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German Pages 692 [674] Year 2009
Deutscher Humanismus 1480⫺1520 Verfasserlexikon Band 1
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Herausgegeben von Franz Josef Worstbrock
Band 1 A⫺K
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Lieferung 1 (2005): Adelmann von Adelmannsfelden, Bernhard ⫺ Burkhard von Andwil Lieferung 2 (2006): Buschius, Hermann ⫺ Engel, Johannes Lieferung 3 (2008): Engelbrecht, Philipp ⫺ Gratius, Ortwinus Lieferung 4 (2008): Gresemund, Dietrich ⫺ Kruyshaer, Johannes
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die 앪 US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-020639-5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2008 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: META-Systems, Wustermark Druck: Mercedes-Druck GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Fuhrmann GmbH & Co. KG, Berlin
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A Adelmann von Adelmannsfelden, Bernhard 1 . L eb en . Geboren am 27. Mai 1459 in Schechingen oder Neubronn (Ostalbkreis), aus einem väterlicherseits schwäbischen, mütterlicherseits fränkischen, in der Umgebung von Aalen begüterten Adelsgeschlecht stammend, dessen Mitglieder im 15./16. Jh. im Dienst süddeutscher Territorialfürsten, in Domkapiteln oder Ritterorden nachweisbar sind, so Bernhards Brüder Johann († 1515) als Deutschordensmeister oder Kaspar († 1541) und Konrad († 1547) als Eichstätter bzw. Augsburger Kanoniker. 1472 als canonicus ecclesie Eystetensis in Heidelberg immatrikuliert, 1476 an der Univ. Basel bezeugt, 1481/82 Studium in Ferrara; kein akademischer Abschluß. Seit 1486 Mitglied des Eichstätter Domkapitels; mehrfach Vertreter des Bistums auf Ständeversammlungen und bei diplomatischen Missionen; 1498 Domherr in Augsburg und Propst des Stiftes St. Gertrud; seit 1505 als summus scholasticus Oberaufsicht über die Kleriker der Augsburger Domschule; 1515 Kantor in Eichstätt; 1505 und 1517 als Kandidat für den Augsburger Bischofsstuhl gehandelt. Seine Unterstützung für Johannes J Reuchlin, seine Gegnerschaft gegen Johannes J Eck und seine Sympathien für Luther verwickeln ihn in die Auseinandersetzungen um die frühe Reformation. Sein Name wird von Eck in die päpstliche Bannbulle ‘Exsurge Domine’ gegen Luther (1520) aufgenommen. Von der Androhung des Banns kann er sich nur befreien, indem er seine Treue zur alten Kirche versichert (Absolutionsdekret 9. Nov. 1520), was ihn nicht hindert, weiter Luthers und seiner Freunde Sache anzuhängen. Tod am 16. Dez. 1523 in Eichstätt. Michael J Hum-
melberg verfaßte auf A. ein Epitaph (Clm 4007, 151v). A.s Büchersammlung befand sich, neben anderen älteren durch Kauf erworben, angeblich noch “beinahe vollständig” in der Kloßschen Bibliothek, die 1835 versteigert wurde (Serapeum 2 [1847] 370). 2 . Wer k. Spätestens in Basel kommt A. mit den Anfängen des Humanismus nördlich der Alpen in Berührung; in Italien lernt er ihn in seiner vollen Entfaltung kennen. Angesichts dieses Maßstabs bleibt er skeptisch gegenüber den deutschen Universitäten, in denen vor allem die bonae litterae wenig angesehen seien (an Reuchlin 1484). A. tritt nicht als Verfasser eigener literarischer oder wissenschaftlicher Werke hervor (ein scheinbar entgegenstehendes Zeugnis widerlegt Marti´nek); er beruft sich auf das sokratische scio me nihil scire (an Reuchlin, 3. Nov. 1490; vgl. Pirckheimer an A., Nov. 1516), sondern vor allem als Briefschreiber. Er ist Briefpartner zahlreicher humanistischer Gelehrter vor allem im süddeutschen Raum. Dabei schreibt er einen gewandten lat. Stil, der seine Briefe, obwohl er sie, anders als viele Zeitgenossen, nicht planmäßig sammelt, zu einem repräsentativen Corpus früher humanistischer Sodalität macht. Vor allem die Briefwechsel mit Bohuslav von J Hassenstein (den er seit Ferrara kennt) und Willibald J Pirckheimer (dessen Vater Johannes Kanzler des Bischofs von Eichstätt war) spiegeln humanistischen Freundschaftskult im Austausch über persönliche Lebensumstände, größere und kleinere Erlebnisse, Nachrichten über Bekannte, Freunde und Gegner, Reisen, Gelesenes, Lektürewünsche, gemeinsam interessierende wissenschaftliche oder literarische Themen, poli-
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Adelmann von Adelmannsfelden, Bernhard
tische, später dann zunehmend auch religiöse Fragen. Distanziert gegenüber naturwissenschaftlichen Fragen, interessiert er sich besonders für die humanarum literarum studia, verteidigt mit den üblichen Argumenten die Poeten (an Reuchlin 1484) und fördert vor allem lat. Übersetzungen von Werken aus der christlichen griech. Spätantike. Seine Briefe zeigen A. als unermüdlichen Vermittler von Büchern, als Anreger von Übersetzungen (auch aus dem Italienischen) und als Herausgeber der Werke anderer, schließlich als Widmungsträger gelehrter, später auch religiöser Schriften (Heinrich J Bebels ‘De laude, antiquitate, imperio, victoriis, rebusque gestis veterum Germanorum’; W. Pirckheimers Plutarch-Übersetzung ‘De vitanda usura’; seine Übersetzung [ps.]-platonischer Dialoge; verschiedene Übersetzungen des Oecolampadius aus dem Griechischen, dessen Schriften über Beichte und Eucharistie). Man bemühte sich um A.s Hilfe bei der Suche nach Druckern oder um seinen Schutz gegen Kritiker und Konkurrenten. Nicht immer waren die Versuche erfolgreich (so nicht bei Nikolaus J Ellenbogs ‘Epitome platonica’). A. nennt Reuchlin seinen præceptor (1484). Er gehört mit einigen Klerikern (u. a. seinem Bruder Konrad) und Patriziern (u. a. Konrad J Peutinger) dem Augsburger Humanistenzirkel an. Diese Sodalitas Augustana scheint aber kaum eine feste Institution, eher eine recht lockere Verbindung gewesen zu sein (M¸ller). Sie tritt bei Peutingers Publikation röm. Inschriften im Augsburger Raum (1505) auf – in der hsl. Fassung des Werks (Clm 4028) findet sich sogar ein Epigramm aus A.s Feder, das wie fast alle übrigen empfehlenden Verse im Druck fehlt ⫺, dann in den ‘Sermones convivales’, die Peutinger, ebenfalls 1505, im Druck bekannt macht. 1507 sorgt A. in ihrem Namen für die Veröffentlichung des ‘Ligurinus’ (D Gunther von Pairis). Sonst aber fehlen Nachrichten vom Wirken der Sodalitas. A.s Briefwechsel belegt eher Animositäten gegen den archigrammateus Peutinger, die sich mit beider unterschiedlichen Positionen in der Zinsdebatte, später auch wohl im Zuge der religiösen Auseinandersetzungen verschärfen.
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1514 ist A. einer der viri illustres aus ganz Europa, deren Briefe gesammelt herausgegeben werden, um Reuchlin in seinem Streit mit J Pfefferkorn und den Kölner Dominikanern zu stützen, und denen 1515/16 die J ‘Epistolae obscurorum virorum’ folgten. In seinen letzten Lebensjahren steht A. in Kontakt mit Luther, Oecolampadius, dem späteren Basler Reformator, und anderen Gefolgsleuten der neuen Lehre. Seine Pfründen erlauben A. wie Konrad J Mutian ein otium cum dignitate, das nur selten wegen kirchlicher, politischer oder diplomatischer Aufgaben (z. B. 1492 im Auftrag des Eichstätter Bischofs am englischen Hof) unterbrochen wird. Aus den Lebensumständen eines adeligen Domherrn, der von seinen Pfründen lebt, erklärt sich seine Gegnerschaft zu den Repräsentanten einer neuen Wirtschaftsform in der Augsburger Kaufmannschaft, besonders zu den Fuggern; er wendet sich, zumal in seinem Briefwechsel mit Pirckheimer, gegen deren Versuche, Gelehrte für eine Lockerung des kanonischen Zinsverbots einzuspannen (wie Eck 1514 in der Augsburger Disputation; dagegen 1515 die A. gewidmete Übersetzung Pirckheimers von Plutarchs Schrift ‘De vitanda usura’). A. äußert schon früh Kritik am Niedergang der Kirche; 1517 plant er, seine Pfründen aufzugeben und in ein Kloster einzutreten. Durch das Auftreten Luthers sieht er sich bestätigt. Ecks Bemerkung, nur einige canonici indocti unterstützten Luther, versteht er als auf sich gemünzt. Er befördert 1519 Oecolampadius’ Gegenschrift über die ‘Indocti canonici Lutherani’, die auch in die Volkssprache übersetzt wird, zum Druck. Das Werk wird A. selbst zugeschrieben, was das Klima weiter vergiftet. Wo Eck mit doctus die wissenschaftlich-theologische Ausbildung meint (die A. zeitlebens fehlte), ist für A. und seine Freunde doctus auf antikes Bildungswissen bezogen. Nachdem er u. a. mit Hilfe der bayerischen Herzöge die Absolution vom Bann erhalten hat, bricht er die Beziehungen zu den Reformatoren keineswegs ab. Sein Tod bewahrt ihn davor, in der sich verschärfenden Auseinanderset-
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Aedicollius, Servatius
zung deutlicher Stellung beziehen zu müssen – wie sein Bruder Konrad, der zuletzt als Anhänger der alten Kirche Augsburg sogar verlassen muß. Ausgaben der Korrespondenz A.s. EllenbogBr. (Reg.); Hassenstein-Br. (Reg.); Pirckheimer-Br., Bd. 2⫺5 (Reg.), Bd. 3, Abb. 1: Autograph; Reuchlin-Br., Bd. 1 (Reg.); E. Staehelin (Hg.), Briefe u. Akten z. Leben Oekolampads, Bd. 1 (QF z. Reformationsgesch. 10) 1927 (ND New York/London 1971), Reg.; Thurnhofer, S. 146 f. (drei Briefe A.s von 1521 an Capito). ⫺ A. Schrˆder, Der Humanist Veit Bild, Mönch bei St. Ulrich, Zs. d. hist. Ver. f. Schwaben u. Neuburg 20 (1893) 173⫺227, Regesten (S. 192, 202⫺206, 211, 218). Literatur. F. A. Veith, Bibliotheca Augustana, Bd. 2, Augsburg 1786, S. 1⫺17; H. A. Lier, Der Augsburger Humanistenkreis mit bes. Berücksichtigung B. A.s v. A., Zs. d. hist. Ver. für Schwaben u. Neuburg 7 (1860) 85⫺108; A. Schrˆder, Die Verkündung d. Bulle ‘Exsurge Domine’ durch B. Christoph v. Augsburg 1520, Jb. d. Hist. Ver. Dillingen 9 (1896) 144⫺172; F. X. Thurnhofer, B. A. v. A., Humanist u. Luthers Freund, 1900; A. Bigelmair, Ökolampadius im Kloster Altomünster, in: Beitr. z. Gesch. d. Renaissance u. Reformation. Fg. Joseph Schlecht, 1917, S. 14⫺44; J. Zeller, Die Brüder B., Konrad u. Kaspar A. v. A. als Stiftsherren v. Ellwangen, Ellwanger Jb. 8 (1922/23) 75⫺84; Th. Neuhofer, Gabriel v. Eyb, Fürstbischof v. Eichstätt 1455⫺1535, 1934 (Reg.); A. Reimann, Die älteren Pirckheimer, 1944 (Reg.); G. S. Graf Adelmann v. Adelmannsfelden, in: NDB 1, 1953, S. 60 f.; R. Obermeier, Die Univ. Ingolstadt, 1959, 64⫺67; F. Zoepfl, Das Bistum Augsburg u. seine Bischöfe im Reformationsjh., 1969, S. 5⫺7 u. 19⫺23; J. Marti´nek, De falsa litterarum gloria Bernhardo Adelmanno adficta, Listy Filologicke´ 108 (1985) 204⫺217; E. Bernstein, in: DDL, Forsch.lit., Bd. 2, 1985, S. 41⫺45; ders., in: DDL, Autorenlex., Bd. 1, 1991, S. 183 f.; J. P. Wurm, Joh. Eck u. d. obd. Zinsstreit 1513⫺ 1515, 1991 (Reg.); J.-D. M¸ller, Konrad Peutinger u. d. Sodalitas Peutingeriana, Pirckheimer-Jb. 12 (1997) 167⫺186.
Jan-Dirk M¸ller
Adelphus J Muling, Johan Adelphus Aedicollius (Edicolius, Huylsberch), Servatius I . L eb en . Nach den Daten, die das von Johannes J Murmellius verfaßte Epitaph festhält
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(s. II.4.), ist als A.’ Geburtsjahr 1483 anzusetzen. Er stammte aus Köln. Wie sein Bruder Johannes besuchte er die Schule des Alexander D Hegius in Deventer. Am 21. April 1497 schrieb er sich in Köln für das Studium der Artes ein (Serv. Modiatoris; zum Namen s. Matr. Köln, Bd. 2, S. 421; Bd. 3, S. 537); am 3. Juni 1499 erwarb er das Baccalaureat. Weitere akademische Grade sind nicht greifbar; er selbst führt in seinen Veröffentlichungen und den wenigen bekannten Briefen keinen akademischen Titel. Zwar spricht ihn Hermann Torrentinus, Lehrer in Zwolle, 1510 brieflich als bonarum artium insignis professor an (s. II.5.b), doch läßt sich daraus nicht, wie Hartzheim meinte, auf ein akademisches Lehramt schließen. Ähnlich nennt ihn Johannes J Butzbach um 1510 artium liberalium [...] professor insignis, und er will wissen, daß unter A.’ Leitung sein jüngerer Bruder Heinrich sich in Münster an lat. Gedichten versuchte (Krafft/Crecelius) − ungewiß, zu welchem Zeitpunkt. Spätestens 1508 scheint A. in Deventer ansässig geworden zu sein (vgl. die Zuschrift seines Kommentars zu Petrarcas ‘Bucolicum carmen’ an seinen Bruder [II.1.]). Er verfaßte seither Schultexte, lieferte auch empfehlende Carmina zu etlichen in Deventer gedruckten Schulausgaben (s. II.5.) ⫺ Indizien, die das Zeugnis von Murmellius’ Epitaph bestätigen, daß er in Deventer an der renommierten Schule bei St. Lebuin Lehrer war ([...] Dauentrie [...] diatribe decus, Scholasticorum doctor humanissimus). Zeitweilig, zumindest 1510, arbeitete er in Deventer auch als Korrektor bei Pafraet; Torrentinus bat ihn damals um sorgfältige Betreuung des Druckes seines neuaufgelegten Kommentars zum 1. Buch des ‘Doctrinale’ D Alexanders von Villa Dei (s. II.5.b). A.’ Bruder Johannes, der längere Zeit in Soest tätig war, wo er die Vorlage für seine Ausgabe von Plutarchs Cicero-Vita (lat. von Leonardo Bruni; Köln 1506. VD 16, P 3775) fand, ist später, durch den Kolophon der 1516 bei Alb. Pafraet erschienenen Ausgabe von Mancinellis ‘Speculum de moribus et officiis’ (NK 1461), ebenfalls als Korrektor bei Pafraet bezeugt.
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Aedicollius, Servatius
Beide Aedicollius waren mit Murmellius befreundet, besonders eng Johannes, der den Druck u. a. von Murmellius’ Boethiusausgabe und -kommentar betreute. Nähere Verbindungen bestanden in Deventer selbst zu J Bartholomaeus Coloniensis, zuvor schon zu Johannes J Caesarius, der 1504 seinem Kölner Schüler Servatius seine kommentierte Ausgabe von Clichtoveus’ ‘Fundamentum logice’ widmete, und zu Andreas J Canter, dem Johannes in der Widmungsepistel zur Ausgabe von Plutarchs Cicero-Vita durch seinen Gönner Heinrich Einhorn Grüße ausrichten ließ, auch zu Johannes Scheckmann in Trier (J Enen, II.3.), dem Johannes 1515 seine Ausgabe der Epigramme des Prosper von Aquitanien zueignete (Deventer: Alb. Pafraet, 1515, NK 1764); an Trierer Beziehungen läßt auch Servatius’ Willibrord-Vita mit dem Agritius-Hymnus (s. II.4.) denken. Dem Caesarius verdankte Servatius vielleicht seine Griechischkenntnisse, die ihn zur Übersetzung der ‘Batrachomyomachia’ (s. II.2.) befähigten.
Er starb 33jährig am 11. Juli 1516. I I. Sc hr if te n. 1. Kommentar zu Petrarcas ‘Bucolicum carmen’. A. versah seine kritisch gearbeitete Ausgabe von Petrarcas ‘Bucolicum carmen’ mit einer Vita Petrarcas, der freilich ganz die Petrarca-Vita des Girolamo Squarzafico zugrundeliegt, und mit einem Kommentar, der, statt sich mit einer trivialen grammatikalischen Texterklärung zu begnügen, dem Wunsch des Bruders folgend sich v. a. an einer Auslegung versucht, die den allegorischen Sinn der 12 Eklogen zu erschließen trachtet. Drucke. Francisci Petrarche poete | laureati bucolicum Carmen | opera eruditissimi viri Seruacij Agrippini dili⫽|genter recognitum et accuratius explanatum. Deventer: Jak. de Breda, 19. Mai 1508. NK 1702. Geiss, S. 218 f. Eine um Petrarcas ‘Carmen ad Mariam Magdalenam’ und ein Epigramm von Murmellius vermehrte Ausgabe erschien 1512 in Deventer bei Alb. Pafraet. NK 1703. Geiss, S. 219 f. Ausgabe des Widmungsbriefs an Johannes A. und der Petrarca-Vita bei Mezzanotte, S. 171⫺ 175.
2. Übersetzung der ps.-homerischen ‘Batrachomyomachia’. A.’ Versübersetzung des komischen, die ‘Ilias’ parodierenden Tierepos (387 Hex.: inc. Gestio ranarum murum quoque dicere
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pugnas) ist nach der des Carlo Marsuppini, die seit dem Wiener Druck von 1510 unter J Reuchlins Namen ging, die zweite. Sie entstand mit offensichtlicher Kenntnis ihrer Vorgängerin. Widmungsvorrede an den Priester Gerard Hasselt (o. D.): Die scherzhafte Dichtung solle die adolescentes anziehen, um sie dadurch zu Höherem zu stimulieren, den Adressaten Hasselt aber in seinen ernsteren Studien erholsam erheitern. Drucke. Batrachomyiomachia [!] | Homeri per Seruatium Aedicollium Agrippi⫽|num in latinos versus tralata. Paris: Jod. Badius Ascensius, [um 1510]. Drei weitere Drucke in Deventer, 1512 bei Jak. de Breda, 1514 u. 1516 bei Alb. Pafraet. NK 1109, 3182, 3183.
3. ‘Vater unser’-Auslegung. Eine kurze Glossierung der einzelnen Bitten des ‘Pater noster’ mit einer weiteren Auslegung von der letzten Bitte an rückwärts. In der Zuschrift der anspruchslosen, einer einfachen pastoralen Unterweisung dienlichen Blätter an Gerard Hasselt (o. D.) erläutert A. sein Anliegen, den Inhalt einer jeden Bitte des oft nur noch gedankenlos gesprochenen Gebets wieder bewußt und lebendig zu machen. Druck. Oratio dominica com|pendijs scholijs Per Seruatium | Aedicollium Agrippinum illustra⫽|ta: cum venusta eiusdem | orationis explicati|one finis ad | initium. Holzschnitt: Sanctus Seruatius. Deventer: Alb. Pafraet, 1517. NK 1633.
4. ‘Vita Willibrordi metrica’. Anfang 1516 schloß A. eine in 346 Hexameter gefaßte Vita Willibrords, des Apostels der Friesen und ersten (Erz-)Bischofs von Utrecht, ab. Die in der hagiographischen Forschung anscheinend kaum bekannte Vita fußt in ihrem biographischen Grundriß auf D Alkuins oder D Thiofrids Willibrord-Viten, ist aber um neue Züge angereichert, besonders um solche, die teils in Deventer, teils in Trier von Interesse waren. Erst bei A. sind Werenfrid und Marcellinus (Marcelmus) genannt, die in der Region Deventer zu Willibrord als Helfer bei der Missionierung Frieslands gestoßen seien (v. 212⫺219) ⫺ Marcellinus fand später in Deventer seine Grabstätte ⫺, und erst bei A. ist unter den Reliquien,
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Agricola Iunior, Rudolf
mit denen Willibrord von Rom zurückkehrte, ein Kleid Marias, zu dessen Aufbewahrung er in Trier eine Marienkirche erbaut und dieser auch den ‘hl. Rock’ Christi (J Enen) übergeben habe (v. 181⫺201). Die Vita ist mit humanistischer Routine verfaßt, regelmäßig mit sprachlichen wie technischen Anleihen bei der klassischen Epik verwoben, nimmt zugleich aber betont Distanz von jeglicher antiken Dichtung. Auch sie sollte, mit Zeilendurchschuß gedruckt, wohl nur ein Schultext sein, steht in Anspruch und Umfang hinter den metrischen Viten Alkuins und Thiofrids beträchtlich zurück. A. stellte seiner Vita einen Auszug aus dem Willibrord-Kapitel von Bedas ‘Historia ecclesiastica gentis Anglorum’ (V 11: Postquam per annos aliquot [...] tota mente suspirans) und eine Widmung an den kirchlichen Richter Wilbrord Bonyngerhoff (7. Jan. 1516) voran und ließ ihr seinen Hymnus auf den hl. Agritius, den ersten Erzbischof von Trier, folgen (11 ambrosian. Hymnenstrr.). Den posthumen Druck beschließt Murmellius’ Epitaph auf A. Druck. Seruatii Aedicollii | Agrippini: de vita Sancti Wil⫽|brordi primi et vltimi archi⫽|episcopi Traiectensis | carmen hexame⫽|trum. | Eiusdem de sancto Agritio archi⫽|episcopo Treuerorum hymnus. Deventer: Alb. Pafraet, [um 1517]. NK 2235. 5. Kleine Carmina. A. trug zu etlichen Drucken, an denen er aber offenbar keinen editorischen Anteil hatte, insgesamt sieben begleitende Hexasticha, Ogdoasticha oder Decatosticha bei, die sich in den hier nicht aufgeführten Nachdrucken, teilweise aber auch in anderen Drucken, gleichlautend wiederholen: a) Dietrich J Ulsenius, ‘De s. Judoco hymnus’. [Deventer: Rich. Pafraet, um 1509]. NK 3999; b) Hermann Torrentinus, Kommentar zum 1. Buch des ‘Doctrinale’ Alexanders de Villa Dei. Deventer: R. Pafraet, 7. März 1510. NK 86; Bl. [P8] die Bitte des Torrentinus an A. um sorgsame Überwachung des Druckvorgangs; c) Aldus Manutius, ‘De constructione verborum’. Deventer: Theod. de Borne, 18. April 1510. NK 66; d) Johannes Sulpitius Verulanus, ‘Carmen de facetia mensae’. [Deventer: Jak. de Breda, um 1510?]. NK 1964; e) Baptista Mantuanus, ‘Georgius’. Deventer: Theod. de Borne, 1511. NK 4119; f) Cicero, ‘Epistulae familiares’. Deventer: Alb. Pafraet, 1513. NK 2642; g)
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Baptista Mantuanus, ‘De patientia’. Deventer: Alb. Pafraet, 1515. NK 212; h) Johannes J Reuchlin, ‘Scaenica progymnasmata’. Deventer: Alb. Pafraet, 6. Okt 1515. NK 1794. Literatur. J. Hartzheim, Bibliotheca Coloniensis, Köln 1747, S. 295; Krafft/Crecelius, Mitt., S. 253 f.; D. Reichling, Joh. Murmellius, sein Leben u. seine Werke, 1880 (ND 1963), S. 17, 86, 98, 101, 113, 152; G. Mezzanotte, Una nuova testimonianza della fortuna petrarchesca nei Paesi Bassi, Hum. Lov. 29 (1980) 166⫺175; Geiss, Petrarca-Rezeption, S. 65⫺67.
F. J. Worstbrock
Aesticampianus J Rhagius Aesticampianus, Johannes, J Sommerfeld, Johannes Agricola Iunior (Hydroburgius Rhaetus, Wasserburgensis), Rudolf I . L eb en . A. versah seinen Namen mit der Ergänzung Iunior zur Unterscheidung von dem älteren Rudolf D Agricola aus Friesland. Lebensdaten lassen sich aus den akademischen Nachrichten sowie aus Drucken und bes. aus den Briefen an Joachim J Vadian gewinnen.
Das Geburtsdatum A.s, der aus Wasserburg am Bodensee stammt, ist unbekannt. In einem Brief an Vadian (20. Aug. 1519) schreibt er von einer fast fünfjährigen gemeinsamen Schulzeit mit Heinrich Loriti Glarean (*1488) in Rottweil, der dort ca. 1501 bis 1506 von Michael Rubellus unterrichtet wurde (s. F.-D. Sauerborn, Zs. f. württ. Landesgesch. 54 [1995] 63). Anschließend ging A. über Leipzig nach Breslau; hier war Laurentius J Corvinus (1462⫺1527) sein Lehrer. 1510 wurde er an der Univ. Krakau als Rudolphus Johannis de Constantia immatrikuliert, war dort u. a. Schüler des Michael (Falkener) von Breslau und des Paulus Crosnensis und wurde 1511 Baccalaureus artium. Das Magisterium hat er offensichtlich nie erworben, auch später wird er in den universitären Akten als poeta geführt. Krakau bleibt mit Universität und polnischem Königshof auf Dauer der wichtigste Ort für A. Am nächsten stand ihm dort sein Schüler und späterer Freund Valentin J Eck, der wie A. (s. u. II.B.3.) im Contubernium Germa-
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Agricola Iunior, Rudolf
norum lebte. Von Krakau aus unternahm A. 1513 und 1514 Reisen nach Ungarn. Während der zweiten Reise versuchte er sich bei Kardinalbischof Thomas Bako´cz in Gran (E´sztergom) und als Schulmeister bei der Kathedralkirche zu etablieren, wird aber schon im WS 1514/15 in Wien immatrikuliert. Hier wohnte er bei Vadian, den er schon mindestens seit 1511 kannte; schon in den aus 1511 erhaltenden ersten Briefen wird der dann nie abreißende Kontakt nicht gänzlich neu geknüpft. Während des Wiener Fürstentages 1515 beteiligte er sich als Angehöriger der Universität an den Begrüßungsreden für die Fürsten und lernte andere humanistische Literaten kennen, darunter Johannes Dantiscus. Höchstwahrscheinlich verband sich mit diesem Ereignis auch A.s Dichterkrönung. 1516 nahm er an Johann Ecks Wiener Disputation teil; in A.s Begleitung reiste Eck am 20. Aug. nach Ingolstadt zurück. 1516/17 unternahm er eine Reise nach Mähren, über die wir durch einen Brief des Marcus Rustinimicus aus Olmütz an Vadian unterrichtet sind. Von hier aus kehrte er zurück nach Krakau. Hiermit verband sich die begründete, aber vage Hoffnung auf ein Stipendium der polnischen Bischöfe, zumal durch den mehrmals als Adressat von Gedichten und Widmungen auftretenden B. Petrus Tomicki von Przemys´l, Primas und Vizekanzler von Polen. 1519 wurde A. Praeceptor der italienischen Begleiter der aus Mailand kommenden polnischen Königin Buona Sforza. Gleichzeitig nannte er sich in Briefen und wurde er in Drucken lector ordinarius Cracoviensis genannt und widmete Krakauer Bürgern von ihm veranstaltete Editionen. Doch war seine Situation offensichtlich unbefriedigend; an Vadian, mit dem er im Febr. 1519 die Salzbergwerke in Wieliczka besuchte, schrieb A. im selben Jahr von seinem Wunsch, Krakau zu verlassen, und versuchte, in der Schweiz materielle Unterstützung zu erlangen. 1518/ 19 wechselte er (nicht erhaltene) Briefe mit Melanchthon. Am 8. März 1521 starb A. in Krakau, das genaue Datum ist durch einen hsl. Vermerk in dem Bauch vorliegenden Exemplar des Gedächtnisdruckes überliefert, den Ulrich Fabri für A. heraus-
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gegeben hat, und wird gestützt durch einen Brief des Sebastian Stainhofer an Vadian vom 10. März 1521 (Vadian-Br., Nr. 248). In den Briefen an Vadian wird der personale Umkreis A.s sichtbar. Bereits 1511 empfahl er Vadian einen Georg Strölin als Astronomiestudenten und den St. Galler Sebastian Grubel, diesen folgte 1519 und 1520 eine Empfehlung für Ludwig Oechslin (Bovillus). 1514 überbrachte A. einen Brief von Stephan J Taurinus an Vadian. In Krakau wurde er 1517 von Kaspar Ursinus Velius (um 1493⫺1539) besucht, im Dezember wünschte er sich von Vadian dessen Poetik und die (noch nicht erschienene) Ausgabe des Pomponius Mela und ließ insbesondere Georg J Tannstetter, Wolfgang Heiligmair und den Drucker Hieronymus Vietor (1497 in Krakau immatrikuliert) grüßen. Aus Krakau unterichtete A. Vadian über dessen Verwandtschaft (Konrad, Hektor, Melchior und Benedikt von Watt) und weitere Freunde.
I I. We rk . Neben den spärlichen eigenen Schriften war das Hauptarbeitsgebiet A.s in Krakau und Wien die Herausgabe von Schriften der unterschiedlichsten Autoren für Vorlesungen in Zusammenarbeit v. a. mit den Druckern Florian Ungler und Hieronymus Vietor. Grimms Annahme, daß A. selbst als Drucker gearbeitet hätte, ist nicht gesichert (vielleicht ein Trugschluß aus dem Zusatz ex officina [litteraria] zu Datierungen in zwei Ausgaben, die bei Ungler in Krakau [II.B.4.a] bzw. bei Vietor in Wien erschienen [II.B.11.]). Seine Ausgaben sind weniger philologisch denn als Vermittlungsleistungen, u. a. für selten rezipierte Dialoge und Komödien italienischer Humanisten (II.B.2., 15. u. 16.), verdienstvoll (s. Bauch, 1892, S. 8). Als zweiter Schwerpunkt kann ein geographisch-naturkundliches Interesse gelten. Unter die von A. besorgten Ausgaben werden in II.B. solche Drucke gestellt, die einen Widmungsbrief, der als solcher für editorische Initiative spricht, enthalten oder durch ein Titelepigramm A.s als einzige Zutat auf seine Mitarbeit schließen lassen. Mit kleinen begleitenden Carmina hat A. nicht nur seine Ausgaben ausgestattet, sondern auch zu anderen Druckwerken beigetragen, die kurz unter II.C. verzeichnet sind. Ein nahezu vollständiges Werkverzeichnis gibt Vredeveld, S. 733⫺739.
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Agricola Iunior, Rudolf
A . E ig en e S ch ri ft en . 1. ‘De divo Casimiro’. Dem Lehrer Paulus Crosnensis gewidmete Elegie über den 1484 gestorbenen Sohn Kg. Kasimirs, dessen Heiligsprechung durch Kg. Sigismund betrieben wurde (s. Bauch, 1892, S. 8). Druck. De Divo Casimiro, regio Poloniae et Lithuaniae principis, signis ac miraculis clarissimo [...] carmen elegiacum. [...]. Krakau: Florian Ungler, 1511. Panzer, Ann. VI, 433, 43 (kein Ex. ermittelt).
2. Briefwechsel zu philologischen und geographischen Fragen mit Vadian. Aus Gran, wo er als Schulmeister arbeitete, schickte 1514 A. Vadian die im Titel des Druckes genau aufgeführten Fragen, die ihn mit Vadians Antworten zu einem Beispiel eines über die Ferne geführten gelehrten Dialogs als Ersatz für ein gemeinsames Gespräch machen. Mit einbezogen wurde als Widmungsempfänger und zugleich censor des Buches Kaspar Ursinus Velius. In der Folge wurden die Briefe den geographischen Schriften Vadians beigegeben. Drucke. Habes lector: hoc libello. | Rudolphi Agricolae Iunioris Rheti, ad Io/|achimum Vadianum Heluetium Poetam Laureatum, Episto/|lam, qua de locorum non nullorum obscuritate quaestio fit | et percontatio. [...]. Wien: Joh. Singriener, 1515. VD 16, A 1132. ⫺ Wiederabdruck in Vadians Ausg.n des Pomponius Mela (Wien 1518 u. Basel 1522; VD 16, M 2310 u. 2314) sowie in einer Solinus-Ausg. Basel 1557 (VD 16, S 6970), S. 764⫺ 767.
3. Empfangsrede für Petrus Tomicki und ‘Silvula’ für Matthäus Lang. Im Namen der Universität begrüßte A. anläßlich des Wiener Fürstentags 1515 den polnischen Vizekanzler und damaligen Bischof von Przemys´l, Petrus Tomicki. Er beschreibt seinen Bildungsweg in Krakau und Italien, preist ihn als Beispiel an Gelehrsamkeit, Tugend und als Förderer der Wissenschaften. In der ‘Silvula’ (61 Dist.) an Kardinal Matthäus Lang rühmt er dessen Gelehrsamkeit, seine Qualität als Ratgeber Maximilians und seinen Sinn für die Dichter.
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Drucke. a) Oratio ad reverendissimum in Christo patrem, dominum Petrum Tomitium [...] episcopum Premisliensem […] per Rudolfum Agricolam iuniorem Rhetum die xviii. Iul. Anno M.D.XV. viennensis universitatis nomine habita. Cum eiusdem carmine sapphico ad […] M. Michaelem Vratislaviensem: liberalium artium ac sacrarum litterarum doctorem in alma universitate Cracoviensi. Wien: Joh. Singriener, 1515. VD 16, A 1134 u. 1135 (kein Ex. ermittelt); b) Pro reverendissimo in christo | patre, D. domino Matheo | Langio episopo Gur/|censi sacrosanctae | Romanae eccle|siae cardinales siluula | per Rudolfum Agrico/|lam Rhetum Hydroburgium. Wien: Hier. Vietor, 26. Febr. [1515]. VD 16, A 1136. Dasselbe mit Datum 29. Febr. [!]. VD 16, A 1137. c) Orationes Viennae Austriae | ad Diuum Maximilianum Caes. | Aug. aliosque illustrissimos Princi/|pes, habitae. In celeberrimo | trium Regum ad Caes. Conuentu. Anno. | M.D.XV. Wien: Hier. Vietor, 1516. VD 16, K 2559. Sammlung der im Namen der Universität gehaltenen Reden zur Begrüßung der Fürsten, hg. vom Rektor der Universität, Christoph Kulber, und Matthäus Lang gewidmet (1. Okt. 1515). Mit A.s Rede an Petrus Tomicki (Q ijr– [Q4]r) und dem Carmen auf Matthäus Lang ([Q4]v–R ijv).
4. ‘Congratulatio’ an Sigismund von Herberstein. An ein Lobgedicht des Johannes Dantiscus anschließend thematisiert A. die Wappenbereicherung durch Ks. Maximilian, nachdem sich Sigismund und sein Bruder Georg beim Bauernkrieg in Steiermark, Kärnten und Krain ausgezeichnet hatten. Deutungen der Verbesserungen, Glückwünsche zur Heimkehr aus Rußland, Wortspiele mit dem Namen, Elegie auf Krain. Eine zweite Elegie gilt der patria Herbersteins. Drucke. Ad magnificum dominum Sigismundum de Erberstain, Equitem Auratum, Consilia|rium et Oratorem Inuictissimi Max|imiliani Caesaris semper Au|gusti, ad Serenissimum Sigismundum | Polonie | Regem etc. | et magnum Moschorum ducem. Ioannis Dantisci | Soteria. Krakau: Joh. Haller, 1518. IA 149.997. Erneut in: Gratae posteri|tati sigismundus liber baro in her-|berstain Neyperg et Guettenhag [...]. Wien 1558 (Vredeveld, Nr. 1.09.02) u. 1560 (VD 16, H 2201).
5. ‘Paraceleusis’. Panegyricus auf die königliche Braut Buona Sforza mit einem Lob der ihr entgegengeschickten Gesandten, B. Johannes
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Lubranski von Posen, B. Erasmus Ciołek (Vitellius) von Płock, Christoph Szydlowiecki, Lukas von Gotka, Kastellan von Posen. Gewidmet dem Sekretär Ciołeks, Carolus Antonius Moncinereus aus Bologna (s. Bauch, 1892, S. 28 f.). Druck. Illustrissimae reginae Bonae | Paraceleusis ad R. Episcopum | Plocensem per Agricolam, | [...]. Krakau: [Joh. Haller], 1518. Vredeveld, Nr. 1.10.01.
6. ‘Institutiones vitae’. Sammlung und Bearbeitung moralischer Sentenzen (v. a. aus dem Kommentar des Robert von Euremodio zu den ‘Disticha D Catonis’). Zwei Widmungsbriefe, an den Krakauer Ratsherrn Severin Boner (ermuntert durch Nikolaus Salomon und Jost Ludwig Decius) sowie an Nikolaus Salomon. In einer Elegie stellt A. die ‘Institutiones’ diesem als Vorbild hin. Einen weiteren Brief richtet er an Andreas Salomon, der vor fast 10 Jahren mit ihm in Krakau Philosophie studiert, dann aber einen guten Teil Europas bereist habe. Mit poetischen Beigaben sind vertreten: Ludwig Oechslin (Hendecasyllabon), Andreas Eck, Bernhard Flachsbinder Dantiscus; Martinus Haczius empfiehlt Buch und Verfasser dem Graner Domherren Gregor von Peel. Nachschrift an die Schüler Bovillus, Eck, Flachsbinder, Zinck, Hieronymus Grubel und den Bruder Bartholomäus (Bauch, 1892, S. 33 f.). Druck. Institutiones vite: fusiorisque | eloquii: omnibus morum: latineque lingue | candidis dilectoribus vtilissime˛. Ex Roberto de Euremodio, | ce˛terisque claris scriptoribus, Rudolpho Agricola | Iuniore poeta, a Ce˛sare Maxi. coronato | auctore, mira diligentia congeste˛. Krakau: Joh. Haller, [1519]. IA 101.799.
7. ‘Hymnus de divo Stanislao’. Hymnus an den Märtyrer Stanislaus, den A. dem Heiligen in der Zeit zunehmender Krankeit gelobt hatte. A., der hier einer Anrufung Apolls, der Musen und anderer Götter absagt, verzichtet entsprechend auch auf das gewohnte antike Kolorit (vgl. Vredeveld, S. 733). Widmungsbrief an Christoph Szydlowiecki (Krakau, 28. Juli 1519). Druck. Hymnus de diuo | presule et Mar⫽| tyre Stanislao: tutelari Polo⫽|niae patrono, per
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Rudolfum Agricolam poe/|tam a Caesare laureatum aeditus. Krakau: Hier. Vietor, 1519. IA 101.800. B. Herausgeber. 1. Breuiloquium Bonauenture. | [...]. Krakau: Florian Ungler, [1511]. Vredeveld, Nr. 3.3.01.01. Titelepigramm (9 Dist.) und Widmungsgedicht A.s (Carmen in praeconium artis impressoriae) an B. Matthias von Przemys´l. 2. Maffeo Vegio, Philalethes | Ad Lectorem Rudolphus Vasserburgensis [...] | [...]. Krakau: Florian Ungler, 1512. Wierzbowski, Nr. 883 (Ex.: Dresden, LUB, Lit.Rom.A.412.m,misc.4). Widmungsbrief an Michael von Breslau (Krakau, 1512) und ein Gedicht (10 vv.) ad lectorem. Bauch (1892, S. 9) nennt irrtümlich eine Ausg. bei Vietor, 1511. 3. Octauij Cleophili Phanensis Poete | Vetustissimi de poetarum cetu libellus. | [...]. [Krakau: Fl. Ungler, 1511]. Vredeveld, Nr. 3.3.02.01. Titelepigramm Val. Ecks. Mit Widmungsbrief A.s an Sebastian Grubel aus St. Gallen (Krakau 1511). 4. a) Cratis Thebani Cynici philosophi | Epistole Aureis sententijs | referte theologie | consentanee [...]. [Krakau: Fl. Ungler, 1512]. Wierzbowski, Nr. 870. Nach der Ausg. des Joh. J Stabius. Titelepigramm des Robert Haller aus Ofen. Mit Widmungsbrief an Valentin Eck (ex museo nostro, Krakau, 1512), einer Vita des Crates sowie einem Epilogus (ex officina nostra litteraria, Krakau, 1512) von A. b) Cratis Thebani Cy|nici Philosophi Epi|stole aureis sententijs re|ferte theologie con| sentanee, | Adiectis quibusdam praeclaris Philosophorum sen|tentiis. Et Cratis Cynici vita per Rudolfum Agrico|lam iuniorem cum carmine eiusdem de miseria uitae | humanae. Krakau: Hier. Vietor, 1518. Wierzbowski, Nr. 2085. Mit dem Widmungsbrief von a) jetzt den Schülern Johann und Stanislaus Konarski, Neffen des Krakauer Bischofs, gewidmet; ein zweiter Widmungsbrief und ein Gedicht an Nikolaus Salomon. 5. Proclus Diadochus, ‘Sphaera’, übers. v. Thomas Linacre. Titels.: Ad pubem litterariam Rudolfus Agricola | Vasserburgensis [...]. Krakau: Fl. Ungler, 5. Juli 1512. Wierzbowski, Nr. 2064. Mit dem (im Jahr zuvor in Wien gedruckten) Text Linacres und dessen Vorwort. A. fügt einen Panegyricus auf Nikolaus von Zeben, Pfarrer in Kremnitz, als seinen Gastgeber und ein Gedicht für Andreas Clemetz aus Siebenbürgen hinzu. Beigaben der Schüler Rupert Haller und Sebastian Grubel an den Leser. 6. Modus Epistolandi | Philippi Beroaldi Bononiensis | Viri clarissimi. […]. [Krakau: Fl. Ungler, 1512]. Wierzbowski, Nr. 867. Widmungsbrief (Krakau, ex contubernio Germanorum) an die Minoriten Jakob Wirtenberger aus Offenburg und
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Otto Vinerius aus Bludenz, in dem A. in Anspruch nimmt, daß Ungler das Buch auf seinen Wunsch gedruckt habe, und für eine Balance von Nachahmung und eigener Erfindung plädiert. Angehängt sind Exzerpte aus den ‘Elegantiae minores’ Jakob J Wimpfelings, Gedichte Valentin Ecks auf Beroaldus und A. sowie an den Leser. 7. Philippi Beroaldi declamatio: An orator sit philosopho et medico anteponendus. Krakau 1514. IA 117.843 (nach Estreicher, Bd. 12, S. 509; kein Ex. ermittelt). Mit Widmung an Christoph Szydlowiecki, den Kastellan von Sandomir und königlichen Kanzler. 8. Tabula Cebetis Thebani Ex | graeco in latinum tralata Luduico | Odaxio interprete. | [...]. Wien: Hier. Vietor, Jan. 1515. VD 16, C 1769. Auf der Titels.: Rudolfi Agricolae Rheti ad ingenuum adolescentem Melchiorem Vadianum de sancto Gallo Iambicum protrepticum (18 jamb. Trimeter). 9. Habes lector studiose, Aurelii Prudentii Cathemerinon hoc | est diurnarum rerum opus [...] | [...]. Cuius singulis odis singulas har|monias quattuor uocum, [...] Hierony|mus Vietor [...] adiecit, com|ponente aliquando eas, [...] Vuolfgango Grafinger Pannone [...]. Wien: [Hier. Vietor], 1515. Vredeveld, Nr. 3.3.16.01; s. auch Re´pertoire International des Sources Musicales. Einzeldrucke v. 1800, Bd. 12, 1992, S. 70. Widmungsbrief A.s an Sebastian J Sprenz, in dem auch die Ausgabe von Odenkompositionen Grefingers nach Horaz angekündigt wird. 10. Aurelii Prudentii | Clementis | uiri Consularis et Poetae praeclari | Romanus martyr. […]. Wien: Hier. Vietor, Febr. 1515. VD 16, P 5140. Titelepigramm (5 Dist.), Widmungsbrief an den ehemaligen Schüler, den nobilis Johannes Schönburger aus Schärding (Titelbl.v), argumentum senariis Iambicis compositum (a 2r⫺v), am Ende Extemporaria Laus Virtutis ad auditores suos (13 Dist.) A.s. 11. Joh. J Sommerfeld d. Ä., Modus epistolandi Ioannis Aesti/|campiani. […]. Wien: Hier. Vietor, März 1515. VD 16, R 1666. Drucklegung von A. überwacht. Widmungsbrief an Markus Scharffenberg, bibliopolae Cracoviensi, (Wien, ex officina nostra, 1515): über Sommerfeld und seine Bibliothek, die A. benutzen durfte, von seinen Marginalien habe er sehr profitiert. Ogdoastichon und Epitaph auf Sommerfeld. Erneut, mit der gleichen Widmung: Krakau: Hier. Vietor, 1522. Wierzbowski, Nr. 2099. 12. [D Honorius Augustodunensis], Elucidarius dya⫽|logicus Theologiae tripertitus: infinita/| rum quaestionum resolutiuus. | Vade Mecum [...] . Wien: Hier. Vietor, Juni 1515. VD 16, A 1133 u. H 4767. Neun Distichen Ad lectorem, ein weitläufiges Ermahnungsgedicht an den Leser und Register von A. (Titelbl.r⫺v).
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13. Leonardi Bruni, Isagoge in philosophiam moralem [...] | ad Galeotum eruta ex Aristotelis philosophorum | principis dialogo ad Eudemium ami/|cum suum. [...]. Wien: Hier. Vietor, 1515. Vredeveld, Nr. 3.3.07.01. Titelepigramme Vadians und A.s ad lectorem. Widmungsbrief an Nikolaus von Zeben, jetzt ecclesiae praefectus in Neusohl (Banska´ Bystrica). 14. Statii Papinii Neapolitani Achil|leidos libri duo. ad Archetypon Aldi Manutii accurate impressi. | R. A. R. […]. Wien: Hier. Vietor, 1515. VD 16, ZV 14670. Titelepigramm (5 Dist.). 15. Ioannis Harmonii Marsi. | Comoedia Stephanium | [...]. Wien: Hier.Vietor, Nov. 1515. VD 16, ZV 753. Widmungsgedicht A.s auf der Titelseite. Der zweite Druck der Humanistenkomödie überhaupt (nach Venedig [um 1502]). Erneut, aber mit empfehlenden Distichen Philipp J Gundels: Wien: Hier. Vietor 1517 (VD 16, ZV 754). 16. Galli Egidii Romani | Bophilaria. | […]. Wien: Hier. Vietor, 1515. Wierzbowski, Nr. 31. Titelepigramm und Widmungsbrief an Graf Georg von Frangipani (Dez. 1515). 17. M. T. Ciceronis, Laelius, sive | de Amicitia Dialogus, ad T. Poponium | Atticum quam emendatissime impressus. | [...]. Wien: Hier. Vietor, Dez. 1515. Vredeveld, Nr. 3.3.17.01. Titelepigramm A.s (9 jamb. Dimeter). 18. Casparis Vrsini velii/ Silesii | Epistolarum et Epigrammatum liber/ | lectu dignissimus, et iam primum | in lucem editus. | […]. Wien: Joh. Singriener, [1517]. VD 16, U 350. Gedichtsammlung des Ursinus in einer von A. besorgten Auswahl, über die Ursinus sich später beklagte. Widmungsbrief an Ladislaus von Boskowitz, den Kämmerer der Markgrafschaft Mähren, in dem A. rund zwei Dutzend deutsche Zeitgenossen aufzählt, deren Werk nicht hinter den Italienern zurückstehe, darunter J Erasmus, Corvinus, J Hutten, Will. J Pirckheimer, Vadian, Beatus J Rhenanus, Eobanus J Hessus, Glarean und Joh. Dantiscus (s. Glomski, 2002, S. 181 f.). Titelepigramm Georgs von Logau. 19. Nicolaus de Toliskow (Tuliszko´w), Judicium celebratissime | vniuersitatis Cracouiensis per ma|gistrum Nicolaum de Toliskorv. | ad annum domini 1518. recollectum. | [Krakau: Joh. Haller, 1518]. Vredeveld, Nr. 3.3.25.01. Widmungsgedicht an den Krakauer Domkustos Petrus Konarski. 20. M. T. Ciceronis Pro Aulo Li/|cinio Archia Poeta, contra Graccum | Oratio, omnes pene orationis | Rhetoricae partes com/|plectens. Krakau: Hier. Vietor, Juni 1518. Wierzbowski, Nr. 937. Ludovicus Aliphius, Dr. iur. utr. und Berater der polnischen Kg.in Buona Sforza, gewidmet. 21. Johann von Glogau, Phisionomia hinc⫽| inde ex illustribus | scriptoribus: per venerabilem
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vi⫽|rum Magistrum Joannem Glogo⫽|uiensem diligentissime recollecta. | [...]. Krakau: Hier. Vietor, 7. Juli 1518. Wierzbowski, Nr. 944. Titelepigramm (3 Dist.) und Widmungsbrief an die ital. Höflinge Andreas Carducius, Alexander aus Bari, Camillus Lampugnanus, Vespasianus Doctula, Ferdinandus Carlinus, Ascanius Musitanus, deren Lehrer A. ist. 22. Statuta prouincialia: toti prouintie | Gneznensi valentia auctoritate apostolica edita, vt clare pa|tet ex bullis summorum pontificum hic insertis. Krakau: Joh. Haller, 1518. Vredeveld, Nr. 3.3.23.01. Widmungsbrief an Johannes a Lasco d. Ä., Bischof v. Gnesen, dessen Bemühen um Kirche und Bücher für die Kirchenzucht genannt ist. 23. M. T. Ci⫽|ceronis Pro Rege | Deiotaro Ad. C. Ce⫽|sarem Oratio: Rhetorice: | et purioris latinitatis | amatoribus plu|rimum vtilis. Krakau: Hier. Vietor, Aug. 1518. Wierzbowski, Nr. 938. Widmungsbrief an den Krakauer Ratsherren Johannes Kissling, seinen Mäzen (1518). 24. Johannes de Nova Domo, Libellus de constitu|tionibus humani cor|poris: quas Complexiones dicunt | […] nuper emenda|tus: revisus: ca⫽| stigatusque im⫽|pressus. Krakau: Hier. Vietor, 15. Juli 1518. Wierzbowski, Nr. 945. Titelepigramm (3 Dist.) über die Bedeutung der Temperamentenlehre und Widmungsbrief an den Krakauer Ratsherrn Jodokus Glatz (1518). Ein ND ebd., 1523. Wierzbowski, Nr. 998. 25. Nicolaus de Toliskow, Judicium celebratissi⫽|me vniuersitatis Cracouiensis […] | [...] ad annum | Domini .1519. recollectum. | [...]. Krakau: Hier. Vietor, [1519]. Vredeveld, Nr. 3.3.26.01. Titelepigramm (6 Dist.) und Widmungsbrief an den Krakauer Archidiakon Johannes Konarski. 26. Johannes D Heynlin, Resolutorium du|biorum circa ce⫽|lebrationem missarum | occurentium per [...] | Johannem de Lapi|de [...]. Krakau: Hier. Vietor, 1519. Wierzbowski, Nr. 964. Widmungsbrief an B. Johannes Konarski von Krakau (1. Febr. 1519): A. schreibt über seine Zusammenarbeit mit Vietor, seine Krakauer geographischen, philosophischen Studien und den Unterricht für die Jugend. 27. Erasmi Roteroda⫽|mi. De ratione studii: ac legendi | interpretandique auctores libellus aureus. | Offiicum discipulorum ex Quintiliano. | Qui primo legendi, ex eodem. | […]. Krakau: Hier. Vietor, 1519. Wierzbowski, Nr. 2091. Ein Lobgedicht (6 Dist.) auf Erasmus auf der Titelseite. 28. Valentin Eck, De antiquissima no|minis et familiae Thurzonum ori|gine, et singulari Praestantissimi domini Alexii Thurzo|nis Camerarii Cremnicensis et liberi domini Ples|nensis eminentia Panegyris […]. Krakau: Hier. Vietor, 1519.
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Wierzbowski, Nr. 2087. A. nennt als poeta, lector
ordinarius Cracoviensis im Widmungsbrief (6. Okt. 1519) an Alexius Thurzo´ dessen Bruder, den B. Johann V. von Breslau, seinen Gönner. 29. Nicolaus de Plove (Blony, Posnianiensis), Tractatus sacerdotalis de sacra|mentis deque diuinis officijs. et | eorum administrationibus. Krakau: Joh. Haller, 1519. IA 119.921. Mit Wiederabdruck des Widmungsbriefs aus den ‘Statuta provincialia’, nun jedoch an B. Petrus Tomicki von Przemys´l gerichtet (Glomski, 2002, S. 169). Ein weiterer Druck: Krakau: Matth. Scharffenberg, 1529. Vredeveld, Nr. 3.3.29.02. 30. Passio dominica | per septem horas | Canonicas distributa, elegantisque uario | carminum genere conflatis, Hymnis, Anti/|phonis, et sacra deuotione plenis orationibus | conscripta/ adiectis quibusdam in margine | scholiis/ et carminum appellationibus | […] Adiectis de conceptione intemeratae Mariae | Virginis duobus hymnis per eundem Rudol. Krakau: Hier. Vietor, 1520. IA 101.801. Religiöse Gedichte eines Anonymus über die Passion, die sein Rottweiler Lehrer Heimio Virotus vor längerer Zeit A. zur Bearbeitung zugeschickt hatte. A. hat Scholien zugefügt; sie erklären Schriftstellen, rhetorische Figuren, Versmaß der einzelnen Hymnen und wenige Wörter und Sachen. Diese Gedichte widmet A. seinem Gönner Johann Bethmann und zusätzlich dessen Verwandtem Severin Boner. Er fügt zwei eigene Hymnen auf die unbefleckte Empfängnis Marias hinzu. Sie seien auf Anregung des Gnesener Scholasticus und Krakauer Kanonikers Johann Salomon entstanden und daher diesem gewidmet. Geleitgedicht des Schülers Johann Oechslin (4 Dist.). C. Kleine Beiträge. 1. Libri de Anima Ari|stotelis philosophorum peripatetice fami|lie principis sub gemina | translatione. Krakau: Fl. Ungler, 1512. IA 107.803. Titelepigramm Ad lectorem (4 Dist.) des A. Ein weiterer Druck: Krakau: Joh. Haller, 1519. IA 107.854. 2. Johannes de Stobnicza, Introductio in Ptholomei Cosmo⫽|graphiam [...] | Epitoma Europe Enee Silvij | Situs et distinctio parcium tocius Asie per brachia Tauri mon|tis ex Asia Pij secundi. Particularior Minoris asie descriptio ex eiusdem Pij asia | Sirie compendiosa descriptio: ex Isidoro Africe breuis descriptio: ex paulo orosio | [...]. Krakau: Fl. Ungler, 1512. Wierzbowski, Nr. 51. Sapph. Ode an B. Johannes Lubranski von Posen und Empfehlungsepigramm A.s; erneut in: Introductio in Pto|lemei Cosmographiam cum | longitudinibus et latitudinibus regionum et ciuitatum celebriorum […]. Krakau: Hier. Vietor, 1519. Wierzbowski, Nr. 876.
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3. Somnia Danielis. | [...]. [Krakau: Fl. Ungler, 1512]. Vredeveld, Nr. 1.01.01. Titelepigramm (5 Dist.). ⫺ Ein weiterer Druck: Interpretationes | Somniorum Danielis: | [...]. Krakau 1533. Vredeveld, Nr. 1.01.02. 4. Antonii Mancinelli Veliterni [...], de Componendis Versibus opusculum. Cum Francisci Maturantij, Perusini, et Johannis Sulpicii Verulani additionibus arti Carminum […]. Quibus addita est Petri Schotti […] Lucubratiuncula de Mensuris Syllabarum. Ad Iuventutem studiosam Rudolfi Agricole Vasserburgensis. Krakau: Fl. Ungler, 1513. Nach Estreicher, Bd. 22, S. 109, u. Panzer, Ann. VI, 455, 57; kein Ex. ermittelt. 5. Antonii Mancinelli Veliterni opusculum de poetica virtute. Cum Rudolfi Agricole Vasserburgensis Endecasyllabo ad Scolasticam Iuventutem. Krakau: Fl. Ungler, 1513. Nach Estreicher, Bd. 22, S. 10, u. Panzer, Ann. VI, 456, 59; kein Ex. ermittelt. 6. Processus iudiciarius eximij Doctoris iuris | canonici Johannis de Vrbach. | […]. Krakau: Fl. Ungler, [1514]. Vredeveld, Nr. 1.03.01. In iuridicae facultatis laudem epigramma A.s auf der Titelseite. 7. Valentini Eckij Philyripolitani de arte versificandi | opusculum [...]. Krakau: Fl. Ungler, 1515. Wierzbowski, Nr. 909. Titelepigramm ([…] in Ecchii sui libellum; 5 Dist.). Auch in der 2. Ausg. Krakau: Hier. Vietor, 1521. Vredeveld, Nr. 1.24.01; ND: Krakau 1539. 8. Epistola Beati Hieronymi | ad Paulinum Praesbyterum. | Additis insuper quibusdam Prologis. | [...]. [Wien: Hier. Vietor], Sept. 1515. Nach VD 16, H 3541 (“Beiträger”). 9. Quinti Horatii Flacii episto/|larum libri duo ad Archetypon Aldi | Manutii acuratissime impressi. Wien: Hier. Vietor, März 1515. VD 16, H 4927. Anläßlich der Wiener Horaz-Vorlesungen Angelo Cospis. Iudicium in Epistolis de Horatio A.s auf der Titelseite. 10. Riccardus J Bartholinus, Odeporicon idest Itinerarium […]. Wien: Hier. Vietor, 1515. VD 16, B 569. [Q5]r: Ein Epigramm A.s über noblen Stil und Inhalt des Werks. 11. Georg D Peuerbach, Algorithmus ge⫽|orgii Peurbachii Mathematici omnium acu-|tissimi [...] | [...]. Wien: Hier. Vietor, 19. Okt. 1515. VD 16, P 2046. Titelepigramm (5 Dist.). Ein weiterer Druck: ebd., Febr. 1520. VD 16, P 2047. 12. Aliquot Epistolae Divi Hieronymi Stri|donensis, […] ab | Erasmo Roterodamo pristinae in/|tegritati restitutae. | [...]. [Krakau]: Hier. Vietor, [1519]. Titelepigramm in laudem operum Diui Hieronymi (8 Dist.). 13. Cebetis The|bani philosophi excelentissimi | Tabula, [...]. Mit Scholien d. Ulrich Faber Rhaetus. Wien: Joh. Singriener, 1519. VD 16, C
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1772. Am Ende: Argumentum (9 Dist.) von A. – ND: Krakau: Fl. [Ungler], 1522. Vredeveld, Nr. 1.14.02. 14. Ioachimi Vadiani Helvetii, | Aegloga, cui titulus. | Faustus. | Eiusdem de insignibus fami⫽| liae Vadianorum, ad Melchiorem fra⫽|trem elegia Exegitica. | […] Wien: Joh. Singriener, 1517. VD 16, V 36 (Varianten ebd., ZV 15140 u. 20525). Bl. C iir (vor Vadians Elegie an Melchior von Watt): Ein Carmen an Vadian (3 Dist.). 15. Leonard Cox, De laudibus Celeberrimae Cracouiensis Acade/|miae, Leonardi Coxi Britanni, Octavo Idus | Decembris habita Oratio. Anno 1518. | […]. Krakau: Hier. Vietor, 1518. IA 146.199. A.s ob amorem inclytae Cracouiensis carmen (16 Dist.) auf der Titelseite. 16. Michael von Breslau, Epithoma figura⫽| rum in libros | phisicorum | et de Anima | Arestotilis | [...]. [Krakau]: Joh. Haller, 1518. Wierzbowski, Nr. 867. Dodekastichon ad lectorem von A. 17. Jost Ludwig Decius, Diarii Et Earum Quae Memo/|ratu digna in splendidissimis, Potentiss. Si/|gismundi Poloniae Regis, Et Sereniss. | Dominae Bonae. […] nuptiis gesta. [...] Descriptio. Krakau: Hier. Vietor, 31. Mai 1518. IA 150.902. Neben Beiträgen von Dantiscus und Andreas Cricius ein Applausus A.s. 18. Valentin Eck, Ad generosum do⫽|minum Dominum Alexium Thur|czum de Bethleemfalua […]. De contemptu mundi et virtu⫽|te amplectenda Dialogus. | […]. Krakau: Hier. Vietor 1519. Estreicher, Bd. 16, S. 10. Empfehlungsgedichte von Leonard Cox und A. 19. Modus epistolandi | egregij viri Joannis | Sacrani [...]. Krakau: Joh. Haller, 1520. Wierzbowski, Nr. 970. Hg. v. Stanislaus von Lowicz, mit Gedichten von A. und Oechslin. 20. Stanislaus Leopoliensis (Leopolita), Salutifera domini passionis contempla|tio ex quattuor euangelistis: [...] | [...]. Krakau: Hier. Vietor, 1520. Wierzbowski, Nr. 2093. Ein Hexastichon. 21. Nikolaus (Prokopowicz) von Szadek, Juditium Astrono|micum [...] pro | Anno Christi M D XXI, | Fideliter calculatum [...]. [Krakau]: Hier. Vietor, [1521]. Vredeveld, Nr. 1.23.01. Titelepigramm (4 Dist.). ⫺ Ein voll firmierter Druck ebd., 1521. Vredeveld, Nr. 1.23.02. 22. Horatii Flacci. Liber de arte poetica ad Pisones […]. Hg. v. Valentin J Eck. [Krakau]: Joh. Haller, 1521 (kein Ex. erhalten). Mit einer Elegie A.s an die Jugend von Bartfeld. Literatur. K. Estreicher, Bibliografia polska, 34 Bde., Krakau 1870⫺1951 (ND New York 1964/ 65); W. Wisłocki, Liber diligentiarum facultatis artisticae universitatis Cracoviensis, Bd. 1, Krakau 1886, S. 374, 137, 140, 146, 148; T. Wierzbowski,
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Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius
Bibliographia Polonica XV. ac XVI. ss., 3 Bde., Warschau 1889⫺1894 (ND Nieuwkoop 1961); G. Bauch, R. A. Jr. Ein Beitr. z. Gesch. d. Humanismus im dt.-poln.-ungar. Osten (Evang. höhere Bürgerschule [Breslau] II, Jahresber. 1892), 1892; ders., in: ADB 45, 1900, S. 709 f.; Bauch, Krakau, S. 68; H. Grimm, in: NDB 1, 1953, S. 103; E. Gebele, in: Lebensbilder aus d. Bayer. Schwaben 3, 1954, S. 212⫺243; S. Stelling-Michaud, L’Universite´ de Cracovie et la Suisse au temps de l’humanisme, in: A. Gieysztor (Hg.), E´changes entre la Pologne et la Suisse du XIVe au XIXe sie`cle, 1964, S. 21⫺66, hier S. 42⫺47; Bonorand II, S. 216 f.; H. Vredeveld, in: DDL, Autorenlex., Bd. 1, 1991, S. 732⫺757; J. Glomski, The German Role in the Reception of Italian Neo-Latin Literary Currents at Cracow (1510⫺1525), in: B. Guthm¸ller (Hg.), Dtld. u. Italien in ihren wechselseitigen Beziehungen während d. Renaissance (Wolfenbütteler Abh. z. Renaissanceforsch. 19), 2000, S. 31⫺45; dies., Careerism in Cracow. The Dedicatory Letters of R. A. Jr., V. Eck, and L. Cox (1510⫺1530), in: T. van Houdt u. a. (Hgg.), SelfPresentation and Social Identification (Suppl. Hum. Lov. 18), Löwen 2002, S. 165⫺182.
Albert Schirrmeister
Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius (Henricus Cornelius Agrippa ab / de Nettesheym) I . L eb en . A. wurde am 14. Sept. 1486 in Köln als Sohn des mutmaßlich in kaiserlichen Diensten stehenden Bürgers Henricus de Nettesheym († 1519) geboren. Über die Familie ist wenig bekannt; nach 1520 nennt A. gelegentlich die Mutter und eine Schwester, deren Lebensdaten und -umstände aber verborgen bleiben. A. legte sich später die Humanistennamen Cornelius und Agrippa – nach seiner Vaterstadt ‘Colonia Agrippina’ – zu. Am 22. Juli 1499 nahm er, noch minderjährig, in Köln das Studium der Artes auf. Hier führte ihn Andreas Canter in die Philosophie des Raymundus Lullus ein; den Augustinerprior Dietrich Wichwael von Caster, den späteren Kölner Weihbischof (1504⫺1519), gewann er zum Freund. Im März 1502 erwarb er, noch nicht 16jährig, den Grad eines Licentiatus artium. Er verließ Köln und wandte sich nach Paris. Weitere Auf-
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enthaltsorte bis 1507 sind unbekannt. In diesem Jahr erschien er wieder in Köln und hörte Vorlesungen bei dem Juristen Petrus von Ravenna, ging aber 1508 nach Spanien, wo er eigenem Bekunden zufolge an kriegerischen Ereignissen teilnahm. Im folgenden Jahr las er durch Vermittlung des Eb.s von Besanc¸on, Antoine de Vergy, an der Univ. Doˆle über Johannes J Reuchlins ‘De verbo mirifico’, wurde aber vom Klerus unter Anführung des Franziskaners Jean Catilinet, des Hofpredigers der Statthalterin in Burgund Margarete von Österreich, wegen angeblich häretischen Inhalts seiner Vorträge vertrieben. 1510 hörte er bei John Colet in Oxford theologische Vorlesungen, kehrte bald jedoch wiederum nach Köln zurück. Im gleichen Jahr widmete er Johannes J Trithemius eine erste Fassung seines späteren Hauptwerkes ‘De occulta philosophia’, die dieser freundlich aufnahm. 1511/12 nahm er am Zug K. Maximilians gegen Venedig teil und wurde, wie Zeugnisse Kölner Bürger nach A.s Tod bestätigten, wegen seiner militärischen Verdienste 1512 zum Eques auratus geschlagen. Im gleichen Jahr war er unter den Teilnehmern des ⫺ bald aufgelösten ⫺ Konzils von Pisa. Danach besuchte er die Univ. Pavia, wo er ad lecturam Philosophiae zugelassen wurde (Zambelli, 1955, S. 114) und mutmaßlich den medizinischen Doktorgrad erlangte. Anschließend bereiste er Italien und heiratete, nach Pavia zurückgekehrt, vor dem 24. Nov. 1515 eine Frau aus einer angesehenen Familie der Stadt. An der Univ. Pavia las A. 1515 über Themen der hermetisch-neuplatonischen und kabbalistischen Überlieferung, in der er die Grundlagen für ein neues theologisch-philosophisches Denken und einer Erneuerung von Wissenschaft und Kirche suchte. In Pavia freundete er sich mit Paolo und Agostino Ricci (J Ritius) sowie Christoph Schylling aus Luzern an. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt 1516/17 in Casale am Hofe Guglielmos IX. Paleologo, Mgf.en von Monferrato, trat er 1518 die Stelle eines Syndikus und Orator der Freien Reichsstadt Metz an (vgl. seine an den Rat von Metz oder für
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Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius
ihn verfaßten Reden in Op. [s. u. II.], Bd. 2, S. 1110⫺1118). Hier lernte er Claudius Cantiuncula kennen und nahm einen Briefwechsel mit Jacques Lefe`vre d’Etaples (Faber Stapulensis) auf. In einem Hexenprozeß gegen eine Frau aus Woippy b. Metz, bei dem es auch um die juristische Zuständigkeit der Freien Reichsstadt gegen den Bischof von Lothringen ging, vertrat A. die Stadt gegen den dominikanischen Inquisitor Nicolaus Savini und wies auf zahlreiche Widersprüche und Formfehler des Verfahrens hin. So gelang es ihm, die Anklage wegen Hexerei niederzuschlagen, was zur Freilassung der angeblichen Hexe führte (vgl. Ziegeler). Dennoch mußte er die Stadt 1520 verlassen. Er kehrte zunächst nach Köln zurück. 1522 erhielt er die Anstellung als Stadtarzt in Genf, wobei ihm die Betreuung des städtischen Hospitals oblag. Hier heiratete er nach dem Tod seiner ersten Frau in zweiter Ehe Jana Loysa Tytia (oder Tissie). Bereits 1523 wechselte er als Stadtarzt nach Fribourg, wo Lorenz J Fries, der spätere Stadtarzt von Colmar, für ihn bürgte. Schließlich erlangte A. 1524 ein höfisches Amt in Lyon als Arzt der Königinmutter Aloysia von Savoyen. Zu seinem Freundeskreis zählten Jean Chapelain, Leibarzt der Mutter des Königs, der flämische Arzt Hilarius Bertulphus Ledius, zeitweilig Sekretär des J Erasmus von Rotterdam, sowie Andre´ Briau, Leibarzt Kg. Franz’ I. Mitte 1526 verschlechterte sich A.s Lage am Hof wegen seiner Weigerung, ein Horoskop für Franz I. zu erstellen, und auch seine guten Beziehungen zu Karl von Bourbon, einem Parteigänger Ks. Karls V., wurden ungern gesehen. Um einer Verhaftung zu entgehen, floh A. über Paris nach Antwerpen, wo er seit 1528 den Arztberuf ausübte. Am 17. März 1529 starb dort seine zweite Frau. Sie hinterließ vier Söhne, von denen Henricus 1524 und Johannes 1526 in Lyon geboren worden waren, zwei weitere Knaben unbekannten Namens 1527 in Paris und 1528 in Antwerpen. In Antwerpen machte sich A. als Seuchenarzt beim Ausbruch des ‘Englischen Schweißes’ einen Namen, da er gemeinsam mit dem Arzt und Prognosti-
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kenverfasser Jean Thibault in der Stadt blieb, während die Stadtärzte aufs Land geflohen waren. Wohl wegen seiner Verdienste erhielt A. eine Anstellung als Historiograph am Hofe Margaretes von Österreich in Mecheln, die er aber 1530, nach dem Erscheinen von ‘De incertitudine et vanitate scientiarum et artium’, aufgab, da das Werk von der Löwener theol. Fakultät angegriffen worden war. So ging er 1531 wiederum nach Köln, dann nach Bonn an den Hof Eb. Hermanns von Wied, dem er im Jan. 1531 die Endredaktion von ‘De occulta philosophia’ (Buch 1) gewidmet hatte. In diese Jahre fallen Korrespondenzen mit Erasmus, Melanchthon und anderen Humanisten und die Beziehungen zu Johannes Dryander, Leibarzt des Trierer Erzbischofs, und dem jungen Johannes Weyer, dem späteren Kämpfer gegen den Hexenwahn. Eine in Mecheln eingegangene dritte, kinderlose Ehe scheint unglücklich verlaufen zu sein. Nach Reisen in Deutschland begab sich A. 1535 nach Frankreich, wo er in Lyon verhaftet, jedoch nach der Intervention einflußreicher Gönner wieder freigelassen wurde. Noch im gleichen Jahr starb er in Grenoble und wurde in der dortigen Dominikanerkirche beigesetzt. I I. We rk . Überlieferung und Drucke. Die seit 1509 entstandenen Schriften A.s kamen erst auffällig spät, erst seit 1526 zum Druck. Gesamtverzeichnis der zwei Jahrhunderte anhaltenden Drucküberlieferung bei M¸ller-Jahncke, 1991 (im folgenden ⫽ DDL), S. 783⫺843. In hsl. Überlieferung ist nur weniges bewahrt, und zwar in Lyon, Bibl. municipale, Coll. Palais des Beaux Arts, ms. 48 (60 Bll., v. J. 1528, nicht autograph), die Schriften ‘De originali peccato’ (s. u. B.7.), ‘Contra pestem antidoton’ (s. u. B.9.), ‘Dialogus de homine’ (s. u. B.6.) sowie Auszüge der Briefwechsel mit Dietrich Caster, Agostino Ricci und Guglielmo IX. Paleologo, Mgf. von Monferrato. Beschreibung der Hs.: Zambelli, Ausg., S. 47⫺51. Die undatierte und angeblich bei Beringer in Lyon gedruckte erste Gesamtausgabe Henrici Cornelii | Agrippae, | ab Nettesheym, | [...] | Opera, | quaecumque hactenus | vel in lucem prodierunt vel inveniri potuerunt | omnia, in duos tomos concinne` digesta [...] wird im VD 16, ZV 263, nun auf 1578 datiert und der Basler Offizin Thomas Guarin zu-
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Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius
gewiesen. Für eine Datierung auf etwa 1580 hatte bereits Zambelli, 1969, S. 278 Anm. 35, plädiert. ND der ersten Gesamtausg., hg. v. R. H. Popkin: H. C. A. v. N., Opera, 2 Bde., 1970 (zit. im folgenden: Op.). Die weiteren 6 Gesamtausg.n (bis 1605) s. DDL, S. 796 f.
A . B ri ef e. In Op., Bd. 2, S. 591⫺1073, sind in sieben Büchern 451 Epistolae familiares überliefert, die in chronologischer Ordnung Briefe von und an A. aus den Jahren 1507⫺1533 (einschl. der Widmungen zu einzelnen Schriften) versammeln, allerdings nur einen Teil einer offenbar ungleich größeren Korrespondenz. A. erhielt nach dem Zeugnis seines Famulus Weyer täglich Briefe, und er selbst schrieb entsprechend häufig. Die erhaltenen Briefe sind gleichwohl die wichtigste biographische Quelle und ermöglichen eine – gewiß lückenhafte – Rekonstruktion von A.s bewegtem Itinerar. Allerdings sind Absender oder Empfänger, zum größeren Teil nur als amicus bezeichnet, vielfach unbekannt, auch die Datierungen häufig ungewiß. Unter den namentlich genannten Briefpartnern finden sich neben A.s engeren Freunden (z. B. dem Pariser Freundeskreis von 1507) Trithemius, Faber Stapulensis, Cantiuncula, Erasmus von Rotterdam, der Kölner Eb. Hermann von Wied. Ein von der Forschung lange übersehenes autographes Schreiben A.s vom 22. Febr. 1534 an den Großen Rat der Niederlande in Mecheln (Lille, Archives de´partementales du Nord, Lettres missives B. 19260/46610), zuerst veröffentlicht von Le Glay (Nouveaux analectes ou documents ine´dits pour servir a` l’histoire des faits, des mœurs et de la litte´rature, Paris 1852), bei Zambelli, 1965, S. 305⫺312; Faksimile nach S. 242, Taf. IX u. X. Der Brief fehlt in der Sammlung der Op. und ist neben A.s Brief vom 17. März 1532 an Erasmus in Breslau (UB, Cod. Rehd. misc. 254) das einzige bekannte Autograph A.s.
B . K le in er e S ch ri ft en . Erste Arbeiten A.’s waren bereits in Doˆle entstanden, so 1509 die Margarete von Österreich gewidmete Schrift (1.) ‘De nobilitate et praeexcellentia feminei sexus’, welche die Überlegenheit des weiblichen über das männliche Geschlecht be-
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schreibt und begründet und dabei die herrschenden Meinungen über das Verhältnis der Geschlechter, angefangen bei der von Grund auf revidierenden Erzählung des Sündenfalls, in allen wesentlichen Punkten umkehrt. Die Schrift erfreute sich, wie die Übersetzungen in verschiedene Landessprachen belegen, einer breiten langen Aufmerksamkeit. In der vielleicht gleichfalls noch in Doˆle oder erst 1510/11 in London (Zambelli, 1969, S. 276) entstandenen (2.) ‘Expostulatio cum Ioanne Catilineti super expositionem libri Ioannis Capnionis de verbo mirifico’, verteidigte er seine in Doˆle bekämpfte Beschäftigung mit der Kabbala. Während seines Aufenthaltes in Italien verfaßte er einige kleinere Schriften zu Hermetismus und Neuplatonismus, so Eröffnungsreden zu seinen an der Univ. Pavia gehaltenen Vorlesungen zum (3.) ‘Convivium Platonis’ und zum (4.) ‘Pimander’ (1515), jeweils in der Übersetzung Marsilio Ficinos. Auch der (5.) ‘De triplici ratione cognoscendi Deum liber’ und der (6.) ‘Dialogus de homine’ verweisen auf die Lehren der prisca theologia. Erstmals speziell theol. Thematik gewidmet sind (7.) ‘De originali peccato’ und die 1518 in Metz entstandene Schrift (8.) ‘De beatissimae Annae monogamia’, in der A., ausdrücklich Lefe`vre d’Etaples folgend, die zweimalige Wiederverheiratung der hl. Anna bestritt. In Metz stellte A. zudem das dem Kölner Weihb. Wichwael von Caster zugedachte (9.) ‘Regimen adversus pestilentiam’ (‘Contra pestem antidoton’), eine wenig originelle Sammlung von bekannten Pestrezepten und Verhaltensregeln, zusammen. In die Lyoner Zeit fallen weitere theol. Traktate, so die 1526 der Margarete von Navarra gewidmete (10.) ‘De sacramento matrimonii declamatio’ und die (11.) ‘Dehortatio gentilis theologiae’, in denen A. die christlichen Lehren mit der prisca theologia vergleicht. Als Hofhistoriograph in Mecheln schrieb er über die (12.) Kaiserkrönung Karls V. und verfaßte eine (13.) humanistische Prunkrede zum Tod seiner Gönnerin Margarete von Österreich. Die (14.) ‘In artem brevem Raymundi Lullii commentaria’, die A. als erster deutscher Kommentator des Lullus
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Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius
schrieb, entstanden wohl vor 1526. Ein vor 1530 gedrucktes (15.) ‘Prognosticon’ verweist in seiner Grundhaltung bereits auf den Ton mancher Passagen in A.s großer Declamatio ‘De incertitudine et vanitate scientiarum et artium’ (s. u. D.), die er gegen den Löwener Klerus ebenso in der 1534 erschienenen (16.) ‘Apologia’ verteidigte wie in einer posthum erschienenen (17.) ‘Epistola apologetica’ an den Senat der Stadt Köln, die noch im gleichen Jahr ins Deutsche übersetzt wurde. A.s letzte Schrift ist der 1534 anonym erschienene (18.) ‘Dialogus de vanitate’, der im Rahmen seiner zentralen Thematik – humanae litterae sowie religiöse Freiheit – nochmals zu ‘De incertitudine et vanitate’ Stellung nimmt. Erstdrucke, Übersetzungen, Ausgaben. Sieben der kleineren Schriften (1., 2., 5., 7., 9.⫺ 11.) erschienen 1529 in einem Sammeldruck: Henri|ci Cornelii Agrippae | de Nobilitate et Praecellentia Foemi⫽|nei sexus [...] | Expostulatio cum Ioanne Catilineti super expo|sitione libri Ioannis Capnionis de uerbo mirifico | De sacramento Matrimonij declamatio [...] | De triplici ratione cognoscendi Deum li⫽|ber [...] | Dehortatio Gentilis theologiae [...] | De Originali peccato [...] declamatio [...] | Regimen aduersus pestilentiam [...]. Antwerpen: Mich. Hillenius, 1529. ⫺ ND, vermehrt um Sermones duo, de vita Monastica, et | de inuentione reliquiarum diui An-|thonij eremitae: Köln: [Peter Quentell, Mai 1532]. 1. Verzeichnis der lat. Ausg.n (in Sammeldrucken) in DDL, S. 797⫺799, der zahlreichen älteren dt., engl., frz., ital. u. poln. Übers.en S. 789⫺792 u. 799. Neuausg. d. lat. Textes nach d. Erstdruck v. R. Antonioli (Travaux d’humanisme et renaissance 243), Genf 1990; Neuausg. mit dt. Übers. v. O. Schˆnberger, 1997. ⫺ Erste dt. Übers. von Joh. Basilius Heroldt: Cornelius Agrippa. Vom Adel vnd Fürtreffen Weibliches geschlechts. [Frankfurt: Chr. Egenolff, 1540]. Neuausg. v. J. Jungmayr, in: E. Gˆssmann (Hg.), Ob die Weiber menschen seyn, oder nicht?, 1988, S. 53⫺95; ND d. dt. Übers. Jena 1736, hg. v. G. K¸mmerle, 1987. Engl. Übers. v. A. Rabil (The other voice in early modern Europe), Chicago 1996. 3. Op., Bd. 2, S. 1074⫺1088. 4. Op., Bd. 2, S. 1089⫺1101; Zambelli, 1955, S. 119⫺136 (mit Komm.). 5. Zambelli, 1955, S. 147⫺162 (Kap. 2⫺5). 6. Erstmals hg. (nach der Lyoner Hs. [s. o. II.], Bl. 44r⫺59v) v. P. Zambelli, Rivista critica di sto-
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ria della filosofia 13 (1958) 47⫺71; mit Korrekturen wiederholt in Zambelli, 1965, S. 294−304. 8. Henrici | Cornelii Agrippae | de beatissimae Annae monogamia, ac uni⫽|co puerperio propositiones abbreuiatae | et articulatae, iuxta disceptationem Ia-|cobi Fabri Stapulensis in libro de | tribus et uno, intitulato. [Köln: Joh. v. Aich], 1534. VD 16, A 1141. 10., schon um 1526 in Lyon(?) als älteste Veröffentlichung A.s zusammen mit seiner frz. Übers. erschienen: Henrici Corne⫽|lii Aggrippe. | De sacramento | matrimonii de⫽|clamatio. Die weiteren lat. Ausg.n u. d. dt., engl. u. frz. Übers.en: DDL, S. 783 u. 797⫺799. 12. Caroli | quinti [...] Coronationis Historia [...]. [Antwerpen]: Mart. Caesar, 1530. 13. Henri⫽|ci Cornelii | Agrippae [...] Oratio, in funere | Diue Margaritae Austria-|corum et Burgundio|num Principis aeter|na memoria di| gnissimae, habi|ta. Antwerpen: Mart. Caesar, 1531. 14. Henrici Cor-|nelii | Agrippae [...] In Artem | Breuem Raymundi Lullij | Commentaria. Köln: Joh. Soter, Aug. 1533. VD 16, A 1148. 8 Einzeldrucke bis 1652: DDL, S. 794 f. 15. Prognosticon | vetus in Agrippinarum Archiuis inuentum. Translation de la dessusdicte vielle | prognostication [...]. [Limoges? Poitiers?, vor 1530]. 16. Henrici | Cornelii Agrippae, ab Net⫽|tesheym [...] Apologia aduersus calumni/|as propter Declamationem de Vanita/|te scientiarum [...] sibi per aliquos Louanienses Theologistas intentatas [...]. [Köln: Euch. Cervicornus], 1533. VD 16, A 1140. 17. Epistola | apologetica ad | clarissimum urbis | Agrippinae Romanorum Colo/|niae Senatum, contra insaniam | Conradi Cölin [...]. Straßburg: Peter Schöffer, 1535. VD 16, A 1145. Dt. Übers. v. Theodor Faber: Ein sendtbrieff | an Burgermeister vnnd | Raht der stat Cöln | wider die So|phisten | des strengenn Ritters | vnd hochgelerten doctors Hen|rici Cornelij Agrippe [...]. Straßburg: Peter Schöffer, 1535. VD 16, A 1146. 18. Dialogus | de vanitate scien-|tiarum, et ruina chri-|stianae relligionis per quendam | relligiosum Patrem Ordinis | Cisterciensis Mona-|chum recenter | editus. [Köln: Joh. Soter] 1534. Kommentierte Neuausg. v. Zambelli, 1965, S. 249−294.
C . ‘ De oc cu lt a p hi lo so ph ia li br i t re s’ . Die erste, hsl. Fassung von ‘De occulta philosophia’ (Würzburg, UB, M.ch.q. 50), die A. 1510 Trithemius übergab, befaßt sich mit der magia, unter der A. diejenige Philosophie subsumiert, die dem Men-
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schen Zugang zu den verborgenen Kräften des Kosmos eröffnet. Bedingt durch verfälschte Abschriften sah er sich nach 1530 veranlaßt, das Werk überarbeitet in den Druck gehen zu lassen, zunächst aber nur das 1. Buch; es wurde 1531 gleichzeitig in Antwerpen und in Paris gedruckt. Alle drei Bücher von ‘De occulta philosophia’ erschienen erst 1533, in vier Druckvarianten, bei Johann Soter in Köln. Die Philosophie A.s spiegelt sich v. a. in seinem Magie-Begriff wider. Er unterteilt die Magie in drei Abschnitte, denen jeweils ein Buch gewidmet ist: Im 1. Buch wird die natürliche, im 2. die himmlische und im 3. die zeremonielle Magie abgehandelt. Dabei definiert A. die magia naturalis im Sinne Marsilio Ficinos: der Mensch vermag mit ihrer Hilfe sowohl die Eigenschaften der natürlichen Dinge als auch der Gestirne zu erkennen und sich ihrer in der Mantik zu bedienen. Im Anschluß an Pico della Mirandola werden die Magier für A. zu den genauesten Erforschern der Natur, und folgerichtig stellt die Magie für ihn ein Teilgebiet der philosophia naturalis dar. Wie auch andere Philosophen der Renaissance, sieht A. den Kosmos, in dem als verbindendes Prinzip eine Weltseele (anima mundi) wirkt, hierarchisch geordnet. Die Weltseele übernimmt den Transport der Ideen des Archetypus und bringt sie als vernunftbegabte Samen (semina rationalia) in die Materie der natürlichen, geistigen und himmlischen Welt. In der Materie selbst werden die vernunftbegabten Samen als Kräfte wirksam. Bei ihrem Weg vom Archetypus zur Materie durchläuft die Weltseele verschiedene Stufen: Sie erreicht als erste Stufe die Sphären mit den Gestirnen, die sie entweder unmittelbar durchdringt oder mit denen sie eine Verbindung eingeht, so daß ihre vermittelnde Aufgabe vom Weltgeist (spiritus mundi) übernommen werden kann. Die Rolle der Gestirne, Planeten und des Zodiakus im Emanationssystem betont A. durch die ausführliche Behandlung ihrer Kräfte und deren Einfluß auf die sublunare Welt. A.s occulta philosophia kann als ein philosophisches Konzept der Renaissance angesehen werden, mithilfe einer in sich geschlossenen Kosmologie alle natürlichen und spirituellen Phänomene der Magie
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und der mit ihr verbundenen Astrologie zu erklären. Durch die Erkenntnisfähigkeit der Seele steht dem Menschen der gesamte Kosmos offen, so daß die verborgenen Kräfte, sollten sie von Dingen, Gestirnen, Geistern, Intelligenzen oder Dämonen ausgehen, erkenn- und beherrschbar werden. Diese Erkenntnis offenbart sich bei A. dem Menschen allein durch die Schriften der uralten Theologie, nicht jedoch durch die Texte mal. oder arabischer Autoren. So markiert ‘De occulta philosophia’ einen Wendepunkt in der Ortsbestimmung der natürlichen Magie, obgleich die Frage nach der Wirkungsweise der Kräfte, verbunden mit der Diskussion, ob sie durch die Vermittlung der Gestirne der sublunaren Welt mitgeteilt würden oder ob diese Vermittlung den Dämonen oder gar dem Teufel selbst zuzuschreiben sei, letztlich offen bleiben mußte. Drucke. Henri⫽|ci Cor. Agrippae | ab Nettesheym [...] De occulta | Philosophia Libri Tres. Antwerpen: Joh. Grapheus, 1531 (enthält nur Buch 1); Henrici | Cornelii Agrippae | de Nettesheym [...] De occulta philosophia | Libri Tres. [Köln: Joh. Soter], 1533. VD 16, A 1180. Weitere 14 Drucke bis 1567: DDL, S. 792 f.; die älteren engl. u. frz. Übers.en: S. 793 f. Ausgaben. Henricus C. A. ab Nettesheym, De occulta philosophia [Faksimile d. vollst. Erstausg. 1533, mit Faksimile d. Würzburger Hs. v. 1510], hg. u. erl. v. K. A. Nowotny, 1967; C. A., De occulta philosophia libri tres, hg. v. V. Perrone Compagno, 1992. Dt. Übersetzungen: H. C. A.’s v. N. Magische Werke [...], 5 Bde., 31916, 41921 (ND [ca. 1970]); mit einer Einf. v. K. Benesch, 1982. Engl. Übers.: Henry C. A. of N., Three books of occult philosophy, ed. and annotated by D. Tyson, St. Paul/ Minn. 1993. Den drei Büchern ‘De occulta philosophia’ wurde 1559 ein viertes Buch hinzugefügt, das A. allerdings nicht zugeschrieben werden darf, da es Texte enthält, die erst nach seinem Tod enstanden sind. Druck. Henrici | Cornelii Agrip-|pae liber quartus | de occulta phi-|losophia, seu de Ceri-| monijs Ma-|gicis [...]. Marburg: [Andr. Kolbe], 1559.
D . ‘ De in ce rt it ud in e e t v an it at e s ci en ti ar um et ar ti um ’. Um 1526 nahm A. die Arbeit an dem Werk ‘De incertitudine et vanitate scientia-
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Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius
rum et artium atque excellentia verbi Dei declamatio’ auf. Es erschien mit kaiserlichem Privileg 1530 in Antwerpen. In einer Serie von 99 Monographien gibt A. eine Revue der Künste und Wissenschaften seiner Zeit und sucht anhand der Widersprüchlichkeit ihrer Lehren und der Streitigkeiten ihrer Lehrmeister den Nachweis zu führen, daß in keiner Verläßlichkeit, in keiner ein Weg zur Wahrheitserkenntnis zu finden sei. Ausgenommen von diesem Urteil ist allein das Studium der Bibel (Kap. 100: De verbo Dei). Dem entspricht A.s Forderung, zur Hl. Schrift und zum einfachen Christusglauben zurückzukehren. Er beschließt sein Werk mit dem ‘Lob des Esels’ (Kap. 102: Encomion asini), der jene heilige Einfalt signifiziert, die fern aller Wissenschaft die Apostel und die Christen der Frühzeit ausgezeichnet habe. A. spart nicht mit harter Kritik an Kirche und Gesellschaft. Kein anderes Werk A.s ist von den Zeitgenossen wie auch von der Nachwelt so kontrovers beurteilt worden wie dieses. Erasmus erblickte in ihm einen Angriff auf die Kirche, wohingegen A. es in seiner gegen die Löwener Theologen gerichteten ‘Apologia’ (s. o. B.16.) als paradoxon bezeichnete. In der neueren Kritik sah man in ‘De incertitudine’ einen Höhepunkt seiner Invektiven oder eine Summe seiner Lebenserfahrung und wies auf die skeptische, wenn nicht gar agnostische Grundhaltung des Autors hin. Als literarisches Vorbild wurde einerseits das Fastnachtsspiel angesehen, andererseits zählte man ‘De incertitudine’ zum humanistischen Genus der Declamatio invectiva. Das vielleicht stärkste inspiririerende Moment wird von Erasmus’ ‘Encomion morias’ ausgegangen sein. ‘De incertitudine’ hatte von allen Werken A.s in Ausgaben wie in Übersetzungen die weiteste und längste Verbreitung. Drucke. Splendi⫽|dae nobilitatis viri et | armatae militiae Equitis aurati [...] Henrici Cornelij Agrip⫽|pae ab Nettesheym De Incertitudine et Va⫽|nitate Scientiarum & Artium atque | excellentia Verbi Dei | Declamatio. Antwerpen: Joh. Grapheus, Sept. 1530. Bis 1625 weitere 32 separate Drucke, 8 in Sammelausgaben, s. DDL, S. 784⫺ 787 u. 798 f.; engl., frz., ital. u. ndl. Übers.en:
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DDL, S. 787 f. ⫺ Auszüge und Kap. 102 (‘Lob des Esels’) verdeutschte Sebastian Franck im Anhang seiner Übersetzung von Erasmus’ ‘Encomium morias’ (1534); das ‘Lob des Esels’ erschien auch separat. Drucke: DDL, S. 787 f. Johannes J Böschenstein (II.D.5.) nahm Kap. 18 ‘De saltatione’ in dt. Übers. in seine Schrift gegen das Tanzen auf. Die erste vollst. dt. Übersetzung: Henrici Cornelii Agrippae Ungewißheit Und Eitelkeit Aller Künste u. Wissenschafften [...] Ferner v. eben diesem Autore zwei curieuse Tractätlein/ als I. Von d. Vorzug u. Fürtrefflichkeit d. Weiblichen Geschlechts v. d. Männlichen. II. Von d. H. Ehestand. Aus d. Lat. ins Teutsche übers., Köln 1713. Überarbeitete Neuausg. dieser Übers. v. F. Mauthner, 2 Bde., 1913. Heute gültige Neuübers.: A. v. N., Über d. Fragwürdigkeit, ja Nichtigkeit d. Wiss., Künste u. Gewerbe, übers. u. mit Anm. versehen v. G. G¸pner, 1993. Literatur. A. Prost, Les sciences et les arts occultes au XVIe sie`cle. Henri Corneille A. Sa vie et ses œuvres, Bd. 1⫺2, Paris 1881⫺82 (ND Nieuwkoop 1965); J. Meurer, Zur Logik d. H. C. A. v. N. (Renaissance u. Philosophie. Beitr. z. Gesch. d. Philosophie 11/1), 1920; E. Hahn, Die Stellung d. H. C. A. v. N. in d. Gesch. d. Philosophie, 1923; J. Ferguson, Bibliographical Notes on the Treatises ‘De Occulta Philosophia’ and ‘De Incertitudine et Vanitate Scientiarum’ of C. A., Proceedings of the Edinburgh Bibliographical Society 12 (1924) 1⫺23; J. Bielmann, Zu einer Hs. d. ‘De Occulta Philosophia’ d. A. v. N., AKuG 27 (1937) 318⫺324; E. Metzke, Die ‘Skepsis’ d. A. v. N., DVjs. 13 (1935) 407⫺420; P. Zambelli, Cornelio A. di N., Testi scelti, in: E. Garin u. a. (Hgg.), Testi umanistici su l’ermetismo, Rom 1955, S. 105⫺ 146, bes. S. 107⫺118; H. Bullotta Barracco, Saggio bio-bibliografico su Enrico Cornelio A. di N., Rassegna di filosofia 6 (1957) 222⫺248; Ch. G. Nauert Jr., Magic and Scepticism in A.’s Thought, Journal of the History of Ideas 18 (1957) 161⫺182; D. P. Walker, Spiritual and Demonic Magic from Ficino to Campanella, London 1958; Ch. G. Nauert Jr., A. v. N. in Renaissance Italy. The Esoteric Traditions, Studies in the Renaissance 6 (1959) 195⫺215; P. Zambelli, A proposito del ‘De vanitate scientiarum et artium’ di Cornelio A., Rivista critica di storia della filosofia 15 (1960) 166⫺180; dies., Umanesimo magico-astrologico e raggruppamenti segreti nei Platonici della preriforma, Archivo di filosofia 2/3 (1960) 141⫺174; R. H. Popkin, The History of Scepticism from Erasmus to Descartes, Asssen/New York 1964; Ch. G. Nauert Jr., A. and the Crisis of Renaissance Thought, Urbana/Ill. 1965; P. Zambelli, Cornelio A., Scritti inediti e dispersi, Rinascimento 16 (1965) 195⫺312; dies., ‘Humanae litterae, Verbum
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Altenstaig, Johannes
Divinum, Docta ignorantia’ negli ultimi scritti di Enrico Cornelio A., Giornale critico della filosofia italiana 45 (1966) 187⫺217; G. Rudolph, ‘De Incertitudine et Vanitate Scientiarum’. Tradition u. Wandlung in d. wiss. Skepsis v. A. v. N. bis z. Ausgang d. 18. Jh.s, Gesnerus 23 (1966) 247⫺265; H. F. W. Kuhlow, Die Imitatio Christi u. ihre kosmolog. Überfremdung. Die theol. Grundgedanken d. A. v. N., 1967; P. Zambelli, A. v. N. in d. neuen krit. Stud. u. in d. Hss., AKuG 51 (1969) 264⫺ 295; R. H. Popkin, Introduction, in: H. C. A. v. N., Opera, 1970, S. V⫺XXII; P. Zambelli, Cornelio A., Erasmo e la teologia umanistica, Rinascimento, ser. 2, 10 (1970) 29⫺88; B. C. Bowen, C. A.’s ‘De vanitate’. Polemic or paradox?, BHR 34 (1972) 249⫺256; P. Zambelli, Cornelio A., Sisto da Siena e gli Inquisitori, Memorie Domenicane n. s. 3 (1972) 146⫺164; W.-D. M¸ller-Jahncke, Magie als Wiss. im frühen 16. Jh. Die Beziehungen zwischen Magie, Medizin u. Pharmazie im Werk d. A. v. N., 1486⫺1535, 1973; P. Zambelli, Il problema della magia naturale nel rinascimento, Rivista critica di storia della filosofia 33 (1973) 271⫺ 296; W. Ziegeler, Möglichkeiten d. Kritik am Hexen- u. Zauberwesen im ausgehenden MA. Zeitgenöss. Stimmen u. ihre soziale Zugehörigkeit, 1973, S. 137⫺199; M. de Gandillac, Sur le roˆle du fe´minin dans la the´ologie d’A. de N., Revue d’histoire et de philosophie religieuses 55 (1975) 37⫺ 47; W.-D. M¸ller-Jahncke, Joh. Dryander u. H. C. A. v. N. in ihrem Briefwechsel, Hess. Heimat 25 (1975) 91⫺98; ders., The Attitude of A. v. N. towards Alchemy, Ambix 22 (1975) 134⫺150; V. Perrone Compagni, Picatrix Latinus. Concessioni filosofico-religiose e prassi magica, Medioevo 1 (1975) 237⫺337; E. Korkowsky, A. as Ironist, Neophilologus 60 (1976) 594⫺607; W.-D. M¸ller-Jahncke, Von Ficino zu A. Der Magie-Begriff d. Renaissance-Humanismus im Überblick, in: A. Faivre / R. Ch. Zimmermann (Hgg.), Epochen d. Naturmystik. Hermet. Tradition im wissenschaftl. Fortschritt, 1976, S. 24⫺51; P. Zambelli, Magic and Reformation in A. of N., Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 39 (1976) 69⫺103; W.-D. M¸ller-Jahncke, A. v. N.: ‘De Occulta Philosophia’. Ein magisches System, in: Magia Naturalis u. d. Entstehung d. modernen Naturwiss. (Studia Leibnitiana, Sonderh. 7), 1978, S. 19⫺26; K. Goldammer, in: TRE 2, 1978, S. 118⫺123; W. Newman, Thomas Vaughan as an Interpreter of A. v. N., Ambix 29 (1982) 125⫺140; W.-D. M¸llerJahncke, A. v. N. in Antwerpen. Ein Beitr. z. Gesch. d. ‘Englischen Schweiß’, in: P. Dilg (Hg.), Perspektiven d. Pharmaziegesch. Fs. R. Schmitz z. 65. Geb., 1983, S. 243⫺268; S. Cigliana, Enrico Cornelio A. e la dignita` dell’intelletto. Riflezzioni quabbalistiche sulla virtu` magica delle parole e delli segni, in: G. Formichetti / F. Troncarelli
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Wolf-Dieter M¸ller-Jahncke
Altenstaig, Johannes I . L eb en . A. aus Mindelheim, immatrikuliert am 27. Juli 1497 in Tübingen als pauper, Ende 1498 Baccalaureus, am 11. Jan. 1502 Magister artium, war Schüler und begeisterter Anhänger Heinrich J Bebels. Er lehrte als Magister in der Burse der Modernen (Contubernium recentiorum). Bebel durfte er einmal in der öffentlichen Vorlesung vertreten (s. II.A.2., Bl. A iijr), womit er die Abneigung von Gegnern Bebels auch auf sich zog. Im SS 1507 versah er das Amt
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Altenstaig, Johannes
des Dekans. Nach dem Artesstudium hatte er die theologische Laufbahn gewählt, am 21. Jan. 1507 auch den Grad eines Baccalaureus biblicus erworben, brach das Studium aber ab und folgte 1509 dem Ruf auf ein wohldotiertes Lehramt an der Schule des Augustiner-Chorherrenstifts Polling (Obb.), dem damals der für Bildung und Wissenschaft aufgeschlossene Propst Johannes Zinngießer vorstand. In Polling unterrichtete er lat. Sprache, Rhetorik, Dialektik und auch Theologie. Nach etwa drei Jahren der Lehre kündigte er, schon am 29. Sept. 1511 zum Priester geweiht, im Juni 1512 seinen Abschied an, um in Mindelheim an der Pfarrkirche die Meßpfründe des St. Sebastianaltars, die er 1510 durch Vermittlung des Augsburger Domherrn Johannes von Frundsberg erhalten hatte, sowie die geistliche Betreuung der St. Sebastiansbruderschaft zu übernehmen. Spätestens seit Nov. 1512 war er in Mindelheim ansässig. Mit Aufgaben der Seelsorge nicht überlastet, konnte er sich ⫺ neben zeitweiliger Lehrtätigkeit bei den Mindelheimer Augustinern ⫺ seinen gelehrten und schriftstellerischen Neigungen widmen. 1518 betraute der Augsburger B. Christoph von Stadion den Generalvikar Johannes Alantsee († 30. Dez. 1519) und A. mit der gemeinsamen Visitation der bayerischen Gebiete seiner Diözese (einzige Quelle dazu: II.B.2., Widmung an Stadion). Nachrichten über A. aus der Zeit der frühen Reformation sind nicht bekannt. Ohne Zweifel stand er fest auf seiten der alten Kirche (s. II.B.4.b). Letzte Lebenszeugnisse sind die 1524 verfaßte Schrift wider die Völlerei und ein Brief Nikolaus J Ellenbogs vom 4. März 1524. Wahrscheinlich ist er noch vor 1526 gestorben. Freunde A.s waren, wie man den Briefen und Gedichten entnimmt, die den Drucken seiner Schriften beigegeben sind, in der Tübinger Zeit und später neben Bebel (noch auf der Titelseite des ‘Vocabularius theol.’ ist er mit einem Distichon vertreten) u. a. J Brassicanus, J Heinrichmann, J Boemus und besonders Johann J Eck, der fautor et amicus noster singularis, den er
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auch in seinen Schriften häufig nennt und zitiert. In der Mindelheimer Zeit hatte er enge Verbindung mit Alantsee und weiterhin mit Heinrichmann, der seit 1514 in Augsburger bischöflichen Diensten stand, mit Johannes J Pinicianus und Urbanus Rhegius, mit Ellenbog (s. Ellenbog-Br., Nr. II 95, III 70, IV 1) und Abt Leonhard Widenmann in Ottobeuren. Zu seinen Gönnern konnte er B. Christoph von Stadion und, früher schon, die Frundsberger, die Stadtherren von Mindelheim, zählen. I I. We rk . Die lat. Schriften A.s sind sämtlich Leistungen der Sammlung und Wissensorganisation eines breit belesenen Mannes, der mit seiner Feder dienen wollte und dabei jeden Anspruch auf originäres Denken und Schaffen ausdrücklich und wiederholt von sich wies. Die Mehrzahl wurde für Unterricht und Studium konzipiert; ein Teil entstand im Zusammenhang mit der Lehre in Tübingen und Polling. Die erfolgreichsten waren die beiden Lexika. War A. noch bis in die Pollinger Zeit entschieden an seinem humanistischen Lehrer Bebel orientiert, zeichnete sich mit seinem Wechsel von der Tätigkeit des Lehrers in die Seelsorge einige Reserve gegen die litterae humaniores ab. Ohne diese etwa zu verwerfen, gab er nun der “allen Wissenschaften überlegenen” Theologie persönlich wie sachlich das maßgebliche Gewicht ⫺ so wenig er sich einen eigentlichen Theologen nennen mochte (II.B.1., Bl. ijv⫺iijr). In der Theologie galt ihm scholastische Kontinuität noch als selbstverständlich. A . S ch ul sc hr if te n d er Tü bi ng er u nd Po ll in ge r J ah re . 1. ‘Vocabularius vocum’. Der im Okt. 1508 abgeschlossene ‘Vocabularius’ ist kein für sich konzipiertes Wörterbuch, sondern zur Erläuterung des Wortschatzes verfaßt, der in den ‘guten’ lat. Grammatiken, vor allem den ‘Institutiones’ Brassicans und Heinrichmanns begegnet (im Nachwort: vocum grammatica-
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Altenstaig, Johannes
rum institutionum vera et succincta interpretamenta). Als Hilfsmittel des Grammatikunterrichts ordnete A. sein Material nach den acht Wortarten (partes orationis) und auch innerhalb dieser Rubriken nach grammatikalischen Maßgaben. Der weitaus größte Teil der etwa 5500 Lemmata entfällt auf die Nomina. Die Bedeutung der einzelnen Wörter wird mit wechselnden Zugriffen erläutert: etymologisch, durch Synonyma, Definitionen und Periphrasen, gelegentlich durch dt. Interpretamente, regelmäßig durch Beispiele des Gebrauchs bei antiken Autoren. Im beigefügten Brief an Bebel (Tübingen 1508) gibt A. seine antiken und neueren lexikalischen Quellen (unter heftiger Verwerfung der mal. Vokabulare) an und betont, als redigierender Sammler nichts Neues verfaßt zu haben. Die Anregung zu seinem mühevollen Unternehmen verdankte er dem Freund Gregor Weselin (Brief an diesen, Bl. Y ijv). Mit Briefen von Heinrichmann (Kreßbach, 7. Mai 1508, u. Eichstätt, 15. Okt. 1508), der A.s Engagement als Lehrer rühmt, von A. an Bebel sowie an seine Schüler (26. Okt. 1508). Widmung an Christoph von Schwartzenberg (Tübingen, 15. Okt. 1508). Drucke. Vocabularius | Ioannis Altenstaig Mindelhaimensis. | Vocum quae in opere grammatico plu|rimorum continentur/ breuis | et vera interpretatio [...]. Straßburg: Joh. Prüß, 13. Okt. 1509. VD 16, A 1985. Revidierte 2. Aufl.: Vocabularius Ioannis | Altenstaig [...] Opus emendatum et denuo reuisum | ab ipso operis auctore [...]. Hagenau: Heinr. Gran, 1511. VD 16, A 1986. Einen alphabetischen Index (65 S.), der den ‘Vocabularius’ als selbständiges Lexikon benutzbar machte, erhielt er, von der Hand Oswald Molitors, zuerst im Druck Basel, Adam Petri, 1514. VD 16, A 1988. Bis 1522 mindestens fünf weitere Drucke (A 1987, 1989⫺91, 1993). Mau, S. 309 f.
2. Kommentar zu Bebels ‘Triumphus Veneris’. Neben Carmina Rudolfs von J Langen und J Reuchlins Komödien gehört Bebels ‘Triumphus Veneris’ zu den ersten Dichtwerken deutscher Humanisten, die, wie sonst nur die Klassiker, einen (Schul-) Kommentar erhielten. A. stellte seinen Kommentar in den Dienst genauen Textverständnisses. Dem Wortlaut der kleinen
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Abschnitte (5 bis 50 vv.), in die er den Text des ‘Triumphus’ teilt, schließt er jeweils in der Art eines Stellenkommentars sprachliche und sachliche Erläuterungen an, verdeutlicht ihn eingangs meist auch durch kurze inhaltliche Reprisen, sekundiert bisweilen auch Bebels moralistischen Anliegen. Auch dessen brandmarkende Kritik an Amtsführung und Lebenswandel des hohen Klerus und am Gebaren der Mönche schwächt er weniger ab (so Zoepfl, 1918, S. 55), als daß er sie mit Hinweisen auf ähnliche Invektiven z. B. Bernhards von Clairvaux (‘De consideratione’), Gabriel Biels und Matteo Bossos unterstützt (Bl. 49v). Der noch in Tübingen entstandene Kommentar (Bl. cxviiiv: [...] Tubingae ubi hec exaraui) wurde erst in Polling zur Veröffentlichung bestimmt (Bl. cxviiiv: Ad lectorem, Polling, 15. März 1510; Bl. A iijv: Widmung an Zinngießer, 13. April 1510). Die Drucklegung, deren Abschluß A. bereits im Okt. 1511 erwartete (s. II.A.3., Bl. A 3r), ließ fünf Jahre auf sich warten. Drucke. (1) Triumphus Veneris Hen⫽|rici Bebelij cum Commentario Ioan⫽|nis Altenstaig Mindelhaimensis. Straßburg: [Math. Schürer], 1. Sept, 1515. VD 16, B 1305. (2) Pollinger Redaktion: Der Lage A des Druckes (1) wurde in einem Teil der Auflage eine weitere Lage A (6 Bll.) vorgeschaltet, die zahlreiche auf Polling bezogene Paratexte enthält und mit eigener Titelseite versehen ist: Triumphus Veneris Hen|rici Bebelij poetae laureati. cum com⫽|mentario Ioannis Altenstaig | Mindelhaimensis. (Holzschnitt: Bebels Wappen). Der Druck (1) blieb im übrigen völlig unverändert. VD 16, B 1304; Angres, S. 22⫺24. Die Pollinger Red. enthält neben der Widmung an Propst Zinngießer und einem Brief des Mathias Kretz an A. (Polling, 17. Mai 1513, Lob A.s, der fest zu Bebel stehe) Carmina des Gallus Held (auf Bebel und A.), des M. Kretz (auf Zinngießer, den Pollinger Dekan Konrad Hartmann u. auf Bebel) und Verse Bebels an sein Buch und an Zinngießer. Abdruck der Begleittexte bei G. W. Zapf, Heinr. Bebel nach seinem Leben u. seinen Schr., Augsburg 1802 (ND 1973), S. 240⫺264, teilweise bei Angres, S. 335⫺343.
3. ‘Opus pro conficiundis epistolis’ Der mit nahezu 300 S. für seine Gattung ungewöhnlich starke Band enthält nicht
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Altenstaig, Johannes
nur eine Brieflehre, sondern auch eine ausgiebige Stilistik, dazu eine Lehre der Colores rhetorici (mit Brief an den Pollinger Konventualen Joh. Vend, 30. Juni 1511) und eine kleine Sammlung von Musterbriefen, die A.s Pollinger Schüler verfaßten (Nov. 1511) sowie ‘Discipulorum praecepta’ und eine Primizpredigt ‘De militia christiana’. Das Lehrbuch ist ein Werk der Tübinger Schule: Wie Bebel formuliert A. nicht nur eine Anleitung, sondern attakkiert zugleich die Regeln der spätmal. Brieflehren samt deren verderbter Latinität und ihre Verfasser: Tybinus (D Nikolaus de Dybin), D Viruli, D Lescher, D Poncius [NB] u. a. Das alte Schema der fünf Partes epistolae wird abgelöst durch briefspezifische Gesichtspunkte (causa, voluntas principalis, consequens), das weitschweifige Salutationswesen abgeschafft. Quellen der Doktrin sind neben Cicero, Ambrosius, Hieronymus die Italiener, vor allem Perotti und Francesco Nigri, häufig auch J Celtis’ Brieflehre. Die Widmung geht mit A.s tiefem Dank für Förderung an Johann von Frundsberg (12. Okt. 1511). Propst Zinngießer berichtet er über seine Lehrtätigkeit (13. Okt.). Einen weiteren, pädagogischen Brief adressiert er an seine Schüler (14. Okt.). Druck. Joannis Altenstaig Mindel⫽|haimensis | Opus pro conficiundis epistolis. [...] | De generibus epistolarum [...]. Hagenau: Heinr. Gran, 7. Sept. 1512. VD 16, A 1983.
4. ‘Dialectica’. A. betrachtet die Dialectica, mit der er die gesamte Logik meint, als Fundamentaldisziplin aller Wissenschaft, bes. der Theologie (Bl. 2r: Nam ut aiunt: Theologus sine logica est suspectus hereticus). Er teilt sie in die Lehre vom Begriff (terminus), Urteil (propositio, kategorische und hypothetische) und Schluß (argumentatio). Schon damit ist ihre Herkunft aus der Tübinger nominalistischen Lehrtradition manifest. Darüber hinaus beobachtet man häufig im einzelnen und durchgehend bei der Lehre vom Schluß Anlehnung an Jodocus Isenacensis (J Trutfetter). Widmung des für die jungen Pollinger Fratres verfaßten Werks an Propst Zinngießer (Polling, 17. März
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1512). Als Anhang liefert A. ein Specimen angewandter Dialectica, eine kunstgerecht gearbeitete Quaestio, mit der er die Anfrage Zinngießers, ob die Konventualen Universitätsbildung erhalten sollten, beantwortet und nachdrücklich bejaht. Druck. Dialectica congesta | et collecta diligenter et non sine la|bore: a Joanne Altenstaig Min|delhaimensi: ex auctoribus veri|oribus et fide dignissimis [...]. Hagenau: Heinr. Gran, 15. April 1514. VD 16, A 1980. Der Clm 11777, 1r⫺95r, überliefert eine Abschrift einer früheren, kürzeren Fassung der ‘Dialectica’; die Widmung an Zinngießer ist hier auf den 24. Okt. 1510 datiert. Vgl. Zoepfl, 1918, S. 53 f.
B . S ch ri ft en de r Min de lh ei me r J ah re . 1. ‘Vocabularius theologiae’. Das mehr als 550 S. in 2° umfassende, beachtlich reiche und gründliche theologisch-philosophische Begriffs- und Bedeutungslexikon ruht auf den Autoritäten vornehmlich der nominalistischen Theologie von Occam an, die A. im Nachwort (Bl. [Z5]v) anführt; unter diesen nennt er als ersten Gabriel D Biel, den bedeutendsten Theologen der Tübinger Frühzeit, von den lebenden Zeitgenossen allein Joh. Eck. Widmung an B. Chr. von Stadion (Mindelheim, 1. Okt. 1517). Mit Brief an Johann von J Staupitz (4. Okt. 1517), den er einst in Tübingen gehört hatte, sowie Carmina des Joh. Boemus und des Joh. Pinicianus. Drucke. Vocabularius Theologie com⫽|plectens vocabulorum descriptiones/ diffinitiones et significa|tus ad theologiam vtilium [...]. Hagenau: Heinr. Gran, 13. Okt. 1517. VD 16, A 1992. Weitere 7 Drucke und 2 Teildrucke 1567 bis 1619, s. Mau, S. 310 f.: Die Antwerpener Neuausg. von 1576, offeriert als Wiederentdeckung, gereinigt von angeblich zahllosen Fehlern und Irrtümern des Erstdrucks, erhielt bis 1583 fünf Nachdrucke in Lyon und Venedig. Sonst war nach 1517 nur ein Auszug erschienen (Paris 1567, wiederholt ebd. 1580). Eine weitere Neuausg., Köln 1619 (995 S.), besorgte der Kölner Theologe Joh. Tytz. Die thomistische Revision, der sie unterzogen sein will, hält sich in Grenzen; die mit einer Crux (†) markierten thomistischen Addenda nehmen an Dichte sehr bald ab
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Altenstaig, Johannes
und versiegen ab S. 259 gänzlich; größere thomistische Ergänzungen sind nur S. 214 f., 254 f., 391 f. eingefügt.
2. ‘De felicitate triplici’. Das Werk, dessen umfangreicher Stoff aus Bibel und Theologie, antiker Philosophie, Dichtung und Geschichtsschreibung zusammengetragen ist, setzt sich vom aristotelischen und vom humanistischen Diskurs über die Frage der Glückseligkeit zugunsten einer streng christlichen Konzeption ab. Das 1. Buch streitet gegen die Ansicht, daß aus vergänglichen irdischen Gütern ⫺ dazu rechnet A. auch scientia (Kap. 8) und virtus (Kap. 14 ff., 16⫺17 gegen Aristoteles) ⫺ felicitas zu gewinnen sei; das 2. beschreibt in umfangreichen 37 Kapiteln die christliche felicitas auf Erden, die auf Glaube, Hoffnung und Liebe, Befolgung der Gebote, der Gnade der Sakramente und guten Werken gründe; sie versteht sich als Weg zur felicitas des ewigen Paradieses (Anschauung Gottes), deren Vorstellung das 3. Buch zu vermitteln sucht. Widmung an den Augsburger B. Chr. von Stadion (Mindelheim 1518). Druck. Tres libri de felicita⫽|te triplici. Vna que dicitur bracteata/ | personata siue philosophica: humana/ | falsa et erronea. Altera christicolarum | deo militantium/ terrestris siue viae: ve⫽| ra/ recta/ et meritoria: vel dispositiua.| Tertia celestis: beatorum siue triumphan⫽|tium: sempiterna/ absoluta et integra. [...]. Hagenau: Heinr. Gran, 4. April 1519. VD 16, A 1981.
3. ‘De amicitia’. A. bestimmt in der Folge des Aristoteles und Ciceros Freundschaft als die vollkommenste soziale Lebensform. Er teilt mit ihnen auch den Satz, daß Freundschaft nur inter bonos möglich sei, mithin eine Ethik der Freundschaft voraussetze; diese aber verlangt für A. eine christliche Fundierung. Auffälligstes wiederkehrendes Thema ist die Unterscheidung zwischen wahrer und den vielen Arten falscher Freundschaft, vor allem opportunistischer Schmeichelei. Auch dieser über 44 Kap. sich breitende Traktat speist sich aus einer Fülle von Quellen, darunter nicht wenigen mal. Theologen. In größtem Respekt vor den Gelehrten der Vergangenheit, auch im Blick auf die Gefahr zu irren erklärt sich
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A. wiederum als nicht versucht, Neues und Eigenes zu denken.Widmung an Abt Leonhard Widenmann von Ottobeuren (Mindelheim, 1519). Mit einem Brief an den Freund Joh. Alantsee (1519), einem Carmen des Joh. Pinicianus und einer Empfehlung des Buches durch Simon Kompost an seine Schüler Balthasar und Melchior von Frundsberg. Druck. Opusculum de amicicia | continens quid amicitia vera et perfecta [...] et quid fu|cata/ vel ficta/ aut simulata amici|cia. [...]. Hagenau: H. Gran, 14. Sept. 1519. VD 16, A 1979.
4. Deutsche Schriften. a) Übersetzung von Isokrates’ ’De regni administratione ad Nicoclem’. Vorlage der Adam von Frundsberg 1517 als Dankesgabe gewidmeten Übersetzung war die lat. Version des Bernardo Giustiniani. A. verdeutschte nicht wortgetreu, sondern nach laut der mainung vnd sententz (Bl. A iijv), nicht ohne Kürzungen und Ergänzungen. Er entschuldigt sich, daß er, in dt. Schreibsprache ungeübt, kein Retorisch teütsch zu bieten habe. Druck. Isocrates | Von dem Reich. Augsburg: Silv. Otmar, 1517. VD 16, I 545.
b) ‘Unterricht, was ein Christ tun und lassen soll’. Mit der dem gemainen man zugedachten Schrift sucht A. in einer Zeit der Erschütterung aller Traditionen des Glaubens Antwort auf die Frage zu geben, wie ein Christ das Heil erlangen könne; sie lautet: durch Nachfolge Christi. A. distanziert sich von der Polemik der Parteien, will ein friedfertiges Gespräch über Christsein und die Bedingungen des ewigen Heils erreichen. In der Tat greift er keinen Gegner an, nennt keinen Namen, doch sind seine Stellungnahmen deutlich: gegen eigenmächtige Schriftauslegung, für die Autorität der theologischen und kirchlichen Tradition (Bl. b ijr⫺v); gegen die vermessenhait zu glauben, der Mensch könne on sein verdienst allain auß der genad (wr) selig werden; daß Tun und Lassen dem freien Willen unterstehen (n iij), und in allen Teilen des Traktats die Lehre, daß erst das werck, nicht schon das Bekenntnis zur Seligkeit verhelfe. A. kennt den neuen Anspruch,
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Altenstaig, Johannes
Glaubenslehre auf das Wort der Bibel zu gründen, und folgt ihm und findet nur den alten Glauben, die alte Frömmigkeit bestätigt. Für die Gebrechen der Kirche nicht blind, billigt er Widerstand gegen unwürdige Bischöfe und plädiert für ein Konzil, damit man vil mißbreüch abthat/ vnd den geitz der gaistlichen vnd weltlichen (Bl. [r4]v). Dem Autor genügt ein schmuckloses Deutsch, christlicher Sermo humilis (Bl. a iijv). Widmung an seinen Schwager Hans Kürnbach (Mindelheim, 1523). Druck. Ain nützlich vnd in hailiger ge⫽| schrifft gegründte[!] vnderricht/ was ain | Christen mensch thu˚n oder | lassen sol/ das er sälig vnd | nit verdambt werd [...]. Augsburg: [Sigm. Grimm u. Marx Wirsung, 1523]. VD 16, A 1982.
c) ‘Von der Völlerei’. Auch in der Schrift wider die Völlerei und ihre verheerenden sittlichen Folgen macht sich A. biblische Worte zur Hauptstütze, spielt freilich auch seine Belesenheit in der moralistischen Literatur aller Epochen (nicht aber der Gegenwart) wiederum reichlich aus. Ob der breit geratene, schwach strukturierte Traktat seinen Anlaß in der reformatorischen Kritik am kirchlich geregelten Fasten hatte (vgl. Zoepfl, 1918, S. 64 Anm. 1), steht dahin. Er ist Georg von Frundsberg gewidmet (Mindelheim 1524), doch nur als Ersatz für eine Lobschrift auf den Bewidmeten, deren Druck dieser nicht gestattete; sie hatte ihn zum spiegel und exempel ebenso für seine Söhne wie für andere erhoben. Druck. Von der Fül|lerey ein müter aller | vbel vnd laster [...]. Straßburg: Joh. Grüninger, 1525. VD 16, A 1994. 5. Verlorene Schriften. a) Nachdem A. 1508 in der Widmung des ‘Vocabularius vocum’ an Chr. von Schwarzenberg den Druck seiner Tübinger Orationes angekündigt hatte, wird im Kolophon der Ausg. Hagenau 1515 mitgeteilt, daß dieser noch nicht erfolgt sei. Er kam auch später nicht zustande. b) In der Vorrede zu ‘Unterricht, was ein Christ tun und lassen soll’ (Bl. br) nennt A. vier lat. theologische Werke, die wohl der Mindelheimer Zeit entstammen, aber nicht mehr zum Druck gekommen und heute verschollen sind: ain breuiarium oder ain summ der Bibel/ was da begriffen wirt in
ainem ietlichen capitel, ain außlegung der Psalmen, ain buch von der geitzigkait aller menschen und ain buch mit 42 capiteln/ von den Euangelischen warhaiten, [...] alles latein, das er auch sonst mehrfach erwähnt. c) In ‘De felicitate triplici’ (II 35) verweist er auf einen tractatus de passione Domini. d) Im Traktat wider die Völlerei (Bl. I ijr) spricht er von seinem Buch über die buszuertigkeit. e) Anscheinend hat er sich auch an Arbeiten über die Augsburger Bischöfe Heinrich von Lichtenau und Christoph von Stadion versucht, für die ihm Johann von Alantsee Quellen zugänglich gemacht hatte (‘De felicitate tr.’, Bl. [H7]v). f) Eine angeblich 1520 bei Gran in Hagenau erschienene “Grammatica” A.s, die Veesenmeyer, S. 61, nach Panzer (Ann., Bd. 7, S. 89, Nr. 173) verzeichnet, aber nicht finden konnte, existiert nicht. Literatur. F. A. Veith, Bibliotheca Augustana [...], Bd. 4, Augsburg 1788, S. 151⫺163 (mit d. älteren Lit.); G. Veesenmeyer, Von J. A.s Leben u. Schriften, in: ders., Sammlung v. Aufsätzen z. Erläuterung d. Kirchen- Litteratur- Münz- u. Sittengesch. bes. d. 16. Jh.s, Ulm 1827, S. 38⫺137; C. Prantl, Gesch. d. Logik im Abendlande, Bd. 4, 1870 (ND 1955), S. 265 f.; F. Zoepfl, J. A. Ein Gelehrtenleben aus d. Zeit d. Humanismus u. d. Reformation (Reformationsgesch. Stud. u. Texte 36), 1918; F. Zoepfl, Der Humanismus am Hofe d. Fürstbischöfe v. Augsburg, Hist. Jb. 62⫺69 (1949) 671⫺708, hier S. 689, 693, 698, 700 f.; W. Klaiber, Kathol. Theologen u. Reformer d. 16. Jh.s. 1978, Nr. 97⫺109; H. P. Schmauch, Christoph v. Stadion (1478⫺1543), Bischof v. Augsburg (1517⫺ 1543), u. seine Stellung z. Reformation, Diss. (masch.) München 1956, S. 29 f.; R. van D¸lmen, Propst Franziskus Töpsl (1711⫺1796) u. d. Augustiner-Chorherrenstift Polling, 1967, S. 14; R. Mau, in: DDL, Autorenlex., Bd. 2, 1991, S. 308⫺ 319; R. B‰umer, in: 3LThK 1, 1993, S. 449 f.; M¸ller, Lexikogr., S. 430⫺433; M. Angres. Triumphus Veneris. Ein allegorisches Epos v. Heinr. Bebel (Hamburger Beitr. z. Neulat. Philologie 4), 2003, S. 16 f., 19, 22⫺27, 81.
F. J. Worstbrock
Andreas Delitianus J Probst, Andreas Andwil J Burkhard von Andwil Angelus J Engel, Johannes Aperbachius J Eberbach, Peter
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Arnoldi, Bartholomäus, von Usingen
Aquilonipolensis J Fischer, Heinrich Arctocephas J Bernhaubt, Pangratz, gen. Schwenter Arnoldi (Textoris), Bartholomäus, von Usingen I . L eb en . A., geb. ca. 1462/64 in Usingen (Taunus), immatrikulierte sich im WS 1484 an der Univ. Erfurt (Bartolomeus Textoris de Osyngen), wurde im Herbst 1486 Baccalaureus und lehrte seit 1491 als Magister artium. 1499 wurde er Mitglied des Fakultätsrates der Artisten. Er war Bursenleiter der Domus nova bis zum 25. April 1501. Von 1501 bis 1504 war er einer der Lehrer Martin Luthers. Im SS 1504 versah er das Amt des Dekans. Er begann danach mit dem Studium der Theologie. Nachdem er im SS 1512 als 50jähriger in den Orden der Augustiner-Eremiten eingetreten war, erwarb er im WS 1512 das theol. Lizentiat und am 16. Okt. 1514 den Grad des Dr. theol. Seitdem war er Mitglied der theol. Fakultät ohne Lehrstuhl; im SS 1521 diente er ihr als Dekan. Am 26. April 1518 nahm er an Luthers Heidelberger Disputation teil, ohne sich aber dessen Theologie anzuschließen. Im SS 1519 wirkte er im Achtmännerausschuß zur Reform der Universität. Zuvor schon, bis 1521, langjährig Prediger im Augustinerkloser, wurde er am 20. April 1522 Erfurter Domprediger. Er setzte sich in Predigt und Schrift mit den reformatorischen Prädikanten auseinander, hatte in Erfurt aber seit April 1525 kaum noch Wirkungsmöglichkeiten und siedelte daher am 17. Mai 1525 ins Augustinerkloster Würzburg über. 1530 nahm er als Theologe und Prediger am Augsburger Reichstag teil und erhielt für seine Mitarbeit an der ‘Confutatio confessionis Augustanae’ eine kaiserliche Belohnung. Im SS 1531 erhielt er einen Empfang durch den Rektor der Univ. Erfurt. Er starb am 9. Sept. 1532 und wurde in der (alten) Augustinerkirche bestattet. 1900 fand die Erhebung seiner Gebeine und Übertragung in
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die neue Augustinerkirche (ehem. Dominikanerkirche) statt; sie wurden dort in der Wand des rechten Seitenschiffes beigesetzt. I I. We rk . Ein nicht auf allen Ebenen kritisches Werkverzeichnis bei Lalla, 2003a, S. 402⫺425. Dort auch späte, hier nicht verzeichnete Nachdrucke einzelner Schriften und eine Zusammenstellung verlorener Schriften. Für die hsl. Überlieferung sind zusätzlich Zumkeller, 1966 u. 1995, und Simoniti, 1975, heranzuziehen; die Drucküberlieferung ist v. a. nach Hase und Kˆhler zu kontollieren.
A . S ch ri ft en zu m A rt es -S tu di um . A. schätzte Aristoteles, verschwieg aber Diskrepanzen zwischen aristotelischer und biblischer Lehre nicht. Seine Tätigkeit in der Erfurter Artistenfakultät (1491⫺1514) schlug sich in kompendienartigen Lehrbüchern nieder. Dabei ging er in Dialektik und Naturphilosophie von Kommentaren zu verbreiteten Lehrbüchern des Petrus Gerticz von Dresden (1.a u. 2.a) aus, die er später zu umfangreichen Kompendien (1.b u. 2.b) umarbeitete und diesen zur Vertiefung Übungsbücher in Quaestionenform beigab (1.c u. 2.c). Seinen Kommentarstil nennt er – nach den zur Verdeutlichung logischer Begriffsanalyse beigedruckten geschweiften oder eckigen Klammern – figuralis interpretatio (1.a) o. ä. Gemeinsam mit Jodocus J Trutfetter gab er der Via moderna in Erfurt “eine kämpferische, programmatische Gestalt” (Urban, S. 315); beide verhalfen auf der Quodlibetdisputation von 1497 “einer klaren terministisch-ockhamistichen Richtung” (Kleineidam, Erfurt 2II, S. 141) zum Durchbruch. Stärker als Trutfetters voluminöse Kompendien sind A.s artistische Schriften von didaktischer Reduktion geprägt. Formal und stilistisch ganz der spätmal. Schulphilosophie verpflichtet, machte A. doch Zugeständnisse an humanistische Usancen: So finden sich (anonyme oder mit Initialen gezeichnete) Geleitepigramme auf den Titelbll. der Schulschriften; zwei Schriften (1.b u. 3.b) schrieb A. ausweislich der Titel ad laudem dei et reipublice litterarie. Die Verbindung zum Erfurter Humanistenkreis ist dabei allenfalls margi-
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Arnoldi, Bartholomäus, von Usingen
nal; im Briefwechsel des J Mutianus Rufus wird A. nur einmal als Außenstehender erwähnt (Mutianus-Br., Nr. 582: an Joh. Lang, [1517⫺1519]). 1. Naturphilosphie (und Metaphysik). a) Paruulus philo|sophie naturalis | Figuralis interpretatio in Epitoma philosophie | naturalis [...] per | Bartholomeum de Usingen liberalium studiorum inter⫽|pretem concinnata [...] Annexa est huic opusculo Questio ardua de Qui⫽|ditate Quantitatis Continue. Per eundem […]. Zwei Holzschnitte. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 23. Febr. 1499. GW 3465. Ein ND: Basel, Jak. Wolff, 1511. VD 16, P 813. Kommentar (mit Text) zum verbreiteten Kompendium des Petrus Gerticz (zuvor zweimal in Leipzig gedruckt: GW 3463 f., mit irriger Zuschreibung an A., s. Ch. H. Lohr, Traditio 28 [1972] 353 f.). Der Kommentar übertrifft an Umfang die reinen Textausgaben um das Neunfache, in die Texterklärung sind Quästionen und Exkurse eingeschaltet. Als Anhang ließ A. seine Quaestio (principalis?) der Quodlibetdisputation von 1497 drucken (Trutfetter gab seine Quaestio 1501 zum Druck). Im Anschluß an Ockham, Petrus von Alliaco und Gregor von Rimini verneint A. die Frage, utrum quantitas continua [...] sit entitas realiter distincta a substantia et qualitate, im Sinne von Ockhams Ökonomieprinzip, dem commune fundamentum vie moderne (s. Urban, S. 317⫺327). b) Compendium Naturalis | philosophie Opera et studio singulari M. Bar|tholomei de vsingen Jn Gymnasio Erphurdiensi Colle|ctum [...]. Erfurt: Wolfg. Schenck, [1507]. VD 16, A 3692. Geleitepigramm u. a. des Eobanus J Hessus. – Erweitert als: Compendium | Naturalis philosophie totius | Opera et studio M. Bartholomei de Usingen […]. Erfurt: Wolfg. Schenck, [1517]. VD 16, A 3693. Mindestens ein weiterer Druck, hg. v. Joh. Curio, Erfurt 1543 (VD 16, A 3694). Auf dem Kommentar zum ‘Parvulus’ (s. 1.a) basierende, aber nicht damit identische (anders Kleineidam, Erfurt 2II, S. 299) Einführung in die Naturphilosophie in sechs nach einschlägigen Aristotelica geordneten Tractatus (physicorum, de celo et mundo, de generatione et corruptione, metheororum, de anima, paruorum naturalium). In größerer Type ist ein auf Gerticz’ ‘Parvulus’ beruhender, doch bereits im 2. Satz veränderter, später ganz selbständiger thesenhafter Grundtext beigegeben. Die 2. Aufl. ist um zwei Bücher (über Mineralien nach Albertus Magnus und de vegetabilibus et animalibus) erweitert. c) Quaestionen zur ‘Physica’ und zu ‘De anima’ des Aristoteles, die an das 1. und 4. Buch des ‘Compendium’ (1.b) anschließen, gab A. noch 1507 heraus: α) Exercitium de anima | Jn studio Erphurdiensi collectum per | M. Bartholomeum de vsingen | Jnstauratum atque Emen|datum. Erfurt:
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Wolfg. Schenck, 1507. VD 16, A 3698. β) Exercitium Phisicorum | Jn Gymnasio Erphurdiensi collectum | per M. Bartholomeum de vsingen | Emendatum et renouatum Atque | ibidem in vsum scolasti|ce Juuentutis im|pressum. Erfurt: Wolfg. Schenck, [1507]. VD 16, A 3700. Stärker als beim sachbezogenen Kommentar zur Seelenlehre, der nur in einer Quaestio ihre Vereinbarkeit mit der kirchlichen Lehre diskutiert, problematisiert das ‘Exercitium physicorum’ den Stoff in nominalistisch-sprachphilosophischer Hinsicht. 2. Dialektik. a) Paruulus loyce. | Commentarij figurales loyce Compendium vbertim | aperientes Jn famigeratissima Erffurdiensi achademia | per Bartholomeum de Usingen liberalium disciplinarum | interpretem elucibrati […]. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 7. Mai 1499. GW 3462. Weitere Drucke: Paruulus loyce cum figuris. Erfurt: Wolfg. Schenck, 1501 u. 1504 (VD 16, A 3724 f.). ⫺ Kommentar (mit Textabdruck) zum ebenfalls Gerticz’ zugeschriebenen ‘Parvulus logicae’ (Prantl, S. 219 f.; Ch. H. Lohr, in: Traditio 28 [1972] 353). b) Compendium totius loy⫽|ce breuissimis figurulis expositum. in Scola Erf⫽|furdiana per Bartholomeum de vsingen liberalium stu|diorum interpretem concinnatum [...]. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1500. GW 3461. Weitere Drucke einer überarbeiteten Version: Erfurt: Wolfg. Schenck, 1507; Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1508; Köln: Heinr. v. Neuß, 1510; Erfurt: Matthes Maler, 1513 u. 1516; ebd.: Hans Knappe d. Ä., 1517 (VD 16, A 3727 f., 3730, 3732, 3734 f.). ⫺ Auf dem Kommentar zum ‘Parvulus logicae’ (s. 2.a) beruhendes, Trutfetters logischen Schriften nahestehendes Kompendium der Dialektik (Satz-, Begriffs- und Schlußlehre) in sieben Traktaten (s. Prantl, S. 243 f.). Zum Verhältnis zum ‘Parvulus’-Kommentar s. o. 2.b. – Unter dem Titel: Summa compendiaria totius logice in | famatissimo studio Erphurdiensi [...]. Basel: Nik. Kessler, 1507 (VD 16, A 3726); gemeinsam mit der ‘Quaestio de quiditate quantitatis’ (s. 1.a) und einer Questio de vniuersalium Materia in Basel: Jak. Petri, 1511 (VD 16, A 3731). – Überarbeitet und stark erweitert unter dem Titel: Compendium Nouum | tocius logice opera et studio singulari M. | Bartholomei de Vsingen [...]. [Erfurt: Wolfg. Scheck, 1517]. VD 16, A 3729 (zur Datierung Hase, Nr. 88). Während A. in der Einleitung zur 1. Aufl. die Logik noch mit der Dialektik gleichsetzte, zählt er nun – ausgehend von der Übers. von logos als sermo statt ratio – zur scientia sermocinalis auch die – indes nicht behandelte – Grammatik und Rhetorik hinzu.
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Arnoldi, Bartholomäus, von Usingen
c) Exercitium veteris ar⫽|tis in studio Erffordiensi collectum per | Magistrum Bartholomeum arnoldi | de Usingen instauratum atque emendatum. Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1514. VD 16, A 3701. Quaestionen zum aristotelischen ‘Organon’, entschieden nominalistisch (zu Aufbau u. Inhalt s. Prantl, s. 244 Anm. 397). Leicht erweiterter ND unter dem Titel: Exercitium Noue Logi|ces [...]. ebd., 1516. VD 16 A 3699. 3. Grammatik. A.s grammatische Schriften sind in Aufbau und Stil noch ganz dem spätmal. Schulbetrieb verpflichtet, die Auswahl von vorwiegend klassischen (darunter Plautus) und patristischen Beispielsätzen, sowie die zitierten Autoritäten zeigen jedoch humanistischen Einfluß. a) Figure Donati | Interpretatio Donati Minoris: | definitiones octo partium orationis | cum suis accidentibus scolastice ex⫽|ponens in studio Erphordiensi col|lecta […]. Erfurt: Wolfg. Schenck, 1505. VD 16, A 3703. Kommentar zur ‘Ars minor’ (mit Textabdruck). Die im Titel genannten figurae beziehen sich erneut auf die zur Hervorhebung der logischen Begriffsanalysen (bis in die 4. Ebene) verwendeten Klammern. Obwohl D Alexander de Villa Dei und ‘Remigius’ noch ohne Distanzierung zitiert werden, werden auch die Italiener (Antonio Mancinelli, Giorgio und Lorenzo Valla) sowie antike Autoritäten (Priscian, Diomedes, Quintilian) genannt. A. nennt sich als Autor erstmals im Druck [Erfurt: Wolfg. Schenck, um 1509] (VD 16, A 3710), dem eine Appendix von Electe sententie mira elegantia referte. cum dicterijs paremijs et adagijs baptiste mantuani (Titels.) beigegeben ist. Insgesamt ca. 15 Drucke meist unter dem Titel Interpretatio Donati minoris in Erfurt, Leipzig, Straßburg, Köln und Metz bis 1517: VD 16, A 3704 f., 3707 f., 3710⫺3716, ZV 774; IA 108.941 u. 945. Die Anthologie aus Baptista Mantuanus wurde unter dem Titel ‘Sententiosa dicta’ zwischen ca. 1510 und 1562 neunmal separat gedruckt (VD 16, S 7137⫺7145). Nicht zu A.s ‘Ars minor’-Kommentar gehören zwei unter VD 16, A 3706 u. 3709, verzeichnete Drucke des Kap.s de figuris aus der ‘Ars Maior’ (hg. v. Joh. J Rhagius). b) Regule congruita|tis et figure constru⫽|ctionis cum vitijs grammaticali⫽|bus et figuris talia excusantibus. Erfurt: [Wolfg. Schenck], 1505. VD 16, A 3739. Die pars prima besteht aus 20 Regeln zur syntaktischen Kongruenz (ähnlich in zahlreichen Lehrbüchern, etwa GW 11215⫺11239) samt Erläuterung; die pars secunda bietet ein knappes Glossar grammatikalischer Begriffe, eingeteilt in figurae constructionis, vitia grammaticalia und tropi, deren Hauptgewährsmann Mancinelli ist. Sieben weitere, im Glossar teils erweiterte Drucke bis 1512: VD 16, A 3740⫺3746.
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B . The ol og is ch e S ch ri ft en . A. gehörte einerseits der Via moderna an und war Nominalist, andererseits war er aber auch aufgeschlossen für die neuen Strömungen und für die sich daraus ergebenden Erfordernisse für Universität, Lehre und Kirche. Dies bewies er in Erfurt, Würzburg und auf dem Reichstag zu Augsburg v. 1530. Von den Anforderungen, denen er sich an diesen drei Orten zu stellen hatte, sind seine theologischen Schriften geprägt. 1. Erfurter Schriften. Nach der Heidelberger Disputation von 1518 setzte bei A. ein Umdenkungsprozeß ein. Luther ließ A. als einen Nachdenklichen und Verwunderten zurück, nicht jedoch als einen für seine Lehre Gewonnenen. A. änderte seit dieser Zeit die Methode seines theologischen Denkens. Für seine Darlegungen griff er nicht mehr auf die Scholastiker zurück, sondern auf die hl. Schrift und die Kirchenväter. So war er gerüstet für die Auseinandersetzung mit den lutherischen Prädikanten Erfurts, als er 1522 zum Prediger an der Marienkirche (Dom) berufen wurde. Die Predigten und Auseinandersetzungen ließ A. im Anschluß an die mündlichen Darlegungen drucken. a) Responsio. F. | bartholomei de vsin|gen ad confutationem | Culsamericam plus | quam tragicam [...]. Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1522. VD 16, A 3747. Anlaß für A.s Stellungnahme gegen Culsamer waren dessen Angriffe gegen Lehren der Kirche und gegen die Person A.s. b) Liber Primus | F. Bartholomei de Usin⫽|gen […] | Quo Recriminacioni respondet Cul⫽|samerice [...] | Duo Sermones. | Primus De ecclesia catholica et de petra | super quam edificatur et de clauibus quem | confutat Culsamerus. | Secundus est de Matrimonio Sacer⫽|dotum et Monachorum exiticiorum contra | vota sua et mandatum ecclesie […]. Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1523. VD 16, A 3721. Die beiden Predigten behandeln die Fragen der Kirchengründung und Schlüsselgewalt sowie die Heirat der Priester und ausgetretenen Ordensleute. Separatdrucke der zweiten Predigt: ebd., 1523 (VD 16, A 3752); gemeinsam mit einem Brief des Andreas Cricius an Luther und einem Edikt Kg. Sigismunds v. Polen gegen Luther: [Antwerpen? 1524?] (VD 16, A 3753; zum Drucker Kˆhler, Nr. 162) u. [Straßburg: Joh. Grüninger, um 1524] (VD 16, ZV 773). – Ausgabe dieser Predigt.
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Arnoldi, Bartholomäus, von Usingen
K. A. Strand, A. v. U.’s Sermo de Matrimonio Sacerdotum et Monachorum: The Text of a Rare Ed., ARG 56 (1965) 145⫺155. c) Liber Secundus | F. Bartholomei de Vsin⫽| gen. In quo respondet Cul|samerice confutationi qua con|futatur epistola quam pre⫽|misit responsioni ad libellum vernaculum a Culsamero contra se emissum. Ad⫽|junctis tribus Sermonibus. | Primus est/ de reuelatione paterna | doctrine Christi. | Secundus est/ de libertate christiana. | Tertius est, de Sacerdotio Regali | et ecclesiastico. Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1523. VD 16, A 3721. In der ersten Predigt wird der Ursprung der Lehre Christi auf Gott Vater zurückgeführt, in der zweiten wird von der christlichen Freiheit gehandelt, in der dritten wird das königliche und kirchliche Priestertum thematisiert. ⫺ Separatdruck der dritten Predigt: F. Bartholomei Vsingensis | Sermo pulcherri⫽|mus de Sacer|dotio. Leipzig: Wolfg. Stöckel, [1523?]. VD 16, A 3751. d) Liber tertius | F. B. de Vsingen ordinis Ere⫽| mitani S. Augustini. In quo | respondet nebulis Culsameri | [...] Additio de He|reticis. Erfurt: [Joh. Loersfeld], 1524. VD 16, A 3722. A. wandte sich gegen die Überheblichkeit Culsamers, mit der dieser sich seiner Schriftkenntnis rühmte, und fügte eine Abhandlung über die Häretiker hinzu. e) Sermo de Sancta | Cruce praedicatus Er⫽| phurdiae. In templo | diuae virginis Mariae [...]. Erfurt: [Joh. Loersfeld], 1524. VD 16, A 3749. Anläßlich des Festes Kreuzauffindung sprach A. über die Verehrung des hl. Kreuzes. Seine Predigt wurde von den Prädikanten angegriffen. Gegen sie wandte sich A. in einer schriftlichen Erwiderung. f) Libellus F. Bar⫽|tholomei de Vsingen augustiniani. | In quo respondet confutationi | fratris Egidii Mechlerii. Erfurt: [Mathes Maler], 1524. VD 16, A 3702 Egidius Mechler, ehemaliger Franziskaner, führte nach dem Tod Culsamers dessen Werk weiter. Die Schrift ist gegen die Lutheraner gerichtet. g) Libellus F. Bartho⫽|lomei de Vsingen Augustiniani de | merito bonorum operum. | In quo veris argumentis respondet ad | instructionem fratris Mechlerij Fran⫽|ciscani de bonis operibus […] | Insuper respondet ad Euangelium | Culsameri quod ille predicauit | in expulsionem Erphurdiani | Cleri. | Contra factionem Lutheranam. Erfurt: [Matthes Maler], 1525. VD 16, A 3723. A. antwortet auf eine Schrift Mechlers über die guten Werke. Er wendet sich auch gegen eine Predigt Culsamers, die dieser zur Vertreibung des Erfurter Klerus gehalten hatte. h) Libellus F. Bartho⫽|lomei de Vsingen Augustiniani de | falsis prophetis tam in persona quam | doctrina vitandis a fidelibus. | De recta et munda predicatione euangelii | et quibus conformiter illud debeat predicari. | De Celibatu sacer-
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dotum Noue | legis Et de Matrimonio eorum. nec| non Monachorum exiticiorum. | Responsio ad Sermonem Langi | de Matrimonio sacerdotali quem fe⫽|cit in Nuptijs Culsameri sacerdotis. | Contra factionem Lutheranam. Erfurt: [Matthes Maler], 1525. VD 16, A 3702. Die Schrift fordert zum Meiden der falschen Propheten auf, handelt von der angemessenen Predigt des Evangeliums und von der Priesterehe. A. wendet sich auch gegen eine Predigt des Johann Lang, die dieser bei der Hochzeit des Priesters Culsamer gehalten hatte.
Insgesamt predigte A. mit großer Schärfe gegen die Erfurter Reformatoren Johannes Lang, Johannes Culsamer und Egidius Mechler, nicht jedoch direkt gegen Luther, da dieser ihn nicht angegriffen hatte. A. legte auf der Kanzel wie in seinen Schriften seinen katholischen Standpunkt zu den Fragen der Rechtfertigung, der guten Werke, der Heiligenverehrung, des Zölibats und der Siebenzahl der Sakramente dar. Die Auseinandersetzung während dieser Zeit wird als Kanzelkrieg bezeichnet. Der Ton, in dem A. seinen Gegnern antwortete, war oft polternd. 2. Würzburger Schriften. a) Libellus Fratris | Bartholomei de | Vsingen Augustiniani/ De | tribus necessario requisitis | ad vitam christianam, que | sunt gratia/ fides et | opera. Contra Lutheranos/ | Hussopycardos. Würzburg: Balth. Müller, 1526. VD 16, A 3754. A. stellt heraus, daß die Gnade, der Glaube und die Werke für das christliche Leben unverzichtlich sind. Die Schrift ist gegen die Lutheraner und die Böhmischen Brüder gerichtet. b) Libellus Fratris | Bartholomaei de Vsingen Augustiniani, | de duabus disputationibus | Erphurdianis. | Quarum prior est Langi et | Mechlerij monachorum exiti⫽|ciorum contra ecclesiam catholicam | Posterior est Vsingi Au⫽|gustiniani pro ecclesia catho⫽|lica, priori adversa et contraria. | [...] | Contra Hussopicardos, Bamberg: Georg Erlinger, 1527. In dieser Schrift wird der lutherische Standpunkt von Lang und Mechler dargelegt, während der katholische von A. vertreten wird. c) Purgatorium. | Libellus Fratris | Bartholomaei de Usingen Augustini|ani, de Inquisitione | Purgatorij, per scrip|turam et rationem. Et de liberatione | animarum ex eo | per suffragia viuorum. | Contra Lutheranos, Husso|pycardos. Bamberg: Georg Erlinger f. Bernh. Weigle, 1527. VD 16, A 3736. A. legt die katholische Lehre vom Fegefeuer nach den Aussagen der hl. Schrift und der Tradition dar. Ferner behandelt er die Befreiung
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Arnoldi, Bartholomäus, von Usingen
der Verstorbenen aus dem Reinigungsort durch die Fürbitte der Lebenden. d) Inuocatio Sanctorum. | Libellus Fratris Bartholo⫽|maei de Vsingen Augustiniani de Invoca⫽|tione et veneratione Sanctorum. | Confutatio sermonis Lu⫽|theri, de Natiuitate virginis Mariae, et re|sponsio ad quaedam alia, venerationi | et intercessioni Sanctorum detrahentia. | Herbipoli. [...]. Bamberg: Georg Erlinger f. Bernh. Weigle, 1528. VD 16, A 3718. A. thematisiert die Anrufung und Verehrung der Heiligen. Er widerlegt Luthers Predigt zum Fest Mariä Geburt. e) Anabaptismus. | F. Bar⫽|tholomaei de Vsin|gen Augustiniani Contra Reba|ptizantes. | Confutatio eorum, | quae Lutherus scripsit in Reba-| ptizantes. Köln: Joh. I. Gymnich, 1529. VD 16, A 3691. A. setzt sich mit einer Schrift Luthers gegen die Wiedertäufer auseinander, in der Luther auch den Katholiken vorwarf, sie seien Wiedertäufer. f) Ecclesia Luthe|rana. | Libellus Fratris | Bartholomei de Usingen Au⫽|gustiniani Sacre | Theologie Pro|fessoris, | […]. Passau: Joh. Weißenburger, 1534. VD 16, A 3696 u. 3697. A. faßte in seiner umfangreichsten theol. Schrift die hauptsächlichen Kontroverspunkte zusammen. Sie wurde nach seinem Tode gedruckt. 3. Handschriftlich überlieferte Werke. a) ‘Tractatus de septem sacramentis ecclesiae catholicae’. Würzburg, UB, M.ch.o. 33, Autograph, 1530 (s. Zumkeller, 1966, Nr. 180). Teilausg. des Abschnitts De Eucharistia: Duijnstee, 1903, S. 17⫺91. b) Entwürfe zu eigenen Abhandlungen, Notizen und Exzerpte aus zeitgenössischer Konfessionspolemik, aber auch aus Autoren des 15. Jh.s (D Nikolaus von Kues) in der 249 Bll. starken Sammelhs. Würzburg, UB, M.ch.o. 34, 1520⫺1530, Autograph (Zumkeller, 1966, Nr. 175); ein ‘Collectaneum contionale’ aus Predigten des Andreas Proles u. a. in Frankfurt, StUB, Ms. Dombibl. B 29 (Zumkeller, 1995). c) Eine ausführliche Widerlegung der Apologie Melanchthons zur ‘Confessio Augustana’ (Ljubljana, Narodna in univerz. knjiznica, Ms. 73, nicht autograph) vollendete A. im Ms. kurz vor seinem Tode. Die letzten Lehrentwicklungen auf protestantischer Seite waren ihm nicht mehr bekannt. Lange Zeit verschollen, wurde die Schrift erst 1978 gedruckt. Ausgabe. P. Simoniti, Responsio contra Apologiam Philippi Melanchthonis (Cassiciacum. Suppl. 7), 1978. Literatur. C. Prantl, Gesch. d. Logik im Abendlande, Bd. 4, 1870 [ND 1955], S. 243 f.; N. Paulus, Der Augustiner B. A. v. U., Luthers Lehrer u. Gegner. Ein Lebensbild, 1893; D. Fr. X. P.
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Duijnstee, Polemica de S. S. Eucharistiae Sacra-
mento […], 1903; ders., Maarten Luther en zijn Orde, Bd. 1, Leiden 1924, S. 184⫺214; N. H‰ring, Die Theol. d. Erfurter Augustiner-Eremiten B. A. v. U. Beitr. z. Dogmengesch. d. Reformationszeit, 1939; O. M¸ller, Die Rechtfertigungslehre nominalistischer Reformationsgegner. B. A. v. U. O. E. S. A. u. Kaspar Schatzgeyer O. F. M. über Erbsünde, erste Rechtfertigung u. Taufe (Breslauer Stud. z. hist. Theol. NF 8), 1940; G. A. Hoar, Early Evidences of Catholic Reform in the Thought and Actions of B. A. v. U., ARG 56 (1965) 155⫺165; A. Zumkeller, Mss. v. Werken d. Autoren d. Augustiner-Eremitenordens in mitteleuropäischen Bibl.en (Cassiciacum 20), 1966, S. 89 f.; M. v. Hase, Bibliographie d. Erfurter Drucke, Nieuwkoop 31968, Reg.; A. Kunzelmann, Gesch. d. dt. Aug.-Erem., Bd. 5, 1974, S. 98, 477, 518 f.; E. Kleineidam, Die Bedeutung d. Augustiner-Eremiten für d. Univ. Erfurt im MA u. in d. Reformationszeit, in: Scientia Augustiniana. Fs. A. Zumkeller, 1975, S. 395⫺422; P. Simoniti, Über d. ‘Responsio contra Apologiam Melanchthonis’. Ein wiedergefundenes Werk d. Aug.Erem. B. A. v. U., Augustiniana 25 (1975) 48⫺57; W. Eckermann, Wort u. Wirklichkeit. Das Sprachverständnis in d. Theol. Gregors v. Rimini u. sein Weiterwirken in d. Augustinerschule, 1978, S. 303⫺315; Kleineidam, Erfurt 2II, S. 141⫺143, 154⫺157, 298⫺301 u. ö.(Reg.); ders., Universitas Studii Erffordensis, Teil 3, 1980, Reg.; H. Immenkˆtter (Hg.), Die Confutatio d. Confessio Augustana v. 3. Aug. 1530 (Corpus Catholicorum 33), 2 1981, S. 231 (Reg.); W. Urban, Die ‘via moderna’ an d. Univ. Erfurt am Vorabend d. Reformation, in: H. A. Oberman (Hg.), Gregor v. Rimini. Werk u. Wirkung bis z. Reformation (SpätMA u. Reformation 20), 1981, S. 311⫺330; E. Hildebrand, B. A. v. U. Ein Lehrer Luthers an d. Univ. Erfurt, Nassauische Ann. 94 (1983) 327⫺334; R. B‰umer, B. v. U. OESA (ca. 1464⫺1532), in: ders. / E. Iserloh (Hgg.), Kath. Theologen d. Reformationszeit, Bd. 2, 1985, S. 27⫺37; U. Weiss, Die frommen Bürger v. Erfurt, 1988, bes. S. 149⫺153; H.-J. Kˆhler, Bibliographie d. Flugschr. d. frühen Reformationszeit, Bd. 1, 1991, Nr. 148⫺164; A. Zumkeller, Ein Ms. d. B. v. U. OSA († 1532), mit unbekannten Predigten d. Andr. Proles OSA († 1503), d. Joh. Drolmeyer OSA († v. 1505) u. anderer Erfurter Prediger, Analecta Augustiniana 58 (1995) 5⫺43; G.-R. Tewes, Die Erfurter Nominalisten u. ihre Widersacher in Köln, Löwen u. Wittenberg, in: A. Speer (Hg.), Die Bibl. Amploniana, 1995, S. 447⫺488; W. Eckermann, Eine Episode aus d. Augustinerkloster Erfurt. Der Klosteraustritt d. Joh. Lang v. J. 1522, in: R. Lazcano (Hg.), Conventos Agustinos (Studia Augustiniana historica 12), Rom 1998, S. 833⫺864; S. Knuut-
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Aucuparius, Thomas
tila, Trutfetter, U., and Erfurtian Nominalism, in: J. A. Aertsen / A. Speer (Hgg.), Was ist Philosophie im MA? (Miscellanea Mediaevalia 26), 1998, S. 818⫺823; A. Goddu, The use of dialectical topics in the sixteenth and seventeenth centuries, Medioevo 24 (Padua 1998) 301⫺355, bes. S. 314⫺ 317; Th. Beckmann / A. Zumkeller, Gesch. d. Würzburger Augustinerklosters v. d. Gründung i. J. 1262 bis z. Gegenwart, 2001, S. 749 (Reg.); A. Zumkeller, Die Antwort d. Erfurter Univ.sprofessors u. Augustiners B. v. U. auf d. ‘Apologie’ d. Ph. Melanchthon d. ‘Confessio Augustana’ v. 1530, in: Sitz.ber. d. geisteswiss. Kl. d. Akad. gemeinnütziger Wiss. Erfurt 4, 2002, S. 69⫺78; S. Lalla, Secundum viam modernam. Ontolog. Nominalismus bei B. A. v. U. (Epistemata 343), 2003 (zit.: 2003a); ders., U. u. Melanchthon. Die Antwort v. A. v. U., Luthers Lehrer, auf d. ‘Confessio Augustana’, in: G. Frank / S. Lalla (Hgg.), Fragmenta Melanchthoniana, Bd. 1, 2003, S. 105⫺120.
Willigis Eckermann / J. Klaus Kipf (II.A.)
Aucuparius (Vogler; Auceps, Myropola, Ornithotyras), Thomas (Didimus) A . L eb en . Der Sohn des Straßburger Bürgers und Apothekers Lux Vogler wird erstmals am 7. Juli 1499 faßbar. Jakob J Wimpfeling zitiert in einem Brief an Daniel Zanckenried ein später unter A.’ Namen gedrucktes Tetrastichon und nennt den Verfasser einen adolescens esox (Wimpfeling-Br., Nr. 96). A., der Wimpfeling i. J. 1504 seinen Lehrer nennt (ebd., Nr. 155), erscheint auf dem Titelholzschnitt von Peter Günters ‘Defensio Germaniae’ (VD 16, G 3922) unter dessen Schülern. In Straßburg verbrachte A., unterbrochen von Aufenthalten in Freiburg und Italien, die meiste Zeit seines Lebens. Erstmals in zwei auf 1505 oder 1506 zu datierenden Drucken führt A. den Titel eines Poeta laureatus. In einem an Konrad J Peutinger gerichteten Gedicht (s. B.1.) spricht A. davon, daß ihm der Lorbeer von kaiserlicher Hand verliehen sei; Datum, Ort oder Urkunde einer Krönung sind indes unbekannt. Vor 1510 wurde er Vikar am Hohen Chor des Straßburger Münsters, dessen Liber beneficiorum ihn dreimal verzeichnet (Strasbourg, Archives municipales, 117 Z
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[olim 10 NA], Bd. 194, Bl. 110, 127; Bd. 195, Bl. 5; Mitt. v. L. Perry, Strasbourg). Zuvor muß A. zum Priester geweiht worden sein. Am 30. Juli 1517 bestätigt P. Leo X. den Lizenziaten in decretis A. als Summissarius an Jung St. Peter (Citta` del Vaticano, Archivio segreto, Reg. lat. 1362, 195r-196v). Ein Geleitbrief an die Bischöfe von Caserta und Segni v. 28. Nov. 1517 (ebd., 197r⫺v) erlaubt es, den bisher nur durch eine Bemerkung in der Inschriftensammlung Thomas J Wolfs d. J. (Basel, UB, Ms. C.VIa.72, S. 326) belegten Italienaufenthalt zu datieren.
Von seinen Studien ist allein das Datum der Immatrikulation am 17. Okt. 1511 in Freiburg und der Erwerb des Lizenziats im Kirchenrecht vor 1517 gesichert. Vor dem 10. Jan. 1522 erwarb er in Straßburg ein Haus gegenüber der Johanniskapelle (Grandidier). Der Reformation stand A. distanziert gegenüber, er nahm in seinen seit 1522 gedruckten Texten allerdings mit keinem Wort auf religiöse Streitfragen Bezug. Kurz nach dem 5. Sept. 1524 wurde A. neben Hieronymus J Gebwiler und Lorenz J Fries in einem Brief eines Ausschusses der XXI an den Rat unter den reformationsfeindlichen Geistlichen und Gelehrten genannt (Strasbourg, Archives municipales, VI 701a/14, Bl. 354; Mitt. v. L. Perry; zuvor erwähnt bei Jung, S. 289). Schmidt hat diese Stelle mißverstanden, wenn er meint, A. sei dem Bischof von einigen Bürgern “pour un colloque avec les re´formateurs” (S. 154) vorgeschlagen worden.
Am 25. Jan. 1525 erwarb A. nach Aufhebung der Immunität der Domgeistlichkeit das Straßburger Bürgerrecht. In Straßburg ist er zuletzt am 6. Sept. 1531 bezeugt (Dacheux). Er starb am 4. März 1532 (Hertzog) oder 1534 (Liblin) und wurde im Konvent der Hospitaliter vom Hl. Geist in Stephansfeld begraben. Aus seinem Besitz sind vier Hss. (Uppsala, UB, Ms. C 225, C 916, C 917, C 918) erhalten. B . Wer k. 1. Carmina. A. begegnet als Autor ausschließlich im lat. Gelegenheitsgedicht. Neben drei hsl. überlieferten Carmina finden sich poetische Beiträge in 18 Werken anderer Huma-
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Aucuparius, Thomas
nisten oder Sammeldrucken vorwiegend Straßburger Provenienz. Ein von Wimpfeling bereits 1499 (Wimpfeling-Br., Nr. 96) zitiertes und auf dem Titelblatt zu Wimpfelings ‘Epistola de superflua verborum resolutione’ 1501 gedrucktes satirisches Tetrastichon, in dem A. schwäbischen Klerikern Pfründengier vorwirft, provozierte Jakob J Locher zu einem Verteidigungsgedicht (s. Holstein). A. unterstützte seinen Lehrer auch in der ‘Defensio Germaniae’ mit einer Elegie In defensionem Iacobi Wimpfelingij (36 Dist.) gegen Thomas J Murner. Stellung zum Verhältnis heidnischer und christlicher Poesie bezog A. in einem Geleitgedicht (10 Dist.) zur Straßburger Ausgabe der ‘Bucolica’ des Baptista Mantuanus von 1503 (VD 16, S 7169). In der Ausgabe des Trostbriefes des Bologneser Rhetoriklehrers Giovanni Garzoni, die Mitglieder des Wimpfelingkreises anläßlich des frühen Todes des Amandus Wolf am 4. März 1505 veranstalteten (VD 16, G 473), stehen drei Beiträge des A. Persönliche Nähe zu den Verfassern lassen ferner poetische Empfehlungen des ‘Triumphus Boemicus’ des Hieronymus J Vehus, der ‘Sermones convivales’ Peutingers und Ulrich J Zasius’ ’Quaestiones de parvulis Iudaeorum baptisandis’ erkennen. Weitere zwischen 1503 bis 1508 entstandene Beiträge verbleiben in den Konventionen des Empfehlungsgedichts. Anläßlich Erasmus’ Besuch in Straßburg im Aug. 1514 trug A. neben Sebastian J Brant und Johannes J Sapidus ein Begrüßungsgedicht vor. Gemeinsam mit Wimpfelings Brief namens der Straßburger Sodalitas vom 1. Sept., Erasmus’ Antwortbrief und seinen Antwortgedichten, darunter eines an A. (c. 55), wurden diese Carmina im Anhang zur Ausgabe von ‘De duplici copia’ zuerst im darauffolgenden Dezember gedruckt (Bezzel, Erasmusdrucke, Nr. 738). Nach 1514 finden sich A.’ Beiträge in Straßburger Drucken nur noch zu einer Plutarch-Übersetzung des Otmar J Luscinius v. J. 1522 und zuletzt zur von Otto Brunfels besorgten Ausgabe der lat. Dioskurides-Übersetzung des Pierre Ruelle von 1529. Unter den Papieren Peutingers findet sich ein autographes Blatt, auf dem
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A. seine Verdienste um die Wiederentdekkung deutscher Vergangenheit preist und ihm für die Vermittlung der Dichterkrönung dankt (Augsburg, SuStB, 2° Cod. 406a, Bl. 8r; 10 Dist.). Zwei nicht datierbare Gedichte erotischen Inhalts sind im Wimpfeling-Codex Uppsala, UB, Ms. C 687, 142v⫺143r, überliefert. Von Sack ist A. ein Carmen von 23 Distichen zugeschrieben worden, das ein von ihr entdeckter und dem Augsburger Drucker Sigismund Grimm zugewiesener, auf 1525 oder 1526 zu datierender, illustrierter und mit Noten versehener Einblattdruck überliefert. Diese Zuschreibung ist, wie Staehelin erwiesen hat, nicht haltbar.
2. Briefe. Neben Widmungsbriefen zu eigenen Ausgaben (s. u. 3.) sind zwei Briefe aus A.’ Feder bekannt. Aus Straßburg berichtet er Wimpfeling über die erfolgreiche Suche nach Hss. in der Bibliothek des Straßburger Dominikanerkonvents (WimpfelingBr., Nr. 155). Im Widmungsbrief an Lorenz Fries zur 3. Straßburger PtolemaeusAusgabe (1522) bezeichnet A. Amerigo D Vespucci [NB] noch als Entdecker Amerikas. 3. Herausgeber. a) Poggii | Florentini Ora⫽|toris clarissimi: ac se⫽|cretarii apostolici Histo|riae convivales disceptativae | orationes | invectivae [...]. Straßburg: Joh. Knobloch, 10. Febr. 1510 [vielmehr 1511?]. VD 16, P 3855. Preßvariante mit korrigiertem Druckdatum 10. Feb. 1511: VD 16, P 3857. Widmungsbrief vom 29. Jan. 1511 an Brant (Titelbl.v). Auf den Wunsch Knoblochs nach einem Druck von Poggios ‘Facetiae’ entschloß sich A. zur Ausgabe aller ihm verfügbaren Pogglo-Texte. Die am 1. Sept. 1513 bei Joh. Schott d. Ä. erschienene, durch Heinrich J Bebel um zahlreiche Schriften erweiterte Ausg. (Schmidt, Re´p. II, 22) ist für weite Teile bis heute unersetzt (s. Merisalo). b) Publii Terentii Come|diae cum breui vo|cabulorum difficilium enarratione | pro puerulis a Tho. Aucu|pario condita. Straßburg: Joh. Grüninger, 1511. VD 16, T 370. Schulausg. mit Worterklärungen. Literatur. B. Hertzog, Chronicon Alsatiae oder Edelsasser Cronick [...], Straßburg: Bernh. Jobin 1592, Bd. 3, S. 37; A. Jung, Beitr. zu d. Gesch. d. Reformation, Abt. 1, Bd. 1, Straßburg/ Leipzig 1830, S. 289; J. Liblin, Essais historiques et topographiques de l’Abbe´ Grandidier sur
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Augustinus Moravus
l’E´glise cathe´drale de Strasbourg. Supple´ment et appendice, Paris 1862, S. 106; [Ph.-A.] Grandidier, Nouvelles œuvres ine´dites [...], Colmar 1898, Bd. 2, S. 28; L. Dacheux, Annales de Se´bastien Brant (suite et fin), Bulletin de la Socie´te´ pour la conservation des monuments historiques d’Alsace 2/19 (1899) 33⫺260, hier Nr. 4944; Schmidt, Hist. litt., Bd. 2, S. 67, 149⫺154; Holstein, Ungedr. Gedichte, S. 465⫺467; Knepper, Wimpfeling, S. 152 f., 207 f., 214 u. ö.; Ch. Wittmer / J. Ch. Meyer (Hgg.), Le livre de la bourgeoisie de la ville de Strasbourg. 1440⫺1530, Strasbourg 1954, Bd. 2, Nr. 7589; A. M. Burg, Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne, Bd. 1, [Paris] 1982, S. 71; D. Mertens, in: Killy, Lit.lex., Bd. 12, 1992, S. 51; O. Merisalo, Le prime edizioni stampate del ‘De varietate fortunae’ di Poggio Bracciolini II, Arctos. Acta philologica Fennica 20 (1987) 101⫺129, hier S. 103⫺105; V. Sack, ‘Glauben’ im Zeitalter d. Glaubenskampfes (Schr. d. UB Freiburg i. Br. 13), 1988; M. Staehelin, Zu einem Einblattdruck d. frühen 16. Jh.s u. seiner Deutung, Wolfenb.Ren.Mitt. 18 (1994) 11⫺26.
J. Klaus Kipf
Augustinus Moravus (Käse[n]brot von Wssehrd, Kasenbort, -brod, Kazenprot, Kescnbrot; Bemus, Olomucensis, de Olomucz, -muncz) I . L eb en . Schwierigkeiten, das Leben des A. zu rekonstruieren, ergeben sich einerseits aus der fehlenden quantitativen Dichte des Quellenmaterials, andererseits aus der Widersprüchlichkeit von Selbstund Fremdzeugnissen. Die Herkunft des A. galt in der Forschung lange Zeit als umstritten. Bohuslav Lobkowicz von J Hassenstein verlegt App. poem. 305 die Geburt des A. nach Böhmen, doch findet sich der von A. gelegentlich geführte Beiname Bemus nicht minder bei mährischen Gelehrten. Truhla´ rˇ optierte unter Hinweis auf einen Brief A.’ an Celtis vom Sept. 1504 (Celtis-Br., Nr. 317) für Olmütz und gegen Wssehrd als Geburtsort. A. selbst versah seinen Familiennamen Käsenbrot mit dem Zusatz ‘von Wssehrd’, nannte sich in seinen Schriften aber ausschließlich A. Moravus oder Olomucensis.
A., 1467 nach eigenem Zeugnis in Olmütz geb., wuchs, da sein Vater Aegidius kurz nach seiner Geburt verstarb, ebd. bei seinem Onkel, dem Kanoniker Andreas Ctiborius († 1496; nicht identisch mit dem Wiener Humanisten Andreas J Stiborius),
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auf, von dem er auch den ersten Unterricht erhielt. 1484 immatrikulierte er sich an der Univ. Krakau, durchlief den artistischen Cursus und hörte u. a. bei Johann von Glogau mathematische und astronomische Vorlesungen. Am 20. Sept. 1486 erwarb er den Grad des Baccalaureus, Ende 1487 oder Anfang 1488 den des Magister der Artes. Anschließend nahm er mit finanzieller Unterstützung seines Onkels und des Breslauer B.s Johann IV. D Roth in Padua das Studium der Rechtswissenschaft auf, das er durch philologische Übungen (u. a. bei Johannes Calphurnius) ergänzte. Als einer von wenigen Gelehrten diesseits der Alpen war A. bereits des Griechischen kundig. Am 16. April 1494 wurde er in Ferrara zum Doktor des kanonischen Rechts (decretorum et artium doctor) promoviert. Die berühmte Cassandra Fedele hielt ihm die Promotionsrede (s. den Dankesbrief in ‘De modo epistulandi’, Bl. [C3]v; die Rede ist nicht erhalten). A.’ literarische Tätigkeit setzte bereits in Padua ein. Als Frucht seiner astronomischen Studien verfaßte er 1491 für Andreas Ctiborius ein Prognostikon auf das Jahr 1492 und suchte in einem Brief den Mathematiker Johann Lucilius Sandritter zur Edition der astronomischen Tafeln Kg. Alfons’ des Weisen zu veranlassen. 1496 wurde A. von Wladislaus II. als Sekretär in die königliche Kanzlei zu Ofen/ Buda berufen, wo er, von kurzen Unterbrechungen abgesehen, bis 1511 blieb. 1497 wurde er Kanoniker an St. Peter in Brünn. In Ofen trat er in Beziehung zu Johannes Schlechta von Wssehrd (seit 1490 ebd.) und Bohuslav Lobkowicz von Hassenstein (seit 1499 ebd.) sowie zu der Wiener Sodalitas literaria Danubiana. Mit ihrem Begründer Konrad J Celtis verband ihn eine enge Freundschaft. Mehrere Epigramme und 12 erhaltene Briefe aus den Jahren 1497⫺1505 dokumentieren nicht nur die Wertschätzung füreinander, sondern zeugen auch von A.’ kritischer Auseinandersetzung mit dem literarischen Werk des Freundes. Mit Jakob J Ziegler sahen sich die beiden Gelehrten im Kampf gegen die böhmische Brüdergemeinde (‘Waldenser’) vereint, deren Einfluß A. nicht nur in vier
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Augustinus Moravus
an den konvertierten Physiker Johannes Niger gerichteten Briefen, sondern v. a. dadurch zu brechen suchte, daß er den König zu Edikten und massiven Repressionen veranlaßte. A. bewegte sich damit in jenen Bahnen, die Heinrich D Institoris als Inquisitor in Mähren seit 1495 vorgezeichnet hatte. A. zeichnet in seiner Korrespondenz unterschiedslos als regius secretarius, regni supremus secretarius und regis Hungariae supremus secretarius. Da er sich im Protokoll zweier Briefe an Celtis (Celtis-Br., Nr. 313, 327) sogar vicecancellarius nennt, ist zu vermuten, daß seine Kompetenzen in der Kanzlei zumindest in der Spätzeit über die eines Sekretärs hinausgingen.
Unter B. Stanislaus Thurzo´ von Be´thlenfalva wurde A. 1498 zum Dompropst von Olmütz ernannt. Da sein Gegenkandidat Konrad Weidmann nach Rom appellierte, konnte er die Stelle jedoch erst 1506 antreten. In Olmütz gehörte A. nicht nur dem dortigen Humanistenkreis an, sondern nahm auch Kontakt zu den humanistischen Gelehrten in Schlesien und Krakau auf und pflegte weiterhin insbesondere die Beziehungen zu den Wienern. 1508 machte er der Donaugesellschaft eine goldene Trinkschale zum Geschenk, wofür sich Johannes J Cuspinian 1511 mit der Zueignung des von ihm edierten ‘Liber de lapidibus’ des Marbod von Rennes revanchierte. Seinen humanistischen Freunden gegenüber zeigte A. sich freigebig. So gestattete er Cuspinian die ausgiebige Nutzung seiner Bibliothek, verschaffte er Celtis über den gleichfalls kgl. Kanzleisekretär Johannes Schlechta von Wssehrd die Abschrift einer griech. Ptolemäus-Hs. und ließ er Joachim J Vadian ein Duplikat von Bessarions Schrift über die Eucharistie aus der Bibliotheca Corviniana in Ofen zukommen (Bonorand II, Nr. 18). Ulrich von J Hutten gewährte er bei dessen Besuch in Olmütz 1511 großzügige materielle Unterstützung (Hutten, Opera, Bd. 1, Nr. 10, S. 22⫺24). Noch vor 1511 ist A. zum Kanoniker in Prag sowie an beiden Kirchen Breslaus (ambarum ecclesiarum Vratislaviensium canonicus) ernannt worden. Um 1511 verließ er den Dienst in der königlichen Kanzlei und siedelte endgültig
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nach Olmütz über. Reichliche Einkünfte gestatteten es ihm, sich weiterhin humanistischen Studien zu widmen. 1512 würdigte Valentin J Eck in einem in Krakau erschienenen und in der Tradition der Laudes urbium konzipierten Panegyricus A.’ Gastfreundschaft während seiner Studien in den Jahren 1510 und 1511 (Truhla´ rˇ , 1898, S. 180 f.; Bauch, Krakau, S. 70⫺72). A. starb am 3. Nov. 1513 in Olmütz und wurde in der dortigen Domkirche beigesetzt. Seine Bibliothek ging durch Testament in den Besitz der Domkirche über. Um A.’ Andenken zu bewahren, beabsichtigte B. Johannes V. Thurzo´, im Verein mit Stephan J Taurinus die Korrespondenz des A. gesammelt herauszugeben. Der Tod der beiden 1519 bzw. 1520 vereitelte diesen Plan jedoch. I I. We rk . A . S el bs tä nd ig e S ch ri ft en . 1. Prognostiken. a) Prognostikon für das Jahr 1492. A.’ Prognostiken resultieren aus seiner Beschäftigung mit der Astronomie. Ihre Disposition ist genrebedingt jeweils analog. Gestützt auf Autoritäten wie Ps.-Ptolemäus, Albumasar, Aomar u. a. handelt A. im Prognostikon für 1492 über die Stellung der Gestirne und deutet sie im Hinblick auf die zu erwartenden politischen, wirtschaftlichen und familiären Entwicklungen innerhalb der königlichen Familie, Böhmens und des Auslands. Konkret mahnt er Maximilian zur Vorsicht vor den Franzosen und sagt den Tod des Papstes Innozenz IV. sowie den Ausbruch der Pest in Böhmen, Bayern, Rätien, Noricum und einzelnen Teilen Italiens voraus. A. hat sein Prognostikon für 1492 Kg. Wladislaus II. gewidmet und mit Briefen an Andreas Ctiborius und Johannes Basilius versehen. Den Inhalt faßt er in einem Epigramm zusammen (inc. Nunc Citherea suum felicius extulit annum), das als sein erstes gilt. Druck. Augustinus Olomucensis Diuo In-|uictissimoque Vladislao Pannonie et Bo|emie regi potentissimo S. P. D. [Venedig: Joh. Hamann, nach 13. Nov. 1491]. GW 3059.
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b) Prognostikon für das Jahr 1494. Das Prognostikon auf das Jahr 1494 erhält seinen Wert aufgrund des wissenschaftshistorisch bedeutsamen Widmungsbriefes an Bohuslav von Hassenstein, den designierten Bischof von Olmütz. A. verweist im Rückgriff auf Ciceros ‘De natura deorum’ auf den Nutzen astronomischer Studien und schreibt ihnen Wahrheitswert zu, da auch der Sternenhimmel ein Abbild von veritas et constantia sei. Druck. Augustinus Morauus | Olomucensis Reueren-|dissimo Domino Bohuslao | de Hassenstein Designato Epi-|scopo Olomucensi. S. P. D. | Iudicium. Anno Domini. | 1494. [Rom: Andr. Fritag], 1494. GW 3060. Ausgabe des Widmungsbriefs: HassensteinBr., Bd. 2, Nr. 42.
2. Poetologische und rhetorische Schriften. a) ‘Dialogus in defensionem poetices’. Im ‘Dialogus’, einem an platonische Tradition anknüpfenden fingierten Dialog, streitet A. mit einem historisch nicht verifizierbaren Laelius über den Nutzen der Dichtkunst. Während dieser die Poesie ablehnt, weil ihre Erfindungen lediglich der Unterhaltung des Lesers dienten, und sein Gegenüber für ein Studium der Medizin zu gewinnen sucht, hält A. den Medizinern vor, sie seien nur auf Geldgewinn aus und überdies der Astrologie unkundig. Die wahre Heilkunst zeige sich in der Diätetik und in der Mahnung zur Mäßigkeit im Genuß, keinesfalls aber in schmerzhaften Anwendungen, die nicht selten zum Tod des Patienten führten. A. verweist auf den wertvollen Kern der Dichtung, der der Förderung der Tugend diene, und definiert die Poesie in Anlehnung an Horaz als fictae veraeque narrationis congruenti rhythmo vel pede composita metrica structura ad utilitatem voluptatemque accomodata, wobei er mit der epischen, elegischen, satirischen, tragischen, komischen, lyrischen und apologetischen sieben Formen unterscheidet, die er nach ihrer jeweiligen Intention beschreibt. Im Rückgriff auf Fulgentius’ ‘Mythologiae’ stellt A. schließlich die allegorische Wahrheit der Mythen heraus und kann Laelius so vom
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Wert der Dichtkunst überzeugen. In Widmungsbriefen an Andreas Ctiborius und an B. Johann IV. Roth rechtfertigt A. den ‘Dialogus’ als Verteidigung der Poesie gegen die sich abzeichnende Vormachtstellung der empirischen Wissenschaften. Pangratz J Bernhaubt nahm 1505 den gesamten Text des ‘Dialogus’ als zweiten in seine ‘Apologia poetarum’ (Bl. 7r⫺34r) auf und fügte ihm ausgiebige mythologische Kommentare bei; mit elf kolorierten Zeichnungen Peter Vischers d. J. ist der ‘Dialogus’ zugleich das am reichsten illustrierte Stück der ‘Apologia poetarum’. Druck. Dialogus in defensionem poetices. Venedig: [Paulus Fridenperger], 24. März 1493. GW 3057. Ausgaben. K. Svoboda, Augustini Olomucensis dialogus in defensionem poetices, Prag 1948 (dazu: B. Ryba, Rez., Listy filologicke´ 73 [1949] 44⫺49); J. Nechutova´ , Augustin Olomoucky´, Obrana ba´snictvı´ 1492e, Brünn 1987.
b) ‘De modo epistolandi’. A.’ Brieflehre, entstanden wohl im Sept. 1494 in Olmütz (s. das Datierungsbeispiel Bl. C iir), kann nach Art ihrer Gattungsreflexion als eine der modernsten ihrer Zeit gelten. A. hat mit der Tradition der mal. Ars dictandi gänzlich gebrochen, verwirft einen Aufbau des Briefs nach festen Teilen, verabschiedet das mal. Salutationswesen, kritisiert ⫺ so schon in der Widmung an den Glogauer Dekan Heinrich Oseven (o. D.) ⫺ überhaupt die Verwechslung des Briefs mit einer rhetorischen Rede. Daher führen auch nicht ein Regelwerk, sondern eigene Übung und die Lektüre der klassischen Meister zu brieflicher Kompetenz. Der Brief wird mit Cicero (fam. 2,4) als eine Gattung verstanden, die als genus familiare einen schlichten, gelösten Stil (sermo inelaboratus et planus, Kap. 5) verlangt, sprachliche Korrektheit, aber auf keinen Fall äußerlichen rhetorischen Aufputz. Gleichwohl muß der Brief nicht einen moderaten natürlichen Schmuck (color nativus) meiden, und so fügt A. auch ein Kapitel über Wort- und Sinnfiguren (nach der D ‘Rhetorica ad Herennium’ [NB]) ein. Es fehlt nicht eine bewußt einfache Interpunktionslehre, welche die Zahl
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der Satzzeichen auf ein erforderliches Maß beschränkt. Autobiographisch wertvoll sind die 13 als Mustersammlung angehängten Briefe A.’, anhand deren sich der Gelehrtenkreis konturieren läßt, in dem A. in Italien und Mähren verkehrte, Briefe u. a. an Andreas Ctiborius (wichtigste Quelle für A.’ Jugend), Johannes Tuccius, Christoph von Losenstein (programmatisch-humanistisch), Cassandra Fedele, Philippus Beroaldus d. Ä., Johannes von Oppau, Nikolaus von Brieg (Czepel), Wolfgang von Tanneberg, Nikolaus Basileus, Christopherus Parthenius, Georg von Hirnheim). Druck. Aug.*ustini+ Mora.*vi+ De modo epistolandi cum non-|nullis epistolis quampulcherrimis. Venedig: Simon Bevilaqua, 13. Jan. 1495. GW 3058.
