolitischen Beschlüsse der verbündeten Mächte während des Krieges, insbesondere FRUS 1946, II, S. 869. Ebd., S. 870. 63 Vgl. Lucius D. Clay: Entscheidung in Deutschland, Frankfurt a. M. o. J., S. 151. 64 Vgl. FRUS 1946, H. S. 871 f. 61

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der Beschlüsse der Konferenzen von Jalta und Potsdam, freilich in ihrer sowjetischen Interpretation. Die deutschland politischen Diskussionsbeiträge Molotows auf den Ratstagungen der Außenminister erwecken daher streckenweise den Eindruck, als sollte nachgewiesen werden, daß allein die Sowjetunion diese Beschlüsse auch verwirklicht habe65 • Nicht ohne Absicht verwies Molotow dabei immer wieder auf Stichworte wie "Vernichtung des deutschen Militarismus und Nazismus", "Liquidierung der deutschen Rüstungsindustrie", "vollständige Entwaffnung und Entmilitarisierung Deutschlands", "Verhinderung neuer Aggressionen von seiten Deutschlands" aus den Diskussionen und Beschlüssen von Jalta und Potsdam. Ebenso absichtsvoll brachte er sie mit Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht in der SBZ in Verbindung: So nannte er "die Agrarreform und die Liquidierung der Großgrundbesitzer" ("eine zuverlässige Stütze des Hitlerismus") und verwies auf "ernsthafte demokratische Kräfte", die in Deutschland "zum Vorschein gekommen" seien und bereits "mit einem gewissen Erfolg" an deI' demokratischen Wiedergeburt Deutschlands arbeiteten68 • Bezieht man den - straff kontrollierten - Aufbau eines Parteiensystems (SMAD-Befehl Nr.2 vom 10. Juni 1945), die Gründung sogenannter Massenorganisationen, die Verstaatlichung der Banken und des Versicherungswesens, den Aufbau deutscher Zentralverwaltungen (SMAD-Befehl Nr. 17 vom 25. Juli 1945) und die "Demokratisierung" des Schulwesens bis hin zur Ausarbeitung einer Verfassung für eine deutsche demokratische Republik aus dem Jahre 1946 mit ein, dann wird nicht nur das Prinzip der sowjetischen Deutschlandpolitik sichtbar, nämlich kompromißlos an den im sowjetischen Sinne interpretierbaren Formeln festzuhalten, wie sie in Jalta und Potsdam fixiert worden waren. Es schälte sich im Rahmen der SBZ auch das Deutschland-Modell heraus, das Moskau seinerzeit vorschwebte: die DDR. Beispielhaft deutlich wurde diese Auffassung in dem vielzitierten Grußtelegramm Stalins anläßlich der Gründung der DDR vom 13. Oktober 1949, in dem von dem zweiten deutschen Staat nicht nur als "Wendepunkt in der Geschichte Europas" die Rede war, sondern auch davon, daß die DDR der "Grundstein für ein einheitliches, demokratisches und friedliebendes Deutschland" sei67 • In der Gründung der DDR, so präzisierte ein enger Vertrauter Stalins, der stellvertretende Ministerpräsident Georgij M. Malenkov, einen Anspruch, der nur durch die Auslöschung der Bundesrepublik Deutschland zu verwirklichen war, komme "der Prozeß der Vereinigung 85 Vgl. Buttlar, S. 179 ff.; dazu Ernst Nolte: Deutschland und der Kalte Krieg, München/Zürich 1974, S. 224 f. 66

FRUS 1946, II, S. 842 ff.

Dokumente zur Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik, Bd. II, Berlin (Ost) 1955, S. 584. 67

Die Sowjetunion und die "deutsche Frage" 1945-1949

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und des Zusammenschlusses der demokratischen Kräfte des deutschen Volkes" zum Ausdruck6s• Es konnte schon damals kein Zweifel darüber herrschen, daß mit diesen "demokratischen Kräften" Politiker wie Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl gemeint waren, nicht Konrad Adenauer und Kurt Schumacher. Wenn Pieck am 11. Oktober 1949 nach seiner Wahl zum Präsidenten der DDR von den "Brüdern und Schwestern" sprach, die in den Westzonen "unter dem entwürdigenden Druck eines der deutschen Bevölkerung von den westlichen Besatzungsmächten aufgezwungenen Besatzungsstatuts" lebten6t1, oder Grotewohl einen Tag später in seiner Regierungserklärung die Bundesrepublik Deutschland als einen Staat zu disqualifizieren versuchte, der schon in seiner Geburtsstunde "alle Krankheitszeichen eines politischen Wechselbalges" aufweise70 , dann wurde damit nur der Anspruch verdeutlicht, daß die DDR nicht nur von ihren Funktionären, sondern auch von ihren sowjetischen Geburtshelfern als "deutsches Kerngebiet" (Pieck), als deutsches Piemont verstanden wurde. Damit ist das Fazit leicht zu ziehen: Während der Verhandlungen auf den Ratstagungen der Außenminister zwischen 1945 und 1949 gibt es keinen Hinweis darauf, daß die Sowjetunion in bezug auf die "deutsche Frage" ein anderes Ziel gekannt und verfolgt hätte als einen deutschen Einheitsstaat nach dem Muster der am 7. Oktober 1949 gegründeten, in ihren Fundamenten jedoch schon viel früher angelegten DDR. Ob den verantwortlichen Politikern in Moskau seinerzeit bewußt gewesen ist, daß sie mit ihrer Rigorosität in der Deutschlandpolitik die Teilung des Landes riskierten, bleibt fraglich. Dem Beobachter aus der Distanz von über dreißig Jahren drängt sich allerdings der Verdacht auf, als sei mit dieser Politik des "Alles oder nichts" die Einheit der deutschen Nation einseitig aufs Spiel gesetzt worden.

68 Dietrich Geyer: Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands in sowjetischer Sicht, in: Günther Franz (Hrsg.), Teilung und Wiedervereinigung, Berlin/Frankfurt a. M./Zürich 1963, S. 238. 6V Dokumente zur Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik, Bd. I, Berlin (Ost) 1954, S. 15. 70 Ebd., S. 25.

GROSSBRITANNIEN UND DIE DEUTSCHLANDFRAGE AUF DEN AUSSENMINISTERKONFERENZEN 1946/47* Von J osef Foschepoth Die Erforschung der internationalen Beziehungen nach dem 2. Weltkrieg hat sich bislang von theoretischen Prämissen leiten lassen, die schlagwortartig als traditionalistische, revisionistische und postrevisionistische Betrachtungsweise bezeichnet werden1 • Ohne auf die verschiedenen Positionen hier näher eingehen zu wollen, läßt sich bei allen drei Ansätzen eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit feststellen. Ob nun die Wurzel allen übels in der ideologisch motivierten und von daher grundsätzlich aggressiven, weil auf Expansion angelegten Außenpolitik der Sowjetunion oder in einer nicht minder aggressiven, weil den Gesetzen eines expansiven Dollarimperialismus folgenden Außenpolitik der USA gesehen wird, oder ob die Entstehung des Kalten Krieges nach dem Interaktionsmodell als Eskalation wechselseitiger Fehleinschätzungen, unterlassener oder provokativer Entscheidungen und Handlungen, letztlich als Summe verpaßter Chancen oder unausgeschöpfter Möglichkeiten beschrieben wird, stets erscheinen die USA und die UdSSR als die Hauptprotagonisten, denen sich die übrigen Staaten mehr oder wenig gefügig unterordnen, ohne jedoch Form und Ausmaß des Konfliktes entscheidend mitbestimmen zu können. Die kleineren Großmächte wie Großbritannien und Frankreich oder auch die übrigen europäischen Staaten, sei es einzeln oder in ihrer Gesamtheit, sind bislang als möglicher eigenständiger Faktor bei der Herausbildung des Kalten Krieges noch keineswegs hinreichend thematisiert worden. Hier tut sich der historischen Forschung ein weites Feld auf. Mit der sukzessiven Freigabe der britischen Nachkriegsakten soeben sind die Akten des Jahres 1953 freigegeben worden - haben sich die Voraussetzungen für die Erforschung der Außen- und Deutschlandpolitik Großbritanniens nach dem 2. Weltkrieg entscheidend ver-

* Der in Mainz gehaltene Vortrag basierte auf dem hier abgedruckten umfangreicheren Manuskript, das auch in dem von Josef Foschepoth und Rolf Steininger herausgegebenen Sammelband: Die britische Deutschland- und Besatzungspolitik 1945-1949, Paderborn 1984, publiziert wird. 1 Vgl. hierzu neuerdings W. Loth: Der "Kalte Krieg" in der historischen Forschung, in: G. Niedhart (Hrsg.), Der Westen und die Sowjetunion, Paderborn 1983, S. 155-175.

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bessert. Es ist an der Zeit die bislang angebotenen Deutungsversuche zu überprüfen, notfalls zu korrigieren, in jedem Falle aber quellenmäßig zu fundieren. Bei meinen Überlegungen werde ich mich daher von folgenden Fragen leiten lassen: 1. Von welchen Bedingungen hatte die britische Deutschlandpolitik der Jahre 1946 und 1947 auszugehen? 2. Verfügten die Briten über ein bestimmtes Konzept zur Lösung der Deutschlandfrage? und 3. Inwieweit ist es ihnen gelungen, ihre Politik durchzusetzen?

I. Wirtschaftliche und politische Bedingungen britischer Deutschlandpolitik nach dem 2. Weltkrieg Jede Beschäftigung mit der Außenpolitik Großbritanniens nach dem 2. Weltkrieg hat die großen wirtschaftlichen Probleme in Rechnung zu stellen, denen sich dieses Land in den Nachkriegsjahren gegenübersah. Aus dem von Deutschland aufgezwungenen Krieg war es militärisch zwar als Sieger, wirtschaftlich jedoch nahezu ruiniert hervorgegangen. Aus dem ehemals wichtigsten Kreditgeber der Welt war der größte Schuldner geworden!. Der Krieg hatte die Gold- und Dollarreserven weitgehend aufgezehrt und den Verkauf eines großen Teils des ausländischen Vermögens notwendig gemacht. Hoffnungen auf einen nicht rückzahlbaren Kredit der USA hatten sich als illusorisch erwiesen. Im August 1945 sah sich die soeben mit der politischen Verantwortung betraute Labour-Regierung noch mit der sofortigen Einstellung der amerikanischen Lend and Lease Lieferungen konfrontiert. Ein hoher Importbedarf an Nahrungsmitteln und Rohstoffen einerseits und eine aufgrund der Kriegswirtschaft erheblich reduzierte Exportfähigkeit andererseits verursachten 1945 ein Handelsdefizit von 654 Millionen Pfund. Gleichzeitig erreichte die Auslandsverschuldung die schwindelnde Höhe von 3,4 Milliarden Pfund Sterling'. Allein diese Zahlen machen verständlich, daß vor allem das britische Schatzamt frühzeitig vor einer Deutschlandpolitik warnte, die für Großbritannien weitere hohe Belastungen mit sich bringen würde. Oberstes Ziel alliierter Deutschlandpolitik sollte es daher sein, möglichst schnell eine baZanced economy wiederherzustellen. Entsprechend drängte der Chancellor of the Exchequer darauf, daß vor allen Reparationsüber2 Vgl. C. Scharf / H. J. Schröder (Hrsg.): Die Deutschlandpolitik Großbritanniens und die britische Zone 1945-1949, Wiesbaden 1979, Einleitung, S. 4. 3 Vgl. S. Pollard: The Development of the British Economy 1914-1967, London 2/1976, S. 331/333. Zu den Problemen der britischen Wirtschaft allgemein vgl. F. Jerchow: Deutschland in der Weltwirtschaft 1944-1947, Alliierte Deutschland- und Reparationspolitik und die Anfänge der westdeutschen Außenwirtschaft, Düsseldorf 1978, S. 46 ff.

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legungen Deutschland zunächst einmal für die Finanzierung notwendiger Importe aufkommen müsse. In einem Memorandum vom 7. März 1983 sprach er sich deshalb mit Nachdruck dafür aus, daß die Lieferungen von Nahrungs- und Versorgungsgütern nach Deutschland "a first charge on any deliveries taken from her'" sein sollten. Wirtschaftliche überlegungen dieser Art waren es auch, die Großbritannien in Potsdam zum konsequenten Verfechter einer wirtschaftlichen Einheit Deutschlands werden ließen. Nur unter starkem Druck der Amerikaner stimmten die Briten einer Reparationsregelung zu, die ihrer Meinung nach zu einer wirtschaftlichen und schließlich auch zu einer politischen Teilung Deutschlands führen mußte5 • Die erklärte Absicht, Deutschland als wirtschaftliche Einheit zu behandeln, aber auch die übernahme des first charge principle in die wirtschaftlichen Grundsätze der Potsdamer Vereinbarungen, waren nur ein schwacher Trost, da jede einheitliche Regelung künftig an die einstimmige Zustimmung des Kontrollrates gebunden sein würde. Die Entwicklung der folgenden Monate bestätigte die britischen Befürchtungen. Eine gemeinsame Import-Export-Regelung kam ebensowenig zustande wie eine gleichmäßige Verteilung deutscher Resourcen. An Nahrungsmittellieferungen aus dem Osten war solange nicht zu denken wie entsprechende Reparationslieferungen aus den Westzonen nach dem in Potsdam vereinbarten Schlüssel nicht in der Sowjetunion eintrafen. Die zonale Auseinanderentwicklung Deutschlands nahm ihren Gang und traf die britische Zone besonders hart. Allein im Haushaltsjahr 1945/46 waren 74 Millionen Pfund für Einfuhren aufzubringen, um die deutsche Bevölkerung in dieser Zone am Leben zu erhaltenu. Die Versuche Großbritanniens während der Verhandlungen um den Industrieniveauplan, die erlaubte Stahlproduktion auf 10,5 Millionen Tonnen anzuheben, um dadurch die Exporterlöse der britischen Zone zu steigern, scheiterten an dem gemeinsamen Widerstand der Alliierten. Andererseits stieß auf britischer Seite der von General Clay verfügte Reparationsstop, um eine zonenübergreifende Import-Export-Regelung zu erzwingen, auf wenig Gegenliebe. Man hielt ihn kaum für ein geeignetes Mittel, um kurzfristig Fortschritte auf dem Weg zur Behandlung Deutschlands als einheitlichen Wirtschaftsraum zu erzielen. Vielmehr fürchteten die Briten, daß außer den westeuropäischen Ländern sie selbst um die "immediate requirements of special plant and machinery"7 , FO 371/45775/UE 1159. Die Hinweise auf ungedruckte Dokumente beziehen sich ausschließlich auf Akten der britischen Regierung, die sich im Public Record Office London befinden. 5 Vgl. J. Foschepoth: Britische Deutschlandpolitik zwischen Jalta und Potsdam, in: VfZ 30 (1982), S. 675-714, bes. S. 707 ff. e Jerchow: Deutschland in der Weltwirtschaft, S. 347. 7 CAB 134/596, O.R.C. (46) 51, S. 2.

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gebracht würden. Die Einlösung des Reparationsanspruchs und die Erhöhung des Industrieniveaus in Deutschland waren für die Briten keine Alternative, sondern nur eine Frage der zeitlichen Reihenfolge. Die britische Deutschlandpolitik befand sich ein Jahr nach dem Ende des Krieges nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in politischer Hinsicht in einem nahezu unlösbaren Dilemma. Die Unfähigkeit der Alliierten, zu einer gemeinsamen Politik zu gelangen, führte einerseits zu einseitigen wirtschaftlichen Vorteilen für Russen und Franzosen und entsprechenden Nachteilen für die Amerikaner und vor allem die Briten. An der Einheit der Alliierten um jeden Preis festzuhalten, verlor daher für Großbritannien deutlich an Attraktivität. Andererseits war die naheliegende Möglichkeit, die eigenen wirtschaftlichen und politischen Vorstellungen ungeachtet einer Vier-Mächte-Regelung ausschließlich in der eigenen Zone zu verwirklichen, politisch höchst riskant. Eine Entscheidung über einen derartigen Kurswechsel gehörte vor das Kabinett. Am 3. Mai 1946 legte das Foreign Office ein entsprechendes Memorandum vor, das vier Tage später von der britischen Regierung beraten wurde. Die entscheidende Frage, die den Ministern vorgelegt wurde, lautete, ob es für Großbritannien der beste Weg sei "to maintain and develop the present policy of Potsdam or to throw it overboard and organise our own zone as an independent unit according to our own ideas, bringing in the western zones as we can"s. Im Unterschied zum Foreign Office, in dem spätestens seit einer top

ZeveZ discussion am 3. April 1946 konkrete überlegungen "for the

eventual division of Germany into two States'" nichts Ungewöhnliches mehr waren, schreckte die Mehrheit des Kabinetts bei der Beratung des Memorandums am 7. Mai deutlich vor den politischen Konsequenzen einer bewußten Aufkündigung der alliierten Zusammenarbeit in Deutschland zurück. Premierminister Attlee sprach sich entschieden für eine Fortsetzung der bisherigen Politik aus. Die übertriebene Betonung der russischen Gefahr, die Bevin in seinem Memorandum immer wieder als Begründung für einen notwendigen Kurswechsel der britischen Deutschlandpolitik angeführt hatte, stieß auf deutliche Kritik10• Nach Ansicht des Schatzkanzlers sprachen die besseren Argumente vielmehr dagegen, in eine "anti-Soviet policy" abzudriften und eine Teilung Deutschlands zu betreiben. Der Außenminister wurde daher aufgeforFO 371/55587/C 5223, C.P. (46) 186, S. 3. FO 371/55586/C 3997. 10 Wörtlich hieß es in dem Memorandum vom 3. Mai 1946: "For the danger of Russia has become certainly as great as, and possibly even greater than, that of a revived Germany in league with or dominated by Russia" (FO 371/ 55587/C 5223). 8 g

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dert, "to keep the way clear for the re-establishment of more harmonious relations with the Soviet Union"l1. Bevin selbst hatte an den Beratungen des Kabinetts nicht teilgenommen. Er hielt sich bereits seit dem 25. April in Paris auf, wo die Außenminister der vier Siegermächte zum ersten Mal ausführlich das Deutschlandproblem erörtern wollten. Die Haltung des Kabinetts erleichterte seine Verhandlungsposition keineswegs. Im Gegenteil: die von der Londoner Regierung favorisierte Politik der Einheit der Alliierten und damit Deutschlands war nach Ansicht des Foreign Office ohne die Preisgabe grundlegender Prämissen britischer Deutschlandpolitik nicht zu verwirklichen. Umgekehrt war bei der vom Foreign Office befürworteten zonalen Lösung mit der langfristigen Möglichkeit des Zusammenschlusses der drei westlichen Zonen zu einem vereinten Westdeutschland, nicht nur bei den Verbündeten und bei den Deutschen, sondern auch im eigenen Kabinett mit erheblichem Widerstand zu rechnen. In Paris stand die traditionell pragmatisch orientierte britische Außenpolitik daher vor dem Dilemma, Unmögliches wollen und Mögliches verhindern zu müssen. Der Handlungsspielraum Bevins war denkbar gering. 11. Die Pariser Außenministerkonferenz und das amerikanische Angebot zur Vereinigung der Besatzungszonen Während der ersten Verhandlungsrunde des Außenministerrates in Paris vom 25. April bis zum 16. Mai 1946 wurde das Deutschlandproblem erst an den heiden letzten Tagen ausführlich zur Sprache gebrachtl!. Neue Aspekte brachten lediglich die Amerikaner in die Diskussion ein. Die Vertreter der drei übrigen Mächte beschränkten sich weitgehend auf die Wiederholung bekannter Positionen, sei es hinsichtlich der Bedeutung des Potsdamer Abkommens, der Lösung der Ruhr- und Saarfrage, des Grenz- und Reparationsproblems und natürlich der Behand11 FO 371/55587/C 5224, C.M. (46) 43. Vgl. hierzu auch F. Pingel: "Die Russen am Rhein?". Zur Wende der britischen Besatzungspolitik im Frühjahr 1946, in: VfZ 30 (1982), S. 98-116. Pingels These, wonach sich "innerhalb weniger Wochen" (S. 108) ein abrupter Wandel in der britischen Politik vollzogen habe, läßt sich nicht halten. Zum einen hatte sich das britisch-sowjetische Verhältnis seit dem Frühjahr 1945 kontinuierlich verschlechtert und dieses mehr und mehr zu der Erkenntnis geführt, daß die Zusammenarbeit der vier Mächte in Deutschland lediglich eine Farce sei. In der besagten Kabinettssitzung ging es lediglich darum, die vom Foreign Office seit längerem schon befürwortete Politik von der Ministerrunde bestätigt zu bekommen, um sie bereits während der Verhandlungen in Paris in die Tat umsetzen zu können. Bevin konnte zum anderen keineswegs - wie Pingel behauptet - trotz einiger Kritik im Kabinett "im ganzen seine Linie" (S. 107) durchsetzen. Zunächst waren Bevin und das Foreign Office vielmehr mit ihrem Vorstoß gescheitert. 12 Die englischen Protokolle der Verhandlungen in Paris finden sich in: FO 371/57366 und 57392.