3. Historiographie. ‘Catalogus episcoporum Olomucensium’. Der ‘Catalogus’, zu dem A. wohl durch Cuspinian angeregt wurde, gehört neben der ‘Historia Boiemiae’ des Johannes Dubravius zu den bedeutendsten historiographischen Leistungen des Olmützer Humanistenkreises. Er basiert auf dem ‘Granum catalogi praesulum Moraviae’, das bis zu der Einsetzung Pauls von Miliczin am 22. Aug. 1435 reicht, und führt die Genealogie der Olmützer Bischöfe von Johannes XI. (1450⫺1454) bis zum Episkopatsbeginn Stanislaus Thurzo´s 1497 fort. Die Einträge des ‘Catalogus’ gehorchen einem stereotypen, dem Brevitas-Gebot verpflichteten Schema: A. nennt den Namen des Bischofs, gibt die Zählung in der Abfolge der Bischöfe an, teilt die Herkunft, die Dauer des Episkopats, den Sterbe- und Bestattungsort mit und verweist auf bedeutende politische und kirchenpolitische Ereignisse während des Episkopats. Der ‘Catalogus’, der mit einem Widmungsbrief an Stanislaus Thurzo´ und Geleitgedichten von Peter J Eberbach, Cuspinian und Vadian versehen ist, war am 8. März 1511 vollendet und wurde im gleichen Jahr erstmals bei Hieronymus Vietor und Johannes Singriener in Wien gedruckt. Mehrere Neuauflagen, die sämtlich auf dem Erstdruck basieren,
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unterstreichen seinen historiographischen Wert. Drucke. Catalogus episcoporum | Olomucensium. | […]. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 8. März [1511]. VD 16, K 8. ⫺ 1575 erschien der ‘Catalogus’ in Basel in Verbindung mit der Neuausg. der ‘Historia Boiemica’ des Joh. Dubravius (VD 16, D 2828), danach in M. Frehers ‘Rerum Bohemicarum Antiqui Scriptores Aliquot Insignes […]’ (Hanau 1602, S. 277⫺287), in J. Gruters ‘Chronicon chronicorum ecclesiastico-politicum ex huius superiorisque aetatis scriptoribus concinnatum [...]’ (Frankfurt a. M. 1614) und in einer Quellensammlung zur Geschichte Böhmens (Jo. Dubravii […] Historia Bohemica, a` Cl. V. Thoma Jordano, Medico, Genealogiarum, Episcoporum, Regum, Ducum Catalogis ornata & necessariis Annotationibus illustrata. […], Frankfurt a. M./ Breslau 1687). Ausgabe. F. X. Richter, A. Olomucensis: Episcoporum Olomucensium series […], Olmütz 1831. B. Herausgeberschaft. 1. Hieronymi auancii Veronensis artium doctoris in | Val. Catullum et in Priapeias Emendationes: et | eiusdem pro Magnifico Francisco aurichalcho | oratio: ac ad diuam Cassandram Elegia. | Eiusdemque de laudibus philosophiae morallis [sic!] | oratio et gratiarum actio ad Maria|num garzonum et M. An. | maurocenum. Venedig: Joh. Tacuinus, 1495. GW 3098. Avantius hatte die ‘Emendationes in Catullum’ im Sommer/Herbst 1493 als Student der Philosophie in Padua verfaßt und A. übergeben, der sie nach der Begutachtung durch humanistische Gelehrte wie Johannes Calphurnius und Jacobus Comes Juliarius schließlich edierte. Vgl. Kristeller, CTC 7, 1992, S. 232⫺ 239, mit Abdruck von A.’ Vorrede (5. März 1494) und der Widmung des Avantius an A. 2. Tabularum Joannis | blanchini canones. Venedig: Simon Bevilaqua, 10. Juni 1495. GW 4410. Die Ausg. von Giovanni Bianchinis in den 1440er Jahren erstellten Planetentafeln, die, dem literarischen Genus entsprechend, die vorausberechneten Örter des Mondes und der Planeten angeben, dokumentiert A.’ fortgesetztes Interesse an der Astronomie. Widmung an Andreas Ctiborius. 3. Antilogion Guarini et Poggii, | de praestantia Scipionis Africani, et C. Iulii | Caesaris, nuper Doctissimi Augustini Moraui | cura, in lucem editum. […]. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 15. Mai 1512. VD 16, G 3856. Die Ausgabe ist dem Breslauer B. Johannes Thurzo´ gewidmet und enthält einen Brief an Vadian (13. Febr. 1512; Bonorand II, Nr. 13). Mit der Kontroverse der ital. Humanisten Guarino Veronese und Poggio Bracciolini über die historischen Leistungen Scipios
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und Caesars veröffentlichte A. eine Schrift, die jenseits der Demonstration gelehrter Streitkultur bes. für das politische Denken der Renaissance Bedeutung gewonnen hat, vergegenwärtigte sich in dem Verhältnis der beiden antiken Staatsmänner zueinander doch die Opposition von republikanischer und autokratischer Staatsform bzw. von Krieg und Frieden. A. verzichtet auf eine Parteinahme zugunsten eines der Kontrahenten.
C . B ri ef e. Abgesehen von den in ‘De modo epistolandi’ zusammengestellten Briefen sind A.’ Briefe verstreut gedruckt oder liegen nur in Hss. vor (vgl. Truhla´ rˇ u. a., 1966, S. 115 f.). Größere Corpora bilden die Schreiben an den Physiker Johannes Niger über die ‘Waldenser’-Frage sowie die Korrespondenz mit den Freunden Celtis und Hassenstein. 1. ‘Exhortatoria in impressionem tabularum astronomicarum Alfonsi Regis’. Johann Lucilius Santritters Ausgabe der 1272 von Kg. Alfons X. auf der Grundlage des Ptolemäischen Planetensystems aufgestellten ‘Tabulae Astronomicae’ geht auf A.’ Initiative zurück. In einem Brief vom 15. Juni 1492, der der Ausgabe beigefügt ist, hatte er den Astronomen überzeugen können, die Tafeln neuerlich herauszugeben, obwohl seit 1483 eine Ausgabe von Johannes Danck vorlag. Druck. Tabule astronomice | Alfonsi Regis. Venedig: Joh. Hamann, [31. Okt. 1492]. GW 1258.
2. Brief an Kg. Wladislaus II. Der v. a. der eigenen Empfehlung dienende Brief des A. an Wladislaus vom 20. Aug. 1493 erhält seinen Wert durch A.’ Illustrationen zu Bedas Traktat ‘De computo vel loquela digitorum’ (⫽ ‘De temporum ratione’ I 1; vgl. J. J. Berns [Hg.], Gedächtnislehren u. Gedächtniskünste in Antike u. FrühMA [Documenta Mnemonica 1/1], 2003, S. 465⫺498). Überlieferung. Clm 24106, 3v⫺6r. Ausgabe. Wotke, 1898, S. 66⫺70.
3. Briefe und Schriften gegen die Böhmischen Brüder. A. identifiziert die böhmische Brüderunität wie andere zeitgenössische Polemiker (Jakob Ziegler,
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Konrad von Dungernheim u. a.) fälschlich als Waldenser und denunziert sie damit von vornherein als Ketzer.
Den konvertierten Physiker Johannes ˇ erny´), den er in Leitomischl kenNiger (C nengelernt hatte, forderte A. zwischen 1500 und 1503 in vier, im Ton sich allmählich verschärfenden Briefen auf, der Irrlehre abzuschwören. Ferner veranlaßte er 1503 Kg. Wladislaus zu einem Erlaß gegen die Brüdergemeinde. Als diese 1506 mit einer Apologie reagierten, sah sich A. am 14. Nov. 1506 erneut zu einer Gegendarstellung veranlaßt. A. galt die Apologie als eine praestigiosa ac prorsus diabolica impostura, und er riet dem König, an der harten Linie festzuhalten. Als Wladislaus 1507 mit einem noch strengeren Dekret den Widerspruch Wilhelms von Pernstein und Marthas von Boskowitz herausgefordert hatte, wandte sich A., unterstützt durch Bohuslav von Hassenstein, erneut gegen die Brüder. Drucke. 1. Augustinus De Olomuucz Arcium et Decretorum doc⫽|tor Ad eruditum virum Magistrum Johannem Nigrum | phisicum Tractatus de secta waldensium Et primo quod | predicacionis officium non omnibus passim sit in ecclesia | permissum. Olmütz: Konrad Baumgarten, 29. Okt. 1500. GW 3061. 2. [...] Duplex Confessio Valdensium ad regem Vngarie missa, | Augustini de Olomucz [...] Epistole contra perfidiam | Valdensium, Eiusdem […] bine Littere ad Regiam Maiestatem de Heresi | Valdensium, | [...]. Leipzig: Melch. Lotter, 31. Okt. 1512. VD 16, Z 442. Ausgabe. J. Nechutova´ / M. Rˆsslerova´ , A. Olomucensis, Tractatus de secta Valdensium, Studia minora Facultatis philosophicae Universitatis Brunensis E 30 (1985) 133⫺147.
4. Private Korrespondenz. Neben den Briefen in ‘De modo epistolandi’, Widmungsbriefen und weiteren Beigaben zu Drucken (s. o. II.B.) sind Teile des privaten Briefwechsels des A. erhalten: zwei Briefe an Bohuslav von Hassenstein (um Neujahr 1494 u. 24. April 1497; Hassenstein-Br., Bd. 2, Nr. 42, 55); elf Briefe zwischen 1497 und 1505 an Konrad Celtis (Celtis-Br., Nr. 184, 189, 192, 313, 317, 320, 325⫺327); ferner zwölf Briefe von Hassenstein an A. (zwischen 1497 und 1508; Hassenstein-Br., Bd. 2, Nr. 54, 100,
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107, 109, 114, 119, 121, 125, 129, 138, 149), einer von Celtis (nach 4. April 1505; Celtis-Br., Nr. 328) sowie einer von Cuspinian (23. Febr. 1511; Cuspinian-Br., Nr. 8). D . G ed ic ht e. Gedichte von A., meist als Paratexte verfaßt, erschienen nur verstreut (vgl. Toste, 2003, S. 525). Besondere Bedeutung verdienen A.’ Beitrag zu den Begrüßungsgedichten der Sodalitas literaria Danubiana für Konrad Celtis (Celtis-Br., Nr. 180) wegen seines biographischen Gehalts und das Geleitgedicht Ad librum am Ende von ‘De modo epistolandi’ (inc. Quo properas, tam parve liber?) gegen die humanismusfeindlichen Grammatiker und Schulmeister. Aus dem Brief an den Freund Nicolaus Basileus (aus Triest) in ‘De modo epistolandi’ (Bl. Dv) erfährt man, daß A. auch amatorios elegos complures verfaßt hat, die aber bisher nicht aufgefunden wurden. Literatur. J. G. Bˆhme / G. E. Tenzelius, De Augustino Olomucensi et patera ejus aurea in nummophylacio Serenis. Princ. Reg. Elect. Dresdae adservat, commentariolus. [...], Dresden/Leipzig 1758; J. Loserth, Das Granum Catalogi praesulum Moraviae. Nach d. Hs. d. Olmützer Domcapitelarch.s, Arch. f. österr. Gesch. 78 (1892) 41⫺97; ˇ echa´ch J. Truhla´ rˇ , Humanismus e humaniste´ v C za kra´le Vladislava II, Prag 1894; K. Wotke, A. Olomucensis. A. Käsenbrot v. Wssehrd, Zs. d. Ver. f. d. Gesch. Mährens u. Schlesiens 2 (1898) 47⫺70; Bauch, Krakau, S. 70⫺72; V. Prasek, Auˇ asopis cˇeske´ho gustin “doktor” a Olomucˇane´, C (na´rodni´ho) musea 26 (1902) 30⫺42; G. Bauch, Zu A. Olomucensis, Zs. d. dt. Ver. f. d. Gesch. Mährens u. Schlesiens 8 (1904) 119⫺136; V. Nesˇ por, O pu˚vodu moravske´ho humanisty Dr. Auguˇ esky´ cˇasopis historicky´ 38 stina Olomoucke´ho, C (1932) 541⫺545; K. Svoboda, Augustina Olomoucke´ho ‘Dialog na obranu ba´snictvı´’, Listy filologicke´ 69 (1942), 20⫺23; W. N‰f, Vadian u. seine Stadt St. Gallen, Bd. 1, 1944, S. 221⫺223; K. Svoboda, Il ‘Dialogo in difesa della poesia’ di Agostino de Olomouc, Lettere italiane 8 (1956) 34⫺ 49; A. Truhla´ rˇ / K. Hrdina / J. Hejnic / J. Martinek, Enchiridion renatae poesis Latinae in Bohemia et Moravia cultae, Bd. 1, Prag 1966, S. 111⫺ 116; I. N. Golenisˇ cˇ ev-Kutuzov, Il Rinascimento italiano e le letterature slave dei secoli XV e XVI (Pubblicazioni della Universita` Cattolica del Sacro Cuore 3), hg. v. S. Graciotti / J. Krˇ esa´ lkova´ ,
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Mailand 1973, Bd. 1, S. 222⫺225; Bonorand II, S. 222⫺224; Apol. poet., S. 20 f.; J. H. Gaisser, Catullus and his Renaissance Readers, Oxford 1993, S. 53⫺56; P. Wˆrster, Humanismus in Olmütz, 1994; S. Graciotti, Tradizione testuale e tradizione letteraria nell’ ‘Antilogion Guarini et Poggii’ di A. M., in: ders. (Hg.), Italia e Boemia nella cornice del rinascimento europeo, Florenz 1999, S. 131⫺152; I. Hlobil / E. Petru˚ , Humanism and the Early Renaissance in Moravia, Olmütz 1999, S. 49⫺53; E. Petru˚ , A. Olomucensis ˇ eska´ literatura 49 and Czech Epistolography, C (2001) 564⫺571; M. Kourˇ il, Augustin Olomoucky´ 1467⫺1512, in: I. Bartecˇ ek (Hg.), Historiografie Moravy a Slezska, Olmütz 2001, S. 13⫺ 20; M. Toste, in: M. Lapidge / G. C. Garfagnini / C. Leonardi, Compendium Auctorum Latinorum Medii Aevi (500⫺1500), Bd. 1/5, Florenz 2003, S. 523⫺526.
Ralf G. Czapla
Aventinus (Dur-, Duren-, Turen-, Tur-, Turnmair; Thurinomarus; Pyrgonomus), Johannes Inhalt. I. Leben. II. Werk. A. Historische Schriften, 1. Orts- und Klostergeschichte. 2. Landesgeschichte. 3. Deutsche Geschichte. 4. Weltgeschichte. 5. Zeitpolitische Schriften. ⫺ B. Artes. 1. Grammatik. 2. Musiktheorie. ⫺ C. Kleinere Schriften und Gedichte. ⫺ D. Briefwechsel. ⫺ E. Herausgebertätigkeit. ⫺ F. Nachgelassenes. ⫺ G. Würdigung. ⫺ Literatur.
I . L eb en . Quellen der Biographie. Der erhaltene Briefwechsel (s. u. II.D.) ist in biographischer Hinsicht karg. Nur mit Vorbehalten können die Würdigungen von Kaspar Brusch (1541, s. u. II.A.3.a) und Hieronymus Ziegler, Professor für Philosophie in Ingolstadt (1554, s. u. II.A.2.e), als über Zweifel erhaben angesehen werden. Primärquelle für die Lebensstationen ist der von A. geführte sog. ‘Hauskalender’, vornehmlich in lat. Sprache mit dt. Einsprengseln (Abb. z. B. bei D¸nninger, 1977, S. 68). Als ‘Hauskalender’ wird ein gedruckter Kalender auf die Jahre 1499⫺1531 bezeichnet (Ulm: Joh. Reger, 1499; Hain 15085), den A. erst 1509 erwarb und in dem er allfällige private Aufzeichnungen führte (München, SB, 4o L.impr.c.n.mss. 56). Insbesondere dank der mitgeteilten Wetterbeobachtungen können Eintragungen aus unmittelbarer zeitlicher Erfahrung und erinnerte wenigstens teilweise geschieden werden. Eintragungen aus der Rückschau beginnen bereits für das Jahr 1499; doch da auch hier gelegentlich meteorologi-
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sche Mitteilungen getroffen sind, dürften etliche Eintragungen aus einem alten Kalender übertragen worden sein. Der letzte Eintrag datiert vom 9. Dez. 1531; einige weitere zeitgeschichtliche, nicht aber autobiographische Bemerkungen finden sich am Ende der ‘Annalen’. Enthalten sind neben den Aufzeichnungen über den Fortgang seiner Arbeit vor allem Notizen über politische Geschehnisse, Naturereignisse, Privates und Pekuniäres. Ausgaben des ‘Hauskalenders’. Sämmtliche Werke (⫽ S.W.; s. u. II.) I, S. 654⫺689 (obsolet, da nach der mangelhaften Ausg. Gandershofers v. 1835); S.W. VI, S. 1⫺51 (mit geringfügigen Auslassungen).
A. wurde in Abensberg/Niederbayern am 4. Juli 1477 als Sohn des Gast- und Weinwirts Peter Turmair geboren; das Cognomen Aventinus bezog er aus dem Geburtsort. Den Primärunterricht mag er am einzigen Ort solcher Bildung der Heimatstadt, dem Karmeliterkloster, genommen haben. Dokumentarisch faßbar wird die weitere Ausbildung mit der Immatrikulation an der Univ. Ingolstadt am 21. Juni 1495, wo er Schüler von Konrad J Celtis wurde ⫺ den er als Homerus Germanicus (brieflich, S.W. I, S. 632) über alles schätzte ⫺ und das Baccalaureat erlangte. 1496 empfing er in Regensburg die Akolythenweihe (Leidinger, 1953, S. 469). Seinem 1497 nach Wien berufenen Lehrer Celtis folgte er im WS 1498 dorthin und blieb bis Dez. 1500; er bezeichnete sich als dessen Hausgenossen (contubernalis). In Wien studierte er daneben insbesondere bei Johannes J Cuspinian und Johannes J Stabius, der bereits in Ingolstadt gewirkt hatte. Anschließend bezog er zum SS 1501 die Univ. Krakau (immatrikuliert als Johannes Petri de Habensberg), v. a. mathematischer Studien wegen. 1502 kehrte er nach Abensberg zurück; der Vater war gestorben. In dieses Jahr fällt ein vierwöchiger Aufenthalt in Leipzig. Das Erbe scheint ihm zunächst Reisefreiheit vor allem innerhalb Bayerns ermöglicht zu haben. Im Jahr darauf setzte er seine Studien in Paris fort (zeitgleich mit Beatus J Rhenanus, ohne dort bereits mit ihm in Kontakt zu treten); als Lehrer nennt er den Aristoteliker Jacobus Faber Stapulensis und Jodocus Clichtoveus. A.’ nicht unbe-
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trächtliche Griechisch-Kenntnisse ⫺ er verstand sich auf die Homer-Lektüre, und viele seiner Marginalien sind in griech. Sprache formuliert ⫺ dürften auf die Pariser Zeit zurückgehen; auch des Hebräischen war er kundig. Am 24. März 1504 erlangte er in Paris die Magisterwürde, drei Tage darauf erhielt er das Birett. Das Jahr 1504 verbrachte er zum großen Teil in der Heimatstadt, in den Jahren 1505, 1506 und 1507 findet man ihn immer wieder in Wien, wohl im Umgang mit Celtis. Der gelegentlich kolportierte Eintritt in dessen danubische Solidität ist ohne Gewähr. Zum WS 1507/8 soll er in Ingolstadt Privatvorlesungen über die ‘Rhetorica ad Herennium’, Ciceros ‘Somnium Scipionis’ und quadriviale Themen gehalten haben (vgl. S.W. I, S. X). Eine von Hzg. Albrecht dem Weisen erwünschte und wohl auch in Aussicht gestellte Anstellung erhielt er dort nicht, ob durch den Tod des Herzogs am 18. März 1508 vereitelt, ist ungewiß; eine auch später noch ersehnte Professur in Ingolstadt wurde A. nie zuteil (so notiert er noch 1512 im ‘Hauskalender’: lecturam pollicitus). Zum 19. Dez. 1508 erreichte A. ein Schreiben, das ihn nach München einlud, wo er zum besoldeten Lehrer der beiden jüngeren bayerischen Prinzen Ludwig und Ernst ⫺ die zunächst der Primogenitur wegen von der Teilhabe an der Herrschaft ausgeschlossen worden waren ⫺ ernannt wurde. Der Unterricht fand großenteils in der Abgeschiedenheit von Burghausen statt, daneben am Münchner Hof und in Landshut. Publikationsfrucht der Lehre waren seine Grammatik und die Schrift über die Musik (s. u. B.1. u. 2.). In herzoglichem Auftrag unternahm er zusammen mit Sebastian Ilsung Visitationen der Univ. Ingolstadt (mehrmals, gesichert wenigstens noch für 1515), deren scholastische Querelen er mehrfach geißelte. Im Aug. 1512 traf er in Landshut mit Konrad J Peutinger zusammen (vgl. Peutinger-Br., Nr. 100). Eine dreimonatige Reise führte ihn studii causa (S.W. II, S. 476) zusammen mit Ernst von Bayern nach Italien (Aug. bis Nov. 1515); deren Stationen (nur Mantua und Rom sind verbürgt) und Erträge liegen im
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einzelnen im dunkeln (vgl. Schmid, 1996, S. 85; ein Kontakt zu Niccolo` Perotti [† 1480] wird irrig behauptet). Nach achtjähriger Unterrichtszeit ⫺ 1516 wurde Ernst Rektor der Univ. Ingolstadt ⫺ wurde A. von Wilhelm IV. und Ludwig X. im Febr. 1517 das ad personam geschaffene Amt eines bayerischen Hofhistoriographen (bayerisch fyrstlicher geschichtsschreiber, so im Heiratsvertrag) mit Vollmachten übertragen. 1516 dürfte er die Ingolstädter Sodalitas ins Leben gerufen haben, deren Vorsitzender Leonhard von Eck war; von diesem nur lockeren und kurzlebigen Zusammenschluß zeugen ein Druckwerk (s. u. II.E.1.) und die Wiederbelebung der Lilienburse unter Leitung des Sodalen Matthias Kretz, die A. am 1. Sept. 1516 beantragte (Seifert, S. 84 f.). Die Jahre 1517 und 1518 waren Forschungsreisen zu bayerischen Orten und Klöstern gewidmet; die einzelnen Stationen, rund neunzig an der Zahl, finden sich penibel im ‘Hauskalender’ verzeichnet. Zur Ausarbeitung der Notizen zu einer bayerischen Geschichte, die drei Jahre beanspruchte (1519⫺1521), zog er sich nach Abensberg zurück. Zum 31. Mai 1521 notierte er die Fertigstellung der ‘Annales ducum Baioariae’ (Abschrift durch seinen Helfer Stephan Gartner erst im Dez. 1525). Im Frühjahr 1522 reiste er nach Nürnberg, um einen Auszug der ‘Annalen’ unter dem Titel ‘Bayrischer Chronicon’ drucken zu lassen. Ende dieses Jahres begann er mit der dt. Fassung des lebenszehrenden Hauptwerks. Freundschaft veranlaßte ihn zu Besuchen beim Salzburger Eb. Matthäus Lang; in Landshut schloß er Bekanntschaft mit Peter Apian, dessen 1527 erfolgte Berufung als Mathematikprofessor nach Ingolstadt A. betrieb, sowie mit dessen Bruder Georg. Eine Gehaltserhöhung im Sept. 1524 spricht für anhaltendes Wohlwollen des Herzogshauses. Aus den politischen Händeln des Jahres 1525 hielt sich A. heraus; er beschäftigte sich in diesem anno infaustissimo mit HomerLektüre und machte sich mit dem Ausbau eines Landhauses in Abensberg zu schaffen. Der offizielle Auftrag zur Verdeutschung der ‘Chronik’ erfolgte 1526; in Augsburg nahm er hierzu Kontakt zu Peutinger auf;
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er beherbergte in diesem Jahr auch den Pfalzgrafen Philipp. Weder die lat. noch die dt. Fassung der ‘Annalen’ erschienen zu A.’ Lebzeiten ⫺ ja, der Abdruck auf eigene Veranlassung wurde ihm untersagt (Mandat vom 24. Sept. 1524, Abdruck bei M. P. v. Freyberg, Neue Beitr. z. vaterländ. Gesch. u. Topographie, Bd. 1, München 1837, S. 95); antipapistische und antiklerikale Grundhaltung, die einen roten Faden im Text bilden, mögen Ausschlag gegeben haben. (Das Tridentiner Konzil wird dann die großen ‘Annales’ indizieren.) Wohl auch, um den seit dem Mandat vom 5. März 1522 sich zuspitzenden Religionshändeln zu entgehen, verlegte A. seinen Schreibtisch in die Reichsstadt Regensburg, wo er im Hause von Georg Prims, den er mehrfach vorher besucht hatte, Aufnahme fand; seine Gehaltszahlung durch den bayerischen Hof wurde freilich offenbar nie sistiert. Verhaftungen enger Freunde, die reformatorischen Ideen anhingen, gingen derjenigen des A. am 7. Okt. 1528 in Abensberg voraus (ob evangelium). A. selbst, inhaltlich mit vielen lutherischen, namentlich antipapistischen Gedanken sympathisierend, war doch einer Kirchenspaltung nicht zugeneigt. Nach elf Tagen Haft wurde er auf Betreiben des ihm zugewandten bayerischen Kanzlers Leonhard von Eck freigelassen. Am 1. Dez. 1529 schloß A. die Ehe mit Barbara Fröschmann aus Niederrieden bei Memmingen; eine 1531 geborene Tochter Gisala starb nach drei Monaten, eine zweite Tochter desselben Namens überlebte den Vater, ein Sohn Karl starb ebenfalls als Kind. 1529 hielt sich Johannes Honterus bei A. in Regensburg auf. 1530 unternahm A. wiederum Forschungsreisen durch Bayern ⫺ auch war er auf dem Augsburger Reichstag ⫺, und es entstand seine Schrift über das Vordringen der Türken. Von einer Reise nach Wittenberg riet ihm Melanchthon ab. Ein Hauskauf in Regensburg am 23. Febr. 1531 zeugt von endgültigem Abschied aus bayerischem Herrschaftsgebiet. Am 18. Febr. 1531 begann A. mit seiner unvollendet gebliebenen ‘Germania illustrata’, von ihm selbst more cygnorum ins Auge ge-
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faßt. 1533 nochmals mit einer Erzieheraufgabe begabt, die Oswald von Eck, Sohn von A.’ Gönner Leonhard, galt, schloß A. am 23. März 1533 seine bayerische Chronik in dt. Sprache ab. Er starb, offenbar schon länger gesundheitlichen Krisen ausgesetzt, in Regensburg am 9. Jan. 1534. Ein Grab wurde ihm im früheren Friedhof des Regensburger Emmeramsklosters bereitet; das von dem Straubinger Stadtsyndikus Johannes Taylnkäß (Delicaius) gestiftete Grabmal läßt, in seiner Anlehnung an den Holzschnitt von Hans Burgkmair, den Celtis für sein Memorial sich hatte entwerfen lassen, die Erinnerung an seinen Freund und Lehrer wachbleiben (Lˆcher, S. 357). Bildnisse von A.: Titelblatt des Clm 1138 (A. überreicht Albrecht IV. die Hs.); Epitaph; Holzschnitt von Hans Sebald Lautensack (‘Annales’Ausg. 1554).
I I. We rk . Von A.’ Schaffen gibt es eine in den Jahren 1881⫺1908 auf Veranlassung der Bayer. Akad. d. Wiss. hergestellte fünfbändige Werkausgabe mit Nachtragsband (J. Turmair’s, gen. A., sämmtliche Werke), an der K. v. Halm, F. Muncker und W. Vogt (Bd. I), S. Riezler (Bde. II/III), M. Lexer (Bde. IV/V; ND 1996) und G. Leidinger (Bd. VI) beteiligt waren. Zur Kritik an Teilen der Ausgabe vgl. Meyer, 1886. Einiges wenige wurde in der Ausgabe absichtsvoll oder aus Unkenntnis unterdrückt; hiermit und mit später Ausgehobenem beschäftigten sich Leidinger, 1913 u. 1917, und Schmid, 2001. Im vorliegenden Artikel werden zusätzlich die ‘Aliquot nomina’ (II.B.1.c) und die ‘Origo Francorum’ (II.A.2.b) dem Œuvre angereiht, ein marianisches Carmen hingegen muß A. wohl abgesprochen werden (II.C.b). A.’ Quellenkenntnis war immens, oftmals freilich ist die Authentizität seiner Zitationen in Frage gestellt worden. Teilt er in den Vorreden seiner Werke in der Regel auch zumeist die wichtigsten benutzten Quellen mit, bleiben doch sehr viele Fragen offen. Eine noch immer nicht vollständig überholte, z. T. auch nicht einmal hinlänglich ausgewertete sorgsame Zusammenschau bietet Bauerreiss. Dessen grundsätzlichem Urteil, A. habe Quellen kaum je erfunden, allenfalls sprachlich modifiziert und Namen mißverstanden oder verwechselt, ist die moderne Landesgeschichte in der Regel begründet zugeneigt. Zu den im folgenden gemachten Angaben über die Hss. sei bemerkt, daß nicht in allen Fällen
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der Status von Autographen festgestellt werden konnte; in Betracht ist auch zu nehmen, daß A. zu Lebzeiten etliche Mss. in Reinschrift übertragen ließ und mitunter hsl.e Korrekturen und Marginalien anbrachte. Die Frühdrucke sind teilweise, insbesondere in pro- und kontrareformatorischen Bestrebungen, kräftig überarbeitet.
A . H is to ri sc he Sc hr if te n. Soweit die historischen Studien A.’ zu seinen Lebzeiten zum Druck kamen, ist an ihrer Selbständigkeit nicht zu zweifeln. Da sich aber auch ein Großteil seiner Sammel- und Redaktionstätigkeit in den sog. ‘Adversarien’ (s. u. II.F.1.) erhalten hat, in denen Opuscula aufgezeichnet sind, von denen ungewiß ist, in welchem Maße sie als Exzerpte, Vorarbeiten oder als (u. U. nicht zur Reife gebrachte) gültige Schriften konzipiert waren, und da er sich selbst immer wieder ausschrieb, bleibt A.’ Schaffen ein offenes Werk. Die im folgenden vorgenommene Einteilung folgt im wesentlichen dem Urteil der Herausgeber der S.W. Auch wird die bayerische Karte (II.A.2.g) eigens erfaßt, wenngleich sie hätte Zutat historiographischer Werke sein sollen. A.’ Verfahren ließe sich auch als eine einzige Vorarbeit zum ⫺ dem Begriffe nach offenen ⫺ Opus summum einer ‘Germania illustrata’ fassen, zumal er seine Fama eines ‘bayerischen Landeshistorikers’ allzeit überdehnte. (Zu A.’ “Vorstellung eingeschränkter Erkenntnisfähigkeit” der Historiographie vgl. Muhlack, S. 69.)
1. O rt s- un d K lo st er ge sc hi ch te . a) ‘Annales Schirenses’. Die 1517 abgeschlossene und dem Abt des Benediktinerklosters Scheyern, der Begräbnisstätte der frühen Wittelsbacher, zugeeignete Chronik umfaßt in ihrem annalistisch-darstellenden Teil den Zeitraum vom Jahr 508 (Einwanderung der Schiri zusammen mit den Baiern in die römische Provinz Vindelicum) bis zum Jahr 1253; die Geschlechter derer von Scheyern werden in der bayerischen Geschichte situiert. Beigegeben ist ein Catalogus abbatum, der von der Gründung des Klosters 1097 von Hirsau aus bis zum zeitgenössischen Abt (seit 1505), Johannes Turbeit, reicht und die Reihe von 33 Äbten nennt. Zu den Quellen (u. a. D Konrad von Scheyern) vgl. Schmid, 1977, S. 378 f. Autograph. Clm 1719. Druck. Chronicon | Sive | annales Schi-| renses, a Ioanne Aventi-|no [...]. Zweibrücken: Kasp. Wittelius, 1600. VD 16, T 2323.
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Ausgabe. S.W. I, S. 1⫺24.
b) ‘Narratiuncula de Bathavina urbe’. Im Autograph auf 1517 datiert, bietet das kleine, dem Passauer Domdechanten Wolfgang von Tannberg gewidmete Werk neben einem Carmen auf die Familie derer von Tannberg einen Abriß der Passauer Geschichte, beginnend mit der Urgeschichte der Bayern, über die Gründung Passaus durch die Römer; die letzte Erwähnung geht auf das Jahr 978. Autograph. Clm 1204, 57r⫺58v. Ausgabe. S.W. I, S. 25⫺29.
c) ‘Historia Otingae’ / ‘Chronik vom Alten Oting’. Diese Geschichte des Pfalzortes Altötting, datiert im Druckprivileg der Hzg.e Wilhelm und Ludwig auf 1518, stellt eine breite Auflistung der Quellen zusammen. Die Darstellung der Geschichte läßt A. mit der Sintflut und Tuisco beginnen; ansonsten liefert er eine stark quellenorientierte Wiedergabe der Geschichte, in der die römische Vergangenheit des Orts Darstellung findet, eingeschlossen die Mitteilung von Urkundenmaterial. Drucke. Lat.: Deiparae virgini Otingfnsi[!] sacrum | [...] ducibus Boiorum | Vielmio. Litauico. Ari⫽|onisto. dfdi⫽|catum[!]. | historia non uulgaris uetustatesque | Otingae. Boiorum. ex anti⫽|quis monumen⫽|tis excerptae a Ioan⫽|ne Aventino [...]. Nürnberg: Joh. Stuchs, 1518. VD 16, T 2345. Zu einem von A.’ Hand korrigierten Druckexemplar vgl. S.W. I, S. 30. ⫺ Dt.: Der hochwirdigen vnd weit | ber umten e Stifft Alten Oting l oblich e herkomen | Kurtzweylig zelesen durch Maister Hannsen | Durmair genant Auentinum von Aben|sperg [...]. Ingolstadt: Andr. Lutz, 1519. VD 16, T 2346. Ausgabe. S.W. I, S. 30⫺45 (lat.), S. 46⫺59 (dt.).
d) ‘Chronicon Ranshofense’. Diese zuerst 1517, anläßlich seines dortigen Aufenthalts verfaßte, 1523 überarbeitete Geschichte des Augustinerchorherrenstifts Ranshofen b. Braunau in Oberösterreich, dem dortigen Abt Kaspar Turndl gewidmet, hat zum Inhalt: Topographie von Ranshofen, Gründung der Pankratiuskirche, Geschichte der Pfarrei und Klostergründung, schließlich die Rolle des Orts und seiner Region im Landshuter
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Erbfolgestreit. Die Schrift endet mit einer Liste der Pröpste des Klosters seit 1125, die bis zur Gegenwart reicht. Überlieferung. Linz, Landesarchiv (olim Museum Francisco-Carolinum), Ms. 138, Ranshofen, um 1520 (s. R. W. Schmidt, in: 900 Jahre Stift Reichersberg, Kat. Reichersberg 1984, S. 313); Reichersberg, Stiftsbibl., o. Sign. [XII], S. 1⫺75 (s. J. G. Plante, Catalogue of Mss. in the Library of Stift Reichersberg, Paris 1973, S. 63⫺66). Zu einer unvollständigen Abschrift (aus einem Druck?) im Clm 1878 vgl. S.W. I, S. 60. Ein Druck war vermutlich vorhanden (vgl. S.W. I, S. 60), ist indes nicht zu ermitteln. Ausgabe. S.W. I, S. 60⫺101.
e) ‘Descriptio Biburgensis’. Hauptvorlagen sind wesentlich das Traditionsbuch und Homilienbücher des Benediktinerklosters Biburg. Die Klostergründung setzt A. ins Jahr 1125. Der Text ist arm an Reflexion wie auch an Ausmalung. Wie Schmid (1996, S. 86) feststellte, stützte A. die Ausführungen des 1524 ausgearbeiteten Werkes in höherem Maße als in den Frühschriften auf libros, lapides, tabulas itemque cetera antiquitatis monumenta. Gewidmet ist das Opusculum dem Biburger Abt Leonhard Aichstetter. Ausgabe nach Clm 28274 (Ende 17. Jh.!). Leidinger, 1913, S. 39⫺66.
f) ‘Von dem herkommen der statt Regensburg’. Verfaßt vermutlich 1528 ⫺ der Kopist setzt das Datum 1532 (vgl. S.W. I, S. 256) ⫺, gibt die Schrift die geographische Lage der Stadt wieder, nennt etliche inschriftliche Zeugnisse und legt überhaupt einen Maßstab römischer Betrachtung an (Gründung). Regensburg erhält herausragenden Rang neben Mainz, Trier und Köln. Die Geschichte endet mit Karl d. Gr. Des Autors Anliegen ist es, die Christianisierung der Stadt noch in die vorkarolingische Zeit zu legen. Hier nun ist es profunde Quellenauswertung und -kritik (z. B. Abweisung der Schottenlegende), die die Schrift als Spätwerk kennzeichnet (vgl. Schmid, 1996, S. 96⫺99). Ein Autograph ist nicht bekannt; zu den z. T. autornahen Hss. vgl. S.W. I, S. 255.
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Ausgaben. A. F. Oefele, Scriptores rerum Boicarum, Bd. 2, Augsburg 1763, S. 740⫺759; S.W. I, S. 255⫺297.
2. L an de sg es ch ic ht e. a) ‘Annales ducum Bavariae’ (‘Kleine Annalen’). Diese zuerst Epithoma hystoriae ducum Bavariae überschriebene (S.W. III, S. 553 u. 556 f.) Zusammenstellung, entstanden 1511 (Schmid, 1989, S. 227), ist ihrem Inhalt nach in großen ‘Annalen’ (s. u. A.2.e) aufgegangen, vermag aber im Vergleich zu diesen A.’ methodische Wandlungen zu erhellen. Inhaltsübersicht bei Schmid, 2001, S. 92⫺95. Autograph (zu Teilen). Clm 967, 18r⫺185r.
b) ‘Origo Francorum vera’. Das Werk, seiner Widmungsvorrede an die Mgf.en Wilhelm und Friedrich von Brandenburg wegen gewiß ursprünglich für eine Veröffentlichung vorgesehen, scheint unfertig geblieben zu sein; die selbständige Darstellung geht schließlich über in Exzerpte (Hieronymus, Sulpicius Severus u. a.). Die Widmung erlaubt eine Entstehung um 1515/16 anzusetzen. Die ‘Origo’ behandelt das Verhältnis der Franken zu den anderen germanischen Völkern, ihre Herkunft, ihr Land und ihre westrheinischen Kriegserfolge bis hinauf zu Pippin. Insgesamt wird der Konnex Franken⫺Bayern aufs engste hergestellt. Das Verhältnis der benutzten Quellen zu eigenständiger Darstellung durch A. harrt der Klärung (vgl. auch S.W. III, S. 554). Autograph. Clm 1202, 143r⫺147r. Ausgabe der Widmungsvorrede. Wiedemann, S. 358 f.
c) ‘Bayrisch Cronick [...] auf das kürzest’. Diese kleine Vorausschau auf das große Vorhaben, durch welche A. sich der gelehrten Welt empfahl, rafft in wenig elaborierten Worten insbesondere eine Sammlung der zu behandelnden Stätten und ihrer Geschichte zusammen. Druck. Bayrisch Cronick | Verzaichnet auff das kürtzest etliche | allte geschicht/ so [...]
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Auenti⫽|nus erforsch hat. [München: Hans Schobser, um 1519]. VD 16, T 2353, vgl. auch T 2352. Ausgabe. S.W. I, S. 102⫺106.
d) ‘Bayrischer Chronicon kurzer Auszug’. Noch während der Arbeit an den ‘Annalen’ ließ A. deren erste drei Bücher in einem dt. Auszug, den Rest in wesentlich tabellarisch-genealogischer Gestalt veröffentlichen. Autograph. Clm 281 (Grundlage des von A. beaufsichtigten Drucks, aber mit Fehlern, die in diesem berichtigt sind.) Druck. Bayrischer Chronicon: im La|tein nun verfertigt: vnd in Sy⫽|ben Puecher getailt ein | kurtzer auszug. [...]. Nürnberg: Friedr. Peypus, 1522. VD 16, T 2322. Ausgabe. S.W. I, S. 107⫺170.
e) ‘Annales ducum Boiariae’ (‘Annalen’). A.’ schon zeitgenössischer Rang und Ruf gründen wesentlich auf diesem seinem Hauptwerk, genauer: dessen Ankündigungen. Keine Veröffentlichung über A. läßt es sich nehmen, auf sein Selbstzeugnis zu rekurrieren, wonach er unter vielfachen Entbehrungen und mit immenser Energie und verläßlicher Sorgfalt ad fontes ging, und zwar sowohl schriftlicher als auch ⫺ mit Reserve gegenüber oraler Tradierung ⫺ mündlicher Zeugnisse; hohen Rang gab er urkundlichen Quellen jeglicher Art. Mit seinem nichts aussparenden Quellenbegriff kam er auch seiner Bemühung nach, den Wert historischer Mitteilungen recht zu ermessen; sein Schritt zu souveräner Disposition übers Material hat ihm häufige die Bezeichnung als ‘Vater der bayerischen Geschichte’ eingebracht. Die größten Freiheiten der Invention und Imagination gestattete er sich in der Darstellung von Reden, die er großenteils erfand und mundgerecht gestaltete. Das Werk umfaßt sieben Bücher: (1) Entstehung der Bayern unter Alemanus Hercules, dem 11. König Germaniens, bis zu Caesar, von A. als erster römischer Kaiser gefaßt ⫺ hierein gehört die Darstellung des Goldenen Zeitalters der Germanen; allgemeinem Urteil folgt er in der Auffassung, die Bayern seien mit den keltischen
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Boiern gleichzusetzen, (2) die Reihe der römischen Kaiser, ihr Verhältnis zu den Germanen bis Theoderich, (3) von Attila (456) bis zu Karl d. Gr. und der Absetzung des Bayernhzg.s Tassilo IV., (4) Karl d. Gr. bis Otto d. Gr., (5) Otto bis Heinrich IV. (mit bemerkenswerter Parteinahme für diesen, vgl. Schmid, 1977, S. 28⫺30), (6) die Welfen bis Otto IV., (7) Otto IV. bis zur Gegenwart, wobei Hzg. Albrecht IV. von Bayern noch ausgespart bleibt. Ins letzte Buch ist reichlich Orts- und Klostergeschichte eingelagert, die eine Engführung auf die Wittelsbacher hin ermöglicht. Schärfste Invektiven gegen den Klerus und das Mönchtum finden sich in der Vorrede zum 5. Buch. Die Kapiteleinteilung stammt nicht von A., sondern vom Herausgeber Gundling. A. pflegte allen Büchern dieses Opus eine ⫺ ihres Reichtums wegen hier nicht wiederzugebende ⫺ Quellenübersicht voranzustellen, die indes nur einen Teil des ermittelten (und noch zu ermittelnden) Materials gibt (vgl. S.W. III, S. 560⫺594, sowie Bauerreiss). Für die Frühzeit der Bayern, des mächtigsten Volkes der Germanen, gilt für A. wie für seine Zeitgenossen der Ps.-Berosus des Annius von Viterbo als Richtschnur, dessen Adaptation es A. in Verbindung mit der taciteischen Germanensage und dem AT ermöglichte, das Alter der Bayern bis zur äußersten Grenze, der Sintflut, zu rücken (Tuisco als nach der Flut geborener Sohn Noahs) ⫺ und damit, gewiß nicht das geringste Motiv A.’, auch die Anciennität der dt. Sprache herauszuheben. Der Kritik an Berosus, die in Deutschland bereits Beatus Rhenanus formuliert hatte, ist A. erst später und zögernd gefolgt (Schmid, 1977, S. 359). Die Darstellung der römischen Geschichte lehnt sich u. a. an Sueton und Tacitus an (auch das Corpus Iuris Civilis ist berücksichtigt, womit A.’ Interesse an Verfassungen und Innenpolitik hervortritt). Durchsetzt sind die deskriptiven Passagen mit der Zitierung von Klassikern römischer Poesie (z. B. Ovid, Horaz). A.’ Verknüpfung der römischen Zeit mit der transalpinen Romania auf bayerischem Boden ⫺ er hat den Limes zuerst ausgemacht ⫺ eröff-
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nete der Landesgeschichte neue Horizonte; hier ist als Quelle besonders Bernhard D Schöfferlin zu nennen. Vorfahren bayerischer Geschichtsschreibung, von denen A. zehrt, sind D Andreas von Regensburg, Hans D Ebran, Ulrich D Fuetrer (mit starken Vorbehalten: Lautter merl, is nit war), Veit D Arnpeck. An beigezogenen mal. Geschichtsschreibern sind u. a. D Otto von Freising (Sch¸rmann), an jüngeren Flavio Biondo, Leonardo Bruni, Marco Antonio Sabellico, Robert Gaguin ausgemacht. Den kulturkundlichen Aufklärungen ⫺ darunter der Sitten- und Religionsgeschichte ⫺ gilt A.’ dezidiertes Interesse, sowohl der Entwicklung der Künste und Wissenschaften als auch der römischen und mal. Rechts- und Verfassungsgeschichte. Vorrang genießen sprachhistorisch-etymologische Erwägungen. Es ist nicht von ungefähr, daß A. historischer Onomastik in der Einleitung großes Gewicht einräumte (Nomenclatura). Der ethisierenden Betrachtung von Herrschern wie Völkern gibt A. breiten Raum; Fabulöses wie auch tradierte Volksbräuche beanspruchen gleichfalls sein Augenmerk, oftmals freilich mit deutlicher Distanz referiert. Literarisch-mythologische Quellen treten eher an den Rand (dt. Heldensage). Karl d. Gr., dessen bayerische Abkunft für A. feststeht, behält in ausladender Darstellung seine mal. Grandeur, indes mit deutlich antifranzösischer Tendenz (vgl. auch Goerlitz). Antiken Autoren nacheifernd, war A. um eine differenzierte chorographische Aufbereitung der jeweils behandelten Weltregionen bemüht. Daß er in die geschichtliche Darstellung stets auch epigraphische und numismatische Quellen verwob, läßt sein Werk bis heute auch als Primärquelle dastehen, wofern die Denkmäler selbst verloren sind. Dabei ist zu beachten, daß er als Erforscher der Epigraphik und als Pionier der Numismatik diesseits der Alpen in seine geschichtliche Darstellung gelegentlich durch Interesse getrübte Fehllesungen bzw. -ergänzungen eingehen läßt. In höherem Maß getreulich hingegen sind die von ihm gesammelten 80 Inschriften in Manier der humanistischen Sylloge (‘Vetustates Romanae’ in den Hss. Clm 281,
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Clm 967, München, SB, Oefeleana 122), die Aufnahme in die neuzeitliche Epigraphik fanden (Mommsen; Vollmer, 1914 u. 1915; zu Leistung und Methode von A.’ Epigraphik vgl. Ott, 2002, S. 90⫺92, 128⫺130). Eine Zusammenstellung seiner Münzfunde faßte A. für die ‘Germania illustrata’ ins Auge; die Aufzeichnungen hierfür sind verschollen. Autographen / Überlieferung. Zu den Hss. mit Entwurfscharakter vgl. S.W. III, S. 538 f. Als neu ermitteltes Autograph (vgl. den Hinweis bei Schmid, 2001, S. 73, Anm. 18) läßt sich Regensburg, SB, Hs. Bav. 1621, 8 Bll., benennen (der Text umfaßt S.W. II, S. 332, Z. 1 ⫺ S. 342, Z. 16). Die endgültige autographe Fassung liegt in Clm 282⫺287 vor eine von A. beaufsichtigte und korrigierte Reinschrift durch Stephan Gartner liegt vor in Stuttgart, LB, Cod.hist.fol. 407a-407g. ⫺ Nie im Druck erschienen ist eine dt. Übers. durch Hieronymus Ziegler (1558; Cgm 1573⫺1580). Drucke. 1) Annalium Boiorum | libri septem Io⫽|anne Auentino Au⫽|tore [...] [hg. v. Hieronymus Ziegler]. Ingolstadt: Alex. u. Sam. Weißenhorn, 1554. VD 16, T 2318. Ziegler hat stark purgierend eingegriffen, zugleich dem Werk eine Vita des A. beigegeben. 2) Auentini | annalium Boiorum | libri VII [...] Nic. Cisneri I. C. Electoralis curiae Palatinae | Proiudicis et Consil. [...]. Basel 1580. VD 16, T 2319. Zisners Ausgabe ist hss.nah. 3) Der 3. Druck, besorgt durch N. H. Gundling, Leipzig 1710, enthält erstmals eine Kapiteleinteilung. Ausgabe. S.W. II u. III.
f) ‘Bayerische Chronik’. Mit der Umarbeitung der lat. Fassung in eine vulgärsprachliche hat A. nicht Neuland betreten (vgl. z. B. Schneider, 1999), wohl aber, was deren Physiognomie und Gestaltung betrifft. Die Chronik umfaßt acht Bücher sehr unterschiedlicher Größe, wobei die Einteilung im wesentlichen mit der der lat. Fassung übereinstimmt, nur daß deren letztes Buch hier auf zwei verteilt ist, einschließlich nun der Geschichte Albrechts IV. (Maßverhältnis der Bücher etwa 13 : 15 : 3 : 4 : 1 : 1 : 2 : 4 ⫺ mit demselben Maßstab ergibt sich für die lat. Version die proportional ausgewogenere Reihe 2 : 5 : 2 : 7 : 4 : 2 : 7). Insgesamt beansprucht die dt. Umarbeitung etwa das Anderthalbfache der ‘Annales’. In der ‘Chronik’ hat sich der Anspruch der historischen Perspektive geweitet, A. drängt weit mehr über eine landesgeschichtliche Begrenzung
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hinaus; der Widerspruch, eine bayerische Geschichte als Weltgeschichte zu schreiben, macht sich in oftmals wechselnder Fokussierung der Darstellung geltend. Beispielhaft für jene Totale darf etwa stehen, daß A. in der dt. Chronik mit der Genesis anhebt, über Noah und dessen nach der Sintflut geborenen Sohn Tuisco dann erst den Bayern zustrebt, während die ‘Annales’ mit dem elften König Germaniens, Alemanus Hercules als dem bayerischen Stammvater, beginnen und das erste Buch Mose retrospektiv einblenden (vgl. auch M¸nkler/Gr¸nberger, S. 245 f.). A. verstand seine ‘Chronik’ nicht als eine Übersetzung der ‘Annales’, sondern wollte selbst da, wo er sich im Umarbeiten inhaltlich eng an jene hielt, der dt. Sprache zu ihrem Eigenwert verhelfen (S.W. IV, S. 5: wan ein ietliche sprach hat ir aigne breuch und besunder aigenschaft). Kennzeichnend hierfür etwa ist, daß er memorabile Sprüche antiker Autoren durch (wie immer manchmal erfundene?) Redensweisheiten ersetzte. Im Verhältnis zu den lat. Annalen ist mehr an hilfswissenschaftlichem Material hinzugekommen; die Verhältnisse zwischen den Juden und Rom werden breiter entfaltet (insbesondere nach Josephus und Hieronymus), die Ausbreitung des Christentums, nach den ntl. Briefen und der Apostelgeschichte gearbeitet, erscheint allein in der dt. Fassung, die sittlichen Vergleiche zwischen Vergangenheit und Gegenwart werden schärfer konturiert. Die dt. Chronik ist nicht zuletzt eine sprachlich übersprudelnde Quelle an Gnomik, Sprichwörtern und süddt.-bair. Idiomatik. Hinzu kommt A.’ überaus waches, manchmal ingeniöses, manchmal zwanghaftes Interesse an der Familiarität der (indoeuropäischen) Sprachen; die verstreuten Bemerkungen hierüber verlangten gewinnversprechend nach einer Kompilation und kritischen Ordnung. So sind A., beispielsweise, Phänomene der zweiten Lautverschiebung geläufig, und seine Bemerkungen zu einer indoeuropäischen Koine sind, freilich aller Systematik ermangelnd, nicht ohne Substanz. A.’ bisweilen verschroben wirkende Obsession, bei der Erkundung von Kontinuität und Wandlung der Ge-
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schichte immer auch Sprachliches in den Blick zu nehmen, steht im zeitgenössischen humanistischen Diskurs einzigartig da; selbst Dialektales tritt in seinen Gesichtskreis des Völkervergleichs. Widersprüchlich bleibt A.’ Haltung gegenüber der Etymologie, für die ihm freilich die Maßstäbe fehlen mußten: Obschon selbst zu Phantasmen neigend, vermag er klarsichtig die Einfalt anderer zu durchblicken (wenn er etwa die Herleitung des Namens Vespasian aus den wepsen in der nasen als erstunken und erlogen bezeichnet [S.W. IV, S. 826]). Zugleich hat A.’ Bestreben, den jeweiligen Sprachen seiner Darstellung ihr Recht zu geben ⫺ was sich in der lat. Fassung v. a. in der Verwandlung der Nomina propria in lat. geltend macht ⫺, weit über die Eigennamen ausgegriffen und ließ ihn alle Fremdwörter eindeutschen. In der Syntax freilich greift er vielfach auf die erudierte Latinitas zurück. Autographen, autorisierte Handschriften (vgl. S.W. V, S. III⫺XV). Stuttgart, LB, Cod. hist.fol. 404 (autographes Konzept, unvollständig); ebd., Cod.hist.fol. 408 (Reinschrift von Erasmus Prims, z. T. von A. korrigiert, unvollständig); Cgm 1566 (Buch I), 1567 (Buch II), 1568 (Bücher III/ IV), 1564 (Bücher V-VII), 1572 (Buch VIII), dies sind Abschriften (Oswald Rulands?) mit Korrekturen A.’; Clm 281, 26v⫺27r (Kap. 58 des Buchs II von A.’ Hand). Drucke. 1) Johannis A⫽|uentini | Des Hochgeler⫽|ten weitber umten e | Beyerischen Geschichtschreibers Chro|nica [...]. Hg. v. Simon Schard. Frankfurt a. M. 1566. VD 16, T 2320 (Abb. der Titels.: Bayer. SB, Kat. 1989, S. 13). 2) Johannis A⫽|uentini/ | [...] Chro⫽|nica [...]. Hg. v. Nik. Zisner. Frankfurt a. M. 1580. Ausgabe. S.W. IV u. V. ⫺ Nhd. Auswahl: G. Leidinger, J. A., Baierische Chronik, 1926; wieder, mit neuer Einl. v. G. Deckert, 1975.
g) ‘Mappa’. Die von A. in zwei Ausführungen angefertigten Landkarten Bayerns waren als Komplement zu den Chroniken gedacht (vgl. S.W. I, S. 112; S.W. IV, S. 35), erschienen aber separat. Gewidmet sind sie den bayerischen Hzg.en Wilhelm, Ludwig und Ernst. A. schuf damit die erste Gesamtkarte von Altbaiern und erwies sich hierin am Vorabend des großen Zeitalters der Kartographie als Pionier (zuvor war an
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politischen Regionalkarten nur die der Schweiz von Konrad Türst [1495/97] bekannt). Es handelt sich um eine genordete Trapezkarte, die sowohl durch abgeschrittene Wegstrecken als auch durch Verwendung geographischer Koordinaten konstruiert wurde (Finsterwalder, Bayer. SB (Hg.), Kat. 1988, S. 202), vermutlich im intendierten Maßstab 1 : 720 000. Angenommen wird, daß A. sich dabei der Hilfe des Georg Apian versicherte, der auf den Karten signierte (wenn denn überhaupt die kartographische Arbeit nicht wesentlich in seinen Händen lag). Zur weiteren Verwendung von A.’ Karte im 16. und 17. Jh. (z. B. durch Abraham Ortelius) vgl. de Rudder.
Beigefügt hat A. der Karte eine kurze unterweysung der bairischen mappa, die über die kartographische Einrichtung sowie über das historische Herkommen der Orte unterrichtet. Unterschieden werden die alten stet, an zal vierzig als römische Gründungen und die neuen stet. Mit Bezug auf antike Namengebungen (Tacitus, Ptolemäus) und geschichtliche Ereignisse werden die Regionen und Orte bezeichnet. Drucke der Karten. 1) Handkolorierter Holzschnitt, Überschrift: Obern vnd Nidern Bairn bey den alten im Latein vnd Kriechischen Vindelicia. | Tipus Vindeliciae Sive Utriusque Bavariae: Secundum antiquum et recentiorem situm/ ab Joanne Aventino olim descriptus. Landshut: Joh. Weißenburger, 1523 (Abb. der Karte z. B.: Bayer. SB, Kat. 1989, S. 38). 2) Handkolorierter Holzschnitt mit einigen Modifikationen der Gestaltung und mit der nämlichen Überschrift, Landshut, 1533 (Widmung). Landshut: Joh. Weißenburger, 1535. Von beiden Karten war nur je ein Exemplar in München vorhanden (Armeebibl. und SB), die nach Auskunft der Bibliotheken als nach dem 2. Weltkrieg verloren gelten. Ausgabe der Karte. Hartmann, 1899. Ausgabe der unterweysung. S.W. VI, S. 52⫺ 57.
3. D eu ts ch e G es ch ic ht e. a) ‘Chronica von Ursprung, Herkommen und Taten der uralten Teutschen’ (‘Deutsche Chronik’, von A. auch Zeitpuech genannt). Das kleine Werk geht in seinem Inhalt kaum über das hinaus, was A. von der
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bayerischen Geschichte zu berichten hat (Reihung der deutschen Könige seit Tuisco); anekdotische Tendenzen lassen sich erkennen. Bemerkenswert ist auch hier ein Hang zur Etymologie (Erklerung etlicher teutscher namen und wörter, S.W. I, S. 357). Die Inhaltsanzeige dessen, was A. in seine umfangreiche dt. Chronik, die zehn Bücher umfassen sollte, hätte aufnehmen wollen (S.W. I, S. 307⫺316), ist in lat. Sprache noch der Beda-Ausgabe (s. u. E.3., [B4]v⫺[C4]r) beigegeben.
schen Werdegang eines Volks hinaus sollten stets neue Ufer einer Kulturhistorie erreicht werden. A. wollte u. a. behandeln: Kirchengeschichte, Sprach- und Grammatikgeschichte, Geschichte der quantitativen Erfassung der Welt (Gewichte, Maße, Rechenkünste, Astronomica), Münzgeschichte, ein griech.-lat. Wörterbuch. Zu den komplizierten Verhältnissen der ‘Indiculi’ zueinander ⫺ auch die ‘Deutsche Chronik’ gibt ja eine derartige Vorausschau ⫺ vgl. S.W. VI, S. 60⫺62, und Leidinger, 1935.
Überlieferung. Auf die einzige bekannte Hs. (Budapest, Sze´che´nyi-Nationalbibl., Cod. germ. 52,4) ⫺ kein Autograph! ⫺ wies Horva´ th jüngst hin; vgl. dort auch Nachforschungen zur Geschichte der Hs. Ob diese unter der Aufsicht des Autors entstand ⫺ Annotationen finden sich nicht ⫺, ob sie eine Reinschrift eines Ms. des A. darstellt und in welchem Verhältnis sie zum inhaltlich nicht unbeträchtlich abweichenden Druck des Kaspar Brusch steht, ist noch nicht erforscht. Jedenfalls ist sie keine Druckabschrift. Drucke. 1) Cronica | Von vrsprung/ herkomen/ | vnd thaten/ der vhr⫽|alten Teutschen. [...] Alles [...] durch [...] | Jo|hannem Auentinum/ fleissig zusamen bracht/ vnd | yetzt erstmals durch Casparum Bruschium [...] | in truck verfertiget [...]. Nürnberg: Joh. Petreius, 1541. VD 16, T 2324. Vorangesetzt ist A.’ Lebensbeschreibung durch Brusch. 2) Ein Einblattdruck der Inhaltsanzeige erschien bei Hans Kohl in Augsburg (vgl. Leidinger, 1935, S. 26 f.). Ausgaben. S.W. I, S. 298⫺372; Leidinger, 1935, S. 29−33 (A.’ Übersicht).
Drucke. [...] Indiculus eorum, quae continentur in Germania inlustrata, de|cem libris absoluta [...] ab Io. Auentino. [...]. [Nürnberg: Joh. Petreius, um 1530]. VD 16, T 2347. ⫺ Ein zweites Mal und modifiziert gedruckt erscheint der ‘Indiculus’ in der ‘Bibliotheca universalis’ Konrad Gesners, Basel 1545, Bl. 384v. Ausgabe. S.W. VI, S. 60⫺71.
b) ‘Indiculus Germaniae illustratae’. Diese Vorausschau auf die große ‘Germania’, 1529 erstellt, wurde zuerst ohne A.’ Einverständnis gedruckt. Von dem Konzept, wie es im ‘Indiculus’ aufscheint, sei hier, um den Eindruck seines überaus weitgespannten Rahmens zu vermitteln, Wichtiges des Prospekts genannt. Das Werk sollte 10 Bücher umfassen. Dem ersten Buch waren die Ursprünge und die alten Sagen über die Germanen, ihre Religion und Gesetze, ihre Götter und Könige zugedacht; das zweite Buch hätte die Troja-Sage geboten, das dritte die Germanenwanderungen. Vom fünften bis zum zehnten Buch wäre die Geschichte der Germanen bis zur Gegenwart behandelt worden. Weit über den genealogisch-histori-
c) ‘Germania illustrata’. Mit der am 18. Febr. 1531 begonnenen ‘Germania illustrata’ schließt sich A. an Celtis und die italienischen Vorbilder (Flavio Biondo) an. Man darf urteilen, daß er ⫺ ungeachtet der Maßlosigkeit solch einer historischen Kulturtotale des Vorhabens ⫺ derjenige seiner Zeitgenossen war, der die reichsten Voraussetzungen für solch ein Unternehmen mitbrachte, er, der Enzyklopädist unter den Historikern. Es so wie konzipiert zu vollenden, hätte in keines Menschen Kraft gestanden. A. behandelt die deutsche Urgeschichte, durchaus in Konkurrenz mit den italienisch-römischen Versuchen, die jeweilige höhere Anciennität darzulegen. Wichtig ist A. die Widerlegung der Troja-Herkunft der Deutschen. Ansonsten ergeht er sich, mehr noch als in anderen Werken, in Sprachgeschichtlichem und Mythologischem und folgt weniger einem chronologischen Band. Eine Analyse des Werks ist Desiderat. In der Prefatio nimmt A. Bezug auf berühmte Geschichtsschreiber und propagiert sein Programm, wonach es fabulosa von veris zu scheiden gelte. Dem Werk als Referenzen vorangesetzt sind auch Briefe, die A. zu seinem Unternehmen ermuntern (vier von Leonhard Schmaus aus Salzburg, vier von Konrad Peutinger, vier von Kon-
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rad Adelmann von Adelmannsfelden [und Matthäus J Marschall von Pappenheim], zwei von Beatus Rhenanus, zwei von Melchior Sother, drei von Matthäus Aurogallus, einer von Georg Agricola, zwei von Sebastian von J Rotenhan). Überlieferung. Salzburg, Stiftsbibl. St. Peter, Cod. b.X.35, Bl. 15⫺166, von anderer Hand mit hsl. Korrekturen des A. Er hatte das Werk vermutlich dem Salzbuger Eb. Matthäus Lang zukommen lassen wollen (vgl. Rhenanus-Br., S. 409). Ausgabe. S.W. VI, S. 72⫺164.
4. Wel tg es ch ic ht e. ‘Chronicon quatuor monarchiarum emendatum’. Das am 13. Mai 1531 begonnene synchronistisch-tabellarische (ab 1673 v. Chr.) Werk, das nach mal. Weltzeitalterverständnis gebaut ist, war wohl lediglich für den Eigengebrauch vorgesehen; vermutlich hätte es der ‘Germania illustrata’ unterlegt werden sollen. Überlieferung. Salzburg, Stiftsbibl. St. Peter, Cod. b.X.35, Bl. 1⫺14; Reinschrift, nicht von A. geschrieben, aber an etlichen Stellen von ihm korrigiert. Ausgabe. S.W. VI, S. 58 f. (nur das Vorwort).
5. Z ei tp ol it is ch e S ch ri ft en . a) ‘Ursachen des Türkenkrieges’. Vermutlich 1526 zuerst konzipiert, 1529 auf Betreiben des Regensburger Rats abgefaßt, besteht die namentlich im Gnomischen formulierungsmächtige Schrift aus vier Teilen. Zum ersten wird über die Ursachen der Türkenbedrohung gehandelt ⫺ sie lagen 1529 vor Wien ⫺, die A. in der Uneinigkeit der Christen, in ihrer Verweichlichung und moralischen Haltlosigkeit, in der Verderbnis des Rechts gegeben sieht. Eigennutz gehe vor Gemeinnutz, und schließlich bildeten den Kern des Übels bischoff, pfaffen und munich, die er als die ergisten, vergiftigsten ketzer (S. 181 f.) und als Parasiten angreift, all dies nicht ohne Sympathie für den mehrfach genannten Luther. Der zweite Teil kündigt noch Schlimmeres an, im dritten Teil schildert A. die bisherigen abendländischen Erfahrungen mit dem Islam, der Schlußteil gilt den Remedien gegen die Türkengefahr, als
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die A. im militärischen Bereich ein stehendes Heer, im politischen Gerechtigkeit, in moralischer Hinsicht Zucht und in kirchlicher die Rückbesinnung auf die alten christlichen Grundsätze sieht, wobei er die lutherischen Lande als vorbildhaft hinstellt. Angefügt ist eine historische Reihe der muslimischen Herrscher, beginnend mit Mohammed, die bis zum zeitgenössischen Suleiman II. reicht. ⫺ Zur Überlieferungsgemeinschaft mit dem ‘Römischen Kriegsregiment’ vgl. Muncker, S. 9−12, sowie S.W. I, S. 171. Handschriften. Eine von A. geschriebene Fassung dürfte nicht vorliegen, vgl. aber zu den noch zeitgenössischen Hss. S.W. I, S. 171. Druck. Eigenständig nicht als Druck erschienen, indes enthalten in: Vasco Dı´az Tanco u. a., Tue rckische Historien. [übers. v. Heinrich Müller] | [...] Endtlich ist mit angehenckt von Vrsachen der Christen Verderben/ | vnd wie man sich in solchen n othen e schicken soll. Frankfurt a. M. 1563. VD 16, D 1381 u. T 2354. Zu weiteren Drucken s. VD 16, T 2355⫺2358. Ausgabe. S.W. I, S. 171⫺242.
b) ‘Römisches Kriegsregiment’. Das ‘Kriegsregiment’ schließt sich in Teilen der Überlieferung und jedenfalls argumentativ an die Türkenschrift an, insofern darin formuliert ist, wie [...] das alt römisch regiment sein kriegsregiment mit den gestiften kriegsleuten hab gestelt [...] und wie man noch auf heutigen tag, wil man anderst dem Türken ain pleiblichen widerstand tun, sölche ördnung aufrichten möcht (S.W. I, S. 243). Im römischen Reich sei ein Drittel der Ressourcen fürs Militär vorgehalten worden, dessen Struktur A. darlegt. Solches sei auch nun angeraten, wobei v. a. die kirchlichen Stiftungen mit ihrem immensen Reichtum hierzu angehalten werden. Der Usus, fallweise Soldaten zu rekrutieren, sei verwerflich; die Türken selbst böten ein Musterbild für das stehende Heer. Autograph nicht vorhanden (zur sonstigen hsl. Überlieferung vgl. S.W. I, S. 171). Ausgabe. S.W. I, S. 243⫺254.
B . A rt es . 1. G ra mm at ik . a) ‘Grammatica omnium utilissima et brevissima’ (‘G. nova fundamentalis’).
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Es ist dies die sog. ‘Kleine Grammatik’, ab 1512 in vielen Offizinen gedruckt. Die Grammatik gehört damit zu A.’ erfolgreichsten Arbeiten. Das Besondere an ihr ist weniger die auf den Klassikern (z. B. Donat) fußende Darstellung und ihr Aufbau, sondern der Versuch, Verdeutschung systematisch als didaktische Hilfe einzusetzen. Drucke. Von dieser Grammatik erschienen im selben Jahr drei Ausgaben (mit divergierenden Titeln), etliche weitere folgten in kurzem Abstand: 1) Gramatica noua fundamentalis iuueni⫽|bus vtilissima prima rudimenta ac cogni|tionem elogij [!] latinitatis [...] cum [...] | vernaculis linguis | seu interpretationi | bus [...]. Augsburg: Joh. Sittich, 1512. VD 16, T 2325. 2) Grammatica omnium vtilissima | et breuissima [...] Fratr. Jllus. principis wilhelmi bauarie ducis preceptor | Joannes Auentinus [...]. München: Hans Schobser, 1512. VD 16, T 2326. 3) Mit dem Titel wie 2): Nürnberg: Joh. Weißenburger, 1512. VD 16, T 2327. ⫺ 14 weitere Drucke in Augsburg, Nürnberg, Leipzig und Straßburg bis 1525 verzeichnet VD 16, T 2328⫺2333, 2336⫺2338, 2342, ZV 2004, 2204, 23697, 24886. Auszüge bei M¸ller, Quellenschr., S. 49⫺51.
b) ‘Rudimenta grammaticae’ mit Appendix: ‘Encyclopedia orbisque doctrinarum’. Es ist dies eine Erweiterung der ersten Grammatik. Eingeschlossen sind auch griech. Deklinationen, Stilistisches (De figuris et tropis), Metrik. Ihr historischer Rang besteht zum einen darin, daß A. auch hier dem Deutschen namentlich in Übersetzungsgleichungen Raum gibt (nec erubui vernacula lingua loqui), doch auch in der zwar offenkundig nur skizzierten, dennoch aber weite Ausblicke gestattenden und das Grammatische überschreitenden ‘Encyclopedia’ eines Studium generale. Genannt sei nur, daß dem Aufriß einer Philosophie (seit Plato und bis Cusanus) eine Übersicht über die Artes mechanicae und theoricae angefügt ist. Dem Erstdruck von 1517 folgte 1522 eine von A. nochmals vermehrte Edition. Bereits vor ihrer Fertigstellung beschloß der Senat der Ingolstädter Artistenfakultät, sie als Lehrbuch einzuführen (Seifert, S. 84). Drucke. 1) Jllustribus Principibus Vil|elmio/ Litauico/ Arionisto [...] Dedicatum | Rudimenta gramaticae [...] Ioannes Auentinus | edidit atque recognouit [...]. Augsburg: Joh. Miller, 1517. VD
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16, T 2334. NDe: ebd., 1519. VD 16, T 2335; [ebd., 1520]. VD 16, T 2336. 2) Rudimen|ta grammaticae | Ioannis Auentini [...] Ioannes Auentinus edidit atque | Nouiter recognouit [...]. Leipzig: Val. Schumann, 1522. VD 16, T 2339. Einen 3. Druck mit einigen weiteren Ergänzungen besorgte Hieronymus Ziegler, Ingolstadt 1542. VD 16, T 2343. Ein ND ebd., 1546. VD 16, T 2344. Ausgabe. S.W. I, S. 373⫺580.
c) ‘Aliquot nomina propria Germanorum ad priscam etymologiam restituta’. Diese seit 1554 unter Luthers Namen gehende onomastisch-etymologische Abhandlung hat Pralle mit gewichtigen Gründen diesem abgesprochen. Hierfür stehen Herleitungen von Patronymika aus dem Geist germanophiler Etymologie, die in gleicher Weise wieder in A.’ ‘Annalen’ aufscheinen. Unabhängigkeit der Entstehung der ‘Aliquot nomina’ von der etymologischen Arbeit des A. ist jedenfalls auszuschließen. Zu einer möglichen Ankündigung durch A. selbst s. u. F.2. Die Schrift erfuhr zahlreiche Auflagen, sechs noch im 16. Jh., und gehört zu den ersten Etymologien der dt. Sprache. Drucke. Aliquot | nomina propria [...] per quendam an⫽|tiquitatis studiosum. Wittenberg: Nik. Schirlentz, 1537. VD 16, L 7600. Weitere acht Drucke bis 1673 bei Brenner, Ausg., S. 144⫺146. ⫺ Übers. v. Gottfried Wegener, Herrn D. Martin Luthers Seel. Vielfältig verlangtes Namen-Büchlein [...], Leipzig 1674 (ND 1974 u. 1982). Ausgabe. O. Brenner, in: D. Martin Luthers Werke. Krit. Gesamtausg., Bd. 50, 1914 (ND 1967), S. 135⫺159.
2. Mus ik th eo ri e. ‘Musicae rudimenta’. Durch Niemˆller, 1961, und Keahey, Ausg., wurden die ‘Rudimenta’ gründlich als A.’ Werk erwiesen, nachdem die Schrift auch Nikolaus Faber (Vuolazanus) (wohl Nikolaus Georg Fabri, Hofkaplan Hzg. Ludwigs von Bayern, der nach Kaspar Brusch mit A. befreundet war [vgl. S.W. I, S. 305; S.W. VI, S. 45]) zugesprochen worden war, von dem die Noten auf dem Titelblatt (ein Kanon?) und ein vorausgesetztes Distichon stammen dürften. Die in musikhistorischer Hinsicht klassizistischkonservative und kaum originelle Abhandlung einer musica theorica verbindet Zi-
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tate antiker Autoritäten (so Aristoxenos, Kleonides, Aristoteles, Boethius) mit den Guidonischen, hexachordalen und monochordalen Prinzipien der Verhältnisse der Töne zueinander. Einige genannte Namen (so Alexander Phrygiodacus) sind nicht entschlüsselt. Eingestreut sind wenige dt. Termini. Niemˆller (1995, S. 191) weist darauf hin, daß das Innovative der kleinen Schrift im interdisziplinären Vergleich der Versfüße mit den musikalischen Mensuren liege und die Musik eine Poiesis eigner oder abgeleiteter Art bilde, die stets auch unterm poetischen Aspekt zu betrachten sei (a iijv: quamobrem studium musicum artemque musicam pro poetica legimus). Ein Carmen von Leonhard von Eck und ein Hexastichon von Georg Spies beschließen das Werk. Druck. Illustrissimo Prin|cipi Arionisto utriusque Boiairi⫽|ae Duci dedicatum [...]. S. 2: Musicae rudimen|ta [...]. Augsburg: Joh. Miller, 1516. VD 16, T 2349. ⫺ Faksimile: M. Bernhard, J. Turmair, gen. A., Musicae Rudimenta [...], im Faksimile hg. u. ins Dt. übertr. mit Anm.en u. Nachwort (Veröff. d. Ges. f. Bayer. Musikgesch.), 1980. Ausgaben. S.W. I, S. 581⫺602; T. H. Keahey, J. Turmair ⫺ J. A., Musicae Rudimenta. Augsburg 1516, transl. and ed. (Musical Theorists in Translation 10), 1971. Die von Wiedemann, S. 228, als “Composition” ausgegebene (und fehlerhaft edierte) Melodie zum Lied Der babst ist ein frommer mann aus einem beigeklebten Zettel zum Clm 285 (nach Bl. 47) dürfte nicht von A. stammen.
C . K le in er e S ch ri ft en un d G ed ic ht e. a) ‘Panegyrica oratio ad Carolum V.’. Nach Karls V. erfolgreichem Kampf gegen das Vordringen der Türken verfaßte A. diese feierliche Rede, zugleich Kg. Ferdinand zugeeignet. Sie wurde Karl 1532 auf dem Regensburger Reichstag vorgetragen. Mit dem Gepränge großer Gelehr- wie Beredsamkeit ⫺ ein Vergleich mit Troja z. B. darf nicht fehlen ⫺ wird die Macht des Kaisers beschworen. Die Oratio endet mit einem variierten Carmen des Horaz. Überlieferung. Wien, ÖNB, Cod. 9606, 48r⫺ 55v (zeitgenössische Abschrift, schwerlich Autograph).
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Druck. Aulae | Turcicae, | Othomannicique | imperii descriptio | primum ab Antonio Geufraeo [...] edita [...] Panegy-|rica oratio ad | Carolum V. [...] de suscepto | bello in Turcas | Ioanne Auentino | autore. Basel 1573. VD 16, G 1913, vgl. auch T 2350. Ausgabe. S.W. I, S. 609⫺615.
b) Carmina und Epigramme. Die poetischen Werke des A. sind z. T. in seine anderen Opera inseriert (und in den S.W. an entsprechender Stelle ediert); doch hatte A. auch im Sinn, eine Sammlung seiner Gedichte zu veröffentlichen (z. B. zu c. VII: ex libro primo carminum Ioannis Aventini). Das wohl älteste, auf 1507 datierte Gedicht ist eine Eloge auf den Pfalzgrafen Albrecht IV. und seine Großtaten (c. XIX). C. I handelt von den jeweiligen Pflichten der diversen Stände des Reichs, c. II und c. III gelten Hzg. Albrecht dem Weisen und feiern ihn als Sieger im Landshuter Erbfolgekrieg. C. IV ist ein Marienlob, c. V eine Musenode. In c. VI wird Prinz Wilhelm gehuldigt, in c. VII (aus den ‘Musicae rudimenta’) der Musik. Ks. Maximilian ist c. VIII zugedacht, Friedrich von Sachsen c. IX und c. X. An Johann J Eck wird seine Gelehrsamkeit in c. XI gepriesen, c. XII ist Wolfgang J Marius, dem Abt von Aldersbach, gewidmet. Unter den Epigrammen gelten vier Disticha Johann Eck und dessen kommentierenden bzw. editorischen Leistungen und seiner Wiener Disputation. Ein Tetrastichon (1524) gratuliert Peter Apian zu dessen ‘Cosmographia’; schließlich verfaßte A. Versus (1525) zu den ‘Partes orationis’ des Ortolf Fuchsberger. Ein Carmen (XX) ist Hzg. Wilhelm von Bayern zugeeignet und kündigt eine bayerische Geschichte an. Eine “Reim⫽ Chronik von Abensberg, in 28 Versen”, “zuerst auf einem fliegenden Blatte gedruckt, dann im Abensberger Wochenblatte, Jg. 1849, S. 175” (Wiedemann, S. 365) war mir nicht greifbar. Den poetischen Versuchen A.’ ist eine humanistisch-mythologische Überfrachtung zu eigen, und sie entbehren jener Perspicuitas, die seine lat. Prosa auszeichnet. Eine eingehende stilistische Würdigung steht aus. Autographen. Clm 1138 v. J. 1508, enthaltend c. I⫺V der S.W. (Abb. des Titelblatts und ei-
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ner Doppelseite bei D¸nninger, 1977, S. 67); Clm 219, eine zeitgenössische Abschrift, enthält c. XIX; von A.’ eigener Hand stammen c. V, c. VI u. c. XX (Clm 967). Drucke. Carmina II, IV u. VI auf einem Einblattdruck, München, SB, Einbl. IV, 8, v. J. 1511; c. IV u. c. VIII in der Appendix der ‘Rudimenta Grammaticae’ (s. o. B.1.b); c. V in der ‘Kleinen Grammatik’ (s. o. B.1.a), München 1512; c. VII in den ‘Musicae rudimenta’ (s. o. B.2); c. IX u. c. X in der ‘Vita Henrici IV.’ (s. u. E.1.); c. XI in: Disputatio Ioan. Ec|kii theologi Viennae Pannoniae ha| bita [...]. Augsburg: Joh. Miller, 1517 (VD 16, E 314). Ausgabe. S.W. I, S. 616⫺631 (c. I⫺XVIII), VI, S. 165⫺180 (c. XIX⫺XX). Das von Schottenloher, 1915, S. 263, Nr. 33, und Leidinger, 1917, A. zugesprochene Marienlob dürfte nicht von diesem stammen, sondern von dem Regensburger Nikolaus Papa (Pabst), wenngleich Stil und die Haltung des Carmen A. vermutlich verpflichtet sind. Druck. Ingolstadt: Andr. Lutz 1523. VD 16, P 291 (München, UB, 4o P.lat.rec. 71:6). Leidinger, 1917, war der vollständige Druck nicht bekannt, sondern nur der Schlußteil des Drucks, der einem anderen angehängt ist (München, SB, Rar. 497). Ausgabe. Leidinger, 1917.
D . B ri ef we ch se l. Der Briefwechsel A.’ ist, in Anbetracht der bekannten und vermuteten Kontakte zur gelehrten Welt, schmal und vermutlich auch nicht ausgeschöpft; etliche Schreiben müssen als verloren gelten. A.’ Adressen an die hzg.liche Kanzlei, insbesondere Finanzielles betreffend, beiseitegelassen, umfaßt das Briefkorpus folgende Stücke: Ein Brief an Celtis (1500; S.W. I, S. 633 f.) wartet mit eher launiger Erwähnung von A.’ Italienreise auf. Ein Briefwechsel mit Kf. Friedrich von Sachsen (an A.: 1514; S.W. I, S. 635; nochmals 1514; S.W. I, S. 636 f.) dreht sich um dessen Anliegen, Georg J Spalatin, dem hystoriographo Saxoniae, historisches Material für die in Aussicht genommene sächsische Chronik zukommen zu lassen (positive Antwort A.’ 1514; S.W. I, S. 634 f.); A. wandte sich auch unmittelbar an Spalatin (bonus amicus, 1515; S.W. I, S. 637; wieder 1529, S.W. I, S. 649). Ein Brief an Georg Spies (1517; S.W. I, S. 638) erheischt die Edition der Vita Heinrichs IV. mit Angabe des zu druckenden
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Titelblatts; verbunden ist er mit Grüßen an den Theologen Eck, Urbanus Rhegius, Thomas Ramelspach und Eustachius von der Alben. Zu einem Brief an Leonhard von Eck s. u. E.1. Drei Briefe (1519, 1521, 1521; S.W. I, S. 640 f.) gehen an Hieronymus Rosa, für den A. das Abhalten einer mathematischen Vorlesung bei Leonhard von Eck erwirkt hat; es geht auch um Schriftenaustausch. Die gehaltvollsten Briefe wechselten A. und Beatus Rhenanus. Freilich ist nur ein Brief vom 4. Okt. 1525 (Basel) an A. bekannt (S.W. I, S. 642, Nr. XI; Rhenanus-Br., Nr. 243), in dem Rhenanus einer Germania gratuliert, die solche Geschichtsforscher habe, und A. auffordert, die lokalen Grenzen seiner Forschungen auszudehnen. Die lange Antwort A.’ vom 22. Nov. 1525 (S.W. I, S. 643⫺646; Nr. XII; Rhenanus-Br., Nr. 246) ist zuvörderst eine Selbstdarstellung der Imago eines wahrheitsliebenden Historikers. Auf einen nicht erhaltenen Brief des Rhenanus antwortet A. am 8. März 1526; hier erörtert er vor allem römisch-germanische Lokalnamensbeziehungen (S.W. I, S. 646⫺648, Nr. XIII; Rhenanus-Br., Nr. 254). Ein Brief vom 1. Juni 1526 an Rhenanus (S.W. VI, S. 181 f.; Rhenanus-Br., Nr. 258) befaßt sich wieder mit einer Darstellung einer Gesamtgermania und rät dazu, weitere Mitarbeiter für die herkulische Arbeit zu gewinnnen. Im Brief an Rhenanus von 1531 (S.W. I, S. 652⫺654, Nr. XX) erscheint zuerst aus A.’ Feder sein Begehr, eine illustrandam universam Germaniam wesentlich mitzutragen. Ähnlich hatte bereits ein Brief der Augsburger Domherren Matthäus Marschall und Konrad Adelmann (1526; S.W. I, S. 648 f., Nr. XIV) A. dazu geraten, über das bayerische Programm hinauszugehen. In einem Brief an Joachim J Vadian (1532; S.W. I, S. 650, Nr. 650; Vadian-Br., S. 681) fügt A. einen Abriß des Inhalts der geplanten ‘Germania illustrata’ an. Ein Brief Melanchthons an A. (Antwort auf eine verlorene Anfrage A.’ von 1530, S.W. I, S. 650 f., Nr. XVII) warnt A. nicht unbegründet davor, sein Projekt und Lebenswerk auf jedwede erreichbare monastische Quelle zu gründen. Um die
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Tageno-Hs. geht es in Briefen zwischen Peutinger und A. (an A. 1519, S.W. VI, S. 83 f.; Peutinger-Br., Nr. 243; von A. 1527, S.W. VI, S. 86 f.; Peutinger-Br., Nr. 264). Weniger substantiell sind der Brief Sebastians von Rotenhan an A., der Drucklegungsproblematik behandelt (1530, S.W. I, S. 651 f., Nr. XVIII) und A.’ Brief an Willibald J Pirckheimer (1530, S.W. I, S. 652, Nr. XIX) mit der Bitte um die Herausgabe des griech. Ptolemäus. Nach mittelbaren Quellen scheint A. auch in schriftlichem Kontakt zu Michael J Hummelberg (Rhenanus-Br., S. 334, 352) und Gereon Sailer (Leidinger, 1935, S. 26 Anm. 3) gestanden zu haben. Zu weiteren Briefen an A. s. o. II.A.3.c. Ausgabe. S.W. I, S. 632⫺654; VI, S. 181⫺185 (mit Angabe der Hss.). Vgl. auch die einschlägigen Stellen in Melanchthon-Br., Peutinger-Br. und Rhenanus-Br.
E . H er au sg eb er tä ti gk ei t. 1. ‘Vita Heinrici IV. Imperatoris’. A. veranstaltete die Edition des unbekannten Autors (wohl D Erlung von Würzburg) nach der Emmeramer Hs. Clm 14095 (Anfang 12. Jh.), Bl. 1⫺26 (kurz nach 1106; vgl. auch Mal. Bibl. Kat., Bd. 4/1, 1977, S. 130). Zugleich war dieser Druck das einzige Erzeugnis der ‘Sodalitas literaria Boiorum’ (vgl. auch Schmid, 1996, S. 87 f.). Vorangesetzt hat A. ein Dankschreiben an den Abt Ambrosius von St. Emmeram wie auch an den Prior Dionysius sowie den Pfarrer Ulrich Preu. Neben der Vita Heinrichs IV. läßt A. auch acht Briefe des Kaisers drucken (nach Clm 14096). Dem schließt er eine Würdigung des 1517 gestorbenen Abtes Erasmus Münzer an. Hierauf folgen Briefe an A. von Kf. Friedrich von Sachsen und zwei diesem zugeeignete Panegyrici A.’. Ein Brief an den Kanzler und Freund Leonhard von Eck kündigt editorische Forschungsvorhaben an, verbunden mit dem Hohn gegen die Ignoranz anderer. A. entwirft darin auch gleichsam das Konzept einer nicht hierdurch verstellten ‘Teubneriana’. Entsprechend seinem Sodalitäts-Charakter enthält der Band Gedichte der Mitglieder der gelehrten Gesellschaft: Georg Spies (Behaim,
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Cuspinius), Johann Kneissel, Urbanus Rhegius, Otto von Pack, Hieronymus Anfang, Melchior Soiter, Matthias Kretz, Magnus Haltenberger, David Rotmund, Gregor Bossus, Georg Schack und Augustin Merbold. Druck. Divis Dio|nysio Aeropagitae Hemera⫽|no, Bolfgango, tutelaribus Boiariae | [...] Imp. Henrici quarti Caes. Aug. | ducis vero Boiorum septimi vita. | Eiusdem epistolae, inuentae a Ioanne Auentino. | Editae, vero, a sodalitate literaria Boiorum. [...]. Augsburg: Sigm. Grimm u. Marx Wirsung, 1518. VD 16, I 95. Teilausgaben. Die Schreiben an Ambrosius, Dionysius und Preu in S.W. I, S. 603⫺605; Vita des E. Münzer ebd., S. 605 f.; Gedichte auf Friedrich von Sachsen S.W. I, S. 626⫺628 (Nr. IX f.); Brief an Leonhard von Eck S.W. I, S. 638⫺640.
2. ‘Tageno’. A. hatte nach einhelliger Meinung der Forschung eine Hs. von Tagenos ‘Diarium’ des 3. Kreuzzugs nicht, wie er vorgab, in Händen; er habe den Text seiner Ausgabe vielmehr einer (verlorenen) Fassung der ‘Annalen’ des D Magnus von Reichersberg [NB] entnommen. Dieser Meinung steht indes die Korrespondenz zwischen A. und Konrad Adelmann sowie Konrad Peutinger über die Tageno-Hs. entgegen; Peutinger ließ von der ihm entliehenen Hs. eine Abschrift anfertigen, die er selber noch korrigierte. Zur Tageno-Frage vgl. 2VL, Bd. 11, Sp. 1475. Druck. Clarissimo Principi et Domino | Domino Arionisto Pientissimo Bathauensium Pontifici | [...] Expeditio Asiatica aduersus Turcas & Saracenos Imperato|ris Friderici Primi Caesaris Augusti [...] | Tageno Decanus Bathavensis, qui huic Expeditioni interfuit, | scripsit, Ioannes Auentinus Richobergomi [...] invenit, & publicandum curauit. [Nürnberg: Friedr. Peypus], 1522. VD 16, T 68. Ausgabe. Titelbl., Vor- und Nachrede in S.W. I, S. 606 f.
3. Beda, ‘De computo sive loquela digitorum’ (‘Abacus’). Das erste Kapitel aus Bedas ‘De temporum ratione’ ließ A. nach einer Emmeramer Hs. (Clm 14436) abdrucken, unterstützt von Lukas Bonfius, Sekretär des Kardinals Campeggio, dem er auch ein Widmungsschreiben voranstellt (vgl. auch
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Mal. Bibl. Kat., Bd. 4/1, 1977, S. 130). A. ging es um die Illustrationen der Hs. (113v), nach denen er bereits Jahre zuvor von Michael Ostendorfer sechs Holzschnitte hatte anfertigen lassen. Angefügt ist die lat. Übertragung der Vorschau auf die ‘Germania illustrata’ aus der ‘Deutschen Chronik’ (s. o. A.3.a). Druck. Abacus at⫽|que vetustissma, veterum | latinorum per digitos | manusque nume⫽| randi [...] consue⫽|tudo, Ex Beda cum picturis et ima⫽|ginibus, inuenta reginoburgij | sive raetobonae, in biblio⫽|theca diui haemerani [...] A Io. Auen⫽|tino Edita. | Germania Illustranda. Regensburg: Hans Kohl, 1532. VD 16, B 1446 u. T 2348 (vgl. A. Hagelstange, Ein Schriftchen über Zeichensprache v. 1532, mit Holzschnitten v. M. Ostendorfer, in: Stud. aus Kunst u. Gesch. F. Schneider z. 70sten Geb.e [...], 1906, S. 275⫺284). Ausgabe allein der Dedikation an Lukas Bonfius in S.W. I, S. 607 f.
F. Nac hg el as se ne s. 1. ‘Adversarien’ und Marginalien. Die sog. ‘Adversarien’ sind die von A. geführten Bücher, in denen er die Frucht seiner Lektüren, insbesondere aus Klosterbibliotheken, sammelte; ebenfalls darin finden sich Entwürfe eigener Schriften. Die erhaltenen Adversarienbände sind nicht vollständig; es fehlen jedenfalls die Bände III, IV, VII⫺IX. Teilautographen. Clm 1201 (I), Clm 967 (vermutlich II), 1202 (V), 1203 (VI), 1204 (X). Zum Inhalt vgl. Wiedemann, S. 345⫺365, den Münchner Hss.kat. (Halm/Laubmann, ed. alt. 1/ 1, 1892, S. 233⫺239) und Schmid, 1981, S. 711⫺ 721.
Zwischen bloßer (und viele Spuren hinterlassender) Benutzung von Hss. durch A. und seinem Besitz ist durchweg nicht stets sauber zu scheiden; ein Bücherverzeichnis A.’ ist nicht bekannt geworden. A.’ Bibliotheksreisen hinterließen allenthalben Annotationen in Hss. Der profunden Erschließung der jetzigen Münchner Bestände durch Lehmann (vgl. auch Bischoff, S. 140 f.) und Dachs steht nichts Vergleichbares für andere Sammelorte (Stuttgart, Wien) zur Seite (zu A.’ Annotationen in Andreas’ von Regensburg ‘De ducibus Bavariae’ in Stuttgart, LB, Cod. theol. et phil. 2° 100, vgl. Studt, 1992, S. 244 f.). Über die
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Tradierung von Quellen, die A. exzerpierte oder kopierte und die z. T. (z. B. die ‘Annales Altahenses maiores’, die Annalen von Ranshofen, die Mondseer Annalen [vgl. Reiter, 1994], die Annalen Volkmars von Fürstenfeld, die ‘Vita Tassilonis ducis’) allein durch A. bezeugt sind, unterrichtet M¸ller, 1983 (vgl. Reg.). Etliche mal. Quellen aus Klosterbesitz hob erst A. wieder aus, z. B. D Otloh von St. Emmeram [NB] (bei ihm Otoch), wie auch spätantike Autoren, z. B. Cassiodor, Jordanes. Den bisher bekannten Handexemplaren A.’ sind hinzuzufügen: Cgm 565, Clm 28311(78), Clm 28718; München, UB, 2o Cod. ms. 28, 2o Cod. ms. 36, 4o Cod. ms. 813; Stuttgart, LB, Cod. poet. et phil. 4o 31. 2. Unausgeführte Vorhaben. Im Brief an Leonhard von Eck spricht A. davon, daß er eine lange Reihe antiker und mal. Quellen herauszugeben plane (vgl. S.W. I, S. 640). Mit welchem Ernst er dies verfolgte, bleibe offen: nichts davon ist erschienen. In der Liste erscheinen u. a. juristische (‘Lex Salica’), grammatische (Eutyches, Diomedes, Donat, auch eine griech. Grammatik), lexikalische (Pomponio Letos ’Lexicon graecum et latinum’) Schriften. Die ebenfalls genannten mathematischen Schriften D Hermanns von Reichenau fand A. in einer Emmeramer Hs. (jetzt Clm 14836, mit Annotationen von seiner Hand; Schˆner, Ingolstadt, S. 336 f.). In den grammatischen ‘Rudimenta’ kündigte A. eine der lat. Prosodie und Metrik aufhelfende poetische Beispielsammlung an. Nicht mehr auffindbar ist ein von A. verfaßtes püechel, in dem er etlich vil [...] wort, die das Deutsche mit dem Griechischen verbindet, versammelt habe und dies herauszugeben trachtete (vgl. S.W. IV, S. 85) ⫺ oder liegt hier die Ankündigung der ‘Aliquot nomina propria’ (s. o. II.B.1.c) vor? Außerdem sollte eine grammatikalische Lehrschrift mit dem Titel ‘Valla’ ein Gegenstück zu Lorenzo Vallas ‘De elegantiis linguae latinae’ werden (vgl. S.W. I, S. 376). Von der Arbeit hieran kündigt eine Probe, die A. im Anhang der ‘Rudimenta grammaticae’ unter dem Titel Emendatio errorum (S.W. I, S. 564⫺575) gegeben hat.
G . Wür di gu ng . Das Urteil über den Historiographen A. war seit je gespalten, zumal die angetragenen Maßstäbe denkbar differierten. Waren es im 16. und 17. Jh. v. a. Fragen nach der recta religio (hierzu erhellend Schmid, 1981), so hat der Historismus des 19. Jh.s sein Werk als Fundgrube wie auch als Phantasmagorie betrachtet. Die Bewunderung für seine stupende Quellenkenntnis mischte sich stets auch mit der Kritik, er
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habe vorbehaltlos seinem Skopus Genehmes ab- und ausgeschrieben. Nicht belanglos sind die Beobachtungen Schmids, 1996, der etliche Phasen im Schaffen A.’ unterscheidet. Die Frühschriften seien im wesentlichen ohne Einbezug von Sachquellen (obzwar A. Kenntnis hiervon besaß) erarbeitet worden, danach habe A. die Sachquellen eher empirisch-dokumentarisch und illustrativ benutzt, ohne sie wahrhaft sprechen zu lassen, im weiteren Verlauf seiner Arbeit an der Geschichte habe er insbesondere die hilfskundlichen Quellen zunehmend seine Darstellung auch argumentativ bereichern lassen. Zu seiner Profession äußerte sich A. an verstreuten Stellen: in den Einleitungen zu den Büchern der ‘Annales’, in der Praefatio zur ‘Germania illustrata’, wie auch in einem Brief an Beatus Rhenanus (S.W. I, S. 643⫺646; Rhenanus-Br., Nr. 245). Entscheidend ist für ihn die Geschichte als ethische Richtweiserin (dux vitae, magistra morum, exemplar adfectuum, cos et calcar virtutis, fortunae mortalium speculum et rerum humanarum pictura, S.W. III, S. 239) unter dem Zeichen der Wahrheit; zugleich solle sie durch den stilus der Darstellung, die sublimitas narrandi, zum Ergötzen dasein. In der Auffassung, die Geschichtsschreibung bedürfe eines eigenen rhetorischen Stils (Brief XII, S.W. I, S. 633), dürfte A. italienischen wie auch römischen Mustern gefolgt sein. Als Insignien der Modernität A.’ wird man ansprechen dürfen: (a) den komparatistischen Zugang zu seinen Quellen und die damit einhergehende Relativierung (vgl. die zahllosen Querverweise in den von ihm benutzten älteren Handschriften und zugleich seine Randbemerkungen, wo er oftmals ein vernichtendes fabula annotierte), (b) die Aufnahme nicht-literarischer Quellen, denen er Wert unterschiedlicher Substanz und Authentizität zuerkannte (z. B. Inschriften vs. mündliche Überlieferung), (c) die Vermittlung historischer Zusammenhänge durch sprachkundliche Kategorien, wodurch jedes Nomen proprium einen historischen oder kulturellen Konnex verbürgt, und, in weiterem Zusammen-
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hang, (d) die Betrachtung von Geschichte als Kulturgeschichte. Mal. Erbe trat er an, indem er an einem strikten Translatio-Begriff (von der Genesis bis zu den Wittelsbachern), auch an der Sukzession von Weltzeitaltern festhielt und, trotz häufiger haud scio-Bedenken, im Konnex von Heils- und Weltgeschichte keinen Widerspruch sah. Daß er dem finalen Rund und Telos der Heilsgeschichte womöglich mißtraute, wäre ex silentio (über die letzten Dinge) zu mutmaßen; zugleich ist historische Kontingenz für A. in der Gewißheit aufgehoben: Also füert got der almächtig das glückrad (S.W. V, S. 2). So pflegt er geradezu den Widerspruch, Kontinuität der Geschichte sowohl durch eindringlichste Quellenforschung wie durch phantasmatische Lückenfüllung zu konstruieren; so kommt es zum Nebeneinander zweier Wahrheiten, der einer skrupulösen Investigation wie der von transzendentaler Gewißheit. Eine Introspektion dieses Widerspruchs zwischen rekonstruktiver (und mithin mit Mut zur Lücke begabter) Historiographie und Totalperspektive sucht man bei A. vergebens. A. war unter den ihm Nächststehenden deutschen Humanisten ⫺ Celtis, Rhenanus ⫺ der wohl am wenigsten originelle Kopf, wenigstens was das Programmatische angeht. Einen Begriff einer media aetas, wie ihn bereits Vadian 1518 prägte, fand A. nicht ⫺ suchte ihn auch nicht, wenngleich er sich von dem wohl weitsichtigeren Beatus Rhenanus eben für seine Kompetenzen in der media antiquitas (S.W. VI, S. 88) rühmen ließ. Er war er in erster Linie (Gold-)Quellengräber und Kontinuitätsdenker, geschichtskategoriale Distinktionen mochten ihm eher fernliegen. Sein “Hang zum Prunken mit alten, womöglich unbekannten Quellen” (Steinacker) macht seine quellenkritischen Verdienste nicht verächtlich. Daß er den Ruf eines für seine Zeit exemplarischen ‘bayerischen Landeskundlers’ genießt, tut ihm Recht, bringt ihn aber auch um Wesentliches (u. a. Sprachgeschichtliches, Geschichte der Spätantike). Mit seiner Aussage, stilus ac iudicium seien gewiß Hauptpfeiler einer historischen Wissenschaft, deren proprium aber sei maxima-
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rum rerum cognitio (Rhenanus-Br. Nr. 246, S. 344 f.), dürfte er sich am treffendsten charakterisiert haben. Literatur. Bibliographien: K. Schottenloher, Bibliographie z. dt. Gesch. im Zeitalter d. Glaubensspaltung 1517⫺1585, 21956⫺1966, Nr. 721a⫺792, 52515⫺ 52521; G. Strauss, Historian in an Age of Crisis. The Life and Work of J. A. 1477⫺1534, Cambridge/Mass. 1963, S. 263⫺278; E. Stahleder, Über d. Fortleben d. J. A. Mit einem bibliograph. Anhang (unter Einbeziehung d. Bibliogr. v. K. Schottenloher, 1933), in: E. D¸nninger / E. Stahleder (Hgg.), A. z. 450. Todesjahr (Schr. d. Ges. f. Altbayer. Gesch. u. Kultur d. Weltenburger Akad. 2), 1984, S. 33⫺60. Zu I.: Th. Wiedemann, A., Gesch.schreiber d. bayer. Volkes. Nach seinem Leben u. seinen Schr. dargestellt, 1858; W. Dittmar, A., 1862; F. X. v. Wegele, in: ADB 1, 1875, S. 700⫺704; ders., A. (Bayer. Bibl. 10), 1890; F. Schmidt, Gesch. d. Erziehung d. bayer. Wittelsbacher v. d. frühesten Zeiten bis 1750, 1892, S. XXIX⫺XXXV; G. Leidinger, in: NDB 1, 1953, S. 469 f.; G. Strauss (s. o. Bibliographien), 1963; A. Seifert, Die Univ. Ingolstadt im 15. u. 16. Jh. Texte u. Regesten, 1973, S. 77, 80, 129 u. ö. (Reg.); A. Schmid, Das hist. Werk d. J. A., in: G.−H. Sitzmann (Hg.), A. u. seine Zeit 1477⫺1534, 1977, S. 9⫺37; ders., J. A. (1477⫺1534). Bayer. Gesch.schreiber, in: G. Schwaiger (Hg.), Lebensbilder aus d. Gesch. d. Bistums Regensburg, 1. Teil, 1989, S. 226⫺236; Schˆner, Ingolstadt, Reg.; J.-D. M¸ller, in: Biogr.Lex.LMU, S. 23⫺26; K. Lˆcher, Humanistenbildnisse ⫺ Reformatorenbildnisse. Unterschiede u. Gemeinsamkeiten, in: H. Boockmann u. a. (Hgg.), Lit., Musik u. Kunst im Übergang v. MA z. Neuzeit, 1995, S. 352⫺390. Zu II.A.: Th. Mommsen (Hg.), Corpus Inscriptionum Latinarum, Bd. 3, 1873, S. 705, 1050; F. Muncker, Über zwei kleinere Schr. A.s, 1879; L. Rockinger, Zu A.s Arbeiten in dt. Sprache im geheimen Hausarchive, MSB 1879, S. 365⫺435; W. Meyer, Bemerkungen zu A.s Annalen u. A.s Lobgedicht auf Hzg. Albrecht IV. v. 1507, Abh. d. Bayer. Akad. d. Wiss., philos.-philol. Kl. 17, 1886, S. 723⫺791; Joachimsen, Gesch.auffassung, S. 187 f. u. ö.; G. Leidinger, Über ein wiedergefundenes Schriftchen A.s, MSB 1913, H. 6, S. 39⫺66; H. Tiedemann, Tacitus u. d. Nationalbewußtsein d. dt. Humanisten. Ende d. 15. u. Anfang d. 16. Jh.s, Diss. Berlin 1913; F. Vollmer, Unbekannte Inschriften aus Trient (nach A.), Hermes 49 (1914) 311⫺314; G. Leidinger (Hg.), Veit Arnpeck, Sämtliche Chroniken (Quellen u. Erörterungen z. bayer. u. dt. Gesch. NF 3), 1915; F. Vollmer
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Christoph M‰rz
Axungia J Vigilantius, Publius, Axungia
B Balbus (Balbi), Hieronymus (Girolamo) I . L eb en . B., geb. nach 1450, entstammt der unbedeutenden venezianischen Familie Azalini/ Accellini, nennt sich jedoch nach dem Großvater B. Nach dem Studium in Rom bei Pomponius Laetus geht B. 1485 an die Univ. Paris, wo er bald in Kontroversen (mit Guillaume Tardif, Publio Fausto Andrelini, Cornelio Vitelli) verwickelt ist, selbst Ziel von Invektiven wird (Tardif, ‘Antibalbica’) und schließlich zur Abreise gezwungen ist (Andrelini, ‘De fuga Balbi’). Im SS 1493 immatrikuliert sich B. in Wien, wo er, von D Maximilian direkt berufen und vom Superintendenten Bernhard D Perger protegiert, zunächst über römisches Recht, dann über Poetik liest (eine Vorlesung über Ciceros ‘Somnium Scipionis’ ist dokumentiert in Wien, ÖNB, Cod. 3123, 42r⫺46r). Differenzen mit dem (gegen Eingriffe des Landesfürsten opponierenden) Fakultätskollegium führen zur Niederlegung der Lektur und zur Berufung des Konrad J Celtis, schließlich zur Abreise B.’, der sich, unterstützt von Johannes Schellenberg und Johannes Schlechta, nach Prag begibt. Am Hof Kg. Ladislaus’ II. ist B. als Erzieher der Kinder Anna und Ludwig tätig, und ab 1510 ist seine kirchliche Karriere als Günstling des Kanzlers Georg Szakma´ry und kgl. Sekretär dokumentiert: als Kanoniker und Propst von Waitzen (Va´c), als Domherr von Erlau (Eger) und Propst von Preßburg. B. beherbergte in Ofen Joachim J Vadianus und Georg J Tannstetter (Widmung der Ausg. von Albertus Magnus, ‘De natura locorum’. Wien: Hier. Vietor, 1514. VD 16, A 1345). Der 1514⫺1517 bei B.angestellte spätere Fuggersche Faktor Hans Dernschwam berichtet, daß die Benützung
von Corvinen über B. lief: B. lieh Johannes J Cuspinian einen Zonaras, den dieser nicht retournierte; Angelus Cospus übersetzte 1515 in B.’ Preßburger Haus Diodor (Ankwicz). Auch der Ferrareser Humanist Celio Calcagnini suchte Kontakt zu Szakma´ry und B. B. ist 1515 an den Verhandlungen über die habsburgisch-jagiellonische Doppelhochzeit beteiligt, er wird zu Maximilian nach Rattenberg gesandt (Ankwicz, S. 82). Im Dienst Ludwigs II. ist er bei Wahl und Krönung Karls V. 1519 und auf dem Reichstag zu Worms anwesend; 1522 tritt er in den Dienst Erzhzg. Ferdinands und wird mit diplomatischen Missionen an den Hof der Päpste betraut. Seit 1523 Bischof von Gurk als Nachfolger Langs, war B. ab 1524 in Rom Hauskaplan von Clemens VII. Der Kontakt zu den Habsburgern blieb jedoch eng (s. u. II.C.). Für die Zeit nach 1530 fehlen zuverlässige Quellen. B.’ Todesjahr ist unbekannt. I I. We rk . Ausgaben. J. de Retzer, Hieronymi Balbi Veneti Gurcensis olim episcopi Opera poetica, oratoria ac politico-moralia, 2 Bde., Wien 1791; A. F. W. Sommer, Hieronymus Balbus. Poet ⫺ Humanist ⫺ Diplomat ⫺ Bischof, Opera omnia quae supersunt (Edd. neolatinae 5,1⫺5), 1991. Aufgrund zahlreicher Lesefehler und ungenauer bibliographischer Angaben stellt die masch. Ausg. keinen wesentlichen Fortschritt gegenüber Retzer dar.
A . Wer ke bi s 1 49 3. B.’ Ruf begründeten der ‘Rhetor gloriosus’, eine an Plautus’ ‘Miles gloriosus’ angelehnte Satire gegen die Grammatik Tardifs, und die ‘Epigrammata’, über die sich Erasmus (Op. epist., Nr. 23) jedoch reserviert äußert, ebenso wie über Charles Fernands Ausgabe der Senecatragödien
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Balbus, Hieronymus
(Tournoy), für die B. ‘Argumenta’ verfaßte. Mit dem Panegyricus ‘De laudibus bellicis regis Pannoniae carmen’ (im Anhang zur Ausg. von Ciceros ‘Somnium Scipionis’) suchte B. Matthias Corvinus als Förderer zu gewinnen. B . Wer ke 14 94 ⫺1 52 0. 1. ‘Opusculum Epigrammaton’. Unter intensiver Verwendung der früheren zwei Sammlungen (GW 3176, 3177 bzw. 3178⫺3180) wendet sich B. an Protektoren und Bekannte in Wien (Perger, Johannes Fuchsmagen, Johann Krachenberger, Johannes und Michael Vitez; Cuspinian); der Panegyricus auf Matthias Corvinus ist für Maximilian umgedichtet. Erotische Gedichte in der Tradition von Catull und Martial lieferten B.’ Gegnern wohl willkommene Angriffspunkte (Päderastie). Druck. Hieronymi Balbi utriusque iuris doctoris nec⫽|non poetae atque oratoris insignis: opusculum epigra|maton feliciter incipit. Wien: Joh. Winterburg, 1494. GW 3181.
2. ‘Elegia Hodoeporicon’. Der poetische Brief an Bohuslav J Hassenstein antwortet auf dessen Frage (Carmina selecta, Praha 1996, S. 74⫺78) nach B.’ Aufenthalt im ‘Barbarenland’ Böhmen: B. beschreibt seine Reise von Wien nach Buda, seine Mittellosigkeit durch einen Raubüberfall, aus der ihm Joh. Schellenberg half; er preist Hassenstein und die Kultur in Böhmen, imaginiert schließlich Ladislaus’ Hochzeit und Türkenkrieg, den nur Hassenstein adäquat besingen könne. Der seit Retzer übliche Titel findet sich weder in der Hs. (Bl. 55v: Hieronymus Balbus Bohulao de Hasystain viro clarissimo atque eruditissimo) noch in den Drucken des 16. Jh.s, das Gedicht darf daher nicht als “das erste eigentliche Hodoeporicon, das sich im Titel als solches zu erkennen gibt”, bezeichnet werden, wenn auch die Würdigung als Reisegedicht berechtigt ist (Wiegand, S. 28). Als Aufhänger für das Lob Böhmens wird Hassenstein mangelnde Vaterlandsliebe unterstellt, was zu einer dauernden Verstimmung und invektivischen Epigrammen gegen B. führte. Vorangestellt ist ein Geleitbrief an Johannes Schellenberg, des-
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sen Sohn Heinrich B. unterrichtete; die hier ausgesprochene Bitte um Empfehlung bei Kg. Ladislaus hatte offenkundig Erfolg. Überlieferung. Wien, ÖNB, Cod. 3510, Bl. 49r⫺73v. Drucke. Hieronymi Balbi […] liber continens Bohemiae et procerum eius laudes, ed. Laurentius Span. Prag 1560 (non vidi). ⫺ Illustris, | ac generosi | D. D. Bohuslai Hasisteynii | E Lobkovitz, etc. Baronis Bohemici, Poe|tae Oratorisque clarissimi Farrago | poematum in ordinem dige|storum ac editorum | Per Thomam Mitem Nymburgenum. Prag 1570, S. 322⫺356.
3. Verstreute Gedichte. B. beteiligte sich an den ‘Episodia sodalitatis litterariae Danubianae’ für Celtis mit einer (von Johannes J Sommerfeld d. Ä. gewürdigten: Hassenstein-Br. Nr. 185) Imitation von Ausonius, Technopaegnion 3 (K. Adel, C. Celtis […] opuscula, Leipzig 1966, S. 9). Im sog. Codex Fuchsmagen sind eng an Martial angelehnte Epigramme an den kaiserl. Rat enthalten. Darüberhinaus verfaßte B. Geleitgedichte für eine Syphilis-Schrift des Bartholomeus Steber (A Malafranczos morbo gallorum | praeservatio ac cura […]. Wien: Joh. Winterburg, [1497/98], [A]v. Hain 15053) sowie für das juristische Werk des Stephanus de Werbewcz / Istvan Verbözy (Tripartitum opus iuris consuetudinarii | inclyti regni Hungariae […]. Wien: Joh. Singriener, 1517, [Y4]v. VD 16, W 1965). Überlieferung. Innsbruck, UB, Cod. 664, 73v⫺78r; 146r⫺142r (ohne Autorangabe, B. aufgrund der Erwähnung der juristischen Lektur zugesprochen).
4. Briefe. Unter den Briefen an Celtis hat sich B.’ Einladung nach Wien erhalten (Celtis-Br., Nr. 112, 113 vom 25. Mai 1496). B. korrespondierte mit Hassenstein (Nr. 65, 66, 76). Sein Ansehen wird durch andere Briefpartner beider Adressaten dokumentiert: J Augustinus Moravus (Celtis-Br., Nr. 184, 189), Sommerfeld d. Ä. (Nr. 202, 213), Schlechta (Hassenstein-Br., Nr. 57, 67, 71). Daneben sind amtliche bzw. diplomatische Schreiben erhalten (u. a. an das Domkapitel in Preßburg, Bernhard Cles, Gabriel Salamanca). Ausgaben. Sommer, Ausg., Bd. 4, S. 105⫺ 235; Bd. 5, S. 4⫺10.
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Balbus, Hieronymus
5. ‘Iulius exclusus’. Der anonym (o. O., Dr., 1513) erschienene satirische Dialog zeigt Papst Julius II. († 1513) im Gespräch mit Petrus, der ihm den Einlaß in den Himmel verweigert. Das Werk wird in der neueren Forschung Erasmus zugewiesen, obwohl dieser die Autorschaft stets bestritt und B. oder Publio Fausto Andrelini nannte (Op. epist., Nr. 961). Ausgabe. G. Christian, Julius vor d. verschlossenen Himmelstür, ein Dialog, in: Erasmus v. Rotterdam, Ausgewählte Schr. Lat. u. dt., 21990 (ND 1995), Bd. 5, S. 1⫺109.
C . Wer ke na ch 15 20 . Der Großteil von B.’ Oeuvre ist nach 1520 entstanden bzw. erschienen und zeigt ihn als habsburgischen Publizisten: In seinen Reden ⫺ als Gesandter Ludwigs II. auf dem Reichstag zu Worms 1521 (gedruckt mit Widmung des Maximilianus Transsilvanus an Kardinal Lang und Epigramm B.’ an Karl V.), als Gesandter Erzhzg. Ferdinands vor Papst Hadrian VI. und Clemens VII. ⫺ wie auch in ‘De rebus Turcicis’ (Widmung an Ferdinand und Gabriel Salamanca) und in ‘De pace’ (Wien, ÖNB, Cod. 457; vorangestellt ‘De successibus et futuris victoriis Caroli imperatoris et Ferdinandi regis vaticinatio’, gefolgt von der Elegie ‘De cladibus Italiae’) fordert er Einigkeit und Frieden angesichts der Türkengefahr. B.’ Parteinahme gipfelt in seiner bekanntesten Schrift ‘De coronatione’, die die Notwendigkeit einer Kaiserkrönung in Rom, ja durch den Papst bestreitet (Bosbach). Umfangreiche Prosatraktate blieben ungedruckt: ‘De fortuna et providentia’ (4 Bücher, an Clemens VII. und Pompeio Colonna) ‘De virtutibus’ (in 7 Büchern zu Ehren Clemens’ VII.; nur 1 und 3 erhalten); ‘De fortitudine’. B.’ Laufbahn ist “über das zeitübliche Maß hinaus durch Dissonanzen, Gehässigkeiten und Intrigen gekennzeichnet” (Rill, 1993, S. 152). Der Gehalt der Anwürfe ist jedoch (aufgrund der Gattungskonventionen der Invektive) schwer zu verifizieren; die Anstößigkeit der Dichtungen wurde in der älteren Literatur wohl überbewertet. Zur Vorsicht mahnt das Urteil Hassen-
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steins, der B. 1499 fachlich und charakterlich über Celtis stellt (Hassenstein-Br., Nr. 57). Erst in der neueren Forschung weicht die biographische Betrachtung der Gedichte dem Studium der poetischen Technik (Tournoy; Tournoy-Thoen, 1981): Selbstzitate und Plagiat lassen sich auch bei Zeitgenossen wie Johannes Michael Nagonius und Petrus J Bonomus belegen. Obwohl diesbez. Erwartungen bei seiner Berufung nach Wien zweifellos mitspielten, kann B. für die Zeit Maximilians weder als Hofpoet (Schlˆgl) noch als politischer Publizist (Lammer) vereinnahmt werden; erst ab 1521 tritt er konsequent mit prohabsburgischem Schrifttum hervor. Literatur. J. v. Retzer, Nachrichten v. d. Leben u. d. Schr. d. ehem. Bischofs v. Gurk, H. B., Wien 1790; P. S. Allen, H. B. in Paris, The English Historical Rev. 67 (1902) S. 417⫺428; Bauch, Wien, S. 39⫺48; 50⫺54; K. Grossmann, Die Frühzeit d. Humanismus in Wien bis zu Celtis Berufung 1497, Jb. f. Landeskunde v. Niederösterreich 22 (1929) 150⫺325, hier S. 291⫺294; H. Ankwicz-Kleehoven, Der Wiener Humanist Joh. Cuspinian, 1959, S. 113, 119, 123; A. Lhotsky, Die Wiener Artistenfakultät 1365–1497 (WSB 247/2), 1965, S. 194⫺ 198; A. Truhla´ r / K. Hrdina, Enchiridion renatae poesis Latinae in Bohemiae et Moraviae cultae, Praha 1966–82, Bd.1, S. 130 f.; G. Rill, in: Dizionario biografico degli Italiani, Bd. 5, Roma 1963, S. 370⫺374; G. Tournoy-Thoen, Deux e´pıˆtres ine´dites de Fausto Andrelini et l’auteur du ‘Iulius Exclusus’, Hum. Lov. 18 (1969) S. 43⫺75; H. Schlˆgl, Lat. Hofpoesie unter Maximilian I., Diss. Wien 1969, S. 119⫺173; G. Tournoy, The literary production of H. B. at Paris, GutenbergJb. 1978, S. 70⫺77; ders., L’œuvre poe´tique de Je´roˆme Balbi apre`s son arrive´e dans le Saint-Empire Romain, in: Humanisme allemand, S. 321⫺337; ders., Two Poems written by Erasmus for Bernard Andre´, Hum. Lov. 27 (1978) S. 45⫺51; G. Tournoy-Thoen, La tecnica poetica di Girolamo Balbi, in: G. Tarugi (Hg.), Ecumenismo della cultura, Firenze 1981, Bd. 1, S. 101⫺123; Bonorand II, S. 250; G. Lammer, Literaten u. Beamte im publizist. Dienst K. Maximilians I. 1477–1519, Diss. Graz 1983, S. 505⫺507; Wiegand, Hodoeporica, S. 28⫺33; 339⫺342, 442 f.; G. Tournoy-Thoen, in: CoE 1, 1985, S. 88 f.; F. Bosbach, Zeitgesch. im Werk Girolamo Balbis: Die Kaiserkrönung Karls V. in Bologna (1530), in: S. Prete (Hg.), Memores Tui. Studi […] in onore di M. Vitaletti, Sassoferrato 1990, S. 21⫺44; G. Rill, Fürst u. Hof in Österreich (Forsch. z. europ. u. vergleichenden Rechtsgesch. 7), Bd. 1, 1993, S. 152⫺156; J. Sal-
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Barinus, Jacobus
laberger, Kardinal Matthäus Lang (1468⫺1540)
Staatsmann u. Kirchenfürst, 1997, S. 220⫺223; A. Schirrmeister, Der Triumph d. Dichters. Gekrönte Intellektuelle im 16. Jh. (Frühneuzeitstudien N. F. 4), 2003, s.
Elisabeth Klecker
Barinus (Barynus, Paryn, Warin), Jacobus I . L eb en . Der aus Leipzig stammende und dort im WS 1475 immatrikulierte B. (Iacobus Paryn de Lipczk) wurde im SS 1483 Baccalaureus (Iacobus Warin de Lipczk), im WS 1488 Magister artium. Die lange, mehrfach unterbrochene Studienzeit könnte sich durch Armut erklären, die er nicht verbarg, aber auch durch andere calamitates, die er verschiedentlich beklagt. Bis zu seinem frühen Tod blieb er im Leipziger Artesstudium vor allem als Grammatiker tätig. In der Gruppe der um 1488⫺90 promovierten Magister, die in Leipzig nach der rasch verblühten ersten humanistischen Phase um 1459⫺1463 (Peter D Luder, Heinrich D Stercker) erneut auf den Humanismus setzten (J Dottanius, J Honorius, J Lupinus, J Maius), sicherlich auch J Celtis’ kurzen Auftritt im SS 1486 erlebt hatten, war er einer der rührigsten. Martin J Polich rühmte ihn als eines der “aufgehenden Lichter Deutschlands”. Der Elan, mit dem er das Studium der Antiken, besonders der Dichter, propagierte, schaffte ihm indes auch Gegner, die ihn zu polemischen Antworten reizten. Seine Lehrtätigkeit ist, soweit sie über das statutarische Curriculum hinausging, anhand der Aufzeichnungen der ehem. Magdeburger Hs. (s. u. II.A.) und der Reihe der von ihm besorgten Drucke (s. u. II.B.) zumindest ihren Gegenständen nach noch gut erkennbar. Nach eigener Bekundung in der Vorrede zur Florus-Ausgabe hatte er damals, nach dem WS 1493/94, fünf Jahre über antike Dichter und ⫺ vermutlich anhand seiner eigenen ‘Ars scribendi’ ⫺ über Rhetorik gelesen. 1496 konkurrierte er trotz Empfehlung durch die Stadt Leipzig vergeblich mit Heinrich J Grieninger um die Leitung der neugegründeten Nürnberger Poetenschule. Die Akten der Universität nennen ihn zuletzt als gewählten aka-
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demischen Prüfer (resumptor in grammatica) für das SS 1497. Nach Angabe des Wolfenbütteler Anonymus starb er 1497 in Leipzig an der Pest. Unter seinen Schülern war Johannes J Landsberger. I I. Sc hr if te n. A. Das ergiebigste Dokument über B.’ Leipziger Lehrtätigkeit und zugleich einziger Textzeuge zweier seiner Schriften sowie einiger kleiner Epigramme ist der hsl. Teil des seit dem Zweiten Weltkrieg vermißten humanistischen Sammelbandes der ehem. Preuß. SB Ms. Magdeb. 279 (Bq 17) (Mitt. der SBPK v. 10. Okt. 2002: “... bisher noch unter die Kriegsverluste zu rechnen”). Über die Hs. ⫺ vielleicht ein Autograph ⫺, deren datierte Einträge von 1491 bis zum 23. Juni 1494 reichen, unterrichten vorerst nur die Katalognotiz Dittmars und das Referat Bauchs (S. 37 f.). Den Gedichten der Hs. entnimmt man, daß B. 1492 über Vergils ‘Aeneis’ und Horaz’ ‘Epistolae’ las, 1493 über die Elegien Tibulls und Catulls Epyllion (c. 64), dessen Druck er auch besorgte (s. u. II.B.2.), 1494 über die ‘Bellorum Romanorum libri’ des Florus, die er damals gleichfalls drucken ließ (s. u. II.B.2.c), und über Ovids ‘Ars amandi’. Die Bll. 1⫺31 der Hs. enthalten die Argumenta in Florum ex mente Titi Livii a mag. Jac. Baryno collecta Anno 1494 (inc. Quom iam in ceteros sevitum esse troianos) und einen Kommentar B.’ zum Werk des Florus, die Bll. 38⫺52 seinen Kommentar zur ‘Ars’ Ovids. B . A us ga be n. Als Grundlage seines Unterrichts brachte B. seit 1492 in Leipzig eine Reihe antiker und anderer Texte zum Druck. Sie erschienen sämtlich bei Martin Landsberg, mit dem B. verwandt war (s. Kolophon der Florus- und der Properz-Ausgabe). Einige seiner Widmungen gingen an wohlhabende Leipziger Adressen. 1. Horacii Flacci Venusini. | Poete institutiones poe⫽|tarum ad Pisones. [Leipzig: Martin Landsberg, 1492]. Hain 8918. Titelbl.v: 6 Dist. (Dichtung sichert Überleben). Am Ende ([B8]r: Ode Choriambica Jacobi Baryni ad Lectorem (22 vv.), ein kurzer Katalog röm. Dichter und ihrer Werke von Vergil bis Statius.
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Barinus, Jacobus
2. Catulli poete Veronesis [!] carmen argonauticum Pe|lei et Thetidis Nuptias | cantans. [Leipzig: M. Landsberg, 1493]. GW 6393. Titelbl.v: B.’ Vorrede (Leipzig, 21. April 1493) an den Leser über den unvergleichlichen Wert des Studiums; es fördere Frömmigkeit, Sitte, Erkenntnis von Menschlichem und Himmlischem. Dem Text des Catull-Gedichts (c. 64), den er für verderbt hält, will B. durch eigene Bemühungen aufhelfen. 3. Clarissimi hystorici Lucii Flori Gesto|rum Romanorum Epithomata. Leipzig: [...] per tuum ciuem meumque necessarium Martinum herbipolensem [...], 4. April 1494. GW 10100. Widmung an den Leipziger Ratsherrn Dr. iur. utr. Johannes Wilde, den Vater seines Schülers Hilarius Wilde. 4. Bernhard D Perger, Oracio Clarissima habita | super funere Imperatoris | Friderici tercij repetita per Jacobum Bari⫽|num in studio lipczensi. [Leipzig: M. Landsberg, 1494]. Hain 12621. Nachdruck der Wiener Ausg. (Hain 12620). Widmung an den Leipziger Theologen Dr. Thomas Werner (o. D.) mit der Bitte um Aufnahme in seine Klientel. 5. Propercii Vmbri Ele|giographi calorum li⫽| bri quatuor. Leipzig: M. Landsberg ... nostri maximi necessarij, 1. Febr. 1495. Hain 13403. Bl. 81r: Ode Saphica endecasyllaba Parenetice Iacobi Baryni ad lectorem. 82r: Vale candidissime lector et nobis tergiuersantes emulos audaci voce reprime Tui studiosissimi Iacobi Baryni Liptzensis sedulus prosequutor [...]. 6. Philippi Beroaldi Bo⫽|noniensis poete Carmen | de duobus amantibus [...] (metrische Version von Boccaccio, Decam. IV 1). [Leipzig: M. Landsberg, 1496]. GW 4108. Titelbl.v⫺A iijr: B.’ Widmung an den Studenten Wolfgang von Selmenitz (Leipzig, 28. April 1496) und 14 Distichen an ihn über das desaströse dulce malum der Liebe. B. liest die Erzählung von Guiscardus und Sigismunda als drastische Warnung vor erotischer Leidenschaft. 7. Preclarum ac prope diuinum tragediarum Senece opus mira et verborum maiestate et sententiarum subtilitate refulgens [...]. [Leipzig: M. Landsberg, um 1497]. Hain 14663. Am Ende: Jacobus Barynus Lectori (2 Dist.). Umfangreichste Leipziger Klassiker-Inkunabel. Die 8 Dist. (Titelbl.v: inc. Palladis est olim studium venerata vestustas), mit denen er die Ausgabe von Konrad J Wimpinas im SS 1497 gehaltener ‘Oratio inuocatoria in missa quodlibeti Lipsensis’ ([Leipzig: M. Landsberg, 1497]. Hain 16197) begleitete, sind seine letzten gedruckten Zeilen.
C . P oe to lo gi e u nd Br ie fk un st . 1. ‘Recognitio in genera vatum et carmina eorundem’. Die Schrift bietet, ordnend nach Gattungen ⫺ heroisches Epos, Tragödie, Liebes-
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elegie, Lyrik, Satire, Komödie ⫺ einen rudimentären bio-bibliographischen Überblick über die römischen Dichter von Terenz bis zu Statius und Martial. Die einzelnen Autorenkapitel bieten meist nicht mehr, eher weniger als die Vitae in damaligen Klassikerausgaben; herausgehoben ist als der überragende Meister aller Stilarten Vergil. Auffällig sind die Blätter allein durch ihre euphorisch humanistische Widmung an den Studenten Andreas Hirschhorn, den späteren Leibarzt Eb. Ernsts von Magdeburg (Titelbl.v u. [B6]r: Dedicacio v. 8. Juli 1494), durch ihre Einleitung und ihre Exkurse. B. eröffnet das anspruchslose Kompendium mit einer Apologie der Dichter, die sich auf ein häufig verwendetes Strabon-Zitat (geogr. I 2,3: Dichtung als primaria philosophia) und auf die humanistische Laktanz-Rezeption (Mercurius Trismegistus als Begründer der prisca theologia) stützt; sie gibt sich zugleich als Replik auf Leipziger Anfeindungen gegen die poetae zu erkennen. Heftig aufgenommen wird die Klage über die Gegner, ungenannte persönliche, eingangs der Verteidigung der als unsittlich geschmähten Elegiker. B. spricht der Liebeselegie Suche des geistig Schönen im Sinne des platonischen Eros (Sokrates’ Rede im ‘Symposion’ wird resümiert) zu, bestimmt eine gleichermaßen von körperlicher und geistiger Schönheit inspirierte Liebe als ihre Gattungsthematik. Als Erklärung und Rechtfertigung durchaus körperlicher Liebe hängt er Marsilio Ficinos (‘De amore’ 4,1) Referat der Aristophanes-Rede des ‘Symposion’ an (Mythos von den Hälften des Kugelmenschen, die ihre Wiedervereinigung ersehnen). Dem Kapitel über die Satiriker schließlich folgt, locker verbunden durch den Gedanken, die Satire warne den Lasterhaften vor Strafe, der Mythos vom Totengericht aus Platons ‘Gorgias’ (523a⫺ 525a, in der Übers. Ficinos). B. war in Leipzig nicht der erste, der für die Entdeckung der unbekannten platonischen Gedankenwelt warb (Bauch, S. 26), doch hatte erst seine Initiative wirkungsvolle Resonanz (J Landsberger, J Lupinus). Sein Interesse haftete freilich ganz an
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Bartholinus, Riccardus
platonischer Hilfe für die Verteidigung der Dichter. Druck. Recognicio in genera vatum | et carmina eorundem. [Leipzig: M. Landsberg, 1494]. GW 3395.
2. ‘Ars scribendi’. B.’ Brieflehre folgt in der Doktrin nahezu vollständig zeitgenössischen Italienern. Mit ihnen versteht er den Brief als zwar rhetorisch regulierte, aber doch selbständige Gattung, zwingt ihr daher keine rhetorische Disposition auf, sondern bescheidet sich mit 1. Anfang (initium), 2. Darlegung (ductus vel tractus) und 3. Ende (finis) als den konstitutiven Teilen. Der 2. Teil, ductus, umfaßt das zentrale Lehrstück (Bl. B ir⫺D ijr), 14 Brieftypen (Empfehlung, Bitte, Gratulation, Lob/Tadel, Kondolenz usf.) ⫺ ein 15., Genus mixtum, ist am Ende nachgetragen ⫺, die sämtlich aus dem verbreiteten ‘Modus epistolandi’ (25 Inkunabeln) des Francesco Nigri gezogen, in der Beschreibung ihrer Regeln freilich stets erheblich gekürzt und stets durch andere, wohl meist eigene Beispiele (drei aber aus Ciceros ‘Familiares’) illustriert sind. Wörtlich entstammt Nigris ‘Modus’ dagegen das gesamte Kapitel De titulis (personenspezifische Adressierungen und Anreden, Bl. D iijv⫺E ijr). Mancinellis ‘Scribendi et orandi modus’, die zweite Quelle, benutzte B. in den einleitenden Kapiteln De officio epistole (hier auch Reminiszenzen an Perotti), De generibus epistolarum (die drei Genera ⫺ familiare et iocosum, mediocre und graue et severum ⫺ nach Cicero, fam. 2,4,1), De eloquentia et oratione, aber auch für die Briefsorte in genere demonstratiuo (Lob, Tadel, Bl. [B4]v⫺[B6]v. Die Stilistik (Bl. E ijr ff.) beruht vornehmlich auf den ‘Elegantiolae’ des Agostino Dati. Das seinem patrizischen Schüler Hilarius Wilde unter dem 30. Juli 1494 gewidmete Buch versah B. mit einem unter dem 26. Aug. dem gleichen Adressaten zugedachten Anhang De furore poetico ex yone Platonis, der mit Bezug auf die ‘Recognitio’ erneut die Dichterapologie zum Thema hat. Die sechs Seiten (Bl. F ir ff.) sind allerdings kein Auszug aus Platons
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‘Ion’, sondern ein vollständiger Abdruck von Ficinos ‘In Platonis Ionem vel de furore poetico ad Laur. Medicum epitome’ (Opera, Basel 1576, Bd. 2, S. 1281⫺84). Druck. Ars scribendi per Ja|cobum Barynum. [Leipzig, M. Landsberg, 1494]. GW 3394. Eine mit Auszügen aus Perotti kompilierte Exzerptüberlieferung in Bamberg, SB, msc. Class. 52, Bl. 252r⫺256r: Ars scribendi ex Jacobi Barini et Nicolaj protti (!) tradicionibus collecta. Um 1503. 3. Fälschlich zugelegt wurde B. in der Hs. Wien, ÖNB, Ser. n. 13424, Bl. 301v, und in Breslau, UB, cod. IV Q 42, ein carmen de artis poetice laude et eius utilitate, dessen Autor der Leipziger Magister Jacobus Illuminatoris ist (‘Poema elegiacum’, Hain 9077).
Literatur. Wolfenbütteler Anonymus, S. 48 f.; H. Dittmar, Verzeichnis d. dem Dom-Gymnasium zu Magdeburg gehörenden Hss., Fortsetzung d. Progr.s 1878, Magdeburg 1880, S. 102; Bauch, Leipzig, S. 37 f., 44⫺49 u. ö. (Reg.).
F. J. Worstbrock
Bartholinus (Bartolini), Riccardus (Richardus, Riccardo) I . L eb en Wichtige Quellen der Biographie sind neben B.s eigenen Schriften, bes. dem ‘Odeporicon’, und den erhaltenen Briefen (Verzeichnis bei F¸ssel, 1987, S. 334⫺337) eine anonyme Totenrede auf B. (hg. v. Vermiglioli, S. 188⫺197) und sein im Peruginer Pestjahr 1526 verfaßtes Testament, das allerdings nur noch in den Auszügen Vermigliolis (S. 189 f.) greifbar ist. Vgl. auch die Würdigung der Person und des Dichters B. bei Joachim J Vadian, ‘De poetica’ (hg. v. P. Sch‰ffer, Bd. 1, 1973, S. 272 f.).
B., geb. in Perugia, Sohn des nicht näher bekannten Antonio Bartolini aus einer Nebenlinie der Peruginer Juristenfamilie gleichen Namens, studierte in seiner Heimatstadt die Artes und Theologie; sein humanistischer Lehrer, dessen er noch im Testament gedenkt, war Francesco Maturanzio. Seinen Unterhalt bezog B. früh schon aus kirchlichen Pfründen. Als er 1500 in Perugia die Pfarrei SS. Severo e Agata erhielt, die er dann lebenslang innehatte, war er hier bereits Domkanoniker. Im Frühjahr 1504 kam er als Begleiter seines Onkels Mariano Bartolini, Sondergesandten Papst Julius’ II., an den Hof Kg. Maximilians I.
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Bartholinus, Riccardus
Der Zeitpunkt für Marianos Auftrag, mit Maximilian über ein Bündnis gegen Venedig zu verhandeln, war ungünstig, da Maximilian durch den Streit und bald den Krieg um die bayerisch-pfälzische Erbfolge gebunden war. Mariano blieb gleichwohl und folgte Maximilian auf die verschiedenen Kriegsschauplätze. So hatte B. Gelegenheit, diesen Krieg, der Gegenstand seines Maximilian-Epos ‘Austrias’ werden sollte, mit allen seinen Umständen aus der Nähe zu beobachten. Der Aufenthalt in Deutschland zog sich bis in den Herbst 1506 hin. Nach seiner Rückkehr lehrte B. in Perugia an der Universität ⫺ ungewiß in welchem Zeitraum und in welcher Stellung; bezeugt ist nur eine Vertretung für Maturanzio i. J. 1513. Er übernahm auch öffentliche Aufträge, so die Trauerrede auf den im Dez. 1509 verstorbenen B. Matteo Baldeschi. Doch scheint er, was sein ‘Idyllium’ zur Wahl Leos X. nahelegt, Aufgaben an einem größeren Hof gesucht zu haben. Im Herbst 1513 trat er in die Dienste des Kardinals Matthäus Lang (1468⫺ 1540), des engen Vertrauten und damals wichtigsten politischen Beraters Maximilians, der im übrigen gleich dem Kaiser fürstliche Repräsentation durch Kunst und Wissenschaft zu schätzen wußte. Der capellanus B. war zuständig für Langs Korrespondenz (bes. in geistlichen Angelegenheiten) und begleitete ihn auf Reisen; 1516 und 1517 hielt er sich meist in Langs Nebenresidenz in Mühldorf a. Inn auf. In Langs Auftrag beschrieb er 1515 den Wiener Fürstentag und 1518 den Augsburger Reichstag; auf beiden hatte er die Festrede gehalten. Im März 1517 war er im Gefolge Langs in Antwerpen und wurde dort zum Poeta laureatus gekrönt. Nach dem Tod Maximilians und der Wahl Karls V. kehrte er, offenbar enttäuscht über zu geringe Anerkennung und mangelnde Aufstiegschancen (s. u. II.G.3.), im Herbst 1519 in seine Heimatstadt zurück, um den (gut besoldeten) Lehrstuhl für Rhetorik, der seit dem Tod Maturanzios (1518) auf einen Nachfolger wartete, zu übernehmen. Nachgewiesen ist seine Lehrtätigkeit (dazu s. u. II.H.) für die
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Jahre 1520⫺1526. Er war für Perugia auch diplomatisch tätig. 1529 wurde sein Lehrstuhl neu besetzt, aber schon 1528 hatte er einen Nachfolger in seiner Pfarrei SS. Severo e Agata. Demnach wird er 1528 gestorben sein. Er erhielt eine Grabstätte in der Domkirche San Lorenzo. B. war unter den Humanisten im Umkreis Maximilians zu seiner Zeit der vielleicht gelehrteste und begabteste, ein Kenner der griechischen und römischen Literatur wie kein anderer, hochgeachtet unter seinesgleichen. Schon bei der Ankunft zu seinem ersten Aufenthalt in Deutschland im März 1504 in Augsburg lernte er Petrus J Bonomus und Jakob J Spiegel kennen. Die engsten Beziehungen hatte er später zu Vadian und Georg J Tannstetter (Collimitius) (vgl. Vadian-Br., Bd. 1, Nr. 62, 67, 75⫺77, 108; Bd. 3, Nr. 16) und zu dem jungen Ursinus Velius, der mit ihm 1516/ 17 zeitweise in Mühldorf zusammen war. Zu seinen Freunden zählte er nicht minder Johannes Dantiscus und Paulus J Ricius, den Leibarzt Maximilians. Mit Konrad J Peutinger hatte er spätestens seit 1515 Verbindung. Der im März 1517 in Antwerpen mit J Erasmus geknüpfte Kontakt (Erasmus, Op. epist., Bd. 2, Nr. 547⫺549) blieb indes flüchtig. Scharfe Abneigung gegen den welschen Höfling äußerte Ulrich von J Hutten (Amerbachkorr., Bd. 2, S. 245) I I. We rk . Überlieferung. Die Dichtungen und Schriften des B. liegen in der Hauptsache in Drucken vor. Zur Drucküberlieferung, die im folgenden nicht immer vollständig aufgeführt wird, vgl. grundsätzlich F¸ssel (1987, S. 318⫺333, sowie seine Einleitungen zu den Werkanalysen), der sie erstmals vollständig recherchierte und umfassend beschrieb. Unveröffentlichte Schriften aus B.’ Lehrtätigkeit seit 1520 in Perugia und zwei ungedruckte Leichenreden (1509 auf den Peruginer B. Matteo Baldeschi, 1523 auf Zenobia Baglioni) sind im Cod. 9474 der ÖNB Wien erhalten, einer von B.’ Kollegen Roberto Scatassi nach 1524, aber noch zu Lebzeiten B.’, doch ausdrücklich ohne sein Wissen besorgten und dem Triester B. Petrus Bonomus gewidmeten Sammelhs. Verschollen sind B.’ Übersetzung von Hesiods ‘Theogonie’, aus der Vadian in ‘De poetica’ (hg. v. P. Sch‰ffer, Bd. 1, S. 194) 12 Verse zitiert, und seine Kommentare zu Statius,
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Cicero und Quintilian, von denen er in seinem Testament spricht.
schließlich zum Fürstentag in Wien absolvierte.
Die von B. veröffentlichten Werke fallen in die Jahre 1513⫺1519. Sie alle sind panegyrische Werke oder Schriften der politischen Publizistik oder beides zugleich, ohne daß sie sich stets darin erschöpften. Eine vom Fürstendienst emanzipierte Schriftstellerexistenz kam für B. offenbar nicht in Betracht. Die Rolle des Hofdichters und Hofpublizisten hat er in seinen Jahren in Deutschland glänzend erfüllt wie kein anderer. Dem Italiener Scatassi galt er als der longe elegantissimus aller Dichter seiner Zeit (Wien, Cod. 9474, 1r).
Die erste Etappe (Buch I) geht von Augsburg über Ingolstadt, Regensburg, Wien nach Preßburg, wo Lang mit dem polnischen und dem ungarischen König Vorverhandlungen über das Freundschaftsbündnis mit den beiden Häusern und die bevorstehende polnisch-habsburgische und ungarisch-habsburgische Doppelhochzeit führt. Die gelehrten Sekretäre der Fürsten, B. und Johannes Dantiscus, dichten in ihren Mußestunden panegyrische Carmina, die sie austauschen: B. verfaßt ein Preisgedicht auf Kg. Sigismund von Polen, das zugleich Maximilians neues Freundschaftsbündnis mit ihm beschwört (Bl. [D4]v⫺[E2]r, 90 Hex.); Dantiscus antwortet mit seiner ‘Sylva’ und mit einem B. dedizierten eigenen Preisgesang auf Sigismund. Ursinus Velius beteiligt sich mit einer Versepistel an seinen Gönner Johannes Thurzo´. Das poetische Intermezzo füllt die Hälfte von Buch I. Das kürzere Buch II gilt der Reise Langs von Preßburg nach Innsbruck zu Maximilian, auf den man in Preßburg lange gewartet hatte, und danach von Innsbruck über Linz zum Fürstentreffen nach Wien. Zum Höhepunkt des Werks hat B. die ausgearbeitete Version seiner Festrede gemacht, deren Vortrag am 22. Juli vor den im Stephansdom versammelten Fürsten er wegen lauter Störung durch unwirsche Anwesende hatte abbrechen müssen. Sie eröffnet Buch III und ist, Verherrlichung der kaiserlichen Politik, auch im Umfang dessen Hauptstück (Bl. Nr⫺O iijr). Den Abschluß bildet das Idyllium in matrimonio sereniss. Principum Ludovici Regis ac Mariae Reginae (179 Hex.).
A . ‘ Ad Le on em X. Id yl li um ’. Das panegyrische Gedicht (243 Hex.) für Leo X., B.’ erste Veröffentlichung, feiert die Wahl des Medici zum Papst (1513) als Verheißung eines neuen Goldenen Zeitalters. B. inszeniert eine mythologische Handlung: Die Wahl Leos wird dargestellt als Beschluß des Götterkonzils, durch ihn Friede und Gerechtigkeit in einer moralisch zerrütteten Welt wiederherzustellen. In den vv. 36⫺92 verwendete B. mit einigen Abänderungen vorweg den Götterkatalog der ‘Austrias’ (IX 727⫺796), an der er ⫺ so v. 235 f. ⫺ bereits acht Jahre arbeitete. Leo X. belohnte B. großzügig mit einer Rente von 40 Scudi und einer einmaligen Prämie von 150 Scudi. Hss. Widmungshs.: Florenz, Bibl. Nazionale Centrale, Sez. Magliabechiana, Cl. VII, num. 111; Abdruck des Widmungsbriefs B.’ bei F¸ssel, 1987, S. 59 f. ⫺ Wien, ÖNB, Cod. 9474, 1v⫺9r. Druck. Ricardi Bartholini perusini Diui Laurentii canonici opusculum | ad Leonem pontificem/ optimum/ Maximum/ | de eius Creatione nuper | aeditum. [Perugia: Cosmos Leo Veronensis, ca. 1514]. Nach F¸ssel, 1987, S. 118.
B . ‘ Od ep or ic on ’. Das ‘Odeporicon’ beschreibt in der Form eines Tagebuchs die ausgedehnte Reise mit ihren Orten, Aufenthalten und Begebenheiten, die B. im Gefolge Kardinal Langs vom 13. Febr. bis Anfang Juli 1515 von Augsburg aus durch Bayern und Österreich über mehr als 30 Stationen bis
Das Hodoeporicon ist eine Gattung der Schilderung und Beschreibung, die B., ein präziser Beobachter, ausgiebig wahrnimmt: festliche Einzüge, prunkvolle Empfänge, Bankette, Lustbarkeiten, Turniere, Städte, Architekturen, technische Anlagen u. a. m. Die historische und kulturhistorische Substanz des ‘Odeporicon’ ist neben der schriftstellerischen unbestritten. Drucke. 1. Odeporicon idest Itinerarium Reuerendissi-|mi in Christo patris et Domini D. Mathei San-|cti Angeli Cardinalis Gurcensis [...]. Wien: Hier. Vietor, 13. Sept. 1515, VD 16, B 569. 2. die gleiche Aufl., doch mit zusätzlichem Bl. A 3 (Einleitung zum Reisebericht); zwei erhaltene Pergamentexemplare (s. F¸ssel, 1987, Abb. nach S. 80 u. S. 320). 3. ND: Germanicarum rerum SS. varii. Ex bibl. M. Freheri, Frankfurt 1637, S. 321⫺ 373, u. Straßburg 1717, S. 613⫺672. Von B.’ Gedicht auf Sigismund von Polen erschien, mit einer Widmung an Peter Tomicki, B.
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von Przemysl, noch im selben Jahr ein Separatdruck: Ad inuictissimum principem Sigismundum Polo|nie Regem. etc. Riccardi Bartholnoj [!] [...] pro concordia ineunda | cum Caesarea maiestate carmen. [Krakau: Florian Ungler, 1515]. Nach F¸ssel, 1987, S. 321.
Jakob Spiegel übernahm 1519 in seine Ausgabe von Petrus Aegidius’ ‘Threnodia seu lamentatio in obitum Maximiliani Caesaris Augusti’ (Augsburg: S. Grimm u. M. Wirsung, 1519, Bl. Ccr⫺Cc iir) B.’ Eloge auf den Kaiser aus der Wiener Festrede (‘Odeporicon’, Bl. N iijr⫺N iiijr).
C . ‘ Au st ri as ’. R.s Hauptwerk, das wie Vergils ‘Aeneis’ 12 Bücher umfassende und ihr auch im Gesamtumfang (9546 Hex.) annähernd entsprechende Maximilian-Epos, entstanden in einem Dezennium seit Ende 1506, hat zum zentralen Gegenstand den bayerischpfälzischen Erbfolgekrieg von 1504/05. Doch greift das Epos in Exkursen, Reden, Traumvisionen, Prophezeiungen auf die gesamte Geschichte Maximilians aus, vergegenwärtigt darüber hinaus in den mit dem Wechsel der Schauplätze sich anbietenden Beschreibungen von Städten, Flüssen, Regionen den geographischen Raum der Germania, läßt in den Ahnenreihen von Fürsten Geschichte aufscheinen, rückt noch die kriegerische germanische Vorzeit in den Horizont, schafft dergestalt epische Totalität. Die Form des Dichtwerks ist in jedem ihrer Züge durch die Imitatio antiker heroischer Epik geprägt. Die historischen Vorgänge treten nur mehr in antikisch-literarischer Verkleidung vor Augen. Es fehlen nicht Schildbeschreibung, Amazonenschlacht, der große Zweikampf, sportliche Wettkämpfe und Spiele, mit denen das Epos hier ausklingt. Maximilian selber erscheint wie ein antiker Heros und überbietet die Helden Homers und Vergils noch. Vor allem aber: Hinter der Handlung steht ein “göttlicher Heilsplan, der in vergilischen Götterszenen entfaltet wird” (Klecker, 2000, S. 139). Der Weltenlenker Iupiter stellt, nachdem er Maximilian den Sieg gegeben hat, im abschließenden Konzil der Götter Einvernehmen aller und Ordnung auf Erden wieder her. Die Ge-
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genspielerin Pallas Athene, welche die Handlung durch ‘epischen Zorn’ initiierte, gibt sich geschlagen und schließlich versöhnt. Nach der entscheidenden Rückeroberung der Feste Kufstein im 11. Buch gilt das 12. allein Maximilians Triumph. Die ‘Austrias’, in der das heroische Epos zu einer panegyrischen Gattung mutiert, war das lange erwartete summum opus der Ära Maximilians. Vollendet im Juli 1515, kam es rasch, noch lange vor dem Druck, in die Hände der Freunde, aber auch eines Kritikers, Gianfrancesco Picos della Mirandola, der in seinem Brief vom 18. Sept. 1515 zwar B.’ Kunst der Kriegsschilderung lobt, nicht aber den heidnischen Götterapparat goutiert. Seinen christlichen Vorbehalten begegnet B. mit poetologischen Argumenten: Die epischen Götter seien Träger allegorischer Bedeutungen und ein Element der literarischen Delectatio. Dem Kaiser selber konnte B. das Epos erst im Oktober 1516 überreichen (vgl. den Bericht von Ursinus Velius, Vadian-Br., Bd. 1, Nr. 79). Gleich nach Erscheinen des Drucks der ‘Austrias’ begann Jakob Spiegel, einem Auftrag Maximilians folgend, mit der Kommentierung des Werks. Der auf einen gewaltigen Umfang angewachsene, ebenso philologische wie historische Kommentar beschäftigte ihn lange Jahre und konnte erst 1531 zusammen mit der Zweitausgabe des Epos erscheinen. Spiegel stellte noch aus dem Abstand von 1531 die ‘Austrias’ den Werken Homers und Vergils gleich und hob sie gerade durch den Kommentar in den Rang der antiken Epik. Drucke. 1. Ad divum Maximi⫽|lianum Caesarem Augustum, | Riccardi Bartholini, de bel|lo Norico Austriados | Libri duodecim. Straßburg: Matthias Schürer, Febr. 1516. VD 16, B 582. Bl. ijr⫺v: Ksl. Druckprivileg für Leonh. Alantsee, 1. Jan. 1515. Bl. iijr⫺[6]r: Zweitwidmung Vadians an Matthäus Lang mit ausführlicher Würdigung der ‘Austrias’ (6. Okt. 1515). Bl. [6]v⫺[8]r: Briefwechsel Picos und B.’. Im Anhang Carmina von Nik. J Gerbel, B. (ad posteritatem protestatio), Ioh. Petr. Feretrius (Elegia vom 20. Febr. 1512 auf den Dichter B.) und Paulus Amaltheus (an Maximilian, an B.). Der Druck war Schürer nicht befriedigend gelungen. Jakob Spiegel brachte mit einer Widmung
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vom 5. März 1516 an den ksl. Sekretär Erasmus Strenberger acht Seiten Korrekturen bei, die zu einem Teil allerdings auch den Dichter selbst betreffen (Metrisches und Stilistisches); Spiegels Emendationes wurden als gesonderte Lage einem Teil der Exemplare beigefügt (s. F¸ssel, 1987, S. 323). 2. Zusammen mit dem ebenfalls von Jakob Spiegel kommentierten ‘Ligurinus’ des D Gunther von Pairis: Guntheri | Poetae clarissimi, | Ligurinus [...] | Richardi | Bartholini, Perusini, | Austriados | lib. XII. Maximiliano Au⫽|gusti dicati. | cum scholiis | Iacobi Spiegellij Selest. V. C [...]. Straßburg: Joh. Schott, 26. Aug. 1531. VD 16, B 563. Bl. Gg3v⫺Gg4v: Widmungsbrief Spiegels an Georg von Österreich (Schlettstadt, 1. Aug. 1531).
D . ‘ Ep is to la Fe rd in an di re gi s a d C ar ol um re ge m’ .
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VD 16, B 587 (mit unkritischer Angabe “Augsburg?, um 1517”). Abschrift des Druckes: Clm 15187, 132v⫺134v, v. J. 1519.
E . S ch ri ft en zu m Rei ch st ag 15 18 .
A ug sb ur ge r
1. ‘De conventu Augustensi descriptio’. Schilderung des Augsburger Reichstages vom August/September 1518, dessen Augenzeuge B. war. B. beschränkt seine erklärtermaßen unvollständige Darstellung der Angelegenheiten und des Verlaufs des Reichstags auf die Verhandlungen über den vom Papst ausgerufenen Zug gegen die Türken und zentriert sie demgemäß auf die ⫺ literarisierten ⫺ Reden der Konfliktparteien, des päpstlichen Nuntius Kard. Cajetan und anderer befürwortender oratores hier und der ablehnenden romkritischen Reichsstände dort. Die Causa Lutheri, die den Reichstag beschäftigte, berührt B. nur mittelbar und am Rande, gleichwohl engagiert: Der gelehrte Johann J Eck habe ihm einen libellus gezeigt, mit dem er die unangemessen heftigen Angriffe von Anhängern eines gewissen Luther auf ihn zerstreut habe ⫺ Anlaß für B., die als eitel und hochmütig qualifizierte Auflehnung Luthers gegen die Kirche ob ihrer nur Unruhe und Verwirrung stiftenden Wirkung von vornherein zu verwerfen. ⫺ B. verfaßte die Schrift auf Drängen Konrad Adelmanns von Adelmannsfelden, wie dieser in der kurzen Widmung an den Wiener Dompropst und Universitätskanzler Paul von Oberstain mitteilt.
Ein Brief Kg. Ferdinands von Aragon, mit dem er angeblich einen Tag vor seinem Tod (23. Jan. 1516) Maximilians Enkel Karl zum Erben der spanischen Reiche bestimmte und als dessen Übersetzer sich B. ausgibt, hat nie existiert. B.s ‘Epistola’ ist deutlich als Fiktion im Dienste der hier von Matthäus Lang und Jakob Spiegel gesteuerten Hofpublizistik Maximilians zu erkennen (vgl. F¸ssel, 1987, S. 214−217). Der in 59 Distichen verfaßte Vermächtnisbrief des sterbenden Ferdinand führt seinem Adressaten Karl die Geschichte der Eroberung und Sicherung der spanischen Königreiche, die auf ihn warten, vor Augen und fordert ihn auf, das Erbe rasch anzutreten und auch den Kampf gegen die Ungläubigen fortzusetzen. Die in 59 Distichen verfaßte, rhetorisch brillant organisierte ‘Epistola’ gehört der Gattung des ‘Heroischen Briefs’, ihrer Spielart des ‘Mahn- und Sendschreibens’ bzw. des ‘Briefs eines Sterbenden’, an (vgl. H. Dˆrrie, Der heroische Brief, 1968, S. 42⫺44 u. 485⫺496). Als Hg. der ‘Epistola’ tritt mit einer Dedikation an Pedro de Urrea, den bei Maximilian akkreditierten Gesandten Ferdinands, Jakob Spiegel auf.
Drucke. 1. Ricchardi Bartho|lini uiri eruditissimi de conuentu | Augusten concinna descriptio [...]. [Augsburg: Silvan Otmar], 1518. VD 16, B 566. 2. [Augsburg: Hans von Erfurt], 1518. VD 16, B 565. Ausgaben. Hutten, Opera, Bd. 5, S. 264⫺279; J. K. F. Knaake, Acta Augustana 1518, in: Jbb. d. dt. Reichs u. d. dt. Kirche im Zeitalter d. Reformation, Bd. 1, 1872, S. 182⫺305, hier S. 194⫺218.
Drucke. Episto⫽|la Ferdinandi | catholici regis | Arragonum etc. | ad Carolum re|gem Castiliae etc. nepotem. per | Riccardum Bar|tholinum foe|liciter trans|lata. [Augsburg: Silvan Otmar, nach 23. Jan. 1516]. VD 16, B 588. Ein zweiter Druck mit fast identischem Text: [Rom: Marcellus Silber, um 1516]; vgl. F¸ssel, 1987, S. 211−214;
1. a) ‘Responsio principum Germaniae’. Als wörtlicher Auszug aus der ‘De conventu Augustensi descriptio’ kam die Antwort der deutschen Fürsten auf den päpstlichen Appell zum Türkenzug, ihre Kritik am Finanzgebaren und anderen Mißständen der römischen Kurie, gesondert zum Druck.
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Druck. Responsio | principum Germaniae, da-|ta Reuerendissimis dominis, Legatis san|ctissimi domini nostri Leonis X. et cae-|teris Oratoribus [...]. [Basel: Froben (?), 1518]. VD 16, B 572. ⫺ Dt. Übers.: J. G. Walch, Dr. Martin Luthers Sämmtl. Schriften, Bd. 15, St. Louis 1899, S. 476⫺ 482.
2. ‘Oratio de expeditione contra Turcas suscipienda’. B.s Konzentration ganz auf die Türkenfrage dokumentiert sein zweiter Beitrag zum Reichstag, eine Türkenrede, die für gemeinsames Handeln von Papst, Kaiser und Fürsten plädiert. In einer kürzeren Version hatte er sie auf Weisung des Kaisers dem versammelten Reichstags vorgetragen. Konrad Peutinger förderte, B.s Bitte entsprechend, ihren Druck. Drucke. 1. Rich⫽|ardi Bartolini Pe⫽|rusini Oratio, ad Imp. Caes. | Maximilianum Aug. ac po⫽|tentis. Germaniarum Prin|cipes, de expeditione | contra Turcas su|scipienda. Augsburg: S. Grimm u. M. Wirsung, 20. Sept. 1518. VD 16, B 570. 2. Augsburg, 12. April 1519. VD 16, B 571. Ausgabe. Hutten, Opera, Bd. 5, S. 249⫺263. Brief an Peutinger: Peutinger-Br., Nr. 192.
F. Carmina zur Kaiserwahl Karls V. B. verfaßte und veröffentlichte nach der am 28. Juni 1519 vollzogenen Kaiserwahl zur Ehrung Karls mehrere Gedichte. 1. Das ‘Carmen geniale’, ein antikisch drapiertes Preisgedicht (103 Hex.) auf den neuen Kaiser nach seiner allgemein bejubelten Wahl, bildet das Schlußstück eines von unbekannter Hand, vielleicht von Jakob Spiegel besorgten Sammeldrucks, welcher die wichtigsten Dokumente zur Wahl Karls zusammenstellt (Stellungnahmen der spanischen und französischen Gesandten und des Papstes, Text der Wahlverkündigung), sämtlich mit Kommentaren. Druck. Oratio Legationis Francisci Re⫽|gis Franciae, ad Electores Imperii, pro se in | Romanorum Regem eligendo. Straßburg: Joh. Schott, [1519]. VD 16, B 564. Bl. dr⫺d iijr: Ricardi Bartho|lini Carmen Geniale, ac lauda|bundum, de Carolo His|paniarum Rege, nuper in Ro⫽|manorum Regem, Fran⫽|cofordiae electo.
2. In einem zweiten, anderen Druck folgt dem ‘Carmen geniale’ eine schon früher verfaßte ‘Suasoria ad suscipiendam na-
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vigationem’ (84 Dist.), die Karl auffordert, die Niederlande zu verlassen und die Herrschaft in Spanien anzutreten. Das Gedicht gehört in die politische Situation von 1516/17 und sekundiert thematisch ganz der ‘Epistola Ferdinandi’ (s. o. II.D.). Den beiden Gedichten hat B. eine Invektive wider Schmähungen seiner Herrscherpanegyrik beigegeben, in der er gegen die ungenannten Kritiker seine überlegene Bildung (bes. Kenntnis der griech. Literatur) ausspielt. Druck. Letissimum ac gaudij | plenum/ Richardi Bartho|lini poetae eruditissi. in | Potentis. Caroli Hi|spaniarum nuper Ro. | Regis creati nun|cupatione feli|cissima/ Car|men [⫽ ‘Carmen geniale’]. | Suasoria ad suscipiendam | nauigationem nuper aedita |. [Mainz: Joh. Schöffer, 1519]. Nach F¸ssel, 1987, S. 332 f.
3. ‘Epigrammata’, ‘Chorea’, ‘Alternum carmen’. 14 kleine Epigramme (meist zwei Dist.) auf die erfolgreichen 13 habsburgischen Wahlkommissare ⫺ eines auf jeden, zwei auf Matthäus Lang ⫺ rühmen deren Verdienste im Wahlkampf für Karl V. und ihre Treue zum Hause Habsburg. Der Serie der Epigramme folgen eine festliche Chorea (Reigentanz, 32 Asklepiadeen) und ein iambischer Wechselgesang zweier Mädchen, der sich zu einem Preis der glücklichen Wahl und Segenswünschen für Karl erhebt. Druck. Ad Reuerendiss. Illust. Generosos ac Magnificos Potentiss: Romanorum ac Hispa|niarum etc. Regis: Commissarios Richar|di Bartholini Epigrammata. | Chorea: et alternum in laudem eiusdem | Romanorum Regis: Carmen. [Mainz: Joh. Schöffer, 1519]. Nach F¸ssel, 1987, S. 333. G. Einzelne Carmina. 1. B. verfaßte sieben Distichen zu Konrad Peutingers Erstausgabe der Gotengeschichte des Jordanes und sechs zur Ausgabe der Langobardengeschichte des D Paulus Diaconus [NB]. Beide rühmen Peutingers Verdienst um die Wiederherstellung und Bewahrung des historischen Gedächtnisses. Druck. Jornan|des de rebus | Gothorum. Pau|lus Diaconus | Foroiulien⫽|sis de gestis | Langobardo⫽|rum. Augsburg: Joh. Miller, 1515. VD 16, J 932. Bl. A iijr.
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2. Zu der 1518 während des Augsburger Reichstags von J Bonomus veröffentlichten Sammlung von Carmina verschiedener Autoren auf den ksl. Rat Blasius Hölzl trug B. eine Ode bei, mit der er sich als Lyriker im Gefolge des Horaz (mit besonderem Bezug auf dessen c. 1,1) vorstellt.. 3. An Petrus Bonomus vermutlich 1519 adressiertes Briefgedicht (34 Hex.) des enttäuschten B., der seine gelehrten und literarischen Fähigkeiten und Leistungen ungelohnt sieht und nun an die Fürsorge des Triester Bischofs appelliert (Wien, ÖNB, Cod. 9474, 9v⫺10r).
H . P hi lo lo gi sc he Sc hr if te n. Die von Roberto Scatassi zusammengestellte Miszellanhs. (Wien, Cod. 9474) enthält vier Vorträge aus B.’ Peruginer Lehrtätigkeit. Bei der ‘Praefatio in Maronem et Apuleium’ (41v⫺50v), der ‘Praelectio in Livium de bello Macedonico’ (51v⫺54v) und der ‘Praelectio in Georgica Maronis’ (55v⫺59v) handelt es sich um Einleitungen (sog. Principia) zu Interpretationsvorlesungen. Sie alle sind von einem Beobachtungs- und Erklärungsinteresse bestimmt, das auch für B.’ eigene Poetologie von zentraler Bedeutung ist: Es geht stets um den Vergleich der römischen Dichter und Schriftsteller mit ihren griechischen Vorgängern, um Imitatio und Aemulatio als konstitutive Kategorien der römischen Literatur; es sind dieselben Kategorien, die für B. im Blick auf die Antiken als Bedingungen des eigenen Schaffens galten. Der weit umfangreichere Vortrag ‘In poetices laudem et grammatices Cyclopediam’ (59v⫺83v) stellt summarisch das umfassende Wissen dar, über das der grammaticus für sein officium der Dichtererklärung verfügen muß: die Artes liberales und darüber hinaus Philosophie, Geschichte, Recht, Architektur, Ackerbau u. a. und die gesamte Naturkunde; denn die Dichtung selbst ist nach B.s Verständnis als diuinarum humanarumque rerum imitatio (82r) ein Universum des Wissens. Literatur. G. B. Vermiglioli, Biografia degli scrittori Perugini e notizie delle opere loro, Bd. 1, Perugia 1829, S. 188⫺197; F. H. Schubert, Riccardo Bartolini. Eine Untersuchung zu seinen Werken über d. Landshuter Erbfolgekrieg u. d. Augsburger Reichstag von 1518, Zs. f. bayer. Landesgesch. 19 (1956) 95⫺127; I. Walter, in: Diziona-
rio biografico degli Italiani 6, 1964, S. 625⫺627; M. Santoro, L’Hodoeporicon di Riccardo Bartolino, in: L’Umanesimo Umbro. Atti del IX. Convegno di Studi Umbri 1974, Perugia 1977, S. 409⫺ 449; Bonorand I, S. 108 f., 143 u. ö. (Reg.); M¸ller, Gedechtnus, S. 74 f., 174⫺179 u. ö. (Reg.); H. Wiegand, Hodoeporica. Studien z. neulat. Reisedichtung d. dt. Kulturraums im 16. Jh. (Saecula spiritalia 12), 1984, S. 41⫺46 u. 446⫺448; St. F¸ssel, in: CoE, Bd. 1, 1985, S. 97 f.; ders., Riccardus Bartholinus Perusinus. Humanistische Panegyrik am Hofe Ks. Maximilians I. (Saecula spiritalia 16), 1987; E. Klecker, Ks. Maximilians Homer, in: SFAIROS. Fs. H. Schwabl, Wiener Studien 107/ 108 (1994/95) 613⫺637; J. Sallaberger, Kardinal Matthäus Lang (1468⫺1540). Staatsmann u. Kirchenfürst, 1997, S. 128 f. u. ö. (Reg.); E. Klecker, ‘Bella nullos habent triumphos?’ Lucans Einfluß auf d. Darstellung von Kriegen im Dt. Reich, in: H. Brunner (Hg.), Die Wahrnehmung u. Darstellung von Kriegen im MA u. in d. Frühen Neuzeit, 2000, S. 115⫺140, hier S. 136⫺139.
F. J. Worstbrock
Bartholomaeus Coloniensis I . L eb en . B. wird, da er sich in allen Publikationen als Coloniensis sowie einmal als Agrippinus (‘Silva carminum’ 9, 9, 7) bezeichnet und seit 1485 literarisch hervortritt, nicht lange nach 1465 in Köln geboren sein. Die zahlreichen in Deventer gedruckten Werke lassen auf sein Wirken dort seit 1485 schließen. Wahrscheinlich hat B. seine Bildung auf der Stiftsschule zu St. Lebuin unter Alexander D Hegius erworben. In zwei Briefen an Cornelius Gerard v. J. 1489 wird er von J Erasmus, der in Deventer wahrscheinlich sein Mitschüler war, als vir eruditione singulari ac poesis amantissimus (Op. epist., Bd. 1, S. 118) und als literator (ebd., S. 105) bezeichnet. Trithemius erwähnt ihn 1494 als in Deventer tätigen philosophus et poeta (Script. eccl., S. 397). Als Lehrer der 3. Klasse lernte Johannes J Butzbach ihn 1498 dort kennen und würdigt ihn im ‘Odeporicon’ als einen fleißigen, umfassend gebildeten und bescheidenen Menschen sowie als leidenschaftlichen und beliebten Lehrer. Eine Immatrikulation, gar ein Studium, etwa in Köln, wo Hamelmann ihn ein Op-
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fer der ‘Dunkelmänner’ werden läßt, ist nicht nachweisbar. Butzbach betont, daß er quanquam dignissimus (ed. Beriger, S. 296) den universitären Titel eines Magisters nicht führe. Die bis in jüngere Zeit (Leijenhorst) vorgenommene Identifikation mit dem in den J ‘Epistolae obscurorum virorum’ erwähnten Mainzer Domprediger und Theologieprofessor Bartholomäus Zehender ist chronologisch und inhaltlich abwegig (Meckelnborg/Schneider, S. XVII f.). Hamelmann zufolge lehrte B. nach seiner Zeit in Deventer in Zwolle und folgte dem 1502 oder 1503 verstorbenen Johannes Grovius als Rektor der Schule an St. Mauritz in Münster nach. Die in Zwolle erschienenen Werke (s. u. II.C.1.; D.) machen einen Aufenthalt dort zwischen März 1502 und Okt. 1503 wahrscheinlich. Zwischen 1511 bis 1513 hatte B. das Rektorat der Lateinschule in Alkmaar inne (Gelder, S. 84⫺88). Gleichzeitig unterrichtete dort Alardus von Amsterdam, der B. nach Maßgabe der Zeit gute Kenntnisse der lat. und griech. Sprache attestiert (Rodolphi Agricolae Phrisii Lucubrationes [...], Köln 1539, ND 1975, S. 171). Johannes J Murmellius wurde sein Nachfolger. Da dieser ihn im Widmungbrief der ‘Epistolae morales’ vom Juli 1513 an J Aedicollius grüßen läßt, wird er nach Deventer zurückgekehrt sein. Dort sind die späteren Werke sämtlich gedruckt. Das letzte in den Werken genannte Datum ist das Jahr 1514 (‘Libellus elegiacus’, E ir), der letzte datierte Erstdruck (II.C.2.) läßt vermuten, daß B. 1515 noch am Leben war. Wiederum nur durch Hamelmanns Zeugnis ist als letzte Lebensstation Minden belegt. Dort soll B. als Rektor einer Lateinschule in Armut verstorben sein. Da Johannes J Caesarius 1520 in der seiner ‘Dialectica’ beigegebenen Apologie unter den kürzlich verstorbenen Gelehrten ihn vor Murmellius († 1517) anführt, wird seit Reichling (Ausg., S. 114) 1516 als sein Todesjahr angenommen. Weitere Beziehungen zu niederländischen und westfälischen Humanisten sind aus Geleitgedichten erschließbar, die B. zu J Ulsenius’ ‘Hymnus de sancto Judoco’ (1508; vgl. Santing, S. 40) und zu
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Hermann Torrentinus’ zuerst 1505 gedruckten Kommentar zum ersten Teil des ‘Doctrinale’ D Alexanders de Villa Dei beisteuerte. Hermann J Buschius widmete B. zwei 1496 und 1498 gedruckte Carmina (bei Meckelnborg/Schneider, S. XXI f.), die ihn als Dichter und Astronomen würdigen, Murmellius 1514 eine der ‘Elegiae morales’ (1, 4).
I I. We rk . B.’ Werk umfaßt weltliche und religiöse Dichtung, einen grotesk-komischen didaktischen Dialog sowie mathematisch-naturwissenschaftliche Schriften. Dichtung für die Schule bildet das Zentrum seines Schaffens bis ca. 1500, danach tritt das ebenfalls didaktische Interesse für naturwissenschaftliche Fragen in den Vordergrund. Hsl. Überlieferung und die von B. herausgegebenen Werke sind nicht abschließend erhoben. A . C ar mi na . Die Carmina des B. stehen im Dienst seiner Lehrtätigkeit. Ihre Sprache bildet “ein Lehrbuch für die Verwertung klassischer Mythologie” (Schoonbeeg, S. 159), auch astronomische und geographische Kenntnisse fließen ein. Die Ekloge eröffnet – wenn auch ohne direkte Nachfolge – die lat. Bukolik in Deutschland. Inhaltlich steht die Parteinahme für die Studia humanitatis an zentraler Stelle. 1. ‘Ecloga bucolici carminis’. Erstlingswerk und – zehn Jahre vor Heinrich J Bebels Ekloge – früheste bukolische Dichtung eines deutschen Humanisten (167 Hex.). Die Handlung bildet ein Gespräch der Hirten Pansophus und Aphilus über geeignete Weidegründe. Während Aphilus die mühselige Wanderung zum entfernten Parnaß scheut, überzeugt ihn Pansophus mit Verweis auf Parthenias (Vergil) und die Aussicht auf Lorbeer vom Nutzen der Anstrengung. Auf dem Gebirgskamm finden sie ein in Baumrinde geschriebenes Gedicht (vgl. Calpurnius, ecl. 1, 19⫺27) über die Pflichten des Hirten vor.
Beigegeben sind zwei Fabeln (zusammen 107 Dist.), deren Deutung – Spott über
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eitle Ruhmsucht eines ungenannten Dichters und Warnung vor Vertrauen in Schmeichler – die Überschriften vorgeben. Den Druck beschließt ein Lobgedicht auf die personifizierte Sophia. Druck. Bartholomei Coloniensis Aegloga bucolici car|minis cuius colloquutores sunt Pansophus et Aphilus. [...]. Deventer: Jak. von Breda, [um 1485]. GW 3439. Abschriften: Brüssel, Koninklijke Bibl., Ms. 20589, 7r⫺10v; Wien, ÖNB, Cod. 3094, 145r⫺154r. Ausgaben. Meckelnborg/Schneider, S. 4⫺ 12 (krit., mit Übers. u. Komm.); P. Schoonbeeg, B. C.: Two Fables, in: A. Dalzell / Ch. Fantazzi / R. J. Schoeck (Hgg.), ACNL Torontonensis, Binghampton 1991, S. 631⫺644; S. 637⫺644 (die Fabeln ohne Kenntnis des Erstdrucks).
2. ‘Silva carminum’. Sammlung von 33 satirischen und panegyrischen Carmina in neun Gruppen zu Themen der Bildung und Lebensführung. Aus dem Druck der Ekloge (s. o. 1.) sind das nun der Philosophia geltende Lobgedicht und die beiden Fabeln aufgenommen. Zwei weitere, gegen einen Plutonius gerichtete Lobgedichte auf die Philosophie eröffnen die Sammlung. In der Secta Diogenis Cynici skizziert Diogenes karikierend die kynische Lehre; daran schließen sich sechs kleinere Carmina an, in denen die insignia Diogenis sich über ihren übelriechenden Träger beschweren. Es folgen ein Hexastichon In osores studiorum humanitatis und eine Gruppe von sieben Epigrammen gegen Zoilus, den B. als ungebildeten Verächter der Artes (Grammatik, Rhetorik, Astronomie) zeichnet. Eine Gruppe panegyrischer Epigramme gilt u. a. Ulsenius. Zehn mit kurzem Prosaprolog versehene Epigramme verspotten den Trinker und Bacchuspriester Esorbus. Drucke. Bartholomei Coloniensis | Silua carminum. In qua primo philosophia miris | laudibus […] | extollitur […]. Deventer: Jak. von Breda, 16. Febr. 1491. GW 3447. ⫺ Dass. ebd., 1503 u. 1505. NK 2376 u. 242. Abschrift von acht Gedichten durch Hartmann J Schedel im Clm 528, 192r⫺ 193v. ⫺ Die Epigramme zur ‘Secta Diogenis’ sind in kürzerer Form gemeinsam mit den Briefen des Ps.-Diogenes in der lat. Übers. des Francesco Griffolini auch in separatem Inkunabeldruck überliefert. Wegen der unsicheren Datierung ist dessen Priorität gegenüber dem kompletten Druck nicht
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auszuschließen: Epistolare Diogenis | philosophi Cynice secte con|ditoris. [Deventer: Jak. von Breda, 1490/96]. GW 8398. Im 16. Jh. wird diese Textsammlung, erweitert um die von Johannes J Stabius herausgegebenen Briefe des Ps.-Krates von Theben, z. T. ohne die ps.-diogenischen Briefe, in Wittenberg und Erfurt fünfmal nachgedruckt (VD 16, B 528⫺532). Ausgaben. Meckelnborg/Schneider, S. 16− 70 (zit.). Teilabdruck der Epigramme gegen Esorbus nach verschollenem Einzeldruck: H. M¸ller, Bartholomaei C. Epigrammata de quodam antistite Bacchi, Arch. f. Litteraturgesch. 3 (1873) 453⫺463.
3. Geistliche Carmina der Alkmaarer Zeit. Eine eigene Gruppe bilden drei hsl. überlieferte Carmina, die B. in Alkmaar zu geistlichen Themen von lokalem Interesse verfaßt. Der von Tilmans aufgrund der Überlieferungskontexte als Auftraggeber der drei Carmina vermutete Abt der benachbarten Benediktinerabtei Egmond, Meinard Man, kommt als solcher allenfalls für die Legende in Betracht. a) Zwei Preisgedichte auf die Patrone der Alkmaarer Hauptkirchen, Matthias und Laurentius, sind dem in nordniederländischen Schulen belegten, auch von Murmellius gepflegten Brauch zuzuordnen, jährlich zu Festtagen von den Rektoren verfaßte Carmina scholastica von Schülern rezitieren zu lassen (s. Burger). Beiden Gedichten sind daher am Schluß je zwei chorisch zu singende Repeticiones angefügt. Überlieferung. Alkmaar, Regionaal Archief, 128 A 2 (olim Coll. aanwinsten 417 [610]), 2. gedeelte, 7r⫺12r, 1. Viertel 16. Jh., Egmond; ebd., Coll. aanwinsten 277, S. 12⫺23, v. J. 1750, Alkmaar. Ausgabe. W. Lampen, Twee gedichten van B. van Keulen op Alkmaars patroonheiligen, Haarlemsche Bijdragen 52 (1935) 107⫺127, hier S. 112⫺127 (nach der Abschrift v. 1750, die zahlreiche Abweichungen von der Vorlage aufweist; S. 114 ist nach v. [69] ein Dist. ausgefallen).
b) ‘De miraculoso sanguine civitatis Alcmariensis’. Legende (343 Hex.) über Ursprung und Auffindung der auf ein Ereignis v. J. 1429 zurückgeführten Alkmaarer Heilig-BlutReliquie, einer Kasel, die ein unwürdig ge-
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weihter Priester bei seiner Primiz mit weißem Meßwein in Berührung gebracht haben soll. Die von Tilmans eingeführte Unterscheidung zweier Fassungen (S. 183 f.) beruht auf irrtümlicher Zurechnung eines in B im Anschluß (17v⫺18r), in A aber unabhängig (297r⫺v) überlieferten Carmen zum selben Thema (30 Dist.) zum Text der Legende (s. Carasso-Kok, Nr. 42; Burger, S. 39). Überlieferung. Alkmaar, Regionaal Archief, 128 A 1 (olim Collectie aanwinsten 1), T. 2, 39r⫺ 43v, 1. Viertel 16. Jh., Egmond (A); hiervon Abschriften. Ebd., Collectie aanwinsten 277, S. 44⫺ 57, 1750, Alkmaar; Den Haag, Koninklijke Bibl., Hs. 75 H 29, 102v⫺107r, Anf. 18. Jh.; Alkmaar, Regionaal Archief, 128 A 2 (olim Collectie aanwinsten 417), T. 2., 12r⫺17v, 1. Viertel 16. Jh., Egmond (B). Ausgabe. E. H. Rijkenberg, De geschiedenis en de reliquie van het Mirakel van het H. Bloed te Alkmaar, Bijdragen voor de geschiedenis van het bisdom van Haarlem 21 (1896) 321⫺409, hier S. 377⫺397 (nach A).
4. ‘Libellus elegiacus de septenis doloribus Marie’. Elegienzyklus über die sieben Schmerzen Marias. Nach drei einführenden Gedichten widmet B. in der narratio, beginnend mit der Verkündigung Simeons und endend mit der Grablegung, den vertrauten sieben Leidensszenen aus dem Leben Marias je eine Elegie. Besondere Aufmerksamkeit gilt Geschichte, Geographie und Astronomie des Hl. Landes. Der 2. Aufl. sind ausführliche Erläuterungen beigegeben. B. fügte einen Hymnus auf Gregor d. Gr. als Patron aller Studierenden und ein abschließendes Carmen elegiacum in ignauos ociososque Zoilos an. Drucke. Magistri Bartholomei | Coloniensis libellus. Elegiacus de | septenis doloribus gloriosissi|me˛ virginis marie […]. Deventer: Jak. v. Breda oder Theod. de Borne, [ca. 1512]. NK 2375. ⫺ Magistri Bartolomei Colo|niensis libellus. Elegiacus. [...]. Deventer: Jak. v. Breda, 6. Nov. 1514. NK 241. ⫺ Bartholomei Colonien-|sis libellus Elegiacus […]. Köln: Heinrich v. Neuß, 1518. VD 16, B 665.
B . ‘ Ep is to la my th ol og ic a’ . Der grotesk-komische Schuldialog in Briefform ist gattungsgeschichtlich ohne
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nahe Parallele. Mit den Schülerdialogen verbindet die ‘Epistola’ die Zielsetzung, in unterhaltsamer Form korrektes lat. Vokabular für den Alltagsgebrauch vorzuführen, mit der humanistischen Komödie die einheitliche Komposition, phantastische Handlung sowie Anleihen bei Plautus und Terenz. Die ‘Epistola’ ist ein Begleitschreiben eines Bartholomaeus an einen Pancratius vom 10. Juli 1489, der neben astronomischen Büchern auch den an Schläfrigkeit leidenden Sidonius ausgeliehen hatte und diesen nun zurücksendet. Die Diener des Bartholomaeus, die sprechende oder aus Terenz übernommene Namen tragen, sollen den uneinsichtigen Sidonius, den Bartholomaeus nach dreijährigem Schlaf mit dem Knüppel wecken mußte, von seiner Krankheit überzeugen, versagen aber und geraten in Streitereien. Schließlich kann Bartholomaeus selbst den Sidonius zur Einsicht bringen. Es folgen Einkleidung und die Zubereitung eines opulenten Abschiedsmahles, das einem grobianischen Mahl der Diener kontrastiert wird. Im Schlußabschnitt erklärt Bartholomaeus seinem Briefpartner gegenüber die Erzählung für einen Scherz.
Seit der 2. Ausgabe (GW 3441) gab B. eine alphabetisch geordnete Explicatio verborum difficilium, in der griech. Lehnwörter, Mythologisches u. a. präzis erläutert werden, sowie ein Geleitgedicht ad lectores suos bei. Seit 1507 begegnet in autorfernen Drucken auch der Titel ‘Dialogus mythologicus’. Die ‘Epistola’ ist B.’ bei weitem erfolgreichstes Werk. Bis 1500 ausschließlich in ndl. Drucken verbreitet, wird sie 1501 zuerst in Leipzig, bald in weiteren deutschen Universitätsstädten eingeführt und erreicht bis 1521 mindestens 41 Drucke, u. a. in Venedig, Paris und Krakau. Dem Tübinger Druck von 1514 fügte Melanchthon einen Widmungsbrief bei (Melanchthon-Br. I, Nr. 3). Nach 1521 setzt die Überlieferung bis 1602 aus. Drucke. Bartholome˛i Coloniensis Epistola mytho⫽|logica. plerisque lepidis sententijs. et ad communem | sermonum usum [...] referta. [...]. [Deventer: Jak. v. Breda, vor 27. Febr. 1490]. GW 3440. Bartholome˛i Coloniensis | Epistola mythologica cum | quorundam difficilium vocabulorum […] interpretatione […]. [Deventer: Jak. v. Breda, nach 10. Juli 1489]. GW 3441. Weitere Inkunabeldrucke in Deventer und Delft: GW 3442⫺46. Bartholomei Coloniensis | [...] Epistola Mithologica
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[...], Leipzig: Mart. Landsberg, 1501. VD 16, B 534. Die weiteren Drucke (zuletzt Mainz 1521) VD 16, B 531⫺533, 535⫺555; ZV 1081⫺1082; Ind. Aur. 113.615; 113.617; 113.621; 113.628; 113.645; 113.650⫺651. G. Draud (Hg.), Praxis iocandi. [...]. Frankfurt a. M. 1602, S. 306⫺351. Ausgabe. D. Reichling, B.i C. epistola mythologica. Eine Schul-Humoreske a. d. Zeit d. dt. Frühhumanismus, Mitt. d. Ges. f. Erziehungs- u. Schulgesch. 7 (1897) 111⫺171, hier S. 116⫺144 (zit.); auch separat mit neuer Paginierung, 1897. Folgt GW 3443, mit Übers. Die Worterklärungen sind in Auszügen und mit Ergänzungen als Apparat gesetzt.
C . Mat he ma ti sc he un d n at ur wi ss ch en sc ha ft li ch e S ch ri ft en . Die Schriften zu kalendarischen, astronomischen und physikalischen Fragen dienten der Vermittlung naturwissenschaftlicher Grundkenntnisse an Schüler und Geistliche. Humanistisches Beiwerk fehlt. Die verwendeten Vorlagen zeigen B. auf der Höhe der zeitgenössischen Diskussion. 1. ‘Canones’. Kurzgefaßter Computus ecclesiasticus für Schüler und Geistliche auf der Grundlage des von B. kurz zuvor bearbeiteten (s. u. D.1.) lat. ‘Kalendarius’ des D Regiomontanus. Nach einer Definition grundlegender Begriffe der Zeitrechnung stellt eine von Regiomontanus (Augsburg: Erh. Ratdolt, 1499, [b8]v) übernommene Tabelle geordnet nach 35 möglichen Osterterminen die Daten der beweglichen Feste vor. Die folgenden sechs Kapitel des Hauptteils bieten Anweisungen zur Berechnung kalendarischer Daten. In der Erstauflage ist den ‘Canones’ eine lat. und dt. beschriftete Windrose samt einem Glossar der Windbezeichnungen sowie eine Sammlung von Bauernregeln in lat.-dt. Mischform bzw. Übertragung in lat. Hexametern beigegeben. Drucke. Bartholomei Coloniensis Canones vna cum | declarationibus eorundem in tabulas Compu|ti ecclesiastici. Zwolle: Peter Os, [nach 31. Okt. 1503]. NK 238 mit 080. S. u. 2. für einen weiteren Druck.
2. ‘Libellus de magnitudinibus terrae, lunae et solis’. Ein in der 2. Aufl. den ‘Canones’ beigedruckter astronomischer Traktat demon-
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striert die Berechnung des Erd-, Mondund Sonnenumfangs sowie die Entfernungsbestimmung zwischen diesen Himmelskörpern. In ihm werden geometrische Grundbegriffe definiert, Regeln für die Umfangs-, Durchmesser- und Abstandsberechnung aufgestellt und schließlich die Größen von Sonne und Mond sowie ihre Distanzen zur Erde berechnet. Benützt sind neben Ptolemäus der Euklid-Kommentar und die ‘Theorica planetarum’ des Johannes Campanus sowie die ‘Sphaerica elementa’ des Theodosius Bithynius (vgl. Sˆnnecken, S. 285⫺297), vielleicht auch die ‘Epitome in Almagestum’ (Kap. 18⫺ 21) des Regiomontanus. Im Nachwort an die Leser verteidigt sich B. gegen Anfeindungen ungenannter Kritiker, deren Position er unter Verweis auf Lukian karikiert. Ihnen stellt er 24 Aufgaben, auf deren Lösung er astronomisch verrätselte Preise aussetzt. Druck. Bartholomei Coloniensis | Canones [...]. Eiusdem Bartholome˛i libellus de magnitu|dinibus terre˛: lune˛: et solis, [Deventer: Theod. de Borne, ca. 1515]. NK 239. Ein von Panzer, Ann. VI, XLIX, 30, angeführter Einzeldruck (Deventer 1515) ist nicht nachweisbar.
3. ‘Tractatus de diversis rebus ponderabilibus’. Abhandlung über Methoden des Wägens und Messens. Im ersten Teil wird die vergleichende Wägung zweier fester bzw. flüssiger Körper anhand von neun Definitionen und sechs Thesen vorgestellt. Der umfangreichere zweite Teil bietet anschauliche Beschreibungen verschiedener libralia experimenta in freier Reihung. Behandelt werden u. a. die Ermittlung von Gefäßvolumen, der Meerestiefe sowie – mithilfe der Wasseruhr – der Tageslänge und der Bewegungen der Himmelskörper, die Differenz der Dichte von Metallen und Geschwindigkeitsunterschiede im freien Fall. Ein Glossar römischer Gewichte und Maße beschließt den Druck. Erwähnt werden Flüsse und Orte im Overijssel-Gebiet ([A5]v); unter den zitierten Autoren sind Plinius d. Ä., Vitruv, Ptolemäus’ ‘Almagest’ sowie die ‘Perspectiva communis’ des Johannes Peckham.
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Bebel, Heinrich
Drucke. Bartholomei Coloniensis | tractatus de diuersis rebus ponderabili|bus, diuersisque experimentis librali|bus [...]. Deventer: Theod. de Borne, 1515. NK 4123.
Coming of Humanism, S. 271; C. G. van Leijenhorst, B. Zehender, in: CoE 3, 1987, S. 474; C. P. H. M. Tilmans, De Hollandse kroniek van Willem Hermans ontdekt, in: G. N. M. Vis u. a. (Hgg.),
4. Bisher nicht untersucht ist ein B. zugeschriebener fragmentarisch überlieferter “libellus ysagogicus seu introductorius in primum, secundum et tertium tractatus Petri Hispani” (P. O. Kristeller, Iter Italicum [...], Bd. 3, 1983, S. 611) in Michelstadt, Nicolaus-Matz-Bibl., Cod. C 376.
Heiligenlevens, annalen en kronieken (Egmondse studie¨n 1), Hilversum 1990, S. 169⫺191, bes. S. 182⫺187; A. Beriger (Hg.), Joh. Butzbach. Odeporicon, 1991, S. 296⫺302; C. Santing, Geneeskunde en humanisme. Een intellectuelle Biografie van Theodoricus Ulsenius (c. 1460⫺1508), Rotterdam 1992, S. 36⫺40; Ch. Meckelnborg / B. Schneider (Hg.), Bartholomaei C. Ecloga bucolici carminis. Silva carminum (Gratia 26), 1995; P. Schoonbeeg, Die Dichter d. Aduarder Akademie, in: J. M. M. Hermans / R. Peters (Hgg.), Humanistische Buchkultur. Dt.-niederländ. Kontakte im SpätMA (1450⫺1520) (Niederlande-Stud. 14), 1997, S. 149⫺164, bes. S. 158⫺161.
D. Herausgeber bzw. Bearbeiter. Eine Gruppe in Zwolle gedruckter astronomischer und komputistischer Traktate ist, da sie in den ‘Canones’ (s. o. C.1.) benützt wird und darin Textbestandteile derselben verwendet werden, B. als Herausgeber und Bearbeiter vermutlich zuzuschreiben. 1. Kalendarius cum vero motu solis et duplici mo|do inueniendi verum motum lune [...], [Zwolle: Peter Os, ca. 1502]. NK 1226. Bearbeitung des lat. Kalenders des Regiomontanus. ⫺ Varianten mit unterschiedlichen Titelbll.: Vulgaria computi | Quatuor partes anni [...]. Zwolle: Peter Os, 21. März 1502. NK 1255. ⫺ Nobilis auricomi numeros puer excipe phoebi [...]. [Zwolle: Peter Os, ca. 1502]. NK 1256. 2. Computi nouata breuisque elu⫽|cidatio [...]. Zwolle: P. Os, 21. März 1502. NK 596. Wohl als Ergänzung zu 1. gedacht. Tabelle und Text z. T. identisch mit den ‘Canones’ (s. o. C.1.). Weitere Drucke ebd., zwischen 21. März 1502 u. 14. April 1502. NK Nr. 2695⫺97. Im Druck sind Konjunktionentafeln sowie die im Erstdruck der ‘Canones’ (s. o. C.1.) enthaltene Windrose mit den Bauernregeln angefügt. 3. Almanach quinque planetarum capitisque draco|nis pro triginta duobus annis. [Zwolle: P. Os, um 1502]. NK 100. Auch als Anhang von 1. gedrucktes Tabellenwerk über den Stand der Planeten. Literatur. Trithemius, Script. eccl., S. 397; ders., Cat., S. 179; W. Crecelius, in: ADB 16, 1882, S. 484 f.; K. Sˆnnecken, Ueber B. C. Beitr. z. Gesch. d. Humanismus, Mitt. d. Ges. f. Erziehungs- u. Schulgesch. 8 (1898) 272⫺305; H. E. van Gelder, Geschiedenis d. Latijnsche school te Alkmaar, Bd. 1, Alkmaar 1905, S. 84⫺88; H. Detmer / K. Hosius / K. Lˆffler (Hgg.), Herm. Hamelmanns Geschichtl. Werke, Bd. 1, 1908, S. 94, 204, 581, 663; P. S. Allen, The Age of Erasmus, Oxford 1914, S. 63⫺65; C. P. Burger, Jr., Een monument uit den bloeitijd van de Alkmaarsche school, Het Boek 10 (1921) 33⫺66, bes. S. 36⫺ 40; Ellinger, Neulat. Lit, Bd. 1, S. 397⫺400; W. Lampen, B. van Keulen als Sint Anna-vereerder, Ons Geestelijk Erf 26 (1929) 331⫺334; IJsewijn,
J. Klaus Kipf
Bartholomäus von Usingen J Arnoldi, Bartholomäus, von Usingen Bauernfeind J Rustinimicus, Marcus Beatus Rhenanus J Rhenanus, Beatus Bebel, Heinrich Inhalt. I. Leben. II. Werk. A. Drucküberlieferung. 1. Drucke des 15. bis 17. Jh.s. 2. Bebel als Beiträger. 3. Bebel als Herausgeber. ⫺ B. Handschriften. 1. Kopien aus Drucken. 2. Ungedruckte Texte. ⫺ C. Briefe in Drucken und Handschriften. ⫺ D. Hauptwerke. 1. Hodegetische Schriften. 2. Lehrbücher. a) ‘Commentaria’. b) ‘Ars versificandi’. 3. Literarische Werke. a) Drama. b) Gedichte. a) ‘Triumphus Veneris’. b) Geistliche Dichtung. g) Formen und Themen. c) Prosawerke. a) ‘Facetiae’. b) ‘Proverbia germanica’. 4. Historischpolitische Schriften. a) ‘Oratio ad regem’. b) ‘Germani sunt indigene’. c) ‘Epitome laudum Suevorum’. d) ‘Cohortatio Helvetiorum ad oboedientiam imperii’. e) ‘De laude [...] veterum Germanorum’. f) ‘Apologia contra Leonhartum Justinianum’. – Literatur. Verweise auf Bebel-Drucke beziehen sich im folgenden auf die Zählung des unter II.A.1. gegebenen Verzeichnisses.
I . L eb en . Herkunft, Geburtsjahr und Schulort B.s sind aus den in seine Werke eingestreuten Zeugnissen und den Matrikeln der Univ.en
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Bebel, Heinrich
Krakau (wo regelmäßig der Vaters-, nicht der Familienname verzeichnet wurde: Henricus Henrici de Bewinden, 1492), Basel (Heinricus Bebel Justingensis, Mitte 1495) und Tübingen (Henricus Bebel de Justingen, 2. April 1496) zu erschließen. B. wurde Mitte 1473 (Classen, 1997a, S. 3⫺ 6) in der Herrschaft Justingen (auf der Blaubeurer Alb; bis 1494 Besitz der Freiherrn von Stöffeln, 1497 durch Johann Kaspar von Bubenhofen erworben, dem B. eine Schrift widmete) geboren. Zur Herrschaft gehörten u. a. die benachbarten Dörfer Justingen und Ingstetten und die im 19. Jh. aufgeforstete Flur Bewinde, nach der B. sich bzw. seinen Vater (s. o.) und fiktive Personen in Beispielsätzen seiner Lehrschriften zubenannte. Ex Ingstetten, seiner Zuflucht während der Pest 1502, datiert B. den ‘Triumphus Veneris’ (X., Bl. G vr; Angres, Ausg., S. 8, 21) und eine Pestelegie (VIII.3., Bl. [N7]r⫺[N8]v; K¸hlmann, Lyrik, S. 204⫺211; Z. 11 natale solum). Orte und Personen seiner albschwäbischen Heimat (Alpestris regio, Suevus hic ubi rura colit; ebd., Bl. Fv, Angres, Ausg., S. 253 f.) sind in B.s Texten jeder Gattung präsent als Zeugnisse realer und literarisierter Bezugnahmen und Erfahrungen. Heinrich B. trug den Namen seines Großvaters und seines Vaters († vor Aug. 1509; X., Bl. [I4]v), er hatte ein Geschwister, den deutlich jüngeren Bruder Wolfgang (geb. 1491, vgl. III.3., Bl. E vr), dessen Studium (in Tübingen immatrikuliert 1503, Magister artium 1506, später Arzt) er betreute und den er als Autor von Gedichten und Briefen in seinen Drucken präsentierte. B. entstammte einer führenden bäuerlichen Familie, auf die er stolz war (VIII.3., Bl. O ijv⫺iijr; K¸hlmann, Lyrik, S. 210⫺213); als erster besuchte er in der nahen habsburgischen Stadt Schelklingen die städtische (Latein⫺)Schule (III.3., Bl. s iijr); a teneris annis veterum monumentorum avidus lector (III.3., Bl. b ijr), studierte er 1492⫺1494 in Krakau bei dem CeltisSchüler Laurentius J Corvinus (VI.12., Bl. [e4]v) und bei Johannes J Sommerfeld (Corvinus, s. u. II.A.3.a, Bl. [a4]r, g viv⫺ vijr) und wurde am 20./23. Febr. 1494 Bac-
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calaureus artium (Bauch, Krakau, S. 44). Von Mitte 1494 (IV., Bl. o iiv) bis Anfang 1496 war B. in Basel; Kontakte zu Sebastian J Brant sind nicht bekannt. Den Magistergrad, der ihn zu scholastischem, nicht humanistischem Lernen und Lehren verpflichtet hätte, hat er nicht erworben, sondern später (30. Mai 1501) durch die am Königshof in Innsbruck von Kg. Maximilian I. selber vorgenommene Dichterkrönung außerakademisch ersetzt und zugleich humanistisch überboten. Griechischkenntnisse fehlten ihm nach frühem Bekunden (IV., Bl. e iiijr), später besaß er leidliche. 1496 erhielt er in Tübingen die keiner Fakultät zugeordnete und darum außerhalb der Fächerhierarchie rangierende ordentliche Lektur für Redekunst, Morallehre und Dichtkunst (in oratoria, moralibus oder poetrij). Sie war sehr gering bezahlt und wurde nach dem Willen der Universitätsleitung wie andere Lekturen jahrweise verlängert. Zwar versprachen ihm 1506 Räte Hzg. Ulrichs, die seine wichtigsten Stützen waren, sich für eine Erhöhung der Besoldung und die Versorgung im Alter einzusetzen (was B. publizierte: VI.12., Bl. [f8]v⫺gr); auch erhielt er 1508 ein Geldgeschenk des Hofes, doch erst 1515 verlängerte die Universität seine Anstellung um fünf Jahre. Er sollte nun über Gegenstände lesen, die geistliche Personen betreffen (Zeitler, S. 10, 32, 85). B. versah die Lektur bis zu seinem Tod am 31. März 1518. In der Tübinger Stiftskirche wurde ihm beim Altar des Apostels Thomas, seines persönlichen Patrons (II.1., Bl. iijv; IV., Bl. pv⫺p ijv), ein ehrenvolles Begräbnis zuteil. I I. We rk . B.s beharrliche und engagierte Lehrtätigkeit in Tübingen umfaßte die wohl gratis abzuhaltenden öffentlichen Lehrveranstaltungen sowie private. Sie hat literarischen Niederschlag in programmatischen Einleitungsreden, in grammatisch-rhetorischen und poetologischen Lehrschriften und in poetischen Texten gefunden, aber auch in literarischen Dankesbezeugungen seiner Schüler bereits seit 1496. B.s Tätigkeit ist im einzelnen nur selten zu datieren.
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Bebel, Heinrich
Seine Brieflehre und die Kritik der gängigen lat. Unterrichtsbücher ‘De abusione linguae latinae’ (III.1., 1503) hat er bereits 1500 bevorwortet, doch wohl schon seit den ersten Tübinger Jahren erarbeitet. Das erfolgreichste Werk ‘Ars versificandi’ geht auf seine privaten Vorlesungen zurück; der zweite Teil der ‘Ars’ entstand aus den von seinen Schülern verbreiteten Diktaten (VI.1., Bl. [e4]r⫺v). Schließlich hat B. über Werke antiker Autoren gelesen, laut eigenem Zeugnis 1498 über Laktanz und Florus (III.3., Bl. l iijr, [v6]r), vor 1503 über Horaz’ ‘Sermones’, Quintus Curtius, Justin, Ciceros ‘Orator’, Persius und Juvenal, 1503 über Vergils ‘Bucolica’ (VI.1., Bl. sr⫺v), vor Ende 1504 über Ciceros ‘Paradoxa’ und ‘De senectute’ (Zapf, S. 294). Für andere Werke sind Anregungen seiner engsten, überwiegend schwäbischen Freunde wichtig: Abt Georg Fischer von Zwiefalten, dessen Klosterbibliothek B. regelmäßig benutzte; Johannes Casselius, Pfarrer von Geislingen, und B.s oft und lange aufgesuchtes Alter ego Leonhard Clemens, Pfarrer in Zwiefaltendorf und Musiker – sie haben 1509 zu dritt die 1512 mit Noten publizierte ‘Historia horarum canonicarum’ (XV.) geschaffen; sodann Michael J Hummelberg, mit dem B. laut Hummelberger frequentissime korrespondierte. Mit den württembergischen Räten Petrus Jacobi, dem Erzieher des jungen Hzg.s Ulrich, Johannes J Nauclerus, Ludwig Nauclerus, Johann Streler und Johannes J Reuchlin, zugleich seinen Schützern, verbanden B. humanistische Interessen. Von seinen Schülern, zu denen u. a. Johannes J Altenstaig, der Kommentator des ‘Triumphus Veneris’, Jakob J Heinrichmann, Wolfgang Rychard und Johannes Alexander Brassicanus zählen, haben ihn Michael J Köchlin (Coccinius) und Johann J Eck (s. II.A.2.) am meisten zur Abfassung von Gedichten und Briefen stimuliert. Im Brief an B. Farner vom 9. Mai 1505 (III.3., Bl. CLXXIVr⫺CLXXVr; Classen, 1997a, S. 54) gab B. eine Aufzählung seiner noch ungedruckten bzw. in Arbeit befindlichen Werke in carmine und in prosa oratione; sie sind in der Druck- und der Hss.-Überlieferung wiederzufinden, ausgenommen die als eigene Schriften genannte
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Apologie der K. Friedrich I. und Friedrich II. und die Klage über die Enthauptung Konradins. Zwei komplementäre Anliegen B.s durchziehen seine Tätigkeit und seine Publikationen: reformatio verae et castae latinitatis im Sinne Vallas und laus Suevorum et Germanorum. Den kulturellen Leistungen und Fähigkeiten der Schwaben und Deutschen in Vergangenheit und Gegenwart will er Wahrnehmung und Anerkennung verschaffen bei den kulturellen Konkurrenten, voran den Italienern; dies ist nur im Medium der vera latinitas möglich. Ausgaben einzelner Werke. W. H. D. Suringar, H. B.’s Proverbia germanica, Leiden 1879 (ND 1969); G. Bebermeyer, H. B. Facetien. Drei Bücher, 1931 (ND 1967); W. Barner, H. B. Comoedia de optimo studio iuvenum. Über d. beste Art d. Studiums f. junge Leute, 1982; K¸hlmann, Lyrik, S. 203⫺219, 1065⫺1079; M. Angres, Triumphus Veneris. Ein allegorisches Epos v. H. B. Ed., Übers., Komm., 2003.
A . D ru ck üb er li ef er un g. 1. D ru ck e d es 15 . b is 17 . J h. s. Die Werke B.s umfassen, vom Distichon bis zum Epos, vom Brief bis zum umfangreichen philologischen Lehrbuch, mehr als 600 Einzeltitel. Diese sind größtenteils in gedruckten Bucheinheiten wechselnder und sich überschneidender Zusammensetzung erschienen (im VD 16 meist unter mehreren Nummern gebucht). Diese Kombinationen erfahren teilweise viele Auflagen, doch neue Kombinationen Bebelscher Werke werden nach 1513 nicht mehr zusammengefügt, vielmehr werden seit 1509 zunehmend einzelne Titel als eigene Bucheinheiten herausgebracht. Bis 1513 hat B. teilweise auf Neuauflagen Einfluß genommen. So bieten jüngere Drucke bisweilen ergänzte oder korrigierte Versionen. Die meisten Texte sind nicht genau zu datieren. Wo B. sie datiert hat, liegt die Abfassung oft etliche Jahre vor dem Druckdatum. Der erste Druck eigener Texte (I., 1496) enthält bis zu vier Jahre alte Stücke; der die Dichterkrönung dokumentierende Band (IV., 1504) umfaßt datierte Titel gar von 1492 bis 1503.
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Im folgenden werden die gedruckten Bucheinheiten in der Reihenfolge ihres frühesten Erscheinens mit römischen Zahlen durchnumeriert. Die Wiedergabe des Titels bezieht sich auf die jeweils erste Ausgabe; die nachfolgenden Ausgaben haben vielfach anders formulierte Titelblätter. Sie werden bis 1518, dem Todesjahr B.s, nach dem Druckdatum spezifiziert angeführt, ab 1519 summarisch nach Druckorten. Nicht zu B.s Werken wird hier das ihm immer wieder zugewiesene Gedicht Von disem krieg in 596 gereimten dt. Versen gerechnet, das anläßlich des Schweizer- bzw. Schwabenkriegs 1499 entstand und zusammen mit einer Johann D Kurtz zugeschriebenen Reimchronik gedruckt wurde. Es polemisiert gegen die Schweizer und mehr noch gegen die bei den Schweizern Rückhalt findenden schwäbischen Bauern. Der Autor nennt sich in der freilich satirischen Sphragis v. 595 f. Haintz von Bechwinden und bezeichnet sich als Dichter (v. 588) und Drucker (vv. 545, 596) des Büchleins. Es mag dem Autor der Reimchronik angehören (Binder, 1999); zu B. aber passen weder der massiv vorgetragene Haß auf die Bauern noch das Dichten in dt. Sprache; B. hat umgekehrt Volkssprachliches in lat. Literatur überführt. Druck. Von disem krieg [Reutlingen?, Augsburg?, 1499/1500; GW 3755], Bl. [a]r⫺b iijr. Ausgabe. C. Sieber-Lehmann / Th. Wilhelmi, In Helvetios – Wider die Kuhschweizer, 1998, S. 108⫺122. I. Distichon ad Musam | [...] | Carmina [...]. Reutlingen: Michael Greiff, 1496. GW 3751. II. Liber hymnorum in metra | nouiter Redactorum. | [...]. 1. [Tübingen: Joh. Otmar, 1501]. VD 16, B 1093, B 1097. – 2. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1511. VD 16, H 6514. – 3. Hagenau: Th. Anshelm, 1517. VD 16, B 1094, B 1098, H 6515. III. Commentaria Epistolarum | conficiendarum | Contra epistolandi modos Pontij et aliorum | [...] | Commentaria de Abusione linguae latinae apud germanos et de pro⫽|prietate eiusdem | Vocabularius optimarum dictionum | [...]. 1. Straßburg: Joh. Grüninger, 1503. VD 16, B 1164, B 1172. – 2. Ebd. 1506. VD 16, B 1165, B 1173. – 3. Pforzheim: Th. Anshelm, 1508. VD 16, B 1166, B 1174. – 4. Ebd. 1509. VD 16, B 1167, B 1175. – 5. Ebd. 1510. VD 16, B 1168, B 1176. – 6. Ebd. 1511. VD 16, B 1169, B 1177. – 7. Straßburg: Matth. Schürer, 1513. VD 16, B 1170, B 1179. – 8. Ebd. 1516. VD 16, B 1176, B 1180. IV. Oratio ad regem Maxi⫽|milianum de laudibus atque amplitudine Germanie | [...] | Opusculum qui authores legendi sint [...] | Commoedia. de optimo studio scholasticorum.| [...] | Oratio de vtilitate lingue latine. Pforzheim: Th. Anshelm,
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1504. VD 16, B 1181, B 1189, B 1194, B 1204, B 1225, B 1227, B 1237, B 1240, B 1242, B 1300. V. [...] De sancta Anna matre Ma⫽|rie hymnus [...]. 1. Leipzig: Mart. Landsberg, 1505. VD 16, ZV 1166. – 2. Ebd., 1510. VD 16, B 1188, B 1228, B 1239. VI. Grammatica Jacobi | Henrichman [...] | Ars condendorum carminum Henrici Bebelij [...]. 1. Pforzheim: Th. Anshelm, 1506. VD 16, B 1100, B 1250, H 1983. – 2. Köln: Heinr. Quentell [Erben], 1507. VD 16, B 1101, B 1251. – 3. Pforzheim: Th. Anshelm, 1507. VD 16, B 1102, B 1252, H 1984. – 4. Straßburg: Joh. Prüß, 1507. VD 16, B 1103, B 1253, H 1985. – 5. Pforzheim: Th. Anshelm, März 1508. VD 16, B 1105, B 1254, H 1987. – 6. Ebd., April 1508. VD 16, B 1106, B 1255, H 1988. – 7. Ebd., Sept. 1508. VD 16, B 1104, H 1986. – 8. Leipzig: Melch. Lotter, 1509. VD 16, B 1107, B 1256, H 1989. – 9. Pforzheim: Th. Anshelm, 1509. VD 16, B 1108, H 1990. – 10. Straßburg: Joh. Prüß, 1509. VD 16, B 1109, B 1257, H 1991. – 11. Pforzheim: Th. Anshelm, März 1510. VD 16, B 1114, B 1260, H 1996. – 12. Ebd., Juli 1510. VD 16, B 1115, B 1261, H 1997. – 13. Hagenau: Heinr. Gran, [um 1510]. VD 16, B 1110, B 1112, B 1258, B 1259, H 1992, H 1994. – 14. Ebd.. VD 16, B 1111, H 1993. – 15. Leipzig: Lotter, 1510. VD 16, B 1113, H 1995. – 16. Ebd. 1511. VD 16, B 1116, H 1998. – 17. Tübingen: Anshelm, 1511. VD 16, B 1117, B 1262, H 1999. – 18. Hagenau: Heinr. Gran, 1512. VD 16, B 1118, B 1263, H 2000. – 19. Leipzig: Lotter, 1512. VD 16, B 1119, H 2001. – 20. Nürnberg: Joh. Stuchs, 1512. VD 16, B 1120, B 1264, H 2002. – 21. Straßburg: Matth. Schürer, 1512. VD 16, B 1121. – 22. Tübingen: Anshelm, 1512. VD 16, B 1122, B 1265, H 2004. – 23. Leipzig: Lotter, 1513. VD 16, B 1123. – 24. Ebd. VD 16, B 1124, B 1266, H 2005. – 25. Straßburg: Schürer, 1513. VD 16, B 1125. – 26. Tübingen: Anshelm, Jan. 1513. VD 16, B 1126, H 2006. – 27. Ebd., April 1513. VD 16, B 1127, B 1267, H 2007. – 28. Ebd., Dez. 1513. VD 16, B 1128, B 1268, H 2008. – 29. Hagenau: Gran, 1514. VD 16, B 1129, B 1269, H 2009. – 30. Hagenau: Gran, 15. Febr. 1514. VD 16, B 1130, B 1270, H 2010. – 31. Ebd., 15. Febr. 1514. VD 16, B 1131, B 1271, H 2011. – 32. Ebd., April 1514. VD 16, B 1132, B 1272, H 2012. – 33. Leipzig: Lotter, 1514. VD 16, B 1133, B 1273, H 2013. – 33. Nürnberg: Stuchs, 1514. VD 16, B 1134, H 2014. – 34. Tübingen: Anshelm, 1514. VD 16, B 1135, B 1274, H 2015. – 35. Hagenau: Gran, 1515. VD 16, B 1136, B 1275, H 2016. – 36. Leipzig: Lotter, 1515. VD 16, B 1137. – 37. Nürnberg: Stuchs, 1515. VD 16, B 1138, B 1276, H 2017. – 38. Tübingen: Anshelm, März 1515. VD 16, B 1140, B 1278, H 2019. – 39. Ebd., Aug. 1515. VD 16, B 1141, B 1279, H 2020. – 40. Ebd., Dez. 1515.
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VD 16, B 1142, B 1280, H 2021. – 41. Basel: Adam Petri, 1516. VD 16, B 1143, B 1281, H 2022. – 42. Leipzig: Lotter, [1516]. VD 16, B 1144, B 1282, H 2023. – 43. Tübingen: Anshelm, 1516. VD 16, B 1146, B 1284, H 2025. – 44. Leipzig: Lotter, 15[1]7. VD 16, B 1145, B 1283, H 2024. – 45. Hagenau: Anshelm, Jan. 1517. VD 16, B 1147, B 1285, H 2026. – 46. Ebd., Sept. 1517. VD 16, B 1148, B 1286, H 2027. – 47. Hagenau: Gran, Dez. 1517. VD 16, B 1149, H 2028. – 48. Hagenau: Anshelm, März 1518. VD 16, B 1150, B 1227, H 2029. – 49. Ebd., Nov. 1518. (Freiburg, UB, C 120). – 50. Hagenau: Gran, 1518. VD 16, B 1151, B 1288, H 2030. – Nach B.s Todesjahr erschienen Ausgaben in Augsburg 1519, 1520, 1521 und 1539; in Hagenau 1519, 1520 und 1521, in Hagenau im Jan. 1520 und im Juni 1520, in Nürnberg 1519 und 1521, in Straßburg 1522 (VD 16, B 1152⫺ 1162 – B 1289⫺1297 – H 2031⫺2040) und in Leipzig 1519 (Stuttgart, LB, HB F 1987). VII. Hoc in opusculo continentur | Henrici Bebelij Justingensis poete laureati ele|gantissimi Dialogus de optimo studio scholasti|corum. | Eiusdem Oratio de vtilitate lingue latine [...]. 1. [Zwolle: Peter Os van Breda, ca. 1506/ 07]. IA 115.312; Köln, UStB, A.D.s 36. – 2. [Köln: Heinr. Quentell, 1518/20]. VD 16, 1183. VIII. [...] | [...] opuscula noua | [...]| Libri facetiarum iucundissimi [...] | Prouerbia germanica in latinitatem reducta | [...] | Elegia hecatosticha de institutione vite Bebelii dum pestis | Tubinge grassaretur. M.D.II.| [...] | Cantio vernacula | [...]. 1. Straßburg: Joh. Grüninger, 1508. VD 16, B 1185, B 1190, B 1197, B 1200, B 1207, B 1212, B 1231, B 1246. – 2. Ebd., 1509. VD 16, B 1201, B 1208, 1213, B 1247. – 3. Straßburg: Matth. Schürer, 1512. VD 16, B 1186, B 1191, B 1195, 1198, B 1202, B 1209, B 1214, B 1232, B 1248. – 4. Ebd. 1514. VD 16, B 1193, B 1199, B 1203, B 1210, B 1215, B 1233, B 1249. – 5. Paris: Nic. des Prez für Charles Dude, 1516. IA 115.348., ebd. für Guill. Vivien. IA 115.349. IX. [...] | Laus et victoria Cesari | Maximiliano Augusto [...]. Straßburg: Joh. Grüninger, 1509. IA 115.325. – Mit eigenem Titelbl. verselbständigter Bogen p von VIII.2. X. Opera Bebeliana sequentia | Triumphus Veneris sex libris conscriptus [...] Hecatostichon de victoria Caesaris Bohemica [...] | Vindicata Germania ab iniuria scriptorum his opusculis | Epitome laudum ø Sueuorum [...] | Oratio ad regem ø Maximilianum ø [...] | Germani sunt Indigene | [...] Cohortatio ad Heluetios pro obedientia imperij | De laude, antiquitate, imperio, victorijs, rebusque gestis veterum Ger⫽|manorum. Pforzheim: Th. Anshelm, 1509. VD 16, B 1211, B 1226, B 1241, B 1303. XI. Epitome Laudum Sueuo|rum atque principis nostri Vdalrici [...]. Pforzheim: Th. Anshelm,
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1509. IA 115.323. – Mit eigenem Titelbl. verselbständigter Teil von X. XII. Latiunm [sic!] Ideoma [...]. Braunschweig: [Hans Dorn], 1509. VD 16, B 1229. XIII. Modus epistolandi | [...]. Wittenberg: o. Dr., 1511. VD 16, B 1178. XIV. Oratio Henrici Bebelij poete De utilitate lati|nitatis. s’Hertogenbosch: Laurens Hayen, 1511. IA 115.332. XV. Divo Hieronymo | Sacrum | Divae Annae | Sacrum | [Bl. a ijr] Historia horarum canonicarum De | S. Hieronymo [...] | [...] contexta [...] | Historia horarum canonicarum De. S. Anna [...]. Augsburg: Erh. Ratdolt, 1512. VD 16, B 1184. XVI. Opusculum [...] | [...] de institutione pue| rorum [...] | Opusculum qui auctores legendi sint [...] | Comoedia vel potius dialogus de | optimo studio scholasticorum [...] | Oratio de vtilitate eloquentiae [...]. Straßburg: Matth. Schürer, 1513. VD 16, B 1095, B 1099, B 1182, B 1236, B 1238, B 1243. XVII. Elegia Cymonis fatui [...]. Frankfurt (O.): Joh. Hanau, 1514. VD 16, B 1192. XVIII. Triumphus Veneris [...] | [...] cum com⫽|mentario Ioannis Altenstaig | Mindelheimensis. 1. Straßburg: [Matth. Schürer], 1515. VD 16, B 1304 u. B 1305. – 2. o. O., für Wolfgang Theodor Wendel, 1690, s. Angres, Ausg., S. 27 f. XIX. Opera Pomponii | Laeti varia. [...] | [angefügt mit neuer Bogenzählung] Henrici Be|belii de Romanorum ma|gistratibus libellus | [...]. Mainz: Joh. Schöffer, 1521. VD 16, B 1298. 2. Gent: Pieter de Keysere, 1521. IA 115.354. 3. Köln, 1566. VD 16, 1299. XX. Die zuvor in VIII. ‘Opuscula nova’ gedruckten Fazetien wurden seit 1540 als Haupttext einer gattungsgebundenen Sammlung zusammen mit Fazetien Poggios und Johannes Adelphus J Mulings gedruckt: Facetiae Henrici Be|belii, superiorum aeta|tum siue dicta iocose, siue facta ridi|cule` [...]. Antwerpen, 1540. Ebd., 1541 (IA 115.357 f.); Tübingen, 1542, 1544, 1550, 1552, 1555, 1557, 1561, 1570 (VD 16, B 1216⫺1221, ZV 1169 f.), Bern, 1555 (IA 115.363) und Frankfurt a. M., 1590. XXI. Eine dt. Übers. der ‘Facetiae’ B.s mit Beigaben: Die Geschwenck | Henrici Bebelij [...] In drey b ucher e gethei⫽|let/ gebessert vnnd | gemehrt [...]. o. O. u. Dr., 1558. VD 16, B 1222. – Weitere Drucke einer stark erweiterten Fassung: Facetiae | Henrici Bebelij | [...]. Frankfurt a. M., 1568 u. 1589 (VD 16 1223⫺1224); ebd., 1604 u. 1612. XXII. Historisch-politische Schriften in Scriptores-Sammlungen: 1. S. Schardius, Historicum opus seu scriptores rerum Germanicarum, Bd. 1, Basel 1574. ⫺ 2. M. Goldast, Suevicarum rerum Scriptores, Frankfurt a. M. 1605. ⫺ 3. M. Goldast, Politica imperialia, Frankfurt a. M. 1614. ⫺ 4. H. Thomae (Hg.), Schardius redivivus sive Rerum Germanicarum Scriptores varii, Gießen 1673.
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2. Bebel als Beiträger. B. hat zu den postumen Drucken der Werke des Tübinger Theologen Gabriel D Biel, die mehrfach aufgelegt wurden (‘Sermones’, VD 16, B 5398⫺ 5401; ‘Canonis missae expositio’, GW 4334⫺ 4336, VD 16, B 5484 f.; ‘Collectorium’, VD 16, B 5406⫺5408; Paris 1514/15; Lyon 1632), empfehlende Gedichte beigesteuert – teilweise längere –, ebenso zu den ‘Grammaticae institutiones’ seines humanistischen Mitstreiters Johannes J Brassicanus (VD 16, B 7118⫺7821, 7824, 7829) und dem Psalmkommentar seines Freundes Thomas J Wolf d. J. (‘Divus Bernardus in symbolum apostolorum’, VD 16, B 1949). Die Beigaben zu den Werken seiner schwäbischen Schüler Altenstaig (‘Vocabularius vocum’, VD 16, A 1985⫺1988, 1990 f., 1993; ‘Vocabularius theologiae’, VD 16, A 1992), Heinrichmann (‘Grammatica’, VD 16, H 1983⫺ 2040), Köchlin (‘De rebus gestis in Italia’, VD 16, K 1679 f.) und Johann Eck zeigen persönliche Verbundenheit und Anteilnahme; am deutlichsten gegenüber Eck, der für seine Publikationen regelmäßig Verse seines Lehrers bis in dessen letzte Tage einholte (abgedruckt bei Wiedemann aus: ‘Chrysopassus’, 1514. VD 16, E 305. – ‘In summulas Petri Hispani’, 1516. VD 16, J 671. – ‘Disputatio Viennae Pannoniae habita’, 1517. VD 16, E 314. – ‘Aristotelis Dialectica [...] declarata’, 1517. VD 16, A 3530. – ‘Aristotelis Physica’, 1518. VD 16, A 3563. – ‘Dionysii Areopagitae de mystica theologia’, 1519. VD 16, D 1854).
3 . B eb el al s H er au sg eb er. B. gab in Basel die aus Krakau mitgebrachte geographische Schrift seines Lehrers Corvinus heraus und in Tübingen den Traktat, den der Theologe Plantsch aus den Predigten hervorgehen ließ, die er anläßlich der ersten Hexenverbrennung in Tübingen 1505 gehalten hat. a) Laurentius Corvinus, Cosmographia dans manductionem | in tabulas ptholomei [...] | vna cum nonnullis epigrammatibus et carminibus. Basel: Nik. Kessler, 1496. GW 7799. b) Martin Plantsch, Opusculum de sagis ma| leficis Martini Plantsch concio|natoris Tubingensis. Pforzheim: Th. Anshelm, 1507. VD 16, P 3201.
B . H an ds ch ri ft en . 1. Kop ie n a us Dr uc ke n. Die Mehrzahl der Hss. mit Bebel-Texten bieten Kopien aus Drucken: einzelne Gedichte oder Briefe oder Exzerpte aus den ‘Facetiae’, ‘Proverbia’, den liturgischen Dichtungen oder der ‘Ars versificandi’.
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Ansprechend und in größerem Umfang präsentieren München, Clm 19880, Bl. 18r⫺56v, die ‘Proverbia’ und Clm 24519 poetische Teile des Druckes ‘Historia horarum canonicarum’ (XV.). Für den Unterricht interlinear und marginal glossierte Abschriften liegen vor: 1. von den Hymnen aus ‘Liber hymnorum’ (II.) – B.s Kommentar ist für die Glossen verwendet – in Göttingen, SUB, 2° Cod. Ms. Luneb. 1, Bl. 50r⫺90r, 170r⫺v; 2. vom ‘Triumphus Veneris’ im Clm 24509, Bl. 297r⫺368r (nach XVIII.1.). Von diesen Sammel- und Schulhss. heben sich zwei inhaltlich und formal dezidiert humanistische Hss. ab. Die eine dokumentiert die Bestrebungen des deutschen Humanismus durch eine starke Sammlung von Vorwort- und Beibriefen (ca. 1495⫺1515) auch aus Drucken B.s (Berlin, SBPK, Ms. lat. qu. 163, Bl. 10v⫺ 12r, 22r⫺43v, 145v⫺155r). Die andere, eine eigenständige, den Drucken qualitativ überlegene Buchschöpfung, ist die illustrierte Hs. des Pangratz J Bernhaubt gen. Schwenter von 1504/1512, die der Verteidigung der Dichter gewidmet ist und mit drei thematisch einschlägigen Texten Bebels (aus II.1., in Rotunda gedruckt) eröffnet wird (Berlin, SBPK, Ms. lat. fol. 335, Bl. 1v⫺6v, in Humanistica geschrieben; Ausgabe: Apol. poet.). 2. U ng ed ru ck te Te xt e. Drei Hss. enthalten B. zugehörige bzw. ihm zugeschriebene Werke, die nicht bzw. in veränderter Form in die Drucke gelangten: Karlsruhe, LB, Cod. St. Peter Pap. 24, Bl. 22r⫺27v (ab Bl. 25r Autograph B.s): ‘Oratio de necessitate linguae latinae’, 11. Nov. 1504 (Zapf, S. 293⫺308 [irrtümlich “1508”]); Bl. 31r⫺42v (Autograph B.s): drei Eklogen und eine Ode auf die Erfolge Hzg. Ulrichs von Württemberg im bayer. Erbfolgekrieg (Mai/Juni 1504), die zweite ‘Ecloga triumphalis’ (Bl. 35r⫺39v) für den Druck oder nach dem Druck (X., Bl. G vv⫺Hr) durch wenige Änderungen umgeschrieben auf den Sieg Kg. Maximilians über die Böhmen bei Regensburg (Sept. 1504). – Wien, ÖNB, Cod. 9889, Bl. 19v⫺ 20r, an Casselius (Ludwig, S. 54). – Augsburg, SuStB, 2° Cod. adl. 2, Bl. [1]r⫺[2]v:
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Bebel, Heinrich
B. zugeschriebene Empfehlung der confraternitas septem dolorum et compassionum Mariae mit sieben Gebeten (je 5 Hex.). C . B ri ef e i n D ru ck en un d H an ds ch ri ft en . 63 an namentlich genannte Adressaten gerichtete Briefe B.s (davon 20 undatiert) sind überliefert. Die Mehrzahl sind Widmungs- und Begleitbriefe in den oben angeführten Drucken (zu Abschriften daraus s. o. B.1.); sie sind dort weder Teil eines Briefcorpus noch eines Briefwechsels, ihre Überlieferung verdankt sich allein dem Verfasser. Sie handeln meist über die bevorworteten Schriften und die bewidmeten Adressaten sowie B.s Beziehung zu ihnen und damit auch über die soziale Dimension seiner Humanistenexistenz. Die Adressaten gehören vorzugsweise zu Hof und Regierung des Hzg.tums Württemberg und zur Univ. Tübingen, aber auch zum elsässischen Humanistenkreis. – Den Empfängerüberlieferungen entstammen lediglich 13 Briefe B.s: je 2 an Reuchlin und an Jakob J Wimpfeling, die von den Empfängern in ihre Drucke aufgenommen wurden; 1 Brief B.s an Erasmus von Rotterdam als Kopie in dessen hsl. Briefbuch (Deventer, Athenaeumsbibl., Ms. 91); 8 an Michael J Hummelberg in dessen postum angelegtem Briefkopialbuch (Clm 4007). Letztere sowie 9 von Hummelberg an Bebel gerichtete Briefe, je ein Brief Wimpfelings, Leonhart Dürrs (XV.) und Köchlins (Wien, ÖNB, Cod. 3362, Bl. 291r⫺v) an B. handeln von philologisch-historischen, literarischen und personellen Fragen der humanistischen Studien in Schwaben (u. a. von dem Bemühen 1512, Hieronymus Aleander als Griechischlehrer von Paris nach Schwaben, d. h. nach Tübingen, zu holen). Veit J Bild nahm, von den ‘Facetiae’ begeistert, 1516 brieflich Kontakt zu B. auf und übersandte 6 eigene Fazetien für ein viertes Fazetienbuch B.s (Augsburg, Bistumsarchiv, Hs. 81/II, Bl. 150r⫺152r). Verzeichnis (unvollständig): Zapf, S. 30⫺44, 273⫺290. Ausgaben einzelner Briefe. Zasius-Br., Nr. 246; A. Horawitz, Michael Hummelberger. Eine
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biograph. Skizze, 1875, Nr. 11 u. 20; ders., Zur Biographie u. Korrespondenz Joh. Reuchlins, WSB 85, 1877, Nr. 4 u. 8; ders., Analecten z. Gesch. d. Humanismus in Schwaben (1512⫺1520), WSB 86, 1877, S. 230⫺278 (12 Briefe); Suringar, Ausg., S. 3⫺7; Erasmus, Op. epist., Nr. 321; PeutingerBr., Nr. 64; Bebermeyer, Ausg., S. 4, 45⫺47, 103⫺105; Barner, Ausg., S. 6−11; Wimpfeling-Br., Nr. 199, 201 f. u. 283.
D . H au pt we rk e. Die Abfolge der von B. veranlaßten Drucke, die das Gerüst der aufgezeigten Überlieferung bilden, läßt sich zusammenfassend so charakterisieren: Mit den ‘Carmina’ (I.) aus seinem ersten Tübinger Jahr 1496 gab Bebel für Universität und Hof seinen ‘Einstand’ als neuer Poeta. Er verteidigte sein Metier, das Studium der antiken Dichter, und bewies den Gegnern dessen Nutzen für die christliche religiöse Dichtung im ‘Liber hymnorum’ 1501 (II.), in dem er bereits mehrfach auf die ‘Commentaria’ (III.) verwies, sein erstes großes Lehrbuch; 1503 ließ er es drucken. In dem mit der ‘Krönungsrede’ ‘Oratio ad regem Maximilianum’ (IV.) beginnenden Druck von 1504 präsentierte sich B. als Poeta laureatus, der, durch allerhöchste Anerkennung legitimiert, sich mit kundigem Nachdruck in den aktuellen Nationsdiskurs einschaltete und mit der Aufführung der ‘Comoedia de optimo studio iuvenum’ vor der ganzen Univ. Tübingen den Führungsanspruch der Poesie im Studium erhob, beides 1501. Die Veröffentlichung des zweiten großen Lehrbuchs ‘Ars versificandi’ (VI.) 1506 untermauerte diesen Anspruch. Seither ging B. zur Publizierung eigener literarischer Werke in Prosa und gebundener Rede über. 1508 legt er in den ‘Opuscula nova’ (VIII.) die ersten zwei Bücher der ‘Facetiae’ und die ‘Proverbia Germanica’ vor, 1509 in den ‘Opera Bebeliana’ (X.) den ‘Triumphus Veneris’. 1512 brachte er zusammen mit den ersten beiden Fazetienbüchern das neue 3. Buch (VIII.3.) heraus und ließ 1514 deren Ausgabe letzter Hand (VIII.4.) erscheinen. 1 . H od eg et is ch e S ch ri ft en . Verteidigung und Lob der Dichtung ist der programmatische Ausgangspunkt des
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Wirkens B.s in Tübingen: ‘Egloga contra vituperatores poetarum’ (1495; VIII.1., Bl. N ijv⫺P iijv; VIII.2.–5.), ‘Apologia poetices’ (II., Bl. iiijv⫺[viiij]v; s. o. II.B.1.) B. eröffnete die Vorlesungen, in denen er vor Hörern aus allen Fakultäten Werke antiker Autoren interpretierte, stets mit einer Rede über den Nutzen des Studiums der Dichter und Redner für alle Wissenschaften: ‘Oratio de utilitate latinitatis’, 19. Okt. 1503 (IV., Bl. sr⫺[s5]r; VII.1., Bl. [b5]r⫺b7]v; XII., Bl. c iv⫺c iiiiv; XVI., Bl. D iir⫺[D4]v). Auf Bitten seiner Hörer verfaßte er den Brieftraktat ‘Qui auctores legendi sint ad eloquentiam comparandam’ (IV., Bl. e ijv⫺ [g4]r) nach dem Vorbild Quintilians und Enea Silvio D Piccolominis darüber, wie noch vor dem Studium der Dialektik guter Stil in Konversation und Brief zu erwerben sei. B. sammelt antike und neuere Urteile über den lat. Stil von Epochen und Autoren und fällt eigene Urteile, um ein neues Textcorpus ad eloquentiam comparandam zu erstellen. Bisher zentrale Unterrichtstexte fallen der humanistischen Revision zum Opfer: neben den üblichen Lehrbüchern auch die Vulgata ⫺ Psalmen, Evangelien und Paulus-Briefe eingeschlossen ⫺ und die liturgischen Dichtungen der Sequenzen und der rhythmisierenden Hymnen. Unter den geeigneten Prosaautoren sucht B. ein Gleichgewicht zwischen heidnischen und christlichen herzustellen (u. a. mit den Paarungen Varro – Augustinus, Caesar – Hieronymus, Cato – Ambrosius, Seneca – Gregor, die stilistischen Urteilen geschuldet sind), was in der Dichtung aber nicht gelingen könne. B. würdigt die Erneuerung der Latinität durch die Italiener von D Petrarca und Boccaccio bis Valla und Filelfo und ihre lat. Übersetzungen griech. Autoren (Classen, 1997a, S. 26⫺ 37). 2 . L eh rb üc he r. a) ‘Commentaria’. Die ‘Commentaria’ (III.) umfassen einen ‘Modus conficiendarum epistolarum’ und die ‘Commentaria de abusione linguae latinae’. B. entwickelt die Brieflehre in heftiger und einläßlicher Kritik an den aktuellen Briefrhetoriken der D Viruli, D Le-
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scher, D Mennel, D Karoch und Magister D Poncius [NB] und der älteren Rhetorik des ‘Borida’ (Joh. Bondi). Er setzt an die Stelle der Regeln, insbesondere der quinque partes, Stil- und Geschmacksbildung anhand der Lektüre der Briefe Ciceros und der anderen guten Autoren. Der größere 2. Teil De abusione dokumentiert B.s ausgreifende Lektüre antiker und moderner ital. Autoren, aufgrund derer er die mal. Sprachlehrbücher kritisiert: von den ‘Etymologiae’ D Isidors [NB] bis zu den Grammatiken der D Alexander de Villa Dei [NB], Eberhard von Be´thune und D Johannes de Garlandia. In einer Fülle von Beispielen korrigiert B. Germanismen und andere Barbarismen und klärt Fragen der Prosodie. Ein langer alphabetischer Vocabularius optimarum dictionum konfrontiert mlat. Sprachgebrauch mit antiken Bedeutungen und Schreibweisen. Ihm sind neben dem Wiederabdruck seiner Kritik an den Erklärungen biblisch-liturgischer Wörter des ‘Mammotractus’ (aus II.1.) weitere thematische Kapitel angefügt über Bezeichnungen römischer und (neu in III.8.) moderner Ämter, Berufsbezeichnungen aus Handwerk und Handel (oft mit den dt. Bezeichnungen), die Pseudoetymologien der D ‘Legenda aurea’, Namen und Etymologie der Krankheiten, die Latinisierung dt. Namen. b) ‘Ars versificandi’. Die ‘Ars versificandi’ (VI.) – B. hält sie allen früheren, also auch dem gleichnamigen Werk des J Celtis, für überlegen – verzichtet auf polemische Auseinandersetzungen. B. behandelt auf der Basis spätantiker Grammatiker von Probus bis Martianus Capella und Bedas ‘De accentibus’ sowie neuerer Italiener und seines Lehrers Corvinus die Prosodie als Grundvoraussetzung für die Wiedergewinnung quantitierenden Dichtens: Quantitätsregeln in der Hauptsache, dazu prosodische Sonderregeln; kürzer behandelt sind Versfüße, Versmaße und Strophenformen. – Weniger für den Unterricht als vielmehr für den Klerus allgemein wendet der ‘Liber hymnorum’ (II.) in der Bestimmung der Versmaße, der
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Revision des Textes und den Worterläuterungen die Regeln seiner Lehrschriften auf die liturgische Hymnendichtung an. 3 . L it er ar is ch e Wer ke . a) Drama. Die ‘Comoedia de optimo studio iuvenum’ stellt sich in die Tradition der römischen Palliata und der bildungsprogrammatischen Humanistendramen seit dem ‘Stylpho’ Wimpfelings, die in Prosa verfaßt sind. 1501 universitätsöffentlich aufgeführt, wirbt B. für die neue Bildung, die der Poeta verkörpert, und bestimmt ihren wissenschaftlichen und sozialen Wert. Drucke. IV., Bl. [g4]v⫺[i4]r; VII.1.⫺2.; XII.; XVI. Ausgabe. Barner, Ausg.
b) Gedichte. a) ‘Triumphus Veneris’.
Der ‘Triumphus Veneris seu Voluptatis contra Virtutes’ ist B.s anspruchsvollste und mit fast 2000 Versen in 6 Büchern umfangreichste Dichtung. Tempore pestis – gemeint ist 1502 – auf die Alb geflohen, habe er sie sine libris konzipiert. Ausgearbeitet hat sie B. mit Hilfe insbesondere von Prudentius’ ‘Psychomachia’, Ovid, Vergil, Horaz und Lucan. Der Einleitungsbrief und der Schluß (6, 163⫺231, 276⫺307) nehmen des Johannes Nauclerus Gedanken vom Ende seiner Weltchronik (zu 1501) auf und führen Kriege, neue Krankheiten (Syphilis), Wunderzeichen und aktuelle Hungersnot auf Gottes mahnenden Zorn über die Sünden der Menschen zurück. Das “satirische Epos” (Hess, Narrenzunft, S. 272) spannt eine Revue aller Stände (Bücher 2⫺5) in eine mythologischallegorische Rahmenhandlung (Bücher 1 u. 6). Amor führt Venus alle Tiere und Menschen zu für den Kampf gegen Virtus. Nach den Tieren folgen der Venus am willigsten Bettler und Klerus, dann Adel, Bürger und Söldner, die Bauern zuletzt. Am Ende allein gelassen, flieht Virtus zu Gott, der, zürnend, den Menschen jene allerletzten Mahnungen sendet. B.s Weltgedicht kombiniert Formen des allegorischen Epos und der aus der Volkssprache transponier-
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ten Ständesatire. Brüche der Perspektive und Stilmischungen zeigen B.s Grenzen beider Gestaltung der großen Form, mindern aber kaum den Reiz der Transposition und der konzisen Formulierung und den angestrebten pädagogischen Wert für den Unterricht. Im Jahr des Erscheinens von Celtis’ ‘Amores’ konzipiert, aber fern jeder neuplatonischen Liebesphilosophie, ist in der humanistischen Formung des ‘Triumphus’ B.s die Haltung des traditionellen Satirikers und Bußpredigers bestimmend. Drucke. X., Bl. [A]r⫺G vr; XVIII.1 mit Komm. Altenstaigs; XVIII.2. Ausgabe. Angres, Ausg.
b) Geistliche Dichtung. 1. ‘Liber hymnorum’ (II.) bietet 155 leicht überarbeitete, grammatisch und metrisch verbesserte Hymnen des Breviers und 5 laut Bl. iijv eigene Dichtungen B.s über Georg (Bl. b iiijr⫺v), Anna (Bl. [c2]r), Barbara und die Immaculata (Bl. [c8]r⫺v) sowie Thomas (Bl. dv, gekürzt); verbessert bzw. vollständig wiederum gedruckt in IV., Bl. o iijv⫺p ijv, hier auf 1499 datiert; XV., Bl. e iiijv⫺[e6]r ohne Anna-Hymnus, doch neu sind Hymnus und Elegie auf Cosmas und Damian. 2. ‘Historia horarum canonicarum’ (XV.) enthält Offizien zu neun Lektionen zum Anna- und zum Hieronymusfest; für Hieronymus gab es zuvor kein Proprium. Die Offizien sind ein Gemeinschaftswerk von B., Johannes Casselius und Leonhard Clemens. B.s Anteil sind Hymnen, Laudes und Sequenz des Anna-Offiziums (vor 1512), im Hieronymus-Offizium (1509) Hymnen und Sequenz; letztere schildert einen Triumphzug des Hieronymus über die Häretiker. Ausgabe der Hieronymussequenz. Stolz, S. 350 f. ⫺ Inventar der Melodien von 2. bei Schlager/Wohnhaas, S. 298⫺306.
g) Formen und Themen. B. bevorzugt die kleine und mittelgroße Form, meist als Epigramm, Elegie oder sapphische Strophe oder als hexametrische Eklogen und Hecatostichen (v. a. in I., IV., VIII. und X.). Neben einer Vielzahl von Gelegenheitsgedichten, die z. B. Widmun-
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gen und Briefverkehr begleiten, stehen satirisch-moralische, paränetische, pädagogische, panegyrische und religiöse Dichtungen. Mehrfach thematisiert B. das Verhältnis von volkssprachlicher und lat. Dichtung; zum Gedächtnis des schwäbischen Spielmanns Konrad Hohenstätter († 1507) praktiziert er die Transposition einer vulgaris (Suevorum) cantio (VIII.1., Bl. [P4]r⫺[P5]v; VIII.2.⫺VIII.5.) in eine lat. Elegie (Hess, 1969). Ausgaben (Auswahl). Bebermeyer, 1927, S. 17⫺39; K¸hlmann, Lyrik, S. 204⫺219, 1065⫺ 1079.
c) Prosawerke. a) ‘Facetiae’. Vom Plan, Fazetien im Stile Poggios zu verfassen, spricht B. in ‘Qui auctores legendi sint’ 1504 (IV., Bl. f iijv), das 1. Buch nennt er im Farner-Brief 1505 (s. o. I.), bevorwortet es 1506 und läßt es 1508 zusammen mit dem kurz zuvor vollendeten 2. Buch (VIII.1.) in Straßburg bei Grüninger drucken, bei dem J Muling die Fazetien schon im Manuskript liest und sich zu seinen ‘Facetiae Adelphinae’ anregen läßt. Alle 3 Bücher mit insgesamt 441 Fazetien erschienen 1512 (VIII.3.), von letzter Hand 1514 (VIII.4.). B. hat die ‘Facetiae’ (Facetiae Suevicae, Bebermeyer, Ausg., S. 104) nur in Sammelbänden und hier stets ineins mit den ‘Proverbia germanica’ publiziert. Beide Werke überführen volkssprachliche Kultur – scharfsinnig-knappe Äußerungen des Witzes der Schwaben bzw. der Weisheit der Deutschen – in die lat. Sprache; B. erörtert die Angemessenheit seines Vorgehens. 1508 kaschiert er indes den Wettstreit mit Poggio und rechtfertigt die ‘Facetiae’ mit antiken Traditionen scherzhafter Erzählung. Von prompter und langdauernder Wirkung, begründen sie B.s literarischen Ruhm. Drucke. VIII.1.⫺5.; XX. Ausgabe. Bebermeyer, Ausg. ⫺ Übers. mit Komm.: A. Wesselski, H. B.s Schwänke, Bd. 1⫺ 2, 1907.
b) ‘Proverbia germanica’. B. will die Ethik der alten Deutschen, die das Aequivalent der antiken Philosophie und, nach Tacitus, ‘Germania’ 19, 2,
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auch der Gesetzesgebung sei, in den Sprichwörtern aufweisen, die er – etwa 600 – ausschließlich in lat. Version bietet, bisweilen mit Parallelen aus antiken Autoren, darunter auch griech., versieht. Seine Hauptquellen sind die verbreitete anonyme Sammlung ndl. Sprichwörter mit gereimter lat. Interlinearversion D ‘Proverbia communia’ und die ‘Proverbia metrica’ des Johannes D Fabri (von Donauwörth). Drucke. VIII.1.⫺5. Ausgabe. Suringar, Ausg.
4. Historisch-politische Schriften. a) ‘Oratio ad regem Maximilianum de eius atque Germaniae laudibus’. B.s Rede vor Maximilan I. anläßlich der Dichterkrönung am 30. Mai 1501 bietet ein ganz frühes Zeugnis der kombinierten Rezeption der ‘Germania’ des Tacitus und des Ps.-Berosus des Annius von Viterbo. Mit Hilfe dieser Leitautoritäten entwindet B., historiographisch enorm belesen, den antiken Autoren die neidvoll verschwiegenen Großtaten der frühen ‘Deutschen’. B. beeinflußt damit den nationalen Diskurs nachhaltig. Drucke. IV., Bl. [a]v⫺[c5]v; X., Bl. cv⫺d ijr. – XXII.1., S. 221⫺235; XXII.3., S. 573⫺581; XXII.4., S. 95⫺104.
b) ‘Germani sunt indigene’. Dem Druck der ‘Oratio’ 1504 beigegebene Abhandlung. Der Titel nach Tac., Germ. 2, 1. Aus dem Indigenitätssatz leitet B. nationale Ruhmes- und Superioritätstitel der Deutschen ab sowie, gegen Piccolomini, die Unhaltbarkeit der Herkunftssage der Franken mit der Folge, daß die antiken Nennungen der Schwaben ein höheres Alter derselben erweisen. Drucke. IV., Bl. dv⫺ev; X., Bl. d iijv⫺e ijr. – XXII.1., S. 237⫺241; XXII.3., S. 582⫺584; XXII.4., S. 105⫺107.
c) ‘Epitome laudum Suevorum’. Zwischen 1504 und 1509. B. verteidigt die Schwaben gegen die Chronik des Jacopo da Bergamo, er analysiert die Gründe ihrer Verkennung seit der Antike. Drucke. X., Bl. [a]r⫺cv. – XXII.1., S. 287⫺ 300; XXII.2., S. 28−45; XXII.4., S. 95⫺104.
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d) ‘Cohortatio Helvetiorum ad oboedientiam imperii’. Dem kgl. Sekretär Joh. Kollauer am 2. Sept. 1507 gewidmet. An die Reichsstädte der Eidgenossenschaft gerichteter Glückwunsch zu ihrer Rückkehr in das Corpus imperii (d. h. deren Erklärung vom Mai 1507, Maximilians Romzug zu unterstützen); Polemik gegen Nikolaus D Schradin und Petermann D Etterlin. Drucke. X., Bl. [g4]r⫺h iijv. – XXII.1., S. 256⫺ 258; XXII.4., S. 105⫺107.
e) ‘De laude, antiquitate, imperio victoriisque rebusque gestis veterum Germanorum’. Verfaßt nach der Eroberung von Görz (22. April 1508) durch die Venetianer. An die ‘Oratio ad regem’ anknüpfend und seine ganze Belesenheit aufbietend, arbeitet Bebel in 20 Kapiteln einläßlich seine Auffassung vom antiken Gegenreich der ‘Deutschen’ heraus (non pro libertate, sed pro dignitate et imperio decertasse, Bl. i ijv, ähnlich [h6]r; anders J Hutten), das die Römer nicht besiegen konnten. B. lehnt jederlei Wanderherkunftserzählung ab und polemisiert gegen Etterlin. Drucke. X., Bl. [h4]r⫺m ijr. Titel nur auf dem Titelbl. – XXII.1., S. 259⫺286; XXII.3., S. 552⫺ 572; XXII.4., S. 117⫺134.
f) ‘Apologia contra Leonhartum Justinianum Venetum imperatoris nomen extenuantem’. Nach Maximilians Kaiserproklamation 1508 verfaßte, philologisch, historisch und reichsrechtlich argumentierende Verteidigung des römischen Kaisertums der Deutschen. Drucke. X., Bl. e ijv⫺g ijr. – XXII.1., S. 242⫺ 254; XXII.3., S. 586⫺594; XXII.4., S. 108⫺115. Literatur. G. W. Zapf, H. B. nach seinem Leben u. Schriften, 1802 (ND 1973); Th. Wiedemann, Dr. Johann Eck, 1865, S. 7, 456, 464, 467 f., 474 ff., 498; Bauch, Krakau, S. 44 f.; K. Vollert, Zur Gesch. d. lat. Facetiensammlungen d. XV. u. XVI. Jh.s (Palaestra 113), 1912, S. 61⫺82; G. Bebermeyer, Tübinger Dichterhumanisten. B., Frischlin, Flayder, 1927, S. 7⫺46, 103⫺106; J. Haller, Die Anfänge d. Univ. Tübingen 1477⫺1537, Bd. 1, 1927, S. 212⫺236; Bd. 2, 1929, S. 76*⫺88*; E. Stolz, Bebeliana, Theolog. Quartalschr. 113
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(1932) 320⫺385; G. Hess, “Vulgaris cantio”. Gattungsprobleme zwischen Volkssprache u. Latinität um 1500, in: I. Glier (Hg.), Werk – Typ – Situation. Fs. Hugo Kuhn, 1969, S. 346⫺370; Hess, Narrenzunft, S. 259⫺320; H. Entner, Zum Dichtungsbegriff d. dt. Humanismus, in: I. Spriewald u. a., Grundpositionen d. dt. Lit. im 16. Jh. 1972, S. 330⫺398, hier S. 365⫺368; H. Binder, H. B., in: Lebensbilder aus Schwaben u. Franken 13, 1977, S. 25⫺51; J. Ride´ , L’image du Germain dans la pense´e et la litte´rature allemandes de la rede´couverte de Tacite a` la fin du XVIe`me sie`cle, 3 Bde., Lille/Paris 1977, bes. Bd. 1, S. 407⫺424, 489⫺491 u. ö.; H. A. Oberman, Werden u. Wertung d. Reformation, 1977, 31983; E. Zeitler, Der ‘Liber conductionum’, d. älteste Anstellungsbuch d. Univ. Tübingen 1503⫺1588 (Werkschr. d. Univ.sarch.s Tübingen 1/5), 1978; L. Krapf, Germanenmythus u. Reichsideologie, 1979, S. 105⫺116; D. Mertens, “Bebelius ... patriam Sueviam ... restituit.” Der poeta laureatus zwischen Reich u. Territorium, Zs. f. württ. Landesgesch. 42 (1983) 145⫺ 173; M. Simonin, B. en France au XVIe sie`cle: le cas des Comptes du monde adventureux, The Journal of Medieval and Renaissance Studies 13 (1983) 269⫺291; W. Barner, Legitimierung d. Anstößigen: Über Poggios u. B.s Fazetien, in: Sinnlichkeit in Bild u. Klang. Fs. f. P. Hoffmann, 1987, S. 101⫺137; K. Graf, H. B., in: St. F¸ssel (Hg.), Dt. Dichter d. frühen Neuzeit (1450⫺1600), 1993, S. 281⫺295; ders., H. B. (1472⫺1518), in: P. G. Schmidt (Hg.), Humanismus im dt. Südwesten, 1993, 22000, S. 179⫺194; D. Mertens, B.s Einstand, in: W. Schmierer (Hg.), Aus südwestdt. Gesch. Fs. f. H.-M. Maurer, 1994, S. 307⫺324; I. Simon, Über einige Sprichwortslg.en d. 15. u. 16. Jh.s, Nd. Wort 39 (1999) 429⫺452, bes. S. 441⫺ 446; W. Ludwig, Graf Eberhard im Bart, Reuchlin, B. u. Joh. Casselius, Zs. f. württ. Landesgesch. 54 (1995) 33⫺60; A. Schirrmeister, Nationale Autou. Heterostereotypen um 1500. Frankreich u. Deutschland in d. Schriften H. B.s, Recherches Germaniques 15 (1995) 13⫺41; K. Schlager / Th. Wohnhaas, Eine Offizien-Ausg. v. 1512. Einsichten in einen Ratdolt-Druck mit einer Hieronymusu. einer Anna-Historia, Jb. d. Ver.s f. Augsburger Bistumsgesch. 29 (1995) 292⫺316; C. J. Classen, Zu H. B.s Leben u. Schr. (GGN 1997,1), 1997 [zit. Classen, 1997a]; ders., B. (H.) (1473⫺1518), in: C. Nativel (Hg.), Centuriae Latinae, Gene`ve 1997, S. 91⫺96; D. Mertens, Der humanistische Rhetoriker H. B. (1472⫺1518), in: J. Knape (Hg.), 500 Jahre Tübinger Rhetorik, 30 Jahre Rhetorisches Seminar. Kat., 1997, S. 16⫺19; H. Binder, Eine dt. Reimchronik d. Schwabenkriegs von 1499, Schr. d. Ver. f. Gesch. d. Bodensees u. seiner Umgebung 117 (1999) 63⫺98; V. Honemann, H. B. u. seine ‘Fazetien’, in: ders. / T. Tomasek (Hgg.), Ger-
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Beckmannn, Otto
manistische Mediävistik, 22000, S. 255⫺276.; W. Barner, Über d. Witzfähigkeit der Deutschen. H. B.s lat. Import aus Italien, in: U.-Ch. Sander / F. Paul (Hgg.), Muster u. Funkionen kultureller Selbst- u. Fremdwahrnehmung, 2000, S. 303⫺318; W. Ludwig, Der Humanist O. Gratius, H. B. u. d. Stil d. Dunkelmännerbriefe, in: G. Huber-Rebenich / W. Ludwig (Hgg.), Humanismus in Erfurt, 2002, S. 131⫺160; A. Schirrmeister, Triumph d. Dichters. Gekrönte Intellektuelle im 16. Jh., 2003.
Dieter Mertens
Beckmannn, Otto A . L eb en . Als Sohn des Warburger Ratsherren Anton B. wurde Otto wohl nicht nach 1484 geboren. Er immatrikulierte sich im SS 1500 in Leipzig, erwarb hier im WS 1501/ 2 das Bakkalaureat und schloß sich dem häufig erwähnten Hermann J Buschius an. Am 18. Okt. 1507 wurde er als Inhaber eines noch 1523 (s. B.4.c) erwähnten Vikariats in der Diöz. Halberstadt in Wittenberg rezipiert. Am 21. Febr. 1508 erwarb er dort das Magisterium und wandte sich dem juristischen Studium zu. Zwischen dem SS 1509 und SS 1510 erreichte B. mit der Lektur für Grammatik eine dauerhafte Stellung. Im WS 1513/14 versah er das Dekanat der Artistenfakultät. Zwischen 1508 und 1511 sind Beziehungen zum Dichterkreis um Richardus J Sbrulius erkennbar, ab 1509 entwickelte sich eine enge und dauernde Freundschaft mit Christoph J Scheurl. Dieser widmete B. und Andreas Karlstadt seine im Sept. 1510 erschienene Ausgabe des ‘Carmen de fortuna’ des Baptista Mantuanus. Scheurl richtete zwischen 1512 und 1536 mindestens 49 Briefe an B. und pries ihn mehrfach als besten Freund und Bruder. Im Juli 1512 versuchte er vergeblich, B. als Ratssyndikus nach Nürnberg zu ziehen; im folgenden Jahr riet er zum Rechtsstudium in Bologna. In späteren Lebensjahren verband beide eine distanzierte Haltung zu Luthers Reformation. Weitere Beziehungen zu Humanisten sind fragmentarisch belegt. Joseph Horlenius publizierte um 1512 einen Brief an B. (Krafft/Crecelius, S. 25), Georg J Spalatin suchte im Dez. 1513 auf B.s Empfehlung die Bekanntschaft des Johannes J Murmellius (ebd., S. 50 f.), Konrad Kluppel wandte sich 1515 brieflich an B. (vgl. Honselmann, 1964, S. 246 f.).
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Ferner bestanden Kontakte zu J Cuspinian und Johannes Hornburg.
B. wurde am 11. April 1514 auf ein Kanonikat am Wittenberger Allerheiligenstift nominiert und empfing vor Jahresfrist die Priesterweihe. Im Sept. 1517 übernahm er die seit 1515 vakante Syndikatur des Stifts. Noch vor dem 30. Sept. wurde er zum Lizenziaten beider Rechte promoviert. Als Syndikus war er zur Vorlesung über die ‘Institutiones Iustiniani’ verpflichtet. Im selben Monat wurde er anläßlich eines Besuchs in Erfurt ehrenhalber gratis immatrikuliert. Zwischen 1517 und 1521 gehörte B. zum engeren Kreis um Luther. Auf B.s Drängen widmete dieser seine drei 1519 gedruckten Sakramentssermone der Hzg.in Margarethe von BraunschweigLüneburg. In den Briefen, die Luther 1518 aus Augsburg und Nürnberg sowie 1521 aus Worms nach Wittenberg sandte, ist B. als Mitadressat genannt oder erschließbar. Von B.s Ansehen in Wittenberg zeugen ferner Melanchthons Widmungsbrief vom 18. Aug. 1518 zur Ausgabe seiner Wittenberger Antrittsrede (Melanchthon-Br., Nr. 31) und die Widmung der ‘Confutatio adversus defunctam epistolam Ioannis Eckii’ (VD 16, B 6133) durch Karlstadt vom 5. Febr. 1520.
Die Wittenberger Unruhen von 1521/22 führten zu einer bleibenden Entfremdung B.s von der reformatorischen Bewegung. In der Fastenzeit 1523 verließ er Wittenberg und ging nach Warburg. Dort wurde vor dem 4. Febr. 1524 Pfarrer an St. Johann Baptist. Unter Beibehaltung seiner Pfarrei wurde er 1530 Propst am Benediktinerinnenkloster St. Aegidii in Münster. 1534 wird er Münster verlassen haben. Er verlor in den Wirren der Täuferherrschaft den größten Teil seiner Bücher (vgl. Scheurl-Br., Bd. 2, S. 175). Von den Bischöfen von Paderborn und Münster wurde er mehrfach zu herausgehobenen Aufgaben verwendet. Nach Hamelmanns Bericht disputierte B. 1528 in Osnabrück erfolgreich mit Gerhard Hecker und Johann Missing (Stratenwerth). Als Vertreter Münsters nahm B. 1530 am Reichstag zu Augsburg und 1536 an der Kölner Provinzialsynode teil. Er starb am 4. Mai 1540 in Warburg (Honselmann, 1967).
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Beckmannn, Otto
B . Wer k. Mit Reden und Gedichten ist B. zwischen 1504 und 1515 hervorgetreten, selbständige Veröffentlichungen zu humanistischen Themen erscheinen allein 1509 und 1510. Bis auf vier dt. Briefe hat B. ausschließlich in lat. Sprache geschrieben. Ausgeprägt ist sein Interesse an germanischer und deutscher Geschichte. Seinen Schriften eignet durchgängig ein irenischer Charakter. In den Wittenberger Jahren ist er auf Ausgleich mit den scholastischen Autoritäten bedacht; nach dem Fortgang von Wittenberg vermeidet er trotz klarem Bekenntnis zur katholischen Kirche die polemische Konfrontation. In seinen pastoralen Schriften erweist er sich als Erasmianer und Vorläufer der katholischen Reform. 1. G ed ic ht e. a) ‘Panegyricus in praeconium Erici electi Paderbornensis’. Lobgedicht (261 Hex.) auf den am 6. Sept. 1508 zum Bischof von Osnabrück und am 17. Nov. 1508 zum Administrator von Paderborn postulierten Hzg. Erich von Braunschweig-Grubenhagen. Es beschreibt nach einem Traumeingang die welfischen Vorfahren Erichs, seine Tugenden sowie Geschichte und Vorzüge der westfälischen Bistümer. Widmungsgedichte steuern u. a. Hermann Tulichius, Andreas J Krapp und Kaspar Steinbeck, Orator des Eb.s Ernst von Magdeburg, bei. Eine auf der Titelseite annoncierte Sammlung von B. Erich gewidmeten Epigrammata Contubernii Poetarum Vittenburgensium wird einem separaten Druck vorbehalten, ist aber nie erschienen. Druck. Panegyricus Othonis Beckman Vuartbergii | […] in preconium […] Erici [...] Electi Paderbornensis [...]. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, 1509. VD 16, B 1407. b) Gelegenheitsgedichte. Aus B.s Leipziger Zeit ist allein ein in Buschius’ ‘Epigrammaton liber tercius’ (1504) gedrucktes Carmen (12 Dist.; bei Detmer/Hosius/Lˆffler, S. 557 f.) bekannt. In Wittenberg trat B. häufiger mit poetischen Beiträgen hervor. Die Gedichtsammlung des Mediziners Dietrich Bloch (Wolfenbüttel, HAB, 58.6 Cod.Aug.fol.) enthält ein nach 1508 verfaßtes Epitaph auf D Johannes Teutonicus
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(87r⫺v), ein carmen extemporale über die Freundschaft Blochs mit Buschius (90r⫺v; z. T. bei Bauch, Erfurt, S. 74 Anm. 5) und eine Empfehlung des Sbrulius an den Universitätsrektor (93r). Weitere Beiträge B.s finden sich in sechs Drucken d. J. 1508 bis 1510, u. a. in Scheurls Lobrede auf die Wittenberger Stiftskirche (bei Bauch, 1894), in J Sbrulius’ ‘Cleomachia’ sowie in Werken Krapps (bei Detmer/Hosius/Lˆffler, S. 91), Andreas J Meinhardis, Georg J Sibutus’ sowie Kilian J Reuters.
2 . A ka de mi sc he Re de n. a) ‘Oratio in laudem philosophiae ac humaniorum litterarum’. Akademische Festrede zur Bakkalaureatspromotion im WS 1509/10, die sich ermutigend auf die seit der Gründung schrittweise vertiefte Verankerung der Rhetorik und Poesie in der Wittenberger Artistenfakultät und ihre Koexistenz mit dem scholastischen Lehrbetrieb bezieht. Zwar bleibt Aristoteles der wichtigste Philosoph, doch wird die Herrschaft der Dialektik eingeschränkt zugunsten von Rhetorik und Poesie, die allein die Litterae humaniores vertreten. B. betont die Bedeutung der Eloquentia – omnium studiorum matrem et orbis moderatricem ([a5]r) – für den Staat. Die Dichtung wird nach Leipziger Modellen (J Lupinus, J Barinus) neuplatonisch durch Definitionen des Furor poeticus bestimmt und durch Verse des Baptista Mantuanus, Ovid und Buschius exemplizifiert. Eine Tradition der Poesie in Deutschland sollen Hinweise auf D Hrotsvit sowie die Zeitgenossen Sibutus, Sbrulius, Fridianus Pighinutius u. a. erweisen. In einer Apostrophe preist B. die Verdienste seiner Landsleute Rudolf von J Langen, Buschius und Murmellius um die Studien in Deutschland. Druck. Oratio Othonis Beckman [...] in laudem | philosophiae ac humaniorum litterarum [...]. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, 1510. VD 16, B 1404. Auszüge bei Detmer/Hosius/Lˆffler, S. 565 f.
b) ‘Oratio in laudes sanctissimae Parthenices Catharinae’. Akademische Festrede vom 24. Nov. 1510 zu Ehren der hl. Katharina als Patronin der Artistenfakultät. Die Henning
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Beckmannn, Otto
Göde und zwei aus Warburg stammenden Prälaten gewidmete Oratio gilt unter Verweis auf die Vorgänger (Reuter und Bartholomaeus J Sthenus) dem Preis der Tugenden der Heiligen. Im Zentrum steht das Lob ihrer eloquentia divina (Br). Neben Versen Martials, Catulls, Ovids und Vergils zitiert B. die ‘Parthenice secunda’ des Baptista Mantuanus ausführlich. Ihr sind auch B.s eigene, in die Rede eingeflochtene Verse (A iiir; b iiv) verpflichtet. B. beschließt nach einem Ausblick auf die Tradition der Studien in Deutschland die Oratio mit einem Aufruf an die Studenten, in Katharinas Nachfolge der respublica christiana ([B4]r) zu dienen. Drucke. Oracio magistri Othonis | Beckman [...] in laudes sanctissime Parthenices | Catharine [...]. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, 1510. VD 16, B 1405. ⫺ Sermo [...] in laudes sanctissimae Parthenices Ca⫽|tharinae [...]. Ebd., 1515. VD 16, B 1406.
3 . P as to ra le Sc hr if te n. a) ‘Precatio Dominica’. Lat. Paraphrase des Herrengebets. Widmungsempfänger beider Ausgaben ist B. Erich von Paderborn, die erste widmet B. zusätzlich seiner neuen Warburger Gemeinde. Während er im Widmungsbrief vom 6. Febr. 1525 die Bilder und Altäre zerstörende turba pseudoprophetarum ([A]v) scharf tadelt, distanziert er sich in der 2. Ausg. an gleicher Stelle vom polemischen Titelzusatz, der dem Erstdruck gegen seinen Willen hinzugefügt wurde. Die sieben Bitten werden in je zwei bis vier Umschreibungen ausgelegt. Diese Wiederholungen fallen in der 2. Ausg. fort, sie bringt jedoch zusätzlich sechs kleinere Gebete zu liturgischen und pastoralen Anlässen, denen Gebete von Kirchenvätern beigegeben sind. Ferner fügt B. eine Paraphrase des apostolischen Glaubensbekenntnisses an, die mit separatem Widmungsbrief an den zehnjährigen Hzg. Ernst v. Braunschweig-Grubenhagen versehen ist. Bereits im Titel ist die Anlehnung an J Erasmus’ gleichnamige, zuerst 1523 erschienene Paraphrase des Vaterunsers ersichtlich.
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Drucke. 1. Precatio | Dominica, contra impi-| os et seditiosos Lutheranorum errores, | [...]. Köln: Peter Quentell, 1525. VD 16, B 1409. 2. Precatio Domi⫽|nica, oraculo servatoris | nostri nobis […] tradita: [...] Symbolum apo⫽|stolicum compendium | fidei Catholicae | [...]. Ebd., 1528. VD 16, B 1410. Ausgabe der Widmungsbriefe v. J. 1525. Legge, S. 154⫺159.
b) Kalandsstatuten. Ein zweites Zeugnis für B.s pastorale Tätigkeit in Warburg bildet die 1526 abgeschlossene Neufassung der Statuten der 1525 auf seinen Wunsch hin an die Pfarrei transferierten Kalandsbruderschaft (Warburg, Pfarrarch. St. Johann Baptist, H 3). Eine ausführliche Einleitung nennt aktuelle Häresien, Spaltungen und Aufstände als Anstoß für die Neufassung, die in 17 Kap. eingeteilten Statuten enthalten neben institutionellen Regelungen zur Dekanswahl und zum Ablauf von Gottesdiensten und Mählern auch detaillierte Vorschriften zur Lebensführung der Mitglieder (Mitt. v. K. Kuchenbuch, Warburg; Ausg. in Vorbereitung). 4. Briefe. In krassem Gegensatz zur Zahl der Briefe Scheurls an B. steht die der erhaltenen eigenen Briefe. Im Einzelnen sind erhalten a) ein Brief an Spalatin vom 24. Febr. 1519, b) der Widmungsbrief eines Otho Germanus zur Erstausgabe von Luthers im Sept. 1519 gedruckten Vorlesungen zum Galaterbrief, c) drei Briefe an Kf. Friedrich von Sachsen, die B. während der im Herbst 1521 auftretenden Wittenberger Unruhen mit der Mehrheit der Stiftskanoniker unterzeichnet (M¸ller, Nr. 25, 50, 51), ein weiterer, als dessen Mitverfasser er erschließbar ist (ebd., Nr. 61), sowie ein allein von B. als Mitglied des Universitätssenats verfaßtes Gutachten, in dem biblisch und kirchengeschichtlich die Legitimität der hergebrachten Messe, von Klöstern und Stiften begründet wird; ferner ein Schreiben vom 25. Jan. 1523, in dem sich B. über ausbleibende Zahlungen eines Vikars beschwert (Weimar, Hauptstaatsarchiv, Reg. O 248, 2r⫺v, 10r⫺v), d) zwei während des Reichstags zu Augsburg verfaßte Briefe an Melanchthon vom 4. und 5. Sept. 1530 (s. Honselmann, 1965). Ausgaben. a) Th. Kolde, Analecta Lutherana, 1883, S. 6 f.; b) D. Martin Luthers Werke. Krit. Gesammtausg. Schr., Bd. 2, 1884, S. 443⫺445; c) Melanchthon-Br., Nr. 187; d) C. G. Bretschneider,
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Beissel, Jodokus
Philippi Melanthonis Opera [...] (Corpus reformatorum), Bd. 2, Halle 1830 (ND 1990), Sp. 341⫺ 344, Nr. 886 f.; vgl. Melanchthon-Br., Regesten, Bd. 1, S. 438⫺440. 5. Herausgeber. a) Johannes Sulpitius Verulanus, Grammatica sul⫽|picij. | Posterior edicio Sulpiciana in tres | partes diuisa […]. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1511. VD 16, S 10149. Zu Beginn des WS 1511/12 besorgte B. eine Edition der Scheurls ‘Rotulus’ zufolge in Wittenberg bereits im SS 1507 gebräuchlichen Grammatik. Ein Dekastichon auf der Titelseite preist die mit der Ablösung des D Alexander de Villa Dei [NB] verbundene Blüte der Studien in Deutschland. b) Martin J Polich, Martin Polichij Mellersta| dij exquisita Cursus Physici. collectanea. | [...]. Leipzig: Melch. Lotter d. Ä., 1514. VD 16, ZV 12664. In einem Widmungsgedicht auf der Titelseite und dem vom 30. April 1514 datierenden Widmungsbrief verteidigt B. den in Quästionen abgefaßten Kommentar gegen die humanistischen Verächter der scholastischen Form (Bauch, 1895, S. 326 f.). c) Baptisati Cuiusdam Iudei Jo-|annis Pepercorni Hallis oppido […] historia: […]. [Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, nach 8. Okt. 1515]. VD 16, H 6302. Im Widmungsbrief (bei Detmer/ Hosius/Lˆffler, S. 561) bezeichnet B. die sonst mit Ulrich von J Hutten in Verbindung gebrachte ‘Historia’ als eine von Buschius angefertigte Übersetzung e vulgari nostro. 6. Verlorenes. Als verloren haben B.s die Täuferherrschaft von 1534/5 behandelnden Commentarii Monasterienses, zu deren Druck ihn Scheurl am 23. Dez. 1536 (Scheurl-Br., Bd. 2, S. 176) ermuntert, zu gelten. Ein vom Wolfenbütteler Anonymus (1514) erwähnter Panegyricus ad Episcopum Bremensem Christophorum sowie ein Epigrammatum liber (Wolfenbütteler Anonymus, S. 81) sind ebenfalls nicht mehr bekannt. Literatur. Wolfenbütteler Anonymus, S. 80 f.; G. J. Rosenkranz, Paderbornsche Gelehrte aus d. Reformations-Zeitalter, Zs. f. vaterländ. Gesch. u. Alterthumskunde Westfalens 16 (1855) 1⫺37, bes. S. 31⫺37; Krafft/Crecelius, Beitr., S. 25, 50 f., 54; G. Bauch, Zur Cranachforsch., Repertorium f. Kunstwiss. 17 (1894) 421⫺435, bes. S. 423; ders., Wittenberg u. d. Scholastik, NA f. sächs. Gesch. 18 (1897) 285⫺339, bes. S. 308⫺312, 326⫺328, 333; ders., Zu Chr. Scheurls Briefbuch, Neue Mitt. aus d. Gebiet hist.-antiquar. Forsch. 19 (1898) 400⫺ 456; ders., Zu Luthers Briefwechsel, Zs. f. Kirchengesch. 18 (1898) 391⫺412, hier S. 393⫺395; H. Detmer / K. Hosius / K. Lˆffler (Hg.), Herm.
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Hamelmanns Geschichtl. Werke, Bd. 1, 1908, S. 419⫺421, 557⫺561 u. 565 f.; Bd. 2, 1913, S. 2⫺ 22, 431 f. u. ö.; N. M¸ller, Die Wittenberger Bewegung 1521 u. 1522, 21911, S. 224⫺237; W. Friedensburg, Gesch. d. Univ. Wittenberg, 1921, S. 72 f.; ders., Ukb. d. Univ. Wittenberg, 1926, Bd. 1, S. 59, 74, 76, 78, 94; Th. Legge, Flug- u. Streitschr. d. Reformationszeit in Westfalen (1523⫺83) (Reformationsgesch. Stud. u. Texte 58/59), 1933, S. 2, 45⫺47, 154⫺159; F. B¸nger / G. Wentz, Das Bistum Brandenburg (Germania Sacra 1/3), 1941, Bd. 2, S. 135 f.; G. Pfeilschifter (Hg.), Acta reformationis catholicae ecclesiam Germaniae concernentia [...], Bd. 2, 1960, Nr. 69; K. Honselmann, O. B. u. sein Sammelbd. v. Reformationsschr., Westf. Zs. 114 (1964), 243⫺268; ders., O. B.s Vermittlungsversuch beim Reichstag zu Augsburg 1530, in: E. Iserloh / K. Repgen (Hg.), Reformata reformanda. Fg. f. H. Jedin, 1965, Bd. 1, S. 428⫺444; ders., Der Todestag O. B.s, Westf. Zs. 117 (1967) 355 f.; W. Kohl, Urkundenregesten u. Einkünftereg. d. Aegidii-Klosters (QF z. Gesch. d. Stadt Münster NF 3), 1966, S. 154, Nr. 424; W. Maurer, Der junge Melanchthon zwischen Humanismus u. Reformation, Bd. 2, 1969, S. 18⫺25; H. Stratenwerth, Die Reformation in d. Stadt Osnabrück, 1971, S. 53⫺55; Grossmann, Wittenberg, S. 70⫺73; U. Stock, Die Bedeutung d. Sakramente in Luthers Sermonen v. 1519, Leiden 1982, S. 78⫺ 86; I. Hˆss, Georg Spalatin 1484⫺1545, 21989, S. 64, 88 f., 102, 152; W. Kohl, Münster – [...] St. Aegidii, in: K. Hengst (Hg.), Westf. Klosterbuch, Bd. 2, 1994, S. 61⫺67, bes. S. 67; J. Grave, in: BBKL 17, 2000, Sp. 94⫺96; H. Kathe, Die Wittenberger philos. Fakultät 1502⫺1817 (Mitteldt. Forsch. 117), 2002, S. 42⫺44.
J. Klaus Kipf
Beissel (Bessel, Bess-, Beys-, Beysselius), Jodokus (Judocus, Jost) I . L eb en . Der Sohn des Aachener Bürgermeisters Johann B. studierte seit 1465 die Artes in Löwen; im SS 1471 immatrikulierte er sich als Maastrichter Kanoniker und Baccalaureus legis in Köln. In Löwen wurde er 1474 Licentiatus legis und 1476 Licentiatus decretorum. Er gehörte seit Febr. 1474 dem Rat der Universität an. Sein Widmungsschreiben an Arnold Bostius (s. u. II.A.1.) weist ihn im Okt. 1485 erstmals als Geheimen Rat des österreichischen Erzhzg.s und späteren Kg.s Maximilian I. aus. Ein Pro-
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Beissel, Jodokus
zeß gegen den Aachener und Lütticher Domherrn Johannes Pail, der B. sowohl in eigener Sache sowie als Vertreter der Stadt Aachen ⫺ für die er als Jurist tätig war ⫺ betraf, beschäftigte ihn ab 1494. Die Angelegenheit führte ihn in diesem Jahr an den brabantischen Hof zu Antwerpen, 1495/96 nach Brüssel und 1496 schließlich nach Rom. Vorübergehend wurde B. sogar durch die Gegenpartei inhaftiert. Wie das Geburtsdatum ist auch der genaue Todestag des 1514 verstorbenen B. unbekannt und kann nur annähernd aus der Belehnung seiner Witwe Katharina Spieß mit dem Bockenhof (Pryshof) bei Eupen am 17. Juni 1514 (s. Coels, S. 514) erschlossen werden. B.s Widmungsschreiben, sein Briefwechsel, ihm zugeeignete Werke (s. u. II.B.3.) sowie die von ihm verfaßten Epitaphien legen Zeugnis ab von Kontakten zu bedeutenden Gelehrten seiner Zeit. Rudolf D Agricola, den er 1481 am burgundischen Hof in Brüssel traf und mit dem er 1482 in Antwerpen freundschaftlich zusammen war, widmete ihm ein erstmals 1483 gedrucktes Gedicht. Johannes J Trithemius bezeichnet in einem Brief vom 26. Aug. 1497 (s. u. II.B.3.) Rutger J Sycamber und Jakob Kymolanus als gemeinsame Freunde. Möglicherweise ist B. identisch mit dem von J Erasmus zweimal (Op. epist., Nr. 129 u. 135) erwähnten Jodocus. I I. We rk . A. Herausgeber. 1. Johannes Beets (Beetz), ‘Commentum super decem praeceptis decalogi’. In dem sehr umfänglichen Kommentar erfährt jedes der zehn Gebote eine Auslegung in mehreren Kapiteln, die Einzelfälle von Verstößen darlegen. Dem Kommentar vorangestellt ist ein alphabetisch geordneter Sündenkatalog, der das Werk zu einem leicht benutzbaren praktisch-theol. Handbuch macht. Nach dem Widmungsschreiben an Arnold Bostius (Gent, Okt. [1485]) benutzte B. als Vorlage jenes Exemplar, das er einst von ihm erhalten hatte. Der Ausgabe voran geht das Kapitel über Beets aus dem ‘Liber de viris ill. sacri ord. virginee dei genetricis Marie de monte Carmelo’ (nicht identisch mit dem Abschnitt zu Beets in Arnold Bostius’ ‘De viris ill. ord. fratrum b. virginis Marie de monte Carmelo’).
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Druck. Ohne Titel, Kolophon (Bl. [279]rb): Commentum [...] super decem preceptis decalogi [...]. Löwen: Aegidius v. d. Heerstraten, 19. April 1486. GW 3762. Ein Nachdruck: Straßburg, 1489. GW 3763. 2. Johannes de Hoveden (Houden), ohne Titel, Bl. a ijr: Carmen rithmicum de passione domini deuo|tissimi doctissimique viri Johan|nis houden anglici […]. [Löwen: Aegidius v. d. Heerstraten oder Matth. v. d. Goes, 8. Juni 1486 bis 1488]. Cop. 3179. Editio princeps der ‘Philomena’ des Johannes de Hoveden († 1271 oder 1275); vgl. Goldschmidt.
3. Im Anschluß an seine 1494 hg. Rosarien (s. u. II.B.1.c) ließ B. Werke anderer Autoren drucken: Sebastian J Brants ‘Rosarium ex floribus vite passionisque Jhesu Christi’, Agricolas ‘De sanctissima Anna mater’ und Ermolao Barbaros d. J. ‘Versus in sepulchrum Rodolphi agricole Gruningensis’.
B . L at ei ni sc he Sc hr if te n. 1. Erbauungsschriften. a) ‘De christiano ambitu’. Eine Prosaabhandlung über den Erwerb des Himmelreiches. In seinem Widmungsschreiben an Adam Jordan (Aachen, o. D.) legt B. dar, daß es sich um eine christliche Umkehrung von Ciceros ‘De petitione consulatus’ handelt, die statt der Bewerbung um ein hohes weltliches Amt den Weg zum ewigen Heil aufzeigt (Goldschmidt). Druck. Joh. de Hoveden (wie II.A.2.), Bl. 115v⫺132v.
b) ‘Epitome stimuli amoris’. Epitome des D ‘Stimulus amoris’. Mit Widmungsschreiben an Arnold Bostius (Gent, 1. Jan. o. J.) und einem Epigramm B.s auf die im SpätMA reich überlieferte Andachtsschrift. Der ‘Epitome’ B.s war bereits ein Druck der Erbauungsschrift vorausgegangen (Brüssel, 1481⫺1484. GW 4820), dem rasch weitere folgten (s. Eisermann, S. 623 f.). Druck. Joh. de Hoveden (wie II.A.2.), Bl. 133r⫺143v. Abschrift: Brüssel, Bibl. Royale, Ms. 11769⫺74, Bl. 80r⫺91r, 1. Viertel 16. Jh.
c) Rosarien. Mit den Termini rosacea und coronamentum reiht Beissel drei Rosarien-Dichtungen in eine im SpätMA aufblühende Sonderform des Rosenkranzes ein. Das Annen-Rosarium schickte B. am 13. April
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Beissel, Jodokus
1494 an Trithemius als Beigabe zu dessen Dichtung ‘De laudibus ss. matris Annae’. Eine Kopie ging auch an Bostius, der seine Freunde zu einem poetischen Wettstreit zu Ehren der Hll. Anna und Joachim gegen Vincenzo Bandello aufgerufen hatte. Es besteht aus 50 zweizeiligen Strophen mit Szenen aus dem Leben der hl. Anna. Die Gebetsanleitung sieht ferner zu Beginn und vor jeder 10. Strophe ein Vaterunser und ein aue magna mater Anna vor. Abgeschlossen wird das Rosarium durch eine kurze Oratio post rosarium dicenda sowie ein Gedicht B.s (7 Dist.). B. bietet hier eine der frühesten Verehrungen der Familie der hl. Anna in Form eines Rosenkranzes. Die Dichtung fand 1502 als Beigabe zu jener lat. Annenlegende, die Jodocus Badius Ascensius nach der volkssprachlichen Version des Petrus Dorlandus fertigte, Eingang in die ‘Vita Christi’ D Ludolfs von Sachsen. In einem eigenständigen Druck (GW 4194) stellt B. zwei in Distichen gefaßte Rosarien an Maria und das Altarsakrament neben anderen Werken (s. II.A.2.; B.2.) zusammen; wenig später (GW 4195) finden sich die Gebete an Anna, Maria und die Eucharistie zu einem dreiteiligen Zyklus zusammengefügt, der mit drei Quinquagenen die charakteristische Zahl von Einheiten für einen Psalter aufweist. Das Marien-Rosarium ist eingebettet in ein Widmungsschreiben an den Mönch Dominikus van Gelre ([a2]r⫺[b2]v u. [b5]v⫺[c2]r), das auf Wunsch des Adressaten die Geschichte des Rosenkranzes in Form einer Reihung von Wundererzählungen darlegt. Der Dichtung unmittelbar voraus geht ein Prolog B.s (7 Dist.). Das Rosaceum selbst besteht aus 50 zweizeiligen Strophen mit Betrachtungspunkten, die jeweils an die Worte Jesus Christus des Ave Maria angeschlossen werden. Am Schluß des Rosariums ein Preisgedicht B.s (3 Dist.). Der nach Abschluß der Vorrede an Dominikus angefügte Prosatext De corone Rosacee misteriis ([c2]r⫺[e2]v) dient der Erklärung und Belehrung und ist, wie dem Explicit zu entnehmen ist, ebenso wie das Vorwort integraler Bestandteil des Marien-Rosariums.
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Das Eucharistie-Rosarium besteht aus 50 zweizeiligen Strophen; jeder Vers wird eingeleitet mit der Apostrophe pane sub hoc modico. Abgeschlossen wird das Rosarium durch eine Oratio post predictum rosaceum dicenda, die der römischen Liturgie (zur Aussetzung, nach dem Tantum ergo) entnommen ist. Der Rubrik der 2. Redaktion (GW 4195) ist eine Zueignung an den Kartäuser Petrus Dorlandus zu entnehmen. Drucke. Erstdruck des Annen-Rosenkranzes: De laudibus sanctissime | matris anne tractatus per⫽|quam vtilis domini ioannis | tritemij [...]. Mainz: Peter Friedberg, 21. Juli 1494, Bl. Cv. Hain *15632. Die weiteren Drucke bei Arnold, S. 239. Abdruck auch in: Vita Jesu Christi [...] collecta per Ludolphum de Saxonia [...] per Jodocum Badium Ascensium annotata [...]. Paris: Ulr. Gering u. Berth. Remboldt, 1502, Bl. K vjv. – Erstdruck der übrigen Rosenkränze: Rosacea augustissime cri| stifere Marie corona. Antwerpen: Govert Back, [um 1495]. GW 4194. – Die drei Rosenkranztexte werden zusammengeführt in: Tria rosacea coronamenta | pulcherrima atque deuotis|sima. anne Marie Jesu [...]. Antwerpen: Govert Bac, 16. Jan. 1495, Bl. [a2]r⫺a3v. GW 4195. – Unter den zahlreichen Abschriften befindet sich eine von der Hand Adam J Werners v. Themar: Karlsruhe, Generallandesarch., Ms. 65/723, 15./16. Jh., Bl. 86v⫺89r, Heidelberg. Ausgaben. Das Annen-Rosarium: C. Frantz, Versuch einer Gesch. d. Marien- u. Annenkultes, 1854, S. 176. Das Marien-Rosarium jeweils ohne die Widmung an Dominikus van Gelre: Esser, S. 199⫺203; J. H. Sch¸tz, Die Gesch. d. Rosenkranzes. Unter Berücksichtigung d. Rosenkranzgeheimnisse u. d. Marienlitaneien, 1909, S. 127 f. Das ‘De corone rosacee misteriis’ ist nicht ediert.
2. Gedichte. Der Druck der ‘Rosacea corona’ (s. o. II.B.1.c) enthält 18 kleine Gedichte B.s (1⫺ 11 Dist.). Thematisiert wird Religiöses wie das hl. Kreuz, Christus und die beiden Schächer oder marianische Antiphonen (‘Salve Regina’, ‘Regina coeli’). Zeitklagen, darunter eine Bitte an Karl d. Gr. um Beistand, haben ihren Platz wie auch die Kardinaltugend Geduld oder die warmen Quellen zu Aachen. Den Abschluß bilden Epitaphien auf Robert van den Poel (de Lacu), Professor für Kirchenrecht in Löwen, den Brügger Propst Anthonius D Haneron und den Komponisten Jacques Bar-
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Bernhaubt, Pangratz, gen. Schwenter
bireau. Dem Abdruck von Brants ‘Rosarium’ (II.A.2.) stellte B. eine ‘Elegiaca exhortatio in Rosarium intemerate virginis Marie’ (16 Dist.) voran. Ausgabe der ‘Elegiaca exhortatio’: J. H. Sch¸tz, Summa Mariana. Allgemeines Hdb. d. Marienverehrung f. Priester, Theologie-Studierende u. gebildete Laien, Bd. 2, 1914, S. 273.
3 . Briefe. a) Prozeßberichte. Der Prozeß gegen Johannes Pail (s. o. I.) ist durch einen umfänglichen Bestand im Stadtarch. Aachen gut dokumentiert (RA I, XVI, Nr. 1⫺136), darunter auch zahlreiche eigenhändige Schreiben von und an B. (z. B. Nr. 10, 20, 59 f., 64, 66, 69, 77, 103, 105⫺120, 122). b) Sonstige Korrespondenz. Trithemius erwähnt ‘unzählige Briefe’ (Cat., S. 177), die B. sowohl an ihn wie an andere geschrieben habe; sofern sich dahinter nicht die Prozeßberichte verbergen, ist davon nur wenig erhalten. Von B. liegt nur ein Brief an Julianus Carbonius v. J. 1500 vor (Paris, Bibl. Mazarine, ms. 1565, 450r, 16. Jh.). Briefe an B. sind etwas häufiger überliefert: Von Matthäus Herbenus (Sponheim, 14. Aug. 1495; Trithemius, Cat. S. 121), von Ermolao Barbaro d. J. (Venedig 1496; V. Branca [Hg.], Ermolao Barbaro, Epistolae, Orationes et Carmina, Bd. 1, Florenz 1943, S. 97 f.), von Hieronymus de Busleyden zwei Widmungsbriefe (1504 und 1505; de Vocht, S. 303⫺305, 318⫺ 320), von Trithemius Briefe von 1505 und 1507 (Opera historica, hg. v. M. Freher, Frankfurt 1601, Bd. 2, S. 448⫺450 u. 560 f.). C. Deperdita. Trithemius, der B. als einen der Gelehrtesten seiner Zeit preist, führt in seinem ‘Catalogus illustrium virorum’ weitere Werke B.s auf, die weder gedruckt noch hsl. nachweisbar sind und als verloren gelten müssen: Dialogus ad Hermolaum Barbarum de optimo genere musicorum, Gesta Flandrorum, Ad Carolum virulum de seditione Gandavensi, Orationes elegantissimae (Trithemius, Cat., S. 177). Literatur. J. Hartzheim, Bibliotheca Coloniensis [...], Köln 1747, S. 210; Jˆcher, Gel.-Lex., Bd. 1, 1750, Sp. 913 f.; Ch. Quix, Beitr. z. Beschreibung d. Kreises Eupen [...], Aachen 1837,
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S. 79 f.; Haagen, in: ADB 2, 1875, S. 294 f.; Th. Esser, Über d. allmähliche Einführung d. jetzt beim Rosenkranz üblichen Betrachtungspunkte, Der Katholik, 3. Folge, 30 (1904) 346⫺360, 409⫺ 422, 515⫺528, hier S. 196, 199⫺203, 360 f.; H. Savelsberg, Aachener Gelehrte, 1906, Nr. 18; St. Beissel, Gesch. d. Verehrung Marias in Dtld. während d. MAs. Ein Beitr. z. Religionswiss. u. Kunstgesch., 1909, S. 521 f.; ders., Gesch. d. Verehrung Marias im 16. u. 17. Jh. Ein Beitr. z. Religionswiss. u. Kunstgesch., 1910, S. 48, 57; R. Pick, Zur Lebensgesch. d. Aachener Patriziers J. B., Zs. d. Aachener Gesch.vereins 33 (1911) 283 f.; Matr. Köln, Bd. 1, S. 825; E. Ph. Goldschmidt, Medieval texts and their first appearance in print (Suppl. to the bibliographical society’s transactions 16), London 1943, S. 31⫺33; H. de Vocht, Je´roˆme de Busleyden, Founder of the Louvain Collegium Trilingue. His Life and Writings (Hum. Lov. 9), Turnhout 1950, ND 1966, Reg.; L. v. Coels, Die Lehensreg. d. Propsteilichen Mahnkammer d. Aachener Marienstiftes 1394⫺1794 (Publikationen d. Ges. f. Rhein. Gesch.kunde 52), 1952, Reg.; W. Kaemmerer, in: NDB 2, 1955, S. 22; G. Tournoy, in: CoE 1, 1985, S. 119 f.; K. Arnold, Joh. Trithemius (1462⫺1516) (QF z. Gesch. d. Bistums u. Hochstifts Würzburg 213), 21991, Reg.; A. Dˆrfler-Dierken, Die Verehrung d. hl. Anna in SpätMA u. früher Neuzeit (Forsch. z. Kirchen-u. Dogmengesch. 50), 1992, S. 47, 174, 182; B. Meier, Barbireau, in: 2MGG 2, 1999, Sp. 214⫺ 216, hier Sp. 215; F. Eisermann, ‘Stimulus amoris’. Inhalt, lat. Überlieferung, dt. Übers., Rezeption (MTU 118), 2001, S. 84, 549; Agricola-Br., Reg.; Der hl. Rosenkranz. Eine Ausstellung d. Dom- u. Diözesanbibl. Köln z. Rosenkranzjahr 2003. [...] (Libelli Rhenani 5), 2003, S. 26; S. El Kholi, Ein Besuch bei J. Trithemius. Der Brief d. M. Herbenus an J. B. v. 14. Aug. 1495, Arch. f. mittelrhein. Kirchengesch. 56 (2004) 143⫺157.
Susann El Kholi
Bernhaubt (Arctocephas), Pangratz, gen. Schwenter I . L eb en . Quellen der Biographie. B. hat eine Anzahl chronikalischer Hss. hinterlassen (Zusammenstellung bei Wuttke, 1964, S. 336⫺342). Sie enthalten, überwiegend von der Hand beauftragter Schreiber, in der Hauptsache Abschriften historischer Dokumente und chronistischer Texte des 15. und 16. Jh.s (u. a. der dt. Fassung von D Meisterlins Chronik der Stadt Nürnberg), aber auch zahlreiche Einträge aus den Jahren 1516⫺1554 B.s selbst, darunter mancherlei autobiographische.
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Bernhaubt, Pangratz, gen. Schwenter
Über seine amtlichen Tätigkeiten führte er Buch. Ein besonderes Anliegen B.s waren familiengeschichtliche Aufzeichnungen: 1551 verfaßte er Das Erste Buchlein der Bernhaubt Schwenterischen Genealogia (Budapest, Ungar. Nationalbibl., Quart. Germ. 197, Autograph). Quellenkritische Biographie: Wuttke, 1964, S. 231⫺254.
B. wurde geboren Anfang 1481 in Nürnberg als Sohn des Kürschners Jacob B. gen. Sch. Der Vater, ein für Literatur und Kunst aufgeschlossener Mann, war mit Hans D Folz befreundet; in seinem Besitz war der Cgm 6353, die größtenteils von Folz selbst geschriebene Haupths. seiner Meisterlieder. Im Sommer 1498 ging B. zum Studium der Artes nach Heidelberg und erwarb dort am 20. Jan. 1500 das Bakkalaureat. Spätestens 1502 war er wieder in Nürnberg. 1504 nahm er als Schenk im Kontingent Nürnbergischer Söldner am Bayerischen Erbfolgekrieg teil. Seither stand er in Diensten der Stadt Nürnberg. 1507 erhielt er das Amt des Hochzeitladers, mit dem er zugleich die Aufgaben eines Schenken und eines Zeremonienmeisters des Rates bei anderen festlichen Anlässen übernahm. Er führte es bis 1539, offenbar mit großem Geschick. Seine Tätigkeit in diesem Amte und die seiner Vorgänger von 1462 an dokumentierte er in seinem Hochzeith-Buchlein der Erbarn In Nürnberg (Nürnberg, Staatsarch., Hs. 215 Rep. 52a, überwiegend autograph). 1524⫺ 1539 leitete er zusätzlich das Honig-, Nußmesser- und Eichamt. Die Vorgänge in dieser Tätigkeit hielt er ebenfalls in steten Aufzeichnungen fest (Nürnberg, Staatsarch., Hs. 264 Rep. 52b, meist von anderer Hand, mit häufigen Zusätzen B.s). Am 16. Juli 1539 wurde er zum Hauswirt (Verwalter) des Rathauses bestellt und nahm dort Wohnung. 1540 berief man ihn außerdem in die Vertrauensstellung eines Genannten des Größeren Rates; als solcher trat er seit 1540 häufig in gerichtlichen Zivilsachen als Zeuge auf. Durch zänkisches Betragen seit Mitte der 1540er Jahre auffällig geworden, vom Rat mehrfach vermahnt, wurde er, da sich keine Besserung zeigte, 1547 gegen eine Pension aus seinem Amt entlassen. Er starb in Nürnberg am 7. Juli 1555.
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Seit etwa 1504 hatte B. enge Beziehungen zu der Erzgießer-Familie Vischer, besonders zu Peter Vischer d. J. (1487⫺ 1528), der ihn nach dem Zeugnis Johann Neudörffers d. Ä. (s. Wuttke, 1964, S. 292; Apol. poet., S. 30) als gelehrten literarischen Ratgeber schätzte. Aber auch umgekehrt präsentieren sich die literarischen Arbeiten B.s als beeindruckende Zeugnisse der Zusammenarbeit zwischen Peter Vischer als Zeichner und B. als gelehrtem Literaten. Beziehungen B.s zum humanistischen Nürnberg, zu Hartmann J Schedel, J Pirckheimer, J Celtis u. a., haben anscheinend nicht bestanden; es gibt dafür bei B. selber, so viel ihm etwa Celtis als Dichter bedeutete (s. II.1.), wie auch andernorts kein Zeugnis. I I. We rk . 1. ‘Apologia poetarum’. B.s erstes literarisches Werk ist eine kommentierte und illustrierte Textsammlung mit dem thematischen Schwerpunkt der humanistischen Verteidigung der Dichter; sie wurde von mir nach ihrer Wiederentdeckung 1981 unter den Titel ‘Apologia poetarum’ gestellt. B. begann mit der Anlage der allein als Autograph erhaltenen Sammlung etwa 1504/05, schrieb an ihr aber noch beträchtlich über 1508 hinaus. Die Verteidigung der Dichter übertrug B. allein den Stimmen deutscher Humanisten, und die Stücke des Buches entnahm er nahezu ausschließlich zeitgenössischen Drukken: I. Heinrich J Bebel, ‘Apologia et defensio poetices’ mit begleitenden Carmina. Vorlage: Liber hymnorum in metra | nouiter Redactorum. | Apologia et defensio poetice ac oratorie maiestatis [...]. [Tübingen: Joh. Otmar, 1501]. VD 16, B 1093. Bl. [viij]r⫺v, iiijv⫺[viij]r, XXXIv, XXXIIr⫺v. II. J Augustinus Moravus, ‘Dialogus in defensionem poetices’. Vorlage: Dialogus in defensionem poetices. Venedig: [Paul Fridenperger], 1493. GW 3057. B.s Abschrift umfaßt den gesamten Druck. B. gab dem ‘Dialogus’ umfangreiche mythographische Kommentare bei, die großenteils dem Metamorphosen-Kommentar des Raphael Regius, aber auch Ovid selbst exzerpiert sind. III. Jakob J Locher, ‘Mulae ad Musam comparatio’. Vorlage: Continentur in hoc opuscu|lo a Jacobo Locher [...] concinnato. Vitiosa sterilis
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Mule/ ad musam [...]. Nürnberg: Joh. Weißenburger, 1506. VD 16, L 2230. B. entnahm dem Sammeldruck allein die ‘Comparatio’, diese aber mit dem gesamten Beiwerk. Als Kommentar inserierte er zu großen Teilen die ‘Quaestio de poetis a republica minime pellendis’ des Matthaeus J Lupinus nach dem Druck Leipzig: Jak. Thanner, 1500. Hain 10338. IV. Jakob Locher, ‘Spectaculum de iudicio Paridis’. Vorlage: Spectaculum a Jacobo Locher more tra⫽|gico effigiatum. Jn quo christianissimi Re| ges aduersum truculentissimos Thurcos | consilium ineunt [...] Eiusdem iudicii Paridis de pomo aureo [...]. [Augsburg: Joh. Froschauer, 1502]. VD 16, L 2227. In B.s Abschrift sind die Zwischenspiele nach dem 2. und 3. Akt und insbesondere alles, was im Druck dem 4. Akt folgt (die Commendationes der drei Göttinnen, die Conclusio u. a.) ausgelassen, mit Bedacht: Es ergab sich so für das V. Stück, die ‘Historia’ des Ps.-Dares, ein möglichst bruchloser Übergang. Beigefügt sind ein großer geschlossener Kommentar zu 15 antiken Gottheiten, der größtenteils Boccaccios ‘Genealogia deorum gentilium’ und dem ‘Ovidius moralizatus’ (Kap. 1) des Petrus Berchorius exzerpiert ist, und weitere Erläuterungen und Notizen zu Figuren der Trojasage, wiederum meist aus Boccaccio. V. Ps.-Dares, ‘Historia de excidio Troiae’. Vorlage: Iesus Maria. | Dictys Cretensis. | De historia belli | Troiani et Dar|ses[!] Priscus de eadem | Troia|na. Venedig: Christoph. de Persis, 1499. GW 8328. Dem Text des Dares hat B. kommentarartig eine selbständige Historia Iasonis eingeschoben, welche die Argonauten- und die Medeasage wiedergibt. VI. Vermischte Exzerpte zur Troja-Sage, meist aus Boccaccio und Herodot. VII. D Konrad von Mure, Anfang (2 S.) eines bisher unbekannten Werks, das nach dem von B. mitgeteilten Titel acta quam veteris tam novi soeculi enthält, vermutlich einer Weltchronik. Das Fragment zeigt sachliche und wörtliche Übereinstimmungen mit dem weltchronistischen Eingangsteil von Konrads ‘Fabularius’.
B. hat die ‘Apologia poetarum’ als Zusammenhang von Text, Kommentar und Illustration konzipiert. Die ausgedehnten mythographischen Kommentare, in ihrer Summe eine Präsentation wiedererweckter antiker Mythologie, wie man sie nach Umfang und systematischem Interesse im deutschen Humanismus bis dahin nicht findet, tragen zwar argumentativ zur Dichterapologie nicht bei, die Welt der mythologischen fabulae gilt B. indes, wie schon Boccaccio, als das essentiell Poetische der
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Antiken, und so demonstriert er es, konsequent ohne jeden Ansatz zur Allegorisierung. Der Illustrator ließ auf sich warten. Nicht vor 1509, wohl erst um 1512⫺1514 (Anzelewsky, Apol. poet., S. 50 f.) trug Peter Vischer auf den 22 planvoll freigelassenen Seiten 18 aquarellierte Zeichnungen (eine doppelseitige) ein; vier wurden somit nicht ausgeführt. 15 von Vischers Zeichnungen haben mythologische Sujets. Sie ordnen sich damit durchweg nicht den Haupttexten, sondern B.s mythographischen Kommentaren zu, teilen, jeweils die zentralen Momente der fabulae ins Bild übertragend, die leitende Zielsetzung der Kommentare und führen sie weiter. Es ist B.s nicht geringstes Verdienst, daß er die mythographische Zeichnung zur Aufgabe erhob. Vischer versuchte die mythologischen Sujets als erster in Deutschland rein antikisierend zu behandeln, ohne die noch übliche ‘mittelalterliche’ Drapierung. Seine Illustrationen der ‘Apologia poetarum’ haben damit “einen neuen Abschnitt in der Geschichte der deutschen Kunst eingeleitet” (Anzelewsky, Apol. poet., S. 51). B. hat die ‘Apologia poetarum’ als bibliophile Kostbarkeit angelegt, sie mit kalligraphischer Sorgfalt geschrieben ⫺ in einer Humanistica als Buchschrift, einer kleineren und stärker kursiven Kommentarschrift, einer römischen Capitalis als Auszeichnungsschrift, dazu mit farbig unterlegten goldenen Initialen ⫺ und, ungeachtet durchweg getreuer Bewahrung des Wortlauts seiner Vorlagen, die einzelnen Texte mit neu entworfenen Titelblättern versehen. Das für das Buch im ganzen bedeutsamste ist das Titelblatt zum ‘Dialogus’ des Augustinus Moravus. Es wird beherrscht von der Abbildung der Insignia poetarum, der Promotionsinsignien des von Celtis initiierten Wiener Collegium poetarum et mathematicorum. Die nicht von Peter Vischer, sondern, wie Anzelewsky (ebd., S. 36 f.) aufzeigt, einem Mitarbeiter Dürers gezeichnete und kolorierte Abbildung wiederholt sehr genau den Holzschnitt derselben Insignien im Augsburger Druck von Celtis ‘Rhapsodia’ (Joh. Otmar, 1505), mit einer Abweichung: B. ließ
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unter die Beischrift die Signatur des Urhebers der Insignien eintragen, P. P. C. C. (Protucius Poeta Conradus Celtis), und 1.5.0.2., das Jahr der Eröffnung des Wiener Kollegs. Celtis erhielt durch dieses Titelblatt den prominenten Rang des Repräsentanten der Dichtung in Deutschland. Handschrift. Berlin, SBPK, Ms. lat. fol. 335. Der Buchblock der ‘Apologia’ umfaßt 104 Bll.; später beigebunden vorn eine, hinten drei Lagen. Teilweise unvollendet. Beschreibung: Apol. poet., Textbd., S. 9⫺19. Faksimile. Apol. poet. (Bd. 2).
2. ‘Histori Herculis’. Das 1515 verfaßte und den drei Brüdern Vischer, Peter d. J., Hermann und Hans, zugeeignete Bühnenspiel, das die Fabel des Prodikos von Herkules am Scheideweg zum Gegenstand hat, teilt sich in drei Szenen ⫺ eher Folgen redender Einzelfiguren, denn es findet kein Dialog und keine bühnenmäßige Handlung statt ⫺ mit ausführlichen Regieanweisungen: 1. Traum des Herkules, in dem ihm die Gestalten Wollust und Tugent erscheinen, 2. Triumph des Herkules über das Laster und seine Apotheose mit dem Hauptstück eines Musengesangs, der weit ausgreifend seine Taten feiert, 3. ein ‘Memento mori’, das der Mahnung zur Tugend ernsten Nachdruck verleiht. Die beiden ersten Teile sind Übersetzungen einer lat. Vorlage, als deren Autor B. einen gekrönten Dichter mit dem kryptischen Namen Gregorius Arvianotorfes aus Speyer angibt. Das ‘Memento mori’ besteht aus einem sog. Todesschach und, unter dem Titel Beschlusz des buchs, einem Priamel über die verderbte Welt, die beide in ihrem dt. Wortlaut den ‘Varia carmina’ Sebastian J Brants entnommen sind, sowie einer Serie von Philosophenund Prophetendicta, Bibelsprüchen und weiteren Versen, die B. aus anonymen Quellen aufgegriffen hat. Ob das in sich selbständige, lt. den Regieanweisungen mit einem großen Apparat mythologischer Nebenfiguren aufgemachte Herkules-Spiel bereits in der lat. Vorlage mit dem gänzlich andersartigen ‘Memento mori’ verbunden, somit jener Arvianotorfes und nicht erst B. der Kompilator war (so Wuttke, 1964, S. 167 f., 224), bleibt fraglich, fraglich auch die Identität des Gregorius Arvianotorfes
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mit Publius J Vigilantius, die Wuttke 1987 nach Prüfung etlicher möglicher Indizien erwog, 1991 ohne neue Gründe wie erwiesen mitteilte.
Die Vorede von der tugent, die B. eingangs der Widmung an die Brüder Vischer folgen läßt, ist fast zur Gänze Übersetzung aus Johannes J Rommings ‘Epistola de laude virtutis’. Auch für die ‘Histori Herculis’ konnte B. Peter Vischer als Illustrator gewinnen, für die Zeichnungen ‘Traum des Herkules’ und ‘Virtus und Voluptas’. Handschrift. Die ‘Histori Herculis’ ist wie die ‘Apologia poetarum’ allein als Autograph B.s erhalten: Nürnberg, StB, Amb. 645 2°, 12 Bll.; die (vor 1835) herausgetrennten Blätter mit den Vischer-Zeichungen: Berlin, Kupferstichkabinett; Abb. bei Wuttke, 1964, Tafel I⫺II. Die Hs. ist der der ‘Apologia’ nach Format, Einrichtung, Schrift weithin gleichartig. Auch nach der ‘Histori Herculis’ hat B. sich noch mit mythologischen Stoffen befaßt. Dies belegt seine Übersetzung der Sage von Aurora, Cephalus und Procris (Text u. Überlieferung: Wuttke, 1964, S. 329⫺331). Quelle war der Artikel ‘Aurora’ im ‘Fabularius’ Konrads von Mure, nicht der ‘Mythographus Vaticanus II’, wie Wuttke, 1964, S. 331 f., darzulegen versucht. 3. B., der nach dem Tode des Vaters im Besitz von Folz’ Meisterlieder-Hs. war und für sie ein Register anfertigte (Abdruck bei A. L. Mayer [Hg.], Die Meisterlieder d. H. Folz, 1908, S. 4⫺7; vgl. Wuttke, 1964, S. 286⫺288), besorgte 1534 eine zweite Auflage von Folz’ Reimpaarspruch ‘Kargenspiegel’ (Erstdruck 1486), mit einer Vorrede, in der er, entschiedener Anhänger der Reformation, bei Folz ein lutherisches Glaubensverständnis voraussetzt. Druck. Der Kargenspiegel. | Ein schöner spruch von einem | Reichen kargen vnd einem Armen dur⫽|fftigen [...]. Nürnberg: Stephan Hamer, 1534. VD 16, F 1777. Abdruck der Vorrede bei H. Fischer (Hg.), Hans Folz, Die Reimpaarsprüche (MTU 1), 1961, S. 211 f.; Wuttke, 1964, S. 289 f. Literatur. A. Bauch, P. Sch., d. Freund P. Vischers d. J., MVGN 13 (1899) 276⫺285; D. Wuttke, P. B. gen. Sch., d. Nürnberger Humanist u. Freund d. Gebrüder Vischer, MVGN 50 (1960) 222⫺257; ders., Die Histori Herculis d. Nürnberger Humanisten u. Freundes d. Gebrüder Vischer, P. B. gen. Sch., 1964; L. Kurras, Norica. Nürnberger Hss. d. frühen Neuzeit (Die Hss. d. GNM Nürnberg 3), 1983, S. 47, Nr. 45; F. J. Worstbrock, Apologia poetarum. Eine wiederentdeckte
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Beuschel, Johannes
humanistische Hs. d. P. B. gen. Sch., Wolfenb. Ren. Mitt. 8 (1984) 61⫺68; Apol. poet. (Textbd.); D. Wuttke, Ist Gregorius Arvinianus identisch mit Publius Vigilantius?, in: Fs. O. Schäfer z. 75. Geb., 1987, S. 43⫺77; ders., in: Killy, Lit.lex. 1, 1991, S. 466 f.
F. J. Worstbrock
Beuschel (Beussel, -lius, Peußel, Peyschel; Tuberinus, Erythropolitanus, Rotenburgensis), Johannes I . L eb en . Der Leipziger Magister B., an seiner Universität offiziell als Iohannes Tuberinus Erythropolitanus geführt, alltäglich Iohannes Rotenburgensis genannt, stammte aus Rothenburg o. d. Tauber. In einem autobiographischen Epigramm, das er zu seinem Dekanat im WS 1512/1513 verfaßte, bestätigt er diese Herkunft (Matr. Leipzig, Bd. 2, S. 475: [...] Me Tuberus profert urbs Erythreaque). Er ist zu unterscheiden von Johannes Matthias Tiberinus aus Rottweil, der um 1522/23⫺1525 antilutherische Schriften veröffentlichte (VD 16, B 2370, 2374, 2380; dort identifiziert mit B. wie schon bei Ellinger, S. 365, Klaiber u. a.), und von Johannes J Greußer aus Rothenburg, die beide ebenfalls als Johannes Tuberinus auftreten.
Immatrikuliert in Leipzig im WS 1496/ 97, studierte er bei Johannes D Fabri de Werdea, wurde im WS 1497/98 Baccalaureus und erwarb im WS 1502 den Grad des Magister artium. Er lehrte seither im Leipziger Artesstudium. Sein angestammtes Fach war spätestens seit 1504 die Lectio poeticae, die er mit wenigen Unterbrechungen bis 1516 regelmäßig vertrat. Seit dem WS 1518 las er mehrfach über Quintilian. Am 12. März 1513 stellte er, damals Dekan der Artisten, der Fakultät seine noch ungedruckte ‘Musithias’ (s. u. II.B.) vor und konnte erwirken, daß das Kollegium einstimmig den Beschluß faßte, es solle in der Lectio poeticae künftig B.s episches Großwerk an die Stelle des Terenz treten (B. hatte die Ersetzung sogar Vergils beantragt; Protokoll des Vorgangs: Matr. Leipzig, Bd. 2, S. 479). Johannes Hornburg, Schüler B.s, zählte ihn unter die Leipziger Vertreter der humanae litterae (‘Chonradi Celtis Prothucij Elegiae duae
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[...]’, Leipzig 1520, Bl. Br). Anders die Verfasser der J ‘Epistolae obscurorum virorum’ (I 17), die dem magister Rotburgensis, der ihnen als neuer Gegner der heidnisch-antiken Poesie frisch im Gedächtnis war, durch einen der Obscuri eine fatale Lobrede angedeihen ließen. In der Leipziger Lehre ist B. zuletzt für das WS 1521/ 22 bezeugt (Matr. Leipzig, Bd. 2, S. 564). Eine Rothenburger Urkunde vom 4. Juli 1522 hält eine testamentarische Stiftung des in Leipzig verstorbenen B. fest (Borchardt). I I. We rk . B. der sich lehrend und schaffend als akademischer Vertreter der Poesie verstand, hat ⫺ neben einigen unauffälligen Ausgaben, die er teilweise zusammen mit anderen veranstaltete ⫺ nur Versproduktionen veröffentlicht, in der Hauptsache religiöse, kultische und panegyrische Poeme. A . K le in er e P oe ma ta . 1. ‘De incendio praetorii oppidi Rotemburgii’. B.s erster Versuch in Versen, ein erzählendes Gedicht (76 Dist.) über den Brand in Rothenburg von 1501, dem der Osttrakt des gotischen Rathauses zum Opfer fiel und während dessen B.s Vater beinahe durch einen dreisten Dieb sein Barvermögen eingebüßt hätte. Widmung an den Freund Petrus Silvanus, Lehrer in Rothenburg (o. D., 12 Dist.). Druck. De incendio candidissimi | praetorij inclyti oppidi Ro|temburgij [...]. [Leipzig: Melch. Lotter d. Ä., 1502]. VD 16, B 2379.
2. Sechs Stücke der ‘Musithias’ erschienen bereits seit 1508 in separaten Drucken: a) Carmen Sapphicum Joannis Beusselii Rottenburgen. In laudem deifere Marie. Frankfurt (O.): Konr. Baumgarten, 1508. Nach VD 16, B 2377. Marienlob in 38 sapph. Strr.; vgl. ‘Musithias’ II 2. b) Carmen elegiacum Joannis Tu|berini [...] De resurrectione | domini nostri Jesu Christi restau| ratoris generis humani. [Frankfurt (O.): Joh. Hanau, um 1512]. VD 16, B 2376. 93 Dist.; vgl. ‘Musithias’ I 15. Mit einem Carmen Ad lectorem des Matthias J Funck. c), d), e) Carmina Joannis Tuberini | [...] De Christi Ascensione. et Missione | Spiritus Sancti.
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Beuschel, Johannes
[Frankfurt (O.): Joh. Hanau, um 1515 (?)]. VD 16, B 2378. Zwei Carmina auf Christi Himmelfahrt (40 Dist., 41 Hex.) und eines zum Pfingstfest (20 Dist.); vgl. ‘Musithias’ I 16⫺17. f) Joannis Tuberini Erythropolita⫽|ni artium: et philosophie doctoris Carmen ad grauem: sanctum⫽|que senatum Lipsensis: de orgijs corporis Christi [...]. [Leipzig: Martin Landsberg, um 1512]. VD 16, B 2375. Beschreibung des in Leipzig festlich begangenen Fronleichnamfestes mit dem Hauptstück der großen Prozession (140 Dist.); vgl. ‘Musithias’ I 18.
3. Panegyricus auf Eb. Albrecht von Brandenburg. Albrecht, Eb. von Magdeburg (seit 1513), hatte die von seinem Vorgänger Eb. Ernst erbaute und geweihte Magdalenenkapelle auf der Moritzburg in Halle, seither Stätte eines bedeutenden Reliquienschatzes, am 22. Juli 1514 ein zweites Mal geweiht und um weitere Reliquien bereichert. Deren Überführung, u. a. von 17 der 11000 Jungfrauen, die mit der hl. Ursula den Martertod starben, gab B. die Gelegenheit, Albrecht als idealen geistlichen Fürsten zu feiern. Mit dem Preis der neuen Reliquien verbindet er die Aufforderung an das gläubige Volk zu festlicher Heiltumsprozession. 258 Hex. Das begleitende Carmen Studioso poetarum lectori des Wittenberger Magisters Hermannus Tulichius (4 Dist.) zeigt an, daß der Panegyricus zugleich als poetisches Specimen gelten soll. Druck. Ad reuerendum in Christo patrem, Principem illustrissimum, ac dominum, | dominum Albertum, et Moguntinum, et Virginopolitanum Archiepiscopum [...] Ioannis Tuberini Erythropolitani Panægyricus, ac Epitome super | Celitum Reliquijs vrbi Hallensi per memoratum Archiantistitem introductis. Leipzig: Melch. Lotter d. Ä., Okt. 1515. VD 16, B 2373.
4. Panegyricus auf den Meißener B. Johannes von Schleinitz. Das am 24. Nov. 1518 dem neuen Meißener Bischof zu seiner Inthronisation zugeeignete Preisgedicht (415 Hex.) ist zugleich als Schulgedicht verfaßt, durch seine zahlreichen Marginalien, die u. a. Punkt für Punkt die rhetorische Faktur des Panegyricus gratulatorius notieren, so deklariert. Beherrschende Redeweise ist die laudative Schilderung (die Stadt Meißen, aus-
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giebig die Person des Bischofs, die Weihehandlung, das festliche Gastmahl, die Teilnahme der Bürger). Mit zwei Epigrammen des Leipziger Magisters (seit WS 1517) Iacobus Henrici und einem abschließenden Carmen an den Leser von Philippus Novenianus (immatr. WS 1513). Druck. Ad Reve|rendum in Christo patrem, ac do⫽|minum, d. Ioannem Schleinicen⫽|sem [...] Antistitem Misnensem [...] Panegyri⫽|cus gratulatorius de festiua eius Coronatione, | Ioanne Tuberino Erythropolitano authore. Leipzig: Val. Schumann, Nov. 1518. VD 16, B 2372.
B . ‘ Mu si th ia s d e c ae li ti bu s e t s ac ri s h is to ri is ’. Die ‘Musithias’, mehr als 23000 Verse umfassend, ist das mit weitem Abstand umfangreichste Verswerk des deutschen Humanismus. Ihr Thema, Feier und irdische Vita Christi und der Heiligen des Himmels, wird in einer hierarchischen Folge von neun Büchern entfaltet, deren jedes den Namen einer der Musen trägt, und innerhalb der einzelnen Bücher in einer wechselnden Zahl von Kapiteln, die je als symphonia (hier wohl ‘Gesang’, ‘Gedicht’) betitelt sind. Die Reihe der Heiligen entspricht großenteils dem Kanon der Allerheiligenlitanei. Inhalt: I. (Clio): De festis Domini. 19 Symphoniae zu den kirchlichen Festtagen Christi und seines Erlösungswerks und einigen weiteren Hauptfesten des Kirchenjahrs (Advent, Weihnacht, Beschneidung usf. bis Pfingsten, Fronleichnam, Trinitatis und Kirchweih). – II. (Euterpe): Maria. 24 Symph., davon 1⫺9 Marienlob, 10 Marias Klage unter dem Kreuz, 11⫺23 zu den kirchlichen Marienfesten, 24 über die Mutter Anna. – III. (Thalia): 12 Symph. zu den Aposteln von Petrus bis Matthias. – IV. (Melpomene): 3 Symph., über die Evangelisten Markus und Lukas, die nicht Apostel waren, und über Johannes d. T. – V. (Terpsichore): 9 Symph., Vitae von 9 Märtyrern (Stephanus, Laurentius, Kilian, Achatius, Georg, Christophorus, Sebastian, Valentin, Vitus). – VI. (Erato): 4 Symph., Vitae der vier lat. Kirchenväter Gregor d. Gr., Augustin, Ambrosius, Hieronymus. – VII. (Polyhymnia): 5 Symph., Vitae von Bekennern (Nikolaus, Martin, Wolfgang, Alexius, Jodocus). – VIII. (Urania): 2 Symph., Vitae der Ordensgründer Franziskus und Dominikus. – IX. (Kalliope): 7 Symph., Vitae der weiblichen Heiligen Magdalena, Katharina, Ursula, Barbara, Dorothea, Agnes, Agatha. – Ab-
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schließend eine der Gesamtheit der Heiligen gewidmete Conclusio. – Im Anhang stehen 101 hexametrische Tetrasticha, argumenta, die den Inhalt der Evangelienperikopen der kirchlichen Hochfeste, der Sonntage, der Karwoche, der Quatembertage und anderer Feiertage des liturgischen Kalenders zusammenfassen. Danach folgen, eher als Blattfüllsel, 7 weitere kleine Carmina (Gebete) an Christus, zuletzt ein Geleit B.s an seine Musen (32 Dist.).
Sind Inhalt und Aufbau der ‘Musithias’ vom kirchlichen Heiligenkult getragen, will ihre Form hingegen, angefangen bei Zahl und Name der Bücher, antikisch sein. Für Vers und Verssprache gilt die Imitatio der Alten. Die Verbindung von christlichem Stoff (argumentum) und antiker maiestas carminis, von höchstem Inhalt und höchster Form ist hier Programm. Ebenbürtig der Dichtung der Alten in der Form, soll der unvergleichlich überlegene Stoff dem Werk Vorrang vor allen antikheidnischen geben. Ausdrücklich in diesem Sinne rühmen auch die ausgiebig vertretenen Begleitgedichte von J Breitkopf, Arnold Wöstefeld, Veit Werler, Heinrich Stackmann, Melchior Aldendorf u. a. B.s Werk, und auch sie lassen es mehrheitlich an förmlicher Herabsetzung Vergils, Platons und anderer Großer der heidnischen Antike nicht fehlen. Die auf Metrik und Verssprache beschränkte Auffassung der poetischen Form setzt die ‘Musithias’ leicht dem Urteil aus, nur Versifizierung zu sein. Eben darauf scheint die höhnische Attacke der ‘Epistolae obscurorum virorum’ zu zielen, die B. als kirchenfrommen metrista preisen. Als Gesamtwerk hat die ‘Musithias’ eine kultische, aber keine spezifisch literarische Konzeption, ist ein kultischer, kein literarischer Zyklus. So äußerlich die Gliederung in die neun Musenbücher bleibt, so wenig läßt sich auch innerhalb der Bücher ein besonderer Kompositionsgedanke ausmachen; ihre sehr ungleichen, zwischen 8 und nahezu 1500 Verse umfassenden Symphoniae sind offenbar, ungeachtet mancher überleitender Wendungen, nur additiv gereiht. Die große Mehrzahl der insgesamt 85 Stücke bildet Kleinepen, die zur Erbauung oder als Schultext für sich gelesen werden können (s. o. II.A.2. die Teil-
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drucke). So ist auch allen erzählenden Symphoniae ein metrisches argumentum (jeweils 1 Hex.) und ein ausführliches in Prosa vorangestellt. Genaueren Aufschluß über B.s versifizierendes Verfahren und seine Güte könnte erst der Vergleich mit den Vorlagen und weiteren Quellen bringen. In den Büchern III⫺IX verwendet B. nahezu ausschließlich den epischen Hexameter, in den beiden ersten variiert er zwischen Hexameter, Distichon und verschiedenen lyrischen Maßen. Der Sprachstil ist vielfach panegyrisch überladen, die Latinität verharrt in einem Synkretismus von klassischer Dichtersprache, die häufig freilich nur floskelhaft wiederkehrt, und mal. Elementen. Den hybriden Charakter der Sprache vermehrt der Aufputz mit griech. oder gräzisierendem Vokabular, eine bei B. offenbar zunehmende Manier; im Panegyricus auf Eb. Albrecht inseriert er seinen Versen griech. Wörter in griech. Schrift, mehr noch im Pangyricus auf Johann von Schleinitz (dort auch der Prosa-Vorrede). Wann und unter welchen Umständen der Plan des Riesenwerks, das viele Jahre seine Kräfte gebunden haben muß, bei B. gereift ist, läßt sich nicht mehr erkunden. Terminus ante quem ist das Jahr 1508, in dem er den ersten Teildruck (s. o. II.A.2.a) erscheinen ließ; er trug damals auch zum letzten Mal zu einer Ausgabe eines antiken Autors bei. Wesentlich ist, daß B. gewiß sein konnte, mit der Wahl eines Werks der religiösen Panegyrik Interessen und Tendenzen seiner Fakultät zu entsprechen (Breitkopf, J Dottanius, J Probst). Der Vorrang der ‘Musithias’ vor dem antiken Autor, den die Fakultät mit ihrem Beschluß vom 12. März 1513 sanktionierte, indiziert repräsentativ die Grenzen des Geltungsanspruchs, den man in Leipzig der Dichtung nach dem Streit zwischen J Wimpina und J Polich zubilligte. Ungeachtet der Gesamtwidmung der ‘Musithias’ an Hzg. Georg von Sachsen ist Buch II Kf. Friedrich III. (dem Weisen) von Sachsen dediziert, I 7 (Passion Christi) Ks. Maximilian, die Ursula-Vita (IX 3) Eb. Albrecht von Mainz und Magdeburg, die Barbara-Vita (IX 4) Hzg. Heinrich von
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Sachsen, dem Bruder Georgs, die Katharina-Vita (IX 2) wiederum Friedrich d. Weisen. Druck. Ad Georgium inclytum | Saxoniae ducem. Principem illustrissimum etc. | Ioannis Tuberini Erythropolitani Musithias de Caelitibus, & | sacris Historijs in Musas nouem digesta. adiecto Argumentorum | appendice in aliquot Christi oracula, & Euangelia quae sacris aedi|bus tempestate diuersa lectitantur [...]. Leipzig: Melch. Lotter d. Ä., 4. Mai 1514. VD 16, B 2371. Von den im Anhang beigefügten Gebetsgedichten an Christus (Bl. o ijr⫺v) stehen – teils ganz, teils in gekürztem Arrangement – drei in Cornelis Crookes ‘Precationes et meditationes in passionem domini nostri Jesu Christi’, 1573 (VD 16, C 6069), Bl. [d6]v⫺[d7]r. C. Ausgaben / Beiträge zu Ausgaben. 1. Antonij Mancinelli Ueliterni De componendis versibus opusculum cum additionibus Francisci Materatij et Sulpitij Verulani arti carminum admodum necessarijs. quibus additum est succinctum Epithoma et utilissimum de syllabarum quantitatibus cognoscendis [von Peter J Schott]. Leipzig: Jak. Thanner, 6. Aug. 1504. Nach VD 16, M 508. Zusammen mit G. Breitkopf. – Antonij Mancinelli Veliterni. | de componendis versibus opuscu⫽| lum. Cum additionibus Francisci Mataracij[!] | et Sulpitij Verulani: arti carminum ad⫽|modum necessarijs. | Joannis Tuberini Erythropo⫽|litani ad Lectorem. Elegi (über die Macht der Dichtung, 12 Dist.). Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1513. VD 16, M 511. Ohne Schotts ‘Epitoma’. 2. Publij Ouidij Nasonis | Epistola Sapphus ad | Phaonem. Leipzig: Jak. Thanner, 1503. Mit drei Dist. B.s und einem weiteren. VD 16, O 1601. Zusammen mit Andreas Probst; ND Leipzig: Mart. Landsberg, 1507. VD 16, O 1602. 3. Publij Vergilij Maronis | duodecim diuine Aeneidos | libri: cum Philippi Beroaldi argumentis et an⫽|notatiunculis minime vulgaribus. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1505. Nach VD 16, V 1405; ND Leipzig, W. Stöckel 1509. Nach VD 16, V 1406. 4. Publij Terentij Aphri po|etarum comicorum elegantissi|mi comedie deligenter casti|gate: adiectis in singulas et fabulas et scenas | breuiusculis argumentis. | Ioannes Tuberinus Erythropolitanus. Ad lectorem (3 Dist.). Leipzig: Jak. Thanner, 1508. VD 16, T 367. In Titelwortlaut, Textbestand (aber ohne B.s Distichen), Einrichtung und Type gleich der im selben Jahr in Leipzig bei Wolfg. Stöckel erschienenen Terenzausgabe, die laut Kolophon von Arnold Wöstefeld emendiert wurde (VD 16, T 366). 5. Mit einem empfehlenden Carmen ad pubem (5 Dist.) ist B. vertreten in Johann Kuschwerts Do-
natausgabe: Donati viri clarissimi de octo par|tibus orationis edicio secunda. | Joannes Tuberinus Erythropolitanus ad pubem (5 Dist.). Leipzig: Wolfg. Stöckel 1508. VD 16, D 2221, in Hieronymus Dungersheims Confutatio: apologetici cuiusdam sacre | scripture falso inscripti [...] (gegen die Böhmischen Brüder), Leipzig 1514 (VD 16, D 2947), mit 6 Dist. unter den 19 Beiträgern. Literatur. Bauch, Leipzig, S. 76 f.; P. Redlich, Cardinal Albrecht v. Brandenburg u. d. Neue Stift zu Halle, 1900, S. 272 f.; Ellinger, Neulat. Lit., Bd. 1, S. 365⫺368; Rupprich, LG 2I, S. 602 f.; W. Klaiber, Kathol. Kontroverstheologen u. Reformer d. 16. Jh.s. Ein Werkverz. (Reformationsgeschichtl. Stud. u. Texte 116), 1978, S. 289, s. v. Tuberinus (irreleitend); K. Borchardt, Die geistl. Institutionen in d. Reichsstadt Rothenburg o. d. T. [...] (Veröff. d. Ges. f. fränk. Gesch., Reihe IX, Bd. 37, 1⫺2), 1988, S. 664.
F. J. Worstbrock
Beusselius J Beuschel, Johannes Bild (Bilt, Pild), Veit (Vitus) OSB I . L eb en . Auskunft über Leben und Werk des ‘Benediktinerhumanisten’ V. B. geben v. a. seine dreibändigen Conscriptiones (Augsburg, Bistumsarchiv, Hs 81/ I–III). Sie enthalten B.s umfangreichen Briefwechsel, Gedichte, Ansprachen, die er vor dem Konvent von St. Ulrich und Afra hielt, sowie diverse kleinere Schriften zu einem breiten Themenspektrum.
1. B. wurde am 14. April 1481 in Höchstädt a. d. Donau als Sohn des Schulmeisters Johann B. geboren. Sein Bruder Michael ist später als Pfarrer in Höchstädt nachweisbar, ein zweiter Bruder, Georg, in Lauingen in der Landwirtschaft tätig. Am 4. Jan. 1499 immatrikulierte sich B. an der Univ. Ingolstadt, wo Jakob J Locher und Johannes J Stabius seine späteren Interessengebiete prägten. Vermutlich aus Geldnot verließ er die Universität bereits nach eineinhalb Jahren, ohne einen akademischen Grad erlangt zu haben. Am 23. Sept. 1500 trat er eine Pfarrschreiberstelle in Augsburg an der dem Benediktinerkloster St. Ulrich und Afra inkorporierten Pfarrei an. Mit Briefen und Gedichten versuchte er in Kontakt zu einflußreichen Persönlichkeiten zu treten, u. a. zu Konrad J Peutinger. Der zum Augsburger Humanistenkreis
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zählende Domherr Bernhard von Waldkirch verschaffte B. im Juni 1502 eine Stellung bei Johann Alantsee, dem Vikar der Augsburger Kurie. Im Jan. 1503 vermittelte er seinem Schützling, der am 1. Febr. zum Subdiakon geweiht wurde, ein Benefizium im Chorherrenstift Wiesensteig. Eine schwere Krankheit und ein verstörendes Traumgesicht bewegten B. jedoch bald zu einer Änderung seines Lebenswegs: Am 1. April 1503 trat er als Novize in St. Ulrich und Afra in Augsburg ein; die Profeßurkunde datiert vom 2. Febr. 1504. Seine breitgefächerten gelehrten Interessen pflegte B. auch als Benediktiner. Er arbeitete an Kalendarien, berechnete die geographischen Koordinaten Augsburgs und widmete sich der Instrumentenkunde. Besondere Kompetenzen besaß er für die Stellung von Geburtshoroskopen und die im Ulrichskloster seit Mitte des 15. Jh.s gepflegte (Schˆner, 1991) Konstruktion von Sonnenuhren. Am Rande des Augsburger Reichstags von 1518 erhielt er den Auftrag zum Bau von 16 Fenstersonnenuhren für das Schloß Kf. Friedrichs des Weisen in Altenburg (keine von ihnen ist erhalten). B., der sein Leben lang kränkelte, bekleidete keine Ämter in St. Ulrich und Afra, lehrte wohl aber einige Zeit Latein an der Klosterschule. Vorwiegend im Selbststudium bemühte er sich, Griechisch und Hebräisch zu erlernen, und er stand im Austausch mit der Augsburger Bildungselite sowie mit zahlreichen dem Humanismus verbundenen Briefpartnern im süddeutschen Raum. 1511/12 weilte er als Gastmönch in Melk, um die dortige Observanz kennen zu lernen. Die Reformation verfolgte B., der mit einigen ihrer Protagonisten korrespondierte, mit großer Sympathie. Luther bewunderte er zutiefst und studierte begierig dessen Schriften. Der Abendmahlsstreit veranlaßte ihn dann zu einer deutlicheren Positionierung und zum Abbruch freundschaftlicher Bindungen. B. starb am 19. Juli 1529. 2. B. zählt nicht zu den herausragenden Gestalten des deutschen Humanismus. Ein größeres Werk von seiner Hand fehlt; in seinem Spezialgebiet, den mathematischen Wissenschaften, folgte er weitgehend dem
Vorbild seines praeceptor amantissimus Johannes Stabius. Der Benediktinerhumanist B., der seine humanistischen Neigungen von der Univ. Ingolstadt ins Kloster mitbrachte (Graf, S. 111), verstand es jedoch, die Beschäftigung mit Literatur und Wissenschaft weitgehend mit den Regeln des Klosterlebens in Einklang zu bringen. Seine stattliche Briefsammlung zeigt ihn als anerkannten Teilhaber am humanistischen Kommunikationsnetz und – trotz Einschränkung durch die Ordensnorm – am gelehrten Leben Augsburgs. Vor allem war B. ein geschätzter Literaturvermittler. Aufgrund seiner Kenntnis der udalrikanischen Bücherschätze und seiner Beziehungen zum florierenden Augsburger Buchmarkt besaß er die Möglichkeit, den eigenen Konvent, humanistische Briefpartner, aber auch andere Klöster mit Literatur zu versorgen. Rahmenbedingung war die weltoffene, in der Reichsstadt Augsburg verwurzelte Abtei St. Ulrich und Afra, die dem Klosterhumanisten Gestaltungsspielräume ließ, die Gleichgesinnte in ländlichen Klöstern vermißten. Gleichwohl beschwerte er sich mehrfach (etwa bei Adelmann) über Hindernisse, die seinen Studien im Kloster in den Weg gelegt würden. Zu seiner Profeß übergab er der Klosterbibliothek sieben Sammelbände aus seinem Besitz, darin vier Inkunabeln von Texten des Baptista Mantuanus und eine Sammlung von Drucken zur lat. Stilistik (Ps.-Aegidius Suchtelnensis, Augustinus Datus, Michael D Lindelbach, J Wimpfeling; s. I. Hubay, Incunabula d. SuStB Augsburg, 1974, Reg.; zu den Hss. s. u. III.).
I I. Br ie fw ec hs el . Rund 600 Briefe sind in den Conscriptiones verzeichnet. Etwa 430 davon hat B. selbst geschrieben, im eigenen Namen, im Auftrag des Konvents oder für einzelne Mitbrüder, die seine Fähigkeiten als Epistolograph schätzten. Von einigen frühen Exemplaren abgesehen, hat er diese ausgehenden Briefe ab 1506 kopiert. Sie sind in den ersten beiden Bänden seiner Conscriptiones versammelt. Der dritte Band enthält die Abschriften von rund 170 Briefen, die B. empfangen hat. Diese eingehenden Briefe wurden erst ab 1513 abgeschrieben.
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Bezugnehmend auf seinen Geburtsort Höchstädt unterzeichnete B. seine humanistische Korrespondenz mit Vitus Bild Acropolitanus. Eine Reihe von Stücken wurde in ein um 1530 im Ulrichskloster entstandenes Briefmusterbuch (Clm 4392) übernommen. Ausgabe. 318 Briefe im Regest und 18 im kompletten Wortlaut bei Schrˆder. Weitere Abdrucke und kritische Ausgaben sind im folgenden verzeichnet.
1. Zu B.s häufigsten und vertrautesten Korrespondenzpartnern zählte Peutinger (20 Briefe von, 7 an B.). Unterbrochen von einer längeren Verstimmung dauerte der briefliche, aber auch persönliche Dialog von 1513–1529; er umfaßt gegenseitige Gefälligkeiten und Ratsuche, Bücherwünsche und Familiäres. Auch wenn B. nie unter den Sodalen der Peutingeriana genannt wird, ist er ihr aufgrund der Korrespondenz zuzuordnen. Weiterführende Kontakte B.s zu den gelehrten Kreisen Augsburgs belegen sein Austausch mit den Brüdern J Adelmann von Adelmannsfelden, Anton und Raymund Fugger, Sigmund Grimm und Johannes J Pinicianus. Ausgaben. Peutinger-Br. Nr. 106, 107, 112, 113, 143–145, 149, 166, 216, 224, 234, 242, 244, 245, 251, 253, 255, 258, 259, 261, 265, 269, 270, 271, 275. P. Lehmann, Eine Gesch. d. alten Fuggerbibl.en., 2. Teil (Stud. z. Fuggergesch. 15), 1960, S. 45–48 (5 Briefe B.s an Raymund u. Anton Fugger).
2. Über den Augsburger Zirkel hinaus stand B. in Kontakt mit Otmar Nachtigall (J Luscinius; 3 Briefe von, 2 an B.), dem Innsbrucker Arzt Nikolaus Poll (9 Briefe von, 5 an B.), für den B. Bücher beschaffte, und mit seinem ehemaligen Lehrer Jakob Locher (3 Briefe von, 3 an B.). Heinrich J Bebel ließ B.s Brief, mit sechs Beiträgen für ein 4. Buch der ‘Facetien’, unbeantwortet. Der Briefwechsel mit Willibald J Pirckheimer fällt in die Jahre 1523–1528 (14 Briefe von, 6 an B.). Thematisiert wurden u. a. Pirckheimers Korrekturen an seiner Ptolemäus-Ausgabe, B.s Kenntnisse in der Berechnung geographischer Koordinaten sowie Pirckheimers Stellungnahme im Abendmahlsstreit, die B. nachdrücklich
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begrüßte. Hinzu traten zunehmend medizinische Empfehlungen, denn die ungleichen Briefpartner verband das gemeinsame Gichtleiden. Mit Nikolaus J Ellenbog (8 Briefe von, 7 an B.), Gallus Knöringer (3 Briefe von, 6 an B.) und Kaspar Amman (14 Briefe von, 26 an B.) gehörten zudem drei weitere Klosterhumanisten zu B.s Kommunikationsnetz. Der rege Austausch mit dem Prior des Lauinger Augustinerklosters Amman drehte sich im allgemeinen um die Bücherwünsche des Hebraisten, der im Gegenzug B.s Hebräischstudien unterstützte. Ausgaben. Veith, Bd. 12, Augsburg 1796, S. 125–127 (3 Briefe Lochers an B.); S. 132–137 (13 Briefe Ammans in Auszügen). Pirckheimer-Br., Bd. 5, Nr. 777, 780, 781, 785; Bd. 6, Nr. 1029, 1046, 1050, 1067, 1094, 1096, 1103, 1134, 1143, 1145; Ellenbog-Br., Nr. I 90, 92a; III 80, 85 f., 88, 99; IV 88; V 5 f..
3. Mit einer anderen Adressatengruppe tauschte sich B. vorwiegend über Mathematik, Astronomie und Astrologie aus. Etwa ein Fünftel seiner Briefsammlung ist diesem Komplex zuzuordnen. Korrespondenzpartner waren u. a. B.s Lehrer Stabius (3 Briefe von, 1 an B.) sowie Georg Hartmann (5 Briefe von, 3 an B.), Johann J Schöner (6 Briefe von B.), Jakob Stoppel (5 Briefe von, 1 an B.), Johannes J Mader (Foeniseca), Johannes Vögelin und Sebastian J Sprenz. Die Briefe kreisten vorwiegend um den Erwerb und Austausch von Büchern sowie um spezielle Probleme beim Bau von Sonnenuhren und anderen Instrumenten. 4. Etliche Korrespondenzpartner B.s waren der reformatorischen Bewegung eng verbunden. Die Briefe haben hier bisweilen eine heimliche Note und wurden oft über Vertrauenspersonen zugestellt. Mit Bernhard Adelmann von Adelmannsfelden stand B. von 1507–1522 in brieflichem und persönlichem Austausch (11 Briefe von, 4 an B.). Über ihn bezog B. Bücher, seit 1518 vor allem Luther-Schriften; den Namen Adelmann nutzte B. als erste Referenz, um sich bei Luther und Pirckheimer einzuführen. Mit Georg J Spalatin korrespondierte B. von 1518–1524 (12 Briefe von, 17 an B.). Im Mittelpunkt standen die für Kf.
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Friedrich den Weisen bestimmten 16 Sonnenuhren und der Austausch von Büchern, später auch Neuigkeiten aus Wittenberg. Über Spalatin versuchte B. bei zwei Gelegenheiten Kontakt zu Luther aufzunehmen. Dessen Antwortschreiben ist nicht überliefert. Johannes Oecolampadius half dem Benediktiner bei seinen Bemühungen, Griechisch zu erlernen und erteilte theologischen Rat (5 Briefe von, 6 an B.). Die Freundschaft zerbrach, als Oecolampadius sich in der Abendmahlsfrage Zwingli anschloß. Weitere Briefpartner B.s aus dem Umfeld der Reformation waren Konrad Adelmann von Adelmannsfelden, Johann Frosch, Johann Denk und Urbanus Rhegius. Ausgaben. Veith, Bd. 12, Augsburg 1796, S. 129–132 (10 Briefe Spalatins an B. in Auszügen); Luther-Br., Bd. 1, Nr. 95; Bd. 2, Nr. 279, 284; A. Bigelmair, Der Briefwechsel v. Oekolampadius mit V. B., in: Briefmappe. 2. Stück (Reformationsgesch. Stud. u. Texte 40), 1922, S. 3–21; E. Staehelin (Hg.), Briefe u. Akten z. Leben Oekolampads, Bd. 1 (QF z. Reformationsgesch. 10) 1927 (ND New York/London 1971), Nr. 48, 49, 64, 86, 87, 114, 115, 159, 217, 225; Nr. 231 (ein Brief Konrad Adelmanns an B.); Veith, Bd. 2, S. 24–26 (4 Briefe Konrad Adelmanns an B.).
I II . Wer k. Das Spektrum seiner Schriften belegt B.s Vielseitigkeit. Nicht immer steht B.s Anteil fest, bei mancher Zuschreibung bleiben Zweifel. Vieles war nur äußerliche Überarbeitung, das Wenigste wurde gedruckt. Eigenes und Exzerpiertes sind in den meist umfangreichen Sammelhss. aus B.s Besitz (Augsburg, SuStB, 2° Cod. 207; 8° Cod. 1, 7, 14, 100, 103, 105, 107) ohne nähere Untersuchung vorerst schwer zu scheiden. Einen Schwerpunkt bilden Traktate, Notae und Exzerpte zu Arithmetik, Geometrie (s. u. III.5.) und Astronomie (u. a. aus Schriften des D Regiomontanus und des D Johannes von Gmunden) die Musik (s. u. II.6.), daneben das Trivium. Medizinische und alchemistische Rezepte, Anleitungen zum Bau von Sonnenuhren und zur Visierkunst (2° Cod. 207) fanden sein Interesse. Vier Sammelhss., darin Exzerpte aus antiken Autoren (Seneca, Augustin, Boethius’ ‘Consolatio philosophiae’ in 8° Cod. 1, Teil 2, unpaginiert), aus den Sentenzen des Petrus Lombardus und aus Thomas von Aquin (8° Cod. 14), ein Repertorium triviorum zu Grammatik, Rhetorik, Brieflehre und
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Dialektik (8° Cod. 103) sowie Excerpta philosophica (aus Aristoteles’ ‘De anima’ und ‘Physica’ sowie zur Moralphilosophie; 8° Cod. 107), übergab B. 1504 mit Schenkungsvermerken der Klosterbibliothek. Aufzeichnungen zum hebr. Alphabet und zur Lautlehre (8° Cod. 1, T. 1, Bl. 4⫺7, vor 1504; 8° Cod. 100, unpaginiert, 1512/13; nur 2° Cod. 207, 20v⫺27v, 1514, auch zur Formenlehre) können nicht identisch sein mit der hebr. Grammatik, die Amman 1522 für B. zusammengestellte (bei Veith, Bd. 12, S. 135 f.). Auch zum griech. Alphabet, der Lautlehre und den Ligaturen finden sich Aufzeichnungen (8° Cod. 100, unpaginiert). Am 11. Jan. 1519 beendete B. eine für seinen Unterricht zusammengestellte lat. Grammatik (8° Cod. 105, 4r⫺ 147v, Vorstudien in 8° Cod. 7, unpaginiert, vor 1504), die er an benachbarte Klöster verlieh und mehrfach zurückforderte (bei Braun, Bd. 4, S. 92). Eine Exzerptsammlung aus den Sentenzen des Petrus Lombardus (wohl 8° Cod. 14, vor 1504) sandte B. am 22. Nov. 1507 in vergeblicher Hoffnung um Drucklegung an Adelmann (Braun, Bd. 4, S. 92 f.). Weitere Exzerpte aus den Sentenzen, dem kanonischen Recht und der aristotelischen Logik entstanden 1512/13 z. T. in Melk (8° Cod. 100). In dt. Sprache schrieb B. medizinische Rezepte sowie Abhandlungen und Exzerpte zur Arithmetik, Geometrie und zum Computus (s. u. III.5.), einmal auch Notizen zu hebr. Vokabeln (8° Cod. 105, 147v⫺148v). B. besaß eine Abschrift von Melchior Schanppechers ‘Musica figurata’ (Augsburg, SuStB, 2° Cod. 207, 278r⫺288r) und wirkte an einer Abschrift von J Trithemius’ ‘Polygraphia’ mit (2° Cod. 136).
1. H er au sg eb er, Kor re kt or, B ea rb ei te r u nd Fo rt se tz er. a) Egregia venerabilis Magistri Io⫽|annis de Werdea [Johannes D Fabri] proverbia ma⫽|gnam philosophie partem in se | continentia studiose iuuentu|ti ornatissime edita | Epigramma ad lectorem […] F. V. bild. Augsburg: Joh. Otmar, 1505. VD 16, F 81. Aus der beliebten Sammlung lat. und dt. Proverbia edierte B. die lat. Gedichte zum Studium der lat. Sprache. Abdruck von Widmungsepigramm und -brief bei Braun, Bd. 4, S. 96.
b) ‘Catalogus abbatum Fultenbacensium’. 1510 nahm B. eine stilistische Überarbeitung der ‘Conscriptio abbatum’ des 1467 eingezogenen und 1471 vom Ulrichskloster neu besiedelten Klosters Fultenbach vor, um die ihn Abt Jakob Böham gebeten hatte. 1513 ergänzte er sie um die neueste Geschichte des Klosters. Den bei-
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den seit der Neugründung verstorbenen Äbten ist je ein Epicedion gewidmet. Überlieferung. Augsburg, Bistumsarchiv, Hs 81/II, 8v⫺12v (die Überarbeitung von 1510); 13r⫺ 16r (die ergänzte Fassung von 1513). Ausgabe. Braun, Bd. 4, S. 192–195.
c) Augsburger Geschichtsschreibung Sigismund D Meisterlins. Die ‘Chronographia Augustensium’ von 1456/57, deren Sprache und Stil durch den ersten Abschreiber angeblich gelitten hatte, korrigierte B. 1515 nach einer Bemerkung in den Conscriptiones (Schrˆder, S. 186), die ihre Bestätigung in einer Excusacio correctoris vom 10. Nov. 1515 zu Leonhard Wagners Abschrift (Clm 1009, 105v; bei Braun, Bd. 3, S. 66) findet. Inwieweit die von Hirsch (S. 157⫺159) als Interpolationen beschriebenen Passagen in dieser Hs., die Berührungen zum Wortlaut des lat. ‘Ehrenbuchs’ für die Augsburger Hausheiligen (s. u. 4.c) aufweisen, auf B. zurückgehen, steht dahin. Meisterlins ‘Index monasterii SS. Udalrici et Afrae’ von 1484 erweiterte B. 1516 um ein Kapitel über die Regierungzeit Abt Konrad Mörlins und die Wahl seines Nachfolgers (1496⫺1510; Clm 1009, 148v⫺149v; vgl. Braun, Bd. 4, S. 53 f.). Nach einer nicht belegten Behauptung Bellots (S. 401; danach Posset, 2003, Sp. 118) ist B. auch der Herausgeber des dt. Teildrucks der ‘Chronographia Augustensium’ (Ein sch one e | Cronick vnd Hystorie/ wye nach/ Der Synndtfluß Noe. Die | teütschen/ [...] jren anfang | enpfangen haben/ [...]. Augsburg: Melch. Ramminger, 1522; VD 16, M 2299). B.s Identität mit dem ungenannten liebhaber altter vnnd g otlicher/ e auch Euangelischer warhait ([H6]r), der sich in der Beschluß red ([H5]v⫺[H6]r) besondere Bekanntschaft mit dem Ulrichskloster zuschreibt, bleibt vorerst zweifelhaft. d) Luce Gaurici Neapolitani | Prognosticon […] Octostichon pium ad lectorem […] F. V. B. [Augsburg: Silvan Otmar, um 1522]. VD 16, G 556. e) [D Johannes von Paltz], Tractatus glorisissime | virginis dei genitricis Marie. qualiter | festa celebranda sint ostendens [...]. [Augsburg: Joh. Otmar], 1508. VD 16, J 260. Widmungsepigramm ei-
nes B. auf der Titelseite, Vor- und Nachwort; der Text ist am Ende um den Abdruck von 8 Urkunden (päpstliche Bullen, Abschiede des Konzils zu Basel und B. Adolfs von Mainz) ergänzt. – Diss büchlin wirt ge|nant/ die syben porten oder fest der | m uter e gottes marie/ [...]. Augsburg: Joh. Otmar, 1509. VD 16, J 263. Gedicht (8 Knittelvv.) und Vorrede (Titelbl.r⫺v). Ausg. der Widmungsgedichte, Vor- und Nachreden zu beiden Drucken und der Zusätze zum lat. Druck bei Ch. Burger u. a., Joh. v. Paltz, Werke, Bd. 3, 1989, S. 290, 292, 296, 325, 327 (ohne Zuweisung an B.). Zur Zuschreibung an B. vgl. Veith, Bd. 1, S. 22; Braun, Bd. 4, S. 96 (die dt. Übers. brachte B. auf Bitten des Kaplans des Augsburger Ursulaklosters zum Druck).
2. G ed ic ht e. In B.s Conscriptiones finden sich Gedichte religiösen und profanen Inhalts. Auch eine humanistisch glättende Überarbeitung der 1493 oder 1497 entstandenen, auf Bücherkästen, Türen und Pulten der udalrikanischen Bibliothek angebrachten abecedarischen Verse des Andechser Benediktiners Georg D Polster wird B. zugeschrieben (Schmidt, S. 52 f., S. 70). Die erneuerten ‘Metra secundum alphabetum in bibliotheca super arcas’ (19 Tetrastichen und ein von Polster übernommener dt. Vierzeiler zu den dt. Büchern; Augsburg, Bistumsarchiv, Hs 83/I, 86v⫺88v; hg. v. Schmidt, S. 67⫺70) setzen gute Kenntnis der Klosterbibliothek voraus. 3. ‘ Pr ob a c en tu m s cr ip tu ra ru m’ . Das Ks. D Maximilian gewidmete kalligraphische Meisterwerk ‘Proba centum scripturarum’ bildet hundert Schriftarten, alte, zeitgenössische und phantasievoll variierte, von der Hand des Augsburger Benediktiners Leonhard Wagner (1453/54– 1521) ab, der damit alle Schreibmeister seiner Zeit übertraf. B. verfaßte 1509/10 die Widmung und Geleitverse an den Kaiser. Er gilt als Urheber der teils charakterisierenden, teils phantastischen Schriftnamen. Zu ihrer Bewertung vgl. Schmidt, S. 154, Anm. 17, und, kritisch, Wehmer, Faksimileausg., Einl., S. 5. Überlieferung. Augsburg, Bistumsarchiv, Hs 81/I, 190v, erste Fassung vom 21. Sept. 1509; 193r, endgültige Fassung vom 10. Febr. 1510. In Wagners
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Reinschrift (ebd., Hs 85a, 2r) ist die Widmung undatiert. Faksimileausg. v. C. Wehmer, Leonh. Wagner, Proba centum scripturarum, 2 Bde., 1963.
4. L it ur gi e u nd Ha gi og ra ph ie . a) ‘Historia S. Hieronymi’. Im Auftrag seines Abtes Konrad Mörlin dichtete B. 1504 ein Offizium zu Ehren des hl. Hieronymus. Diese Erstfassung korrigierte er mehrmals. 1507 bat er Johann Ziegler, den verbesserten Text in Noten zu setzen. 1508, zum Festtag des hl. Hieronymus, wurde das Offizium erstmals im Chorgebet gesungen. Überlieferung. 1. Fassung: Augsburg, Bistumsarchiv, Hs 81/I, 8v–15v; 2. Fassung: ebd., 18v–25v. Das Offizium ist nicht, wie verschiedentlich behauptet (Bellot, S. 401; Posset, 2003, Sp. 117), in der ‘Historia horarum canonicarum de s. Hieronymo’ (Augsburg: Erh. Ratdolt, 1512; VD 16, B 1184) mit liturgischen Arbeiten Bebels und seines Kreises enthalten.
b) Offizium des hl. Dionysius. Für die Festfeier des hl. Dionysius (26. Febr.) 1506 im Augsburger Domchor schrieb B. im Auftrag B. Christophs von Lichtenau sechs Lektionen. Diese wurden 1508 in einem Brevier für die Diöz. Augsburg gedruckt und blieben bis Ende des Jahrhunderts im liturgischen Gebrauch. Druck. Diurnale secundum ritum | ecclesie Augustensis partis Hye-|malis et Estiualis de tempore/ et sanctis: [...]. Basel: Jak. v. Pforzheim, 1508, nach Bl. s iij, als Anhang zur Pars hiemalis de tempore. VD 16, B 8117.
c) ‘Ehrenbuch’ der Hll. Ulrich, Simpert und Afra. Zur Feier der in seinen Mauern bestatteten Augsburger Patronatsheiligen gab das Ulrichskloster ein am 14. April 1516 vollendetes lat. ‘Ehrenbuch’ heraus, dessen dt. Übersetzung am 6. Okt. d. J. fertiggestellt war. Der erste Teil stellt – jeweils geordnet nach vita, inventio, translatio und miracula – die “hagiographische Hausliteratur des Ulrichsklosters” (H‰gele, S. 54) zusammen. Die eröffnende Ulrichslegende enthält die hier erstmals gedruckte Vita D Berns von Reichenau, der 14 Wundererzählungen und der Epilog der Ulrichsvita D Gerhards von Augsburg sowie die Kanonisationsurkunde von 993 (Erstdruck)
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angefügt sind; einzelne Stellen aus D Gebehart scheinen Meisterlins ‘Chronographia Augustensium’ entnommen zu sein (Hirsch, S. 156). Zum Text der Simpertlegende (BHL 7744 f., 7782 f. u. 7785; mit zwei Inventiones, 1064 u. 1491/92) ist keine Parallelüberlieferung bekannt. Die Afralegende (s. Bigelmair, 1911, S. 155) enthält die ‘Conversio et passio S. Afrae’ (BHL 108 f. u. 2159; MGH SS. rer. Merov. 3, S. 46 f., 54⫺66) mit D Adilberts von Augsburg ‘Prologus’ (Erstdruck) und zwei Ergänzungen (BHL 112 u. 2159), eine ‘Inventio S. Afrae’ (BHL 115) sowie eine Sammlung von Wundern der Heiligen (BHL 116). Der zweite Teil stellt – ohne Melodien – die im Kloster an den Festtagen der drei Heiligen gebräuchlichen (vgl. Pr u. R iijr) liturgischen Dichtungen zusammen, darunter D Uodalscalcs ‘Historia S. Udalrici’, ein anonymes, auch in 2 Hss. von 1492 überliefertes Reimoffizium des Hl. Simpert (s. Th. Wohnhaas, Jb. d. Ver. f. Augsburger Bistumsgesch. 12 [1978] 50⫺60, ohne diesen Druck), D Hermanns von Reichenau ‘Historia S. Afrae’ (s. Bigelmair, 1911, S. 160) sowie ein den drei Heiligen gemeinsam gewidmetes Offizium. Den Offizien folgen einige Hymnen und eine Sequenz (vgl. Bigelmair, 1911, S. 157 f.). Der ungenannte Herausgeber, ein Konventuale des Ulrichsklosters (vgl. [a]v, H iv, [S7]v u. ö.), dem Berschin eine vorzügliche Leistung attestiert (1989, S. 156), steuert Vor- und Nachreden, Überleitungen und acht Carmina bei. Er bekennt sich dazu, aus Mangel an stilistisch zureichenden Vorlagen die Legende des hl. Simpert neu verfaßt (Hv) und eine Sammlung rezenter (1507⫺09) Afra-Mirakel aufgenommen (O iiv) zu haben. Sein Ziel ist eine vollständige, stilistisch bereinigte Sammlung der Hagiographie und Liturgie der Hausheiligen seines Klosters (Prolog, [a]v). Vergleichbare hagiographische Sammlungen lagen hsl. in lat. (zuerst Wien, ÖNB, Cod. 573, 12. Jh., mit Liturgica) und dt. Sprache (Cgm 751 u. 402) in der Klosterbibliothek sowie im – bescheideneren – dt. ‘Ulrichsbüchlein’ ([Augsburg: Joh. Bämler, 14]83; GW 2860) gedruckt vor.
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Die der Vorlage getreu folgende und zuverlässige dt. (ostschwäb.) anonyme Übersetzung (s. Hirsch, S. 160 f.) des hagiographischen Teils des ‘Ehrenbuchs’ läßt neben den Liturgica Berns Vorrede zur Ulrichsvita fort; sie weist eine eigene Vor- und Nachrede auf und führt in der Ulrichs- und Simpertlegende Kapitelzählung und -überschriften ein. Der Übersetzer, ein Konventuale, identifiziert sich (IIr, in 1. Pers. Plur.) mit dem Herausgeber der lat. Ausgabe. Einfluß des Augsburger Drucks von ‘Der D Heiligen Leben’ (Silvan Otmar, 1513; VD 16, H 1475 f.), den Wilhelm, S. 155, für die Übersetzung der ‘Conversio et Passio S. Afrae’ vermutete, wurde von Hirsch nicht bestätigt. Auf Identität des Herausgebers und des Übersetzers mit B. schloß Braun, Bd. 4, S. 88, aus der Überlieferung der gesamten Simpertlegende und der redaktionellen Partien der lat. und dt. Drucke im 2. Bd. der Conscriptiones (ebd. Abdruck des lat. Prologs zur Simpertlegende [⫽ Hv]). Die spätere Forschung, die sich nur noch auf Schrˆders begründungslose Zuschreibung der fraglichen Partien beider Drucke an B. (S. 185 Anm. 2) bezog, brachte hierfür nichts Neues. Druck. 1) Glorioso|rum christi confessorum Vldari⫽|ci et Symperti: necnon beatissi⫽|me˛ martyris Afre˛/ Augusta⫽|ne˛ […] historie˛ […]. 6 Leonh. Beck zugeschriebene Holzschnitte. Augsburg: Silvan Otmar für St. Ulrich u. Afra, 1516. VD 16, B 2052. Abb. dreier Holzschnitte bei H‰gele. – 2) Das leben: verdienen: | vnd wunderwerck der hailigen | Augspur⫽|ger Bistumbsbischoffen/ sant Vlrichs/ | vnd Symprechts/ auch der s aligen e mar⫽|trerin sant Aphre […]. Augsburg: Silvan Otmar für St. Ulrich u. Afra, 1516. VD 16, B 2053. Abdruck des Beginns der dt. Afralegende bei Wilhelm, S. 168 f. Der lat. Druck oder eine gemeinsame Vorlage lag der dt. Übers. der Ulrichslegende einer Colmarer Dominikanerin Dorothea von Kippenheim zugrunde (s. D ‘Ulrich von Augsburg’ [B.9.]). d) Kleinere liturgische Arbeiten sind in den Conscriptiones erhalten. 1508 begann B. auf Bitten Abt Johannes Schrotts mit der Arbeit an einem (anscheinend unvollendeten) Offizium des hl. Franziskus (Braun, Bd. 3, S. 83); er übersetzte 1506 für einen Augustinerchorherren von St. Georg ein Totenamt und 1519 ein Offizium der hl. Katharina von Siena zur Profeß einer Schwester seines Abtes im Franziskaner-Terziarinnenkloster St. Ursula ins Deutsche (ebd., S. 82 u. 88).
5. Mat he ma ti k, As tr on om ie , A st ro lo gi e.
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B. beschäftigte sich mit fast allen Zweigen der Mathematik, im Vordergrund stand für ihn die praktische Anwendbarkeit. Neben dem Briefwechsel und den in den Conscriptiones eingestreuten Arbeiten, darunter ‘Canones’ zum ‘Clipeus Austriae’ des Andreas J Stiborius (Augsburg, Bistumsarchiv, Hs 81/III, 86r–93v), erlauben mehrere Hss. aus seinem Besitz Rückschlüsse auf B.s mathematische Interessen, besonders Augsburg, 2° Cod. 207 sowie 8° Cod. 1, 100 u. 103. Umfangreiche lat. und dt. arithmetische (Linien- und Ziffernrechnung) und geometrische Aufzeichnungen (Beschreibung und Teiledition mathematischer Texte bei Kaunzner, S. 9−11, 29−37, Abb. S. 52−62). Auch zu astronomischen Fragen fertigte B. (u. a. aus D Regiomantanus’ ‘Kalendarium’) Exzerpte (mit Zeichnungen) an. a) ‘Astronomischer Kalender’. B.s Kalender verzeichnet die Zeiten des Sonnenauf- und -untergangs, enthält Angaben über Tageslänge, Sonnenhöhe und die Deklination der Sonne. Dazu berechnete B. (fehlerhaft) die geographische Länge und Breite Augsburgs. 1515 litt die Freundschaft zu Peutinger Schaden, weil dieser den Kalender nicht zum Druck beförderte. Ein zweiter Vorstoß, 1521 bei Sigmund Grimm, brachte B. auch keinen Erfolg. Überlieferung. Calendarium novum ad Augustanam Vindelicorum ac propinquiores utrinque latitudines quam peraccuratissime calculatum. Augsburg, Bistumsarchiv, Hs 81/II, 213v⫺215r.
b) ‘Practica Deutsch’. Eine für den Febr. 1524 berechnete Planetenkonjunktion im Zeichen der Fische löste eine Flut von astrologischen Prognostiken und Streitschriften über die zu erwartenden Folgen aus. In einem Brief an Peutinger (Ende Febr. 1524; Peutinger-Br., S. 386 f., Nr. 242) bekannte sich B. dazu, unter dem Decknamen Johann Gereon in die Diskussion eingegriffen zu haben. Druck. Practica Teütsch | Johannis Gereonis philosophie/ | auff das M.D.XXiiij. jar. [München: Hans Schobser, um 1523]. VD 16, G 1480.
6. Mus ic al ia . a) ‘Stella musicae’. B.s knappe schulpraktische Lehrschrift – “das erste gedruckte Musiklehrbuch ge-
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nuin Augsburger Provenienz” (Rˆder/ Wohnhaas, S. 307) – sollte die Jugend in sieben Kapiteln in die Lehre des einstimmigen liturgischen Gesangs einführen. Sie weist zahlreiche Berührungen, bes. im Bereich der Notenbeispiele, mit dem 5. Buch von Gregor J Reischs ‘Margarita philosophica’ oder einer gemeinsamen Quelle (Johannes J Cochlaeus’ ‘Tetrachordon Musices’?) auf (ebd., S. 319 f.). Überlieferung. Augsburg, Bistumsarchiv, Hs 81/I, 60r⫺79r, 1507. Druck. Stella musicae. | Iuuenibus artisque eiusdem adhuc nouellis | vera propter principia inde nanciscenda edita [...]. Augsburg: Erh. Oeglin u. Georg Nadler, 1508. VD 16, B 5470. b) Weitere Musicalia aus B.s Feder sind eine kurze, in zwei Varianten überlieferte Lehrschrift zum gregorianischen Choral, eine 1512 auf Bitten des Subpriors und Priors von Melk geschriebene kurze Neufassung der ‘Stella musicae’ (Augsburg, SuStB, 8° Cod. 103, 181r–184v; ebd., Bistumsarchiv, Hs 81/II, 71v–73v; s. Rˆder/Wohnhaas, S. 323 f.), eine kleine Abhandlung zur MonochordTeilung (ebd., Bistumsarchiv, Hs 81/II, Bl. 1; Augsburg, SuStB, 2° Cod. 207, 254v⫺255r), sowie weitere Aufzeichnungen und Exzerpte (ebd., 8° Cod. 100, 32v⫺34r). 7. Theologie. a) ‘Grund vnnd Schriftliche anzaygungen’. Der Autor der anonymen, dreimal mit dem Monogramm S. V. P. (Titels., A ijv, C iijv) gezeichneten Flugschrift versucht, den Glaubensartikel vom Abstieg Christi zur Hölle aus der Bibel zu belegen. Die Streitschrift wird im VD 16 B. zugeschrieben. Sie ist im Stil einer Predigt als Antwort auf die Frage von Mitbrüdern, warum der Artikel zwar im Apostolicum, nicht aber in Nicaenum vorkomme, gehalten, und verweist auf Äußerungen Luthers, Bugenhagens und des Urbanus Rhegius zur Frage (s. Posset, 2004). Ihre Zuschreibung an B., der zum Zeitpunkt noch nicht mit der Reformation gebrochen hatte, ist denkbar, aber nicht sicher. Druck. Grund vnnd Schriftliche | anzaygungen auß hailiger geschrifft/ des | aynigen Artickel halber vnnsers glaubens/ [...]. [Augsburg: Phil. Ulhart d. Ä.], 1525. VD 16, B 5469. b) Kleinere, unveröffentlichte theol. Arbeiten, etwa Predigten vor dem Konvent im 1. Bd. der Conscriptiones (Braun, Bd. 4, S. 83), lat. Beichtformulare, ein geistliches Carmen De praeceptis ecclesiae, Abhandlungen zur Eucharistie u. a. (Augsburg, SuStB, 8° Cod. 105, Bl. 149⫺200) harren näherer Erschließung.
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Literatur. F. A. Veith, Bibliotheca Augustana, Augsburg, Bd. 1, 1785, S. 10–33, Bd. 2, 1786, S. 24−26, Bd. 12, 1796, S. 125⫺140; Pl. Braun, Notitia historico-literaria de codicibus [...], Augsburg, Bd. 3, 1793, S. 42⫺66, Bd. 4, 1793, S. 81⫺ 95, 192⫺194; A. Schrˆder, Der Humanist V. B., Mönch bei St. Ulrich. Sein Leben u. sein Briefwechsel, Zs. d. Hist. Ver. f. Schwaben u. Neuburg 20 (1893) 173–227; F. Wilhelm, St. Afra. Eine schwäb. Reimlegende, in: Analecta Germanica. Fs. H. Paul, 1906, S. 41⫺168, hier S. 155, 168 f.; A. Bigelmair, Die Afralegende, Arch. f. d. Gesch. d. Hochstifts Augsburg 1 (1911) 139⫺221, bes. S. 155, 157⫺160, 217, 221; A. Hirsch, Die dt. Prosabearbeitungen d. Legende vom hl. Ulrich, 1915, S. 154⫺162; E. Zinner, Dt. u. ndl. astronomische Instrumente d. 11.–18. Jh.s, 1956, S. 67, 74, 248 f.; A. Bigelmair, in: NDB 2, 1958, S. 235; J. Bellot, Das Benediktinerstift St. Ulrich u. Afra in Augsburg u. d. Humanismus, Stud.Mitt.OSB 84 (1973) 394–406, hier S. 400⫺402; W. Kaunzner, Über d. mathematischen Hss. d. SuStB Augsburg. Ein Beitr. z. Gesch. d. Rechenkunst im ausgehenden MA, 1983, S. 8⫺11, 17⫺36, 42, 52⫺62; R. Schmidt, Reichenau u. St. Gallen. Ihre literar. Überl. z. Zt. d. Klosterhumanismus in St. Ulrich u. Afra zu Augsburg um 1500 (Vorträge u. Forsch. Sonderbd. 33), 1985, S. 53, 66–70, 78, 140; W. Berschin, Uodalscalc-Studien III. Historia S. Uodalrici, in: Tradition u. Wertung. Fs. F. Brunhölzl, 1989, S. 155⫺164, hier S. 156; Ch. Schˆner, Wissenschaft im ‘Donauraum’, in: W. M¸ller u. a. (Hgg.), Univ. u. Bildung. Fs. L. Boehm, 1991, S. 89⫺100, hier S. 96⫺98; G. H‰gele, in: R. Frankenberger (Hg.), Vita sancti Vdalrici. Kat. z. Ausstellung d. UB Augsburg [...], 1993, S. 54⫺56; W. Berschin / A. H‰se (Hgg.), Gerhard v. Augsburg, Vita sancti Uodalrici [...] lat.-dt. (Editiones Heidelbergenses 24), 1993, S. 38⫺41, 51, 416; Schˆner, Ingolstadt, S. 275–277; K. Graf, Ordensreform u. Literatur in Augsburg während d. 15. Jh.s, in: J. Janota / W. Williams-Krapp (Hgg.), Literarisches Leben in Augsburg während d. 15. Jh.s, 1995, S. 101⫺159, hier S. 110 f., 120, 122, 138; Th. Rˆder / Th. Wohnhaas, Die Stella musicae d. Benediktiners V. B. Eine spätmal. Musiklehre aus Augsburg, Jb. d. Ver. f. Augsburger Bistumsgesch. 32 (1998) 305–325; Th. Rˆder, in: 2 MGG Personenteil 2, 1999, Sp. 1611 f.; H. M¸ller / A.-K. Ziesak, Der Augsburger Benediktiner V. B. u. d. Humanismus. Eine Projektskizze, Zs. d. Hist. Ver. f. Schwaben 95 (2002) 28–51; F. Posset, in: BBKL, Bd. 21, 2003, Sp. 116–121; ders., The Benedictine Humanist Vitus B. (1480⫺1529), The American Benedictine Review 55 (2004) (im Druck).