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lung Deutschlands als wirtschaftlicher Einheit. Dem deutlichen Bemühen des amerikanischen Außenministers Byrnes, den Entscheidungsprozeß in der Deutschlandfrage voranzutreiben, konnte unter diesen Umständen kaum Erfolg beschieden sein. Der Vertragsentwurf zur Entmilitarisierung Deutschlands rief nicht nur auf sowjetischer Seite erhebliche Bedenken hervor. Auch der britische Außenminister begegnete ihm allenfalls mit wohlwollender Zurückhaltung13 • Gegen die Ernennung von Sonderbeauftragten, die während einer vierwöchigen Verhandlungspause die zweite Runde der Pariser Beratungen vorbereiten und darüber hinaus den Entwurf eines Friedensvertrages für Deutschland anfertigen sollten, hatte Bevin anders als Molotow prinzipiell zwar nichts einzuwenden. Gegen die von Byrnes vorgeschlagenen terms of reference machte er jedoch grundsätzliche Vorbehalte geltend14 • Im einzelnen sollten sich die special deputies mit der Frage der Internationalisierung des Rheinlandes und der Ruhr, dem Import-ExportProblem, der Einrichtung von Zentralverwaltungen, Aufhebung der Zonengrenzen und endgültigen Festlegung der Grenzen im Westen Deutschlands beschäftigen. Während Byrnes sich offensichtlich mit diesem Vorschlag wieder einmal als mediator zwischen den verschiedenen Interessen der übrigen Mächte erweisen wollte, gab Bevin mit seinem Abänderungsvorschlag den Richtlinien einen ausgesprochen antisowjetischen Akzent. Er weigerte sich, einzelne Fragen wie das Ruhr- und Rheinlandproblem oder die der Westgrenze Deutschlands separat verhandeln zu lassen, ohne daß das Deutschlandproblem als Ganzes in den Blick komme. So sei nicht nur die endgültige Festlegung der Westgrenze, sondern auch die der Ostgrenze Deutschlands, nicht nur die Frage der Internationalisierung der Ruhrindustrie, sondern auch die der übrigen deutschen Industrie, in Schlesien etwa, von brennendem Interesse15 • Entschieden wandte er sich gegen den Versuch, in die Belange anderer Zonen eingreifen zu wollen, ohne den übrigen Mächten vice versa das 13 Vgl. Foreign Relations of the United States (== FRUS) 1946, Band 2, Council of Foreign Ministers, Washington 1970, S. 170. Vgl. hierzu den anregenden Aufsatz von J. Gimbel: Die Vereinigten Staaten, Frankreich und der amerikanische Vertragsentwurf zur Entmilitarisierung Deutschlands. Eine Studie über Legendenbildung im Kalten Krieg, in: VfZ 22 (1974), S. 258 bis 286. 14 Vgl. FRUS 1946, Band 2, S. 427 f. 15 Daß diese Bemerkung ausschließlich taktischer Natur war, um insbesondere eine Mitsprache der Russen bei der Lösung der Ruhrfrage zu verhindern, beweist allein schon die Tatsache, daß im Foreign Office die Frage der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze längst keine Frage des Prinzips, sondern nur noch eine Frage des richtigen Zeitpunktes war. Vgl. J. Foschepoth: Die Oder-Neiße-Frage im Kalkül der britischen Außenpolitik 1941-1947, in: Die beiden deutschen Staaten im Ost-West-Verhältnis, XV. Tagung zum Stand der DDR-Forschung in der Bundesrepublik 'Deutschland, Köln 1982, S. 69-80, hier S. 78.

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gleiche Recht einzuräumen. Seinem Vorschlag nach sollten sich die Sonderbeauftragten daher mit dem Deutschlandproblem als Ganzem beschäftigen und dabei der Frage der economic unity die Priorität einräumenl6 • Die Konferenz ging auseinander, ohne eine Einigung in dieser oder jener deutschlandpolitischen Frage erzielt zu haben. Am 9. Juli 1946 - wiederum gegen Ende der zweiten Verhandlungsrunde in Paris, die am 15. Juni begonnen hatte und am 12. Juli enden sollte - wandten sich die Außenminister erneut der Deutschlandfrage zu, nachdem zunächst wiederum die Frage der Friedensverträge mit den ehemaligen Verbündeten des Deutschen Reiches ausführlich behandelt worden war. Auf allen Seiten bestand nun ein ausgeprägtes Bedürfnis, in deklamatorischen Erklärungen die eigene Position in der Deutschlandfrage zu umreißen, ehe sich die Konferenz erneut vertagte. Von Verhandlungen im eigentlichen Sinne konnte kaum die Rede sein. Im Hinblick auf die Präzisierung der britischen Politik ist in diesem Zusammenhang jedoch eine Bemerkung Außenminister Bevins von Interesse, die er am 10. Juli gegen Ende eines längeren Statements machte. Die britische Regierung, so sagte er, sei zur Zusammenarbeit mit allen Zonen auf der Basis von Gegenseitigkeit bereit, "but insofar as there is no reciprocity from any particular zone or agreement to carry out the whole of the Potsdam protocol my Government will be compelled to organize the British zone of occupation in Germany in such a manner that no further liability shall fall on the British taxpayer"17. Im Unterschied zu Molotow, an den dieser Satz eigentlich gerichtet war, hatte Byrnes offenbar sehr genau hingehört. Als Bevin am 11. Juli seine Drohung vom Vortage wiederholte, reagierte der amerikanische Außenminister prompt mit einem offensichtlich vorbereiteten Statement. Darin machte er das Angebot, die US-Zone mit jeder anderen Besatzungszone zusammenzuschließen und die vereinigten Zonen dann als wirtschaftliche Einheit zu behandeln. Byrnes betonte, er wolle seinen Vorschlag weder als eine Aufkündigung der Viermächtekontrolle noch als einen Schritt zur Teilung Deutschlands verstanden wissen, sondern im Gegenteil als eine Maßnahme, um die im Potsdamer Abkommen geforderte wirtschaftliche Einheit wenigstens schrittweise wieder herzustellen. Deshalb sollte eine solche Vereinbarung "at an times be open 16 Bevins Formulierungsvorschlag lautete: "That we appoint special deputies to examine the whole problem of Germany; to study the implementation of the decisions of Berlin; to study proposals to lead up to the preparation of a peace treaty and the fixing of frontiers; to take into account the views expressed at this conference on Germany and its future, and to present an interim report at the meeting of the 15th June" (FO 371/55843/

C 6462). 17

FRUS 1946, Band 2, S. 868.

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on equal terms for the participation of any government which did not elect to participate in the beginning"18. Der dritte deutschlandpolitische Vorstoß des um neue Vorschläge selten verlegenen Außenministers Byrnes traf voll ins Schwarze. Aus Furcht, daß nach den Sowjets und Franzosen nun auch noch die Briten ihre Zone ausschließlich nach eigenen Vorstellungen organisieren könnten, war die Idee einer progressive unijication entstanden, die gleichsam von unten die Wiederherstellung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes in Deutschland ermöglichen sollte1e. Der Gedanke eines Zug-umZug-Zusammenschlusses - offensichtlich von Clay dem amerikanischen Außenminister erstmals nahegebracht20 - entwickelte schon bald seine eigene Dynamik. Propagandistisch sollte er sich künftig als besonders hilfreich erweisen, die bewußte Abkehr von einer gemeinsamen Politik der Alliierten als einen ersten Schritt zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands darzustellen. Während die Vereinigten Staaten allerdings zunächst noch zweigleisig verfuhren und neben der unijication von unten die von oben, per gemeinsamen Beschluß der Alliierten, nicht aus den Augen verloren, setzte das Foreign Office künftig ausschließlich auf die Vereinigung Deutschlands von unten, die in Etappen vor sich gehen, an den Grenzen zur sowjetischen Zone aber haltmachen sollte. Jetzt kam es darauf an, alle Kräfte darauf zu konzentrieren, "to prepare the way for a united Western Germany"21. Für die britische Deutschlandpolitik bedeutete das amerikanische Angebot geradezu ein Geschenk des Himmels. Es eröffnete mit einem Male die Möglichkeit, das Gesetz des Handelns an sich zu ziehen, den 18 FRUS 1946, Band 2, S. 897 (Hervorhebungen vom Verfasser, J. F.). 1e Vgl. J. Gimbel: Byrnes und die Bizone - Eine amerikanische Entscheidung zur Teilung Deutschlands?, in: W. Benz 1H. Graml (Hrsg.), Aspekte deutscher Außenpolitik. Aufsätze Hans Rothfels zum Gedächtnis, Stuttgart 1976, S. 193-210. Gegen die These Gimbels, daß das Angebot von Byrnes "eher defensiv gegenüber England als offensiv gegenüber der Sowjetunion" (S. 194) war, wendet sich R. Steininger: Die Rhein-Ruhr-Frage im Kontext der britischen Deutschlandpolitik 1945/46, in: H. A. Winkler, Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945-1953, Göttingen 1979, S. 111 bis 166, der vor allem dessen offensiven Charakter betont (S. 129). Aus der Sicht der Briten trifft dieses ohne Zweifel zu. Doch ist die Alternative insofern falsch gestellt, als sie eine prinzipielle Interessengleichheit der USA und Großbritanniens hinsichtlich der Behandlung Deutschlands als wirtschaftlicher und politischer Einheit unterstellt, die so im Sommer 1946 nicht bestand. Auch die britischen Akten lassen den Schluß zu, daß die amerikanische Offerte zur Zusammenlegung der Zonen als eine direkte Antwort auf die angedrohten einseitigen Maßnahmen in der britischen Zone zu verstehen ist. Aus amerikanischer Sicht war sie daher in der Tat eher defensiv und "mehr die Folge der bisherigen Fehlschläge als ein Ausdruck irgendwelcher Zukunftspläne" (Gimbel, ebenda, S. 194). 20 Vgl. L. D. Clay, Decision in Germany, New York 1950, S. 164 ff. 21 FO 371/56885/N 9543.

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eigenen Handlungsspielraum zu erweitern und die Chancen deutlich zu verbessern, wichtige britische Interessen langfristig zumindest auch durchsetzen zu können. Die überlegungen, die schließlich zur Einwilligung in den wirtschaftlichen Zusammenschluß der amerikanischen und britischen Besatzungszone führten, waren daher primär politischer Natur. Bündnispolitisch hoffte Großbritannien durch die Zusammenlegung der Zonen den entscheidenden Schritt aus der deutschlandpolitischen Isolierung tun zu können, in die es seit Jalta zunehmend geraten war. Die seit langem angestrebte stärkere Koordinierung der britischen und amerikanischen Deutschlandpolitik schien zum ersten Mal in greifbare Nähe zu rücken, da das Angebot zu einer unification von unten deutlich die Hinwendung der Vereinigten Staaten zu einer realistischen Politik signalisierte, die Großbritanniens Interessen stärker entsprach und ihm daher eine größere Einflußmöglichkeit auf die amerikanische Deutschlandpolitik einzuräumen versprach. Was die beiden anderen Besatzungsmächte anbetraf, so war mit einer positiven Reaktion ihrerseits auf die amerikanische Offerte kaum zu rechnen. Wie immer sich die Franzosen entscheiden mochten, selbst ein Nein der Sowjets konnte nach Auffassung des Foreign Office die angestrebte Konsolidierung Westdeutschlands nicht mehr verhindern, sondern allenfalls die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges bestätigen!!. Auch für die Durchsetzung der vom Foreign Office befürworteten Politik innerhalb der britischen Regierung erwies sich das amerikanische Angebot als ausgesprochen hilfreich. Hatte sich das Kabinett soeben noch für eine Politik der Einheit bei gleichzeitiger Senkung der Besatzungskosten ausgesprochen, so machte Bevin nach den Pariser Verhandlungen seinen Kollegen klar, daß dieses aufgrund der Intransigenz der Sowjetunion nicht möglich sei. Die wenige Wochen zuvor noch befürwortete zonale Lösung wurde wieder verworfen, da - wie er betonte - die Leidtragenden einseitiger wirtschaftlicher Maßnahmen in der britischen Zone in erster Linie die westeuropäischen Staaten und die USA "and not Russia"23 seien, wenn zum Beispiel der Export von Kohle zugunsten des Verbrauchs in der eigenen Zone gesenkt würde. Bevin, der jetzt die bizonale Lösung entschieden befürwortete, wußte nur zu gut, daß allein wirtschaftliche Argumente das Kabinett auf die vom Foreign Office gewünschte Linie bringen würde. So scheute er sich nicht, mit Zahlen zu operieren, die er zwar wenige Wochen später wieder korrigieren mußte, die ihren Eindruck auf die Ministerrunde aber nicht verH So hieß es in der Kabinettsvorlage, in der Bevin die Annahme des amerikanischen Angebotes befürwortete: "lf, as is far more likely, they (= the Russians, J. F.) were to refuse to agree or to return a temporising answer, we should be all the more justified in going on our way with the Americans" (CAB 129/11, C.P. (46) 292, S. 4). 23 CAB 129/11, C.P. (46) 292, S. 2.

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fehlten. Innerhalb eines Jahres, meinte er, dürften sich durch den Zusammenschluß der beiden Zonen die Kosten für Großbritannien von 80 auf 25 Millionen Pfund reduzieren. Die Lieferung von Holz und sonstigen Waren aus der US-Zone werde garantiert, ebenso die amerikanische Unterstützung zur Aufrechterhaltung einer Tagesration von mindestens 1500 Kalorien24 . Im Hinblick auf die Gefahr durch eine solche Politik die Spaltung Deutschlands und Europas zu vertiefen, meinte Bevin, daß die angestrebte Fusion keineswegs die Dinge schlimmer machen würde als sie ohnehin schon seien. Im Gegenteil stehe es den Sowjets und Franzosen jederzeit frei - falls sie die Einheit Deutschlands tatsächlich wollten - ihre Zonen anzuschließen25 . Schließlich schien das Fusionsangebot der Vereinigten Staaten der Politik in Deutschland selbst jene Möglichkeiten zu eröffnen, die Großbritannien bereits mit seiner zonalen Lösung anvisiert hatte, um die negativen Folgen des "quadripartite non sense of the last twelve months"26 beseitigen zu können. Kurzfristig ging es um eine spürbare Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in der britischen Zone. Eine Revision der restriktiven Bestimmungen des Potsdamer Abkommens bzw. des Industrieniveauplanes war unerläßlich. Die Ernährungssituation mußte verbessert, die Produktionsfähigkeit gesteigert, die Ruhrfrage gelöst, das Reparationsprogramm beschleunigt und eine Finanzreform durchgeführt werden. Langfristig setzten die Briten auf eine Wiederbelebung der deutschen Wirtschaftskraft, jedoch "without reestablishing the economic foundation of an aggressive policy"27. Dazu waren stabile politische Verhältnisse erforderlich, die einen Rückfall der Deutschen in eine Diktatur welcher Art auch immer verhinderten. Die Schaffung eines föderalistisch strukturierten Verfassungsstaates schien dafür die beste Gewähr zu bieten. Der schrittweise Aufbau einer Demokratie von unten garantierte eine kontrollierbare übertragung der politischen Verantwortung an die Deutschen und ihre allmähliche Gewöhnung an ein demokratisches Gemeinwesen. Die Etablierung einer Zentralgewalt wurde zu einem nachgeordneten bzw. später erst zu lösenden Problem, nicht zuletzt um die Gefahr eines kommunistischen 24 CAB 128/6, C.M. (46) 73, 4, S. 234. In internen Papieren wurden die wirtschaftlichen Folgen weitaus realistischer eingeschätzt als dies - verständlicherweise - in den Äußerungen Bevins gegenüber seinen Kabinettskollegen der Fall war. So schrieb M. Turner, Under-Secretary of State im Foreign Office, am 13. Juli aus Paris: "I feel myself that we should certainly take advantage of this offer even though the American zone is poorer than ours and therefore the combination of the two zones is less likely to become quickly self-supporting than our zone alone" (FO 371/55844/C 8111). 25 CAB 129/11, C.P. (46) 292, S. 2. 26 Zitiert nach V. Rothwell: Britain and the Cold War 1941-1947, London 1982, S. 327. 27 FO 371/55592/C 10829, Directive for Commander-in-Chief, S. 1.

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Zugriffs von oben zu verhindern28 • Schließlich vertrug sich das föderalistische Prinzip hervorragend mit der Idee einer progessive unijication. Dadurch, daß den Deutschen die Hoffnung auf ein einheitliches Deutschland nicht genommen werden mußte, konnten sie um so leichter für die Mitarbeit an einer Politik der Teilung Deutschlands gewonnen werden. Je attraktiver der Westen würde, um so stärker würde dessen Sogwirkung auf den östlichen Teil Deutschlands und desto größer die Wahrscheinlichkeit werden, den sowjetischen Einfluß in Deutschland zurückdrängen und - zumindest langfristig - die Einheit Deutschlands wiederherstellen zu können2u • Angesichts dieser Vorteile, die eine Zusammenlegung der britischen und amerikanischen Besatzungszone der Londoner Außenpolitik zu bieten versprach, drängte Bevin verständlicherweise dazu, die amerikanische Offerte anzunehmen und in konkrete Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten einzutreten. Am 25. Juli 1946 fiel die Entscheidung. Das Kabinett stimmte der Empfehlung des Außenministers zu30 • Das Foreign Office hatte einen wichtigen Erfolg errungen. Die Entwicklungen der folgenden Monate bestätigten erneut, daß weniger wirtschaftliche als politische Motive bei der Entscheidung für den Zonenzusammenschluß ausschlaggebend gewesen waren. Schwierige Verhandlungen waren zu erwarten, als sich in der zweiten Hälfte des Jahres 1946 die wirtschaftliche Lage in der britischen Zone weiter dramatisch verschlechterte. Bevin sprach jetzt offen davon, daß mit einer wirtschaftlichen Erholung der britischen Zone nicht vor Ablauf von drei Jahren zu rechnen sei. Von Kostensenkungen war keine Rede mehr. Vielmehr mußten weitere 250 Millionen Pfund aufgebracht werden, um die in der britischen Zone entstehenden Kosten auch nur annähernd decken zu können. Die Belastungen für die USA beliefen sich dagegen nach britischen Schätzungen auf etwa die Hälfte dieses Betrages. Von einer Entlastung des britischen taxpayer konnte daher nach Ansicht des Schatzkanzlers erst die Rede sein, wenn die Amerikaner zu einer groß28 Zur Verfassungsdiskussion vgl. etwa das ausführliche Memorandum vom 24.2. 1947 "The Political Organisation of Germany" (FO 371/642441C 3439). 29 P. Dean, Leiter des German Department im Foreign Office, hatte im August 1946 bereits die sogenannte "Magnettheorie" vorweggenommen, wenn er schrieb: "We must see that the part of Germany which is built up on Western ideas is more attractive both politically and economically than the rest. If we do this we can hope that sooner or later Eastern Germany may be brought more under western influence, or at least that Soviet influence there may be to some extent counterbalanced." Da die Attraktivität der Zonen 1946 aber noch umgekehrt verteilt war, kam er zu dem Schluß: "There is therefore no need for us to be in too great a hurry to bring the Russian Zone into co-operation with the British and American Zones except on our own terms" (FO 371/555911C 10014). 30 CAB 128/6, C.M. (46) 73, 4.

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zügigen übernahme der anfallenden Kosten, etwa im Verhältnis 4: 1, bereit waren. Bevin hielt eine derartige Verringerung der Kosten für unwahrscheinlich, räumte jedoch ein, daß eine Aufteilung der Kosten im Verhältnis 50: 50, was den USA vorschwebte, keine wesentliche Verbesserung des Status quo bringen würde 31 • Bekanntlich bestätigte das Ergebnis der Fusionsverhandlungen im Dezember 1946 genau diesen Schlüssel. Bevin, der sich schließlich selbst in die Verhandlungen eingeschaltet hatte, war unter zunehmenden Erfolgszwang geraten, wenn die Bizonen-Verhandlungen vor der in Kürze erwarteten Deutschlanddebatte auf der New Yorker Außenministerkonferenz nicht noch scheitern sollten. Angesichts der Tatsache, daß finanziell wirklich entlastende Maßnahmen wie der völlige Abzug der Besatzungstruppen aus Deutschland, ein Zonentausch mit den Amerikanern oder auch eine nachträgliche Entscheidung gegen die Fusion der Zonen nicht tragbar waren, erhielt Bevin schließlich vom Kabinett grünes Licht, in eine entsprechende Vereinbarung mit den USA einzuwilligen!!.

In.