Anne-Katrin Ziesak
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Blar de Brudzewo, Albertus
Blar de Brudzewo (Brutus, de Prusa), Albertus 1. B., geb. Ende 1445 oder in der ersten Hälfte d. J. 1446, immatrikulierte sich am 25. Aug. 1468 an der Univ. zu Krakau. Über seine familiäre Herkunft lassen sich keine Angaben machen, ebensowenig über seine familiären Ursprünge (in der Matrikel erscheint der Vatername Stephanus). Das Geburtsdatum erschließt sich aus einer von anderer Hand eingetragenen kurzen Lebensbeschreibung auf Bl. 1r einer aus seinem Besitz stammenden Hs. der Libri sententiarum des Petrus Lombardus (Krakau, Bibl. Jagiellon´ska, Ms. 1530, v. J. 1458/59), in der er zum Zeitpunkt seiner Ernennung zum collegiatus minor am 27. Aug. 1476 als 31-jährig bezeichnet wird. Die Herkunftsbezeichnung de Brudzewo weist auf zwei Orte gleichen Namens in der heutigen Woiwodschaft Konin (östl. von Posen) und ist deswegen nicht eindeutig (vgl. Birkenmajer, 1900, S. XIX, Anm. 1). Die Annahme, B. sei in Brudzowice bei Tschenstochau geboren (H. Grˆssing, in: LexMA, Bd. 2, 1983, Sp. 265), ist aus seinem Namen indes nicht abzuleiten. Der in der Forschung üblicherweise verwendete Nachname Blar ist nur einmal im ‘Liber promotionum’ der Krakauer Artistenfakultät überliefert, wo B. anläßlich seines Dekanats im Jahre 1485 als Magister Albertus Blar de Brudzewo verzeichnet ist (Ksie˛ga Promocij Wydziału Sztuk Uniwersytetu Krakowskiego z XV wieku, hg. v. A. Ga˛ siorowski, Krakau 2000, S. 78). Daß es sich hierbei nicht um einen Nachnamen, sondern um die Abbreviatur für baccalaureus handelt, wie von Birkenmajer, 1900, S. XXI, Anm. 1, und Palacz, S. 172, nahegelegt wird, ist kaum wahrscheinlich. Der ‘Liber promotionum’ bezeichnet die Magister der artistischen Fakultät nur dann auch als Baccalaurei, wenn sie diesen Grad in einer der höheren Fakultäten erworben haben, und vermerkt dann auch das entsprechende Fach. B. erwarb aber erst 1490 das theol. Bakkalaureat. Die in der modernen Literatur bisweilen verwendeten Namen Blarer und Brudzewski sind in zeitgenössischen Quellen nicht belegt, wohl aber die Latinisierungen Brutus und de Prusa für (de) Brudzewo. In der poln. Forschung wird in der Regel der Vorname Wojciech als Entsprechung für Albertus verwendet.
Baccalaureus artium 1470 (Ksie˛ga Promocij […], hg. v. A. Ga˛ iorowski, S. 61) und 1474 (ebd., S. 65) zum Magister promoviert, hielt B. seit 1476 an der Krakauer Universität Kurse in Mathematik und
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Astronomie, zunächst im Rang eines collegiatus minor, ab 1483 dann als collegiatus superior. Nach dem Erwerb des theol. Bakkalaureats am 14. März 1490 – im selben Jahr erhielt er auch ein Kanonikat bei St. Florian in Krakau – wurde B. Mitglied der theol. Fakultät, unterrichtete aber weiterhin bei den Artisten und konzentrierte dort seine Lehre ausschließlich auf Gegenstände der aristotelischen Philosophie. Ob B. 1490/91 einen Kurs über Livius gehalten hat, ist auf Grund des unsicheren paläographischen Befundes an der entsprechenden Stelle des ‘Liber diligentiarum’, die den Gegenstand der Lehrveranstaltung nur erahnen läßt, nicht sicher (vgl. Birkenmajer, 1900, S. XXX). Ein Verzeichnis seiner Lehrveranstaltungen zwischen 1484 und WS 1493/94 findet sich bei Palacz, S. 179⫺184. Im Frühjahr 1494 wurde B. auf Empfehlung des Kanzlers der Krakauer Universität, des Kardinals Friedrich Jagiello, für ein Jahr zum Sekretär des Großfürsten von Litauen Alexander Jagiello (1461⫺1506, ab 1501 Kg. von Polen) ernannt und folgte diesem nach Wilna (s. Conclusiones Universitatis Cracoviensis ab anno 1441 ad annum 1589, hg. v. H. Barycz, 1933, S. 77 f.). Im April 1495 starb B. in Litauen, ohne nach Krakau zurückgekehrt zu sein. 2. Neben Johann (Schelling) aus Glogau (1445⫺1507) war B. im letzten Drittel des 15. Jh.s der bedeutendste Lehrer der Mathematik und Astronomie an der Univ. Krakau, die sich seit ihrer Erneuerung i. J. 1400 sukzessive zum Zentrum der Astronomie in Europa entwickelt hatte. Seinem astronomischen Unterricht legte B. die 1468 durch den Astronomen Martin Bylica (1433⫺1493) in Krakau bekannt gewordenen ‘Theoricae novae planetarum’ des Georg von D Peuerbach (1421/23⫺ 1461) zugrunde, wodurch er die bis dahin als wichtigstes astronomisches Lehrbuch in Krakau verwendeten ‘Theoricae planetarum’ des Gerardus von Cremona aus dem 12. Jh. ablöste. Zu Peuerbachs Schrift verfaßte B. 1482 einen Kommentar, auf dem er fortan seinen Unterricht aufbaute. Neben diesem Hauptwerk entstammen seiner Feder verschiedene kleinere astronomi-
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Blar de Brudzewo, Albertus
sche Schriften, v. a. Horoskope, Almanache und Sterntafeln, darunter eine Erweiterung der ‘Tabulae directionum profectionumque’ des Joh. D Regiomontanus. Ein theologischer Traktat aus der Litauer Zeit mit dem Titel ‘Conciliator’ ist nur dem Namen nach bekannt. Werkverzeichnis bei Birkenmajer, 1900, S. XXXIX⫺ XLI, hsl. Überl. bei Markowski, S. 7⫺17. Zu B.s Schülern zählten Johann D Virdung aus Hassfurt, J Augustinus Moravus und vor allem Konrad J Celtis, der sich von 1489 bis 1491 in Krakau aufhielt, um Astronomie zu studieren, und in engen Kontakt zu B. trat. Das innige Verhältnis der beiden bezeugt B.s Dankbrief für den Erhalt von Celtis’ ‘Panegyris ad duces Bavariae’, in dem B. seinen ehem. Schüler mit salve mi fili anredet (Celtis-Br., Nr. 56). B.s Lehrtätigkeit hat nicht nur Celtis’ astronomische Vorstellungen entscheidend geprägt, auch die hohe Bedeutung, welche Celtis der Astronomie in seinem Bildungsprogramm der ‘Panegyris’ zuerkennt, gibt B.s Einfluß deutlich zu erkennen. Zu Celtis’ hoher Wertschätzung des Krakauer Lehrers s. Od. 1, 17: Ad Albertum Brutum astronomum. Wohl auf Celtis’ Veranlassung nahm Johannes J Trithemius B. in seinen ‘Catalogus scriptorum ecclesiasticorum’ auf (Trithemius, Script. eccl., S. 396). Daß auch Nicolaus Copernicus, der sich 1491 in die Matrikel der Univ. Krakau eintragen ließ, die Grundlagen der Astronomie bei B. erhielt, ist zu bezweifeln, da B. seit 1490 nicht mehr über Planetentheorie las. Dies schließt freilich nicht aus, daß Copernicus außerhalb des Lehrbetriebs mit B. in Kontakt getreten ist. Während persönliche Begegnungen nicht nachweisbar sind, hat Birkenmajer auf Übereinstimmungen zwischen Copernicus’ Hauptwerk ‘De revolutionibus orbium coelestium’ und B.s Kommentar zu den ‘Theoricae novae planetarum’ Peuerbachs hingewiesen, welche zumindest dessen Benutzung durch Copernicus glaubhaft machen (s. Birkenmajer, 1924, S. 55⫺62).
3 . ‘ Co mm en ta ri ol us su pe r t he or ic as no va s p la ne ta ru m G eo rg ii Pu rb ac hi i’. B.s astronomischem Hauptwerk, dem 1482 entstandenen Kommentar zu Peuerbachs ‘Theoricae novae planetarum’, liegt die um 1474 von Regiomontanus in Nürn-
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berg gedruckte Ausgabe der ‘Theoricae’ zugrunde (Hain 13595), die von ihrem Editor im abschließenden Kapitel über die Bewegung der achten Sphäre um eine knappe Darstellung der diesbezüglichen Lehre des T(h)abit Ibn Qurra (9. Jh.) ergänzt wurde. Peuerbachs wichtigste astronomische Schrift orientiert sich hinsichtlich ihres Aufbaus im wesentlichen an den bis dahin als Standardwerk geltenden ‘Theoricae planetarum’ des Gerardus von Cremona, als deren Ersatz sie sich versteht – hieraus erklärt sich das Attribut novae in ihrem Titel. Den Vorgängertraktat im direkten Rückgriff v. a. auf Ptolemaeus’ astronomische Schriften korrigierend, belehrt sie zunächst wie dieser, aber einläßlicher über die Theorien der Planetenbewegung, angefangen von Sonne und Mond bis zu den fünf restlichen Planeten, um schließlich das inhaltliche Programm der mal. ‘Theoricae planetarum’ durch Kapitel über Sonnen- und Mondfinsternis sowie über die Bewegung der achten Sphäre noch auszuweiten. B.s Kommentar, der an der Verbreitung der ‘Theoricae novae planetarum’ maßgeblichen Anteil hatte, stützt seine Erläuterungen im wesentlichen auf den Almagest des Ptolemaeus, seltener auf Aristoteles und seine Kommentatoren Averroes und D Albertus Magnus. Seine auf die Bedürfnisse des universitären Unterrichts zugeschnittene Ausrichtung gibt B. vor allem in einer breit angelegten Einführung zu erkennen, in der er noch einen Schritt vor Peuerbachs Darstellung der Planetentheorien zurückgeht und die Grundannahmen erläutert, auf denen das von Peuerbach dargestellte geozentrische Planetenmodell aufbaut. Die Einleitung gibt deutlich B.s kosmologischen Ansatz zu erkennen, demzufolge es Ziel der Astronomie sei, mit Hilfe der Einsicht in die Funktionsweise des Planetensystems das Einwirken des göttlichen Willens auf den sublunaren Bereich erkennbar zu machen. Es dürfte gerade diese Kombination von didaktisch aufbereiteter astronomischer Erklärung und kosmologischem Grundverständnis sein, die B.s Unterricht und damit auch seinen Kommentar für Humanisten wie Cel-
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Boemus, Johannes, Aubanus
tis so attraktiv gemacht haben (s. Celtis, Od. 1, 17, 29⫺56, sowie Paneg., vv. 76⫺ 102). Drucke. 1. ohne Titel, expl.: [...] tantum de predictis [...] circa theoricas omnium planetarum [...]. Mailand: Ulr. Scinzenzeler, 8. Nov. 1494. GW 5576. – 2. Commentaria utilissima in | theoricis planetarum. Ebd., 30. März 1495. GW 5577. Ausgabe. L. A. Birkenmajer, Krakau 1900. Literatur. C. Morawski, Hist. de l’Universite´ de Cracovie. Moyen Age et Renaissance, übers. v. P. Rongier, 3 Bde., Paris 1900⫺1905, Bd. 2, S. 244 f., Bd. 3, S. 53, 94, 190; L. A. Birkenmajer, Stromata Copernicana, Krakau 1924; R. Palacz, Wojciech B. z Brudzewa. Stan badan´, in: Materiały i studia Zakładu Historii Filozofii Staroz˙ytnej i S´redniowiecznej 1 (1961) 172⫺198; M. Markowski, Astronomie an d. Krakauer Universität im XV. Jh., in: J. Paquet / J. Ijsewijn (Hgg.), Les universite´s a` la fin du moyen-aˆge. Actes du Congre`s international de Louvain 26⫺30 mai 1975 (Universite´ catholique de Louvain. Publications de l’institut d’e´tudes me´die´vales II 2), Löwen 1978, S. 256⫺ 275; J. Babicz, Die exakten Wiss. an d. Univ. zu Krakau u. d. Einfluß Regiomontans auf ihre Entwicklung, in: G. Hamann (Hg.), RegiomontanusStud. (WSB 364), 1980, S. 301⫺314; Grˆssing, Naturwiss.; M. Markowski, Astronomica et astrologica Cracoviensia ante annum 1550 (Studi e testi 20), Rom 1990; G. M. M¸ller, Die Germania generalis d. C. Celtis. Stud. mit Edition, Übers. u. Komm. (Frühe Neuzeit 67), 2001, S. 310⫺315.
Gernot Michael M¸ller
Boemus (Böhm, Bohemus), Johannes, Aubanus (-bensis) I . L eb en . Dem Bauernsohn B., geb. um 1485 in Aub (Kreis Ochsenfurt/Main), gest. ca. 1535 in Rothenburg o. d. T., ermöglichten zwei Verwandte Schulbesuch und Studium. Seinem Onkel Johann Zehender, Pfarrer in Aub († 1518), dankte er später mit der Widmung seines Erstlingswerks. Ein anderer Onkel, Jorius (Georg) Böhm, der 28 Jahre lang Bruder und Prior eines Dominikanerklosters in Halle/Saale war (Schnizlein, 1908a; E. L. Schmidt, S. 95), brachte ihn auf die Lateinschule des Klosters. Noch 1503 hielt er sich dort auf. Nach eigener Aussage studierte er Theologie, vermutlich in Leipzig, vielleicht auch in
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Frankfurt (Oder) und in Tübingen. An keiner dieser Universitäten ist er freilich per Matrikel nachzuweisen. Von 1508 bis 1521 war er Hauskaplan im Deutschordenshaus in Ulm. In diesen Zeitraum fallen seine beiden einzigen gedruckten Publikationen, der ‘Liber heroicus’ (1515) und ‘Omnium gentium mores’ (1520). Deren Geleitgedichte machen B.’ Kommunikationsnetz erkennbar: Der ‘Liber heroicus’ enthält Texte von Heinrich J Bebel, Wolfgang Reichart (Rychardus), Johannes J Pinicianus, Andreas Dyrlin und Jakob J Locher. Zu ‘Omnium gentium mores’ haben Nikolaus Schmierer aus Pforzheim, Johannes Hiersdorfer aus Memmingen, Bartholomäus Stör (Stella) aus Konstanz und Andreas Althamer (Paleosphyra) aus Gundelfingen Geleitverse beigetragen; Althamer schrieb zudem die Nachrede. B. verkehrte im Humanistenkreis des Ulmer Arztes Reichart. 1522 wechselte er auf die Ordenskomturei Kapfenburg bei Aalen. Ex Capfenburgo schrieb er bis mindestens 1525 Briefe (Namensform hier stets Bohemus). In seiner Korrespondenz mit Althamer und Reichart, entschiedenen Parteigängern Luthers, spielten Konfessionsfragen eine Rolle, führten ihn aber weder zum Bruch mit seinem Orden noch mit seinen Freunden. Das jüngste datierbare Zeugnis ist ein Widmungsgedicht im 2. Druck von Althamers Tacitus-Kommentar (Andreae Althameri Commen|taria Germaniae in P. | Cornelii Taciti [...] libellum | de situ, moribus, et populis Germa|norum [...]. Nürnberg: Joh. Petreius, 1536. VD 16, ZV 14839). Dort vermerkt Althamer (im Kontext seiner descriptio Francorum, S. 221), B. sei “im vorigen Jahr” in Rothenburg verstorben. Ansonsten ist über B.’ Leben, außer spärlichen Hinweisen in den Werken und Briefen, nichts in Erfahrung zu bringen. Die Akten der Ulmer Deutschordenskommende sind verlorengegangen. Falsch ist die Behauptung (zuerst Veesenmeyer; noch Schienerl), B. sei auch Hebraist gewesen. Sie beruht auf der Gleichsetzung mit einem älteren Ulmer Namensvetter, dem sonst nicht weiter bekannten Priester und Kantor Johannes Boemus (Behaim, Peham). Dieser hatte von Ulmer Juden
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Boemus, Johannes, Aubanus
vor ihrer Vertreibung (1490) Hebräisch gelernt und Schriften gekauft, von denen der Minorit Konrad J Pellikan im Jahr 1500 Kopien anfertigte und sie an Reuchlin weitergab (Veesenmeyer). B. war in dieser Zeit noch Schüler in Halle und hat nach eigenem Bekunden nie Hebräisch gelernt (E. Schmidt, 1904, S. 80⫺83).
I I. We rk e. 1. ‘L ib er he ro ic us ’. Druck. [...] | Liber heroicus de Musicae laudibus. | Carmen Sapphicum/ de laude et situ Vl⫽| mae ciuitatis [...] Cum multis | alijs Epigram|matibus. Augsburg: Joh. Miller, 1515. VD 16, B 6308. Teilabdruck: Greiner, S. 10⫺12. Teilübertragungen: P. G. Morel, Johannis Boemi Liber Heroicus de Musicae laudibus, Monatshefte f. Musikgesch. 5 (1873) 101⫺113; O. Rommel, Wiener Renaissance, 1947, S. 270⫺281; Schnizlein, 1916, S. 24 f.
Die Sammlung, deren Titelblatt keinen Verfassernamen trägt, umfaßt 32 Gedichte, von denen 25 B. gehören. Sie sind wohl zu verschiedenen Anlässen während seiner Ulmer Tätigkeit entstanden. Hervorzuheben ist der ‘Libellus de musicae laudibus’, ein in Distichen abgefaßtes Lob der zeitgenössischen Vokal- und Instrumentalmusik – u. a. sind die Wiener Hofkapelle, Paul Hofhaimer in Leipzig, Hans Buchner in Konstanz erwähnt – sowie eine ‘Quaestio theologicalis’, die den Durchlauf der Jahreszeiten mit typischen Genreszenen (z. B. Beerensammeln, Kornernte, Schweineschlachten, Weihnachtsgeschenke, Fastnachtsbräuche) veranschaulicht; Auszüge daraus sind in ‘Omnium gentium mores’ (III 15) übernommen. Mit einem ausführlichen Städtelob in sapphischen Versen, dem ‘Carmen de laude et situ Ulmae Sueviae metropolis’, mag sich B. an seiner neuen Wirkungsstätte eingeführt haben. Die übrigen Gedichte sind “schulmäßige Stilübungen schlichtester Art” (E. Schmidt, S. 66), darunter ein kleiner Traktat zur Metrik und ein Loblied auf die Gottesmutter. 2. ‘O mn iu m g en ti um mo re s l eg es e t r it us ’. Drucke. Im Erstdruck ist dem eigentlichen Werk der Registerteil mit eigenem Titelbl. vorgeschaltet: Reperto|rium librorum tri|um Ioannis
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Boemi de om|nium gentium ritibus. | Item index rerum scitu | digniorum in eosdem. Auf Bl. [7] folgt der ausführliche Werktitel: Omnium gentium mores leges et ritus ex multis clarissimis rerum scriptoribus, a Ioanne Boemo Aubano Sacerdote Teutonicae Militiae deuoto nuper collectos: et in libros tris distinctos Aphricam, Asiam, Europam. Augsburg: Sigm. Grimm u. Marx Wirsung, 1520. VD 16, B 6316. Die 2. Aufl., Lyon: Simon Vincent Erben, 1535 (IA 120.927), führt den Titel Omnium gentium mores [...] und setzt den Registerteil ans Ende. Ebenso halten es alle folgenden Auflagen (s. u. c). Dt. Übers.: Historia moralis, das ist, Warhafftige Erzelung aller vornemsten [...] Regimenten [...] Alles zum theil auß Joanne Boemo Aubano Teutonico in latein beschrieben und jetzt übersetzt, zum theil auß andern [...] Historicis zusammen getragen [...] durch Joannem Hombergium Solmaeium. Frankfurt a. M., 1604. Teilabdrucke: E. L. Schmidt, in: Auswahl aus d. Humanisten z. dt. Volkskunde (Eclogae graecolatinae 15), 1925, 21930, S. 20⫺32 (Buch III, Kap. 12⫺17, die Abschnitte über Deutschland); M. Fassnacht, Dt. Volksbräuche bei J. B., Oberdt. Zs. f. Volkskunde 11 (1937) 156⫺168 (dasselbe mit Übers.).
a) Inhalt, Aufbau und Konzeption. Das Werk unterteilt sich in drei Bücher. Liber I handelt in 6 Kapiteln von der Ausbreitung der Völker über die Erde und von den Völkern Afrikas (Äthiopier, Ägypter, Phönizier). Liber II behandelt in 12 Kapiteln die Völker Asiens (Panchaies, Assyrer, Iudäer, Meder, Parther, Perser, Inder, Skythen, Tartaren, Türken, Christiani), Liber III in 26 Kapiteln die Völker Europas (Griechen, Lakedämonier, Kreter, Thraker, Ruthenen/Russen, Litauer, Liven und Preußen, Polen, Ungarn, Böhmen, Germanen, Sachsen, Westfalen, Franken, Schwaben, Baiern und Kärntner, Italiener, Ligurer, Tuskier, Galatae, Gallier, Spanier, Lusitanier, Engländer einschließlich Schotten und Iren). Das letzte Kapitel über die Insel Taprobane skizziert ein aus zehn Völkern bestehendes Gemeinwesen mit utopischen Zügen. Das Kompendium sollte, wie Althamers Nachrede vermerkt, den Trägern öffentlicher Verwaltungsämter zur Unterrichtung dienen. Daraus erklärt sich, weshalb in vielen Kapiteln die Rechtsverhältnisse besonders akzentuiert sind. Wo immer mög-
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lich, kontrastiert B. Auskünfte über die antiken Lebensverhältnisse mit den gegenwärtigen (recentibus). Das gelingt ihm besonders ergiebig bei den Völkern des deutschen Raums, wo er aus alten und neuen Schriften schöpfen kann und wohl auch Informationen aus eigener Anschauung und Erinnerung einarbeitet. Geographische und historische Daten liefert er nur zur knappen Orientierung, um sich desto ausführlicher den Lebensgewohnheiten, der Rechtspflege und den religiösen Riten widmen zu können. Bei den Völkern der Germania bezieht er neben Adel, Geistlichkeit und Bürgern ausdrücklich auch die Bauern ein. Gelegentliche Seitenblicke auf einzelne ‘Bräuche’ waren bereits in den antiken und modernen landeskundlichen Schriften, von Tacitus bis Enea Silvio D Piccolomini und Johannes J Nauclerus, zu finden. B. macht das ‘Brauchtum’ zum Hauptthema und entwickelt so etwas wie einen ‘ethnographischen Blick’. Dieser beweist sich besonders im systematischen Erfassen von Hochzeits- und Begräbnisbräuchen. E. Schmidt erhebt die ‘Omnes gentium mores’ deshalb in den Rang einer Gründungsschrift der “deutschen Volkskunde” (S. 107). Eine Verengung aufs Heimatkundliche war freilich von B. nicht intendiert. Seine Praefatio und die beiden Eingangskapitel des 1. Buchs formulieren Überlegungen, hinter denen sich eher das Konzept einer “vergleichenden Ethnologie” abzeichnet (Hodgen, 1953). De origine hominis stellt er kontrastierend die opinio uera Theologorum und die opinio falsa Etnicorum einander gegenüber (I, 1⫺2). Die Anfänge der Menschheit, die Ausbreitung der Völker über die Erde und ihre zivilisatorische Entwicklung können nach seiner Überzeugung nicht ohne ein organisierendes Prinzip beschrieben und begriffen werden, ein Prinzip, das allein in der christlichen Heilsbotschaft gegeben sei. Den nichtchristlichen etnici fehle dies Prinzip, weshalb sie in Irrtümer und Aberglauben verfielen. Diese Diagnose hindert B. aber nicht daran, den zivilsationstheoretischen Grundgedanken der etnici zu übernehmen: Die nach der Sintflut über die Welt zerstreuten Völker
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hätten aus primitivsten Anfängen heraus im Überlebenskampf gegen die wilde Natur zur Ausbildung ihrer je verschiedenen Sprachen und Gemeinschaftswerke gefunden, hätten freilich auch, vom Irrglauben geleitet, ihre Errungenschaften allzu oft wieder verspielt. Eine konzeptionelle Schaltstelle bildet das letzte Kapitel des 2. Buchs, De Christianis, eorumque origine et ritibus. Es skizziert weitgehend deskriptiv die Entstehung des Christentums und die Ausprägung der christlichen Riten. Ihr programmatisches Gewicht erhält die Darstellung, im unmittelbar vorausgehenden Kapitel De Turcia ausführlich die mohammedanischen Riten geschildert worden sind und unmittelbar anschließend das 3. Buch mit einem Kapitel De Europeis memorabilioribus gentibus anfängt. So ist die Grenze zwischen Asien und Europa geschickt mit der ‘Frontlinie’ zwischen Islam und Christentum identifiziert. B.’ Darstellung ist wenig eifernd und geprägt vom Blick fürs knapp und gut erzählbare Detail. Wunderdingen gegenüber ist er zurückhaltend. In Äthiopien z. B. läßt er die beliebte Monstergalerie beiseite. Johann Hombergs dt. Übersetzung von 1604 hat sie, unter Berufung auf Sebastian Münster, wieder hereingenommen. b) Quellenverarbeitung. Wichtig ist B. ein durch Autoritäten gesichertes Wissen. Zu diesen Autoritäten zählt er neben den alten (Herodot, Diodorus Siculus, Strabo, Solinus, Ptolemäus, Tacitus u. a.) auch die neueren (recentiores) Vinzenz von Beauvais, Enea Silvio, Antonius Sabellicus, Johannes Nauclerus, Ambrosius Calepinus, Nicolaus Perottus u. a. Das dreiteilige Orbis-Schema des Orosius bleibt ihm selbstverständlich. Enea Silvios universaler Horizont scheint ihm am ehesten entsprochen zu haben. J Celtis’ ‘Norimberga’ und das ‘Evagatorium’ des Felix D Fabri hat er gekannt und benutzt. Die Berichte über die Neue Welt übergeht er, weil sie zu viel Unglaubwürdiges und Unbestätigtes enthalten. Gleichwohl will er auf der Höhe der Zeit sein. Den Verlag des Augsburger Arztes Sigmund Grimm hat er gezielt deshalb ausgesucht, weil dort
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Boemus, Johannes, Aubanus
kurz zuvor zwei große, den neuesten Kenntnisstand seriös zusammenfassende Bücher über die nördlichen und die südlichen Völker erschienen waren: Matthias de Miecho´w, ‘Tractatus de duabus Sarmatiis Asiana et Europiane et de contentis in eis’ (1518; VD 16, M 5188 f.), und Ludovico di Varthema, ‘Novum itinerarium Aethiopiae, Aegypti, utriusque Arabiae, Persidis, Siriae, ac Indiae, intra et extra Gangem’ (VD 16, ZV 15189; Erstdruck Mailand 1511). c) Wirkung. Das Werk, zunächst durch kaiserliches und päpstliches Privileg geschützt, entfaltete erst nach B.’ Tod seine Wirkung. Zwischen 1535 und 1620 wurde es europaweit ca. 40mal gedruckt. (E. Schmidt, S. 146 f.; Ergänzungen bei Vogel, S. 18 Anm. 3). Darüber hinaus entstanden Übersetzungen ins Französische (10 Aufl.n 1538⫺1558), ins Italienische (8 Aufl.n 1542⫺1585), ins Spanische (1 Aufl. 1556), ins Englische (2 Aufl.n 1555 u. 1611, noch 1809 und 1812 nachgedruckt). Die späteren Übersetzungen (z. B. ital. 1560) wurden durch einen 4. Teil über die Neue Welt ergänzt (E. L. Schmidt, S. 97). Die erste deutschsprachige Ausgabe, 1604 von Johann Homberg veranstaltet, ist textlich erweitert und mit anderen Schriften zusammen unter den Titel ‘Historia moralis, das ist, Warhafftige Erzelung aller vornemsten [...] Regimenten’ gestellt. Etliche Partien der ‘Omnium gentium mores’ sind aber bereits früh in deutschsprachige Werke eingeflossen: in Sebastian Francks ‘Weltbuch: spiegel und bildtniß des gantzen erdbodens’ (1534) sowie in Sebastian Münsters ‘Mappa Europae’ (1536) und ‘Kosmographey’ (1544, 1550 u. ö.). Franck verkehrte bereits 1527 im Haus des Pfarrers Andreas Althamer und hat durch dessen Vermittlung vielleicht B. auch persönlich kennen gelernt (E. Schmidt, S. 110). B.’ ‘Omnium gentium mores’ verdankt seine lang anhaltende Breitenwirkung wohl der Übersichtlichkeit, Knappheit und Prägnanz der Darstellung. Aktuelle Informationen dürfte man darin nicht gesucht haben. Den italienischen Übersetzer hat es
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z. B. nicht gestört, daß etwa die Ligurer angeblich noch mehrenteils in Höhlen wohnen sollten. I II . B ri ef e u nd Ge le ge nh ei ts ge d ic ht e. Ein gutes Dutzend Briefe sind erhalten in den Briefbeständen von Andreas Althamer und Wolfgang Reichart (Hamburg, SUB, Sup. Ep. 4° 49). – Am Ende von Althamers Tacitus-Kommentar (s. o. I.3., S. [342]) steht ein drei Distichen umfassendes Epigramma ad And. Althamerum amicum dulciss. Es ist nicht auszuschließen, daß sich ähnliche Widmungsgedichte in anderen Publikationen aus B.’ Freundeskreis finden. Ausgaben. A. Ballenstedt, Vita Althameri [...], Wolfenbüttel 1740, S. 61⫺70 (8 Briefe des B. an Althamer); J. G. Schelhorn, Amoenitates literariae [...], Bd. 2, Frankfurt a. M./Leipzig 1725, S. 497⫺501 (2 Briefe des B. an Reichart); E. Schmidt, S. 148⫺158 (4 Briefe sowie ein Epigramm des B. an Reichart sowie zwei Gedichte Reicharts an B.); Ludwig, 1998, S. 48 f. (ein Epigramm des B. an Reichart). Hinweis auf drei Epigramme in Hamburg, SUB, Sup. Ep. 4° 49, Bl. 49v, bei Ludwig, 1999, S. 12. IV. Verschollene Schriften. In einem Brief an Althamer (8. Dez. 1520) vermerkt Boemus: Metamorphosin Ovidei Theutonicam facio (E. Schmidt, S. 70; vgl. E. L. Schmidt, S. 99; Schnizlein, 1908b, S. 141). Über diese Notiz hinaus hat sich von dem Vorhaben leider nirgends eine Spur gezeigt. Verloren ist die dt. Übersetzung einer Schrift des Neapolitaners Augustinus Niphus ‘De falsa diluvii prognosticatione’ (Rom 1521), die B., wie er in einem Brief an Reichart (1523?) mitteilt, für den Ulmer Apotheker Johannes Heybler angefertigt habe (Schnizlein, 1908b, S. 141). Die Schrift war gegen eine (1499 erstellte) Prognose des Tübinger Astronomen Johannes J Stöffler gerichtet, die für den 25. Febr. 1524 eine neue Sintflut angekündigt hatte. Die Arbeit an einem Psalter des Hieronymus in Distichen war offenbar weit fortgeschritten, denn Reichart hat bereits ein Geleitgedicht für den Druck verfaßt (bei E. Schmidt, S. 155 f.). Literatur. G. Veesenmeyer, Commentatio historico-litteraria Ulmenses bene de re litteraria orientali meritos sistens, Ulm 1793, S. 4⫺6; ders., Commentatio hist.-litt. de Joanne Boemo Aubano, Ulm 1806, S. 3⫺12; A. Schultz, Dt. Leben im 14.
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Boger, Heinrich
u. 15. Jh., 1892; E. Schmidt, Dt. Volkskunde im Zeitalter d. Humanismus u. d. Reformation (Hist. Stud. 47), 1904 (ND 1965), bes. S. 60⫺107; A. Schnizlein, Einiges über Joh. Hornburg u. J. B. Aubanus, Beitr. z. bayer. Kirchengesch. 14 (1908) 174⫺183, bes. S. 179⫺183 [zit.: Schnizlein, 1908a]; ders., J. Böhm aus Aub, Das Bayerland. Illustrierte Wochenschr. f. Bayerns Volk u. Land 19 (1908) 111⫺113, 129 f., 140 f. [zit.: Schnizlein, 1908b]; ders., J. Böhm, Frankenland 3 (1916) 22⫺27; Joachimsen, Gesch.auffassung, S. 184 f.; H. Greiner, Hans Böhm u. sein Loblied auf d. Reichsstadt Ulm (lat./dt.), Ulmische Bll. für heimatl. Gesch., Kunst u. Denkmalpflege 2 (1926) 1⫺3, 10⫺12; R. Kohl, Die geistesgeschichtl. Bedeutung des Dtld.kap.s im Repertorium d. J. B. Aubanus, Zs. für Volkskunde 47 (1938) 191⫺200; E. L. Schmidt, J. Böhm aus Aub. Die Entstehung d. dt. Volkskunde aus d. Humanismus, Zs. f. bayer. Landesgesch. 12 (1939/40) 94⫺111; M. Huber, in: NDB 2, 1953, S. 403; M. T. Hodgen, J. B. (fl. 1500): An Early Anthropologist, American Anthropologist 55 (1953) 284⫺294; dies., Early Anthropology in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, Philadelphia 1964, S. 131⫺143; P. Schienerl, in: Killy, Lit.lex. 2, 1989, S. 83 (fehlerhaft); K. A. Vogel, Cultural Variety in a Renaissance Perspective: J. B. on ‘The manners, laws and customs of all people’ (1520), in: H. Bugge / J. P. Rubie´ s (Hgg.), Shifting Cultures, 1995, S. 17⫺34; W. Ludwig, Die Darstellung südwestdt. Städte in d. lat. Literatur d. 15. bis 17. Jh.s, in: B. Kirchg‰ssner / H.-P. Becht (Hgg.), Stadt u. Repräsentation (Stadt in d. Gesch. 21), 1995, S. 39⫺76, hier S. 56⫺65; ders., Eine Humanistenfreundschaft. Der Briefwechsel zwischen d. Pforzheimer Nikolaus Schmierer u. d. Ulmer Wolfgang Reichart (1516⫺ 1543), Pforzheimer Gesch.bll. 9 (1998) 37⫺67, hier S. 42 f., 45⫺52, 61; ders., Vater u. Sohn im 16. Jh. Der Briefwechsel d. Wolfgang Reichart gen. Rychardus mit seinem Sohn Zeno (1520⫺1543), 1999, S. 12⫺15.
Hartmut Kugler
Boger (Bonger, Curvator, Flexor, Versor), Heinrich I . L eb en . Biographische Hauptquelle ist B.s dichterisches Werk. Seine Hinweise auf akademische Qualifikationen, Ortswechsel, ausgeübte Tätigkeiten und Beziehungen zu Zeitgenossen entbehren oft der Eindeutigkeit oder lassen sich nur punktuell verifizieren.
B. wurde geboren vor 1450 in Höxter an der Weser als eines von zwölf Kindern
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des Bürgermeisters Martin B. und seiner Frau, einer geb. Wend aus Braunschweig. Der Vater studierte offenbar um 1431/32 in Erfurt. Als er starb, war B. noch ein Knabe. Dem Vermächtnis des 1471 verstorbenen Onkels Eggardus Wend (Wenteius oder Versor, Propst in Hildesheim) scheint B. die Mittel für das Studium verdankt zu haben. Im SS 1471 wurde er als Henricus Boeuger de Hoxaria in Erfurt intituliert; er zahlte den vollen Preis. Ein Jahr nach Heinrich J Fischer, mit dem er das Studium begonnen hatte, wurde er im Frühjahr 1473 zum Baccalaureus artium promoviert. B. nahm umgehend Lehrtätigkeit auf, las ‘Metrificatura’ und verlas den D ‘Vocabularius Ex quo’ offenbar zum Mitschreiben (Abdruck der Intimationes bei Bauch, S. 91 f.; vgl. Grubm¸ller, S. 250). Als seine Lehrer nannte er später Tilmann D Rasche aus Zierenberg und Johannes Klockereim aus Northeim (immatr. Erfurt 1462, gest. 1501). Dem Studium folgten mehr als zwei Jahrzehnte der Wanderung und wechselnder Anstellungen, wobei Erfurt für B. immer wieder zur Zwischenstation wurde. 1475 hielt er sich erstmals in Italien auf. 1477⫺79 unterrichtete er auf Betreiben seines Förderers Rasche in Braunschweig, wahrscheinlich am Katharineum, dem dieser bis 1479 vorstand (Lehmann, 1913, S. 88). Um 1483/84 nach Erfurt zurückgekehrt, legte B. 1485 sein Magisterexamen ab. Im Juli 1488 hielt er sich wieder in Rom auf, 1489/90 erwarb er in Italien den Titel eines Doktors der Hl. Schrift. Der Ort der Promotion ist unbekannt; Reincke dachte an Perugia, wo der mit B. bekannte Albert J Krantz 1492 promoviert wurde (Hamburg, Staatsarchiv, Nachl. Reincke, 622⫺2, Nr. 86). 1490 erscheint B. als Inhaber einer Domherrenpfründe in Hamburg. 1492 folgte der dritte Italienaufenthalt (Rom). Eine Dauerstellung erlangte B. erst in den letzten Lebensjahren. Nun flossen auch die Mittel reichlicher. Ab 1499 stand er in Rostock in Diensten Hzg. Erichs von Mecklenburg als dessen Lehrer. 1501 nahm ihn die Rostocker Matrikel ehrenhalber auf. Im selben Jahr präsentierte ihn die Witwe
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Boger, Heinrich
eines Hamburger Ratsherren für eine Pfründe an St. Katharinen in Hamburg (Hamburg, Staatsarchiv, JS 25). Von Juni 1501 bis zu seinem Tode hatte B. Dekanat und Rektorat von St. Jakobi in Rostock inne, die er gegen eine von den Herzögen neu gegründete Präbende ebd. (seit Mai 1501) und eine Pfründe am Güstrower Dom tauschte. 1502⫺04 begleitete er Hzg. Erich nach Italien. Unterwegs ließ er sich auf Vermittlung Matthäus Langs von Kg. Maximilian in dessen Heerlager in Bologna zum Poeta laureatus krönen. “Der Kranz scheint die Belohnung für eine einmalige Huldigung gewesen zu sein” (Schirrmeister, S. 201). In Bologna traf er 1503 den – bereits vor ihm gekrönten – Heinrich Fischer. Bereits 1494 beklagte B. den Tod seines Sohnes Martin. Verheiratet scheint er nicht gewesen zu sein. Er starb auf dem Hof der Rostocker Kartäuser Anfang 1505. Der 6. März ist nicht, wie gelegentlich zu lesen (D¸chting, S. 90), Todesdatum, sondern Terminus ante quem, da er sich auf die Vakanz seiner Pfründe bezieht. I I. ‘E th er ol og iu m’ . B. verfaßte eine beträchtliche Anzahl von Kasualdichtungen, die er selbst zusammenfaßte, nach Sachgruppen ordnete und einleitete. Die Drucklegung des ‘Etherologium’, mit der er den Verdener Domdekan und Lüneburger Propst Nikolaus Schomaker betraute (1506), erlebte er nicht mehr. Der Ausgabe vorangestellt sind Empfehlungsgedichte norddeutscher Gelehrter. Ein modernes Verzeichnis der enthaltenen Werke fehlt. Das ‘Etherologium’ oder, nach dem Drucker-Kolophon, Heterologium, ist in zwölf Distinctiones ungleichen Umfangs (Oraciuncule, Historie, Inuectiue, Familiaria, Panegirica, Epitaphia, Arenge, Doctrine, Querele, Dialogi, Hymni, Apologi) geteilt. In den Eröffnungsgedichten entschuldigt B. die disparate Anlage. Ein Schlußgedicht erläutert den gräzisierenden Buchtitel: [...] multa novitate redundans | Sermonis varii carminis atque rei (229r). Die Sammlung ist bisher nur ansatzweise nach inhaltlichen Kriterien ausgewertet
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worden. Sie soll im folgenden unter vier Gesichtspunkten vorgestellt werden: (A.) Autobiographisches, (B.) Personenbeziehungen, (C.) Zeitgeschichtliches, (D.) literarische Bildung und poetische Kompetenz. A. Die im weiteren Sinne biographischen Angaben B.s im ‘Etherologium’ sind wahrscheinlich zahlreicher als bisher angenommen, durch die für B. mitunter typische (auch ungeschickte) Verklausulierung jedoch nicht leicht zu identifizieren. Das durch Forschungskonsens Gesicherte wurde unter I. erwähnt. Fast aller persönlichen Ereignisse (Todesfälle in der Familie) gedenkt B. in großer Offenheit. Auch seine Schwächung durch die Lues gibt er unumwunden zu (116v). B. Er fertigte Lobgedichte und Epitaphe auf namhafte Zeitgenossen an. Darunter finden sich ein Panegyricus auf Hermann J Buschius (106r⫺108v), mehrere Gedichte auf Kg. Maximilian (76r⫺81r) und drei Epitaphe auf Rudolf D Agricola (114r⫺v). Weitere Adressaten listet Krause (1882, S. 136⫺139) auf. Persönlichere Beziehungen scheinen zum 1478 in Erfurt immatrikulierten Mediziner Dietrich Block (Truncus) bestanden zu haben, der B. 1502 nach Rostock folgte. Aus Blocks Besitz stammt auch die Hs. Wolfenbüttel, HAB, 58.6 Aug. 2°, die Gedichte B.s sowie einiger seiner Freunde – darunter den scherzhaften Gedichtwechsel mit Heinrich Fischer (51v⫺52v) – enthält (s. u.). Zum Erfurter Umfeld zählten gewiß die im ‘Etherologium’ verewigten Kommilitonen der ‘ersten Stunde’ Johannes Marquardi aus Göttingen (117r), Heinrich Collen aus Osnabrück und Gottschalk Piper aus Adelebsen (177v, alle seit 1471) wie auch dessen Bruder Hartmann (seit 1473), Heinrich Sickte aus Braunschweig (217v), Wedego Loch aus Wernigerode (55v) und Dietrich Raven aus Hildesheim, der B. 1488 ein Gedicht nach Rom schickte (Bauch, S. 99). In Rostock dürfte seit 1501 auch der von Buschius und später von J Hutten geschmähte Tilman Heverling aus Göttingen, der ein Empfehlungsgedicht zum ‘Etherologium’ verfaßte, zu B.s engerem Kreis gezählt haben. Daß B. zu Huttens
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Rostocker Kreis gehörte (Andermann, S. 42), ist chronologisch unmöglich. Obwohl B. auf seiner letzten Italienreise ein Gedicht an Baptista Mantuanus richtete (109r), wird man ihm schwerlich “enge Kontakte zu italienischen Frühhumanisten” (DBE, S. 614) unterstellen können. In einem Epigramm behauptet er, von einem Julian ⫺ wahrscheinlich dem zwischen 1500 und 1506 in Bologna wirkenden Giuliano Grecolino (Bauch, S. 94) ⫺ im Griechischen unterrichtet worden zu sein (72r), doch dürfte dieser Unterricht eher rudimentär gewesen sein (Nachweise rarer Vokabeln bei Maaz, S. 350). C. Seine Dichtungen spickte B. mit Anspielungen auf den Erfurter Universitätsbetrieb, den er in Verbindung mit eigenen Leistungen auch direkt thematisierte. 1483 polemisierte er gegen Samuel D Karoch von Lichtenberg, der die Erfurter Poeten beleidigt hatte, in einem Gedicht, das er dem Rektor der Universität vorlegte (bei Bauch, S. 63⫺66; vgl. Kleineidam, Erfurt 2 II, S. 54). Gegen einen Böswilligen, der eine gereimte Vorlesungsintimation B.s abriß, polterte er los (47v). Einen Prediger, der öffentlich vor der Lektüre heidnischer Poeten warnte, traf sein Bannstrahl (39v). 1496 beklagte er die Zerstreuung der pestgeschüttelten Erfurter Universität. – Anläßlich des Sternberger Hostienfrevels (1492) verfaßte B. ein im Grundtenor durchaus judenfeindliches Gedicht, in dem er wahre Kolonnen traditioneller antijüdischer Vorwürfe variierend aufreihte (26r⫺ 34r; vgl. Honemann, S. 92 f.). 1493 ließ er eine oratio auf die Verbrennung des Priesters Petrus Dacus folgen. Unmittelbar nach der Schlacht bei Hemmingstedt am 17. Febr. 1500 (D ‘Schlacht bei Hemmingstedt’ II.1.) feierte er den Sieg der Dithmarscher in einem Poem (34r⫺35r), das sofort als Einblattdruck ausging. D. In der Mehrzahl seiner Gedichte verwendete B. den gereimten leoninischen Hexameter, daneben das reimlose elegische Distichon. In der Nachbildung seltener antiker Metra gestattete er sich auffällige Freiheiten. Für seine Wortwahl, v. a. seine Barbarismen und Neologismen stellt ihm noch die neueste Forschung ein mise-
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rables Zeugnis aus. Auch seine Bildung wird allgemein nicht sehr hoch veranschlagt. Die öfter genannten Aristoteles, Plutarch, Poseidonius, Livius, Plinius d. Ä., Lukan, Statius, Terenz und Vergil scheint er allerdings kursorisch rezipiert zu haben. 1485 determinierte er nach dem Examen über den Anfang der Nikomachischen Ethik (ed. Bauch, S. 95⫺97). Gelegentlich äußerte sich B. zu öffentlichen Vorlesungen über den von ihm geschätzten Ovid (138v⫺139r), dessen – unzutreffende – Verfasserschaft der ‘Vetula’-Dichtung er in einem eigenen Gedicht hervorhob (Walther, Init. 16062; Maaz, S. 357 f.). Überlieferung. ⫺ Druck: Etherologium Eximij et | disertissimi viri domini et magistri Hinrici | Boger theologie doctoris Ecclesie Colle|giate Sancti Jacobi Rostochiensis | Decani non minus ad legentium eru|ditionem quam solatium ab eodem In ordi|nem digestum Anno Christia|ne salutis Quinto supra | Millesimumquingen|tesimum [...]. Rostock: [Herm. Barkhusen], 1506. VD 16, ZV 2222. Das Gedicht über die Schlacht bei Hemmingstedt (Walther, Init. 13875; vgl. Schanze, 2VL 8, Sp. 692) liegt in zwei von Krause (1881, S. 10⫺ 15, 15⫺24) edierten lat. Einblattdrucken vor: A: Hinrici Bogeri Theologi super nouissima strage in Theomarcia Elegia precipitata. [Hamburg: Drukker des Jegher, 1500]; vgl. GW 4605; GW-Einbl. 453 (unzutreffende Bestimmung des Druckortes; vgl. Schanze, S. 66); zwei Exemplare: Prag, UB (verschollen); Rostock, UB, Cf-2224(7)35, vielleicht aus dem Besitz B.s (N. Kr¸ger, Die Inkunabeln d. UB Rostock, 2003, S. 165) mit drei hsl. Korrekturen, die mit dem ‘Etherologium’ übereinstimmen und noch auf B. zurückgehen könnten (Hinweis J. Cölln, Rostock). ⫺ B: dass. [Köln: Ludwig v. Renchen, 1500] mit einem Carmen des Herm. Buschius (50 vv.) (fehlt in GW und GW-Einbl.; Schanze, S. 66 f.); einziges Exemplar: Brüssel, Bibl. Royale, num. 21129⫺21130. Einzelne Gedichte sind auch hsl. überliefert: 1. Göttingen, UB, Cod. Luneb. 2, Bl. 144v (1471⫺ 1500; der Text nicht vor 1500); 2. Kopenhagen, Kongelike Bibl., Thott. 400 fol., Bl. 1r u. 14v (15. Jh.; aus Bordesholm); 3. ebd., Thott. 404 fol., Bl. 5v⫺10r (15. Jh./1500); 4. Marburg, UB, Mscr. 72, Bl. 1r⫺9v (1514/15; aus Corvey); 5. Wolfenbüttel, HAB, Cod. 15.8 Aug. 4°, Bl. 33r⫺52r (15. Jh./ 1500); 6. Wolfenbüttel, HAB, Cod. 58.6 Aug. 2°, Bl. 51v⫺52v u. ö. (1508; Dietrich Block); 7. Wolfenbüttel, HAB, Cod. Helmst. 299.2, Bl. 81r (15.
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Boger, Heinrich
Jh.; Gerwin von Hameln); 8. Wolfenbüttel, HAB, Cod. 86.3 Extrav., zu Bl. 348r (Abschrift des 17. Jh.); 9. Zwickau, Ratsschulbibl., Cod. XLVI.II.22, Bl. 309r⫺318r (15. Jh.). Das Verhältnis der Hss. untereinander und zum Druck ist bisher nicht untersucht. Nicht alle Hss. leiten sich wie Hs. 1 sicher von ‘Etherologium’ oder Einblattdruck her; Schanze vermutete Übernahme des Hemmingstedt-Gedichtes in Hs. 5 aus einem verlorenen Einblattdruck (2VL 8, Sp. 692). Daß Hs. 3 in “Süddeutschland” entstanden sei, geht v. a. auf eine textgeschichtliche Spekulation K. Langoschs zurück (Asinarius u. Rapularius, 1929, S. 46 f., 55). Die Incipits in Hs. 4 weichen mitunter erheblich vom Druck ab; im Text finden sich inhaltliche Verdeutlichungen. Hs. 5 stellt B.s Rede gegen Petrus Dacus und das Sternberg-Gedicht neben einschlägige Traktatliteratur zum WilsnackStreit. Die Abfolge der Gedichte in den Hss. 3, 4 und 9 weist z. T. Übereinstimmungen mit der späteren Edition auf. Sie könnten mittelbar auf eine Druckvorlage zurückgehen. Hs. 8 wurde im 17. Jh. aus Hs. 6, die einiges Sondergut und Gedichte an B. enthält, kopiert. Gesamtausgabe, Teilausgaben und Übersetzungen fehlen. Abdruck einzelner Gedichte auf der Grundlage des ‘Etherologiums’, dem gemeinhin der Vorzug gegeben wird, bei Krause und Bauch; Klopsch edierte das ‘Vetula’-Gedicht kritisch, doch in Unkenntnis der Verfasserschaft B.s; Maaz revidierte Klopsch anhand der Editio princeps. Wenige Dichtungen wurden ins Nd. übertragen. Sie finden sich als Appendix auf den letzten 6 Bll. der ‘Mecklenburgischen Reimchronik’ D Ernsts von Kirchberg (von 1378). Moderne Ausgaben fehlen. Lisch (S. 482 f.) druckte nur die Anfänge. Allein ‘Van des domes stichtinge to Rostock’, ein Lobgedicht auf die Herzöge, das die Rostocker Domfehde von 1490 behandelt, wurde von E. Sass ediert (Jb. d. Ver. f. Mecklenburg. Gesch. u. Altertumskunde 45 [1880] 39⫺52). Für die lat. Vorlage ‘Ordior acta ducum’, die sich nicht im ‘Etherologium’ findet, nahm Krause einen Einblattdruck an (1882, S. 126). Auch hielt er B. selbst für den Übersetzer, ebenso beim Gedicht auf die Sternberger Hostienschändung. Lisch sah im 1510 nach Rostock berufenen Nikolaus J Marschalk den Urheber, doch nannte er als Vorlage das lat. Gedicht B.s (unentschieden noch Honemann, S. 90 Anm. 38). Die Übertragung des Carmen auf die Schlacht bei Hemmingstedt (212 vv. mit Kreuzreim) schrieb Krause Tilman Heverling zu (1881, S. 7; 1882, S. 135 f.).
III. Sieht man von den Einblattdrucken und allen angestrengten Versuchen ab, einzelne Werke in der Öffentlichkeit zu lancieren, zirkulierte B.s Dichtung v. a. hsl. im
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Kreis seiner Freunde und Schüler. Unter letzteren hob er als seinen discipulus in der Poesie stolz Jakob J Questenberg hervor (56r). Der befreundete Heinrich Fischer rühmte B. in der ‘Sophologia’ (1504) als Satiriker neben Sebastian J Brant. Gleichwohl fand B.s Dichtung zu Lebzeiten relativ geringe Verbreitung. Auf den Rostocker Humanismus des 16. Jh.s hat sie allenfalls vorbereitend gewirkt. Nach Ausweis zahlreicher Gebete und Gebetsformeln war B. ein frommer Mann. Humanistisch-poetische Betriebsamkeit, Klerikerschelte und kirchenpolitischer Konservativismus waren ihm zwanglos vereinbar. Seine Standpunkte zum Zeitgeschehen wechselten häufig, blieben aber im Boden der Tradition verhaftet. Im ‘Etherologium’ offenbart sich sein undeutlich rollenhaftes Selbst-Erleben. Daß er noch aus häßlichem Sumpf (feda palus) sein Wissen zog, wo Jüngeren ein cultus ager bereitet war, erwähnt er einmal beiläufig (56r). B.s Selbsteinschätzung, den ‘Paradigmenwechsel’ von der mal. zur humanistischen Bildungswelt allenfalls miterlebt, nicht aber von ihm in vollem Umfang profitiert zu haben, trifft sich mit dem Urteil der Forschung, die ihm – im Prinzip erst seit Bauchs Untersuchungen – seine “poetische Mediokrität” (Maaz, S. 349) mehr noch als seine konservativ-unkritische Sichtweise vorzuwerfen tendiert. Literatur. K. E. H. Krause, in: ADB 3, 1876, S. 39, 794; G. C. F. Lisch, Hinrici Bogher Etherologium, Rostock 1506, Jbb. d. Ver. f. Mecklenburg. Gesch. u. Altertumskunde 9 (1844) 480⫺484; K. E. H. Krause, Zur Dithmarschenschlacht v. 1500, Zs. d. Ges. f. Schleswig-Holstein-Lauenburg. Gesch. 11 (1881) 1⫺24; ders., Dr. theol. H. B. oder Hinricus Flexor, d. Begleiter d. Hzg.s Erich nach Italien 1502⫺1504, Jbb. des Ver. f. Mecklenburg. Gesch. u. Altertumskunde 47 (1882) 111⫺140 (verarb. Untersuchungen d. Verfassers d. J. 1872⫺81); Bauch, Erfurt, S. 88⫺102; P. Lehmann, Beitr. z. Gesch. d. Braunschweig. Lateinschulen im 15. Jh., Braunschweig. Magazin 17 (1911) 69⫺73; ders., Neue Beitr. z. Schul- und Gelehrtengesch. Braunschweigs im MA, Braunschweig. Magazin 19 (1913) 87⫺89; H. Reincke, H. B., ein norddt. Wanderpoet aus d. Zeit d. Humanismus, Ber. d. Ges. f. Bücherfreunde 1909/12, S. 30⫺67; ders., in: NDB 2, 1955, S. 375; H. R. Abe, Der Erfurter Humanismus u. seine Zeit, Diss. masch. Jena 1953,
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Bonomus, Petrus
S. 143⫺145; P. Klopsch, Ps.-Ovidius De Vetula (Mlat. Stud. u. Texte 2), Leiden 1967; K. Grubm¸ller, “teutonicum subiungitur”, in: K. Ruh (Hg.), Überlieferungsgeschichtl. Prosaforschung, 1985, S. 246⫺261, hier S. 250; Kleineidam, Erfurt 2 II, S. 54, 58 f., 88, 137, 162; W. Maaz, H. B. (vor 1450⫺1505) ⫺ ein Beitr. z. ‘Vetula’-Rezeption, in: U. Kindermann u. a. (Hgg.), Fs. P. Klopsch, 1988, S. 345⫺358; R. D¸chting, in: Killy, Lit.lex. 2, 1989, S. 90 f.; M. Kintzinger, Das Bildungswesen in d. Stadt Braunschweig im hohen u. späten MA, 1990, S. 369⫺371; V. Honemann, Die Sternberger Hostienschändung u. ihre Quellen, in: H. Boockmann (Hg.), Kirche u. Gesellschaft im Hl. Röm. Reich d. 15. u. 16. Jh.s, 1994, S. 75⫺102, bes. S. 90⫺95; DBE 1, 1995, S. 613 f.; R. Ch. Schwinges / K. Wriedt, Das Bakkalarenreg. d. Artistenfakultät d. Univ. Erfurt 1392⫺1521, 1995, S. 170; U. Andermann, Albert Krantz. Wissenschaft u. Historiographie um 1500, 1999, S. 41 f., 77; F. Schanze, Inkunabeln oder Postinkunabeln?, in: V. Honemann u. a. (Hgg.), Einblattdrucke d. 15. u. frühen 16. Jh.s, 2000, S. 45⫺122, bes. S. 66 f. u. Abb. 6; A. Schirrmeister, Triumph d. Dichters. Gekrönte Intellektuelle im 16. Jh., 2003, S. 200 f.
Christoph Fasbender
Böhm J Boemus, Johannes, Aubanus Bohuslav Lobkowicz von Hassenstein J Hassenstein, Bohuslav Lobkowicz von Bonomus (Bonomo), Petrus (Pietro) I . L eb en . Geb. 1458 als Sohn des Triestiner Patriziers Johann Anton B. studierte B. in Padua und ist Ende der 80er Jahre als Schreiber am Hof Friedrichs III. nachweisbar. Nach dem Tod seiner Frau Margarethe von Rosenberg (von der er einen Sohn Lodovico hatte) trat er in den geistlichen Stand. Im diplomatischen Dienst Ks. D Maximilians hielt er sich 1496⫺1500 am Hof Lodovico Sforzas in Mailand auf. Nach seiner Rückkehr stand er als Protonotar an der Spitze der kaiserlichen Kanzlei, wo u. a. Jakob J Spiegel zu seinen Untergebenen zählte und B. in Kontakt mit führenden Humanisten stand (1501 übernahm B. eine Rolle in J Celtis’ ‘Ludus Dianae’). 1502 erhielt er den Bischofsstuhl in Triest, das er im Krieg gegen Venedig auf der Seite
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Maximilians zu halten versuchte. 1511 wurde B. zum Kriegskommissar in Friaul ernannt, 1513 nahm er in Rom am Laterankonzil teil, 1515 fungierte er als Berater Maximilians beim Wiener Fürstentag. Die am 30. Okt. 1517 beim Empfang durch die Univ. Wien gehaltene Rede des Andreas Endlich wurde im Febr. 1519 wohl in Hinblick auf B.’ wichtige Position von Augustinus Tyfernus zusammen mit der Rede des Lucas Capher für Christoph Rauber publiziert (Simoniti): Orationes duae luculentissimae ab Illustri | Gymnasio Viennensi in susceptione R. | Principum ac Episcoporum Laibacen-|sis, Seccoviensisque et | Tergestini. Anno M.|D.XVII. habitae […]. Wien: Joh. Singriener, 1519. VD 16, C 806. Die Rückkehr aus Italien 1517 bildete wohl auch den Anlaß für die Widmung einer Hs. mit Werken des Riccardus J Bartholinus (u. a. eine Elegie an B. mit der Bitte um Förderung: 9v⫺10r ) durch Roberto Scatassi (Wien, ÖNB, cod. 9474; F¸ssel, S. 51). Durch B.’ Sekretär Girolamo Muzio (Di Brazzano) ist der Aufenthalt auf dem Reichstag von Augsburg 1518 und die Reise zum sterbenden Maximilian besonders gut dokumentiert. B. wurde zum Testamentsvollstrecker und Statthalter in Österreich bestimmt über dessen Vermittlung man auch Kontakt zum neuen Landesherrn, Erzhzg. Ferdinand, suchte (Schrirrmeister). Mit Kardinal Lang, Bernard Cles und Matthias Schiner war B. 1521 Befürworter des Wormser Edikts gegen Luther, übte in seinem eigenen Bistum jedoch Toleranz (etwa gegen den slowenischen Reformator Primus Truber). Der Plan, ihm nach dem Tod Georg Slatkonias das Bistum Wien zu sichern, schlug fehl. 1523 schied B. aus dem Dienst Ferdinands und zog sich nach Triest zurück, wo er 88jährig am 8. Juli 1546 starb. I I. We rk . A. ‘E pi th al am iu m’. In 301 Hexametern feiert B. die Hochzeit Maximilians mit Bianca Maria Sforza i. J. 1493, die er von Mars und Venus gestiftet werden läßt. Neben antiken Vorbil-
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Bonomus, Petrus
dern (Statius, Claudian, Sidonius) verwendet B. Gabriele Altilios ‘Epithalamium’ für Giangaleazzo Sforza und Isabella von Aragon von 1489 (Poesie, ed. G. Lamattina, Salerno 1978, S. 67⫺75; Kisser, Ausg.). Die Edition besorgte Dietrich J Ulsenius (der Geleitbrief und -gedicht beisteuerte). Druck. Petri Bonomi Tergesti|ni in serenissimi Maxi|miliani Romanorum Re|gis ac Divae Blancae | Mariae Reginae nupti|is epithalamion. Löwen: [Joh. de Westfalia, 1493]. GW 4918. Ausgaben. R. Kisser, Lat. Epithalamien auf d. Hochzeit Maximilians I. mit Bianca Maria Sforza, Dipl.arb. Wien 1994, S. 14⫺22; 41⫺82; T. Van Impe, Het Latijns epithalamium van Petrus Bonomus (1458⫺1546), Diss. Leuven 2002; Tournoy, S. 200⫺205.
B . ‘ Ca rm in a a d B la si um Ho el ce l iu m’ . Auf dem Reichstag zu Augsburg 1518 edierte B. eine Sammlung von (z. T. schon 1501 in Linz entstandenen) Gedichten, die dem einflußreichen Hofmann und Mäzen Blasius Hoelzel gewidmet sind (F¸ssel; Ramminger): Konrad J Peutinger begrüßte das Unternehmen in einem Geleitbrief, Girolamo Muzio verfaßte das Einleitungsgedicht; mit den meisten Beiträgen sind Celtis, Riccardus J Sbrulius und Johannes J Stabius vertreten (neben Bartholinus, Heinrich J Bebel, Franciscus Cardulus, Johannes J Cuspinianus, Hieronymus J Emser, Johannes Fruticenus, Georgius Gaddius, Johannes J Pinicianus, Georg J Sibutus, Jakob Spiegel, Maximilianus Transsilvanus, Ulsenius, Ulrich J Wanner, Kaspar Ursinus Velius). B. steuerte Epigramme und eine (auch in C. enthaltene) Liebeselegie bei. Druck. Complurium | eruditorum vatum carmi-|na, ad magnificum virum | D. Blasium Hoelcelium, | sacri Caesaris Maximili|ani consiliarium Moecena|tem eorum precipuum. […]. Augsburg: Silvan Otmar, 1518. VD 16, B 6645.
C . ‘ Li be ll us ep ig ra mm at on ’ ( Co d. Fuc hs ma ge n) . Das den grammbuch nur hsl. im halten. Die
Zeitgenossen bekannte Epiist mit weiteren Gedichten sog. ‘Codex Fuchsmagen’ erBuchkomposition wird deut-
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lich durch ein einleitendes Gebet für das Buch und ein abschließendes Geleitgedicht des Ulsenius; Mariengedichten am Anfang stehen am Ende Epitaphe für sich selbst und Fuchsmagen gegenüber (dessen heute verschollener Grabstein in St. Dorothea zu Wien eine aus zwei Epitaphien zusammengesetzte Inschrift trug: Zingerle, Ausg., S. 89). Bettelgedichte an Fuchsmagen, Kardinal Lang und Maximilian (‘Ad Maximilianum Caesarem De adventu hiemis pro impetranda veste’) stehen in literarischer Tradition (Martial); humanistischer Konvention entsprechen Liebeselegien an Manlia und Elisa. Eine weitere Gruppe von B.’ Gedichten (mit Dubletten) erscheint Bl. 48v⫺56v. Es ist jedoch problematisch, sie sämtlich dem Epigrammbuch zuzuordnen, vielmehr dürfte dieses eine bewußte Auswahl darstellen. Der Buchaufbau verbietet es auch, einzelne Gedichte B.’ Bruder Franciscus zuzuweisen. B. erscheint im publizistischen Dienst Maximilians: Er verteidigt den habsburgischen Anspruch auf Ungarn gegen Ladislaus (30⫺32); die ‘Querela urbis Romae ad Maximilianum Caesarem’ (44), ein poetisches Sendschreiben in der Nachfolge Petrarcas, läßt die Stadt Rom Maximilian um Schutz vor Karl VIII. anflehen. Überlieferung. Innsbruck, UB, Cod. 664, 48v⫺56v; 124r⫺136r: Ad Ioannem Fuchsmagonum virum eruditiss. Petri Bonomi Tergestini libellus epigrammaton. Auswahlausgabe. Zingerle, Carm., Nr. 30⫺61.
D . Ver st re ut e G ed ic ht e. Unter den ‘Episodia sodalitatis litterariae Danubianae’ zur Begrüßung des Celtis (1497) sind die Brüder B. vertreten (K. Adel, C. Celtis […] opuscula, Leipzig 1966, S. 11; ein weiteres Gedicht in CeltisBr., Nr. 115). Drei Gedichte auf Paul Hofhaimer (die dieser hsl. Vadian sandte: Bonorand I, S. 105, 144 f.) sind in den ‘Harmoniae poeticae’ (Nürnberg: Joh. Petreius, 1539, [B6]v, [B7]v, [B8]r. VD 16, H 4960) gedruckt (vier Verse daraus waren unter der alten Stephansorgel in Wien ange-
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Böschenstein, Johannes
bracht: Moser). Ein Gedichtpaar von B. und Ulsenius enthält die von Hermann J Buschius besorgte Werkausgabe des Baptista Mantuanus (Opera, Köln: Corn. v. Zierickzee, 1500. GW 3243), Bl. Aav. Verschollen ist die Verherrlichung von Maximilians Turniersieg über Claude de Vauldrey auf dem Wormser Reichstag 1495, die Vinzenz Lang für Celtis abschrieb (Celtis-Br., Nr. 256). E . B ri ef e. B.’ Briefe dürften in Humanistenkreisen zirkuliert sein (epistolarum indefessa congeries bei Trithemius, Script., S. 390), doch liegt kein geschlossenes Corpus vor. Erhalten sind Briefe an Ulsenius (München, SB, Clm 424, 157r⫺v) und Celtis (Celtis-Br., Nr. 115, 240); Johannes J Reuchlin nahm zwei Briefe B.’ (und einen seines Bruders) in die ‘Clarorum virorum epistolae’ auf (Reuchlin-Br., Nr. 52, 82 bzw. 61). Peutinger stellte seinen ‘Sermones convivales’ (Straßburg: Joh. Prüß, 1506. VD 16, P 2081), in denen er B. für die Translatio des Hl. Dionysios nach St. Emmeram in Regensburg zitiert, einen Brief B.’ an Matthäus Lang voran ([A4]r⫺v). Über Peutinger suchte auch J Hutten B.’ Freundschaft (Peutinger-Br., Nr. 189). In einem abschriftlich in Peutingers Bibliothek erhaltenen Brief berichtet B. Maximilian über den Fund des sog. Jünglings vom Magdalensberg und bespricht dessen Weiheinschrift (Augsburg, SuStB, 2° Cod. H 23, 108r⫺ 109r). Zur diplomatischen Korrespondenz gehören u. a. Schreiben an Bernhard Cles (Di Brazzano). B. durchlief die Musterkarriere eines humanistischen Literaten-Sekretärs (M¸ller), dem panegyrische Dichtungen den Weg ebneten. Er genoß bei den Zeitgenossen großen Ruhm als eleganter Stilist und Gelehrter (Wimpfeling-Br., Nr. 339); sein wenig umfangreiches literarisches Schaffen legt jedoch nahe, daß dabei auch seiner Position bei Hof Tribut gezollt wurde. Literatur. R. v. Schneider, Die Erzstatue v. Helenenberge, Jb. d. kunsthist. Slg.en d. allerhöchsten Ks.hauses 15 (1894) 103⫺123, hier S. 105 Anm. 2; B. Ziliotto, La cultura letteraria di Trieste e dell’Istria, Trieste 1913, S. 140⫺155;
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H. J. Moser, Paul Hofhaimer. Ein Lied- u. Orgelmeister d. dt. Humanismus, 1929, S. 16 f., 25, 46, 173 Anm. 37, 181 Anm. 34; Bonorand I, S. 105, 144 f.; B. Haller, Ks. Friedrich III. im Urteil d. Zeitgenossen (Wiener Diss. aus d. Gebiete d. Gesch. 5), 1965, S. 45, 48; H. Schlˆgl, Lat. Hofpoesie unter Maximilian I., Diss. Wien 1969, S. 173⫺200; G. Rill, in: Dizionario biografico degli Italiani, Bd. 12, Roma 1970, S. 341⫺346; P. Simoniti, Humanizem na Slovenskem in slovenski humanisti do srede XVI. stoletja, Ljubljana 1979, S. 83⫺112; M¸ller, Gedechtnus, S. 35⫺38; 297; Bonorand II, S. 382; Th. B. Deutscher, in: CoE 1, 1985, S. 169 f.; St. F¸ssel, Riccardus Bartholinus Perusinus. Humanistische Panegyrik am Hofe Maximilians I. (Saecula spiritalia 16), 1987, S. 22⫺ 24, 229⫺236; H. Ramminger, Humanist Poetry and its Classical Models: A Collection from the Court of Emperor Maximilian I, in: ACNL Torontonensis, Binghampton/N. Y. 1991, S. 581⫺593; G. Nocker, Fürstenhof u. Humanismus. Lat. Hofpoesie am Beispiel d. “Codex Fuchsmagen” (UB Innsbruck, Cod. 664), in: Lit. u. Sprache in Tirol (Schlern-Schr. 301), 1996, S. 181⫺192; St. Di Brazzano, Nove lettere di Pietro Bonomo, Metodo & Ricerche. Rivista di studi regionali 18,1 (1999) 23⫺50; ders., Girolamo Muzio e Pietro Bonomo (agosto 1517⫺gennaio 1519), Atti e memorie della societa` Istriana di archeologia e storia patria 99 (1999) 93⫺137; A. Schirrmeister, Der Triumph d. Dichters. Gekrönte Intellektuelle im 16. Jh. (Frühneuzeitstudien N. F. 4), 2003, S. 255; G. Tournoy, Pietro Bonomo e il primo epitalamio stampato nel Paesi Bassi, Studi umanistici Piceni 23 (2003) 191⫺207.
Elisabeth Klecker
Böschenstein (Boschenstain, Petschenstein, Bossosthenius), Johannes I . L eb en . B. wurde 1472 in Esslingen a. N. als Sohn des aus einer Fischerfamilie in Stein a. Rh. stammenden Heinrich B. († vor 1524) geboren. Die Eltern waren Christen, wie B. in ‘Ain diemitige versprechung’ hervorhebt (gegen ihn war der Vorwurf erhoben worden, von jüdischen Eltern abzustammen). B. hatte einen Sohn, Abraham, der in den 30er Jahren des 16. Jh.s als Schulmeister in Nördlingen Erwähnung findet. Über die Schulzeit B.s und über das Studium (‘Ain diemitige versprechung’, Bl. A vr: auch auff Hohenschu˚len bey frummen gelerten
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Böschenstein, Johannes
männern die schrifft gelernt) ist nichts bekannt. 1494 wurde er zum Priester geweiht (die Matrikel der Univ. Wittenberg bezeichnet ihn als presbyter diocesis Constantiensis). Den ersten Unterricht in der hebr. Sprache erhielt B. 1489 bei Moses Mölln aus Weißenburg. Neben Mölln nennt B. im ‘Elementale introductorium’ Johannes J Reuchlin seinen Lehrer. Wohl ab 1498 begann B. selbst Hebräisch zu unterrichten. Von etwa 1503 bis 1513 war er in Ingolstadt als Hebräischlehrer tätig, jedoch ohne besoldete Lektur an der Universität. Zu seinen bedeutendsten Schülern dieser Zeit zählen Kaspar Amman (später selbst ein bekannter Hebraist), Sebastian J Sprenz und Johannes J Eck. 1513 hielt sich B. in den Klöstern Lauingen und Ottobeuren auf (Ellenbog-Br., Nr. II, 49 und II, 53), 1514 dann in Augsburg, wo sein ‘Elementale introductorium’ und das ‘Rechenbüchlein’ erschienen. Er lehrte in Augsburg Hebräisch (zu seinen Hörern zählten der Stadtarzt Ulrich Jung und Johannes J Pinicianus) und gab auch Unterricht im Rechnen. Wenn Andreas Osiander nicht bereits vor Beginn seines Studiums bei B. Hebräisch gelernt hat, muß B. 1515 nochmals nach Ingolstadt zurückgekehrt sein, da er in ‘Ain diemitige versprechung’, Bl. A ijr, Osiander, der am 9. Juli 1515 an der Universität immatrikuliert wurde, als seinen Ingolstädter Schüler erwähnt. Nach Ingolstadt ist B. wieder in Augsburg ansässig. In dieser Zeit führte er erstmals den Titel Kayserlicher Majestät gefreyter hebraisch Zungenmeister. Für die im Febr. 1518 erschienene Schrift ‘De accentibus et orthographia’ von Reuchlin bearbeitete B. den Thoragesang in Buch III (Bl. LXXXIII r: diatonicum modulamen nobis attulit Bossosthenius). Auf den ausdrücklichen Wunsch Luthers, der im Okt. 1518 während des Reichstages mit B. in Augsburg zusammengetroffen war, wurde er zum WS 1518/19 auf die Hebräischlektur der Univ. Wittenberg berufen. Wegen erheblicher Differenzen mit Luther über die Rolle des Faches an der Universität – der Reformator strebte eine stärkere Ausrichtung auf die Theologie hin an (Luther-Br., Nr. 107) – gab B. im Jan. 1519 sein Lehr-
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amt aber bereits wieder auf. Er wandte sich zunächst nach Nürnberg, dann nach Augsburg, wo er Aufnahme im Haus des Mediziners und Druckers Sigmund Grimm fand. Am 15. Jan. 1522 immatrikulierte sich B. an der Univ. Heidelberg; aufgrund einer Empfehlung Reuchlins und Oekolampads war er dort auf die Lektur für Hebräisch berufen worden, doch schon im Aug. 1522 verließ er wegen zu geringer Besoldung (30 fl.) wieder die Universität. B. begann nun ein unstetes Wanderleben, dessen einzelne Stationen sich vielfach nur schwer verfolgen lassen: Zunächst anscheinend Antwerpen, dann Zürich, wo er Huldrych Zwingli im Hebräischen unterrichtete; Mitte 1523 bis Jan. 1525 Nördlingen, wo er an der deutschen Schule tätig war, daneben vermutlich auch Hebräisch unterrichtete; danach Nürnberg, Hebräischunterricht im Augustinerkloster, seit 1526 auch an dem von Melanchthon gegründeten Gymnasium, Lehrtätigkeit jedoch auch an einer deutschen Schule (vgl. Dedikationsschreiben zur 3. Aufl. des ‘Namenbuchs’). 1527 ist er in Basel, 1529/30⫺ 1533 wieder in Nürnberg nachweisbar. Seit Ende 1533 war er erneut Lehrer an der deutschen Schule in Nördlingen. Hier blieb er mit einer Unterbrechung (1535), schlecht besoldet und in offenbar zunehmend dürftigen Verhältnissen, bis er im Aug. 1540 seinen Abschied einreichte. Danach verlieren sich seine Spuren. I I. We rk e. Das Bild B.s ist über lange Zeit hin durch die negativen Äußerungen Luthers und Sebastian Münsters geprägt worden, die ihm Apostasie, Geldgier oder mangelnde fachliche Kompetenz vorwarfen. Bedeutung erlangte B. vor allem als Lehrer, sowohl auf dem Gebiet der Mathematik als auch auf dem der hebr. Sprache. Die von ihm veröffentlichten Schriften orientierten sich vorrangig an den Bedürfnissen des Unterrichts. Sie umfassen meist nur wenige Blätter. A . ‘ Re ch en bü ch le in ’. Das für den Anfängerunterricht gedachte ‘Rechenbüchlein’ lehrt das Ziffern-
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Böschenstein, Johannes
rechnen, d. h. das Rechnen mit arabischen Ziffern, im Unterschied zum Rechnen auf Linien mit Hilfe des Rechenbretts oder des Abacus. Es beginnt mit der Vermittlung der vier Grundrechenarten bei ganzen Zahlen; entsprechend der Tradition führt B. die Duplikation (das Malnehmen mit 2) als Sonderfall der Multiplikation und die Mediation (das Teilen durch 2) als Sonderfall der Division in gesonderten Abschnitten auf. Es schließen sich das Rechnen mit Brüchen (Zerbrochenem) und der Dreisatz bei ganzen Zahlen an; gesondert davon wird etwas später die Dreisatzrechnung bei Brüchen behandelt. Die zwischen diese eingeschobenen Abschnitte mit der Gesellschaftsrechnung (Regel der Gesellschafften) und der Fustirechnung (Regula Fusti) sowie die am Ende der Schrift aufgenommenen Tabellen zu Münzen, Gewichten, Maßen und Zeit zeigen, daß das Buch auf eine Tätigkeit als Kaufmann vorbereiten sollte. Vgl. Helgenmoser; Martin. Drucke. Ain New geordnet Rech|en biechlin mit den zyffern | dem angenden schu˘lern zu˚ nutz [...] durch | Joann. B oschensteyn e von Esslingen priester | ne ulych e auß gangen vnd geordnet. Augsburg: Erh. Oeglin, 1514. VD 16, B 6379. Weitere Auflagen: ebd. 1518 u. 1520. VD 16, B 6380 f. Im Jahr 1530 gab B.s Sohn Abraham die Schrift bei Jobst Gutknecht in Nürnberg neu heraus (VD 16, B 6347). Faksimile d. Ausg. v. 1518: J. B., Ain neugeordnet Rechenbüchlein, mit einer Einl. v. W. Meretz, 1983.
B . ‘ Na me nb uc h’ . Vom sogenannten ‘Namenbuch’, einer Art ABC-Fibel, lassen sich drei Ausgaben ermitteln: Die erste (16 Bll.) beginnt mit einer Buchstabentabelle. Es folgen auf 8 Bll. Kolonnen gleich anlautender Namen und Begriffe, wobei in Leisten vor den Wörtern jeweils der entsprechende Konsonant und der Vokal aufgeführt sind. Daran schließen sich – wieder in Kolonnen angeordnet – zusammengesetzte Namen und Begriffe an, die jeweils den zweiten Teil des Wortes gemeinsam haben (-mann, -hausen etc.). Den Abschluß bilden Tafeln mit auf Münzen verwandten Abkürzungen und mit römischen und arabischen Ziffern. Von der 2. Aufl. der Schrift, die in
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Nürnberg gedruckt wurde, scheint kein Exemplar mehr erhalten zu sein. Erwähnung findet sie jedoch im Dedikationsschreiben der 3. Ausgabe. Diese zählt nunmehr 28 Bll. und besitzt über die oben genannten Teile hinaus noch eine Beispielsammlung ähnlicher Formulierungen (Ich e bereden/ entschuldigen/ bebitt du w ollest schützen […] in dem handel), eine Liste von Wörtern mit geflochten stymmen oder buchstaben inn der ersten silben (bschorn, bscherzt etc.) und verschiedene, zur “geistlichen Erziehung” der Kinder dienende Texte. Br¸ggemann, Hdb., Sp. 928 f. Drucke. 1. GAr ain beson⫽|der nutzlich teutsch namen | bu˚ch mit grundtzetel der | stymmen sillaben vnnd namen mit | vil andern sch onen e artlichen w ortern e [...] . [Augsburg: Joh. Schönsperger d. J., um 1522]. VD 16, B 6358. 2. Der kinder Teüt⫽|sches leer bu˚ch/ mit Sillaben/ Stim|men vnd Namen/ vnd mit außerleßnen be|sondern gu˚tten sprüchen der hayligen ge⫽|schrifft/ […], zusammen mit Ayn Christenliche seer nützliche lere und underweysung (s. u. D.6.). Augsburg: Heinr. Steiner, 1534. VD 16, B 6353.
C . H eb ra ic a. 1. Handschriften. In folgenden hebr. Hss. der SB München finden sich Aufzeichnungen von B.: Chm 72 (von B. 1517 in Donauwörth für Kaspar Amman angefertigte Abschrift von David ben Jachjas ‘μydwml ˆwçl’); Chm 259 (Bl. 28⫺76 von B. angelegtes hebr.-dt./lat. Wörterbuch von 1515 [die einzelnen Lagen sind falsch geordnet: Bl. 45r⫺54r: a und b, Bl. 39r⫺43v: g⫺h, Bl. 28v⫺38v: w⫺ k, Bl. 55v⫺76r: l⫺t]; Bl. 78 und 81 zwei Einblattdrucke B.s, beide wohl 1514 in Augsburg hergestellt: 1. ‘aplab μydwhyh dwh atyb ⫺ ‘Confessio Iudaeorum’ ⫺ ein nach dem hebr. Alphabet geordnetes Sündenbekenntnis, 2. ‘Benedictio Aaron super populum’ ⫺ Nm 6, 24⫺26, beide Stücke jeweils in hebr., lat. und dt. Sprache; Bl. 82⫺93: Druck des ‘Elementale introductorium’ von 1514, s. u. 2); Chm 329 (Bl. 1⫺24: ‘hwr ˆj’, 1517 in Aichach von B. geschrieben); Chm 401 (Steinschneider sieht B. als Kompilator verschiedener Texte in hebr. und lat. Sprache und Schrift ab Bl. 201v, darunter u. a. einer Abschrift der Gram-
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Böschenstein, Johannes
matik des Moses Kimchi mit dt. Übersetzung, Bl. 228v⫺244r, und eines Abschnitts über die Konjugation von Verben aus der Grammatik des Samson ha-Nakdan, Bl. 248r⫺261r; diese Zuweisung wird aber von Walde mit Ausnahme weniger Blätter bestritten. Walde schreibt B. dagegen die Kopie eines Stücks aus Maimonides ab Bl. 268 der Hs. zu. Auf Bl. 225 zwei hebr. Briefe B.s – ediert in Perles, S. 31 f. Anm. 1); Chm 424 ⫽ Clm 28233 (Bl. 224v: ein mit hebr. Buchstaben geschriebener lat. Brief B.s ⫺ Text in Ro´ th, S. 234 f.); Chm 425 (Bl. 6r⫺v: Lat. Notizen B.s. zur Bedeutung der hebr. Sprache aus Giovanni Pico della Mirandola, aus Briefen des Hieronymus an Paula Urbica und Eustochium sowie aus Augustinus’ ‘Enarrationes in psalmos’ und ‘De doctrina christiana’; Bl. 107r⫺116r: ein von B. im Jahr 1517 geschriebener Text aus dem Werk eines unbekannten Autors über die Buße); Chm 426 (Bl. 195v⫺196r: ein hebr. Brief Reuchlins an B. mit lat. Übersetzung [auch in München, UB, Cod. ms. 827, Bl. 48v]; Bl. 201v: zwei kurze hebr. Schreiben B.s an Kaspar Amman [auch in München, UB, Cod. ms. 827, Bl. 47v]); Chm 427 (Bl. 132v⫺134v: Traktat über die Akzente im Hebräischen). 2. Drucke. a) B. veröffentlichte mehrere kurze Lehrbücher, die in die hebr. Sprache einführen sollten. Den Anfang macht das sog. ‘Elementale introductorium in Hebraeas litteras’, das 1514 von Oeglin gedruckt wurde und Reuchlin dediziert ist. Nach einer kurzen Einführung in die Sprache (Buchstaben, Vokalzeichen, Akzente) folgen verschiedene Übungstexte (Zehn Gebote, Vaterunser, Ave Maria, Credo, Gesang des Simeon u. a.), mit deren Hilfe das Hebräische erschlossen werden soll. Die Texte sind in drei Spalten nebeneinander angeordnet: links der hebr. Text, in der Mitte die lat. und rechts die dt. ad-Verbum-Übersetzung. Ein typographisches Kuriosum stellen die im Nov. 1518 bei Joh. Grunenberg in Wittenberg erschienenen ‘Hebraicae grammaticae institutiones’ dar: Mit Ausnahme des Alphabets auf Bl. [A2]v fanden auf den
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folgenden Blättern hebr. Typen keine Anwendung mehr; für die hebr. Buchstaben, Wörter oder Sätze waren vielmehr jeweils entsprechend große Lücken gelassen worden, die dann (während der Vorlesung) handschriftlich gefüllt werden mußten (s. die Abb. einer Seite in: Harlfinger, S. 322). Das Lehrbuch ist Kf. Friedrich dem Weisen gewidmet und von Melanchthon durch eine Zuschrift an den Leser (Melanchthon-Br., Bd. T 1, Nr. 34) begleitet worden. Es beginnt mit den Abschnitten ‘De literarum divisione’ (Konsonanten und Vokale, Matres lectionis, Finalbuchstaben, Begadkefat-Laute etc.), ‘De vocibus’ (die sieben Vokalzeichen, Schwa) und ‘De diphthongis Hebraicis’ (B. kennt 6 Diphthonge). Deren Stoff soll dann mit Hilfe des Geschlechtsregisters Jesu eingeübt werden; dafür sind alle hebr. Namen der Genealogie ausführlich nach ihrer Zusammensetzung erläutert (Bl. [Bv]–[C3]v). Unter der Überschrift ‘De oratione et eius partibus’ werden die Konjunktionen, die Präpositionen, die Artikel, die Nomina und Pronomina behandelt. Den Abschluß bildet die Besprechung des Verbs mit seinen sieben Konjugationen anhand des Paradigmas dqp, wobei das Imperfekt jeweils ausgespart ist. Keine systematische Behandlung erfährt in dem Lehrbuch die Syntax. Die ‘Hebraicae grammaticae institutiones’ stützen sich vornehmlich auf Reuchlins ‘Rudimenta Hebraica’ und auf Moses Kimchis Grammatik ‘Mahalakh’ (von Kimchi war dqp erstmals als Paradigma eingeführt worden). Nach seiner Rückkehr nach Augsburg gab B. das Werk Kimchis 1520 bei Sigm. Grimm und Marx Wirsung neu heraus. In deren Offizin erschien im gleichen Jahr auch ein Nachdruck der 1518 von Joh. Froben veröffentlichten ‘Introductio utilissima Hebraice discere cupientibus’ mit B.s Korrekturen. Bei dem Werk Frobens handelt es sich um einen Nachdruck der von Aldo Manuzio erstmals publizierten ‘Introductio perbrevis ad Hebraicam linguam’, der von Froben drei hebr. Übersetzungen aus Matthäus Adrianis ‘Libellus hora faciendi pro domino’ von 1513 beifügt worden waren.
b) Neben den Einführungen in die Sprache veröffentlichte B. auch eine Reihe von Übersetzungen aus dem Hebräischen. Im gleichen Jahr wie das ‘Elementale intro-
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Böschenstein, Johannes
ductorium’, 1514, erschienen zwei Einblattdrucke, einer mit dem ‘Aronitischen Segen’, der andere mit einem jüdischen Sündenbekenntnis, jeweils in hebr., lat. und dt. Sprache (s. o.). 1520 brachte B. eine Übersetzung der Sieben Bußpsalmen (nebst Ps 121) heraus; wie beim ‘Elementale introductorium’ sind in dieser 12 Bll. umfassenden Schrift der hebr. Text und die Übersetzungen in drei Spalten nebeneinander angeordnet. Als Grundlage diente B. die Reuchlinsche Ausgabe der Bußpsalmen mit lat. Übersetzung aus dem Jahr 1512 (vgl. A. Freimann, J. B.’s Autograph, Journal of Jewish Bibliography 2 [1940] 17⫺ 19). 1536 brachte B. bei Steiner in Augsburg dann nochmals eine Übertragung der Bußpsalmen ins Deutsche heraus. Die 1521 erschienene ‘Precatio ad divam virginem Hebraica’ (8 Bll.) enthält das Gebet ‘Ad sanctitatis tuae pedes, dulcissima virgo Maria’ (es findet sich im 15. Jh. im ‘Hortulus animae’ und im ‘Antidotarius animae’), ein anläßlich des großen Versöhnungstages von den Juden zu sprechendes Bekenntnis und das Gebet für den König aus Ps 19 (Vulgata) jeweils in hebr. und lat. Sprache in Spalten nebeneinander gedruckt. Interessant ist das Werk vor allem durch den in ihm enthaltenen Brief B.s an den Wiener B. Georg Slatkonia, in welchem er sein Geschick beklagt, wonach er von allen ⫺ ausgenommen dem Bischof ⫺ gemieden werde und bittere Armut leide. 1523 veröffentlichte B. eine Übersetzung jüd. Gebete (‘Tefilot ha-Schana’); nach Marx handelt es sich hierbei um “the first German translation of a part of the Hebrew liturgy”. Im gleichen Jahr fand als Zugabe zu der bei Grimm gedruckten Psalmenübersetzung Kaspar Ammans B.s Übertragung von Salomos Gebet bei der Einweihung des Tempels aus I Reg 8 Aufnahme (Amman widmete die Schrift seinem Lehrer B.). Mit dem Buch Ruth (im Anhang dazu die bei einer jüdischen Trauerfeier rezitierten Gebete, ‘Zidduk haDin’) und den Klageliedern Jeremias folgten 1525 bzw. 1529 Übersetzungen weiterer biblischer Texte ins Dt. 1536 schließlich veröffentlichte B. in dt. Sprache die Benediktionen, welche die Juden nach
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Tisch sprechen (‘Birkat ha-Mazon’); im Anhang fanden wiederum die bei Trauerfeiern gebräuchlichen Sprüche Aufnahme. Bei B.s Übersetzungen handelt es sich jeweils um wörtliche Übertragungen aus dem Hebräischen. B. hoffte auf diese Weise Schülern den Zugang zu der fremden Sprache zu erleichtern (das sie auch dester mine lernen die Heder grosser arbeyt m ogen braischen schrifft verteutschen, so sie es gegen einander legen), doch ging dies vielfach auf Kosten der Verständlichkeit (s. schon die Kritik J. G. Schelhorns: unteutsche Verteutschung). Drucke. 1. twytwa h[bra μçb | Contenta in hoc libello nuper | a Ioanne b oschenstein e esslingensi edita. | Elementale introductorium in hebreas litteras | teutonice et hebraice legendas [...]. Augsburg: Erh. Oeglin, 1514. VD 16, B 6356. 2. atyb aplab μydwhyh dwh. | [Confessio Hebraeorum per Joannem B oschenstain e Esslingensem in lucem tradita]. [Augsburg: Erh. Oeglin, 1514] (München, SB, Chm 259; Abb. in: Rosenfeld, Nr. 8). 3. Benedictio Aaron super populum | triplici lingua. numeri. sexto. Augsburg: Erh. Oeglin, 1514 (München, SB, Chm 259). 4. Hebraicae Grammaticae | institutiones studiosis sanctae linguae | a Domino Ioanne Boschenstain | […] collectae. Wittenberg: Joh. RhauGrunenberg, 1518. VD 16, B 6372. Ein weiterer Druck erschien 1521 bei Joh. Soter in Köln (VD 16, B 6373). 5. Rudimenta Hebraica Mosche | Kimhi a Johanne B oschen|stain e diligenti studio revisa. Augsburg: Sigm. Grimm u. Marx Wirsung, 1520. VD 16, M 6419. 6. Introdu⫽|ctio utilissima, Hebrai⫽|ce discere cupientibus: | cum latiori emenda|tione Iohannis B o|schenstain. e Oratio dominica. | Angelica salutatio. | Salve regina. | Mattheo Adriano Equi⫽|te Aurato inter⫽|prete. Augsburg: Sigm. Grimm u. Marx Wirsung, 1520. VD 16, M 761 u. 762. 7. Septem Psalmi poe|nitentiales ex Hebraeo ad | verbum Latine Ger⫽|maniceque a Jo⫽|anne B oschen|stain e trans⫽|lati. Augsburg: Sigm. Grimm u. Marx Wirsung, 1520. VD 16, B 3408. 8. Contenta Libelli | Precatio ad Divam | Virginem Hebraica per Ioannem Boschenstain | versa qui linguae proprietatem | pocius quam elegantiam do⫽|cere voluit.| Epistola ad Reverendissimum | Vuiennensem Episcopum. | Confessio Iudeorum/ coram domino coeli et | terrae in die propiciationis. Leviticus 23. | Psalmus 19. | Pro Rege. […], Augsburg: Sigm. Grimm u. Marx Wirsung, 1521. VD 16, ZV 2203.
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Münch (zu ihm s. Dr¸ll, S. 396 f.) widmete. B. betont darin die notwendige Verbindung von Glauben und Liebe: Als Christ dürfe nur der sich verstehen, der den Geboten des Herrn vesten glauben mit der that gebe. Die Liebe sei die Erfüllung des Gesetzes; ihren sichtbaren Ausdruck finde sie im friedlichen Zusammenleben miteinander, in mildtätigen Werken und in der Unterstützung des Nächsten. Als Geschöpf Gottes dürfe kein Mensch der Verachtung anheimfallen. Viele Gedanken aus diesem Werk griff B. in der 1534 zusammen mit dem ‘Namenbuch’ gedruckten Schrift ‘Ayn christenliche seer nutzliche lere und underweysung der bruederlichen treuw und liebe’ wieder auf. Die Wurzel der Liebe sei der Glaube und das Vertrauen in Christus; umgekehrt stelle die Liebe ein Zeichen des Glaubens dar, denn an ihr erkenne man den wahren Jünger. B. will die Liebe zum Nächsten nicht auf die Christen beschränkt sehen, sondern auch e unnd tartar ausdehauf jude, heide, t urke nen, da es bei Gott kein Ansehen der Person gebe. Wenn der Fremde von den Christen Duldung und Hilfe erfahre, könne er für Christus gewonnen werden. Hinderlich erscheinen B. dabei die Streitigkeiten der Christen untereinander, die er mit dem Gezänk der Parteien in Korinth zur Zeit des Paulus (I Cor 1) vergleicht: Die einen bezeichneten sich als lutherisch, die anderen als zwinglianisch, die dritten wiederum als täuferisch, die vierten als evangelisch und die fünften als päpstlich: Ach Gott ist das e bruderschaft, ja wie nit eine zwitr achtige Jacob und Esau […]. B. schließt den Traktat mit einem Aufruf, allein bei der Lehre D . The ol og is ch e S ch ri ft en . Christi zu bleiben und sich mit der Hl. Bei den theol. Schriften handelt es sich Schrift zu begnügen. Auch in den beiden Predigten über Mt um kurze, in der Regel nur 4⫺8 Bll. umfassende Traktate, die oft mahnenden 7,1⫺2 und 7,21⫺23, die B. 1523 in der Charakter besitzen und sich als Aufruf zu Schrift ‘Ain christenliche leer’ veröffentBuße und Umkehr verstehen. Selten erleb- lichte, spielt das Thema der Nächstenliebe ten diese Werke mehrere Auflagen. Am er- eine große Rolle: Niemand solle den Brufolgreichsten war die 1523, 1524 und 1526 der verurteilen, sondern ihn durch Ermahin Augsburg sowie 1524 in Zwickau er- nungen auf den rechten Weg zurückzufühschienene Schrift ‘Ain christenliche under- ren suchen, denn derjenige, der sich dem richt der bruederlichen lyeb’, die B. dem Anderen gegenüber barmherzig zeige, Bakkalaren der Theologie und Lehrer werde selbst auch von Gott Barmherzigder Heidelberger Artistenfakultät Philipp keit erfahren. Christus habe seine Jünger
9. jrzah lk llpty | jrzmh dgnk≥ Vil gu˚ter Erma⫽| nungen zu˚ got dem hym⫽|lischen vatter/ auß He⫽|brayscher sprach in teütsch | gebracht durch e von Esßlingen. [Augsburg: Johann | B oschenstain Sigm. Grimm, 1523?]. VD 16, B 6382. Die weiteren Drucke: Erfurt: Michel Buchfürer, 1523. VD 16, B 6383; Nürnberg: Hans Hergot, 1525. VD 16, B 6384. 10. Das gebet salomonis | am driten bu˚ch der kunig ge-|teuscht von wort zu˚ wort | nach dem hebraischen | text durch Johann | B oschenstain. e Als Anhang zu Kaspar Amman, Psalter des küniglichen prophetten dauids | geteutscht nach warhafftigem text der hebraischen zungen. Augsburg: Sigm. Grimm, 1523. VD 16, B 3061. 11. Die warhafftig histori der | Moabitischen frawen/ Ruth/ wie sie zum gesatz Go|tes vnn dem Boas vermahelt ward/ […] von | Hebraischer sprach wort von wort | in Teutsch (den ersten schulern | der Hebrayschen zungen zu˚ | nutz) verteutscht durch Johann B oschenstayn. e | Item die ordnung und erma⫽|nungen so die Hebreer sich gebrauchen uber e ire | gestorbne in irer begrebnus. Nürnberg: Hans Hergot, 1525. VD 16, B 3046. 12. Die klage | Jheremie uber e Jherusa⫽|lem/ mitsampt dem ge⫽|pet Danielis am IX. Capitel | auß dem warhafftigen | text/ vonn wort zu wort | verteutscht/ durch Jo⫽|hann B oschensteyn e […]. [Augsburg: Heinr. Steiner], 1529. VD 16, B 3805. 13. Des Königklichen | Propheten Davids siben Bu˚ß⫽|psalmen/ [...] | Auß der Hebraischen warheit in | Teutsch/ gar nahend wort umb wort | vertolmetscht/ mitsampt dem ge|bet Isaie am 12. vnd Da⫽|nielis. 9. für die sünd | des volcks. […]. [Augsburg: Heinr. Steiner], 1536. VD 16, B 3509. 14. Die danksagung | oder das gratias/ so | die Juden nach dem essen sagen/ | […] vnd ist von Hebrayschen worten | inn das Teutsch gepracht e den alten/ sei[…] durch Johann B oschen⫽|steyn ner Jahre imm 64. | seiner lernung imm 47. der | Hebrayschen Sprach. [Augsburg: Heinr. Steiner], 1536. VD 16, B 5607.
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vom Gesetz befreit und ihnen nichts anderes auferlegt als den Nächsten zu lieben. Kaum einer aber leiste diesem Gebot Christi Folge. Die Ursache dafür sieht B. in dem immer stärker um sich greifenden Eigennutz. Überall in Staat und Kirche spiele das Geld eine beherrschende Rolle; nach Christi Willen solle bei den Menschen aber nicht das Geld, sondern das Wort Gottes im Mittelpunkt stehen. Scharfe Kritik übt B. an den weltlichen und geistlichen Oberen, die ihr Amt nur aus Gewinnsucht versähen. Gleichzeitig aber plädiert er für eine ausreichende Versorgung der Pfarrer, damit diese ihrer Aufgabe, der Verkündigung des Wortes, ohne finanzielle Nöte nachgehen können. Vermutlich ebenfalls noch im Jahr 1523 erschien die Schrift ‘Ain getreüwe ermannung zu˚ allem volck […] aufruer und zwytracht zu˚ verhüten’. In ihr fordert B. die Leser zur Abkehr vom Ungehorsam gegenüber Gott auf. Trotz der Kenntnis des Wortes gebe es keinen, der wirklich Gottes Gerechtigkeit suche. Statt sich um seine Seele zu kümmern, strebe jeder nach Reichtum und Besitz; die Folgen seien Hoffart, Habgier und Streit. Auch in dieser Schrift übt B. Kritik an den Herren: Sie regierten das Volk nicht nach den Geboten Gottes, sondern nach ihren eigenen Regeln und erfüllten nicht die ihnen auferlegten Pflichten. Warnend erinnert er an das Schicksal der Könige Jojakim und Zedekia im AT; als Vorbild stellt er dagegen Josia hin, der sich nach dem Fund des Gesetzes bekehrt und den Götzendienst abgeschafft hatte. Wo keine Umkehr erfolge, werde Gott über alle, Herrscher wie Untertanen, seine Strafe verhängen und sie in die Hände der Türken geben. Eine wichtige Quelle für B.s Biographie bildet die dem Nürnberger Reformator Osiander gewidmete Schrift ‘Ain diemitige versprechung’. In ihr geht B. ausführlich auf die Herkunft seiner Familie ein, um die Behauptung zurückzuweisen, er sei ein getaufter Jude und sein Vater ein Rabbi. Als Urheber dieser Behauptungen nennt B. einen ehemaligen Mönch, der sich der Reformation angeschlossen hatte. B. betrachtet sein Schicksal für die reformatorische
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Bewegung als typisch: Hie sichstu […] wie wir Ewangelisch christen seyen/ Ja wol etwann listig/ ain yeder den andern zu˚ vere und yeder sein aygen stossen/ schm ahen/ eer su˚chen. Ein Auslöser für die Angriffe gegen B. war dessen Haltung in der Bilderfrage: sagt ich sey den bildern feynd/ auß jüdischer angeborner art. Im Unterschied etwa zu Luther nahm B. eine rigorosere Haltung bei den Bildern ein. Diese Haltung sucht er mit Stellen aus dem AT zu verteidigen, wobei er in seiner Schrift zugleich die Auffassung zurückweist, die Vorschriften des AT besäßen nur für die Juden Gültigkeit. Aber auch im NT vermag B. Belege für ein Bilderverbot zu entdecken. Er wolle Christus und Maria Ehre zukommen lassen, nicht jedoch Gemälden und Statuen. Der aus der Schrift empfangene Glaube solle das Herz des Christen auferbauen und nicht die von Menschenhand geschaffenen Werke. Die wahren bilder, die man sich vorsetzen solle, seien die Worte Christi, denn Christus habe die Gläubigen nicht auf Gemälde und Statuen, sondern auf sein Wort verwiesen. Zusammen mit J Agrippas von Nettesheim ‘Von den Rayen und Tentzen’ (dt. Übers. des Kap.s ‘De saltatione’ aus dem Werk ‘De incertitudine et vanitate scientiarum’) erschien 1533 in Augsburg eine Schrift B.s gegen das Tanzen. Für B. gilt das Tanzen als eines der schlimmsten Laster, da es für ihn die mu˚tter unnd seuge ist. Vor allem das amme unzalbarer unf alle Tanzen bei Hochzeiten stößt auf B.s Kritik: Braut und Bräutigam sollten in Dankbarkeit das Werk Gottes betrachten, der die Hochzeit geboten habe, und den Festtag in Ehrbarkeit begehen; daran aber würden sie durch das Tanzen gehindert. Selbst bei den Juden, die sonst streng auf die Einhaltung des Sabbats achteten, werde bei Hochzeiten zum Tanz aufgespielt und damit der Feiertag befleckt. Wohl ein Spiegel der eigenen Situation (s. I.) stellt B.s letztes, 1539 erschienenes Werk ‘Milicia hominis’ dar. Das Leben des Menschen erscheint B. einzig bestimmt von Schmerz und Trübsal. Von Beginn an sei jeder Mensch, auch der Fromme, dem Leid unterworfen. Selbst wenn ein Mensch
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das 80. Lebensjahr erreiche, werde er während dieser Jahre keinen Tag ohne Anfechtung und Trübsal erleben. Angesichts der eigenen Vergänglichkeit gebe es für den Menschen keinen Grund für Stolz und Hochmut. Selbst das Werk der Großen der Vergangenheit – B. führt eine lange Liste von Namen auf (u. a. Moses, Platon, Aristoteles, Cicero) – sei zu Asche zerfallen. Kein Arzt könne sich vom Tode heilen, kein Jurist sich gegen diesen verteidigen, kein Theologe sich ewiges Leben zusprechen. Nichts anderes könne der Mensch erwählen, dann die einsame lieb in Gott/ wie es dann der Herr begert und sunst nicht mer vom menschen fordert […]/ dann in liebhaben von hertzen und wanndlen in seinen gepotten.
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6. Ayn Christenliche | seer nützliche lere vnd underweysung | der br uderlichen e treuw/ vnd liebe/ Alten vnn | jungen leüten gu˚t zu˚wissen/ Durch Joe den alten/ auß den heiligen | hann | B oschenstein/ schrifften/ altes vnd neuwes Testa⫽|ments zu˚sammen gezogen/ [...]. Augsburg: Heinr. Steiner, 1534. VD 16, B 6353. Ein weiterer Druck mit verändertem Titel ebd., 1536. VD 16, B 6354. 7. Etliche da⫽|pffere lobwürdige | andechtige Gepet/ mit gu˚⫽|ten n utzlichen e betrachtun⫽|gen aller gu˚tthaten des | Herren/ auß der Bibel | durch den alten Bos⫽|schenstayn fleyssig gezogen […]. [Nürnberg: Jobst Gutknecht], 1538. VD 16, B 6357. 8. Milicia Hominis | Ein Jnnige Be⫽|trachtung der angebornen | menschlichen armutselig⫽|keyt vnnd wanderschafft | des menschen auff diser | erden/ vnd seinem elen⫽|den abschyed auß di⫽| e | sem jamerthal/ | durch Johann B oschenstayn seiner Jar | 67. Nürnberg: Jobst Gutknecht, 1539. VD 16, B 6378. Drucke. 1. Ain christen|liche vndericht Der 9. Beitrag B.s in: Ain bet⫽|büchlin vnd Ain | br u⫽|derlichen e lyeb/ Durch Johann B osch|ene euangelische beicht/ vnd hüp|sche gepet für die stain/ auß der hailgen geschryfft | gezogen. Zuge- aller|haylsamsten auß allen so bißheer | Gedruckt sant/ Herrn philippo | Münch Collegaten zu˚ | sein | außgezogen. | Von Doct. Lut. | [...] Von Jo. Haydelberg. [...]. [Augsburg: Melch. Raminger], B oschenstein. e Augsburg: [Melch. Raminger], 1523. 1523. VD 16, B 6350. Weitere Drucke: [Augsburg: VD 16, B 2307. Heinr. Steiner, 1524] und [Zwickau: Jörg Gastel, 1524]. VD 16, B 6351 f. E . G ei st li ch e L ie de r. 2. M.D.XXIII. | Ajn Cristenliche leer | auß Von den vier bekannten Stücken B.s sind dem Euangelio Math. | vij. Jnn form zwaier pre| dig gestellet/ durch H. | Johan B oschenstein e | [...]. drei Bearbeitungen älterer Lieder. Die Lie[Augsburg: Melch. Raminger, 1523]. VD 16, B der entstanden nach der Ansetzung bei 6349. Brednich, S. 29⫺33, bzw. Wackernagel, 3. Ain getreüwe | ermanung zu˚ allem volck gai| Bd. 2, S. 1090⫺1097, in den ersten beiden stlichs vnn weltlichs stands | der Crystenlichen Jahrzehnten des 16. Jh.s. kirch|en/ aufruer vnnd zwy|tracht zu˚ verhüten. 1. ‘Ein gaistlich lied von den syben […]. [Augsburg: Melch. Raminger, um 1523?]. VD wortten die got der herr sprach an dem 16, B 6371. stammen des heyligen creütz’ (inc.: Do 4. Ain Diemitige Uersprechung: | durch Johann Jhesus an dem creütze stu˚nnd), 9 Strr. InB oschenstain/ e geborn von | Christenlichen oltern/ e auß der Stat Eßlingen/ wider | etlich die von jm halt: die sieben Worte Jesu am Kreuz. Vorsagen/ Er sye von Jüdischem | stammen/ vnd nit lage war das Lied ‘Da Jesus Christ am von gebornen Christen her⫽|kommen/ [...]. kreutz stayndt’ aus dem 15. Jh. (J. Kehr[Augsburg: Ph. Ulhart d. Ä., um 1524]. VD 16, B ein, Kirchen- u. religiöse Lieder, 1853, 6355. S. 198 f.). Ausgabe. G. M¸ller / G. Seebass, Andreas Überlieferung. Einblattdruck in Quart (BerOsiander. Gesamtausg., Bd. 1, 1975, S. 67⫺76. lin, SBPK, Yd 7802.27; Heidelberg, UB, Cpg 793, 5. Johann Boschenstain | Hebrayscher zungen Bl. 123). Weitere Drucke: 1515 in Augsburg (VD Lerer/ w un⫽|schet e allen tantzern vnd tantzerin/ 16, B 6361 zusammen mit Lied 2) und in Straßburg ein schnell | vmbkeren am Rayen/ ein keüchend (VD 16, B 6362), 1537 in Landshut (VD 16, ZV her⫽|tze/ m ude e f uß/ e tr ube e augen/ schweyß⫽|si- 2205), 1540 in Nürnberg (mit: Von eynem Apffel ges angesicht/ mit vil vnseli⫽|gen gedancken vnnd und von dem leiden Christi, VD 16, B 6363), 1545 e Got | bekere sy von irer | in Nürnberg und in Zürich (jeweils mit: Von dem vn⫽|ru˚ ihres gem uts/ thorhait. Augsburg: Heinr. Steiner, 1533. VD 16, reychen Man und von dem armen Lazaro, VD 16, B 6396. Ein weiterer Druck ebd., 1536. VD 16, B B 6364 f.), 1550 in Nürnberg (mit: Von eynem Apffel und von dem leiden Christi, VD 16, B 6366), 6397.
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1551 in Straßburg (mit: Von dem reychen Man und von dem armen Lazaro, VD 16, B 6367), um 1555 zweimal in Nürnberg (jeweils mit: Von einem Apffel und von dem leiden Christi, VD 16, B 6368 f.), 1563 in Straubing mit der Bearbeitung Witzels (VD 16, ZV 2202) und ca. 1569 in Basel (mit: Von dem reychen Man und von dem armen Lazaro, VD 16, B 6370). Ausgabe. Wackernagel, Bd. 2, Nr. 1327. 1537 wurde die Fassung B.s von Georg Witzel neu bearbeitet (Abdruck der Neufassung mit 8 Strr. in Wackernagel, Bd. 2, Nr. 1328). Die mit B.s Lied veröffentlichten Stücke ‘Von eynem Apffel und von dem leiden Christi’ und ‘Von dem reychen Man und von dem armen Lazaro’ weist Wackernagel, Bd. 2, Nr. 1318 und Bd. 3, Nr. 1024, Pamphilus J Gengenbach bzw. einem anonymen Autor zu.
2. ‘Ain hübsch lied von den zehen geboten. In der tagweyß. Es wonet lieb bey lieb’ e ir mich mercken eben). 12 Strr. (inc.: W olt Inhalt: die Auslegung der Zehn Gebote. Nach der Ansetzung bei Wackernagel und Brednich entstand das Lied um 1510. Überlieferung. Einblattdruck in Folio (Berlin, SBPK, Yd 7804.3). Im Jahr 1515 Druck in Ingolstadt (P. u. G. Apian) zusammen mit Lied 1 (VD 16, B 6360). Drucke zusammen mit Lied 4 erschienen um 1555 in Nürnberg (VD 16, B 6390 f.) und zwischen 1559 und 1568 in Augsburg (bei Matthäus Franck, nicht in VD 16). Das Lied ist zusammen mit Nr. 3 und 4 auch mehrfach Teil der Schrift: In disem Biechlin seind begryffen dreü gedicht/ In gesangs weyß, so [Augsburg: o. Dr., 1523] (VD 16, B 6385) und Nürnberg: o. Dr., 1525 (VD 16, B 6386). Ausgabe. Wackernagel, Bd. 2, Nr. 1330.
3. ‘twytwa h[bra μçb çdj ryç lyjta. Diß lied wirt gesungen in der weiss von Jpenklichen dingen so wel mirs heben an’ (inc. Von wunderlichen dingen), 14 Strr. Inhalt: das strafende Handeln Gottes an den sündigen Menschen. Überlieferung. Einblattdruck in Quart. Augsburg: Erh. Oeglin, [1513/14] (München, SB, Einbl. III,45). Der 2. Druck ([Augsburg: o. Dr., 1523]) trägt den Titel: Von begerung gotlicher gnaden in den gegenwürtigen Engsten. Weitere Drucke: Nürnberg 1525 u. 1555 (s. Lied 2). Die Fassung B.s ist eine Bearbeitung des Liedes ‘Von wunderlichen Dingen’ (Wackernagel, Bd. 2, Nr. 1290); neu hinzugekommen ist die Strophe: Der Türck hat sich gestörcket.
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Ausgabe nach dem 2. Druck. Wackernagel, Bd. 2, Nr. 1332.
4. ‘Ain new gedicht durch Johann Boeschenstain […] im thon Maria zart’ (inc.: Gott ewig ist, on endes frist), 8 Strr. Inhalt: die für den Menschen unbegreifliche Majestät Gottes. Überlieferung. Einblattdruck in Folio 1515 (Berlin, SBPK, Yd 7803.7). Ausgabe. Wackernagel, Bd. 2, Nr. 1331. Zu den Drucken zusammen mit Lied 2 und 3 s. o. Es handelt sich um die Bearbeitung eines Liedes von Jörg Preining (Wackernagel, Bd. 2, Nr. 1045), wobei B. nur 2 Strr. gegenüber der Vorlage veränderte. Literatur. G. A. Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon […], Bd. 1, Nürnberg/Altdorf 1755 (ND 1997), S. 129⫺134; Fortsetzung durch Ch. C. Nopitsch, Suppl.-Bd. 1, Altdorf 1802, S. 108⫺113; J. F. Kˆhler, J. B.s Verdienste um d. Wiederherstellung d. hebr. Lit. in Dtld., in: Lebensbeschreibungen merkwürdiger dt. Gelehrten u. Künstler, Bd. 2, Leipzig 1794, S. 1⫺23; A. M. Kobolt, Baier. Gelehrten-Lexikon […], Landshut 1795, S. 100⫺103; A. Erhard, Gesch. d. Wiederaufblühens wiss. Bildung, Bd. 3, Magdeburg 1832 (ND 1977), S. 332⫺340; Th. Wiedemann, Hanns B. Ksl. Majestät gefreiter hebraisch Zungenmeister, in: Österr. Vjschr. f. kath. Theol. 2 (1863) 70⫺88; Ph. Wackernagel, Das dt. Kirchenlied. Von d. ältesten Zeit bis z. Anfang d. XVII. Jh.s, Bd. 2, 1864 (ND 1990), S. 1090⫺1097; L. Geiger, Das Studium d. hebr. Sprache v. Ende d. XV. bis z. Mitte d. XVI. Jh.s, 1870, S. 48⫺55; ders., in: ADB 3, 1876, S. 184 f.; J. Perles, Beitr. z. Gesch. d. hebr. u. aramäischen Stud., 1884, S. 27 f. u. 30 f.; W. B‰umker, Das kath. Kirchenlied in seinen Singweisen. Von d. frühesten Zeiten bis gegen Ende d. 17. Jh.s, Bd. 1, 1886 (ND 1962), S. 63⫺ 65, 139, 445⫺450; Die hebr. Hss. d. K. Hof- u. Staatsbibl. in München, beschr. v. M. Steinschneider, 21895, S. 47 f., 123 f., 179, 220⫺224; G. Bauch, Die Einführung d. Hebräischen in Wittenberg […], Monatsschr. f. Gesch. u. Wiss. d. Judentums NF 12 (1904) 151⫺160, 214⫺223; J. Helgenmoser, Das Rechenbuch v. J. B. 1514, Mitt. d. Ges. f. Erziehungs- u. Schulgesch. 17 (1907) 113⫺141; K. Kern, Neue Mitt. über J. B., Zs. f. Gesch. d. Erziehung u. d. Unterrichts 5 (1915), 157⫺162; B. Walde, Christliche Hebraisten Dtld.s am Ausgang des MAs, 1916, S. 194⫺ 199; A. Marx, Studies in Jewish History and Booklore, New York 1944, S. 123, 317, 323⫺331; E. Werner, Two Obscure Sources of Reuchlin’s ‘De accentibus linguae Hebraicae’, Historia Judaica 16 (1954) 39⫺54; R. Newald, in: NDB 2, 1955,
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S. 407; E. Ro´ th, Verz. d. oriental. Hss. in Dtld., Bd. 6,2 (Hebr. Hss.), 1965, S. 234⫺236, 240 u. 242; M. Curschmann, Texte u. Melodien z. Wirkungsgesch. eines spätmal. Liedes (Hans Hesselloher: ‘Von üppiglichen dingen’) (Altdt. Übungstexte 20), 1970, S. 58⫺64, 116⫺118; Ch. M. Rabin, in: Encyclopaedia Judaica, Bd. 4, Jerusalem 1971, Sp. 1168 f.; R. W. Brednich, Die Liedpublizistik im Flugbl. d. 15. bis 17. Jh.s, Bd. 2, 1975, S. 29⫺33; M. N. Rosenfeld, Der jüd. Buchdruck in Augsburg in d. ersten Hälfte d. 16. Jh.s., London 1985, S. 6, 21, 24⫺28, 30 f., 33, 44, 49⫺51; D. Harlfinger (Hg.), Graecogermania. Griechischstud. dt. Humanisten, 1989, S. 322 f.; F. W. Bautz, in: BBKL 1, 1990, S. 668; H. Scheible, Reuchlins Einfluß auf Melanchthon, in: A. Herzig (Hg.), Reuchlin u. d. Juden (Pforzheimer Reuchlinschr. 3), 1993, S. 132⫺134; Ch. Schˆner, in: Biogr.Lex.LMU, Bd. 1, 1998, S. 47 f.; P. C. Martin, Das Rechenbuch v. J. B., in: R. Gebhardt (Hg.), Verfasser u. Hg. mathematischer Texte d. frühen Neuzeit, 2002, S. 145⫺152; D. Dr¸ll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1386⫺1651, 2002, S. 46 f.; Melanchthon-Br., Bd. R 11 (Personen), S. 180 f.
Gerald Dˆrner
Brant (Titio), Sebastian Inhalt. I. Leben. ⫺ II. Werk. A. Deutsche Dichtungen. ⫺ B. Deutsche und lateinische politische und naturkundliche Aktualitätendichtung. ⫺ C. Zweisprachig verfaßte religiöse und moralistische Dichtungen. ⫺ D. Lateinische Dichtungen. ⫺ E. Lateinische und deutsche historische Prosa. ⫺ F. Bearbeitungen und Übersetzungen. ⫺ G. Ausgaben und Beiträge. ⫺ H. Gelehrtes Schrifttum. ⫺ J. Briefe. ⫺ K. Zeugnisse der Amtstätigkeit. ⫺ Literatur.
I . L eb en . B. wurde 1457 als Sohn des Straßburger Gastwirts der großen Herberge ‘Zum goldenen Löwen’, Diebolt B.s d. J., geboren. Über Jugend und Schulzeit wissen wir nichts. B.s weiteres Leben teilt sich nach seinen beiden beruflichen Wirkungskreisen und Wohnsitzen in die Basler Periode bis zum Jahre 1500 und die Straßburger Periode bis zu seinem Tod am 10. Mai 1521. Die Zeit im damals noch deutschen Basel beginnt 1475/76 mit der Aufnahme des Studiums der Artes und der Rechte an der städtischen Universität. Aus dieser Zeit sind Studienhefte u. a. mit einer Horaz-Abschrift und einem ‘Cisiojanus’ als Autogra-
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phe erhalten. Im Studienhalbjahr 1477/78 erwarb B. in Basel das juristische Bakkalaureat, 1484 das Lizentiat. Nach dem Studium heiratete er 1485 die Basler Bürgerin Elisabeth Burgis, mit der er sieben Kinder hatte. 1489 erfolgte die Promotion zum Dr. iur. Seitdem war er an der Basler juristischen Fakultät ordentliches Mitglied des Professorenkollegiums. Er lehrte kanonisches (kirchliches) und römisches (ziviles) Recht. 1492 wählte man ihn für ein Jahr zum Dekan. Einträge in die Rektorats- und die Fakultätsmatrikel von seiner Hand sind erhalten. Im Lauf der Jahre war er auch als Rechtsgutachter, Advokat und Richter tätig. Seit ca. 1490 entwickelte B. eine äußerst rege Tätigkeit als Autor, Förderer und Herausgeber in drei großen Bereichen: Dichtung, Fachliteratur sowie Aktualitäten- und Gelegenheitspublizistik in Form von Einblattdrucken und Flugschriften. Zwischen 1490 und 1500 begründete er seinen literarischen Ruhm mit dem ‘Narrenschiff’ (1494) und zahlreichen Gelegenheitsdichtungen. Mit dem WS 1500 schied B. aus der Universität aus, um nach rund 25 Basler Jahren zum Frühjahr 1501 in seine Heimatstadt Straßburg überzusiedeln und dort als praktischer Jurist, als Syndikus, Diplomat und, ab 1502, als oberster Verwaltungsbeamter (Stadtschreiber/Kanzler) der Freien Reichsstadt Straßburg zu wirken. Der Einstellungsbriefwechsel ist erhalten. Wie schon früher bat ihn Ks. Maximilian I. weiterhin um seine Dienste als Ratgeber. Beide sind sich einige Male begegnet. B.s literarische Aktivitäten bekommen von jetzt an einen anderen Charakter. Er fördert ausweislich seiner Druckbeigaben vermehrt die verschiedensten Veröffentlichungen (s. II. G.2.), doch eigene Arbeiten nehmen ab. Sie lassen engeren Bezug zum neuen Wirkungsradius Straßburgs als einer Freien Reichsstadt erkennen. Kurz vor seinem Tode entbot B. i. J. 1520 in Gent dem neuen Ks. Karl V. Straßburgs Reverenz. B.s Position im Kontext seiner Zeit wird kontrovers eingeschätzt. Viele Aspekte seines ungemein vielseitigen Wirkens lassen die seit Schmidt vorherrschende Charakterisierung B.s als konservativ oder rück-
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wärtsgewandt heute als fragwürdig erscheinen (Überblick bei Stieglecker, S. 94⫺122). B. bewegt sich auf der Höhe seiner Zeit und geht ihr in mancherlei Hinsicht voran. Durch sein publizistisches Wirken macht er sich über Jahre hin zu einer Person der Öffentlichkeit, und er stützt seine publizistische Präsenz, indem er sich in Drucken seiner Werke bildlich darstellen läßt (Knape, 2003; weitere Bildbelege bei Heitz, Ausg., Nachtrag); B. spielt damit in Deutschland eine wichtige Rolle bei der Ausprägung eines modernen Autorkonzepts. Er wird auch von vielen zeitgenössischen Künstlern porträtiert (Schnyder). Speziell als Flugblatt- und Flugschriftenpublizist der ersten Stunde gebührt ihm ein besonderer Rang in der Vorgeschichte moderner mediengestützter Öffentlichkeit. Früh wird er in der Basler Druckerszene zusammen mit seinem Freund Bergmann von Olpe zu einem der ersten bewußten Förderer und systematischen Nutzer der neuen Printmedien. In seinem Berufsfeld als Jurist kann er als ein erster herausragender deutscher Wegbereiter der folgenden Generationen von Römischrechtlern gelten. Als Denker hat er sich mit der ersten umfassenden Freiheitsdichtung (II.A.3.), die ausdrücklich auch die Leibeigenschaft in Frage stellt, ein ideengeschichtlich weit vorausweisendes Denkmal gesetzt. Die darin entfalteten philosophischen Positionen, insbesondere seine voluntaristische Anthropologie, die von der Möglichkeit einer Veredelung und selbsttätigen Befreiung des Menschen aus irdischer Verderbnis mit göttlicher Hilfe ausgeht, bilden auch den theoretischen Hintergrund für das in der Zustandsanalyse kritische ‘Narrenschiff’ von 1494. Als Humanist schließlich entfaltet B. auch naturkundliche Interessen (Überblick z. Debatte um Kap. 66 d. ‘Narrenschiffs’ bei Stieglecker, S. 103⫺106) und wird zum wichtigen deutschen Vertreter frühneuzeitlicher Moralistik. In seiner lat. Dichtung pflegt er humanistisches Sprach- und Formbewußtsein, etwa in der antikisierenden Lexik religiöser Gedichte, in der Strophik oder bei der Wahl der Typographie (Knape, 1992, S. 68⫺76; Wiegand, S. 83).
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An B.s Aufnahme und Profilierung humanistischer Gedanken setzt freilich auch die Kritik an. Gemessen am forciert-spielerischen Paganismus mancher italienischer Humanisten, ihrem Antikenkult und Eintauchen in die antike Ideenwelt oder andererseits am theologischen Umsturzwillen, der sich bei den Reformatoren Bahn brach, kann man bei B. vielfach nur gelehrte Zurückhaltung, religiöse Mäßigung und ein traditionelles christliches Filtrieren antiken Denkens konstatieren. B. tritt aber zugleich auch für die Verbreitung altrömischer Dichtung ein. Schon früh plante er eine illustrierte Ausgabe des D Terenz (D.); 1502 erschien seine große Ausgabe des D Vergil (II.G.1.b). Vor 1500 stehen bei ihm jedoch für Antike und Humanismus v. a. spätantike christliche Denker wie Ambrosius und Augustinus, aber auch Petrarca, an deren Werkeditionen er zu dieser Zeit beteiligt war. Schwärmerisch ist seine Heiligenverehrung, insbesondere die Marienfrömmigkeit. In theologischen und religionspraktischen Fragen war B., wie die meisten deutschen Gelehrten seiner Generation, Traditionalist. Bei B. wird diese religiöse Haltung durch eine biographische Besonderheit verstärkt: er gehörte zu den wenigen Laien, die das Kirchenrecht in Lehre und Praxis vertreten durften. Dennoch, wenn B. im ‘Narrenschiff’ auf lebenspraktische Realisierung christlicher Ideale pocht, steht dahinter als Botschaft ein Konzept von individueller Eigenverantwortung und Moralität. Der christliche Idealismus wird bei B. zudem sozialethisch radikalisiert, wenn er in der ‘Freiheitstafel’ auf allen Gebieten die natur- und gottesrechtlich gegebene Freiheit des Menschen postuliert. Hier schlägt der theoretische Rekurs auf das als ursprünglich Erachtete in eine zukunftsweisende Perspektive um. Mißverstanden als konservative Rückwendung zu mal. Verhältnissen wird oft auch B.s entschiedenes Eintreten für Kaiser und Reich in seiner Einblatt- und Flugschriftenpublizistik. Tatsächlich drückt sich hierin der konstitutive Reichspatriotismus der sieben freien Stadtrepubliken Deutschlands aus (u. a. Basels und Straßburgs), die
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ihre Freiheitsrechte immer wieder gegen die Fürsten behaupten müssen, immer wieder den Schutz des Kaisers brauchen und daher das Reichsregiment zu stärken suchen (Knape, 1992, S. 432⫺445). I I. We rk . Die quantitativ größte Gruppe der überlieferten Schriften B.s bilden die Dichtungen. Sie variieren im Umfang und reichen vom Gelegenheitsdistichon bis hin zum großen Verswerk. Deutsch und Latein behandelt B. als gleichberechtige Literatursprachen. Vielfach knüpft er an die Tradition deutscher Sangspruchdichtung an, die sich mit moralistischen und religiösen Themen in lebensweltliche Zusammenhänge einmischt. Fiktionale Stoffe begegnen bei ihm nur selten (‘Aesop-Additiones’, ‘Traum’, Dramen). Für die dt. Gedichte wählt er regelmäßig den strengen paarreimigen Knittelvers. Die lat. Gedichte orientieren sich an klassischen Formen. B. hat eine Vorliebe für Zyklenbildung, und er veröffentlicht als einer der ersten deutschen Autoren von Zeit zu Zeit seine verstreuten lat. Carmina in anthologischen Druckausgaben. Schon früh fällt die Hinwendung zum Buchdruck auf, wenngleich viele Einzelgedichte nur hsl. überliefert sind. Viele seiner Drucke sind mit Holzschnitt-Illustrationen ausgestattet. Überlieferung. B.s literarische Werke sind bis zum 17. Jh. in ca. 120 Hss., zahlreichen selbständigen Drucken (Einblattdrucken, Flugschriften, Büchern) und als Inserate in Drucken anderer Autoren überliefert. 65 literarische Hss. und 612 Drucke bei Wilhelmi, Bibliographie 1990; weitere Überlieferungen bei Knape/Wilhelmi, Bibliographie. Ausgaben zahlreicher Texte bei F. Zarncke, S. B.s Nsch., 1854 (ND 1973). Ch. Schmidt, Einige dt. Gedichte v. S. B., Alsatia 10 (1873/74 [1875]) 43⫺82. Dt. u. lat. Aktualitätendichtungen (teils als Faksimile) bei P. Heitz, Flugbll. d. S. B., 1915. 469 kleinere Texte bei Th. Wilhelmi (Hg.), S. B., Kl. Texte, 2 Bde. (Arbeiten u. Ed.en z. Mittl. Dt. Lit. NF 3), 1998 (zit.: WKT mit Nr.); dazu ist heranzuziehen: H. Vredefeld, Towards a Serviceable Ed. of S. B.’s ‘Kleine Texte’, Hum. Lov. 50 (2001) 19⫺89 u. 52 (2003) 33⫺48; ders., Some Notes on the Vernacular Texts in S. B.’s ‘Kleine Texte’, Daphnis 31 (2002) 391⫺412.
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A . D eu ts ch e D ic ht un ge n. 1. ‘Narrenschiff’. a) Als B.s Hauptwerk gilt mit Recht das erstmals 1494 in Basel bei Bergmann von Olpe in einem opulent gestalteten Druck erschienene ‘Narrenschiff’. Thema des Werkes ist die Narrheit, verstanden als Torheit und mangelnde Einsicht in die Anforderungen des moralischen Universums. Narr ist der Mensch, der sich seinen fragwürdigen Neigungen ergibt, etwa dem Quacksalbertum oder der Prozeßsucht, den Modetorheiten oder dem Reliquienhandel frönt. Torheit und sittliche Defizienz sind im Narren vereint. In bunter Mischung bevölkern 109 Narren das imaginierte irdische Narrenschiff auf seiner Reise ins Narrenland. In einigen resümierenden Kapiteln (22, 107, 112) entfaltet B. den Gegenentwurf des nach Weisheit strebenden Menschen. B. bezieht sich literarisch auf das Modell der römischen Satire. Mit Blick auf Vorbilder wie Horaz schreibt er die dt. Satire seiner Zeit, ja, das repräsentative dt. Originaldichtwerk seiner Generation. Dabei aktualisiert er inhaltlich ein aufwendiges Referenzsystem vielfältiger Bildungsquellen. B. arbeitet sein Thema in 112 Kapiteln mit Hilfe der Allegorie des Schiffs der Narren und einer locker gereihten Serie von Narrenfiguren als dichterischen Imaginationskernen aus. Die durch das Titelblatt und die vorred vermittelte Bildvorstellung des Narrenschiffs wird freilich nach der vorred so gut wie fallen gelassen und kehrt erst gegen Ende (Kap. 103, 108, 109) wieder. Die Kapitel bestehen jeweils aus einem dreiteiligen Ensemble, aus a) einem drei oder vier Verse umfassenden Motto, b) einem Holzschnitt und c) einem Spruchgedicht, das 4 ⫹ 30 (oder ein Mehrfaches von 30) Verse umfaßt. In ihrer vorherrschenden streng kalkulierten Grundform füllen die drei Teile jeweils zwei Seiten, eine linke mit Motto, Bild und den ersten vier Versen der Spruchrede samt Kapitelüberschrift, eine rechte mit den weiteren 30 Versen der Spruchrede, so daß der Leser mit den beiden Seiten ein Ganzes vor Augen hat. Diese vorzügliche Kapiteldisposition wird allerdings verlassen, wo immer B. die Spruchrede um eine oder mehrere 30er-Einheiten
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erweitert; nach einer Erweiterung um einen oder drei 30er-Abschnitte beginnt das folgende Kapitel mit Motto und Bild dann notwendig auf der rechten statt auf der linken Seite.
Die meist jambischen dt. Verse der Spruchreden umspielen ⫺ nach Gaier − im gedanklichen Zusammenhang der einzelnen Kapitel einige rhetorische Figuren, doch ohne jeden Schematismus der Form. Die Holzschnitte greifen thematisch oft nur einzelne Aspekte des Kapiteltextes auf, bisweilen aber auch das gesamte Kapitelthema, und teilweise ergänzen sie die Versrede eigenständig. Stets aber gilt: “Der Text führt Regie” (Mausolf-Kiralp, S. 130; vgl. B‰ssler, S. 75⫺81). Die Textteile, Motti und Spruchreden, sind vermutlich vor den Bildern entstanden. Bergmann von Olpe und B. gaben Aufträge zur Herstellung der Holzschnitte an mindestens vier Reißer; unter ihnen gilt der junge Albrecht Dürer mit etwa zwei Dritteln der Entwürfe als Hauptmeister (Übersicht bei Lemmer, Ausg., S. XXXIII f.). Als deutschem Dichter kann B. unter den Zeitgenossen angesichts der Inventio dieses Hauptwerks niemand den Rang streitig machen. Keiner hat in dieser Zeit eine ähnlich berühmte und in Europa enthusiastisch aufgenommene literarische Figur wie den Narren im ‘Narrenschiff’ geschaffen. Kein lebender Zeitgenosse konnte in Deutschland ein dem ‘Narrenschiff’ vergleichbares dt. gedrucktes Werk vorweisen, das Dicht-, Bild- und Buchkunst zu einem Ensemble von ähnlichem Rang vereint. Bei den Zeitgenossen blieben der Anspruch und die Neuartigkeit des Werks nicht ohne Wirkung. Sein sensationeller Erfolg zog sofort zahlreiche Raubdrucke nach sich. Literarisch begründete es die europäische Tradition der Narrenliteratur. Vom Erstdruck (Basel 1494) sind 10 Exemplare erhalten (das lange verschollen geglaubte Fribourger Exemplar befindet sich in der Library of Congress in Washington). Zur komplizierten Druckgeschichte (Mischler) gehört die Tatsache, daß die erhaltenen Exemplare leichte Druckvarianten (auf dem Bl. 1v der Lage q erheblichere) aufweisen. Bis 1512 autorisierte B.
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selbst sechs Drucklegungen des Werkes. Insgesamt erschienen zu seinen Lebzeiten 16 dt. Drucke. b) Das Werkkonzept des ‘Narrenschiffs’ wurde bei der lat. Ausgabe beibehalten; sie wurde von Jakob J Locher hergestellt und erschien 1497 unter dem Titel ‘Stultifera navis’. B., selbst an der Drucklegung beteiligt, erwähnt in einer seiner Textbeigaben, er habe ursprünglich selbst eine lat. Version publizieren wollen. Ohne von der Grundstruktur des Werkes abzuweichen, kürzte Locher jedoch die Kapitel und tauschte einige aus. Seine Bearbeitung ist von “Antikisierung oder verallgemeinernder Typisierung” geprägt (Hartl, Bd. 1, S. 166). Zum Charakter der lat. Buchausgabe gehört auch, daß der Text nun mit einem philologisch-gelehrten Apparat versehen ist. c) Vom dt. ‘Narrenschiff’ erschien 1497 eine nd. Übersetzung. Bald nach Erscheinen der ‘Stultifera navis’ kamen verschiedene volkssprachige Übersetzungen ins Französische, Englische (erste Übersetzung eines dt. Werkes) und ins Niederländische heraus. Drucke. a) Unter den zu B.s Lebzeiten erschienenen Drucken finden sich von B. überarbeitete und ergänzte Ausgaben, überarbeitete Ausgaben ungenannter anderer, bloße Nachdrucke und Raubdrucke. Text- und illustrationsgeschichtlich relevant sind v. a. die Erstausgabe (A) und zwei weitere (B, C). A: Das Narren schyff. | [...]. Basel: Joh. Bergmann v. Olpe, vff die Vasenacht [...] 1494. GW 5041. Faksimile (mit den Bildvarianten v. B) hg. v. F. Schultz, 1913; neu hg. v. D. Wuttke, 1994. Die Varianten der 10 erhaltenen Exemplare, von denen sich bisher keines als das in Text und Orthographie zweifelsfrei gültige hat erkennen lassen (vgl. Lemmer, Ausg., S. XIII f.), in GW, Bd. 4, Sp. 671⫺678. B: Das Narren schyff. | [...]. Basel: Joh. Bergmann v. Olpe, vff die Vasenacht [...] 1495. GW 5046. Ergänzungen, die fortan in den autorisierten Ausgaben erscheinen: Zwei neue Kapitel (110a u. 110b), sechs neue Holzschnitte, davon verbesserte für die Kap. 9, 67, 69 und gänzlich neue für die Kap. 73, 83, 95. C: Doctor Brants Narrenschiff | 1.4.9.9. Nüt on vrsach. | Olpe. | [...]. Basel: Joh. Bergmann v. Olpe, vff die Va|senacht [...] 1499. GW 5047. Hier zuerst auf dem Titelbl.r⫺v B.s Protest gegen die unautorisierten Nachdrucke und Bearbeitungen (40 vv.); korrigierender Austausch des Holzschnitts zu
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Kap. 105 durch den zu Kap. 95 aus A, der seinerseits seit B durch einen neuen ersetzt war. ⫺ Die weiteren Drucke des 15. Jh.s: GW 5042⫺5045. Interpolierte Versionen GW 5048⫺5052. Die Drucke des 16. Jh.s (mit erweiterten und Kurzversionen) bei Wilhelmi, Bibliographie, 1990, Nr. 184⫺187, 190⫺200. Eine Druckabschrift (1526; Kap. 1⫺97) des Valentin Holl nach B: Nürnberg, GNM, Merkel 2° 966 (D. H. Meyer, Literar. Hausbücher d. 16. Jh.s, 1989, S. 509).⫺ b) J Locher. ⫺ c) Nd.: Dat narren schyp. Lübeck: [Mohnkopf-Drucker], 1497. GW 5053. Faksimile: T. Sodman, 1980. Ein weiterer Druck: Rostock: Ludwig Dietz, 1519. VD 16, B 7077. ⫺ Zu den weiteren Drucken d. 15./16. Jh.s von b) und c) s. Manger, 1983, S. 70⫺74. Ausgaben. a) Zarncke; M. Lemmer, 42004 (mit d. Zusätzen u. Bildvarianten v. B u. C); J. Knape, 2005; vgl. Knape/Wuttke, 1990, Kap. 10.1. ⫺ b) WKT 178⫺183; 195 (B.s Zusätze); Hartl, Bd. 2; Rupp (jeweils Teilausg. mit Übers. u. Komm.). ⫺ c) Vgl. Knape/Wuttke, 1990, Kap. 10.1. Übersetzungen des ‘Nsch.’ von 1494: Nhd. Übertragung v. H. A. Junghans, neu hg. v. H.J. M‰hl, 2002; anonyme nhd. Übers., Wiesbaden 2004; R. Disanto, Fasano 1989 (Textausg. mit neuer ital. Übers.); S. Sardi, La nave dei folli, Mailand 2002 (neue ital. Übers.); A. Regales Sema, La nave de los necios, Madrid 1998 (neue span. Übers.); vgl. Knape/Wuttke, Kap. 10.1. Kommentare: Zarncke, S. 265⫺469; H. Vredefeld, Materials for a New Commentary to S. B.’s ‘Narrenschiff’, Daphnis 26 (1997) 553⫺651; [II. Teil] ebd. 29 (2000) 709⫺713.
2. ‘Herkulesspiel’ / ‘Tugendspiel’. In seiner Straßburger Zeit hatte sich B. auch mit dem öffentlichen Schauspiel zu befassen. Möglicherweise schrieb er schon um 1512/13 ein dt. ‘Herkulesspiel’. Auf 1518 ist sein ‘Tugent Spyl’ datierbar, das in einem Zwei-Tage-Schema den Kampf zwischen Tugent und Wollust nach Art eines Stationendramas verhandelt. Druck. Tugent Spyl/ | [...]. Straßburg: Jak. Frölich, 1554. VD 16, B 7098. Ausgabe. H.-G. Roloff, S. B., Tugent Spyl. Nach d. Ausg. d. Mag. Joh. Winckel v. Straßburg (1554), 1968.
3. ‘Freiheitstafel’. B. schuf neben dem ‘Narrenschiff’ einen zweiten großen dt. Text-Bild-Zyklus, der ein Einheit stiftendes Thema in Variationen verhandelt. Er war als ‘Freiheitstafel’ in Form eines Freskos in der ‘XIIIer-Stube’ des Straßburger Rathauses angebracht. In
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52 Epigrammen mit Bild erörtert B. erstmals in einer Dichtung alle philosophischen, religiösen, rechtlichen und sozialen Aspekte der Freiheitsidee (Knape, 1992). Das Bildprogramm wurde malerisch wahrscheinlich von Hans Baldung Grien umgesetzt, der seit 1517 in Straßburg seßhaft war (Chaˆ telet-Lange). Die Entstehungszeit ist zwischen 1517 und 1519 anzusetzen. Überlieferung. Straßburg, Stadtarchiv, AST 169, 755r⫺813r. Ausgaben. A. W. Strobel, Das Narrenschiff v. Dr. S. B. nebst dessen Freiheitstafel, Quedlinburg 1839, S. 301⫺312; Zarncke, S. 158⫺161; Chaˆ telet-Lange, S. 134⫺138 (mit Bildrekonstruktionen v. E. Cordier); Knape, 1992, S. 487⫺ 501; WKT 437.
4. Ungedruckte Epigramme und Gelegenheitsgedichte. a) In B.s literarischem Nachlaß fanden sich Zettel mit vielen kleineren, oft zweisprachigen Gedichten zu religiösen, ethischen und politischen Themen, die in zwei Abschriften aus dem 17. Jh. unter der Bezeichnung Epigramme überliefert sind. Sie repräsentieren jene literarischen Bausteine, aus denen B. seine größten dt. Versdichtungen zusammenfügte. b) ‘Schild von Murten’, dt. Gedicht über einen in der Schlacht von Murten (1476) erbeuteten burgundischen Schild. c) ‘Gegen die Schweizer’, dreistrophiges lat./dt. Spottgedicht über die kriegerischen Eidgenossen von 1511. d) ‘Städteklage’, dt. Gelegenheitsgedicht, das B. inmitten seiner Amtsgeschäfte schrieb, über die Belastung der Städte und Bauern in der Kriegszeit von 1513. e) Sintflutprognose auf 1524, dt. Gedicht v. J. 1520. Überlieferung. a) ehemals Büdingen, Ysenburg-Archiv, Hs. Fragment Nr. 60 (jetzt Privatbesitz, Basel); Straßburg, Stadtarchiv, AST 169, 762v⫺777v; dazu Übersicht bei Knape, 1995, 167⫺ 169; b) Straßburg, Stadtarchiv, AST 176, 577v. c) Chicago, Newberry Library: Ms. 63, 111v; d) Straßburg, Stadtarchiv, AST 176, 577r⫺577v; e) Straßburg, Stadtarchiv, AST 169, 775r⫺ 776r; Fürstlich Waldburg-Zeil’sches Gesamtarchiv: ZAMs 41 (Weißenauer Traditionskodex), 368⫺ 369.
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Ausgaben. a) Strobel, 1827; Zarncke; Schmidt, Ausg., S. 72⫺80; WKT 270⫺357; b) WKT 359; c) WKT 433; d) K. Stenzel, Ein unbekanntes Gedicht v. S. B., Jb. f. Gesch., Spr. u. Lit. Elsaß-Lothringens 26 (1910) 165⫺166; WKT 439; e) K. Goedeke, Elf Bücher dt. Dichtung, Bd. 1, 1849, S. 17; Zarncke, S. 161 f.; G. Franz, Jacob Murers Weißenauer Chronik d. Bauernkrieges v. 1525, 1977, Textbd., S. 41; D. Wuttke, S. B.s Sintflutprognose f. Febr. 1524, in: M. Krejci / K. Schuster (Hgg.), Fs. J. Lehmann, 1984, S. 41⫺46; WKT 466.
B . D eu ts ch e u nd la te in is ch e p ol it is ch e u nd na tu rk un dl ic he Ak tu al it ät en di ch tu ng . Seit 1488 ist B.s Wirken als Verfasser tagesaktueller Gelegenheitsdichtungen von öffentlichem Interesse belegt (‘Contra Flamingos’, s. 1.). Es handelt sich dabei um Gedichte, die ihren Ausgang von konkreten Ereignissen in Politik und Natur nehmen. B. übernimmt mit diesen Texten über viele Jahre die soziale Rolle eines Berichterstatters, Kommentators und Beraters in Fragen der Reichspolitik. Nach antikem Vorbild tritt er als “Erzaugur des heiligen römischen Reiches” (Wuttke, 1994) in Erscheinung. Mit der frühen regelmäßigen Nutzung des Einblattdrucks bzw. der Flugschrift tritt B. als Avantgardist des noch nicht etablierten Journalismus hervor. Wirkungsgerecht publiziert er diese Gedichte häufig zweisprachig (lat./dt. zugleich auf einem Blatt oder auch zeitversetzt). Die Gedichte sind regelmäßig in lat. Distichen bzw. dt. Knittelversen abgefaßt. Thematisch greifen sie herausragende Naturereignisse, Meteoriten, Sternkonstellationen (2., 4., 6.⫺8. u. 15.), Wundergeburten und medizinische Erscheinungen im engeren Sinn (9. u. 10.) auf; daneben gibt es Texte zu rein politischen Anlässen (1., 3., 5., 11.⫺14. u. 16). Die Phänomendarstellung geht regelmäßig in politisch-moralische Suasorien oder Prognostikationen über. Die Deutungen der Vorfälle verweisen entweder auf die Lage von Kaiser und Reich oder auf Kriegs- und Türkengefahr. Ein Großteil der Gedichte ist verschollen. Aufgrund der erhaltenen Druckexemplare
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lassen sich folgende Gedichte als separat publizierte Werkeinheiten identifizieren. 1. ‘Contra Flamingos’, lat., Gedicht gegen die abtrünnigen Flamen, die Maximilian I. im Febr. 1488 gefangengenommen hatten. 2. ‘Donnerstein von Ensisheim’, lat./dt., zum Meteoritenfall in Ensisheim, Elsaß, 1492. 3. ‘Schlacht bei Salins’, dt., auf den Sieg Maximilians I. über die Franzosen 1493. 4. ‘Wormser Zwillinge’, lat./dt., zu einer Mißgeburt in Worms 1495. 5. ‘Confoederatio Alexandri VI. et Maximiliani I.’, lat. congratulatio zu einem europäischen Fürstenvertrag gegen die Türken von 1495. 6. ‘Inundatio Tybridis’, lat., Elegie zur Tiber-Überschwemmung in Rom 1495. 7. ‘Sau zu Landser’, lat./dt., zur Mißgeburt einer Sau in Landser im Sundgau 1496. 8. ‘Gans von Gugenheim’, lat./dt., zur Mißgeburt einer Zwillingsgans und zweier sechsbeiniger Ferkel in Gugenheim 1496. 9. ‘De pestilentiali scorra sive mala de Franzos’, lat., ein Erstlingswerk der Syphilisliteratur von 1496, das B.s medizinische Interessen widerspiegelt, aber auch die bei ihm üblichen Moralisationen und Suasorien enthält. Johannes J Reuchlin gewidmet. 10. ‘Anna von Endingen’, lat./dt. 1496, zum Blut- und Wurmausfluß der Straßburgerin Anna von Endingen, rein medizinisches Interesse, ohne die sonst üblichen suasorischen oder prognostischen Elemente. 11. ‘Fuchshatz’, lat./dt. Jagdallegorie (Warnung vor lauernden Füchsen), konkreter Tagesaktualität enthoben; politische Konnotationen ergeben sich aus der direkten Anrede Ks. Maximilians I.; dt. als Einblattdruck, lat. nur in den ‘Varia carmina’ (s. II.D.3.) überliefert. 12. ‘Frieden und Krieg’, lat./dt., Streitgespräch zwischen Frieden und Krieg anläßlich des Schwabenkriegs 1499. 13. ‘Traum’, lat. Flugschrift 1499/1500, dt. Flugschrift 1502. Traumvision, die den Dichter B. einbezieht, in 100 lat. Distichen bzw. 509 dt. Versen. B. verleiht seinem
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Aufruf zum Kreuzzug gegen die Türken durch direkte Rede des trauernden Kreuzes Christi Nachdruck. Er variiert hier das Beispiel der Sermocinatio des Kreuzes aus der ‘Poetria nova’ (vv. 467⫺507) Galfrids von Vinsauf. 14. ‘Türkenanschlag’, dt., zu einem dt.frz. Abkommen gegen die Türken von 1501. 15. ‘Zusammenfügung der Planeten’, dt., auf eine Planetenkonstellation 1504. 16. ‘Ad Maximilianum nenia’, Klage über den Siegeszug der Türken und Aufruf zum Kreuzzug an Maximilian sowie die übrigen christlichen Herrscher und Völker (48 Dist.; Flugschrift, 5. Febr. 1418). Überlieferung. Einblatt- und Flugschriftendrucke sowie Hss. verzeichnet bei WKT. Ergänzungen: 1. WKT 59: Hs.: Berlin, SBPK, Ms. Germ. qu. 636; Druck: Reverendissimo in christo patri et domino Caspar | de rheno [...] Sebastianus brant [...] elegiaca exhortatio contra perfidos et sacrilegos flamingos [...]. [Basel: wohl Mich. Furter, 1488]. GW 5019. ⫺ WKT 60, Hs.: Clm 14053; Drucke bei WKT 60; 2. lat. Hss.: Clm 14053; Straßburg, Bibl. Nat. et Universitaire, L. Alsat. 1080 (Ms. 1653); 4. dt. Hss.: Clm 24523, lat. Hss.: Augsburg SuStB, 4° Cod. 11 (⫽ WKT 153, nicht 154); Straßburg, BNU, L. Lat. 169 (⫽ WKT 153, 154); 5. Hs.: Citta` del Vaticano, Bibl. Vaticana, Pal. Lat. 1709; Drucke bei WKT 148; 6. Hs.: Clm 14053; Drucke bei WKT 156; 7. lat. Hss.: Hamburg, SUB, Cod. hist. 31e fol.; 8. lat. Hs.: Clm 14053; 9. Drucke bei WKT 175; dt. Übers. v. Joseph J Grünpeck, Ein hübscher Tractat von dem vrsprung | des B osen e Franzos [...]. Nürnberg: Kaspar Hochfeder, 1496/97, Bl. a ijr⫺[a6]r. GW 11575; 11. lat. Hs.: Clm 14053 (⫽ WKT 192); 12. lat. Hs.: Clm 24523; dt. Einblattdruck: Basel: Joh. Bergmann v. Olpe, 1499 (Berlin, SBPK, Inc. 617,10, beschnitten); 16. Ad Divum Maxi|milianum Caesarem Invictissi|mum cunctosque Christiani nominis princi-|pes et populos Naenia Sebastiani brant [...]. Straßburg: Joh. Knobloch, 1518; VD 16, B 7044. Ausgaben. 1. WKT 59⫺60; 2. Heitz, Nr. 1⫺ 4 (Faksimile); E. u. H. Kiepe, Gedichte 1300⫺1500 (Epochen dt. Lyrik 2), 1972, S. 385⫺389 (mit nhd. Übers.); WKT 79⫺80; 3. Heitz, Nr. 5 (Faksimile); WKT 81; 4. Heitz, Nr. 7 (Faksimile); WKT 152⫺ 153; 5. Heitz, Nr. 8 (Faksimile); WKT 148; 6. Heitz, Nr. 9 (Faksimile); WKT 156; 7. Heitz, Nr. 10⫺11 (Faksimile); WKT 157⫺158; 8. Heitz, Nr. 12⫺13 (Faksimile); WKT 160⫺161; 9. lat. Heitz, Nr. 17 (Faksimile); lat. WKT 175; dt. Übers. Grün-
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pecks als Faksimile bei K. Sudhoff, Zehn SyphilisDrucke aus d. J. 1495⫺1498, Mailand 1924; ders. / Ch. Singer, The Earliest Printed Literature on Syphilis 1495⫺1498. In Facsimile, Mailand 1925; 10. WKT 162⫺163; 11. lat. Heitz, Nr. 18 (Faksimile); dt./lat. WKT 190⫺192; 12. lat. Heitz, Nr. 20 (Faksimile); lat. WKT 266⫺267; 13. WKT 268, 381; 14. Heitz, Nr. 21 (Faksimile); WKT 386; 15. Schmidt, 1875, S. 65⫺68; Heitz, Nr. 22 (Faksimile); WKT 407; 16. WKT 452.
C . Z we is pr ac hi g v er fa ßt e r el ig iö se un d m or al is ti sc he Di ch tu ng en . 1. Rosenkranz (1494). In drei Versionen überlieferter, narrativer Abriß des Lebens und Leidens Jesu in Liedform, mit Bezug auf die schmerzensreiche Mutter Maria. a) Lat. Rosarium (50 sapph. Strr.). Die Strophenzahl ist in Analogie zu den 50 Perlen des schmerzhaften Gebetsrosenkranzes gebildet. B. nimmt den Text 1494 unter Betonung des sapphischen Strophenmaßes in seine ‘Carmina’-Sammlung, 1498 auch in die ‘Varia carmina’ auf. b) Lat. Rosarium, 63-Strophen-Version eines unbekannten Bearbeiters (Anfang 16. Jh.). c) Dt. Rosenkranz (51 Strr.) mit B.Akrostichon in strenger Vers- und Strophenform. Überlieferung. a) bei WKT 93; Ergänzungen: Göttingen, SUB, Ms. Luneb. 1; London, BL, Add. Ms. 19050; Clm 4408; Wolfenbüttel, HAB, Cod. 789.1 Novi, 13r⫺17r. ‘Carmina’ [s. D.2.], 1494, 8v⫺12v; ‘Varia carmina’ [s. D.3.], 1. Mai 1498, 10r⫺13r; b) Clm 9084, 148v⫺152v; c) [Heinrich D Seuse], Der ewigen wißheit betbüchlin. Basel: Jak. Wolff v. Pforzheim, 1518, XCIIv⫺XCVIv. VD 16, S 6101. Ausgaben. a) WKT 93; b) Henkel, 1995; c) Knape, 1996, Nr. 6; WKT 453.
2. Marienklage und Trostrede Jesu (1494). Klage Marias unter dem Kreuz im Schmerz über das Leiden des Sohnes und tröstende Antwort des Gekreuzigten, der durch die Passion sein Erlösungswerk vollendet sieht. a) Zwei aufeinander folgende, als Einheit gedachte lat. Gedichte (je 17 Dist.)
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schon in den ‘Carmina’ (1494) und ‘Varia carmina’ (1498). b) Die dt. Übers. (je 34 paarreimige vv.) ist nur auf einem Einblattdruck von ca. 1515 überliefert. Überlieferung. a) Hss.: Clm 14053; Clm 4408; Clm 19822; Drucke: ‘Carmina’ [s. D.2.], 1494, Bl. 7v⫺8r; ‘Varia carmina’ [s. D.3.], 1. Mai 1498, Bl. 8v⫺9v; Querulosa Christi consolatio [...]. Nürnberg: Hier. Höltzel, 1512 (Einblattdruck); b) Von den klagbaren leyden vnd mitleyden christi [...] Nürnberg: Hier. Höltzel, [ca. 1515] (Einblattdruck). Ausgaben. a) Die Kunst d. Graphik. Das Zeitalter A. Dürers. Kat. Wien 1964, S. 45, Abb. 17; WKT 134, 104; b) Faksimile d. Einblattdrucks 1512 bei M. Geisberg, The German Single-Leaf Woodcut: 1500⫺1550, Bd. 4, 1974, Nr. 1408; WKT 442, 441.
3. ‘Schachmatt-Spiel’. Miniaturdrama in Versen, das den ‘Everyman’ des 16. Jh.s vorzeichnet und in Bezug zur Totentanztradition steht. Thema ist die Vergänglichkeit der irdischen Lebenszeit. Ein Engel mit Uhr und der Tod kündigen die Todesstunde an, der Kaiser bittet um Aufschub, der Tod proklamiert die Todesverfallenheit aller Stände, der Mensch zeigt Einsicht in die Endlichkeit des Daseins, der Reiche fragt nach dem Bestand alles Irdischen, und der Tod antwortet abschließend mit einem Rätsel zur menschlichen Zeitrechnung und deren Ende. Der Text gehört zu den drei Dichtungen mit dt. Übersetzung in den ‘Varia carmina’ von 1498. Der dort wenig zuvor abgedruckte lat. Dialog zwischen Soldat und Tod (WKT 200/201) fügt sich zum ‘Schachmatt’-Text. Überlieferung. Ehemals Büdingen, YsenburgArchiv, Hs. Fragment Nr. 60, S. 16 (jetzt Privatbesitz, Basel); Clm 14053, 106r; Straßburg, Stadtarchiv, AST 169, 765v (dt. Auszug; 8 Verse); Venedig, Bibl. nazionale Marciana, Cod. lat. XII 210, 107r (lat. Auszug). Druck. ‘Varia carmina’ [s. D.3.], 1. Mai 1498, Bl. 113r⫺114v. Ausgaben. Zarncke, S. 153 f.; E. u. H. Kiepe, Gedichte 1300⫺1500 (Epochen dt. Lyrik 2), 1972, S. 400⫺402 (mit nhd. Übers.); WKT 204 u. 354.
4. ‘Verkehrtheit der Welt’. Priamelartig aufzählendes Klagegedicht über die Verkehrungen und Verderbnisse
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der moralischen Welt, das in zwei Versionen überliefert ist: dt. Langversion mit 22er Reim und lat./dt. Kurzversion mit 11 Hexametern, einem Distichon und 13er Reim. Die Kurzversion ist eine der drei Dichtungen mit dt. Übers. in den ‘Varia carmina’ von 1498. Überlieferung. Bonn, UB, Ms. S 83, 41v⫺42r; ehemals Büdingen, Ysenburg-Archiv, Hs. Fragment Nr. 60, S. 3⫺4 (jetzt Privatbesitz, Basel); Straßburg, Stadtarchiv, AST 169, 776r. Druck. ‘Varia carmina’ [s. D.3.], 1. Mai 1498, 112v⫺113r. Ausgaben. Zarncke, S. 153; WKT 203 u. 355.
D . L at ei ni sc he Di ch tu ng en . Unter B.s publizierten Dichtungen bilden die rein lat. Werke die größte Gruppe. Sie haben zwar nicht die gleiche literarhistorische Bedeutung wie viele lat. Texte anderer Humanisten oder wie B.s eigene dt. Dichtungen, aber sie beanspruchen einen kulturhistorischen Rang, weil sie die Ubiquität und Signifikanz des lat. Kasualcarmen im kommunikativen Wirken schon der älteren deutschen Humanistengeneration um 1500 bezeugen. Die lat. Carmina verfolgen die gleichen Themen und Anliegen wie die dt. Gedichte. 1. Carmina auf Heilige. B. hat früh zu jenen drei Heiligen, zu denen er sich beruflich und persönlich in enger Beziehung sah, lat. Gedichte mittels Einblattdruck publiziert: a) ‘St. Ivo’, drei liturgische Texte zum Fest des hl. Ivo, Schutzpatrons der Juristen, am 19. Mai; wahrscheinlich von 1493. b) ‘St. Sebastian’, 40 sapph. Strr. auf den hl. Sebastian (B.s Namenspatron); wahrscheinlich vom Jan. 1494. c) ‘St. Onophrius und die Einsiedler’, zwei als literarische Einheit verbundene Gedichte über berühmte Einsiedler und den hl. Eremiten Onophrius (Namenspatron seines Sohnes); wahrscheinlich vom Juni 1494. Überlieferung. a) Hs.: Clm 4408; Drucke bei WKT 121⫺122; nur Druck WKT 123⫺124; b) Hss.: Cambridge (GB), UL, Hh I 8; Clm 4408; Drucke bei WKT 125; c) WKT 136: Hss.: Cam-
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Brant, Sebastian
bridge (GB), UL, Hh I 8; Clm 14053; Drucke bei WKT 136. WKT 127: Hs. Clm 14053; Drucke bei WKT 127. Ausgaben. a) Heitz, Nr. 19 (Faksimile); WKT 121⫺124; b) Zarncke, S. 178 f.; V. Sack, S. B.s Gedicht an d. hl. Sebastian. Das Flugblatt u. sein Inhalt, Basler Zs. f. Gesch. u. Altertumskunde 75 (1975) 10⫺37 (lat./nhd.); WKT 125; c) Zarncke, S. 179⫺183; Heitz, Nr. 6 (Faksimile); WKT 136 u. 127; Stieglecker, S. 161⫺165 (lat.), 174⫺177 (dt.).
2. ‘Carmina in laudem Mariae’. Die erste von B. zusammen mit Bergmann von Olpe herausgebrachte Anthologie eigener bis dato entstandener lat. Gedichte und kleinerer Prosastücke zu religiösen Themen ist eine formal und inhaltlich bewußt gestaltete Sammlung von 37 Texten (Überblick: Stieglecker, S. 126⫺ 129). Enthalten sind auch die separat publizierten lat. Gedichte von II.C.1.⫺2. u. II.D.1. Der dem Bildbuchkonzept verpflichtete Druck ist in 15 mit vorangestellten Holzschnitten versehene Großkapitel untergliedert. Die Inhalte schreiten von mariologischen über christologische zu hagiographischen Themen voran. Eine Ausnahme macht ein Gedicht über die Sonnenfinsternis von 1485 (WKT 30). Die lat. Gedichte spielen zahlreiche literarische Formschemata durch (Knape, 1993, S. 159 f.). Druck. In laudem gloriose virginis | Marie multorumque sanctorum.| Varij generis carmina Seba|stiani Brant. vtriusque juris | doctoris famosissimi. Basel: Joh. Bergmann v. Olpe, 1494. GW 5067. Ausgaben. Zarncke (Teile); diverse WKTNr.n; Stieglecker, S. 150⫺177 (nur OnophriusTexte, lat./nhd.).
3. ‘Varia carmina’. Die Texte der ‘Carmina’ von 1494 nahmen B. und Bergmann von Olpe geschlossen in die wenige Jahre später unter dem Titel ‘Varia carmina’ herausgegebene zweite lat. Werkanthologie auf. Sie enthält 124 Stücke, darunter drei lat.-dt., und auch sie ist der Jungfrau Maria gewidmet. Die Druckexemplare der beiden 1498 erfolgten Ausgaben weisen Abweichungen im Textbestand auf (Ludwig, 1997). Die in den ‘Carmina’ von 1494 herrschende religiöse Thematik wird weiter vertieft, in-
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dem B. Gedichte zu den Heiligen Laurentius, Bruno, Germanus, Konrad, Ulrich, Joachim und Cyriacus einfügt. Hinzu kommt eine kleine Passion (WKT 211 ff.). Die neue Anthologie sollte das ganze Spektrum der lat. Dichtung B.s repräsentieren. Daher sind die (unter II.B.2., 4., 7., 8., 10. u. 14.) genannten Aktualitätendichtungen aufgenommen und ergänzt um mehrere Gedichte auf den zu dieser Zeit noch neuen Kg. Maximilian I., auf den spanischen Kg. Ferdinand II. und zur Türkengefahr. Zahlreiche kleinere Beigaben zu Editionen werden abgedruckt, viele Gelegenheitsgedichte auf Freunde und Bekannte. Es finden sich zudem eine Advokatenschelte, Gelegenheitsverse zu Naturereignissen (Unwettern, Sonnenfinsternissen), zu den Badener Thermalquellen, zu Begräbnissen und neuen Kirchenglocken sowie ein horologischer Prosatraktat (WKT 235). Drucke. Varia Sebastiani | Brant Carmina. Basel: Joh. Bergmann v. Olpe, 1. Mai [14]98. GW 5068; gemeinsam mit J Reuchlins ‘Scaenica progymnasmata’: Straßburg: Joh. Grüninger, 1. Aug. 1498. GW 5069. Einzelstücke (Druckabschriften) in diversen Hss. (dokumentiert in WKT); Ergänzungen zu Einzelstücken bei Knape/Wilhelmi, Bibliographie. Ausgaben. Zarncke, S. 174⫺195 (Teile); WKT (diverse Nummern).
4. ‘Aesopus-Additones’ (1501). Zu Beginn seiner Straßburger Zeit brachte B. seine revidierte Fassung der Fabeln des Aesopus gewissermaßen als Abschied von den Basler Druckern heraus. Den zweiten, umfangreichen Teil des Buches bilden seine ‘Additiones’. Dabei handelt es sich um eine ganz eigenständige “Sammlung von Fabeln, Facetien, Versen und Berichten über merkwürdige Tiere und Menschen, die B. selbst aus verschiedenen Autoren für diesen Druck zusammengetragen hat” (Schneider, Ausg., S. 410). Einleitend läßt er in seinen ‘Additiones’ Boccaccio und Lorenzo Valla mit poetologischen Äußerungen zu Wort kommen. Drucke. Esopi appologi sive mythologi cum | quibusdam carminum et fabularum | additionibus Sebastiani Brant. Basel: Jak. Wolff, 1501, Bl. [A]-
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Brant, Sebastian
[M6]. VD 16, A 435. ⫺ Dt. Übers. v. Joh. Adelphus J Muling, 1508. VD 16, A 546. Die weiteren Drucke bei Wilhelmi, Bibliographie 1990, Nr. 9⫺ 33; Dicke, S. 417⫺432. Ausgaben. WKT 373⫺374 (lat. Beigaben); Text mit nhd. Übers.: B. Schneider, S. B., Fabeln. Mit d. Holzschnitten d. Ausg. v. 1501, 1999.
5. ‘Carmina in laudem Maximiliani I.’. Eine dritte Anthologie lat. Gedichte gab B. nach dem Tod des verehrten Ks. Maximilian I. heraus. Die ersten 12 der insgesamt 20 Texte geben eine Art historischen Überblick darüber, wie B. ab 1488 den Kaiser und die Reichspolitik publizistisch begleitete. Am Beginn steht das große Thema Türkenkrieg. Die Anthologie beginnt mit einem Aufruf zum Krieg an Maximilian I., der mit historischen Exkursen aus B.s ‘Stultifera navis’-Anhang fortgeführt wird. Sodann folgen die wichtigsten Flugblättergedichte (‘Donnerstein’, ‘Sau von Landser’, ‘Wormser Zwillinge’ und Syphilisgedicht). Mit dem 13. Stück beginnen die neueren Lob- und Trauergedichte auf Maximilian und Vertreter seiner Dynastie, einschließlich einer Franzosenschelte gegen Franz I. (WKT 462⫺464, 416, 454, 444, 455, 443, 456). Das Schlußgedicht auf den obersten ksl. Kanzlisten Petrus Aegidius in Antwerpen (Berufskollege B.s) deutet auf einen Rezeptionszusammenhang hin. Druck. In Laudem Divi | Maximiliani | Caesaris | invict. | ex | Panegyricis Sebastiani Brant | poiki¬lvn tv˜ n klasma¬tvn ta¬de [...]. Straßburg: Joh. Schott, [1519/20]. VD 16, B 7045; Wilhelmi, 1990, Nr. 258. Ausgabe. Zarncke, S. 196⫺199 (Teile); WKT (diverse Nr.n). 6. Ungedruckte Epigramme und Kasualcarmina. Nicht nur in Drucken, sondern auch in zahlreichen Hss. finden sich verstreute Kasualeinträge B.s, meistens in Gedichtform; so etwa in der Basler Rektoratsmatrikel (WKT 61, 73, 74, 176 u. Knape/ Wilhelmi, 2004). B.s Gedichte wurden gern in hsl. Anthologien seiner Zeitgenossen aufgenommen, so etwa in das auf 1494 datierte Schlettstädter Schulheft Wilhelm Gisenheims (Se´lestat, Bibl. humaniste, ms. 131; vgl. Adam, S. 16 f.). Ähnliches gilt für ein St. Galler Studienheft (St. Gallen, Bibl. Vadiana, Ms. 469); es enthält zahlreiche signierte Gedichte verschiedener Autoren zu den unterschiedlichsten Themen; mehrere unsignierte Gedichte der Hs. können B. mangels Parallelüberlieferung nicht zweifelsfrei zugewiesen werden und sind daher aus
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dem B.-Corpus auszuscheiden (WKT 31, 36 [Apollo-Ode], 37, 40, 41, 50, 52 u. 66). Der für WKT nicht ausgewertete Clm 4408 enthält Bl. 60r⫺95v ebenfalls Abschriften zahlreicher lat. Gedichte B.s von einer Hand mit der Schlußdatierung 19. Juni 1495. Im Ms. Add. 19050 (Bl. 78r) der British Library befindet sich von B. ein Tetrastichon in Virginem Mariam (Knape/Wilhelmi, 2004). Das Themenspektrum kurzer Gelegenheitsepigramme B.s, wie sie WKT dokumentiert, ist vielfältig: Amor und Venus (2; 4; 39), Jura (1; 5⫺10; 38), Todesfall (11), Neid (42), Zukunftsoptimismus (44), eingebildete Schüler (45), Verwünschung der Sonne (46), Weihwasser (47), Sorgen (48), Argus (49), Kritiker (51), Inschriften (52; 66; 88), Seneca (54), Betrug eines Freundes (55), St. Nikolaus (56), Simonie (358), Sterblichkeit des Menschen (362), Gruß an die Stadt Straßburg (363), auf Maximilian I. (429). Es finden sich auch kurze Gebete in Vers oder Prosa (3; 177). Größere WKT-Gedichte betreffen folgende Themen: Auf Papst Sixtus IV. (26), Raimundus (27), Epitaph auf Kf. Ernst von Sachsen (33), Aufruf an Maximilian I. zum Türkenfeldzug (256), wahre Musenliebe (410).
E . L at ei ni sc he un d d eu ts ch e h is to ri sc he Pr os a. 1. ‘Jerusalem’. B. stellt die wechselvolle Geschichte Jerusalems von den Zeiten des Alten Testaments bis zur gegenwärtigen türkischen Bedrohung des Abendlands in Gestalt einer Chronik der guten Könige dar, welche die Stadt, den Symbolort der Christenheit (Moser), gegen die Ungläubigen verteidigten oder wiederzugewinnen suchten. Die Chronik mündet in einen flammenden Aufruf an Kg. Maximilian, dem Beispiel der guten Könige zu folgen und einen Zug ins hl. Land zu unternehmen. Die demonstrierte Vorbildlichkeit der Könige im Einsatz für die hl. Stadt und der Schlußappell an Maximilian geben dem Werk den Charakter einer Suasorie. Der umfangreichen Prosachronik schloß B. unter dem Titel Epilogus Regum circa Hierosolymam conuersantium eine Kurzfassung des gleichen Stoffes in 321 Distichen an. Die doppelte, prosaische und metrische, Version bildet eine Art Opus geminum. Zu den Quellen der Prosa gehören u. a. Aeneas Silvius J Piccolominis Epitome der ‘Decades’ Flavio Biondos und seine Türkenreden.
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Brant, Sebastian
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Eine dt. Prosaübersetzung legte 1518 Kaspar Frey vor.
ständig (Knape, 1992, S. 197⫺207), unter der man die Sammlung des für die Stadtrepublik wichtigen historischen und rechtliDrucke. De Origine et conuersa|tione bonochen Wissens versteht. Es gibt Zeugnisse rum Regum: & laude Ciuitatis | Hierosolymae: dafür, daß B. an einer zusammenfassenden cum exhortatione eiusdem | recuperande˛. Sebastianus Brant. Basel: Joh. Bergmann v. Olpe, 1495. Chronik gearbeitet hat. Erhalten haben GW 5072. ⫺ Von dem anfang vnd | Wesen der sich nur zwei größere dt. Stücke: hailigen Statt Jerusalem/ Und z uo | welchen zey| a) ‘Bischof Wilhelms Wahl und Einritt ten die selb dem außerw o|lten e volck Gottes jnge- anno 1506 et 1507’, Prosabericht von der geben [...] Durch Se-|bastianum Brant beder RechAmtsübernahme des neuen Straßburger Biten Doctor. | Eemals in lateinischer histori vergriffen 1518. Straßburg: Joh. Knobloch d. Ä. VD 16, schofs Wilhelm von Honstein. b) ‘Beschreibung etlicher Gelegenheit B 7083. Deutschlands’, Prosabeschreibung von ReiAusgabe der lat. Beigaben. WKT 145⫺147. serouten insbesondere für das Botenwesen 2. ‘Titus, Vespasian und Trajan’. und den diplomatischen Verkehr (beides Für den neugewählten deutschen Ks. fiel in B.s amtlichen ZuständigkeitsbeKarl V. brachte B.s Sohn Onophrius 1520 reich) zwischen den deutschen Ländern ein letztes Werk seines Vaters zum Druck. und Städten. B. konnte es dem neuen Herrscher im Überlieferung. a) Ludwig Schneegans-NotiSommer 1520 noch persönlich anläßlich einer Huldigung der dt. Stände in Gent zen: Straßburg, Stadtarchiv, AA 1541; b) Druck: überreichen. In einer längeren Einleitung Beschreibung etlicher Gelegenheit Teutsches Lands berichtet Onophrius, daß B. beim Tode an Wasser/ Berg/ Stetten und Grentzen/ mit Ander Meilen und Strassen/ von Statt zu Maximilians I. an einem genealogischen zeygung Statt. Anhang zu: Caspar Hedio, EJn AuszerlesWerk für die Habsburger gearbeitet habe, zene | Chronick von anfang der welt [...]. Straßdas die Heiligen der Dynastie und ihre Ge- burg: Kraft Müller, 1539, 21543. VD 16, H 922 u. schichte zum Gegenstand haben sollte. Die 923. ‘Titus, Vespasian und Trajan’-Schrift ist Ausgabe. a) A. W. Strobel / L. Schneegans, offensichtlich ein Teil des Unternehmens, Code historique et diplomatique de la ville de das inhaltlich mit dem Jerusalem-Werk (s. Strasbourg, Bd. 1,1⫺1,2, Straßburg 1843, S. 235⫺ II.E.1.) in Verbindung steht. Der erste Teil 299; Auszug bei Zarncke, S. 199⫺204. des Werkes berichtet nach Flavius JoseF. B ea rb ei tu ng en un d Ü be rs et phus von den vorbildlichen römischen Kaisern Titus, Vespasian und der schon im z un ge n. MA die Phantasie anregenden Zerstörung B. scheint sich schon in den 1480er JahJerusalems. Im zweiten Teil ist nach Histo- ren mit der Übersetzung lat. Texte befaßt rikern wie Eutropius, Orosius und der ‘Hi- zu haben. Wie die eigenen Werke brachte storia Lombardica’ von den Taten Ks. Tra- er sie allerdings erst ab 1490 gehäuft und jans die Rede. Er, der wie Karl V. aus Spa- in relativ schneller Folge zum Druck. Nenien kommt, wird nach seinem Tode als ben Gelegenheitsübersetzungen treten v. a. Heiliger in den Himmel aufgenommen und zwei Textgruppen heraus: Spruchsammzum Begründer der Dynastie des neuen lungen bzw. gnomisch-didaktische Erziedeutschen Kaisers (B iiijv). hungslehren (1.⫺4. u. 8.) sowie religiöse Druck. An den allerdurchleüch|tigsten Groß- Lied-, Gebets- und Erbauungstexte (5. und mechtigisten Fürsten | vnd herren/ Herrn Caro- 6.). lum den fünfften [...] In das leben/ vnd tugentliche geschich|ten Keyser Tyti Vespasiani des miltenn. Durch | Sebastianum Brandt verteütschet. Straßburg: Martin Flach, 1520. VD 16, B 7047 u. 7064. Ausgabe der lat. Beigabe. WKT 468.
3. ‘Chronik’. Seit 1502 war B. als Straßburger Kanzler auch für die sog. ‘Stadtbuchliteratur’ zu-
1. ‘Thesmophagia’ (‘Fagifacetus’). B. eröffnet die Reihe seiner didaktischen Übersetzungen mit einer zweisprachigen Ausgabe des ‘Fagifacetus’, dessen lat. Text von einem nicht näher bekannten D Reiner (13. Jh.) stammt. Er gibt eine Anleitung zum guten Benehmen bei Tisch, was
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Brant, Sebastian
Tischgenossen, insbesondere auch Frauen, das Essen und Trinken sowie die Beendigung der Tafel angeht. B.s dt. Strophen haben meistens die doppelte Verszahl. Druck. De moribus et | facetijs mense. Basel: Mich. Furter, 1490. Hain 6900. Ausgaben. Zarncke, S. 147⫺153 (dt.); H. Lemcke, Reineri Phagifacetus sive De facetia comedendi libellus. Addita versione S.i B.ii, 1880 (lat./dt.); S. Umbach, S. B.s Tischzucht (Thesmophagia 1490). Edition u. Wortindex (Gratia 27), 1995.
2. ‘Facetus’. Der seit dem 13. Jh. überlieferte D ‘Facetus Cum nihil utilius’ gehört neben den ‘Disticha Catonis’ (D ‘Cato’) zu den beliebtesten gnomischen Sammlungen des SpätMAs. B. bringt in seiner zweisprachigen Ausgabe die gereimten lat. Hexameterpaare in dt. Zwei- oder Vierzeiler. Erstdruck. Liber Faceti docens mores ho|minum [...] per Sebastianum Brant in vulgare noviter translatus. Basel: Bergmann v. Olpe, 1496. GW 9695. Weitere Drucke: Wilhelmi, 1990, Nr. 312⫺ 331; lat. Hss. d. ‘Facetus Exhortatio’ (⫽ WKT 169): Gotha, Forschungsbibl., Gymn. Ernestinum 1; Mainz, Gutenberg-Museum, Hs. 1509a1. Ausgaben. Zarncke, S. 137⫺142 (dt.). Weitere s. Knape/Wuttke, 1990, Kap. 13.3; lat. Beigabe: WKT 169.
3. ‘Cato’. Die in der Spätantike von einem Unbekannten verfaßten ‘Disticha Catonis’, das im MA verbreitetste und in zahlreiche Volkssprachen übersetzte Schulbuch, kannte B. in seiner in vier Bücher geteilten und im 9. Jh. durch die breves sententiae eingangs erweiterten Version. Er veröffentlichte seine neue Übersetzung (meist paarreimige Vierzeiler) wiederum zusammen mit dem lat. Text. Erstdruck. Catho in latin. durch | Sebastianum Brant | getützschet. Basel, Bergmann von Olpe, 1498. GW 6352. Weitere Drucke: Wilhelmi, 1990, Nr. 266⫺296; Baldzuhn. Ausgaben. F. Zarncke, Der dt. Cato, 1852 (nur lat.); Zarncke, S. 131⫺137 (dt., lat. Beigaben); WKT 238 u. 241 (lat. Beigaben).
4. ‘Moretus’. Der seit dem 13. Jh. nachweisbare D ‘Facetus Moribus et vita’ besteht aus drei
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Teilen: einer berufs- und ständebezogenen Verhaltenslehre, einer Ars amatoria sowie Remedia amoris nach ovidianischem Vorbild. B.s zweisprachige Ausgabe bietet die erste und einzige dt. Übersetzung des Werkes, beschränkt sich jedoch auf die Ständedidaxe. Sie stellt dt. Vierzeiler neben die lat. Distichen. Erstdruck. Liber moreti docens Ju|uenum [...] per | Sebastianum Brant: in vulgare no-|uiter translatus. Basel: Bergmann v. Olpe, 1499. GW 9695. Weitere Drucke: Wilhelmi, 1990, Nr. 527, 529⫺531; Hs.: Freiburg i. Br., UB, Hs. 25, 34r⫺40v (lat. Auszüge). Ausgabe. Zarncke, S. 142⫺147 (dt.; lat. Beigabe; nach dem Druck Straßburg 1508); WKT 260 (lat. Beigabe).
5. Geistliche Lieder. Unter B.s zahlreichen religiösen Dichtungen nehmen seine Liedübersetzungen einen besonderen Platz ein, weil sie seine versästhetisch anspruchvollsten dt. Gedichte sind. B. war bemüht, die kunstvolle Form seiner lat. Vorlagen im Deutschen nachzubilden. Mit seinen fünf geistlichen Liedern steht er in der Tradition spätmal. Hymnen- und Sequenzenübersetzung (D Mönch von Salzburg, Heinrich D Laufenberg, Ludwig D Moser u. a.). B. übersetzte a) zwischen 1490 und 1496 das ‘Ave salve gaude vale’ (‘Crinale’) des D Konrad von Haimburg, b) um 1491 den Fronleichnams-Hymnus D ‘Pange lingua gloriosi’, c) um 1496 die Sequenz ‘Ave praeclara maris stella’ Hermanns von Reichenau (D ‘Ave praeclara maris stella’ [deutsch], Nr. 4), d) um 1502 den Hymnus ‘Verbum bonum’, e) 1502 die Sequenz D ‘Stabat mater dolorosa’ nach einem Mischtext des romanischen Überlieferungszweigs (D ‘Stabat mater dolorosa’ B.II.2.; Krass, S. 201); B.s Autorschaft ist nicht gesichert. Überlieferung. a) 1 Hs., 1 Druck (Knape, 1996, Nr. 1); b) 2 Hss., 6 Drucke (Knape, 1996, Nr. 2); c) 2 Hss., 3 Drucke (Knape, 1996, Nr. 3); d) 1 Hs., 4 Drucke (ebd., Nr. 4); WKT 365; e) 1 Druck, 5 Hss. (Druckabschriften) in 2VL 9, Sp. 212.
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Brant, Sebastian
Ausgaben. a) Knape, 1996, Nr. 1; WKT 198; b) Knape, 1996, Nr. 2; WKT 68; c) Heitz, Nr. 15⫺16 (Faksimile); Knape, 1996, Nr. 3; WKT 70; d) Heitz, Nr. 14 (Faksimile); Knape, 1996, Nr. 4; WKT 365; e) Knape, 1996, Nr. 5.
6. ‘Hortulus animae’ (‘Seelengärtlein’). Aus der Stundenbuchtradition hervorgegangene Gebetsanthologie zur Messe, zu Heiligen-Offizien und zum Totengedenken, mit Lied- und Litaneibestandteilen, die in den verschiedenen Druckredaktionen variieren. Unter den 52 von 1498 bis 1523 nachgewiesenen Ausgaben ist eine von B. und Wimpfeling gemeinsam durchgesehene und verbesserte (Straßburg: Joh. Wähinger, 1503. VD 16, H 5042). Die von B. 1501 herausgebrachte dt. Fassung ist dem ‘Hortulus’ in der inhaltlichen Gliederung weitgehend gleich, weicht aber in mehreren Abschnitten durch Gruppen von Gebeten ab, die sich schon in älteren dt. Gebetbuchhss. finden. B. hat vorhandene Texte überarbeitet und v. a. neue Übersetzungen beigetragen. Sein eigener Anteil an den Texten des ‘Seelengärtleins’ ist nach Art und Umfang jedoch vorerst noch ungeklärt. Vgl. D ‘Hortulus animae’ 2.c. Erstdruck. Ortulus anime. Der selen g a|rtlin e [...] Zu Straßburg in seym vatterlant | Hat mich Sebastianus Brant | Besehen und vast corrigiert | Z uo | tütschem ouch vil transferiert [...]. Straßburg: Joh. Wähinger, 1501. VD 16, H 5078. Bibliographie der insgesamt 36 Ausgaben, die nur selten noch B.s Namen nennen: M. C. Oldenbourg, Hortulus animae [1494]⫺1523, Bibliographie u. Illustration, 1973; Wilhelmi, 1990, Nr. 388⫺417. Ausgabe. Abdruck einzelner Gebete bzw. Lieder bei W. Wackernagel, Das dt. Kirchenlied v. d. ältesten Zeit bis z. Anfang d. XVII. Jh.s, Bd. 1, 1864 (ND 1964), Nr. 208, Bd. 2, 1867, Nr. 61 u. 1097⫺1102; dt. Beigabe: WKT 380; lat. Beigabe: WKT 406.
7. Geiler-Brief. Von B.s Hand ist die dt. Übersetzung eines lat. Briefs Joh. D Geilers von Kaysersberg an Wimpfeling über eine Begegnung mit Ks. Maximilian I. v. J. 1503 überliefert. Offensichtlich verfertigte er die Übersetzung während einer Pause zwischen seinen Amtsgeschäften.
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Überlieferung. Straßburg, Stadtarchiv, AST 323, 7v. Ausgabe. Wimpfeling-Br., Nr. 141b.
8. Freidank (1508). Unter dem Namen D Freidank war eine Sammlung paarweise gereimter dt. Sprüche aus dem 13. Jh. noch zu B.s Zeit verbreitet. Die Sprüche nehmen zu allen denkbaren religiösen, ethischen und politischen Themen Stellung und speisen sich aus zahlreichen, auch gelehrten Quellen. B.s Version beruht auf dem Text der FreidankHss.-Gruppe CDE, ändert die Kapitelreihenfolge und ist um bestimmte Zusätze erweitert. Der Druck ist nach dem Bildbuchkonzept mit 46 Holzschnitten versehen, die mehrheitlich speziell für diesen Druck hergestellt wurden (Tiedge, 1903). Erstdruck. Der Freidanck. Straßburg: Joh. Grüninger, 1508. VD 16, F 2542. Weitere Drucke: Wilhelmi, 1990, Nr. 332⫺339. Ausgaben. Zarncke, S. 164⫺169 (Teile); WKT 421 u. 422 (dt. Beigaben).
9. Jakob Wimpfeling, ‘Contra bellisequaces’. B. übersetzt Wimpfelings kritisches Tetrastichon über allzu begierig nach Kriegstaten strebende Soldaten in 12 dt. Versen. Drucke. Stephan Hoest, Modus Predicandi [...]. Straßburg: Joh. Prüß, 1513, Bl. 10v. VD 16, H 4100 f.; Jak. Wimpfeling, Adolescentia [...]. Straßburg: Matth. Hüpfuff, 1514, Bl. LXXIr. VD 16, W 3336. Weitere Drucke: Wilhelmi, 1990, Nr. 386 u. 605⫺607. Ausgabe. Schmidt, 1875, S. 68 f.; O. Herding, J. Wimpfelings ‘Adolescentia’, 1965, S. 380; WKT 434.
G . A us ga be n und B ei tr äg e. B. war vielfach als Herausgeber tätig und beteiligte sich darüber hinaus mit Beiträgen zu zahlreichen Ausgaben anderer. 1. Ausgaben. Die gesamte Herausgebertätigkeit B.s kann hier nicht dokumentiert werden. Es seien allein drei herausragende Fälle genannt. a) Petrarca, Opera latina (1496). Librorum Francisci Petrarchae Basileae | Impressorum Annotatio [...]. Basel: Joh. Amerbach, [vor 14. Juli] 1496. HC 12749. Geiss, S. 143⫺175,
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Brant, Sebastian
weist 394 erhaltene Exemplare nach. Dieser erste Versuch einer vollständigen Werkausgabe, der dem Anspruch der Vollständigkeit, wie B. bewußt war, freilich nicht gewachsen war, umfaßt einschließlich dreier Briefcorpora 15 Stücke; sie waren in der Mehrzahl bereits andernorts gedruckt, für vier aber standen nur Hss. zur Verfügung. B., der sich mit seinem Elogium auf den Drucker (Bl. [A]v) als Herausgeber zu erkennen gibt, fungierte vor allem als Korrektor, sorgte für kritisch revidierte und mit geregelter Orthographie und Interpunktion versehene Druckvorlagen. Vgl. Geiss, S. 109⫺111. b) Vergil, Opera (1502). Publij Virgilij maronis opera. | [...]. Straßburg: Joh. Grüninger, 1502. VD 16, V 1332. Die von B. konzipierte und eingerichtete Vergilausgabe (D Vergil E.II.2.) war mit ihren 214 Holzschnitten die erste illustrierte. Die Verbindung von Text und Bild hat B. in den einleitenden Distichen an den Leser selbst als die unvergleichliche Neuheit seiner Ausgabe hervorgehoben. Waren das Programm der Illustrationen und der einzelne Bildentwurf seine eigene Leistung, so hat er doch auch seine Textvorlage, die 1491 gedruckte, mit fünf Kommentaren ausgestattete Ausgabe Mancinellis, revidiert, die Bücher der ‘Aeneis’ und der ‘Georgica’ sowie die einzelnen Eklogen mit metrischen Argumenta versehen und das reiche Kommentarmaterial neu geordnet. c) Petrarca, De remediis utriusque fortunae, deutsch (um 1520/1532). Franciscus Petrarcha. Von der | Artzney bayder Glück/ des gu˚ten vnd | des widerwertigen [...]. Augsburg: Heinr. Steiner, 1532. VD 16, P 1725. Faksimile-Ausg. v. M. Lemmer, 1984. Die durch 261 Holzschnitte des Petrarcameisters ausgezeichnete dt. Ausgabe von Petrarcas ‘De remediis’, übersetzt von dem Nürnberger Peter Stahel (Buch I) und nach dessen Tod von Georg J Spalatin, lag als Projekt der Augsburger Verleger Grimm und Wirsung bereits im Sept. 1521 fertig vor, kam aber wegen ungünstiger Umstände damals nicht zum Druck. Die Verleger hatten, wie der Drucker Steiner 1532 in seiner Vorrede berichtet, für die thematische Planung der Illustrationen den Petrarcakenner und in Sachen der Buchillustration versierten B. gewonnen. Der Anteil B.s an der inhaltlichen und auch formalen Konzeption der Illustrationen ist in der Forschung unterschiedlich, meist aber als grundlegend (Fr‰nger, Raupp) eingeschätzt worden. Die schwierige Frage harrt einer umfassenden Analyse.
2. Literarische Beigaben. Zu vielen Drucken seiner Zeit hat B. Verse beigesteuert, zumeist epigrammatische Verweise auf Werkinhalte, Drucker
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oder Autoren. Hinzu kommen druckbezogene Widmungsbriefe und sonstige Gelegenheitsprosa, nur selten in dt. Sprache. Allerdings gibt es auch Beigaben, die B. offensichtlich als inhaltlich sinnvolle Ergänzungen des Kerntextes ansah, so etwa die beiden Gebete an die Jungfrau Maria im Thomas von Kempen-Druck (WKT 261⫺ 262; dazu K¸enzlen). Wie unterschiedlich die Beigaben sind, läßt sich an den D Heinrich von Langenstein-Drucken zeigen; es finden sich da Epigramme ohne Bezug zum Druckwerk (WKT 340, 413, 416) und eine Beigabe im engeren Sinn mit Bezug auf Autor und Druck (WKT 450). Ebenso verhält es sich mit den nicht auf die Drucke von D Albrecht von Eyb, Stephan D Hoest und Jakob J Wimpfeling bezogenen Gedichten WKT 403, 404 und 434. Bisweilen handelt es sich um Textstücke aus B.s Feder, deren Autorisierung nicht immer klar ist. Vor allem bei den frühen Basler Druckausgaben hat B. gewiß als Editor oder Korrektor mitgearbeitet. In Einzelfällen tritt B. auch als Kommentator der Werke in Erscheinung (Baptista Mantuanus, ‘Opus calamitatum’ und Ps.-Methodius). Das breite Spektrum dieser Drucke läßt sich nur grob zu Inhaltsgruppen sortieren. Sie werfen insofern ein bezeichnendes Licht auf B.s Rolle in der Geistesgeschichte der Epoche, als er die Verbreitung dieser Werke (ausweislich der meisten seiner Beigaben) gefördert sehen wollte. Um einen humanistisch-philologischen Ansatz im engeren Sinn war es ihm dabei nicht zu tun. Alle Arten von B.s Beigaben sind abgedruckt in WKT. Werke theologischen und philosophischen Inhalts: Augustinus, ‘De civitate Dei’ 1489 (WKT 62⫺64); Ambrosius, Opera 1492 (WKT 78); Augustinus, ‘Sermones’ 1494/95 (WKT 144); Johannes D Heynlin, Porphyriuskommentar 1495 (WKT 150); Petrarca, Opera 1496 (WKT 170); Boethius, ‘De consolatione philosophiae’ 1502 (WKT 376); Petrarca, ‘Glücksbuch’ 1532 (WKT 467). Werke antiker Literatur: D ‘Aesop’ 1501 (WKT 373⫺375); Vergil, Opera 1502 (WKT 387 f.; zu weiteren Stücken Knape/Wilhelmi, 2004); D Terenz 1503 (WKT 402). Werke juristischen Inhalts: ‘Decretum Gratiani’ 1493 (WKT 83⫺85) u. 1500 (WKT 369); Gregor IX., ‘Decretalen’ 1494 (WKT 129⫺131) u. 1500
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(WKT 366⫺368, 371); ‘Margarita decretalium’ 1496 (WKT 77); Bonifaz VIII., ‘Liber sextus’ u. ‘Arbor consanguinitatis’ 1494 (WKT 141⫺143) u. 1500 (WKT 372); ‘Constitutiones synodales Constantiensis’ 1497 (WKT 184); ‘Concilium Basiliense’ 1499 (WKT 258 u. 264); Ivo Carnotensis, ‘Panormia’ 1499 (WKT 259); Ulrich D Tenngler, ‘Layenspiegel’ 1509 (WKT 424⫺425); ‘Klagspiegel’ 1516 (WKT 445⫺447); Angelo Carletti, ‘Summa Angelica’ 1520 (WKT 465). Mal. und neuere Werke theologischen, religiösen und erbaulichen Inhalts: Wimpfeling, ‘De conceptu’ 1494 (WKT 126, 137⫺139); ‘Reformatorium vitae’ 1494 (WKT 133); Johannes D Meder, ‘Quadragesimale’ 1495 (WKT 149); Locher, ‘Theologica emphasis’ 1496 (WKT 164); ders., ‘De diva Catherina’ 1496 (WKT 165); Baptista Mantuanus, ‘De temporum calamitatibus’ ca. 1496 (WKT 166); D Konrad von Halberstadt, ‘Concordantiae’ 1496 (WKT 171 f., 174); ‘Passio Meinradi’ 1496 (WKT 173); Ps.-Methodius, ‘De revelatione’ 1498 (WKT 199; 232); Biblia 1498 (WKT 245⫺ 255) u. 1502 (WKT 378); Joh. Raulinus, ‘Collatio’ 1498 (WKT 242 f.); Johannes de Sancto Geminiano, ‘Summa de exemplis’ 1499 (WKT 257); D Thomas von Kempen, ‘Hortulus rosarum’ 1499 (WKT 261⫺263); Baptista Mantuanus, ‘De patientia’ 1499 (WKT 265); ders., ‘Duarum Parthenicum libri’ 1501 (WKT 377); D ‘Hortulus animae’ dt. 1501 (WKT 380) u. 1503 (WKT 406); ‘Hortulus animae’ lat. 1503 (WKT 406); ‘Rationarium evangelistarum’ 1502 (WKT 385; vgl. D Petrus von Rosenheim, II.1.); ‘Der D Heiligen Leben’ 1502 (WKT 399); D Hrabanus Maurus, ‘De laudibus s. crucis’ 1503 (WKT 269); D Bernhard von Clairvaux, ‘In symbolum apostolorum’ 1507 (WKT 414); D Heinrich von Langenstein, ‘Speculum anime’ 1507 (WKT 413, 416); Thomas J Wolf d. J., ‘In psalmum Domine quis habitabit’ 1508 (WKT 418); D Johannes von Hildesheim, ‘Historia trium regum’ 1514 (WKT 440); Joh. D Geiler von Kaysersberg, ‘Emeis’ 1516 (WKT 426); Heinrich von Langenstein, ‘Contra disceptationes’ 1516 (WKT 340, 450); Rodrigo Sanchez de Are´valo, ‘Speculum vite humane’ 1507 (WKT 415). Werke zur Erziehung, Historie, Literatur, Politik und zu bestimmten Gelegenheiten: Joh. J Trithemius, ‘De Scriptoribus ecclesiasticis’ 1494 (WKT 140); Jason de Maino, ‘Oratio’ 1494 (WKT 89, 90); Carolus Verardus, ‘In laudem Ferdinandi’ [mit Kolumbusbrief] 1494 (WKT 107); D Lupold von Bebenburg, ‘Germanorum veterum principum zelus’ 1497 (WKT 187⫺189); Felix D Hemmerli, ‘Opuscula’ 1497 (WKT 196 f.); Reuchlin, ‘Scenica progymnasmata’ 1498 (WKT 237); Johannes Baptista de Caccialupis, ‘De modo studendi’ 1500 (WKT 370); F. Beroaldo d. Ä., ‘Declamatio de tribus fratribus’ 1501 (WKT 379); D Albrecht von
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Eyb, ‘Margarita poetica’ 1503 (WKT 403⫺404); Wimpfeling, ‘Adolescentia’ 1505 (WKT 403⫺404; 409); Konrad J Peutinger, ‘Sermones convivales’ 1506 (WKT 412); D Lupold von Bebenburg, ‘De iuribus et translatione imperii’ 1508 (WKT 419); J Erasmus von Rotterdam, ‘Encomium morias’ 1511 (WKT 431); Joh. Motis, ‘Apologia mulierum’ 1511 (WKT 432); Stephan D Hoest, ‘Modus praedicandi’ 1513 (WKT 434); Wimpfeling, ‘In Iohannis Keiserspergii mortem’ 1510 (WKT 427). Ausgabe der Beigaben. WKT (s. o. diverse Nr.n).
H . G el eh rt es Sc hr if tt um . Von B. als Rechtsgelehrtem sind einige Fachschriften überliefert. 1. Rede zum Makulistenstreit. B. war in einen theologischen Streit zwischen Dominikanern und Franziskanern verwickelt, bei dem es um die von den Predigermönchen abgelehnte unbefleckte Empfängnis Mariä ging. 1498 bezog er mit seiner Invektive gegen die Makulisten (WKT 231) eine deutliche Position. 1501⫺ 1503 verteidigte er als kanonistischer Jurist den Frankfurter Stadtpfarrer Hensel gegen den militant-makulistischen Mönch Wigand Wirt erfolgreich und wurde daraufhin von diesem in einer Streitschrift angegriffen (Steck, S. XXXI). B. war schon 1489 in einer Leipziger Disputation zum Thema Immaculata conceptio mit einer lat. Rede hervorgetreten. Darin äußert er sich als Kirchenrechtler unter Heranziehung zahlreicher theologischer Autoritäten und tritt unter massivem Verweis auf Äußerungen des Kirchenrechts für die unbefleckte Empfängnis ein. Druck. ‘Disputatio brevissima De Immaculata Conceptione Virginis Gloriosae [...]’, in: Monumenta antiqua immaculatae conceptionis sacratissimae virginis Mariae; ex novem auctoribus antiquis Recollectis per R. A. P. F. Petrum de Alva et Astorga […], Löwen 1664, S. 439⫺478, hier S. 439⫺444.
2. ‘Expositiones’. B. wurde auch als Rechtsgelehrter eine Berühmtheit von europäischen Rang. Dieser Ruhm stützt sich auf seine Erklärungen der Hauptparagraphen (tituli) des kirchlichen und des römischen Rechts, die erstmals 1490 im Druck erschienen. Das
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Werk, das nur aus einem kommentierenden Durchgang durch die Rubriken besteht, wurde bis in die Barockzeit hinein ein europäischer Bestseller und diente als beliebtes Unterrichtswerk für die beiden Rechtscorpora. Drucke. 54 Drucke bis 1632 in Basel, Löwen, Lyon, Paris, Venedig, nachgewiesen bei Knape/ Wilhelmi, Bibliographie; 52 Drucke bei Wilhelmi, 1990, Nr. 97⫺148. Ausgabe der lat. Beigaben. WKT 67, 71.
J . B ri ef e. 1. Briefe von Brant. Die Briefe B.s (ausschließlich versifizierter Episteln) umfassen seine persönlichen Briefe, die semi-literarischen Widmungsbriefe und die amtlichen Schreiben. Als Briefe von B. gelten hier nur die persönlichen Briefe, 31 nach derzeitigem Kenntnisstand. Es handelt sich um WKT 12⫺18, 21, 25, 28, 29, 57, 155, 168, 360, 364, 382, 384, 400, 405, 408, 411, 417, 423, 430, 435, 438, 469 sowie Straßburg, Stadtarchiv, Se´rie III 24/30 (Nachfrage B.s anläßlich seiner Bewerbung an Stettmeister und Rat der Stadt Straßburg v. 10. Juli 1500), und ebd., Se´rie IV 48 (Bitte B.s an den Rat der Stadt um Aufbesserung seines Gehalts 1502). WKT 451 ist von anderer Hand und auszuscheiden. 2. Briefe an Brant. Als Briefe an B. gelten hier nur jene 128 selbständigen Briefe, die namentlich an B. adressiert wurden und nicht auch an den Rat der Stadt Straßburg. Allerdings ist bei diesen Briefen eine genaue Trennung in persönliche oder amtliche Adressierung oft schwierig. Die Briefe zeigen B. in Kontakt mit führenden Köpfen seiner Zeit, u. a. mit Peter J Schott, Johann Bergmann von Olpe, Maximilian I., Thomas J Murner, Peutinger, Willibald J Pirckheimer, Reuchlin, Beatus J Rhenanus, Wimpfeling oder Ulrich J Zasius, aber auch mit weniger namhaften Personen. Drei dieser Briefe sind anonym überliefert. Ausgaben. J. Wencker, Apparatus et Instructus Archivorum, Straßburg 1713; ders., Collecta Archivi et Cancellariae Jura, Straßburg 1715; Rhenanus-Br.; Peutinger-Br.; Amerbach-Korr.; Pirckheimer-Br.; Cowie, Peter Schott; Wimpfeling-Br.;
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Reuchlin-Br. (jeweils Reg.) Zu weiteren Drucken einzelner Briefe vgl. Knape/Wuttke, 1990, Kap. 5; Knape/Wilhelmi, Bibliographie.
K . Z eu gn is se de r A mt st ät ig ke it . Aus B.s amtlicher Tätigkeit haben sich in Form von Autographen sehr viele Zeugnisse im Straßburger Stadtarchiv erhalten. Sie vermitteln ein selten facettenreiches Bild der außerliterarischen Wirksamkeit eines humanistisch gebildeten Gelehrten und Schriftstellers aus der Zeit Ks. Maximilians I. Bestimmte Projekte B.s lassen sich heute allerdings nurmehr durch Sekundärzeugnisse belegen, so etwa das vom Kaiser in Auftrag gegebene ‘Romzugbuch’ (Knape, 1992, S. 186 f.). Die Erschließung dieser Quellen ist noch nicht abgeschlossen (Dokumentation: Knape/Wilhelmi, Bibliographie). 1. ‘Annalen’. Unter B.s ‘Annalen’ wurden im 19. Jh. Auszüge aus Straßburger Ratsprotokollen und anderen Dokumenten verstanden, an deren Abfassung oder Archivierung B. nach 1502 als Straßburger Kanzler und Stadtarchivar beteiligt war (Knape, 1992, S. 199⫺202). Es sind nur Abschriften erhalten. Überlieferung. Straßburg, StB, Ms. 72 u. Ms. 557 (Abschriften F. W. Roehrich); Ms. 745 (Abschrift A. Jung); Ms. 1022 (Abschrift L. Dacheux). Ausgabe. L. Dacheux, Les Annales de Se´bastien B. Fragments recueillis (Fragments des anciennes croniques d’Alsace 3 u. 10), Strasbourg 1892 u. 1899; auch in: Mitt. d. Ges. f. Erhaltung d. geschichtl. Denkmäler im Elsass 2. F. 15 (1892) 209⫺279 u. 19 (1899 [1901]) 33⫺260.
2. Straßburger Freiheiten. Von B. um 1520 sorgfältig als Autograph ausgefertigter Überblick über die Privilegien, Rechte und Freiheiten der Freien Reichsstadt Straßburg (Knape, 1992, S. 214⫺220). Überlieferung. Straßburg, Stadtarchiv, AA 16. Ausgabe. Faksimile u. Abdruck d. Rubriken bei Knape, 1992, S. 216⫺220.
3. Sonstige Akten-Autographe (1501⫺ 1521). Im Straßburger Stadtarchiv sind zahlreiche Autographe B.s als Archivalien erhal-
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ten. Sie betreffen alle Arten amtlicher Schriftzeugnisse: amtliche Entwürfe von Schreiben der Stadt, aber auch Stellungnahmen, die B. als Jurist im Auftrag auswärtiger Auftraggeber abgab. Die amtlichen B.-Autographe der Straßburger Zeit, mindestens 150 Stücke, bieten einen einzigartigen und faszinierenden Einblick in die vielseitige amtliche Tätigkeit des Stadtschreibers einer bedeutenden Freien Reichsstadt im frühen 16. Jh. Man findet u. a. ein Konzept für einen Reichstagsbericht 1512, Aufzeichnungen zum Kölner Reichstag 1512, ein Konzept einer Bestätigung der Straßburger Freiheiten 1512, eine Aktennotiz zum Reichsabschied 1512, eine historische Abhandlung zum Straßburger Bürgerrecht, ein Redemanuskript für eine Erklärung des Ammeisters, ein Konzept des Antwortschreibens der Stadt an einen Fürsten 1519. Als Zensor mußte B. alle Straßburger Drucke genehmigen. Die städtischen Drucke hatte er zu verantworten, wie etwa ‘Gesatz und Ordenunge’ von 1501, das einen Katalog von Sittlichkeitsdelikten aufstellt. Die Erschließung der gesamten Straßburger Archivbestände ist noch nicht abgeschlossen (Knape/Wilhelmi, 2004). Einzelne Stücke sind bereits in WKT ediert. Ausgaben. Zwei Briefkonzepte von B., in: H. Virck, Polit. Correspondenz d. Stadt Strassburg im Zeitalter d. Reformation, 1. Bd., 1882, S. 27; Gesatz u. Ordenunge d. loblichen u. hochberümpten Freyen statt Straßburg. Nach d. Unicum in d. Stiftsbibl. zu Einsiedeln (Elsäss. Frühdrucke 1), 1928; WKT 428; 435; 436, 448; 449; 457; 458; 459. Literatur. Bibliographien: J. Knape / D. Wuttke, S.-B.Bibliographie. Forschungslit. v. 1800 bis 1985, 1990; Th. Wilhelmi, S. B. Bibliographie (Arbeiten z. Mittl. Dt. Lit. u. Sprache 18/3), 1990; J. Knape / Th. Wilhelmi, S. B.-Bibliographie (in Vorbereitung). ‘Nsch.’ ⫽ ‘Narrenschiff’. Zu I. und allgemein zu Leben und Werk: A. W. Strobel, Beitr. z. dt. Lit. u. Literärgesch., Paris/ Straßburg 1827, S. 1⫺64; F. Zarncke, S. B.s Nsch., 1854 (ND 1973), S. IX⫺XXXV; Schmidt, Hist. litt., Bd. 1, S. 340⫺373; P. Heitz, Flugbll. d. S. B., 1915; E. H. Zeydel, S. B., New York 1967; P. Adam, L’Humanisme a` Se´lestat, Se´lestat 31973, S. 16 f., 39 f., 48, 54 (dt. Obernai 1980); J.-D. M¸ller, Poet, Prophet, Politiker: S. B. als Publizist u.
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gramm-Slg., in: Fink (wie zu II.A.1.), 1995, S. 149⫺169. Zu II.B.: B. Neuwerk, Die dt.sprachigen Einblattdrucke d. S. B., Mag.-Arbeit Kiel 1990; D. Wuttke, Renaissance-Humanismus u. Naturwiss. in Dtld., Gymnasium 97 (1990) 232⫺254; P. Reimen, ‘Der Donnerstein zu Ensisheim’. Zu einem Flugblatt S. B.s, Germanistik Luxembourg 5 (1993) 1⫺13; D. Wuttke, S. B.s Syphilis-Flugbl. d. J. 1496, in: G. Wˆhrle (Hg.), Girolamo Fracastoro, ‘Lehrgedicht über d. Syphilis’ (Gratia 18), 21993, S. 127⫺142; ders., Erzaugur d. hl. röm. Reiches dt. Nation: S. B. deutet siamesische Tiergeburten, Hum. Lov. 43 (1994) 106⫺131; I. Ewinkel, De monstris (Frühe Neuzeit 23), 1995; Landser: 750e`me anniversaire de Landser. 500e`me anniversaire de la naissance du pourceau monstrueux, Landser 1996; D. Wuttke, S. B.s Verhältnis zu Wunderdeutungen u. Astrologie, in: ders., Dazwischen, Bd. 1, 1996, S. 195⫺212 [mit Ergänzungen]; ders., S. B. u. Maximilian I. Eine Studie zu B.s Donnerstein-Flugbl. d. J. 1492, ebd., S. 213⫺247 [mit Ergänzungen]; V. Sack, S. B. als polit. Publizist: Zwei Flugbl.-Satiren auf d. sog. Reformreichstag v. 1495, 1997; D. Wuttke, Ex ungula cervam. S. B. u. d. Nördlinger Hirschkuh, in: G. Tournoy / D. Sacre´ (Hgg.), Ut granum sinapis. Fs. J. IJsewijn, Löwen 1997, S. 131⫺137; Knape (wie zu I.), 2003. Zu II.C.: V. Schupp (Hg.), Dt. Rätselbuch, 1972; J. Knape, S. B. als Lieddichter, in: C. Edwards / E. Hellgardt / N. H. Ott (Hgg.), Lied im dt. MA. Überlieferung, Typen, Gebrauch, 1996, S. 309⫺333; N. Henkel, Zu Text u. Melodie v. B.s ‘Rosarium’. Überlieferungsform u. Textgebrauch, in: Fink (wie zu II.A.1.), 1995, S. 173⫺187. Zu II.D.: Adam (wie zu I.), 31973; Knape (wie zu I.), 1992, S. 48⫺55; ders. (wie zu I.), 1993; G. Dicke, H. Steinhöwels ‘Esopus’ u. seine Fortsetzer (MTU 103), 1994, S. 126⫺192, 417⫺432 u. ö. (Reg.); L. Lieb, Wahrnehmung als Organisationsprinzip. Überlegungen z. Funktion d. Fabel in S. B.s ‘Esopus-Additiones’, in: W. Harms / C. St. Jaeger / A. Stein (Hgg.), Fremdes wahrnehmen ⫺ fremdes Wahrnehmen, 1997, S. 239⫺253; W. Ludwig, Eine unbekannte Variante d. Varia Carmina S. B.s u. d. Prophezeiungen d. Ps.-Methodius. Ein Beitr. z. Türkenkriegspropaganda um 1500, Daphnis 26 (1997) 263⫺299; A. Rieck, Der Hl. Ivo v. He´lory (1247⫺1303): Advocatus pauperum u. Patron d. Juristen, 1998; R. Stieglecker, Die Renaissance eines Heiligen. S. B. u. Onophrius eremita, 2001; F. K¸enzlen, Cento u. Kontrafaktur ⫺ Das Mariengebet S. B.s nach d. Worten d. Apuleius. in: Lit. ⫺ Gesch. ⫺ Lit.gesch. Fs. V. Honemann, 2003, S. 825⫺840. Zu II.E.: Joachimsen, Gesch.auffassung, S. 61⫺ 63; D.-R. Moser, S. B. u. Augustinus v. Hippo, Lit. in Bayern 50 (1997) 1⫺8.
283
Brassicanus, Johannes
Zu II.F.: A. Tiedge, S. B.s Freidank-Bearb. in ihrem Verhältnis z. Original, Diss. Halle 1903; N. Henkel, Dt. Übers. lat. Schultexte (MTU 90), 1988, S. 203⫺206 u. ö. (Reg.); J. Knape, S. B. als Lieddichter, in: C. Edwards u. a. (Hgg.), Lied im dt. MA, 1996, S. 309⫺333; A. Krass, Stabat mater dolorosa. Lat. Überlieferung u. volkssprachliche Übertragungen im dt. MA, 1998, S. 195⫺197 u. 201; M. Baldzuhn, ‘Disticha Catonis’ dt. Verz. d. Übers.en u. ihrer Überlieferungen bis zu M. Opitz (1629), in: ders./G. Haag/N. Henkel (Hgg.), Stud. z. hist. Mehrsprachigkeit (im Druck); C. Redzich, S. B.s Ausg. d. ‘Disticha Catonis’ v. 1498 u. d. gedruckte obd. Gesamtübers. [...], ebd. (im Druck). Zu II.G.1.: W. Fr‰nger, Zur Deutung dreier Illustrationen d. Petrarca-Meisters, Mitt. d. Ges. f. vervielfältigende Kunst. Beilage d. Graph. Künste 2/3 (1926) 25⫺35; E. M. Marxer, Text u. Illustration bei S. B. u. K. Celtis, Diss. (masch.) Wien 1960; H. J. Raupp, Die Illustrationen zu F. Petrarca, ‘Von der Artzney bayder Glueck [...], Wallraff-Richartz-Jb. 45 (1984) 59⫺112; B. Schneider, ‘Vergilius pictus’. S. B.s illustrierte Vergilausg. von 1502 u. ihre Nachwirkung, Wolfenbütteler Beitr. 6 (1983) 202⫺262; J. Knape, Die ältesten dt. Übersetzungen v. Petrarcas ‘Glückbuch’, 1986; Th. Wilhelmi, Zur Entstehung d. ‘Nsch.s’ u. d. illustrierten Terenz-Ausg.n, in: Wilhelmi (Hg.), (wie zu I.), 2002, S. 103⫺124; Geiss, Petrarca-Rezeption, S. 109⫺111, 143⫺175. Zu II.G.2.: P. Landau, Die Rubriken u. Inskriptionen v. Ivos Panormia, Bulletin of Medieval Canon Law N. S. 12 (1982) 31⫺49; W. WilliamsKrapp, Die dt. u. ndl. Legendare d. MAs, 1986, S. 312 f. (‘Der D Heiligen Leben’); D. Wuttke, Humanismus in d. dt.sprachigen Ländern u. Entdekkungsgesch. 1493⫺1534, Pirckheimer-Jb. 7 (1992) 9⫺52 (Verardus/Kolumbusbrief); P. Jentzmik (Hg.), S. B., Der Richterliche Clagspiegel. Eine Unters., 21993; Ludwig, (wie zu II.D.), 1997 (Methodius); Rieck (wie zu II.D.), 1998. K¸enzlein (wie zu II.D.), 2003. Zu II.H. und K.: R. Steck (Hg.), Die Akten d. Jetzerprozesses nebst d. Defensorium (Quellen z. Schweizer Gesch. 22), 1904; Knape (wie zu I.), 1992, S. 93⫺97, 137⫺159 u. 181⫺220; Knape/ Wilhelmi (wie zu I.), 2004.
Joachim Knape
Brassicanus (Köl, Kell), Johannes I . L eb en . B. aus Konstanz besuchte die dortige Stadtschule, als Wenzeslaus D Brack ihr Rektor war. Am 8. Okt. 1489 immatriku-
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lierte er sich in Tübingen für das Studium der Artes (Johannes Köl de Constantia); am 3. März 1491 war er Baccalaureus, am 13. Aug. 1493 Magister. Er ergriff den Beruf des Lehrers, war vielleicht zuerst in Cannstatt tätig, wo er die Tochter Dorothea des Cannstätter Vogts Jos Vogler heiratete und i. J. 1500 sein ältester Sohn Johannes Alexander geboren wurde. 1504 schlug ihn das Konstanzer Domkapitel dem Bischof als Domschulmeister vor, doch kam es nicht zu einer Berufung. Seit 1506 leitete er die Lateinschule in Urach. Dort verfaßte er seine zuerst 1508 erschienenen ‘Institutiones grammaticae’, angeblich als Reaktion auf eine 1505 erlassene Verfügung der Univ. Tübingen, dem Lateinunterricht in den Bursen ausschließlich das ‘Doctrinale’ des D Alexander de Villa Dei [NB] zugrundezulegen (Horawitz, S. 253 f.; Stahlecker, S. 5). 1509 wechselte er, unterstützt vom hzgl. Hof, zur Lateinschule auf dem Österberg in Tübingen; unter seinen Schülern war Melanchthon. B. versah das Tübinger Amt bis zu seinem frühen Tod 1514 in Wildbad. Heinrich J Bebel meldete Michael J Hummelberg den Tod des Freundes brieflich am 19. April 1514 und fügte sein Grabepigramm bei (Horawitz, S. 260; Clm 4007, 58v⫺ 59r). B. stand schon vor 1502 in freundschaftlichem Verkehr mit Bebel; vgl. dessen an B. gerichtete ‘Elegia hecatosticha pro vitae suae institutione peste grassante Tubingae’ (H. Bebel, Opuscula nova, 1509, Bl. [M6]r⫺ [M7]v). Es verband sie der Einsatz für die humanistische Reform der Bildung. Die Widersacher Bebels an der Tübinger Universität betrachtete B. auch als die seinen; er griff sie in den ‘Inst. gramm.’ mittels allerlei polemisch präparierter Beispielsätze wie auch in der Widmungsvorrede an. Erheblichen Ärger zog er sich mit den Bosheiten gegen den angesehenen Theologen Jakob Lemp zu; ihn, den er hämisch als Pannutius (‘Lump’) apostrophierte, glaubte er als einen besonderen Feind der Dichter und unverbesserlichen Anhänger des ‘barbarischen’ Alexander ausgemacht zu haben. Die unfeinen Attacken lösten, nachdem B. 1509 Tübinger geworden war, Empörung an der Univer-
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Brassicanus, Johannes
sität aus; sie klagte 1512 bei der hzgl. Regierung wegen Beleidigung; gleichzeitig kamen unliebsame Beispielsätze über Basel wegen dessen Loslösung vom Reich zur Sprache. B. hatte eine Ehrenerklärung zu beschwören, eine Epistel zum Lob der Tübinger Hochschule zu verfassen und die anstößigen Stellen in seiner Grammatik zu tilgen; vgl. Steiff, S. 361−363, u. Haller, S. 287 f. u. 111*. Über die Vorgänge und das Verfahren gab B., sehr aus seiner Perspektive, im Sept. 1513 Hummelberg kurzen Bericht (Horawitz, S. 253⫺255).
I I. ‘I ns ti tu ti on es gr am ma ti ca e’ . 1. B.’ im Febr. 1508 abgeschlossene Grammatik und die des Bebelschülers Jakob J Heinrichmann von 1506 sind namhaft als die ersten selbständigen lat. Grammatiken humanistischer Provenienz in Deutschland (und als selbständige unterschieden von D Pergers Perotti-Adaptation); sie hatten diese Geltung und entsprechend unverzüglichen Erfolg auch zu ihrer Zeit. B. verzichtete freilich auf jeden Zug grammatiktheoretischer Modernität; Grundriß und Kategorien der ‘Institutiones’ blieben traditionell, die Rezeption der Italiener partikulär. Er vertrat auch den engen herkömmlichen Grammatikbegriff, der Fragen der Lexik, Textbildung, Elegantia grundsätzlich ausschloß. Im übrigen verkannte er nicht den begrenzten Anspruch, den eine Grammatik auf dem Wege zum vollen Erwerb von eloquentia zu erfüllen vermag: Die bloßen praecepta führten nicht schon zum Ziel der Sprachbeherrschung; es komme alles auf die Lektüre der auctores an, und deren erkannter usus habe schließlich an die Stelle der Regeln zu treten (Bl. CIv). Nach den Eingangskapiteln über littera und syllaba, bei denen B. offenbar Perottis ‘Rudimenta grammatices’ zur Hand hatte, gilt der erste Teil der Grammatik den acht Wortarten (partes orationis) Donats nach ihren jeweiligen Akzidentien (Bl. Vv⫺CIr), der zweite einer vergleichsweise kurzen Syntax, die über die herkömmlichen Kapitel concordantia (Kongruenz) und regimen (Rektion) nicht hinausführt (Bl. CIv⫺ CXXXIIIr), Satz, Satzgefüge, Modus- und Tempusregeln also nicht behandelt. 2. Humanistisch sind B.’ ‘Institutiones’ wegen ihrer doktrinalen Orientierung an
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den antiken Grammatikern ⫺ systematisch an Donat und Priscian, in Einzelheiten auffällig an Diomedes und Phocas ⫺ sowie an einigen humanistischen Autoritäten und ebenso wegen ihres Belegmaterials, das nahezu ganz aus antiken Autoren gezogen ist. Diesen Grundsatz und die korrekten eigenen Beispiele des Verfassers wußte Nik. J Gerbel zu loben (J. Wimpfeling, ‘Diatriba’, Hagenau 1514, Bl. IIIv). Der Orientierung an den Antiken korrespondiert B.’ vehemente Verwerfung von Alexanders ‘Doctrinale’, das er immer wieder mit Entsetzen oder Spott aufruft. Unter den zeitgenössischen Grammatikern konsultierte B. mit Namen am häufigsten Curius Pasius Lancilottus, nicht selten mit dessen Kritiken an Lorenzo Valla. Im Feld der zitierten antiken Autoren stehen die Dichter ⫺ von Lukrez und Catull bis zu Prudentius und Sedulius ⫺ den Prosaikern um das Doppelte voran, was sich aus der antiken Grammatikertradition erklären mag. Cicero hat unter den Prosaikern neben Plinius d. J., Livius und Tacitus keine entschiedene Präferenz. Zeitgenössische Dichter werden nur spärlich angeführt, unter ihnen einmal J Celtis (Bl. XVIIIr). Wieviel an Belegmaterial B. nicht eigener Lektüre, sondern den antiken Grammatikern ⫺ gewiß nicht nur die Belege aus Naevius und Ennius ⫺ oder auch Vallas ‘Elegantiae’ oder Perottis ‘Cornucopia’ verdankt, ist nicht abzuschätzen. Man wird sogar mit Anleihen bei Kommentaren des ‘Doctrinale’ rechnen müssen.
3. Die Widmungsvorrede an Graf Johann von Salm (14. Febr. [1508]) plädiert zunächst für das Ideal des gebildeten Fürsten, holt in einem zweiten Teil aber zum Schlag gegen jene falschen philosophi und artium professores aus, die, am überholten ‘Doctrinale’ Alexanders haftend, nur Feinde der wahren Latinität und der alten Dichter und Redner seien. B. läßt gelten, daß es durchaus auch unverdorbene philosophi und theologi gebe, welche die humanistische Kultur in sich aufgenommen hätten. Drucke. 1. Institutiones gram⫽|matice Joannis Bras|sicani: vracensis | pedotribe. Straßburg: Joh. Prüß, 23. Juni 1508 (zit.). ⫺ 2. Institutiones grammatice | Ioannis Brassicani Tubingen|sis pedotribe/ studiosius | denuo exaratae. Straßburg: Joh. Prüß, 1509. Im Text der Grammatik sind nun
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Breitkopf, Georg
durch Zeigehände solche Wörter markiert, für deren Erläuterung lt. Vermerk auf der Titelseite J Altenstaigs ‘Vocabularius vocum’ zu konsultieren ist. ⫺ 3. Grammaticae institutiones | Ioannis Brassicani Tubingensis cum | quantitatibus Bebelianis exa|mussim absolutissimis. Pforzheim: Th. Anshelm, 1510. Um einen Brief an Bebel ⫺ gegen die These der ‘Philosophen’, daß ohne Kenntnis der Modi significandi und der Metaphysik niemand ein Grammatiker heißen könne ⫺ und zwei von Bebel sowie eine Invektive adversus calumniatores erweiterte Ausgabe (Bl. iiijv⫺[vi]r); sie wurde bis 1513 in Straßburg und Leipzig nachgedruckt. ⫺ 4. Erst in Anshelms Tübinger Druck von 1515 ist die B. auferlegte Epistel zum Lobe der Univ. Tübingen enthalten, sind auch die inkriminierten Ausfälle gegen die Tübinger Gegner und die Bemerkungen über Basel sowie das polemische Beiwerk der Drucke seit 1510 getilgt. ⫺ Verzeichnis der insgesamt 18 Drucke: VD 16, B 7116⫺7135. Obwohl die Druckgeschichte der ‘Institutiones’ 1519 abbricht, waren sie noch 1531 in der Tübinger Bursa modernorum die Standardgrammatik (Haller, S. 181*). Literatur. A. Horawitz, Analecten z. Gesch. d. Humanismus in Schwaben (1512⫺1516), WSB 85, 1877, S. 217⫺278, hier S. 253⫺255, 257, 260, 272 f., 275 f.; K. Steiff, Eine Episode aus d. Tübinger Humanistenzeit, Correspondenz-Bl. f. d. Gelehrten- u. Realschulen Württembergs 29 (1882) 351⫺366; O. Clemen, Die Luterisch Strebkatz, ARG 2 (1905) 78⫺93, hier S. 90⫺93, wieder in: ders., Kl. Schr., Bd. 2, 1983, S. 202⫺217; R. Stahlecker, Beitr. z. Gesch. d. höheren Schulwesens in Tübingen, Württ. Vjh. NF 15 (1906) 1⫺ 102, hier S. 4⫺8, 10; J. Haller, Die Anfänge d. Univ. Tübingen, Bd. 1, 1927, S. 286⫺288, Bd. 2, 1929, S. 111* f. u. 138*; G. A. Padley, Grammatical Theory in Western Europe 1500⫺1700. The Latin Tradition, Cambridge 1976, S. 27 f. u. 31; P. J. Schuler, Notare Südwestdtld.s, 1987, S. 241 f.; K. Jensen, Die lat. Grammatik Melanchthons: Hintergrund u. Nachleben, in: J. Leonhardt (Hg.), Melanchthon u. d. Lehrbuch d. 16. Jh.s, 1997, S. 59⫺102, hier S. 79 u. 84 f.; Reuchlin-Br., Bd. 2, S. 297.
F. J. Worstbrock
Breitkopf (Brede-, Predi-, -kop, -koph, Laticephalus, Konitz), Georg (Gregorius) I . L eb en . B. aus dem ehem. westpreuß. Konitz (Chojnice) immatrikulierte sich im WS 1490/91 an der Univ. Leipzig, erwarb 1494
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als pauper das Bakkalaureat und wurde am 28. Dez. 1497 Magister artium. Er lehrte seither an der Artistenfakultät, wurde 1503 Mitglied des Fakultätsrates, strebte zugleich aber ⫺ 1502 Subdiakon und Diakon, 1503 Priester ⫺, die theologische Laufbahn an; er vollendete sie, zwar 1505 bereits Biblicus, 1506 Sententiarius und 1508 Baccalaureus formatus, erst spät; erst 1523 wurde er Lizentiat und Doctor der Theologie. So lag der Schwerpunkt seiner Lehre bis in die 20er Jahre im Artesstudium. Über zwei Jahrzehnte hin zählte B. zu den prägenden Vertretern seiner Universität; es fehlte ihm nicht an Gönnern, Freunden, Schülern. Im Leipziger Streit um Theologie und Dichtung stand er sicherlich auf J Polichs Seite, äußerte sich aber offenbar nicht. Zwischen 1503 und 1523 versah er sechsmal das Amt des Vizekanzlers, im WS 1505 und WS 1519 das des artistischen Dekans. Im WS 1508/09 war er Rektor. Er zeichnete damals zugleich als vicarius perpetuus am Merseburger Dom. Seit 1514 gehörte er dem Kleinen Fürstenkolleg der Universität an. 1516 erhielt er in Virgil J Wellendorfers ‘Annotatio peregrina’ eine hochgreifende Würdigung (Abdruck: Freytag, S. 75). In den Jahren der frühen Reformation stand er fest bei der alten Kirche. B. starb am 20. Jan. 1529. Er bedachte seinen Kollegen J Dottanius testamentarisch mit einem Vermächtnis. I I. Sc hr if te n. B. begleitete seinen Unterricht im Leipziger Artesstudium mit elementaren Einführungsschriften, Ausgaben, Bearbeitungen und Kommentaren. Sein bevorzugtes Gebiet war die Logik; er betrieb sie gänzlich in den Bahnen spätscholastischer Schultradition als Lehre spezieller Urteilsund Schlußregeln, war dabei aber weder der Via antiqua noch der Via nova fest verschrieben. Auf die sich seit langem meldende humanistische Kritik am spätmal. Wissenschaftsbetrieb ging er nirgends ein, stützte jedoch mit zwei Aristoteles-Ausgaben die Leipziger Bestrebungen, die Lehre wieder auf die aristotelischen Schriften sel-
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Breitkopf, Georg
ber statt auf ihre Derivate zu gründen. Dem humanistischen Interesse für die alten Auctores und überhaupt für die Poesie stimmte er indes mit Eifer zu und förderte es durch Anleitung, Beispiel und mancherlei Ausgaben. Neben den Ausgaben antiker Dichtung ließ er als neuere allerdings allein christliche sprechen. A . L eh rs ch ri ft en fü r d as Cu rr ic ul um de r A rt es . 1. Logik. a) In dem kurzen Traktat ‘De inventione medii’ erläutert B. anhand von Memorialwörtern (Fecana, Cageti usf.) die Regeln für die Auffindung des Mittelbegriffs (Terminus medius), der in den beiden Prämissen eines Syllogismus vorkommt. In einem weiteren kleinen Traktat behandelt er die modalen Urteile, von denen er nur vier (possibile, impossibile, necessarium, contingens) gelten läßt, unter dem Gesichtspunkt der Quantität, Qualität, Entgegensetzung und Umkehrung. Drucke. Tractatulus de inuentio⫽|ne medij. | Tractatulus proposicionum | modalium respluens[!] difficultates | Hexastichon magistri Gregorii konitz ad lectorem. Leipzig: Jak. Thanner, 15. Jan. 1500. GW 5096. ND: Tractatulus de inuentio|ne medij | Tractatulus propositio⫽|num modalium respiciens[!] difficultates [...]. [Leipzig]: Martin Landsberg, [um 1509]. VD 16, B 7408.
b) Die ‘Parva logicalia’ fassen die Lehrstücke der ‘Logica moderna’ (terministische Logik) zusammen. Drucke. Paruorum logicali⫽|um opusculum de Suppositione scilicet | Ampliatione Restrictione/ et Appellatione/ Jnsuper de Expositione/ | et Consequentijs [...]. Leipzig: Jak. Thanner, 1504. VD 16, J 653. Weitere Drucke Leipzig 1507 u. 1509. VD 16, J 658 f.
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d) Über Begriff und Aufgabe der realistischen Logik und Kommentar des gekürzten Textes der ‘Summulae’ des Petrus Hispanus. Drucke. Compendium siue Par|uulus antiquorum totam pene complectens | logicen: cum breui facilimaque con|mentatione [...] Per Magistrum | Gregorium Breytkoph | de Konitz recollata [...]. Leipzig: Jak. Thanner, 13. Aug. 1509. VD 16, P 797. Mit Vorwort B.s an die Studenten, das ihnen seinen kürzlich verstorbenen Lehrer Fuhrmann als Vorbild der scientia und virtus empfiehlt. Dass., aber per additiones emendata und mit Widmung an den Freund und Schüler Christoph Weißenfels (7. März 1513) sowie einem Carmen Iuuentuti (12 Dist.): Leipzig 1513; VD 16, P 800. Weitere Drucke Leipzig 1514 u. 1516; VD 16, P 801 u. 803.
2. Philosophia moralis. a) Kommentar zum ‘Parvulus philosophiae moralis’, einem seit den 1490er Jahren in Leipzig eingeführen Schultext (Abriß der aristotelischen ethischen und dianoetischen Tugenden). In B.s Kommentar ist Thomas von Aquin die führende Autorität. Mit einer Ode an seinen Lehrer Fuhrmann (Titelbl.v) und einer Widmung an die preußischen Studenten in Leipzig sowie einem Elegidion an diese (Bl. [D7]v). Drucke. Breviuscula facilimaque commenta| tio in Paruulum philosophie mora|lis [...] per Magistrum Gregorium Brede|koph de Konitz congesta. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1502. VD 16, P 805. Weitere Drucke (mit veränderten Widmungen und neuen poetischen Beigaben) 1504 u. 1505 (VD 16, P 806 f.). B. besorgte auch den bloßen Text des ‘Parvulus’: Textus Paruuli philoso⫽|phie Moralis Summa diligentia | emendatus [...]. Leipzig: Jak. Thanner, 1510. VD 16, P 808.
b) Ein kurzes Kompendium der ‘Nikomachischen Ethik’ in der Folge ihrer zehn Bücher. Tit.bl.v: Adhortatio ad virtutes (13 Dist.).
c) B. kommentierte zur Einführung in die strenge Syllogistik Extrakte der aristotelischen ‘Analytica posteriora’. Gewidmet den adligen Studenten Johannes und Leupold de Sala (Leipzig, 1506).
Druck. Summa Philosophie | moralis quam aethicen dicunt Aristotelis peri⫽|pateticorum principis ad Nicomachum. Leipzig: Jak. Thanner, 1504. VD 16, A 3437. Zweite, von Arnold Wöstefelder korr. Ausg. 1509; VD 16, A 3438.
Druck. Excerpta Libr. Posteriorum | Aris.*totelis+ cum commentariolo per Ma⫽|gistrum Gregorium Bredekoph | de konitz congesto. Leipzig: Jak. Thanner, 1506. VD 16, A 3319.
3. Philosophia naturalis. B. kommentierte den ‘Parvulus philosophiae naturalis’ des Petrus Gerticz, einen Abriß der Grundbegriffe der aristoteli-
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Breitkopf, Georg
schen Naturphilosophie (einschl. ‘De anima’), der zuvor, seit den 1490er Jahren, nur in Erfurt eingeführt und dort bereits von Barth. J Arnoldi kommentiert worden war (s. GW 3463 ff.). B.s Kommentar folgt nach Methode und Inhalt ganz der scholastischen Kommentartradition; die nächst Aristoteles meistzitierten Autoritäten sind Thomas von Aquin, Albertus Magnus und Avicenna. Die Zuschrift an den Leser ist das vielleicht deutlichste Zeugnis für B.s Wissenschafts- und Lebensverständnis. Bl. [E6]r: Widmung an Wilh. Eylenberger, den Provisor des Leipziger St. Bernhard-Kollegs, und die übrigen Patres des Hauses (18. Jan. 1512). Druck. Paruulus Philosophie | naturalis cum vtilissimo commentario ad | studiosorum profectum per magistrum | Gregorium Breytkoph de Ko|nitz recollecto. Leipzig: Jak. Thanner, 1512. VD 16, P 814.
4. Poetik und Rhetorik. B.s kleine Instruktion über Dichtung und Rhetorik und ihren Bildungswert fußt im Kern auf drei Kapiteln von Aeneas Silvius D Piccolominis ‘De institutione liberorum’, aus denen er auch mehrfach zitiert. Entsprechend beschreibt er das Feld der Dichtung nach ihren römischen Gattungen, fügt aber die poete fabulosi, morales und theologi (D Sedulius [NB] u. a.) hinzu. Das Kapitel über die Fabel wählt er zur zentralen Verteidigung der Dichtung, auf deren vielfachen Nutzen und deren fiktionale Wahrheit ⫺ der Begriff wird schon eingangs (Bl. [a]v) gefaßt ⫺ er pocht. Zur Rhetorik liefert er nur einen schwachen Anhang mit der immerhin aktuellen Bemerkung, daß eigentliche Rhetorik (ars tractandi causas) als principalis und Brieflehre sowie Stilistik als minus principales zu unterscheiden seien. Druck. Tractatulus succinctus ar⫽|tis poetice quedam genera⫽|lia depromens [...] Tum quid orator quod eius instrumentum vel officium etc. Leipzig: Jak. Thanner, 1500. GW 5095.
B . C ar mi na . 1. B. hat mehr als 60 kleine Carmina hinterlassen, sämtlich in Distichen oder sapph. Strophen. Er sind fast stets Beiga-
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ben zu eigenen Schriften und zu Ausgaben, die er oder andere besorgten (s. u. II.D.), gut zur Hälfte ‘Carmina ad lectorem’ auf den Titelseiten oder am Ende der Drucke, doch auch Widmungsverse, Gedichte an die Schüler (s. A.1.d, 2.a und b), ‘Epigramma de honorandis parentibus’ (D.2.e), eine Ode an den Theologen Martin Fuhrmann (A.2.a), Epitaphien (B.2.; D.2.a), Gebete (A.3.a; B.2.), einige religiöse Oden (A.3.b und c). Selbständig erschien nur: 2. ‘De stricta Hieronymi vita Carmen’. Eine in 22 sapph. Strophen gefaßte, stark legendarisch intonierte Schilderung der Vita des durch Askese, Frömmigkeit und theologische Größe ausgezeichneten Heiligen, dem der höchste Vollkommenheitsgrad zugesprochen wird. B. wählte als literarische Form der Vita die Sermocinatio, Rede des Hieronymus selbst. Das offenbar auch als Gesang (s. u.) vorgetragene Carmen ist ein achtbares Zeugnis des zeitgenössischen Hieronymus-Kults. Druck. De stricta diui Hieroni⫽|mi vita Carmen | Sapphicum. Leipzig: Jak. Thanner, 1504. VD 16, B 7407. B. hat das Gedicht im Druck mit eigenen Beigaben in Vers und Prosa ausgestattet: Epitaphium Beati Hieronimi (6 Hex.); Lob des Hieronymus als des ⫺ im Vergleich zu Augustin ⫺ herausragenden Vertreters der drei hl. Sprachen; Epigramma et oratio ad diuum Hieronymum (13 Dist.); Commendatio, inhaltlich dem Carmen Sapphicum entsprechend. Im glossierten Exemplar der SB München (Res. 4° P.o.lat. 742,28) ist auf dem Titelbl.v hsl. eine Melodia Carminum super quodlibet Saphicon eingetragen, auf Bl. [A4]v eine andere, dreistimmige (Discantus, Tenor, Bassus) Melodia super Quodlibet Saphicum carmen; vgl. 1MGG, Art. ‘Ode’, Bd. 9, 1961, Sp. 1842 (mit Abb.).
C . The ol og ie . Als Theologe hat sich B. schriftlich nur in zwei späten kleinen Schriften geäußert, zu Themen, die zu ihrem Zeitpunkt, 1528, wie wenige andere die Gemüter erregten, Täufertum und Eucharistieverständnis, und daher in dt. Sprache. Er verwirft gemäß der katholischen Sakramentenlehre die Wiedertaufe als irrige und sündige Eingebung des bösen geistes und beschwört
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Breitkopf, Georg
zugleich, gestützt auf Worte des NT und der heyligen lerer der Christenheit, die Bewahrung der Einheit und Allgemeinheit der Kirche. In einer Predigt zu Gründonnerstag verteidigt er die katholische Lehre der Realpräsenz Christi in der Eucharistie und deren Empfang einzig in der Gestalt des Brotes. Druck. Das die wi|dertauff yrrig sey/ vnd | keyne krafft habe [...]. Leipzig: Val. Schumann, 1528. VD 16, B 7406. Bl. C ijv⫺[C4]v: Ein Sermo durch yhm[!] in cena Do|mini gehabt [...]. D. Ausgaben. Als Ausgaben B.s sind im folgenden nur solche Drucke angeführt, die besondere editorische Indizien wie die ausdrückliche Angabe einer Textrevision oder einen Widmungsbrief oder mehrere Beigaben B.s enthalten. Neben dieser enger gefaßten Gruppe von Ausgaben liegt eine beträchtliche Anzahl von Drucken vor, zu denen B. nur ein empfehlendes Carmen beigetragen hat: Baptista Mantuanus, ‘Calamitatum libri tres’, 1512 u. 1517 (VD 16, S 7219 f.), ‘De praesidentia oratoris et poetae’, 1503 (S 7251), J Bartholomaeus Colon., ‘Epistola mythologica’, 1507 u. ö. (B 536 ff.), Basilius, ‘De legendis libris gentilium’, 1511 (B 664), Joh. J Beuschel, ‘Musithias’, 1514 (B 2371), Catull, ‘Epithalamium’ (c. 62), 1498/1500 (GW 6392), Cicero, ‘Laelius’, [1499] (GW 7004), Hier. Dungersheim, ‘Confutatio apologetici cuiusdam sacre scripture falso inscripti’, 1514 (VD 16, D 2947), Hesiod, ‘Opera et dies’, 1506 (Geiss, S. 330), 1507, 1509 u. ö. (VD 16, H 2720⫺2728), Hieronymus, ‘De muliere septies percussa epistola’, 1504 (H 3566), Joh. Karl von Landshut, ‘Algorithmus integer’, 1504 (Geiss, S. 331), Ant. Mancinelli, ‘De componendis versibus’, 1504 (VD 16, M 508), Simon Nanquier, ‘De lubrico temporis curriculo carmen, [um 1505] (Geiss, S. 331), Landinus Zacchia, ‘Epistole Mahumetis Turcarum imperatoris’, 1504 u. 1511 (VD 16, Z 14 u. 17). Wieweit B. an der Vorbereitung auch dieser Drucke beteiligt war, steht dahin. 1. Aristoteles. a) Textus Aristotelis Phi|losophi omnium Maximi | de Decem Predicamentis. | Hexastichon M. Gregorij de Konitz Ad Lectorem. Leipzig: Jak. Thanner, 1507. VD 16, A 3358. b) Summi philosophorum | principis Aristotelis Li⫽|bri duo de generatione et corruptione | Feliciter incipiunt. | Magister Gregorius ad Lectorem [9 Dist.]. Leipzig: Martin Landsberg 1514. VD 16, A 3452. Kolophon: [...] Aristotelis textus [..] studiose elimatus [...].
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2. Lateinische antike und humanistische Autoren. a) Quinti Horatij Flacci Ve|nusini Poete vaferrimi | Sermonum siue Satyrarum opus [...]. | Decastichon Magistri Gregorij Bredekophs de Konitz ad Lectorem. Leipzig: Jak. Thanner, 7. Aug. 1504. VD 16, H 4955. Wiederholung der Ausg. des J Honorius. [M3]v⫺[M4]r: Widmung an Thomas Spieß, den B. seinen fautor nennt, mit Würdigung des jüngst verstorbenen Honorius; danach zwei Epitaphien auf ihn. b) Publij Vergilij. | maronis Aeneidos libri duodecim. Leipzig: Jak. Thanner, 1509. VD 16, V 1407. Mit fünf Carmina B.s. c) C. Crispi Salustij liber de | coniuratione L. Ser. Catiline. | Decatostichon Magistri Gregorij Breyt⫽|kops de Konitz ad Lectorem. (Der ‘Jugurtha’ folgt mit eigenem Titel). Leipzig: Jakob Thanner, [15]10. VD 16, S. 1412. Titelbl.v: Widmung an Magister Thomas Spieß, Schulmeister in Görlitz, den B. als hervorragenden Pädagogen würdigt (Leipzig, 10. April 1510). d) Marci Tullij Ciceronis con⫽|sulis Romani: ac Oratorum principis [...] Offi|tiorum liber incipit. | Epigramma Magistri Gregorii | Laticephali de Konitz ad Lectorem [6 Dist.]. Leipzig: Jak. Thanner, 1513. VD 16, C 3162. Am Ende: Habes amate Lector tres Tullij offitiorum libros: satis laboriose emendatos [...]. Weitere Ausg.n Leipzig 1515 u. 1516; VD 16, C 3165 u. 3168. e) Beatissimi Hieronimi de Ho|norandis parentibus Epistola. | Tetrastichon Magistri Georgij Laticephali [...]. Leipzig: Jak. Thanner, 8. Aug. 1504. VD 16, H 3587. Bl. [a5]r: Epigramma Magistri Gregorij Laticephali ex Konitz de Honorandis parentibus (19 Dist.). ND, erweitert um Ps.-Bernhard, ‘De cura domestica’, 1509. VD 16, H 3589. f) Opusculum Remediorum ad⫽|uerse fortuna ex Francisco Pe⫽|trarcha [...]. Leipzig: Jak. Thanner, 2. April 1504. VD 16, P 1732. Widmung (3 Dist.) an den Bakkalar Joh. Jahn. Ein stark gerafftes Kompendium von Petrarcas ‘De remediis utriusque fortunae’, Buch II; B. entnahm es im Wortlaut der ‘Margarita poetica’ D Albrechts von Eyb. Nachdrucke, mit neuen Widmungen an Joh. und Leupold de Sala, Leipzig 1507 u. 1512; Geiss, S. 332⫺337. 3. Religiöse Dichtung. a) Tractatus Dominici Man|cini de Passione domini. | M. Gregorius Konitz ad lectorem. Leipzig: Jak. Thanner, 1500. Hain 10639. Titelbl.v: M. G. B. de konitz ad Christum oratio (9 Dist.). ND 1509; VD 16, M 534. b) Saphicum carmen ad | Sanctum Joannem Bapti|stam. Leipzig: Jak. Thanner, 1503. VD 16, B 7405. Der Druck enthält den häufig dem D Paulus Diaconus zugeschriebenen, hier aber anonymen
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Buchwald, Sigismund
Hymnus Ut queant laxis resonare fibris (14 Strr.) und danach B.s Saphicon ad sanctum Joannem Baptistam (8 Strr.). Im glossierten Ex. der SB München (4° P.o.lat. 757,14) steht neben dem Druckvermerk der Eintrag: A magistro gregorio konitz in die petri et pauli et 1499 in festo sancti Joannis. Demnach stammt das Ex. aus B.s näherer Umgebung und ist sein ‘Sapphicon’ spätestens 1499 entstanden. ND, erweitert um In laudem diui Ioannis Baptistae pro natali carmen des Baptista Mantuanus: De sancto Joan⫽|ne Baptista Carmina que⫽| dam elegantissima. Leipzig: Jak. Thanner, 1512. c) Baptiste Mantuani diuinum | Secunde Parthenices Opus | sanctissime virginis Catharine passionem heroico car|mine complectens non minus cultum quam pium. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1503. VD 16, S 7335. Bl. [J5]v⫺[J6]r: Saphicon Magistri Gregorij Bredekophs de Conitz. Ad sanctissimam Catharinam Virginem martiremque patronam totius cleri (9 sapph. Strr.). Epigramma B.s an seinen Schüler Leo aus Braunsberg. Zehn weitere Leipziger Ausgaben bis 1519; VD 16, S 7336⫺ 7352. d) Fratris Baptiste Mantuani Car|melite theologi et poete prestantis|simi Parthenice Tertia Diuarum. Margarite Aga|thes Lucie et Apolonie Agonas continens. | Epigramma Magistri Gregorij Latecephali de konitz ad Lectorem (7 Dist.). [Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1505]. VD 16, S 7354. Vorlage war die Ausg. des Jod. Badius Ascensius. Titelbl.v: Widmung an seinen Schüler Leo aus Braunsberg (Leipzig, 17. Juni 1505). Nachdrucke Leipzig 1510 u. 1512; VD 16, S. 7356 f. e) Baptiste Mantua⫽|ni vatis doctissimi Parthenice pri⫽|ma siue Mariana continens vitam | actusque sacros beatissime virginis Marie dei geni| tricis nuper a multis elimata mendis. | Magistri Gregorij Breytkoph de | Konitz. Saphicon ad Lectorem (3 Strr.). Leipzig: Jak. Thanner, 1510. VD 16, S 7323. Vier weitere Leipziger Drucke 1512⫺ 1517; VD 16, S 7324, 7326, 7328, 7332. Literatur. J. F. Kˆhler, Fragmente z. Gesch. d. Stadt u. Univ. Leipzig, T. 1, Leipzig 1787, S. 145⫺147; F. Zarncke, Die urkundl. Quellen z. Gesch. d. Univ. Leipzig in d. ersten 150 Jahren ihres Bestehens, Abh. d. philol.-hist. Cl. d. kgl. sächs. Ges. d. Wiss., Bd. 2, 1857, S. 276, 305, 407, 594, 811, 813, 848; C. Prantl, Gesch. d. Logik im Abendlande, Bd. 4, 1870 (ND 1955), S. 283 f.; B. St¸bel, Ukb. d. Univ. Leipzig v. 1409⫺1555 (Cod. dipl. Saxoniae regiae II, 11), 1879, S. 276, 375, 407, 483; Th. Brieger, Die theol. Promotionen auf d. Univ. Leipzig 1528⫺1539, 1890, S. 20 f., 23, 32; J. Foerstemann (Hg.), Ukb. d. Stadt Leipzig, Bd. 3 (Cod. dipl. Saxoniae regiae II, 10), 1894, S. 93, Nr. 145, u. S. 101, Nr. 160; Matr. Leipzig, Bd. 3, S. 89 f.; Bauch, Leipzig, S. 37 Anm. 2, 70, 78 f.,
80⫺91; H. Freytag, Die Beziehungen d. Univ. Leipzig zu Preussen von ihrer Begründung bis z. Reformation, 1409⫺1539, Zs. d. Westpreuss. Gesch. ver. 44 (1912) 1⫺158, hier S. 72⫺78; G. Buchwald, Die Matrikel d. Hochstifts Merseburg 1469⫺1558, 1926, S. 43, 69, 71, 73; Geiss, Petrarca-Rezeption, S. 91 f., 328⫺337.
F. J. Worstbrock
Brutus J Blar de Brudzewo, Albertus Buchwald (Fagilucus Pierius), Sigismund 1 . L eb en . Als Sohn des Breslauer Kammer- und Rentschreibers Bartholomäus B. wurde Sigismund, der sich am 12. April 1503 als noch nicht 20jährig (‘Extemporalitates’, [F6]r) bezeichnet, 1483 oder 1484 geboren. Der jüngere Bruder Bernhardinus wurde Lehrer an der Goldberger Lateinschule unter Hieronymus J Gürtler; B. erwähnt 1503 die Namen von zwei weiteren lebenden und vier verstorbenen Geschwistern. Er immatrikulierte sich nach Besuch einer Breslauer Lateinschule – er nennt Gregor Agricola (Lengsfeld) seinen Lehrer – im SS 1497 in Leipzig und wurde dort am 7. März 1500 Baccalaureus artium. Das Magisterium scheint er nicht erlangt zu haben. In Leipzig schloß er sich Hermann J Buschius, den er als vertrauten Freund und ersten unter den deutschen Poeten (vgl. ‘Extemporalitates’, [F6]r) bezeichnet, an. B. provozierte durch die Auszeichnung der Poesie als fons sophie sacrate in einem nicht erhaltenen Gedicht (s. u. 2.a) Konrad J Wimpina zur Abfassung seines ‘Apologeticus in sacre theologie defensionem’ und leitete so eine Phase des für Leipzig zentralen Streites um das Verhältnis zwischen Theologie und Dichtung ein. Beistand fand B. durch den bereits mit Wimpina in Fehde liegenden Martin J Polich und Buschius. Nach Polichs und Buschius’ Fortgang nach Wittenberg verließ B. Leipzig und ließ sich im Jan. 1503 – am 12. April spricht er von einem trimestre spacium (‘Extemporalitates’, [A2]r) – in Breslau nieder, wo er als Lehrer wirkte und Vorlesungen über Plautus ankündigte (vgl. ebd., [F2]v). Ein von ihm aus Leipzig ge-
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brachtes Exemplar diente nach Bauchs (1906) Vermutung Laurentius J Corvinus als Unterlage für die erste Aufführung der ‘Aulularia’ auf deutschem Boden. In Breslau suchte und fand B. Kontakt zu humanistisch gebildeten Domherren wie Sigismund Gossinger (Fusilius) und Stanislaus Sauer. Bereits 1503 wohl an der Syphilis erkrankt (vgl. ‘Extemporalitates’, Cr⫺v, mit Bauch, 1892, S. 157), starb er spätestens 1510. In diesem Jahr erwähnt Ulrich von J Hutten ihn in der Elegie ‘Ad poetas Germanos’ (Opera, Bd. 3, S. 66, vv. 41 f.) als Verstorbenen. Ein Eintrag B.s in der ‘Litera mortuorum’ der Altaristenbruderschaft von St. Maria Magdalena nennt kein Todesdatum (vgl. Bauch, Breslau, S. 225). 2. Wer k. B.s Selbstanspruch (‘Extemporalitates’, [F6]r⫺v)ist der eines Poeta im Sinne der Alten und der von Buschius vermittelten Italiener. Das erhaltene Werk hält diesem Anspruch nur sehr bedingt stand (s. Bauch, 1892, S. 157). Ellingers Bewertung B.s als “charakteristisches Beispiel des Übergangszeitalters” (S. 369) beruht jedoch auf Verkennung der Rolle Polichs im Leipziger Streit. a) Aus dem Titel und Epilog der ‘Extemporalitates Wratislavie’ ([F5]r) ist eine in Leipzig entstandene erste Gedichtsammlung erschließbar, deren Titel ‘Extemporalitates Lipsice’ gelautet haben mag (vgl. Bauch, 1892, S. 130). Durch Polichs Zitat im ‘Laconismos tumultuarius’ ([Leipzig, 1500/1], c ir: Cur fontem sophie rivos urnasque sacrate), dem B. zwei Empfehlungsgedichte (av; [c8]r) beigab, ist der von Wimpina beanstandete Vers bekannt. Von einem Druck ist in neuerer Zeit kein Exemplar bekannt geworden. b) ‘Extemporalitates Wratislavie’. B. stellte in seiner Heimatstadt eine Sammlung von über 100 Carmina zusammen und widmete sie unter dem 12. April 1503 prosaisch und metrisch (4 sapph. Strr.) dem in Italien gebildeten bischöflichen Koadjutor Johannes Thurzo´, Bruder des Olmützer Bischofs Stanislaus. Corvi-
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nus empfahl das Werk der Breslauer Jugend. Neben den dominierenden Distichen enthält die im Untertitel Epigrammaton [...] liber genannte Sammlung sapphische Oden, Hendecasyllabi, Asclepiadei minores und jambische Dimeter. Die enthaltenen Invektiven und Spottepigramme sind eher derb als pointiert. Ohne chronologische Ordnung erscheinen Carmina, die auf Leipziger und Breslauer Verhältnisse Bezug nehmen. Die Gegenwart spiegeln zahlreiche Lobgedichte auf Breslauer Domherren, Patrizier und Lateinlehrer, Gelegenheitsgedichte (Epitaphien und ein Epithalamium) sowie Spottgedichte auf pseudonyme Personen, darunter womöglich Johannes J Langer von Bolkenhain. Ein dem B. Johann IV. D Roth gewidmeter Hymnus auf Maria steht inmitten einer Gruppe religiöser Gedichte (Ev⫺[E3]v). In die Breslauer Zeit gehören auch Lobgedichte auf einige der Familie Thurzo´ verbundene Humanisten wie Bohuslaus J Hassenstein und J Augustinus Moravus. Von größerem Interesse sind die rückblickend dem Leipziger Konflikt geltenden Carmina. Wimpina wird in einer Reihe von Invektiven falscher Anschuldigungen und des Angriffs auf B. (vgl. [C4]v⫺Dr: In eum qui nomen nostrum ignorasse se insimulauit) geziehen, als Zoilus (Dv) und Poetaster ([B2]v), schließlich als bellender Hund ([F2]r) verspottet. B. attackiert auch Wimpinas pseudonymen Helfer Andreas J Propst (In Deletiscum, [C3]v⫺[C4]r) sowie Johannes Seitz, der eine zweite Apologie der Theologie (VD 16, S 5403) gegen Polich geschrieben hatte. Andere Gedichte feiern Polichs literarischen Triumph über Wimpina (C2r⫺v) und Buschius’ Beitrag zu Polichs und B.s Verteidigung ([D2]r). Im metrischen Kolophon spricht die hier erstmals mit Breslau identifizierte Budorgis zum Leser über Dichter und Drucker ([F4]v). Im Epilog verteidigt B. unter Berufung auf Catull metrische Eigenheiten und nennt als Lehrer einen Ungenannten, der Pomponio Leto und Filippo Beroaldo gehört habe (Buschius), sowie Vorbilder in der Dichtungslehre. B. beklagt, Italien nie gesehen zu haben; die Schriften der Italiener (Fran-
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Burckard, Johannes
cesco Filelfo, Polizian, Giorgio Merula und Lorenzo Valla) sind ihm dennoch Grundlage gereinigter Latinität. Druck. Extemporalitates vuratislauie Sigismundi Fa-|giluci Pierij idest Epigrammaton | suorum Liber secundus. [...]. [Breslau: Konrad Baumgart, 1503]. VD 16, B 9061. c) Herausgeber. Cl. Claudianus, Carmen de salvatore Christo [...]. [Leipzig: Martin Landsberg, um 1500]. GW 7072 (kein erhaltenes Ex. bekannt). Die Initialen S. F. P. (Bl. [2]r) weisen B. als Herausgeber des in seiner Echtheit umstrittenen Carm. min. 32 aus. Literatur. G. Bauch, Beitr. z. Litteraturgesch. d. schles. Humanismus II, ZVGS 30 (1892) 127⫺ 164; ders., Leipzig, S. 105 u. ö. (Reg.); ders., Beitr. z. Litteraturgesch. d. schles. Humanismus VIII, ZVGS 40 (1906) 140⫺184, bes. S. 183 f.; ders., Breslau, S. 222⫺225; Ellinger, Neulat. Lit., Bd. 1, S. 369⫺371; M. Burbianka, Drukarnia Konrada Baumgarta we Wrocławiu, Roczniki biblioteczne 14 (1970) 53⫺96, bes. S. 64 f., 89; K. Lambrecht, Breslau als Zentrum gelehrter Kommunikation unter B. Johann V. Thurzo´ (1466⫺1520), Arch. f. schles. Kirchengesch. 58 (2000) 117⫺141, bes. S. 130.
J. Klaus Kipf
Burckard (Burcardus, -ckardi, -dus), Johannes I . L eb en . Ein krimineller Jüngling wird später Zeremonienmeister des Papstes und Bischof: So könnte B.s Karriere kurz charakterisiert werden. Wohl 1449 in Haslach (Elsaß) geboren, entdeckte B. bereits als dortiger Chorknabe seine Vorliebe für die Liturgie. Später als Familiar für den Straßburger Generalvikar Johann Wegeraufft tätig ⫺ zum Studium fehlten ihm wohl Geld und Gönner ⫺ erwarb er durch Praxis Rechts- und Formelkenntnisse; diese nutzte er 1467, um eigenmächtig Ehedispense auszustellen und zu siegeln. Auch stahl er Geld. Beider Delikte wegen entließ ihn sein Patron, B. machte sich auf den Weg nach Rom. Noch in seinem Todesjahr wurde er rückfällig, sofern man seinem mißgünstigen Kollegen und Nachfolger Paris de Grassis glaubt. Dieser berichtete zum 18. April 1506 ⫺ dem Tag, an dem
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Julius II. den Grundstein zum neuen Chor der Petersbasilika legte ⫺, der Bischof von Orte (⫽ B.) habe eine der zwölf Gedenkmedaillen, die der Grundstein bedeckte, entwendet. Grassis Kommentar: quod factum fuisse credant qui illius mores cognoverunt, presertim in capiendo (Lesellier, S.18 f.). Seine Jugendsünden hatte B. schon am 10. April 1475 dem damaligen Papst, Sixtus IV., schriftlich gestanden, um den elsässischen und römischen Konkurrenten auf dem Pfründenmarkt den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dennoch blieben sie, wie Paris de Grassis andeutete, eine willkommene Waffe für B.s Gegner, dies um so mehr, als er sich nicht nur durch Pfründenerwerb, sondern auch durch Ämterkauf eifrig bemühte, seine Einkünfte zu mehren. Er war Kanoniker verschiedener Stifte im Elsaß, doch supplizierte B. auch um Stellen in Frankreich und in Franken (z. B. Bamberg). Und obwohl er 1477 Bürger von Straßburg geworden und dort 1481 ehrenvoll empfangen worden war, behielt er gerade in seiner Heimat zahlreiche Gegner, unter ihnen wohl auch Jakob J Wimpfeling. Anläßlich einer Begegnung mit Kg. Maximilian 1494 beurteilte ihn sein Landsmann Daniel Ruhe als Eyn fyntlicher maen, myt roeffen und krisschen (Wiesflecker, S. 653). Die Anfänge von B.s Karriere in Rom sind unbekannt. Wohl noch zu Lebzeiten Pauls II. († 26. Juli 1471) wurde er Familiar von dessen Nepoten Marco Barbo, spätestens seit 1478 war er Familiar des Papstes Sixtus IV. selbst. Diesem vor allem verdankte er anfangs seinen Aufstieg (Hofmann): 11. April 1478 Ernennung zum Acolitus et capellanus apostolicus mit Expektanz auf eine Stelle als Subdiaconus apostolicus; 2. Febr. 1481 Ernennung zum Protonotarius apostolicus (Amt bischofsgleichen Ranges); 29. Nov. 1483 Ernennung zum Clericus ceremoniarum (Kaufpreis: 450 Dukaten, vielleicht vor der Ernennung: Weihe zum Priester). Das Amt des Clericus, später des Magister ceremoniarum war fortan der Schwerpunkt von B.s Wirken. Daher behielt er es auch, als er weitere Ämter erwarb und dafür auf früher erhaltene verzichten mußte: 30.
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Burckard, Johannes
März 1490 Ernennung zum Magister registri supplicationum mit Dispens für das Amt des Zeremoniars (neues Amt, vor 1493 wieder aufgegeben); 3. Okt. 1503 Nomination zum Bischof von Orte (und Civita Castellana) cum reservatione officii ceremoniarum, ita tamen quod non venderem sed darem pro beneficiis vel alia honesta recompensa (Celani, Ausg., Bd. 2, S. 390); 9. April 1504 Ernennung zum Referendar; 29. April 1504 Ernennung zum Abbreviator. In Rom engagierte sich B. sehr in der Bruderschaft der deutschen ‘Nationalkirche’ S. Maria dell’Anima; so nahm er z. B. Einfluß auf Architektur und Ausstattung der Kirche und ihres Glockenturms. Und wie er dort die elsässische Spätgotik durchsetzte, so ließ er auch sein wohl 1495 bezogenes Wohnhaus in der Via del Sudario innen mit entsprechenden Gewölben ausstatten. Am dazugehörenden Turm verwies er stolz auf seine Heimatdiöz. Straßburg (Torre Argentina), wonach bis heute nahegelegene Lokalitäten benannt sind (Largo Argentina, Teatro Argentina u. a.). In dieser Hinsicht dürfte er der Deutsche gewesen sein, der bis heute die Topographie Roms am stärksten geprägt hat. Seit 1505 an einer unheilbaren Kehlkrankheit leidend starb B., wie sein Familiar Michael Sander berichtete, am 16. Mai 1506 lamentabiliter und wurde am folgenden Tage in S. Maria del Popolo beigesetzt (Celani, Ausg., Bd. 2, S. 512). Gehässig gedachte Paris de Grassis des Toten (ebd., S. 512 f. Anm. 3): Dieser sei non solum non humanus sed supra omnes bestias bestialissimus, inhumanissimus, invidiosissimus gewesen. Seine Notizen zu den Zeremonien habe er mit Hilfe des Teufels als Kopisten niedergeschrieben, so daß sie nur mit dessen oder einer Sibylle Hilfe entziffert werden könnten. I I. We rk . 1. ‘P on ti fi ca le ’. Anfang 1485 erhielt der damalige oberste Zeremoniar, Agostino Patrizi, von Papst Innozenz VIII. den Auftrag, ein neues Pontificale zu kompilieren, dieses er-
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schien am 20. Dez. desselben Jahres in Rom bei Stephan Plannck im Druck. Sowohl im Explicit als auch in seiner Vorrede erwähnte Patrizi den kürzlich ernannten Kollegen B. als Mitarbeiter. Allerdings wird im Buch nicht erkennbar, welchen Anteil am Werk B. hatte. In seiner Vorrede an den päpstlichen Auftraggeber betonte Patrizi die Ziele des Buches: Es solle die Vielzahl der bisherigen in der Gesamtkirche benutzten Pontifikalien überwinden und unter der Ägide Roms vereinheitlichen. Kurz zur Erinnerung: Ein Pontificale enthält die Ordines für alle liturgischen Akte, die einem Bischof vorbehalten sind. Patrizi und B. wählten das Ende des 13. Jh.s von Guillelmus Duranti d. Ä. kompilierte Pontificale, das sich seit dem Aufenthalt der Kurie in Avignon am Papsthof immer mehr durchgesetzt hatte, als Vorlage, die sie durch Kürzungen, Ergänzungen oder Überarbeitungen veränderten. Dafür zwei Beispiele: 1. Weil die Krönungen von Papst und Kaiser für die meisten Bischöfe der Universalkirche nicht von Belang waren, wurden die entsprechenden Ordines weggelassen. 2. Wegen der Zunahme von Inquisitionsprozessen und damit auch der Degradationen von Klerikern nach Durantis Tod wurde ein Degradationsordo neu in die Sammlung aufgenommen. Das Buch wurde nicht nur 1495 nachgedruckt, sondern auch in Prachthss. kopiert. 1497 erfolgte eine Neubearbeitung. Und auch wenn damals der B. Giacomo da Luzzi, Hausprälat des Kardinals Raphael Riario, als Hauptherausgeber firmierte, dürfte der auch jetzt als Mitarbeiter genannte B. diesmal den Hauptanteil am neuen Werk gehabt haben. Wiederum bei Stephan Plannck erschien es am 16. Aug. im Druck. Am wichtigsten waren die Zusätze zum Konzilsordo. Nachdrucke erschienen 1503, 1510 und 1511. Ein Exemplar wurde nach dem Konzil von Trient zerschnitten, neu zusammengefügt und ergänzt (noch in der Bibl. Vaticana erhalten, laut Reinhard Elze). Darauf basierte 1595 das im Auftrag Clemens’ VIII. veröffentlichte, für die ganze römisch-katholische
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Burckard, Johannes
Kirche maßgebliche Pontificale, das bis ins 20. Jh. hinein gültig geblieben ist. Drucke. 1. ohne Titel, Kolophon: Explicit Pontificalis liber magna diligentia […] Augustini Patricii de Piccolominibus […] ac […] Iohannis Burckardi capelle sanctissimi nostri pape cerimoniarum magistri correctus et emendatus […]. Rom: Stephan Plannck, 20. Dez. 1485. HC 13285.⫺ 2. ohne Titel, Kolophon: Finit Liber pontificalis emendatus diligentia […] Iacobi de Lutiis […] et domini Ioannis Burckardi […]. Rom: Stephan Plannck, 16. Aug. 1497. HC *13287 (⫽ 13286). – 3. Pontificale | Romanum | Clementis VIII. | Pont. Max. | iussu | restitutum | atque editum. Rom 1595. ND: M. Sodi / A. M. Triacca (Hgg.), Pontificale Romanum. Editio Princeps (1595⫺ 1596), Citta` del Vaticano 1997.
2. ‘C ae re mo ni al e’. Schon bald nach Beginn seiner Tätigkeit als Zeremoniar hatte B. von Patrizi den Auftrag erhalten, ältere Zeremonialtexte, die seit 1466 notiert worden waren, zu sammeln; die Hs. wurde bis 1489 fortgeführt (Vat. lat. 5633) und von B. auch als 1 liber ceremoniarum in seinem Diarium zitiert. In einer weiteren Hs. (Vat. lat. 12348) exzerpierte B. Zeremonienbücher aus der Zeit der Päpste in Avignon und Benedikts XIII. Neben acht Codices aus der päpstlichen Bibliothek dienten beide Hss. als Grundlage für ein neues Caeremoniale, das dem päpstlichen Auftraggeber, Innozenz VIII., 1488 überreicht worden ist. Auch wenn Patrizi als verantwortlicher Herausgeber auftrat, scheint die ‘Textverarbeitung’ vornehmlich das Werk B.s gewesen zu sein. Es war, wie das ‘Pontificale’, in drei Bücher unterteilt, in denen ⫺ zum Teil mit Beschreibung aktueller Akte ⫺ alle öffentlichen und nichtöffentlichen Zeremonien am Papsthof beschrieben sind, einschließlich der im ‘Pontificale’ weggelassenen Papst- und Kaiserkrönung. Als Benutzer waren die am Papsthof Tätigen gedacht, so auch die Zeremoniare selbst (Vat. lat. 4179, mit Notizen B.s). Weil die Arcana der Zeremonien von deren Meistern eifersüchtig gehütet wurden, war das Werk nicht für die Publikation vorgesehen. Um so entsetzter war B.s Nachfolger Paris de Grassis, als 1516 mit dem Imprimatur Leos X. der Eb. Cristo-
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foro Marcello das Werk, ohne Patrizi und B. zu erwähnen, in Venedig publizierte. Seitdem waren die ‘Geheimnisse des Vatikan’ zumindest hinsichtlich der Zeremonien aufgedeckt. 1539 erschienen auf lutherischer Seite Auszüge in dt. Sprache, 1750 wurde sogar ein umfangreicher Kommentar gedruckt. Drucke. 1. Rituum eccle|siasticorum sive sacrarum | ceremoniarum. S. S. Romanae ecclesiae. libri | tres non ante | impressi. Venedig: Greg. de Gregoriis, 21. Nov. 1516. ND: Caeremoniale Romanum of Agostino Patrizi, Piccolomini, Ridgewood/N. J. 1965. Dt. Übers. in Auszügen: Wenzeslaus Linck, Bapsts gespreng/ | ausz dem Cerimo⫽|nienbuch […] gezogen […]. Straßburg: Barth. Grüninger, 1539. VD 16, L 1817 (weitere Drucke 1556, 1565 u. 1591. VD 16, L 1818⫺20). – 2. G. Catalano, Sacrarum caeremoniarum sive rituum ecclesiasticorum sanctae Romanae ecclesie libri tres ab Augustino Patricio ordinati et a Marcello [...] primum editi [...] commentariis aucti, 2 Bde., Rom 1750/51. Kritische Ausgabe. M. Dykmans, L’œuvre de Patrizi Piccolomini ou Le ce´re´monial papal de la premie`re Renaissance, 2 Bde. (Studi e testi 293/ 294), Citta` del Vaticano 1980/82.
3 . ‘ Or do Mi ss ae ’. 1496 veröffentlichte B. sein erstes eigenständiges Werk. Es regelte den Ablauf der stillen Messe (sine cantu et sine ministris). Und wie das ‘Pontificale’ allen Bischöfen der Universalkirche als Norm dienen sollte, so der neue Ordo allen Priestern. Und auch diesmal bildete ein Ordo Durantis die Vorlage. Allerdings fand B.s Text nicht überall Zustimmung, wie aus einer 1559 gedruckten Überarbeitung durch den päpstlichen Kaplan Alessandro Pellegrino hervorgeht. Trotz der Einwände war B.s Ordo die wichtigste Vorlage für das 1570 im Auftrag Pius’ V. gedruckte Missale, das bis zum 2. Vatikanischen Konzil verpflichtend geblieben ist. Drucke. 1. Ordo misse. Rom: Andr. Freitag u. Joh. Besicken, 21. April 1496. Vgl. Th. Accurti, Aliae editiones saeculi XV. pleraeque nondum descriptae, Florenz 1936, S. 125, Nr. 83. ⫺ Ordo misse secundum consuetu-|dinem sancte Romane ecclesie. Rom: St. Plannck, 18. Sept. 1498. Hain 4102. – 2. Ordo Missae pro informatione venerab. sacerdotum. Auctore […] Joanne Burcardo Ar-
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Burckard, Johannes
gent. [...] nuper a mendis omnibus castigatus et in faciliorem formam restitutus [...]. Rom 1559. IA 127.847. – 3. Missale Romanum ex decreto sacrosancti concilii Tridentini restitutum. Rom 1570.
4. D ia ri um . B.s Tagebuch, das am Papsthof einen neuen Literaturtypus geschaffen hat, ist sein bekanntestes und am häufigsten benutztes Werk. Dabei war es nie für den Druck vorgesehen gewesen, vielmehr sollte es dem Autor selbst und seinen Mitarbeitern bei der Durchführung von Riten und Zeremonien helfen. Daher gab es anfangs nur wenige Hss., die nach B.s Tod besonders seinem Nachfolger Paris de Grassis zugänglich waren, so auch mehrere schwer lesbare Autographen. In seinen Notizen, die von 1483 bis 1506 reichen, bemühte sich B., genau und gewissenhaft zu sein. Daher vermerkte er, wenn er selbst nicht Augenzeuge einer Handlung gewesen war. Für spätere Benutzer waren seine Einträge v. a. für die politische und Kulturgeschichte wichtig; doch er selbst hatte besonderen Wert auf die Beschreibung des Vollzuges von Riten und Zeremonien gelegt. Dazu wenige Beispiele: Ein Dauerproblem war die angemessene Behandlung von Gesandten (bes. Empfang und Präzedenzen), die B. häufig mit dem Papst beriet. Besonders aufgeschlossen für Fragen des Zeremoniells war Alexander VI., so etwa bei der Eröffnung des Heiligen Jahres am 25. Dez. 1499. Viel Ärger bereiteten B. Fehler der päpstlichen Sänger und anderer Mitwirkenden. Sehr wichtig ist das Diarium für das Verhältnis von Theorie und Wirklichkeit beim Vollzug von Riten. So etwa hatte B. für die Krönung Alfons’ II. zum König von Sizilien 1494 eigens einen Ordo verfaßt und dann als Augenzeuge empört berichtet, was alles nicht so wie vorgesehen verlaufen war ⫺ eine Warnung an alle Forscher, die Ordines unbesehen als Beschreibungen des realen Ablaufes interpretieren. Während des für die Vorbereitung nötigen längeren Aufenthaltes in Neapel hatte B. auch die Schwefelquellen der Solfatara bei Pozzuoli besucht; sein Bericht erweist ihn als genauen, an der Natur interessierten Beobachter.
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Aber auch nichtliturgische Abläufe, etwa den römischen Karneval, schildert er genau. Bereits seit 1649 (Denys Godefroy) wurde das Diarium in Teileditionen gedruckt, so hinsichtlich des Pontifikats Alexanders VI. auch von Leibniz. Die erste Gesamtedition, die auf fehlerhaften Vorlagen basierte, publizierte (unter Vermehrung der Fehler) Thuasne; auf seiner Version beruhte die dt. Textauswahl von Geiger. Die bis heute maßgebliche Ausgabe veröffentlichte Celani; leider ist das detaillierte Register nicht vollendet worden. Ausgaben. 1. L. Thuasne, Johannis Burchardi argentinensis, capelle pontificie sacrorum rituum magistri Diarium sive rerum urbanarum commentarii annorum 1483⫺1506, 3 Bde., Paris 1883⫺ 85. – 2. E. Celani, Johannis Burckardi Liber Notarum ab anno MCCCCLXXXIII usque ad annum MCVI (Rerum Italicarum Scriptores, nuova ed., tom. 32, p. 1, vol. 1/2), 2 Bde., Citta` di Castello 1906⫺1942. Teilübers.: L. Geiger, Alexander VI. u. sein Hof. Nach d. Tagebuch seines Zeremonienmeisters Burcardus, [ca. 1910] (zahlreiche Aufl.n).
III. Faz it . In Zusammenarbeit mit Agostino Patrizi oder auch allein hat B. wichtige Vorarbeiten geliefert für die Normierung liturgischer Bücher nach dem Konzil von Trient. Mit seinem Tagebuch als seinem persönlichsten Werk, das am Papsthof ohne Vorbild war, schuf er ein neues literarisches Genus, das bis heute von den päpstlichen Zeremonienmeistern gepflegt wird. Literatur. Außer den wertvollen Einleitungen zu den Ausgaben von Celani und Dykmans: M. C. Constant, Deux ms.s de Burchard. Fragments du Diaire (1492⫺1496) ⫺ Le Ce´re´monial, Me´l. d’arche´ologie et d’histoire 22 (1902) 209⫺ 250; ders., Les maitres des ce´re´monies du XVIe sie`cle. Leurs Diaires, ebd. 23 (1903) 161⫺229 u. 321⫺351 (unvollendet); W. v. Hofmann, Forsch. z. Gesch. d. kurialen Behörden v. Schisma bis z. Reformation (Bibl. d. Dt. Hist. Inst.s in Rom 12/ 13), Rom 1914, Bd. 2, S. 85 f.; J. Lesellier, Les me´faits du ce´re´moniaire Jean B., Me´l. d’arche´ologie et d’histoire 44 (1927) 11⫺34; P. Paschini, A proposito di Giovanni B. ceremoniere pontificio, Archivio della Societa` romana di storia patria 51 (1928) 33⫺59; A. Petrignani, Il restauro della casa del Burcardo, Capitolium 9 (1933) 191⫺200;
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Burkhard von Andwil
L. Oliger, Der päpstl. Zeremonienmeister J. B., Arch. f. Elsäss. Kirchengesch. 9 (1934) 199⫺232; H. Wiesflecker, Matthäus Lang, J. B. u. eine Gurker Besetzungsfrage v. 1496, Carinthia I, 151 (1961) 644⫺654; F. Wasner, Eine unbekannte Hs. d. Diariums Burckardi, Hist. Jb. 83 (1963) 300⫺ 331; ders., Ein unbekannter liturg. ‘Libellus’ d. päpstl. Zeremonienmeisters J. B., Ephemerides liturgicae 80 (1966) 294⫺306; B. Schimmelpfennig, Die Zeremonienbücher d. röm. Kurie im MA (Bibl. d. Dt. Hist. Inst.s in Rom 40), 1973; M. Dykmans, Le pontifical romain re´vise´ au XVe sie`cle (Studi e testi 311), Citta` del Vaticano 1985.
Bernhard Schimmelpfennig
Burckhardt, Georg J Spalatin, Georg Burkhard von Andwil (Anwil, -wyl, Aynbyl, -wyl) I . L eb en . Als Autor eines in der Sammelhs. Clm 388 (285 Bll., 15./16. Jh.), 1r⫺98v, überlieferten Corpus von Schriften wird dort Purchardus de Aynbyl (1r) bzw. Burchardus de Aynwyl (63r) genannt. Er dürfte identisch sein mit B. v. A. aus der Oberberger Linie der Edlen von Andwil im Thurgau (seit dem 12. Jh. Ministerialen des Bischofs von Konstanz, seit 1220 des Klosters St. Gallen). B., einer von vier Söhnen Hans’ d. J., Stadtvogt von Bischofszell von 1461 bis 1476 (Eigenmann), erhielt im Febr. 1481 ein Kanonikat am Chorherrenstift St. Pelagius zu Bischofszell (Wirz), das er wohl bis Ende 1490 innehatte. Als Burcardus de Anwil canonicus ecclesie sancti Pelagii in Zella Episcopale erscheint er am 14. Jan. 1482 in den ‘Acta nationis Germanicae’ der Univ. Bologna. Am 2. Mai 1482 immatrikulierte sich Burckardus de Angwil de Zellaepiscopali in Tübingen. Am 6. Jan. 1486 war er in Bologna gemeinsam mit Georg von Neideck, später (1505⫺1514) Bischof von Trient, bei der Wahl der neuen Prokuratoren anwesend; 1488 bekleidete er selbst dieses Amt. Der Verfasser der im Clm 388 erhaltetenen Schriften gibt an, in Bologna gewesen zu sein (1r) und dort seine Chronik entworfen (13r) zu haben; er erwähnt die Gründung der Univ. Tübingen (40r).
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Ein von B.s Bruder Fritz Jakob bei Martin Schaffner in Auftrag gegebenes Epitaph von 1514 (Stuttgart, Staatsgalerie, Inv.-Nr. L 23) zeigt eine posthume Darstellung B.s, ein Schriftband überliefert sein Todesdatum: Herr Burckhart von Anwyl starb anno domini 1494 am 23. tag des monots augusti lytt zu Rom vergraben (S. Lustenberger, Martin Schaffner. Maler zu Ulm, Kat. Ulm 1959, S. 94 u. Abb. 52). Zweifel an der Identität des Bischofszeller Chorherren mit dem Verfasser der u. g. Schriften ergaben sich aus dem Namenszusatz Alsatus, der jedoch erst in späteren Beschreibungen (seit C. Halm, Catalogus codd. lat. Bibliothecae Regiae Monacensis, Bd. 1/1, 21892, S. 102), nicht in der Hs. erscheint. Die Identifizierung wurde zuerst von Knod, der die Form ‘Burckhardus de Anwil’ ansetzte, vorgeschlagen, von Onestinghel (“Burcardo di Anwill, borgo del Baselland”) bekräftigt, und in Welbers Ausgabe näher begründet (“Burcardo di Andwil”; S. XIX⫺XXI).
I I. We rk . 1. Der Clm 388 enthält das einzige Zeugnis der literarischen Aktivität B.s. Die ersten neun Faszikel (1r⫺98v) sind von mindestens drei Händen, von denen keine mit der des Autors identifiziert werden kann, geschrieben und enthalten unter dem Titel Bellum ducis Sigismundi contra Venetos eine Chronik in Prosa (1r⫺57v), eine wohl zur Ergänzung der Chronik vorgesehene kurze Sammlung von fragmenta (58r⫺62r), einige verschiedenen Autoren zugewiesene Gelegenheitsgedichte (62v⫺ 65v), den liber primus eines Bellum Venetum in Hexametern (66r⫺78v), einen Einschub mit dem Titel Aeneae errores (79r⫺ 80r), Notizen zur lat. Metrik sowie einige Dietrich J Gresemund d. J. und B. zugeschriebene Epigramme (80r⫺82v), schließlich den Belli Veneti liber secundus (83r⫺ 98v). Zur Hs. s. Welber, Ausg., S. XXXVIII f.; G. M. M¸ller, Die ‘Germania generalis’ d. C. Celtis, 2001, S. 25 f. Die Chronik und die zwei Bücher des ‘Bellum Venetum’ sind dem Krieg von 1487 zwischen Erzhzg. Sigmund dem Münzreichen, Grafen von Tirol, und der Republik Venedig sowie ihrem militärischen Abschluß, der Schlacht bei Calliano
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Burkhard von Andwil
(10. Aug.), gewidmet, in der der venezianische Söldnerführer Roberto da Sanseverino fiel. Zum Plan der Chronik gehören die Fragmenta und vielleicht die Aeneae errores. In der Hs. ebenfalls B. zugeschrieben sind acht der Gelegenheitsgedichte und eines der Epigramme (62v⫺65v u. 82r; hg. v. Welber als ‘Carmina varia’), darunter zwei Gedichte an Antonio Urceo (gen. Codrus). 2. Die Chronik (65 Abschnitte) beginnt mit einer kurzen Reihe von Porträts Sigmunds, Hzg. Albrechts VI., K. Friedrichs III. und Maximilians mit Aufzählung ihrer Leistungen in Krieg und Frieden, welche die Vorherrschaft des Hauses Habsburg begründen (1r⫺11v). Ein zweiter Teil (11v⫺22r) bietet einen historisch-mythologischen Überblick über die Ursprünge der Veneti, von Antenor bis zur Zeit Barbarossas; anschließend die Schilderung jüngerer Gewalttaten Venedigs und der Ursachen des Krieges von 1487 im allgemeinen (mit Beschreibung der Lage Trients und der provincia Athesis mit Hall und Innsbruck), dann der befestigten Linie nördlich von Rovereto, der Unternehmungen gegen die Castelbarco und die Grafen von Arco, der ergebnislosen Verhandlungen mit Venedig, die Sigmund zum Kriegseintritt bewogen, im besonderen. Es folgt (bis ungefähr 37v) eine Beschreibung der Hintergründe der Schlacht bei Calliano, besonders der Vorgänge bis zum Fall Roveretos. Protagonisten sind die Hzg.e Georg und Albrecht von Bayern und der Condottiere Gaudenz von Matsch. Der vorletzte Teil (38r⫺51v) berichtet über begleitende Maßnahmen und Verhandlungen mit Venedig vor der Kriegserklärung. B. betont dabei den Gegensatz des diplomatischen Verfahrens zwischen dem ehrenhaften, auf einen gerechten Krieg bedachten Hause Habsburg und dem verschlagenen, aber angesichts eines Krieges überforderten venezianischen Senat sowie den Konflikt zwischen dem zögernden Gaudenz von Matsch und seinen zum Angriff drängenden Truppen. B. zufolge beruht die Einnahme Roveretos auf einer Art Meuterei der vom jungen Hauptmann Friedrich Kappler angespornten Belagerer. Am Schluß (51v⫺57v) stehen die
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Ereignisse, die zur Berufung Sanseverinos, seinen ersten Manövern und den Versuchen Matschs, die Entscheidung des Konflikts hinauszuzögern, führen. Die ersten sechs fragmenta (58r⫺60v) berichten bündig von der eigentlichen Schlacht bei Calliano, dem Tod Sanseverinos und dem Beginn der Friedensverhandlungen. 3. Das erste Buch des ‘Bellum Venetum’ (‘B. V.’; 670 Hex.) berichtet in ca. 190 vv. von den trojanischen Ursprüngen Venedigs, seiner europäischen Expansion und dem Fall Konstantinopels. Die folgenden 50 vv. preisen Sigmunds Siege, weitere 70 rühmen seine von der virtus Germanica gerahmten persönlichen Vorzüge. In 50 vv. wird die Eignung der Habsburger für die Kaiserwürde erläutert. Wenig mehr als 100 vv. schildern die Kriegsgründe: Zwietracht in der Bevölkerungs Trients, die venezianische Offensive gegen Giovanni di Castelbarco, Bedrückung der Exulanten aus Verona und Padua. Ab v. 530 folgt das in eine Apotheose mündende Lob der Gattin Sigmunds. Von den 874 Hexametern des zweiten Buches (83r⫺98v) sind die ersten 360 vv. der Beschreibung von wunderbaren Vorzeichen der Schlacht gewidmet, darunter der Einsturz eines Berges zwischen Italien und Deutschland, ihr folgt die Deutung der Ereignisse durch einen anonymen Mönch aus Como. Der Rest des Buches (ab v. 462) berichtet von Leben, Taten, visionären Gaben und einer aktuellen Weissagung des Nicolaus vates Helveticorum (D Nikolaus von Flüe). 4. In den ‘Carmina varia’ überwiegt das gegen einen negativen menschlichen Typus gerichtete Epigramm, der Inhalt ist schulmäßig und wenig individuell. Ein Tetrastichon De duce Sigismundo steht vielleicht in Verbindung mit dessen Aktivität im Festungsbau (Sigmundskron). Zwei Epigramme preisen Lorenzo Valla als strengen Moralisten. Das erste Gedicht auf Antonio Urceo akzentuiert die Verbundenheit beider Autoren, im längeren zweiten (55 Dist.) ermuntert B. ihn, seinen moralischen Eifer zu mildern und sich angesichts der Armut dem Bacchus und den Göttern anzuvertrauen.
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5. Die Prosachronik ist unter formalen Gesichtspunkten – darauf weisen auch Schreiberbemerkungen (44v u. ö.) – unvollendet; auch die Abgeschlossenheit des ‘B. V.’ kann infragegestellt werden, insofern die eigentliche Kriegshandlung nicht erreicht wird. B. wollte offenkundig nicht Chronist des Krieges und der Schlacht bei Calliano sein, auch wenn diese das Interesse so vieler, besonders italienischer Autoren hatten, daß sich um den gefallenen Sanseverino und die Talenge von Calliano ein Mythos bildete. B.s Ziel scheint eher eine breit angelegte historisch-politische Konstruktion auf der Grundlage der Feindschaft zwischen Venedig und Habsburg zu sein. In dieser Perspektive ist der Krieg von 1487 nur das letzte Beispiel traditioneller Unlauterkeit Venedigs, zugleich Vorzeichen des Untergangs der militärisch besiegten, von Katastrophen kosmischen Ausmaßes getroffenen Serenissima. In der Polemik gegen Venedig bedient sich B. v. a. des auch von antivenezianischen italienischen Autoren genutzten negativ gewendeten Mythos von Antenor, demzufolge die Republik auf Verrat gründet. Österreich dagegen, durch Sigmund mehr noch als durch Friedrich III. vertreten, ruht auf gegenseitiger Treue von Herrscher und Volk (v. a. Svevi und Helvetii), von Heerführern und Vasallen. Auch Negativbeispiele wie Gaudenz von Matsch sind in die Logik von Treue und Verrat eingebunden. 6. Die lat. Literatur (Ovid, Sallust, Lukrez) liefert B. nicht nur zahlreiche Beispiele, sondern auch ein reichlich benutztes Repertoire für die Formulierung des Werks. Die Kenntnis der antiken Literatur hat dabei auch instrumentellen Charakter: Die deutschen Herrscher (neben Sigmund v. a. Graf Eberhard von Württemberg) werden als Förderer der Wissenschaften dargestellt. 7. Aus historischer Sicht kann B. nicht als glaubwürdiger Chronist gelten, auch wenn er sich häufig auf Augenzeugenschaft beruft. Dagegen ist sein Werk als Zeugnis für den diplomatischen Hinter-
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grund des Krieges, v. a. aber für eine Sigmund gewogene Mentalität von Wert. Dabei ist zwischen den Worten B.s und dem realen Konsens, auf den der nach dem gewonnenen Krieg von 1487 entmachtete Sigmund zählen konnte, zu unterscheiden. 8. Die Rezeption des Werks ist bisher nicht untersucht. Jakob J Wimpfeling berichtet in der ‘Epitoma rerum Germanicarum’ (1505, Kap. 40) davon, daß B. den Krieg von 1487 versu heroico ([37]v) beschrieben habe. Ausgabe mit ital. Übers.: M. Welber, Burcardo di A., Bellum Venetum, Bellum ducis Sigismundi contra Venetos (1487), Carmina varia […] (Rerum Tridentinarum fontes 2), Rovereto 1987. Literatur. A. P. Segesser, Eidgenöss. Abschiede, Bd. 3/1, 1858, S. 137; J. Meyer (Hg.), Eine kurze Beschreibung d. Thurgaus v. Fritz Jacob v. Anwyl, Ritter, Thurgauische Beitr. z. vaterländ. Gesch. 26 (1886) 124⫺136, hier S. 126; E. Friedlaender / C. Malagola (Hgg.), Acta Nationis Germanicae Universitatis Bononiensis […], 1887, S. 230, 232, 235; Knod, Bologna, S. 17, Nr. 104; G. Onestinghel, La guerra tra Sigismondo conte del Tirolo e la Repubblica di Venezia nel 1487, Tridentum 8 (1905) 1⫺21 (ND mit Einl. v. L. De Finis, Calliano 1989), bes. S. 47 Anm.; C. Wirz, Regesten z. Schweizergesch. aus d. päpstl. Archiven 1447⫺1513, H. 4, 1913, S. 187, Nr. 471; A. Scheiwiler, Gesch. d. Chorstifts St. Pelagius zu Bischofszell im MA, Schr. d. Ver. f. Gesch. d. Bodensees u. seiner Umgebung 45 (1916) 193⫺ 294, hier S. 284; P. B¸tler, in: Histor.-biograph. Lexikon d. Schweiz, Bd. 1, 1921, S. 372 f.; G. Gerola, Cronache trentine del Medioevo, Studi Trentini di Scienze Storiche 19 (1938) 21 f. (auch in: Il Brennero, Nr. 173, 23. Juli 1938, S. 7); T. Schiess / P. St‰rkle, Ukb. d. Abtei St. Gallen, Teil 6, 1955, S. 807 (unter Andwil, Ainwil, Ainwille, Ainwllen); A. Lhotsky, Quellenkunde z. mal. Gesch. Österreichs, 1963, S. 424 f.; J. Vˆgeli, Schr. z. Reformation in Konstanz 1519⫺1538 [...], bearb. v. A. Vˆgeli, Halbbd. 2, T. 2, 1973, S. 913; H. Eigenmann, Gesch. v. Andwil, 1978, S. 63⫺69; B. Marx, Venedig – ‘Altera Roma’. Transformationen eines Mythos, QFIAB 60 (1980) 325⫺373, hier S. 330 Anm.; B. Roeck, Die Schlacht v. Calliano 1487. Mythos u. Wirklichkeit, Der Schlern 62 (1988) 433⫺444, bes. S. 434, 440 f.
Mariano Welber
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Buschius, Hermann
Buschius (von dem Busche, van -; Pasiphilus), Hermann(us) Inhalt. I. Leben. ⫺ II. Literaturhistorische Position und Forschungsstand. ⫺ III. Werkbibliographie. A. Eigene und selbständig publizierte Versund Prosaschriften. ⫺ B. Editionen, Kommentare und Schulschriften. ⫺ C. Beiträge und Abdrucke in Werken anderer. ⫺ D. Dubia. ⫺ Literatur.
I . L eb en . Als fünfter Sohn des Burkhard von dem Busche und seiner Frau Barbara von Schedelich aus Dülmen (Westf.) wurde B. 1468 auf der Sassenburg bei Warendorf (Westf.) geboren. Sein Ausbildungsgang führte ihn zunächst nach Münster in die Schule des verwandten Dompropstes Rudolf von J Langen, dann nach Deventer zu Alexander D Hegius, von da aus an die Univ. Heidelberg, wo er noch Rudolf D Agricola hörte. Nach dessen Tod (1485) hielt er sich in Tübingen auf, ging dann aber zu einem angeblich fünf Jahre dauernden Studienaufenthalt nach Italien. In dieser Zeit trat er in Rom vor allem Pomponius Laetus nahe, suchte aber auch den Kontakt mit Philippus Beroaldus d. Ä. (Bologna). Nach der Rückkehr (ca. 1491) erfüllte er Aufgaben am Hof des Münsterschen B.s Heinrich von Schwarzenberg († 1496), soll von dort aus (nach Hamelmann) eine Reise nach Frankreich unternommen haben (Budinszky, S. 135); vielleicht stammt aus dieser Zeit das Gedicht über ein freundliches Gespräch mit Egidius Dolfft, Theologus Parisiensis, im ‘Epigrammaton liber tercius’ (s. u. III.A.6.). Wohl schon 1494 weilte B. in Köln, besuchte jedoch vielleicht Anfang 1495 die Univ. Bologna (dort wird im Jan. 1495 ein Hermannus Busius de Westvalia in die Acta nationis Germanicae aufgenommen; Knod, S. 82). Jedenfalls begann er im SS 1495 an der Univ. Köln seine Vorlesungstätigkeit über lat. Autoren und über die moderne humanistische Poetik. Am 8. Okt. 1495 ließ er sich in die juristische Fakultät einschreiben. Der Aufenthalt in Köln wurde unterbrochen durch Reisen nach Deventer (Glückwunschgedicht zum Besuch des 1497 inthronisierten Utrechter B.s Friedrich IV. von Baden in Deventer;
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s. u. III.A.1.) und nach Roermond (aus dieser Zeit wohl das erst 1504 von Johannes J Murmellius gedruckte Stadtlob ‘In urbem Ruremundensem’). Als Dichter und Lehrer für antike Literatur fühlte sich B. trotz mehrerer Publikationen, darunter weiterhin auch religiöser Lyrik (seit 1498/99 mehrfach gedruckt ‘De [...] dive virginis Marie psalterio triplex hecatostichon’), in Köln nicht genügend anerkannt und teilte das Schicksal anderer humanistischer ‘Wanderlehrer’, denen, von akademischen Rivalitäten und theologischem Mißtrauen ganz abgesehen, die fast durchweg noch unbesoldete Lektur für Poesie im Gefüge der alten Universität kein Auskommen bot. Um 1500 wandte er sich über einige kurze Zwischenstationen nach Rostock (immatr. 1501). Dort geriet er in einen heftigen Streit mit Tilmann Heverling, Rektor der Burse ‘Zum Roten Löwen’. Heverling ließ Schmähgedichte auf B. verbreiten, woraufhin B. nach Greifswald auswich und vielleicht schon dort eine erst aus späteren Ausgaben (Leipzig 1506[?], 1507) bekannte Sammlung der gegen Heverling gerichteten Versinvektiven veröffentlichte (‘Oestrum [‘Roßbremse’] in Tilmannum Heuerlingum’). B. wandte sich 1501 nach Leipzig und unterstützte dort Martin J Polich in dem von Sigismund J Buchwald ausgelösten Streit mit Konrad J Wimpina mit einer als Brief gedruckten Apologie der humanistischen Studien. Polich, der erste Rektor der neugegründeten Univ. Wittenberg, holte ihn zum WS 1502/3 als artis oratorie atque poetice lector conductus (Friedensburg, S. 69) dorthin. In dieser Funktion hielt B. am 18. Okt. 1502 die (nicht erhaltene) Eröffnungsrede und las über Ovid (‘Oratio exhortatoria’, s. u. III.A.10.). Schon im Frühjahr 1503 ging B. jedoch nach Leipzig zurück, wo Hzg. Georg erstmals eine mit Stipendium auf drei Jahre dotierte Lektur für Poesie und Oratorie eingerichtet hatte und B. die Chance nutzte, sich im Herbst 1503 zum Baccalaureus legum promovieren zu lassen (1508 in Köln bestätigt). Ein dem Brief an Polich thematisch verwandtes Gedicht erschien 1503 (s. u. III.C.3.) und 1505 in einem kleinen Sammelwerk
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Buschius, Hermann
mit Briefen von Anhängern B.’ (Hermann Caesar aus Stolberg, Sebastian Rottaler aus Ingolstadt, Andreas Boner aus Landau). Mit zwei Panegyriken warb B. um die Gunst der Leipziger Notabeln (‘Lipsica’; ‘In puellas Lipsenses Senarii’, 1504). Zahlreiche kleinere Carmina v. a. auf Mitglieder der Universität, dazu satirische Epigramme gegen ‘Neider’ und ‘Sophisten’, außerdem eine Reihe von Epitaphien (unter anderem auf Pomponius Laetus und Hegius), sowie eine Versepistel an Philippus Beroaldus d. Ä. vereinigte sein im Sommer 1504 gedruckter ‘Epigrammaton liber tercius’. Daß B. wohl noch vor 1507 sein Leipziger Dienstverhältnis auflöste, hatte wohl auch zu tun mit akademischen Konflikten, über die im SS 1505 verhandelt wurde und die mit Klagen über B.’ angeblich unzuverlässigen Lebenswandel zusammenhingen (Mahnbrief des Johannes J Trithemius an B. vom 1. März 1506, in: M. Freher [Hg.], Johannis Trithemii [...] Opera Historica [...], Frankfurt a. M. 1601 [ND 1966], Bd. 2, S. 488). Zwar gewann B. während seiner Erfurter Zeit (seit der Jahreswende 1507; Kleineidam, S. 182) auch die Unterstützung des J Mutianus-Kreises und wurde in Epigrammen von Eobanus J Hessus, Dietrich J Ulsenius und Joh. J Rhagius Aesticampianus gerühmt (die empfehlenden Stimmen gesammelt in der ersten Ausgabe des ‘Spicilegium XXXV philosophorum’, 1507), doch konnte er in Erfurt nicht Fuß fassen und wandte sich Anfang 1508 zurück nach Köln. Wie schon in Leipzig versuchte er, die Gunst von Stadt und Universität durch ein ehrgeiziges Lobgedicht (331 Hex.) nach dem Muster der Laus urbis zu gewinnen. Der Titel ‘Flora’ nimmt Bezug auf die Frühlingsfeier des 1. Mai 1508; B. sang das Gedicht, wie Glarean berichtet, in jonischer Kirchentonart (s. u. III.A.12.). Als Herausgeber einer Schulschrift verursachte er neue Konflikte. In der Konsequenz von Reformbestrebungen, die er bereits im Umkreis des Humanismus westfälischer Prägung kennengelernt hatte, bemühte er sich um die curriculare Kanonisierung neuer lat. Elementarbücher, d. h. um den Ersatz des mal. ‘Doctrinale’ D Alexanders
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de Villa Dei [NB]. Dazu veröffentlichte er 1509 in Köln eine kommentierte, dann oft nachgedruckte Ausgabe der ‘Ars minor’ des Donat und kritisierte dabei die an vielen Universitäten, darunter auch in Köln, rückständig anmutenden Unterrichtsmethoden. Angegriffen wurde von ihm dabei der ebenfalls an der Kölner Artistenfakultät lehrende Ortwin J Gratius. In der Tat hielt es dieser nicht für eines Studenten würdig, sich an der Universität mit einer Elementargrammatik zu beschäftigen, und erwiderte B. mit aller Schärfe. Daß beider Verhältnis im Gefolge dieses Streits zerstört wurde, trug auch dazu bei, daß sich B., wenngleich durchaus kein Freund der Juden und eine Zeitlang den Anti-Reuchlinisten beigezählt (Begleitepigramm zu Arnolds von Tongern ‘Articuli sive propositiones’, 1512 [s. III.C.9.]; vgl. Overfield, S. 279), in dem zwischen Johannes J Reuchlin und den Kölner Dominikanern ausbrechenden Judenbücher-Streit spätestens seit Sept. 1514 (Brief an Reuchlin im ‘Illustrium virorum epistolae liber secundus’, 1519; Geiger, S. 226 f.; Hutten, Opera, Suppl.-Bd. 2, S. 746 f.) auf die Seite der Reuchlinisten schlug und im regionalen Rahmen offenbar die Unterstützung des gleichgesinnten Dompropstes Graf Hermann von J Neuenahr suchte und fand (1518 an ihn die Widmung des ‘Vallum humanitatis’; zugleich ein offener Brief, v. a. gegen den Dominikaner Jacobus J Hoogstraeten, zusammen mit Reuchlin und Ulrich von J Hutten sowie ein poetischer Nachruf auf den Vater Wilhelm von Neuenahr). Ob und inwieweit B. an der Verfasserschaft, Weitergabe und Drucklegung des wohl Hutten zuzuschreibenden und pseudonym publizierten ‘Triumphus Capnionis’ (geschrieben 1514, publiziert wohl erst 1518; s. u. III.D.1.) beteiligt war, muß offen bleiben. Daß der durchaus humanistisch gebildete Gratius und mit ihm die Kölner Hochschule zur Zielscheibe der J ‘Epistolae obscurorum virorum’ wurden, ist jedenfalls auch auf B. zurückzuführen. Die Forschung neigt dazu (v. a. Bˆmer, 1923; eher skeptisch Brecht), B. als Mitverfasser einiger dieser satirischen Briefe in Anspruch zu nehmen
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(bes. I 9 u. 36, vielleicht 12 u. 39; II 61 u. 62). Einblicke in B.’ Kölner Aktivitäten bietet das gedruckte Principium zu einer Vorlesung über die ‘Nikomachische Ethik’ des Aristoteles (gedr. 1512/3) sowie eine sich aller persönlichen Angriffe enthaltende, im Namen einer kultivierten biblischen Frömmigkeit gegen die Verweltlichung des Klerus argumentierende Synodalrede (Frühjahr 1513). Das 1514 der kommentierten Ausgabe von Claudians ‘Raptus Proserpinae’ vorangestellte Widmungsschreiben an Adolf Eichholtz, einen ehemaligen Schüler und nun Canonicus der Kirche S. Maria ad Gradus, klagt in gereiztem Ton über die gerade in Köln um sich greifende, auch im Mangel an studentischem Interesse erkennbare Bildungsfeindlichkeit. Zwei Briefe an Murmellius (16. Aug. [1512?] u. 6. Jan. [1513 oder 1514]), die ihn im ReuchlinStreit noch unentschieden zeigen, ließ dieser im ‘Epistolarium moralium liber’ abdrucken ([1515?]; bei Krafft/Crecelius, Beitr., S. 55 f., 63⫺65; erneut Krafft/ Krafft, S. 131 f.). In diesen Jahren unterhielt B. enge Kontakte sowohl zu J Erasmus von Rotterdam (Erasmus, Op. epist., Nr. 830, 884, 1109, 1126; G¸nther; Mehl, 1998) als auch zu Hutten. B., Hutten, Erasmus und Reuchlin trafen sich im Frühjahr 1515 auf der Frankfurter Buchmesse (Hutten, Opera, Bd. 1, S. 44). Zu Erasmus’ Ankunft in Köln 1516 schrieb B. ein Ehrengedicht (s. u. III.C.10.). Zwei Carmina steuerte B. zu einem Kölner Druck von Erasmus’ ‘Querela pacis’ (nach 1519) bei: ein ‘Encomion pacis’ und eine Ode, in der sich B.’ Absage an Köln ausdrückt. Ohne Erfolg versuchte Erasmus 1518, B. zu einer Stelle am Collegium trilingue in Löwen zu verhelfen. Auch zu Erasmus’ Kampf gegen Edward Lee trug B. mit einem Spottgedicht bei. Trübungen des Verhältnisses, auch Mißverständnisse ergaben sich als Folge des Zerwürfnisses zwischen Hutten und Erasmus (s. Schnorr v. Carolsfeld, 1884; Mehl, 1998). Mittlerweile hatte B. im Sommer 1516 (wohl durch Hermann von Neuenahr vermittelt) für ein Jahr (bis Aug. 1517) die
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Leitung der ‘Großen Schule’ in Wesel übernommen und verschiedene Schulschriften, dazu sein wichtigstes Werk, die große Programmschrift zur Verteidigung der humanistischen Studien (‘Vallum humanitatis’, 1518; s. u. III.A.21.) abgeschlossen. In diese Zeit fiel der Tod des im Bildungshabitus gleichgesinnten Pädagogen Johannes J Murmellius, den er in einem Epicedion betrauerte (1517). Anschließend hielt sich B. teils in Köln, teils am Oberrhein auf. In Mainz, wo er im Juni 1520 im Hause des Marquard von Hattstein, eines ErasmusFreundes, lebte, schrieb er einen Brief an Erasmus und ein umfangreiches Lobgedicht auf Pfalzgraf Georg bei Rhein, den neuen Bischof von Speyer. Anfang Sept. weilte er in Basel bei Froben, besuchte den Kölner Fürstentag und reiste wohl direkt von dort aus wiederum nach Mainz (dort ab dem 14. Okt. Zusammentreffen mit Kaspar Hedio und Wolfgang Capito; Hutten, Opera, Bd. 1, S. 421). Beim Wormser Reichstag von 1521 (dazu Kalkoff, bes. S. 352; s. u. D.3.⫺4.) gesellte er sich, offenbar mit Drohungen gegen den päpstlichen Gesandten Aleander, zur lutherfreundlichen Partei. Wenn Lazarus Spengler am 11. Dez. 1520 an Willibald J Pirckheimer über Hutten schrieb, dieser habe ainen, den ihr auch kenndt, der reit haimlich, umb dieselben Romanisten auszuspehen (Pirckheimer-Br., Bd. 4, S. 411), war damit vielleicht B. gemeint. Ein in Worms abgefaßter Brief B.’ an Hutten (5. Mai 1521; Hutten, Opera, Bd. 2, S. 62⫺64) beklagt sich jedenfalls über dessen Tatenlosigkeit. Wieder in Basel, beteiligte sich B. am Palmsonntag (13. April) 1522 an einem Spanferkelessen, mit dem demonstrativ, sehr zum Mißfallen des Erasmus, das Fastengebot gebrochen wurde. B. berichtete darüber in einem Brief an Zwingli ([ca. 20. April 1522]; E. Egli [Hg.], Zwinglis Briefwechsel, Bd. 1, 1911 [ND 1981], Nr. 204). Im Jan. 1523 wurde B. ⫺ gewiß nicht ohne Mithilfe des o. g. Speyrer Bischofs, Bruders des Kurfürsten Ludwig V. von der Pfalz ⫺ in Heidelberg zum ersten Inhaber der ordentlichen Lektur für lat. Sprache mit einem jährlichen Gehalt von zunächst 60, dann 80 fl. (Dr¸ll) ernannt. Späte-
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stens im Mai/Juni 1526 verließ B. Heidelberg. Er besuchte den Reichstag von Speyer (dort bezeugt für Aug. 1526) und folgte später einem Ruf Lgf. Philipps von Hessen nach Marburg, der ersten protestantischen Universitätsgründung; dort ist er Ende 1526 bezeugt, von Mai 1527 bis Aug. 1533 als Professor für Geschichte, Rhetorik und Poesie. In diese Zeit fiel seine Hochzeit (1527) mit einer Frau namens Adelheid; ein Sohn, Hieronymus, starb mit fünf Jahren. Neben den Vorlesungen entstanden Kasualgedichte (s. u. III.C. 14.⫺16.). Freundlich-conviviale Kontakte ergaben sich offensichtlich mit dem gleichfalls nach Marburg berufenen Euricius J Cordus, der B. mehrfach in seinen Epigrammen anredet (ed. H. Meibom, 1614, S. 386 u. ö. [Reg.]; S. 524: rühmendes Epitaph auf B.). Anläßlich der Verurteilung zweier Anhänger Luthers in Köln am 3. März 1529 verfaßte B. den Brieftraktat ‘De singulari auctoritate Veteris et Novi Instrumenti’ (s. u. III.A.23.); Joh. Lumpius berichtete ihm am 1. Okt. 1529 von ihrer Hinrichtung (Krafft/Krafft, S. 59⫺61). B. setzte sich bei Martin Bucer (Marburg, Mai 1530; Bucer-Br., Nr. 288) für einen Kölner Glaubensflüchtling ein. Als erasmisch gesonnener Lutheraner wurde B., der sich bereits im Kreis der Verwandten seiner Mutter in Dülmen aufhielt, noch einmal nach Münster geholt. Der B. schon früher bekannte Bernhard Rothmann (Brieffragment R.s an B. vom 6. Sept. 1532, Stupperich, S. 36) hatte sich zur Lehre der Täufer bekannt. Am 7./8. Aug. 1533 fand unter Leitung des lutherischen Stadtsyndikus Johann von der Wieck im größeren Kreis eine theol. Disputation mit Rothmann statt, in der B. die Kindertaufe verteidigte (Ausgabe des nd. Protokolls bei Stupperich, S. 106−119), jedoch, offenbar schon von gesundheitlichen Beschwerden geplagt, der Kontroverse bald aus dem Wege ging, eine angekündigte schriftliche Widerlegung Rothmanns jedenfalls nicht mehr publizierte (Detmer, 1900; Stupperich). Die lat. Übersetzung des Protokolls durch Hamelmann (‘De paedobaptismo, disputata Westphalica contra anabaptistas’) erschien o. O.
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1572. Nach Dülmen zurückgekehrt, starb B. im Hause des Drosten Gottfried von Schedelich im April 1534. Sein Grab fand er in der katholischen Pfarrkirche (Epitaph an einem Pfeiler 1655 noch erhalten, wenngleich schon kaum mehr lesbar). Seine Büchersammlung (etwa 100 Bände) vermachte er der Münsterschen Dombibliothek, die teilweise den Täuferunruhen zum Opfer fiel. Bis 1930 jedenfalls, so Bˆmer, 1930, haben sich mindestens 20 dieser Bände in der UB Münster erhalten; einzelne Exemplare überstanden auch den Zweiten Weltkrieg. Recht viele der Druckexemplare von B.’ Schriften, bes. die Editionen, enthalten Benutzerspuren (bes. Vorlesungsnotate). Sie sind teilweise bei Liessem, 1894⫺1908, erfaßt. I I. Li te ra rh is to ri sc he u nd Fo rs ch un gs st an d.
Po si ti on
An B.’ Leben und Werkspektrum lassen sich im Detail Dynamik und Probleme der akademischen Integration des von Italien inspirierten Humanismus in der Einheit des Philologen, Orator und Poeta doctus ablesen. Ausgehend von der durch Hegius und Langen vorwärtsgetriebenen Schulreform im Dienste einer auch ästhetisch nobilitierten Frömmigkeit, pflegte B. neben den poetischen Kasualformen, die sich zu weitläufigen Panegyriken ausdehnen konnten, vorab gerade die religiöse, ggf. marianische, auch von Baptista Mantuanus beeindruckte Lyrik. Seine wachsende Vorliebe für Plautus, Juvenal und Persius deutet auf ein Interesse an poetischer Moralistik. Mit der erfolgreichen Donat-Edition profilierte er sich als Lehrbuchautor im Rahmen eines “Bursenhumanismus” (Tewes), der allerdings mit dem Reuchlinstreit und im Gefolge einer erasmisch gestimmten Kulturanthropologie antischolastische und antiklerikale Züge annahm. Über Erasmus und Hutten fand B. offenbar den Weg zu seinem späten Luthertum. Sein in acht ‘Sectiones’ oder auch ‘Bücher’ gegliedertes ‘Vallum humanitatis’ (1518) beginnt mit einer weitläufigen Vorrede, die den bildungsfeindlichen Adel zu gewinnen sucht, v. a. aber mit mancherlei anekdotischem Detail (autobiographische Erinnerung an
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eine angeblich 1517 ⫺ in Köln? ⫺ gehaltene bildungsfeindliche Weihnachtspredigt) theologische Vorbehalte gegen die neue Einheit von Sprach-, Verhaltens- und Sachwissen zu bekämpfen sucht. Unter thesenhaften Überschriften, die den Quaestionencharakter durchscheinen lassen, jedoch in einer sehr bewußt nicht mehr ‘barbarisch’-begrifflichen, sondern historischempirischen Argumentationsmethode wird mit einer Fülle antiker, auch griechischer Exempla für die humanistische Transformation der älteren Artes, dabei auch für die Rehabilitierung der Poesie plädiert. Eine wichtige Rolle bei der Rechtfertigung der paganen Autoren spielt die Diskussion der einschlägigen Väterliteratur (v. a. Augustinus, Basilius, Ambrosius, Hieronymus). Praktische Belange offenbaren sich in dem Nachweis des Nutzens der neuen Studien gerade für die Bibelexegese und das Predigtamt. Im letzten Buch vergleicht B. kritisch die zurückgebliebenen Zustände in Deutschland mit dem bereits literarisch zivilisierten Italien, auch mit dem päpstlichen Rom, das hier, gewiß mit Reminiszenzen an den eigenen Italienaufenthalt, von kirchenkritischer Polemik vollkommen freigehalten wird, ja ebenso wie Florenz als Zentrum mäzenatischer Bildungsförderung erscheint (mit Hinweis unter anderem auf Georgios Trapezuntios, Lorenzo Valla, Niccolo` Perotti). Diese mit der lutherischen Romfeindlichkeit kaum zu harmonisierende Synopse mag dazu beigetragen haben, daß B.’ wichtigstes Werk bis ins 18. Jh. nicht nachgedruckt wurde. Viele Einzelheiten von B.’ Leben und Schaffen liegen im Dunkeln, manches, was v. a. von Hamelmann (‘De vita, studiis, itineribus, scriptis et laboribus Hermanni Buschii’, o. O. 1584 [VD 16, H 457]; hg. v. Detmer, 1905) berichtet und dann weitergetragen wurde, erweist sich als fragwürdig, wenn nicht fabulös; neuere weiterführende Forschungen sind spärlich. Sieht man ab von Nachdrucken des 18. Jh.s, Ausgaben kleinerer Carmina (Detmer, 1905; Herding [s. u. III.C.4.]) und Neudrucken der Leipziger und Kölner Stadtlobgedichte (s. u. III.A.7. u. 12.), sind editorische Bemühungen an B. bisher vorbeigegangen. Eine vollständige, durchgehend auf Autopsie beruhende Werkbibliographie unter Einschluß der weit verstreuten
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Kleindrucke, Nachdrucke, Briefe und Beigaben in Werken anderer steht aus. Manche Zuschreibungen sind hypothetisch und deshalb hier als Dubia notiert. Hilfreich und nach wie vor grundlegend sind neben den Kommentaren in Detmers Hamelmann-Edition (1905) die im ND vorliegenden Schulprogramme von Liessem, 1894−1908 (mit erster, bis 1520 reichender Werkbibliographie, im folgenden abgekürzt mit L und der Werknummer). III. Werkbibliographie. A. Eigene und selbständig publizierte Vers- und Prosaschriften. 1. Hermanni Buschii Mona|steriensis. Hecatostica. [Deventer: Rich. Paffraet, nach 17. Sept. 1496]. L II; GW 5799. Glückwunschgedicht zur Inthronisation des neuen Utrechter B.s Friedrich von Baden, Titel Bl. a ijr: Reuerendissimo [...] Frederico Traiectensis ecclesie antistiti [...] ciuitatem Dauentriam [...] inspicienti Hermannus Buschius […] subiectissimus gratulatur. 2. Hermanni Buschii Mo|nasteriensis Carmina. Bl. a iiijr: Carminum tumultuariorum Liber […]. [Deventer: Rich. Paffraet, um 1496/97]. L I; GW 5797. Mit Congratulatio-Gedicht Rudolfs von Langen; Widmungsbrief an Hegius, dazu Gedichten von Hegius und Langen an B. Abdruck von sechs Gedichten B.’ bei Janus Gruterus (Hg.), Delitiae C. poetarum Belgicorum huius superiorisque aevi illustrium, Frankfurt a. M. 1614, Bd. 1, S. 930 f. 3. Hermanni Buschij Mona⫽|steriensis Epigrammaton Senten|tijs vtilibus: et lepore gratissi⫽|mo editum. [Köln]: Joh. Landen, [1498]. L III; GW 5798. Widmungsbrief an Hzg. Friedrich von Bayern, Canonicus in Mainz, Straßburg und Köln (Köln, 21. Jan. 1498). 4. De saluberrimo fructuo|sissimoque diue virginis Ma|rie Psalterio: triplex He|catostichon [...]. [Köln: Retro Minores, 1498/99]. L IV.1; GW 5800. Widmungsbrief an den Kölner Patrizier Johann Rinck (Köln, 12. Juni o. J.); mit Gedichten von B. an Bernhard Sutfeld und von Heinrich J Euticus d. J. an die Leser ([C3]v). Acht weitere Drucke (VD 16, B 9938⫺45), davon wegen Erweiterungen erwähnenswert: […] triplex He|catostichon […] cum alijs ad | eandem quibusdam carminibus elegantissimis | Hermanni Buschij […]. Leipzig: Martin Landsberg, 1503. L IV.2; VD 16, B 9938; dass. [ebd. 1504], mit Begleitgedicht von Andr. Boner an den Leser (L IV.3; VD 16, B 9939); [Köln: Heinr. Quentell, ca. 1506], hg. v. Murmellius mit Cyprians ‘De ligno salutiferae crucis carmen’ u. Claudians ‘Invocatio ad Christum’. L IV.4; VD 16, B 9940; Reichling, S. 63 f., 140, Nr. 10; Münster: Dietr. Tzwyvel d. Ä., [um 1515], hg. v. Joh. Pering. VD 16, B 9944.
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5. Praestabili et rare | eruditionis viro | Martino Mellerstat alias | Polichio ducali phisi|co et litterarum | omnium fauis|sori. [Leipzig: Jak. Thanner, um 1502] (VD 16, B 9937 mit Bd. 25, S. 205; anders L XV: [Leipzig: M. Landsberg, 1504]). Offener Brief an Martin Polich, der die Argumente von dessen ‘Laconismos tumultuarius’ wiederholt (Bauch, Leipzig, S. 132⫺138). 6. Hermanni Buschij Pasiphili | poete non incelebris humani⫽|ores litteras in […] Lip⫽|sensi Academia: publice docentis Epigrammatum Li⫽| ber Tercius. Leipzig: Martin Landsberg, 1504. L XII; VD 16, B 9892. Widmungsvorrede an Joh. Wilde, artium et pontificii iuris Doctori. Unter den poetischen Beiträgen ein Gedicht Otto J Beckmanns. 7. Hermanni Buschij | Pasiphili Lipsica. | […]. [Leipzig: Martin Landsberg], 1504. L XIII.1; VD 16, B 9903. Mit Widmungsbrief (18. Okt. 1504) an den Rat der Stadt Leipzig und einem Odoeporicon Hieronymus J Emsers (10 Dist.). Zu Vorlesungszwecken (Durchschuß, rhetorische Analyse in Marginalien) gedrucktes Stadtlob (Bl. A iijv: de laude cultuque urbis lipsensis Silua cui titulus Lipsica; 435 Hex.). Weitere Drucke: [Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1505]. L XIII.2; VD 16, B 9904 (mit Bd. 25, S. 205); […] cum | Philippi Noueniani Has-| furtini, Scholijs. Leipzig: Martin Landsberg, 1521. L XIII.3; VD 16, B 9905. Mit Begleitepigrammen von Christoph Hegendorff und Joh. Hornburg und Widmungsbrief Novenians an Hzg. Georg von Sachsen. ⫺ Ausgaben: [J. B. Mencken], Ad memoriam Geierianam celebrandam invitat simulque Hermanni Buschii protrahit carmen quod inscripsit Lipsica [...], Leipzig 1727 (L XIII.4); wieder in: ders., Dissertationes literariae [...], Leipzig 1734, S. 231⫺254; E. Ch. F. Eberhard, Conradi Wimpinae [...] descriptiones poeticae [...] una cum Hermanni Buschii Pasiphili Lipsicis [...], Leipzig 1802 (L XIII.5); J. Neff, Helius Eobanus Hessus’ ‘Noriberga illustrata’ nebst verwandten Gedichten [...] (Lat. Litt.denkmäler d. XV. u. XVI. Jh.s 12), 1897, S. 73⫺91. 8. Hermanni Buschij Pasiphili | in puellas Lipsenses Senarij | [...]. [Leipzig: Martin Landsberg, ca. 1504]. L XVI.1; VD 16, ZV 2729. Die weiteren Drucke: Siluula […] | [...] de Puellis | Lipsensibus: cum lepidissima Ouidij, poete fa|bula de amore Pyrami et Thisbes: ex quarto me-|tamorphoseon descripta. [Leipzig: M. Landsberg, ca. 1504]. L XVI.2; VD 16, B 9947; Epistola Augusti⫽|ni Dathi amoris leuitatem impro|bans: cui annexum est Hermanni | Buschii Pasiphili de puellis Lip⫽| sensibus carmen. [Leipzig: Melch. Lotter d. Ä., ca. 1505]. VD 16, B 9948. 9. Panegyricus: Gebehardo: et Alberto [...] Comitibus de Mansfelt et Schrappelei: ac Heldrunchij ducibus. [Leipzig, ca. 1505]. Nach L XVIII.1. Mit
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Brief B.’ an Hermannus Caesar Stolbergius philosophus et theologus. Erneut: Carmen Heroicum in laudem | Gebehardi et Alberti [...] Lipsi olim compositum. | [...]. Leipzig: Melch. Lotter d. Ä., [ca. 1513]. L XVIII.2; VD 16, B 9884. Mit Beiträgen von Veit Werler (Gedicht an den Leser und Brief an Gaspar Meyster, Magister und Schullehrer in Kitzingen). 10. […] | Hermanni Cesaris Stolbergij Epistola ad Buschium. | Sebastiani Rottalis Ingelstatensis alia Epistola ad eundem. | Epistola alia Andree Fabani Landauiensi ad eundem. | Hermanni Buschij Pasiphili Oratio exhortatoria ad eloquen⫽| tie et philosophie Studium. | Eiusdem Nuteticon ad bonas artes. | Eiusdem aliud Sapphicon de virtute et honestis litteris. [Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1505]. L XX; VD 16, B 9906, 9912 u. S 9236. Hauptstück ist die Praelectio zur Wittenberger Ovidvorlesung, deren Thema im ‘Nuteticon ad bonas artes’ (47 Dist.) variiert wird. U. d. T. ‘Sapphicon de virtute et honestis litteris’ wird die ‘Oda de contemnendo mundo’ wiederabgedruckt (s. u. III.C.3.). Neben den auf der Titelseite annoncierten Briefen Herm. Caesars und Seb. Rottalers (Bologna, 11. bzw. 10. Juli 1504) sowie des Andr. Boner (Fabanus) (Krakau, Juni [15]04) enthält der Band noch einen Brief Burggraf Hartmanns von Kirchberg an B. (Fulda, 27. Dez. 1504) sowie B.’ Antwortschreiben (Leipzig, 15. Jan. [1505]), außerdem zwei Epigramme B.’ an Hier. Emser und Michael Drachenfels (de Arce Draconis). 11. [...] | Hermanni Buschij Spicilegium XXXV. illustrium philosophorum | auctoritates vtilesque sententias continens. | Eiusdem in laudem dive virginis Epigrammata quedam. | Epistole item et versus quorundam doctorum virorum ad eundem. | Oestrum in Tilmannum Heuerlingum eiusdem. [Magdeburg: Jak. Winter], 20. Nov. 1507 (nach VD 16, B 9902, 9926 u. 9950; anders L XXV: [Leipzig: M. Landsberg]). Mit Brief B.’ (o. D.) an Joh. Helioreus alias Sunnenbergius in Rostock; Epigramme auf B. von Rhagius, Ulsenius, E. Frangkenbergius (d. i. Hessus), Joh. Steurlin (Sturnus), Christian Beyer; Briefe an B. aus Wittenberg von Dr. iur. utr. Vincentius Ravennas, von Herm. Caesar aus Venedig (1505), Rhagius aus Mainz und Wolfgang Polich an B. (praeceptori suo) mit Antwortbrief an ihn von B. Zu weiteren Drucken s. u. III.B.10. Bibliographisch zweifelhaft ist die Einzelausg. Oestrum seu novus Epigrammatum libellus. Leipzig: o. Dr., 1506 (L XXIII nach Panzer, Ann. VII, 158, 195). 12. H. B. P. | Flora | [...]. Bl. A ijr: In amplissime, clarissimeque vrbis Colonie laudem Sylua. [Köln: Heinr. Quentell Erben], 1508. L XXVIII.1; VD 16, B 9896. Die weiteren Drucke: Köln: o. Dr., 1514 mit Beigabe B.’: Hymnus in gloriosissimum dominice resurrectionis diem. Anno 1514. L
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XXVIII.2; VD 16, ZV 2733. Riesenholzschnitt (9 Bll.) mit einer Stadtansicht Anton Woensams und leicht gekürztem Text, ebd.: Peter Quentell, 1531 (ND Köln 1557) (s. Stohlmann, S. 3−15); mit erweitertem Titel und zahlreichen Beigaben in Vers und Prosa zum Lobe Kölns, Köln 1550 (L XXVIII.3; VD 16, B 9897); ND auf Vermittlung Glareans: [Freiburg i. Br.] 1554. L XXVIII.4; VD 16, ZV 2734. ⫺ Ausgabe: Stohlmann, 1980, S. 19⫺29. 13. Annei Senece mora⫽|lissimi ad Lucillium epistolarum Opus de | viuendi ratione […]. Auctoritates pulcherri|me De morte ex hoc Senece opusculo […] collecte At ab Hermanno buschio diligenter reuise. [Köln: Corn. de Zierickzee, um 1508]. VD 16, S 5779. Ein weiterer Druck: Annei Senece | moralissimi ad Lucillium Epi|stolarum Opus [...]. | Item Vita senece ab Hermanno Buscio [!] recenter digesta. [Köln: Heinr. Quentell Erben, um 1508] (so VD 16, S 5780; anders L XXXIII: [Köln: Corn. de Zierickzee, 1512/13]). Zur Seneca-Vita vgl. L XXXIII Anm. 1. 14. Hermanni Bu⫽|schii Pasiphili Prelectio | in Ethica Aristotelis Colonie frequen|ti Auditorio habita | […]. Köln: Corn. de Zierickzee, [1512/ 13]. L XXXIV; VD 16, ZV 2731. Mit Gedicht des B. In diue Catharine virginis Martyrisque clarissime Agonem ad Ioannem Rosbaccium Erphordiensem Theologum (50 sapph. Strr.). 15. Hermanni buschij pasiphili Ser|mo: Colonie in celebri Synodo ad clerum dictus […]. [Köln: Heinr. Quentell, 1513] (so L XXXV; anders VD 16, B 9946: fragliche Datierung [1509]). Widmungsbrief an Kaspar Steinbeck, Sekretär des Eb.s Ernst von Magdeburg. 16. Carmen scholasticum | Hermanni Buschii | Pasiphili Embrice decantatum | Anno domini Millesimo quin|gentesimo. Quintodecimo. Deventer: Theod. de Borne, 1515. L XXXIX; NK 2580. Lobgedicht (19 asklepiadeische Strr.) auf die Eintracht der Kanoniker in Emmerich, wo sich B. wohl 1515 kurze Zeit aufhielt, mit Wort- und Sacherklärungen. 17. […] | Hermanni Buschii […] Epigramma ad | iuventutem quod nihil | sine labore ad splen⫽|dorem perveniat | [...] Euricii Cordi Epigramma de laude florentissime˛ Academie˛ Erphurdiane˛ | […]. Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1516. VD 16, B 9891. 18. In Acerbum Ioannis | Murmellij Ruremun-| densis obitum, | [...] | funebre lessum, siue | Epicedion. Köln: Euch. Cervicornus, 3. Nov. 1517. L XLIV.1; VD 16, B 9900. Mit Widmungsbrief an Rudolf von Langen (Wesel, 19. Okt. 1517) mit Nachricht über Murmellius’ angebliche Vergiftung (s. Reichling, S. 122 f.) und Epitaph auf Johannes Cellarius; weitere Drucke: Köln: [Heinr. Quentell Erben], 1518 (L XLIV.2; VD 16, B 9901); Alkmaar:
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Joh. Haghen, 1518 (NK 2584) und Köln 1540 (L XLIV.3). 19. Epistolae trium illustri|um virorum, ad Hermannum Comitem Nuenarium. | Eiusdem responsoria una ad Io. Reuchlinum, et al-|tera ad Lectorem | [...]. Köln: Euch. Cervicornus, Mai 1518. VD 16, B 9894. ⫺ Epistolae | trium illustrium vi|rorum, ad Hermannem Comitem | Nuenarium. | [...]. [Hagenau: Th. Anshelm, 1518]. VD 16, B 9893 (vgl. Hutten, Opera, Bd. 1, S. *21, Nr. XIIII.3 u. 4). Offener Brief an Graf Hermann von Neuenahr (12. April 1518) über den schlechten lat. Stil Hoogstraetens in seiner ‘Apologia’ (Peterse, S. 88). 20. De Illustris et Gene|rosi nouaquilae Comitis Guilhelmi obitu, | ad Hermannum et Guilhelmum filios, | [...] hendecasyllabi. Köln: Nik. Caesar, [1518]. L XLV; VD 16, B 9899. Mit Widmungsbrief an die Grafen Hermann und Wilhelm von Neuenahr (Wesel, 2. März [1518]). 21. Hermanni Buschii Pasi|phili Vallum Humanitatis. | [...]. Köln: Nik. Caesar, 12. April 1518. L XLVI.1; VD 16, B 9954. Widmungsbrief (Wesel, 3. Febr. 1518) an Hermann von Neuenahr. ⫺ Ausgabe: J. Burckhardt, Hermanni Buschii [...] vallum humanitatis sive humaniorum litterarum contra obtrectatores vindiciae [...], Frankfurt a. M. 1719 (L XLVI.2); ebd. 21745. 22. Hermanni Buschii […] | Hypanticon [...] Anti|stiti Spirensi, Georgio Co|miti palatino Rheni, | super solenni suo | in Spiram urbem | introitu, di⫽|catum. Basel: Andr. Cratander, 1520. L LIII; VD 16, B 9898. Lobgedicht zur Ankunft des B.s Georg von Speyer am 1. Dez. 1519. Widmungsbrief Capitos (Mainz, 12. Juni 1520), bei dem B. das Manuskript zur Drucklegung hinterlassen hatte, an Thomas Truchseß von Wetzhausen, Domdekan von Speyer; am Schluß zwei kurze Epicedien (7 u. 3 Dist.) auf den Tod Ks. Maximilians. Abdruck bei Janus Gruterus (Hg.), Delitiae poetarum Germanorum [...], Frankfurt a. M. 1612, Bd. 1, S. 833⫺869. 23. De singu⫽|lari Auctori⫽|tate Veteris et Noui Instru⫽|menti, Sacrorum Ecclesiasti⫽|corumque testimoniorum, Li⫽|bri II. Rapsodo Her⫽|manno Buschio, ad | nobilissimum | Equitem Hessum, | Hermannum Doringbergum. Marburg: [Franz Rhode], 19. Juli 1529. VD 16, B 9949. Widmungsbrief an Döringberg vom 4. April [1529]. Herleitung des protestantischen Schriftprinzips ([B8]r: sola scriptura) und der Gewissensbindung daran in zwei libelli (Bibel und Patristik) anläßlich der Verurteilung von Adolf Clarenbach und Peter Fliesteden am 3. März 1529 (ihr Martyrium erfolgte am 28. Sept.) in Köln. Ihre Ankläger (darunter Arnold von Tongern) werden mit Hoogstraeten verglichen; s. C. Krafft, Gesch. d. beiden
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Buschius, Hermann
Märtyrer d. evang. Kirche A. Clarenbach u. P. Fliesteden [...], 1886, S. 92⫺94, 109. 24. Herman|ni Buschii. | Faber. | [...]. [Basel, um 1535]. VD 16, B 9895 (“nach Benz*ing+”; Exx.: Halle, Marienbibl., 6 an 5.3.77; Rostock, UB, Cq-3580.7). Invektive gegen Joh. Fabri (Virtutis ergo, Johannis Fabri, instructa Fabrica; 122 Dist.), den späteren Bischof von Wien, mit In Fabristam responsio (144 Dist.), wahrscheinlich um 1526 entstanden (Detmer, 1905, S. 65 f. Anm. 3). B. Editionen, Kommentare und Schulschriften. 1. Iuuencus presbyter: immen|sam evangelice˛ legis maiestatem heroicis versibus | concludens. [Deventer: Rich. Paffraet, 1491⫺1497]. M. E. Kronenberg, Campbell’s Annales de la typographie ne´erlandaise du XVe sie`cle. Contributions to a new edition, Den Haag 1956, Nr. 1058b. Am Ende ([k8]v): In presbyterum Iuuencum Hispanum Epigramma. ad lectorem (10 Dist.). Die weiteren Drucke mit B.’ Gedicht: [ebd., zwischen 1491 u. 1497]. Cop. 3421; Paris, o. Dr. für Jean Petit, [ca. 1498]. L IX (datiert 1503; s. jedoch V. Sack, Inkunabeln d. UB Freiburg [...], 1985, Nr. 2193); Paris: [Martin Brocard] für Jean Petit, [ca. 1499]. Catalogue des incunables de la Bibl. Nationale, Paris 1981⫺96, J-379; [Köln: Corn. de Zierickzee, um 1500]. Hain 9725; [Leipzig]: Martin Landsberg, 1502. VD 16, J 1245; [Köln, 1510]. VD 16, J 1247; Leipzig: Jak. Thanner, 1512. VD 16, ZV 21175. ⫺ Der VD 16, J 1246, verzeichnete Druck ist mit einer der Deventerer Inkunabeln identisch. 2. Petronius Arbiter | Poeta Satyricus. Leipzig: Jak. Thanner, 1500. L VII; HC 12841. Enthält nur das ‘Bellum civile’ (Sat., Kap. 119⫺124); ein leicht veränderter ND beim selbem Drucker 1508 (VD 16, ZV 12351); vgl. G. L. Schmeling / J. H. Stukkey, A Bibliography of Petronius (Mnemosyne Suppl. 39), Leiden 1977, S. 49, Nr. 3 f. ⫺ B.’ Annotationes in Petronii Arbitri Satyram de vitiis Romanorum recitatae in Academia Lipsica et ex ore eius excerpta a M. P. anno 1501 sind überliefert in: T. Petronii Arbitri [...] Satyricon, cum Petroniorum fragmentis [...], Lyon 1618 [auch 1625 u. ö.], S. 253⫺256 (vgl. L VIII; Bauch, Leipzig, S. 91). 3. Aureum reminis⫽|cendi memorandique perbreue opusculum | […] | In laudem Artis memorie Hermanni Buschij Monasteriensis Epigramma. Köln: Ludwig Renchen, 10. Dez. 1501. VD 16, B 9883 (als B.’ Werk; s. Detmer, 1905, S. 81 Anm. 2). Ein weiterer Druck: Zwolle: Arnold Kempen, 1502. IA 128.169. 4. [Ps.-]Aristotelis ad Alex⫽|andrum Rhetorica | [...], übers. v. Francesco Filelfo. Leipzig: Melch. Lotter d. Ä., 1503. VD 16, A 3599. Titelepigramm des B. an den Leser.
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5. Silius Italicus poeta insig⫽|nis de secundo bello punico. | [...] Hermannus Buschius [...]. [Leipzig]: Martin Landsberg, 1504. L XI.2; VD 16, S 6478. Von B. stammen eine Vita Silii Italici […] breuiter collecta, metrische Argumenta (je 14 Hex.) zu jedem Buch und marginale Glossen. Weitere Ausgaben in Basel: Th. Wolff, 1522 u. 1543 (VD 16, S 6479 u. 6480), Paris 1531, Lyon 1578 u. Genf 1607 (L XI.5⫺7). 6. Amphitryo Plautina | [...]. Leipzig: Jak. Thanner, 27. Nov. 1504. L VIII; VD 16, P 3399. Mit Widmungsgedicht (34 Hendecasyllabi) auf der Titelseite. 7. Plauti Elegantissimi Comici | Curgulio. | [...]. [Leipzig: Jak. Thanner, um 1504]. VD 16, P 3441. 8. Plauti lepidissi comici: | Menechmi. | [...]. [Leipzig: M. Landsberg, um 1505]. VD 16, P 3443. 9. Persij Flacci nobi⫽|lissimi Satyrici vni|cus. sed elegantissi⫽|mus satyrarum liber. | Hermanni Buschii Pasiphili | Epigramma in Persium | Persius loquitur. [Leipzig: Melch. Lotter d. Ä., um 1505]. VD 16, ZV 22694. [Leipzig: Martin Landsberg, um 1507]. VD 16, P 1601. Erster datierter Druck: Leipzig: Melch. Lotter d. Ä., 1511. VD 16, P 1603. Sieben weitere Leipziger Drucke bei Jak. Thanner und Val. Schumann 1512 (2), 1514, 1515, 1516, 1520 u. 1521. VD 16, P 1605, ZV 12306 u. 12307, P 1607, 1608, 1614 u. 1615. Mit Juvenal: Straßburg: Joh. Knobloch, 1513. VD 16, P 1606. Köln 1538. VD 16, P 1624; nur Persius: Magdeburg 1537 u. [1537⫺41]. VD 16, P 1623 u. 1625, mit Juvenal: Basel 1551. VD 16, J 1240. Zu weiteren Drucken s. u. C.13. 10. Hermanni Buschij Spi⫽|cilegium .xxxv. illustrium | philosophorum auctoritates [...]. Leipzig: Martin Landsberg, 1508. VD 16, B 9951. Inhalt wie oben A.11., jedoch ohne die gegen Heverling gerichtete Invektivensammlung. Mit Geleitepigramm des Ulsenius (Titelbl.) und dem Widmungsbrief an Joh. Helioreus. Weitere Drucke allein der Dicta-Sammlung mit differierenden Beigaben ebd., 1508 u. 1511 (VD 16, B 9915 f.); Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 1514 (VD 16, B 9953); Hermanni Buschii Pa|siphili Spi⫽|cilegium .xxxv. illustrium | philosophorum Auctoritates | […]. Deventer: Theod. de Borne für Joh. Inger in Emmerich, [ca. 1515]. NK 3585; L XXII (mit irriger Datierung [1505]). 11. Iuuenalis. in⫽|ter latinos satyrographos fa⫽|cile praecipui. laus. et Commendatio. | […]. Köln: Heinr. Quentell Erben, 1508. VD 16, J 1230. Mit Epigramm des B. Erneut in zahlreichen Drukken: Iuuenalis [...] | [...] opus praeclarum. ebd., 1508. VD 16, ZV 8821; ebd., 1510. VD 16, J 1231; Leipzig: Jak. Thanner, 1517. VD 16, J 1233⫺1235; zusammen mit Persius: Straßburg: Joh. Knobloch, 1513 u. 1518; Basel 1551. VD 16, J 1233, 1235 u.
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Buschius, Hermann
1240. Die Mitarbeit B.’ an der Kölner sowie an früheren Leipziger Juvenal-Ausgaben ([Martin Landsberg], 1502 u. 1504; Jak. Thanner, 1507. VD 16, J 1226⫺1229) ist wahrscheinlich, bedürfte jedoch weiterer Überprüfung. 12. Plauti [...] Aulularia | [...]. [Leipzig]: Martin Landsberg, 1508. VD 16, P 3409. 13. Ualerii Martialis | Electorum Epigrammatum Liber | Primus […] Cum Hermanni Buschij familiarissima | explanatione. […]. Köln: Heinr. v. Neuß, 1509. VD 16, M 1159. Ein weiterer Druck: ebd.: Konr. Caesar, 1519. L LI; VD 16, M 1162. Mit Widmungsbrief an seinen Schüler Karl von Miltitz (Köln, 24. April [1509]) und vier kleinen Carmina. 14. Hermanni Bus|chij Pasiphili. in artem | Donati de octo partibus oratio-|nis Commentarius ex Prisciano. Diomede. Servio. Capro. Agre-|tio. Phoca clarissimis grammaticis. cura et labore non mediocri ad | publicam iuuentutis vtilitatem institutionemque collectus. | [...]. Köln : Heinr. v. Neuß, 1509. L XXX.1. Weitere Drucke: Köln: Heinr. Quentell Erben, 1509. L XXX.2; VD 16, D 2223; Deventer: Theod. de Borne, 1510. NK 4425; Leipzig 1511. L XXX.3; dass., jedoch mit angehängtem abecedarium [...] de elementis literarum: Köln: Quentell, 1513. L XXX.5; VD 16, B 9879. Mindestens sieben weitere Drucke in Köln, Leipzig, Basel und Zürich bis 1553. VD 16, B 2228 f., 2233, 2235, 2242, 2247, 2251; s. Br¸ggemann, Hdb., Sp. 996 f. 15. Cl. Claudiani Proserpinae ra|ptus: Cum Hermanni Buschij | Pasiphili erudito ac familiari commentario: Quem nuper: ex la/|tissima et fusissima (Jani Parrhasij doctissimi viri) enarratione | strictim carptimque collegit in gratiam tyrunculorum | […]. Köln: Martin v. Werden, 1514. L XXXVIII; VD 16, C 4040. Widmungsbrief an Adolf Eichholtz, Canonicus an St. Maria ad Gradus (25. Juli [1514]). Der Kommentar des Giampaolo Parisio (Janus Parrhasius Cosentinus) erschien zuerst in Mailand 1501. 16. Lactantij firmiani | Hymnus paschalis cum nouo nec incu|rioso commentario | [...]. [Köln: Heinr. v. Neuß, um 1514]. VD 16, L 77. Widmungsbrief an den Schüler und späteren Drucker Joh. (I.) Gymnich (o. D.); Bl. [A2]v: Hermanni Buschij Pasiphili in lactancij [...] Hymnum paschalem de resurrectione domini Commentariolus. 17. Breviores Ciceronis Epistolae | in literario ludo Vuesaliensi, ab Hermanno | Buschio in vsum, profectumque iuni|orum comparate˛ atque se-|posite˛. Köln: Euch. Cervicornus, 1517. L XLIII.1; VD 16, C 3072. Auswahl von 75 der ‘Epistolae ad familiares’. Ein weiterer Druck (mit zwei zusätzlichen Briefen): Köln: Joh. I. Gymnich, 1539. L XLIII.2 (danach VD 16, L 3077).
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18. Hermanni | Buschii Pasiphili Deci/|mationum Plautinarum pemptades siue | quinariae, opus mehercule quan|tiuis pretij, ac utilitatis | immensae. [Köln: Euch. Cervicornus, 1518]. L XLVII.1; VD 16, B 9886. Kommentierte Sentenzen aus Plautus in zwei Fünfergruppen mit separatem Titelbl. Zwei weitere Drucke: Her. Bu|schii Pasiphili | Decimationum Plau|tinarum PEMPTAS | sive quinta/|na secunda. (nur Teil 2 erhalten) Köln: [Euch. Cervicornus für] Elisabeth v. Werden, Nov. 1518. VD 16, B 9887; Paris: Simon Colinaeus, 1521. L XLVII.2; IA 128.219. 19. Dictata quae-|dam vtilissima, e Prouerbijs sacris et Ecclesiasti-|co, ad studiosorum quorumque vtilita-|tem, ab Hermanno Bu-|schio collec-| ta. Köln: Konr. Caesar, 1518. L XLIX.1; VD 16, B 9888. Die weiteren Drucke: Köln: [Joh. Soter], 1524. L XLIX.2; VD 16, ZV 23327; [Deventer: Alb. Pafraet], 1519. NK 2581; Antwerpen: Mich. Hillen, 1525. NK 511; [Deventer]: Alb. Paffraet, 1526. L XLIX.3; NK 2582; Antwerpen: Mich. Hillen, 1533. NK 2583. Zu Inhalt und Bedeutung vgl. Mehl, 1993. 20. Diomedis | Grammaticae | Opus tripartitum | […]. Köln: Peter Quentell, 1523. VD 16, D 1842 f. Vgl. Detmer, 1905, S. 96. 21. In Trinummum | Plautinam Lepidissimam simul et | castissimam fabulam | Epe˛nesis. | […]. Worms: Peter Schöffer d. J., 1525. VD 16, P 3459. C. Beiträge und Abdrucke in Werken anderer. Ca. 40 kleinere Beiträge in Werken anderer (v. a. aus den Kölner Jahren) verzeichnet das VD 16; davon müssen in begründeter Auswahl erwähnt werden: 1. In hoc libro continen⫽|tur opera venerandi Baptiste Mantuani Carmelite [...]. Köln: Apud praedicatores (Corn. de Zierickzee), 1500. GW 3243. Zur fünfteiligen Werkausg. steuerte B. (neben Ulsenius, Petrus J Bonomus und Jodocus Badius) Epigramme (je 3, 4 oder 6 Dist.) auf den Titelseiten von Bd. 1⫺4 und eines im 1. Bd. (A ir) bei. 2. Carmen De quadam virgine, que apud Theomarcios patriam armis tegentes, in acie pro pudicicia et libertate vexillum tenuit (50 vv.) im Einblattdruck von Heinrich J Boger, Elegia precipitata super novissima strage in Theomarcia vulgariter Dithmarschen. [Köln: Ludwig v. Renchen, nach 17. Febr. 1500]. Vgl. F. Schanze, Inkunabeln oder Postinkunabeln?, in: V. Honemann (Hg.), Einblattdrucke d. 15. u. frühen 16. Jh.s, 2000, S. 45⫺ 122, hier Nr. *18. 3. Oda de contemnendo mundo et amanda sola virtute et scientia (10 sapph. Strr.) in: F. Baptiste Mantuani | Bucolica Seu adolescentia in decem aeglogas diuisa […]. Straßburg: Joh. Prüß d. Ä.,
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1503. VD 16, S 7169 (⫽ B 9910). 13 weitere Drucke (zwischen 1504 und 1520): VD 16, S 9911⫺9922 u. 9924. 4. Jakob J Wimpfeling, Adolescentia [...] | [...] cum nouis quibusdam additioni/|bus […]. Straßburg: Joh. Knobloch, 1505. VD 16, W 3332. Joh. J Gallinarius nahm in die 2. Ausg. der ‘Adolescentia’ (35r-36r) das De institutione adolescentum ad bonos mores carmen elegiacum (47 Dist.) des B. auf; Philipp J Fürstenberg versah es auf Wimpfelings Bitte mit einem Schulkommentar. Krit. Ausgabe: O. Herding, Jak. Wimpfelings Adolescentia, 1965, S. 269⫺279. 5. Opusculum Ioannis Murmellij de discipulorum | officiis quod Enchiridion Scholasticorum inscribitur. | [...] Hermanni Buschij carmen in vrbem | Ruremundensem Joannis Murmellij ode sa⫽|phica de duplici voluptate. Köln: Martin v. Werden, 1505. VD 16, M 6930. Poetisches Stadtlob. ⫺ Ein weiterer Druck: Zwolle: Peter Os, [ca. 1505]. L XXI; Reichling, S. 139 f.; NK 1564. 6. Empfehlungsgedicht an den Leser (7 Dist.) am Ende von: Ioannis mur|mellij [...] ele|giarum moralium libri quattuor | [...]. Köln: [Heinr. Quentell Erben], 1508. L XXVI mit Abdruck; Reichling, S. 143; VD 16, M 6868. Murmellius lobt B. als patriae gloria magna suae (III 1, v. 69 f.). 7. In Aristotelicorum Ethicorum Commen|dationem Hermanni Buschij pasiphili. | Eulogium ad scholasticum studiosum, in: Opus [...] de moribus ad Nicomachum | Ioanne Argiropylo[!] interprete. Köln: Heinr. Quentell Erben, 1508 (nach VD 16, A 3415). 8. ‘Laus Veneris’ (31 Dist.), in: Andreas J Krapp, […] Carmen | de duobus amantibus capite amarum | exitu iucundissimum. | […]. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, 1508, Bl. [C4]r⫺[C5]r. VD 16, ZV 9200. 9. Epigramm In Iudeos iudeorumque amatores praeposteros. Elogium, in: Articuli siue | propositiones de iudaico fauore nimis | suspecte ex libello theutonico domini Joannis Reuchlin legum doctoris | (cui speculi ocularis titulus inscriptus est) extracte. cum annotationibus [...] Arnoldi de Tun/| geri [...]. Köln: Heinr. Quentell Erben, 1512. L XXXI mit Abdruck; VD 16, R 1307. Auch gedruckt in: Hutten, Opera, Suppl.-Bd. 2, S. 78 f. 10. In Erasmum, Coloniam recens ingressum, carmen (48 Hex.) zur Ankunft des Erasmus in Köln in der letzten Maiwoche 1516, in: Aliquot Epistole | sane quam elegantes Erasmi Ro⫽|terodami et ad hunc aliorum | eruditissimorum hominum [...]. Löwen: Theod. Martens, 1517 (NK 819), Bl. [l3]r⫺v (nach Detmer, S. 84 Anm. 4) sowie in späteren Briefausgaben (zuletzt Erasmus, LB, Bd. 3/1, Sp. 198 f.) im Anschluß an Glareans Brief vom
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5. Sept. 1517 (Op. epist., Nr. 463); vgl. Mehl, 1998, mit Abdruck. 11. ‘Encomion pacis’ (23 Dist.) an Martin Oed (Ude), Offizial des Kölner Erzbischofs, ‘Commendatio pacis’ (37 Dist.) an Hermann von Neuenahr und ‘Oda lyrica’ (mit Absage an Köln, 8 sapph. Strr.), in: D. Erasmi Roteroda-|mi liber bellissimus, cui titulum praetulit, Quere|la pacis vndique gentium eiectae | profligataeqae | [...]. [Köln: Euch. Cervicornus, nach 1519] (so VD 16, B 9890, 9925; vgl. O. Herding, in: Erasmus, ASD IV-1, S. 53 f.; L XLI u. XLIII mit irriger Druckortbestimmung und Datierung). 12. Gedicht gegen Edward Lee (De Leo, non secus ac Baby negligendo, 45 Hex.), Briefe an Erasmus (Mainz, 5. Juni [1519]; Op. epist., Nr. 1109) und an Eucharius Henner (Basel, 18. Aug. [1520]) in: Erasmi | Roterodami Respon-|sio ad annotationes Eduardi Lei. | Apologia Eras. de | In principio erat sermo. | […] | Epistolae aliquot illustrium | uirorum, Lei temerarium loquacitatem tractantium detestantiumque | […]. Basel: Joh. Froben, 1520. L LIV; VD 16, E 3023. 13. Epistola, qua Persiani prologi et primae satyrae argumentum explicatur, in: A. Persii | Flacci Satyrae, lu⫽|culentissima ecphrasi et scholiis [...] Ioan-|nis Murmellij [...] enarratae. Köln: Euch. Cervicornus, 1522. L LV.1; VD 16, P 1616. Auslegung des Prologs und der 1. Satire des Persius im Brief B.’ an Murmellius (Köln, 21. März o. J.); vorangeht der Brief, in dem Murmellius um die enarraciones Persii des B. gebeten hatte (o. D.). Weitere Drucke: ebd. 1525 (VD 16, P 1618) u. 1528 (L LV.2; VD 16, P 1620); Paris: Clemens Wechel, 1531. Die vier weiteren Drucke (bis 1548) bei Reichling, S. 159⫺161. 14. Geneth|liacon Agnetis | primogenitae Philippi Hessorum | principis Autore Hermanno Buschio [...] mit Schriften der Joh. Draconites und Joh. Lorichius. o. O. [15]42. VD 16, ZV 17356. Zur Geburt der ältesten Tochter Lgf. Philipps von Hessen (31. Mai 1527), gedruckt erst nach ihrer Hochzeit mit Hzg. Moritz von Sachsen. Abdruck bei Detmer, 1905, S. 97⫺101. 15. Eccle|siastes Salomonis. | cum commentarijs […] | [...] Iohannis Brentii, | per Hiobem Gast e Ger/|mano in latinum tralatus. [...]. Hagenau: Joh. Setzer, 1528. VD 16, B 3643. Ein weiterer Druck ebd., 1529 (VD 16, B 3644). Widmungsgedicht B.’ an Lgf. Philipp, gedruckt bei Detmer, 1905, S. 101⫺104. 16. Burkhard Mithoff, Annuli | cum sphaerici tum | mathematici usus et structura [...]. Marburg: Euch. Cervicornus, 1536. VD 16, M 5661. Bl. [d6]v ein Epicedion auf Franz Lambert von
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Buschius, Hermann
Avignon († 18. April 1532), als Theologieprofessor B.’ Kollege in Marburg, gedruckt bei Detmer, 1905, S. 102. D. Dubia. 1. Mitarbeit an den J ‘Epistolae obscurorum virorum’ und am ‘Triumphus Capnionis’, den Hutten im Aug. 1514 Reuchlin und Erasmus zeigte (Erasmus, Op. epist., Nr. 636) und der wohl erst 1518 gedruckt wurde (J. Benzing, Ulrich v. Hutten u. seine Drucker, 1956, S. 57 f.). 2. Laudatiuncula | in Alexandrum Gram⫽|maticum: | [...]. [Leipzig: Val. Schumann, 1520]. VD 16, ZV 24561. Ironische Lobrede auf das ‘Doctrinale’; Abdruck mit Zuschreibung an B. bei O. Clemen, Eine unbekannte Satire auf d. Doctrinale d. Alexander de Villa Dei, Zs. f. Gesch. d. Erziehung u. d. Unterrichts 22 (1932) 90⫺98; wieder in: ders., Kl. Schr., Bd. 5, 1984, S. 676⫺684. Clemen schloß aus der Erwähnung des ‘Oestrum’ als einzigen Werks des deutschen Humanismus auf B.’ Verfasserschaft. 3. Passio | doctoris Marthini | Lutheri secun-| dum Marcel-|lum. Dialogus. | Karsthans et Kegelhans. [Straßburg: Joh. Prüß d. J., 1521]. VD 16, B 9928; Passion. D. Mar⫽|tini Luthers/ oder seyn | lydung | durch Marcellum beschriben. | [...]. [Straßburg: Joh. Prüß d. J., 1521]. VD 16, B 9935. Die weiteren Drucke (2 lat., 6 dt.) und krit. Ausgabe: J. Schilling, Passio Doctoris Martini Lutheri. Bibliographie, Texte u. Unters. (QF z. Reformationsgesch. 57), 1989. Die Zuschreibung an B. (als Vermutung durch Clemen, Beitr. z. Reformationsgesch. aus Hss. u. Drucken d. Ratsschulbibl. Zwickau, H. 3, 1903, S. 17 f.; als Tatsache bei Kalkoff, S. 352 Anm. 2), der noch VD 16 folgt, wurde von Schilling, Ausg., S. 97 f. (mit weiterer Lit.), nicht bestätigt. 4. Von Kalkoff, S. 352 f. (vgl. ders., Die Depeschen d. Nuntius Aleander v. Wormser Reichstage übers. u. erläutert, 21897, S. 213 Anm. 1; ders., Der Wormser Reichstag v. 1521, 1922, S. 291), wurde B. die Verfasserschaft an weiteren um 1520 anonym erschienenen Flugschriften der frühen Reformationszeit, so an dem auch Hutten zugeschriebenen satirischen Dialog ‘Hochstratus ovans’ ([Hagenau: Th. Anshelm, 1520]; VD 16, H 4004; zwei NDe in Schlettstadt und Wittenberg: ebd., H 4005 f.; Hutten, Opera, Suppl.-Bd. 1, S. 461⫺488) und der ‘Litanei¬a Germanorum’ (2 Drucke [Worms oder Stuttgart: Hans Werlich, 1521]; VD 16, L 2061 f.; hg. v. W. Weischedel, Bll. f. württ. Kirchengesch. NF 38 [1934] 281⫺306) sowie an dem auf dem Reichstag zu Worms 1521 entstandenen, gegen Philipp J Engelbrecht gerichteten Humanistenscherz ‘Poeta domum emit’ (VD 16, E 1221) zugeschrieben. Die spätere Forschung ist seinen Hypothesen und z. T. zirkulären Argumenten nicht
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gefolgt (vgl. H.-J. Kˆhler, Bibliographie d. Flugschr. d. frühen Reformationszeit, 1991⫺1996, Nr. 1592 f. u. 2220 f.; Schirrmeister, S. 240 f.); allein Weischedel, Ausg., S. 287⫺292, schränkt für die ‘Litanei¬a’ den Kreis möglicher Verfasser auf Hutten und B. ein. 5. Vierstimmiger Satz zum Lied ‘Ein fröhlich Wesen’ eines H. Bucis in Regensburg, Bischöfl. Zentralbibl., Slg. Proske, Ms. C 20; s. R. Birkendorf, Der Codex Pernner. Quellenkundl. Stud. zu einer Musikhs. d. frühen 16. Jh.s (Collectanea Musicologica 6/1), 1994, Bd. 1, S. 82⫺84. 6. Bernhardus Wartenbuch (Pseudonym des B.?), Commentum | seu lectura cuiusdam | Theologicarum minimi super unam seraphicam intimacionem […]. [Straßburg: Joh. Knobloch d. Ä., 1523]. VD 16, W 1237. Ironisch-panegyrischer Kommentar zu der Intimatio, mit der Johann Roman Wonnecker, Rektor der Univ. Basel, im WS 1522/23 zu einer antilutherischen Disputation aufgefordert hatte. Mit satirischem Widmungsbrief im Stil der ‘Epistola obscurorum virorum’ (“Greifswald”, 13. Jan. 1523) Praestantissimo viro domino Iacobo Rymphelingio [!] Schletstatensi [...]. Zuschreibung an B. (mit bedenkenswerten Gründen) von G. Bossert, Theol. Lit.zeitung 32 (1907), Sp. 249. ⫺ Ausgaben. H. Zwicker, in: O. Clemen, Flugschr. aus d. ersten Jahren d. Reformation, Bd. 1, 1907 (ND 1967), S. 253⫺312; Wimpfeling-Br., Nr. 351 (der Widmungsbrief mit allen Erläuterungen). Literatur. J. Burckhardt, De [...] Hermanni Buschii [...] Vita Commentarius [...], in: ders., Ausg. (s. o. III.A.21.), S. 113⫺232; F. J. v. Bianco, Die alte Univ. Köln u. d. spätern Gelehrten-Schulen dieser Stadt, 1. Theil, 1855, bes. S. 639⫺648; Hutten, Opera, Suppl.-Bd. 2, S. 330⫺333; H. J. Liessem, De Hermanni Buschii vita et scriptis commentatio historica, Diss. Bonn 1866; Krafft/ Crecelius, Mitt., S. 54; L. Geiger, Joh. Reuchlins Briefwechsel, 1875, S. 226 f.; K. Kraftt / W. Krafft, Briefe u. Documente aus d. Zeit d. Reformation im 16. Jh. nebst Mittheilungen über Kölnische Gelehrte u. Stud. im 13. u. 16. Jh., 1875, S. 59⫺61, 66 f., 131 f.; A. Budinszky, Die Univ. Paris u. d. Fremden an derselben im MA, 1876, S. 135; L. Geiger, in: ADB 3, 1876, S. 637⫺640; Krafft/ Crecelius, Beitr., S. 55 f., 63⫺65; D. Reichling, Joh. Murmellius. Sein Leben u. seine Werke, 1880 (ND 1963), Reg.; H. Detmer, Beitr. z. Bibliographie d. H. B., Westdt. Zs. f. Gesch. u. Kunst 2 (1883) 308⫺319; H. J. Liessem, H. v. d. Busche. Sein Leben u. seine Schriften, Progr. d. Ks.-Wilhelm-Gymnasiums zu Köln, 1884⫺1889 u. 1905⫺ 1908 (ND 1965) (mit Werkverz. bis 1520); F. Schnorr v. Carolsfeld, Erasmus Albers Beziehungen zu Des. Erasmus Roterodamus, Arch. f.
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Butzbach, Johannes
Litteraturgesch. 12 (1884) 26⫺39; Bauch, Leipzig, Reg.; Knod, Bologna, S. 82 u. 669; H. Detmer, Das Religionsgespräch zu Münster (Westf.) am 7. u. 8. Aug. 1533, Monatshefte d. Comenius-Ges. 9 (1900) 275⫺300; W. Brecht, Die Verfasser d. Epistolae Obscurorum Virorum, 1904, S. 140⫺150; H. Detmer (Hg.), Herm. Hamelmanns Gesch. Werke, Bd. 1, H. 2, 1905, S. 35⫺107; P. Kalkoff, Der Humanist H. v. d. Busche u. d. lutherfreundliche Kundgebung auf d. Wormser Reichstage v. 20. April 1521, ARG 8 (1911) 1⫺39; W. Friedensburg, Gesch. d. Univ. Wittenberg, 1917, S. 13, 19, 69 f.; A. Bˆmer, H. v. d. Busches Anteil an d. Epistolae obscurorum virorum, in: ders. u. a. (Hgg.), Aus Vergangenheit u. Gegenwart. Fg. F. Philippi z. 14. Juli 1923 gewidmet, 1923, S. 86⫺99; H. Weinrich, H. v. d. Busche, ein Vertreter d. rhein.-westf. Humanismus, Diss. masch. Heidelberg 1923 (so gut wie wertlos); F. Gundlach (Bearb.), Catalogus Professorum Academiae Marburgensis, Bd. 1, 1927, S. 313 f.; F. K¸ch, Beitr. z. ältesten Gesch. d. Marburger Univ., Zs. d. Ver. f. hess. Gesch. 56 (1927) 1⫺43, bes. S. 1⫺5; Ellinger, Neulat. Lit., Bd. 1, S. 419⫺427; A. Bˆmer (Hg.), Epistolae Obscurorum Virorum, 2 Bde, 1924; bes. Bd. 1, S. 52⫺57, 93⫺100; ders., in: ders. / O. Leunenschloss (Hgg.), Westf. Lebensbilder, Bd. 1, 1930, S. 50⫺67; W. Trusen, in: NDB 3, 1957, S. 61 f.; Kleineidam, Erfurt 2II, Reg.; R. Stupperich (Hg.), Die Schriften Bernh. Rothmanns, 1970, S. 36, 106⫺119; W. Heinemeyer, Zur Gründung d. ‘universale studium Marpurgense’, in: ders. (Hg.), Academia Marburgensis, 1977, S. 49⫺92, hier S. 73⫺81, 89; J. Stohlmann, Zum Lobe Kölns. Die Stadtansicht v. 1531 u. d. ‘Flora’ d. H. v. d. Busche, Jb. d. Kölnischen Gesch.ver. 51 (1980) 1⫺56; Overfield, Humanism, Reg.; J. V. Mehl, The 1509 Dispute over Donatus: Humanist Editor as Controversialist, Publishing History 16 (1984) 7⫺19; I. Guenther, in: CoE 1, 1985, S. 233 f.; Meuthen, Köln, S. 220 f., 223⫺226 u. ö.; J. V. Mehl, H. v. d. Busche’s ‘Vallum Humanitatis’ (1518). A German Defense of the Renaissance Studia Humanitatis, Renaissance Quarterly 42 (1989) 480⫺506; ders., H. B.’ ‘Dictata utilissima’. A Textbook of Commonplaces for the Latin School, Hum. Lov. 42 (1993) 102⫺125; G.-R. Tewes, Die Bursen d. Kölner Artisten-Fakultät bis zur Mitte d. 16. Jh.s (Stud. z. Gesch. d. Univ. Köln 13), 1993, Reg.; H. Peterse, Jac. Hoogstraeten gegen Joh. Reuchlin. Ein Beitr. z. Gesch. d. Antijudaismus im 16. Jh., 1995, Reg.; J. V. Mehl, H. v. d. Busche’s Poem in Honor of Erasmus’ Arrival in Cologne in 1516, in: ders. (Hg.), In laudem Caroli. Renaissance and Reformation Studies for Ch. G. Nauert, Kirksville 1998, S. 65⫺74; J. Grave, Humanisten in d. Defensive? Zu einer ungewöhnlichen Weihnachtspredigt im ‘Vallum Humanitatis’ d. H. B., in: A. Bih-
336
rer / S. Limbeck / P. G. Schmidt (Hgg.), Exil, Fremdheit u. Ausgrenzung in MA u. früher Neuzeit (Identitäten u. Alteritäten 4), 2000, S. 277⫺ 299; R. Birkendorf, in: 2MGG Personenteil 3, 2000, Sp. 1351 f.; D. Dr¸ll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1386⫺1651, 2002, S. 58 f.; A. Schirrmeister, Triumph d. Dichters, 2004, S. 165, 240 f.
Wilhelm K¸hlmann
Butzbach (Boutzbagius, -achius, Piemontanus), Johannes I . L eb en . Biographisches über B. erfährt man aus fast allen seinen Schriften, besonders jedoch aus seiner Autobiographie ‘Odeporicon’.