Die Moskauer Außenministerkonferenz und die britische Forderung nach Revision der Potsdamer Beschlüsse

Die Motive, die Briten und Amerikaner veranlaßten, mit Wirkung vom 1. Januar 1947 ihre Zonen zu einem gemeinsamen Wirtschaftsgebiet zusammenzuschließen, waren keineswegs identisch. Auf amerikanischer Seite waren es in erster Linie wirtschaftliche und in zweiter Linie politisch-taktische überlegungen, die seit dem Sommer 1946 zu einer Modifizierung der Washingtoner Deutschlandpolitik geführt hatten. Die Unnachgiebigkeit, mit der die USA die Verhandlungen führten, die bewußte Beschränkung auf eine wirtschaftliche Fusion und vor allem die Deutlichkeit, mit der sie weiterhin eine einheitliche Lösung auf interalliierter Basis offenhielten, sprachen dafür33• Auf britischer Seite hingegen hatten vor allem politisch-strategische überlegungen, mit der eindeutigen Option für eine Weststaatslösung, dazu geführt, ein im Vergleich zu einer zonalen Lösung nicht sonderlich attraktives BizonenAbkommen zu unterzeichnen. Um so wichtiger wurde - gewissermaßen trotz der britisch-amerikanischen Vereinbarung - eine in Kürze spürbare Verbesserung der wirtschaftlichen Lage34, nicht zuletzt um durch CAB 129113, C.P. (46) 383. CAB 128/6, C.M. (46) 100,2. 33 Vgl. H. P. Schwarz: Vom Reich zur Bundesrepublik. Deutschland im Widerstreit der außenpolitischen Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherrschaft 1945-1949, 2. Auflage Stuttgart 1980, S. 116 ff. 34 So schrieb beispielsweise am 24. Dezember 1946 A. D. Wilson in einer Aktennotiz: "The over-riding consideration in our present course of action is 31

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den wirtschaftlichen Erfolg die politische Klugheit des eingeschlagenen Weges bestätigt zu bekommen. Taktisch kam es wieder einmal darauf an, Zeit zu gewinnen und vorschnelle Entscheidungen auf der Vier-Mächte-Ebene zu verhindern, "to get the fusion going properly"35. Nur so konnten die Vereinigten Staaten dauerhaft auf die außenpolitische Strategie Großbritanniens verpflichtet, die Verhandlungsposition des Westens gegenüber der Sowjetunion gestärkt und Frankreich in absehbarer Zeit bewogen werden, sich ebenfalls für die Westlösung der Deutschlandfrage zu entscheiden. Die allgemeine politische Entwicklung machte es den Briten jedoch nicht leicht. Die Sowjets zeigten sich zunehmend flexibel und kompromißbereit. Im August boten sie eine Erhöhung des erlaubten Produktionsniveaus an, um die Entnahme von Reparationen aus laufender Produktion zu ermöglichen, aber auch um die Exportfähigkeit der einzelnen Zonen zu erhöhen3~. In einem Gespräch mit Byrnes am Rande der Außenministerkonferenz in New York mußte Bevin außerdem eine auffallende Kompromißbereitschaft der Amerikaner in der Reparationsfrage feststellen, um die wirtschaftliche Einheit Deutschlands doch noch wiederherstellen zu können. Die USA, so faßte er seinen Eindruck gegenüber dem Premierminister zusammen, "would be willing to pay a big price for the unification of Germany and the Russians would exact the biggest price they could'c37. Die Beamten des Foreign Office waren über die Möglichkeit einer amerikanisch-russischen Verständigung in der Deutschlandfrage sehr beunruhigt. Nachdem die Sowjets in ihrer Zone rigoros demontiert hatten, wollten sie nun - so wurde befürchtet - ihren Zugriff auch auf die Industrie der westlichen Zonen, vor allem die der Ruhr, ausdehnen und auf Kosten Großbritanniens und der Vereinigten Staaten Reparationen aus der laufenden Produktion entnehmen. Sollten die Amerikaner die Bereitschaft zeigen, einem Anschluß der russischen Zone an das Vereinigte Wirtschaftsgebiet zuzustimmen, waren die Briten entschlossen, ihnen unmißverständlich klarzumachen, daß die dadurch erheblich ansteigenden Kosten ausschließlich zu Lasten der Vereinigten Staaten gehen würden38 • Auf britischem Wunsch trafen am 5. Dezember 1946 die Generäle Clay und Robertson, jeweils in Begleitung ihrer politischen Berater, clearly to cut down the cost of putting Western Germany into running order. The general course of action is, given all our other commitments, inevitable and indisputable" (FO 371/64244/C 4065). 35

3~ 37 38

FO FO FO FO

371/64476/C 2151. 371/55590/C 9966. 371/64243/C 53. 371/55585/C 15959, C.P. (46) 461.

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in New York zu einer Unterredung zusammen, um sich für den Fall, daß die Sowjets ein ernsthaftes Interesse an der Wiederherstellung der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands zeigen sollten, auf eine gemeinsame Haltung zu verständigen. Als Ergebnis ihrer Beratungen stellten sie nicht weniger als zehn Bedingungen auf, die die Sowjetunion erfüllen sollte, ehe an einen Anschluß der russischen Zone an das Vereinigte Wirtschaftsgebiet zu denken war. Diese enthielten neben den bekannten Forderungen nach gemeinsamer Nutzung der deutschen Resourcen, der Verständigung über ein Import-Export-Programm, einer anteilmäßigen Beteiligung an den finanziellen Defiziten und einer Finanzreform auch eine Reihe politischer Bedingungen wie die Garantie völliger Bewegungs- und Pressefreiheit, die Zulassung von Parteien und Gewerkschaften auf nationaler Ebene sowie die sofortige Einrichtung deutscher Zentralverwaltungen und die baldige Schaffung einer deutschen Zentralregierung. Außerdem sollten das Industrieniveau angehoben, die tatsächliche wirtschaftliche Situation der Ostzone offen dargelegt und durch sofortige Maßnahmen stabilisiert sowie der Umfang der Besatzungstruppen reduziert werden. Über die Frage der Reparationen aus laufender Produktion konnte man sich bezeichnenderweise jedoch nicht einigen. Da auf jeden Fall mit neuen Kosten zu rechnen war, verständigte man sich darauf, eine Entscheidung über eventuelle Vorschläge der Sowjetunion, die einen Zusammenhang zwischen der Wiederherstellung der Wirtschaftseinheit und der Genehmigung von Reparationen aus laufender Produktion herstellen würden, erst zu fällen, wenn die genaue Höhe der entstehenden Kosten bekannt sei. Selbst wenn die Sowjetunion wider Erwarten alle zehn Forderungen der beiden stellvertretenden Militärgouverneure erfüllt hätte, behielt sich somit Großbritannien in der Reparationsfrage noch eine Hintertür offen, um eine Wiedervereinigung der Zonen "aus Kostengründen " schließlich doch noch ablehnen zu können 39• Die für die Außenminister beider Länder ausgearbeiteten Empfehlungen waren ein wichtiger Schritt in die vom Foreign Office gewünschte Richtung einer stärkeren Koordinierung der britischen und amerikanischen Deutschlandpolitik, wenngleich sie sich auch nicht, wie vorgesehen, sofort in konkrete Absprachen zwischen den beiden Außenministern umsetzen ließen. Trotz weitgehender Übereinstimmung mit den Briten waren die Amerikaner letzten Endes jedoch nicht bereit, sich von ihrem nach wie vor kompromißbereiten Kurs abbringen zu lassen. Alles deutete darauf hin, daß die Frage der Wiederherstellung der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands zum Schlüsselproblem der nächsten Außenministerkonferenz in Moskau werden würde. Eine bloße Verzöge39

FO 371/55585/C 15958.

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rungstaktik, die die Briten zwar weiterhin verfolgten, reichte kaum aus, um das seit New York anhaltende verhandlungsfreundliche Klima umzukehren40 • Um der drohenden Gefahr zu entgehen, einer destruktiven Politik geziehen oder das Opfer einer auf raschen Verhandlungserfolg zielenden Politik des Kompromisses zu werden, empfahl das Foreign Office, sich auf keinen Fall in Moskau ausschließlich auf die Frage der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands zu konzentrieren, sondern die Diskussion auf die allgemeinen Probleme des Potsdamer Abkommens auszudehnen. Dieses ließe sich damit begründen, daß am Ende der ersten Besatzungsphase eine kritische Überprüfung der bisherigen Deutschlandpolitik erfolgen müsse, damit diese in der zweiten Phase zum Abschluß eines Friedensvertrages führen könne. "We should, therefore, table at an early opportunity a statement of the political and economic principles which, in our view, should govern Germany during the second period of control41 ." Die positive Fortschreibung der Potsdamer Beschlüsse wurde zum neuen Slogan der britischen Deutschlandpolitik. Dahinter verbarg sich freilich keine neue Politik, sondern allein die Absicht, den erneut sich verengenden außenpolitischen Handlungsspielraum wieder zu erweitern. Die Uneinigkeit der Allüerten in Fragen der politischen Neuordnung Deutschlands galt es zu nutzen, um eine Verständigung über die wirtschaftliche Einheit Deutschlands zum eigenen Nachteil zu verhindern42 • So ließ sich beispielsweise über die Frage, ob Deutschland künftig zentralistisch, föderalistisch oder in Form einer Konföderation organisiert werden solle, trefflich streiten, ohne daß sich das Risiko eines nachteiligen Kompromisses abzeichnen würde. Bei der Erörterung 40 In New York hatten die Außenminister überraschende Fortschritte zur weiteren Behandlung der Deutschlandfrage erzielt. Der Entwurf einer Tagesordnung für die nächsten Beratungen, die am 10. März 1947 in Moskau beginnen sollten, wurde verabschiedet. Der Kontrollrat erhielt den Auftrag, einen Bericht über seine bisherige Arbeit zu erstellen. Sonderbeauftragte sollten schließlich Vertreter der übrigen alliierten Staaten zu einem Friedensvertrag mit Deutschland anhören und einen entsprechenden Bericht vorlegen. Vgl. FRUS 1946, Band 2, S. 1521 ff. sowie S. 1557 f. Als bei der Erstellung des Kontrollratsberichtes Schwierigkeiten auftauchten, erhielt der britische Vertreter W. Strang von Bevin die bezeichnende Anweisung: "I do not wish you or your senior officials to spend too much time in trying to reach agreement with the Russians on items which clearly will be disagreed eventually" (FO 371/64476/C 1046). 41 FO 371/64188/C 3395, C.P. (47) 68, S. 3. 42 Schon in der Verhandlungsdirektive für die Außenministerkonferenz in New York wurde dieser Zusammenhang sehr deutlich ausgedrückt: "It is essential, however, that in pursuing economic unity we do not commit ourselves to the establishment of central German agencies for economic subjects without safeguarding our broader political objectives in Germany which are to ensure that Germany is treated as one state, politically and socially as weIl as economically" (FO 371/55594/C 14557).

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politischer Fragen bestand außerdem der Vorteil, nicht gegen, sondern mit den Amerikanern argumentieren zu können. Darüber hinaus war es angesichts der in Deutschland wie in Großbritannien wachsenden Kritik an der mangelnden Konzeption der britischen Besatzungspolitik43 dringend geraten, in die Offensive zu gehen und sich deutlich von dem destruktiven Ansatz der Potsdamer Beschlüsse zu distanzieren und eine positive Politik für Deutschland zu präsentieren. Sollten die Sowjets sich wider Erwarten den Vorstellungen der Briten fügen, um so besser; sollte dies, womit zu rechnen war, nicht eintreten, konnte die Sowjetunion allein für das Scheitern einer konstruktiven Deutschlandpolitik verantwortlich gemacht werden. Großbritannien, die Vereinigten Staaten und eventuell auch Frankreich waren dann in jedem Fall legitimiert, wenigstens in einem Teil Deutschlands ihre positive Strategie durchzusetzen und "to operate Western Germany independently"44. Die Verhandlungsdelegation der Vereinigten Staaten mit dem neuen Außenminister Marshall an der Spitze war in der deutlichen Absicht nach Moskau gefahren, den Status quo in Deutschland zu revidieren. Dieses ließe sich nicht nur an der amerikanischen Haltung zur wirtschaftlichen Einheit Deutschlands, sondern auch zur Oder-Neiße-Linie hinreichend belegen 45 • Die Briten waren dagegen bestrebt, den Status quo zu bewahren und nicht zu verändern. Jede Veränderung - mit Ausnahme der nahezu vollständigen Erfüllung ihrer Forderungen schien ihnen wirtschaftlich und politisch mit zu hohen Kosten verbunden zu sein. So gesehen sind die Amerikaner in Moskau mit ihrer Politik gescheitert, während die Briten erreichten, was sie erreichen wollten. Ihre Verhandlungsstrategie empfahl Nachgiebigkeit in Fragen von geringerem politischen Gewicht, Unnachgiebigkeit aber dort, wo grundsätzliche Probleme der wirtschaftlichen und politischen Neuordnung Deutschlands berührt wurden. So konnte Preußen endgültig aufgelöst und die Entnazifizierung den Deutschen übertragen werden. Die Entmilitarisierung und Demokratisierung Deutschlands sollten beschleunigt und die deutschen Kriegsgefangenen bis Ende 1948 wieder in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Über das Verfahren zur Vorbereitung der Friedenskonferenz kam ein endgültiger Beschluß zwar nicht zustande, doch wurden auch in diesem Punkt Fortschritte erzielt". Überhaupt gewannen die Teilnehmer der britischen Delegation den Eindruck, daß "the initial stages passed off more easily than might have been ex43 Vgl. B. Marshall: German Attitudes to British Military Government 1945-1947, in: Journal of Contemporary History 15 (1980), S. 655-684. 44 FO 371/64188/C 3395, C.P. (47), 68, S. 3. 45 Vgl. H. G. Lehmann: Der Oder-Neiße-Konflikt, München 1979, bes. S. 93 ff. 48 FO 371/64197/C 5404.

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pected. The proposals for Germany's political future revealed fewer disagreements than we had feared but these questions are not so urgent as economic ones"47. Ihre kritische Phase hatte die Moskauer Konferenz daher erreicht, als am 31. März die wirtschaftliche Einheit Deutschlands und die Fragen der Reparationen, des Industrieniveaus und der Entmilitarisierung der Industrie auf der Tagesordnung standen. Wie Marshall hatte auch Bevin ein umfangreiches Statement vorbereitet, das eine Kurzfassung jener Prinzipien darstellte, die die Politik der Alliierten in der zweiten Kontrollphase bestimmen sollten48 • Ansatzpunkte für einen möglichen Kompromiß waren in seiner Rede nicht erkennbar. Selbst in der Frage der Reparationen aus laufender Produktion, die der amerikanische Außenminister gern als Verhandlungspoker benutzt hätte49 , wurde der britische Außenminister definitiv: "Reparations from current production are not possible now or in the near future50 ." So schleppten sich die Verhandlungen der nächsten Tage dahin, ohne einen Fortschritt zu erzielen. Die britischen Beamten bestärkten Bevin in der Ansicht, daß die Hauptziele ihrer Deutschlandpolitik auf dieser Konferenz nicht zu erreichen wären und "any compromise short of these objectives was not worth having"51. Auch Außenminister Marshall sah am 8. April in einem Gespräch mit seinem britischen Kollegen keine Möglichkeit mehr, die Verhandlungen über die Deutschlandfrage auf dieser Konferenz mit Gewinn fortzusetzen. Er empfahl daher: "If the Russians wished to make astatement, we could listen to them but ourselves pass on to the next item on the agenda52." Die Frage nach den Ursachen für das Scheitern der Moskauer Außenministerkonferenz muß neu gestellt werden. Das Interesse der Sowjetunion an einem erfolgreichen Abschluß der Konferenz, verbunden mit der Bereitschaft zum Kompromiß ist in den britischen Akten mehrfach belegt5!a. Ob eine solche Bereitschaft tatsächlich zu einem Kompromiß 47 FO 371/64198/C 5520. Diesen Eindruck bestätigte Bevin später gegenüber dem Kabinett. Die Konferenz hätte durchaus zu einem Erfolg werden können, wenn er in der Lage gewesen wäre, "to give way on the economic points, and the Americans had been willing to agree also" (FO 371/64202/C 6693). 48 Vgl. die englischen Protokolle der Verhandlungen in Moskau (FO 371/ 64206/C 12885), S. 78 ff. u Am 23. März 1947 berichtete die britische Verhandlungsdelegation ans Foreign Office: "There are indications that the United States Delegation may be contemplating the striking of a bargain under which the Russians, in return for agreements to fix the German Eastern Frontier further east than the present provisional Polish Western Frontier, would receive reparations from current production" (FO 371/65013/CE 789). 50 FRUS 1947, Band 2, S. 300. 51 FO 371/65052/CE 1164. 52 FO 371/64246/C 6526.

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geführt hätte, wenn die Vereinigten Staaten etwa der alleinige Verhandlungspartner gewesen wären, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls befanden sich die Amerikaner zunächst durchaus in einer ähnlichen verhandlungswilligen Stimmung. Dieses läßt sich am besten daran erkennen, daß sie den package deal von Potsdam in der Reparationsund Oder-Neiße-Frage, der seinerzeit zur faktischen Teilung Deutschlands geführt hatte, gleichsam in umgekehrter Absicht wiederholen wollten, um eine größtmögliche Einheit Deutschlands wiederherzustellen. Die Zusage von Reparationen aus laufender Produktion sollte es den Sowjets ermöglichen, einer Revision der Oder-Neiße-Linie zugunsten Deutschlands zuzustimmen. Daß die damit verbundenen Vorstellungen von einem einheitlichen, demokratischen und selj-supporting Germany in deutlichem Gegensatz zu denen der Sowjetunion standen, steht außer Frage. Entscheidend war jedoch, daß weder Frankreich noch Großbritannien zu diesem Zeitpunkt bereit gewesen wären, einen entsprechenden Komprorniß mitzutragen. Die Verweigerung der beiden ,Kleinen' unter den vier Mächten, vor allem Großbritanniens, war ein entscheidender Faktor, der eine weiterführende Einigung der Alliierten in Moskau verhindert hatte. Für die Briten war das ein Erfolg, nicht zuletzt weil die Amerikaner ihrer Meinung nach jetzt gezwungen waren, konsequenter als bisher mit ihnen zusammenzuarbeiten, "to make the two zones an efficient paying concern"S3.

IV. Die Londoner Außenministerkonferenz und das Ende der alliierten Zusammenarbeit in Deutschland Die Annäherung der britischen und amerikanischen Standpunkte in der Deutschlandfrage während der Moskauer Konferenz ließ aus britischer Sicht eine baldige Wiederaufnahme der Verhandlungen auf der Außenministerebene wenig sinnvoll erscheinen. Da mit einer gemeinsamen Lösung der Deutschlandfrage nicht mehr zu rechnen war, ohne daß zusätzliche finanzielle Belastungen und nicht kalkulierbare politische Risiken für Großbritannien entstehen würden, stellte die konsequente Koordinierung der britischen und der amerikanischen Deutschlandpolitik die einzige erfolgversprechende Option dar. Die negative Reaktion der Sowjetunion auf die Ankündigung des European Recovery Pro gram entsprach den Erwartungen, aber auch den Hoffnungen der britischen Diplomatie und bestätigte einmal mehr die Richtigkeit des 52a Gegenteilige Behauptungen, wie sie erst kürzlich wieder von W. v. Buttlar: Ziele und Zielkonflikte der sowjetischen Deutschlandpolitik 1945 bis 1947, Stuttgart 1980, S. 230 ff. vertreten wurden, sind nicht länger aufrechtzuerhalten. 53 FO 371/65052/CE 1164.