B. wird 1477 (nicht 1478) in Miltenberg geboren, wo er ab 1483 die Schule besucht, bis er 1488 zusammen mit einem ‘Beanus’ (älterer Scholar) aus Miltenberg seine abenteuerliche Wanderung als fahrender Schüler beginnt. Statt ihn zu beschützen, nutzt ihn der ältere Schüler jedoch grausam aus, so daß B. ihm 1490 in Eger (Cheb) entläuft. Hier wird er von einem böhmischen Adeligen, Purkart von Sichlau, entführt, bis er sich 1494 aus Böhmen wieder nach Miltenberg flüchten kann. In Aschaffenburg beginnt er eine Lehre als Schneider. Zwei Jahre später fühlt er sich zum religiösen Leben hingezogen und tritt Ende Aug. 1496 als Laienbruder ins Kloster St. Johannisberg im Rheingau ein. Hier begegnet er Johannes J Trithemius, der später dominierenden Einfluß auf ihn ausüben wird. Ohne formale Erlaubnis des Abtes entfernt sich B. ein erstes Mal aus dem Kloster, um ⫺ mit einem Empfehlungsbrief des Petrus J Sorbillo ⫺ die Schule von Alexander D Hegius in Deventer zu besuchen (Winter 1497/98), doch hier scheitert er vorerst wegen materieller Not und Krankheit. Erst nach dem zweiten Abschied vom Kloster (Aug. 1498) wird ihm eine regelmäßige Teilnahme am Unterricht in Deventer möglich; 1499 zieht er als ‘Quintaner’ ins Haus der Brüder vom gemeinsamen Leben. Im Herbst 1500 beschließt er, Benediktiner zu werden, und reist nach Maria Laach, wo er 1501 Novize wird; 1502 legt er die Gelübde ab und
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Butzbach, Johannes
wird zum Priester geweiht. 1503 wird er Novizenmeister; im selben Jahr beginnt er zu schreiben. 1507 wird er zum Prior gewählt, doch unbestritten bleibt er im Kloster nicht: seine literarischen Tätigkeiten, so der Vorwurf, lassen ihn seine klösterlichen Pflichten vernachlässigen. 1509 nimmt er brieflich mit Trithemius Kontakt auf, der die bestimmende Figur in seinem Schaffen bleiben wird. Zu seinem Beziehungsnetz in der Gelehrtenwelt gehören ferner Rutger J Sycamber von Venray, Hermann J Buschius, Paul J Lang und Wolfgang J Trefler. Gesundheitlich angeschlagen verbringt er die letzten Jahre seines Lebens mit dem Verfassen weiterer Werke, bis er am 29. Dez. 1516 in Laach stirbt. I I. We rk . B. schrieb ausschließlich lateinisch, Poesie und Prosa. Aus allen Schriften ragt seine Autobiographie ‘Odeporicon’ als originelles und nach seiner Qualität überzeugendes Werk hervor. B.s Werke reflektieren den Konflikt zwischen klösterlichem Bildungsstreben und der Ablehnung jeglichen weltlichen Ruhms durch literarisches Schaffen, einen Konflikt, dem er selbst zum Opfer fiel. Während er als junger Mönch voll Bewunderung und Optimismus eine neue Zeit der klösterlichen Bildung heraufziehen sieht, zu der er selbst beitragen will und die er in seiner Schulzeit in Deventer zuvor erfahren hat, gerät er schon bald nach 1507 ins Schußfeld der Kritik aus den eigenen Reihen. Lassen sich für seine frühen Werke neben dem ‘Narrenschiff’ Sebastian J Brants und der lat. Schullektüre keine literarischen Vorbilder identifizieren, stellt man unschwer fest, daß seine späteren Werke ganz dem Benediktinerabt Trithemius verpflichtet sind. Als typischer monastischer Schriftsteller widmet B. seine Werke vor allem mehr oder weniger namhaften Personen aus seinem eigenen Umfeld. Die markante Ausnahme bildet auch hier das ‘Odeporicon’, das er seinem Halbbruder Philipp Trunk
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(Haustulus) widmet und dessen Zweck deutlich erkennbar der Versuch ist, ihn zum Eintritt in sein Kloster zu bewegen. B. begann seine schriftstellerische Laufbahn als Novizenmeister; dieser Funktion sind seine frühen Werke zuzuordnen. Mit seinen Kompilationen (s. u. B.1.⫺3.) sammelt er Materialien, wie er sie für seinen Unterricht braucht und in denen er bereits den Fortschritt der Bildung darzustellen beginnt. Im Zuge der zunehmend deutlicher zu spürenden Kritik, die er von Mitbrüdern erfährt, distanziert er sich von seinen satirischen Frühwerken und widmet sich fortan der Verteidigung seines großen Vorbildes Trithemius. Aus dieser Lage vermag er sich bis an sein Lebensende nicht mehr zu befreien. Wieweit B.s seit 1509 zunehmend beobachtbare Äußerungen der Kritik gegen alle weltliche Bildung eher einer persönlichen inneren Wende als der Rücksichtnahme auf die Verhältnisse in Laach und im Orden zuzurechnen sind, steht dahin (vgl. Resmini, 1997, S. 77). Überlieferung. Haupthss.: Berlin, SBPK, Ms.lat.fol. 189 u. 351. Vgl. Rose, S. 1278⫺1282, Nr. 995 u. 996; Resmini, 1993a, S. 72, Nr. 46 u. S. 71, Nr. 44. – Bonn, UB, S 355, S 356, S 357, S 358. Vgl. A. Klette, Catalogi Chirographorum in Bibliotheca Academica Bonnensi servatorum vol. I, fasc. III, 1860, S. 98⫺100; Bˆcking, in: Hutten, Opera, Suppl.-Bd. 2, S. 438⫺442; Resmini, 1993a, S. 72⫺74, Nr. 51, 47, 48, 49; eingehende Beschreibung von S 356 bei R¸hl, S. 11−17. – Köln, Hist. Arch. d. Stadt, W 352. Vgl. J. Vennebusch, Die theol. Hss. d. Stadtarchivs Köln, Bd. 4: Hss. d. Slg. Wallraf, 1986, S. 175⫺181; Resmini, 1993a, S. 74, Nr. 50. Die Haupthss. wurden sämtlich zu B.s Schaffenszeit in Laach geschrieben. Während die Berliner und die Bonner Hss. teilweise autographe, teilweise von verschiedenen Schreibern erstellte Arbeitsbücher sind, in denen sich immer wieder Nachträge und andere Spuren der Überarbeitung finden, ist die Kölner Hs. eine erst spät, um 1514 entstandene Sammlung von B.s poetischen Werken, die bei der Gelegenheit dieser Zusammenstellung aber ebenfalls überarbeitet wurden; ihre kritische Schärfe wurde ihnen dabei zu einem Teil offensichtlich genommen. Im Druck ist zu Lebzeiten B.s keines seiner Werke erschienen.
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Butzbach, Johannes
A . P oe si e. Mit einigen Ausnahmen sind alle poetischen Werke B.s nur in der Kölner Hs. (im folgenden ⫽ K) erhalten, doch ohne chronologische Ordnung. Sie werden hier nach ihrer bezeugten Datierung und ihrer (wahrscheinlichen) Chronologie aufgeführt.
1. ‘Carmen [...] ad novicium in religionis observantia et monastica disciplina proficere volentem protrepticon [...]’ (1503). In durchweg an die moralistische Schullektüre anklingenden Distichen erteilt B. in diesem Erstlingswerk Ratschläge an Schüler, besonders an Novizen. – Bonn, UB, S 357, 25r–29r (erste Fassung); K, 94r–99v (zweite, erweiterte Fassung). 2. ‘Satire elegiace [...] de malis ex neglectu studii provenientibus’ (1503). In starker Anlehnung an Brants ‘Narrenschiff’, das er in der lat. Fassung Jakob J Lochers benutzte, geißelt B. in drei Büchern Faulheit und fehlenden Eifer der ungebildeten Mönche. Die dem Laacher Abt Simon von der Leyen 1503 gewidmeten Satiren schossen ein wenig über das Ziel hinaus, so daß B. sie in einer zweiten Fassung (nun in vier Büchern, teilweise unvollendet, mit einer Apologia sive excusatio pro ingenii vehementia, wohl 1505) entschärfte. – Bonn, UB, S 357, 2r–24r (erste Fassung); K, 107r–150v (zweite Fassung). 3. ‘De plebanis’. In der Form eines poetischen Briefes an Philipp Virneburg, Pfarrer in Monreal, greift B. die Moral der Weltpriester an; dabei stützt er sich wiederum ausgiebig auf das ‘Narrenschiff’. – K, 318r–323v. 4. ‘Panegiris [...] ad studiosum fratrem Jacobum Siberti’ (um 1505 ?). In Jakob J Siberti hatte B. einen treuen Schüler und einen Verteidiger seines Studieneifers gefunden. – Bonn, UB, S 357, 29r⫺30r, u. S 247, 8r⫺9v; K, 100r⫺103v. 5. ‘Carmen panegyricum [...] ad litteratam devotamque sanctimonialem Aleydem virginem’. B. dankt Aleidis Raiscop, Benediktinerin in Rolandswerth, mit Rühmung ihrer Klugheit und Gelehrsamkeit für eine ihm übersandte Schrift. – Bonn, UB, S 357,
340
30v⫺32v; K, 104r⫺106v. Ausgaben: Fertig, S. 57⫺59; Kossert, S. 38⫺44 (mit
Faksimile).
6. ‘Microstroma […] de laudibus Trithemianis’ (1508). Die leidenschaftliche Verteidigung des Johannes Trithemius ist ein poetisches und wesentlich konzentriertes Pendant zum riesigen ‘Macrostroma’ (B.6.). Gewidmet dem Jugendfreund Johannes Kitzinger. Das Werk erhielt eine erheblich erweiterte zweite Fassung. – Bonn, UB, S 357, 45r⫺ 67v; K, 50r⫺87v (erweiterte Fassung). 7. Paul Langs Replik ‘Contra deliramenta Jacobi Wimpfelingii’ (1510) geht ein Tetrastichon B.s voran. – Würzburg, UB, M.ch.q. 63, 3r. 8. ‘Elegia ad Deum [...] humanas plangentis miserias’. B.s Klage über das weltliche Priestertum und die großen Herren verwahrt sich zugleich gegen Kritik am Mönchtum. – K, 246v–256r. 9. ‘Epistola sive carmen [...] ad fratrem Philippum Haustulum [...] in studia humanitatis [...] conscripta’. Anläßlich des Eintritts seines etwa 13 Jahre jüngeren Stiefbruders Philipp Trunk 1508 in das Zisterzienserkloster Bronnbach distanziert sich B. von der weltlichen Bildung und den Musen. – K, 37r–41r. 10. Epigramm als Antwort auf eines von Johannes J Flemminck. – K, 44v. 11. ‘Carmen de laudibus sacre scripture’. B. läßt nur noch die Gottesgelehrsamkeit gelten. Mit einer reuigen Rückschau auf die ‘Jugendsünden’ in den ‘Satire elegiace’ (s. o. A.2.). Widmung an Ph. Trunk. – K, 284r–293v. 12. ‘Carmen […] de laudibus psalterii ad fratrem Petrum’. – K, 256r–263r. 13. ‘Carmen in sollemnitate dominice nativitatis ex tempore meditatum’. Weihnachtspredigt für B.s Schüler in der Form eines Gedichtes. – K, 25r–34v. 14. ‘Epigrammata cheristica […] ad […] virginem Mariam’. 29 Epigramme an die Jungfrau Maria. – K, 203r–216v.
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Butzbach, Johannes
15. ‘Carmen […] panegiricum ad beatem Mariam virginem’. – K, 216v–221v. 16. ‘Carmen ad […] dominam nostram Lacensis monasterii patronam’. Bittgedicht an Maria um Schutz für das Kloster. Es enthält eine realistische Schilderung der Zustände in Laach. – K, 222r– 231v. 17. ‘Panegiricon […] de laudibus beatissime Anne’. – K, 232r–238v. 18. ‘Cheristica […] ad patronos suos’. Unter den 82 meist kürzeren Gedichten an seine Beschützer (Heilige, Gott, Engel) findet sich auch eines in griech. Sprache (238v). – K, 238v–246v. 19. ‘Carmen hexametrum de laudibus divi patris nostri Benedicti’. – K, 263r– 275v. 20. ‘De commendacione celle viteque solitarie’. An Ph. Trunk im Zisterzienserkloster Bronnbach. – K, 276r–283v. 21. ‘Epistola sive tractatus de differentia et qualitate stili’ (1514). Das Bekenntnis zum Sermo humilis der Hl. Schrift und der Kirchenväter wider die Eitelkeit rhetorischer Schreibweise wird zum Ausgangspunkt einer grundsätzlichen Verdammung aller weltlichen Bildung. Zwar werden Aeneas Silvius D Piccolomini, J Erasmus, J Reuchlin genannt, doch sagt der Mönch der humanistischen Orientierung ab und distanziert sich so auch von den eigenen frühen Gedichten. Widmung an Gregorius Euphalianus. – K, 150v–202v. 22. ‘Silvula variorum carminum extemporalium’ (vor 1515). Ein unfertig gebliebenes Florilegium aus alten Schriftstellern als Neujahrsgeschenk für Ph. Trunk, mit einer Widmung in Hexametern. – K, 294r–310r. 23. ‘In diram abbaticidam maleficam Lacensis nosecomii [!] perfidissimam hospitam’. Abstoßende Schilderung der Verbrennung einer als Hexe verdammten Pfründnerin des Klosters, der eine Vergiftung des 1512 verstorbenen Abtes Simon von der Leyen zur Last gelegt wurde. – K, 310v–
342
317v. Teildruck bei J. Hansen, Quellen u. Untersuchungen z. Gesch. d. Hexenwahns, 1901, S. 602⫺606. B . P ro sa . 1. ‘De illustribus seu studiosis doctisque mulieribus’ (vor 1505). Eine Kompilation in vier Büchern, von denen das 1. Frauen des AT von Eva an gewidmet ist, das 2. mit stark misogyner Tendenz Frauen des heidnischen Altertums, das 3. Maria, das 4. Frauen der christlichen Ära. Hauptquelle war, von B. selber angegeben, die Schrift ‘De plurimis claris electisque mulieribus Christianis’ des Jacobus Philippus Foresta (1487). Die vor 1505 verfaßte Schrift erhielt 1510 und 1511 Nachträge über zeitgenössische Frauen, darunter Caritas D Pirckheimer. Widmungsvorrede an die Nonne Aleidis (s. o. A.5.). – Bonn, UB, S 356, 49r–130v. Teildrucke: Fertig, S. 40−57 (mit den Nachträgen); Kossert, S. 33⫺37. 2. ‘Libellus de claris picture professoribus’ (1505). Nach einer bisher noch nicht näher bestimmten italienischen Quelle, die im wesentlichen von Plinius’ ‘Historia naturalis’ (XXXV 34 ff.) ausgeht, kompilierte B. das zeitgenössische Wissen über die Malerei. Von der Malerei seiner Zeit hat er jedoch offenbar keine Kenntnis; er nennt keinen der großen Namen. Widmung an Gertrud von Büchel, Nonne auf Rolandswerth, als Dank für Malereien, die sie nach Laach geschickt hatte. – Bonn, UB, S 356, 131r– 138v. Ausgaben. A. Schultz, Jbb. f. Kunstwiss. 2 (1869) 60⫺72; O. Pelka, J. B., Von d. berühmten Malern. 1505. Mit d. Urschrift in Nachbildung hg. u. übers., 1925.
3. ‘Philosophilogium’ (1505). Eine Sammlung des Novizenlehrers aus antiken Autoren, beginnend mit den Sieben Weisen, geteilt in Prosaiker, Dichter und gemischte Exzerpte, im übrigen aber ohne erkennbare Ordnung (vgl. Rose, S. 1282). Mit autobiographisch und bildungsprogrammatisch gewichtigem Widmungsbrief B.s an seine Lehrer in Laach. – Berlin, SBPK, Ms.lat.fol. 351, 3r–267r.
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4. ‘Odeporicon’ (1506). B.s Hauptwerk, seine Autobiographie, schildert in drei Büchern sein bewegtes und abenteuerliches Leben bis zum Eintritt ins Kloster Maria Laach. Das ‘Odeporicon’ ist Autobiographie und Reisebericht zugleich; das Bindeglied der beiden Gattungen ist die Metapher vom Lebensweg. Die Reise führt von den Irrfahrten des Knaben über sein Studium in Deventer zur Stabilitas der benediktinischen Lebensform in Maria Laach. B.s Autobiographie ist ein erstaunlich originelles und lebendiges Dokument, das die Dramatik und Spannung der eigenen Erlebnisse und Erfahrungen in der Welt mit einer immer wieder verblüffenden Intensität beschreibt. Ohne sich auf formale oder stilistische Ansprüche einzulassen und offensichtlich auch ohne ein einschlägiges Vorbild, teilt B. seinem Halbbruder sachlich, oft humorvoll, präzise, eingehend und aufrichtig mit, wie er von einer wohlbehüteten Kindheit ins Elend geraten ist und sich durch Klugheit und Witz wieder daraus zu befreien gewußt hat. Ungeachtet des autobiographischen Tenors bediente B. sich mancherlei literarischer Quellen, u. a. der Weltchronik Hartmann J Schedels (für Stadtschilderungen) und verschiedener Schriften des Aeneas Silvius. – Bonn, UB, S 356, 1r–48v.
genständigen Texten. B.s Beziehung zu Trithemius geht auf das Jahr 1496 zurück, als er Laienbruder und Klosterschneider in St. Johannisberg im Rheingau war. Seine Verehrung für Trithemius dürfte v. a. durch Hegius in Deventer gewonnen haben, da dieser über Trithemius predigte. Als Benediktiner der Bursfelder Kongregation war B. zudem mit verschiedenen Schriften des Trithemius in Kontakt gekommen. Da er von dessen unrühmlicher Resignation in Sponheim erfahren hat, beginnt er, ihn gegen die gleichen finsteren Mächte zu verteidigen, die auch ihm in Laach das Leben schwer machen. Das Werk ist eine unglückliche, verwirrende Sammlung von Materialien, die in dem poetischen Gegenstück ‘Microstroma’ (s. o. A.6.) einen verfeinerten Ausdruck gefunden hat. Inhaltlich völlig unübersichtlich, enthält es jedoch – in schwer auffindbaren Passagen – wertvolle Hinweise zu historischen Einzelheiten und vor allem viel Biographisches zu B. selbst und zu ihm bekannten Personen. Das ‘Macrostroma’ wurde von B. überarbeitet und ist in zwei Fassungen überliefert. Widmung an B.s Schüler Jakob Siberti. – Berlin, SBPK, Ms.lat.fol. 189, 4v⫺234v, 14 Bücher; Bonn, UB, S 357, 70r⫺228r (Teil 1) u. S 358, 1r⫺206r (Teil 2), 17 Bücher.
Ausgabe. Beriger, 1991. Separate dt. Übers.: ders., J. B., Odeporicon. Wanderbüchlein (Manesse Bibl. d. Weltlit.), 1993.
7. ‘Apologia […] ad […] Joannem Tritemium pro lucubrationibus suis’ (Okt. 1509). Die Verteidigung seiner Schriften gibt B. Gelegenheit, auch den weiteren Verlauf seines Lebens zu schildern. – Berlin, SBPK, Ms.lat.fol. 189, 236r–243v (unvollständig); Bonn, UB, S 358, 215r–229v. Auszüge bei Gieseler, S. 29 f. u. 35; Teildruck: Fertig,
5. ‘Tractatus […] de regimine seu cura claustrali’ (Okt. 1508). Ratschläge, die teilweise auf die ‘Regula Benedicti’ zurückgehen, teilweise unter dem Einfluß von Trithemius’ Schriften stehen, besonders seines Traktats ‘De regimine claustralium’ (1486). Widmung an den jüngst zum Abt von Johannisburg gewählten Confrater Friedrich. – Bonn, UB, S 358, 229v⫺244v. 6. ‘Macrostroma [...] de philosophicis laudibus Tritemianis’ (1509). Das monumentale ‘Macrostroma’ (‘großes Gewebe’), B.s umfangreichstes Werk, widmet sich einer vehementen Verteidigung seines Vorbildes Trithemius. Es besteht teils aus Kompilationen, teils aus ei-
S. 66−94.
8. ‘Clipeus in deliramenta Ja(cobi) Wymphelingii’ (1509). Der heftige Einspruch des Trithemius gegen Wimpfelings Bemerkungen über das Mönchtum in seiner Schrift ‘De integritate’ (1505) veranlaßte neben Paul Lang u. a. auch B. zum Protest. Er kannte Langs Replik offenbar in einer früheren Fassung als der erhaltenen. In der Sache beschränkt er sich auf den Nachweis, daß Gregor d.
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Butzbach, Johannes
Gr. und Beda entgegen Wimpfelings Behauptung Mönche gewesen seien. Aufgrund seiner Parteinahme geriet B. in den J ‘Epistolae obscurorum virorum’ (II 63 App. 1: Iohannes Piemont) in die Reihe angeblicher Gegner der Humanisten. – Bonn, UB, S 357, 227v–236v. 9. ‘Relatio sive peroratio […] de laudibus et virtutibus Jacobi de Fredis’ (1511). Eine zur Gedächtnisschrift ausgearbeitete, eng an Trithemius’ Kapitelreden angelehnte Leichenrede auf den 1511 verstorbenen früheren Laacher Prior Jakob von Vreden, der um die Klosterreform verdient war, ohne freilich der gelehrten Bildung der Mönche viel Gewicht zu geben. Widmungsbrief an B.s Schüler und Mitarbeiter Valerius von Mayen. – Bonn, UB, S 355, 1v–68v. Auszug aus der Peroratio: Gieseler, S. 24 f. 10. ‘Auctarium de scriptoribus ecclesiasticis’. Als Ergänzung zu Trithemius’ Liste ‘De scriptoribus ecclesiasticis’ (1494) sammelte B. Lebensdaten und Hinweise auf Schriften aller Autoren, die ihm zugänglich waren. Während er anfänglich nur Benediktiner in das Werk aufnehmen und dadurch die Bedeutung seines Ordens in der Welt der Gelehrten dokumentieren wollte, weitete er sein Arbeitsfeld im Laufe der Zeit aus und stellte offenbar bis zum Ende seines Lebens insgesamt 1178 (einschl. der Dubletten) Artikel zusammen, die von Schriftstellern der christlichen Spätantike bis in seine Gegenwart reichen (Verzeichnis mit Quellen- und ggf. Drucknachweisen bei R¸hl, S. 18⫺118). Die ohne chronologische oder sonstige Ordnung hergestellte Sammlung ist zu etwa einem Drittel mehr oder minder wörtlich Hieronymus, Gennadius, Jacobus Philippus Foresta, Trithemius (‘De viris ill.’) u. a. entnommen; zum andern sind vielfach spärliche Zeugnisse, auf die B. in Briefen oder zeitgenössischen Drucken gestoßen war, durch phantasievolle Zutaten zu Biogrammen ergänzt und aufgeschwellt worden. B. unterscheidet nicht zwischen Autoren, die den Namen verdienen, und solchen, die nur einzelne Widmungsepigramme geliefert ha-
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ben. Quellenwert haben nur die Artikel des ‘Auctarium’, die über Zeitgenossen handeln, welche er selbst kannte. – Bonn, UB, S 356, 157r–314v, Nachträge 144v⫺ 156v. Unter den von Gieseler (S. 21−27), Bˆcking (Hutten, Opera, Suppl.-Bd. 2/2, passim), Krafft/Crecelius (Mitt. u. Beitr.) und Knod besorgten Abdrucken sind im wesentlichen alle diejenigen, denen Quellenwert zukommt. C . B ri ef e. Von B.s Korrespondenz, zu der hier nicht die Widmungsvorreden und begleitenden Briefe seiner Schriften zählen, sind nur wenige Stücke erhalten; sechs, die in eine der Haupthss., und zwei, die in die Hs. S 247 der UB Bonn eingetragen wurden. Die Briefpartner sind Siberti, Trunk, Trithemius, Flemminck und ein sonst nicht bekannter Johannes Segenius. Verzeichnis der Briefe bei Beriger, 1991, S. 81. Literatur. Bibliographie (bis 1990): Beriger, 1991, S. 454⫺487. – J. C. L. Gieseler, Symbolae ad historiam monasterii Lacensis e codicibus Bonnensibus depromptae, in: Sacra natalitia [...] Friderici Guilelmi III. regis Borussorum [...] ab alma universitate Borussica Rhenana [...] celebrata, Bonn 1826, S. 3⫺36; Krafft/Crecelius, Mitt.; Krafft/Crecelius, Beitr.; F. Otto, Die Beschreibungen d. Rheingaus v. Barth. Anglicus u. J. B. aus d. XIV. u. XV. Jh., Ann. d. Ver. f. Nassauische Alterthumskunde u. Gesch.forschung 17 (1882) 11⫺16; G. Knod, Zur Kritik d. J. B., Ann. d. Hist. Ver. f. d. Niederrhein 52 (1891) 175⫺234; P. Richter, Die Schriftsteller d. Benediktinerabtei MariaLaach. Stud. z. rhein. Kloster- u. Litteraturgesch., Westdt. Zs. f. Gesch. u. Kunst 17 (1898) 41⫺115 u. 277⫺340, hier S. 281⫺335; V. Rose, Verz. d. lat. Hss. d. Kgl. Bibl. zu Berlin, Bd. 2/3, 1905, S. 1278⫺1282; H. Fertig, Neues aus d. lit. Nachlasse d. Humanisten J. B. (Progr. d. K. Neuen Gymnasiums Würzburg f. d. Studienjahr 1906/7), 1907; P. Volk, Das Todesjahr d. Laacher Priors J. B., Benediktin. Monatsschr. 8 (1926) 307 f.; K. R¸hl, Das Auctarium de scriptoribus ecclesiasticis d. J. B., 1937; St. Hilpisch, Unbekanntes aus d. Priors J. B. Laacher Zeit, Stud.Mitt.OSB 56 (1938) 151⫺160; O. Bonmann, Das Auctarium d. J. B. († 1516/17) u. seine Bedeutung f. d. franziskan. Lit.gesch., insbes. d. Provincia Coloniensis OFM, Franziskan. Stud. 27 (1940) 160⫺173; K. Kossert, Aleydis Raiscop, die Humanistin von
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Butzbach, Johannes
Nonnenwerth (Gocher Schr. 6), [1983]; E. v. Severus, J. B. (1478⫺1516), Aschaffenburger Jb. f. Gesch., Landeskunde u. Kunst d. Untermaingebietes 10 (1986) 207⫺212; L. Scherg, Ph. Trunk u. seine Schriften über d. Kloster Bronnbach, Wertheimer Jb. 1988/89, S. 71⫺119; K. Arnold, J. Trithemius, 21991, Reg.; A. Beriger, J. B., Odeporicon. Zweisprachige Ausg., Einl., Übers. u. Kommentar, 1991; ders., J. B.s Beschreibung seiner Heimatstadt Miltenberg, Aschaffenburger Jb. f. Gesch., Landeskunde u. Kunst d. Untermaingebietes 15 (1992) 227⫺242; P. Becker, Benediktin. Reformbewegungen u. klösterliches Bildungsstreben. Die rhein. Abteien d. Bursfelder Kongregation, Rottenburger Jb. f. Kirchengesch. 11 (1992) 161⫺ 174; B. Resmini, Die Benediktinerabtei Laach (Germania Sacra NF 31/7), 1993, S. 51 f., 56⫺58, 71⫺74, 109⫺111, 221⫺228, 419⫺421 u. ö. (Reg.)
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[zit. Resmini, 1993a]; ders., Der Laacher Prior J. B. u. d. Humanismus rhein. Benediktinerklöster, in: Ecclesia Lacensis. Beitr. aus Anlaß d. Wiederbesiedlung d. Abtei Maria Laach [...] (Beitr. z. Gesch. d. alten Mönchtums u. d. Benediktinerordens, Suppl.bd. 6), 1993, S. 111⫺135; K. Arnold, J. B. (1478⫺1516), ‘fahrender Schüler’ u. benediktin. Schriftsteller, in: Fränk. Lebensbilder 16, 1996, S. 49⫺56; A. Beriger, Der Typus d. ‘Monastischen Privatgelehrten’, in: R. Ch. Schwinges (Hg.), Gelehrte im Reich (Zs. f. hist. Forsch., Beih. 18), 1996, S. 375⫺410; B. Resmini, J. B., in: Rhein. Lebensbilder 16, 1997, S. 65⫺80; U. Goerlitz, Humanismus u. Gesch.schreibung am Mittelrhein (Frühe Neuzeit 47), 1999, S. 33⫺37, 40⫺46, 53⫺ 56 u. ö. (Reg.).
Andreas Beriger
C Caesarius (Cesareus, -ris), Johannes Die biographischen Angaben zu C. sind bis in die jüngste Forschung oft fehlerhaft. Eine umfassendere, Leben und Werk gleichermaßen würdigende Studie gibt es nicht.
I . L eb en . C. wurde um 1468 in Jülich (westl. Köln) geboren. Zu seiner Schulbildung (etwa, wie oft behauptet, bei Alexander D Hegius in Deventer) gibt es keine Hinweise. Am 9. Nov. 1491, recht spät im Alter von ca. 24 Jahren, immatrikulierte er sich als pauper für das Artes-Studium an der Univ. Köln. Er setzte das Studium an der Univ. Paris fort (1496/97 Baccalaureus, 1498 Magister artium), hob als seinen dortigen Lehrer Jacobus Faber Stapulensis hervor, dessen Doktrinen er auch als Herausgeber tradierte. Zwischen 1500 und 1508 hielt er sich wiederholt als Herausgeber von Druckwerken und Korrektor bei Richard Pafraet sowie als lector an der Lebuinus-Schule in Deventer auf. Für 1503 ist durch Johannes J Murmellius’ Lobgedicht auf Münster, in welchem er neben anderen Münsteraner Gelehrten auch C. mit einer Strophe bedachte, ein (Lehr-?) Aufenthalt des C. in Münster nachzuweisen. Hier wirkte er in der zweiten Hälfte d. J. 1512 nochmals, nun als (schlecht besoldeter) Lehrer des Griechischen an der Domschule, während er 1519 vor der Pest in Köln nach Münster floh. Grundlagen des Griechischen dürfte er bereits in Paris erworben haben, zum Meister wurde er 1509 in Bologna während seines ersten Italienaufenthaltes, als er im Gefolge einer an die Kurie reisenden Gesandtschaft des Kölner Erzbischofs den Grafen Hermann von J Neuenahr zu dessen Studium an der Univ. Bologna begleitete, an der sich auch C. immatrikulierte. (Die häufig begegnende
Annahme eines Romaufenthalts ist allein aus dem Ziel der Gesandtschaft abgeleitet.) Spätestens ab 1510 lehrte C. in Köln mit wiederholten Unterbrechungen neben den Artes-Fächern privatim und als erster Griechisch, wie Heinrich Glarean, einer seiner Schüler, bezeugt. Zu weiteren einflußreichen Absolventen seines Griechisch-Unterrichts zählen bis ca. 1520 Petrus J Mosellanus, Heinrich Bullinger (beide wie Glarean Angehörige der dem Humanismus besonders aufgeschlossenen Montana-Burse), Konrad Helvetius (der Lehrer Melanchthons wurde), Jacobus Ceratinus und Murmellius. Glarean widmete seinem praeceptor 1514 sein anläßlich der Dichterkrönung auf dem Kölner Reichstag 1512 vorgetragenes Gedicht, Mosellanus 1517 seine Ausgabe des ‘Plutos’ von Aristophanes (bei K. u. W. Krafft, S. 133–135). Grundlage des Unterrichts war v. a. die Grammatik des Chrysoloras (von der er 1512 für den Unterrricht an der Münsteraner Domschule ca. 300 Exemplare auf eigene Kosten aus Paris kommen ließ); zum Stoff zählten z. B. die Reden des Isocrates, die ‘Ilias’ Homers, die Dialoge Lukians, im (ebenfalls privat gegebenen) Lateinunterricht Plinius.
1511 hatte sich C. erneut nach Italien begeben, wo er sein Medizinstudium am 13. Okt. 1511 mit dem Doktorat der Univ. Siena abschloß. Zu seinen engeren Freunden im Kölner Raum gehörten die Grafen von Neuenahr und Isenburg sowie Murmellius und Jacobus Sobbius; als Briefpartner sind neben seinen Schülern v. a. Johannes J Reuchlin, Johann Lang, J Erasmus von Rotterdam (er widmete C. am 23. Juni 1516 seinen ‘Primus liber grammaticae institutionis Theodori Gazae’ [Erasmus, Op. epist., Nr. 428]) und Melanchthon hervorzuheben. Dieser dedizierte dem von ihm verehrten C., der am Rhein Theologie, Ethik, Astronomie, Astrologie, Recht, Naturkunde, Medizin und Geschichte lehre, 1541 sein gedrucktes Gedicht ‘Epistola de conventu Ratisbonensis’;
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Caesarius, Johannes
vgl. Melanchthon-Br., Regesten, Nr. 2776. Für einen Briefwechsel mit Willibald J Pirckheimer gibt es Hinweise (etwa 1513/ 14: K. u. W. Krafft, S. 130; 1517: Geiger, Nr. 244), doch bisher keine Zeugnisse. Immerhin schätzte der Nürnberger C. fachlich wie menschlich sehr und führte ihn in seiner Apologie für Reuchlin unter dessen Sympathisanten auf (vgl. Pirckheimer-Br., Nr. 464, 474, 635). Weitere Stationen, neben seinem Lebensmittelpunkt Köln, waren 1527/28 Leipzig und Stolberg (im Mai 1527 traf C. in Leipzig erstmals Melanchthon, der ihn im Febr. 1528 eigens in Stolberg aufsuchte; aus der gegenseitigen Wertschätzung erwuchs eine lebenslange Freundschaft), 1529 und 1533 Mainz sowie immer wieder Moers, wo er am Hof der Grafen von Neuenahr Aufnahme fand. Schon früher als mit Melanchthon freundete sich C. 1524/25 mit Johann Lang an; diese und seine Freundschaften mit Wilhelm Reiffenstein, dem Rentmeister der Grafen von Stolberg-Wernigerode, sowie deren Familie, für die C. auch als Hauslehrer wirkte und die ihn noch am Ende seines Lebens finanziell unterstützte, bezeugen ebenso wie die bekannten Briefe des C. evidente Sympathien mit der reformatorischen Bewegung. Doch blieb C. katholisch und zog sich hochbetagt Anfang 1550 in den Konvent der Kölner Fraterherren am Weidenbach (bei St. Pantaleon) zurück, wo er am 15. Dez. 1550 starb und nahe dem Hochaltar begraben wurde (Epitaph bei Hartzheim, S. 165). Das Geburtsjahr des C. läßt sich nur durch eine Angabe aus einem Brief vom 9. März 1545 oder 1546 (K. u. W. Krafft, S. 173) erschließen, in dem er sich als in das 78. Lebensjahr eingetreten bezeichnet. Die Daten für die Pariser Examina gab Allen (Erasmus, Op. epist., Nr. 374), doch sind die betreffenden Universitätsakten bisher nicht gedruckt. Zum Jahr der Promotion in Medizin ist nicht, wie meist zitiert, Knod, Bologna, Nr. 571 (12. Okt. 1513), zu konsultieren, sondern F. Weigle, Die dt. Doktorpromotionen in Siena v. 1485–1804, QFIAB 33 (1944) 199–251, S. 219, Nr. 65. Das Todesdatum des C. scheint nur durch eine hsl. Notiz in einer Ausgabe seiner Rhetorik von 1534 belegt zu sein (vgl. K. u. W. Krafft, S. 174).
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I I. We rk . In C.’ Schaffen lassen sich eine frühe (1500–1507) und eine spätere (1520–1538) Phase unterscheiden, wobei die erste bes. seine Pariser Studienerfahrungen spiegelt, während die Werke ab 1520 aus Inhalt und Methodik seines Privatunterrichts resultierten – selbst die für das Studium gedachten medizinischen Werke gab C. (seit 1527) auch unter humanistisch-philologischen Gesichtspunkten heraus (vgl. Brief an Johann Lang, [vor 1524], in: K. u. W. Krafft, S. 151). A . E ig en e S ch ri ft en (A rt es ). 1. ‘Dialectica’. Die ‘Dialektik’ ist das bedeutendste und bis 1600 mit mehr als 70 Ausgaben (u. a. in Paris, Krakau und Venedig) einflußreichste Werk des C. Sie wurde besonders von Melanchthon gepriesen und empfohlen und zählte zu den meistbenutzten Logikwerken in Europa. V. a. verdrängte sie den Petrus Hispanus aus den Schulen und setzte sich in Deutschland auch gegen den HispanusKommentator Johann J Eck durch. In der Tradition u. a. Lorenzo Vallas, Rudolf D Agricolas und seines Lehrers Faber Stapulensis stehend, richtet C. seine humanistisch-rhetorische, didaktisch-verständlich konzipierte Dialektik stark an Aristoteles (zehn Traktate gemäß dessen ‘Organon’) und Cicero aus und distanziert sich von der terministisch-nominalistischen Logik. Auch bei der für die humanistische Dialektik zentralen Topik mit ihrer Lehre von den loci als sedes argumentorum folgt C. aristotelisch-ciceronianischen Vorgaben und denen des Boethius, bietet im übrigen reichhaltigere Klassifikationen als Agricola. Das (des öfteren falsch angegebene) anzunehmende Datum der Drucklegung ergibt sich aus der Datierung (17. März 1520) des Widmungsbriefes an Hermann von Neuenahr (bei H. Rupprich, DLE, S. 158–163) und aus der des nächsten Drucks (Mainz: Ivo Schöffer, 1521; IA 128.884). Schon 1517 hatte C. Erasmus von seiner Arbeit an der Dialektik berichtet und diesem Vorarbeiten zur kritischen Lektüre gesandt. Daneben enthält dieser
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Caesarius, Johannes
Druck die Brevis Apologia [...] adversus mali consulentes, in der C. u. a. von seinem Aufenthalt und persönlichen Bekanntschaften in Italien erzählt, italienische (v. a. Lorenzo Valla), aber auch deutsche Humanisten (Agricola, Hegius, J Bartholomaeus Coloniensis, Murmellius, Heinrich J Bebel) lobt. Das Werk wurde in den folgenden Jahren mehrfach überarbeitet und inhaltlich erweitert (neu erschlossene Autoren sind z. B. Erasmus, Thomas Linacre, Ludovicus Vives und Johannes Buridanus); die revidierte Ausgabe von 1532 (VD 16, C 101) enthält eine Widmung (Köln, 13. Juni 1532) an den Freund Reiffenstein, in der C. u. a. Freude über die Lektüre seiner Dialektik in Wittenberg unter Melanchthons cura ausdrückt. Drucke. In hoc opu|sculo haec continentur. | Epistola Ioannis Caesarij Iuliacensis ad Gene⫽|rosum et Illustrem dominum, dominum Her|mannum Comitem Nuenarium. | Apologia eiusdem in mali consulentes. | Dialectica eiusdem in decem tractatus digesta, | iuxta praeceptorum decalogi numerum. [...]. [Köln]: Euch. Cervicornus, [1520/ 21]. VD 16, C 138 (mit unsinnig vermutetem Erscheinungsjahr 1525). ⫺ Für die weiteren Drucke vgl. W. Risse, Bibliographia Philosophica Vetus, 1998, Bd. 2, Index auctorum.
2. ‘Rhetorica’. Nicht gleichermaßen einflußreich wie die ‘Dialektik’, doch ebenfalls häufig benutzt und gedruckt war die in sieben Traktate unterteilte ‘Rhetorik’. Sie fußt v. a. auf Cicero, Quintilian und Aristoteles; von den Neueren werden bes. Melanchthon sowie Georgios Trapezuntios und Francesco Maturanzio hervorgehoben und tradiert. Sachlich geht es C. sowohl um Entsprechungen und Abhängigkeiten zwischen den sermozinalen Artes Dialektik und Rhetorik als auch, in geringerem Maße, um entscheidende Differenzen, wobei ebenso die Mnemotechnik der ‘Rhetorica ad Herennium’ starke Beachtung findet. Drucke. Rheto|rica Ioannis Cae-|sarii in septem libros | siue tractatus, digesta, uniuer|sam fere eius artis uim com|pendio complectens nunc | primum et excusa, et | edita. Köln: [Joh. v. Aich], 1534. VD 16, C 139. Widmungsbrief an die Grafen Johann von Wied und Anton von Schauenburg, Schüler und Gönner des C. (Köln, Aug. 1534), mit
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Erwähnung der großzügigen Wohltaten, die C. durch Johann von Wied und dessen verstorbenen Vater, Graf Wilhelm von Wied und Moers (Bruder des Kölner Eb.s Hermann von Wied und Schwiegervater Wilhelms von Neuenahr) erfuhr. Mindestens 14 weitere Drucke zwischen 1534 und 1565 in Köln, Leipzig, Paris, Krakau, Löwen, Lyon und Freiburg i. Br.; vgl. VD 16, C 140⫺144, ZV 2788; IA 128.901, 906, 908, 911 f., 919, 921, 931.
B . H er au sg eb er un d Kor re kt or. Die Herausgeberschaft des C. beschränkt sich nicht auf bloße Drucke der Vorlagen bzw. philologische Korrekturen der Texte, sondern umfaßt – soweit bei den seltenst untersuchten Werken ersichtlich ist – in der Regel auch eigene Kommentare. 1. Jacobus Faber Stapulensis, Ars moralis philosophie. | In hoc opusculo continetur epitome moralis | philosophie in ethicen Aristotelis introducto|ria. [...] ed. ab Joh. Caesario. [Deventer: Jak. v. Breda, ca. 1500]. NK 3012. Mit der von C. sehr eigenständig geformten und kommentierten Epitome der ‘Ars moralis’ des Faber Stapulensis, die ihrerseits die aristotelische Moralphilosophie zusammenfaßt, liegt die erste Frucht seiner Studien unter diesem Lehrer in Paris vor. 2. Horaz, ‘Epistulae’, Institutio moralis philosophie metrica: | Continentur in hoc codice Horatij | Flacci morales epistole cum argumen|tis breuiter ad unius cuiuslibet ca|put adiectis [...]. Deventer: Rich. Pafraet, 1504. NK 1130. C.’ Entscheidung, Ende 1504 neben der Logik des Clichtoveus (s. B.3.) auch die Episteln des Horaz herauszugeben, war – wie im Titel angezeigt – darin begründet, eine poetische Ergänzung zur Epitome der aristotelischen Ethik von (ca.) 1500 vorzulegen. Widmungsbrief an Leonardus Pricardus Aquensis, den C. vermutlich aus Paris kannte (Deventer, 30. Okt. [1504]). Jeden Brief leitete C. durch ein argumentum ein. NDe (1506, 1511) durch Rich. Pafraet sowie andere (z. B. Köln 1510, 1516 [VD 16, H 4920, 4928]). Neuausg. Köln: Euch. Cervicornus, 1522 (VD 16, H 4938), mit Titelepigramm Hermanns von Neuenahr und Widmungsbrief an seine Schüler, die Grafen Anton und Salentin von Isenburg, in dem C. den Horaz-Kommentar Cristoforo Landinos als Quelle für die Argumenta benennt. 3. Judocus Clichtoveus, Fundamentum Logice. | In hoc libello continetur ars terminorum in libros lo⫽|gicorum Aristotelis. precipue autem in curren⫽|tem logicam introductoria. [...] cum declaratione Johannis Caesarii. Deventer: Rich. Pafraet, 1504. NK 2679. Der zur reinen aristotelischen Logik zurückführende Einführungs-Traktat
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Caesarius, Johannes
des Clichtoveus wurde von C. mit einfachen Erklärungen versehen; er erlebte zahlreiche Nachdrucke. Widmungsbrief an Servatius J Aedicollius (Deventer, 13. Nov. [1504]). 4. Introductio | Jacobi fabri Stapulensis in Arithme|*ti+cam Diui Seuerini Boetij pariter et Jordani | Ars supputandi [...] Judoci Clichtouei Neoportuensis. | Questio […] de numerorum | et per digitos et per articulos finita progressione ex Aurelio Augustino | Epitome rerum geometricarum ex Geometrico introductorio | Caroli Bouilli | De quadratura Circuli Demonstratio ex Campano. [Köln: Heinr. Quentell Erben, 1507]. VD 16, L 952. Ein Einführungswerk in die Arithmetik und Geometrie, das explizit die Pariser Faber-Schule tradiert und durch C. gezielt aus Traktaten mehrerer Autoren zusammengestellt wurde. Nach dem Titel Carmina des Hermann J Buschius und des C. in laudem septem artium liberalium. Widmungsbrief (o. O., 30. Mai 1507) an Henricus Monocerus (Einhorn) de Wesalia und eine admonitio prologi loco in introductionem Arithmetices des C. an den Leser. Bemerkenswert die mit Bezug auf Faber vorgenommene sachliche, aber auch auf die göttlichen Mysterien zielende Integration neuplatonischer Autoren wie Augustinus, (Ps.-)Dionysios Areiopagites und D Nikolaus von Kues in einem ansonsten aristotelischen Programm. 5. ‘Liber de Tobia’, ‘Liber Tobiae’(?). C. hatte ein bisher nicht nachzuweisendes kleines Werk über Tobias herausgegeben, das er dem aus Osnabrück stammenden Johann Gruther widmete, einem Absolventen der thomistischen CornelianaBurse, und in welchem er auch dem CornelianaRegenten Jakob Greselius (1506–19 lehrend) lobende Verse schrieb. Da Gruther nach seinem Magister-Examen nicht mehr in Köln nachweisbar ist, aber noch seiner zweijährigen Lehrpflicht nachgekommen sein könnte, dürfte das Werk zwischen 1510 und 1513 entstanden sein. Von den möglichen Drucken scheint allein ein Straßburger Druck des ‘Tobias’ von Matthäus von Vendoˆme in Frage zu kommen: Historia thobie cum | moralitatibus eiusdem: | per Matheum vin|docinensem elegiaco carmine | diligenti castigatione | descripta [...]. Straßburg: Joh. Knobloch d. Ä., 1510. VD 16, M 1406. 6. Solinus, ‘Collectanea rerum memorabilium’. Den Text des Solinus hatte C. nach Selbstzeugnis in seiner Ausgabe des Diomedes (s. B.9.) um 1516 mit viel Mühe verbessert und wenig später unter Verheimlichung seines Namens drucken lassen (vgl. auch C. Krafft, S. 227 Anm. 1). Der naheliegende, bisher als einziger für Köln nachgewiesene Druck des Solinus (Euch. Cervicornus u. Hero Fuchs, 1520; VD 16, S 6964) beruht auf der Edition des Giovanni Ricuzzi Vellini Camers und enthält keinen Hinweis auf C.
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7. C. Plinii Se|cundi Naturalis Historiae | opus, ab innumeris mendis a D. Johanne Cae|sario Juliacensi [...] uindicatum [...]. Köln: Euch. Cervicornus, 1524. Folioausg. in einem Bd. VD 16, P 3531. Im selben Jahr auf Initiative des Druckers auch in einer dreibändigen Oktavausg. hg.: VD 16, P 3132. Vgl. Ch. G. Nauert, in: Kristeller, CTC 4, S. 363⫺367. Widmung an Hermann von Neuenahr. Die kommentierte und (auch gegenüber Ermolao Barbaro d. J.) stark verbesserte Ausg. des Plinius-Textes ging aus den Vorlesungen des C. hervor. Während Erasmus und Melanchthon die Ausg. trotz der noch vorhandenen Fehler lobten (vgl. Erasmus, Op. epist., Nr. 1544, u. bes. Melanchthon-Br., Nr. 378), beurteilte C. den Druck sehr kritisch (K. u. W. Krafft, S. 151–153, Brief an Johann Lang, 20. Dez. 1525), so daß er den Text noch weiter bearbeitete. Verbesserte Fassungen sind die Drucke Straßburg 1534 (hist. nat. IX u. XXXII, als Appendix zu Oppians ‘Halieutica’, s. B.12.) und Paris 1536 (Buch II). 8. Compendia|ria Artis Grammaticae Insti-|tutio per Ioannem Caesarium nuper congesta, autoribus cum | primis Aspero iuniore, Aelio Donato et Phoca, cum Epi-|tome de constructione partium orationis (ex Nicolai Perotti | grammatica institutione), et de figuris | constructionis [...]. Köln: Peter Quentell, 1525. VD 16, C 97. Aus seinem Privatunterricht ging diese mit reichen Kommentaren (gestützt auf Priscian, Diomedes und viele antike Dichter, auch Plinius, Celsus und Columella) versehene Zusammenstellung aus den drei antiken Grammatiken des Donat (nur Teil II der ‘Ars maior’), Ps.-Asper und Phocas hervor, von denen die beiden letzten keineswegs zum Kanon des Artes-Studiums gehörten; der bereits von Buschius in seiner Donat-Ausgabe herangezogene (vgl. B.9.) Phocas wurde offenbar wegen seines Interesses für die griech. Wörter herausgestellt. Das Kompendium zeichnet sich ferner durch gründliche Emendationen und einen Anhang mit Auszügen aus den ‘Rudimenta grammatices’ des Niccolo` Perotti aus, fügt sich trefflich in die gleichzeitigen, maßgeblich von seinem Freund Jacobus Sobbius getragenen humanistischen Lehrreformen an der Kölner Universität ein. Die Widmung richtete sich an die Grafen Heinrich, Philipp und Eberhard von Stolberg, Schüler des C. 9. Diome|dis Gramma|tici Opus, Ab | Iohanne Caesario, ita emendatum, Scholijsque illustratum [...]. Item Donati de octo orationis parti|bus, et Barbarismo libellus, | ab eodem recognitus. Hagenau: Joh. Setzer, 1526. VD 16, D 1844. Widmung an den Schüler und familiären Freund Graf Heinrich von Stolberg, den C. gemeinsam mit seinen Brüdern Philipp und Eberhard privatim unterrichtet hatte (Köln, 6. Juli 1526; bei K. u. W. Krafft, S. 167–171). In der einführenden exhorta-
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Caesarius, Johannes
tio ad candidum lectorem spricht C. (aus Erfahrung mit der Ausgabe des Plinius [s. B.7.] und, ante annos decem plus minus, des Solinus [s. B.6.]) über die Herkulesarbeit der Emendation alter Autoren. Drei weitere Drucke in Köln 1533 (VD 16, ZV 4581) u. 1536 (VD 16, ZV 4582) sowie Leipzig 1541 (VD 16, ZV 4583). 10. Alex|andri Benedi|cti [...] anatomice sive hi|storia corporis humani. | Adiectum est huic opu|sculum Georgii Vallae [...] eius|dem rei [...]. [Köln]: Euch. [Cervicornus], 1527. VD 16, B 1693. Benedettis († 1512) ‘Historia corporis’ handelt über anatomisch-pathologische Eigenarten und über die Praxis der Autopsie. Nach dem Erstdruck 1493 in Venedig besorgte C. den ersten Druck für Deutschland, versehen mit einigen kurzen Kommentierungen. Ergänzt wurde er durch das kleine Werk ‘De humani corporis partibus’ des Giorgio della Valle († 1499). 11. Aurelii | Cornelii Celsi, De Re | Medica, libri octo eruditissimi | Q. Sereni Samonici praecepta Medica, | uersibus Hexametris. | Q. Rhemnii Fannij[!] Palaemonis de Ponderibus | et Mensuris, liber rarus et utilissimus. | [...] Hos libros D. Ioannes Caesarius [...] castigauit. Adiecto perdocto com|mentario [...]. Hagenau: Joh. Setzer, 1528. VD 16, C 1890. C. gab dieses für die (posthippokratische) Medizingeschichte bis heute bedeutende Werk des römischen Enzyklopädisten zusammen mit zwei kleineren Werken heraus, dem Gedicht ‘De medicina praecepta saluberrima’ des Quintus Serenus Sammonicus und dem Traktat ‘De ponderibus et mensuris’ des römischen Grammatikers Remmius Favinus Palaemon. Jedes der umfangreich kommentierten Werke wurde einem seiner Schüler aus der Familie Stolberg gewidmet. 12. Oppiani Poetae | Alieuticon, Sive De Piscibus, | libri quinque e` graeco traducti [...] | sequuntur Disticha [...] | authore | Laurentio Lippio Collensi, interprete li⫽|brorum quinque Oppiani. | C. Plinii Secundi Naturalis Hi|storiae libri duo [...] Pauli Item Iovii De Piscibus | liber unus [...]. […] Iohannes Cae|sarius [...] recognouit [...] | explanauit. Straßburg: Jak. Cammerlander, 1534. VD 16, O 803. Vgl. Nauert, in: Kristeller, CTC IV, S. 365 f. C. ergänzte die lat. Übers. des griech. Lehrgedichts über den Fischfang durch die stark revidierten und neu kommentierten Bücher IX und XXXII (über die Meeresbewohner) seiner Plinius-Ausgabe (s. B.7.) sowie durch ‘De piscibus Romanis’ des Paolo Giovio. Widmungsbrief (zu Plinius) an den Kölner Domdechanten Graf Rainer von Westerburg (Mainz, Sept. 1533). 13. In Hoc Opu⫽|sculo Continentur. | hi infra scripti libri [...] per Johannem Cesarium recogniti [...]. Isagoge Sive Intro⫽|ductio Johannitij in ar-
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tem paruam Ga⫽|leni de medicina speculatiua. | [...] Cophonis [...] de arte medendi siue | de Medicina practica introductio. Straßburg: Jak. Cammerlander, 1534. VD 16, ZV 8380. Edition der auf Galen fußenden, für den Medizinunterricht des lat. MAs zentralen ‘Einleitung in die Medizin’ des arab. Übersetzers und Autors Hunain ibn Ishaq (Johannitius) und zweier kleinerer Traktate, die irrig dem aus der Medizinschule von Salerno stammenden Copho zugeschrieben wurden, die ‘Anatomia porci’, ein Begleittext zu anatomischen Demonstrationen am Schlachttier, sowie die ‘Ars medendi’, eine allgemeine Therapeutik. 14. D. Severini Boe⫽|thij Viri Illustris. | de consolatione philosophiae libri quin⫽|que, luculentissimis Iohannis Murmellii | (partim etiam Rodolphi Agricolae) | commentariis illustrati. | Recognovit omnia Iohannes Caesarius. Köln: Euch. Cervicornus, 1535. VD 16, B 6419. Revision der kommentierten Boethius-Ausgabe seines verstorbenen Freundes Murmellius von 1516, zu der C. seinerzeit ein Gedicht beigesteuert hatte (s. C.6.) und die er nun mit einer epistola ad Murmellium (A 2r) lobte. 15. Pauli | Orosii Presbyteri Hispani | Viri Doctissimi, Aduersus | Paganos (Quos Vocant) | Historiarum Li|bri Septem. | Nunc denuo cum manu scriptis exemplari|bus aliquot collati [...]. Köln: Euch. Cervicornus, 1536. VD 16, O 925. Widmungsbrief an Graf Georg von Sayn-Wittgenstein (Köln, 31. Juli o. J). Überarbeitung der von Gerardus Bolsuinge von Recklinghausen besorgten, beim selben Drucker erschienenen Ausgabe (1526; VD 16, O 924); C. hatte nach eigener Auskunft mehrere Hss. kollationiert. Vorangestellt sind ein Index rerum ac verborum und die ‘Vita Orosii’ des Gennadius. ND: Köln 1541 (VD 16, O 926). 16. Niccolo` Bertuccio, Bertrucii[!] Bo|noniensis, Medici Sua Tempestate | per Italiam famigeratissimi, compendium sive (vt vulgo inscribitur) | collectorium artis medicae, tam practicae qua`m speculativae, nunc | demum recognitum et suae integritati restitutum | per D. Ioannem Caesarium. Köln: Melch. v. Neuss, 1537. VD 16, B 2201 (nicht 2001). Erster Druck in Deutschland (nach Lyon 1509 u. 1518). Widmungsbrief an den Kölner Humanisten Tilmann vom Graben (de Fossa), dessen Neigung zu den humanistischen Studien ihm auch Erasmus und Arnold von Wesel bestätigt hatten (Köln, 2. März 1537); Bertuccio († 1347) habe die antike Medizin besser rezipiert als alle anderen. C. Beiträger. 1. Georg J Sibutus, Ars memora⫽|tiua [...]. Köln: Heinr. Quentell Erben, 1505. VD 16, S 6261. Titelbl.v: 6 sapph. Strr. an Sibutus, in denen C. den Namen des Dichters für sich zurückweist. Wieder-
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Canter, Jacobus
holt in der 2. Aufl. der Gedichtslg., die Sibutus zu seiner Dichterkrönung veranstaltete: De diui Maximiliani Ce|saris aduentu in Coloniam [...]. Leipzig: Martin Landsberg, 1506. VD 16, S 6269 (Bl. F iijr⫺v). 3. Jakob J Magdalius, Stichologia | [...] cum ad|iectione multorum tractatuum arti poetices ac| commodorum [...]. [Köln: Heinr. Quentell Erben], 1506. VD 16, J 127. Am Schluß der 2. Aufl. eine Empfehlung des Werkes an den Leser sowie ein Tetrastichon des C. 4. Remaclus Florenas, Epigrammaton | libri tres [...] ad prestantissimum virum Georgium Koeler Vratislauum [...]. [Köln: Heinr. Quentell Erben], 1507. VD 16, F 1656. Neben Ortwin J Gratius und Nikolaus J Gerbel zählte u. a. C. zu den Beiträgern. 5. Jak. Magdalius, Correctorium | Biblie cum difficilium quarundam | dictionum luculenta interpretatio|ne [...]. Köln: Heinr. Quentell Erben, 1508. VD 16, J 125. Empfehlungsgedichte von C. und Buschius. 6. Boethius, De Consolatione Philo|sophiae Libri quinque cum praeclaris Ioannis Murmelij | commentarijs. cumque Rodolphi Agricolae Phrisij et | Augustini Dathi. [...] in Boethij | partem [...] enarratione | [...]. Köln: Quentell, 1516. VD 16, B 6415. C. war einer von mehreren Beiträgern. 7. Johann Dryander (Eichmann), Anulorum | Trium Diversi Generis Instrumento|rum Astronomicorum componendi ratio atque usus [...]. Marburg: Euch. Cervicornus, 1537. VD 16, E 674. C. mit anderen als Beiträger. 8. Proco|pii Rhetoris et | Historici Caesariensis, de Iustiniani | Augusti Caesaris aedificiis orati|ones sex: Latinitate dona-|tae per doctissimum ui-|rum Arnoldum vue-|saliensem. Mainz: Ivo Schöffer, 1538. VD 16, P 4981. Widmungsvorrede C.’ an den Kölner Domdechanten Graf Reiner von Leiningen-Westerburg. D. Briefe. Eine Edition des Briefwechsels bleibt ein Desiderat. Drucke einiger Stücke oder Verweise darauf finden sich in folgenden Werken: C. Krafft, S. 315–329; K. u. W. Krafft, S. 62 f., 127–130, 133–135, 150–158, 167–174; Geiger, Nr. 244; Erasmus, Op. epist., Nr. 374, 428, 610, 615, 622, 680, 701, 771, 808, 1053, 1258, 1291, 3006; Melanchthon-Br., (Regesten) Nr. 552, 842, 2776, 3282, 3320, 3381, 9307⫺9311. Literatur. J. Hartzheim, Bibliotheca Coloniensis, Köln 1747, S. 165 f.; C. Krafft, Mitt. aus d. niederrhein. Reformationsgesch., Zs. d. Berg. Gesch.ver. 6 (1869) 193–340, bes. S. 224–228; K. u. W. Krafft, Briefe u. Documente aus d. Zeit d. Reformation im 16. Jh. nebst Mittheilungen über
Koelnische Gelehrte, 1875, S. 62 f., 130, 133⫺135, 151⫺153 u. ö. (Reg.); L. Geiger (Hg.), Joh. Reuchlins Briefwechsel, 1875 (ND 1962), Nr. 244; D. Reichling, Die Reform d. Domschule zu Münster i. J. 1500, 1900, bes. S. 40–52; Risse, Logik, bes. S. 25–32; C. Vasoli, La dialettica e la retorica dell’Umanesimo, 1968, bes. S. 260–277; A. Seifert, Logik zwischen Scholastik u. Humanismus. Das Kommentarwerk Joh. Ecks, 1978, S. 20 f., 25, 27 f., 43 f., 51 u. ö. (Reg.); L. Mundt, Agricolas De inventione dialectica – Konzeption, hist. Bedeutung u. Wirkung, in: W. K¸hlmann (Hg.), Rudolf Agricola 1444–1485, 1994, S. 83–146, bes. S. 94⫺ 96, 100⫺102, 108⫺112 u. ö.; C. Jeudy, L’humaniste allemand J. C. (ca. 1468–1550), in: Rh. Schnur (Hg.), ACNL Bariensis (Medieval and Renaissance Texts and Studies 184), Tempe/Az. 1998, S. 337–345 (Lit.); Melanchthon-Br., Regesten, Bd. 11, S. 249.
Gˆtz-R¸diger Tewes
Calidomius J Lupinus, Matthaeus Cantarifusoris J Cyclopius, Wolfgang Canter (Kanter), Jacobus I . L eb en . 1. Jacobus C. stammte aus einer Groninger Patrizierfamilie, die unter den Gebildeten der Zeit weithin einen Namen hatte. Der als Anwalt tätige Vater, Johannes d. Ä. (1422⫺1497), Dr. iur. civ., der vier Universitäten, darunter zwei italienische, besucht hatte und später mit Rudolf D Agricola bekannt war, ließ den Söhnen (Johannes, Andreas, Jakob) und Töchtern (Ursula, Ghebbe) von früh an eine gelehrte Erziehung zukommen. In seinem Hause wurde, so ging die Rede, alltäglich Latein gesprochen. Andreas genoß, als er sich 1491 in Köln immatrikulierte, so viel Reverenz, daß man ihm propter sue persone qualitatem et notabilitatem die Gebühren erließ. Andreas blieb anscheinend in Köln und hatte dort später Umgang mit J Murmellius, J Buschius und Hermann von J Neuenahr; den jungen J Agrippa von Nettesheim führte er in die Philosophie des Raymundus Lullus ein. In den Jahren 1503⫺1509 diente er der Stadt als Poeta gegen ein Jahresgehalt von 100 fl. Auch Johannes, der ebenfalls in Köln studiert
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Canter, Jacobus
hatte (immatr. 1483), verkehrte in humanistischen Kreisen, u. a. mit J Trithemius und J Celtis. Seit 1487 war er Astrologe Ks. Friedrichs III. und wohl auch Maximilians, in späteren Jahren Arzt in Emden. Andreas veröffentlichte 1491 bei Gerard Leeu in Antwerpen, bei dem 1489 auch Jakob hatte drucken lassen, eine ‘Epitoma grammatices’ (GW 5995), die jedoch keine weitere Verbreitung fand. In Köln übersetzte er 1510 J Pfefferkorns an Maximilian gerichtete Schrift ‘In lob und eer’ ins Lateinische (VD 16, P 2297). Johannes stellte als astrologus imperialis Celtis zu dessen Dichterkrönung am 18. April 1487 in Nürnberg das Horoskop (s. Celtis, ‘Proseuticum ad divum Fridericum tertium pro laurea Apollinari’, Nürnberg: F. Creussner, [1487], Bl. [6]v; dazu Bl. [6]r Celtis’ Dank-Epigramm, nach dem er schon länger mit Johannes befreundet war). Im selben Jahr gab er einen Almanach für Nürnberg sowie 1487 und 1488 drei dem Kaiser gewidmete Jahresprognostiken zum Druck (GW 5996, 5997⫺ 5999), 1489 ein Prognostikon für Marcus, Bischof von Preneste und Patriarch von Aquileja, und 1491 eines für Kg. Maximilian (GW 6000 f.). Die wichtigsten Quellen über die Familie Canter: Erasmus, Brief an J. C., Ende 1489, aus Steyn (Op. epist., Bd. 1, Nr. 32; vgl. auch Bd. 4, S. 589); J. C., Brief an Celtis vom 21. Nov. 1497 (CeltisBr., Nr. 182); ‘Cronica van der hilliger stat van Coellen’ (Koelhoffsche Chronik von 1499), in: Die Chroniken d. dt. Städte v. 14. bis ins 16. Jh., Bd. 14, 1877, S. 876 f.; J Butzbach, ‘Auctarium’, in: Kraft/Crecelius, Mitt., S. 273⫺275 (nicht immer zuverlässig). – Zur Unterscheidung der echten und der vermeintlichen Mitglieder der Familie und zur frühen Legendenbildung über die ‘Wunderkinder’ s. Ebels-Hoving, 1981, S. 20⫺24 (noch ohne Berücksichtigung der im GW verzeichneten Veröffentlichungen des Andreas und Johannes’ d. J.).
2. Der Lebensweg des vielgewanderten Jakob C., der nach den Angaben seines Epitaphs (s. u.) am 24. Febr. 1469 (nicht 1471) geboren wurde, ist über weite Strekken unbekannt; gesicherte Daten sind nur punktuell, meist nur durch seine Vorreden und durch seine Briefe an Celtis, greifbar. Für die Annahme, er habe die Schule bei St. Lebuin in Deventer unter Alexander D
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Hegius besucht, gibt es keinen Beleg. Um 1482/83 soll Rudolf Agricola dem begabten Knaben einen Druck von Lucans ‘Pharsalia’ geschenkt haben. Am 11. Mai 1487 immatrikulierte er sich an der Univ. Köln für das juristische Studium. Jurist ist er jedoch nicht geworden. Wahrscheinlich war es Jakob und nicht einer seiner Brüder, der nach dem Bericht der ‘Koelhoffschen Chronik’ zum 15. Aug. 1489 in Köln als angeblich 18jähriger wegen seiner stupenden Gelehrsamkeit und Eloquenz Aufsehen erregte. Damals war er bereits als Lateinlehrer in Antwerpen tätig, besorgte hier in der renommierten Offizin des Gerard Leeu auch einige Ausgaben; mit dem Widmungsbrief zum ‘Cento Probae’ hatte er Resonanz bei Erasmus (Op. epist., Bd. 1, Nr. 32). Dem Brief an seine Schüler im ‘Cento Probae’ (Bl. ev⫺[e2]r) zufolge stand im Herbst 1489 eine Reise nach Italien bevor, die über Köln und einen Besuch bei seinem Gönner Johann Rinck führen sollte; ein Aufenthalt im Süden ist jedoch nicht belegt, wird auch von C. selber nicht erwähnt. Im Frühjahr 1491 hat er Augsburg besucht; nach den literarischen Aufträgen, die er hier erfüllte (s. u. II. C.1.; D.4.), wohl nicht nur en passant. 1492 war er anscheinend bei Celtis in Ingolstadt (falls der garrulus Frisius der Ode II 20 tatsächlich C. ist). Im Febr. 1493 machte er in Linz Besuch; Johannes Krachenberger hatte danach freilich Anlaß, sich (ebenfalls) über C.s Redseligkeit zu mokieren (Celtis-Br., S. 101 f. mit Anm. 3). Im Herbst 1494 war C. wieder in Antwerpen; am 2. Nov. krönte Maximilian ihn dort – nach Celtis und J Cuspinian als dritten Deutschen – zum Poeta laureatus und nahm ihn unter seine familiares auf (Text der beiden Urkunden: Enenkel, S. 69⫺75), und hier, in der zweiten Urkunde, erscheint er erstmals als artium liberalium doctor; so nennt er sich brieflich fortan auch selber. 1495/96 war er in Mainz und machte die Bekanntschaft Dietrich J Gresemunds d. J. Seit 1497 verbrachte er offenbar einige Jahre ˇ esky Krumim südböhmischen Krumau (C lov) am Hof der Rosenberg als deren poeta. Er schickte Celtis damals ein Lobgedicht, das er auf ihn verfaßt hatte, und bat
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Canter, Jacobus
ihn um Aufnahme in die Wiener Sodalitas Danubiana (Celtis-Br., Nr. 197). In diesen Jahren gewann er auch die Aufmerksamkeit Bohuslavs von J Hassenstein, der ihm ein Carmen widmete und auf seinen 1497 verstorbenen Vater zwei Epitaphia schrieb (s. Ryba, S. 5). 1500 war C. wieder in Köln, wo er – falls keine Verwechslung mit seinem Bruder Andreas vorliegt – zwei metrische Inschriften für die Ratskapelle verfaßte, und erneut 1505 wohl während des Reichstags bei der Krönung des Georg J Sibutus zum Poeta laureatus. In diesem Jahr nahm C.s Wanderzeit ein Ende. Er zog nach Emden, wo er das Amt des Vicarius perpetuus am Hl. Kreuz-Altar der Großen Kirche und eine Pfründe in GroßFaldern erhalten hatte. Wann er die Priesterweihe, Voraussetzung für das Emdener Vikariat, empfangen hat, ist unbekannt. Über seine Einkünfte unterrichtet seine hauptsächlich für die Jahre 1526⫺1528 erhaltene Buchführung (s. Kappelhoff). In den frühen Jahren der Reformation, die sich in Emden rasch durchsetzte, hatte er dort seine Gegner, zog sich aber offenbar nicht vor Anfang 1529 in seine Heimatstadt Groningen zurück. Hier starb er, der Inschrift des Grabsteins (Ebels-Hoving, 1981, S. 49 Anm. 143) zufolge 60jährig, bereits am 31. März 1529. In seiner Heimat hatte C. nach dem Bericht des Ubbo Emmius (‘Rerum Frisicarum historia’, Leiden 1616, S. 829) einen zwiespältigen Ruf: seine Gottlosigkeit und Verachtung des Christentums seien bekannt gewesen, doch habe die Nachwelt ihn eher als einen Mann von Erudition und Lebensart in Erinnerung behalten. I I. Sc hr if te n. Der junge C. galt als großes Talent. Ein führender Dichter oder Schriftsteller ist er indes nicht geworden. Sicherlich ist manches, das er verfaßte – etwa das Lobgedicht auf Celtis – verschollen, vielleicht sogar vieles. Ulrich von J Hutten (‘Adversus utrumque Lossium Querelae’ II 10, 187 f.) schätzte ihn als versierten Dichter, und Euricius J Cordus (Opera poetica, Frankfurt a. M. 1564, S. 203 f. u. 294 f.) rühmte noch 1527 – er hielt sich damals als Arzt Ed-
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zards I. (1491⫺1528) in Emden auf – in zwei Epigrammen die fortdauernde poetische Schaffenskraft des maximus poeta. Gemessen an solchen Zeugnissen und Urteilen nimmt sich das erhaltene Œuvre bescheiden aus. Nur kleine Beigaben zu Schriften anderer kamen zum Druck, keines seiner beachtlichen größeren Werke. Die Ausgaben, die C. besorgte, sind offenbar nur Abdrucke ihrer Vorlagen, nicht Zeugnisse philologischer Arbeit. A . ‘ Ro sa Ro se ns is ’. Das 851 Hexameter umfassende Gedicht gehört in die Frühzeit der humanistischen Komödie in Deutschland. Die Handlung dreht sich um das Crimen eines Kußraubs, den der junge Eutychus an Calliroe, der Tochter des Königs Charilaus, verübt, während sie, begleitet von ihrer Amme Clymene, in freier Frühlingsnatur Blumen liest, um aus ihnen Kränze zu winden. Der entflohene Täter kann, sowie Calliroe verstört und unter Tränen heimgekehrt ist, rasch gestellt werden. Er kommt nach langer Beratung zwischen dem König und Nicostrata, der Königin, die zunächst den Tod des Eutychus fordert, schließlich mit einer humorvollen Strafe davon, welche die Königstochter ersinnt: Er hat ihr täglich neun Blumenkörbchen zu übergeben, solange, bis sie verheiratet ist – eine Tantalus-Strafe: der Verliebte darf sie täglich sehen, sich ihr aber niemals nähern. Dem ausschließlich aus dialogischer Rede bestehenden Gedicht läßt sich je nach dem Auftreten der Personen eine szenische Gliederung ablesen: 1. (1⫺344) Calliroe erhält gegen die Bedenken der Mutter Erlaubnis zum Ausflug; die Eltern bleiben im Gespräch zurück. 2. (345⫺442) Überstürzte Rückkehr Calliroes; Bericht des Vorfalls; Maßnahmen zur Ergreifung des Täters. 3. (443⫺543) Der gestellte geständige Eutychus; Verhör, Liebesbekenntnis. 4. (544⫺792) Beratung über die Strafe. 5. Urteil (793⫺851). Die 1. und die 4. Szene verdanken ihren Umfang nicht ausgedehnter Handlung, sondern exkursartig erweiterten Gesprächen des Königs und der Königin, in der 4. Szene, anknüpfend an die Frage des Strafmaßes für den vom
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Canter, Jacobus
furor der Liebe ergriffenen Eutychus, über Liebe, Tod und Leben, in der 1. Szene über den Liebestrieb in der Natur, bei Frauen und Männern; die Rede des Königs wendet sich hier über die Herkunftsgeschichte der Rose, der Blume der Venus, zur Genealogie des Hauses Rosenberg, das sich nach seiner Abkunft von den Orsini letztlich der Abstammung von Aeneas, dem Sohn der Venus, rühmen darf. Als szenisch-dialogisches Gedicht, in ihrer Kunstsprache und ebenso in ihren Diskursen lebt C.s ‘Rosa’ von der Imitatio römischer Dichtung (v. a. Komödie und Ovid). Ihr brillant beherrschtes Spiel mit dem antiken literarischen Fundus stellt sie jedoch hoch über das breite Niveau formaler Imitatio. Gewidmet ist sie mit einer Vorrede vom 4. Mai aus Kloster Goldkron b. Krumau den Brüdern Rosenberg, gebildeten Adligen, von denen die beiden jüngeren, Peter (* 1462) und Ulrich (* 1471), in Bologna studiert hatten und 1488⫺95 mit Filippo Beroaldo korrespondierten (Ryba, S. 4). Im Datum der Vorrede fehlt die Angabe des Jahres; es muß in die Zeit 1497⫺ 1500 fallen. Die ‘Rosa’ ist, vielleicht in einer älteren oder jüngeren Fassung (und dort ohne die RosenbergGenealogie), wohl identisch mit jenem von J Buschius den Freunden der Musen empfohlenen Gedicht C.s, das er unter dem Titel osculum anführt (‘Epigrammaton liber III.’, 1504, Bl. [H3]v); es galt bis zu Rybas Ausgabe als verschollen. Überlieferung. Prag, Na´rodnı´ Knihovna, Cod. VI F 2, 3r⫺32r, Ende 15. Jh., 4 kolorierte Illustrationen. Aus der ehem. Bibl. Rosenberg. Ryba, S. 6.
Ausgabe. Ryba, S. 8⫺32.
B . ‘ Di al og us de so li tu di ne ’. C.s ‘Dialogus’, der in der Dialogliteratur des Renaissancehumanismus nach Form und Inhalt kaum Vergleichliches hat, ist in zwei Bücher geteilt. Im ersten, deutlich kürzeren baut C. die gattungstypische Eingangsszene des platonischen Dialogs unter Nutzung von Motiven und Techniken der römischen Komödie zu einem bühnenfähigen Vorspiel aus: Hyppolitus, unglücklich verliebt, auf dem Wege, sich in die einsame Natur zurückzuziehen, und Philodemus,
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der Freund, treffen sich zufällig vor den Toren der Stadt und verabreden einen Spaziergang, den ein Gespräch über das Leben in gewählter Einsamkeit füllen soll. Zustande kommt das Gespräch erst nach einer ausgiebigen Inszenierung kommunikativer Verwicklungen, nach Philodems nicht locker lassenden Versuchen, mit allen Waffen der Rede den Liebesschmerz des Freundes zu verdrängen und seinen Entschluß, die Einsamkeit zu wählen, nach Hyppolits Einlenken schließlich, wenigstens für die Dauer des Spaziergangs die Qualen des Herzens zu vergessen, sie abzulegen wie einen Gegenstand beim heiligen Baum des Apollo.
Dem auf diesem Wege erreichten Thema des ‘Dialogus’ gehört das große 2. Buch. Unter solitudo, die Hyppolit preist und ersehnt, so stellt sich alsbald heraus, ist eine Lebensform verstanden, eine urtümliche außerzivilisatorische Lebensform in der Abgeschiedenheit der Wälder. Es geht um die Alternative zweier Ideale, eines freien naturnahen bedürfnislosen Lebens fern der Gesellschaft und, von Philodem verfochten, eines urbanen Lebens in sicheren Mauern und sozialer Gemeinschaft, das sich der Errungenschaften der Künste und Handwerke und materiellen Wohlstands erfreut. Während Philodem Menschsein unabdingbar mit der fortschreitenden Kulturentwicklung verbunden sieht, erkennt Hyppolit in dieser nur Mißstand, Degeneration, Entäußerung des Menschen von sich selbst, gilt ihm das Bei-sich-sein in der solitudo als die überlegene Existenz, die der Weise wählt. Das Streitgespräch zwischen den beiden nicht vermittelbaren Positionen, das sich in zwei Triaden aus Rede, Gegenrede und Duplik – die erste eröffnet Hyppolit, die zweite Philodem – gliedert und mit einem Schlußplädoyer des Hyppolit endet, kommt nur scheinbar zum Entscheid. Der Tag geht zur Neige, die Tore der Stadt werden geschlossen, und daher bleibt Philodem das eigene Schlußwort verwehrt. Er erklärt stattdessen, ohne im geringsten überzeugt zu sein, Hyppolit zum Sieger – schalkhaft nachgebend, damit der Freund im Hochgefühl des Sieges sich nicht mehr des bei Apoll deponierten Liebesschmerzes entsinne – und nimmt ihn mit zurück in
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Canter, Jacobus
die Stadt. Der vermeintliche Debattensieger ist ein düpierter Sieger; mit dem Aufbruch in die Wälder wird es nichts. Der komödienhafte Ausgang und mit ihm die spielerische Rahmung des ganzen Dialogs versetzen ihn in ein stets ambivalentes Licht. Affirmation und Negation der Kultur bleiben unauflöslich kopräsente Positionen (anders Enenkel, S. 132−136). Die Entstehungszeit des undatierten ‘Dialogus’ ist ungewiß; Enenkel, der die von Ebels-Hoving angesetzte Datierung ‘Augsburg, wahrscheinlich 1491’ zu Recht zurückweist, macht S. 81⫺87 gute Gründe für eine Datierung zwischen 1497 und 1504 und damit vermutlich nach der ‘Rosa Rosensis’ geltend. Überlieferung. Clm 4417 , 1 ⫺34 . Aus St. Ulrich und Afra in Augsburg. 35r⫺52v folgt von anderer Hand die ‘Vita s. Udalrici’ D Berns von Reichenau. Ebels-Hoving, 1981, S. 65 f.; Enenkel, S. 220⫺225. Ausgaben. Ebels-Hoving, 1981, S. 68⫺199 (unzureichend), mit engl. Übers.; Enenkel, S. 232⫺ 375, mit dt. Übers. u. profundem Kommentar. d
r
v
C . C ar mi na . 1. Vermutlich bei seinem Aufenthalt 1491 in Augsburg hinterließ C. ein Epitaph auf den Franziskaner D David von Augsburg (Clm 4393, 124v, 4 Dist.) und 17 sapph. Strr. zu Mariä Verkündigung (Clm 4409, aus St. Ulrich u. Afra in Augsburg, 49r⫺50r: Sapphicorum endecasyllaborum Jacobi Canter frisy primitie [...], Abschrift um 1495). Im Clm 4409 folgt Bl. 50v⫺52v von gleicher Hand ein weiteres Carmen Saphicum De beata Virgine (34 Strr., über die Schmerzensmutter), aber anonym, ohne Zuschrift an C. Die Hs. gibt keinen Anhaltspunkt für Rybas (S. 6) Annahme, daß auch zwei Rosarien, die Bl. 53r ff. von anderer Hand eingetragen sind, C. zum Autor haben. 2. Neben dem Epigramm zum Registrum von Bonattis ‘Liber astronomicus’ und dem in der Ausgabe des ‘Axiochus’ sind nur drei weitere bekannt, ebenfalls Beigaben zu Drucken anderer: a) Dietrich Gresemund, ‘Podalirij Germani cum Catone Certomio [...] dialogus’. Mainz [1495]. GW 11510, Bl. A iijr: Jacobi Canteris Frisij
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artium liberalium doctoris et poete Laureati ad Germaniam versiculi (5 Dist.); Abdruck bei J. Lefebvre, Les fols et la folie, Paris 1968, S. 392. – b) Georgius Sibutus, ‘De divi Maximiliani Caesaris adventu in Coloniam [...] panegyricus’. Köln 1505. VD 16, S 6268, Bl. [b6]r (4 Dist. an den in eine Liebschaft verstrickten Sibutus). – c) Albert J Krantz, ‘Saxonia’. Köln 1520. VD 16, K 2257, Titelbl.v (5 Dist.: ‘Ohne den Schriftsteller fällt alles dem Vergessen anheim’). Die beiden Kölner Inschriften bei Ennen, Bd. 3, S. 336 f. D. Ausgaben. 1. Opusculum vite et pas|sionis cristi. eiusque geni-|tricis marie ex reuelatio|nibus beate birgitte com|pilatum et compendiosa le|genda eiusdem. Antwerpen: Gerard Leeu, 3. März 1489. GW 4396. In 41 Kap. geteilter Auszug aus den ‘Revelationes’ der D Birgitta von Schweden, der aus dem niederländischen Birgittenkloster Dendermonde stammt. Der Druck, ein Andachts- und Betrachtungsbuch in 12°, enthält nach der ‘Vita Christi’ eine Legenda beate Birgitte, Gebete an Birgitta und ihre Tochter Katharina. Am Ende Widmungsbrief C.s an seine Schwester Ghebbe, Nonne im friesischen Kloster Essen. – ND: Opusculum vite et passionis chri/| sti. [...]. [Speyer: Peter Drach d. M.], 16. Mai 1491. GW 4397. 2. Franciscus Petrarcha | de secreto conflictu cu|rarum suarum. Antwerpen: Gerard Leeu, 14. März 1489. HC 12801; Geiss, S. 381⫺384. Bl. 1v: Jacobus Canter frisius ad lectorem studiosum litterarum. Nach einem Lob des Buchdrucks ein vielleicht von Agricolas ‘Vita Petrarcae’ angeregtes Bekenntnis zu Petrarcas epochalem Rang. – ND: Deventer: Jakob de Breda, 12. Jan. 1498. HC 12802; Geiss, S. 385⫺390. 3. Proba, ‘Cento Vergilii’ mit Interlinear- und Marginalglossen (Titels. leer). Antwerpen: Gerard Leeu, 12. Sept. 1489. HC 6906. Bl. [1]v: Prologus.| Jacobus Canter Frisius Ursule virgini docte sorori sue S. P. D. Bl. [25]v: Jacobus Canter Frisius auditoribus suis viris prestantissimis. 4. Die Augsburger Offizin des Erhard Ratdolt vollendete unter dem 26. März 1491 den Druck des ‘Liber astronomicus’ Guido Bonattis (13. Jh.), des bis dahin mit Abstand umfangreichsten astronomisch-astrologischen Werks (816 S.); den Text redigierte Johannes J Engel. Nachträglich druckte Ratdolt ein zu Recht als unentbehrlich erkanntes detailliertes Inhaltsverzeichnis (26 S.) und stellte es dem Druck voran. Zu diesem Registrum schrieb C. unter dem 28. Juni [1491] einen Brief an den
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Carpentarius, Georgius
jungen Astronomen Johannes Miller, in dem er Ratdolts Verdienste um die mathematischen Disziplinen rühmt, nachdrücklich aber auch seinen Glauben an die Astrologie bekennt: sie sei der untrügliche Weg zur Erkenntnis der deorum [!] consilia. Dem Brief ließ er vier den Index empfehlende Distichen folgen. An der Entstehung des Registrum hatte C. keinen erkennbaren Anteil. Druck: Registrum Guidonis | Bonati de forliuio. | Titel zu Bonattis Werk: Guido bonatus de forliuio. Decem | continens tractatus Astronomie. GW 4643. Einer Minderheit der zahlreichen erhaltenen Exemplare fehlt (noch) der Index. 5. Axiochus Platonis de con⫽|temnenda morte. [Mainz: Peter v. Friedberg, um 1495]. Cop. 4767. Widmung an den Kölner Patrizier Johann Rinck, einen bedeutenden Mäzen humanistischer Gelehrter, als Trostschrift zum Tode seiner Eltern. Neudruck des ps.-platonischen Dialogs in der Übers. Rudolf Agricolas nach dem Exemplar, das Rinck C. einst geschenkt hatte. Titelbl.v: Epigramm C.s an Rinck (10 Dist.): Wenn er als Sterblicher die Todesfurcht besiege, werde er den furchtlosen unsterblichen Herkules übertreffen. Auch in einem Sammeldruck mit zwei Hieronymus-Briefen u. a. [Deventer: Rich. Pafraet, um 1499], Bl. [29]r⫺ [35]v. GW 12442. Literatur. Ubbo Emmius, Rerum Frisicarum historiae libri X, Leiden 1616, S. 925; L. Ennen, Gesch. d. Stadt Köln, Bd. 3, 1869, S. 336 f., Bd. 4, 1875, S. 75 f.; J. Aschbach, Gesch. d. Wiener Univ., Bd. 2, 1877, S. 197 u. 437; Bauch, Mainz, S. 27, 38 f.; F. Ritter, Henricus Ubbius’ Beschreibung v. Ostfriesland v. J. 1530, Jb. d. Ges. f. bildende Kunst u. vaterländ. Altertümer zu Emden 18 (1913/14) 53⫺141, hier S. 123⫺128 (Joh., Joachim u. Jacob C.); H. Keussen, Matr. Köln, Bd. 2, 1919, S. 212 (394, 57) u. 300 (411, 16); K. Grossmann, Die Frühzeit d. Humanismus in Wien bis zu Celtis’ Berufung, Jb. d. Landeskunde v. Niederösterr. NF 22 (1929) 152⫺323, hier S. 285; E. Kochs, Die Bibliothek d. Großen Kirche in Emden, II., Jb. d. Ges. f. bildende Kunst u. vaterländ. Altertümer zu Emden 25 (1937) 18⫺53, hier S. 18⫺20; B. Ryba, Iacobus Canter Frisius, Rosa Rosensis (Bibliotheca SS. medii recentiorisque aevorum), Budapest 1938; S. Viarre, Quelques aspects de l’emploi de formules et de the`mes ovidiens a` propos du Rosa Rosensis de J. C., in: G. Verbeke / J. IJsewijn (Hgg.), The Late Middle Ages and the Dawn of Humanism outside Italy, Leuven/The Hague 1972, S. 205⫺222; B. Kappelhoff, Ein Einkünftereg. d. Emder Vikars Dr. J. C. 1526⫺28, in: F. Kopitzsch u. a. (Hgg.), Stud. z. Sozialgesch. d. MAs u. d. frühen Neuzeit, 1977, S. 106⫺131, auch in: Ostfriesland. Zs. f. Kultur, Wirtschaft u. Verkehr, 1977, H. 1, S. 18⫺25, H.
2, S. 17⫺21; B. Ebels-Hoving, J. C., Dialogus de Solitudine (Humanist. Bibl. II 14), 1981; dies., Desiderius Erasmus u. Jacobus C., in: D. E. de Boer / J. W. Marsilje (Hgg.), De Nederlande in de Late Middeleeuwen, Utrecht 1987, S. 125⫺141; dies., in: Killy, Lit.lex. 2, 1989, S. 361; A. Schmid, Poeta et orator a Caesare Maximiliano laureatus. Die Dichterkrönungen Ks. Maximilians I., Hist. Jb. 109 (1989) 56⫺108, hier S. 94; M. Tielke, in: Biograph. Lexikon f. Ostfriesland, Bd. 1, 1993, S. 71⫺74 (nicht immer kritisch); K. A. E. Enenkel, Kulturoptimismus u. Kulturpessimismus in d. Renaissance. Studie zu J. C.s Dialogus de solitudine mit krit. Textausg. u. dt. Übers., 1995 (mit wichtigen Korrekturen d. biographisch durchweg fehlerhaften jüngeren Forschung); Geiss, Petrarca-Rezeption, S. 69⫺73, 381⫺390.
F. J. Worstbrock
Capnio J Reuchlin, Johannes Carbach J Karbach, Nikolaus Carpentarius (Carpentarii, Pontanus, Zimmermann), Georgius I . L eb en . Um 1487 in Brugg/Aargau geb., besuchte C. ab 1496 die Schule in Schaffhausen, 1499 die Münsterschule in Straßburg sowie, nach kurzem Aufenthalt bei einem Notar in Benfeld/Elsaß, ab 1500 die St. Petersschule in Basel. Seinen Lebensunterhalt verdiente der arme Scholar, der zeitweilig durch reiche Gönner unterstützt wurde, als Kopist; 1502 wurde er Chorsänger an St. Peter. Im Sommer 1503 schrieb er sich an der Basler Univ. ein, im Herbst 1504 wurde er, zusammen mit dem ein Jahr vor ihm immatrikulierten Huldrych Zwingli (1484⫺1531), zum Baccalaureus, 1507 zum Magister artium promoviert. Im Mai 1509 trat er in die unter Prior Hieronymus Zscheckenbürlin (1460/61⫺1536) florierende Kleinbasler Kartause St. Margarethental ein. 1510 legte er die Gelübde ab und vermachte dem Kloster seine aus 48 Bänden hauptsächlich theologischer und geistlicher Literatur bestehende Bibliothek (Verzeichnis: Vischer/Stern, S. 519 f.). 1511 feierte er Primiz. Auch als Mönch betätigte C. sich als Schreiber (vgl. Scarpa-
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Carpentarius, Georgius
tetti, S. 257; Steinmann, 1982 u. 1998).
Er übersetzte die Ordensstatuten für die Laienbrüder aus dem von Gregor J Reisch herausgegebenen ‘Repertorium statutorum ordinis Cartusiensis’ (Basel, Joh. Amerbach 1510) (ed. Sexauer, S. 209⫺280). Als Bibliothekar seines Klosters machte er sich um die Katalogisierung der umfangreichen Buchbestände verdient (Sexauer, S. 115⫺ 125, 289⫺291). Das Vorwort seines Bibliothekskatalogs (ed. H. Schreiber, ZfB 44 [1927] 15) sowie die diesem beigegebene Anleitung für den Bibliothekar (L. Sieber [Hg.], Informatorium bibliothecarii Carthusiensis [...], 1888) bezeugen einen hohen Stand bibliothekarischer Praxis. 1527 erlitt C. einen Schlaganfall, von dem er sich wieder erholte. Er starb am 6. Okt. 1531 (vgl. Scarpatetti, S. 56 u. 257, wodurch andere in der Literatur kursierende Jahreszahlen zu korrigieren sind) und wurde wohl in der Kartause beigesetzt. C.’ Einschätzung der Reformation hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Seine Schilderung der Schweizer Ereignisse (s. II.3.b.) läßt nichts mehr von den Sympathien erkennen, die er noch 1525 in einem Brief an Zwingli zum Ausdruck brachte (Huldreich Zwinglis Sämtl. Werke, Bd. 8, Nr. 385). Vor den Werken Martin Luthers, die er selber in die Klosterbibliothek eingestellt hatte, warnte er im Katalog (Vischer/Stern, S. 369 f.). Seine Position dürfte der des damals in Basel lebenden, sowohl die kirchlichen Mißstände als auch das reformatorische Ungestüm kritisierenden J Erasmus von Rotterdam entsprochen haben. I I. We rk . Das bis auf die beiden Chroniken (s. u. II.3.) anonym gebliebene literarische Schaffen C.’ ist belegt durch eine autobiographische Passage in der jüngeren Chronik (Vischer/Stern, S. 379−382).
1. H er au sg eb er bzw. Ko rr ek to r.
Für den Basler Drucker Adam Petri (um 1454⫺1527) besorgte C. 1521 eine Ausgabe von Predigten Johannes D Taulers, die im Jahr darauf nachgedruckt wurde. Sie stellt die bislang umfangreichste Druckausgabe Taulerscher Predigten dar, enthält allerdings auch Unechtes sowie Predigten,
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die Bl. CCXLIIva zu Recht Meister D Eckhart zugewiesen werden (vgl. 2VL, Bd. 9, Sp. 640, 651). Petri rückt die beiden Ausgaben im Vorwort sowie im Kolophon in einen reformatorischen Zusammenhang, wovon C. sich in hsl.en Anmerkungen im Exemplar der 1522er Ausgabe aus der Kartäuserbibliothek distanziert (vgl. Auszüge bei Vischer/Stern, S. 379⫺381 Anm. 1). Drucke. Joannis Tau|leri des heiligen lerers | Predig/ fast frucht|bar zu eim recht | christlichen | leben. [...]. Basel: Adam Petri, 1521. VD 16, J 784; ND mit leicht verändertem Titel: Joannis Tau|leri des seligen lerers | Predig [...]. Basel: Adam Petri, 1522. VD 16, J 785.
2. D eu ts ch e Ü be rs et zu ng en vo n Wer ke n d es Er as mu s. Nach Aussage C.’ wurden zwei seiner ErasmusÜbersetzungen gedruckt: ‘De modo orandi’, ‘De comparatione virginis et martyris’ (Vischer/ Stern, S. 381), andere nicht. Es ist daher zu vermuten, daß die 1525 bei Johannes Froben (um 1460⫺1527) in Basel erschienenen dt. Übersetzungen dieser Werke sowie zweier weiterer (s. u. b und c) von C. stammen. Sie belegen den kurzlebigen Versuch Frobens, sein Programm um deutschsprachige Drucke zu erweitern. In allen drei Fällen handelt es sich um die einzige zu Lebzeiten des Erasmus veröffentlichte dt. Übersetzung.
a) Ein schön buch | Wie man Gott bitten/ loben | vnd dancken soll/ gemacht | zu Latin durch den hochge|lerten doctor Erasmum von | Roterodam/ nüwlich, so vil | müglich was zu gemeinem | nutz vertütschet. Basel: Joh. Froben, 1525. VD 16, E 3179. Übersetzung von ‘Modus orandi Deum’ (Basel: Joh. Froben, 1524; ASD, Bd. 5⫺1, S. 111⫺176), worin Erasmus eine auf die Bibel sowie die Kirchenväter gestützte Einführung ins christliche Beten bietet, in welcher er, trotz der reformatorischen Kritik, an der Anrufung der Heiligen festhält. b) Hochprysung der | vngemeßnen Barmhertzikeit | Gottes/ durch den wolgelerten | Doctor Erasmum von Ro|terodam / nüwlich in form einer | predig zu latin gestelt/ demnach | zu mercklichem trost vnd bes|serung der Christen/ in dz hochtütsch ylends gewendet. | Item verglychung | einer woren jungkfrowen vnd | eins martyrers. Durch den | selbigen
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Carpentarius, Georgius
(wie obstatt) dran ge|henckt. Basel: Joh. Froben, 1525. VD 16, E 3045. Übersetzung der beiden 1524 von Froben in einem Band gedruckten Werke ‘De immensa Dei misericordia’ und ‘Virginis et martyris comparatio’ (Erasmus, LB, Bd. 5, Sp. 557⫺588, 589⫺600). Auch wenn die autobiographischen Angaben C. nur als Übersetzer des zweiten Werkes ausweisen, stammt wohl die Übersetzung des gesamten Buches von ihm. c) Entdeckung | Doctor Erasmi von Ro|terdam der dückischen arg|listenn eines Büchlin inn | teutsch vnder einem erdichten | titel/ mit diser vberschrifft: | Erasmi/ vnd Luthers mei|nung/ vom nachtmal vn⫽|sers herren/ kurtzlich hieuor | vff den xviij. Tag Aprels/ | vßgangen. Basel: Joh. Froben, 1526. VD 16, E 2617. Übersetzung der ‘Detectio praestigiarum cuiusdam libelli germanice scripti, ficto auctoris titulo, cum hac inscriptione, Erasmi et Lutheri opiniones de Coena domini’ (Basel: Joh. Froben, 1526; ASD, Bd. 9⫺1, S. 211⫺262). Damit reagierte Erasmus auf eine im Vorfeld der Badener Disputation (1526) pseudonym veröffentlichte Schrift des Zürcher Pfarrers Leo Jud (um 1482⫺1542), eines eifrigen Übersetzers seiner Werke, und verwahrte sich gegen dessen Behauptung, er stimme in der Eucharistielehre mit Luther und den Schweizer Reformatoren überein. Da C., der Erasmus nicht selber anzuschreiben wagte, diesem über Bonifatius Amerbach (1495⫺ 1562) eine von ihm angefertigte Übersetzung der ‘Detectio’ angeboten hat (Amerbach-Korr., Bd. 3, Nr. 1125), ist es wahrscheinlich, daß es sich hier um diese, möglicherweise von Amerbach überarbeitet, handelt. Auch Jud hielt C. für den Übersetzer, dem er zahlreiche Fehler vorwarf (vgl. Holeczek, S. 203 f., 207; skeptisch C. Augustijn, ASD, Bd. 9⫺1, S. 228). Die Übersetzung “sucht mit sichtlicher Mühe die grammatikalische Gestalt des Lateinischen auch im Deutschen wiederzugeben, weshalb sich der deutsche Text wie eine Schülerarbeit liest” (Holeczek, S. 204). d) Unveröffentlichte Übersetzungen. Ungedruckt blieben C.’ Übersetzungen von Schriften des Erasmus, die dieser im
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Streit mit Luther über den freien Willen verfaßt hat. Eine von Johannes J Cochlaeus angefertigte dt. Übersetzung von ‘De libero arbitrio’ (1524) wurde auf Wunsch Frobens von C. überarbeitet, jedoch ob certas causas nicht gedruckt (Vischer/ Stern, S. 382). Auch den ersten Teil des ‘Hyperaspistes’ (1526), mit dem Erasmus auf Luthers ‘De servo arbitrio’ (1525) reagierte, hat C. vergeblich übersetzt. Beide Übersetzungen sind verschollen. C. bot B. Amerbach zugleich die Verdeutschung weiterer Schriften des Erasmus an, so der ‘Lingua’ (1525) – wenn jemand sich der griechischen Passagen annehme – und der ‘Evangelienparaphrasen’ (1522/23). 3. C hr on ik en . a) Chronik der Basler Kartause 1480⫺ 1526. Auf der Basis von Vorarbeiten von Mitbrüdern setzte C. 1526 die Chronik des langjährigen Priors Heinrich D Arnoldi (um 1407⫺1487) fort. Während diese kunstvoll als Dialog zwischen der hl. Margarete, der Patronin des Klosters, und einem als deren servulus vorgestellten Gesprächspartner gestaltet und in einer sorgfältigen Reinschrift überliefert ist (Ausg.: Vischer/Stern, S. 239⫺306), handelt es sich bei C.’ Continuatio um eine sowohl in sachlicher als auch sprachlicher Hinsicht der Bearbeitung bedürftige erste Niederschrift. In fünf Kapiteln wird das Wirken der Prioren für die äußere und innere Ausgestaltung des Klosters ab 1480 dargestellt, wobei C. die Verdienste des amtierenden Priors Zscheckenbürlin (s. o. I.) um dessen Ausbau und Ausstattung zwar würdigt, ihm aber Vernachlässigung seiner Pflichten als geistlicher Vorsteher vorwirft. Ein eigener Abschnitt ist dem bedeutenden Vertreter der Via antiqua, Johannes D Heynlin, gewidmet, der 1487 in die Basler Kartause eintrat und ihr seine wertvolle Bibliothek hinterließ. Ausgabe. Vischer/Stern, S. 307⫺356 (Text: S. 320⫺356).
b) Reformationschronik. C., der in seiner Klosterchronik auf die Reformation und deren Auswirkungen auf
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Celtis, Konrad
die Kartause nicht einging, verfaßte eine eigene, chronologisch aufgebaute Schilderung der Ereignisse v. a. in Basel und Zürich von 1518 bis ins Frühjahr 1528. Die autobiographischen Passagen verraten nichts über C.’ anfängliche Sympathien für die Reformation. Das in jeder Hinsicht unvollendete Werk ist in mehreren lückenhaften Abschriften überliefert. Ausgabe. Vischer/Stern, S. 357⫺425 (Text: S. 378⫺425). Übersetzung. Die Reformationschronik des Karthäusers Georg, übers. v. K. Buxtorf, Basel 1849. Literatur. W. Vischer / A. Stern (Hgg.), Basler Chroniken, Bd. 1, 1872; B. M. v. Scarpatetti, Kat. d. datierten Hss. in d. Schweiz in lat. Schr. v. Ausgang d. MA bis 1500, Bd. 1: Text, 1977; W. D. Sexauer, Frühnhd. Schriften in Kartäuserbibliotheken. Unters. zur Pflege d. volkssprachlichen Lit. in Kartäuserklöstern d. oberdt. Raums bis zum Einsetzen d. Reformation (Europäische Hochschulschr. I 247), 1978, S. 193⫺199 u. ö.; R. Feller / E. Bonjour, Gesch.schreibung d. Schweiz. Vom SpätMA zur Neuzeit, Bd. 1, 21979, S. 197 f.; M. Steinmann (Bearb.), Die Hss. d. UB Basel. Reg. zum d. Abt. A I⫺A XI u. O, 1982, S. 417; H. Holeczek, Erasmus dt., Bd. 1, 1983; F. Hieronymus, 1488 Petri ⫺ Schwabe 1988. Eine traditionsreiche Basler Offizin im Spiegel ihrer frühen Drucke, 1997, S. 1830 (Reg.); M. Steinmann (Bearb.), Die Hss. d. UB Basel. Reg. z. d. Abt. C I⫺C VI [...], 1998, S. 369 f.; H. Otto, Vor- u. frühreformatorische Tauler-Rezeption. Annotationen in Drucken d. späten 15. u. frühen 16. Jh.s (QF z. Reformationsgesch. 75), 2003, S. 40 f.
Peter Walter
Celtis (Bickel, Pickel), Konrad (Conradus Celtis Protucius) Inhalt. I. Leben. ⫺ II. Werk. A. Herausgeber. 1. Seneca, ‘Hercules furens’ und ‘Coena Thyestis’. 2. Ps.-Apuleius, ‘De mundo’. 3. Tacitus, ‘De origine et situ Germanorum’. 4. Nikolaus von Kues, ‘Propositiones de li non aliud’. 5. Hrotsvit von Gandersheim, Opera. 6. Gunther von Pairis, ‘Ligurinus’. ⫺ B. Eigene Werke. 1. Lehrschriften. a) ‘Ars versificandi et carminum’. b) Rhetorisches Lehrbuch. c) Griech. Grammatik. 2. Bildungsprogramm. a) ‘Panegyris’. b) ‘Oratio in gymnasio in Ingelstadio publice recitata’. 3. Deutschlandbeschreibung. a) ‘Germania illustrata’. b) ‘Norimberga’. c) ‘Germania generalis’. 4. ‘Opera in poe-
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tica’. a) ‘Quattuor libri amorum’. b) ‘Odarum libri quattuor’. c) ‘Epigrammatum libri’. d) Schauspiele. e) Kleinere poetische Zyklen und Einblattdrucke. ⫺ C. Briefwechsel. ⫺ D. Würdigung. ⫺ Literatur.
I . L eb en . Wichtigste Quelle für C.’ Leben, Werdegang und persönliches Umfeld ist der Briefwechsel. Gegenüber C.’ Aussagen ist hier wie in den Werken freilich Vorsicht geboten, da sich in ihnen Biographie und “erfundene Wahrheit” (U. Hess) auf je neu zu bestimmende Weise durchdringen. Nur bedingt aufschlußreich ist die sog. C.-Vita der Sodalitas Rhenana (Celtis-Br., Nr. 339). Sie entstand bereits um 1495 und wurde nur notdürftig retuschiert der postumen Ausgabe der ‘Oden’ beigegeben. Für C.’ Geburt und Jugend ist sie die einzige, wenngleich stark legendenhafte Quelle. Einer Würdigung durch die Forschung harrt weiterhin die (Teil-)Abschrift einer C.-Vita durch Hartmann J Schedel (Clm 434, 69v⫺70r), die wichtige, später in den Drucken wiederkehrende Informationen zu Person und Werk enthält und ihn dabei im Jahr 1500 verstorben sein läßt. Der Zeitpunkt des Namenwechsels läßt sich nur einkreisen. Legt C. am 1. Dez. 1479 noch als Conradus Bickel de Sweinfordia pauper sein Bakkalaureat an der Kölner Artistenfakultät ab, so latinisiert (bzw. gräzisiert) er seinen dt. Namen (Pyckell, Bickel oder Pickel; gemeint ist der Pfahlpickel, ein Arbeitsgerät der Weinbauern) in den frühen 1480er Jahren; 1484 führt er in Heidelberg bereits den Namen C. In seinen Schriften bezeichnet sich C. nie anders als mit seinem dreiteiligen Humanistennamen (zur Bedeutung der tria nomina vgl. Am. 3,10,15 f.). Schon in der ‘Ars versificandi’ ist auch der gräzisierte Namenbestandteil ‘Protucius’ belegt (von griech. pro¬ [‘vor’] und ty¬kow [‘Meißel’]).
Geb. ist C. am 1. (bzw. in der Nacht zum 2.) Febr. 1459 als Sohn eines Weinbauern in Wipfeld b. Schweinfurt. Aus einem Brief des Neffen Konrad Wiland vom 13. Dez. 1499 (Celtis-Br., Nr. 228) geht hervor, daß C. noch einen Bruder und zwei Schwestern hatte. Wenn er in den ‘Amores’ (⫽ ‘Am.’) (1,12) als Herkunftsort Würzburg nennt, ist dies wie seine Berufung auf ein genus longo proavorum stemmate clarum (ebd., v. 31) biographische Mystifizierung. Dies gilt auch für Datum und Stunde seiner Geburt, die C. im Sinne astrologischer Bedeutsamkeit arrangiert (Am. 1,1). Die übrigen Daten der Jugendgeschichte, die sich der Vita der Sodalitas Rhenana
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entnehmen lassen (Erziehung a germano suo druide, Zwang des Vaters zur Arbeit im Weinberg und Flucht), gehören ins Reich biographisch-literarischer Anekdotik. Am 14. Okt. 1478 immatrikuliert sich C. an der Artistenfakultät in Köln, wo er am 1. Dez. 1479 das Bakkalaureat erwirbt; ein Theologiestudium, wie es die Vita (S. 610, Z. 16 f.) erwähnt, dürfte er jedoch nicht angetreten haben. Zwischen dem 13. Dez. 1484 und dem 20. Okt. 1485 ist C. an der Univ. Heidelberg nachzuweisen. Hier hört er Rudolf D Agricola und erwirbt den Magistergrad. Nach Aufenthalten an den Univ.en Rostock und Erfurt lehrt C. im SS 1486 an der Univ. Leipzig. Aus dieser Lehrtätigkeit gehen C.’ erste erhaltene Schrift, die ‘Ars versificandi et carminum’, und die Ausgabe zweier Tragödien des Seneca hervor. Wenig später (zur Datierung Kemper, 1977, S. 281 f.) muß C. Leipzig überstürzt verlassen ⫺ mittelbare oder unmittelbare Folge einer Plagiatsaffäre um sein ‘Poeticum proseuticum’ (s. u. II.B.4.e.b). Ein Brief an Bohuslaus Lobkowicz von J Hassenstein (Nr. 13) sowie Epigr. 3,1 deuten den Plan einer anschließenden Frankreichreise an. Auf Empfehlung Kf. Friedrichs von Sachsen (Celtis-Br., S. 610) wird C. am 18. April 1487 auf der Nürnberger Burg zum Dichter gekrönt (das ⫺ wohl von C. selbst entworfene ⫺ Krönungsdiplom: Celtis-Br., Nr. 7). Mitte 1487 bricht C. zu einer Italienreise auf, die ihn nach Padua, Ferrara, Bologna, Florenz und Rom führt. Sie bringt ihm die Bekanntschaft führender Figuren des Quattrocento-Humanismus, unter ihnen Marsilio Ficino und Pomponio Leto. In Bologna trifft er Filippo Beroaldo d. Ä., dessen kommentierte Klassikereditionen zu einer von C.’ Hauptquellen werden (Robert, 2003, S. 211⫺219). Noch im Laufe des Jahres 1487 reist er aus Rom ab und gelangt über Venedig und Triest nach Buda, der Residenzstadt des ungarischen Kg.s Matthias Corvinus. In der ersten Hälfte des Jahres 1489 trifft er in Krakau ein, wo er im SS an der Universität über seinen tractatulus der Briefkunst liest. Freundschaft schließt er mit dem Astronomen Albert J Blar de Brudzewo, Philippus Calli-
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machus (Buonaccorsi) und Laurentius J Corvinus. In dieser Zeit führen ihn längere Reisen weichselabwärts bis nach Danzig. Wahrscheinlich im Frühjahr 1491 verläßt C. Krakau und wendet sich nach Prag; er logiert bei dem Buchdrucker Johannes Albus. Für Mai und Herbst läßt sich seine Anwesenheit bei Sebald Schreyer in Nürnberg erschließen. Schon im Dez. trifft er in Ingolstadt ein. Er erhält auf Vermittlung des Juristen Sixtus Tucher an der Artistenfakultät eine (zunächst halbjährig befristete) Lektur für Rhetorik und Dichtung. Am 31. Aug. 1492 hält er eine programmatische Antrittsrede, die er zusammen mit dem Programm einer Studienreform (‘Panegyris ad duces Bavariae’) drucken läßt. 1492 nimmt C. eine Einladung des Kanonikers Johannes Tolhopf nach Regensburg an, wo er einige Monate verbringt. 1493 ist er abwechselnd in Regensburg und Nürnberg; er unterstützt Peter J Danhauser, den er auch später noch berät, bei der Planung des ‘Archetypus triumphantis Romae’. Im Kloster St. Emmeram entleiht er am 30. Jan. 1494 eine Hs. mit den Werken der D Hrotsvit von Gandersheim (Celtis-Br., Nr. 70), die er 1501 auch zum Druck befördert. Im Febr. 1494 erhält er, nach Ingolstadt zurückgekehrt, den erhofften Lehrstuhl (in der Matrikel ist er jetzt als in humanitatis studio ordinarie ad legendum conductus verzeichnet) und beginnt Anfang April seine Vorlesungstätigkeit. Mit dem Heidelberger Humanistenkreis um den Wormser B. Johann von Dalberg tritt C. 1494 in intensiveren Austausch. Im Juni schließt er mit Johannes J Wacker (Vigilius) und Johannes J Trithemius Freundschaft. Im Frühjahr 1495 besucht er Sebald Schreyer in Nürnberg und knüpft den Kontakt zum Arzt und Dichter Dietrich J Ulsenius. Als im Sommer 1495 in Ingolstadt die Pest ausbricht, faßt C. den Entschluß, den Heidelberger Kreis zu besuchen. Anfang Oktober hält er sich bei Trithemius in Sponheim auf, um Handschriften zu kopieren. Erst im Febr. 1496 kehrt er nach Ingolstadt zurück. Eine entscheidende Wendung nimmt C.’ Leben 1497 durch seine Berufung auf den Lehrstuhl für Rhetorik und Poetik an der
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Univ. Wien, wohin er im Sept. oder Okt. abreist. Nach einem triumphalen Empfang durch die Freunde (Sodalitas litteraria Danubiana) reist er im Dezember nach Buda, um die dortige Bibliothek des Matthias Corvinus zu nutzen. Als er im April 1498 an der Syphilis erkrankt, unternimmt er eine Wallfahrt nach Altötting. Zum Dank für (vermeintliche) Genesung widmet er der Gottesmutter eine Reihe von Votivgedichten, die er in einem Einblattdruck publiziert. Die Faschingszeit 1501 verbringt er in Linz, wo sich auf Einladung des kgl. Sekretärs Blasius Hoelzel zahlreiche Angehörige der Sodalitas Danubiana aufhalten. Unter C.’ Leitung führen sie den ‘Ludus Dianae’ auf. 1501 verbringt C. mehrere Wochen in Nürnberg, wo von Sept. 1500 bis Frühsommer 1502 das neu eingerichtete Reichsregiment tagt. In Bozen kann C. von Kg. Maximilian die Stiftungsurkunde des Collegium poetarum et mathematicorum entgegennehmen (datiert vom 31. Okt. 1501; Celtis-Br., Nr. 266). Im Winter ist C. mit der Organisation des Kollegs sowie mit der Redaktion seiner ‘Opera in poetica’ beschäftigt. Nachdem die für das ‘Säkularjahr’ 1500 geplante Werk-Ausgabe gescheitert ist, faßt C. den Entschluß, seine ‘Amores’ zusammen mit anderen dem Umfeld der ‘Germania illustrata’ (‘Germ. ill.’) zugehörigen Schriften (‘Norimberga’ [‘Nor.’], ‘Germania generalis’ [‘Germ. gen.’] u. a.) in einem reich illustrierten Sammeldruck zusammenzufassen, den er Maximilian am 5. April 1502 als Dankesgabe für die Stiftung des Poetenkollegs widmet. Eröffnet wird das Kolleg an C.’ 43. Geburtstag, dem 1. Febr. 1502. In seinen letzten Lebensjahren wendet sich C.’ verstärkt Augsburg zu, wo er mit Konrad J Peutinger in engem Kontakt steht. In Augsburg verfaßt er auch sein Festspiel ‘Rhapsodia’. Seinen Schüler Johannes J Aventinus besucht er am 7. Dez. 1502 in Abensberg und reitet mit ihm zusammen über Regensburg am 28. Dez. nach Ingolstadt. An der neuen Univ. Wittenberg wohnt er am 18. Dez. 1503 als Gast der Promotion der ersten Baccalaurei artium bei (vgl. die Festrede des Nikolaus J Marschalk). Auf Einladung des J Au-
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gustinus Moravus reist er im Spätsommer 1504 nach Mähren (Aufenthalte in Olmütz und Brünn). Da die Eintragungen in den Wiener Briefcodex im Herbst 1505 abbrechen, sind C.’ letzte Lebensjahre nur schwach dokumentiert. Augsburg wird offenbar sein zweiter Wohnsitz (Aufenthalte für Jan./Febr. und Juni 1507 sind bezeugt). Gegen Ende 1507 verschlechtert sich C.’ Gesundheitszustand rapide. Sein Testament ist auf den 24. Jan. 1508 datiert (Celtis-Br., Nr. 338). C. stirbt am 4. Febr. in Wien. Er wird an der Ostseite des Stephansdomes beigesetzt. An dieser Stelle befindet sich heute eine Kopie seines Grabsteines, das Original ist im Innern des Domes in die Westwand eingelassen. Das in einem Blattkranz zu lesende vivo dürfte kaum als vivo in cruce (Wuttke, 1993, S. 189) zu verstehen sein, sondern die Gewißheit des Nachruhms nach Ovid (Met. XV 879 u. a.) aussprechen (Wuttke, ebd.). C. war wie kein anderer deutscher Humanist seiner Generation Mittelpunkt eines weitgespannten Netzes von Kontakten und Freundschaften; er hat sich diese Stellung bewußt geschaffen und sie gepflegt. Der Briefcodex inszeniert den Autor als Mittelpunkt eines Verbundes von Sodalitäten. C. steht in Verbindung mit nahezu allen Protagonisten des deutschen, namentlich des süddeutschen Humanismus. Die Korrespondenz mit italienischen Humanisten wie Aldus Manutius (s. u. II.B.1.d u. II.B.4.e.b), Gianfrancesco Pico oder Hieronymus J Balbus (Celtis-Br., Nr. 113) bleibt sporadisch. Fridianus Pighinutius lernt C. in Leipzig, Philippus Callimachus in Krakau kennen. Kontakte zur Römischen (Pomponio Leto) und Florentiner Akademie (Ficino) sowie nach Bologna (Beroaldo) sind bezeugt oder erschließbar, aber kaum zu spezifizieren (vgl. Celtis-Br., Nr. 256). In den nord- und niederdeutschen Raum reichen nur wenige Kontakte (Johannes und Jacobus J Canter; der in Celtis-Br., Nr. 259, vertretene Quirinus Syndicus muß als C.’ Erfindung gelten). Konkurrierende Ausrichtung und Selbstwahrnehmung dürften eine Freundschaft mit Heinrich J Bebel verhindert haben. Grob läßt sich der Kreis der Freunde nach
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jenen Städten und Regionen (bzw. Sodalitates) gliedern, die für C.’ Werdegang besondere Bedeutung haben. Die wichtigsten: Leipzig (Martin J Polich), Krakau (Blar, Corvinus, J Sommerfeld), Regensburg (Tolhopf), Nürnberg (Sebald Schreyer, Hartmann Schedel, Sixtus Tucher, Albrecht Dürer, Peter Danhauser, Willibald und Caritas J Pirckheimer, Ulsenius, Johannes Löffelholtz), Mainz bzw. ‘Sodalitas Rhenana’ (Trithemius, Dalberg, Johannes J Reuchlin, Jakob J Wimpfeling, Wakker), Wien (Krachenberger, Fuchsmagen, Vinzenz J Lang, Blasius Hoelzel und viele andere, die C. im Umkreis Maximilians und des Collegium poetarum et mathematicorum trifft) sowie Augsburg (Peutinger, Hans Burgkmair d. Ä., J Tritonius). Ergänzt wird dieser primäre Freundeskreis durch die Schüler, unter ihnen Aventinus, Jakob J Locher, Adam J Werner, Johannes J Stabius, Joachim J Vadian. Hinzu kommen die Beziehungen zu Förderern und Mäzenen, die sich in Widmungsadressen oder panegyrischen Texten niederschlagen: Fürst Magnus von Anhalt, dem C. die Ausgabe der Seneca-Dramen widmet, Kf. Friedrich von Sachsen, der ihm die Bekanntschaft Ks. Friedrichs III. vermittelt, v. a. aber dessen Sohn Maximilian I., der ihn als Mitarbeiter seines ‘Gedechtnus’-Werks nach Wien beruft und zum Vorsteher des Dichterkollegs ernennt. C.’ umfangreiche Buchbestände sind zu großen Teilen rekonstruierbar (Henkel). Die erhaltenen Bände (vor allem in der ÖNB Wien und in der Bayer. SB München) weisen oft umfangreiche Anmerkungen von C.’ Hand auf. Eine Aufstellung von Hss. und Inkunabeln der ÖNB mit C.’ Besitzervermerken bietet H. Ankwicz-Kleehoven, Jb. d. österr. Exlibris-Ges. 17 (1919) 12 f. mit Anm. 9 u. 11.
I I. We rk . Ein integrales Verzeichnis der Drucküberlieferung und der Hss. liegt nicht vor. Zu konsultieren sind für die Drucke neben GW 6460⫺6470 und VD 16, C 1897⫺C 1935, die kritischen Ausgaben von Adel (s. u. II.A.2.), Pindter (s. u. II.B.4.a, b u. d.α) und Rupprich (s. u. II.C.) sowie G. M. M¸ller für die ‘Germania generalis’. Werkbiblio-
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graphien und Ausgaben erfaßt am vollständigsten Wuttke, 1993, S. 192 f. ⫺ Zu den Einblattdrucken vgl. jetzt F. Eisermann, Verz. d. typograph. Einblattdrucke d. 15. Jh.s im Hl. Römischen Reich dt. Nation, 3 Bde., 2004 (⫽ VE 15), Bd. 2, S. 347⫺ 351.
A . H er au sg eb er. C.’ editorische Tätigkeit umfaßt antike literarische und philosophische Texte sowie lat. Dokumente nationaler Geschichte, Kultur und Literatur. Eine planmäßige philologische Herausgeberschaft antiker Texte lag ihm fern. Sie dienen durchweg der Selbstdarstellung des Autors und seines Kreises, der in den rahmenden Partien mit Widmungsvorrede und eigenen Elaboraten vertreten ist. Die Druckzusammenstellung ist daher stets als eigene Bedeutungsdimension zu bedenken. 1. Seneca, ‘Hercules furens’ und ‘Coena Thyestis’. Die Ausgabe ist das erste Stück einer geplanten Ausgabe aller zehn Seneca-Tragödien. Ihr Druck ist das wohl früheste Leipziger Beispiel eines Vorlesungs- bzw. Kollegdrucks (mit Zeilendurchschuß), der den Typus der spätmal. Studienhs. ins Druckmedium überträgt. Die Widmungsvorrede an Fürst Magnus von Anhalt (Celtis-Br., Nr. 5) appelliert an dessen Liebe zu den studia; sie erwerbe dem Fürsten in der Tradition der antiken Staatslenker Ruhm und Ansehen. C. habe die römische Tragödie nach Deutschland gebracht. Die zehn Tragödien Senecas könnten instar decalogi (Celtis-Br., S. 13) als Sittenspiegel dienen. Eine Fortsetzung der Seneca-Ausgabe kam wohl wegen C.’ Abreise aus Leipzig nicht zustande. Ein Indiz für die Fortdauer des Plans bietet ein Epigramm auf die ‘Phaedra’ (Epigr. 2,82), die hier als quarta tragoedia gezählt wird; da Orts- und Zeitangaben fehlen, dürfte es sich kaum um die Intimatio einer akademischen Veranstaltung handeln, eher um ein Argumentum zum Text (Kemper, 1977, S. 287). Nach einem Brief des Fridianus Pighinucius aus d. J. 1496 (Celtis-Br., Nr. 144) erwog C., einen Kommentar zu den Dramen zum Druck zu geben. Druck. Titelbl. leer. Bl. [3]r: Lucy anei senece cordubensis hercu|les furens tragedia prima incipit [...]. Bl. [29]v: Lucy Anei Senece Cordubensis tra| gedia secunda Cena Thiestis Incipit [...]. Leipzig: [Mart. Landsberg, nach 13. Febr. 1487]. Hain 14673; V. Sack, Die Inkunabeln d. UB u. anderer öffentl. Sammlungen in Freiburg i. Br. [...], 1985,
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Nr. 3208 (nur T. 2). Beide Stücke wurden offenbar nacheinander, “in Lieferungen” (Kemper, 1977, S. 270), gedruckt und danach zusammengebunden. 2. Ps.-Apuleius, ‘De mundo’. C.’ Ausgabe der Kosmologie des (Ps.-)Apuleius steht in programmatischer Verbindung mit dem Auftakt der Wiener Lehrtätigkeit sowie mit den in Ingolstadt entworfenen neuen Bildungsideen. In seinem Widmungsschreiben an Fuchsmagen und Krachenberger dankt C. für die Vermittlung der Freunde bei seiner Berufung nach Wien. Seine Tätigkeit wolle er mit der Kosmographie des (Ps.-) Apuleius einleiten; sie bereite auf die Lektüre der bedeutenderen Autoren vor und verbinde in wünschenswerter Weise Eloquentia und Sapientia. Dies mündet in ein Lob der wahren, d. h. der Naturphilosophie gegenüber dem scholastischen Streit um leere Begriffe. Dem Druck sind 18 Begrüßungsgedichte (‘Episodia’) der Wiener Freunde beigegeben. Sie feiern C. als Translator artium bzw. sapientiae. Druck. Lucij Apulei Platonici | et Aristotelici philosophi | Epitoma diuinum | de mundo | Seu Cosmographia | ductu Conradi Celtis | [...]. Wien: Joh. Winterburg, [1497]. Hain 1321. Zu Drucküberlieferung u. Hss. vgl. Adel, Ausg., S. 3⫺5. Ausgaben der ‘Episodia’ und des Widmungsbriefs: K. Adel, Conradi Celtis quae Vindobonae prelo subicienda curavit opuscula, 1966, S. 6⫺11; Celtis-Br., Nr. 179 u. 180. 3. Tacitus, ‘De origine et situ Germanorum’ (‘Germania’). Vorlage der Ausgabe war der um 1473 bei F. Creussner in Nürnberg erschienene Druck (Hain 15524), den C. mit dem Mailänder von 1497 (Hain 15219) und dem in der Ausgabe von Tacitus’ Opera (Venedig 1497, Hain 15222) vorliegenden Text kollationierte (G. M. M¸ller, S. 29⫺31). C. ergänzte die Ausgabe mit seiner ‘Germ. gen.’ (s. u. II.B.3.c) und dem Kapitel über den Herkynischen Wald aus der ‘Nor.’ (s. u. II.B.3.b). Druck. Cornelij Taciti. De origine et | situ Germanorum Liber incipit. | [...]. Wien: Joh. Winterburg, [um 1500]. Hain 15225 (⫽ Cop. 5696). Dokumentation der Überlieferung bei Adel (wie o. II.A.2.), S. 52 f. 4. D Nikolaus von Kues, ‘Propositiones de li non aliud’. Die 20 Leitsätze, die Cusanus seinem Dialog über das ‘Nicht-Andere’ (d. h. Gott) mitgegeben hat (1462), sind C.’ einzige Ausgabe eines philosophischen Textes im engeren Sinne. An den spekulativen Gottesbegriff des Cusaners schließt er in seinem ‘Carmen saeculare’ (s. u. II.B.4.e.η) an, im Vordergrund dürfte jedoch ein nationales und repräsentatives Interesse stehen. Nikolaus von Kues
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erscheint als Vertreter einer deutschen Philosophie und damit in einer Funktion, die auf dem von Dürer gezeichneten Philosophia-Holzschnitt Albertus Magnus zufällt. Mit dem beigefügten ‘Carmen saeculare’ bekräftigt C. seinen Anspruch auf philosophische Nachfolge des Cusaners (s. u.). Druck. Propositiones Domini | cardinalis Nicolai | Cuse de li non | aliud | Conradi Celtis | carmen se|culare. [Wien: Joh. Winterburg, um 1500/1]. E. Langer, Bibliographie d. österr. Drucke d. 15. u. 16. Jh.s, Bd. 1, 1913, S. 115. Weitere Textzeugen bei Adel (wie o. II.A.2.), S. 87. 5. D Hrotsvit von Gandersheim, ‘Opera’. Bei seiner Handschriftensuche entdeckte C. 1493 im Benediktinerkloster St. Emmeram bei Regensburg einen Pergamentcodex (10. Jh.) mit den Werken der Hrotsvit (heute Clm 14485). Bis auf die Gründungsgeschichte des Reichsstiftes Gandersheim enthält er das gesamte Werk der Nonne. Eine Drucklegung kam zunächst nicht zustande. Die Hs. zirkulierte jedoch; Dietrich J Gresemund d. J. besorgte für Trithemius eine Abschrift. In der Widmungsvorrede an Kf. Friedrich von Sachsen (Celtis-Br., Nr. 267), der den Druck finanzierte, betont C. seinen Einsatz bei der Suche nach verschollenen nationalen Kulturdenkmälern; Hrotsvit rühmt er als herausragendes Beispiel einer deutschen Femina docta, wie es in der Gegenwart Caritas D Pirckheimer verkörpere. Es folgen 16 Epigramme der Sodalitas litteraria (Celtica), die Hrotsvit als deutsche Sappho feiern (Celtis-Br., Nr. 268). Bereits 1494 wurde Dürer in Planungen zu einer Druckausgabe einbezogen (erhalten hat sich eine Vorzeichnung zum 2. Widmungsblatt 1494 aus Basel). C. konzipierte mit ihm die beiden aufeinander bezogenen Widmungsblätter. Sechs ganzseitige Holzschnitte illustrieren die Handlung von Hrotsvits sechs Comedie in emulationem Therencii. Druck. Opera Hrosvite illustris vir|ginis et monialis Germane, gen|te Saxonica orte Nuper A Conra|do Celte inventa. Nürnberg: [Drucker f. d.] Sodalitas Celtica, 1501. VD 16, H 5278. Faksimile: Hildesheim 2000. 6. D Gunther von Pairis, ‘Ligurinus’. Die von C. im Kloster Ebrach entdeckte Hs. des Epos über Friedrich Barbarossas Italienzüge kam durch die Augsburger Sodalitas zum Druck (s. die Vorrede der Sodalen an den Leser, Celtis-Br., Nr. 335). Die Hs. ist seither verschollen. C., der den Werktitel ‘Ligurinus’ für den (Bei-)Namen des Autors hielt, steuerte zu der Ausgabe ein Epigramm bei, das den ‘Ligurinus’ auf eine Stufe mit der antiken römischen Epik und der ‘Alexandreis’ Walthers von Chaˆtillon stellt, sowie ein kleines Epigramm an den Verleger Johann Rynmann; er hat sich aber auch, wie die Überschrift zu der Liste
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der reichlichen Druckversehen erkennen läßt, an der Korrektur des Druckes beteiligt; auch der Schlußvermerk, daß über den ‘Ligurinus’ an etlichen deutschen Universitäten gelesen werde, wird von ihm stammen. Im Anhang liefert Peutinger mit Widmung an Ks. Maximilian den Abdruck des Briefs Ks. Friedrich Barbarossas an D Otto von Freising zu den ‘Gesta Friderici’ und eine Genealogie der Salier und Staufer von Heinrich IV. bis zu Konradin und Manfred. Einer kleineren Gruppe erhaltener Druckexemplare sind ‘Philosophia-Holzschnitt’ und ‘Apoll auf dem Parnaß’ beigegeben, aus der Mehrzahl der Exemplare wurden beide jedoch entfernt und durch neue Textblätter ersetzt. Dieser Eingriff geht nicht auf C., sondern auf Peutingers Initiative zurück (s. E. Assmann, MGH SS. rer. Germ. 63, 1987, S. 30). Drucke. 1. Ligurini de gestis imp. caesaris Frideri|ci primi Augusti libri decem carmine Heroico conscrip|ti nnper [!] apud Francones in silua Hercynia et druy|darum Eberacensi coenobio A Chunrado | Celte reperti postliminio restituti | [...] Augsburg: Erh. Oeglin, April 1507. VD 16, G 4135. 2. Guntheri | Poetae clarissimi, | Ligurinus, | seu Opus De Rebus gestis Imp. | Caesaris Friderici I. | Aug. lib. X. ab⫽|solutum. [...]. Straßburg: Joh. Schott, 1531. VD 16, G 4137. Jakob J Spiegel, der Hg., verbesserte stillschweigend C.’ Irrtum und setzte den Namen ‘Ligurinus’ als Werktitel ein. 7. Decius Magnus Ausonius, ‘Ludus septem sapientum’, s. u. II.B.4.e.z.
B . E ig en e Wer ke . C. bedient sich ausschließlich und programmatisch des Lateinischen (vgl. Am. 3,9); eine seltene Ausnahme bildet der dt. Begleitbrief zur ‘Nor.’ (Celtis-Br., Nr. 94). Poetische Zweisprachigkeit (nach Art Seb. Brants) liegt ihm fern, die Volkssprache wertet er als ‘barbarisch’ ab (Od. 1,11,15 f.: Barbaras voces et avita crassae / Murmura linguae). Gegen dt. Dichtung und Reimpraxis richtet sich ein Epigramm der ‘Rhapsodia’ (s. u. II.B.4.d.b): Den rhematarii, die Maximilian mit der Darstellung seiner gesta betraut hat, setzt C. die überlegene Wirkung seines lat. Ruhmeswerks entgegen. Wenn C. dagegen in der ‘Ars versificandi’ arithmorum [...] sonoritates ablehnt (septimum preceptum, Bl. [17]r der Ausg. 1486), richtet sich dies gegen mlat. Sprach- und Versgebung. C.’ rigorose Entscheidung für die Latinität ist
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um 1500 durchaus die Ausnahme; schon seine Schüler und Weggefährten wie Locher, Aventin, Vadian sind um Integration bemüht. 1 . L eh rs ch ri ft en . a) ‘Ars versificandi et carminum’. C.’ ‘Ars versificandi’ ging aus seiner Lehrtätigkeit an der Univ. Leipzig hervor. In der Tradition der ‘Artes versificatoriae’ bietet der Traktat ein praktisches Kompendium zur Vermittlung lat. Prosodie und Metrik (mit ihren angrenzenden Teilgebieten von Fragen der Stoff- und Gattungswahl bis hin zur Stilistik), deren überwiegender Teil aus mal. Quellen ⫺ nicht zuletzt dem gescholtenen D Alexander de Villa Dei [NB] ⫺ kompiliert ist (Worstbrock, 1983). Neu ist zuerst der Anspruch des Dichters: Bereits in der Widmungselegie (Poema quod pro tempore caniculari ad Fridericum [...] in artem carminum lusimus) stilisiert er sich zum Archegeten der studia wie der Dichtkunst, der sein metrisches Wissen und die ‘Ars versificandi’ selbst unmittelbar von Apoll empfängt. Charakteristisch ist das Doppelgesicht der Schrift: Sind die Kapitel über Prosodie und Metrik didaktisch-technischer Natur, so weitet sich in den Paratexten der Horizont. Man kann hier von einer esoterisch-technischen und einer exoterischen Ebene sprechen. Letzterer gehören neben dem Poema ad Fridericum auch die Widmungsvorrede an Hzg. Friedrich von Sachsen und eine eingeschobene Apologie der Dichterlektüre an. Diese betont, wiederum an Friedrich gewandt, den öffentlichen Nutzen von Lyrik wie Dramatik für die Ausbildung junger Nobiles. Die bedeutendste dieser Beigaben ist die ‘Ode ad Apollinem repertorem poetices’, die C. ans Ende der Schrift stellt. Sie demonstriert (auf das ‘Poema ad Fridericum’ zurückweisend) die Beherrschung des poetischen Regelwerks und verwirklicht so jene Ankunft Apolls (d. h. der lyrischen Dichtung) in Deutschland, um welche die sapphische Ode im Stil des Heischelieds (Hy´mnos kle¯tiko´s) bittet. Der poetische Briefwechsel mit dem Italiener Fridianus Pighinucius soll diese Translatio carminis und C.’ Rolle dabei
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bestätigen. In den weitgehend kompilierten Lehrpartien treten dem Texttypus ‘Verslehre’ entsprechend Fragen des Inhalts zugunsten metrisch-stilistischer Unterweisung zurück. Wie das ‘Poema ad Fridericum’ belegt, sieht C. die sachliche Neuerung seiner ars metrica prima in der Einführung der äolischen Versmaße und mit ihnen der Horaz-Nachahmung, in der Stilistik (Elocutio) in einer dem ElegantiaGebot entsprechenden Sprach- und Versform, die sich mal. Manier enthält. Das Neue liegt im Rückgriff auf die antiken Modellautoren, unter denen Seneca, Horaz, Vergil und Juvenal hervorgehoben werden. Seine Definition der Dichtung gibt C. im Abschnitt ‘De compositione materiali carminum’, der sich einerseits an den Officia des Dichters (Inventio, Elocutio, Versificatio), andererseits am Ideal der Evidentia (Anschaulichkeit) ausrichtet. Letztere stellt ein Integral der Einzelanweisungen zu Verssprache und allgemeiner Stilistik dar. Drucke. 1. Ars versificandi et carminum. [Leipzig: Konrad Kachelofen, 1486]. GW 6460. 2. Ars versificandi et carmi|num conradi celtis protu|cii poete laureati. [Leipzig: Martin Landsberg, ca. 1492⫺95]. GW 6461. Ob C. den 2. Druck, der mit dem ersten so gut wie textgleich ist, veranlaßt hat, ist ungeklärt, ungeklärt daher auch die Verfasserschaft der einzigen Erweiterung, des Epigramms über Wert und Nutzen der Dichtung (Titelbl.v, 7 Dist.). ⫺ Die ‘Apollo-Ode’ ist in stark revidierter Fassung in die Ausgabe der ‘Oden’ aufgenommen (Od. 4,5). Das der ‘Apollo-Ode’ vorangehende Mariengebet (inc. Virgo sub etheriis) mit lat. Glossen und Kommentar sowie einer dt. Reimpaarversion, die aber nicht als Übersetzung anzusprechen ist, in Gotha, Forschungsbibl., Cod. Gymn. 1, 283v (Leipziger Studentenhs., um 1495). Abdruck u. Faksimile bei Henkel, 1988, S. 128 f. Ausgaben. Eine Gesamtausg. fehlt. Widmungsvorrede und poetischer Briefwechsel: CeltisBr., Nr. 1⫺4; die Apollo-Ode findet sich in wechselnder Textkonstitution in den Anthologien von H. C. Schnur, Lat. Gedichte dt. Humanisten, 2 1978, S. 54 f., u. K¸hlmann, Lyrik, S. 68⫺71; das ‘Poema ad Fridericum’ bei Robert, 2002, S. 116⫺ 121 (jeweils mit Übers.).
b) Rhetorisches Lehrbuch. C. eröffnete im SS 1492 seine Ingolstädter Lehrtätigkeit mit einer Vorlesung über ciceronianische Rhetorik. In einer pro-
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grammatisch an die Universität gerichteten Ankündigung (Celtis-Br., Nr. 32) prangert er die kulturelle Ignoranz der Deutschen an; die sprachliche Barbarei wurzele in der Unkenntnis Ciceros, und daher habe er dessen verstreute Lehren geordnet und in ein handliches Kompendium zusammengezogen. Dessen Druckfassung ist ein kleines Lehrbuch, das drei Teile umfaßt, eine ‘Epitoma in utramque Ciceronis rhetoricam’, eine ‘Ars memorativa’ und einen ‘Tractatus de condendis epistolis’. In der Widmungsvorrede an Maximilian (Celtis-Br., Nr. 25), der hier zum ersten Mal sein Adressat ist, feiert C. ihn als alter Hercules und kündigt eine historiographische Darstellung seiner Taten an; unter ihm als einem “zweiten Augustus” erstünden die studia neu. C. hatte sein rhetorisches Lehrbuch in einer früheren Fassung, die durch eine Abschrift im Berliner Ms. Lat. fol. 910 bezeugt ist (Worstbrock, 1987, S. 251⫺ 253), bereits in Krakau verwendet. Nach Zahl und Art seiner Teile hatte es sein Vorbild in einem mehrfach aufgelegten Sammeldruck des Jacobus Publicius (Hain 13545⫺548; Cop. 4977) und zu beträchtlichen Teilen auch seine Quelle. Die ‘E pi to ma ’ ist in ihren ersten vier Kapiteln unmittelbar aus Cicero bzw. der D ‘Rhetorica ad Herennium’ [NB] kompiliert, die übrigen Abschnitte, mehr als die Hälfte des Textes, entstammen nahezu wörtlich der ‘Ars oratoria’ des Publicius; es sind freilich jene Partien, die auch bei diesem auf Ciceros ‘beiden Rhetoriken’ beruhen. Die bescheidene ‘A rs me mo ra ti va’ ist von der des Publicius unabhängig und bildet anders als bei diesem nur einen äußerlichen Annex. Der ‘Tra ct at us de co nd en di s e pi s to li s’ (‘Modus epistolandi’) wurde, spät, mit Abstand C.’ erfolgreichstes Werk. Er beruht freilich zur Gänze auf der Brieflehre des Flavius Guilelmus Raimundus Mithridates, dem C. bei dessen Aufenthalt 1485 in Heidelberg begegnet sein dürfte, ist nur deren gekürzte, im Zuge der umfangreichen Kürzungen auch verzerrende Redaktion. Auch sämtliche Briefmuster entstammen dieser Vorlage.
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C.’ rhetorisches Lehrbuch blieb zu seinen Lebzeiten, auch bei seinen zahlreichen Schülern, ohne sichtbare Resonanz. Einzig Johannes J Altenstaig nutzte die Brieflehre in seinem kompilierten ‘Opus de conficiundis epistolis’. Erst der von Grund auf revidierte Neudruck, den 1532 der Ingolstädter Magister Johann Menzinger besorgte, konnte das Interesse an C.’ Buch beleben und wurde, v. a. für die Brieflehre, Ausgangspunkt einer respektablen Wirkungsgeschichte. Die Brieflehre erschien seit 1536, stets zusammen mit anderen prominenten Vertretern der Gattung (J Erasmus, Hegendorff, Vives), in mindestens 28 weiteren Auflagen. Drucke. Epitoma in utramque Ciceronis rhetoricam cum arte | memoratiua noua et modo epistolandi vtilissimo. [Ingolstadt: Joh. Kachelofen], nach 28. März 1492]. GW 6463. Menzingers Neudruck (ohne die ‘Ars memorativa’, zusammen mit den ‘Progymnasmata’ des Petrus J Mosellanus): Epitome in | rhetoricam Cicero⫽|nis utranque, et nun inutile scribendarum | Epistolarum compendium, Autore | Conrado Celte [...]. Ingolstadt: Peter Apian, 16. Aug. 1532. VD 16, C 1899. Nachweise der übrigen Drucke: VD 16, C 1913⫺1935, u. Worstbrock, 1987, S. 264. Ausgabe der Brieflehre: Celtis-Br., S. 638⫺ 648.
c) Griechische Grammatik. C.’ griech. Grammatik ist in zwei Hss. überliefert, deren eine (A, z. T. Autograph), eine Vorstufe für den geplanten Druck war. Im Anschluß an C.’ kurzgefaßte, aus verschiedenen Autoren kompilierte Grammatik enthält A Colloquia et conversaciones und ein vocabularium. Die beiden letztgenannten Teile beruhen auf den ‘Hermeneumata Ps.-Dositheana’, einem griech.lat. Schulbuch des 3. Jh.s n. Chr. (Abdruck der ‘Colloquia’ nach A bei Dionisotti, S. 97⫺106). C. schrieb sie während seines Besuchs bei Trithemius in Sponheim Anfang Okt. 1495 ab (ein erhaltener Teilkatalog von dessen Bibliothek nennt ein Graecum vocabularium cum Latino supposito M. Tullii Ciceronis ad filium suum; ebd., S. 84). Die Grammatik trägt in A den Datumsvermerk 1.500 seculari (Wuttke, 1970, S. 296). Das Titelblatt von A (mit Anweisungen für den Druck und der Bitte um einen Widmungsbrief)
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zeigt, daß C. Aldus Manutius für die Drucklegung aller drei Teile zu gewinnen suchte. Er plante darüber hinaus weitere Verbesserungen (Abschnitte über das Alphabet, gebräuchliche Abkürzungen, Flexion der Defectiva, Akzente). Aldus lehnte in einem Brief vom 4. Sept. 1504 die Drucklegung der Grammatik ab, quia multa iam impressa habentur, quibus erudiantur, qui Graecas litteras discere concupiscunt (Celtis-Br., S. 569). Vorstufen könnten bereits auf die frühen 1490er Jahre zurückgehen (vgl. Celtis-Br., Nr. 13). Auch Heinrich von Bünau bat C. am 30. Nov. 1495, ihm eine Abschrift seiner griech. Grammatik sowie eine weitere, gedruckte, zu übersenden (Celtis-Br., Nr. 99). Überlieferung. A: Wien, ÖNB, Cod. Suppl. gr. 43, 1v⫺11v (von Rosenpergers Hand); B: Wien, ÖNB, Cod. 3748, 237r⫺246v.
2 . B il du ng sp ro gr am m (‘Panegyris ad duces Bavariae’ und Ingolstädter Rede). In einem Sammeldruck veröffentlichte C. 1492 seine Ideen für eine Reform der Universität im Sinne der Studia humanitatis. Er enthält als Hauptstücke die ‘Panegyris ad duces Bavariae’, ausgebracht als Dank für die Berufung auf die außerordentliche Lektur für Dichtung und Rhetorik, die er durch das Dekret Hzg. Georgs vom 5. Mai 1492 (Celtis-Br., Nr. 31) erhalten hatte, und die am 31. Aug. vor der Universität gehaltene programmatische Antrittsrede. Die beiden Stücke sind eng miteinander verbunden. Die neue Bildung der Deutschen, welche die ‘Oratio’ einfordert, wird in der ‘Panegyris’ in ein Konzept der Reform teils des überkommenen Fächergefüges, v. a. aber seiner Inhalte umgesetzt. Gerahmt sind die beiden Stücke, von denen auf der Titelseite nur die ‘Panegyris’ erscheint, durch 21 Hendekasyllaben des Heinrich J Euticus d. Ä. zum Preise C.’ und seines Druckers sowie fünf von C. als Vorspruch zur ‘Panegyris’ an den Leser verfaßte Distichen vorn und zwei Oden am Ende, eine an seinen Freund Siegmund Gossinger (Fusilius) (Od. 1,11), die bereits Grundzüge des neuen Bildungsprogramms entwirft, und eine an die Gottesmutter Maria mit der Bitte um Frieden nach den Auseinandersetzungen zwischen Hzg. Georg und dem vom Kaiser unterstützten Schwäbischen Bund um territoriale Ansprüche (Od. 2,8).
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Druck. Conradi celtis Panegy-|ris ad duces bauariae. Bl. [2]r: Conradi celtis protucij […] panegyris ad duces Bauariae et Philippum palatinum rheni: dum in Ingelstadio donatus fuisset publico stipendio. Bl. [4]r: Eiusdem oratio in gymnasio in jngelstadio publice recitata. [Augsburg: Erh. Ratdolt, nach 31. Aug. 1492]. GW 6466. Abschrift, ohne die beiden Oden: Prag, Na´rodnı´ knihovna, Ms. Ro VI Fb 3, 19r⫺25v. C. übernahm die ‘Panegyris’ samt den Distichen an den Leser in seine Epigrammslg. (Epigr. 5,3). Ausgaben. H. Rupprich, Oratio in Gymnasio in Ingelstadio publice recitata cum carminibus ad orationem pertinentibus (Bibl. scriptorum medii recentisque aevorum 5), 1932 (die ‘Panegyris fälschlich in einen Anhang verbannt); J. Gruber, Conradi Celtis Protucii Panegyris ad duces Bavariae. Mit Einl., Übers. u. Komm. (Gratia 41), 2003 (zit.). ⫺ Engl. Übers. u. Komm. v. Forster, S. 36⫺ 65 u. 96⫺110.
a) ‘Panegyris’. Aus der Diagnose kultureller Inferiorität gegenüber Italien entwickelt C. in der ‘Panegyris’ (156 Hex.) das Programm einer humanistisch profilierten Studienreform, die ⫺ ungeachtet Rudolf Agricolas ‘De formando studio’ ⫺ nördlich der Alpen bis dahin ohne Beispiel ist. Gewidmet ist das Gedicht den “bayerischen Herzögen” ⫺ genannt werden Ludwig († 1479), sein Sohn Georg, Pfalzgraf bei Rhein Friedrich I. († 1476) ⫺ und Pfalzgraf Philipp V.; der primäre Adressat ist Hzg. Georg. Dem panegyrischen Teil des Gedichts folgt ab v. 66 in strophenartiger Reihung die Beschreibung der acht Disziplinen, in denen die Ingolstädter Studenten ausgebildet werden sollen: 1. Grammatik, Rhetorik, Logik, 2. Naturphilosophie, 3. Astronomie, Geometrie, Arithmetik, Musik, 4. Kosmographie und Geographie, 5. Medizin, 6. Jurisprudenz, 7. Dichtung, 8. Theologie. Gänzlich neuartig ist die Einfügung der Dichtung und zwar an zweithöchster Position; ihr werden als Aufgaben Panegyrik und Historiographie im Dienst höfischer Repräsentation zugewiesen. Neuartig ist im übrigen weniger das Gerüst der Fächer als, wie man ihren Beschreibungen entnimmt, ihre inhaltliche Füllung. Die ‘Panegyris’ wie auch die ‘Oratio’ präfiguriert bis ins Detail die Bildaussage von Dürers ‘Philosophia’-Holzschnitt, der eine Dekade später die Wissenschaftsentwürfe
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von 1492 im Kontext des Wiener Poetenkollegs neu artikulieren soll (Robert, 2003, S. 149 f.). b) ‘Oratio in gymnasio in Ingelstadio publice recitata’. Auch in der ‘Oratio’, an der C. seit der Jahreswende 1491/92 gearbeitet hatte, mündet die Zeitdiagnose in den Appell, der Translatio imperii eine Translatio studii folgen zu lassen. Mit ihrem Preis der Studia humanitatis reiht sich C.’ Ingolstädter Rede in eine auf den italienischen Humanismus zurückreichende Tradition universitärer Antrittsvorlesungen ein, die weithin dem Argumentationssystem des Lobs bzw. der Verteidigung des Studiums der Litterae verpflichtet sind (vgl. Rudolf Agricola, Peter D Luder, Jakob Locher). Kern von C.’ Programm ist die ciceronianische Forderung, Sapientia und Eloquentia zu verbinden (10,4: sapientiam eloquentiae coniungere). Patriotisch-politischer Appell (verbunden mit Ausfällen gegen die deutschen Verhältnisse) wechselt dabei mit Protreptik für die Studia. Beider Verbindung ist C.’ besonderer Beitrag zum Genus der humanistischen Inauguralrede; die Substanz der patriotischen Teile belegt dabei zweifelsfrei C.’ Kenntnis der taciteischen ‘Germania’, die teils wörtlich zitiert wird, teils in Eigennamen und Konzepten gegenwärtig ist; weitere Quellen sind Caesars Germanenexkurse in ‘De bello Gallico’ und Sallust. C. hebt mit einem Preis der Philosophie, v. a. der Philosophia naturalis an (12: in coelestium rerum et naturae inquisitionem amor). Nur eine ‘Konversion’ zu den mitia studia könne das alte Barbarenverdikt im Zeichen einer ‘glücklichen Gestirnwendung’ entkräften. Aus der Klage über die deutschen Verhältnisse erwachsen Appelle, zur Geistesart der Vorväter zurückzukehren. Von hier aus gelangt C. zu seinem Hauptanliegen, der Rolle der Dichtkunst als Vermittlerin von Philosophie und Theologie. Als primi theologi (50) hätten Philosophen und Dichter die Menschen zivilisiert. Ignoranz von Fürsten und Klerus sowie Italicus luxus führten das Reich in den Untergang (61: consenescit imperium), die antiken Herrscher hätten Dichter mit allen Ehren bedacht, während Deutschland in Krieg und Uneinigkeit zerfalle. C.’ Plädoyer für eine vera philosophia setzt ein mit Invektiven gegen die ⫺ scholastische ⫺ ‘Vulgärphilo-
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sophie’ (95) sowie gegen vermeintliche Poetaster und (ungenannte) Gegner auf der anderen Seite. Einer genaueren inhaltlichen Bestimmung dieser ‘wahren Philosophie’ widmet C. den Schlußappell seiner Rede, der abschnittsweise Formulierungen der ‘Ars versificandi’ wiederholt. Beschworen wird die affektive, zu Mäßigung und Tugend einstimmende Kraft des Dichterwortes; v. a. die Lyrik als musikalische Gattung gewinnt besondere Bedeutung. Am Ende der Rede betont C. die seelenleitende Wirkung der eloquentia; Pythagoras und Platon hätten daher die Dichtung als prima philosophia et theologia bezeichnet.
C.’ Ingolstädter Rede inszeniert den gegen die alten (universitären) Bildungseliten gerichteten Versuch, dem Dichter und der Dichtung den Bildungsprimat zu sichern. ‘Scholastische’ Philosophie und Theologie werden als vulgaris philosophia diskreditiert, aber auch die Werte- und Lebenswelt des Adels wird scharf gegen die vera nobilitas der neuen humanistischen Leistungselite herabgesetzt. Der Hinweis auf die Naturphilosophie (in C.’ Terminologie: physiologia) bezeichnet ⫺ eine Entwicklung der Krakauer Zeit ⫺ neue philosophische Interessen, die an die Seite der ethisch-psychagogischen Wirkung des Wortes treten. Mit den ersten Spuren einer Rezeption der taciteischen ‘Germania’ konturiert sich das Projekt einer ‘Germania illustrata’. 3 . D eu ts ch la nd be sc hr ei bu ng . a) ‘Germania illustrata’. Das Projekt einer geographischen, historiographischen und ethnologischen Monographie über Deutschland bildet ein sachliches wie methodisches Integral für eine Reihe von Arbeiten der 1490er Jahre. Zwei Bezugspunkte sind für die Genese des unvollendeten Projekts, von dem sich Entwürfe nicht erhalten haben, bedeutsam (umfassend dazu G. M. M¸ller, S. 441⫺ 483): die ‘Germania’ des Tacitus und die ‘Italia illustrata’ des Flavio Biondo. Aus den Hinweisen im Celtis-Br. sowie aus den vollendeten Nebenarbeiten der ‘Germ. ill.’ (‘Nor.’, ‘Germ. gen.’, ‘Am.’, teils Oden und Epigramme) ergibt sich folgendes Bild: Früheste Evidenz für C.’ Tacitus-Kenntnis ist ein Passus der Ingolstädter Rede (‘Oratio’ 31), der auf Germ. 2,2 anspielt. Wann C. den Text in der Creussnerschen Ausg. (HC 15224) kennenlernte, muß allerdings offen-
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bleiben. Einen Terminus post quem bietet die ‘Nor.’, an der C. seit 1491 arbeitet. Tacitus wird hier nicht nur namentlich zitiert (Kap. 2, S. 111), seine ‘Germania’ ist auch im Titel der Schrift (De origine, situ, moribus et institutis Norimbergae libellus) als Bezugstext markiert; frühester Beleg könnte ein Brief von Tolhopf aus Regensburg sein (Celtis-Br., Nr. 66, S. 110; von 1492 oder 1493), der auf einen verlorenen Brief des C. anspielt: Noriburgii fata seu situm moresque te designasse scribis. Da die Briefe der Jahre 1487⫺1491 im CeltisBr. ausgefallen sind, bleibt offen, ob C. die ‘Germania’ erst 1491 im Zuge seiner Nürnberger Kontakte oder bereits in Italien kennenlernte. An keiner Stelle nennt C. den Namen Flavio Biondos; daher läßt sich der Zeitpunkt seiner Bekanntschaft mit der ‘Italia illustrata’ nur schwer eingrenzen.
Der Sache nach war das Projekt bereits 1492/93, zunächst mit historiographischem Akzent, entworfen; alle Komponenten sind in der ‘Oratio’ und der ‘Panegyris’ angedeutet. Der Plan konkretisiert sich 1493, als C. von Schreyer den Auftrag zur Überarbeitung der Schedelschen ‘Weltchronik’ erhält. Erstmals wird der Titel ‘Germ. ill.’ in der Fassung der ‘Nor.’ von 1495 genannt (‘Nor.’, Kap. 1, S. 105). Eng verbunden mit der ‘Nor.’ findet es sich im Inhaltsverzeichnis des Nürnberger C.-Codex (1r); hier umfaßt das Werk “vier Bücher Prosa und Dichtung“; dies unterstreicht die konzeptionelle Nähe zu den ebenfalls vier Bücher umfassenden ‘Am.’ und Oden. Auch Hans Burgkmairs ‘Sterbebild’ nennt (seit dem 2. Zustand) vier Bücher. Da auf dem Holzschnitt nur poetische Werke abgebildet sind, könnte dies als Hinweis auf eine (teilweise) versifizierte Fassung gelesen werden. Da programmatische Aussagen nur sporadisch erhalten sind, ist man für die inhaltliche wie methodische Rekonstruktion auf die Vorarbeiten, vor allem auf ‘Germ. gen.’, ‘Nor.’ und ‘Amores’ angewiesen. Bei diesem Rekonstruktionsversuch bleibt Vorsicht geboten, denn die sporadischen Hinweise lassen inhaltliche Gewichtung, Komposition und Methodik im unklaren. Die umfänglichsten Hinweise finden sich in der Vorrede zum ‘Am.’-Druck (praef. 9 und 50 f.). Diese wiederholen jedoch fast wörtlich frühere, teilweise bis ins Jahr 1492 zurückgehende Äußerungen, über die das Vorhaben nicht hinausgelangt zu sein scheint. Bitten an Freunde, mit eigenen Beschreibungen an der
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‘Germ. ill.’ teilzunehmen, deuten auf die Schwierigkeiten, den (sachlich wie geographisch) allzu weit gedehnten Rahmen in Eigenarbeit auszufüllen. Den Versuch, die Methodik des Projekts aus Biondos ‘Italia illustrata’ zu rekonstruieren, unternimmt G. M. M¸ller, bes. S. 462⫺465. Zu bedenken sind jedoch weitere Bezugspunkte: die taciteische ‘Germania’, Ptolemaeus’ ‘Cosmographia/ Geographia’ oder Enea Silvio D Piccolominis Stadt- und Landesbeschreibungen. C. nähert sich seinem Projekt von verschiedenen Seiten aus: 1. in der auf Brunis Florenzbeschreibung zurückgehenden Form der Laus bzw. Descriptio urbium (‘Nor.’), 2. im hexametrischen Lehrgedicht in der Tradition eines Lukrez oder Manilius (nicht zu vergessen der ‘aitiologisch’-patriotische Properz des vierten Elegienbuches), 3. in der Freundschaftsdichtung der ‘Oden’, welche die deutschlandweite Verbreitung der Sodalitäten zeigen sollte oder 4. als Spielraum einer elegischen Lebens- und Deutschlandreise, deren Weg ‘beiläufig’ (praef. 10) auch die zeitgenössische ‘Germania’ ‘erhellen’ und ‘rühmen’ sollte (die beiden Facetten des Verbs illustrare). Das Modell Biondos war somit nur eine Option unter anderen, wenngleich die wichtigste im Sinne der Aemulatio Italorum. Bedeutsamer als C.’ vollendete Beiträge zur ‘Germ. ill.’ waren das Thema selbst und seine Autopsie und kritische Übernahme antiker Zeugnisse verbindende Methodik, die im Kreis der C.-Schüler und -Nachfolger beträchtliche Rezeption fand.
b) ‘Norimberga’ (‘De situ, moribus et institutis Norimbergae libellus’). Die ‘Nor.’ steht in engstem Zusammenhang mit der Tacitus-Rezeption und der Planung einer ‘Germ. ill.’ (s. o. a). Die Anregung zu einer Stadtbeschreibung dürfte mindestens bis ins Jahr 1491 zurückgehen. Auslöser dürfte auch hier Schreyers Auftrag zur Überarbeitung der ‘Weltchronik’ gewesen sein. Bereits Ende 1493 hat Sixtus Tucher das Buch in Händen (Celtis-Br., Nr. 71), 1494 Dietrich Ulsenius (Celtis-Br., Nr. 79). Der Titel der Schrift mit dem Incipit erscheint bereits in Trithemius’ 1494 gedrucktem Katalog (Trithemius, Script. eccl., S. 390). Diese Urfassung ist jedoch verloren, Spuren lassen sich aus einem Codex Hartmann Schedels gewinnen (Clm 431, 9r⫺52r; 1495). Eine weitere Redaktion ist in einer Prager Überlieferung greifbar (Na´rodnı´ Knihovna, Ms Ro VI F b 3, 1v⫺18v). Da ein Konvolut mit der ‘Nor.’ verlorenging, mußte C. den Text aus Bruchstücken, die er in einer Latrine gefunden haben will, erneut ausarbeiten (Celtis-Br., S. 151; nach Ostern 1495). Im März 1495 wird er dem Wormser B. Johann von Dalberg
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und dem Nürnberger Patrizier Johannes Löffelholz vorgelegt (Clm 431, 52r). Auf deren positives Urteil hin sandte C. das 16 Kapitel umfassende Werk in hsl.er Form an den Nürnberger Rat, der das Werk der Ratsbibliothek einverleiben ließ. Auch dieses Widmungsexemplar ist wie die Erstfassung verloren. Erhalten hat sich allein das Widmungsbild, das den Poeta laureatus bei der Überreichung des Buches an die Ratsherrn Paul Volckamer und Gabriel Nützel zeigt (Arnold, S. 10; Cgm 4995, 1v; abgedruckt bei Werminghoff, Ausg., Frontispiz). Auf das (undatierte) Begleitschreiben des Autors (Celtis-Br., Nr. 94) antwortet der Nürnberger Rat mit einer unverbindlichen Danksagung vom 9. Juli 1495, die statt einer Entlohnung ankündigt, man wolle dasselb zu teutsch lassen bringen (Celtis-Br., S. 157). Beauftragt wird der Losungsschreiber Georg D Alt [NB], zuvor bereits Übersetzer der ‘Weltchronik’ (und möglicherweise Adressat des Spottepigramms 3,45; vgl. aber den Brief Alts an C., der auf freundschaftlichen Austausch hindeutet; Celtis-Br., Nr. 97). Auch Alts Übersetzung ist nur hsl., in Autographen Hartmann Schedels und Sebald Schreyers, erhalten (Clm 951, 55r⫺116r, bzw. Nürnberg, Stadtbibl., Cod. Cent. IV 89, 63r⫺ 112r). In einer polemischen Ode an den Nürnberger Senat (Od. 3,11) beklagt C. die spärliche Entlohnung für seine Schrift. Erst im Juli 1497 beschließt der Rat, dem Autor im Falle einer Überarbeitung einen angemessenen Betrag zukommen zu lassen. Die Hs. erbittet C. vom Nürnberger Rat, ohne sie wieder zurückzugeben. Leicht überarbeitet wird 1500 das 3. Kapitel über die Hercynia silva gedruckt (ed. Adel [wie o. II.A.2.], S. 65⫺ 72). Eine definitive Fassung erscheint sieben Jahre später mit diversen Streichungen, Ergänzungen und Umformulierungen (oft gelehrten Gräzisierungen) im Verbund mit den ‘Am.’. Vorangestellt ist ihr der sog. ‘Wappendreiverein’, eine heraldische Darstellung der Reichsstadt mit einem Epigramm Ad lectorem, das die Zentrumslage Nürnbergs in Europa betont, weiterhin (auf der Innenseite des Doppelblatts) eine Ansicht Nürnbergs von Südwesten her (Urbs Norinberga Quadrifinia). Sie variiert die Vedute der Schedelschen ‘Weltchronik’ (Luh, S. 195⫺198) und schreibt die Stadt durch Angabe der Himmelsrichtungen in griech. Sprache dem geographischen Schema der ‘Am.’ (und ihres Titelblatts) ein.
Inhalt wie Gliederung der Schrift folgen einer Tradition der Städtebeschreibung, deren Topik auf den Traktat des Menander Rhetor über epideiktische Rhetorik zurückgeht (3. Jh. n. Chr.). Für Nürnberg waren Sigismund D Meisterlin, Kunz D Has und Hans D Rosenplüt vorausge-
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gangen. Der Titel nennt die drei zentralen Themen: geographische ‘Lage’, ‘Sitten und Charakter’ (ethnologischer Aspekt) und ‘Institutionen’, die vor allem im zweiten Teil erläutert werden. Eingestreut sind immer wieder kulturgeschichtliche Exkurse (z. B. zu den ‘Druiden’ im herkynischen Wald). Mit der Beschreibung der Hercynia silva erweitert C. die Descriptio urbis zur Beschreibung Deutschlands. Diese lagert sich um das Zentrum Nürnbergs an, das “nicht allein im Mittelpunkt von ganz Deutschland, sondern auch von ganz Europa” liegt (Kap. 6). Diese neuartige Raumkonstruktion (G. M. M¸ller, S. 370⫺380) hat zwei Bezugspunkte: die Tradition der antiken und humanistischen Städtebeschreibung, in der die Stadt Zentrum einer Region bzw. eines ganzen Landes ist. Andererseits konkurriert Nürnberg hier mit geläufigen Weltmittelpunkten, dem antiken Rom oder Jerusalem (Robert, 2003, S. 400⫺414). Die Zentrumslage Nürnbergs griff auf eine um 1500 verbreitete lokale Tradition zurück und fügte sich andererseits in das geographische Schema der ‘Am.’. Die ‘Nor.’ war zusammen mit der ‘Germ. gen.’ eines der erfolgreichsten Werke des C. Rezipiert und verwertet wurde sie in Johannes J Cochlaeus’ ‘Brevis Germaniae descriptio’ (1512) und Eobanus J Hessus’ ‘Norimberga illustrata’ (1532). Überlieferung. Nürnberg, StB, Cod. Cent. IV 89, 1r⫺30v; Clm 431, Bl. 9-52; Clm 951, 3r⫺52r; Prag, Na´rodnı´ Knihovna, Ms Ro VI F b 3, 1v⫺18v. Drucke. De origine, situ, moribus et institutis Norimbergae libellus, in: ‘Quattuor libri amorum’ (wie u. B.4.b). Nürnberg: [Drucker f. d.] Sodalitas Celtica, 5. April 1502, Bl. m iiir⫺[p7]v. Die ‘Nor.’ wurde beigedruckt in der ‘Exegesis Germaniae’ des Franciscus J Irenicus, Hagenau 1518. Ausgabe. A. Werminghoff, C. C. u. sein Buch über Nürnberg, 1921 (Fassung v. 1495 u. Druckversion v. 1502 sind ineinander gearbeitet). ⫺ Dt. Übersetzung: G. Fink, 2000.
c) ‘Germania generalis’. Das kleine Lehrgedicht erschien zuerst in C.’ Ausgabe der ‘Germania’ des Tacitus. Schon im Titel (De situ et moribus Germanie additiones) wird die Intention deutlich: Hatte Tacitus das antike Deutschland dargestellt, so sollte die ‘Germ. gen.’ die neue
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Germania als Kulturnation zeigen. Auf antiken Quellen zur Topographie (v. a. Strabons ‘De situ orbis’ und Ptolemaeus’ ‘Kosmographie’) basierend entwirft C. ein “Bild Deutschlands”, das “die gesamte Oberfläche, Meer, Wälder, Völkerschaften, Berge, Höhen, Stämme und die Ausdehnung des Herkynischen Waldes” (Kap. 6) in sieben insgesamt 283 Verse umfassenden Kapiteln beschreibt. Damit stellt die ‘Germ. gen.’ den gewichtigsten, im 16. und 17. Jh. vielfach nachgedruckten Beitrag zur ‘Germ. ill.’ wie zum humanistischen Gemeinschaftsprojekt Landesbeschreibung überhaupt dar. In einer Versvorrede, die nur der Version des ‘Am.’-Drucks beigegeben ist, definiert C. die Schrift als Vorarbeit zur ‘Germ. ill.’ (praef. v. 7⫺8). Sie ist hier durch einen gemeinsamen Kolophon eng mit den Elegien verbunden (Bl. m iir; G. M. M¸ller, S. 30⫺55, zu den jeweiligen Druckkontexten). Die ‘Germ. gen.’ ist ein Experiment in Form des naturphilosophischen Lehrgedichts (poema naturale). Entsprechend der Kosmogonie in Ovids ‘Metamorphosen’ schickt C. seiner Topographie die mythische Fabel der Weltentstehung aus dem Bauch des Demogorgon (nach Boccaccios ‘Genealogiae deorum gentilium’) voraus, die den humanistischen Topos der ‘Dichtertheologie’ produktiv umsetzt. Entsprechend der ‘Germania’ des Tacitus erscheinen die Deutschen als ein autochthones Volk, dessen Physis und Charaktereigenschaften C. in kritischem Rückgriff auf Tacitus herausstreicht. Vor dem Hintergrund seiner Klimatheorie analysiert C. zunächst die geographische Position Deutschlands, skizziert seine Außengrenzen, um dann auf sein Zentrum einzugehen. Hier werden in zwei Kapiteln die “drei Mittel- und Hochgebirge Deutschlands” (mit dem Fichtelgebirge im Zentrum) sowie die Ausdehnung des Herkynischen Waldes mit kulturgeographischen Seitenbemerkungen beschrieben. Das letzte Kapitel erörtert die “Qualität des Bodens” in Deutschland und richtet sich damit ebenfalls gegen das von den Italienern erhobene Barbarenverdikt, das sich seit Tacitus wesentlich auf Klima und fehlende Agrikultur gründete. Der Weinanbau (vgl.
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Am. 1,12) dokumentiert den vollzogenen glücklichen Wandel. Drucke. a) De situ et moribus Germaniae additiones, in: Tacitus, ‘De origine et situ Germanorum liber’ (wie o. II.A.3.), Bl. cr⫺[c4]v; b) Germania generalis (mit versifizierter praefatio des C.) in: ‘Quattuor libri amorum [...]’ (wie u. II.B.4.a), Bl. [l5]v⫺mv. Zur weiteren Drucküberlieferung s. G. M. M¸ller, S. 11⫺26. ⫺ Abschriften: Clm 388, 122r⫺126v (G. M. M¸ller, S. 25 f.); Clm 434, 48r⫺53r; Clm 951, 38r⫺43r (Hartmann Schedel). Ausgaben. Pindter (wie u. II.B.4.a), S. 98⫺ 104; Adel (wie o. II.A.2.), S. 55⫺64. ⫺ Mit Übers. u. Komm.: G. M. M¸ller, S. 90⫺109 (Text), 110⫺184 (Komm.).
4. ‘Opera in poetica’ (Dichtungen). C. hat seine drei poetischen Zyklen von Anfang an als Teile einer Werk- und Publikationseinheit entworfen. Im wesentlichen lassen sich zwei Arbeitsphasen unterscheiden, von Sch‰fer, 2000, S. 235, als “Säkular-” bzw. “Maximilianphase” bezeichnet. Die ‘Oden’ haben ihre Vorstufe in einer von Trithemius (Cat., S. 174) als peregrinatio Sarmatica bezeichneten, an Catull anschließenden Sammlung, die C. 1491 aus Ingolstadt an Sebald Schreyer schickt (Celtis-Br., Nr. 15; Teilabschrift in Clm 95, 43r⫺44v). Anhand des Briefwechsels und anderer Indizien läßt sich die Entstehung der ‘Am.’ auf die frühen 1490er Jahre einkreisen. Die Druckfassung von Trithemius’ Schriftstellerkatalog ‘De scriptoribus ecclesiasticis’ enthält einen C.-Artikel, der die Oden und Elegien erwähnt; die Gliederung der ‘Am.’ nach den Himmelsrichtungen ist hier bereits gegeben (Trithemius, Script. eccl., S. 390: Amorum qui secundum 4 latera germaniae inscribuntur libri 4). Ende der 1490er Jahre kursierten die ‘Am.’ im Kreis der Sodalen, Anspielungen auf den Inhalt und Aufforderungen, die vollendeten Werke zum Druck zu befördern, häufen sich. Diese Bemühungen kulminieren in C.’ Plan einer Ausgabe der ‘Opera in poetica’ zum annus saecularis 1500, das zum Schwellenjahr für C. selbst und seinen Kreis stilisiert wird (vgl. die Schlußformel anno saeculari in Briefen des Jahres 1500 oder in Schlußformeln).
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Wichtigster Textzeuge dieser Arbeitsphase ist die C.-Hs. der StB Nürnberg (Cod. Cent. V App. 3) ein 113 Bll. umfassender Codex aus seinem Besitz; er stammt von der Hand seines Sekretärs Johann Rosenperger und bewahrt zahlreiche Annotationen und Nachträge des C. Dem Index zufolge enthält er Opera Conradi Celtis in poetica (1r): die vier Bücher Oden und die ‘Am.’, als einzelnes Buch die ‘Epoden’ und das ‘Carmen saeculare’ (später nachgetragen), fünf Bücher Epigramme sowie Gedichte der Sodalen an C.; den Dichtungen sollte eine Vita eius cum clare dictis vorausgehen (vgl. die dicta memorabilia und das Werkverzeichnis von Hartmann Schedels Hand in Clm 434, 69v⫺70r). Auch die carmina sodalium et amicorum fehlen. Unterhalb des eigentlichen Index sind zwei weitere Werke nachgetragen, die sich ebenfalls nicht in der Hs. selbst finden: Die Epistolarum amicorum libri decem [...] | ab annis lauree, die im Wiener Briefcodex vorliegen, und die ‘Nor.’. Den fortgeschrittenen Plan einer Säkularausgabe dokumentiert eine Pergamenths. der LB Kassel (2° Ms. poet. et roman. 7), die fünf Bücher zu je 100 Epigrammen des C. ⫺ die in der Vorrede zu den ‘Am.’ erwähnten libri Centepigrammaton ⫺ enthält (Wuttke, 1996, S. 321 f.). Geschrieben ist sie wiederum von der Hand Rosenpergers, dazu versehen mit zahlreichen Anmerkungen von C.’ Hand. Ein sechstes Buch Epigramme ist begonnen, jedoch Fragment geblieben. Enthalten ist dagegen die Vita der ‘Sodalitas Rhenana’. Laut Kolophon müssen die Gedichte bis spätestens 1500 vollendet gewesen sein; aus einer zweiten, von C. selbst hergestellten Schlußschrift wird deutlich, daß nach dem Scheitern einer ersten Drucklegung eine zweite für 1502 geplant war. Diese sollte offenbar gleichzeitig mit den ‘Am.’ erscheinen, die ebenfalls für den 1. Febr. 1502, den Geburtstag des Dichters, als vollendet genannt werden. Da an diesem Tag auch das Collegium poetarum et mathematicorum in Wien eingeweiht wurde, sollten beide Sammlungen C.’ Rang und Leistungen demonstrieren. Fragmente mit einer entsprechenden Reinschrift der ‘Am.’ von der Hand Rosenpergers sind in Wien, ÖNB, Cod. Ser. n. 4027, um 1500, erhalten. Eine Reinschrift der Oden existiert nicht mehr.
Mit der Kasseler Epigramm-Hs. und den Wiener ‘Am.’-Fragmenten kündigt sich der Übergang von der ‘Säkular-’ in die ‘Maximilian-Phase’ an. Von der Idee einer Ausgabe letzter Hand, die allein der Selbstdarstellung des Dichters C. (und seines Umfelds) dienen sollte, verlagern sich die Gewichte zur Person Maximilians und zum Dienst an seiner ‘gedechtnus’. Diese Ver-
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schiebung liegt jedoch auch in der Logik der ‘Germ. ill.’. Die Komponenten des Nürnberger Drucks von 1502 stellen Vorarbeiten des nie realisierten Planes dar. Mit der Sebaldus-Ode und der überarbeiteten, hier erstmals gedruckten ‘Nor.’ tritt Nürnberg als nationales Zentrum in den Blickpunkt (das Titelblatt der ‘Am.’ benennt freilich noch immer Prag als Mittelpunkt Deutschlands). An die Unterstützung, die er durch Maximilian erfahren hatte, knüpfte er die ⫺ vergebliche ⫺ Hoffnung, daß auch die beiden übrigen Zyklen gedruckt werden könnten (vgl. den Schluß der ‘Am.’-Vorrede). a) ‘Quattuor libri amorum secundum quattuor latera Germaniae’ (‘Amores’). C.’ Sammlung von Liebeselegien ist das einzige der großen ‘Opera in poetica’, das zu seinen Lebzeiten gedruckt wurde. Er versieht sie mit einer den Druck als Ganzes vorstellenden Widmungsvorrede an Maximilian, in der die beiden Hauptaspekte ⫺ Liebesdichtung und Vorspiel einer ‘Germ. ill.’ ⫺ exponiert werden (Robert, 2003, S. 145⫺248). In der Tradition platonischer Liebesphilosophie und des italienischen Neuplatonismus wird der sinnliche Eros zugunsten eines amor divinus bzw. honestus ‘entschuldigt’. Die ‘Am.’ umfassen vier Bücher mit insgesamt 57 Gedichten, überwiegend im elegischen Distichon; allein Buch I enthält zwei Stücke in stichischen Hexametern (Am. 1,8 u. 1,14). Die Disposition der Bücher folgt der auf dem Titelblatt skizzierten geographischen Orientierung. Sie zeichnen die Lebens- und Deutschlandreise des Dichter-Liebhabers C. von Krakau über Regensburg und Mainz bis nach Lübeck. Dieser peregrinatio läuft der Lebensweg des Dichters durch vier aetates von der pubertas (Titelbl.: iuventus) zur senectus (Titelbl.: mors; die Zuordnung der Lebensalter zu den einzelnen Stationen und Büchern schwankt auch sonst) parallel. Lebensalter, Region und jeweilige Geliebte bilden eine primäre Matrix von Vierheiten, die auch in den Überschriften der einzelnen ‘libri Amorum’ wiederkehrt. Gegenüber diesem im Kern geographischen Quadrat sind die neun pythagoreischen Vierheiten
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der Regionenholzschnitte (Novenarium) eine sekundäre Zutat, vermittelt wohl durch die Bekanntschaft mit Reuchlin und seinem Dialog ‘De verbo mirifico’ (1494). Unberührt davon bleibt, daß die ‘Am.’ auf allen Ebenen und bis in die Komposition der Einzeltexte hinein die Sympathie von Mikround Makrokosmos, den Einfluß der supralunaren Gestirnwelt auf den realgeographischen Handlungsraum voraussetzen. Dies ist jedoch weniger C.’ Pythagoreimus geschuldet (dieser zielt vielmehr, wie in Od. 3,28 an Trithemius, auf eine gemeinschaftliche, sittlich-frugale Lebensform) als der Astrologie (Astronomie), dem wissenschaftlichen Leitdiskurs der ‘Am.’.
Ein Überblick über die ‘Am.’ kann von drei Themenfeldern ausgehen: Literarische Bezüge, Deutschlandbeschreibung (bzw. nationaler Diskurs) und poetische Selbstthematisierung. Zunächst zur Gattungsfrage. Die Elegien stehen in der Tradition der lat. Liebeselegie eines Ovid, Properz und Tibull. Anders als die ‘Oden’ sind sie jedoch nicht als Nachahmung eines Einzelautors intendiert; die Quellenanalyse zeigt C.’ synkretistische, um Gattungsgrenzen unbekümmerte Verbindung von Autoren und Genera im weiteren Umkreis der Elegie (einschließlich der ovidischen Subformen wie ‘Heroide’ oder Exilepistel). Satirisch-Invektives rundet ⫺ auch dies in der Tradition der Elegie ⫺ das Panorama der Gattungen und Töne ab. Spuren zeitgenössischer Dichtung und Bezüge zu italienischen Neulateinern sind eher atmosphärisch als im einzelnen nachzuweisen. Nicht wenige Stücke stellen Umarbeitungen eigener Elegien oder Transpositionen und Parallelentwürfe zu den ‘Oden’ dar (v. a. in den beiden ersten Büchern). Properz bot mit seinen Versuchen, seine elegische Lebenswahl und Dichtung zu rechtfertigen, den wichtigsten Anknüpfungspunkt für programmatische Selbstbeschreibung. Die elegische Lebensform erscheint in den ‘Am.’ im Spannungsfeld eines zeitgenössischen Lebenswahldiskurses, wie er sich in der um 1500 verbreiteten allegorischen Deutung des Paris-Urteils niederschlägt. Auch das landeskundliche wie philosophische Interesse des C. wird, beginnend mit dem poetischen Horoskop Am. 1,1, ironisch in die Spannung zwischen vita contemplativa und vita voluptuosa eingestellt. Wird die
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Ausführung der ‘Germ. ill.’ wiederholt zugunsten Amors aufgeschoben, so bettet C. die Sachthemen meist exkursartig in die Haupthandlung ein. Kleine oder blinde Motive der antiken Elegie (Astrologie und Landeskunde) werden zu tragenden Themengefügen ausgebaut oder von ‘philosophischen’ Voraussetzungen im weiteren Sinne aus interpretiert. Dies zeigt sich beispielhaft am Topos der Liebeskrankheit (morbus amoris), der mehr als einmal ins Medizinisch-Konkrete rückübersetzt wird (Am. 1,3; 3,1). Insgesamt werden nahezu alle Daten ausgebreitet, die C. auch in der ‘Germ. gen.’ verhandelt, dabei jedoch literarisiert und ‘subjektiviert’, d. h. an die Person des Dichter-Ich gebunden. Exponiert wird die Schicht der ‘Germ. ill.’ in der Epiphanie des Dichtergottes Apoll (Am. 1,3). Darstellung der Nation und Selbstdarstellung verbinden sich eng in Am. 1,12; Am. 2,9 behandelt satirisch das vieldeutige Simplicitas-Konzept der ‘Germania’, das bei C. kontextuell zwischen den Polen Castitas und Barbaries schwankt. Philosophische, landeskundliche und medizinische Anliegen dienen in den ‘Am.’ jedoch vorrangig der Selbstdarstellung des Dichters C. Von der Maximilianpanegyrik nur oberflächlich verdeckt, sind die ‘Am.’ poetisches ‘Ego-Dokument’ einer exemplarischen Dichter-Vita von der astrologisch stilisierten Geburt (Am. 1,1) bis zum antizipierten Tod (Am. 4,15). Das Rollenhafte und Inszenierte dieser lyrischen Persona, das der Dichter sich in der Vorrede selbst zuspricht (praef. 47: illos non semper ex suo, sed ex stultorum aliquando hominum ore locutos), ist in der neueren C.-Forschung ⫺ zu Recht ⫺ einhellig betont wurde. Nicht als “große Konfession”, sondern als Manifest einer Lebensform sind die ‘Am.’ poetische Autobiographie im Geist von Ovids ‘Tristien’ 4,10 oder Petrarcas ‘Posteritati’. Wie in letzterem verflüchtigt sich das kontingente Leben des C. hinter der repräsentativen, nach zahlensymbolischer Bedeutsamkeit geordneten Dichtervita. C. hat dem ‘Am.’-Band 10 Holzschnitte beigegeben, die er offenbar auch bis ins Detail selbst entworfen hat (grundlegend Luh). Verdichtet Dü-
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rers ‘Philosophia’-Holzschnitt noch einmal Spekulationen um die neue Systematik der Bildung, wie sie C. in der Ingolstädter Rede entworfen hatte, so demonstriert das Widmungsbild die Herrschernähe des Poeta aulicus, während die Regionenholzschnitte eines unbekannten ‘Celtis-Meisters’ die erzählte Welt der ‘Am.’ (Szenen, Lokalitäten, Protagonisten, aber auch die Einflüsse des Makro- auf den Mikrokosmos) visualisieren. Zwischen Kartographie, Stadtansicht und Argumentum-Funktion stehend setzen sie das hybride Programm der ‘Am.’ ins Bild, ohne Deutungspotentiale über das Illustrative hinaus zu eröffnen (Robert, 2003, S. 182⫺ 187). Überlieferung. 1. Nürnberg, StB, Cod. Cent. V App. 3, 50r⫺75v (Am. 1,1⫺4,4) 2. Wien, ÖNB, Cod. Ser. n. 4027; das 3 Bll. umfassende Fragment enthält: Fridiani Pignucii [...] carmen, einen Index der ‘Am.’, Fragmente von Am. 1,11 und 1,12; 4,14; einen Passus aus Ps.-Dionysius Areopagita (div. nom. 4,15, 713a⫺b) lat. u. griech. (⫽ Pindter, Ausg., S. 116), ein Fragment einer 5 Strr. umfassenden sapph. Ode ungeklärter Autorschaft, die am Ende der ‘Am.’ gedruckt werden sollte; Lochers Sapphicum ad C.C. (⫽ Widmungsgedicht zu ‘Am.’ III). Druck. Conradi Celtis Protucii | primi inter Germanos im⫽|peratoriis manibus poe⫽|te laureati quatu⫽|or libri amorum | secundum qua⫽| tuor latera | Germanie felici|ter incipi⫽|unt. Nürnberg: [Drucker f. d.] Sodalitas Celtica, 5. April 1502. VD 16, C 1911. Ausgabe. F. Pindter, Quattuor libri Amorum secundum quattuor latera Germaniae. [...] (Bibl. scriptorum medii recentisque aevorum 14), 1934.
b) ‘Odarum libri quattuor’ (‘Oden’). C.’ ‘Oden’ sind mit den ‘Am.’ inhaltlich und kompositorisch eng verbunden. Anders als diese und entgegen der Ankündigung am Ende der ‘Am.’-Vorrede gelangte der Zyklus jedoch nicht mehr zum Druck (vgl. eingehend Sch‰fer, 2000). Da sich anders als für die ‘Epigrammatum libri’ und die ‘Am.’ keine Druckvorlage erhalten hat, ist die definitive Gestalt des Odenbuches nicht mehr eindeutig zu bestimmen. Die wichtigsten Textzeugen sind die Nürnberger C.-Hs. sowie der Straßburger Erstdruck durch Angehörige der Sodalitas Celtica (1513; für Od. 3,14,6 bis 4,4,6 ist wegen Blattausfalls in der Nürnberger Hs. ein Vergleich nicht mehr möglich). C. selbst hat Textgestalt und Umfang der ‘Oden’ gegenüber der Nürnberger Hs. wiederholt revidiert. Wie für die beiden anderen Zyklen ließ C.
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für den (mittlerweile auf 1501 geplanten) Druck eine Reinschrift auf Pergament anfertigen. Pindters kritische Ausgabe stützt sich auf die Nürnberger Hs., da sie die Varianten des Straßburger Drucks den Herausgebern zuschreibt. Sch‰fers Rekonstruktion der Überarbeitungsstufe zwischen beiden Textzuständen (2000, S. 235⫺245) und C.’ Anteil an ihr ergibt folgendes, auch für die Konzeption der ‘Oden’ wichtiges Bild: Anders als von Pindter angenommen beschränken sich die Eingriffe der Hg. auf stilistische Korrekturen (vgl. die kritischen Bemerkungen Thomas J Reschs und Vadians zu C.’ poetischer Sprache; Celtis-Br., S. 631 u. 617). Inhaltliche Veränderungen betreffen Od. 2,3; 2,20; 3,11; Epod. 7 u. 9 (Sch‰fer, 2000, S. 237⫺239), die von C. selbst aus gegebenem Anlaß für die Druckvorlage korrigiert und von den Sodalen in dieser revidierten Form auch gedruckt wurden. Einige Oden fehlen in der Nürnberger Hs., andere sind dort enthalten, nicht aber im Straßburger Druck. Vier Oden des 4. Buches fallen in die Zeitspanne zwischen Juni 1500 und 1. Febr. 1502; das 4. Buch repräsentiert im Druck daher den vermutlichen Zustand der Wiener Oden-Reinschrift. Um für alle horazischen Metren ein eigenes Beispiel zu bieten, verfaßte C. eine hipponakteische Ode an den Ausgburger Domherrn Matthäus J Marschall von Pappenheim, die in einer Abschrift in der Thurn- und Taxis’schen Hofbibl. Regensburg erhalten ist; sie wurde jedoch von den Straßburger Herausgebern übersehen. Eine Ode an den Prager Johannes Albus a Cyconiis wurde auf Hassenstein umgeschrieben (Od. 1,27). Alle anderen erhaltenen Oden aus der Zeit nach 1500 wurden von den Herausgebern nicht berücksichtigt, weil sie offenbar nicht in der Druckvorlage enthalten und ihnen daher unbekannt waren (Sch‰fer, 2000, S. 245⫺248).