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eingeschlagenen Kurses. In Deutschland selbst zeichneten sich mit der Neuordnung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, der Änderung des Industrieplanes für die Bizone und der Aufnahme von Verhandlungen zur Revision des Bizonen-Abkommens wichtige Schritte zur Entlastung des britischen taxpayer als auch zur Konsolidierung Westdeutschlands ab. Die Robertson-Clay-Vereinbarung vom Dezember 1946 war inzwischen zum festen Bestandteil der britisch-amerikanischen Deutschlandpolitik geworden. Auch die Franzosen sollten darauf verpflichtet werden, ehe an einen Anschluß ihrer Zone an das Vereinigte Wirtschaftsgebiet gedacht werden konnte. Aus wirtschaftlichen Erwägungen war ein solcher Schritt zwar wenig attraktiv. Politische überlegungen legten ihn aber spätestens nach einem Scheitern der Londoner Konferenz nahe. Um dieses zu erreichen und die Aufkündigung der längst nicht mehr für möglich gehaltenen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion in Deutschland geschickt zu inszenieren, kam es mehr denn je darauf an, das weitere taktische Vorgehen unter den westlichen Mächten miteinander abzustimmen, um der Sowjetunion aus einer Position der Stärke und Geschlossenheit gegenübertreten zu können. Als Gastgeber der nächsten Verhandlungsrunde in London fiel dem britischen Außenminister die Aufgabe zu, Vorschläge für die Tagesordnung zu unterbreiten. Statt allen Alliierten gleichzeitig einen Vorschlag zu unterbreiten, zog Bevin es vor, zunächst mit den USA und Frankreich einen entsprechenden Entwurf abzusprechen und diesen dann der Sowjetunion zu präsentieren. Beide, Amerikaner und Franzosen, waren zum ersten Mal zu einer solchen Absprache bereit. Nach der Moskauer Konferenz hatte die Pariser Regierung einsehen müssen, daß eine Deutschlandpolitik ohne die direkte Unterstützung wenigstens eines Verbündeten die politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten Frankreichs überstieg. Die Internationalisierung der Ruhr, die Abtrennung des Rheinlandes oder die Forderung nach einer sehr weitgehenden Dezentralisierung Deutschlands stießen zwar bei den westlichen Verbündeten ähnlich wie bei den Sowjets auf strikte Ablehnung, doch zeigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten immerhin bereit, unter bestimmten Bedingungen einer Abtrennung des Saarlandes zuzustimmen. Der Marshall-Plan und nicht zuletzt die Erfahrung, daß sich auch die französische Zone von einem Aktivposten zu einem Negativposten für den Fiskus in Paris entwickelte, begünstigten ferner die Anpassung an die britisch-amerikanische Deutschlandpolitik. In einer Unterredung mit Staatssekretär Strang am Rande der UNVersammlung bekannte Außenminister Bidault am 7. Oktober 1947: "he had tried to follow amiddIe path for two years and had now definitely come to the conclusion that this was impossible any longer. " Aus diesem Grunde sei er jetzt zu Vorgesprächen mit den Vereinigten

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Staaten und Großbritannien bereit, "provided that these could be held in real secrecy"54. Ungeachtet der Notwendigkeit einer britisch-französischen Verständigung genoß die Absprache mit den Amerikanern Priorität. Seit dem 19. Oktober trafen sich Strang und Hickerson, Leiter der Europa-Abteilung im State Department, in Washington mehrfach zu Gesprächen, über deren Ergebnisse der französische Botschafter in London, Massigli, umgehend unterrichtet wurde. Hinsichtlich des erwarteten Ausgangs der Londoner Beratungen zeigte sich keine Seite sonderlich optimistisch. So wurden die Vorgespräche von der Frage bestimmt, wie eine mögliche Einigung mit der Sowjetunion und nicht etwa ein mögliches Scheitern der Konferenz verhindert werden könne. Um der Sowjetunion nicht die Gelegenheit zu bieten, die Konferenz zu Propagandazwecken beliebig lange hinauszuzögern, sollte die Tagesordnung auf das Wesentliche beschränkt werden. Schwierig würde es allerdings, wenn die Sowjets "might be more subtle and embarras us by agreeing to accept all our conditions for economic unity". Während die Amerikaner in einem solchen Fall immerhin eine genaue Prüfung sowjetischer Vorschläge durch den Kontrollrat zusagen wollten, bestanden die Briten darauf, "to bring in political considerations to counter a possible insincere acceptance of our conditions for economic unity"55. Das Foreign Office fürchtete, daß der amerikanische Vorschlag hinsichtlich der Wiederherstellung der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands lediglich falsche Erwartungen wecken würde, "which would only dissolve finally after long and protracted discussions in the Control Council and probably a further meeting of the Council of Foreign Ministers"58. Einigkeit bestand von vornherein darüber, daß ein breakdown auf keinen Fall über die österreichische, sondern nur über die deutsche Frage erfolgen dürfe. Taktisch hielten es die Amerikaner für das beste, einige allgemeine Kontroverspunkte wie die Fragen der wirtschaftlichen Einheit, der Reparationen, des Entmilitarisierungsvertrages und der künftigen politischen Struktur Deutschlands herauszugreifen und zu prüfen, ob sich die sowjetische Haltung in irgendeiner Weise geändert habe. Sollte das nicht der Fall sein, war es das Sinnvollste, den Rat der Außenminister zu vertagen "without setting any time or place for the next meeting«57. Gegen ein solches Verfahren hatten die Briten verständlicherweise nichts einzuwenden. Nicht nur die eigene Verhandlungsunwilligkeit, sondern auch die mangelnde Einigkeit der Westmächte in zahlreichen deutschlandpolitischen Fragen konnte auf diese 54 FO 371/64207/C 12949.

FO 371/64629/C 13846. FO 371164629/C 14205. 57 FO 371/64207/C 13494.

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Weise geschickt überspielt und vor allem die Sowjetunion allein für das Scheitern der alliierten Verhandlungen verantwortlich gemacht werden. Als sich dennoch nach den ersten beiden Verhandlungswochen der Eindruck eines geschäftsmäßigen Verlaufs der Konferenz aufdrängte, riet das Foreign Office, statt sich weiterhin von Text zu Text zu quälen, um nach einer geeigneten Bruchstelle zu suchen, ,,(to) bring matters to a head by proposing a settlement of the really critical points"ss. Vor allem die Sorge um die Einheit des westlichen Lagers ließ die Briten auf einen baldigen Abbruch der Verhandlungen mit der Sowjetunion drängen. Jede weitere Erörterung von Details erhöhte das Risiko, Differenzen zwischen den Westmächten zutage zu fördern. Um der Sowjetunion nicht die Chance zu geben, die eine gegen die andere Position auszuspielen, mußte beispielsweise eine detaillierte Erörterung der Ruhrfrage oder der Etablierung einer deutschen Zentralregierung auf jeden Fall vermieden werden. Denn hier hätten die Franzosen, schon aus innenpolitischen Gründen, auf eine klare, von den Positionen der Amerikaner und Briten deutlich abweichende Stellungnahme nicht verzichten können. Intensive Kontakte am Rande der Konferenz verhinderten, daß die Franzosen in eine derartige Situation gedrängt wurden. Auch zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten gab es genügend Konfliktpotential. In der Frage, ob Reparationsleistungen angesichts des Wiederaufbauprogramms überhaupt noch sinnvoll seien, zeichnete sich bereits ein grundlegender Gegensatz ab. Unterschiedliche Positionen bestanden auch in Fragen der politischen Neuordnung Deutschlands. Im übrigen war erst bei einem definitiven Scheitern der Londoner Konferenz mit einem zügigen und vor allem vorteilhaften Ausgang der Washingtoner Verhandlungen zur Reduzierung der BizonenKosten für Großbritannien zu rechnen. Diese und andere Überlegungen sprachen dafür, nicht im Detail, sondern im Grundsätzlichen den Gegensatz zur Sowjetunion herauszustellen, zumal man sich ehrlicherweise eingestand, "that it is difficult to choose any one point about which we are so right and the Russians are so wrong that a break can be clearly justified in the eyes of the world"59. Als am 12. Dezember die gegensätzlichen Positionen in der Frage der Reparationen aus laufender Produktion erneut hart aufeinander stießen 60 , schien der Zeitpunkt für den Abbruch der Verhandlungen gekom58 FO 371!64631!C 16156. 59 FO 371!64631!C 16156. 60 Vgl. FRUS 1947, Band 2, S. 766 ff. Im Unterschied zur Moskauer Außenministerkonferenz hatten die Amerikaner jetzt auch in dieser Frage einen

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men zu sein. Bevin beantragte am folgenden Tag, die Beratungen bis zum kommenden Montag auszusetzen, um den Delegationen übers Wochenende die Gelegenheit zu geben, "to examine all the implications of the situation produced by Molotov's position yesterday on reparations"61. Obgleich Amerikaner, Franzosen und Briten in gleicher Weise überzeugt waren, daß nun jener Punkt erreicht sei, an dem man die Konferenz scheitern lassen könne, finden sich in den britischen Akten über das procedere einige aufschlußreiche Details, die einmal mehr die treibende Rolle Großbritanniens bei der Aufkündigung der alliierten Zusammenarbeit in Deutschland unterstreichen. Innerhalb der amerikanischen Delegation gab es selbst gegen Ende der Londoner Konferenz nach wie vor zwei unterschiedliche Tendenzen. Während die dem State Department nahestehenden Berater einen "final showdown"62 befürworteten, dürfte General Clay für einen vorsichtigeren Kurs eingetreten sein. Denn selbst nach dem Scheitern der Konferenz vertrat er in einer abschließenden Unterredung zwischen den wichtigsten Mitgliedern der amerikanischen und britischen Verhandlungsdelegation noch die Ansicht, daß der negative Ausgang der Beratungen für ihn "no final break with the Soviet Union" bedeute. Um einen solchen Fall gerade nicht eintreten zu lassen, forderte er "a further effort to proceed on a quadripartite basis, however many practical difficulties this might raise"63. Aufgrund unterschiedlicher Einschätzungen über die Möglichkeit einer weiteren Zusammenarbeit mit der Sowjetunion in Deutschland hatte sich in der US-Delegation offensichtlich eine mittlere Linie durchgesetzt, wonach Marshall nicht bloß die Vertagung des Außenministerrates beantragen, sondern gleichzeitig "a definite proposal" unterbreiten sollte, "that the Council of Foreign Ministers should meet again in Geneva within a few months"64. Die Vereinigten Staaten zögerten offensichtlich, die Verantwortung für den Bruch auf sich zu nehmen. Dafür spricht u. a. der Versuch, den britischen Außenminister zu bewegen, die Vorreiterrolle zu übernehmen und weitere Verhandlungen für sinnlos zu erklären, solange nicht eine Einigung über die einheitliche Wirtschaftspolitik in Deutschland erzielt worden sei. Bevin lehnte ein derartiges Ansinnen mit der Bemerkung definitiven Standpunkt eingenommen. "Marshall reaffirmed his opposition to the payment by Germany of reparations from current production. He said the US is not prepared to agree to any program of reparations from current production as a price for the unification of Germany" (ebenda, S. 762). 61 FRUS 1947, Band 2, S. 769. 82 FO 371/64633/C 14003. 63 FO 371/64250/C 16395. 84 FO 371/64250/C 16170.

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ab, daß dies eindeutig Sache der Amerikaner sei. Gleichzeitig gab er seinen Beamten aber den Auftrag, "the points of disagreement" aufzulisten und die Amerikaner hiervon in Kenntnis zu setzen65 . Das britische Protokoll des letzten Verhandlungstages zeigt, daß zunächst Außenminister Marshall seine allgemeine Enttäuschung über den Verlauf der Verhandlungen zum Ausdruck brachte. Nach kurzen Einwürfen von Bidault und Molotow verlas Bevin dann ein dreiseitiges, eng beschriebenes Statement, in dem er mit der sowjetischen Deutschland-, respektive Reparationspolitik abrechnete. Nachdem er noch einmal die wichtigsten Ziele einer konstruktiven Deutschlandpolitik - wie er sie verstand - erläutert hatte, hob er die Dringlichkeit einer Einigung auf dieser Basis "here and now" hervor. Es sei zwar sehr enttäuschend, wenn das nicht möglich sei, doch habe er ohnehin Zweifel, ob der Rat der Außenminister überhaupt das geeignete Gremium sei, "which will ever be able to settle, the European and the German problem"68. Im Anschluß daran faßte Marshall die amerikanische Position noch einmal zusammen. Im Unterschied zu seinem britischen Kollegen endete sein Statement nicht mit einem ultimativen jetzt oder nie, sondern mit der vergleichsweise offenen Feststellung, daß praktische Fortschritte zur Zeit nicht zu erzielen seien und daher eine Fortsetzung der Debatte über andere Punkte der Tagesordnung wenig sinnvoll erscheine. Er schlug daher vor, "that the Council might now consider an adjournment of this session". Nachdem sich in einem weiteren Statement auch Bidault für eine Vertagung der Verhandlungen ausgesprochen hatte, drängte sich Molotow der Eindruck eines abgekarteten Spiels auf, das für ihn lediglich die logische Konsequenz einer seit längerem schon betriebenen einseitigen Politik des Westens darstellte. Ohne einen neuen Verhandlungsort, etwa Genf, vorzuschlagen, was in deutlichem Widerspruch zur Haltung Großbritanniens gestanden hätte, drückte Außenminister Marshall immerhin die Hoffnung aus, daß die nächste Verhandlungsrunde "in an atmosphere more conductive to settlement" stattfinden möge. Dem konnten Bevin und Bidault nur beipflichten, wobei sich allerdings der britische Außenminister beeilte, hinzuzufügen, "that the date of the next session should be left open"87. Gewiß waren die USA ebensowenig an der Fortsetzung der Verhandlungen interessiert wie Großbritannien. Hinsichtlich der Einheitlichkeit und Entschlossenheit, mit der der Bruch mit der Sowjetunion gesucht wurde, bestand jedoch ein deutlicher, gradueller Unterschied. Dieses 65 FO 371/64631/C 16003. 66 FO 371/65341. Diese Akte enthält die vollständigen Protokolle der Londoner Außenministerkonferenz. Vgl. hier S. 229. 67 FO 371/65341, S. 237 und S. 226. 6 Deutschlandfrage

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gilt auch für die Intensität, mit der im Foreign Office - ehe die Konferenz überhaupt begonnen hatte - über den nächsten Schritt nach dem Scheitern der Verhandlungen nachgedacht wurde. Erwartet wurde, daß die Sowjets sehr schnell handeln und gleichsam nach dem Lubliner Modell in ihrer Zone eine Regierung installieren würden, mit dem Anspruch, die Regierung für Deutschland zu sein. Um den Vorteilen, die der Sowjetunion aus einer solchen Aktion in Deutschland erwachsen könnten, rechtzeitig entgegenzuwirken, war eine rasche Verständigung des Westens über die künftige Struktur Westdeutschlands erforderlich. Hall-Patch, stellvertretender Unterstaatssekretär im Foreign Office, empfahl daher am 21. November mit ausdrücklicher Zustimmung Bevins, so bald wie möglich Gespräche mit den Amerikanern und später auch mit den Franzosen aufzunehmen, um eine schnelle Einigung über die Errichtung einer provisorischen deutschen Regierung für die Westzonen zu erzielen68 • Obwohl die Briten wiederholt darauf drängten, schon während der Londoner Konferenz in entsprechende Vorverhandlungen einzutreten, lehnte der amerikanische Außenminister ein solches Ansinnen immer wieder ab. Wie er der britischen Botschaft in Washington bereits am 19. 11. 1947 mitgeteilt hatte, war er - nicht zuletzt mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Stimmungen in der eigenen Verhandlungsdelegation - allenfalls nach der Weihnachtspause zu "formal discussions" mit den Briten und Franzosen bereit; vorausgesetzt, daß die Außenministerkonferenz keine übereinkunft erzielen werde68 • Britische Erwartungen, bereits nach Ablauf von vier Monaten eine westdeutsche Regierung präsentieren zu können, erwiesen sich somit doch als allzu kühn. Gleichwohl konnten die Briten nach dem Scheitern der Londoner Konferenz und den zwei Tage später erfolgreich beendeten Washingtoner Verhandlungen über die Revision des Bizonen-Abkommens mit einiger Zufriedenheit auf die bislang erzielten Erfolge in ihrer Deutschlandpolitik zurückblicken. Die Spaltung Deutschlands war perfekt, die Wiederherstellung eines einheitlichen Deutschlands auf Kosten des britischen taxpayer war verhindert und die Gefahr eines Gesamtdeutschlands unter starkem kommunistischem Einfluß vorerst gebannt. Jetzt kam es nur noch darauf an, die durch die Teilung Deutschlands erwartete Wiederbelebung eines neuen deutschen Nationalismus durch eine rasche wirtschaftliche und politische Konsolidierung Westdeutschlands so zu steuern, daß - wie Bevin es Marshall gegenüber formulierte - "any German Irredentist movement for unity would come from the west, and not be a Russian-inspired movement coming from the east CC7O. 68

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FO 371/64632/C 16172. FRUS 1947, Band 2, S. 723. FO 371/64250/C 16394.

Großbritannien und die Deutschlandfrage Die britische Deutschlandpolitik hat in der Zeit zwischen Sommer 1946 und Dezember 1947 eine wichtige Phase durchlaufen, in der die Irritation der voraufgegangenen eineinhalb Jahre weitgehend überwunden wurde und die eigene Option erfolgreich durchgesetzt werden konnte. Seit Jalta hatte Großbritannien sich in den alliierten Verhandlungen über Deutschland konsequent für eine rasche Wiederbelebung der deutschen Wirtschaft eingesetzt. Durch die Probleme der eigenen Wirtschaft bedingt, sollten alle verfügbaren Resourcen in erster Linie zur Deckung der Besatzungskosten im weitesten Sinne und erst in zweiter Linie zur Befriedigung von Reparationsansprüchen genutzt werden. Eine solche Politik stieß von Anfang an auf den Widerstand der übrigen Mächte, insbesondere der Sowjetunion. Weder in Potsdam noch bei den Verhandlungen über den Industrieniveauplan konnte sich Großbritannien mit seiner weichen Politik durchsetzen. Die Zweifel über die Durchsetzungsmöglichkeiten der britischen Interessen im Rahmen einer gemeinsamen Deutschlandpolitik nahmen zu. Mit der Verschärfung der wirtschaftlichen Probleme einerseits und des britischsowjetischen Antagonismus andererseits sah das Foreign Office im Frühjahr 1946 schließlich keine andere Möglichkeit mehr als die britische Zone ungeachtet alliierter Vereinbarungen nach eigenen Vorstellungen zu organisieren. Das amerikanische Angebot zur Zusammenlegung der Zonen verhinderte ein völliges Auseinanderbrechen einer gemeinsamen Politik in Deutschland. Für die Briten bedeutete es den entscheidenden Schritt aus der deutschlandpolitischen Isolierung, in die sie seit Jalta zunehmend geraten waren. Während die Amerikaner, zumindest ein Teil von ihnen, bis Ende 1947 die Wiederherstellung eines einheitlichen - wenn auch um einige Gebiete im Osten verkleinerten - deutschen Wirtschaftsraumes als realisierbare Möglichkeit betrachteten, setzten die Briten spätestens seit dem Sommer 1946 konsequent auf eine Weststaatslösung und die Beendigung der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion in Deutschland. Nicht Revision, sondern Bestätigung des Status quo in Deutschland, wie er sich seit Potsdam herausgebildet hatte, lautete das oberste Prinzip der traditionell pragmatisch orientierten Außenpolitik Großbritanniens. Im Oktober 1946 hatte der Leiter des Northern Department im Foreign Office, R. M. A. Hankey, eine bemerkenswerte rhetorische Frage gestellt, die hinsichtlich des britischen Interesses an einer Teilung Deutschlands an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließ: "But is it not possible that in the end we may have smoother relations with the Russians in Germany if we accept the division and cease to quarrel so much about what they do in their zone and what we do in ours, than if we indulge in an internecine warfare for the body of a unitary Germany, the results of which, as shown above, will ine-

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vitable be regarded by the losing side as fatal to its own security 71?" Die vom Foreign Office seit dem Sommer 1946 betriebene Deutschlandpolitik basierte exakt auf dieser Überlegung.

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FO 371/55592/C 11995.

FRANKREICH UND DIE DEUTSCHE FRAGE 1945-1949 Von Renata Fritsch-Bournazel* "France-Allemagne über alles". Mit dieser erstaunlichen Überschrift versah der Quotidien de Paris am 20. Januar 1983 einen dreiseitigen Rückblick über "die Versöhnung zwischen zwei Völkern, die sich ein Jahrhundert lang bekämpft haben". Der 20. Jahrestag des Elysee-Vertrags gab in beiden Ländern Anlaß zu einer Bilanz der deutsch-französischen Nachkriegsbeziehungen und zu Überlegungen über Grundlagen und Zielsetzungen französischer Deutschlandpolitik nach 1945. Der vorherrschende Tenor in der französischen Berichterstattung war Befriedigung über das Erreichte, gekoppelt mit der Feststellung, daß die Versöhnung zwischen den beiden Völkern, ihre Solidarität und enge Zusammenarbeit angesichts der Ausgangslage bei Kriegsende keineswegs selbstverständlich war. Das Erbe der Vierten Republik, auf dem der französische Staatspräsident General de Gaulle und Bundeskanzler Dr. Adenauer 1963 aufbauen konnten, bestand schließlich nicht nur aus der von Robert Schuman und Jean Monnet vertretenen Europapolitik, sondern umfaßte auch de GaulIes und Georges Bidaults unnachgiebige Haltung gegenüber dem besiegten und besetzten Reich. In der historischen Forschung wird häufig unterschieden zwischen einer ersten, von Maximalforderungen geprägten Phase französischer Deutschlandpolitik, auf die im Frühjahr 1948 eine zweite Phase der widerwilligen Anpassung an angelsächsische Vorstellungen folgte. Diese Periodisierung hat zweifellos ihre Berechtigung, wenn man etwa die Haltung der französischen Delegation auf den Außenministerkonferenzen 1945-1949 betrachtet. Diese Sichtweise ist jedoch nicht haltbar, wenn man die gesamte Bandbreite politischer ~räferenzen mit einbezieht, die seit Kriegsende innerhalb der Regierung, im Quai d'Orsay, in

* Die Verfasserin ist wissenschaftliche Referentin an der Fondation Nationale des Sciences Politiques und Studiendirektorin am Institut d'Etudes Politiques der Universität Paris. Studium der Romanistik, Slawistik, Geschichte und Politischen Wissenschaften in Paris und Berlin. Publikationen u. a.: Rapallo: naissance d'un mythe. La politique de la peur dans la France du Bloc National, Paris 1974 (Rapallo ein französisches Trauma, Köln 1976); L'Union sovietique et les Allemagnes, Paris 1979 (Die Sowjetunion und die deutsche Teilung, Opladen 1979); Les Allemands au coeur de l'Europe, Paris 1983.