Das Odenwerk war für C. 1502 im wesentlichen abgeschlossen, eine Drucklegung hat er danach ⫺ sicher aufgrund fehlender finanzieller Unterstützung durch Maximilian (vgl. Epigr. 5,1) ⫺ nicht mehr ernsthaft betrieben oder betreiben können. Die Druckvorlage überließ er den Schülern Resch und Vadian, ohne (wie in der Vorrede zu den ‘Am.’ annonciert) eine Autorvorrede zu verfassen. Diese verlorene C.’sche Druckvorlage wurde von den Sodalen um ein Geleitschreiben Vadians (Celtis-Br., Nr. 342) an Matthias Schürer und einen Widmungsbrief Reschs an Thomas von Rauber (Celtis-Br., Nr. 351) sowie um Epikedien der Freunde und Schüler ergänzt (Bl. a ijr⫺v; Celtis-Br., Nr. 343⫺350). Der
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Text wurde nur emendiert (Vadian bezeichnet das Buch jetzt als minus cicatricosum et nativo candori restitutum impensius; Celtis-Br. S. 618); auf stilistisch-metrische Korrekturen an diesem opus semilimatum, rude incastigatumque (Resch, Celtis-Br., S. 631) wurde offenbar verzichtet. Den Oden geht die hier erstmals gedruckte C.-Vita der Sodalitas Rhenana (Bl. br⫺b iijv) voraus; diese wird jedoch auf dem mit der Säkularedition erreichten Stand belassen, so daß die Arbeiten nach 1500 fehlen. Unmittelbar vor Od. 1,1 wird eine überarbeitete Fassung des Autorbildes der ‘Am.’ eingerückt (Bl. [b6]v). Für Inhalt, Struktur und Komposition der ‘Odarum libri quattuor’ sind zwei Modelle und Bezugspunkte tragend, die eigenen ‘Am.’ und die Odendichtung des Horaz. Die geographische Disposition der ebenfalls vier Bücher umfassenden ‘Am.’ wird nachvollzogen. Sie gehört zur primären Konzeption der Sammlung, wie die von Trithemius erwähnte Vor- oder Parallelstufe einer Peregrinatio Sarmatica unterstreicht (s. o.). Trithemius’ ‘Catalogus’ (1494) vermerkt jedoch keine Disposition nach den 4 latera Germanie wie für die ‘Am.’. Die Gliederung nach latera Germanie findet auch im Titel der Oden keinen Niederschlag. Der Nexus der Oden-Sammlung ergab sich von Anfang an eher beiläufig durch biographische Hintergründe, nicht durch programmatische Verklammerung. Weiterhin fehlt gegenüber den ‘Am.’ jede zahlensymbolische Überhöhung des Grundplanes. Eine interne Gliederung weist allenfalls Buch I auf; hier kann J. Leonhardt (in: Auhagen u. a., S. 214) anhand der aus der Horazüberlieferung stammenden Tonangaben (paraenetice, erotice etc.) “eine klare Zweiteilung” plausibel machen, während für die übrigen Bücher eher additive Entstehung und Erweiterung gilt. Diese Sonderstellung des Krakauer Buches I hat ihre Entsprechung in ‘Am.’ I und verweist auf den 1491 an Sebald Schreyer versandten libellum nugas et ineptias meas continentem (Celtis-Br., S. 29). Der Vergleich beider Einleitungsbücher zeigt, daß ‘Oden’ und ‘Am.’ zunächst beide sowohl Liebes- als auch Freundschaftsdichtung
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sein sollten. Der zuletzt genannte Aspekt wird dann für die ‘Oden’ zum Hauptgegenstand, während die Liebesdichtung zunehmend zurücktritt. Sie rückt im Gegenzug ins Zentrum der Elegien (Robert, 2003, S. 285 f.). Die für die Oden strukturbildende Nachahmung des Horaz wird schon äußerlich signalisiert durch die Vierzahl der Bücher, den ‘Liber Epodon’ sowie das angefügte ‘Carmen saeculare’. Mit ihnen ist das Ziel erreicht, jeder horazischen Strophenform ein eigenes Pendant zur Seite zu stellen. Dies verweist zurück in C.’ Anfangsjahre, die im Zeichen einer Werk und Lebensvollzug gleichermaßen einschließenden Horaz-Imitatio stehen. Schon in den poetischen Beiträgen (‘Poema ad Fridericum’; ‘Apollo-Ode’) zur ‘Ars versificandi et carminum’ begründet C. seinen Archegetenanspruch mit einer Translatio carminis, die sich auf die Rückführung der horazischen ‘äolischen’ Versmaße richtete. Der Akt der Translatio selbst war nichts anderes als angewandte Nachahmung des Horaz (Horaz, Epist. 2,1,156⫺160). Die ‘Odarum libri’ sind daher auch und v. a. metrisches Musterbuch, das in eigenen Beispielen die Anverwandlung der horazischen Metren ⫺ und damit die vollzogene Translatio carminis nach Deutschland ⫺ in toto vorführen will. Zumindest der Intention, nicht unbedingt der Durchführung nach (vgl. die hohe Frequenz von Hendekasyllaben im Stile Catulls) will das Odenbuch allein im Blick auf Horaz gelesen werden. Horaz war auch ein Rollenvorbild für Stilisierung und Erfindung der eigenen Dichtervita. Dies betrifft die Dichterkrönung so gut wie die Möglichkeiten, in der panegyrischen Odenform Herrschernähe oder Anschluß an Mäzene zu demonstrieren. Nicht zu übersehen sind freilich die Unterschiede: C.’ Oden verfolgen mehr und mehr das Ziel, als ein poetischer Briefwechsel (analog zum ‘Codex epistolaris’) ein deutschlandweites Netz gelehrter Sodalitäten zu konstituieren bzw. literarisch zu fingieren. Die horazische Form wird darüber hinaus zum Medium humanistischer Selbstbespiegelung. Diese dialogische, Gemeinschaft stiftende und evozierende Struk-
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tur ist der eigentlich wegweisende Aspekt der Odendichtung, der sich bis in die poetische Umrahmung der Odenausgabe durch die Sodalen selbst fortsetzt. In ihren Epikedien tritt die Sodalitas Celtica ein letztes Mal, versammelt um den gedruckten Grabstein des Celtis (Bl. O viiv), zusammen und setzt die Gemeinschaftsfiktion des ‘Sterbebildes’ fort. Wenngleich C.’ Stilisierung zum “Deutschen Horaz” (Sch‰fer, 1976) im Werk eines Georg Fabricius, Melissus Schede und Jakob Balde weiterlebt, ist der Nachhall der ‘Oden’ als Sammlung nur schwer zu bestimmen. Vor allem formal fiel C.’ Zyklus hinter die ⫺ nicht zuletzt durch ihn selbst ermöglichten ⫺ metrisch-stilistischen Standards zurück; diese bei aller persönlichen Verbundenheit skeptische Einsicht in das Vorläufige des C.’schen Odenwerks spiegelt sich in Vadians Geleitbrief zur Straßburger Ausgabe (Celtis-Br., S. 617) wie in seiner Würdigung im Rahmen seiner ‘De poetica et carminis ratione’ wider. Überlieferung. Nürnberg, StB, Cod. Cent. V App. 3, 12r⫺40v (3. u. 4. Buch unvollst.). Drucke. Conradi Celtis | Protucij, primi in Germania | poete˛ coronati, libri Odarum | quatuor, cum Epodo, et | saeculari carmine, dili⫽| genter et accurate im|praessi, et hoc pri|mum typo in stu|diosorum emo|lumentum | editi. Straßburg: Matth. Schürer, Mai 1513. VD 16, C 1906. ⫺ Od. 1,11 (mit Epigr. 1,7) bereits zuvor im Einblattdruck Conradi celtis ingeniurum [!] | puerorum [...] | protrepticus. [Wien: Joh. Winterburg, um 1500]. GW 6469; VE 15, C-10. Zur weiteren Drucküberlieferung vgl. Ausg., S. IV⫺VI. Ausgabe. F. Pindter, Libri Odarum quattuor. Liber Epodon. Carmen saeculare (Bibl. scriptorum medii recentisque aevorum 23), 1937, S. 1⫺103.
c) ‘Epigrammatum libri’ (‘Libri centepigrammaton’). Die Epigrammsammlung, die im 16. Jh. nicht mehr zum Druck kam, liegt in zwei bedeutenden hsl. Textzeugen vor, der C.Hs. Cod. Cent. V App. 3 der StB Nürnberg, 82r⫺111r (s. o. Sp. 400), und der Hs. 2° Ms. poet. et roman. 7 der LB Kassel. Die Kasseler Hs., Druckvorlage für die geplante ‘Säkularausgabe’, ist immer noch die große Unbekannte der C.-Forschung.
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Der Leser muß sich weiterhin mit der Ausgabe Hartfelders behelfen. Sie hat die 450 Epigramme umfassende Nürnberger Hs. zur Grundlage, zeigt jedoch eine große Zahl von Verlesungen, Fehlern und Eigenmächtigkeiten in der Textkonstitution. Allzu Anstößiges ist ebenso getilgt wie astronomische Gelehrsamkeit (5,31⫺33), das (unvollendete) 5. Buch ist (nach Epigr. 55,4) mit Auszügen aus den ‘Am.’ aufgefüllt. Unverzichtbar ist daher Wuttkes Supplement (1973), das Abweichungen und Versehen gegenüber der Nürnberger Hs. verzeichnet.
Verglichen mit den ‘Oden’ und den ‘Am.’ ist die Komposition der Epigramme weniger ambitioniert. Schon die Zahl von fünf Büchern, welche die Nürnberger wie die Kasseler Hs. angeben, weicht von der sonst programmatischen Ausrichtung an den vier latera Germaniae wie der pythagoreischen ‘Tetraktys’ ab. Auf Burgkmairs Gedächtnisbild hat C. die Zahl der Epigrammbücher mit acht, einem Vielfachen der Vierzahl, angegeben. Die Nürnberger Hs. weist noch keine Umfangsbegrenzung der einzelnen Bücher auf (der Kolophon gibt für jedes Buch die Zahl der Stücke an). Dies ändert sich in der Kasseler Hs., d. h. im Vorfeld der Säkularausgabe der Opera in poetica. Hier sind die Epigrammbücher (u. a. durch ca. 60 neue Texte gegenüber der Nürnberger Fassung) auf die Zahl von je 100 (centepigrammata) gebracht. Die Gesamtzahl von 500 Epigrammen unterstreicht die Bedeutung des annus saecularis 1500, freilich ohne daß sich mit dieser äußerlichen Rundung eine inhaltliche Aussage für den Zyklus selbst verbände. Bl. 76r enthält zwei Schlußschriften von der Hand Rosenpergers bzw. der des C. Die erste gibt als (geplanten) Druckort Nürnberg, als Jahr der Drucklegung 1500 an. Als sich die Pläne einer Drucklegung zunächst für 1500, dann für 1501 zerschlugen, korrigiert und ergänzt C. dies durch das Datum 1. Febr. 1502 (seinen 43. Geburtstag, zugleich Tag der feierlichen Einweihung des Wiener Collegium). Nachdem sich auch diese Drucklegung zerschlagen hatte, begann C. nun unter Absehung von Zahlensymbolik, ein weiteres, 6. Buch; nimmt man den Befund des ‘Sterbebildes’ hinzu, so läßt sich erschließen, daß C. nach dem Scheitern des Säkularplanes eine Erweiterung der Epigrammbücher auf die ⫺ im Hinblick auf ‘Am.’ und ‘Oden’ ⫺ symbolische Zahl acht ins Auge faßte; doch schon zum Zeitpunkt der Entstehung des Gedächtnisholzschnitts muß der Plan in weite Ferne gerückt sein.
Das inhaltliche Spektrum der Sammlung ist denkbar breit. Wie bei den anderen
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Zyklen fehlt auch hier jedes feste Gattungsbewußtsein. ‘Epigramm’ bezeichnet für C. offenbar einen in der Regel kürzeren, auf einen bestimmten Anlaß oder Adressaten (oft polemisch) bezogenen Text vorwiegend im elegischen Distichon, gelegentlich in stichischen Hexametern; lyrische Strophen fehlen. Zuordnungskriterium ist also auch hier wie in den Oden allein die metrische Form. Das Epigrammbuch dient C. darüber hinaus als Fundus für Texte, die als verstreute Beigaben bereits anderweitig gedruckt waren. Anderes hat Entwurfcharakter, wirkt wie formelhafte Vor- und Nebenarbeit namentlich zu den ‘Am.’. Hier bestand schon hinsichtlich des Metrums zwanglos die Möglichkeit zum Austausch. Wie die Elegien sind die Epigramme poetischer lusus und verbinden ioci mit seria (Epigr. 1,1,9). Ausgabe. K. Hartfelder, Fünf Bücher Epigramme v. K. C., 1881 (ND 1963); dazu Wuttke, 1973.
d) Schauspiele. a) ‘Ludus Dianae’. C. verfaßte den ‘Ludus Dianae’, ein fünfaktiges mythologisches Festspiel “nach Art einer Komödie”, zu Ehren Maximilians und seiner Gemahlin Bianca Maria Sforza. Aufgeführt wurde es am 1. März 1501, zur Faschingszeit, vor der kgl. Hofgesellschaft in Linz. Die Rollen wurden von Mitgliedern der Sodalitas Danubiana (Petrus J Bonomus, Joseph J Grünpeck, Ulsenius und Vinzenz Lang) übernommen, C. selbst spielte den Part des Silvan. Das Stück umfaßt nur 213 Verse, eine dramatische Handlung entspinnt sich nicht, die kurzen Akte bilden vielmehr eine lockere Reihe von Episoden. Zielpunkt des Stückes ist die Dichterkrönung des Vinzenz Lang, der als Kulturstifter Bacchus auftritt. Im Schlußakt versammeln sich alle Schauspieler unter Führung Dianas auf der Bühne, um im vierstimmigen Chor dem Königspaar zu huldigen. Das panegyrische Maskenspiel mit musikalischer Begleitung durch die Hofkapelle (der Erstdruck enthält auch Notenbeigaben) bezieht von Anfang an die kgl. Familie in die ‘Komödie’ ein, zunächst als Zuschauer, schließlich als
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Akteure. Daß der Text dennoch von vornherein für den Leser und den Druck konzipiert war, zeigen die Akrosticha des 2. Aktes. Sie unterstreichen die tagespolitische Aktualität des Stückes: Maximilian soll als Völkerhirte und verus cultor iuris die Türkengefahr abwehren. Die Gattungszugehörigkeit des ‘Ludus’ ist schwer zu bestimmen: Titel, Fünfaktschema und Prolog des Merkur ordnen das Stück der lat. Komödie zu, über die C. selbst Vorlesungen hielt. Außer dieser Bezeichnung teilt der ‘Ludus’ jedoch nichts mit den Stücken eines Terenz oder Plautus. Gottsched moniert später nicht zu Unrecht: “Man sieht wohl, daß der ehrliche Celtes von einer Komödie weiter nichts gewußt, als daß sie fünf Actus haben müsse” (nach Gingerick, Ausg., S. 163). Der ‘Ludus Dianae’ verbindet Fastnachtspiel mit italienischem Repräsentationsdrama und spiegelt C.’ Interesse für musikalische Umsetzung klassischer Latinität und Verssprache (zum Stellenwert der Musik ebd., S. 166 f.). Drucke. Ludus Diane in modum Comedie coram Maximili⫽|ano Rhomanorum Rege Kalendis Martijs et | Ludis saturnalibus in arce Linsiana danu⫽|bij actus [...] Nürnberg: Hier. Höltzel, 15. Mai 1501. VD 16, C 1907. ⫺ ND ohne Notenbeigaben in ‘Quattuor libri amorum’ (wie o. B.4.a), Bl. q iiv⫺[q6]r. Ausgaben. V. Gingerick, The Ludus Dianae of C. C., The Germanic Review 15 (1940) 159⫺ 180 (krit. Ausg. d. notierten Erstdrucks; mit Komm.); F. Pindter, Ludi scaenici (Ludus Dianae ⫺ Rhapsodia) (Bibl. scriptorum medii recentisque aevorum 29), Budapest 1945, S. 1⫺6; A. Schuetz, Die Dramen d. C. C., Diss. Wien 1948, S. 17⫺49 (Text mit Übers.).
b) ‘Rhapsodia’. Nach dem Nürnberger Sammeldruck mit den ‘Amores’ hat C. nur noch eine weitere größere Dichtung, wiederum in einem Sammeldruck, veröffentlicht, die ‘Rhapsodia’ (⫽ ‘Rh.’), ein höfisches Festspiel über den Sieg, den Maximilian am 12. Sept. 1504 am Wenzenberg (b. Regensburg) über die böhmischen Söldner des Pfalzgrafen errang; er bedeutete eine Vorentscheidung im Bayerischen Erbfolgekrieg. Das Spiel wurde noch im Herbst 1504 aufgeführt (vgl. den Brief des Augustinus Moravus vom 30. Nov. 1504, Celtis-
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Br. Nr. 320, S. 575), und zwar von Schülern des Wiener Poetenkollegiums; dies geht aus einem dem Wiener Druckexemplar der ‘Rh.’ (ÖNB, 44.V.55) beigegebenen Blatt hervor, das die Rollenbesetzungen verzeichnet, Der Druck, dessen Titelseite als seinen Inhalt nur die ‘Rh.’ nennt, besteht aus zwei Teilen. Seine Lage A enthält die etwa im Okt. 1504 entstandene ‘Rh.’ mit begleitenden Teilen: Auf der Titelseite ein Epigramm wider die Rhematarii (arithmarii, die Reimer, d. h. die volkssprachlichen Mitarbeiter an Maximilians ‘Gedechtnus’Werk), das zugleich die größere Wirkung der eigenen lat. Panegyrik betont, und ein weiteres, das Maximilians jüngste Erfolge in allen Teilen Europas feiert; auf der Rückseite des Titelblattes ein Holzschnitt Hans Burgkmairs d. Ä. mit der Böhmenschlacht sowie ein Brief des Augustinus Moravus samt C.’ Antwort, die sich mit der Etymologie des Völkernamens Boemi beschäftigen (Celtis-Br., Nr. 327 u. 328); am Ende eine zuerst Albus, jetzt aber Bohuslaus von Hassenstein gewidmete Ode (Od. 1,27). Die ‘Rh.’ selbst ist unverhohlene Maximilianpanegyrik. Sie zeigt den Kaiser zu Beginn unter den sieben Kurfürsten “wie die Sonne unter den Planeten“. Die Panegyrik auf den Sieg am Wenzenberg ist den Musen in den Mund gelegt. Sie öffnet sich, etwa in der Partie der Polyhymnia, zur Biographie und Hagiographie. Als letzte der Musen verkündet Urania den Anbruch eines neuen Friedensreiches, das mit Maximilians Krönung in Rom und der Vertreibung der Türken beginnen werde. Wie der ‘Ludus Dianae’ spielt auch die ‘Rhapsodia’ am Ende in die Wirklichkeit hinüber: Der Kaiser sollte nach dem Vortrag der Musen eine Krönung vornehmen (persona interposita laureanda; ohne Namensnennung). Das Spiel schließt mit Chor- und Tanzeinlagen der Musen, schließlich des Bacchus und der Satyrn. Am Ende fällt Maximilian der Part zu, den Anwesenden Gaben und Geschenke zuzusichern. Die Lage B ist ein früher, spätestens im Febr. 1503 abgeschlossenes Dokument des Wiener Poetenkollegs. Sie enthält von je-
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dem der zwölf Schüler in der Reihenfolge der drei Klassen ein Lob- und Dankgedicht auf Maximilian. Ihnen gehen voran C.’ einleitender Widmungsbrief an Maximilian vom 1. März 1503, der Maximilians Verdienst um die Errichtung des Kollegs preist und über dessen Aufgaben, Ziele und Leistungen berichtet, und auf Bl. Bv ein ganzseitiger, Burgkmair zugeschriebener Holzschnitt, der die Insignien des Dichterkollegiums abbildet, Zepter und Siegel, Dichterlorbeer, Ring und Siegel (die beiden Zeichen der Doktorwürde). Am Ende der Lage ein Preisgedicht des Johannes Sturnus auf seinen Freund C. als Dichter. C. hatte sich für die panegyrischen exercitamenta der Schüler zunächst um einen separaten Druck bemüht, ohne Erfolg (vgl. Celtis-Br., Nr. 315, an Manutius). Der Datierung des Widmungsbriefes auf 1503 (Anno secundo erectionis Conle*gii+), die durch den Eingang des Briefes (Abeunti mihi superiori anno […]) bestätigt wird, widerspricht die darauf folgende Jahreszahl M.D.IIII; sie wird als Angleichung an den gemeinsamen Druck mit der ‘Rh.’ zu verstehen sein.
Der Gesamtdruck steht aufgrund der Verbindung der ‘Rh.’ mit den Texten der Lage B ganz im Zeichen des Poetenkollegs, das mit ihm seinen propagandistischen Wert für das ‘Gedechtnus’-Projekt wie für die tagespolitische Publizistik demonstriert. Einem Teil der Exemplare ist ein Blatt mit Burgkmairs Reichsadler vorgeheftet (vgl. Luh, S. 270⫺273). Druck. In hoc libello continentur. | Divo Maximiliano augusto Chunradi Cel|tis racvDia laudes et victoria de Boe-|mannis per septem electores et | regem. Phoebum. Mercurium | et Bacchum et novem mu|sas personatas publi|co spectaculo Vi-|enne acta. anno | M.D.IIII. Augsburg: Joh. Otmar, 1505. VD 16, C 1897. Der Druck ist in zwei leicht verschiedenen Fassungen erschienen. Die zweite, ebenfalls 1505 erschienene Ausg. enthält ein Gedicht, in dem C. Maximilian eine Mitarbeit am ‘Gedechtnus’-Werk zusagt. Teil dieser historia sollen genealogische Themen, die Geschichte des Hauses Habsburg sowie Maximilians Biographie sein (ed. Pindter, S. 27). Ausgabe. Pindter (wie o. II.B.4.d.a), S. 7⫺13 u. 16⫺27; Text mit dt. Übers. bei Schuetz (wie o. II.B.4.d.a), S. 50⫺100 u. 190⫺240. Der Holzschnitt der ‘Insignia poetarum’ wurde auch als Einblattdruck vervielfältigt (Ex.: vorge-
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heftetes Bl. 2 im Bd. 12.9 Poet. 2° der HAB Wolfenbüttel). Vollständig und genau wiederholt wurde er in einer Zeichnung von J Bernhaubts ‘Apologia poetarum’ (Bl. 7r); er bildet hier die Titelillustration zum ‘Dialogus in defensionem poetices’ des Augustinus Moravus. Vgl. dazu Apol. poet., S. 17⫺19 u. 36 f.
e) Kleinere poetische Zyklen und Einblattdrucke. a) ‘Proseuticum ad divum Fridericum tercium’. Publiziert im Mai 1487 zum Dank für seine Krönung zum Poeta laureatus. Der schmale Band enthält eine Reihe horazisch-panegyrischer Oden, die während bzw. in Verbindung mit der Krönungszeremonie von C. vorgetragen wurden. Der Verlauf der Laureatio spiegelt sich in der Abfolge der Texte wider. Auf eine Widmungsvorrede an Hzg. Georg von Sachsen folgt eine sapph. Ode an Pighinucius (später als Vorsatzode für das erste Buch der ‘Am.’ umgeschrieben; Robert, 2003, S. 451⫺457). Sie preist C.’ begünstigte Nativität sowie die Macht seiner Verse. Die folgende Elegie bittet um jene laureatio, die in der Holzschnitt-Initiale bereits gezeigt wird. In Anlehnung an das Eröffnungsgedicht von Horaz’ Oden feiert C. die Symbiose von Dichter und Fürst in einer Ode im Asclepiadeus minor, die mit Friedrichs Herrschaft ein neues goldenes Zeitalter gekommen sieht (später umgearbeitet zum Eröffnungsgedicht der ‘Libri odarum’). Die Dichtungen haben ein doppeltes Ziel: formal demonstrieren sie die Beherrschung horazischer Strophenformen und Odentöne (pragmatice, sincritice u. ä.; W. Stroh, in: Auhagen u. a., S. 91 f.), inhaltlich wird die Herrschaft Friedrichs III. als epochale Wiederkehr einer goldenen Zeit verkündet. Eine Folge von Dank- und Preisepigrammen an den Kaiser, Kf. Friedrich, Johann Schrenck und den kaiserlichen Astronomen Johannes Canter runden die gratiarum actio ab. Canter ist auch Urheber eines (sekundengenauen) Horoskops der Krönungsstunde, das C. ans Ende des Druckes stellt. Die Dichterkrönung markiert einen kosmischen Wendepunkt; sie wird zur Geburtsstunde des Dichters Celtis, der fortan seine private Zeitrechnung
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(wie seinen Briefcodex) nach “Jahren des Lorbeers” datiert.
nehmen Formulierungen aus C.’ Leipziger ‘Poeticum proseuticum’ auf.
Druck. Conradi Celtis proseuticum | ad diuum Fridericum tercium | pro laurea Appollinari. Nürnberg: Friedr. Creussner, [nach 25. April 1487]. GW 6467.
Vielleicht lag der Beschreibung der Krankheit Brants ‘De pestilentiali scorra eulogium’ ([Basel: Joh. Bergmann, um 1496]) zugrunde. Sicher war C. auch Ulsenius’ Flugschrift ‘In Epidemicam scabiem [...] vaticinium’ (Nürnberg: [Hans Mair], 1. Juni 1496) mit dem sog. ‘Pestbild’ Dürers bekannt; das ‘Vaticinium’ berührt sich in Wortlaut und Gedankenwelt eng mit C.’ Gedicht, die Abhängigkeitsverhältnisse bleiben jedoch zu diskutieren. Als unmittelbare Quelle nimmt Adel (wie o. II.A.2.), S. 22 f., einen Pesttraktat des Bartholomäus Steber (zwischen Okt. 1497 u. April 1498) an.
b) ‘Poeticum proseuticum ad gloriosissimam dei genitricem’. Der Leipziger Einblattdruck mit drei Gedichten auf die Gottesmutter und einer conclusio war allem Anschein nach der Anlaß für jenen Plagiat-Skandal, der C. zur überstürzten Abreise aus Leipzig zwang. Er hatte ganze Teile des zweiten Gedichts dem Hymnus ‘In beatam Mariam Virginem’ des Gregorius Tifernas (* ca. 1415) entnommen. Da er für das dritte Gedicht Bohuslaus Hassensteins Verse ‘Ad quatuordecem auxiliatores’ wörtlich ausschrieb (J. Marti´nek, Listy Filologicke´ 101 [1978] 84⫺98, mit krit. Ed.), entrüstete sich dieser in einem Brief an Martin Polich über C. (Hassenstein-Br., Nr. 13). Der Wolfenbütteler Cod. 58.6 Aug. fol., 70v, überliefert ein diesbezüglich polemisches Gedicht Jakob J Questenbergs (In Conradum Zeltem, Poetam arrogantem et fidentinum, hymnum Virgo decus coeli [...] sibi ascribentem invectiva; Preiss, S. 45). Das Mariengedicht ‘Oeconomia’ IV (zuerst ohne Titel am Ende der ‘Ars versificandi’) wird zwar im Titel als cento bezeichnet, doch ist damit die Verarbeitung klassischer Autoren gemeint, keine Anspielung auf die Plagiatsaffäre (K. Adel, Österr. in Gesch. u. Lit. 10 [1966] 239 f.). Überlieferung. Einblattdruck: Poeticum Proseuticum ad gloriosissimam dei genitricem | […]. [Leipzig: Drucker d. Capotius, um 1487]. GW 6468; VE 15, C-9. ⫺ Abschrift d. ersten sapph. Ode im Clm 6007, 112v. Ausgabe. Adel (wie o. II.A.2.), S. 101⫺105.
g) ‘Ad divam dei genitricem levatis aegritudinibus’. Der Einblattdruck enthält vier Epigramme an die Gottesmutter Maria, in denen C. für seine Heilung vom morbus Gallicus, die einer Wallfahrt nach Altötting folgte, dankt. C. hat den kleinen Zyklus aus vorhandenen Stücken (Epigr. 1,19; 2,1; 3,110) zusammengestellt. Einzelne Verse
C.’ Mariengedichte sind bislang nahezu unbeachtet geblieben; neben den beiden Einblattdrucken wären das Dekastichon am Ende der ‘Ars versificandi’ (⫽ ‘Oeconomia’ IV), der Hymnus am Ende der ‘Panegyris’ sowie Epigr. 3,1 zu berücksichtigen. Die Mariengedichte bilden ein religiöses Komplement in C.’ Werk. Die religiöse und die pagane Sphäre, die an denselben rhetorischen Verfahren partizipieren (vgl. den Hymnus auf Hasilina in Am. 1,8; Robert, 2003, S. 330 f.), bilden keine unaufhebbare Dichotomie, sondern eröffnen Alternativen nach literarischer Gattung, sozialem Umfeld und Redeanlaß. Zudem ermöglichen antike Form und Sprache eine bis dahin ungekannte Präzision diagnostischer Selbstbeschreibung (bes. in I); mit seiner medizinischen Ätiologie überschreitet das literarische Votivepigramm mehrfach das Gebet, indem es auf Sprache, Bildlichkeit und Methodik der Pestbeschreibung in Lukrez’ ‘De rerum natura’ zurückgreift. Einblattdruck. Poete laureati | Ad diuam dei | genitricem [...] leuatis egritudinibus […]. [Wien: Joh. Winterburg, 1498]. GW 6462; VE 15, C-6 (mit Angaben zu Druckabschriften). Ausgabe. Adel (wie o. II.A.2.), S. 24⫺28.
d) ‘Economia’. Anlaß zur Abfassung der ‘Economia’ könnte die in Epigr. 5,1 beschriebene pekuniäre Notlage des Dichters gewesen sein; diese drohte ihn zur Veräußerung seiner cara suppellex zu zwingen. Dieser ‘Hausrat’ steht im Mittelpunkt einer Reihe
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von Epigrammen über bzw. auf Örtlichkeiten und Utensilien aus C.’ Alltagsgebrauch. Der überwiegende Teil der Stücke ist bereits im dritten Buch der Epigrammsammlung enthalten (Epigr. 3,64⫺ 66, 84⫺96). Verschiedene bereits vorhandene oder anderweitig gedruckte Texte runden diesen Kern ab. Den Epigrammen auf Gegenstände des Hausrats, die in der Tradition antiker Ökonomik stehen, stellt C. mit programmatischem Bedacht Anweisungen zur Einrichtung eines Gelehrtenhaushaltes vor (I 1: quo constet honesta suppellex, | qua poterint docti vivere rite viri). Das hierunter Begriffene ist disparat: ein Epigramm auf ein Bild Gottes, ein Votivepigramm auf die Gottesmutter, die ‘Frau’ (bzw. Ehefrau) Philosophie, schließlich eine Reihe von Epigrammen auf heidnische Gottheiten, die C. um Beistand und Gaben für seinen Haushalt bittet. Ein Ausblick auf Tod und Nachruhm sowie die Musen-Ode (Od. 3,6) beschließen die Sammlung. Wieder fällt das Nebeneinander paganer und christlicher Gottheiten und Konzepte auf. Beide Welten sind in einer Art Ringkomposition spannungsvoll aufeinander bezogen: Entwerfen eingangs zwei Mariendichtungen die Hoffnung auf ein christliches Jenseits, so beschwören die abschließenden Texte ein säkulares Nachleben im eigenen Werk. Druck. Conradi Celtis | Economia. [Wien: Joh. Winterburg, um 1499/1500]. GW 6465. Ausgabe. K. Adel, K. C. Poeta laureatus, 1960, S. 70⫺89 (mit dt. Übers.); Adel (wie o. II.A.2.), S. 36⫺45.
e) Ode auf den hl. Sebald. Die sapphische Ode auf den hl. Sebald (28 Strr.), die das Leben des Heiligen resümiert und abschließend das Gedeihen Nürnbergs und Maximilians Triumph über die Türken erfleht, geht auf eine Anregung Sebald Schreyers zurück. Über die Entstehungsumstände gibt dessen Kopialbuch C Auskunft (Nürnberg, GNM, Hs. Merkel 1122). In Schreyers Kopialbuch ist ein kolorierter Pergamentabzug des Basler Drucks eingebunden, des-
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sen Holzschnitt sich Michael Wolgemut zuschreiben läßt (Luh, S. 199−209). Ein Großteil der frischen Abzüge wurde Celtis zusammen mit Skizzen der ‘Nor.’ gestohlen (Brief an Schreyer nach Ostern 1495, Kopialbuch C, Bl. 72v). Seit 1496 wird Celtis’ Ode (Od. 3,10) wiederholt als Anhang zu hagiographischen Werken mitgedruckt. Auch in den Druck der ‘Am.’ von 1502 ist sie, zusammen mit der ‘Nor.’, aufgenommen; der beigegebene Holzschnitt zeigt den Heiligen nun jedoch nicht mehr als gotische Statue auf einer Säule und mit Baldachin aus Maßwerk, sondern vergegenwärtigt ihn als lebensechte Figur.
Auf Betreiben Schreyers wurde C.’ Dichtung in die Liturgie der Nürnberger Sebalduskirche aufgenommen. Das Kopialbuch enthält die zugehörige Melodie in Mensuralnotation und berichtet von der Uraufführung einer auf acht Strophen verkürzten Fassung mit eigener Schlußstrophe 1497. Drucke. Deo optimo Maximo et diuo Sebaldo Patrono: pro fe˛li-|citate vrbis Norice: per Conradum | Celten: et Sebaldum clamosum: eius sacre sedis Curatorem: pie deuote et religiose positum. [Basel: Joh. Bergmann v. Olpe, 1494/95]. GW 6464; VE 15, C-8. Eine Variante: GW 6467; VE 15, C-7. ⫺ Conradi Celtis hymnus saphicus in vitam Sancti Sebaldi, in: ‘Quattuor libri amorum’ (wie o. B.4.a), Bl. [p8]v⫺q iir. Ausgabe. Pindter (wie II.B.4.b), nach Od. 3,10.
z) ‘Septenaria sodalitas litteraria Germanie [peri¡ th˜ w e«bdoma¬dow]’. Der von C. initiierte Neudruck von Ausonius’ ‘Ludus septem sapientum’ nach der Ausgabe von Taddeo Ugoleto (Parma 1499) ist von fiktiven Gedichten der sieben Sodalitäten umrahmt (nach dem Schema Dantiscus Vistulanus, Pomeranus Codoneus). Das Konstrukt einer deutschen siebenfältigen Sodalitas begegnet bei C. nur hier. Der Titel sollte der Oden-Ausgabe von 1513 zufolge lauten: Septenaria sodalitas literaria Germaniae peri¡ th˜ w e«bdoma¬dow; Winterburg standen jedoch keine griech. Typen zur Verfügung. Die pythagoreische Hebdomas bestimmt Struktur und Inhalt des Zyklus; die Jamben der Sodalitas behandeln Erscheinungen der Siebenzahl (7 Planeten, 7 Hügel Roms, am Ende die 7 Kurfürsten). Die Sieben als Weltzahl (V 1: Sacratus est in orbe septenarius)
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spielt auch in den ‘Amores’ eine prominente Rolle (praef. § 9: secundum quattuor aetatum circulos et hebdomadas). Die sieben Gedichte der Sodalitas stehen in signifikanter Spannung zu den Sentenzen der Sieben Weisen in Ausonius’ ‘Ludus’. Der beigefügte Brief des Hieronymus (epist. 70) rechtfertigt die Lektüre paganer Autoren, die auch für Christen unverzichtlich sei. Druck. In hoc libello Continentur | Septenaria sodalitas litteraria Germanie | Ausonij Sententie septem Sapientum se⫽|ptenis versibus explicate. | Eiusdem Ausonij ad drepanum de ludo se⫽|ptem sapientum. | Epistola sancti hieronymi ad magnum Ora⫽|torem vrbis de legendis et audiendis poetis. Wien: Joh. Winterburg, 1500. GW 6470. Ausgabe. Adel (wie o. II.A.2.), S. 78⫺80.
h) ‘Carmen saeculare’.
Das ‘Carmen saeculare’, eine sapph. Ode in 24 Strophen, verweist einerseits auf C.’ Horaznachahmung, andererseits auf Bemühungen, das Jahr 1500 als historische Zeitenwende in eigener Sache zu inszenieren. Dies liegt in C.’ Verständnis des Odentyps begründet. In der ‘Ars versificandi’ wird das carmen seculare als eigene Gattung bestimmt und definiert als Hymnus für eine Jahrhundertwende (2. Ausg., 1492, Bl. C 2r), nicht also auf ein Saeculum von 110 Jahren bezogen wie bei Horaz. Als solcher sollte es den Abschluß der eigenen Opera in poetica bilden (auf dem Titelblatt der Nürnberger C.-Hs. ist das Carmen seculare mit flüchtigerer Hand neben den ‘Epoden’ nachgetragen). Gegenüber Horaz, der im kleinen wie im großen lokkerer Bezugspunkt ist, hat C. die inhaltlichen Akzente verschoben. Aufgenommen sind Rahmen und Anlaß der Ode: Bitte an die ‘heimischen’ Götter um Beistand für die eigene Stadt und das Geschick Deutschlands (v. 95). Die paganen Gottheiten sind durch die Gestirn- und Planetengottheiten ersetzt: das Lied schreitet von der Erde ausgehend von Sphäre zu Sphäre, nach den sieben Planeten wird die Ekliptik mit dem Tierkreis erreicht, dann die darüber befindliche Fixsternsphäre mit dem unbekannten Gott, der in C.’ deistischer Sicht mit dem christlichen Gott oder dem aristotelischen ‘ersten Beweger’ iden-
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tifiziert werden konnte. Das ‘Carmen saeculare’ wird zum astrologischen Lehr- und Bittgedicht, das wie in ‘Nor.’ und ‘Germ. gen.’ die “deutschen Gestirne” als Garanten von Kultur und Gedeihen der Patria beschwört. Die klassische Mythologie ist, wie in den ‘Am.’, astrologisch umgedeutet. Im übrigen ist das Bild des Kosmos noch mittelalterlich: Dieser umfaßt drei Schichten von der sublunaren Phänomenwelt über die Gestirne als Grenzmarken bis zum intelligiblen, supralunaren Bereich. Die Umdeutung von Horaz’ Säkularode wird zusammengehalten durch eine Zahlensymbolik, deren Bewandtnis C. im Titel erläutert: cuius versus numerum horarum diurnae revolutionis caeli continet et omnes sphaeras caelestes. Das Okkulte dieser Zahlensymbolik sollte indes nicht überbewertet werden: Wie in der ‘Septenaria Sodalitas’ oder den ‘Am.’ wird es überdeutlich expliziert und bleibt dem Gehalt selbst als Sinngeste äußerlich. C.’ synkretistischastrologisches Glaubensbekenntnis stieß auf zahlreiche kritisch-ablehnende Einwände, die sich im Briefwechsel um das Jahr 1500 konzentrieren (z. B. Nr. 230 u. 238). Druck. Propositiones domini | cardinalis Nicolai | Cuse de li non | aliud | conradi celtis | carmen se|culare. [Wien: Joh. Winterburg, um 1500/01] (s. o. A.5.). ⫺ Auch in ‘Odarum libri quattuor’ (wie o. B.4.b), Bl. O vr⫺[O6]v. Ausgaben. Pindter (wie II.B.4.b), S. 116⫺ 118; Adel (wie o. II.A.2.), S. 85⫺91.
u) Gedichte auf die Schutzpatrone Österreichs. Fünf Epigramme auf vier Schutzheilige Österreichs (Martin, Leopold, Florian, Koloman) bzw. die ihnen geweihten Kirchen in Klosterneuburg, St. Florian und Melk sowie ein Epitaph für D Neidhart überliefert ein Wiener Einblattdruck. Überlieferung. Einblattdruck: Chunradi Celtis P. P. Ad diuum Martinum. Leopoldum. Florianum Et | Colomannum Australium Patronos Dedicata Carmina Cum aepitaphio Neythart. | […]. Wien: Joh. Winterburg, 1504. VE 15, C-6 (Ex.: Augsburg, SuStB, Einbl. nach 1500, Nr. 50; auf der Rückseite eine Adresse an den ksl. Sekretär Blasius Hoelzel von C.’ Hand). Die Stücke auf den hl. Martin und den hl. Leopold sind in abweichender Textgestalt auch in der Nürnberger C.-Hs. enthal-
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ten (Epigr. 3,24 u. 5,19); zwei Hss. mit dem Neidhart-Epitaph nennt Rupprich, Celtis-Br., S. 581 f. Anm. 3. Ausgabe. D. Wuttke, Ein unbekannter Einblattdruck mit C.-Epigrammen zu Ehren d. Schutzhll. v. Österr., Arcadia 3 (1968) 195⫺201, hier S. 197⫺199 (mit Faksimile).
i) ‘Melopoiae’. C.’ maßgeblicher Anteil an dem von ihm initiierten Druck der Vertonungen seines Schülers Petrus J Tritonius berechtigt dazu, diesen frühesten deutschen Mensuralnotendruck mit beweglichen Typen (vgl. das Schlußepigramm) auch seinem Werk zuzurechnen. Der Druck versammelt, basierend auf Perottis Horazmetrik, 22 vierstimmige Sätze mit obligater Instrumentalbegleitung, die Tritonius und ungenannte andere Sodalen für 22 verschiedene Versarten und Strophenformen komponierte, je einen für die 19 horazischen Oden- und Epodenformen, je eines für Phalaeceus, Hexameter und Distichon. Mit den ‘Melopoiae’ verbindet C. ausweislich seines beigegebenen Epigramms ‘Ad musiphilos’ (Epigr. 5,87) ein doppeltes Ziel. Einerseits sollen Gesang und Rhythmus das Erlernen der korrekten Quantitäten erlauben, andererseits soll durch die Vertonungen die Einheit von Wort und Musik und damit die antike, d. h. horazische, Lyrik erneuert werden (vgl. ‘Ars versificandi’, 2. Ausg., Bl. C ijr: Poema Liricum [...] a lira nomen trahit quia in conuiuiis ad citharam et liram referuntur). In einer Übersichtstabelle (Bl. [1]v) sind die verschiedenen Vers- und Strophenformen genannt und durch je ein Beispiel des Horaz und des C. belegt. So ist der Druck ganz auf C.’ Projekt der HorazImitatio und -Aemulatio orientiert. Den im Titel genannten kirchlichen Hymnen ist Rechnung getragen allein durch die dem Kompositionsteil angehängte Aufzählung und metrische Bezeichnung von 48 mit Incipit genannten liturgischen Hymnen (Bl. [9]v). Die Versbeigaben des J Chelidonius (Titelbl.v) und Ulsenius (Bl. [10]v) feiern C. als zweiten Orpheus und translator carminis, der Komponist Tritonius steht am Rande. C. war im April 1507 in Augsburg anwesend und überwachte den Druck, der als Vorspiel der geplanten Oden-Ausgabe
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dienen sollte, persönlich. Aus dem Fundus der bereits angefertigten C.-Holzstöcke sind dem Druck zwei anlaßgemäße ApolloDarstellungen beigegeben (‘Apoll auf dem Parnaß’; ‘Götterkonzert’ bzw. ‘Heidnische Trinität’). Der von C. und Tritonius angeregte Stil der Odenvertonung wurde zum humanistischen Prototyp, stieß jedoch aufgrund der starren Schematik auch auf Kritik (Sch‰fer, 1976, S. 13). Drucke. Melopoiae sive harmoniae tetracenticae | super xxii genera carminum Heroicorum Elegiacorum Lyri|corum et ecclesiasticorum hymnorum per Petrum | Tritonium et alios doctos sodalitatis Lit|terariae nostrae musicos secundum natu| ras et tempora syllabarum et pe|dnm [!] compositae et regu|latae Chunradi | Celtis foeliciter | impresse. [...]. Augsburg: Erh. Oeglin, 1507. VD 16, M 4465. Wenig später erschien eine zweite Ausg. in kleinerem Format, ohne Holzschnitte und Gedichtbeigaben, aber mit verbessertem Notentext: Harmonie Petri Tritonii | super odis Horatii Flacci. Augsburg: Erh. Oeglin, 1507. VD 16, H 4954. Ausgabe. G. Vecchi, Petri Tritonii Melopoiae sive harmoniae tetracenticae 1507, Bologna 1967 [1970].
C . B ri ef we ch se l. Der überwiegende Teil von C.’ Briefwechsel ist erhalten in dem von ihm selbst angelegten Briefcodex der ÖNB Wien (Cod. 3448; vor 1500 bis vor 1508). Er enthält v. a. Briefe der Sodalen an C. (266 Stücke von 125 Autoren), daher der Titel: Libri epistolarum et Carminum | Sodalitatis litterarie Ad Conradum Celtem (die Bezeichnung ‘Codex epistolaris’ wird von C. nicht gebraucht). Der Briefcodex ist von Anfang an auf Selbstdarstellung angelegt. Er zeigt C. als Haupt und Mittelpunkt der von ihm initiierten Sodalitäten. Eng verbunden ist er mit der Nürnberger Dichterkrönung. Das Vorsatzblatt trägt verso neben dem Titel auch das von Friedrich III. unterzeichnete Diplom. Die Briefe sind nach Jahren der Dichterkrönung (anni laureae) sortiert. Die Stücke einer Jahresgruppe werden chronologisch nicht differenziert, auch die Zuweisung an die anni laureae ist durch Umdatierung und Neugruppierung vielfach verschleiert. Wenn unter dem primus annus laureae die Briefe
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d. J. 1491 erscheinen (auch aus der Vita [Celtis-Br., S. 610, Z. 29 f.] ergibt sich dieses Krönungsdatum), so spiegelt sich darin C.’ Bemühen, sein Leben nach symbolischen Bezügen als exemplarisch und repräsentativ darzustellen: Das Jahr der Dichterkrönung (bzw. der sekundengenaue Moment wie im ‘Proseuticum’) wird zur eigentlichen Geburtsstunde. Das Titelblatt der Nürnberger C.-Hs. bestätigt dies: Unterhalb der Opera in poetica werden hier die Epistolarum amicorum libri decem [...] ab annis lauree genannt; Titel und Datierung weisen eindeutig auf den Wiener Briefcodex. Unverkennbar ist der Bezug zur Säkularedition der Opera: auch der Briefwechsel betont die Jahrhundertwende, im Briefcodex wechselt bei den Briefen dieses Jahres die verwendete Schriftart (zunächst Kursive, ab 127r die repräsentative Antiqua; der Schreiber ist jedoch derselbe; Rupprich, Ausg., S. VI). Der Umfang von zehn Büchern verweist andererseits auf die Sammlung des jüngeren Plinius. Zugunsten zahlensymbolischer und literarischer Bedeutsamkeit werden elementare Daten der eigenen Vita umgedeutet. Nicht das (biographische) Sein, sondern die Außenwirkung ist maßgebend (daher das Motto auf dem Vorsatzblatt: utinam talis essem qualem illi me predicant). Aus der Nürnberger Hs. läßt sich erschließen, daß das Briefkorpus wie die ebenfalls genannten Carmina sodalium et amicorum zum Druck befördert werden sollte. Ausgabe. H. Rupprich, Der Briefwechsel d. K. C., 1934 (zit.: Celtis-Br.). Neben dem Wiener Codex bietet Rupprich weitere ungefähr 100 anderweitig erhaltene Briefe, aber auch Dokumente aus gedruckten Werken. Rupprich strebt eine chronologisch geordnete Dokumentation des Materials an; die sich daraus ergebende Reihenfolge ist jedoch im einzelnen nicht unproblematisch, im Ganzen verdeckt sie den kompositorischen Gestaltungswillen hinter C.’ Sammlung. S. X⫺XII: Dokumentation weiterer Überlieferungsträger zum Briefwechsel.
D . Wür di gu ng . Innerhalb des deutschen Hochhumanismus nimmt C. in nahezu jeder Hinsicht eine zentrale Position ein. Ohne das Groß-
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sprecherisch-Vorläufige seiner Tätigkeit zu übersehen, wirken doch nahezu alle Entwürfe in Dimensionen einer ‘longue dure´e’ fort. Die intensivste Nachwirkung war dem Projekt der ‘Germania illustrata’ beschieden. Mit den vollendeten Vorstudien, bes. der ‘Germania generalis’, der ‘Norimberga’, auch den ‘Amores’, darf C. als Initiator eines bis ins 18. Jh. fortwirkenden Diskurses um die deutsche Nation gelten. Schwerer zu greifen sind Wirkung und Nachwirkung der Opera in poetica. Zweifellos berechtigt war die Skepsis der Sodalen gegen C.’ Latinität und Versifikation. Hier erreichte schon die Schülergeneration ein Niveau, das C.’ Werk in den Schatten stellte. Sein Renommee als erster deutscher Poeta laureatus bleibt davon unberührt; auch die Fanalwirkung der ‘Amores’ ist im 16. Jh. spürbar, bedeutende Neulateiner der zweiten und dritten Generation wie Eobanus J Hessus, Petrus Lotichius Secundus oder Paul Melissus Schede schließen jenseits von Glaubenskampf und Konfessionalisierung offen oder verdeckt an C.’ Elegien an. Erst der Traditionsbruch des 18. Jahrhunderts führt zu jener “gestörten Rezeption” (G. Hess, 1979) der deutschen Neulateiner, die deren Bedeutung für die kulturelle wie nationale Selbstvergewisserung geflissentlich verkennt. Nicht weniger vorausweisend war C.’ Bestreben, im Zeichen der Studia humanitatis sodalitäre Verbände zu stiften. Diese sind jedoch nicht mit festen institutionellen Verbänden zu verwechseln. Der aus Italien importierte Akademie- und Sodalitätsgedanke war der vielleicht folgenreichste Aspekt von C.’ Wirken, der namentlich in den Jahrhunderten der Konfessionalisierung und der Glaubenskriege seine einheitsstiftende, irenisch-zivilisierende Bedeutung entfaltete. Literatur. Das Verzeichnis will über die wichtigste neuere Forschung informieren, strebt daher keine Vollständigkeit an. Für die ältere, vor 1975 erschienene Lit. s. Kemper, 1975. L. Forster, Selections from C. C. 1459⫺1508. Ed. with Translation and Commentary, Cambridge 1948; K. L. Preiss, K. C. u. d. ital. Humanismus, Diss. Wien 1951; D. Wuttke, Textkrit. Supplement zu Hartfelders Edition d. C.-Epigramme, in:
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Chelidonius, Benedictus
C. u. d. Projekt d. dt. Dichtung. Stud. z. humanist. Konstitution v. Poetik, Philosophie, Nation u. Ich (Frühe Neuzeit 76), 2003; F. Fuchs (Hg.), K. C. u. Nürnberg (Pirckheimer-Jb. 19), 2004; C. Dietl, Die Dramen J. Lochers u. d. frühe Humanistenbühne im süddt. Raum, 2005, S. 35⫺39, 188⫺202 u. ö. (Reg.); C. Hirschi, Wettkampf d. Nationen. Konstruktionen einer dt. Ehrgemeinschaft an d. Wende v. MA z. Neuzeit, 2005, S. 431⫺440 u. ö. (Reg.).
Jˆrg Robert
Chelidonius (Schwalbe; Hirundo, Musophilus), Benedictus I . L eb en . Ch. stammte aus Nürnberg. Zeugnisse, die sein Geburtsdatum belegen, über seinen Bildungsweg und den Zeitpunkt seines Eintritts in das Nürnberger Egidien-Kloster – vermutlich in den 1480er Jahren – sind bisher nicht bekannt. Die deutlichste Spur seiner Lebensstationen zeichnet seine literarische Tätigkeit. Sein Familienname Schwalbe erscheint im Widmungsbrief der Benedikt-Vita (s. u. II.B.1.) latinisiert als Hirundo, sonst zeichnet er ausschließlich mit der gräzisierten Namensform Chelidonius, meist als Frater Benedictus Chelidonius, manchmal um den Beinamen Musophilus erweitert. Die letzten Werke publiziert er in seiner neuen Würde als D. Benedictus Chelidonius Abbas ad Scotos Viennae. Kontakte zum Nürnberger Kreis um Konrad J Celtis sind durch die sapphischen Strophen auf seinen Lehrer Celtis in J Tritonius’ ‘Melopoiae’ (1506/7, VD 16, M 4465) und die Elegie auf Celtis’ Tod (s. u. II.B.3.) manifest. Mit Willibald J Pirckheimer beginnt die literarische Zusammenarbeit spät. In seinem Begleitschreiben zu J Cochlaeus’ ‘Brevis Germaniae descriptio’ vom Febr. 1512 betont Ch., daß er Pirckheimer und seine Familie zwar verehre, aber keinen engeren Umgang mit ihr habe. Gegen dieses Zeugnis hat Reicke zu argumentieren versucht und die beiden Briefe an Pirckheimer aus Ch.’ Nürnberger Jahren (PirckheimerBr., Bd. 1, Nr. 46, S. 144–150 und Nr. 47, S. 151 f.) um ein Jahrzehnt zu früh in den
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Briefwechsel eingeordnet. Im zweiten Brief wird jedoch Ch.’ Mitarbeit an Pirckheimers Plutarch-Übersetzung ‘De his qui tarde a numine corripiuntur’ [mor. 548a– 568a] (Nürnberg 1513) greifbar: Die im Brief zitierten lat. Hexameter sind der Übersetzungsvorschlag für die versifizierte lat. Wiedergabe von Plut. mor. 552b (Holzberg, S. 206). Damit ist auch die im vorausgehenden Brief erwähnte Übersetzung eindeutig auf diese Zusammenarbeit von 1512/13 zu beziehen. Das Widmungsepigramm an Pirckheimer und dessen Begleitepigramm in der Straßburger Publikation der ‘Passio Jesu Christi’ (wohl nicht vor 1508, s. u. II.A.1.a) und Albrecht Dürers ‘Kleiner Passion’ (1511, s. u. II.A.1.b) ist demnach die früheste Spur einer persönlichen Beziehung. Die Zusammenarbeit mit Dürer führte im Jahr 1511 zu drei bedeutenden Buchpublikationen (s. u. II. A.1.– 3.). Begleitverse und gegenseitige Widmungen zeigen Ch. 1511/1512 in literarischem Austausch mit Joh. Cochlaeus (vgl. VD 16, C 4401; C 4271; L 959) und Peter Stahel (s. Machilek, 1977, S. 34). Aus dem Jahr 1512 stammt sein Brief an Georg J Spalatin (vgl. Pirckheimer-Br., Bd. 2, S. 29 Anm. 9). Die Kontakte nach Wien könnten über Joachim J Vadian verstärkt worden sein (vgl. die Begleitverse des Ch. in dessen Nürnberger Ausgabe des ‘Hortulus’ D Walahfrids von 1512. VD 16, W 770). Ch.’ letzte literarische Beiträge in Nürnberg sind im Jahr 1513 faßbar; für das Jahr 1514, als Ch. in das Wiener Schottenkloster wechselte, ist bereits ein Begleitbeitrag in einer Wiener Publikation nachweisbar (VD 16, P 3526). Seine literarische Tätigkeit steht von da an in enger Beziehung zum Wiener Hof (s. u. II.A.5.). Widmungen und Vorreden weisen auf Verbindungen mit hochrangigen Hofbeamten (Ankwicz-Kleehoven, S. 129); seine Werke stellt Ch. ausdrücklich in den Dienst der kaiserlichen Memoria (s. u. II.B.6. und II.C.1.). Kontakte nach Nürnberg bleiben bestehen (s. Brief an Pirckheimer vom 3. Nov. 1519, Pirckheimer-Br., Bd. 4, Nr. 628).
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Chelidonius, Benedictus
Zur Übernahme der Prälatur der Benediktiner-Abtei U. L. F. zu den Schotten in Wien wurde Ch. durch Kompromiß berufen und im Amt bestätigt, nachdem Abt Johann VIII. gegen Mitte 1518 der Prälatur entsagt hatte. Ch. starb am 8. Sept. 1521 (Glax, S. 268; Hauswirth, S. 51– 53). I I. We rk . A. Zeitgenössisch gedruckte Dichtungen. 1. ‘Passio Jesu Christi salvatoris mundi’. Das künstlerisch ambitionierteste Werk des Ch. stellt in 36 Einzelgedichten (zusätzlich zum Titel-Epigramm) in verschiedensten antiken Metren die Passion Christi in den heilsgeschichtlichen Zusammenhang von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht. Die neu erschlossene römische Dichtung ist hier programmatisch auf christliche Inhalte angewandt. Der suggestive Sprachduktus mit eindringlichen Apostrophen an die literarischen Figuren und den Leser macht die Dichtung zur Andachtsliteratur in bestem Sinn, wie es Ch.’ Intention angesichts der aufwendigen Publikation mit Holzschnitten zu den einzelnen Stationen der Heils- und Leidensgeschichte offensichtlich war. Daß Ch. seine Dichtung als Auftragsarbeit für Dürer verfaßt habe, ist eine verbreitete, aber durch die Druckgeschichte des Textes in Frage gestellte Auffassung (vgl. bereits Schneider, S. 282 f.). Die übliche Datierung des Erstdrucks auf 1506 wurde von kunsthistorischer Seite bereits auf “nach 1506” korrigiert (Oldenbourg, S. 301). Eine Datierung auf 1508 oder später scheint angebracht: Wechtlins Passions-Holzschnitte sind zum großen Teil erkennbar für Joh. Schotts ‘Das leben Jesu Christi gezogen auß den vier Euangelisten’ (Straßburg: J. Knobloch, Aug. 1508, VD 16, B 4651) angefertigt; die 27 Holzschnitte, die auch in Ch.’ ‘Passio’ eingesetzt sind, weisen im Vergleich zum Druck des ‘Leben Jesu’ geringfügige, aber erkennbare Abnutzungserscheinungen auf (verglichen anhand der Exemplare der SB München). Ch. könnte
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noch im Jahr 1508 eine beschleunigte Publikation der ‘Passio’ als Nachweis seiner Dichtkunst beabsichtigt haben, weil er sich Maximilian als Hofdichter empfehlen wollte; die Elegie auf Celtis’ Tod (Febr. 1508, s. u. II.B.3.) spricht diesen Ehrgeiz unverschleiert aus. Unzufriedenheit mit dem Ergebnis dieses Erstdrucks – u. a. sind Verse ausgefallen – könnte die 2. Publikation der ‘Passio’ mit bzw. durch Dürer veranlaßt haben. Drucke. a) Passio Jesu Christi saluato|ris mundi/ vario Carminum genere | F. Benedicti Chelidonij | Musophili doctis⫽|sime descri⫽|pta. | Cum figuris artificiosissimis | Ioannis Vuechtelin. [Straßburg: Joh. Knobloch, nach 1506]. VD 16, S 4586. – b) Passio Christi ab Alberto Dürer Nu|renbergensi effigiata cum varij generis carmi|nibus Fratris Benedicti Chelidonij | Musophili. Nürnberg: [Hier. Höltzel] im Eigenverlag Albr. Dürers, 1511. VD 16, S 4588. – c) Passio Jesu Christi ama-|rulenta, certis & primarijs effigiata locis, uario | carmine Benedicti Chelidonij, & tandem Chri-|stiani Ischyrij illustrata. Köln: Peter Quentell, 1526. VD 16, S 4589. Ausgabe des Textes. M. Kisser, Die Gedichte d. B. Ch. zu Dürers Kleiner Holzschnittpassion. Ein Beitr. z. Gesch. d. spätmal. Passionslit., Diss. Wien, 1964. Wiederabdruck ihrer Übers.en bei H. Appuhn, 1985, S. 85–137.
2. ‘Epitome in Divae Parthenices Mariae historiam’ (‘Marienleben’). Auch die 18 Elegien zu jeweils genau 12 Distichen des ‘Marienlebens’ wurden bisher fälschlich als Begleitgedichte zu Dürers Holzschnittfolge aufgefaßt. Die Quellenforschung ging davon aus, daß die mal. deutschsprachigen Marienleben, bes. das des Bruder D Philipp OCart, als Modell dienten (Winkler, Ausgabe; Posset). Der Titel weist jedoch darauf hin, daß Ch. eine Kurzfassung (Epitome) der ‘Parthenice prima’ (bzw. ‘Mariana’) des Baptista Mantuanus angefertigt hatte, eines zeitgenössischen lat. Marienepos in drei Büchern; teilweise wörtliche Übernahmen und raffende Zusammenfassungen, aber auch freie Ausgestaltungen von Szenen, die in der Vorlage nicht ausführlich behandelt waren (etwa Epiphanias und die Beschneidung) lassen eine souveräne Bearbeitung des Stoffs erkennen (Wiener, 2003). Die Widmung des Werks an Caritas D Pirckheimer
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Chelidonius, Benedictus
ist nicht nur als Hommage an die gelehrte Äbtissin und Schwester des gemeinsamen Freundes zu verstehen, sondern verrät die didaktische Intention dieser Kurzfassung eines unter sprachlichen und religiös-dogmatischen Aspekten vielbeachteten neulat. Werks. Die Zusammenarbeit von Dichter und Maler kann anhand des Vergleichs mit der literarischen Vorlage neu bewertet werden (Scherbaum, 2002). Beide scheinen in der Endredaktion Zugeständnisse an die Szenenfolge gemacht zu haben. Druck. Epitome in divae parthenices Mari|ae historiam ab Alberto Durero | Norico per figuras diges|tam cum versibus anne|xis Chelidonii. Nürnberg: [Hier. Höltzel] im Eigenverlag Albr. Dürers, 1511. VD 16, S 4585. Ausgabe des Textes. B. Winkler, Die Sonette d. B. Ch. zu Albr. Dürers Marienleben u. ihr Verhältnis z. Marienleben d. Kartäusers Philipp, Diss. masch. Wien 1960. Wiederabdruck seiner Übers.en bei Appuhn, 1979, S. 119–141. Neuausg. v. Scherbaum/Wiener in Vorbereitung.
3. ‘Passio domini nostri Jesu’. Die Passion Christi, gedruckt zusammen mit Dürers ‘Großer Passion’, wird hier als fortlaufende epische Erzählung in Hexametern präsentiert. Dafür wendete Ch. eine neuartige Cento-Technik an: Längere Textpassagen aus vier verschiedenen epischen Passionen sind kombiniert, und zwar aus dem ‘Paschale Carmen’ des D Sedulius [NB], aus der ‘Jesuida’ des Hieronymus de Vallibus († 1443), aus dem ‘Tractatus de passione Domini’ des Dominicus Mancinus (letztes Viertel des 15. Jh.s) und aus mehreren Dichtungen des Baptista Mantuanus, bes. aus Szenen der ‘Parthenice prima’. Eine genaue Untersuchung zur Quellenbenutzung und Art der redaktionellen Bearbeitung fehlt; Ch. dichtete als Redaktor jedenfalls nicht nur Scharnierverse beim Wechsel der Vorlage, sondern faßte auch ganze Passagen aus den benutzten Autoren raffend zusammen. Druck. Passio domini nostri Jesu. ex hierony⫽|mo Paduano. Dominico Mancino. Sedulio. et Bapti⫽|sta Mantuano. per fratrem Chelidonium colle⫽|cta. cum figuris Alberti Dureri | No-
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rici Pictoris. Nürnberg: [H. Höltzel] im Eigenverlag Albr. Dürers, 1511. VD 16, S 4587. Übersetzung bei Appuhn, 1979, S. 141–158.
4. Elegie auf den Tod des Anton Kreß. Zusammen mit Cochlaeus’ ‘Epicedion’ und einem Epigramm auf Anton Koberger ist auch Ioanni Coclaeo, In mortem Antonii Cressi I. V. Doctoris, F. B. Chelidonii Elegia auf den Propst von St. Lorenz, der unerwartet am 8. Sept. 1513 verstorben war, im Druck erschienen. Druck. Epicedion Ioannis Coclaei, In obitum | Antonii Cressi, I. V. Doctoris, Praepositi Ec⫽|clesiae Sancti Laurentii, Norinbergae/ nuper | defuncti, sexto Idus Septembris, Anno domi⫽|ni M. D. 13. Aetatis vero anno xxxvi. [...]. Nürnberg: Friedr. Peypus, 1513. VD 16, C 4276. Reicke, Pirckheimer-Br., Bd. 1, S. 146, Anm. 1, verweist auf eine zeitgenössische Abschrift in Nürnberg, StB, Will VIII 33b 4°.
5. ‘Voluptatis cum Virtute disceptatio’. Das in der letzten Februarwoche 1515 aufgeführte Schulspiel (s. Dietrich, S. 44 Anm. 1) kombiniert die Situation des Herakles am Scheideweg mit dem Parisurteil und überträgt sie auf den Kronprinzen Karl. In der Hauptrolle des Schiedsrichters Karl debütierte Graf Nikolaus zu Salm, an den sich Ch.’ Widmungsvorrede richtet. In der Vorbereitungsphase des Wiener Fürstentages von 1515 (s. u. II.B.6.) sind hochrangige Gäste in Gestalt von Prinzessin Maria als der zukünftigen Königin von Ungarn und von Kardinal Matthäus Lang als dem wichtigsten diplomatischen Vermittler bei der Aufführung anwesend. Nur das Argumentum ist in jambischen Trimetern vorausgeschickt. Das dreiaktige Stück selbst ist in Hexametern abgefaßt, jedem Akt geht eine zusammenfassende Vorrede durch den Herold in dt. Reimpaarversen voraus. Chorlieder in sapphischen Strophen, die als vierstimmiger Gesang in Celtis’ Tradition vertont sind, trennen die Akte voneinander. Im 1. Akt werden Venus und ihre Verbündeten in der Rolle der (erfolglosen) Seelenfänger eingeführt; im Streitgespräch zwischen Venus und Pallas Athene wird Karl zum Schiedsrichter bestimmt. Der 2. Akt wird durch Epikur als dem Zeugen der Venus eröffnet; durch Satans stimulierende Gaben ange-
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Chelidonius, Benedictus
feuert, legt Epikur seine Maxime dar, daß das jetzige Leben ohne Angst vor einer Rechenschaft im Jenseits zu genießen sei. Anschließend tritt Hercules als Zeuge der Pallas auf; seine Siege über Antaeus, Geryon, Hyppolite und den dreiköpfigen Cacus werden von ihm selbst in Allegorese als Siege über die durch die jeweiligen Ungeheuer symbolisierten Leidenschaften ausgedeutet. Im 3. Akt spricht Karl das Urteil im Sinne von Pallas und Hercules; als er Pallas mit dem Siegeskranz krönen will, wird er selbst von ihr damit ausgezeichnet. Venus und ihre Anhänger werden von Satan und Cacus gepackt, Epikur wird auf offener Bühne verprügelt. Die derbe Komik dieser Schlußszene wird formal dadurch gedämpft, daß die sarkastischen Kommentare des Cacus jeweils durch die einzelnen Strophen des Schlußchors unterbrochen werden. Die Aufführungsweise des Spiels hat Wurzeln in der Nürnberger FastnachtspielTradition. Es ist im übrigen in die zeitgenössischen Bühnenbearbeitungen der Prodikos-Fabel von Herakles am Scheideweg (J Grünpeck, J Pinicianus u. a., vgl. Wuttke) einzuordnen. Für Hans Sachs’ Fassung der Prodikos-Fabel (Werke, hg. v. A. v. Keller, Bd. 3, S. 3⫺27) war es Vorbild. Druck. Voluptatis cum Virtute disceptatio: | Carolo Burgundiae duce Illustrissimo, Diuique Caes. Maxaemi–|liani Nepote, litis diremptore aequissimo. Viennae Pan–|noniae coram Maria Hungarorum Regina designata, | Dominoque Mattheo S. angeli diac. Cardinali | Reuerendissimo recitata. A Benedicto | Chelidonio Heroicis lusa uersibus. Wien: Joh. Singrenius, 1515. VD 16, S 4590.
6. Preisgedicht auf Kaiser Maximilian. Neben Empfehlungsgedichten wurde in J Cuspinians Ausgabe der Chronik D Ottos von Freising auch Ch.’ Preisgedicht auf Maximilian am Ende des 7. Buchs, im Anschluß an den Katalog der Päpste und Kaiser bis in die Gegenwart, zum Druck gebracht. Druck. Ottonis Phrisingen|sis Episcopi, viri clarissimi, Rerum ab ori|gine mundi ad ipsius vsque tempora | gestarum, Libri Octo. | […]. Straßburg: Matth. Schürer, 1515, Bl. LXXXIXv⫺ XCr. VD 16, O 1434.
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B . D ic ht un ge n i n h an ds ch ri ft li c he r Ü be rl ie fe ru ng . 1. Das Leben des hl. Benedikt. Das in der Abschrift Hartmann J Schedels überlieferte ‘Elegiacum in vitam S. Benedicti’ faßt in 65 Einzeldistichen mit erläuternden Überschriften die wichtigsten Lebensstationen und Wunder des hl. Benedikt nach D Gregors d. Gr. ‘Dialogi’ (dial. 2) zusammen. In der Abschrift gehen ein empfehlendes Titeldistichon und ein Widmungsschreiben an den artium baccalarius Joh. Schonpach (Bl. 246v–247r) voraus. Ein Schlußgedicht (5 sapph. Strr.) mit dem Titel Saphicum ad emulum verteidigt die Dichtung gegen Konkurrenten; der Einsatz dieses Topos könnte von einer tatsächlichen Konkurrenzsituation ausgelöst sein, denn Schedels Abschrift überliefert auch Jakob J Lochers dem Abt Joh. Radenecker gewidmete ‘Carmina in Vitam Sancti Benedicti’, deren Hauptteil 39 Disticha de miraculis et vita Sancti Benedicti secundum tabulae pictas imagines et figuras ausmachen (Bl. 241–245; Machilek, S. 25 mit Anm. 76). Die Gedichtfolgen beider Dichter führen – mit neuem ästhetischen Anspruch – die mal. Tradition fort, die Benedikt-Vita als Abfolge von Epigrammen bzw. von Tituli zu einer Bilderreihe darzustellen (vgl. die sog. Bis-bini-Verse). Daß die Gedichte auf den hl. Benedikt aus Ch.’ frühester Schaffensphase stammen, legen die später unübliche Namenswahl Hirundo und der wenig prominente Widmungsadressat ebenso nahe wie die alleinige Überlieferung in der Abschrift Schedels. Überlieferung. München, SB, 4° Inc.c.a. 1813, Bl. 248r–252r.
2. Verse über die Gründung des Nürnberger Egidien-Klosters und seine Äbte seit 1418. Der in Verse gefaßte kleine Äbtekatalog war für den verlorenen Glasfensterzyklus mit Darstellungen der Äbte des Klosters im Kreuzgang des Egidienklosters bestimmt war (Machilek, S. 36), den Hans von Kulmbach im Auftrag des Abtes Wolfgang Summer (1504–1520) geschaffen hatte, Ch.’ Katalog kam zusammen mit
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Chelidonius, Benedictus
seinen Versen über die Gründung des Egidien-Klosters (1140) erstmals 1551 durch Kaspar Bruschius zum Druck. Druck. Kaspar Bruschius, Monasteriorum Germaniae Praecipuorum ac maxime illustrium: Centuria Prima [...]. Ingolstadt 1551, 47v–48r. VD 16, B 8785. Drei nach dem Druck liegende Hss.: Nürnberg, GNM, Hs. 16589, Bl. 106v–107v, 2. Hälfte d. 16. Jh.s, in einer Nürnberger Chronik d. J. 1292–1447 (Kataloge des GNM, Bd. 3, bearb. v. L. Kurras, 1983, S. 37 f.); Nürnberg, Stadtarch., Rst. Nürnberg, Hss., Nr. 316, Bl. 185 f. und Nr. 190, S. 349 (nach Machilek, S. 36, Anm. 148 sind beides Abschriften des 17. Jh.s nach Bruschius).
3. Elegie auf den Tod des Konrad Celtis. Der elegische Nachruf auf Celtis († 1508) ist in der Abschrift Hartmann Schedels erhalten: Elegia F. Benedicti Chelidonii Norici de fato Conradi Celtis protrucii[!] poete Laureati. Er greift literarische Motive v. a. aus Celtis’ ‘Amores’ auf, etwa das Fortleben des Dichters als Diener Apolls im Elysium und die Aufgabe der Dichtung im Dienst der deutschen Kultur und der Memoria Maximilians als Vermächtnis an seine Schüler; in diesem Sinn empfiehlt sich Ch. dem Kaiser als Hofdichter. Überlieferung. München, SB, Rar. 1585, 279r⫺280r (olim: 4° H.eccl. 760). Ausgabe. Bezold, S. 94–96.
4. Elegie über das Gerücht vom Tod des Abtes Georg Truchseß. In elegischen Distichen entfaltet sich ein Dialog zwischen Fama und dem Dichter. Dieser erhebt zunächst eine Totenklage über den vermeintlichen Tod des Abtes des Benediktinerklosters Auhausen, Georg Truchseß von Wetzhausen (Machilek, S. 35), während des Reichstags von Konstanz (1507). Fama selbst unterrichtet ihn jedoch, daß die Parze Lachesis Gnade walten ließ. Auch dieses Gedicht ist nur in einer Abschrift Hartmann Schedels erhalten (s. II.B.3.; Bezold, S. 94). Überlieferung. München, SB, Rar. 1585, 282r–v.
5. Briefgedicht auf Willibald Pirckheimer. Der zum Jahreswechsel 1511/12 oder 1512/13 geschriebene Brief (Holzberg,
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S. 206) preist in 18 Distichen Pirckheimer wegen seiner umfassenden Sprach- und Literaturkenntnisse, die seine Kinder ebenfalls bereits auszeichnen. Nach einigen weiteren Mitteilungen in Prosa schließt der Brief mit einem epigrammatischen Neujahrsgruß. Ausgabe. Pirckheimer-Br., Bd. 1, Nr. 46, S. 144 f.
6. ‘De conventu Divi Caesaris Maximiliani Regumque Hungariae, Boemiae et Poloniae’. Die epische Gestaltung des Fürstentages von Wien (1515) ist nur hsl., offensichtlich als Autograph mit zahlreichen eigenhändigen Korrekturen und Autorvarianten (u. a. Doppelfassung des Proömiums) in Stift Heiligenkreuz überliefert (Stiftsarchiv, Rubr. 80, fasc. I, S. 1–59): De conventu Diui Caesaris Maximiliani, Regumque Hungariae Boemiae et Poloniae, ceterorumque sacri ordinum Imperii, Principumque, Viennae in Pannonia habito, Ad Iacobum de Bannissis. Caes. Maiestatis Secretarium, Consiliariumque conscriptum etc. F. Benedicti Chelidonii Libri duo. Komplementär zu Cuspinians offizieller Version im Stil eines Diarium bietet Ch. eine repräsentative epische Fassung in zwei Büchern, mit der ein für Maximilians Außen- und Bündnispolitik wichtiger Erfolg, die Doppelhochzeit des ungarischen Thronfolgers Ludwig mit Erzhzg.in Maria und Maximilians (in Vertretung für seinen Enkel Ferdinand) mit der ungarischen Prinzessin Anna im Sommer 1515, eine für die Memoria gültige literarische Gestalt erhalten sollte; auch die Widmung an den ksl. Rat Jacobus de Bannissis verrät den hohen repräsentativen Rang, der dieser Dichtung zugedacht war. In der Abfolge der Ereignisse hält sich Ch. an seine Prosavorlage. Heiratsbündnisse als tragender Bestandteil von Maximilians Außenpolitik werden in Erinnerung gerufen; die Sorge um die Enkel Ferdinand und Karl lenkt des Kaisers Aufmerksamkeit auf die östlichen Nachbarn: Anna, die Tochter des ungarischen Kg.s Wladislaw, wird als geeignete Heiratspartie ausersehen. Die problematischen Beziehungen der Jagiellonenfürsten
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Chelidonius, Benedictus
Wladislaw und Sigismund werden genauso knapp behandelt wie bei Cuspinian: Die Vermittlung von Kardinal Matthäus Lang bei den Verhandlungen in Preßburg scheint in der Heiratsabsprache schnell zum Erfolg zu führen. Die Schilderung von Prunkzügen, Turnieren und Empfängen steht im Zentrum des Interesses, zuletzt die des Einzugs in Wien selbst, bei der das festliche Aufgebot aller Stände der Stadt breit ausgestaltet wird. Was Ch.’ Dichtung zusätzlich auszeichnet, ist die gekonnte Umsetzung von geo-, topo- und ethnographischen Informationen zum Reichsgebiet und den östlichen Nachbarstaaten in die Sprach- und Ausdrucksformen des antiken Epos. C . Ü be rt ra gu ng en in s L at ei ni s ch e. 1. Lateinische Clavis und Tituli für die ‘Ehrenpforte’ Maximilians. Der Riesenholzschnitt der ‘Ehrenpforte’, deren Programm v. a. Maximilians Hofhistoriograph Johannes J Stabius entwarf und deren künstlerische Umsetzung Dürer und Albrecht Altdorfer besorgten, war eines der großen künstlerischen Projekte im letzten Lebensjahrzehnt Ks. Maximilians. Die sieben Teile der Ehrenpforte werden in einer Clavis vorgestellt, die auf fünf Holzschnitt-Tafeln (Druckstöcke 1–5) den Treppensockel der Triumphpforte verdeckt (Schauerte, S. 25–27). In der Vorrede zu seiner Edition von ‘De sacrosancta trinitate’ (vgl. II.D.1.; Glax, S. 268; Schauerte, S. 421, Q 50) spricht Ch. davon, daß er Stabius’ dt. abgefaßten historischen Kommentar auf Anordnung des Kaisers ins Lateinische übertragen habe. Das gilt nicht nur für das Titelblatt und die Clavis, sondern auch für die lat. Prosaumsetzung der Tituli in dt. Paarreimen zu den zwölf Historiendarstellungen. Drucke. Porta honoris, | Hoc est | Descriptio Portae Honoris Qvon-|dam Caesareae Maiestati Maximi-|liano Primo, Anno 1515. Erecta, | per Ioannem Stabium Viennensem Maiestatis | Illius Ibidem Historiographum. [Nürnberg: Hier. Andreae, 1517⫺18]. Ein Nachdruck: [Wien 1526⫺ 28]; 2. Aufl. Wien: Raph. Hofhalter, 1559. Vgl. Schauerte, S. 455⫺459. Als Letterndruck sind die
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lat. Tituli in die durch Hier. Andreae um 1520 besorgte Nürnberger Separatausgabe C eingefügt (Glax; Schauerte, S. 464 f.). Ausgaben. Glax, S. 269 (lat. Titelbl.), 279– 282 (Tituli zu den Historiendarstellungen). Parallel-Ed. d. dt. neben der lat. Clavis nach Melchior Goldast (Viri illustris Bilibaldi Pirckheimeri [...] opera politica, historica, philologica et epistolica, Frankfurt a. M. 1610, S. 176–179) bei Schauerte, S. 399–406, sowie der Tituli im Katalogteil ebd., S. 258–284.
D . H er au sg eb er sc ha ft . 1. Bandinus, ‘Sententiae theologicae’. Die Edition des theol. Traktats ‘De sacrosancta trinitate’, der unter dem Namen des Magister Bandinus in einer Hs. im Wiener Schottenkloster von Johann J Eck und Abt Sigismund von Melk gefunden wurde, war keine so sensationelle Neuentdeckung, wie sie für den Herausgeber Ch. zunächst schien; schon der Entdecker Eck hatte beim Kollationieren die große Ähnlichkeit des Traktats mit dem Sentenzenkommentar des D Petrus Lombardus herausgefunden, dessen Befund in suo libro, quem de sua disputatione Viennae habita edidit wörtlich von Ch. der Edition vorangestellt wurde. Bemerkenswert ist die Ausgabe jedoch auch wegen des Widmungsbriefs an Kaiser Maximilian, der das Memoria-Programm des Kaisers in der Zeit kurz vor seinem Tod resümierend zusammenfaßt (vgl. auch Schottenloher). Druck. Bandini viri | doctissimi sententiarum theologica-|rum libri quattuor quamdiligentissime castigati, Per | Reuerendum in Christo patrem, Dominum Benedictum Chelidonium Abbatem ad | Scottos Viennae Vatem excelentissimum, an-|tea numquam impressi. Wien: Joh. Singrenius für Luk. Alantsee, 1519. VD 16, P 1877. Literatur. H. Glax, Über d. vier Ausg.n d. geschichtl. Vorstellungen d. Ehrenpforte d. Ks.s Maximilians I. v. Albr. Dürer. Ein Beitr. z. Kunstgesch. d. XVI. Jh.s, QF z. vaterländischen Gesch., Lit. u. Kunst 1 (1849) 259–282; E. Hauswirth, Abriß einer Gesch. d. Benedictiner-Abtei U. L. F. zu d. Schotten in Wien, 1858, S. 51⫺53; F. v. Bezold, Aus d. Freundeskreis d. K. Celtis, Anzeiger f. Kunde d. dt. Vorzeit NF 29 (1882) 94–96; Th. Hillmann, B. Ch. v. St. Ägidien in Nürnberg, Stud.Mitt.OSB 58 (1940) 141–145; K. Schottenloher, Die Widmungsvorrede im Buch d. 16. Jh.s, 1953, S. 19, 178; H. Ankwicz-Kleehoven, Der
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Cochlaeus, Johannes
Wiener Humanist Joh. Cuspinian. Gelehrter u. Diplomat z. Zt. Ks. Maximilians I., 1959, S. 129 f.; M. Dietrich, Ch.’ Spiel: ‘Voluptatis cum virtute disceptatio’, Wien 1515. Versuch einer Rekonstruktion d. Inszenierung, Maske u. Kothurn 5 (1959) 44–59; M. C. Oldenbourg, Die Holzschnitte d. Urs Graf z. Passion u. die d. Joh. Wechtlin z. Leben Jesu. Ein bibliograph. Verz. ihrer Verwendungen, in: Fs. f. Josef Benzing z. 60. Geb., 1964, S. 291–310; D. Wuttke, Die Histori Herculis d. Nürnberger Humanisten u. Freundes d. Gebr. Vischer, Pangr. Bernhaubt gen. Schwenter, 1964, S. 75 f., 212⫺218; F. Machilek, Klosterhumanismus in Nürnberg um 1500, MVGN 64 (1977) 10– 45; H. Appuhn, Albrecht Dürer. Die drei großen Bücher. Mit Nachwort u. Erläuterungen, 1979, S. 119⫺158; N. Holzberg, Willibald Pirckheimer, 1981, Reg.; H. Appuhn, Die Kleine Passion v. Albr. Dürer. Mit einem Nachwort u. Erläuterungen, 1985, S. 85⫺137; Th. U. Schauerte, Die Ehrenpforte f. Ks. Maximilian I. (Kunstwiss. Studien 95), 2001, Reg.; M. Knedlik, in: BBKL 20, 2002, Sp. 293–296; F. Posset, B. Ch. O.S.B. (c. 1460–1521), a Forgotten Monastic Humanist of the Renaissance, The American Benedictine Rev. 53 (2002) 426–452; A. Scherbaum, Das Marienleben, in: R. Schoch / M. Mende / A. Scherbaum (Hgg.), Albrecht Dürer. Das druckgraph. Werk, Bd. 2, 2002, S. 214–279; E. Schneider, Die Kleine Passion, ebd., S. 280–345; C. Wiener, Hochmal. Marienlob? B. Ch.’ Elegien in ihrem Verhältnis z. Baptista Mantuanus’ Parthenice Mariana u. Dürers Marienleben, in: B. Czapla / R. G. Czapla / R. Seidel (Hgg.), Lat. Lyrik d. Frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit 77), 2003, S. 96–131; A. Scherbaum, Albr. Dürers ‘Marienleben’. Form, Gehalt, Funktion u. sozialhist. Ort. Mit einem Beitr. v. C. Wiener, 2004.
Claudia Wiener
Cincinnius J Kruyshaer, Johannes Cingularius J Gürtler, Hieronymus Cochlaeus (Cocleus; Dobeneck), Johannes I . L eb en . C., geb. 1479 im Dorf Raubersried, das zur Pfarrei Wendelstein im nördlichen Bistum Eichstätt gehörte, war der jüngste Sohn von vier Kindern des Kunz Dobeneck, der zeitweilig das Amt des Dorfpflegers ausübte, und seiner Frau Kunigunde. Von seinem Onkel Johann Hirspeck, Pfarrer in Pfarrkirchen, in die lat. Sprache ein-
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geführt, immatrikulierte sich C. am 26. April 1504 als Joh. Doebner de Wendelsteyn an der Univ. Köln. Promoviert am 3. Juni 1505 zum Baccalaureus und am 13. März 1507 zum Magister artium, setzte er sein Studium an der theol. Fakultät fort. Ab 1509 gehörte er dem Dozentenkollegium der Artistenfakultät an. Seine Neigung zur Musik vertiefte er in Köln durch das Studium bei Jakob J Magdalius von Gouda. Zu seinen eigenen Schülern in der Musik zählen Bernhardin Bogentantz und Heinrich Glarean. 1510 wurde er auf Betreiben des Propstes von St. Lorenz Anton Kreß und wohl auch Willibald J Pirckheimers zum Rektor der Pfarrschule bei St. Lorenz in Nürnberg berufen. Er fand Aufnahme in den humanistischen Kreis um Pirckheimer und lernte Benedictus J Chelidonius und Albrecht Dürer kennen. Ab 1515 begleitete C. drei Neffen Pirckheimers für rund vier Jahre während ihres Studienaufenthalts in Italien. Dort setzte er seine theol. Studien fort und nahm zugleich das juristische Studium auf, dies v. a. in Bologna, wo er Verbindung mit Johannes J Eck, Johannes Fabri, Johannes Heß und Ulrich von J Hutten hatte, zwischenzeitlich auch in Ferrara. Hier wurde er am 28. März 1517 zum Dr. theol. promoviert. In Bologna machte er Hutten mit Lorenzo Vallas Schrift über die Konstantinische Schenkung bekannt (s. Pirckheimer-Br., Nr. 454). Im Herbst 1517 ging C. auf Weisung Pirckheimers mit dessen Neffen nach Rom. Er empfing dort 1518 die Priesterweihe und lernte den an der Kurie tätigen Humanisten Hieronymus Aleander kennen, der 1520/21 als Nuntius der Kurie in Deutschland war und stets enge Beziehungen zu C. unterhielt. Im Herbst 1518 zum Dekan des Liebfrauenstifts in Frankfurt a. M. ernannt, verließ C. Mitte 1519 Rom, kehrte aber wegen der in Frankfurt grassierenden Pest zunächst nach Nürnberg zurück, wo er ein halbes Jahr Station machte. Die Frankfurter Stelle trat er 1520 an. C. stand Luther zunächst nicht völlig ablehnend gegenüber, wurde aber im Laufe d. J. 1520 zu dessen erbittertem Gegner. Von da an prägte die konfessio-
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Cochlaeus, Johannes
nelle Auseinandersetzung seinen weiteren Lebensweg. Mit Luther ist er freilich nur einmal, 1521 am Rande des Wormser Reichstags, wo er ihn ohne Wirkung zur Umkehr aufforderte, persönlich zusammengetroffen. Nachdem er ab Herbst 1523 in Rom an Reformberatungen unter Papst Clemens VII. teilgenommen hatte, reiste er im Febr. 1524 als Berater des Kardinallegaten Lorenzo Campeggio zum Nürnberger Reichstag. Noch im gleichen Jahr gehörte C. auf dem Regensburger Konvent zu den Mitorganisatoren der ersten Fürstenkoalition gegen Luther. Wegen des Vordringens der Reformation in Frankfurt verließ C. 1525 die Stadt und wurde nach einem kurzen Aufenthalt in Köln im Frühjahr 1526 Stiftsherr bei St. Viktor in Mainz, gleichzeitig auch Berater des Mainzer Eb.s Albrecht, den er im Juni 1526 auf den Speyrer Reichstag begleitete. 1528 berief ihn Hzg. Georg von Sachsen als Hofkaplan nach Dresden. Ihn begleitete C. 1530 zum Augsburger Reichstag, wo er zu den maßgeblichen Mitautoren der offiziellen Entgegnung Karls V. auf die ‘Confessio Augustana’ gehörte. Seit diesem Zeitpunkt rückte v. a. deren Verfasser Melanchthon in das Fadenkreuz seiner Kritik, wenngleich sein Bemühen, die katholischen Kräfte gegen Wittenberg in Stellung zu bringen, mißlang. 1535 von Hzg. Georg mit einem Kanonikat beim Meißner Dom betraut, gab C. dieses Amt im Frühjahr 1539 wieder auf, als nach dem Tod des Herzogs die Reformation in Sachsen Einzug hielt, und folgte einem Ruf auf ein Kanonikat am Breslauer Dom. Versuche des Bischofs von Trient und Hzg. Wilhelms IV. von Bayern, ihn nach Trient, Brixen bzw. nach Ingolstadt zu holen, waren zuvor fehlgeschlagen. 1540/41 beteiligte sich C., wenngleich ohne merklichen Einfluß, an den Religionsgesprächen von Hagenau, Worms und Regensburg. Seine Kompromißvorschläge zur Erlaubnis des Laienkelchs und der Priesterehe sowie zur Rechtfertigungslehre blieben ohne Widerhall. 1543 verschaffte der Eichstätter B. Moritz von Hutten C. eine zusätzliche Pfründe am Stift St. Willibald in Eichstätt und berief ihn
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gleichzeitig zu seinem theol. Berater, dem es auch oblag, Vorlesungen an der Domschule zu halten. In seiner Eichstätter Zeit unterhielt C. Kontakte zur Univ. Ingolstadt, zum Augsburger B. Otto Kardinal Truchseß von Waldburg und zum Eichstätter Domherrn Konrad Adelmann von Adelmannsfelden in Dillingen. Entgegen seinem Wunsch, 1545 am Konzil von Trient teilnehmen zu können, verpflichtete ihn Hutten zur Teilnahme am zweiten Regensburger Religionsgespräch. 1548 verzichtete C. auf sein Eichstätter Kanonikat und kehrte nach Teilnahme an der Mainzer Provinzialsynode 1549 nach Breslau zurück. Dort starb er in der Nacht vom 10. auf den 11. Jan. 1552. I I. We rk . Vollständig erfaßt sind im folgenden nur C.’ Schriften vor seiner Wendung zum Luthergegner (1520). Von den späteren sind im einzelnen nur jene aufgeführt, in denen historische und humanistische Interessen C.’ weitergeführt werden. Verzeichnisse gedruckter Schriften des C. bei Spahn, S. 341⫺372 (Schriften ab 1522); VD 16, C 4238⫺4428, ZV 3721⫺32 u. ö., u. Samuel-Scheyder, 1993, S. 717⫺729; vgl. H.-J. Kˆhler, Bibliographie d. Flugschr. d. 16. Jh.s, Teil 1, Bd. 1, 1991, Nr. 541⫺ 586. A . L eh rs ch ri ft en un d A us ga be n. Bereits in seiner Kölner Zeit verfaßte C. ein Lehrbuch zur Musik, doch erst die Nürnberger Lehrtätigkeit veranlaßte ihn zu einem besonderen Engagement zur Abfassung neuer Lehrbücher. Um die auf Betreiben Pirckheimers vom Nürnberger Rat verordnete humanistische Neuausrichtung des städtischen Schulwesens im Unterricht umzusetzen, schrieb C. drei Lehrbücher und einen Kommentar. Während die Musiklehre und die lat. Grammatik zwei bestehende Fächer auf neue didaktische Grundlagen zu stellen suchen, sind das dritte Lehrbuch und der Kommentar zwei Neuerungen im schulischen Fächerkanon zugeordnet, der Geographie und der Meteorologie. In den Widmungsschreiben der
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Cochlaeus, Johannes
Unterrichtswerke an Anton Kreß und an Pirckheimer (Pirckheimer-Br., Nr. 188, 191, 200 u. 204) erläutert und begründet C. sein Lehrprogramm und dessen Neuerungen. 1. ‘Musica’. C.’ erste Einführung in die Musik (‘Musica’) liegt in drei Fassungen vor. Die beiden ersten wurden anonym gedruckt, während C. die dritte 1507 unter dem Namen Johannes Wendelstein veröffentlichte. In dieser erscheint in einem Begleitepigramm des Kölner Studienfreundes Remaclus Florenas erstmals der Nachname Cocleus, den C. zeit seines Lebens verwenden wird. Im Zuge der drei Ausgaben wurde der für die universitäre Lehre bestimmte Traktat ‘Musica’ beständig erweitert. In den 24 Kapiteln der 1. Ausgabe überwiegt die Unterweisung in der Musica plana. In der 2. Fassung (30 Kap.) hat C. seine Ausführungen zur Musica mensurata erweitert, während die letzte Version (48 Kap.) v. a. Ergänzungen zur Lehre des Kontrapunktes aufweist und mit erweiterten Vorreden zu den drei Teilen versehen ist. Intensiv benütztes Vorbild der ‘Musica’ ist das verbreitete, 1501 in Köln erschienene ‘Opus aureum’ von Nikolaus Wollick und Melchior Schanppecher. Weitere Quellen: Werke des D Adam von Fulda und die ‘Practica musica’ des Franchinus Gaffurius (Mailand 1496), von der C. zahlreiche Definitionen, Regeln, Notenbeispiele, sogar ganze Textpassagen, übernommen hat Sachs wies 2000 erstmals auf zwei kurze, offenbar als Ergänzung zur 3. Auflage der ‘Musica’ gedruckte Übungsbücher hin, “auf einprägsame Regeln beschränkte Konzentrate der Lehren von cantus choralis und cantus figuralis” (Sp. 1299). Sie wurden aufgrund von Fehlheftung in den beiden überlieferten Exemplaren der 3. Fassung zuvor der ‘Musica’ zugerechnet.
Drucke. a) Musica. o. O. u. Dr., [1502⫺07].
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Ausgabe. b) H. Riemann, Anonymi Introductorium Musicae (ca. 1500), Monatshefte f. Musikgesch. 29 (1897) 147⫺164 u. 30 (1898) 1⫺19; Neuausg. von a)⫺c) durch K.-J. Sachs, Erlangen, in Vorbereitung.
2. ‘Tetrachordum musices’. Die erstmals 1511 gedruckte Schulschrift ‘Tetrachordum musices’ ist eine grundlegende Neubearbeitung der ‘Musica’ (3. Aufl.) für den Schulgebrauch. Sie ist in Dialogform abgefaßt, gliedert sich anders als die dreiteilige Kölner ‘Musica’ in vier Traktate und zeigt im Aufbau eine didaktische Ausrichtung. C. bespricht in einzelnen mit Überschriften versehenen Abschnitten zunächst die Grundlagen der Musik und einzelne Instrumente, hierauf die Musica plana, dann die Tonlehre sowie schließlich die Musica mensurata. Am Ende des 4. Traktats gibt C. eigene vierstimmige Kompositionen zu vier Versbzw. Strophenformen bei, welche Einfluß der Horaz-Vertonungen des Petrus J Tritonius (1507) zeigen, die metrischen Vorgaben jedoch freier umsetzen. C. vertont ein Distichon aus Ovid und drei mal. Hymnen (u. a. D ‘Veni creator spiritus’) und unterlegt dreien der beigefügten Sätze eigene Carmina (an den Hl. Geist, die hl. Katharina und Maria), die in der Schule täglich gesungen wurden (Texte bei Otto, S. 31). Drucke. a) Tetrachordum Musices Ioan|nis Coclei. Norici Arti⫽|um Magistri: Nurnberge nuper | contextum […]. Nürnberg: Joh. Weißenburger, 1511. VD 16, 4401. Mit Titelepigrammen Pirckheimers und Chelidonius’ und einem Carmen Glareans. b) ebd.: Joh. Stuchs, 1512 (Faksimile: J. C., Tetrachordum musices, 1971). c)⫺e) ebd.: Friedr. Peypus, 1514, 1516 u. 1520. VD 16, C 4402⫺4405. Engl. Übers. v. d) mit Ausgabe d. Notenbeispiele: C. A. Miller, J. C., Tetrachordum musices (Musicological Studies and Documents 23), [Dallas] 1970.
Sachs, 2000, Nr. 1. b) Musica. [Köln: Joh. Landen,
um 1505⫺07]. VD 16, ZV 3722. c) Musica. | Decatostichon M. Jo. wendelstein | in musicam exhortatorium. | [...]. Köln: Joh. Landen, 1507. VD 16, C 4344. Daran: In cantus choralis exercitium. und Compendium in praxim atque exercitia cantus figurabilis accommodissimum […]. Sachs, 2000, Nr. 4 u. 5. Ein gekürzter ND von c): Köln: Heinr. v. Neuss, 1515. VD 16, ZV 3723.
3 . ‘Quadrivium grammatices’. C.’ im Februar 1511 abgeschlossene Grammatik umfaßt ihrem Titel gemäß vier Teile: I. Formenlehre, II. Syntax, III. Prosodie und Metrik, IV. Orthographie. Damit ist ihr Programm umfangreicher als das jeder anderen Grammatik der Zeit. Es deckt
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Cochlaeus, Johannes
den gesamten Bedarf des lateinsprachlichen Unterrichts, des Schreibens und Sprechens in Prosa oder Vers; der Syntax ist eine Brieflehre samt Prosastilistik angeschlossen, dem Teil III eine Reihe poetologischer Empfehlungen. Zum andern präsentiert C. den Stoff in einer detailliert gegliederten Form, wie man sie ebenfalls in anderen Grammatiken der Zeit nicht antrifft: Die vier Teile gliedern sich jeweils in zwei bis fünf Tractatus (Hauptstücke wie etwa Rektion des Nomen oder Prosodie) und diese in eine Fülle kleiner Kapitel, zusammen 251. Die Gliederungen und Untergliederungen verstehen sich als didaktische Maßnahme; hinter ihnen steht kein grammatiktheoretischer Entwurf. Reflexionen über den Aufbau des Lehrbuchs oder auch nur über einzelne sprachliche Sachverhalte spart C. ohnehin fast ganz aus. Seinem Zweck der Lateindidaktik genügt eine diskussionslose und kompakt kompendiöse, aber übersichtlich geordnete Darbietung des Materials und seiner Regeln. Eigenwillig versetzt er die Orthographie, sonst Kopfstück der antiken und der zeitgenössischen Grammatik, an den Schluß. Erwähnung verdient die Heranziehung des Deutschen im 4. Traktat von Teil I. In Kap. 6⫺7 führt C. dort das lat. Kasussystem, in Kap. 16⫺ 23 das Formensystem der lat. Konjugation anhand verschiedener Paradigmen zugleich mit seinen dt. Entsprechungen auf; es folgen in Kap. 24⫺26 Adverbien, Konjunktionen und Präpositionen mit ihrer interpretatio teutonica. Die Zweisprachigkeit dient C. nicht allein als einfache Verständnishilfe, er erläutert wohl erstmals auch vergleichend grammatische Besonderheiten des dt. Sprachbaus.
In den Widmungen an seine Gönner, Propst Kreß (Titelbl.v) und Willibald Pirckheimer (Bl. XXXVIIv; PirckheimerBr., Nr. 188), rechtfertigt C. sein Buch mit der mangelnden Eignung ebenso der antiken wie der neueren Grammatiken für den aktuellen Schulbedarf und hebt seine didaktischen Vorzüge ⫺ brevitas, distinctio, bonus ordo ⫺ hervor. Er attackiert insbesondere die metrische Grammatik des Buccardus Pylades mit ihrem umständlichen Kommentar, nach der er bei seinem Antritt als Schulrektor bei St. Lorenz hatte vorgehen müssen.
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Des längeren erfolgreich war C.’ Grammatik nicht an ihrem Ursprungsort, sondern in Straßburg, hier allerdings in den Bearbeitungen durch Hieronymus J Gebwiler; dieser stand nicht an, C.’ Darstellung der Formenlehre nahezu 700 vv. aus dem 1. Teil des ‘Doctrinale’ D Alexanders de Villa Dei [NB] zu inserieren, das C. entschieden verworfen hatte. Gebwiler brachte in den rasch folgenden weiteren Straßburger Ausgaben, die er zählte, erhebliche weitere Ergänzungen an. Auf Gebwilers Veranlassung verfaßte sein Unterlehrer Georg Altenheymer ein lat.-dt. Vocabulorum in Io|annis Coclei Grammaticam Colle|ctaneum: [...]. Straßburg: Joh. Prüß d. J., 1515. VD 16, A 1973 u. ZV 430. Vgl. M¸ller, Lexikogr., S. 56⫺61. In enger Anlehnung an C.’ ‘Quadrivium’ verfaßte der sonst nicht bekannte Johannes Lidelphus Aubingensis sein ‘Enchiridion artis grammatices’ (Augsburg: [Joh. Otmar], 1513; VD 16, L 1628). Drucke. 1. Quadriuium Grammatices Ioannis | Coclaei Norici: Artium Magistri: Norinbergae | nuper elucubratum […]. Nürnberg: Joh. Stuchs, 1. März 1511. VD 16, C 4365. 2. Tübingen: Th. Anshelm, Sept. 1513. VD 16, C 4366. Ausgabe. Der 4. Traktat von Teil I in Auszügen bei M¸ller, Quellenschr., S. 43⫺49. Bearbeitungen Gebwilers: 1. Grammatica Jo. | Cochlei Norici Rudimen⫽|ta ad usum Latine˛ lingue˛ | necessaria continens [...] Ale|xandri etiam ver|siculis vtilio|ribus in⫽|troser|tis. Anno. M.D.XIIII [!]. Straßburg: Reinh. Beck, 1513 (!). VD 16, C 4367. ⫺ 2. Grammatica Jo. Co|clei Norici. Rudimenta ad latine˛ lingue˛ vsum | necessaria continens [...] Habes insuper Candide lector Grammati|cae Sintaxis et Prosodiae Appendicem [...]. Straßburg: Reinh. Beck, 21. Okt. 1514. VD 16, C 4368. Die nach Bl. LXXXIII angehängte Appendix (22 Bll.) umfaßt a) eine systematische Erweiterung der Syntax, die aber in nichts anderem besteht als in der stillschweigenden bisweilen gekürzten, im übrigen aber wörtlichen Übernahme des 2. Buches von D Pergers ‘Introductorium artis grammaticae’ (‘Grammatica nova’), und b) ausgiebige regulae prosodiae speciales, deren Quelle noch zu erkunden ist. ⫺ 3. Grammatica Io. Co⫽| clei Norici. Rudimenta ad latine˛ lingue˛ | vsum necessaria continens [...] Additus etiam est punctandi modus [...]. Straßburg: Joh. Prüß, 1515. VD 16, C 4369. Die Bl. CIIIIv⫺CVv beigefügte kurze Interpunktionslehre ist wiederum Pergers ‘Introductorium artis grammaticae’ entnommen. Am Ende ein
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Cochlaeus, Johannes
Nachwort, Ad studiosos scholasticos Exhortatio, in dem Gebwiler auf die Beseitigung etlicher Versehen hinweist. ⫺ 4. Jo. | Coclei | Grammatices Ru⫽|dimenta [...]. Straßburg: Joh. Knobloch, 1519. VD 16, C 4370. Gebwilers 4. Ausgabe bietet keine sachlichen Zusätze, aber, wie er in der erneuerten Ad studiosos scholasticos Exhortatio erklärt, eine weitere korrigierende Überarbeitung.
4. ‘Cosmographia Pomponii Melae’ mit ‘De quinque zonis terre compendium’ und ‘Brevis Germaniae descriptio’. 1512 veröffentlichte C. eine Ausgabe der Kosmographie des Pomponius Mela, welche er dem von ihm neu eingerichteten Geographieunterricht zugrundelegte. In der Widmung an Kreß (10. Okt. 1511) begründet er den Nutzen der Geographie v. a. mit einem besseren Verständnis der Historiographie, aber auch der Dichtung und Philosophie. Im Hinblick auf diese propädeutische Funktion der Geographie rechtfertigt er seine Wahl der Erdbeschreibung des Pomponius Mela mit der Kürze ihrer Darstellung und ihrer luziden Latinität, die sie als Einführung besonders geeignet und für Schüler leicht lesbar mache. Melas Kosmographie fügte C. anstelle eines Kommentars zwei kleine Schriften als methodische und inhaltliche Ergänzung bei. Die kürzere, ‘De quinque zonis compendium’, führt, beginnend mit den fünf Zonen, den drei Erdteilen der bewohnbaren Zonen sowie den sieben Klimaten als den allgemeinsten Gliederungskriterien der Erde, in zentrale Begriffe der Kosmographie ein. Nach den beiden Polen und den zehn Himmelssphären bespricht er Begriffe der Anthropo- und der physischen Geographie. Am Ende der kleinen Schrift stehen ausführliche Erklärungen zu Begriffen der Geomorphologie (Gewässer, Erd- und Gebirgsformationen). Den Abschluß des Drucks bildet C.’ ‘Brevis Germaniae descriptio’, die erste Deutschlandbeschreibung für den Schulgebrauch. Sie gliedert sich in acht Kapitel. Die beiden ersten geben einen knappen Einblick in die Geschichte vom germanischen Altertum über die Zeit der Völkerwanderung bis zu den deutschen Kaisern seit Karl d. Gr.; sie fußen v. a. auf J Wimpfelings ‘Epithoma rerum Germanica-
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rum’. Im 3. Kap. stellt C. Erscheinungsbild, Ausdehnung und topographische Gestalt des zeitgenössischen Deutschland vor. Die Aspekte der kulturgeschichtlichen Entwicklung, die Kap. 2 und 3 enthalten, reflektieren die seit Enea Silvio D Piccolomini (‘Germania’) bei den deutschen Humanisten kanonische Vorstellung einer auf der Christianisierung basierenden Entwicklung der einstmals barbarischen Stämme zur Kulturnation der Gegenwart. Das zentrale 4. Kapitel bietet eine ausführliche Beschreibung Nürnbergs im Anschluß an J Celtis’ ‘Norimberga’. Die letzten vier Kapitel der Schrift sind der geographischen Beschreibung Deutschlands gewidmet; sie gliedert das Land nach den Himmelsrichtungen in vier Regionen und stellt deren einzelne Volksstämme, ihre Siedlungsgebiete sowie die wichtigsten Städte vor. In einem Nachwort (Peroratio in Germaniam) äußert sich C. über seine Ausgangslage bei der Abfassung der ‘Brevis Germaniae descriptio’ und vermerkt insbesondere, daß ihm in Ermangelung einer ‘Germania illustrata’, wie sie Celtis geplant hatte, kein geeignetes Modell für sein Unternehmen zur Verfügung gestanden habe. Desungeachtet bot ihm Celtis’ Œuvre gewichtige Hilfestellungen, auch wenn er sie geflissentlich verschweigt. Das Gefüge von C.’ Mela-Ausgabe, in dem ein antikes geographisches Werk von ergänzenden Schriften des humanistischen Hg.s begleitet wird, findet ihr Vorbild ebenso bei Celtis, und zwar in dessen um 1500 erschienener und auch für den Unterricht bestimmter Ausgabe der taciteischen ‘Germania’, in deren Anhang er das 3. Kapitel der ‘Norimberga’ und seine hexametrische ‘Germania generalis’ drucken ließ. Druck. Cosmographia | Pomponij Mele: Autho⫽|ris nitidissimi Tribus | Libris digesta […] | . [Nürnberg: Joh. Weißenburger, 1512]. VD 16, M 2307 u. C 4271. Bl. Fr⫺[G4]r: De Quinque Zonis Terre Compendium Jo. Coclei Norici In Geographiam introductorium […]; Bl. [G4]r⫺L iiv: Breuis Germanie descriptio tum a rebus gestis. moribusque populorum/ tum a locorum situ: […]. Titelepigramm und Empfehlungsbrief (23. Febr. 1512) des J Chelidonius zur ‘Brevis Germaniae descriptio’. Teilausgabe. K. Langosch, J. C., Brevis Germanie descriptio. Mit d. Dtld.karte d. Erh. Etz-
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Cochlaeus, Johannes
laub, 1960, 31976 (lat.-dt.). Auszüge bei H. Heger, SpätMA, Humanismus, Reformation, 2. Teilbd., 1978, S. 133⫺137.
5. ‘Meteorologia Aristotelis eleganti Iacobi Fabri Stapulensis paraphrasi explanata’. Als viertes Lehrbuch für die Schule von St. Lorenz veranstaltete C. 1512 eine kommentierte Ausgabe der ersten drei Bücher der aristotelischen Meteorologie in der lat. Kurzfassung des Lefe`vre d’E´taples. In seiner Widmung an Kreß (16. Febr. 1512) weist C. der Naturphilosophie den höchsten Rang unter den drei Teilgebieten der Philosophie (Logik, Ethik, Physik) zu, da sie die opera dei sichtbar mache und das Verständnis für die anderen Bereiche der Philosophie öffne. Ihre Einführung in den Unterrichtskanon begründet er mit der Überzeugung, daß die Schüler ohne ihre Kenntnis auch die anderen Disziplinen nur unvollkommen beherrschen könnten. Im Anschluß an Leonardo Brunis ‘De studiis et litteris’ fordert C. dabei insbesondere die Verbindung von Sachkenntnis und Sprachbeherrschung und hebt den Nutzen der Philosophie als Ergänzung des Lateinunterrichts hervor. Ein knapper Hinweis auf den angeblichen Verfall der Philosophie im MA mündet in die Freude über die wachsende Verbreitung von Ausgaben und Kurzfassungen griechischer Philosophen in lat. Sprache in der Gegenwart. Daß C. Lefe`vres Zusammenfassung der aristotelischen Meteorologie als Lehrbuch gewählt hat, begründet er schließlich mit ihrem übersichtlichen Aufbau und ihrer klaren Gedankenführung. In der Vorrede zum 2. Buch an Pirckheimer (21. Febr. 1512) weist C. die Kritik zurück, die Philosophie sei dem Unterricht einer Lateinschule nicht angemessen. In dem Vorwurf, die Eloquenz harmoniere nicht mit der Philosophie, erkennt er das degenerierte Philosophieverständnis seiner Zeit, dem er mit seiner von Pirckheimer unterstützten Unterrichtsmethode einer komplementären Unterweisung in Sprache und Philosophie entgegenwirken möchte. C.’ Kommentar beginnt mit einer Vorstellung und kurzen Inhaltsangabe der na-
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turphilosophischen Schriften des Aristoteles; eine ausführlichere Einleitung in die Meteorologie schließt sich an. In einer Mischung aus Glosse und fortlaufendem Kommentar erklärt C. die im Text Lefe`vres formulierten Lehren und führt sie bei Bedarf weiter aus. Hierzu zieht er häufig Senecas ‘Quaestiones naturales’ heran, aber auch Plinius’ ‘Naturalis historia’, Macrobius’ Kommentar zum ‘Somnium Scipionis’, Apuleius’ ‘De mundo’ sowie die Darstellung von Leben und Lehre des Pythagoras in Ovids ‘Metamorphosen’. Die Anschauungen der Vorsokratiker entnimmt C. der lat. Version der ‘Vitae philosophorum’ des Diogenes Laertios. Der in seinem Kommentar am häufigsten und ausführlichsten zitierte Text ist indes das meteorologische Lehrgedicht des neapolitanischen Humanisten Giovanni Gioviano Pontano (‘Liber de Meteoris’). Am Ende der Ausgabe folgt u. d. T. Corrolarium morale eine Werbeschrift für das Studium der Philosophie. Anhand einschlägiger Stellen antiker Autoren, aber auch der Evangelien, warnt C. vor dem Streben nach materiellem Gewinn und der damit verbundenen Avaritia, und verortet den wahren Reichtum im Bereich der Sapientia. Eine sapphische Ode (4 Strr.), in welcher C. die Jugend ermahnt, ihre Zeit zum Studium zu nutzen, schließt die Ausgabe ab. Druck. Meteorologia Aristotelis. Eleganti | Iacobi Fabri Stapulensis Paraphrasi explanata. | Commentarioque Ioannis Coclaei Norici declarata […]. Nürnberg: Friedr. Peypus, 11. Nov. 1512. VD 16, L 959. S iiiv⫺[S6]v: ‘Corrolarium morale contra opes pro sapientia’.
6. Während seines Aufenthalts in Nürnberg 1519/20 unterstützte C. Pirckheimer bei der Ausgabe der Werke des Fulgentius und Maxentius. Auf ihn gehen Kapiteleinteilung, Inhaltsangaben, Randglossen und Nachweise der Bibelstellen zurück (Holzberg, S. 291 f.). Druck. Opera B. Fulgen|tii Aphri, Episcopi | Ruspensis, Theologi anti|qui. […] Item Opera Ma|xentii Iohannis, Servi | Dei pulchra vetustatis Monumenta, | in eodem Codice reperta. [...]. Hagenau: Th. Anshelm, [15]20. VD 16, F 3555. Widmungsbriefe des C. an Caritas D Pirckheimer (22.
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Dez. 1519, Auszug bei J. Pfanner, Briefe v., an u. über C. Pirckheimer, 1966, Nr. 57) und an den Frankfurter Bürgermeister Philipp J Fürstenberg (9. Febr. 1520). Ein von C. veranlaßter (vgl. Otto, S. 109) ND: Köln: Hero Fuchs, 1526. VD 16, F 3556.
B . C ar mi na . 1. Mit Empfehlungsgedichten begleitete C. zuerst J Chelidonius’ (II.A.1.) ‘Passio Iesu Christi’ (1. Aufl. [nach 1506], Titelbl.v: Hexastichon Ioan. Coclei; 2. Aufl. 1511, Bl. [E4]v), dann den Nürnberger Nachdruck von Michael Falkeners (von Breslau) ‘Introductorium dyalecticae’ (Joh. Weißenburger, 1511. VD 16, M 5136), 1513 J Pirckheimers (II.B.1.a) erste gedruckte Plutarch-Übersetzung (Text von C.’ Epigramm: Pirckheimer-Br., Nr. 244bis), 1514 den ersten Sammelband mit Schriften Johann J Werners (II.1.) und 1515 Johann Schöners ‘Luculentissima quaedam terrae descriptio’ (Nürnberg: Joh. Stuchs. VD 16, S 3475). In einer Hs. der ‘Coryciana’ ist Raum für fünf Gedichte des Io. Cocleus Germanus ausgespart; er blieb freilich leer (I. IJsewijn [Hg.], Coryciana, Rom 1997, S. 242). Zu den vertonten Carmina für die Schule von St. Lorenz s. o. II.A.2.
2. Anläßlich des frühen Todes seines Förderers und Freundes Anton Kreß am 8. Sept. 1513 verfaßte C. ein Epicedion (168 Hex.), sein umfangreichstes lat. Gedicht und zugleich Zeugnis seiner christlich-humanistischen Religiosität. Nacheinander an die Parze Chloto, den Verstorbenen und dessen Manen sich wendend, beklagt C. die Unerbittlichkeit des Schicksals und preist die praecox virtus des früh Verstorbenen, seine Freigebigkeit, gewissenhafte Erfüllung pastoraler Pflichten und Liebe zu den Studia. Im Zentrum steht der christliche Tod des Propstes im Kreis von Familie und Freunden, gefolgt von seiner Aufnahme in den Himmel und seinem Begräbnis. C. widmete den um eine Elegie des Chelidonius auf Kreß und ein eigenes Hexastichon Ad manes Antonii Koberger († 3. Okt. 1513) ergänzten Druck des Epicedions am 19. Dez. 1513 mit Überlegungen zur Gattung des lat. Trauergedichts Georg Beheim, dem neuen Propst von St. Lorenz. Druck. Clarissimo viro Domino Georgio | Peham [...]. Titelbl.v: Epicedion Ioannis Coclaei, in obitu Antonii Cressi I, V, Doctoris, Praepositi Ec-
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clesiae Sancti Laurentii, Norinbergae nuper defunctae, [...] Aetatis vero anno xxxvi. [Nürnberg: Friedr. Peypus, 1513/14]. VD 16, C 4276.
C . Kon tr ov er ss ch ri ft en . 1. Oberdeutscher Zinsstreit. C. erstellte in Nürnberg eine ablehnende Stellungnahme gegen Johannes J Ecks im Okt. 1514 versandtes ‘Consilium in casu quinque de centenario’ (hsl. Freiburg, UB, Hs 601, 39r⫺41v), in der er an ein Gutachten des Anton Kreß ([1512/3]) im Zinsstreit anknüpft. Aus Bologna erstattete er in einem Brief an Hieronymus Ebner (27. Juli 1515) parteilichen Bericht über Ecks Disputation vom 12. Juli 1515 (ebd., 32r⫺ 38r; Text bei Wurm, S. 180 f.); angefügt sind Thesen zu einer von ihm vergeblich angestrebten Folgedisputation; vgl. ebd., S. 179−200. Pirckheimer schrieb Ende 1515 an Eck, er habe den Druck von scripta des C. gegen Eck verhindert (Pirckheimer-Br., Nr. 378); ob die genannten oder weitere gemeint sind, ist unklar. Die detaillierten Angaben über die Bologneser Ereignisse im ‘Eckius dedolatus’ (J Pirckheimer, II.C.2.c) führten Holzberg, S. 194 f., zu der ansprechenden Annahme, C. habe während seines Nürnberg-Aufenthalts 1519/20 an diesem mitgearbeitet. 2. ‘In Iustinianum querelae’ und Verwandtes. C. fertigte 1516 in Bologna Exzerpte und Glossen zu verschiedenen Teilen des Corpus iuris civilis an, die er z. T. an Pirckheimer (Pirckheimer-Br., Nr. 404) sowie am 9. April 1521 an Ulrich J Zasius (Zasius-Br., S. 502) sandte. Zum Druck gelangten allein: Authen⫽|tice˛ Iustini⫽|niani I. Imperatoris Au|gusti, de Rebus Sacris, per | compendium a` Iohanne Cochle˛o commemorate˛ [...]. Leipzig: Nickel Schmidt, 1529. VD 16, C 5265. Zwischen Nov. 1516 und dem 7. März 1517 schrieb er dann septem in Iustinianum legislatorem [...] Querelas (Pirckheimer-Br., Nr. 422; vgl. Nr. 404), Invektiven gegen das Römische Recht und die mal. Glossatoren. Pirckheimer, dem C. einzelne Klagen, darunter den ‘Accursius’ (ebd., Nr. 446), übersandt hatte, weigerte sich, die namens der Stadt Rom an Ks. Maximilian gerichtete Schrift dem Kaiser vorzulegen und tadelte C. ihretwegen scharf (vgl. ebd., Nr. 409, 429, 446, 449 f. u. 466). Eine der ‘Querelae’ sandte C. auch an Zasius, der sie am 2. April 1521 mit vernichtendem Urteil an Claudius Cantiuncula weiterreichte (Zasius-Br., S. 328). C. wollte zumindest eine der ‘Querelae’ noch 1544 ge-
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meinsam mit der ‘Vita Theodorici’ (s. u. D.2.b) drucken lassen, doch ging ein Teil des Manuskripts verloren, und der auf dem Titelblatt angekündigte Druck unterblieb (Otto, S. 88⫺91).
D . Wer ke se it de r Wen du ng ge ge n L ut he r. 1. Kontroverstheologische Schriften. Seit seiner Wendung gegen Luther widmete sich C.’ weitgehend der kontroverstheol. Auseinandersetzung, in welcher er ab 1521 nach der Rückkehr vom Wormser Reichstag durch weit über 100 Schriften für die katholische Seite Stellung bezog. Diese setzen sich v. a. mit Luthers Lehren auseinander, so schon sein erstes gedrucktes theologisches Werk, ‘De gratia sacramentorum’ (1522), oder die Streitschrift ‘Adversus cucullatum Minotaurum Wittenbergensem’ (1523), in der C. auf Luthers nur wenige Monate zuvor entstandenes Pamphlet ‘Adversus armatum virum Cocleum’ eingeht und ausführlich die Unterschiede zwischen der neuen und der herkömmlichen Rechtfertigungslehre darlegt. Wie an der theol. Kontroverse nahm C. auch an der politischen Auseinandersetzung um Luther teil, und zwar mit der 1524 gedruckten ‘Ad semper victricem Germaniam paraclesis’, in welcher er die deutschen Fürsten zur Treue gegenüber Rom aufrief und dies mit der zivilisatorischen Bedeutung der römischen Kirche für die kulturelle Entwicklung Deutschlands begründet. In den gleichen Zusammenhang gehört die ‘Pia exhortatio Romae ad Germaniam suam in fide Christi filiam’ (lat. 1525, dt. bereits 1524). Neben ‘De libero arbitrio’ (1525) repräsentiert der ‘Septiceps Lutherus’ (1529 lat. u. in dt. Übers.) einen Höhepunkt in C.’ publizistischer Tätigkeit gegen Luther. In ihr stellt C. die Auseinandersetzung mit dem Reformator in den Zusammenhang mit dem immerwährenden Kampf der Kirche gegen das Böse. Luthers sieben Köpfe ⫺ Anspielung auf den 7-köpfigen Drachen der Apokalypse ⫺ stellen sieben Phasen seiner intellektuellen Entwicklung dar, in deren Verlauf er sich sukzessive von der Kirche entfernt habe. Dieser Darstellung der Depravation Luthers folgt eine
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breite Auseinandersetzung mit seiner Lehre. Sie besteht aus einer Sammlung ausführlicher Zitate aus Luthers Schriften, auf die C. jeweils eine eigene Stellungnahme folgen läßt. Nach dem Augsburger Reichstag von 1530 wandte sich C. vermehrt gegen Melanchthon, so v. a. in seinen vier ‘Philippicae’ (1534), in denen sich C. detailliert mit den einzelnen Artikeln der ‘Confessio Augustana’ auseinandersetzt (weitere drei ‘Philippicae’ gegen Melanchthon folgten 1540, 1543 und 1549; krit. hg. v. R. Keen, J. C., Philippicae I⫺VII, 2 Bde., Nieuwkoop 1995/96). 1534 erschien auch die ‘Velitatio in apologiam Philippi Melanchthonis’, eine kürzere Auseinandersetzung mit der Augsburger Konfession und der ‘Apologia’, die C. auf Veranlassung der Nuntii Aleander und Campeggio für die römische Kurie verfaßte. Neben weiterer intensiver publizistischer Tätigkeit gegen die Reformation, die sich sukzessive auch gegen andere Reformatoren richtete ⫺ etwa in ‘De canonicae scripturae et catholicae ecclesiae autoritate’ (1544) gegen Heinrich Bullinger ⫺ fallen in die Zeit nach dem Augsburger Reichstag auch drei historische Schriften, die, wiewohl mit dem Kampf gegen die Reformation verbunden, eigenen Stellenwert beanspruchen können und zu den Hauptwerken C.’ nach 1520 zu zählen sind. Sie seien neben der auszugsweisen Bearbeitung eines vorreformatorisch-humanistischen Geschichtswerks im folgenden ausführlicher vorgestellt. Einen Überblick über C.’ hier nur angerissenes kontroverstheol. Schrifttum gewähren die Werkverzeichnisse bei Spahn, 1898, S. 341⫺372, sowie Samuel-Scheyder, 1993, S. 717⫺ 729. 2 . Historische Werke. a) ‘Historia von den alten Hussen’ (1523). 1523 fertigte C. einen dt. Auszug aller Johannes Hus und John Wyclif betreffenden Stellen aus dem 10.⫺12. Buch der ‘Wandalia’ des Albert J Krantz (Erstdruck 1519) an. Er griff damit in die von Luther auf der Leipziger Disputation ausgelöste
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Kontroverse um die Rechtmäßigkeit von Hus’ Verurteilung ein und nutzte Luthers Rehabilitierungsversuch, um die neue Lehre mit der alten Häresie gleichzusetzen; s. Andermann. Druck. Historia Alberti | krantz von den alten Hussen zu | Behemen in Keiser Sigmunds Zeiten | [...]. [Straßburg: Joh. Grüninger], 9. Jan. 1523. VD 16, K 2269. A iijr: [...] getütscht von Io. Coch. Widmungsvorrede an Hzg. Georg von Sachsen (o. D.) und Schlußbemerkung an die gegenwärtigen und zukünftigen Christen.
b) ‘Vita Theodorici’ (1544). 1544 legte C. eine Vita Theoderichs d. Gr. vor, deren Konzeption bereits auf seinen Italienaufenthalt mit den Neffen Pirckheimers zurückgeht. In der Praefatio des Werks berichtet C., daß er in Bologna im Zuge seiner Studien über die Gesetzessammlung des Justinian zufällig auf die Gotengeschichte des Prokop gestoßen sei und hierauf in Rom die Briefe Cassiodors gelesen habe, welche in ihm ein positiveres Bild von der Person Theoderichs und der Herrschaft der Ostgoten in Italien erweckt hätten als die ihm bekannten Geschichtswerke. C. gibt zunächst einen kurzen Überblick über die Geschichte der Goten bis zu Theoderichs Aufenthalt als Geisel am byzantinischen Hof Leos I. und nach einer kurzen Würdigung seiner edlen Abstammung eine ausführlichere Darstellung seines Zugs nach Italien, seine Auseinandersetzungen mit Odoakar bis zu dessen Tod und seine Ernennung zum König über Italien durch Ks. Zenon. Der bei weitem längste Teil des Werks behandelt sodann Theoderichs Herrschaftsführung und sein Verhältnis zu Rom und dessen Institutionen sowie zu Papst und Kirche. C. zeichnet Theoderich dabei als vorbildlichen Herrscher, der den besten Exempla des römischen Kaisertums an die Seite zu stellen sei und insbesondere die von C. durchweg negativ gezeichneten spätantiken Kaiser an Tugend und edler Herkunft überrage. In Bezug auf Theoderichs Politik hebt C. neben dessen Unternehmungen zur militärischen Sicherung Italiens, seiner Sorge um die weströmischen Provinzen und einer auf Frieden ausgerichteten Bündnispolitik mit anderen germanischen Volksstämmen v. a. seine Bemühungen um Rom hervor. So habe er die Erneuerung der desolaten städtischen Infrastruktur veranlaßt, die Lebensmittelversorgung sichergestellt, die Autorität der politischen Institutionen wiederhergestellt, sich als Förderer von Papst und Kirche erwiesen.
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Seine Achtung vor der Unabhängigkeit des Bischofs von Rom nimmt C. zum Anlaß, in dem von gegenseitiger Anerkennung geprägten Verhältnis zwischen Theoderich und Papst Symmachus eine Präfiguration der späteren Teilung von weltlicher und geistlicher Macht zu sehen. Zur Darstellung von Theoderichs Herrschaftsstil zitiert C. wiederholt aus dem von Cassiodor gesammelten Briefkorpus, benutzt aber auch die Gotengeschichte Prokops, die Chronik D Ottos von Freising sowie die humanistischen Geschichtswerke Biondos, Sabellicos und des Paulus Aemilius. Druck. Vita Theo⫽|derici Regis Quon-|dam Ostrogothorum et Italiae. | Querela item de rei-| publicae statu sub Iustiniano Imp. I. Ad Augustae | Memoriae Maximilia⫽|num Caesarem olim scripta Bo⫽|nonie, et nunc primum euulgata. | [...]. [Ingolstadt]: Alex. Weißenhorn, 1544. VD 16, C 4410. Die ‘Querela’ ist entgegen der Angabe im Titel nicht enthalten (s. o. C.2.). Eine Ausg. der ‘Vita Theodorici’ cum additamentis et annotationibus des Johan Peringskjöld (1654⫺1720): Stockholm 1699.
c) ‘Commentaria de actis et scriptis Martini Lutheri’ (1549). Das Werk zu Leben und Wirken Luthers seit seinen Thesen gegen den Ablaß 1517 verdankt seine Entstehung C.’ Hoffnung auf die Einberufung eines Konzils, dessen möglichen, v. a. ausländischen Teilnehmern er ein umfassendes Bild von den religiösen Auseinandersetzungen in Deutschland seit dem Auftreten Luthers zeichnen wollte. Zwar schloß C. das Werk in einer ersten Fassung bereits 1535 ab, doch brachte er wegen seines Umfangs die Kosten für eine Veröffentlichung nicht auf, so daß es zunächst ungedruckt blieb. Erst nach Luthers Tod (1546) nahm er einen neuen Anlauf, die ‘Commentaria’ zu veröffentlichen. Er ergänzte sein Manuskript knapp um die letzten Lebensjahre des Reformators und die wichtigsten Ereignisse der Zeit zwischen 1535 und 1545. Diese erweiterte Fassung erschien im Herbst 1549 bei C.’ Neffen Franz Behem in Mainz. Das auf breiten Quellenstudien basierende annalistisch aufgebaute Werk versteht sich nicht als Lutherbiographie, sondern möchte einen Einblick in das Wirken Luthers im Kontext der reformatorischen
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Bewegung und der Zeitgeschichte geben; dabei geht C. auch auf die konfessionellen Auseinandersetzungen in England, Polen und der Schweiz ein. Ein weiterer Schwerpunkt der ‘Commentaria’ liegt in der erneuten Auseinandersetzung mit Luthers Schriften; daher zählt C. zu Beginn eines jeden Jahres die in diesem erschienenen Werke des Reformators auf und referiert sie kommentierend. Mit den Zitationen aus zahlreichen Schriften und Briefen Luthers verfolgt C. neben dem Aufweis, daß dessen Thesen mit der Lehrmeinung der Kirche nicht vereinbar sind, wie bereits in früheren Schriften v. a. auch die Absicht, die Widersprüchlichkeit seiner Aussagen deutlich zu machen. Weiterhin eignet den ‘Commentaria’ ein autobiographischer Zug, welcher sich in den 1546 verfaßten Ergänzungen noch verstärkt, da C. in ihnen hauptsächlich von Ereignissen berichtet, die er selbst miterlebte. Der Grundtenor des Werks ist polemisch und von kritischer Schärfe geprägt. C. zeichnet Luther als Häretiker, der Deutschland in ein noch nie dagewesenes Elend getrieben habe, der vor keinem Unrecht zurückschrecke und nach der Zerstörung der Einheit der Kirche trachte. Gleichwohl fehlt es den ‘Commentaria’ nicht an anerkennenden Worten, wenn C. an Luther insbesondere Sprachbegabung, eine beeindruckende Gelehrsamkeit sowie tiefe Vertrautheit mit der Hl. Schrift hervorhebt, so daß bei aller feindlichen Haltung C.’ Bemühen erkennbar wird, der Person seines Gegners gerecht zu werden. C.s ‘Commentaria’ prägten über Jahrhunderte hinweg das Lutherbild des deutschen Katholizismus (Herte, 1943). Drucke. Commentaria | Ioannis Cochlaei, De Actis | Et Scriptis Martini Lutheri Saxonis. […]. Mainz: Franz Behem, 1549. VD 16, C 4278. Weitere Ausgaben folgten nach C.’ Tod 1565 in Paris (IA 142.245) und 1568 in Köln (VD 16, C 4279). Wiewohl bereits nach Fertigstellung der Fassung letzter Hand von C.’ Freunden angeregt, wurde eine dt. Übersetzung erst posthum von Joh. Christoph Huber angefertigt und 1582 in Ingolstadt veröffentlicht (VD 16, C 4280). NDe d. Übers. Dillingen 1611 u. 1622.
d) ‘Historia Hussitarum’ (1549). Parallel zu seinen ‘Commentaria’ verfaßte C. seine ‘Historia Hussitarum’, wel-
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che er ebenso wie jene wegen der hohen Druckkosten erst 1549 veröffentlichen konnte. Das in 12 Bücher untergliederte Werk behandelt die Geschichte Böhmens vom Regierungsantritt D Karls IV. bis zum Tode Georg Podiebrads (1471) sowie überblicksweise die darauffolgende Zeit bis zur Vereinigung Böhmens mit dem Hause Habsburg. Besonderes Augenmerk richtet C. in seiner Darstellung freilich auf das Auftreten des Jan Hus, den Prozeß gegen ihn sowie die Hussitenkriege (s. o. D.2.a). Die Anregung für eine Geschichte der Hussiten erhielt er 1534 durch eine Reise mit Hzg. Georg von Sachsen nach Prag, wo er Hss. zur Geschichte Böhmens im 14. und 15. Jh. erwarb. Zu den Hauptquellen seiner Hussitengeschichte zählt die Autobiographie Karls IV., die böhmische Geschichte des Enea Silvio Piccolomini sowie Krantz’ ‘Wandalia’. Druck. Historiae Hussitarum | Libri Duodecim | Per Ioannem Cochlaeum […] operose collecti. Mainz: Franz Behem, Sept. 1549. VD 16, 4326.
3. Ausgaben. Neben seinen kontroverstheol. Arbeiten besorgte C. ca. 70 Ausgaben. Noch auf seine Zeit in Rom gehen die ‘Antiqua regum Italiae Gothicae gentis rescripta’ zurück, eine nach Themengruppen geordnete Auswahl aus dem Briefkorpus des Cassiodor, die C. 1529 edierte (VD 16, C 1428) und die in den Umkreis der ‘Vita Theodorici’ gehört. Weiterhin sind Ausgaben von Werken Cyprians, Gregors von Nazianz, D Isidors von Sevilla [NB], des Petrus Venerabilis, D Ruperts von Deutz (zwischen 1526 und 1529 Erstausgaben in dichter Folge wie bis dahin von keinem anderen mal. Autor) und D Bernhards von Clairvaux hervorzuheben. Für einen vollständigen Überblick über die von C. veranstalteten Ausgaben sei erneut auf die Werkverzeichnisse bei Spahn, 1898, S. 341⫺372, und SamuelScheyder, 1993, S. 717⫺729, verwiesen. E . B ri ef e. Den größten Teil des erhaltenen Briefwechsels bis 1520 bilden Briefe an Pirck-
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Conradi, Tilmann
heimer. An diesen richtete C. bis einschließlich 1520 30 Briefe (ohne Widmungsschreiben), allein 21 1516/17 aus Italien (s. Pirckheimer-Br., Bd. 3, S. 472, Bd. 4, S. 538, Bd. 5, S. 510 [Reg.]); von Pirckheimer sind nur die Schlußschrift zur Plutarch-Übersetzung von 1513 (VD 16, P 3634), deren Druck C. überwachte, und ein dt. Briefkonzept vorhanden (Pirckheimer-Br., Nr. 244 u. 511). Nach einer Pause von Juni 1520 bis Juni 1524 setzt die Korrespondenz wieder ein; bis zu Pirckheimers Tod 1530 sind noch 21 Briefe C.’ an ihn erhalten (Mitteilung v. Helga Scheible, Heidelberg). Daneben ist der Schriftwechsel mit Kreß (sowie Rat und Bürgermeister Nürnbergs) über die Berufung an die Schule bei St. Lorenz von 1509/10 (acht Briefe bei Kress, S. 26⫺36) sowie eine briefliche Empfehlung für C.’ neuen Schüler Hieronymus Holzschuher (30. Dez. 1516) von Christoph J Scheurl (ScheurlBr., Nr. 111) erhalten. Einen Brief an Fürstenberg (2. Juni 1520; s. o. II.A.6.) druckte R. Jung, C. als Bewerber um d. Rektorat d. Frankfurter Lateinschule, 1520, Arch. f. Frankfurts Gesch. u. Kunst 3. Folge 6 (1899) 333⫺336. Zur späteren Korrespondenz vgl. Machilek, S. 66 f., u. SamuelScheyder, S. 730 f. Hervorzuheben sind fünf Briefe von Erasmus und zwei an diesen zwischen 1527 und 1536 (vgl. CoE 1, 1985, S. 321 f.) sowie der Briefwechsel (über 100 Stücke) mit Aleander und anderen Amtsträgern der Kurie (1521⫺1545; hg. v. W. Friedensburg, ZKG 18 [1898] 106⫺131, 233⫺297, 420⫺463, 596⫺636). C. stand mit humanistischen Gegnern der Reformation wie Kilian J Leib, Julius Pflug und Friedrich Nausea (über 50 Briefe von C. an diesen) in brieflichem Kontakt, doch auch Melanchthon erscheint noch 1530 und 1533 als Briefpartner (Melanchthon-Br., Nr. 918, 1074a u. 1321). Literatur. C. Otto, J. C. d. Humanist, 1874; M¸ller, Quellenschr., S. 43⫺49, 252⫺254 u. 265; G. Frhr. v. Kress, Die Berufung d. J. C. an d. Schule bei St. Lorenz i. J. 1510, MVGN 7 (1888) 19⫺38; M. Spahn, J. C., 1898; H. Jedin, J. C.’ Streitschrift de libero arbitrio hominis (1525), 1927; ders., in: Schles. Lebensbilder, Bd. 4, 1931 (21985), S. 18⫺28; A. Herte, Die Lutherkommen-
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tare d. J. C., 1935; ders., Das kath. Lutherbild im Bann d. Lutherkommentare d. C., 3 Bde., 1943; L. Schrade, J. C., Musiktheoretiker in Köln, in: W. Kahl u. a. (Hgg.), Fs. L. Schiedermair (Beitr. z. Rhein. Musikgesch. 20), 1956, S. 124⫺132; F. Machilek, in: Fränk. Lebensbilder, Bd. 8, 1978, S. 51⫺69; R. B‰umer, J. C. (1479⫺1552). Leben u. Werk im Dienst d. kath. Reform, 1980; ders., in: TRE 8, 1981, S. 140⫺146; Meuthen, Köln, S. 209 f. u. ö. (Reg.); N. Holzberg, W. Pirckheimer. Griech. Humanismus in Dtld., 1981, S. 70, 75⫺79 u. ö. (Reg.); M. Samuel-Scheyder, J. C., Humaniste et adversaire de Luther (Collection ‘Germaniques’ 4), Nancy 1993; H. Puff, Von d. Schlüssel aller künsten, nemblich d. Grammatica. Deutsch im lat. Grammatikunterricht 1450⫺1560, 1995, S. 260, 262⫺267 u. ö.; J.-P. Wurm, Joh. Eck u. d. obd. Zinsstreit (Reformationsgesch. Stud. u. Texte 137), bes. S. 56, 121 f., 143⫺147, 179⫺200; U. Andermann, Albert Krantz, 1999, S. 249⫺251; K.-J. Sachs, in: 2MGG Personenteil 4, 2000, Sp. 1297⫺1300; ders., De modo componendi. Stud. z. musikal. Lehrtexten d. späten 15. Jh.s, 2002, S. 15⫺17, 88⫺90 u. ö. (Reg.); G. Ph. Wolf, J. C. (1479⫺1553) zwischen Humanismus u. Reformation, Jb. f. fränk. Landesforsch. 62 (2002) 113⫺ 156; K. W. Niemˆller, Dt. Musiktheorie im 16. Jh. Geistes- u. institutionsgeschichtl. Grundlagen, in: ders. u. a., Dt. Musiktheorie d. 15.⫺17. Jh.s, Bd. 1, 2003, S. 69⫺98, bes. S. 75, 78, 81, 85 f.; H. v. Loesch, Musica ⫺ Musica practica ⫺ Musica poetica, ebd., S. 99⫺166, bes. S. 134, 139 f. u. passim; Melanchthon-Br., Bd. 11, 2003, S. 294; G. M. M¸ller, ‘Quod si Chunradi Celtis ‘Illustrata Germania’ nobis obtingere potuisset, […]’. J. C.’ ‘Brevis Germaniae descriptio’ u. d. Bedeutung d. C. Celtis f. d. humanist. Landeskunde in Dtld., Pirckheimer-Jb. 19 (2004) 140⫺181; C. Hirschi, Wettkampf d. Nationen. Konstruktionen einer dt. Ehrgemeinschaft an d. Wende v. MA z. Neuzeit, 2005, S. 431⫺440 u. ö. (Reg.).
Gernot Michael M¸ller / J. Klaus Kipf
Coccinius J Köchlin, Michael Collimitius J Tannstetter, Georg Cono J Cuno, Johannes Conradi, Tilmann (Thiloninus Philymnus Syasticanus) Zwischen 1509 und 1516 latinisierte C., der zunächst als Thiel- bzw. Tylmannus Chunradi oder Conradi erscheint, seinen Vornamen zu Thiloninus und ergänzte den sprechenden Namen Philymnus;
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Syasticanus ist fehlerhafte Gräzisierung (aus sia¬ zu uea¬ und asty; vgl. Wolfenbüttel, HAB, Cod. 58.6 Aug. fol., 86r) des Herkunftsorts Göttingen. Nach 1519 zeichnet C. als Chunradus Thiloninus.
I . L eb en . C. wurde nach eigener Aussage (vgl. ‘Choleamynterium’, Bl. [H6]r) in Braunschweig nicht lange nach 1482 geboren. Aufgewachsen ist er in Göttingen, wo sein Vater, Tilmann C. (Cordes), Priester an St. Albani war. Einer im Kloster jung verstorbenen Schwester Anna gedenkt C. 1513 (‘Batrachomyomachia’, C iiir). Er immatrikulierte sich im WS 1502 in Erfurt und erwarb dort im Sept. 1504 das Bakkalaureat. 1507 kam es zu einer ersten Kontroverse mit den Erfurter Humanisten um Konrad J Mutianus (s. u. II.A.1.). Daraufhin ging C. im SS 1509 nach Wittenberg, wo er im WS 1509/10 zum Magister artium promoviert und im Frühjahr 1511 in den Senat der Artistenfakultät aufgenommen wurde. Auf ein Studium der Rechte deuten die Tätigkeit als Magister collegiatus des juristischen Wittenberger Neuen Kollegs i. J. 1513 sowie Hinweise des Mutianus (Mutianus-Br., Bd. 1, S. 354, 368 f., 377). 1513 spricht C. von einem Aufenthalt in Bologna als iuuenis und nennt als Lehrer Jacopo della Croce, Giovan Battista Pio, Filippo Beroaldo d. J. und Giovan Battista Egnazio (‘Batr.’, A ijr); 1515 wird dann als solcher Markos Musuros (‘Chol.’, K iiir) genannt. Demnach müßte C. auch Venedig und Padua besucht haben. Für den Aufenthalt, der nach oben nur durch den vorausgehenden Studienbeginn in Erfurt eingegrenzt wird, fehlen bisher weitere Belege. Anfang Mai 1513 kehrte C. nach Erfurt zurück und begann, trotz eines Verbots der Fakultät privat in arte poetica (Kleineidam, S. 194 Anm. 1193) zu lesen. Obwohl er die Vorlesungen nach Einschreiten der Fakultät rasch einstellte, griff ihn Joh. Femilius in einem Spottepigramm an. Auch Euricius J Cordus verspottete C. in seiner vorab veröffentlichen 10. Ekloge als Proteus und als Poetaster und erneut in der 9. Ekloge des ‘Bucolicon’ (23. Mai 1514) unter der Maske des reichen Dichters Petulcus (s. Mutianus-Br., Bd. 1, S. 363⫺369; Mˆncke). C., der im SS 1514 nach Wittenberg zurückgekehrt war, setzte sich mit dem ‘Choleamynterium’ (s. u. II.A.4.) zur Wehr, Cordus replizierte mit der ‘Con-
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tra maledicum Thiloninum Philymnum defensio’ (Erfurt, Juni 1515). Besonderer Spott des Cordus (ed. Krause, 1892, S. 100) und des Mutianus (Mutianus-Br., Nr. 268, 300) traf C. wegen einer wohl nicht nur literarischen Beziehung zu einer verheirateten Frau, die im ‘Cupido’ (s. u. II.A.3.) und andernorts als Philoglitia (so stets für Philoglykia) besungen wird. C. hatte in Erfurt nicht nur Feinde: Mutianus erwähnt freundschaftliche Verbindungen mit Herbord von der Marthen und Heinrich Urban (ebd., Bd. 1, S. 322 f., 357 f., 387 u. ö.); von diesem spricht C. mit großer Zuneigung (‘Chol.’, [F4]r).
Vom 8. Sept. 1514 ist ein Bewerbungsschreiben C.s um die Leitung der Lateinschule von Rothenburg o. d. T. erhalten (Schnizlein). In Wittenberg bot C. spätestens seit 1516 in der ‘Schola Philymnea’ Internatsdienste an und unterrichtete dort nach eigener Auskunft (‘Triumphus Christi’, [A]v) Latein, Griechisch und Hebräisch. Die Behauptung ist angesichts der wenigen, kaum verstandenen hebr. Zitate in C.s Schriften nur für Latein und Griechisch glaubhaft. Die Berufung Melanchthons auf die neueingerichtete griech. Lektur i. J. 1518 beschnitt seinen Wirkungskreis in Wittenberg. Vielleicht schon 1518 (s. u. II.B.3.), spätestens jedoch im Frühjahr 1520 siedelte er nach Worms über. Volz’ Vermutung, dies sei in der Hoffnung auf eine Stellung am Reichskammergericht geschehen (S. 95), ist nicht belegt. Um 1521 bezeichnet C. sich als Iurisconsultus (s. u. II.A.6.) und wird in einer anonymen Übersetzung (II.A.7.) Licenciat genannt. Aus der Zeit um den Reichstag von 1521 ist vertrauter Umgang mit namhaften Humanisten erschließbar. C. überbrachte einen Brief Melanchthons vom 24. April 1520 an Johannes J Wacker in Speyer (Melanchthon-Br., Bd. 1, S. 186); zwei verlorene Briefe Melanchthons (davon ein griech.) an C. und ein Antwortbrief sind bezeugt (ebd., S. 262, 266, 348). In Worms stand C. mit Wolfgang Capito, Ulrich von J Hutten und Martin Bucer in Verbindung, wie Erwähnungen in Briefen zwischen Juli 1520 und Sept. 1521 belegen (Hutten, Opera, Bd. 1, S. 365; S. 427 f.; Bd. 2, S. 82; Suppl. 1, Addenda, S. 9; Bucer-Br., Bd. 1, S. 132, 138 f.). Auch zu Karlstadt (s. J. G. Olearius, Scrinium antiquarium [...], Jena/Arnstadt 1698, S. 77) und Nikolaus J Gerbel (Luther-Br., Bd. 2, S. 341) bestand brieflicher Kontakt.
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Eine Rede (s. u. II.A.7.) belegt C.s Teilnahme am Wormser Reichstag von 1521, wo er am 24. April in der engeren Umgebung Luthers erscheint (Volz, S. 95); seine dortige Funktion ist unklar. Ein Epigramm ‘Ad Thiloninum’ des Nikolaus Asclepius (Hiltbrant) (bei Volz, S. 97 Anm. 106) scheint in Zusammenhang mit dessen Kontakten zu Sickingen und Hutten zu stehen. Noch im Sept. 1521 war C. über den Unterschlupf Huttens informiert (s. Bucer-Br., Bd. 1, S. 175). Nach dem 16. April 1522 (s. u. II.A.8.) verliert sich seine Spur. Aus seinem Besitz sind zwei Sammelbände u. a. mit eigenen Schriften (II.A.2.⫺3.) und J Sbrulius’ ‘Cleomachia’ erhalten. I I. We rk . Mit einer Komödie, Liebeselegien, satirischen Epigrammen, einem Herrscherlob und einer Versübertragung aus dem Griechischen weist C.s schmales Werk formale und thematische Vielfalt auf. Dennoch wurde er von den zeitgenössischen Humanisten nur bedingt als einer der Ihren anerkannt. Der von Mutianus (s. Mutianus-Br., Bd. 1, S. 75, 322 f., 378; Bd. 2, S. 69 u. ö.) und Cordus (ed. Krause, 1892, S. 96⫺98) erhobenene Vorwurf der Dunkelheit und Verrätselung trifft C. zu Recht. Seine älteste erhaltene Schrift (s. u. A.2.) ist streckenweise unverständlich. Die späteren Texte sind besser lesbar, auch die Verse (A.5.⫺6.) gelungener. Sein von Mutianus (s. Mutianus-Br., Bd. 1, S. 323) und Cordus (ed. Krause, 1892, S. 93⫺95) als maßlos kritisiertes Selbstbewußtsein ließ ihn den Konflikt mit überlegenen Talenten suchen. Seine Versuche auf dem Gebiet der griech. Studien (u. a. zahlreiche Epigramme) sind zwar fehlerhaft (s. Bauch, 1896, S. 88), doch für Wittenberg und den deutschen Nordosten muß ihm als Lehrer und Herausgeber griech. Texte eine Vorreiterrolle zugesprochen werden (s. u. II.B.2.). Bis auf die Polemiken des Cordus, Mutianus und Femilius, die bis in die J ‘Epistolae obscurorum virorum’ (I 38) wirkten, blieben seine Schriften ohne faßbare Resonanz.
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A . D ic ht un ge n und Red en . 1. Ein Exemplar des 1507 gedruckten Erstlingswerks ist nicht erhalten. C. spricht davon, einige Verse de diua Parthenice Maria atque Bacchi Orgia (‘Chol.’, [E5]v⫺[E6]r) herausgegeben zu haben, gegen die Cordus ein beißendes Spottepigramm verfaßt habe. Mutianus kritisierte den Stil der Verse ausführlich (MutianusBr., Nr. 59). Druck. Thielm. Conradi de XVIII. Annunciationis Diei Insigniis[!]. Accedunt Epigrammata et alia. Erfurt: o. Dr., 1507. VD 16, C 4862 (nach Panzer, Ann. IX, 458, 16).
2. ‘Teratologia’. Prosakomödie in fünf Akten, Martin J Polich als Rektor der Univ. Wittenberg unter dem 17. Mai 1509 gewidmet. Angegriffen werden das barbarische Latein und die Lebensweise ungebildeter Geistlicher. Der griech. Titel wird im Proœmium als sanies latini sermonis (A iir) übersetzt. Die Götter Cyllenius (Merkur) und Latroides, die im 1. und 3. Akt den Verfall der Sprache beklagen, überzeugen den pfiffigen Knaben Grammatophilos zunächst einzeln (2. u. 4. Akt), dann gemeinsam (5. Akt), von der Verderbnis der Geistlichen, unter deren Einfluß er steht. Schließlich bereut Grammatophilus sein bisheriges ausschweifendes Leben und gelobt, fortan enthaltsam den Musen zu leben. Jeder Akt wird von einem Argumentum in Hendekasyllaben eröffnet und von einem Chorlied in verschiedenen Metren, im 3. Akt aber endreimenden Rhythmen, beschlossen. Der Druck enthält u. a. eine gegen Cordus und seine rustica musa (Cv) gerichtete ‘Satyra in coniugalem quendam poetellum’ (47 Dist.) sowie ein ‘Elegidion amatorium’ (20 Dist.), in der ein Liebhaber von seiner Vertreibung durch den Ehemann der Geliebten berichtet.
Zahlreiche griech. Lehnwörter und Zitate (häufig Sprichwörter), plautinische Vokabeln und Formen sowie Neologismen kennzeichnen den Stil der Komödie. Die teilweise bis zur Unverständlichkeit verrätselte Diktion hat der ‘Teratologia’ Wirkung versagt; auch die Äußerungen in der Forschung belegen, daß sie kaum je gelesen wurde. Druck. Comoedia Philymni Syas-|ticani cui nomen | est Teratologia. [...]. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, 1509. VD 16, C 4861. Am Ende
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Empfehlungsgedichte Kilian J Reuters und Christian Beyers sowie eine aus Nikolaus J Marschalks ‘Introductio utilissima’ übernommene, denkbar unpassende Zeile in hebr. Sprache.
3. ‘Triumphus Bacchi’, ‘Cupido’, ‘Xenia’. Der ‘Triumphus Bacchi’ ist ein Trinklied in 28 jeweils mit dem doppeltem Bacchusruf endenden sapph. Strophen, in denen ein mit Attributen des griech. Weingottes (vgl. Ovid, Met. 4, 11⫺36) ausgestatteter Zug beschrieben und in eindeutigen Worten zum ungezügelten Wein- und Liebesgenuß ermuntert wird. In der erotischen Elegie ‘Cupido’ (45 Dist.) beschreibt ein Liebhaber aus der Ich-Perspektive die Vereinigung mit der von ihrem Ehemann eifersüchtig bewachten Geliebten Philoglitia und seine eigene Flucht durchs Fenster; sie gelingt, da Amor ihn fliegen lehrt. Die freimütige Schilderung der Vereinigung mit der als Delia nostra bezeichneten verheirateten Geliebten ist nicht als “ungeschminkte Wiedergabe” (Ellinger, S. 62; vgl. noch Grossmann, S. 97) eigener Erlebnisse zu verstehen, sondern entspricht der Konvention der Liebeselegie (Tibull). Die Handlung wird umrahmt von einer Schilderung der Macht des puer armatus Amor und einem Lobgebet an diesen. Die auf der Titelseite als ‘Xenia’ angekündigten 22 satirischen Epigramme (meist Einzeldistichen) behandeln unter dem Titel Strene Philymni mythologische und erotische Gegenstände. Druck. Triumphus Bacchi. | Cupido. | Xenia. [...]. Wittenberg: [Joh. Rhau-Grunenberg], 1511. VD 16, C 4863.
4. ‘Choleamynterium’. Im Anschluß an den Abdruck von Ausonius’ ‘Ludus septem sapientum’ veröffentlichte C. als Reaktion auf die Angriffe des Cordus und des (im Titel zu Fellifluus entstellten) Femilius eine prosimetrische Invektive in vier Büchern, in die sechs (von C. und Schülern verfaßte) Verspartien und zwei Briefe eingefügt sind. Die AusoniusAusgabe ist unter dem 5. Jan. 1515 einem adligen Schüler, den C. um Empfehlung an B. Dietrich von Lebus bittet, gewidmet. Johannes J Rhagius empfiehlt die Invektive
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in 9 Hendekasyllaben pro suo T. Philymno (B iv). C.s Epigramme sind derb und ohne Pointe. Die Prosapassagen liefern satirisch verfremdete Informationen über Herkunft und Bildungsgang der Erfurter Gegner. Das 1. Buch rekapituliert Femilius’ Vorwürfe und weist sie zurück, das 2. schildert mit den Privatvorlesungen von 1513 den Anlaß des aktuellen Disputs und diskutiert strittige Messungen in eigenen Versen, das 3. schildert den auf 1507 zurückgehenden Konflikt mit Cordus. Ein umfangreicher Exkurs ist antiker und christlicher Namengebung gewidmet. Das 4. Buch enthält neben einer selbstherrlichen Verselegie über die Vorlesungen in Erfurt und die daran anschließenden Konflikte eine Sammlung von 31 kurzen Epigrammen gegen Femilius ([H6]v⫺K iir). Umfangreichere Carmina bilden zwei an diesen gerichtete ‘Admonitiones’ (insges. 101 Dist.). Am Schluß steht ein griech. Brief eines sonst unbekannten Agetus Heraeus Cretensis vom April 1514, in dem dieser sich für einen griech. Brief C.s bedankt, mit lat. Version. Der von Heraeus angeblich in Erfurt verfaßte Brief ist eine schülerhafte Übersetzung aus dem Lateinischen (G. Heldmann, Nürnberg, briefl.) und offenbar C.s Werk. Druck. Decii: magni Ausonii: libellus | de ludo septem sapientum. | Thilonini Philymni Choleamyn|terium in fellifluum Phi-|lymnomastigiam Hercinefurdensem. [...]. [Wittenberg: Joh. RhauGrunenberg], 1515. VD 16, A 4397. Auszüge bei Krause, 1892, S. VI f., XII-XIV.
5. ‘Triumphus Christi’. Sammlung geistlicher Gedichte, brieflich und mit 5 Distichen zwei Schülern der ‘Schola philymnea’ gewidmet. Das titelgebende Epyllion ‘Triumphus Christi’ (125 Hex.) gilt dem seit mehrfachem Druck des gleichnamigen Gedichts des Macarius Mutius (u. a. Straßburg 1509) auch in Deutschland (Matthias J Funck, J Hessus) gepflegten Sujet des Descensus Christi. Nach einer Detestatio in Iudeos (a iir) und dogmatischen Ausführungen beschreibt C. in zweifachem Wechsel Handlungselemente der Auferstehung und des eigentlichen Descensus. Abschließend stellt C. den Sieg Christi über den Tod über die Siege römischer Kaiser. Der Druck enthält u. a. eine ‘Ode theologica in sacrae scripturae et evangelicae lectionis commendationem’ ([a5]r⫺v; 22 Dist.; Auszüge bei Volz, S. 91), die die
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These stützt, C.s Übergang zu theologischen Themen sei mit Luthers Einfluß zu erklären (so Friedensburg; Volz, S. 90). Sie stellt in scharfer Antithetik der als Beispiel religiöser Veräußerlichung kritisierten Reliquienverehrung die Evangelien als wahres Testament Christi entgegen. Druck. Triumphus Christi: | per Thiloninum | Philymnum. [...]. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, 15. März 1516. VD 16, C 4864.
6. ‘Heroicum ad imperatorem Carolum V.’. Bislang unbekanntes Preisgedicht (245 Hex.) auf Ks. Karl V. und Empfehlung Hzg. Erichs I. von Braunschweig-Calenberg. Nach einer Darstellung der Herrscherpflichten beklagt C. die Herrschaft von Zwietracht, Verbrechen und Unrecht in der Christenheit und ermuntert den Kaiser (ähnlich wie Hermann von J Neuenahr in der Einhard-Ausgabe) unter Berufung auf Karl d. Gr. zum Eingreifen. Die als cymba Petri in Seenot befindliche Kirche könne allein noch vom Kaiser in sicheren Hafen gebracht werden. C. ruft zum Kampf gegen die schon auf christlichem Boden stehenden Türken sowie zur Beendigung der innerchristlichen ciuilia bella auf. Er empfiehlt ⫺ vor dem Hintergrund der Hildesheimer Stiftsfehde ⫺ dem Kaiser seinen Landesherrn Hzg. Erich, der dem Vorgänger Maximilian einst das Leben gerettet habe, und ruft den Kaiser zum Beistand für die Braunschweigischen Territorien auf. Druck. Heroicum ad invict. Ro. impe⫽|ratorem Carolum V. pro Erico | Brunsvicensi, et pacem mundo | recuperanda, D. Chunradi Thilonini iuriscon|sulti et | poete. [Worms: Hans Werlich, 1521]. VD 16, ZV 15840.
7. ‘Von vielen Reichstagen’. Nur durch eine anonyme dt. Übersetzung oder Bearbeitung ist eine lat. Rede erhalten, die C. durch Maximilianus Transsylvanus Ks. Karl V. auf dem Wormser Reichstag überreichen ließ (s. [A4]r). Themen sind die Bedeutung der Kayserlichen freystadt Worms für die Geschichte der Reichstage und das Verhältnis von Kaiser und Papst in der deutschen Geschichte. Die Schrift, deren Geschichtsauffassung
Hutten nahesteht, bietet den Versuch einer, wenn auch lokal begrenzten, Gesamtschau der Geschichte der Reichstage. e
Druck. Vonn vilen Reichsta⫽|genn so tzu Worms ge⫽|halltenn/ gezogen auß ainer Orationen Con⫽|radi Thiloni Licentia⫽|ten vnnd Poeten vor⫽|teütscht. [Worms: Hans Werlich, nach Aug. 1521]. VD 16 C 4859. Vgl. K. Schottenloher, Gutenberg-Jb. 1927, S. 54, Abb. 1; S. 61, Nr. 9.
8. ‘Ad evangelicae doctrinae studium exhortatio’. Rede über die in Luthers Sinn gedeutete Theologie des Paulus zur Eröffnung einer im Titel genannten, nicht näher bezeichneten Paulina lectio. Zugrunde liegt eher ein noch in Wittenberg privat gehaltenes Kolleg (so Volz, S. 93) als in Worms vor Freunden gehaltene Vorträge (so H. Haupt, Beitr. z. Reformationsgesch. d. Reichsstadt Worms, 1897, S. 14). Im Mittelpunkt der stark bibelsprachlich durchsetzten Rede steht der von Gott gewirkte, zum Verständnis der Schrift unabdingbare Glaube sowie das mit Luther als verbum salutis (S. 104) verstandene Evangelium von der den Sünder ohne eigenes Verdienst befreienden Gnade. Der Rede folgt ein Abdruck der Zehn Gebote mit kurzen Erläuterungen sowie poetische Erklärungen der Begriffe Deus, Fides, Homo peccator und Gratia Dei (gedruckt bei Volz, S. 93 Anm. 93). Druck. Ad evangelice dotrine[!] studium ex| hortatio nuper in Pauline lectio|nis exordio | facta. A. D. Thilonino Chunrado | Iurisconsulto [...]. Worms: [Hans Werlich], 16. April 1522. VD 16, C 4859. Ausgabe. Volz, S. 98⫺107 (ohne die Dekalogerläuterungen). 9. Drei erotische Carmina C.s auf die auch von Sbrulius und Reuter besungene Magd Gesa des Medizinprofessors Dietrich Block, darunter eine Ekphrasis (32 Dist.), die sie als Zierde Sachsens mit Tibulls Nemesis und Catulls Lesbia vergleicht, überliefert Blocks Sammelhs. (Wolfenbüttel, HAB, Cod. 58.6 Aug. fol., 86r⫺87v). Die Beiträge werden in C.s ersten Wittenberger Aufenthalt (1509⫺ 1513) fallen, in dem auch ein Widmungsgedicht zu Reuters Edition einer Aristoteles-Übersetzung entstand (1509). B. Herausgeber und Übersetzer. 1. Eisagogh[!] pros tvn grammatvn ellhnvn: | Elementale introductorium in | idioma Graecani-
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Cordus, Euricius
cum [...]. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, 1511. VD 16, I 342. Auf den ‘Erotemata’ des Konstantinos Laskaris (1495) beruhende Einführung ins griech. Alphabet, in die Lautlehre und die Ligaturen, die hier (seit Marschalks Druck von 1501) bereits in 4. Bearbeitung vorliegt. Die Vorlage, die Bearbeitung des Hermann J Trebelius (um 1505), ist um zahlreiche Lesestücke v. a. aus Bibel und Liturgie, darunter ein kompletter Meßtext, sowie zwei misogyne Sentenzen erweitert. Allen griech. Texten sind lat. Übersetzungen beigegeben (s. Bauch, 1896, S. 84 f.). 2. Ps.-Homer, ‘Batrachomyomachia’. Ausgabe (zugleich erste eines griech. Textes in Wittenberg) und lat. Versübertragung der Eposparodie. C.s stark erweiternde Übertragung (358 Hex.) steht dem griech. Text (225 Hex.) voran. Auf der Titelseite feiert Georg J Sibutus C. als Erben Rudolf D Agricolas und des Celtis. Im Widmungsschreiben an den Erfurter Rektor Joh. Werlich und Maternus J Pistoris vom 1. Febr. 1513 rekapituliert C. seine griechische Bildung und beklagt die Streitsucht der Poeten. Die Nachdichtung befand Mutianus für so gelungen, daß er C. ein Plagiat unterstellte (Mutianus-Br., Nr. 294, 330). Von den Versübertragungen Carlo Marsuppinis (Erstdruck um 1474; 332 vv.; 1510 unter J Reuchlins Namen gedruckt) und des Servatius J Aedicollius (Paris, [um 1510]; 387 vv.) ist C. indes durchaus unabhängig. Ihm stand offenbar weder ein vollständiger Text noch eine Übersetzung zur Verfügung, sonst wäre eine Lücke der griech. Vorlage von 70 vv., die im Widmungsbrief ([A]v) beklagt wird, in der Übertragung nicht stehengeblieben ([A6]v). Auch die mehrfache Wiedergabe von Eigennamen der Vorlage als Appellative (z. B. ›ysi¬gnauow [v. 17] mit sufflatis faucibus [A4]r) läßt auf Eigenständigkeit schließen. In den Eulogia funebria folgen 23 Epicedien (davon drei griech.), die u. a. Georg Eberbach, J Celtis, J Vigilantius und Wolfgang Polich gelten, sowie zwei Grabschriften für den nobilis parasitus Oulenspigel (bei Tenberg, S. 48 f.), die früheste datierte Erwähnung desselben im 16. Jh. Die Epitaphien zeigen C.s Vertrautheit mit einer der letzten Historie des D ‘Ulenspiegel’ entsprechenden Tradition, sie tragen jedoch trotz weiterer Argumente nicht Tenbergs Hypothese, C. sei Bearbeiter des ‘Ulenspiegel’ (ebd., S. 59⫺65). Druck. Batrachomiomachia Homeri | Philymno interprete | Et Eulogia funebria. […]. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, 1513. VD 16, H 4610. 3. Liber minerali-|um Domini Alberti Magni [...]. Oppenheim: [Jakob Köbel], 1518. VD 16, A 1341. Drei Geleitgedichte.
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Literatur. C. Krause, Euricius Cordus. Eine biogr. Skizze a. d. Reformationszeit, 1863, S. 32⫺ 36; ders. (Hg.), Euricius Cordus, Epigrammata (1520) (Lat. Litteraturdenkmäler d. XV. u. XVI. Jh.s 5), 1892, S. V⫺XXV; 90⫺111; J. Bolte, Thiloninus Philymnus, in: ADB 38, 1894, S. 43; G. Bauch, W. Schenck u. N. Marschalk, ZfB 12 (1895) 354⫺409, bes. S. 391⫺396; ders., Die Anfänge d. Studiums d. griech. Sprache in Norddtld., Mitt. d. Ges. f. Erziehungs- u. Schulgesch. 6 (1896) 47⫺98, 163⫺193, bes. S. 82⫺92; ders., Die Einführung d. Hebr. in Wittenberg, Monatsschr. f. Gesch. u. Wiss. d. Judentums 48 (1904) 145⫺160, 461⫺490 u. ö., hier S. 147 f., 488; ders., Erfurt, S. 315, 368; A. Schnizlein, Ein Brief d. Thiloninus Philymnus, Zs. f. d. Gesch. d. Unterrichts u. d. Erziehung 1 (1911) 96⫺98; W. Friedensburg, Gesch. d. Univ. Wittenberg, 1921, S. 79⫺81; Ellinger, Neulat. Lit., Bd. 2, S. 62 f.; O. Deneke, Ein Göttinger mit Luther in Worms, Neues Göttinger Jb. 2 (1929) 81 f.; K. Schottenloher, Der Poet Th. C. u. Joh. Werlich, d. Drucker d. Wormser Ediktes gegen Luther, Gutenberg-Jb. 25 (1950) 193⫺195; H. Volz, Der Humanist T. C. aus Göttingen. Ein Beitr. z. Thema: Humanismus u. Reformation, Zs. d. Ges. f. niedersächs. Kirchengesch. 65 (1967) 76⫺116 (mit aller Lit.); Michael, Drama, S. 265 f.; Grossmann, Wittenberg, S. 96⫺ 98; Junghans, Der jg. Luther, S. 59 f.; G. Mˆncke, Der hess. Humanist Euricius Cordus u. d. Erstausg. seines ‘Bucolicon’, Daphnis 14 (1985) 65⫺ 98, hier S. 82⫺86; Kleineidam, Erfurt 2II, S. 193 f., 204; R. Tenberg, Die dt. Till Eulenspiegel-Rezeption bis z. Ende d. 16. Jh.s (Epistemata 161), 1996, S. 43⫺54, 59⫺65.
J. Klaus Kipf
Cordus, Euricius Inhalt. I. Leben. – II. Werk. A. Poetische Schriften. 1. ‘Quattuor hereticorum querimonia’. 2. ‘Bucolicon’. 3. Threnodie auf Landgraf Wilhelm von Hessen. 4. ‘Expiatorium poema’. 5. ‘Contra Thiloninum defensio’. 6. ‘Ex nosematostichis elegiae duae’. 7. Threnodie auf Erasmus und Palinodie. 8. ‘Gratulatio’ / ‘Antilutheromastix’. 9. Mahnschrift an Kaiser Karl V. 10. Epigramme. – B. Medizinische Schriften. 1. ‘Regiment’ wider den Englischen Schweiß. 2. Lateinische Versifikation von Nikanders Lehrgedichten. 3. Theriakbüchlein. 4. ‘Botanologicon’. 5. Schrift über die Harnschau. 6. Büchlein von der Steinkrankheit. – III. Würdigung. – Literatur.
I . L eb en . Als 13. und letztes Kind eines (aus Hallenberg/Westf. stammenden?) Müllers na-
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mens Kunz (Konrad [Cort, Cord]) und seiner Frau Gela 1486 im oberhessischen Simtshausen bei Marburg geb., verbrachte C. in diesem Dörfchen seine Kindheit, bevor er im nahegelegenen Frankenberg und wahrscheinlich auch in Marburg den elementaren Schulunterricht erhielt. Obgleich sich ein anschließender Universitätsbesuch nicht nachweisen läßt, erlangte C. offenbar im Frühjahr 1507 in Erfurt den Grad eines Baccalaureus artium (sofern der im Bakkalarenregister der dortigen Artistenfakultät verzeichnete Henricus Conradi Hambelburgii ex Franckenberg [Schwinges/Wriedt, S. 287] tatsächlich mit C. identisch ist). Vermutlich 1508 heiratete er die damals als Erzieherin am Landgrafenhof in Kassel tätige Frankenbergerin Kunigunde Dunwat oder Do(e)n(e)wa(i)t (Dünn[e]wald); aus dieser Ehe gingen drei Töchter und fünf Söhne hervor, von denen der früh verstorbene Valerius (1515–1544) als Naturforscher berühmt geworden ist, während sich die jüngste Tochter Juliana mit dem als Verfasser des ‘Grobianus’ bekannten Friedrich Dedekind vermählte. Von etwa 1509 bis 1511 Rektor der Altstadtschule in Kassel, dann bis 1512 landgräflicher Rentschreiber in Felsberg, wandte sich C. 1513 erneut nach Erfurt, wo er 1516 die Magisterwürde erwarb, an der Universität Vorlesungen hielt und – wie der ihm wohl schon seit der gemeinsamen Schulzeit freundschaftlich verbundene Eobanus J Hessus – dem Humanistenkreis um J Mutianus Rufus angehörte. Der Gothaer Kanonikus war es im übrigen auch, der C.’ latinisierten Vornamen Ricius (aus mundartlich ‘Ritze’ [Heinrich]) in Euricius (guter Heinrich) umwandelte, wohingegen sich den (vielleicht nur den väterlichen Kurznamen [Cord] latinisierenden) Humanistennamen Cordus (der Spätgeborene) der angehende Dichter selbst beigelegt hat (die früheren Identifizierungen mit Urban, Eberwein und insbesondere Solde haben sich allesamt als falsch erwiesen!). Da ihm die fakultative Lehrtätigkeit indes kaum etwas eintrug und sich die anscheinend gehegte Hoffnung auf eine feste Anstellung an der Univ. Leipzig nicht erfüllte, veranlaßten ihn ständige Geldnot und die Sorge
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um seine wachsende Familie, 1517 (oder 1518) das Amt des Rektors an der Erfurter Marienstiftsschule zu übernehmen. Jedoch reichten seine Einkünfte auch dann nicht aus, so daß sich C. zum Studium der Medizin entschloß – eine Entscheidung, die wohl allein aufgrund der zwingenden Notwendigkeit, einen Brotberuf zu erlernen, zustande kam. Zum Abschluß der Studien begab sich C. als Begleiter seines Gönners Georg Sturz 1521 nach Ferrara, wo er den Unterricht des Nicolo` Leoniceno und des Giovanni Manardo genoß und ihn ersterer bereits im Herbst desselben Jahres zum Doctor medicinae promovierte. Wieder in Erfurt, versuchte er vergeblich, in Goslar ein Unterkommen zu finden, bevor er 1523 – gegen den Rat seiner Freunde – die Stelle eines Stadtarztes in Braunschweig antrat; dort stieß der überzeugte Anhänger Luthers jedoch bald auf Widerstand, weshalb ihm der Aufenthalt in der damals noch durchweg katholischen Stadt, deren Bürger zudem seine Dienste wenig in Anspruch nahmen, mehr und mehr verleidet wurde. 1527 gab C. daher diese Position auf, um dem Ruf Landgraf Philipps auf den Lehrstuhl für Medizin an der im selben Jahr gegründeten Univ. Marburg zu folgen. Dieses Angebot – das ihn zu einem Zeitpunkt erreichte, als er in Emden bei dem erkrankten Grafen von Ostfriesland Edzard I. weilte – führte zweifellos die entscheidende Wendung in seinem Leben herbei, die ihm nicht nur die Rückkehr in seine Heimat ermöglichte, sondern ihn zumindest vorerst auch der finanziellen Sorgen enthob. V. a. aber stellen die Marburger Jahre den Höhepunkt in C.’ beruflicher Karriere dar, der nicht zuletzt in der zweimaligen Wahl zum Rektor der Alma mater seinen Ausdruck fand. Gleichwohl erwies sich auch in der Stadt an der Lahn der Friede nicht von Dauer. Hatte sich C. in Braunschweig hauptsächlich aus konfessionellen Gründen Feinde gemacht, so waren es in Marburg seine wissenschaftlichen Ansichten wie seine leicht reizbare, unduldsam-schroffe Wesensart, derentwegen er mit einem Teil seiner Universitätskollegen in Streit geriet, wobei die ständigen Zwistigkeiten gegen Ende seines Aufent-
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Cordus, Euricius
halts in den Auseinandersetzungen um seine Wohnung kulminierten. Obgleich er bis zuletzt versuchte, diesen vermeintlichen Besitz zu behaupten, mußte er schließlich nachgeben, zumal ihn seine Widersacher darüber hinaus aller möglichen Vergehen beschuldigten. Verbittert und schon kränklich nahm C. deshalb zu Ostern 1534 seinen Abschied, um fortan als Stadtarzt und Gymnasiallehrer in Bremen zu wirken, wo er jedoch – kaum 50 Jahre alt – bereits (am 24.[?] Dez.) 1535 gestorben ist. Seine Grabstätte an der Liebfrauenkirche hat sich nicht erhalten. I I. We rk . In C.’ literarischem Schaffen läßt sich nicht nur in sachlicher, sondern auch in zeitlicher Hinsicht eine Zweiteilung erkennen. Demnach sind die Erfurter und Braunschweiger Jahre ausnahmslos von rein poetischen (anfangs vorwiegend lyrischen) Werken geprägt; hingegen hat sich C. in Marburg und Bremen – von den letzten sechs Büchern seiner Epigramme abgesehen – nur noch als medizinischer Autor betätigt, womit zugleich ein Wechsel von der lat. Poesie zur dt. Fachprosa verbunden war. Nachfolgend sind C.’ Schriften in chronologischer Reihung aufgeführt, von denen zwei der vorab genannten (Weihnachtshymnus, Stadtlob auf Goslar) sowie die im einzelnen unter A.2.⫺5., 7. (Palinodie), 10. und B.2. vorgestellten auch in die postumen Ausgaben seiner ‘Opera poetica’ (s. u. A.10.) aufgenommen wurden. A . P oe ti sc he Sc hr if te n. Vorab seien summarisch einige kleinere Veröffentlichungen genannt, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Dabei handelt es sich einmal um ein 1515 erschienenes Hochzeitsgedicht zur Vermählung des Eobanus Hessus mit Katharina Spater, zum anderen um ein an Hermann Graf von J Neuenahr gerichtetes Carmen, einen Weihnachtshymnus und einen anläßlich von Luthers Auftritt in Worms verfaßten Jubelruf, die allesamt 1521 gedruckt wurden; das (in der zweiten Ausgabe von C.’ poetischen Werken [1564] nicht enthal-
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tene!) Stadtlob auf Goslar (s. Schmidt, 1988, S. 308 f.) ist dagegen 1522 erstmals publiziert worden. Drucke. Epithalamium in | Nuptias Helii Eobani Hessi et | Thrynae Spateranae a Ri⫽|cio Cordo aeditum | [...]. [Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1515]. VD 16, C 5082. – Ad generosum et literis admirabilem Heroa Hermannum Comitem de Nuenar Carmen. [Köln: (?), 1521]. VD 16, C 5067. – Jn natalem christi | Hymnus | Euricio Cordo au⫽|thore. Erfurt: [Matthes Maler], 1521. VD 16, C 5088. – Iubilum Euricii Cordi Reveren| do patri doctori Martino Luthero, Vor|matiam ingredienti acclamatum [...], in: Doctoris Martini | Lutheri oratio coram Caesare | Carolo, [...] in con|ventu Imperiali Vormaciae | die XVIII. Aprilis [...] habi|ta M.D.XXI. [Hagenau: Th. Anshelm, 1521]. VD 16, C 5089. – Doctoris Eu⫽|ricij Cordi de laudibus | et origine Gosolarie | Sylva | […]. Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1522. VD 16, ZV 19697.
1. ‘Quattuor hereticorum querimonia’ (1509). Veranlaßt durch den Feuertod der 1509 im Zusammenhang mit dem sog. Jetzerprozeß in Bern verurteilten vier Dominikaner erschien an einem fingierten Druckort (Impressum in Nova civitate Hispanie) und ohne Datum eine anonyme lat. Schrift, die aus drei Teilen besteht. Davon bietet der letzte 17 Epitaphien, die eindeutig von C. stammen und die er unter Verzicht auf das 17. auch in das erste Buch seiner Epigramme (in der Ausgabe von 1520!) aufgenommen hat. In der Prosavorrede wird die Anonymität der Verfasserschaft hingegen durch einen Eustachius Cornelius Bernensis begründet, bei dem es sich gleichfalls um C. handeln könnte, da er diesen Namen in sehr ähnlicher Form (Eustathius Cornelius) noch 1528 gebrauchte. Es liegt deshalb die weitere Vermutung nahe, daß die den mittleren Teil ausmachende poetische ‘Klage der vier in Bern verbrannten Ketzer aus der Unterwelt an ihre überlebenden Ordensbrüder’ ebenso C. zum Autor hat (s. Schmidt, 1997, S. 434), dem damit (wie schon von Jˆcher, Gel.-Lex., 1. Teil, 1750, Sp. 2096, vermerkt) die Schrift insgesamt und zugleich – das angenommene Druckdatum vorausgesetzt – als seine allererste Publikation zukäme.
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Druck. Quattuor hereticorum ex Predicatorum | ordine Berne combustorum apud | Jnferos ad superstites fratres | Querimonia. | Cum variis eorundem Epitaphiis. [Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1509]. VD 16, C 5096.
2. ‘Bucolicon’ (1514). Als ausgewiesen erstes Werk veröffentlichte C. – angeregt durch die 1509 erschienene, ihm weitgehend als Muster dienende Hirtendichtung des Eobanus Hessus – 1514 sein aus zehn (mit einer Ausnahme) dialogischen Eklogen bestehendes ‘Bucolicon’, mit dem er sich nachhaltig als Poet, aber auch schon als Zeitkritiker etablierte. Kurz vorher wurde die – der literarischen Fehde mit Tilmann J Conradi (s. A.5.) gewidmete – 10. Ekloge (in ihrer ursprünglichen Fassung!) auch separat gedruckt, während 1518 eine zweite, um fast 330 Verse auf insgesamt über 1800 Hexameter vermehrte und nicht zuletzt aufgrund von Mutianus’ Tadel umgearbeitete Ausgabe des ‘Bucolicon’ erfolgte, die sich sowohl in der Anordnung der Eklogen als auch in deren inhaltlicher Gestaltung beträchtlich von der ersten Version unterscheidet. Obschon sich C. durchaus in der Tradition Theokrits und insbesondere Vergils sah und sich u. a. an Calpurnius Siculus und Nemesian, ferner an dem zu seiner Zeit sehr einflußreichen Baptista Mantuanus orientierte, hebt sich sein – in beiden Textfassungen dem jungen Landgrafen Philipp von Hessen dediziertes – Werk von der sonst üblichen idyllischen Bukolik in weiten Teilen durch die Aktualisierung der herkömmlichen Gattungsthemen sowie eine ungewohnt realistische Darstellung der hauptsächlich in Hessen angesiedelten kleinbäuerlichen Welt und der dort verbreiteten Alltagsprobleme ab; deren Schilderung tritt besonders eindringlich in den sozialkritischen (und nicht von ungefähr bis heute in verschiedene Anthologien aufgenommenen) Eklogen 6 und 9 (gemäß der Zählung von 1518) zutage, in denen C. die Ausbeutung und Bevormundung der armen Landbevölkerung durch den Klerus bzw. den seine Macht gleichfalls mißbrauchenden Adel anprangert und damit ein wirklichkeitsnahes Bild von den harten, nach Veränderung drängenden Lebensver-
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hältnissen der notleidenden Bauern entwirft. Das ‘Bucolicon’ und namentlich dessen frühe Fassung sind im übrigen seit den diesbezüglichen Untersuchungen von Mˆncke, Binder/M¸ller und Sch‰fer wieder verstärkt bzw. erstmals in das Blickfeld der (bis dahin nur auf die zweite Ausgabe fixierten) Forschung gerückt; diese hat v. a. den autobiographisch geprägten Hintergrund der genrespezifisch-allegorischen Einkleidung herausgearbeitet, außerdem eine vollständige dt. Übersetzung samt einer Detailanalyse der ersten drei Eklogen (M¸ller) sowie eine kritische, beide Fassungen gegenüberstellende und miteinander vergleichende Neuedition (Paschou) hervorgebracht und schließlich auf die Verbreitung des Werks (inklusive der Separatausgabe der 10. Ekloge) als Vorlesungsdruck (s. Leonhardt, S. 99⫺107) aufmerksam gemacht. Drucke. M. I. Fellifluus ad iuventutem su|am poaetice amoeni candidatam | [...]. Bl. A iir: Decima egloga ex bucolico Ricii | Cordi [...]. [Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1514]. VD 16, C 5075. – Ricij Cordi Sims|susii bucolicon per decem | aeglogas iucundissime | decantatum. | [...]. Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1514. VD 16, C 5073. – Euricij Cordi | Bucolicum | Ludicrum. | [...] Secunda Aeditio. Leipzig: Val. Schumann, 1518. VD 16, C 5074. – Zu weiteren (von der Autorin nur teilweise überprüften!) Drucken s. Paschou, Ausg., S. 12–14. Ausgaben. A. M¸ller, Das Bucolicon d. E. C. u. d. Tradition d. Gattung. Text [nach d. Ausg. v. 1518], Übers., Interpretationen (Bochumer Altertumswiss. Colloquium [BAC] 27), 1997; I. Paschou, E. C., Bucolicon. Krit. u. komm. Ausg. (Hamburger Beitr. z. Neulat. Philol. 1), 1997.