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den Parteien und nicht zuletzt bei den gesellschaftlichen Gruppen und Personen bestanden, die auf die französische Deutschlandpolitik Einfluß nahmen. So zeigt ein genaues Studium der französischen diplomatischen Akten der Nachkriegszeit, daß es bereits 1944/45 sowohl Vertreter eines Vergeltungsfriedens gegenüber dem besiegten Reich als auch Befürworter einer kooperativen Deutschland- und Europapolitik gab. Das Durchsetzungsvermögen der verschiedenen Richtungen wurde nicht nur vom außenpolitischen Willensbildungsprozeß in Frankreich selbst bestimmt, sondern war auch davon abhängig, wie sich das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Großmächten in Europa gestalten würde.

I. Sicherheit vor oder mit Deutschland? Mit der Befreiung von Paris und dem triumphalen Einzug General de Gaulles am 25. August 1944 ging die vierjährige Besatzung Frankreichs durch die Deutschen ihrem Ende entgegen. Vier Tage vorher hatte Maurice Dejean, der zu diesem Zeitpunkt die Diplomatische Mission bei den Alliierten in London leitete, ein umfangreiches Memorandum über "Das deutsche Problem" vorgelegt1 • Nach Meinung des französischen Diplomaten konnte kein Zweifel daran bestehen, daß die Sicherheit vor Deutschland das alles andere beherrschende Ziel sein mußte. "Assurer pour plusieurs generations la securite de la France, en d'autres termes eliminer d'une fa!;on durable le danger allemand, est donc la premiere tache, une tache sacree, qui s'impose aux hommes d'Etat fran!;ais." 1. Die GTundzüge des französischen Sicherheits konzepts Fest stand, daß das Sicherheitsproblem diesmal - im Unterschied zum Versailler Vertrag - kompromißlos gelöst werden mußte. Man war sich der Schwierigkeit dieser Aufgabe voll bewußt, denn "l'importance du probleme allemand n'a d'egal que sa complexite". Allerdings glaubte man damals iR den Kreisen des Comite fran!;ais de liberation nationale (CFLN), daß die Lehren der Geschichte eindeutig zugunsten der traditionellen Forderungen Frankreichs plädierten. So ist es nicht verwunderlich, daß die Lösungsvorschläge vom August 1944 in mancher Hinsicht direkt an 1918/19 vertretene Forderungen anknüpften, "dont le bien-fonde n'a ete etabli que trop clairement par l'histoire des 25 dernieres annees". 1 AQ (Archives du Quai d'Orsay), Y-54-1, Memorandum Dejean für General de Gaulle, 21. August 1944.

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Sicherheit vor Deutschland bedeutete zunächst einmal die Zerstörung des Bismarck-Reiches. Deutschland sollte nicht nur Teile verlieren, sondern aufgeteilt werden, als Ganzes verschwinden. Die Machtzusammenballung im Zentrum Europas hatte nach französischer Auffassung zwei Weltkriege ausgelöst; mit den Auswirkungen müsse nun die Ursache selber beseitigt werden: die deutsche Einheit. "Plus de Reich centralise! C'etait, a mon sens, la premiere condition pour empecher que l'Allemagne ne retournat a ses mauvais instincts ... ", forderte General de Gaulle 19442• Eine definitive Ausschaltung der deutschen Gefahr konnte nur dann erreicht werden, wenn Preußen als deutscher Staatskern aufgelöst und das Reich in eine nur vage definierte Konföderation deutscher· Einzelstaaten mit maximalen Souveränitätsrechten verwandelt würde. Das zweite Element des französischen Sicherheitskonzepts gegenüber Deutschland bestand in der Forderung nach einem Glacis an der französischen Ostgrenze3 durch Abtrennung des Rheinlandes und des Saarlandes. Das Rheinland mußte seine historische Funktion als Einfallstor nach Frankreich verlieren. Die Irrtümer von Versailles zu vermeiden hieß unter den gegebenen Umständen, die von Foch und Clemenceau 1918/19 vertretenen Positionen noch schärfer zu akzentuieren, um Deutschlands "Drang nach Westen" endgültig einen Riegel vorzuschieben. Das Rheinland, das für unbegrenzte Zeit von den alliierten Truppen besetzt bleiben müßte, sollte einen autonomen Status erhalten, während seine Wirtschaft aufs engste mit derjenigen Westeuropas zu verbinden wäre, wobei der Rhein als freie internationale Wasserstraße zu dienen hätte. Rechtsrheinische Gebiete wie Baden und Württemberg müßten sich, wie schon in der Vergangenheit, an Westeuropa anlehnen und auf längere Sicht ganz Deutschland in den Sog dieser Westorientierung ziehen. Die Saar sollte politisch von Deutschland losgelöst und wirtschaftlich an Frankreich angegliedert werden. Entscheidend für das französische Sicherheitsverlangen war schließlich die Lösung des Ruhrproblems. Hier ging es nicht nur darum, sich die notwendigen Sicherheitsgarantien zu verschaffen, sondern mit Hilfe des deutschen Potentials die geopolitischen und ökonomischen Grundlagen der französischen Wirtschaftsmacht entscheidend zu verbessern. Sehr früh brachte der Quai d'Orsay darum den Gedanken einer internationalen Eigentümerschaft an der Montanindustrie im Ruhrgebiet ins Gespräch, bei der Frankreich der Löwenanteil zufallen sollte. Auf diesem Wege sollte nicht nur Frankreichs Kohleversorgung dauerhaft 2 Charles de Gaulle: Memoires de guerre. Le salut 1944--1946, vol. UI, Paris, PIon, 1959, S. 57. 3 AQ, Y-54-1, Memorandum Dejean, 21. August 1944. Vgl. auch de Gaulles Pressekonferenz vom 25. Oktober 1944.

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sichergestellt, sondern auch seine Stahlkapazität ausgebaut werden, wie aus einem Aide-Memoire des Leiters der Wirtschafts-Abteilung, Herve Alphand, vom September 1945 hervorgeht4 • Der Plan vom 1. Februar 1947, den Außenminister Bidault auf der Moskauer Außenministerkonferenz vorlegte, präzisierte die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Zielsetzungen Frankreichs dahingehend, daß die Verwaltung des gesamten Ruhrgebiets durch eine internationale Behörde erfolgen und eine Zollgrenze zwischen der autonomen Ruhr und dem übrigen Deutschland errichtet werden sollte5 • Spätestens Mitte 1947 wurde deutlich, daß Frankreich sich weder mit seiner Forderung auf politische Internationalisierung des Ruhrgebiets noch mit seiner Rheinlandpolitik durchsetzen konnte. Die faktische Abtrennung der deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße galt aus Pariser Sicht als Rechtfertigung für die Festlegung der deutschen Westgrenze im französischen Sinne8 • Was sich die Sowjetunion über Polen damit an Sicherheit verschafft habe, dürfe auch Frankreich nicht verwehrt werden. Für die Amerikaner und die Briten hingegen galten die Sicherheitsbefürchtungen immer stärker der Sowjetunion, während das Wiederaufleben der deutschen Gefahr nicht mehr als ein aktuelles Problem angesehen wurde. So war es nur natürlich, daß der Status des Ruhrgebiets hier vor allem unter dem Aspekt der unerwünschten sowjetischen Beteiligung an der internationalen Ruhr-Behörde gesehen wurde. Schließlich traf auch das französische Zerstückelungskonzept auf Widerstand bei den beiden anderen Westalliierten, die bereits in Potsdam von den Dismemberment-Plänen der Kriegszeit abgekommen waren 7 •

2. Versöhnung aus Einsicht Während die von General de Gaulle und seinen Mitarbeitern konzipierte Deutschlandpolitik in den materiellen Sicherheitsgarantien das einzige Mittel sah, "d'empecher definitivement l'Allemagne de reconstituer sa puissance d'agression"e, meldeten sich bereits 1945 Stimmen, die vor einer Wiederholung der Irrtümer der Vergangenheit warnten. In einer bemerkenswerten Denkschrift der Abteilung 4 des Etatmajor general de la Defense nationaleD hieß es bereits Ende Juli 1945, AQ, Y-54-1, Aide-memoire Alphand, 8. September 1945. AQ, Y-54-1, Memorandum Alphand, 1. Februar 1947. 8 AQ, Y-54-1, Aide-memoire Alphand, 8. September 1945. 7 Vgl. hierzu Hans-Peter Schwarz: Vom Reich zur Bundesrepublik. Deutschland im Widerstreit der außenpolitischen Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherrschaft 1945-1949, Stuttgart, Klett-Cotta, 1980 (2. erweiterte Auflage), S. 185-188. e AQ, Y-54-1, Aide-memoire Alphand, 8. September 1945. D AQ, Y-54-1, Denkschrift zur Deutschlandpolitik, 31. Juli 1945. 4

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Frankreich müsse in Anbetracht seiner beschränkten Mittel Politik als ,,1'art du possible" betreiben und keine überzogenen Forderungen stellen. Vor allem aber habe es eine Mitverantwortung für das künftige Schicksal des Nachbarn und für dessen Bereitschaft, nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus von den Westmächten "de nouvelles idees pacifiques" anzunehmen. Schließlich müsse man sich auch fragen, ob ein Rückgriff auf die Rezepte von 1918/19 wirklich erfolgversprechend sei. "L'Allemand est un etre perpetuellement mouvant a 1'egard duquel nos conceptions statiques de securite ne valent rien. L'experience des annees 1918 a 1936 1'a bien montre. Si on lui ferme toutes les issues, il fera sauter le systeme. 11 faut non le desesperer, mais lui ouvrir des voies selon lesquelles il pourra s'epanouir, et etre continuellement present pour guider son mouvement." Offensichtlich hatte der Verfasser der Denkschrift selbst Zweifel daran, ob dieses Plädoyer für das "Prinzip Hoffnung" von seinen Landsleuten richtig verstanden werden würde. Eine Deutschlandpolitik auf dieser Basis könnte all denen, die unter den Deutschen gelitten hätten, zu großmütig erscheinen, obwohl es weder Gerechtigkeit noch Strenge ausschließe. Man solle jedoch bedenken, daß dies der einzige Weg sei, die Deutschen nach und nach wieder in die europäische Staatengemeinschaft zurückzuführen. Der in diesem Dokument angeschlagene Ton erinnert stark an überlegungen, wie sie schon im Krieg von der nichtkommunistischen Resistance vertreten wurden10• Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg bahnten sich hier Bewußtseinsveränderungen an, die Jahre später zu entscheidenden Triebkräften der deutsch-französischen Versöhnung werden sollten11 • Ein harter und zugleich großmütiger Friede - das war der Kern des Deutschlandkonzepts von Männern wie Frenay und Claude Bourdet. Katholiken wie der Jesuitenpater Jean du Rivau begannen schon während des Krieges in der Kriegsgefangenenbetreuung mit der deutsch-französischen Verständigung. Jüdische überlebende der Konzentrationslager wie Joseph Rovan fühlten sich mitverantwortlich für den Aufbau eines demokratischen Deutschlands. Die Gründung des Bureau International de Liaison et de Documentation (BILD) im Frühjahr 1945 war die erste private Initiative, die sich für eine Aussöhnung durch ein besseres Kennenlernen zwischen Deutschen und Franzosen einsetzte. Mit dem 1948 von Emmanuel Mounier gegründeten Comite d'echanges avec l'Allemagne nouvelle entwickelten Alfred Grosser und 10 Vgl. Henri Michel: Les courants de pensee de la Resistance fran!;aise, Paris, Presses Universitaires de France, 1962, 843 S. 11 Vgl. Gilbert Ziebura: Die deutsch'-französischen Beziehungen seit 1945. Mythen und Realitäten, Pfullingen, Neske, 1970, S. 24-32.

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seine Mutter die auf individuelles Engagement gegründeten Formen transnationaler Aufklärungsarbeit und neuer Gemeinsamkeit weiterlZ • Vier Monate nach seiner Rückkehr aus Dachau prägte Joseph Rovan in der Zeitschrift Esprit die Formel "L' Allemagne de nos merites" 13. Im Mittelpunkt seines Plädoyers für eine deutsch-französische Verständigung stand einerseits das Bewußtsein der Mitverantwortung für die Zukunft der Deutschen, andererseits die Überzeugung, daß beide Völker ihr Schicksal nur noch gemeinsam meistern konnten. Im Gegensatz zur traditionellen Machtpolitik wurde hier der Versuch unternommen, Frankreichs Sicherheit nicht durch materielle und territoriale Forderungen, sondern durch gesellschaftspolitische Veränderungen zu garantieren, die Deutschland in die Familie der westlichen Demokratien zurückführen würden. Zwar sprach auch General de Gaulle bei seiner Reise durch die französische Besatzungszone im Herbst 1945 davon, daß Franzosen und Deutsche Kinder Europas seien, deren gemeinsame Aufgabe darin liege, die westliche Welt aufzubauen. In der Sicht des Generals war deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa allerdings nur unter der Voraussetzung einer "union economique et morale, une presence, un contröle indefini" über diejenigen Gebiete möglich, die eine natürliche und komplementäre Verlängerung französischen Territoriums bildeten: "La rive gauche du Rhin, le Palatinat, la Hesse, la Prusse rhenane et la Sarre14." 11. Frankreichs Deutschlandpolitik im internationalen Spannungsfeld Auf der politisch-diplomatischen Ebene gehörte General de Gaulle immerhin zu den wenigen französischen Staatsmännern, die sich wenigstens ansatzweise über den Platz, den Deutschland im Nachkriegseuropa einnehmen sollte, Gedanken machten15 • Repräsentativ für die Vorstellungen französischer Politiker war zu diesem Zeitpunkt wohl eher Edouard Herriots Feststellung auf dem ersten Parteitag der Radikalsozialisten nach dem Kriege, daß "Deutschland nicht in das Konzept der Nationen reintegriert" zu werden brauche18 • Als Grundlage jeder Deutschlandpolitik beschworen alle politischen Richtungen bei 12 Vgl. Alfred Grosser: La IVe Republique et sa politique exterieure, Paris, Armand Colin, 1961, S. 171-189. 13 Joseph Rovan: L'Allemagne de nos merites, Esprit 11, 1945, S. 529-540. 14 Rede in Baden-Baden vom 5. Oktober 1945. 15 Vgl. F. Roy Willis: The French in Germany 1945-1949, Stanford (Calif.), Stanford University Press, 1962, S. 22-44. 18 Zit. Michel Soulie: La vie politique d'Edouard Herriot, Paris, Armand Colin, 1962, S. 527.

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Kriegsende die Eintracht der Alliierten. An einen Konflikt zwischen ihnen glaubte ernsthaft noch kaum jemand in Frankreich. 1. Frankreichs Mittlerposition

Wie nach Versailles kam auch im gaullistischen Deutschlandkonzept den diplomatischen Garantien besondere Bedeutung zu. In Dejeans Memorandum vom August 1944 standen die "mesures diplomatiques" an erster Stelle, noch vor den militärischen, wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen, mit deren Hilfe Deutschland auf lange Sicht "unschädlich gemacht" werden sollte. "L'elimination durable de la menace allemande ne sera possible que si les principales puissances victorieuses peuvent maintenir dans la paix l'harmonie et l'unite de vues qui auront permis la victoirel1 ." Der Bündnis- und Beistandspakt gegen eine deutsche Aggression, den de Gaulle im Dezember 1944, kaum ein Vierteljahr nach der Befreiung, mit Stalin abschloß, sollte darüber hinaus mithelfen, Frankreichs Anspruch auf Mitgestaltung der europäischen Nachkriegsordnung zu sichern. Während des Krieges hatte de Gaulle wiederholt erklärt, daß eine solche Allianz "in der Natur der Dinge läge", da sich beide Mächte stets nur dann vor der deutschen übermacht haben schützen können, wenn sie zusammenstanden. Hinzu kam im internationalen Kontext von 1944/45 das unmittelbare taktische Interesse an der sowjetischen Unterstützung für seine Deutschlandpläne. Im einzelnen war der Erfolg der Moskauer Besprechungen dürftig. De Gaulle konnte Stalins Unterstützung weder für die Besetzung des linken Rheinufers durch Frankreich gewinnen, noch für die Abtretung des Saarlandes, noch für die Abtrennung und Internationalisierung des Ruhrgebiets. Stalin dagegen erhielt die französische Zustimmung dafür, daß die Westgrenze Polens an Oder und Neiße liegen sollte, weil nach Ansicht de Gaulles eine solche Lösung eine Verständigung zwischen Deutschland und Polen ausschließen würde. Und er erhielt die Zusage, daß Frankreich an einem "bloc europeen Moscou - Paris - Londres" mehr interessiert sei als an einem "bloc occidental"18. Der Pakt zwischen Paris und Moskau sollte seine Ergänzung in Bündnissen zwischen Paris und London bzw. London und Moskau finden, wobei Paris eine Mittlerposition zwischen dem Kontinent und den Anglo-Amerikanern zufiele. Dahinter stand die Vorstellung, daß sich Frankreich die Freiheit seiner Wahl auf der Grundlage einer neutralen Position zwischen den Supermächten bewahren könnte. Diese Annahme fand bereits ihren Aus11 AQ, Y-54-1, Memorandum Dejean, 21. August 1944. 18 Charles de Gaulle: Memoires de guerre, vol. III, a. a. 0., S. 386.

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druck in Außenminister Georges Bidaults Rede in der ersten außenpolitischen Debatte nach der Befreiung: "Eine Allianz mit dem Westen? Aber ja! Was könnten wir anderes tun? Aber auch eine Allianz mit dem Osten. Auch wir sind an Fragen interessiert, die über den Westen hinausgehen! Niemals wird Frankreich akzeptieren, auf den westlichen Teil der Welt beschränkt zu sein18." Zweifellos entsprach diese Tendenz dem Willen der französischen Bevölkerung und konnte sich auf einen breiten Konsens der politischen Parteien stützen. Wenn viele Franzosen einer Parteinahme im Ost-WestKonflikt aus dem Wege zu gehen wünschten, so war dies sowohl aus der Priorität der Sicherheit vor Deutschland als auch aus der innenpolitischen Konstellation nach der Befreiung zu erklären. Niemandem im Lager der Regierungsmehrheit aus Kommunisten, Sozialisten und christlichen Volksrepublikanern (MRP) konnte daran liegen, diese Koalition durch das Hineintragen außenpolitischer Gegensätze zu sprengen und damit die wirtschaftliche Wiederaufbauarbeit und das soziale Reformprogramm zu belasten. Erst das Auseinanderbrechen des "Tripartisme" im März 1947 und das Scheitern der Moskauer Außenministerkonferenz im April wurden zu einer wichtigen Wendemarke für die Solidarisierung mit den amerikanischen Thesen zur Deutschlandpolitik20 • "Was das Deutschlandproblem betrifft, ist Frankreich nicht mehr in einer Mittlerposition", resümierte Außenminister Bidault den ergebnislosen Ausgang der Moskauer Konferenz!!. Zum selben Zeitpunkt stellte Franc;ois Seydoux resignierend fest: "Ni la France, ni l' Angleterre ne sont au premier plan du debat. Deux mondes s'affrontent, se partageant les appreciations et surtout les critiques22." In Moskau hatte sich gezeigt, daß in dem Maße, wie sich der Ost-West-Konflikt verschärfte, auf Sonderinteressen Frankreichs keine Rücksicht mehr genommen wurde. Im Laufe des Jahres 1947 begann sich langsam die Einsicht durchzusetzen, daß sich Frankreich in der Deutschlandfrage wohl oder übel den westlichen Allüerten anschließen und seine Forderungen mit ihnen allein aushandeln müsse. Die wirtschaftlichen Zwänge, angefangen vom BlumByrnes-Abkommen im Mai 1946 bis zur Annahme des Marshall-Plans ohne die Sowjetunion bildeten ein weiteres gewichtiges Motiv für den Kurswechsel und die Solidarisierung mit den Vereinigten Staaten. Rede vom 21. November 1944. Vgl. Klaus Hänsch: Frankreich zwischen Ost und West. Die Reaktion auf den Ausbruch des Ost-West-Konflikts 1946-1948, Berlin, New York, de Gruyter, 1972, S. 96. 21 Le Monde, 17. Mai 1947. 22 AQ, Y-48-1, Aufzeichnung Fran~ois Seydoux zur Reaktion der deutschen Öffentlichkeit auf den Ausgang der Moskauer Konferenz, 7. Mai 1947. 10

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2. Auf dem Weg nach EUTopa

Da das Einschwenken auf die anglo-amerikanische Linie mehr oder minder von außen auferlegt worden war, änderte sich die Einstellung gegenüber Deutschland erst allmählich. Der ergebnislose Abbruch der Londoner Außenministerkonferenz im Dezember 1947 führte zu einem weiteren Abbröckeln bei den Gegnern einer Solidarisierung mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien. Im Januar 1948 sprach sich mit 48 Ofo bereits fast die Hälfte der Franzosen für die Fusion der französischen Zone mit der Bizone aus23 • Hingegen stieß die Umorientierung der Sicherheitsfrage auf die sowjetische Bedrohung, wie sie in den Londoner Empfehlungen im Frühjahr 1948 gefordert wurde, in Frankreich auf erheblichen Widerstand. Die Hauptargumente für eine Annahme der Londoner Empfehlungen waren im Quai d'Orsay eindeutig der Wunsch, sich von der weiteren Gestaltung Westdeutschlands nicht ausschließen zu lassen und die Furcht vor einer außenpolitischen Isolierung Frankreichs in einer schwierigen Situation. Mit äußerster Schärfe konstatierte de Gaulle das Scheitern der bisherigen französischen Deutschlandpolitik und suggerierte einen Alleingang für den Fall, daß Amerikaner und Briten nicht auf neue Verhandlungen eingehen und damit vitale Interessen Frankreichs ignorieren würdenu. Die Nationalversammlung billigte am 17. Juni 1948 die Londoner Empfehlungen mit knapper Mehrheit (297: 289 Stimmen) unter dem illusionär gewordenen Vorbehalt, daß die Regierung ein Maximum an französischen Forderungen aufrechtzuerhalten hätte. Zugleich aber, so schloß die Resolution, sollte Frankreich seine Bemühungen zur Schaffung einer ökonomischen und politischen Organisation Europas verstärken. In der widersprüchlichen Resolution der Nationalversammlung spiegelte sich die Ambivalenz wider, die zu diesem Zeitpunkt die französische Haltung zur deutschen Frage prägte. Einerseits war Frankreich an einer weitgehenden Begrenzung des ökonomischen und politischen Einflusses Deutschlands interessiert, während es andrerseits dem amerikanischen Wunsch nach einer wirtschaftlichen Organisation Westeuropas unter Einbeziehung des westdeutschen Potentials Rechnung tragen mußte. Als Ausweg aus diesem Dilemma bot sich nach Außenminister Bidaults Meinung die Integration eines friedfertigen Deutschlands in ein vereintes Europa an, in dem sich die Deutschen sicher fühlen und ihre europäischen Hegemonialpläne aufgeben könnten25 • 23 U 25

Sondages, November 1948, S. 231. In seiner Rede vom 9. Juni 1948. Rede vor der Nationalversammlung vom 13. Februar 1948.

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Drei Wochen vor Bidaults Kammerrede vom 13. Februar 1948 hatte Tarbe de Saint-Hardouin, politischer Berater des französischen Militärgouverneurs, ähnliche überlegungen zur französischen Deutschlandpolitik angestellt. "L'Allemagne dont nous proposerions la construction serait une Allemagne du temps de paix, une Allemagne qui ne serait pas edifiee en vue de circonstances exceptionnelles, une Allemagne qui, au lieu d'etre un objet entre les mains des autres puissances, aurait le sentiment que compte a ere tenu de ses interets et de son avenir. Ce que nous pouvons offrir aux Allemands, c'est, dans l'etat actuel des choses, une participation efficace et active a la reconstruction d'une Europe, conc;ue comme un ensemble organise et harmonieux 28 ." Eine derartige Umorientierung der deutschen Frage in Richtung auf ein gemeinsames positives Ziel hätte zur Folge, daß die französischen Forderungen nach Sicherheitskontrollen und Nutzung des Ruhrgebiets nicht mehr als Sanktionen oder Vorsichtsmaßnahmen gegenüber Deutschland aufgefaßt würden, sondern unter dem Aspekt "d'une experience europeenne, destinee peut-etre a servir de precedent" erscheinen würden. Zweieinhalb Jahre später setzte sich diese konziliantere Deutschlandpolitik mit dem von Jean Monnet inspirierten Schuman-Plan durch. "Europa wird nicht mit einem Schlage zustandekommen und nicht als Gesamtkonstruktion. Es wird durch konkrete Verwirklichungen entstehen, die zunächst eine praktische Solidarität schaffen27 ." Mit der Montan-Union wurden die deutsch-französischen Beziehungen tatsächlich in den übergreifenden Rahmen der europäischen Einigung gestellt und als Instrument gemeinsamer positiver Aufbauarbeit genutzt. Durch die Schaffung eines immer dichter werdenden Netzes ökonomischer Bindungen und die Gewohnheit gemeinsamer Arbeit i.nl Rahmen einer übergreifenden Gemeinschaft sollten· der bilaterale Konflikt zwischen Franzosen und Deutschen überwunden werden. Sicherlich führte der Schuman-Plan nicht sofort zum Abbau des gegenseitigen Mißtrauens, wie die Krise der EVG der Jahre 1950/54 zeigen sollte28 • Die Grundlagen der europäischen Solidarität auf der Basis deutschfranzösischen Einvernehmens wurden indessen auch in dieser Bewährungsprobe nicht grundsätzlich in Frage gestellt. So konnte General de Gaulle mit seinem Genie für prägnante Formulierungen im Jahre 1955 zu Recht feststellen: "Quoi qu'on ressente et quoi qu'on en souffre, la 28 AQ, Y-54-1, Jacques Tarbe de Saint-Hardouin, Aufzeichnung für Außen. minister Bidault, 20. Januar 1948. 27 Pressekonferenz des französischen Außenministersam 9. Mai 1950. 28 Vg!. hierzu Raymond Aron, David Lerner (Hrsg.): La querelle de la C.E.D., Paris, Armand Colin, 1956, 216 S.

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France et l'Allemagne sont desormais condamnees ci marcher la main dans la main, comme un alexandrin avec 1'autre2U."

tu Zit. in Joseph Rovan: Reflexions sur la crise allemande, Politique etrangere, 1, 1983, S. 39.

WESTDEUTSCHE KONZEPTIONEN ZUR LÖSUNG DER DEUTSCHEN FRAGE 1945-1949* Von Manfred Overesch Der 17. Juni wird heute nicht als Festtag nationaler Selbstfindung begangen, sondern als soziale Errungenschaft einer Wirtschaftsgemeinschaft deutschsprachiger Konsumenten genossen. Gründe sind in einer wachsenden Ungegenwärtigkeit seines Inhalts und einer dominanter werdenden Allgegenwärtigkeit individueller Lebensgestaltung zu begreifen. Die nationale Hypertrophie im Dritten Reich sowie 30 Jahre unerfüllter nationaler Hoffnungen - inzwischen zu Teilen einer in gesamtdeutscher Realität unerfahrenen Generation weitergereicht haben bei uns eine Erosion nationaler Bewußtseinsfähigkeit bewirkt, 30 Jahre wachsenden Wohlstands in weithin unbedrängter Freiheit die Selbstverständlichkeit privater Zu- und politischer Abwendung genährt. Dabei wurden auch Werte auf den Abfall der Geschichte geworfen, die früher auf ihrem Altar lagen. Zwei konträre Prozesse, eine sich steigernde nationale und politischmoralische Lethargie hier und ein zur Lebensqualität hochstilisierter Lebensgenuß, gelegentlich von erklärter Lebensangst begleitet, dort, haben Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland in eine Identitätskrise und ein Auftragsdilemma - zu denken ist an die Präambel des Grundgesetzes - geführt. Die Deutsche Frage muß neu ins Bewußtsein gehoben werden. Gründe dafür drängen sich auch durch das offensive Verhalten der DDR auf. Als die Ost-Berliner Staats- und Parteiführung die Feiern zum 30. Jahrestag ihrer Republik eröffnete, tat sie es am 18. November 1977 durch einen Artikel im "Neuen Deutschland", der in panegyrischer überhöhung ihre Selbsteinschätzung demonstrierte: "Die Deutsche

* Der Vortrag berücksichtigt nicht die alliierten Positionen in der Deutschlandpolitik. Er beachtet allein die Frage, ob die Deutschen selbst - trotz vorgegebener und von ihnen anerkannter funktionaler Abhängigkeit von den alliierten Siegern - eigene konzeptionelle Vorstellungen zur Lösung der Deutschen Frage unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt haben. Mit diesem Forschungsansatz wird auch ein politisch-didaktisches Problem aufgeworfen: Wie hielten es die Deutschen mit ihrer nationalen Einheit? Diese Frage erlaubt zum 30. Jahrestag des 17. Juni 1953 eine aktuelle Einleitung. '1 Deutschlandfrage

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Demokratische Republik und ihre Bürger spüren die Kraft, die ihnen aus großen Traditionen zufließt. Mit Gründung und Aufstieg der DDR, die selbst die größte revolutionäre Tat und die bedeutendste Kulturleistung der deutschen Geschichte darstellt, stehen wir auf einem historischen Grund, der fester ist als der jedes anderen deutschen Staates." Wohl bemerkt sei bei dieser fast dem perikleischen Hymnus auf das große Athen des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, nachzulesen bei Thukydides (I1, 35 ff.), vergleichbaren Ode ihre didaktische Implikation: die Staatsführung und "wir" - gemeint sind die DDR-Bürger - sind sich einig in ihrem Selbstverständnis. Seitdem haben wir das Preußenjahr erlebt, erfahren gerade den Versuch, Luther ins DDR-Geschichtsbild einzubeziehen, sehen ähnliche auf Bismarck und August den Starken ausgerichtete Bemühungen, behalten jene längst vereinnahmte Traditionskette, die mit Thomas Müntzer beginnt, in Marx ihren Gipfel erreicht und mit Ernst Thälmann noch nicht endet, ebenso im Gedächtnis wie die von der DDR reklamierten preußischen Reformer und Weimarer Geistesheroen und konstatieren daraus das Bemühen dieses deutschen Teilstaates, angesichts einer unmöglichen "territorialgeschichtlichen Selbstlegitimation"l mit selektiven und daher leicht zu einer positiven Traditionskette addierbaren Elementen der deutschen Geschichte sich als den besseren deutschen Kernstaatl darzustellen. Beim Betrachter möge sich dabei allmählich die mentale Bereitschaft einstellen, der DDR einen nationalen und damit auch gesamtdeutschen Leitcharakter zuzuerkennen, die Lösung der Deutschen Frage also östlich von EIbe und Werra in besseren Händen zu wissen. Westlich dieser Grenzflüsse ist jener gesamtdeutsche Schwung, wie wir ihn besonders zu Anfang der 50er Jahre finden, deutlich gemindert. Damals glaubte etwa die Züricher Tageszeitung "Die Tat" "Ein Rezept für die Wiedervereinigung Deutschlands", so die 'Überschrift ihres ArtiVgI. R. Lepsius: In: Deutschlandpolitik, Zur Sache 4177, Bonn 1977, S. 237, Diesen Anspruch erhoben schon W. Pieck und O. Grotewohl in ihren Antrittsreden am 11. und 12. Oktober 1949 auf der gemeinsamen Sitzung von Volks- und Länderkammer der DDR, s. Dokumente der DDR, Heft I, Berlin 1949, S. 9 ff. und 19 ff. Bundeskanzler Adenauer stellte dagegen in seiner Regierungserklärung (Sten. Berichte DBT 21. 10. 1949) fest: "In der Sowjetzone gibt es keinen freien Willen der deutschen Bevölkerung ... Die Bundes..., republik Deutschland ist ... bis zur Erreichung der deutschen Einheit insgesamt die alleinige legitimierte staatliche Organisation des deutschen Volkes." Diese Regierungserklärung mündete damals in die Forderung nach freien gesamtdeutschen Wahlen als Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands, das zentrale Thema der Jahre 1950-1952. Mit den beiden Reden Piecks und Grotewohls interpretierte sich die DDR schon 1949 selbst keineswegs als "eine erzwungene Nachgründung" (Nolte: Kalter Krieg, S. 258), als die sie sich später oft hinstellte. 1

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kels vom 13. März 1954, gefunden zu haben. Bei den Deutschen sollte zunächst einmal "der elementare, vulkanische, alle Hindernisse überflutende Wille zur Einheit" aktiviert werden; der könnte, wenn nicht gleich die staatliche Einheit erreichen, so doch zumindest die "Neuschaffung des geistigen Bildes als Gesamtnation" bewirken und damit die Deutschen abkoppeln von dem steten Nachvollzug alliierter Teilungswünsche und -zwänge. Im Inhalt gleich, nur in den Worten etwas zurückhaltender, hatte damals Tage zuvor Jakob Kaiser, der erste gesamtdeutsche Minister am Rhein, über den RIAS dazu aufgefordert, "die Wiedervereinigung Deutschlands zum Willenszentrum unseres Volkes" zu machen3 • Wenige Tage nach dem Züricher Zeitungsartikel ermunterte Bundespräsident Heuss den Minister, dafür eine Organisation zu schaffen: "das ganze Volk", so schrieb er ihm am 26. März, "will es4 ." Am 14. Juni 195~ wurde in Bad Neuenahr die "Volksbewegung für die Wiedervereinigung" gegründet, das "Kuratorium Unteilbares Deutschland". Bundeskanzler Adenauer schickte eine knappe Grußadresse5 • Das Tief des gescheiterten 17. Juni 1953 und der erfolglosen Berliner Außenministerkonferenz Anfang 1954 schien durch eine elementare Bewegung auffangbar, ja umkehrbar zu sein. Die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland gab durch ihren "Ostkundeerlaß" vom 13. Dezember 1956 didaktische Impulse, welche die Deutsche Frage pointiert in den Geschichtsunterricht tragen sollten6 • Doch die offizielle Politik vieler Entscheidungsträger 3 Bundesarchiv (BA) NL Kaiser 257: Rede über den RIAS 27.2.1954. Den Vorschlag, "aus der Gesamtheit unseres Volkes eine echte Volksbewegung herauswachsen" zu lassen, "die dem Willen der gesamten Nation zur Wiederherstellung unserer Einheit und Freiheit lebendigen Ausdruck verleiht", machte Kaiser erstmalig auf dem Bundesdelegiertentag der Deutsch-Baltischen Landsmannschaft in Würz burg am 8. 6. 1952, BA NL Kaiser 230. Eine solche Anregung lag in der Konsequenz seines politischen Eintretens für die deutsche Einheit, vgl. Kaisers Grundsatzrede vor der Parteitagung der CDUD im Berliner Admiralspalast am 16.6.1946: "Die deutsche Jugend wird uns einst verurteilen, wenn wir uns zu schwach, zu klein im deutschen Unglück erweisen, zu unfähig, aus dem deutschen Leid die Einheit zu retten und zu erhalten", BA NL Kaiser 257. Vgl. die Kaiser-Biographie von W. Conze, E. Kosthorst und E. Nebgen, 3 Bde., Stuttgart 1967-1969. 4 BA NL Kaiser 236: Heuss an Kaiser 26. 3. 1954. 5 Ebd.: Adenauer an Kaiser 11. 6. 1954. 6 Die Deutsche Frage wurde dabei als eine wesentliche Kampfzone des Kalten Krieges angesprochen: "Das gesamte Erziehungs- und Bildungswesen der Deutschen muß den Aufgaben gerecht werden, vor die unser Volk durch den Einbruch des Sowjetsystems in Mitteleuropa, durch die Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa und durch die Spaltung Deutschlands in einen westlichen und einen östlichen, unter den Einfluß des Sowjetsystems geratenen Teil gestellt worden ist. Das Schicksal Deutschlands und Europas wird wesentlich davon abhängen, ob es gelingt, diese Aufgaben zu meistern." Am 22.6. 1973, nach der neuen Ostpolitik der Regierung Brand/Scheel, nahm die

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rückte eine gesamtdeutsche Lösung nicht näher, sondern ferner. Die Weichen waren schon vorher anders gestellt, die weitreichenden Entscheidungen für zwei souveräne deutsche Teilstaaten 1954/55 vollzogen. Nationale Resignation trat an die Stelle nationaler Denk- und Gefühlsbereitschaft. Dafür spricht etwa der dem Deutschen Bundestag am 10. November 1967 vorgelegte Antrag des FDP-Abgeordneten Borm, den 17. Juni als Feiertag so lange wieder auszusetzen, "bis wir am End€\ unseres Weges sind und bis ein gesamtdeutsches Parlament diesen Feiertag ... wieder installiert"7. Zwar mochte die damals regierende Bonner Große Koalition so nicht entscheiden, aber Bundeskanzler Kiesinger wußte für die Lösung der Deutschen Frage in seiner Rede zum 17. Juni 1969 auch nur "lange Geduld und durchhaltende Energie"S zu empfehlen. Von da war es nur ein kleiner Bekenntnisschritt, den Bundeskanzler Schmidt nach der neuen Ostpolitik der Regierung Brandt/Scheel tat, als er am 17. Juni 1977 vor dem Bundestag bekannte, daß die "Lösung der Deutschen Frage in Form der Wiederherstellung eines früheren Zustandes nicht denkbar", gleichwohl aber "offen" seit. Statt sich auf die nationale Einheit zu konzentrieren, empfahl Schmidt, sich für jene Werte der deutschen Geschichte einzusetzen, für die u. a. der 17. Juni 1953 steht, für die freiheitliche Demokratie. Dazu bekannte sich auch der letzte Festredner dieses durch Bundesgesetz seit dem 4. August 1953 bestehenden Nationalen Feiertags, der Hamburger Herbert Weichmann, der 1982 vor dem Bundestag seine Rede mit dem Bemerken schloß: "Der 17. Juni ist kein Tag zusätzlicher Freizeitbeschäftigung, sondern die Dokumentation einer offenen Wunde und ein Anlaß des Nachdenkens über die Grundwerte unserer Gesellschaft, die wir schätzen und verteidigen müssen10 ." Diese einleitenden Bemerkungen sollten unsere Sensibilisierung für die Deutsche FrageU als notwendig unterstreichen. Ihrer Lösung sind wir seit der Gründung zweier deutscher Republiken eher ferner gerückt als näher gekommen. War das vor 1949 anders? Kultusministerkonferenz den Ostkundeerlaß mit dem Bemerken zurück, er sei in dieser Form "heute nicht mehr ... Grundlage von aktuellen Maßnahmen der Kultusverwaltungen der Länder". 7 Sitzungsbericht DBT 10. 11. 1967, S. 6741. S Sitzungsbericht DBT 17. 6. 1969, S. 13248. 9 Sitzungsbericht DBT 17. 6. 1977, S. 2454. 10 Sitzungsbericht DBT 17. 6. 1982, S. 6478. 11 Vgl. zur Deutschen Frage u. a. W. Marienfeld: Das Deutschlandproblem in seiner geschichtlichen Entwicklung, hrsg. von der Nieders. Landeszentrale für politische Bildung, Hannover 1981; Die Deutsche Frage. Materialien zur politischen Bildung, hrsg. von der Nieders. Landeszentrale für pol. Bildung, Hannover 1982; Deutschland im Spannungsfeld der Siegermächte (1945-1949), Materialien, hrsg. von J. Hoffmann und W. Ripper, Frankfurt 1982; M. Overesch: Deutschland 1945-1949, Königstein 1979.

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Die Münchener Ministerpräsidentenkonferenz wird gemeinhin als Krisis der deutschen Teilungsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg angesehen. Vorhergehende Einheitshoffnungen sieht man hier in Teilungsgewißheit umschlagen. Das Bekenntnis, welches der gastgebende bayerische Ministerpräsident Hans Ehard am Vormittag des 6. Juni zur offiziellen Eröffnung der Konferenz ablegte, könnte als Dokument ungebrochener nationaler Leidenschaft verstanden werden: "Trotz der Aufspaltung Deutschlands in vier Zonen geben wir keinen Teil unseres deutschen Vaterlandes auf. Trotz des Weggangs der Ministerpräsidenten der Ostzone bleiben wir auch diesem Teil Deutschlands zutiefst verbunden. Den deutschen Osten und Berlin betrachten wir als lebenswichtige Bestandteile Deutschlands. Vor allen Beratungen und Erwägungen wollen wir gemeinsam das Bekenntnis ablegen, in welchem sich der Herzenswunsch und die glühende Sehnsucht aller Teile Deutschlands zu Worten formt: Alle deutschen Länder sollen untrennbar sein, und gemeinsam wollen wir den Weg bauen für eine bessere Zukunft des einen deutschen Volkeg12." Doch dieses darf man nicht übersehen: Ehards pathetische Worte kontrastierten damals mit schlichter gesamtdeutscher Sprachlosigkeit, ja Sprechunwilligkeit. Wenige Stunden vor der offiziellen Eröffnung der Konferenz hatten die Bürgermeister Berlins und Bremens, Friedensburg und Kaisen, sowie Stuttgarts Regierungschef Maier die in dem Münchener Hotel "Schottenhami" noch anwesenden ostzonalen Länderchefs Hübener (Sachsen/Anhalt), Steinboff (Brandenburg) und Paul (Thüringen) zur Rückkehr in den Konferenzsaal zu bewegen versucht vergeblich, da diese an ihre SED-Marschroute gebunden waren. Lakonisch notierte damals Kaisen über den Vorgang: "Nach einigen Bemerkungen nachbarlicher Art über den Gartenzaun verabschiedeten wir uns13." Das war, man darf es nicht übersehen, der vorläufige Abschied, den Deutsche selbst von ihrer Einheit nahmen. Der gutnachbarliche Gartenzaun begann damals seine seltsame Wandlung bis zum heutigen feindlichen Metallgitterzaun mit Selbstschußanlagen. Kenntnis- und emotionslos, vielleicht auch irritiert, sicher aber ideologisch starr stand manch einer dem historischen Augenblick fern. Carlo Schmid z. B., als Vertreter Württemberg/Hohenzollerns Teilnehmer der Konferenz und durch seinen engen Kontakt mit der komplizierten französischen Besatzungsmacht für politische Kräfte und Situationen besonders sensibilisiert, hatte die Bemühungen seiner Kollegen gar nicht wahrgenommen. RIAS Tonarchiv. Bayer. GStA NL Pfeiffer 61: Vermerk Kaisens o. D. Vgl. zum Vorgang auch F. Friedensburg: Es ging um Deutschlands Einheit, Berlin 1971, S. 168 ff. Die wichtige Konferenz am Vorabend (5.6.1967) ist dokumentiert von R. Steininger: Zur Geschichte der Münchener Ministerpräsidentenkonferenz 1947, in: VZG 2311975, S. 375 ff. 12

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In seinen "Erinnerungen" bekannte er 1979: "Später war zu hören, daß einer der Herren aus dem Osten sich noch in seinem Hotel bereitgehalten habe, um die Beziehungen nicht völlig abbrechen zu lassen ... Ich habe nichts dergleichen wahrgenommen14 ." übergehen wir hier den bekannten, weil vielfach kommentierten und dokumentierten Verlauf der ergebnislosen Münchener Ministerpräsidentenkonferenz15 ; die teilnehmenden westzonalen Länderchefs waren in diesen Junitagen ohnehin von einem anderen Vorgang stark beansprucht. Die beiden angloamerikanischen Militärregierungen hatten in dem "Abkommen über die Neugestaltung der zweizonalen Wirtschaftsstellen" am 29. Mai die Weiterentwicklung, mehr noch die Politisierung der zwischen Bevin und Byrnes am 2. Dezember 1946 in New York vereinbarten und seit dem 1. Januar 1947 existierenden Bizone beschlossen. Auch wenn die amerikanische Proklamation Nr.5, die das alliierte Abkommen vom 29. Mai in einen Auftrag an die Deutschen umsetzte, erst am 10. Juni erging, war den westzonalen Ministerpräsidenten schon in München klar, daß man sich "in Kürze" wiedersehen werde. Man tat dies - übrigens in der bis dahin größten Personalbesetzung - am 15.116. Juni in Wiesbaden, ließ sich bei der Gelegenheit noch einmal von den Amerikanern sagen, "daß es höchste Zeit ist, die bizonalen Stellen ins Leben zu rufen", erfuhr vom Frankfurter Oberbürgermeister Kolb, daß dort seit Wochen "wirklich Tag und Nacht" an äußeren Vorbedingungen für den Zusammentritt des neuen Wirtschaftsrates gearbeitet würde, und beschloß, diesen am 25. Juni 1947 im Frankfurter Börsensaal zu konstituieren. Der Presse wurde zwar gesagt, "daß mit der Schaffung dieses Wirtschaftsrates der zukünftigen politischen Gestaltung Deutschlands in keiner Weise vorgegriffen wird", doch der normativen Kraft des Faktischen wollte sich schon damals niemand entziehen16 • Das melodramatische Urteil der "Süddeutschen Zeitung" vom 7. Juni über die Münchener Ministerpräsidentenkonferenz - "Es gehört zu der Tragik der Deutschen, daß sie in geschichtlichen Augenblicken nicht in der Lage sind, in gemeinsamen Schicksalsfragen einen gemeinsamen Nenner zu finden" - geht an der deutschlandpolitischen Konzeption und Handlungsbereitschaft der damals Beteiligten vorbei. Schon die C. Schmid: Erinnerungen, Bern / München 1979, S. 289. Maßgebend immer noch: Die Deutsche Ministerpräsidentenkonferenz in München, hrsg. von der Bayer. Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1947. W. Grünewald, Die Münchener Ministerpräsidentenkonferenz. Anlaß und Scheitern eines gesamtdeutschen Unternehmens, Meisenheim 1971. 18 Vgl. das Protokoll der Konferenz der Ministerpräsidenten der amerikanischen und britischen Zone am 15./16. Juni 1947 in Wiesbaden mit begleitenden Dokumenten, in: Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, III, München / Wien 1982, S. 131 ff. 14

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vorbereitenden Gespräche der Münchener Konferenz, beginnend mit Ehards Einladung am 7. Mai, hatten die Scheu des Westens vor politischen Gesprächen mit den ostzonalen Vertretern offenbart17 • Man schob die sicher wichtigen, aber eine erste nationale Begegnung aller Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht notwendig beherrschen müssenden wirtschaftlichen Fragen in den Vordergrund und alles andere an die Seite. Ehard, in seiner Verhandlungsführung am Abend des 5. Juni starr dieser Route folgend 18 , argumentierte mit zwingenden ökonomischen Präferenzen. Andere sahen in der Dominanz von Wirtschaftsfragen geradezu ein deutschlandpolitisches Konzept. Der Vorsitzende der westzonalen SPD, Kurt Schumacher, hatte seiner Partei und den ihr angehörenden Ministerpräsidenten in Vorbereitung der Münchener Konferenz am 31. Mai in Frankfurt diese Vereinigungsformel entwickelt: "Man muß soziale und ökonomische Tatsachen schaffen, die das Übergewicht der drei Westzonen über die Ostzone deklarieren ... Die Prosperität der Westzonen, die sich auf der Grundlage der Konzentrierung der bizonalen Wirtschaftspolitik erreichen läßt, kann den Westen zum ökonomischen Magnet machen. Es ist realpolitisch vom deutschen Gesichtspunkt aus kein anderer Weg zur Erringung der deutschen Einheit möglich als diese eine ökonomische Magnetisierung des Westens, die ihre Anziehungskraft auf den Osten so stark ausüben muß, daß auf die Dauer die bloße Innehabung des Machtapparates dagegen kein sicheres Mittel ist. Es ist gewiß ein schwerer und vermutlich langer Weg19." Diese ökonomische Konzeption zur Wiedervereinigung Deutschlands blieb lange Jahre eine deutschlandpolitische Formel des Westens, zu Anfang der 50er Jahre ergänzt durch die von der "Politik der Stärke". 1947 war sie untauglich. Die Münchener Konferenz hätte Höhepunkt einer ganzen Reihe gesamtdeutscher Bemühungen der Ministerpräsidenten sein können; sie hätte sich anderen, von Parteipolitikern getragenen, zuordnen lassen; 17 Vgl. die Sondierungs reise des Generalsekretärs des süddeutschen Länderrats, Erich Roßmann, in die SBZ vom 15.-20.5.1947, in: VZG 2311975, S. 454 ff. 18 "Vertrauliche Aufzeichnungen über die Münchener Konferenz" (CDU) beklagten Ehards "mangelnde diplomatische Elastizität in der Verhandlungsführung", BA NL Kaiser 176. Vgl. dazu das Konferenzprotokoll vom 5. 6. 1967 bei Steininger, a. a. O. 19 Abgedruckt in: W. Abelshauser: Zur Entstehung der "Magnet-Theorie" in der Deutschlandpolitik, in: VZG 27/1979, S. 661. Auch im Ausland vertrat Schumacher diese Wiedervereinigungsformel. So erklärte er vor dem Commonwealth-Club in San Francisco am 14. 10. 1947: "Eine vom Osten her betriebene Teilung Deutschlands kann nicht von Bestand sein. Die wirtschaftliche Belebung und Gesundung Westdeutschlands muß so nachdrücklich, schnell und überzeugend vor sich gehen, daß ihre Anziehungskraft auf Ostdeutschland unwiderstehlich wird", AsD Schumacher Q 5 H.

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diese hätten mit jenen das einigende Bemühen der Deutschen demonstrieren können. Doch all das ist irreal geblieben. Werfen wir einen Blick auf die Genese. Es begann im Spätherbst 1945 mit hessisch-thüringischen Kontakten20 • Hessen hatte nach seiner Gründung durch die Proklamation Nr.2 der amerikanischen Militärregierung vom 9. September 1945 als einziges Land eine unmittelbare Grenzberührung mit Ländern aller drei Besatzungszonen. Natürlicher Ansprechpartner im Osten war Thüringen. Thüringen war überhaupt das Land, mit dem Hessen die engsten Verbindungen besaß: man könnte sagen seit den Missionsreisen eines Bonifatius und der nachfolgenden politischen Durchdringung des Franken Kar! Martell in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Die vielfältigen Bande waren jetzt, 1200 Jahre nach ihren Anfängen, durch die im Londoner Protokoll der European Advisory Commission "betreffend die Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von Groß-Berlin" vom 12. September 1944 festgelegten Grenzen eher willkürlich zerschnitten worden. Der hessische Ministerpräsident Kar! Geiler hat sie neu zu knüpfen versucht; von wirtschaftlichen Kontakten ging er aus, zu politischen suchte er zu kommen. Den Anfang machte die östliche Seite. Am 30. Oktober 1945 konnte Geiler seinem Kabinett mitteilen, "daß ein Wirtschaftsbeauftragter von Thüringen zu ihm gekommen sei und gewissermaßen einen Handelsvertrag abschließen wolle". Gekommen war aus Weimar der Landesdirektor Fischer, Leiter des Wirtschaftsstabes der thüringischen Regierung. Als er 6 Wochen später ein zweites Mal zu Gesprächen nach Wiesbaden kam, brachte er einen Brief seines Ministerpräsidenten Rudolf Paul mit. Dieser dankte darin Geiler "für das Verständnis und Entgegenkommen ... , welches Sie der ersten Anbahnung von wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Hessen und Thüringen entgegenbringen". Etwas poetisch fügte er dann hinzu: "Es muß unser Bemühen sein, den ersten schmalen Steg für ein Hinüber und Herüber immer mehr und mehr zu verbreiten." Um dies zu realisieren, lud Paul Geiler zu einem baldigen Besuch Thüringens ein!1. Geilers Reise am 26.127. Januar 1946 nach Weimar war die erste offizielle eines Ministerpräsidenten in ein Land einer anderen Besatzungszone. Erst eine Woche nach dem thüringischen Treffen besuchten am 6. Februar 1946 die Oberpräsidenten Lehr und Kopf aus der briti20 Das Folgende ausführlich in: M. Overesch: Gesamtdeutsche Initiativen. Hessisch-thüringische Beziehungen 1945/46, in: Nassauische Annalen 9111980,

S. 247 ff.

21 Geiler nahm die Einladung am 19. 12. 1945 mit der Paul angetragenen Hoffnung an, "daß wir allmählich nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiete, sondern auch sonst zu zentralen Lösungen kommen", a. a. 0., S. 251.

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schen Zone ihre drei Kollegen der Länder der amerikanischen Zone in Stuttgart; Ende des Monats fand ein Gegenbesuch in Bremen statt2!. Man wird dabei nicht übersehen wollen, daß der in Stuttgart und Bremen geführte politische Gedankenaustausch ungleich freimütiger war als der in Weimar, aber er war auch leichter zu führen. Dennoch bleibt zu vermerken, was Paul bei seinem Gegenbesuch Ende April 1946 in Wiesbaden feststellte: "Ich bin überzeugt, daß es unseren gemeinsamen Bemühungen gelingen wird, die Verbindung zwischen GroßHessen und Thüringen wirtschaftlich und auch kulturell immer enger zu gestalten. Ich weiß mich mit Ihnen einig in der damit beabsichtigten Bestrebung des großen Ziels, die Einheit Deutschlands." In diese Bemühungen sind im Frühjahr 1946 zwei dramatasierende Akzente getragen worden: die Gründung der SED in der sowjetischen Besatzungszone und das amerikanische Angebot zur Gründung der Bizone im Westen. Zwei - zufällig zeitgleich auf den 17. Mai 1946 datierte - Stellungnahmen westzonaler Politiker belegen die unterschiedlichen Reaktionen auf die SED-Gründung. Der Leiter des Zentralamtes für Ernährung und Landwirtschaft in der britischen Zone, Hans Schlange-Schöningen, brachte von einer Informationsreise durch die SBZ den "in strengstem Vertrauen" an die britische Militärregierung gerichteten Rat mit: "So schmerzlich es für einen Ostmenschen ist, der seine Heimat verloren hat, muß ich aus diesen Erwägungen doch die klaren Schlußfolgerungen für den Rest meines Vaterlandes ziehen: es scheint mir keinen Zweck zu haben, sich von den Russen in endlosen Verhandlungen hinhalten und währenddessen die westlichen Zonen immer mehr schwächen zu lassen. Vielmehr habe ich die Überzeugung gewonnen, daß es vielleicht nach einem letzten kurzfristig begrenzten Verhandlungsversuch mit der Sowjetregierung, um die Schuldfrage zu klären, unbedingt notwendig ist, die drei Zonen im Sinne einer zielklaren Westpolitik zu organisieren ... , damit endlich ein wirtschaftlicher Aufbau möglich ist und auf diese Weise ein wirtschaftlich und politisch gesundender und fester Block gegen die russischen Bestrebungen geschaffen werden kann, der einen festen Anschluß an die westeuropäische Politik und Kultur findet23." Leicht kommt bei dieser Stellungnahme jener Brief Adenauers aus dem Oktober 1945 ins Gedächtnis, in dem der rheinische Politiker an den damaligen Oberbürgermeister von Duisburg, Weitz, schrieb: "Der nicht von Rußland besetzte Teil Deutschlands ist ein integrierender Teil Westeuropas24 ." Vgl. Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland I, S. 274 ff. Bericht Schlange-Schöningens über seine Reise nach Weimar, hrsg. von W. Abelshauser in: VZG 2711979, S. 670 ff. Einen ähnlich zu gewichtenden Rat zur Gründung eines westdeutschen Staates gab Roßmann nach der gescheiterten Münchener Ministerpräsidentenkonferenz der amerikanischen Militärregierung: BA NL Pollock, Roßmann an RGCO 9. 6.1947. 22

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Ganz im Gegensatz zu Schlange-Schöningen brachte Hessens Wirtschaftsminister Rudolf Müller, im Mai 1946 von einer ähnlichen Reise nach Thüringen zurückgekehrt, für die Wiesbadener Landesregierung den "beherrschenden Eindruck" mit, "daß die politische Führung in der Ostzone mehr Angst vor dem Gift des Westens (Demokratie) hat, als der Westen vor der sog. unvermeidlichen Entwicklung zum Kommunismus". Er schloß aus seinen Beobachtungen: "Die nackte Lebensfrage und Rettung des organischen deutschen Körpers müßte die letzte Energie eines jeden Politikers beanspruchen. So sehr es wichtig ist, zuerst im eigenen Hause Ordnung zu machen, so vital und prädominierend ist unsere Existenzfrage ... Wir müssen das Letzte preisgeben, um das Ganze zu retten25 ." Als die westlichen Alliierten die wirtschaftliche Vereinigung aller vier deutschen Besatzungszonen vorschlugen - McNarney tat dies am 20. Juli 1946 vor dem Berliner Kontrollrat - und offenbar wurde, daß die französische und sowjetische Macht26 sich einem solchen Schritt in dieser Form verweigern würden, war dies der zweite dramatische Akzent. Er gab die in den Berichten Schlange-Schöningens und Müllers zum Ausdruck kommende deutschlandpolitische Konzeptionskontroverse in ihrer Tatsächlichkeit und Ausschließlichkeit zu erkennen. Clay selbst offenbarte den Deutschen vor dem Stuttgarter Länderrat am 6. August unverhüllt die vorausweisenden Gefahren einer bizonalen Vereinigung für die gesamtdeutsche Zukunft: "This will be a more difficult problem than appears at first glance, because it is our purpose to integrate the economy of the two zones without their political unification. We would be apprehensive that a political unification of the two zones might actually retard the complete unification of all zones. It is obvious that the integration of the economy of the two zones without political unification will offer many difficulties27 ." Deutsche Politiker erkannten die Gefahren und suchten gegenläufige Handlungen einzuleiten. Am 11. August beschlossen die Ministerpräsidenten der britischen Zone anläßlich einer Konferenz in Hamburg, schnellstens "die Chefs der Länder der amerikanischen, russischen und U Zit. in: H. A. Jacobsen: Mißtrauische Nachbarn. Deutsche Ostpolitik 1919-1970, Düsseldorf 1970, S. 218. 25 Bericht des hess. Ministers Müller über seine Reise in die sowjetische Zone am 7. 5.-12. 5. 1946, in: HStA Wiesbaden NL Geiler 15. 28 Die Sowjetunion hatte gerade erst, am 5.6. 1946 (SMAD-Befehl Nr. 167), 213 der wichtigsten deutschen Betriebe in ihrer Besatzungszone in SAG umgewandelt, um auf diese Weise leichter Reparationen der laufenden Produktion entnehmen zu können, vgl. E. Gniffke: Jahre mit Ulbricht, Köln 1966, S.198. 27 Akten zur Vorgeschichte I, S. 639. Ähnlich erklärte sich Robertson vor dem Zonenbeirat am 14. 8. 1946 in Hamburg, ebd., S. 662 ff.

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französischen Besatzungszone zu einer gemeinsamen Tagung in der britischen Zone einzuladen"28. Unabhängig davon bekannte Geiler am 13. August anläßlich seiner dritten Begegnung mit Paul in Weimar in einem gemeinsamen, dem einzigen gesamtdeutschen Kommunique in den Jahren 1945 bis 1949, daß man jetzt "die Kräfte für ein einheitliches Deutschland und gegen die Trennung von Westen und Osten einsetzen" müsse29 • Der Plan einer ersten gesamtdeutschen Konferenz war geboren. Er erfuhr noch eine Beschleunigung und einen bewußt staats- und verfassungspolitischen Bezug, als Bymes - durchaus als Antwort auf Molotows Pariser Rede vom 10. Juli - am 6. September seine Stuttgarter Rede hielt. Jetzt hatten die Deutschen - dies bekannte Kaisen geradezu eine politische "Tagesordnung" für ihre Konferenz. Vor dem Bremer Senat erklärte er am 17. September, als die Einladungen an alle Teilnehmer einer vierzonalen Deutschlandkonferenz in der alten Hansestadt hinausgingen: "Die Besprechung wird sich hauptsächlich mit der Frage des Aufbaus einer Deutschen Regierung befassen." Diese Bremer Interzonenkonferenz vom 4./5. Oktober 194630 suchte als erste gesamtdeutsche Konferenz alle bisherigen Bemühungen der Ministerpräsidenten um den Erhalt der deutschen Einheit durch eine bewußt politische Konzeption zusammenzufassen. Molotows Pariser Rede vom 10. Juli - beginnend mit den Worten: "Es ist an der Zeit, daß wir die Zukunft Deutschlands und die Frage eines deutschen Friedensvertrages erörtem"Sl - und die Stuttgarter des amerikanischen Außenministers Bymes hatten - unbeschadet ihrer gegensätzlichen Ausgangspositionen 32 - zusätzliche Impulse für eine politische Aktivität der Deutschen freigesetzt. Hessens Ministerpräsident Geiler hielt Ende September in einer Aktennotiz fest, daß man in Bremen unter dem Tagungsmotto "Einigkeit, Recht und Freiheit" debattieren müsseS3• Unter diesem im Helgoländer Exil 1841 von Hoffmann von Fallersleben notierten nationalen Bekenntnis sollte über wirtschaftliche, politische und kulturelle Einheit, 28 HStA Hannover Nds. Z 50 Ace. 32/63 Nr.69 I: Konferenz der Ministerpräsidenten der britischen Zone am 11. 8. 1946 in Hamburg. 29 Overesch: Gesamtdeutsche Initiativen, S. 256. so Die Einzelheiten der Bremer Konferenz in: M. Overesch: Der historischpolitische Stellenwert der Bremer Interzonenkonferenz vom Oktober 1946, in: Bremisches Jahrbuch 59/1981, S. 57 ff. 31 J. Warburg: Deutschland Brücke oder Schlachtfeld, Frankfurt 1948, S. 366 ff. 32 Der Westen hat durchaus registriert, daß Molotow in Paris einen Coup gestartet hatte, um sich "als der große Vorkämpfer von Deutschlands Einheit" (Walter Lippmann in: "New York Herald Tribune" 19.7. 1946; ähnlich der Londoner "Economist" am 27.7. 1946) zu empfehlen. S3 Akten zur Vorgeschichte I, S. 878, Anm. 1.

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über "Durchführung des rechtsstaatlichen Gedankens und Wahrung der Rechtseinheit" , über Freizügigkeit, Meinungs- und Pressefreiheit und "insbesondere Bekämpfung jeglicher politischen und wirtschaftlichen Monopolbildung" gesprochen werden. Natürlich konnte, ja mußte eine so ausformulierte Konferenzthematik Anstoß erregen, besonders bei der französischen und sowjetischen Militärregierung und der letzterer folgenden SED. Geilers Pläne blieben vielleicht deswegen unter Verschluß; an ihre Stelle traten Überlegungen des niedersächsischen Ministerpräsidenten Kopf unter dem Titel "Möglichkeiten der Bildung einer zentralen deutschen Regierungsgewalt unter Zugrundelegung der Stuttgarter Rede des amerikanischen Außenministers Byrnes"34. Byrnes hatte in Stuttgart bekanntlich vorgeschlagen, "daß die Alliierten dem deutschen Volk unverzüglich die wesentlichen Friedensbedingungen klarmachen sollten" und "daß die vorläufige Regierung aus einem deutschen Nationalrat bestehen soll, der sich nach demokratischen Prinzipien aus verantwortlichen Ministerpräsidenten oder anderen leitenden Beamten der verschiedenen Länder und Provinzen zusammensetzt". Die Bremer Konferenz tagte nur zweizonal. Nach anfänglichen Zusagen der Ministerpräsidenten Hübener und Paul und einer vagen Steinhoffs kamen am 27./29. September aus der sowjetischen Besatzungszone Absagen, begründet mit dringenden Einsätzen für die in der SBZ bevorstehenden Kreis- und Landtagswahlen. In Bremen beschloß man, trotz der enttäuschenden Absagen zu tagen, "als ob alle vier Zonen zugegen wären", und ließ symbolisch zwei Stühle leer. "Denn", so erklärte Kaisen auch später vor der Presse ("Die Welt", 8.10.1946), "wir wollten nicht beraten, was unter der Voraussetzung stand, irgendwelche Sonderwünsche für eine oder zwei Zonen zu realisieren, sondern wir wollten die deutschen Fragen auf einer neuen Basis behandelt sehen, eben der Basis der deutschen Einheit." Die Presse der sowjetischen Zone kam bei ihrer Berichterstattung über die Bremer Konferenz in Schwierigkeiten. Das "Neue Deutschland" ergriff am 11. Oktober die Flucht nach vorn, qualifizierte die Tagung als "Föderalisten-Konferenz" ab, würdigte die Teilnehmer zu "aufgeblasenen Bürokraten" herab und warf ihnen vor, sie "spielten mit dem Schicksal der deutschen Nation". Vehement machte das Blatt dagegen die SED zur Sachwalterin der deutschen Einheit, zur Sprecherin der deutschen Nation. Ihre Forderung nach einem "gesamtdeutschen Volksentscheid über die zukünftige staatsrechtliche Gestaltung Deutschlands" - Molotows Pariser Rede entlehnt -legte sie der Öffentlichkeit vor und erklärte gleich die für den 13. und 20. Oktober angesetzten Wahlen in der östlichen Zone und die Stadtratswahlen in Berlin zu 34 Einzelheiten bei Overesch: Der historisch-politische Stellenwert, S. 77 f.

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"Wahlen zu einer Volksabstimmung über die Einheit Deutschlands". Da die Zeitung die SED ausdrücklich zur Vorkämpferin erklärte "Keine Partei kämpft so entschlossen ... für die wirtschaftliche und politische Einheit Deutschlands" -, war diese vor ein demokratisches Votum gestellt. Das Ergebnis war dekuvrierend. In keinem Land bekam die SED die absolute Mehrheit, obwohl doch nicht von einer konkurrierenden SPD bedrängt, in Berlin erhielt sie nur 19,8 Ofo, die dort ebenfalls kandidierende SPD dagegen 48,7 Ofo. "J e stärker sie (sc. SED) aus den Wahlen hervorgeht", so hatte am 11. Oktober der Schlußsatz des ND-Artikels gelautet, "desto besser wird es um die Zukunft Deutschlands bestellt sein." Der Wähler war nicht dieser Meinung. Die Bremer Interzonenkonferenz ist gescheitert. Dennoch hat sie einen großen Stellenwert in der deutschen Nachkriegsgeschichte, zeigt sie doch einen so nicht noch einmal demonstrierten Willen der westzonalen Ministerpräsidenten, zu einer politischen Konzeption für die Einheit Deutschlands zu kommen. Diesen Willen demonstriert zu haben war Kaisens vorrangige Absicht, "denn", so gab er der Öffentlichkeit am 8. Oktober bekannt ("Die Welt"), "unsere Zukunft wird nicht allein durch die materiellen und verwaltungsmäßigen Zugeständnisse entschieden ... , sondern mehr durch den geistigen Beitrag, den wir selbst leisten". Geistige Beiträge für die Einheit Deutschlands haben nach Bremen verschiedene Seiten zu erbringen versucht. Genannt seien hier herausragende, z. B. die Initiative für organisierte Vorbereitungen zu einem deutschen Friedensvertrag. Sie wurde am 11. Dezember 1946 in Berlin vom Generalsekretär des süddeutschen Länderrates, Erich Roßmann, und dem ehemaligen deutschen Botschafter in Moskau, Rudolf Nadolny, ergriffen. Beide hatten bemerkt, daß seit dem Sommer 1946 "pilzartig an vielen Stellen Deutschlands" Bemühungen um deutsche Friedensvertragsvorbereitungen eingesetzt hatten. Sie beschlossen, diese zu koordinieren und die amerikanische Besatzungsmacht zu bitten, "beim Kontrollrat um die Genehmigung zur Errichtung einer offiziellen Stelle zur Vorbereitung eines deutschen Friedensvertrages einzukommen". Die Bemühungen führten am 15. April 1947 zur Gründung des Deutschen Büros für Friedensfragen, in Stuttgart von den süddeutschen Ministerpräsidenten Ehard, Maier, Stock und Kaisen vollzogen 35• Man wollte diesem zunächst als "Research Center" gedachten Büro bald die Qualität eines gesamtdeutsche Fragen behandelnden Amtes zuweisen. Aus dieser Absicht ist zu verstehen, daß für die Münchener Konferenz Hannovers Ministerpräsident Kopf den Vorschlag mitbrachte, ein solches 1I5 Zur Tätigkeit des deutschen Büros für Friedensfragen, vgl. H. Piontkowitz: Anfänge westdeutscher Außenpolitik, Stuttgart 1978.

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deutsches Friedensbüro als gesamtdeutsche Institution ins Leben zu rufeniMI • Friedensvertrag und gesamtdeutsche Regierung waren die nach Art eines Junktims miteinander verbundenen beiden Ausdrucksformen gesamtdeutscher Wiedergeburt. Deswegen sei darauf verwiesen, daß zeitlich parallel zu Roßmanns Initiative für eine Gründung des Deutschen Büros für Friedensfragen der Berliner Bürgermeister Ferdinand Friedensburg unter dem 27. Dezember 1946 "Vorschläge für die personelle Zusammensetzung einer zukünftigen deutschen Regierung" notierte. Die Vorschläge37 waren, wie es in ihnen einleitend heißt, "unter dem obersten Grundsatz aufgestellt, führende Männer von hervorragenden Fähigkeiten, ausreichend fachlichen Erfahrungen und zuverlässiger demokratischer Haltung vorzuschlagen, wobei nur Persönlichkeiten in Betracht kommen, die zu keiner der Besatzungsmächte in irgendeinem Gegensatz stehen". Man strebte an, "die vier großen politischen Parteien etwa nach ihrem Gesamtstärkeverhältnis zu berücksichtigen". Bei den jeweils mit Alternativen gemachten Personalvorschlägen für den Regierungschef und 14 Minister waren Mitglieder der CDU, SPD, der SED, der LDP und ein Parteiloser berücksichtigt. Das wichtigste Amt, das des Kanzlers, sollte entweder Jakob Kaiser (CDU) oder Paul Löbe (SPD) übernehmen. Otto Grotewohl war als Arbeitsminister vorgesehen, Ulbricht nicht berücksichtigt. Mit Jakob Kaiser wird hier eine Person erstmalig genannt, deren Name schlechthin für gesamtdeutsche Konzeptionen steht38 • Zu erinnern wäre schon an eine seiner ersten Reden nach dem Zweiten Weltkrieg, an die vom 16. Juni 1946, als er vor der Parteitagung der Christlichdemokratischen Union im Berliner Admiralspalast mahnte: "Die deutsche Jugend wird uns einst verurteilen, wenn wir uns zu schwach, zu klein im deutschen Unglück erweisen, zu unfähig, aus dem deutschen Leid die Einheit zu retten und zu erhalten " 311. Für diesen Willen steht besonders sein Plan einer nationalen Repräsentation, den er und Ernst Lemmer auf der ersten Sitzung des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft der Christlich-demokratischen und Christlich-sozialen Union Deutschlands in Berlin am 13. März 1947 vortrugen40 • Adenauer hatte damals an der Berliner Tagung wegen einer Grippeerkrankung nicht teilnehmen können. Obwohl sein Vertreter Holzapfel - zugleich in der 86 HStA Hannover Nds. Z 50 Ace 32/63 Nr.45 I: Aktenvermerk Kopfs vom 30. 5. 1947 und Brief Kopfs an alle Ministerpräsidenten vom 5. 6. 1947. 37 BA NL Friedensburg 33. 38 Vgl. die Biographie von W. Conze, Jakob Kaiser, Bd. 3: Politiker zwischen Ost und West, 1945-1949, Stuttgart 1969. 311 BA NL Kaiser 257. 40 BA NL Kaiser 83: Protokoll der Konferenz vom 13.-15. 3. 1947.

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Eigenschaft eines Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses der CDU in der britischen Zone - dem Plan ausdrücklich zustimmte und eine Entschließung befürwortete, "welche die Notwendigkeit einer Gesamtvertretung des deutschen Volkes begründet", trat die CDU nicht sehr aktiv für eine nationale Repräsentation ein. Schumacher trat nachdrücklich gegen sie auf41 • Er sah in der nationalen Repräsentation ein unzumutbares, weil die SPD in der sowjetischen Besatzungszone geradezu verratendes Entgegenkommen der SED gegenüber, eine Einladung an eine Partei zu gesamtdeutscher Aktivität, die so etwas als kommunistische Machtergreifung begriff. Für diese Einschätzung der SED durch Schumacher spricht sein gesamtes politisches Auftreten, vernehmbar z. B. seiner Rede vom 14. August 1947 auf dem Berliner Hansaplatz, in der er mit der gerade ihm eigenen Bonmot-haften Konzentration auf das Wesentliche erklärte: "Wir haben den echten Separatismus hier im Osten erlebt. Das deutsche Volk will zueinander, aber die deutschen Kommunisten, das sind die Separatisten der Ostzone ... Und da erklären wir deutschen Sozialdemokraten, wir wollen die demokratische deutsche Republik, aber wir wollen nicht die Volksrepublik Sepistan42 ." Kaisers Vorstellung von einer nationalen Repräsentation zielte auf die Parteien; andere dachten eher an Verbände oder gar eine Volksbewegung. So brachten der ehemalige Minister der Weimarer Republik, Andreas Hermes, und der Diplomat Nadolny Ende 1947 eine "Gesellschaft für die Wiedervereinigung Deutschlands" ins Gespräch; sie wurde erst am 21. Januar 1950 in Bad Homburg gegründet, fand aber trotz hochrangiger Mitarbeiter (u. a. Friedrich Meinecke, Gertrud Bäumer, Franz Blücher, Carlo Schmid und Heinrich Lübke) nie eine genügende Resonanz und wurde später vom "Kuratorium Unteilbares Deutschland" aufgesogen43 • Ende 1947 kulminierten alle Bemühungen um eine gesamtdeutsche Lösung noch einmal - scheinbar. Die Konferenz der alliierten Außenminister in London (25. November bis 15. Dezember) war dafür der Anlaß. Beschwörend hatte Roßmann im Berliner Tagesspiegel vom 11. No41 Vgl. etwa Schumachers frühe Ablehnung im Parteiorgan "Sozialdemokrat" vom 22.3.1947: "So lange in der Ostzone die SPD verboten ist ... ". Da Schumacher außerdem den an einer nationalen Repräsentation zu beteiligenden Ministerpräsidenten jede "Aktivlegitimation" für gesamtdeutsche Handlungen absprach, qualifizierte er den Kaiser-Vorschlag häufig als "Muddel" ab, so in seinem Referat vor einer Konferenz sozialdemokratischer Redakteure in Hannover am 30.11.1947, AsD NL Schumacher Q 5 H. Vgl. die grundlegende Monographie von M.-E. Foeltz-Schroeter: Föderalistische Politik und nationale Repräsentation 1945-1947, Stuttgart 1974. 42 RIAS Tonarchiv. 43 Eine wissenschaftliche Beachtung der "Gesellschaft für die Wiedervereinigung Deutschlands" ist noch nicht erfolgt, s. daher vorläufig eine Sammlung von Materialien in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes NL Nadolny 4 und 5.

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vember 1947 geschrieben: "Historische Stunden im Leben einer Nation kann man nicht herbeirufen. Sie kommen in der Stunde der Erfüllung, im Auftrage einer höheren Notwendigkeit, oder sie kommen überhaupt nicht. Sind sie aber da und werden sie nicht wahrgenommen, dann bringt sie keine Ewigkeit zurück." Distanzierter als Roßmann und mit einer eigenartig aufgesetzt wirkenden Leidenschaft hatte der Vorsitzende der CDU der britischen Zone, Konrad Adenauer, vor dem Zonenbeirat in Hamburg am 24. November gesagt: "Ich finde, daß uns Deutsche der Gedanke an die Londoner Konferenz, an das, was jetzt in London über das deutsche Geschick entschieden oder nicht entschieden wird, tagtäglich erfüllen muß, daß das das Wesentlichste und Wichtigste ist, was es jetzt für jeden Deutschen gibt44 ." Beide formulierten hier nur Alibis für die Geschichtsbücher. Klagend hatte Jakob Kaiser am 30. November 1947 bei einer Rede in Herne an die Adresse der Deutschen gesagt: "Wir sind nicht naiv genug, um nicht zu wissen, wie sehr Deutschlands Schicksal von der Verständigung der Weltmächte abhängt. Aber unabhängig von den Weltmächten, unabhängig von ihren Auseinandersetzungen gibt es ein Recht und eine Pflicht der Deutschen, ihren Willen zur Einheit zu wahren und diesen Willen zu bekunden. Daß das in der Zeitspanne, die uns zwischen Moskau und London noch gegeben war, in nicht genügender Weise geschehen ist, gehört zu den Schwächen unseres zerrissenen Volkes45 ." Die mißglückte Berliner Wannsee-Konferenz vom 9. November 1947, bei der gleichsam nationale Repräsentanten Deutschlands noch einen "Aufruf zur Einheit" formuliert, damit aber auch gesamtdeutsche Bemühungen beendet hatten, gab Kaiser recht. Hübener, einer der Initiatoren dieser letzten gesamtdeutschen Konferenz vor der Teilung, beschwor vor dem Landtag in Halle am 2. Dezember 1947 noch einmal das deutsche Drama: "Es hat bei uns jeher zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West, auch echte, ernste und wohlbegründete weltanschauliche Gegensätze gegeben ... Sollen wir ihnen wiederum völkertrennende Bedeutung zuerkennen? Sollen wir aus Angst vor ihnen auf die Gemeinschaft der Nation verzichten? Nein und abermals nein48 !" 44 Akten zur Vorgeschichte III, S. 871: Rede Adenauers vor dem Zonenbeirat 24.11. 1947. Realistisch schätzte Schumacher die Lage ein: "Wenn jetzt die Londoner Konferenz etwa scheitern sollte, dann würde - politisch und rechtlich - eine Trennung Deutschlands vollzogen werden, eine Trennung in Ost und West", Schumacher 30. 11. 1947, AsD NL Schumacher Q 5 11. Auffällig ist die sich hier aussprechende, geradezu fatalistische Wandlung Schumachers, der doch in seiner ersten Nachkriegsrede in Hannover am 6.5.1945 selbstbewußt erklärt hatte: "Wir können und wollen nicht das autokratisch gehandhabte Instrument eines fremden imperialen Interesses sein", AsD NL Schumacher Q 5 1. 45 BA NL Kaiser 148: Jakob Kaiser: Hat Deutschland eine Zukunft? Rede in Herne 30. 11. 1947.

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Die Deutschen haben zu dieser trennenden Entwicklung ihre Hand gereicht. In der sowjetischen Besatzungszone wurde der "Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden" zum 6.17. Dezember 1947 einberufen und damit der Weg zur Gründung einer östlichen Deutschen Demokratischen Republik beschritten. Im Westen wurde ein ähnlicher Weg zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. Am 4. November 1947 diskutierte der Süddeutsche Länderrat eine Denkschrift des ersten Ministerpräsidenten von Thüringen nach dem Zweiten Weltkrieg, Hermann Brill, in der dieser empfahl, den westlichen Alliierten den Vorschlag zu unterbreiten, "daß die deutschen Regierungen zu kühnen und weittragenden Entschlüssen bereit sind, und daß sie keineswegs nur die Wiederherstellung eines status quo ante in Deutschland erstreben ... Wenn, wie vorauszusehen ist, die Durchsetzung einer gesamtdeutschen Politik nicht erreicht werden kann, sollten die Regierungschefs darauf hinweisen, daß für die deutschen Weststaaten ein neues staatsrechtliches Provisorium geschaffen werden muß"47. Wieder einmal wurde in der deutschen Geschichte ein November politisch entscheidend. Was ihm 1948/49 folgte, war nur der Vollzug des zuvor Entschiedenen, emotional dem Westen durch die Berliner Blokkade erleichtert. Ein Handlungsraum war den Deutschen 1945-1947 kaum von den Alliierten geöffnet, es sei denn, man entnimmt der in diesen Jahren noch unentschiedenen sowjetischen Deutschlandpolitik Möglichkeiten. Jakob Kaiser hat im November 1947 das Fatale der Situation mit dem Sinn für die historische Dimension des Augenblicks ausgesprochen: "Deutschland wird nicht dadurch gesunden, daß man der marxistischen Gefahr ein liberales System entgegenstellt und dann zwischen beiden eine Mauer errichtet. Östliche und westliche Besatzungsmächte müssen den Weg freigeben zur eigenen Auseinandersetzung im deutschen Volk selbst48 ." Die Alliierten haben diesen Weg nicht freigegeben, aber die Deutschen haben ihn auch nicht nachhaltig erstrebt, zumindest nicht vor 1949. Als Bonn zum ersten Mal den Nationalen Gedenktag beging, am 7. Septem48 HStA Wiesbaden NL Geiler 23: Landtagsrede des Ministerpräsidenten Erhard Hübener vom 2.12.1947: "Londoner Konferenz - Einheit Deutschlands und der Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden". 47 BA NL Brill 110: Vorschläge für eine deutsche Stellungnahme zur Londoner Konferenz 4. 11. 1947 mit Sitzungsprotokoll der Ministerpräsidentenkonferenz. Brills Buchenwalder Mithäftling und Mitautor des Buchenwalder Manifestes "Für Frieden, Freiheit, Sozialismus", Ernst Thape, hatte seine Eindrücke von einer Reise aus Sachsen/Anhalt nach Baden-Baden im Frühsommer 1947 so zusammengefaßt: "Ich hatte auf dieser Reise ... den Eindruck, daß sich das Wort ,Deutschland' immer leiser anhört, je weiter man nach Südwesten kommt. In der französischen Zone ... vernahm ich es überhaupt nicht mehr", BA NL Brill 28 a: Thape an Brill4. 7. 1947. 48 BA NL Kaiser 148: Rede Kaisers in Herne 30.7. 1947. 8 Deutschlandfrage

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ber 1950, klagte Bundespräsident Heuss darüber, daß "die Geschichtsmelodie Deutschland zerbrochen" sei4U • Seiner musischen Ausdrucksweise folgend muß man allerdings auch sagen, daß der nationale cantus firmus kein typisch deutscher Gesang ist. Die Ungunst der geographischen Lage im Zentrum Europas, die imperiale Weitung und Verpflichtung seit der Kaiserkrönung Ottos I. 962, die partikularistische Zersplitterung seit dem Statutum in favorem principum Friedrichs II. 1231, der mißglückte bürgerliche Revolutionsversuch 1848/49 und die mehrschichtig belastete Phase von 1871 bis 1945 haben den Deutschen kein natürliches nationales Bewußtsein vermittelt. Unter den nochmals erschwerten Bedingungen der Katastrophe von 1945 einen wirkungsvollen geistigen Beitrag der Deutschen zu ihrer nationalen Einheit zu erwarten wäre deswegen wohl unrealistisch gewesen.

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tag.

steno Berichte DBT 7. 9. 1950, S. 1210: Heuss vor dem Deutschen Bundes-