3. Threnodie auf Landgraf Wilhelm von Hessen (1515). Eines seiner ersten Gelegenheitsgedichte verfaßte C. anläßlich des Todes von Landgraf Wilhelm II., bei dessen Bestattung 1509 in Marburg er zugegen war. Darin beklagt er auch das eigene Schicksal, da nunmehr seine Hoffnung auf Förderung durch den Hof hinfällig geworden sei, und appelliert an die Witwe, Landgräfin Anna, das diesbezüglich gegebene Versprechen einzulösen. Das wohl nicht viel später als 1509 geschriebene Trauergedicht erschien 1515 als Einzeldruck, dem ein – 122 Hexa-
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meter umfassendes, vermutlich während C.’ Tätigkeit in Felsberg mit Blick auf die nahegelegene Kartause Eppenberg entstandenes und aus begreiflichen Gründen nachmals nicht in die Ausgaben seiner poetischen Werke übernommenes (s. Mˆncke, S. 77 f.) – Loblied auf den Kartäuserorden beigefügt ist. Druck. Funebris threnodia in mor|tem illustrissimi Hessie | principis Guilielmi Phi|lippi patris Ricio | Cordo Simssu⫽|sio autore | aedita. | Eiusdem de Carthusiana religio⫽|ne Panegyricum. [Erfurt: Matthes Maler, 1515]. VD 16, C 5076.
4. ‘Expiatorium poema’ (1515). Das 1515 mit Widmungsversen des Eobanus Hessus im Druck erschienene Gedicht (s. Wiegand, Hodoeporica, S. 48⫺ 53) beschreibt in realistischer Weise eine Fußwanderung, die C. zu Anfang dieses Jahres von Erfurt nach Simtshausen in Erbschaftsangelegenheiten unternommen und die ihn auf der Rückreise beinahe in Lebensgefahr gebracht hatte, als er in die Fluten der über die Ufer getretenen Schwalm geraten war, in welch unwetterbedingtem Unfall er gleichsam eine Sühne (daher expiatorium) für die bisherige Vernachlässigung seines Seelenheils sah. Entgegen früherer Behauptung, es handle sich bei diesem den hessischen Quellnymphen gewidmeten Poem um eines der ersten Reisegedichte der neulat. Literatur, das bereits alle Gattungsmerkmale aufweise, kann nach neuerer Auffassung indes keine Rede davon sein; vielmehr erscheint das “ohne antikes Vorbild [...] ganz auf die eigene Person und ihren Erlebnishorizont orientierte” Sühnelied “im Kontext der Gattung recht isoliert” (Wiegand, Hodoeporica, S. 317) und hat mit seinen eindringlichen Naturschilderungen in der Folgezeit ebensowenig Nachahmung gefunden wie mit seiner gleichfalls eher vereinzelt dastehenden liebevollen Darstellung des privaten Familienglücks, die lediglich in einigen Details an den Zyklus ‘De amore coniugali’ des Giovanni Pontano als einen verwandten Vorläufer erinnert. Druck. Ricij Cordi Noctur⫽|nae periclitationis hessiati⫽|corum fontium nimphis | sacrum expiatorium | poema | [...]. [Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1515]. VD 16, C 5090.
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5. ‘Contra Thiloninum defensio’ (1515). Nachdem C. den seit 1513 wieder in Erfurt weilenden und von ihm schon früher attackierten Poeten Tilmann Conradi (s. Volz), der sich auch Thiloninus Philymnus nannte, in der 10. Ekloge seines ‘Bucolicon’ (der die inhaltlich abgeschwächte 5. in der zweiten Ausgabe entspricht) erneut angegriffen hatte, antwortete dieser 1515 von Wittenberg aus mit einer ‘Choleamynterium’ betitelten Streitschrift, in der er seinem Kontrahenten u. a. dessen ärmlichbäuerliche Herkunft vorwarf und sich über dessen Namen lustig machte. Daraufhin veröffentlichte wiederum C. eine von Eobanus Hessus mit einer Vorrede und einem Nachwort versehene ‘Verteidigung’, die den schmähsüchtigen Thilonin – seine angebliche Dichtkunst wie seine anmaßend-eitle Wesensart – auf alle nur mögliche Weise der Lächerlichkeit preisgab. Mit dieser Sammlung von 61 Epigrammen wählte C. zugleich diejenige literarische Form, die seinem Talent und Charakter am besten entsprach und der er denn auch bis zu seinem Lebensende treu geblieben ist. Druck. Euricij Cordi con⫽|tra maledicum Thiloni|num Philymnum | defensio | [...]. Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1515. VD 16, C 5077. Ausgabe. K. Krause, E. C., Epigrammata (1520) (Lat. Litt.denkmäler d. XV. u. XVI. Jh.s 5), 1892, S. 90–111.
6. ‘Ex nosematostichis elegiae duae’ (um 1516 oder 1520). Von den beiden im Winter 1516 während einer längeren Krankheit (daher ex nosematostichis) entstandenen, doch wohl erst um 1520 (nach Krause, 1891, S. 118, allerdings bereits Ende 1516!) gedruckten Elegien hat C. die eine an seine Schüler gerichtet, die er auf diesem Wege zu Verantwortung, Fleiß und Strebsamkeit ermahnt, nicht ohne ihnen auch entsprechenden Lohn zu verheißen; das andere, gleichfalls Literatur und Wissenschaft seiner Zeit sowie Erasmus als Bezwinger der Barbarei und splendida lux feiernde ‘Leidensgedicht’ war dagegen als eine Art Vermächtnis seinen kleinen Söhnen zugedacht, denen C. einerseits klagend den eigenen bescheidenen Bildungsgang und seine materielle Armut schildert, andererseits aber
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auch die stets Freude, Trost und Gewinn spendende Poesie als einzig wahren, unvergänglichen Schatz vor Augen führt. Druck. Euricij Cordi | ex Nosematostichis | Elegiae Duae | Altera ad discipulos altera ad Filios | ut addiscant | [...]. Erfurt: Matthes Maler, [um 1520]. VD 16, C 5084. ⫺ Neuabdruck mit dt. Übers. bei Krause, 1891, S. 114–117.
7. Threnodie auf Erasmus und Palinodie (1519). Zu Beginn des Jahres 1519 verbreitete sich das Gerücht vom Tod des Erasmus, woraufhin C. ein aus 136 Versen bestehendes und zahlreiche Anklänge an Ovid und Vergil aufweisendes Trauergedicht verfaßte, das – obwohl sich die Nachricht schon bald als falsch herausstellte – auch gedruckt wurde. Hatte C. in diesem (lange Zeit verloren geglaubten) carmen elegiacum, das nicht zuletzt in die Hände des Totgesagten selbst gelangte, dessen Verlust beklagt und den divus Erasmus in den Himmel erhoben, so gab er wenig später in einem poetischen Widerruf – der ebenfalls 1519 veröffentlichten ‘Palinodia’ (s. Dilg, 1971/72) – seiner Freude darüber Ausdruck, daß jener noch lebe und ihm sogar ein persönliches Schreiben habe übermitteln lassen: ein Umstand mehr, den allenthalben geradezu abgöttisch verehrten doctrinae princeps enthusiastisch zu preisen, dessen anfängliche Bewunderung nachmals freilich stark abgekühlt ist (zu C.’ Epigrammen an oder über Erasmus s. Vogel, S. 31–33; zu dessen Einfluß auf C. als literarisch-sprachliches Vorbild s. HuberRebenich).
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vermutlich Anfang 1522 einen an den Fürsten gerichteten Glückwunsch, mit dessen Publikation er möglicherweise auch die Hoffnung auf eine Anstellung verband. Drei Jahre später gab C. das Gedicht – nunmehr von ursprünglich 146 auf 762 Hexameter erweitert und mit einem empfehlenden Vorwort von Melanchthon versehen (s. Dilg, 1999, S. 854–857) – erneut heraus, wobei er zugleich im Titel die ‘Gratulatio’ durch das (in ähnlicher Form schon 1521 von Eobanus Hessus verwendete) Wort ‘Antilutheromastix’ substituierte. Demgemäß beinhaltet das Epos (s. Br‰uer) nach dem einleitenden Herrscherlob im wesentlichen die Auseinandersetzung mit den Feinden Luthers, darunter Karlstadt und v. a. Müntzer, denen die Bekenner des wahren Glaubens positiv gegenübergestellt werden, ohne daß C. auf die von den Widersachern des Reformators aufgeworfenen Probleme näher eingeht. Die Wirkung dieser – im übrigen “nicht nur der tendenziösen Konfessionspolemik, sondern auch der humanistischen imitatio und aemulatio” (Hamm, S. 95), mithin der antiken Poesie verpflichteten – Schrift läßt sich sowohl an der Reaktion des katholischen Kontroverstheologen Hieronymus J Emser, der 1526 zum literarischen Gegenschlag ausholte, ablesen als auch an zwei voluminösen Dichtungen (1539) des ebenfalls romtreuen Henning Pyrgallus, bei denen die ‘Geißel der Lutherfeinde’ deutlich mit Pate gestanden hat.
Drucke. Erasmus Rotero⫽|damus obiisse | creditus ab | Euricio | Cor⫽|do | defletur | Eiusdem ad Eo⫽|banum Hes⫽|sum elegi|ae du⫽|ae. Erfurt: [Matthes Maler], 1519. VD 16, C 5066. – Euricij Cordi | contra quod mortuum | Erasmum scripsit | Palinodia. Erfurt: Matthes Maler, [1519]. VD 16, ZV 3870. – Neuabdruck d. Threnodie bei Schmidt, 1987, S. 120–125.
Drucke. Ad Jllustrissimum | Principem Ioannem Frideri⫽|chum Saxoniae ducem, quod | et ipse renascentem iam | Evangelij | synceritatem agnoscit et | tuetur Euricij Cordi Gratulatio. [Erfurt: Matthes Maler], 1522. VD 16, C 5068. – Ad il|lustrisimum prin⫽|cipem Ioannem | Fridericum du|cem Saxoniae | provinci⫽|alem co⫽| mitem | Thuringiae et Misniae | Marchionem Antiluthero⫽|mastix Authore Euricio Cordo | Medico. Wittenberg: Jos. Kluge, 1525. VD 16, C 5069.
8. ‘Gratulatio’ / ‘Antilutheromastix’ (1522/1525). Motiviert durch das Lob, das Johann Lang der Frömmigkeit und evangelischen Gesinnung des jungen Kurprinzen Johann Friedrich von Sachsen zollte, verfaßte C.
9. Mahnschrift an Kaiser Karl V. (1525/ 1527). Für Luther und die reformatorische Bewegung engagierte sich C. auch in der – ebenso wie die ‘Antilutheromastix’ 1525 in Wittenberg veröffentlichten – Mahnschrift
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an Karl V. und die deutschen Fürsten, zu der Melanchthon wiederum ein Vorwort beigesteuert hat. In diesem mehr als 1500 Hexameter umfassenden Appell, die wahre Religion nun endlich anzuerkennen, wird der Kaiser zunächst vor den trügerischen Machenschaften des Papstes gewarnt und Luther namentlich gegen den Vorwurf in Schutz genommen, seine Lehre rühre das Volk wider die Obrigkeit auf, ehe C. kritisch die von den Altgläubigen für ihr Verbleiben in der katholischen Kirche vorgebrachten Gründe erörtert, um abschließend unter Hinweis auf die schnelle Ausbreitung der Reformation und die Standhaftigkeit ihrer Bekenner einmal mehr dazu aufzufordern, sich für die Sache Luthers zu erklären. 1527 ließ C., der mittlerweile den Ruf nach Marburg erhalten hatte, diese ‘Exhortatio’ (unter Austausch des Titelwortes gegen ‘Paraeneticon’) nochmals drucken, und zwar – da wohl als Festschrift zur Universitätseröffnung am 30. Mai desselben Jahres gedacht – um einen Anhang vermehrt, in dem er zunächst allgemein den Wert der Wissenschaften und sodann insbesondere das Beispiel Philipps von Hessen als vorbildlich preist, dessen neue Hochschule nun auch dankbar angenommen werden solle (s. Dilg, 1977, S. 95–99). Drucke. Ad in|victissimum impe|ratorem Caro⫽|lum Quintum Caesarem Augu|stum Aliosque Germaniae Proce⫽|res, ut veram tandem Reli⫽|gionem agnoscant Exhor|tacio cum | praefixa ad Phi⫽|lippum Haessiae Principem | praefatione Per Euri|cium Cordum. Wittenberg: Jos. Kluge, 1525. VD 16, C 5070. – Ad invictissi|mum Imperatorem Carolum | quintum Caesarem Augu⫽|stum: reliquosque Germaniae | proceres pro agnoscenda ve|ra religione Paraeneticon | per Euricium Cordum | Medicum. | Adiecto auctario de instau|randis et conservandis literis | et novo Marpurgen⫽|si Gymnasio. Marburg: Joh. Loersfeld, 1527. VD 16, C 5071.
10. Epigramme (1517/1520/1529). Im Urteil der Nachwelt wurde und wird C. stets als Poet gewürdigt, der “seine bedeutendsten Leistungen auf dem Felde der epigrammatischen Dichtung aufzuweisen hat” (Krause, 1892, S. III), mit dem sich “kein neulateinischer Dichter [...] auf diesem Ge-
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biete vergleichen” kann (Ellinger, Neulat. Lit., Bd. 2, S. 24) und dessen Epigramme nach wie vor “zum Kanon der neulateinischen Literatur” gehören (Schmidt, 1988, S. 307), weshalb sie denn auch in mehr oder minder reicher Auswahl bis heute in fast alle einschlägigen Anthologien aufgenommen wurden. Und in der Tat beruht C.’ Ruhm nahezu ausschließlich auf diesen – z. T. noch von Lessing als Vorlage für manche seiner ‘Sinngedichte’ (s. Haug; Albrecht) benutzten – ca. 1300 meist satirischen Epigrammen, die (im wesentlichen chronologisch angeordnet) insgesamt 13 Bücher umfassen und (bis auf einige Ausnahmen) vollständig erst nach des Autors Tod erschienen sind. Angesichts der thematischen Bandbreite, der Vielzahl an Adressaten und sonst erwähnten Personen sowie der Fülle verschlüsselter Anspielungen entzieht sich C.’ Epigrammwerk – in dem “wir den eigentlichen Spiegel seiner äußeren und inneren Entwicklung zu sehen” haben (Vogel, S. 8) – freilich einer bündigen Charakterisierung und läßt sich inhaltlich allenfalls auf drei große (nicht immer voneinander zu trennende) Bereiche: den privaten, den wissenschaftlich-literarischen und den religiösen konzentrieren. So unterrichten diese Gedichte, deren Bücher I⫺V in Erfurt, VI⫺VII in Braunschweig und VIII⫺XIII in Marburg bzw. Bremen entstanden sind, zunächst rein vordergründig über die einzelnen Stationen von C.’ Lebensweg und damit verbundene große und kleine Ereignisse, heitere und traurige Situationen; v. a. aber machen sie uns mit den Menschen vertraut, die C. mehr oder minder häufig mit Versen bedacht hat: darunter nicht zuletzt seine Freunde, zu denen insbesondere sein Wohltäter Georg Sturz (Opercus) und sein hessischer Landsmann Eobanus Hessus, ferner Johann Lang, Martin Hune, Johannes Drach, Christoph Hacke, Justus Jonas und Kaspar Schalbe sowie Hermann J Buschius, Adam Krafft, Erhard Schnepf, Antonius Niger und Petrus Nigidius gehörten (C.’ Briefkorrespondenz, aus der bislang nur wenige Zeugnisse bekannt geworden sind, gilt es erst noch aufzufinden!).
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Äußert sich der Dichter in diesen teils überaus humorvollen, teils anzüglich-hintersinnigen, mitunter auch sehr warmherzigen Epigrammen gleichsam als Privatperson, so tritt er uns in vielen anderen als Humanist und damit als scharfzüngiger Kritiker eines veralteten Lehrbetriebs und rückständiger Professoren entgegen, die sich der streitbare Mann deshalb ebenso zum Feind machte wie manche Poeten und Arztkollegen, denen er mangelnde Begabung bzw. berufliche Unfähigkeit vorwarf. Die als Repräsentanten mal. Barbarei und überholter Anschauungen meist schonungslos attackierten und als sophistae geschmähten Zeitgenossen werden in den Epigrammen allerdings selten – wie etwa im Fall des Erasmus-Gegners Edward Lee – eindeutig benannt, sondern verbergen sich in der Regel unter Decknamen, sofern die Anrede nicht ohnehin nur In quendam [...] lautet. In diesem seinem humanistisch fundierten Einsatz für eine erneuerte, d. h. von den scholastischen Fesseln und jeglichem religiösen Dogmatismus befreite Wissenschaft wußte sich C. im übrigen mit Melanchthon einig, dem er denn auch eine Reihe von Epigrammen gewidmet hat (s. Dilg, 1999). Neben den Auseinandersetzungen auf literarischem und wissenschaftlichem Gebiet waren es schließlich v. a. und immer wieder die klerikalen Mißstände, die den Dichter in seinem unermüdlichen (wenngleich nicht vorbehaltlosen) Kampf für Luther und die Reformation zu zahllosen Epigrammen herausforderten; diese richten sich zum einen wider das verderbte Rom, den Papst und die katholischen Bischöfe, prangern zum anderen – nach bekannten Vorbildern – die heuchlerischen, raffgierigen und sittenlosen Mönche (insbesondere die Franziskaner) an und üben nicht zuletzt an gewissen liturgischen Entartungen, dem Wunderglauben und der Heiligenverehrung Kritik: Themen, in deren poetischer Verarbeitung C.’ ganze satirische Kunst, sein Witz und seine Ironie, sein Haß und seine Empörung zweifellos das reichste und wichtigste Betätigungsfeld gefunden haben.
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Insgesamt betrachtet wäre es allerdings verfehlt, wollte man demnach in C. nur einen streitsüchtigen Choleriker und notorischen Spötter sehen; denn wenn der unbeugsame Starrkopf auch bisweilen in seiner Polemik zu weit ging und namentlich in Ausbrüchen sehr persönlichen Unmuts die Dinge übertreibend verzerrte, so darf dies doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß seinem Epigrammwerk im Grunde ein moralisch-ernster, zudem stark religiös geprägter Charakter innewohnt, dem trotz anhaltend kämpferischer Leidenschaft und beißender Spottlust die Empfindung tiefer Melancholie nicht fremd war und der sich v. a. unbedingter Wahrheitsliebe verpflichtet wußte, aus der heraus C. letztendlich sein Selbstverständnis als vates gewann. Gleichwohl sind die Gedichte keineswegs als einzigartig zu werten, zumal sie in formaler Hinsicht (obschon ihr Vokabular andererseits den ganzen Reichtum des alten Lateins ausgeschöpft hat) durchaus Mängel erkennen lassen (s. IJsewijn). Auch was C.’ antike Vorbilder – insbesondere Martial, daneben Catull, Ausonius u. a. – betrifft, unterscheidet er sich nicht von seinen humanistischen Vorläufern und Zeitgenossen, die im übrigen manche der von ihm behandelten Themen sprachlich eleganter und stilistisch anspruchsvoller gestaltet haben. Was hingegen C. auszeichnet, ist einmal der beeindruckende Umfang seines epigrammatischen Werks, zum anderen das darin entworfene, ungewöhnlich breitgefächerte und farbig-lebendige Bild seiner Zeit, das somit in der Retrospektive einen kulturhistorisch bedeutsamen Beitrag zur Sozial-, Universitäts- und Reformationsgeschichte liefert. C. selbst hat 1517 und 1520 die ersten zwei bzw. drei und 1529 neun Bücher seiner Epigramme publiziert, wohingegen die letzten vier aus seinem Nachlaß stammen und alle 13 Bücher zusammen somit erst postum im Rahmen seiner ‘Opera poetica’ veröffentlicht wurden; diese sind zunächst wohl 1550 in Leipzig und dann 1564 in Frankfurt a. M. erschienen, während 1614 Heinrich Meibom (auf Veranlassung von C.’ Urenkel Johannes Lüders) in Helmstedt eine weitere Ausgabe (mit einer
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selbstverfaßten ‘Vita Euricii Cordi’) besorgte, die dort 1616 nochmals herauskam. Außerdem finden sich C.’ Epigramme – wenngleich unvollständig – nebst einigen anderen seiner Werke in Jan Gruters ‘Delitiae Poetarum Germanorum [...] Pars II’ von 1612. Die einzige neuere Edition geht auf Krause zurück, der 1892 als vorläufige “Abschlagszahlung” allerdings nur die ersten drei Bücher (1520) samt den Epigrammen gegen Thilonin (1515) wieder zugänglich machte. Im übrigen hat C. seinerzeit bestimmte Gedichte auch separat veröffentlicht bzw. im Verein mit anderen Autoren zu Sammelpublikationen beigesteuert, deren Drucke in der nachfolgenden Bibliographie ebenso aufgeführt sind wie die oben genannten Ausgaben seiner poetischen Werke. Drucke. Euricii Cordi Epigramma de laude florentissimae | Academiae Erphurdianae | [...], in: [...] Hermanni Buschii [...] epigramma ad | iuventutem [...]. [Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1516]. VD 16, C 5078. – Euricii Cordi | Epigrammatum | libri duo | [...]. Erfurt: Matthes Maler, 1517. VD 16, C 5079. – Euricii Cordi | Epigrammatum | libri | III. Erfurt: Matthes Maler, 1520. VD 16, C 5080. – Jn Eduardum | Leeum quorundam e so⫽| dalitate literaria Er⫽|phurdiensi, Erasmici no|minis studiosorum | epigrammata, | [...]. [u. a. von C.]. Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1520. VD 16, E 79 u. 80. – In lau|dem illustris⫽|simi Hessorum pr⫽|incipis Philippi ali|quot Epigrammata | Euricio Cordo | auctore. Marburg: [Joh. Loersfeld], 1527. VD 16, C 5087. – Literarii | Sodalitii A⫽| pud Marpurgum aliquot | cachinni super quo | dam duorum Ly⫽|psensium Po⫽|etarum | in Lutherum | scripto Libello | effusi [Hauptverfasser C.]. Marburg: [Franz Rhode], 1528. IA 144.751. – Euricii | Cordi | Epigrammatum | Libri IX. Marburg: Franz Rhode, 1529. VD 16, C 5081. – Euricii | Cordi Simesusii Ger⫽|mani, poetae lepidis⫽|simi, opera poetica omnia, iam | primum collecta, ac posteritati | transmissa. | [...]. [Leipzig: Val. Papst 1550?]. VD 16, C 5064 [MikroficheAusg. München u. a.: Saur, 1991]. – Opera poetica | Euricii | Cordi Simesusii | Germani, scriptoris omni⫽|um festivissimi ac disertissimi, quaecunque | usquam prodierunt, in unum corpus | collecta, et ad postremam auto⫽|ris recognitionem diligen⫽|tissime elaborata. | [...]. Frankfurt a. M.: Chr. Egenolffs Erben, 1564. VD 16, C 5065. – Delitiae | Poetarum Ger⫽|manorum huius su⫽|periorisque aevi | illustrium | Pars II. | Collectore | A.F.G.G. [⫽ Jan Gruter]. Frankfurt a. M.: Nik. Hoffmann, 1612, S. 638–932 [darin
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auch II.A.2.⫺4., 7. (Palinodie) u. d. Weihnachtshymnus]. – Euricii | Cordi, | Simesusii, | Hessi, | Opera poetica | Quotquot exstant, antehac ab auctore, | nunc vero postquam diu a multis deside⫽|rata fuere, denuo luci | data | cura | Henrici Meibomii, | [...]. Helmstedt: Jak. Lucius, 1614 (erneut ebd. 1616). ⫺ Zu den (teilweise später erschienenen) Sammelpublikationen, die Beiträge von C. enthalten, s. VD 16, Bd. 23, S. 157 (s. v. Cordus, Euricius). Teilausgabe. K. Krause, 1892 (s. u. A.5.).
B . Med iz in is ch e S ch ri ft en . Im Gegensatz zu den meisten Humanistenärzten hat sich C. – von seiner Nikander-Bearbeitung einmal abgesehen – als Übersetzer, Kommentator oder Herausgeber antiker Texte bezeichnenderweise nicht betätigt. Er gehört deshalb auch nicht in die Reihe der sog. philologischen Mediziner, sondern vielmehr zu den Praktikern, denen es in erster Linie um die aktuellen Probleme zu tun war; dieser Ausrichtung entsprechen somit die Themen, die von C. als Arzt in seinen dt. Schriften behandelt, in ähnlicher Form freilich auch von anderen Autoren seiner Zeit erörtert worden sind. Die einzige Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang das lat. abgefaßte ‘Botanologicon’ dar, das sich allein schon aufgrund seiner eigenwilligen literarischen Gestaltung von den sonst üblichen Kräuterbüchern abhebt, darüber hinaus aber v. a. durch seinen methodisch neuen Ansatz der damals noch als medizinische Hilfsdisziplin fungierenden Pflanzenkunde den Weg zu einer selbständigen Wissenschaft vorgezeichnet hat. 1. ‘Regiment’ wider den Englischen Schweiß (1529). Die erste Publikation des Arztes C. (und zugleich der erste medizinische Druck aus Marburg) ist eine schmale Schrift, die am 4. Sept. 1529 in der Offizin des Franz Rhode erschien und im selben Jahr – auch andernorts – noch mehrfach nachgedruckt wurde. Der dringliche Anlaß für dieses eilig verfaßte tractatlin war jene von England ausgehende, u. a. durch heftige Schweißausbrüche gekennzeichnete Epidemie gewesen, die 1529 auf den Kontinent übergriff und hier v. a. in Deutschland auf-
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trat. In seinem ‘Regiment’ erklärt C. zunächst Art und Eigenschaften der ungehorten schrecklichen kranckheit, bevor er hauptsächlich Sofortmaßnahmen zur Prophylaxe und Therapie empfiehlt: Purgation durch Schwitzkuren, ferner Aderlaß und eine entsprechende Diät sowie den Einsatz etlicher Arzneien, wofür er verschiedene Rezepte angibt, und dies zu teutsch [...] das ein yder yhm selbst mache, falls er die Ingredienzien bekommen konnte. Damit bietet C.’ Text (als einer von vielen) zwar “nichts wesentlich Neues und Bemerkenswertes”, zeigt aber genug “Maß, Verstand und Überlegung” (Mann, Ausg., S. 11), um in einer akuten Notsituation einem breiten Publikum die damals mögliche Hilfe zu leisten. Drucke. Ein Regiment: | Wie man sich vor der Newen Pla⫽|ge, Der Englisch schweis genant, be⫽|waren, Und so man damit ergrieffen | wird, darynn halten sall, Durch | Euritium Cordum, Der | Artzney Doctorem | und Professo⫽|rem zu | Marpurg. Marburg: [Franz Rhode], 1529. VD 16, C 5098. – Zu weiteren Ausgaben (Augsburg, Nürnberg, Straßburg, Tübingen, Würzburg) dieses meistgedruckten von C.’ Werken s. VD 16, C 5097, 5099⫺5104 u. ZV 3871 f. ⫺ Eine bisweilen (u. a. von Jˆcher, Gel.-Lex., 1. Teil, 1750, Sp. 2096) erwähnte lat. Fassung dieser Schrift (‘Libellus de sudore Anglico, calculo et peste’) existiert nicht. Ausgaben. Ch. G. Gruner, Scriptores de sudore anglico superstites, ed. H. Haeser, Jena 1847, S. 73–92; G. Mann, E. C. Der Englische Schweiß 1529 [Faksimile], 1967.
2. Lateinische Versifikation von Nikanders Lehrgedichten (1532). 1531 hatte C.’ Universitätskollege: der in Marburg lehrende Gräzist Johannes Lonicerus in Köln eine lat. Prosa-Übersetzung der ‘Theriaca’ und ‘Alexipharmaca’ des Nikandros von Kolophon (3./2. Jh. v. Chr.) veröffentlicht. Auf der Basis dieser Übertragung fertigte C. eine versifizierte Fassung der beiden ursprünglich ebenfalls hexametrischen Lehrgedichte an, in denen der antike Autor giftige Tiere, die Wirkungen verschiedener Gifte und die entsprechenden Antidote beschreibt, unter welch letzteren später der Theriak zweifellos das berühmteste und meistverwendete werden sollte. Diese – noch von Thomas Bartholinus (1669) gerühmte – Version, die C.
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1532 herausbrachte und die wohl gleichermaßen auf sein dichterisches wie sein medizinisches Interesse zurückgeht, ist im übrigen auch der 1571 erschienenen, durch Jeremias Martius (Mertz) besorgten lat. Übersetzung von Jacques Gre´vins Werk über die Gifte beigedruckt sowie in die von Iacobus Lectius 1606 publizierte Anthologie griech. Poeten aufgenommen worden. Drucke. Nicandri | poetae et medici an⫽|tiquißimi Theriaca et Alexipharmaca in Latinos | versus redacta, per Euricium | Cordum, Medicum. | [...]. Frankfurt a. M.: Chr. Egenolff, 1532. VD 16, N 1419. – Auch in: Iacobi Grevini | [...] de venenis | libri duo. | […]. Antwerpen: Chr. Plantin, 1571, S. 276–332; Poetae Graeci vete-|res [...]. | Cura et recensione Iac. Lectii [...]. Genf: P. de la Rovie`re, 1606, S. 645⫺663.
3. Theriakbüchlein (1532). Wenn die Beschäftigung mit Nikander vielleicht auch den unmittelbaren Anstoß zur Abfassung dieser Schrift – einer der ersten Monographien über den Theriak im 16. Jh. (s. Dilg, 1982) – gegeben haben mag, ist der entscheidende Anlaß doch in den damaligen Mißständen auf dem Gebiet der Arzneibereitung zu suchen, zu deren Beseitigung durch praxisbezogene Aufklärung und Unterweisung namentlich der ungelehrten Apotheker (s. Dilg, 1971) sich C. wie so viele andere Humanistenärzte aufgerufen fühlte. Um diese Mängel speziell bei der Theriakherstellung zu beheben und insbesondere auf die zahlreichen Verfälschungen des begehrten Arzneimittels aufmerksam zu machen, hat C. also sein nutzlich buchlin geschrieben; indes erregt er sich darin auch über die Leichtgläubigkeit des gemeinen Volkes, das sich Scharlatanen aller Art anvertraut, und kritisiert desgleichen die eigenen Berufskollegen, denen er Nachlässigkeit und Desinteresse vorwirft, weswegen die Heilkunst weitgehend zur Kurpfuscherei verkommen und vagierenden Landfahrern, listigen Marktschreiern und betrügerischen Quacksalbern anheimgefallen sei. Für C.’ grundsätzliche Intention, nämlich der artzeney reformation [...] das sie widder sauber unnd rein geleret unnd geübt mocht werden, legt somit auch diese 1532 veröffentlichte Schrift – die v.a. dem Pharmaziehistoriker
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wertvolles Quellenmaterial bietet – ein beredtes Zeugnis ab. Druck. Von der vielfal|tigen tugent unnd waren | bereitung/ Deß rechten edlen Theriacs/ und | wie er lang zeit groblich verfelscht/ auch noch | nit/ wie sichs geburt/ gemacht wird/ wider | die losen Landleuffer und etliche untrewe | Apotecker/ Ein nutzlich buchlin | durch Euricium Cordum der ar⫽|tzeney doctorem und pro⫽|fessorem inn der hohen | schuell. | Zu Marpurg | gestellet. Marburg: Franz Rhode, 1532. VD 16, C 5108. ⫺ Eine bisweilen (u. a. von Krause, 1863, S. 108) erwähnte lat. Fassung dieser Schrift (‘Libellus de pseudotheriaca’) existiert nicht.
4. ‘Botanologicon’ (1534). Die dem Bremer Rat gewidmete und ausnahmsweise in Latein abgefaßte Lehrschrift, die im wesentlichen das Problem der Pflanzenidentifizierung erörtert, ist in Form eines Dialoges gehalten, an dem fünf Personen beteiligt sind: neben C. selbst dessen Schwager, der in Leipzig tätige Apotheker Johannes Ralla (der Name wurde angeblich aus ‘Dünnwald’ latinisiert), ferner zwei Gefährten aus der Erfurter Zeit: der landgräfliche Leibarzt Johannes Meckbach und der damals erst jüngst als Professor der Physik (Naturgeschichte) nach Marburg berufene Antonius Niger, endlich der Franzose Guillaume Bigot, einer von C.’ Schülern, der im Verlauf des Kolloquiums unter dem Namen ‘Gallus’ als letzter eingeführt wird. Ort der Handlung, die sich in der geschilderten Weise Ende Aug. oder Anfang Sept. 1533 zugetragen haben dürfte, ist zunächst C.’ Marburger Wohnung, von wo aus man sich sodann zu seinem etwas außerhalb der Stadt gelegenen Garten begibt, um nach ebenso lebhaften wie gelehrten Diskussionen schließlich gegen Abend wieder zurückzukehren. Abgesehen davon, daß dieses ‘Gespräch über Pflanzen’ eine biographisch und lokalgeschichtlich höchst ergiebige Quelle ist (so liefert es etwa den einzigen Hinweis, der einen Rückschluß auf C.’ Geburtsjahr erlaubt!), stellt es ein authentisches Dokument dafür dar, in welcher Form die Botanik in der Frühzeit der Univ. Marburg betrieben wurde: Dabei darf sowohl die Tatsache, daß sich C. in der Lehre und Forschung überhaupt eingehender mit der
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Pflanzenkunde beschäftigte, wie der von ihm zu Studienzwecken eingerichtete Garten zumindest im damaligen Deutschland als Ausnahme gelten. Andererseits vergleicht auch er die eigene Beobachtung am Objekt noch stets mit der Ansicht der Alten, zumal namentlich die Autorität des Dioskurides für ihn so fest stand veluti Marpesia cautis; doch hinderte ihn diese Bewunderung keineswegs daran, im Fall einer Divergenz zwischen dem jeweils konstatierten Sachverhalt und der überlieferten Lehrmeinung nach einer persönlichen Erklärung zu suchen, denn semper inventis uti et nihil invenire, nihil mutare, augere et minuere audere, id miseri et cecutientis est ingenii. Basierend auf der entscheidenden Einsicht Potiora sunt rationis quam authoritatis momenta bilden somit Vernunft und individuell gewonnene Erfahrung die Grundlage von C.’ jede Frage skeptisch prüfender und alle Auskunftsquellen nutzender Forschungsmethode, der letzten Endes die Natur selbst als Maßstab zur Wahrheitsfindung dient. Das zuerst 1534 in Köln erschienene, insgesamt 204 Oktavseiten umfassende ‘Botanologicon’, dessen abschließender Index die ca. 330 behandelten Pflanzen jeweils mit Kurzkommentar alphabetisch auflistet, ist zweifellos das bedeutendste unter C.’ medizinischen Werken, hat jedoch – obwohl damals durchaus zur Kenntnis genommen und 1551 in Paris sogar erneut gedruckt – v. a. aufgrund seiner unsystematischen Darstellungsform keinen nennenswerten Einfluß auf die botanische Literatur der Folgezeit ausgeübt. Drucke. Euricii | Cordi Simesusii medici | Botanologicon. Köln: Joh. Gymnich I., 1534. VD 16, C 5072. – Euricii Cordi Simesusii iudici⫽|um de Herbis et Simplicibus Medicinae: Ac eorum quae apud | Medicos controvertuntur, explicatio, in: Pedanii Diosco⫽|ridis Anazarbei, de medici⫽| nali materia libri sex, Ioanne Ruellio Sues⫽|sionensi interprete [...] | Per Gualtherum Rivium, [...] [enthält lediglich den Index des ‘Botanologicon’, S. 534–541]. Frankfurt a. M.: Chr. Egenolff, 1549. VD 16, D 2005. – Euricij Cordi Simesusij | Botanologicon. | [...] [zusammen mit: Valerij Cordi Adnota⫽| tiones in Dioscoridis de me⫽|dica materia libros]. Paris: G. Morel, 1551. – Dt. Übers. bei Dilg, 1969, S. 122–333.
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5. Schrift über die Harnschau (1536). C.’ anhaltende Kritik an den Übelständen in der Medizin erfuhr schließlich eine nochmalige Steigerung in seiner letzten vollendeten, jedoch erst postum erschienenen Schrift, die der Braunschweiger Physikus Georg Curio mit zwei Vorreden versah und 1536 in Magdeburg veröffentlichte, während eine zweite Ausgabe Johannes Dryander, C.’ ehemaliger Famulus in Erfurt und späterer Nachfolger auf dem Marburger Lehrstuhl, 1543 in Frankfurt a. M. besorgte. Diese ebenfalls dem Bremer Rat gewidmete Abhandlung befaßt sich nämlich im wesentlichen mit dem Mißbrauch der Uroskopie – jenes damals allenthalben verwendeten Diagnoseverfahrens also, das besonders bei den Laien in hohem Ansehen stand. Auch C. galt die Harnschau grundsätzlich als eine vortreffliche Kunst, weshalb er sich in Anbetracht der vielen Betrügereien auf diesem Gebiet einmal mehr zu einer Kampf- und Aufklärungsschrift herausgefordert fühlte, die allerdings Jahrzehnte später durch die Kritik eines Petrus Forestus u. a. noch übertroffen werden sollte. Gleichwohl gehört C. auch in diesem Fall zu den ersten hellsichtigen Autoren, indem er sich wider den mit der Harnschau betriebenen Unfug wandte und diese allein nach ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit beurteilt wissen wollte. Dabei hält sich die rein theoretische Erörterung stark in Grenzen, und lediglich in zwei Abschnitten des – in 14 schlussredt samt der jeweiligen verklerung gegliederten – Textes geht C. näher auf anatomische bzw. physiologische Fragen ein; hingegen füllen über die Hälfte der Schrift neben Angaben zur sachgerechten Handhabung der Uroskopie Berichte und Erfahrungen aus der eigenen Praxis (besonders der Braunschweiger Zeit) sowie ⫺ oft sehr humorvoll geschilderte ⫺ Erlebnisse mit Scharlatanen aller Art, wobei C. immer wieder eine history oder ein exempel anführt, um damit die unsinnigen Prophezeiungen aus dem Harn, den törichten Wunderglauben und die allgemeine Dummheit zu entlarven: für die Geschichte des Kurpfuschertums höchst aufschlußreiche Belege, die den Autor gleichermaßen als
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verantwortungsbewußten Arzt wie als genauen Menschenkenner ausweisen. Drucke. Von der kunst | auch missbrauch und trug | des harnsehens/ durch Euricium | Cordum/ medicum etwan | an die Stadt Bremen | geschrieben [...]. Magdeburg: [?], 1536. VD 16, C 5105 u. 5106 (mit Variante durch Doct. Euri⫽|cium Cordum/ Medicum im Titel). – De urinis/ das | ist/ von rechter besichtigun⫽|ge des harns/ und jhrem miß⫽|brauch/ etwan durch D. E. Cor⫽|dum Medicum gesetzet/ ytzt | ubersehen/ und in truck | verfertiget. | Durch J. Dryandern [...]. Frankfurt a. M.: Cyr. Jakob, 1543. VD 16, C 5107. ⫺ Eine bisweilen (u. a. von Krause, 1863, S. 109) erwähnte, angeblich 1546 in Frankfurt a. M. erschienene lat. Fassung dieser Schrift (‘De abusu uroscopiae conclusiones [...]’) existiert nicht.
6. Büchlein von der Steinkrankheit (1538). Das aus C.’ Nachlaß stammende Schriftchen hat Johannes Dryander erstmals 1538 herausgegeben und schließlich auch in das eigene ‘New Artznei und Practicierbüchlin’ aufgenommen, das seinerseits (teilweise durch Texte anderer Autoren ergänzt) wiederholt aufgelegt worden ist. Bei diesem somit weit verbreiteten gemeyn Regiment für den stein handelt es sich indes nur um einen – ursprünglich nicht zum Druck bestimmten – knappen diätetischen Leitfaden nebst altbewährten Rezeptvorschriften, den C. etwann für den hessischen Landvogt und Amtmann in Eschwege Rudolf Schenck (zu Schweinsberg) zusammengestellt hatte. e Drucke. Ein nützlich | Buchlein, darinn allerley | gewisse und bewerthe stuck und | artzney, vor die grawsame | pflage, deß stein weethums | begriffen, mit eyner | vorrede Johannis | Dryandri Me⫽|dici. [Marburg: Euch. Cervicornus], 1538. VD 16, C 5092. – Zu weiteren Drucken s. VD 16, C 5091, 5093–5095 u. ZV 3868.
I II . Wür di gu ng . Der hessische Humanist C. ist zu Lebzeiten in erster Linie als Dichter berühmt gewesen und – soweit die Nachwelt sein Andenken bewahrt hat – im Grunde auch nur als solcher bekannt geblieben. Wenn seine medizinischen Schriften dennoch nicht gänzlich in Vergessenheit geraten sind und zumindest in der älteren historiographi-
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schen Fachliteratur bisweilen sogar näher gewürdigt werden, dann gilt dies insbesondere für C.’ wissenschaftliche Hauptleistung: das formal wie inhaltlich höchst originelle ‘Botanologicon’, in dem er die für den Fortschritt der Pflanzenkunde damals notwendigen Fragen gestellt und jene dementsprechend aliter als sonst üblich vermittelt hat; dies trug ihm zwar seitens seiner Rivalen den Vorwurf ein, er suche poetico ingenio nach einer neuen Methode, was C. selbst indes keineswegs als Widerspruch empfand – im Gegenteil: Sah er doch in der Heil- wie in der Dichtkunst gleichermaßen eine Gabe Apollos (Me medicum simul et vatem miraris eundem? | Utrunque antistes munus Apollo dedit [Epigr. Lib. V]), die ihm gerade durch die Verbindung der beiden Bereiche eine schärfere Urteilskraft verlieh. Und in der Tat kennzeichnet dieses acrius iudicium – getragen von einem hohen moralischen Anspruch – nicht nur C.’ aufklärerische Kritik an den Mißständen und Irrtümern in der Medizin, sondern auch seine nicht minder engagierten Stellungnahmen zu den damals aktuellen Verhältnissen und Entwicklungen auf dem politischen, sozialen und religiösen Gebiet. Von Anfang an der reformatorischen Bewegung verpflichtet und ebenso leidenschaftlich dem Humanismus verbunden, hielt er demnach als Arzt wie als Dichter seiner Zeit kompromißlos den Spiegel vor, da er grundsätzlich und generell das unbilch unrecht mitt geduldigem gemut nit sehen noch leiden konnte. Diesen zentralen Charakterzug offenbaren denn auch insbesondere C.’ bis heute gerühmte Epigramme, denen unter all seinen Werken zweifellos die größte Bedeutung zukommt und die ihn als ebenjenen Menschen zeigen, von dem der enge Freund Joachim Camerarius d. Ä. im Rückblick (1553) gesagt hat: [...] neque illo ego quenquam cognovi magis vel vehementius potius studiosum veritatis, et qui peius odisset mendacia et vanitatem (J. Camerarius, Narratio de Helio Eobano Hesso [...], Lat. u. dt. [...], hg. u. erläutert v. G. Burkard / W. K¸hlmann [Bibliotheca Neolatina 10], 2003, S. 66).
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Literatur. Zu I.: K. Krause, E. C. Eine biographische Skizze aus d. Reformationszeit. Diss. Marburg 1863 (auch in: Progr. d. Kf.lichen Gymnasiums zu Hanau, 1863, S. 1–124); F. Buchenau, Neuere Forsch. über E. u. Valerius C., Abh. hg. v. naturwiss. Ver. zu Bremen 2 (1871) 130–140; K. Krause, Vom Namen d. Dichters E. C., Hessenland. Zs. f. hess. Gesch. u. Lit. 5 (1891) 152–154; ders., Neue Unters. über d. Namen u. über d. Schuljahre d. Dichters E. C., Hessenland. Zs. f. hess. Gesch. u. Lit. 5 (1891) 306–309, 318–320 u. 6 (1892) 2–5; ders. (Hg.), E. C., Epigrammata (1520) (Lat. Litt.denkmäler d. XV. u. XVI. Jh.s 5), 1892, S. III–LII; F. Cunze, Ein Brief d. E. C. aus Braunschweig (1523), Jb. d. Gesch.ver. f. d. Hzg.tum Braunschweig [1] (1902) 103–107; ders., Der Humanist E. C. in Braunschweig, Braunschweig. Magazin 10 (1904) 89–96; F. K¸ch, Ein unbekannter Brief v. E. C., Zs. d. Ver. f. hess. Gesch. u. Landeskunde 40 [NF 30] (1907) 158–161; G. E. Dann, Neuere Ergebnisse d. C.-Forsch., Dt. Apotheker-Zeitung 108 (1968) 1154–1157, 1192–1196, 1249–1252; ders., Die umstrittene Herkunft v. E. C., Hess. Familienkunde 10 (1971) 317–320; H. R. Abe, Über d. Abstammung d. Erfurter Humanisten E. C. (1486– 1535) – ein genealog. Beitr. z. Valerius-C.-Forsch., Die Pharmazie 44 (1989) 857 f.; G. Aum¸ller, C.’ Vorfahren u. Nachkommen, Zs. d. Ver. f. hess. Gesch. u. Landeskunde 95 (1990) 55–76; H. R. Abe, E. C. (1486⫺1535) u. d. Univ. Erfurt, in: U. Weiss (Hg.), Erfurt 742–1992. Stadtgesch., Univ.gesch., 1992, S. 277–294; P. G. Schmidt, Mediziner oder Poet? Soziale Lage u. Lebenspläne hess. Humanisten, in: A. Buck / T. Klaniczay (Hgg.), Sozialgeschichtl. Fragestellungen in d. Renaissanceforsch. (Wolfenbütteler Abh. z. Renaissanceforsch. 13), 1992, S. 107–117; P. Dilg, E. C. (1486–1535) – d. unbequeme Professor. Über d. ersten Lehrer d. Medizin an d. Marburger Univ., in: J. J. Berns (Hg.), Marburg-Bilder. [...] (Marburger Stadtschr. z. Gesch. u. Kultur 52), Bd. 1, 1995, S. 111–128; R. C. Schwinges / K. Wriedt (Hgg.), Das Bakkalarenreg. d. Artistenfakultät d. Univ. Erfurt 1392⫺1521 (Veröffentlichungen d. Hist. Kommission f. Thüringen, Große Reihe 3), 1995; K¸hlmann, Lyrik, S. 1080–1086. Zu II.A.: [J. Ch. F.] Haug, Kordus[!] u. Lessing, Der Neue Teutsche Merkur v. J. 1793, Bd. 3, Weimar 1793, S. 275–303; C. O[berhey], Die Epigramme d. E. C. in ihrer Bedeutung f. d. Reformationsgesch. d. Stadt Braunschweig, Braunschweig. Magazin (1863) 325–340; P. Albrecht, Philol. Unters. [Leszing’s Plagiate], Bd. 1, 1888; K. Krause, Zwei neue Gedichte d. E. C. (1486–1535), Hessenland. Zs. f. hess. Gesch. und Lit. 5 (1891) 114–119; R. Ischer, E. C. u. d. Jetzer-Handel,
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Corvinus, Laurentius
Neujahrsbl. d. Literar. Ges. Bern auf d. J. 1917, Bern 1916, S. 77–84; O. Clemen, Des E. C. Epigramme auf Philipp v. Hessen, Zs. d. Ver. f. hess. Gesch. u. Landeskunde 54 (1924) 224–230 (wieder in: ders., Kl. Schr., Bd. 5, 1984, S. 126⫺132); Ellinger, Neulat. Lit., Bd. 2, S. 23–28; H. Vogel, E. C. in seinen Epigrammen, Diss. Greifswald 1932; H. Volz, Der Humanist Tileman Conradi aus Göttingen, Jb. d. Ges. f. niedersächs. Kirchengesch. 65 (1967) 76⫺116; P. Dilg, Die ‘Palinodia’ d. E. C. u. seine Beziehung zu Erasmus v. Rotterdam, alma mater philippina [Marburg] WS 1971/ 72, S. 31–34; S. Br‰uer, Der Humanist E. C. u. sein neulat. Epos ‘... Antilutheromastix’ v. 1525, in: H. A. Oberman (Hg.), Dt. Bauernkrieg 1525 (Zs. f. Kirchengesch. 85), 1974, S. 65–94; P. Dilg, Die Anfänge d. Philipps-Univ. in d. Epigrammen d. E. C., in: W. Heinemeyer u. a. (Hgg.), Academia Marburgensis. Beitr. z. Gesch. d. Philipps-Univ. Marburg (Academia Marburgensis 1), 1977, S. 93–110; Wiegand, Hodoeporica, S. 48–53; G. Mˆncke, Der hess. Humanist E. C. u. d. Erstausg. seines Bucolicon v. 1514, Daphnis 14 (1985) 65– 98; P. G. Schmidt, E. C. u. Erasmus v. Rotterdam. Die Threnodie auf Erasmus aus d. J. 1519, in: A. Buck / M. Bircher (Hgg.), Respublica Guelpherbytana. Fs. f. P. Raabe (Chloe 6), 1987, S. 117–125; ders., E. C., in: ACNL Guelpherbytani (Medieval and Renaissance Texts and Studies 53), Binghampton 1988, S. 307–313; J. IJsewijn, E. C. als Epigrammatiker, in: J. Hardin / J. Jungmayr (Hgg.), ‘Der Buchstab tödt – der Geist macht lebendig.’ Fs. z. 60. Geb. v. H.-G. Roloff, Bern u. a. 1992, S. 1047–1065; G. Binder / A. M¸ller, Est propior cantu fletus. Die 6. Ekloge d. E. C. u. d. vergilische Bukolik, Compar(a)ison. An International Journal of Comparative Literature 2 (1993) 193–215; P. G. Schmidt, C.’ Gedichte auf d. Bettelmönche, in: W. Heinemeyer (Hg.), Hundert Jahre Hist. Kommission f. Hessen 1897–1997 (Veröffentlichungen d. Hist. Kommission f. Hessen 61), 1997, S. 427–435; E. Sch‰fer, E. C.: Vergil in Hessen, in: A. E. Radke (Hg.), Candide iudex. Beitr. z. augusteischen Dichtung. Fs. f. W. Wimmel z. 75. Geb., 1998, S. 283–313; G. Huber-Rebenich, Erfurter Humanisten u. ihre Vorbilder – E. C. u. Erasmus, Mlat. Jb. 34 (1999) 101–114; P. Dilg, E. C. u. Philipp Melanchthon, in: B. Bauer (Hg.), Melanchthon u. d. Marburger Professoren (1527– 1627), Bd. 2, 1999, S. 849–864; J. Hamm, Servilia bella. Bilder v. dt. Bauernkrieg in neulat. Dichtungen d. 16. Jh.s (Imagines medii aevi 7), 2001, S. 86⫺100; J. Leonhardt, Exegetische Vorlesungen in Erfurt 1500⫺1520, in: G. Huber-Rebenich / W. Ludwig (Hgg.), Humanismus in Erfurt (Acta Academiae Scientiarum 7, Humanismusstudien 1), 2002, S. 91⫺109.
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Zu II.B.: A. Schulz, E. C. als botanischer Forscher u. Lehrer (Abh. d. naturforschenden Ges. z. Halle a. d. S. NF 7), 1919; P. Dilg, Das Botanologicon d. E. C. Ein Beitr. z. botanischen Lit. d. Humanismus, Diss. Marburg 1969; ders., Das Bild d. Apothekers bei E. C., Dt. Apotheker-Zeitung 111 (1971) 1267–1269; ders., Studia humanitatis et res herbaria: E. C. als Humanist u. Botaniker, Rete. Strukturgesch. d. Naturwiss. 1 (1971) 71–85; ders., Das Theriakbüchlein d. E. C., in: G. Keil (Hg.), Fachprosa-Stud. Beitr. z. mal. Wiss.- u. Geistesgesch., 1982, S. 417–447; ders., Des E. C. Schrift über d. Harnschau (in Vorbereitung).
Peter Dilg
Cornelius J Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius Corvinus (Rabe), Laurentius I . L eb en . Um die Mitte der 60er Jahre des 15. Jh.s als Sohn des Kürschners und Ratsherren Bartholomäus Rabe in Neumarkt (Niederschlesien) geboren, ließ sich C. im SS 1484 in die Matrikel der Univ. Krakau eintragen (Laurentius Bartholomej de Nouo foro). 1486 erwarb er in Krakau das Bakkalaureat, 1489 wurde er zum Magister artium promoviert, zusammen mit seinem Consemester Sigismund Fusilius (Gossinger). Vom WS 1489/90 bis zum WS 1493/94 las er als extraneus non de facultate über die Logik des Petrus Hispanus, über Aristoteles’ ‘De anima’ und ‘Analytica posteriora’, über die ‘Consolatio philosophiae’ des D Boethius, aber auch über D Vergils ‘Bucolica’. Als sich Konrad J Celtis 1489 für zwei Jahre in Krakau niederließ, wurde C. wie Fusilius bald sein Schüler. Er stand mit Celtis in Briefkontakt bis zu dessen Tod 1508 (vgl. Celtis-Br., Nr. 217, 236, 285, 288, 294). Zu C.’ eigenen Schülern gehörte Heinrich J Bebel. Daß auch Nicolaus Copernicus, der sich 1491 in Krakau immatrikulierte, unter C.’ Schülern war, ist möglich, aber nicht belegt. Im Mai 1494 kehrte C. nach Schlesien zurück, wurde Lehrer und Notar in Schweidnitz, im folgenden Jahr dort auch Stadtschreiber. 1497 siedelte er nach Breslau
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Corvinus, Laurentius
um, wo er Rektor der Pfarrschule von St. Elisabeth wurde. Am 1. März 1500 führte C. mit seinen Schülern den ‘Eunuchus’ des Terenz auf; am 4. Febr. 1502 folgte im Breslauer Rathaus eine Inszenierung der plautinischen ‘Aulularia’. Es waren, soweit bekannt, die ersten Aufführungen römischer Komödien nördlich der Alpen. Von 1502 bis zu seinem Tod bekleidete C. das Amt des Breslauer Stadtschreibers, unterbrochen nur durch einen Aufenthalt in Thorn zwischen 1506 und 1508, wo er dieselbe Tätigkeit ausübte. Nach 1508 verließ er Breslau bis zu seinem Tod am 21. Juli 1527 nicht mehr. Neben dem kommunalen Amt gab er anscheinend bisweilen noch Schulunterricht (s. II.5.). C. hatte maßgeblichen Anteil an der Einführung der Reformation in Breslau. 1523 war er, dessen Bekanntschaft Melanchthon bereits 1521 gesucht hatte (Melanchthon-Br., Nr. 125), an der Berufung des Reformators Johannes Heß aus Nürnberg zum Pfarrer an der Pfarrkirche St. Maria Magdalena beteiligt; er unterstützte auch dessen weiteres Wirken. I I. We rk . C.’ literarisches Schaffen fällt größtenteils in seine Krakauer und die frühe Breslauer Zeit. Es umfaßt Schulschriften und Carmina, die ihrerseits meist im Zusammenhang seines Unterrichts, seltener zu anderen Gelegenheiten entstanden sind. In Schriften einer späteren Phase, 1516 bis zum Beginn der Reformation in Breslau, wirbt er, immer noch in Verbindung mit der Schule, im Gefolge Marsilio Ficinos für einen frommen christlichen Platonismus. 1. ‘Cosmographia’. C.’ kosmographisches Handbuch, während seiner Lehrjahre in Krakau entstanden und von Heinrich J Bebel um 1496 in Basel herausgegeben, ist nur ganz am Rande eine Einführung in die Benutzung der ptolemäischen Karten, indem es zu Anfang die Einteilung der Erde in Längenund Breitengrade vorstellt und erläutert, wie sich die bei Ptolemäus aufgelisteten Ortschaften anhand ihrer angegebenen Positionsdaten auf den Karten lokalisieren
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lassen. Hauptanliegen der Schrift ist eine umfassende Beschreibung der drei bekannten Erdteile. Sie folgt in ihrer Anlage dabei antiken Mustern wie der ‘Cosmographia’ des Pomponius Mela und beginnt mit der Einteilung der Erde sowie einer Aufzählung der Ozeane und Meere; ausführliche Beschreibungen Afrikas, Europas und Asiens schließen sich an. Die antiken Quellen, aus denen sich C.’ Ausführungen speisen, sind die für die im 15. Jh. allmählich entstehende geographische Literatur des Humanismus üblichen: neben der ptolemäischen Kosmographie, als deren Komplement sich C.’ Werk versteht, vor allem Strabon (lat.), Caesar, Plinius d. Ä., Pomponius Mela, Dionysios Periegetes (lat.) sowie Solinus, daneben aber auch die ‘Europa’ des Aeneas Silvius D Piccolomini. Im Zuge seiner Beschreibung Europas legt C. besonderes Augenmerk auf seine Heimatregion Schlesien, die er in Anlehnung an die antike Gliederung Europas der Sarmatia zurechnet. Ihr widmet C. drei Gedichte, die er seiner Prosadarstellung eingliedert; eine sapph. Ode auf Polen und dessen Hauptstadt Krakau ([c5]r⫺[c6]r), eine hexametrische Beschreibung Schlesiens ([c6]r⫺[c7]r) sowie ein Gedicht in akatalektischen Dimetern über seine Heimatstadt Neumarkt ([c7]r⫺v). Die Entscheidung, im Gegensatz zu seinen ansonsten strikt auf der Exegese der bekannten antiken Geographen basierenden Ausführungen im Falle der Sarmatia auf eigene Beiträge zurückzugreifen, begründet C. mit dem Mangel antiker Informationen über diese Region und damit auch über seine Heimatgegend (Bl. [c5]r). Damit bedient er sich eines Arguments, welches erstmals Aeneas Silvius in seiner ‘Europa’ gebrauchte, um die Ausführlichkeit zu rechtfertigen, mit der er manche Regionen Deutschlands (Thüringen, Sachsen) darstellt. C. zeigt sich hierdurch mit einem zentralen Element des geographischen Diskurses der nordalpinen Humanisten vertraut, welche im Anschluß an Piccolomini die Notwendigkeit ihrer landeskundlichen Studien u. a. mit der Lückenhaftigkeit der antiken Autoren begründen.
Ohne Vorbild in der humanistischen Landesbeschreibung ist freilich C.’ Wahl der Gedichtform für die Beschreibung Krakaus und Neumarkts sowie insbesondere die poetische Darstellung Schlesiens. Hierin
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geht C. seinem Lehrer Celtis (‘Germania generalis’) voraus. Die Ode über Polen und Krakau hat C. am Ende seines ‘Hortulus elegantiarum’ erneut veröffentlicht. Druck. Cosmographia dans manductionem | in tabulas Ptholomei: ostendens omnes regiones terrae habi⫽|tabiles: […] vna cum nonnullis epigramatibus et carminibus. [Basel: Nik. Kessler, nicht vor 1496]. GW 7799.
2. ‘Carminum structura’. Die kleine Lehrschrift, aus dem Krakauer Unterricht erwachsen, aber erst in der Schweidnitzer Zeit vollendet, bietet in der Doktrin nicht mehr als eine kurzgefaßte technische Formenlehre ausgewählter Metren der lat. Poesie (Hexameter, eleg. Distichon, 16 lyrische Vers-/Strophenformen aus dem Inventar vornehmlich des Horaz, daneben Catulls und des Boethius). Vorangehen vier precepta zur Stilistik adäquater Verssprache; eine spärliche Prosodie schließt ab. Das gesamte Material der metrischen Unterweisung findet man ähnlich bereits z. B. in Leipziger Verslehren (Johannes J Maius und Johannes J Honorius) und in Anleitungen italienischer Vorgänger. Auch die vier precepta greifen geläufige Gesichtspunkte auf: die drei genera stili (mit deutlich materiellem Stilbegriff), das decorum in der Wortwahl, Warnung vor sprachlicher Dunkelheit, Bedeutung von Synonyma und Epitheta für die Variation des Ausdrucks. Eine eigene und auffällige Note verlieh C. seiner Anleitung mit der Illustration jeder Versart und schon jedes einzelnen preceptum durch komplette Carmina aus seiner Feder; diese poetischen Exempla machen den weitaus größten Teil des Buches und auch seinen Reiz aus. In einem Prologus wendet sich C. an seine Krakauer Studenten, um ihnen Sinn und Nutzen des Studiums der Poesie zu erläutern. Wiewohl er das platonische Theorem der göttlichen Inspiration der Dichter bemüht, beschränkt sich seine Vorstellung von der Leistung der Dichtung auf die wirksame sprachliche Form. Damit fällt er hinter Celtis’ Dichtungsbegriff, der Dichtung als Schöpfung zu bestimmen und zu legitimieren suchte, wieder zurück (vgl. Entner). C.’ ‘Carm. struct.’ gehörte zum
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Quellenrepertoire von Heinrich J Bebels und Valentin J Ecks Dichtungslehren. Drucke. Carminum structura Magi|stri Laurencij Coruini Nouo|forensis cum exemplari positione. Breuissimoque facili | et certissimo modo veniendi in omnium sillabarum quantitatem. [Leipzig: Martin Landsberg, nach 20. Juli 1496]. GW 7802. Die weiteren Drucke: Leipzig 1504 u. 1505 sowie Köln 1508. VD 16, C 5451⫺5453.
3. ‘Latinum ydeoma’ und ‘Hortulus elegantiarum’. Bereits in die Breslauer Zeit datieren die beiden Lehrschriften ‘Latinum ydeoma’, erschienen um 1498/1500, und ‘Hortulus elegantiarum’, erstmals gedruckt 1503. Das ‘Latinum ydeoma’, für C.’ Breslauer Schüler bestimmt, versammelt sechs kleine Dialoge zwischen Schülern, einem custos und Vertretern des Lehrkörpers (magister, baccalaureus), welche als Anleitung zum Gebrauch des Lateinischen in Alltagssituationen gedacht sind. Am Ende stehen zwei kurze Musterreden, in denen ein Schüler um Aufnahme in die Lateinschule und um Entlassung (um zum Studium nach Krakau zu ziehen) bittet. Dem ‘Latinum ydeoma’ war eine außergewöhnliche Verbreitung beschieden; bis 1523 lassen sich 49 kontinuierlich erschienene Ausgaben nachweisen, ein später Druck folgte 1537. Im ‘Hortulus elegantiarum’, wie die ‘Carm. struct.’ erneut an die Studenten in Krakau adressiert, belehrt C. in einzelnen Abschnitten über den korrekten Gebrauch verschiedener lat. Verben, indem er stilistisch ungenügenden Beispielsätzen vorbildliche Phrasen v. a. aus den Briefen Ciceros, aber auch aus Vergil, Ovid, Terenz, Plautus, Quintilian und Gellius gegenüberstellt. Seine Beliebtheit läßt sich an 31 Auflagen ablesen, die der ‘Hortulus’ bis 1520 erlebte. Drucke. Latinum ydeoma Magistri | Laurencij Coruini Nouoforensis. [Leipzig: Konrad Kachelofen, um 1498/1500]. GW 7800. Die weiteren Drucke bis 1523: GW 7801; VD 16, C 5499⫺5512, 5514⫺5539, ZV 3927⫺28, 16179, 19403, 23756, 24191; IA 145.653. U. d. T. ‘Admodum utiles dialogi scholastici’: Worms: Seb. Wagner 1537. VD 16, C 5449. ⫺ Hortulus | Elegan|tiarum Magistri Lau|rencij Corui|ni. Breslau: Konrad Baumgarten, 1503. VD 16, C 5474. Die weiteren Drucke
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(u. a. in Krakau u. Deventer): VD 16, C 5475⫺ 5498, ZV 3926, 17372; IA 145.622, 145.656, 145.660, 145.673. Ausgabe des ‘Latinum ydeoma’. H. Sadowska-Skurowa, Eos. Commentarii societatis philologae Polonorum 57 (1967/68) 374⫺406 (nach d. Druck Breslau 1503).
4. ‘Carmina’. Besonders in der Krakauer und der frühen Breslauer Zeit hat C. zahlreiche Carmina in unterschiedlichen Metren und zu verschiedenen Anlässen verfaßt. Zu den Charakteristika für C.’ dichterisches Schaffen gehört dessen Rückbindung an seine Unterrichtstätigkeit. Viele von C.’ Gedichten sind daher seinen Lehrschriften beigegeben, andere in äußerst disparaten Kontexten gedruckt oder nur handschriftlich überliefert. Im folgenden seien einige von ihnen exemplarisch genannt; zu weiteren Gedichten vgl. Kro´ kowski, 1962 (mit bibliograph. Angaben). Neben den drei landeskundlichen Gedichten der ‘Cosmographia’ (s. o.) finden sich die meisten der gedruckten Carmina in der ‘Carm. struct.’. Sie geben einen Eindruck vom Themenspektrum, das C.’ dichterisches Œuvre insgesamt auszeichnet, aber auch von typischen Vorlieben, die sich in seinen Gedichten immer wieder finden. Hierzu zählt C.’ Neigung zu idyllischen Motiven, die regelmäßig auch außerhalb bukolischer Dichtungen begegnen. In den Gedichten der ‘Carm. struct.’ dominieren neben den bukolischen v. a. die erotischen Inhalte. Daneben finden sich ein Propempticon an C.’ Freund Sigismund Fusilius, ein satirisches Gedicht auf einen faulen Studenten (‘De beano’) sowie zwei panegyrische Gedichte auf den polnischen Kg. Johann Albert. In den Kontext der beiden letzteren gehören weitere, außerhalb der ‘Carm. struct.’ überlieferte Gelegenheitsgedichte wie das Epicedium auf den Tod Kg. Kasimir Jagiellos am 7. April 1492, ein Gratulationsgedicht zur Königswahl Johann Alberts sowie ein 1518 in Krakau separat erschienenes Epithalamium auf die Hochzeit von Kg. Sigismund mit Bona Sforza, bei der C. als Gesandter der Stadt Breslau selbst zugegen war. Poetologischen Inhalts sind neben dem Beispielgedicht für den Hexameter in der
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‘Carm. struct.’ (Ad Apollinem) das frühe, nur hsl. überlieferte ‘Carmen de novem Musis’, in welchem C. in einem Eichenhain an der Weichsel die neun Musen in Begleitung von Minerva erscheinen und ihn über ihr Wesen und ihre Kompetenzen belehren, sowie das darauf aufbauende ‘Carmen de Apolline et novem Musis’, das zusammen mit einem Prosa-Kommentar 1503 selbständig zum Druck kam. Über die freudige Rückkehr von Thorn nach Breslau i. J. 1508 verfaßte C. ein Reisegedicht (‘Carmen quo valedicit Prutenos’), das als Beigabe in Copernicus’ 1509 in Krakau gedruckter lat. Übersetzung der ‘Theophylacti scolastici Simocati epistolae morales’ erschien. Es ist der einzige Beleg für seine Bekanntschaft mit Copernicus. Überlieferung. Epicedion elegiacum pentametrum Magistri Laurencij Coruini Nouoforensis editum in nobile funus serenissimi Casimiri olim regis Poloniae […], Clm 4422, 192r⫺194r; Warschau, Bibl. Narodowa, Ms. lat. F.IV.19, 329v⫺332r. ⫺ Heroicum hexametricum Magistri Laurencij Coruini Nouoforensis editum in electionem serenissimi Alberti regis Polonie, Clm 4422, 194v⫺197v. ⫺ Epithalamium | Laurencii Coruini. | In nuptiis sacrae regiae Maiestatis. | Poloniae […]. Krakau: Hier. Vietor, 1518 (Th. Wierzbowski, Bibliographia Polonica XV ac XVI ss., Bd. 1, Warschau 1891, ND Nieuwkoop 1961, Nr. 44). ⫺ Carmen de novem musis, Clm 4422, 190r⫺191v. ⫺ Carmen Elegiacum Magistri Laurentij Coruini No|uoforensis De Apolline et nouem Musis. Breslau: Konrad Baumgarten, 20. April 1503. VD 16, C 5450. ⫺ Carmen Laurentij Coruini, quo valedicit prutenos […], in: Theophilacti scolastici Simocati | epistole morales […] interpretatione latina. Krakau: Joh. Haller, 1509, a iir⫺iiiv (K. J. T. Estreicher, Bibliografia Polska, Bd. 31, Krakau 1936 [ND New York 1960], S. 139). Ausgaben. ‘Carmen de novem musis’: J. Kro´ kowski, Laurentii Corvini poetae Silesii carmina duo, in: K. F. Kumaniecki (Hg.), Charisteria Th. Sinko oblata, Warszawa 1951, S. 128⫺134; ‘Epicedion Casimiri olim regis Poloniae’: Kro´ kowski, 1962, S. 167⫺169; ‘Carmen quo valedicit Prutenos’: Kytzler, S. 46⫺49. Faksimile d. Ode auf Polen u. Krakau nach d. Ausg. d. ‘Hortulus’, Augsburg 1516: B. Deresiewicza / A. Janty u. a., Sarmacia, Torun´ 1973, mit poln. u. engl. Übers., S. 67⫺69 u. 111⫺113.
5. ‘Dialogus de Mentis saluberrima persuasione’. Der nach Art von Boethius’ ‘Consolatio’ prosimetrische Dialog inszeniert ein Ge-
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Corvinus, Laurentius
spräch zwischen C. und der Mens, die ihm nach einem Gewitter zusammen mit den Musen Urania, Polyhymnia, Thalia und Melpomene erscheint und ihm eine auf die Lehren Platons ⫺ genauer: Marsilio Ficinos ⫺ gegründete christliche Lebenslehre vermittelt. Die Instanz der Mens versteht sich hier nach Ficinos Begriff als der obere Teil der Seele (der mittlere ist die Ratio), den der Kontakt mit den göttlichen Intellekten auszeichnet und so auch Aufnahmeorgan der Inspiration ist. Mens geht von Ficinos Anthropologie aus, wenn sie ihre Lehre mit der Unterscheidung zweier dem Menschen innewohnenden Kräfte, der dem Irdischen verhafteten sinnlichen und der zum Höheren strebenden geistigen, eröffnet und die Unsterblichkeit an die Bedingung eines geistigen Strebens knüpft, welches die Verehrung Gottes zu mehren zum Ziele hat. Mit Ficino begreift Mens Gott wesentlich als unendliche Güte, als deren höchste Manifestation sie Gottes Menschwerdung und Erlösung erkennt. So empfiehlt sie als Weg zur Betrachtung von Gottes Güte die tägliche Lesung von Bonaventuras Büchlein über die Passion des Herrn, fordert darüber hinaus ihren Gesprächspartner auf, dieses Büchlein mit neuen Hymnen in Leipzig für seine Schüler drucken zu lassen. Im übrigen empfiehlt Mens nachdrücklich die Lehren Platons, und um diese zu verstehen und vermitteln zu können, verspricht sie ihm, die Weisheit Platons in einigen kurzen Darstellungen zusammenzufassen, und zwar 1. die Naturphilosophie, 2. die Moralphilosophie, 3. die Anthropologie, 4. die Staatslehre, 5. die Pädagogik, 6. die Theologie und den Weg zur Seligkeit. Hier kündigt sich offenbar ein Programm umfassender Plato-Ficino-Vermittlung an, das C. indes nicht verwirklicht hat. Den Plan einer neuen Bonaventura-Ausgabe setzte er jedoch um. Druck. Laurentij Coruini | Noviforensis Dialogus Carm|ine et soluta oratione conflatus: de Mente saluber|rima persuasione: ad honesta ingenuarum artium studia: et | ad propagandos animi fructus immortales, […]. Leipzig: Val. Schumann, 1516. VD 16, C 5472.
6. ‘Cursus s. Bonaventure de passione domini’. C.’ Neuausgabe von D Bonaventuras Passions-Officium, seine letzte bekannte
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Veröffentlichung, ist ein Specimen seiner religiösen Dichtung: C. ersetzte in ihr die Hymnen des Franziskaners zu den acht Horen durch eigene (2 sapph., 6 ambrosianische Strr., dazu ein canticum Pindaricum). Er versah die Ausgabe mit einer umfänglichen Vorrede (Breslau, 9. Febr. 1521), in der die leitenden Gedanken des ‘Dialogus’ wiederkehren. Sie wirbt für die dankbare Betrachtung der Passion des Erlösers, flicht zum gleichen Thema 29 Distichen ein, fällt vor allem durch ihre fortwährende Heranziehung verschiedener platonischer Dialoge, insgesamt zwölf, auf; sie spart dagegen jedes biblische Zitat. In Platos Schriften, der ihm mit Augustin als der dem Christentum nächste Philosoph gilt, sieht C. tragende christliche Glaubenselemente vorgebildet. Ficinos Konzept der Versöhnung von Platonismus und Christentum hat im deutschen Humanismus kein entschiedeneres Zeugnis als hier. Druck. Cursus sancti | Bonauenture de passione domi|ni cum inuitatorio himnis et can⫽|ticis Laurentij Coruini: cum | epistola et carmine de gra⫽|tuita dei in nos beneficen⫽|tia [...]. Breslau: Adam Dyon, 1521. VD 16, B 6573 (Ex.: Freiburg, UB, Rara K 4389m). Literatur. G. Bauch, L. C., d. Breslauer Stadtschreiber u. Humanist, Zs. d. Ver. f. schles. Gesch. u. Alterthum 17 (1883) 230⫺302; A. Bˆmer, Die lat. Schülergespräche d. Humanisten, Bd. 1, 1897 (ND Amsterdam 1966), S. 61⫺67; Bauch, Krakau, 1901, S. 31⫺33; ders., Beitr. z. Litteraturgesch. d. schles. Humanismus. VIII, Zs. d. Ver. f. schles. Gesch. 40 (1906) 140⫺184, bes. S. 183 f.; Ellinger, Neulat. Lit., Bd. 1, S. 405⫺410; J. Kro´ kowski, L. C. u. seine Beziehung z. Polen, in: J. Irmscher (Hg.), Renaissance u. Humanismus in Mittel- u. Osteuropa, Bd. 2, 1962, S. 153⫺172; H. Entner, Zum Dichtungsbegriff d. dt. Humanismus, in: I. Spriewald u. a., Grundpositionen d. dt. Lit. im 16. Jh., 1972, S. 330⫺398, hier S. 361⫺ 366; H.-B. Harder, Die Landesbeschreibung in d. Lit. d. schles. Frühhumanismus, in: ders. (Hg.), Landesbeschreibungen Mitteleuropas v. 15. bis 17. Jh. (Schr. d. Bundesrep. Dtld. z. Förderung d. Slaw. Stud. 5), 1983, S. 29⫺45; F. R‰dle, in: Killy, Lit.lex. 2, 1989, S. 465 f.; G. Dippold, Der Humanismus im städt. Schulwesen Schlesiens, in: W. Eberhard / A. A. Strnad (Hgg.), Humanismus u. Renaissance in Ostmitteleuropa v. d. Reformation (Forsch. u. Quellen z. Kirchen- u. Kulturgesch. Ostdtld.s 28), 1996, S. 229⫺244; Leonhardt, Di-
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Crotus Rubeanus
mensio syllabarum, S. 250; B. Kytzler, Laudes Silesiae V. Das Carmen d. C. f. Copernicus, Jb. d. schles. Friedr.-Wilh.-Univ. zu Breslau 33 (1992) 41⫺52; J. Glomski, Poetry to Teach the Writing of Poetry: L. C.’ ‘Carminum structura’ (1496), in: Y. Haskell / Ph. Hardie (Hgg.), Poets and Teachers: Latin Didactic Poetry and the Didactic Authority of the Latin Poet from the Renaissance to the Present (Kleos 4), Bari 1999, S. 155⫺166; G. M. M¸ller, Die ‘Germania generalis’ d. Conrad Celtis (Frühe Neuzeit 67), 2001, S. 318⫺322.
Gernot Michael M¸ller
Crappus J Krapp, Andreas Crotus Rubeanus (Rubianus; auch: Venator, -torius; eigentl.: Johannes Jäger aus Dornheim bei Arnstadt) Die gräzisierte Namensform Crotus für Jäger geht auf den Schützen Kro´tos aus dem griech. Mythos zurück, der als Sternbild an den Himmel versetzt wurde; Rubeanus, abgeleitet von rubus (Brombeerstrauch), bezieht sich auf die Herkunft aus Dornheim. Der gelehrte Name wurde C. von J Mutianus Rufus verliehen.
I . L eb en . C. erblickte um 1480 in Dornheim bei Arnstadt/Thüringen als Sohn einer Bauernfamilie das Licht der Welt. Seit Frühjahr 1498 an der Univ. Erfurt immatrikuliert, wurde er dort 1500 Baccalaureus. Zu seinen Lehrern und Förderern zählten u. a. Maternus J Pistoris und Nikolaus J Marschalk, der ihn mit der griechischen Sprache vertraut machte. 1501 lernte C. in Erfurt Martin Luther kennen, 1503 Ulrich von J Hutten. Mit diesem wechselte er für das WS 1505 an die Univ. Köln. 1506 nach Erfurt zurückgekehrt, wurde er in den Humanistenkreis um Mutianus aufgenommen, unter dessen Mitgliedern er besonders Eobanus J Hessus in lebenslanger Freundschaft verbunden blieb. 1507 erlangte C. den Magistergrad. Daneben wirkte er als Mentor der Grafen Georg und Berthold von Henneberg, die er vorübergehend nach Arnstadt begleitete. 1510 übernahm er die Leitung der Stiftsschule in Fulda. Dem Koadjutor (ab 1513 Fürstabt) der Reichsabtei, Hartmann Burggraf von Kirchberg, diente er zeitweilig als Sekretär.
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Nachdem C. 1516 Fulda verlassen hatte, hielt er sich zunächst in Mainz und Bamberg auf, von wo aus er um Ostern 1517 nach Italien aufbrach. In Bologna erwarb er 1519 den Dr. theol. Unter dem persönlichen Eindruck der Verhältnisse an der römischen Kurie sympathisierte C. in dieser Zeit mit Martin Luther (vgl. Luther-Br., Nr. 213 f., 281, 358). 1520 kehrte er nach Erfurt zurück. Dort übertrug man ihm für das WS 1520/21 das Rektorat der Universität. In dieser Funktion bereitete er am 6. April 1521 Luther, der sich auf der Reise zum Reichstag in Worms befand, einen feierlichen Empfang. Infolge der Unruhen, die nach der Reichsacht über Luther in Erfurt ausbrachen, begab sich C. wieder nach Fulda. Auf Empfehlung seines Bologneser Kommilitonen Friedrich Fischer, des Kanzlers des damaligen Deutschordenshochmeisters und späteren Preußenhzg.s Albrecht von Brandenburg-Ansbach, trat C. 1524 in Königsberg in dessen Dienst. 1526 zum Rat vereidigt, wurde er mit verschiedenen Sonderaufgaben betraut, zu denen u. a. der Aufbau der Schloßbibliothek gehörte (Diesch). Unzufrieden mit der Einführung der Reformation in Preußen, verließ C. 1530 seinen Posten, kehrte endgültig zum alten Glauben zurück und wechselte 1531 in den Dienst des KardinalEb.s Albrecht von Magdeburg und Mainz, der ihm ein Kanonikat an der neuen Stiftskirche in Halle verlieh. Etwa 1537 siedelte er als Domherr nach Halberstadt über. Von weiteren politischen oder literarischen Tätigkeiten ist nichts Sicheres überliefert. Das Todesdatum ist nicht bekannt. C. war ein eifriger Verfechter des humanistischen Bildungsideals und ein glühender Anhänger von dessen herausragenden Vertretern. Im Reuchlin-Streit ergriff er mit der Abfassung der J ‘Epistolae obscurorum virorum’ für den bewunderten Vir trilinguis Partei. Das Rektoratsblatt, das C. in der Studentenmatrikel der Philosophischen Fakultät der Univ. Erfurt zum WS 1520/21 seinem Amtsbericht beifügte (Erfurt, Stadtarch., 1⫺1/X B XIII-46, Bd. 2, Bl. 124r), vereinigt die Wappen von J Reuchlin, J Erasmus und Luther mit denen der Erfurter Sodales. Es kann als opti-
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Crotus Rubeanus
sches Manifest seiner Selbstauffassung als Angehöriger einer Nobilitas litteraria, als Bekenntnis zur humanistischen Reform und als Solidaritätserklärung der Erfurter mit den Ideen Martin Luthers gedeutet werden (Bernstein). Humanistische Reformversuche des Erfurter Curriculums gehen jedoch weniger auf C. als auf den im SS 1519 amtierenden Justus Jonas zurück (vgl. Kalkoff, Humanismus, S. 36 f.). Nachdem C. seine ursprünglich prolutherische Haltung zugunsten des alten Glaubens aufgegeben hatte, wandten sich seine ehemaligen Freunde von ihm ab, allein Eobanus Hessus hielt ihm die Treue. Luther bezeichnete C. als des Cardinals zu Mentz Tellerlecker, Dotter Kroete genant (D. Martin Luthers Werke. Krit. Gesamtausg. Schriften, Bd. 38, 1912, S. 84) und veranlaßte Justus Menius 1532 zur Abfassung einer Streitschrift (s. u. II.4.). I I. We rk . 1. In Versen verfaßte C. nur kürzere Texte, so ein Titelepigramm (6 Dist.; Hutten, Opera, Bd. 1, S. 4) zu Eobans Gedicht ‘De laudibus Gymnasii litteratorii apud Erphordiam’, Erfurt: Wolfg. Stürmer, 1507 (VD 16, E 1522), und ein Geleitgedicht (13 Dist.) zu dessen ‘Bucolicon’, Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1509 (VD 16, E 1478). In Georg Witzels d. Ä. ‘Conquestio de calamitoso rerum Christianarum statu’ (Leipzig: Nik. Wolrab, 1538) ist unter authore Ioanne Rubecano ein Epitaph auf Erasmus von Rotterdam (8 Dist.) abgedruckt, das C. zugeschrieben wird (so VD 16, W 3903).
2. ‘Epistolae obscurorum virorum’. Im Frühling 1515 entstand in Fulda der erste Teil der J ‘Epistolae obscurorum virorum’, als deren Initiator und Hauptautor C. gelten kann. 3. ‘Oratio funebris in laudem Cerdonis’. Die ‘Oratio funebris’ ist wie die ‘Epistolae obscurorum virorum’ eine mimetische Satire: Angeblich aufgefunden und zum Druck gegeben von Grillus Porcarius und Ioannes Dormisecure, soll sie, zusammen mit einigen beigefügten Quaestiones des Verstorbenen, ein Vademecum für diejenigen bilden, die sich der mal.-scholastischen Denk- und Ausdrucksweise verpflichtet fühlen. Die beiden ‘Editoren’ ergehen sich in ihren Widmungsschreiben an Petrus
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Tardesurgerius in bewährter Dunkelmänner-Polemik gegen das humanistische Stilideal und offenbaren dabei zugleich ihre sprachliche und intellektuelle Inkompetenz. Der Nachruf auf Johannes Cerdo erweist ihn ebenso als Vir obscurus wie die Qualität der auf ihn zurückgeführten Quaestiones. Die Zuschreibung an C. nahm Brecht (S. 158−167) auf der Basis von formalen und inhaltlichen Übereinstimmungen mit C.-Texten aus den ‘Epistolae obscurorum virorum’ vor. Obwohl keine externen Bestätigungen für die Verfasserschaft des C. vorliegen, wurde diese in der neueren Forschung nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt. Druck. Oratio hec est funebris. | In laudem Ioannis Cerdonis. | Quam nominavimus Vademecum | Quia cum emeris tunc portas tecum | Cum duabus epistolis clarorum virorum | Quas nequaquam dices imperitorum. [Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1518?]. VD 16, ZV 11994. Bˆcking (Hutten, Opera, Bd. 6, S. 451) hat als Druckort und -jahr Erfurt 1518 vermutet; s. jedoch H. Claus, Das Leipziger Druckschaffen d. J. 1518⫺1537, 1987, S. 78. Ausgabe. Hutten, Opera, Bd. 6, 1864 (ND 1963), S. 451⫺460.
4. ‘Apologia’. Die ‘Apologia’ hat C. 1531 im Auftrag des Eb.s Albrecht von Magdeburg und Mainz verfaßt. Der Text ist formal als Antwortbrief an einen namentlich nicht genannten Adressaten gestaltet. C. geht auf dessen Fragen ein, die sich bei der Lektüre einer Schrift des Dresdner Hofpredigers Alexius Crosner von Colditz (NDB 3, S. 423 f.) ergeben haben. Der Titel dieser Schrift wird mit de eucharistia et ecclesia angegeben. Trotz einiger Unstimmigkeiten wurde vermutet, daß sich dahinter ‘Ein Sermon von der heiligen christlichen Kirchen’ (VD 16, C 6077) verbirgt, der 1531 in Wittenberg mit einer Vorrede von Martin Luther gedruckt wurde (vgl. Redlich, S. 57 f.). In der ‘Apologia’ weist C. in der Vorrede angeblich enthaltene Angriffe auf Eb. Albrecht als verleumderisch zurück, ohne jedoch den Namen Luthers zu nennen. Des weiteren geht es um die Frage der Ohrenbeichte als Voraussetzung für das Abendmahl und den Abendmahlsstreit
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Cuno, Johannes
selbst, wobei C. im Sinne der alten Kirche Position bezieht. Druck. Apologia | qua respondetur temerita| ti calumniatorum, non verentium confictis criminibus in | populare odium protrahere Reverendissimum in Christo | patrem et dominum, dominum Albertum [...] Archiepiscopum Moguntinensem et Magdeburgensem, [...] a Ioanne Croto | Rubeano privatim ad quendam amicum | Conscripta. Leipzig: Mich. Blum, 1531. VD 16, J 156. C.’ ehemaliger Fuldaer Schüler Justus Menius verfaßte auf Betreiben Luthers 1532 anonym eine ‘Ad Apologiam Ioannis Croti Rubeani responsio’ (VD 16, M 4536), in der er dem abtrünnigen Freund seinen früheren Spott gegen die ‘Papisten’ vorhält. 5. Die Zuweisung mehrerer zeitgenössischer satirischer Schriften an C. etwa durch Brecht, S. 152⫺236, ist äußerst umstritten (vgl. Kalkoff, C.-Legende, der insbes. die Abfassung einer dt. Triadenslg. durch C. leugnet, welche Hutten als Vorlage zu seinem ‘Vadiscus sive Trias Romana’ gedient habe). 6. Die Briefe des C. sind noch nicht systematisch gesammelt und herausgegeben. Sie finden sich zum Teil in Werkausgaben und Briefeditionen seiner Korrespondenzpartner: Hutten, Opera, Bd. 1, Nr. 8, 14, 84, 140, 160, 207; C. Krause (Hg.), Der Briefwechsel d. Mutianus Rufus, 1885, Nr. 530, 533; Luther-Br., Bd. 1, Nr. 213 u. 214, Bd. 2, Nr. 281 u. 358. ⫺ Briefe an Johannes Heß in: K. u. W. Krafft, Briefe u. Dokumente a. d. Zeit d. Reformation im 16. Jh., 1875, Nr. 4, 7, 13. ⫺ Ein Brief an Johannes Lang in: C. Krause, Epistolae aliquot selectae virorum doctorum M. Luthero aequalium (Gymnasium Zerbst. Beilage z. Osterprogr.), 1883, Nr. 11. ⫺ Paraphrase einiger Briefe an Hzg. Albrecht von Preußen in: J. Voigt (Hg.), Briefwechsel d. berühmtesten Gelehrten d. Zeitalters d. Reformation an Hzg. Albrecht v. Preussen, Königsberg 1841, S. 160⫺170. ⫺ Hinweise auf unediertes Archivmaterial bei Forstreuter, passim.
III. Bis J. Ch. Olearius 1720 die ‘Responsio’ des Justus Menius wiederveröffentlichte (Epistola Anonymi ad Ioannem Crotum Rubeanum, verum huncce inventorem et auctorem Epistolarum Obscurorum Virorum manifestans, Arnstadt 1720), wurde C. kaum zur Kenntnis genommen. Danach galt das Hauptinteresse dem Wanderer zwischen den Konfessionen, wobei die Haltung des ‘Apostaten’ häufig aus der Perspektive der Lutheraner beurteilt wurde (vgl. Forstreuter, S. 296, 308 f.). In neue-
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rer Zeit wird der Mitverfasser der ‘Dunkelmännerbriefe’ v. a. als genialer Satiriker wahrgenommen und behauptet als solcher seinen Platz in der Weltliteratur. Literatur. K. Schottenloher, Bibliographie z. dt. Gesch. im Zeitalter d. Glaubensspaltung 1517⫺85, Bd. 1, 21956, S. 144, Nr. 3485⫺3490; P. Redlich, Cardinal Albrecht v. Brandenburg u. d. Neue Stift zu Halle 1520 bis 1541, 1900, S. 55⫺ 69; W. Brecht, Die Verfasser d. Epistolae obscurorum virorum, 1904; P. Kalkoff, Humanismus u. Reformation in Erfurt, 1926; ders., Die C.-Legende u. d. dt. Triaden, ARG 23 (1926) 113⫺149; C. Diesch, C. R. im Dienste d. Hzg.s Albrecht, in: Königsberger Beitr. Fg. z. 400jähr. Jubelfeier d. SUB zu Königsberg Pr., 1929, S. 45⫺61; H. Grimm, in: NDB 3, 1957, S. 424 f.; K. Forstreuter, Joh. C. R. in Preußen, in: Fs. f. H. Heimpel z. 70. Geb., 1972, Bd. 2, S. 293⫺312; H. Vredeveld, in: Killy, Lit.lex. 2, 1989, S. 481 f.; E. Bernstein, Der Erfurter Humanismus am Schnittpunkt v. Humanismus u. Reformation. Das Rektoratsbl. d. C. R., Pirckheimer-Jb. 12 (1997) 137⫺165.
Gerlinde Huber-Rebenich
Cubitensis J Honorius, Johannes, Cubitensis Cuno (Cono, -non, Cun, Kuno), Johannes I . L eb en . C., geb. um 1463 in Nürnberg und offenbar aus ärmlichen Verhältnissen stammend, trat frühzeitig (Sicherl, 1978, S. 35: um 1480?; Saffrey, 1990, S. 263: gegen 1485?) in das Dominikanerkloster seiner Heimatstadt ein. Bei dem Nürnberger Patrizier Dr. Johannes D Pirckheimer erlernte er nach 1488 die Anfangsgründe des Griechischen. Mitte der 90er Jahre setzte er seine Griechischstudien, im Zuge derer er 1494 einen griech. Psalter aus dem Basler Predigerkloster entlieh, unter Johannes J Reuchlin fort; am 10. Aug. 1496 kopierte er in Stuttgart aus einer Inkunabel Reuchlins die Pythagoras zugeschriebenen ‘Aurea verba’ (Sicherl, 1978, S. 208 f.). In welche Zeit seine Tätigkeit als Dozent (cursor) im Landshuter Dominikanerkonvent fällt, bleibt ungewiß (ebd., S. 214). 1499 scheint er sich erstmals in Italien (Padua) aufgehalten zu haben; möglicher-
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Cuno, Johannes
weise trat er damals auch schon mit dem in Venedig lehrenden italienischen Gräzisten Scipione Forteguerri (gen. Carteromachus, 1466⫺1515) in Kontakt (ebd., S. 45 u. 50 f.). Von Ende 1499 bis Anfang 1501 unterstützte er dann in Speyer Reuchlins Griechischschüler Thomas Truchseß und Jodocus J Gallus, der C. als condiscipulus, dicerem verius praeceptor bezeichnete, beim Studium dieser Sprache (vgl. Reuchlin-Br., Bd. 1, Nr. 96, 99 u. 109). 1501 war er Lehrer (informator) im Dominikanerkloster Liebenau bei Worms. Am 26. Aug. 1504 kopierte er bei Reuchlin in Stuttgart eine Abschrift der ‘Colloquia Pseudodositheana’ (vgl. Sicherl, 1994, S. 66 f.). Wenig später ist C. (erneut) nach Italien aufgebrochen. Am 29. Sept. 1504 hörte er in Venedig eine Vorlesung des Kreters Johannes Gregoropulos (vgl. Oleroff) über die ‘Wolken’ des Aristophanes; ob er dort in einem der beiden Dominikanerkonvente (SS. Giovanni e Paolo oder S. Domenico in Castello) lebte, entzieht sich unserer Kenntnis. In Venedig intensivierte er seine Studien der griech. Literatur in Zusammenarbeit mit dem Buchdrucker Aldo Manuzio (ca. 1450⫺1515) und einem sonst nicht näher bekannten Priester namens Fabius Columnius (Fabio Colonna). In Manuzios Auftrag unternahm er von Sept. bis Dez. 1505 eine Reise zu Kg. Maximilian, die ihn bis nach Gelderland (ad Sicambros usque) führte (vgl. H. Ankwicz v. Kleehoven, Aldus Manutius u. d. Plan einer dt. Ritterakademie, La Bibliofilia 52 [1950] 169⫺177, wieder in: R. Ridolfi [Hg.], Scritti sopra Aldo Manuzio, Florenz 1955, S. 49⫺57). Am 21. Dez. 1505 war er wieder in Venedig. Zu dieser Zeit traf auch C.s Landsmann Albrecht Dürer dort ein, der C. innerhalb seines von April bis Aug. 1506 in Venedig entstandenen Gemäldes ‘Das Rosenkranzfest’ möglicherweise in der Gestalt des Hl. Dominicus porträtiert hat (vgl. die Überlegungen bei Saffrey, 1990, die freilich daran kranken, daß Saffrey den bei Pantaleon, Bd. 3, 1566, S. 18, gedruckten Holzschnitt, der auch zur Bebilderung mehrerer anderer Mönchsviten Verwendung gefunden hat, für ein authentisches Bildnis C.s ansieht).
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1506 begab sich C. nach einem Zwischenaufenthalt in Ferrara nach Padua, wo er bis 1509 bei dem Gräzisten Markos Musuros (ca. 1470⫺1517) studierte. Anschließend (wohl erst nach der Niederlage der Venezianer bei Agnadello [14. Mai 1509] und der deswegen im Sommer erfolgten Schließung der Univ. Padua) reiste er nach Rom und erhielt dort am 25. April 1510 von seinem Ordensgeneral die Erlaubnis, sich sein künftiges Kloster innerhalb der deutschen Ordensprovinz selbst auszuwählen. Daraufhin begab er sich nach einem neuerlichen Aufenthalt in Ferrara (Juli 1510) über den St. Gotthard nach Basel, wo er im Nov. 1510 eintraf. Bei seinen Ordensbrüdern im Basler Dominikanerkloster lebend, in welchem ihm die bedeutende griech. Hss.sammlung des Kardinals Johannes Stojkovic´ von Ragusa (ca. 1390⫺ 1443) zur Verfügung stand, unterstützte er den Buchdrucker Johannes Amerbach, dem er von Reuchlin, Jakob J Wimpfeling und Konrad J Pellikan als Gräzist empfohlen worden war (Amerbach-Korr., Bd. 1, Nr. 443, 444 u. 446), bei der Vorbereitung der schließlich 1516 erschienenen großen Hieronymus-Ausgabe. Daneben übersetzte er einzelne Schriften griech. Kirchenväter ⫺ darunter elf Reden Gregors von Nazianz (s. u.) ⫺ ins Lateinische und erteilte Joh. Amerbachs Söhnen Bruno (1485⫺1519), Basilius (1488⫺1535) und Bonifacius (1495⫺1562) sowie seit Mitte 1511 auch Beatus J Rhenanus privat Griechischunterricht. Dieser Unterricht, dem C. häufig seine Nachschriften der Paduaner Vorlesungen des Musuros zugrunde legte, bestand v. a. in der Lektüre und Übersetzung heidnischer Autoren wie Aristophanes, Demosthenes oder Lukian (vgl. Sicherl, 1978, S. 87 f. u. 145 f.; ders., 1985, passim). Im Okt. 1512 erkrankte C.; am 21. Febr. 1513 ist er in Basel gestorben. Für sein Grab im dortigen Predigerkloster verfaßte Beatus Rhenanus die Inschrift (s. Saffrey, 1971, S. 37 f.). C.s Nachlaß wurde unter seine Erben verteilt: Während die lat. Drucke ⫺ zumindest teilweise ⫺ in das Nürnberger Predigerkloster (und später von dort in die StB Nürnberg) gelangten, hatte C. die in sei-
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Cuno, Johannes
nem Besitz befindlichen Hss. testamentarisch teils Willibald J Pirckheimer, teils Beatus Rhenanus vermacht. Über ihren Inhalt und ihr weiteres Schicksal informiert erschöpfend Sicherl, 1978, sowie ergänzend ders., 1997. I I. We rk . C.s langjährige Studien in Deutschland und Italien erstreckten sich auf nahezu alle Bereiche der griech. Literatur. Neben grammatikalischen Werken und byzantinischen Lexika widmete sich C. Dichtern wie Homer, Euripides, Sophokles oder Theokrit und Philosophen wie Platon, Aristoteles oder Alexander von Aphrodisias. Seine Beschäftigung mit diesen und anderen Autoren ist durch eine Vielzahl von Hss. dokumentiert, die sich heute v. a. in Schlettstadt, Basel, Paris und London befinden und von Sicherl mustergültig beschrieben und ausgewertet worden sind. Das Studium des Griechischen stand für C. aber ganz im Dienst der Theologie; in einem Brief aus dem Jahre 1507 (s. u. II.C.4.) führt er an, daß die Hl. Schrift ohne die Kenntnis des Griechischen nur unvollkommen verstanden werden könne, und begründet auch seinen 1506 erfolgten Wechsel von Venedig nach Padua mit dem Bestreben, sein Studium bei Musuros auf die litterae sacrae auszudehnen. Musuros stellte ihm Hss. mit Werken der griech. Kirchenväter (Briefe von Basileios d. Gr. und Gregor von Nazianz sowie die ‘Pege gnoseos’ des Johannes von Damaskus) zur Verfügung, die C. in Auszügen kopierte und teilweise bereits in Padua ins Lateinische zu übersetzen begann. Als er nach seinem Eintreffen in Basel im Nov. 1510 die Hss.sammlung des Johannes von Ragusa (s. o.) benutzen konnte, intensivierte er diese Übersetzungstätigkeit. In den folgenden zwei Jahren entstanden seine Übertragungen von elf Reden des Gregor von Nazianz und seine Revision einer älteren lat. Übersetzung der Gregor von Nyssa zugeschriebenen Schrift ‘De natura hominis’. Diese Revision hatte C. auf Bitten des Beatus Rhenanus vorgenommen und dafür eine dann nicht mehr zum Abschluß gekommene Übertragung von Johannes Chryso-
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stomos’ Kommentar zu den Paulinen unterbrochen. Für die von Johann Amerbach vorbereitete Hieronymus-Ausgabe stellte C. mit großem Geschick die griech. Partien wieder her, die in den Hss. und älteren Drucken der Werke des lat. Kirchenvaters oft fehlten oder stark entstellt waren. Obgleich C.s Œuvre seines frühen Todes wegen schmal blieb, galt er den Zeitgenossen als ein glänzender und auch methodisch versierter Gräzist, dessen Ruhm ab 1510 sogar denjenigen seines Lehrers Reuchlin zu überstrahlen begann. J Erasmus gedenkt seiner Vorarbeiten für die später von ihm betreute Hieronymus-Ausgabe mit großer Anerkennung (vgl. Sicherl, 1978, S. 120⫺122). Daß C. Erasmus auch bei dessen Ausgabe des NTs unterstützt habe, ist allerdings nur ein oft wiederholter Irrtum (s. ebd., S. 121 mit Anm. 9). Ferner ist es zwar ganz sicher übertrieben, C. mit Meyer (S. 282) und Geanakoplos (S. 136 u. 294) als den “wahren Begründer der griech. Studien in Deutschland” zu bezeichnen (dagegen R. Pfeiffer, Die Klass. Philologie v. Petrarca bis Mommsen, 1982, S. 113 f. mit Anm. 35), gleichwohl aber war er nicht zuletzt als Lehrer von Beatus Rhenanus, der 1511 v. a. seinetwegen nach Basel gekommen war, innerhalb des dt. Sprachraumes einer der maßgeblichen Wegbereiter des Griechischen. A . H er au sg eb er un d Kor re kt or. 1. Ps.-Gregor von Nyssa [⫽ Nemesios von Emesa], ‘De natura hominis’. Revision der Übersetzung Burgundios von Pisa; im Winter 1511/12 in Basel entstanden und 1512 auf Bl. Ir⫺XLIVr der mit zahlreichen Beigaben versehenen Ausgabe gedruckt. Die ca. 400 n. Chr. entstandene Schrift ‘De natura hominis’ des syrischen B.s Nemesios von Emesa, eine auf breiter philosophischer Quellenbasis in apologetischer Absicht verfaßte christliche Anthropologie in 43 Kapiteln (Zählung nach M. Morani [Hg.], Nemesii Emeseni De natura hominis, 1987), wurde frühzeitig in die wichtigsten orientalischen Sprachen sowie mehrfach ins Lateinische übertragen; seit der Ad-verbum-Übersetzung des Burgundio von Pisa (12. Jh.) galt die Abhand-
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Cuno, Johannes
lung im MA als ein Werk des Gregor von Nyssa. Bei seiner Revision dieser Übertragung, im Zuge derer er den bei Burgundio in 42 Kapitel gegliederten Text in acht Bücher unterteilte (vgl. Kristeller, CTC, Bd. 6, 1986, S. 58 f.), konnte sich C. nur teilweise auf den griech. Originaltext stützen: Lediglich die Kap. 2 und 3 waren als vermeintliche Schrift des Gregor von Nyssa unter dem Titel ‘De anima’ (⫽ PG 45, Sp. 187⫺221) in der Bibliothek des Basler Dominikanerklosters vorhanden. Wo dieser unvollständige griech. Kodex ihn im Stich ließ, griff C. darum in methodisch fortschrittlicher Weise verschiedentlich auf die indirekte Überlieferung zurück: Er versuchte, Burgundios Übertragung zu emendieren, indem er die ihm in Basel ebenfalls zugängliche Parallelüberlieferung bei Basileios d. Gr., Elias von Kreta und v. a. Johannes von Damaskus heranzog. Der jüngste Hg. von ‘De natura hominis’ bescheinigt C. eine “capacita` di intuizione e di emendazione congetturale talvolta veramente brillante” (M. Morani, La tradizione manoscritta del ‘De natura hominis’ di Nemesio, Mailand 1981, S. 38). Das Gros der nur stilistischen Verbesserungen, die freilich z. T. auf das Konto des Beatus Rhenanus gingen, ließ sich dagegen leicht auch ohne einen Rückgriff auf den Urtext vornehmen (vgl. etwa im 1. Kap. den Ersatz der in den Kasus allzu eng an das Griechische angelehnten Formulierung non circumposuit nobis [...] squamas ut serpentibus et piscibus durch non circumdedit nos [...] squamis velut serpentes et pisces). Druck. Divini | Gregorij Nyssae Episcopi qui fuit frater | Basilij Magni Libri octo. | I De Homine. | II De Anima. | III De Elementis. | IIII De Viribus animae. | V De voluntario et involuntario. | VI De Fato. | VII De Libero arbitrio. | VIII De Providentia. Straßburg: Matth. Schürer, 1512. VD 16, B 682 (⫽ VD 16, G 3050 u. G 3101). Vgl. J. Quasten, Patrology, Bd. 3, Westminster, Md. 1960, S. 354 f.; Sicherl, 1978, S. 139⫺142; H. Brown Wicher, Nemesius Emesenus, in: Kristeller, CTC, Bd. 6, 1986, S. 32⫺72; [Hieronymus], Nr. 8 (mit Abb. d. Titelseite); J.-L. Girard, De Ne´me´sius d’Eme`se a` Beatus Rhenanus: relecture, re´e´criture?, in: J. Hirstein (Hg.), Beatus Rhenanus (1485⫺1547). Lecteur et e´diteur des textes anciens,
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Turnhout 2000, S. 61⫺66 (mit Abb. d. Titels.). Zu den späteren Drucken (erstmals Paris: Josse Bade, 1513) s. ferner R. Walter (Hg.), Beatus Rhenanus: Citoyen de Se´lestat, ami d’E´rasme (1485⫺1547). Anthologie de sa Correspondance, Straßburg 1986, S. 12 u. 111, sowie [Hieronymus], Nr. 470.
2. Die Basler Hieronymus-Ausgabe. Die außerordentliche Wertschätzung, die C. gegen Ende seines Lebens als Gräzist genoß, läßt sich v. a. an den Urteilen der Männer ablesen, mit denen er 1510⫺1513 an der Vorbereitung der Basler Hieronymus-Ausgabe arbeitete. Die Hebraisten Pellikan und Matthäus Adriani bezeichneten ihn im Jan. 1513 als humanissimus Graecus und corrector famosus et doctus (Amerbach-Korr., Bd. 1, Nr. 476, Z. 21 u. Nr. 477, Z. 42 f.). Ihrem Urteil schloß sich auch Erasmus an, der zwar erst nach C.s Tod in Basel eintraf, den Dominikaner aber posthum als einen Mann würdigte, der seine ausgezeichnete Kenntnis der griech. Literatur mit einem unermüdlichen Gelehrtenfleiß verbunden habe (Erasmus, Op. epist., Bd. 2, Nr. 335, Z. 307⫺311) und ein längeres Leben im Dienste der Wissenschaft verdient hätte (vgl. Saffrey, 1971, S. 36 f.). C.s Basler Schüler Bruno und Basilius Amerbach hielten ihrem verstorbenen Lehrer 1516 in ihrem Vorwort zum 5. Bd. der Hieronymus-Ausgabe zugute, daß er in den griech. und lat. Partien vieles verbessert habe (Amerbach-Korr., Bd. 2, Nr. 551, Z. 12), während Beatus Rhenanus ihn 1540 aus der Rückschau der strengeren Methodik wegen als Textkritiker ausdrücklich über Reuchlin stellte (Erasmus, Op. epist., Bd. 1, Nr. IV, S. 63, Z. 260⫺268). Der Basler Buchdrucker Adam Petri wird von Reuchlin selbst 1512 gar mit der spöttischen Bemerkung zitiert, in C.s Person habe man in Basel nun jemanden zur Verfügung, dem er, Reuchlin, nit gu˚tt were die schu˚ch uffzerinnckeln (Reuchlin-Br., Bd. 2, Nr. 207, Z. 113⫺ 116). Druck. Omnium operum | divi Eusebii Hieronymi | Stridonensis | Tomus primus */ secundus /... / nonus+. [9 Bde.]. Basel: Joh. Froben, 1516. VD 16, H 3482. Vgl. Sicherl, 1978, S. 119⫺ 130; [Hieronymus], Nr. 17; J. F. Brady / J. C. Olin (Hgg.), Patristic Scholarship ⫺ The Edition
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Cuno, Johannes
of St. Jerome (Collected Works of Erasmus 61), Toronto 1992; Reuchlin-Br., Bd. 2, S. XIV u. passim.
B . L at ei ni sc he Üb er se tz un ge n. 1. Basileios d. Gr., Briefe, Nr. 38 ‘De differentia usiae et hypostasis’ (⫽ PG 32, Sp. 325⫺340) und Nr. 197 ‘Ad Ambrosium’, Kapitel 1 (⫽ ebd., Sp. 709⫺712). Die Übersetzung von Nr. 38 (hsl. überliefert in Schlettstadt, Bibl. Humaniste, Ms. 102, Bl. 135r⫺139v) bildet C.s früheste Übertragung aus dem Griechischen und entstand bereits 1507 in Padua, wurde aber erst 1512 ⫺ mit einer Widmung an Jod. Gallus versehen (s. u. II.C.4.) ⫺ im Anhang der oben angezeigten Straßburger Ausgabe des Ps.-Gregor von Nyssa gedruckt (Bl. LIVv⫺LVIIv). Die Übersetzung des kurzen Eingangskapitels von Nr. 197 entstand dagegen erst im Jan. 1511 in Basel und blieb bis heute ungedruckt (hsl. überliefert in Schlettstadt, Bibl. Humaniste, Ms. 141, Bl. 9r, mit Widmung an B. Christoph von Utenheim, s. u. II.C.6). 2. Gregor von Nazianz, Reden, Nr. 1 ‘In sanctum Pascha et in tarditatem’ (⫽ PG, 35, Sp. 396⫺401), Nr. 3 ‘Ad eos qui ipsum acciverant nec occurrerant’ (⫽ ebd., Sp. 517⫺525), Nr. 11 ‘Ad Gregorium Nyssenum’ (⫽ ebd., Sp. 832⫺841), Nr. 13 ‘In consecratione Eulalii Doarensium episcopi’ (⫽ ebd., Sp. 852⫺856), Nr. 20 ‘De dogmate et constitutione episcoporum’ (⫽ ebd., Sp. 1065⫺1080), Nr. 22 ‘De pace’ (⫽ ebd., Sp. 1132⫺1152), Nr. 27 ‘Adversus Eunomianos praevia dissertatio’ (⫽ PG 36, Sp. 12⫺25), Nr. 28 ‘De theologia’ (⫽ ebd., Sp. 25⫺72), Nr. 32 ‘De moderatione in disputando’ (⫽ ebd., Sp. 173⫺ 212), Nr. 33 ‘Adversus Arianos et de seipso’ (⫽ ebd., Sp. 213⫺237) u. Nr. 45 ‘In sanctum Pascha’ (⫽ ebd., Sp. 624⫺664); 1511/12 in Basel entstanden, hsl. überliefert in Schlettstadt, Bibl. Humaniste, Ms. 141, Bl. 2r⫺76v; nur die 11. Rede wurde 1512 mit einer Widmung an Thomas Truchseß im Anhang der oben angezeigten Straßburger Ausgabe des Ps.-Gregor von Nyssa, Bl. Lr⫺LIIr gedruckt. Zu diesen Übertragungen sowie zu C.s nur hsl. erhaltener Übersetzung des 16. Briefes des Gre-
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gor von Nazianz (‘Eusebio Caesariensi episcopo’) vgl. Sister A. C. Way, Gregorius Nazianzenus, in: Kristeller, CTC, Bd. 2, 1971, S. 113 f. u. 142 f. C . B ri ef e. 1. (griech.) an Scipione Forteguerri, Padua, 26. Febr. [1505] (Saffrey, 1971, S. 31⫺33); 2. an Will. Pirckheimer, Venedig, 21. Dez. [1505] (Pirckheimer-Br., Bd. 1, Nr. 86); 3. an dens., Padua, 26. Dez. 1506 (ebd., Nr. 139); 4. an Jod. Gallus, Padua, 19. April 1507 (Saffrey, 1971, S. 42⫺45); 5. (griech.) an Reuchlin, Padua, 31. Mai [1508?] (ebd., S. 58⫺62, u. Reuchlin-Br., Bd. 2, Nr. 146); 6. an Christoph von Utenheim, Basel, 7. Jan. 1511 (Sicherl, 1977, S. 50 f.); 7. an denselben, Basel, 7. April 1511 (ebd., S. 51⫺54); 8. an Beatus Rhenanus, Basel, 7. März 1512 (Rhenanus-Br., Nr. 25, u. Saffrey, 1971, S. 45⫺52); 9. an Th. Truchseß, Basel, 17. März 1512 (ebd., S. 52⫺58). Fünf der überlieferten neun Briefe C.s (Nr. 4 u. 6⫺9) beschäftigen sich in ausgefeilter lat. Diktion detailliert mit C.s Griechischstudien in Italien und seinen Übersetzungen der Schriften der drei Kappadokier Gregor von Nazianz, Basileios von Caesarea und (Ps.-)Gregor von Nyssa. Zusammen mit den beiden griech. Billetts (Nr. 1 u. 5), die C.s Gewandheit im zeittypischen aktiven Gebrauch dieser Sprache unter Beweis stellen, und den beiden an Pirckheimer gerichteten lat. Schreiben (Nr. 2 u. 3), in denen der Dominikaner von seiner in Manuzios Auftrag unternommenen Reise zu Kg. Maximilian berichtet und ein eher bedrückendes Zeugnis seiner Armut ablegt, ermöglichen diese Briefe authentische Einblicke in den Klosterhumanismus am Vorabend der Reformation und sind geeignet, die infolge der J ‘Epistolae obscurorum virorum’ noch immer ganz einseitig verzerrten Vorstellungen von den zeitgenössischen Ordensmitgliedern zu korrigieren. Literatur. H. Pantaleon, Prosopographia heroum atque illustrium virorum totius Germaniae, Bd. 3, Basel 1566, S. 18 f.; H. Meyer, Ein Kollegheft d. Humanisten Conon, ZfB 53 (1936) 281⫺ 284; E. Reicke, Ein vergessener Nürnberger Ge-
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Cuspinianus, Johannes
lehrter d. Pirckheimerzeit, MVGN 35 (1937) 106⫺ 122; Pirckheimer-Br., Bd. 1, S. 284⫺288; A. Oleroff, L’humaniste dominicain Jean Conon et le cre´tois Jean Gre´goropoulos, Scriptorium 4 (1950) 104⫺107; H. Grimm, in: NDB 3, 1957, S. 437; D. J. Geanakoplos, Greek Scholars in Venice. Studies in the Dissemination of Greek Learning from Byzantium to Western Europe, Cambridge (Mass.) 1962, S. 113, 136, 150, 294; H. D. Saffrey, Un humaniste dominicain, Jean Cuno de Nuremberg, pre´curseur d’E´rasme a` Baˆle, BHR 33 (1971) 19⫺62; M. Sicherl, Zwei Briefe Joh. C.s an d. Bischof v. Basel, Christoph v. Utenheim, Basler Zs. f. Gesch. u. Altertumskunde 77 (1977) 45⫺ 55; ders., J. C. Ein Wegbereiter d. Griechischen in Dtld., 1978; ders., Die griech. Hss. d. Beatus Rhenanus, Annuaire de la Socie´te´ Humaniste de Se´lestat 29 (1979) 59⫺78; ders., Neue Hss. J. C.s u. seiner Schüler, Annuaire de la Socie´te´ Humaniste de Se´lestat 35 (1985) 141⫺148; P. G. Bietenholz, in: CoE 1, 1985, S. 333 f.; H. D. Saffrey, Albr. Dürer, Jean C., O. P., et la confre´rie du Rosaire a` Venise, in: D. Harlfinger (Hg.), FILOFRONHMA. Fs. f. M. Sicherl z. 75. Geb. (Stud. z. Gesch. u. Kultur d. Altertums NF I 4), 1990, S. 263⫺291; [F. Hieronymus], En Basileia polei tes Germanias. Griech. Geist aus Basler Pressen (Publikationen d. UB Basel 15), 1992, als Internetversion 2003 neu hg. v. Ch. Schneider / B. Vˆgeli, S. V u. Nr. 3, 7⫺9, 11 f., 15, 17, 22, 38, 301, 446, 470 f.; M. Sicherl, Neue Reuchliniana, in: H. Eideneier (Hg.), Graeca recentiora in Germania. Dt.-griech. Kulturbeziehungen v. 15. bis 19. Jh. (Wolfenbütteler Forsch. 59), 1994, S. 65⫺92, bes. S. 72⫺74, 78, 81, 83; ders., Griech. Erstausg.n d. Aldus Manutius. Druckvorlagen, Stellenwert, kultureller Hintergrund (Stud. z. Gesch. u. Kultur d. Altertums NF I 10), 1997.
Matthias Dall’Asta
Cuspinianus (Spieshaymer, Spieß-, -heimer), Johannes Inhalt. I. Leben. ⫺ II. Werk. A. Herausgeber. ⫺ B. Schriften. 1. Lebenszeugnisse. a) Tagebucheintragungen. b) Briefe. 2. Zeitgeschichte und Politik. a) Diarium vom Wiener Kongreß 1515. b) ‘Oratio protreptica’. 3. Geschichtsschreibung. a) ‘Catalogus caesarum occidentalium’. b) ‘Consules’. c) ‘Caesares’. d) ‘Austria’. 4. Gedichte. 5. Inschriften. 6. Einleitungen zu Vorlesungen. 7. Kartographie. ⫺ Literatur.
I . L eb en . C.’ Biograph Ankwicz hat in jahrzehntelangen Forschungen reiches Quellenmaterial zu allen
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Lebensabschnitten zusammengetragen, erschlossen und in der abschließenden Biographie (1959) verarbeitet: Tagebucheintragungen, Briefe, Notizen in Hss. und Drucken, Kolleghefte, Widmungen, Zeugnisse von Zeitgenossen, Urkunden über Haus- und Grundbesitz, Lehen und Privilegien, Zeugnisse über die amtliche Tätigkeit als Wiener Stadtanwalt und Mitglied landesfürstlicher Kommissionen sowie Akten zur diplomatischen Tätigkeit, Portraits von C., seiner ersten Ehefrau Anna sowie der Familie mit der zweiten Ehefrau Agnes, schließlich eine Zusammenstellung der reichen Bibliothek C.’.
Geb. wurde C. 1473, vor dem Monat Oktober, als Sohn des 1490 als Bürgermeister der Reichsstadt Schweinfurt in Franken nachweisbaren Hans Spießhaymer († 1503) in Spiesheim b. Schweinfurt. Von der Lateinschule in Schweinfurt, die auch Konrad J Celtis und Johannes Greul besucht hatten, ging C. im SS 1490 an die Univ. Leipzig, wo er seinen Lehrer Matthaeus J Lupinus Calidomius durch seine lat. Beredsamkeit beeindruckte. Nach einem Intermezzo an der Würzburger Domschule (1491/92) begab er sich nach Wien und trat hier umgehend in Kontakt zu den Anhängern des Humanismus um den von Ks. Friedrich III. nach Wien berufenen italienischen Humanisten C. Paulus Amaltheus ⫺ einen Schüler des Q. Aemilianus Cimbriacus ⫺, der in der konservativen Artistenfakultät auf Widerstand stieß. Wohl im Herbst 1492 begrüßte er den ksl. Rat Johann Fuchsmagen mit einem Gedicht, in dem er zum ersten Mal den latinisierten Namen C. verwendete. Bei den Exequien für Friedrich III. wurde er am 7. Dez. 1493 von Kg. Maximilian I., zu dem er in der Folge in einem engen Vertrauensverhältnis stand, zum Dichter gekrönt; den Anlaß dazu gab vermutlich ein Gedicht auf den hl. Leopold, dessen Text verloren ist. Im WS 1493/94 ließ er sich an der Universität immatrikulieren, am 14. Mai 1494 an der medizinischen Fakultät inskribieren; zugleich äußerte er den Wunsch, an der Artistenfakultät humanistische Vorlesungen zu halten. Während des Medizinstudiums, das er 1499 mit der Promotion zum Dr. med. abschloß, hielt er bei den Artisten Vorlesungen (s. II.A.1.⫺3.); kurzfristig (bis 1497) lehrte er als lector ordinarius artis
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Cuspinianus, Johannes
rhetoricae, bis 1500 wirkte er dann an der renommierten Bürgerschule von St. Stephan. Den Titel eines artium doctor, den C. 1495 führte, bzw. philosophie doctor, den er 1500 gebraucht, hat er wohl nicht regulär erworben, sondern als Poeta laureatus in Anspruch genommen. Die Flucht vor der Pest in Wien (April 1495) führte ihn nach Ybbs und weiter nach Süddeutschland, wo er Johannes J Trithemius aufsuchte und von Celtis in den Heidelberger Humanistenkreis eingeführt wurde. In der ‘Donaugesellschaft’, dem humanistischen Freundeskreis der Sodalitas litteraria Danubiana, zu der es wohl schon vor der Ankunft Celtis’ in Wien (1497) Ansätze gab und die dann bis 1508 unter der Leitung von Celtis stand, spielte C. eine führende Rolle. Ob die mitunter seinem Namen vorangestellte Initiale L., für die es von 1494 bis 1515 Belege gibt, als SodalenName anzusehen ist, konnte bisher nicht geklärt werden (vgl. Bauch, Wien, S. 48 Anm. 3; Cuspinian-Br., S. 2 Anm. 4; Ankwicz, 1959, S. 13 Anm. 48). Hatten sich 1497 zur Begrüßung Celtis’ in Wien neben C. weitere 17 Sodalen mit Gedichten eingestellt (‘Episodia’, s. II.B.4.g), so verzeichnet eine Gedenktafel in C.’ Haus aus der Zeit von ca. 1508⫺1510 (s. II.B.5.a) die Namen von zwölf Sodalen, die in den Jahren 1506⫺1508 präsent waren, in einer nicht ganz durchschaubaren Reihung (vgl. dazu Ankwicz, 1959, S. 90⫺92); nur fünf von ihnen waren schon 1497 vertreten. Neben seiner Tätigkeit als Arzt wirkte C. weiterhin an der Universität. Seine Universitätskarriere ⫺ 1500 Rektor, mehrfach (1500, 1501, 1502, 1506 u. 1511) Dekan der medizinischen Fakultät, von 1501 bis zu seinem Lebensende landesfürstlicher Superintendent der Universität ⫺ gipfelte nach dem Tod Celtis’ 1508 in der Nachfolge auf dessen Professur für Poetik und Rhetorik. C. konnte nun uneingeschränkt als das Haupt des Wiener Humanistenkreises gelten. Widmungsschreiben, Empfehlungsgedichte, Briefe geben davon Zeugnis. C. war auch in den Freundeskreis Joachim J Vadians eingebunden. Schüler wie Philipp J Gundel oder Nikolaus J Gerbel, dem wir ein lebendiges Bild von C.’
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Persönlichkeit und Erscheinung verdanken (vgl. Ankwicz, 1959, S. 260), konnten sich unter seinen Augen entfalten. Seit dem Sommer 1510 nahm ihn indes die Tätigkeit als Diplomat (Orator) in ksl. Diensten völlig in Anspruch. So führten ihn in den ersten fünf Jahren z. B. zwei Dutzend Reisen allein an den ungarischen Hof. Es ging v. a. um die Frage der habsburgischen Erbansprüche in Böhmen und Ungarn, die Vorbereitung und Durchführung des Wiener Kongresses von 1515 und schließlich die habsburgisch-jagiellonische Doppelhochzeit. Die Ernennung zum ksl. Rat (1512) und zum Wiener Stadtanwalt (1515) bedeuteten eine verdiente Anerkennung von C.’ diplomatischem Wirken. Die ärztliche Praxis und die akademische sowie die literarische Tätigkeit waren seit 1513 zum Erliegen gekommen. Große Veränderungen gab es auch im Privatleben. C.’ erste Ehefrau Anna, eine Tochter des ksl. Kammerdieners Ulrich Putsch aus Feldkirch (Vorarlberg) und Schwester des Johann Putsch († 1516), des Dompropsts von St. Stephan in Wien und Kanzlers der Universität, mit der er seit 1502 verheiratet war ⫺ die Hochzeitsbilder mit den Portraits der beiden stammen von Lucas Cranach d. Ä. (Abb. z. B. bei Ankwicz, 1959, nach S. 8) ⫺, starb im Sept. 1513. Ihr Tod führte bei C. zu einer mehr als drei Monate anhaltenden Depression. Ungewöhnlich rasch, im Jan. 1514, heiratete der Witwer, der sieben Kinder zu versorgen hatte, zum zweiten Mal. Agnes, die verwitwete Tochter des Wiener Neustädter Bürgermeisters Hippolyt Stainer, war wohlhabend, so daß sich die Vermögensverhältnisse entscheidend verbesserten. Für die Hauskapelle in dem nun ausgebauten Haus C.’ in der Singerstraße war wohl auch der 1515 in Auftrag gegebene Frührenaissance-Altar bestimmt, der sich heute in der Wiener Deutschordenskirche befindet. C. und seine beiden Ehefrauen knien unter ihren jeweiligen Namenspatronen. Auf einer Inschrifttafel rühmt C. seine Leistungen und Erfolge (s. II.B.5.e; Abb. d. Altars z. B. Ankwicz, 1959, nach S. 128). Die konsolidierten Verhältnisse erlaubten C. nun den Besitz von vier Landsitzen außer-
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Cuspinianus, Johannes
halb Wiens. Einer von ihnen, der Gutshof in Schwechat, wurde ‘Foelicianum’ genannt, nach C.’ ältestem Sohn Sebastian Felix. Hier traf gelegentlich ein engerer Freundeskreis C.’ zusammen, namentlich Marx Beck von Leopoldsdorf, Johannes Alexander Brassicanus, Johann Faber (Fabri), Friedrich Nausea und Johannes Menanus Greul, der Pfarrer von Ottakring. So manches junge Talent hat C. damals gefördert, Caspar Ursinus Velius, der C. seinen Humanistennamen Ursinus verdankte, und Johannes J Hadeke, der von Maximilian I. zum Poeta laureatus gekrönt wurde und sich mit einer Elegie für C.’ Verwendung bedankte (1518), vor allem Philipp Gundel. Auch weiterhin war C. mit wichtigen diplomatischen Missionen betraut, nach dem Tod Maximilians I. auch von Karl V. und Ferdinand I. Als intimer Kenner der ungarischen Verhältnisse versuchte er v. a. die Türkengefahr allgemein bewußt zu machen und nach der verheerenden Niederlage gegen die Türken in der Schlacht bei Moha´cs (1526) die deutschen Fürsten aufzurütteln. Vom Tod Maximilians I. (1519) war er persönlich sehr betroffen. 1520 gab er bei dem Maler Bernhard Strigel aus Memmingen ein für den Hauptaltar seiner Hauskapelle bestimmtes Diptychon in Auftrag. Die Innenseiten der Tafeln zeigen Gruppenportraits der Familie Maximilians sowie der Familie C.’, die in Verbindung mit einer Darstellung auf einer der Außenseiten als Zweige der Hl. Sippe zu sehen sind. In dem höchst komplizierten Bildprogramm, das zweifellos C. zum Urheber hat, finden sowohl “humanistisch-reformerisches Wollen” sowie “kritisch-historisches Denken” ihren Niederschlag (Th¸mmel, S. 110; die Tafel mit der ksl. Familie befindet sich im Kunsthist. Museum Wien; zur Tafel mit C.’ Familie s. II.B.5.g; Abb. d. Familienbilder z. B. Ankwicz, 1959, nach S. 200; Th¸mmel; Sch¸tz).
Das häusliche Glück währte nur bis 1525. Während einer diplomatischen Mission in Ungarn starb seine Ehefrau in Wien. Im Juli trafen ihn weitere Schicksalsschläge. Seine Häuser in Wien wurden von einem Stadtbrand schwer betroffen ⫺ glücklicherweise blieb die Bibliothek verschont ⫺, ein Unwetter verursachte beträchtliche Schäden an seinen Weingärten.
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Kurz darauf brach er sich bei einem Sturz ein Bein. Trotz unentwegter Belastung durch seine öffentlichen Verpflichtungen als Stadtanwalt und Superintendent der Universität, deren dringend gebotene Reform nicht gelingen wollte, arbeitete er in dieser Zeit und den folgenden Jahren an seinen großen historiographischen Arbeiten, engagierte sich publizistisch für die Abwehr der Bedrohung durch die Osmanen, verfaßte eine historisch-geographische Landeskunde von (Nieder-)Österreich und brachte eine vorzügliche Karte Ungarns zum Druck. Enttäuschend muß für ihn gewesen sein, daß es nicht gelang, die Drucklegung der historiographischen Werke zu erreichen. Am 29. April 1529 starb er. Das Grabmal im Wiener Stephansdom, dessen Gestaltung sicher seine Vorstellungen umsetzt, zeigt C. mit seinen beiden Ehefrauen und den Kindern in moderner Renaissancemanier. Die in antikisierender Art gestaltete Grabinschrift (s. II.B.5.h) demonstriert ausgeprägtes Selbstbewußtsein. Weltanschaulich ist C. eher traditionellkonservativ zu nennen. Martin Luther scheint er anfänglich Sympathien entgegengebracht zu haben. Einen Brief des Reformators vom 17. April 1521 (CuspinianBr., Nr. 42), der auf die Vermittlung von C.’ Bruder Niklas Spießheimer zurückgeht, ließ er offenbar unbeantwortet. Später kreidete er ihm eine Mitschuld am Bauernkrieg an und polemisierte vollends nach der Niederlage gegen die Türken bei Moha´cs scharf dagegen, daß Luther sich gegen die Dringlichkeit eines allgemeinen Feldzuges gegen die Türken ausgesprochen hatte. Die persönlichen Ausfälle gegen Luther sind möglicherweise auch auf Beeinflussung durch den mit C. befreundeten, notorischen Luthergegner Johann Faber (Fabri) zurückzuführen. C. war zeitlebens ein leidenschaftlicher Sammler von Handschriften und Drucken und trug eine reichhaltige Bibliothek zusammen. Ulrich Fabri aus Thornberg (Schweiz), eine Zeit lang Lehrer von C.’ Sohn Sebastian Felix, äußerte sich 1517 überschwenglich darüber (Cuspinian-Br., S. 182). U. a. hatte C. Bibliotheksbestände aus dem Besitz von Johann Fuchsmagen,
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Cuspinianus, Johannes
seinem Lieblingsschüler Johann Gremper von Rheinfelden, von Ladislaus D Sunthaym und anderen erworben. Einige herausragende Hss. stammen aus der Bibliothek des Kg.s Matthias Corvinus in Ofen, die C. auf seinen zahlreichen Reisen in diplomatischer Mission wiederholt aufsuchte. So manche Hs. aus Klosterbesitz wurde ihm von Freunden überlassen. C. ließ seine humanistischen Kollegen freigebig an den Schätzen seiner Bibliothek teilhaben. Hinweise auf Hss. in bestimmten Bibliotheken und reger Leihverkehr zur Veranstaltung von Editionen waren durchaus gängig. Durch seinen Freund Felix Petantius, den Bibliothekar der Corvina (s. II.A.10), vermittelte C. seinen Freunden Johann Gremper, Georg J Tannstetter, Vadian, Joachim Egellius und Jakob J Spiegel den Zutritt zu dieser ‘Schatzkammer’. C. pflegte Handschriften und Drucke mit der Feder in der Hand zu lesen. Nach 1502 hatte er sich ein eigenes großes Bücherzeichen schneiden lassen, eines der ersten deutschen Portrait-Exlibris, es zählt zu den Rarissima. Im übrigen hat er seine Bücher häufig mit einem Büchervers (s. II.B.4.d) oder seinem Monogramm CMP (Cuspinianus Medicus Poeta) versehen und Inventarnummern angebracht. Den größten Teil der Bibliothek, die eine Fülle von Hss. verschiedensten Inhalts enthielt, klasssische Autoren, Geschichtsschreiber, philologische, mathematisch-naturwissenschaftliche, medizinische und theologische Werke, verkauften die Söhne C.’ bald nach seinem Tod an Johann Faber (Fabri) (seit 1530 Bischof von Wien), der insgesamt 636 Bände erwarb. Ein Großteil davon gelangte über Umwege in die Wiener Hofbibliothek. Ein “Verzeichnis der nachweislich aus C.’ Bibliothek stammenden Hss., Inkunabeln und Drucke” verdanken wir den jahrzehntelangen Recherchen Ankwicz’ (Docum. [wie u. II.], S. 119⫺133). Er konnte 63 Hss., 102 Inkunabeln und 10 Frühdrucke eruieren; die Kriterien für die Zugehörigkeit zur Bibliothek C.’ sind genau angegeben, ebenso die Informationen über Vorbesitzer. Der Liste ist hinzuzufügen Wien, ÖNB, cod. 2421, mit eigenhändigen Randbemerkungen C.’ (Hinweis v. P. Uiblein, Unsere Heimat 41 [1970] 111 Anm. 17)
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sowie ein Frühdruck mit einem eigenhändigen Gedicht (s. II.B.4.p).
C. entsprach vollauf dem humanistischen Ideal der Einheit von Bildung und öffentlichem Wirken. Vielseitig begabt und interessiert, ein glänzender Redner mit der Bereitschaft zu intensiver und ausdauernder Arbeit, vermochte er in allen Lebenssituationen seinen Mann zu stehen, als Arzt, als akademischer Lehrer, als Diplomat, in öffentlichen Funktionen im städtischen Bereich ebenso wie als landesfürstlicher Superintendent der Wiener Universität. Er bewies Kunstsinn und Geschmack im literarischen Bereich wie als Auftraggeber von Kunstwerken. Mit Leidenschaft fahndete er nach unbekannten Hss. und Überlieferungen, um die Texte ⫺ beispielsweise die Chroniken D Ottos von Freising, aber auch antike Autoren ⫺ bekannt zu machen. Als Herausgeber verschiedenster Publikationen erwarb er sich große Verdienste, nicht zuletzt durch die Anwendung kritischer Editionsmethoden und durch Verantwortungsbewußtsein gegenüber seinen Texten. Seine historiographischen Werke haben in Konzeption und Quellenkritik neue Wege beschritten und gewiesen. Hervorzuheben ist sein Interesse an der geographisch-landeskundlichen Thematik und der Kartographie. I I. We rk . Umfassendes Verzeichnis der Drucküberlieferung und Ausgabe zahlreicher kleinerer Texte bei H. Ankwicz v. Kleehoven, Documenta Cuspiniana. Urkundl. u. literar. Bausteine zu einer Monographie über d. Wiener Humanisten Dr. J. C., Arch. f. österr. Gesch. 121, H. 3 (1957) (mit eigener Paginierung, ⫽ S. 181⫺331 d. Gesamtbandes) [zit.: Ankwicz, Docum.], S. 134⫺145; einige Angaben sind im folgenden präzisiert, richtiggestellt oder ergänzt. A. Herausgeber. 1. Liber hymnorum Prudencij. | […]. Wien: Joh. Winterburg, [1494]. HC 13436. Zur Datierung vgl. Ankwicz, 1959, S. 13. Emendierte Ausgabe des ‘Liber Cathemerinon’. Titelbl.ra: Empfehlungsgedicht C.’ an den Leser (Ankwicz, Docum., S. 90 f., Nr. 72); Titelbl.va: Widmungsbrief an den ksl. Protonotar Joh. Krachenberger (Gracchus Pierius) als seinen optimus patronus (Cuspinian-Br., Nr. 1). C. zog sein Erstlingswerk auch für Vorle-
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Cuspinianus, Johannes
sungen heran, vgl. sein Vorlesungsex. Wien, ÖNB, Inc. 24 G 11. 2. Dionysius Periegetes, Dionisij Allexandrini | philozophi de situ orbis | Translatio per Pristia-| num grammaticorum principem. Wien: Joh. Winterburg, [1494]. GW 8430. Zur Datierung vgl. Ankwicz, 1959, S. 13. Emendierte Ausgabe der lat. Übersetzung des Priscianus, die C., wie der Druckvermerk Bl. [c4]r angibt, in Vorlesungen behandelte. 3. Columella de | cultura ortorum. [Wien: Joh. Winterburg, 1495]. GW 7185. Zur Datierung vgl. Ankwicz, Docum., S. 91 Anm. 1. Titelbl.v: Empfehlungsgedicht C.’ an den Leser (Druck Ankwicz, Docum., Nr. 73). Columellas Abhandlung über den Gartenbau diente C. für Vorlesungen, vgl. sein Handex. Wien, ÖNB, Inc. 9 G 14. 4. Gedenkblatt für Konrad Celtis. o. O. [nach 4. Febr. 1508]. VD 16, C 6481. Sterbebild (3. Zustand) des am 4. Febr. 1508 in Wien verstorbenen Celtis von Hans Burgkmair d. Ä., das von C. und Thomas J Resch mit Abschiedsgedichten an die Freunde Celtis’ versendet wurde (vgl. A. Ruland, Arch. f. d. zeichnenden Künste 2 [1856] 143⫺147, u. Celtis-Br., S. 633 Anm. 3) und einen letzten Gruß C.’ an Celtis enthält. Weitere Drucke: Conradi Celtis | [...] libri Odarum | quatuor, [...]. Straßburg: Matth. Schürer, Mai 1513. VD 16, C 1906, [O7]v⫺[O8]r; Ruland (s. o.), S. 145 f.; CeltisBr., S. 637 f., Nr. 357; Rupprich, DLE, S. 295 f.; Ankwicz, Docum., Nr. 82. 5. Dionysius Periegetes, Situs orbis di-|onisij Ruffo aui-|eno interprete. Wien: Joh. Winterburg, 1508. VD 16, D 1986. Emendierte Ausg. (Cuspinianus neuos et verrucas sustulit) der lat. Übers. des Ruffus Avienus. Titelbl.v: C.’ Widmungsschreiben an B. Stanislaus Thurzo´ von Olmütz (Cuspinian-Br., Nr. 4) mit dem Hinweis, daß Aldus Manutius ihm für die Edition eine griech. DionysiusHs. zur Verfügung gestellt habe. Die Ausgabe ⫺ 1494 hatte C. die Übers. des Priscianus ediert, s. II.A.2. ⫺ lag C.’ im WS 1508 gelesenem Geographie-Kolleg zugrunde. Druck der Einleitung zum Kolleg, in der C. u. a. auch auf die Entdeckungen des Amerigo D Vespucci [NB] verweist, bei Ankwicz, Docum., Nr. 118, nach Wien, ÖNB, cod. 3227, Bl. 9 f. 6. Marbod von Rennes, Libellus de lapidibus | preciosis nuper | editus: | […]. Wien: Hier. Vietor, 23. Febr. 1511. VD 16, M 929. Erstausgabe von Marbods Steinbuch. Titelbl.r: Vorwort C.’ (Cuspinian-Br., Nr. 7); Bl. [2]v: Widmungsschreiben C.’ an den Olmützer Dompropst J Augustinus Moravus (Cuspinian-Br., Nr. 8). Die Ausgabe lag der im SS 1508 gehaltenen Vorlesung C.’ zugrunde, vgl. sein Handex. Wien, ÖNB, 36 C 78, sowie das Kollegheft zur Vorlesung, ebd., cod. 5195, ein regelrechtes Kompendium der Mineralogie; Einleitung
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(Bl. 1r⫺v) und Epilog (Bl. 39r⫺v) zum Kolleg bei Ankwicz, Docum., Nr. 119. 7. L. Annaeus Florus, Lucii Flori libri histo-| riarum quatuor a | Cuspiniano casti-|gati cum in-|dice. Wien: Joh. Winterburg, 21. Juli 1511. VD 16, F 1686. Titelbl.v: Widmungschreiben C.’ an Vadian und Johannes Marius (Mair) (CuspinianBr., Nr. 9), auf deren Bitten C. den Text herausgab. C. tadelt den Mißbrauch, schludrige Editionen durch Vorreden unseriöser Gelehrter empfehlen zu lassen. 8. Panaegyrici variorum autorum | et declamationes nonnul/|lae perquam eruditae, | hactenus non im/|pressae. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 12. März 1513. VD 16, C 6491. Titelepigramm Philipp Gundels an den Leser (Druck: Ankwicz, 1959, S. 104 Anm. 61); Bl. aa 2r⫺v: Vorrede des Georg C., Kanoniker am Stift Haug in Würzburg und Neffe C.’, an Sebastian Felix, den ältesten Sohn C.’ (Druck: Cuspinian-Br., Nr. 60). “Das Hauptverdienst an der Panegyrici-Ausgabe [gebührt] zweifellos Cuspinian”, wir können “somit diese Edition in die Zahl seiner Publikationen einreihen”, vgl. Ankwicz, 1959, S. 104⫺106, das Zitat S. 106. 9. Otto von Freising, D Rahewin von Freising, Ottonis Phrisingen-|sis Episcopi, viri clarissimi, Rerum ab ori-|gine mundi ad ipsius vsque tempora | gestarum, Libri octo. | Eiusdem De gestis Friderici primi Aeno-|barbi Caesaris Augusti Libri Duo. | Radevici Phrisingensis ecclesie Canonici Libri | duo, prioribus additi, de eiusdem Friderici Imperatoris gestis. Straßburg: Matth. Schürer, März 1515. VD 16, O 1434 f. Bl. A ijv⫺iijr: Widmungsschreiben C.’ an den ksl. Sekretär Jakob de Bannissis (Cuspinian-Br., Nr. 27). Erstausgabe der Weltchronik Ottos von Freising und seiner ‘Gesta Friderici’ mit der Fortsetzung durch Rahewin auf der Basis dreier Hss., von denen zwei aber erst von dem gelehrten Drucker Matthias Schürer und seinen Mitarbeitern herangezogen und für die Ausgabe genutzt wurden. Abgeschlossen und maßgebend verantwortet wurde die Ausgabe von Schürer. Vgl. Ankwicz, 1959, S. 127⫺130, differenzierter Sch¸rmann, S. 118. 10. Felix Petantius, De Itineribus | in Turciam | libellus | Felice Petantio can-|cellario Segniae | autore. Wien: Joh. Singriener, 30. Juni 1522. VD 16, P 1684. Bl. Av⫺A2v: Widmungsschreiben C.’ an Erzhzg. Ferdinand vom 1. Juli 1522 (CuspinianBr., Nr. 43) mit der Erwägung, die Schrift könnte bei einem künftigen Feldzug gegen die Türken von Nutzen sein. An einer weiteren Ausgabe hat C. Anteil; er vermittelte Philipp J Gundel die hsl. Vorlage (Wien,
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ÖNB, cod. 3416) zur Erstausgabe des altrömischen Kalenders (Monatsfasten) im Druck von Ovids ‘Fasti’ (Wien 1513. VD 16, O 1607).
B . S ch ri ft en . 1 . L eb en sz eu gn is se . a) Tagebucheintragungen 1501⫺1527. C. führte durch Jahrzehnte Tagebuch in Form von Eintragungen in einen gedruckten Kalender, den Almanach Johannes J Stöfflers und Jakob D Pflaums für 1499⫺ 1531 (Hain 15085; Wien, UB, I 138.009 b). Historisch-politische und familiäre Ereignisse, berufliche und persönliche Angelegenheiten bzw. Befindlichkeiten fanden ebenso Berücksichtigung wie Begegnungen, medizinische Beobachtungen und Träume. Ausgaben. Th. G. v. Karajan, Tagebuch J. C.s 1502⫺1527, in: Fontes rerum Austriacarum, Bd. 1/1, 1855, S. 397⫺416 (nach Wien, ÖNB, cod. *7417, einer ca. 1766⫺69 angefertigten Abschrift durch J. B. Heyrenbach); Ankwicz, 1909, S. 291⫺ 325 (nach dem von ihm wiederaufgefundenen Original), Abb. S. 294, 303, 308, 322, 326; Abb. bei Ankwicz, 1959, nach S. 16.
b) Briefe. Von C.’ Korrespondenz, die umfangreich gewesen sein muß, haben sich nur 64 Stücke (inkl. für C. bestimmte Gesandtschaftsinstruktionen) erhalten, davon 41 Briefe C.’, unter ihnen 11 als Widmungsepisteln in Drucken. Briefliche Kontakte unterhielt C. danach mit Romolo Amaseo aus Padua, Jakob de Bannissis, Johannes Alexander Brassicanus, Johann Faber (Fabri), Aldus Manutius, Johannes Marius, Willibald J Pirckheimer, Johannes J Reuchlin, Christoph J Scheurl, Johann J Stabius und Joachim Vadian. Ausgabe. Cuspinian-Br. (S. 225 Reg. d. Briefempfänger bzw. -schreiber).
2 . Z ei tg es ch ic ht e u nd Po li ti k. a) Diarium vom Wiener Kongreß 1515. “Memoirenwerk eines Staatsmannes” (Ankwicz, 1959, S. 87) über den Ablauf des prunkvollen und geschichtsträchtigen Wiener Kongresses von 1515, in dem es unter maßgeblicher Mitwirkung C.’ als Di-
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plomaten um die habsburgischen Erbfolgerechte in Böhmen und Ungarn ging, für die in der habsburgisch-jagiellonischen Doppelhochzeit die zeitgemäße Lösung gefunden wurde. Drucke. Congressus ac celeberrimi conven-| tus Caesaris Maximiliani et trium regum | Hungariae, Boemiae, et Poloniae. In Vienna Pannoniae, mense Iulio, anno | M. D. XV. facti, breuis ac verissi-|ma descriptio. [Wien: Joh. Singriener, 20. Aug. 1515]. VD 16, C 6482. Bl. a ij: Widmungsbrief C.’ an Jak. Villinger (Cuspinian-Br., Nr. 32); wieder in den Drucken der ‘Caesares’ (s. II.B.3.c), 1540, S. DCCXL⫺DCCLXII, 1561, S. 615⫺635, u. 1601, S. 495⫺512; M. Freher / B. G. Struve, Rerum Germanicarum scriptores, Bd. 2, Straßburg 1717, S. 593⫺612; M. Bel, Adparatus ad historiam Hungariae, Preßburg 1735, S. 279-302. Anonyme dt. Übers.: Der namhaftigen kay. Ma. vnd drey⫽|er Kunigen zu Hungern Beham vnd | Poln zamenkumung vnd versamlung | so zu Wienn in dem Heymonat: nach Christi gepurd M.D.xv. jar geschehen | ain kurtze vnd warhafte erzelung vnd | erklarung. [Wien: Joh. Singriener, 1515]. VD 16, C 6484. Eine kürzere Fassung u. d. T. Wo vnd wie Ro. Kay. Majestat | vnd Kunig von Hungern. | Poln. vnd Peham zusamen|kumen vnd zu wienn | eingeritten sendt [ebd., 1515], mit ähnlichem Titel: [Nürnberg: Jobst Gutknecht, 1515], die VD 16, C 6485 u. 6483, unter C.’ Namen verzeichnet, ist zwar unter Benutzung des ‘Diarium’ in dt. Übers. entstanden, aber keine Übersetzung desselben.
b) ‘Oratio protreptica’. Unter dem Eindruck der vernichtenden Niederlage der Ungarn gegen die Türken in der Schlacht bei Moha´cs (29. Aug. 1526), in der Kg. Ludwig von Ungarn fiel, richtete C. einen leidenschaftlichen Appell an die Reichsfürsten, sich zur Bekämpfung der Türken zu vereinigen und Ungarn zu befreien. Scharfe Kritik gilt den fruchtlosen Reichstagen, der Verschwendung von Steuergeldern und dem Laster der Trunksucht. Die Schrift enthält auch einen heftigen Ausfall gegen Luther. Drucke. Oratio pro-|treptica Ioannis Cuspiniani ad sacri | Ro. Imp. Principes et proceres, ut bellum suscipiant contra | Turcum cum descriptione conflictus, nuper in Hunga-|ria facti, quo perijt Rex Hungariae Ludovicus. Wien: Joh. Singriener, [1526]. VD 16, C 6487. Widmungsbrief an B. Bernhard Cles von Trient (Cuspinian-Br., Nr. 53); wieder im Druck der ‘Consules’ u. d. ‘Austria’,
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1553 (s. II.B.3.b u. d), S. 711⫺725. VD 16, C 6490; Iohannis Cuspiniani [...] Oratio protreptica [...] emendatius quam antehac edita a` Iohanne Weiderno Lendsidelio. Frankfurt a. M. 1598. VD 16, C 6489 (bei Ankwicz, Docum., Nr. 29, irriges Druckdatum “Mai 1594”); Austria Ioannis Cuspiniani [...]. Eiusdem Ioannis Cuspiniani oratio protreptica […]. Frankfurt a. M. 1601 (s. II.B.3.d), S. 72⫺82; J. Podhraczky, Cuspinia´nus Ja´nos besze´de [...], Buda 1841.
3 . G es ch ic ht ss ch re ib un g. a) ‘Catalogus caesarum occidentalium’. Der als Neujahrsgeschenk für Bernhard Cles bestimmte, mit Holzschnitten ausgestattete Katalog, 12 einseitig bedruckte Bll., gedacht als Form einer Papierrolle, bietet in drei parallelen Spalten die fortlaufende Reihe der römischen, griechischen, deutschen und türkischen Kaiser sowie der Päpste. Es handelt sich um einen knappen Auszug aus den ‘Caesares’, deren Drucklegung zu Lebzeiten nicht gelang.
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c) ‘Caesares’. Die erste römische Geschichte, die auf der Basis philologisch-antiquarischer Forschungen von der Republik bis zur Gegenwart reichte, mit bemerkenswerten Biographien Friedrichs III. und Maximilians I., ist als das bedeutendste Werk C.’, an dem er von ca. 1510 bis 1524 arbeitete, anzusprechen. Es entsprach den politischen Ideen Maximilians, insbesondere der Vorstellung von der Kontinuität des Imperium Romanum. Die byzantinischen Kaiser, für die C. die griech. Epitome des Zonaras auswertete, wurden ebenso einbezogen wie ihre Nachfolger, die türkischen Kaiser (Sultane). Das Werk konnte erst 1540 von seinem Schüler Nikolaus Gerbel aus dem Nachlaß herausgegeben werden.
b) ‘Consules’. Die Geschichte der römischen Konsuln bis Justinian, eines der beiden Hauptwerke C.’, war in den Jahren 1509 bis 1512 bereits weit gediehen, der Autor arbeitete indes bis an sein Lebensende daran. Repertorium der römischen Geschichte, das als geographische Einleitung den emendierten Text der Epitome des Sextus Rufus (auch ‘Breviarium des Rufus Festus’) mit Erläuterungen C.’ bot, an das sich das ‘Chronicon’ Cassiodors mit einem eingehenden Kommentar anschloß, “keine historiographische Meisterleistung”, aber ungemein materialreich, “ein Konglomerat von gelehrten Exkursen” (Ankwicz, 1959, S. 296).
Drucke. Ioannis Cuspi|niani [...] | [...] de Caesaribus atque Imperatori⫽|bus Romanis opus | insigne. | [...]. Straßburg: Kraft Müller, 1540. VD 16, C 6477; Ioannis Cuspi|niani [...] | [...] de Caesaribus [...] opus insigne: ab innumeris, | quibus antea scatebat, mendis uindi-|catum: Vna` cum | Volphgangi Hungeri, [...] | [...] Annotationibus, | [...]. Basel: Joh. Oporinus u. Nik. Brylinger, [1561]. VD 16, C 6479 (mit irrigem Druckdatum 1553 auch unter C 6478) u. ZV 15567 (Variante); dass., Frankfurt a. M. 1601. Dt. Übers. durch Kaspar Hedio u. Joh. Lenglin: Ein außerleßne | Chronica von C. Julio Cesare | dem ersten/ biß auff Carolum quintum diser zeit e Rho⫽|mischen Keyser/ auch von allen Oriene tischen oder Griechischen vnd Turck⫽|ischen Keysern/ durch Doctor Johannem Cuspinianum [...] | vor etlichen jaren mitt fleiß zu˚ Latin beschriben | vnd aber jetzund durch Doctor Casparn Hedion in das Teütsch bracht. | [...]. Straßburg: Kraft Müller, 1541. VD 16, C 6480. Eine aktuelle Auslese aus dem Druck von 1540 (S. 629⫺722) erschien unter dem Titel De Turco⫽|rum origine, reli|gione, ac immanissima eo⫽|rum in Christianos tyrannide, Deque viis | per quas Christiani Principes Tur⫽|cos profligare et inuadere facile possent […] | Ioanne Cuspiniano autore. | […]. Antwerpen: Joh. Steels, 1541. IA 148.890; ein ND mit Joh. Bapt. Montalbani, ‘De Turcarum moribus commentarius’, Löwen 1654.
Drucke. Ioannis Cuspinia-|ni […] de Consulibus Romanorum Commen-|tarii, ex optimis uetustissimisque autho-|ribus collecti. [...] Basel: Joh. Herwagen u. Joh. Oporinus, 1553. VD 16, C 6486; ein weiterer Druck: Frankfurt 1601. Nur in der Ausg. 1553 auch die ‘Austria’ (s. II.B.3.d) und die ‘Oratio protreptica’ (s. II.B.2.b).
d) ‘Austria’. 1527/28 begann C., den im Zusammenhang mit Ideen Celtis’ (‘Germania illustrata’) und Projekten Sunthayms stehenden Plan zu einer historisch-geographischen Landeskunde von (Nieder-)Öster-
Druck. Catalogus | caes*arum+ ac imp‹eratorum› Aug‹ustorum› occiden-|talium. Wien: Joh. Singriener, 1. Jan. 1527. Vgl. Ankwicz, 1959, S. 243 f. Titels.: Vorwort und Widmungsschreiben C.’ an B. Bernhard Cles von Trient (Cuspinian-Br., Nr. 54 u. 55).
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reich umzusetzen. Der erste, historische Teil enthält Biographien der Babenberger und einen knappen Katalog der habsburgischen Landesfürsten bis Karl V. Der zweite, landeskundliche Teil bietet eine Beschreibung (Nieder-)Österreichs, der Donau und ihrer Nebenflüsse, Informationen hauptsächlich über den Prälatenstand, die Gründer der Stifte und Klöster, schließlich die Viten der sechs österr. Landespatrone. Ein dritter Teil war der Beschreibung Wiens und seiner Topographie gewidmet, doch wurde er bei der erst 1553 erfolgten Drucklegung ausgeschieden und ging mit dem Originalmanuskript verloren. Die Karte Österreichs, die dem Werk beigegeben werden sollte (s. II.B.7.), ist verschollen. Drucke. Austria | Ioannis Cuspiniani cum omni-|bus eiusdem marchionibus, ducibus, ar-| chiducibus, ac rebus praeclare` ad haec usque tem-| pora ab ijsdem gestis. Eiusdem Ioannis Cuspiniani oratio pro-|treptica […]. Accessit | Chronicon magistri Alberti | Argentinensis […]. Cum Gasparis Bruschii [...] Praefatione, in: Ioannis Cuspiniani [...] de Consulibus [...]. Basel 1553 (VD 16, C 6486; s. II.B.3.b), S. 579⫺666 mit eigenem Titelbl.: VD 16, C 6476; Austria Ioannis Cuspiniani [usw. wie zuvor, aber ohne die Chronik Alberts von Straßburg (rectius D Matthias’ von Neuenburg)]. Frankfurt 1601 (erstmals selbständig mit eigener Seitenzählung). Nur in der Ausgabe von 1553, S. 647 f.: Brief C.’ an B. Bernhard Cles von Trient (20. Mai 1528) über die Arbeit an der ‘Austria’ (Cuspinian-Br., Nr. 58). 4. Gedichte. Verzeichnis und Texte bei Ankwicz, Docum., Nr. 65, 71⫺89; Ergänzung s. u. p). a) Begrüßungsgedicht an Johann Fuchsmagen (um 1492), hsl. Innsbruck, UB, cod. 664, Bl. 92v; bei Zingerle, Carm., S. 119 f., Nr. 87; Ankwicz, Docum., Nr. 71. b)⫺c) Zwei Empfehlungsgedichte an den Leser in eigenen Ausgaben (s. II.A.1. u. 3.). d) C.’ Büchervers (um 1495). Ankwicz, Docum., Nr. 77 (mit weiteren Hinweisen auf Drucke, Belege, Verbindung mit Monogrammen u. Faksimilia); Faksimile u. a. bei Ankwicz, 1959, nach S. 80. e)⫺f) Zwei Empfehlungsgedichte an den Leser in: Dietrich J Gresemund, Podalirij Germani. cum Ca-|tone Certomio [...] | [...] Dialogus: [...]. [Mainz: Peter Friedberg, 1495], Titels. u. a iijr. GW 11510. Ankwicz, Docum., Nr. 74 f. g) Begrüßungsgedicht an Celtis zu seiner Ankunft in Wien in den Episodia Sodalitatis litterarie
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Danubiane [...]. (Einblattdruck [Wien: Joh. Winterburg, 1497]; vgl. GW-Ms. 0933630) und in dessen Ausgabe von Ps.-Apuleius ‘De mundo’ (J Celtis II.A.2.). Weitere Drucke bei Celtis-Br., Nr. 180. Text bei Aschbach, S. 425; Celtis-Br., S. 302 f.; Ankwicz, Docum., Nr. 76. h)⫺k) Vier Gedichte an den ksl. Sekretär Blasius Hölzel (um 1502) in den ‘Complurium eruditorum uatum carmina, ad [...] Blasium Hoe lcelium’ (Augsburg: Silvan Otmar, 1518; J Bonomus, II.B.), Bl. B iiijv, C iijv, E iijv. Ankwicz, Docum., Nr. 78⫺81. l) Letzter Gruß an Celtis (s. o. II.A.4.). m) Mahngedicht an die Geistlichkeit, sich gutes Beten angelegen sein zu lassen, in: Missale Patauiense. Wien: Joh. Winterburg, 29. Jan. 1509, Bl. [272]v. VD 16, M 5610. Ankwicz, Docum., Nr. 83. n) Empfehlungsgedicht (Titels.) zu: J Augustinus Moravus, Catalogus episcoporum | Olomucensium | [...]. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 8. März [1511]. VD 16, K 8. Ankwicz, Docum., Nr. 84. o) Ad Arbogasti busta Epitaphium. In Form einer Sanduhr gedruckte Grabinschrift in der Gedächtnisschrift für Arbogast J Strub (Wien: Vietor u. Singriener, 1511, Bl. [17]r). Ankwicz, Docum., Nr. 65; ders., 1959, S. 94. p) De Pontifice Maximo Julio II., qui fracta fide ad Venetos ab Imperatore Maximiliano et Rege Francie *defecit+ (11 Dist.). Scharfe Polemik gegen Julius II. (Sommer 1511). Autograph im Sammeldruck mit Texten des Baptista Mantuanus, Fausto Andrelini u. a. (hg. v. Beatus J Rhenanus. Straßburg 1510. VD 16, S 7282), Wien, ÖNB, *43 W 62, auf der letzten Seite. Text bei Mazal, S. 5, Faksimile S. 3. q)⫺t) Vier Epitaphien auf Ks. Maximilian I. (Jan. 1520) in: In Divum | Imperatorem Caesarem Maximili-|anum P. F. Augustum | Epicoedion […]. Autore | Philippo Gundelio […]. Epitaphia item quaedam | Graeca atque Latina eidem | Principi ab eruditis qui-|busdam pie posita. Wien: Joh. Singriener, Jan. 1520, Bl. D iijv. VD 16, G 4117. Ankwicz, Docum., Nr. 85⫺88. u) Epigramm Lucianus loquitur in: Luciani Samosatensis, ali-|quot exquisitae lucubrationes per Ioan-|nem Alexandrum Brassicanum | recens latinae redditae ac | uberrimis Scholijs | illustratae. [...]. Wien: Joh. Singriener, 10. Juli 1527, Bl. A iiijr⫺v. VD 16, L 2941. Ankwicz, Docum., Nr. 89. 5. Inschriften. Verzeichnis und Texte bei Ankwicz, Docum., Nr. 62⫺64, 66⫺70. a), b) u. d) ehem. in C.’ Wohnhaus in Wien, Singerstraße, jetzt Museum d. Stadt Wien. Texte: Ankwicz, Docum., Nr. 62⫺64; ders., 1959, S. 90 u. 93, Abb. hier nach S. 112.
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a) Gedenktafel für die Sodalitas litteraria Danubiana mit Namensverzeichnis (ca. 1508⫺1510). b) Bauinschrift (1510). c) Grabinschrift für C.’ erste Ehefrau Anna († 18. Sept. 1513), Wien, St. Stephan, Tyrnakapelle, Ostseite im Boden (noch erhalten, vgl. M. Zykan, Der Stephansdom, 1981, S. 302 Anm. 493). Ankwicz, Docum., Nr. 66; ders., 1959, S. 132 (“heute nicht mehr vorhandener Grabstein”). d) Lobspruch auf Ks. Maximilian I. (um 1515). e) Inschrift (22. April 1515) für einen Altar, wohl in C.’ Hauskapelle, der im 18. Jh. mit erneuerter Inschrifttafel in die Deutschordenskirche (Singerstraße) übertragen wurde. Ankwicz, Docum., Nr. 67; ders., 1959, S. 138 f. f) Gedächtnisinschrift für Ks. Maximilian I. (nach 12. Jan. 1519; ob jemals ausgeführt?) in: In Divum | Imperatorem (s. II.B.4.q⫺t), Bl. D iiijv. Ankwicz, Docum., Nr. 68. g) Inschrift auf der Rückseite des Familienbildnisses C.’ von Bernhard Strigel (1520), Slg. Graf Wilczeck in Schloß Seebarn (Niederösterr.). Ankwicz, Docum., Nr. 69; Abb.: ders., 1959, vor S. 201; Th¸mmel, S. 100, Abb. S. 99. h) Inschriften auf C.’ Grabmal in Wien, St. Stephan (links v. Eingang in die Tyrnakapelle). Ankwicz, Docum., Nr. 70 (mit allen Hinweisen); Ankwicz, 1959, S. 258 f., Abb. nach S. 256; Verstegen, S. 315 f. u. Abb. 3. 6. Einleitungen zu Vorlesungen. a) Kolleg über die ‘Epistola de microcosmo’ des Hippokrates (1506). Hsl. Wien, ÖNB, cod. 4772; Text der Einleitung, die eine Biographie des Hippokrates nach dem damaligen Stand der Kenntnis enthält, bei I. Fischer, Eine neue Vita Hippocratis, Wiener Medizin. Wochenschr. 79 (1929) 1458⫺ 1461; Ankwicz, Docum., Nr. 117 (ohne die Biographie). b) Kolleg über die ‘Periegesis’ des Dionysius von Alexandrien (1508; s. II.A.5.). c) Kolleg über den ‘Libellus de lapidibus preciosis’ des Marbod von Rennes (1511; s. II.A.6.).
7 . Kar to gr ap hi e. C. führte Celtis’ geographische Arbeiten weiter. Die geplante Landeskunde der habsburgischen Länder sollte auch Landkarten enthalten. Der 1528 fertiggestellten ‘Austria’ (s. II.B.3.d) sollte eine Karte, die wohl auf den Materialien Sunthayms fußte und an der Johannes J Stabius und J Tannstetter beteiligt waren, beigegeben werden (vgl. d. Hinweis in d. Ausg. 1553, S. 667); ein Belegexemplar ist nicht bekannt, in
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der Ausgabe von 1601, S. 71, wurde sie als verschollen bezeichnet. Möglicherweise steht damit eine erst vor kurzem bekannt gewordene Karte von Vorder- und Niederösterreich ([Wien?, um 1540⫺50]) in Zusammenhang; vgl. Krug; W[awrik]; GrafStuhlhofer, S. 152⫺154 u. Abb. 20 (Ausschnitt). Erhalten ist eine vorzügliche Karte Ungarns, die von Frater Lazarus, Sekretär des Erzbischofs von Gran (E´sztergom), stammt und von Tannstetter ergänzt wurde. Zusätze stammen von C., der die Karte (78,3 ⫻ 54,8 cm, gedruckt von vier Holzstöcken) herausgab. Druck. Tabula Hungarie | ad quatuor latera per | Lazarum quondam Thomae Strigoniensis Cardinalis Secretarium virum | expertum congesta | a` Georgio Tanstetter | Collimitio reuisa auctiorque reddita, at-|que iamprimum a` Jo. Cuspiniano edita [...] ob reipublicae | Christiane vsum opera Petri Apiani | de Leyßnigk Mathematici Ingol-|stadiani inuulgata. Ingolstadt, Mai 1528. Vgl. E. Oberhummer / F. R. v. Wieser (Hgg.), Wolfg. Lazius, Karten d. österr. Lande u. d. Kg.reichs Ungarn aus d. J. 1545⫺1563, 1906, S. 38⫺40, S. 39 verkleinertes Faksimile; Ankwicz, 1959, S. 253⫺ 255, verkleinerte Abb. nach S. 240; Graf-Stuhlhofer, S. 151 f. u. Abb. 21 (Ausschnitt). Literatur. Aschbach, Wiener Univ. II, S. 284 ⫺ 309, 421⫺435; Bauch, Wien, S. 48⫺50, 166⫺168 u. ö. (Reg.); H. Ankwicz, Das Tagebuch C.s, nach d. Orig. hg. u. erl., MIÖG 30 (1909) 280⫺326; Joachimsen, Gesch.auffassung, S. 209⫺217; H. Ankwicz, J. C. u. die Chronik d. Matthias v. Neuenburg, MIÖG 32 (1911) 275⫺293; H. AnkwiczKleehoven, Wiener Humanisten-Exlibris, Jb. d. Österr. Exlibris-Ges. 17 (1919) 11⫺35, hier S. 14; ders., Cranachs Bildnisse d. Dr. C. u. seiner Frau, Jb. d. preuß. Kunstslg.en 48 (1927) 230⫺234; K. Rathe, Die Impresa eines Wiener Humanisten, La Bibliofilia 42 (1940) 54⫺65 [zu C.s Porträtexlibris]; H. Ankwicz-Kleehoven, Die Bibl. d. Dr. J. C., in: J. Stummvoll (Hg.), Die Österr. Nationalbibl. Fs. [...] J. Bick, 1948, S. 208⫺227; ders., in: NDB 3, 1957, S. 450⫺452; ders., Der Wiener Humanist J. C., Gelehrter u. Diplomat z. Zeit Ks. Maximilians I., 1959; A. Lhotsky, Österr. Historiographie, 1962, S. 65⫺68; O. Mazal, Eine poetische Invektive d. Humanisten J. C. gegen Papst Julius II., Biblos 13 (1964) 1⫺5; C. Bonorand, Aus Vadians Freundes- u. Schülerkreis in Wien (Vadian-Stud. 8), 1965, s. Reg.; G. Stelzer, Stud. z. ‘Austria’ d. J. C., Vorarbeiten f. eine krit. Neued., ungedr. Staatsprüfungsarbeit am Inst. f.
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Cyclopius, Wolfgang
Österr. Gesch.forsch., Wien 1968; R. Perger, Cuspiniana. Neue Beitr. z. Lebensbild d. Wiener Humanisten J. C., Wiener Gesch.bll. 25⫺27 (1970⫺ 72) 168⫺177; D. Koepplin, Cranachs Ehebildnis d. J. C. v. 1502. Seine christl.-humanist. Bedeutung, 1973; H. G. Th¸mmel, Bernh. Strigels Diptychon für C., Jb. d. kunsthist. Slg.en in Wien 76 (1980) 97⫺110; P. Uiblein, Die Quellen d. SpätMAs, in: E. Zˆllner (Hg.), Die Quellen d. Gesch. Österr.s (Schr. d. Inst. f. Österr.kunde 40), 1982, S. 111, 113; M¸ller, Gedechtnus, s. Reg.; M. Csa´ ky, Die ‘Sodalitas litteraria Danubiana’: hist. Realität oder poet. Fiktion d. C. Celtis?, in: H. Zeman (Hg.), Die österr. Lit. Ihr Profil v. d. Anfängen im MA bis ins 18. Jh. (1050⫺1750), Teil 2, 1986, S. 739⫺758; B. Sch¸rmann, Die Rezeption d. Werke Ottos v. Freising im 15. u. frühen 16. Jh., 1986, S. 115⫺119, 148 f. u. ö. (Reg.); H. Wiesflecker, Ks. Maximilian I., Bd. 5, 1986 (Reg.); H. Krug, Die älteste erhalten gebliebene kartograph. Darstellung d. Landes Niederösterr., Mitt. d. österr. Ges. f. Gesch. d. Naturwiss. 9 (1989) 62⫺ 73; A. Schmid, ‘Poeta et orator a Caesare laureatus.’ Die Dichterkrönungen Ks. Maximilians I., Hist. Jb. 109 (1989) 56⫺108, bes. S. 79 f., 81, 94; F. W[awrik] in: ders. / E. Zeilinger (Hgg.), Austria picta. Österr. auf alten Karten u. Ansichten, 1989, S. 300 Kat. 3.3 u. S. 35 Abb. 9; Rupprich, LG 2I (Reg.); K. M¸hlberger, Zwischen Reform u. Tradition. Die Univ. Wien in d. Zeit d. Renaissance-Humanismus u. d. Reformation, Mitt. d. Österr. Ges. f. Wiss.gesch. 15 (1995) 13⫺42, hier s. 21 f.; F. Graf-Stuhlhofer, Humanismus zwischen Hof u. Univ., G. Tannstetter (Collimitius) u. sein wissenschaftl. Umfeld im Wien d. frühen 16. Jh., 1996, s. Reg.; H. Tersch, Österr. Selbstzeugnisse d. SpätMAs u. d. Frühen Neuzeit (1400⫺ 1650), 1998, S. 160⫺171; A. Schirrmeister, Triumph d. Dichters. Gekrönte Intellektuelle im 16. Jh., 2003, Reg.; K. Sch[¸tz], Diptychon d. J. C. Bernh. Strigel (1460⫺1528), in: W. Seipel (Hg.), Ks. Ferdinand I. (1503⫺1564). Das Werden d. Habsburgermonarchie. Ausstellung d. Kunsthist. Museums Wien, 2003, S. 335 f., Kat. Nr. II.18⫺20, Farbabb. S. 76 u. 268; U. Verstegen, Die Grabdenkmäler d. humanist. Gelehrten. Antikenrezeption im Norden, in: N. Nussbaum / C. Euskirchen / St. Hoppe (Hgg.), Wege z. Renaissance, 2003, S. 285⫺339, bes. S. 296⫺298, 315 f.
Winfried Stelzer
Cyclopius (Kandelgießer), Wolfgang Einzig die Wittenberger Matrikel belegt den ursprünglichen Familiennamen Kandelgiesser. Bis 1507 findet die Latinisierung Cant(a)rifusoris Verwendung; um 1509 erscheint der Humanistenname
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Guolfus Cyclopius, ergänzt durch die hier erstmals belegte Herkunftsbezeichnung Cygneus. In den Veröffentlichungen dt. Sprache nennt C. sich Wolff Cyclop.
I . L eb en . C., der 1525 anführt, im 49. Lebensjahr zu stehen, wurde 1476 oder 1477 geboren. In seinem häufig berufenen Herkunftsort Zwickau wurden die Fundamente seiner Bildung gelegt, er nennt den consul Laurentius [...] studii fons et origo mei und dankt ihm die primordia linguae (‘Antidotarius’, [B5]r). Das 1511 oder 1512 geäußerte Bekenntnis wird auf den seit 1504 dem Zwickauer Rat angehörenden Laurentius Bärensprung zu beziehen sein. Rückblickend gibt C. an, zwischen dem 10. und 18. Lebensjahr Behmen/ Vngern vnd Polen [...] Schlesien Preussen vnd Reussen gesehen zu haben (‘Von dem Nachtmahl’, B iijr). Er immatrikulierte sich im SS 1494 an der Univ. Leipzig, ist danach am 18. Aug. 1502 in der Matrikel der neugegründeten Univ. Wittenberg wieder faßbar. Im WS 1503 erwarb er das Bakkalaureat, am 2. Febr. 1504 das Magisterium. Christoph J Scheurls ‘Rotulus’ (1507) führt ihn als Scotisten; sein Name erscheint als Nachtrag in der 1509 angelegten Liste der Mitglieder des Senates der Artistenfakultät. Vom 1. Mai 1508 bis zum 29. Sept. 1510 leitete C. die Lateinschule seiner Heimatstadt; in einem unvollendeten Brief an den Bischof von Naumburg nennt C. sich sacris iniciatus ordinibus und beruft sich auf seine ecclesiastica ordinatio (Clemen, S. 479). Diese Berufung wird auf die niederen Weihen, nicht mit Clemen auf die Priesterweihe (ebd., S. 478) zu beziehen sein. 1511 kehrte er nach Wittenberg zum Medizinstudium zurück. Zwischen 1519 und 1526 bezeichnet C. sich regelmäßig als Doktor der Medizin, doch sind Ort und Zeit der Promotion ungeklärt. Zu Jahresbeginn 1519 trat C. das Amt des Leibarztes Hzg. Heinrichs von Braunschweig-Lüneburg an (‘Progymnasmata’, [A]v). Er erwähnt die Gattin und den Stiefsohn Franz Bibius aus Bautzen (ebd., a iir). Nach Hzg. Heinrichs Exil verblieb er in
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Cyclopius, Wolfgang
gleicher Funktion bei den Söhnen Otto, Ernst und Franz in Celle. Auch in der Stadt Lüneburg wirkte er als Arzt, denn am 14. Okt. 1523 quittierte er dem Rat den Empfang einer Vergütung für Dienste eynes physici oder leybartztes (Lüneburg, Stadtarch., UA b 1523 Okt. 11[!]). Nach einer Auseinandersetzung mit dem Guardian des Franziskanerklosters Celle und dem Minister der sächsischen Ordensprovinz um Fragen der lutherischen Schrifttheologie in der Karwoche 1524 nahm C. im März oder April d. J. seinen Abschied und ging nach Magdeburg, wo er ein Haus in der Ulrichspfarre und das Bürgerrecht erwarb. Am 28. April 1524 veröffentlichte er den Bericht über die Celler Auseinandersetzung, nachdem er gemeinsam mit guthen gunnern vnd frunden (‘Ursach und Handlung’, [D5]v) den von Wittenberg kommenden Drucker Hans Knappe d. J. für Magdeburg gewonnen hatte. In den Monaten Mai bis Juli 1524 trat C. mehrfach mit Wort und Tat für die Einführung der Reformation in seiner Gemeinde und der Stadt Magdeburg ein. Vor dem Sept. 1525 wurde C. von dem neu als Pfarrer in seine Gemeinde berufenen Nikolaus von Amsdorf in einen in vier Flugschriften ausgetragenen Streit über die Abendmahlslehre verwickelt. C. beendete seine letzte Schrift in Magdeburg im Febr. 1526 (s. u. II.B.3). Danach verliert sich seine Spur. I I. We rk . C.’ Werk ist durch die beginnende Reformation in zwei Phasen geschieden. In seiner Zeit als Wittenberger Student und Magister verfaßte er bis 1508 kleine poetische Beiträge, seit der Zeit als Zwickauer Schulmeister (v. a. 1511 u. 1512) zunehmend selbständig gedruckte Dichtungen zu geistlichen und weltlichen Themen. Seit 1524 trat C. als Vorkämpfer der Reformation auf. Damit geht der Wechsel zur dt. Sprache und zum Medium der Flugschrift einher. A. C ar mi na . C.’ Beteiligung an literarischen Aktivitäten Wittenberger Humanisten seit 1507 dokumentieren poetische Beiträge, etwa zu Drucken von Scheurls
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Rektoratsrede, Georg J Sibutus’ ‘Torniamenta’, Hieronymus J Gürtlers ‘Synonyma’ und ‘Grammaticae observationes’, Erasmus J Stellas ‘Interpretamenti gemmarum libellus’ sowie zu dessen hsl. überlieferter ‘Descriptio Molbii’.
1. ‘Eligidion de intemerata conceptione virginis’. Zum Festtag Mariä Himmelfahrt verfaßte C. noch in Zwickau ein Gebet über die unbefleckte Empfängnis Marias (56 Dist.). Daran schließt ein an die hl. Anna gerichtetes Gebet (24 Dist.) an. Auf mehr als doppelten Umfang erweitert, brachte C. beide Gedichte in Wittenberg 1511 erneut zum Druck. Eingeleitet von einem Empfehlungsgedicht des Johannes J Rhagius, poetischen Widmungen an Kf. Friedrich und Hzg. Johann sowie an Johann von J Staupitz, werden Elegie und Annenhymnus um mehrere kleine geistliche Dichtungen C.’ vermehrt, darunter eine Betrachtung über die Freuden Marias in sieben Hexastichen. Drucke. Guolfi Cyclopij Cicnei. De | intemerata virginis et matris | Marie Conceptione Oratio. [Nürnberg]: Joh. Weißenburger, [um 1509]. VD 16, ZV 20729. ⫺ Eligidion Guolfi Cyclopii | Cycnaei. [...] | De intemerata conceptione diuae Virginis | De Septem gaudiis eiusdem. [...]. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, Sept. 1511. VD 16, C 6502. Teildruck. P.-V. Charland, Le culte de sainte Anne en occident, Bd. 2, Que´bec 1921, S. 258.
2. ‘Antidotarius contra furiosam Veneris Frenesim’. Auf die Bitte des späteren Breslauer Reformators Johannes Heß hin übertrug C. bald nach seiner Rückkehr nach Wittenberg ein bisher nicht identifiziertes dt. Gedicht gegen den Liebeswahn in 106 Distichen. Den auf den ersten Druck des ‘Antidotarius’ rasch folgenden zweiten nahm Heß selbst in die Regie: C.’ Versen gegen das Laster der Venus stellte er Texte gegen ein zweites Laster, die Trunksucht, zur Seite, zusammen mit einer Invektive Georg J Spalatins gegen den Weingenuß (16 Dist.) den einschlägigen Schluß des 14. Buchs (Kap. 28⫺29) von Plinius’ d. Ä. ‘Naturalis historia’. Im begleitenden Brief an den Nürnberger Freund Ulrich Pinder (Wittenberg, 1. Jan. 1512) unterstreicht Heß
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die pädagogische Zielsetzung des Sammeldrucks: er ist der studierenden Jugend zugedacht. Nicht zum moralistischen Thema gehören zwei Carmina des C. am Ende des Drucks. Der an Erasmus J Stella adressierte catalogus berühmter Dichter (38 Dist.) stellt nach einer kurzen Reihe bekannter antiker, vornehmlich römischer Namen die deutschen Dichter heraus, die den antiken nicht nachstünden, nach Hraban und Hrotsvit die zeitgenössischen von Rudolf Agricola an, Bohuslaus von Hassenstein, Celtis, Sibutus, Bebel, Locher, Buschius, Eobanus Hessus u. a. Vermutlich kannte C. J Huttens Elegie ‘Ad poetas Germanos’ (Lötze-Klagen II 10). Der poetische Schwan (olor, cycnus) gab das Stichwort für die sich anschließende Ätiologie des Namens Zwickau, der unter den datierten Quellen hier erstmals als Cycnaea erscheint. Das abschließende dem Wittenberger Rhetorikdozenten Balthasar Fabritius Phacchus gewidmete Epigramm (11 Dist.) ist eine Betrachtung über das den Dichter bestimmende Verhältnis von Begabung (natura), Kunstlehre (ars) und Übung (usus, imitatio). Drucke. Antidotarius contra furiosam veneris | Frenesim per Guolfum Cyclopium Cycneum arcium et | philosophie doctorem de vulgari in latinum translatus. [Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1511]. VD 16, ZV 20728. ⫺ Elegantissimum et varie erudi⫽|tionis caput C. Plinij Secundi | [...] | Antidotarius [...] | Idem de preclaris Poetis [...]. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, 1. Jan. 1512. VD 16, ZV 12580. Antidotarius contra | Furiosum[!] Veneris Frenesin [...]. Heidelberg: [Jak. Stadelberger, um 1515]. Vgl. GW, Bd. 7, Sp. 227. 3. Der aus Zwickau gebürtige Paul J Lang zitiert in seinem 1516 abgeschlossenen ‘Cronicon Citicense’ 32 Hex. aus einem von C. verfaßten Carmen de Cimbrorum adventu deque antiquitate et origine urbis Cygneae, in dem der Ursprung Zwickaus auf den hier als Herkulessohn eingeführten Cygnus und seine Tochter Swanhildis zurückgeführt wird (s. auch Stellas ‘Commentarii’). Ein vollständiger Textzeuge des Carmen ist bisher nicht bekannt.
4. ‘Christiani tirocinii progymnasmata’. Sammlung lehrhafter und geistlicher Carmina. Einem Widmungsgedicht an den elfjährigen Hzg. Franz von BraunschweigLüneburg (12 Dist.) folgt eine an den eige-
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nen Stiefsohn gerichtete Christiane˛ institucionis Epistola (a iir⫺b ir; 78 Dist.), eine Lebenslehre, die, beginnend mit Gottesund Nächstenliebe, zur Beachtung göttlicher Gebote auffordert. Die sich anschließenden zwölf geistlichen Gedichte folgen dem Ablauf der Meßliturgie. Neben den Zeugnissen konventioneller Frömmigkeit zeigt das Lehrgedicht Spuren reformatorischer Gesinnung, wenn C. die Nutzlosigkeit bloß äußerlicher Frömmigkeitsübungen betont und das Ende des Mönchsstandes ankündigt ([a4]r⫺b ir). Druck. Guolfi Cyclopy Cycnaei arcium et me| dicinarum Doctoris. […] Christiani Tyrociny: progymnas⫽|mata in processu specialibus | insignita titulis. [...]. Braunschweig: Hans Dorn, 22. Febr. 1519. VD 16, ZV 15851 (in Halle, ULB, AB 153.377 [11], Marginalien von C.’ Hand).
B. t en .
Ref or ma to ri sc he
Fl ug sc hr if -
1. ‘Geistlicher Kampf und Scharmützel’. C. widmet seinen ehemaligen Dienstherren, den Hzg.en Otto, Ernst und Franz von Braunschweig-Lüneburg, die Dokumentation der in der Karwoche 1524 geführten Auseinandersetzung mit den Franziskanern der Residenzstadt Celle, die Luthers Übersetzung des NT und seine Flugschrift ‘Von weltlicher Obrigkeit’ kritisiert hatten. Die Schrift enthält fünf Artikel zu Luthers Bibelübersetzung sowie zur Autorität der Schrift und der Kirche, die dt. Erwiderung der Franziskaner und den daran sich anschließenden Austausch offener Briefe. Als Druckvorlage dienten C. die an der Tür der Franziskanerkirche ausgehängten Zettel. Drucke. Ein geistlicher kampff | vnd Scharmutzel/ vber .v. beschluß | vnd artickelln/ das Gotlich wort be|langende [...]. Magdeburg: Hans Knappe d. J., 1524. VD 16, C 6503. Ein Nachdruck: [Straßburg: Matth. Schürer Erben], 1525. VD 16, C 6504.
2. ‘Ursach und Handlung einen christlichen Wandel belangend’. Auf Verlangen des Rats verfaßte C. einen Bericht über die Versammlung der Magdeburger Gemeinden St. Johannis und St. Ulrich vom 14. Juli 1524, in der die Absetzung der altgläubigen und die Wahl evangelischer Pfarrer beschlossen wurde.
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C. nennt in einer Nachschrift als Zweck der Veröffentlichung die Ermutigung anderer Gemeinden, die Reformation gegen den Widerstand altgläubiger Geistlicher und Patrone einzuführen. Druck. Vrsach und hande|de[!]lung/ in der e vnd Christlichen stadt Keyserlichen Lob|lichen Mey|deburg/ Eyn Christlich wesen vnd wandell belangende/ [...]. Magdeburg: Hans Knappe d. J., 1524. VD 16, C 6504. Teildrucke der vier Artikel. S. F. Hahn, Collectio Monumentorum veterum, Braunschweig 1726, S. 459⫺461; H¸lsse, S. 384⫺386 (modernisiert).
3. Schriften zum Streit mit Amsdorf um die Abendmahlslehre. Amsdorf, seit September 1524 Pfarrer von St. Ulrich und Superintendent der Evangelischen in der Stadt, griff wegen einer Kontroverse um das Verständnis des Abendmahls in der Vermanung [...] an die von Magdeburg wider den rotten und secten geist D. Ciclops (Wittenberg, [vor Sept. 1525]; VD 16, A 2402) diesen als Teufelsdiener, falschen Propheten und Aufrührer an. C. setzte sich mit der Veröffentlichung der um eine notdorfftige errettung seyner vnerschrocknen vnschuld (‘Vorrede’, Br) vermehrten Vorrede eines geplanten Buches über das Abendmahl zur Wehr. Amsdorfs im Ton moderatere Auf Ciclops Antwort Replica (VD 16, A 2326) beantwortete C. mit einer am 13. Febr. 1526 in Magdeburg beendeten Zusammenfassung seiner Position in sieben Artikeln. Drucke. Von dem Aller hochwirdigesten | Nachtmahl Jesu Christi/ Eynes durch Doctor | e Wolff Cyclop etc. Vorgenomen buchleyns | vorrede [...]. Magdeburg: [Heinr. Öttinger], 1525. VD 16, C 6506. ⫺ Doctor Wolff Cy⫽|clops antwort auff | Nickel Amßdorffs Replica [...]. [Leipzig: Mich. Blum], 1526. VD 16, C 6501.
C . G ei st li ch es Li ed . Das Zwickauer Gesangbuch von 1525 überliefert unter C.’ Namen eine Übertragung von Ps 50 in sieben Strophen auf die Melodie von Luthers Lied ‘Es wolle uns Gott gnädig sein’ (s. u. D.2.). In enger Anlehnung an den lat. Bibeltext überträgt C. je drei Psalmverse in eine sechsversige Strophe; als 7. Strophe ist eine freie Doxologie angefügt.
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Drucke. Eyn gesang Bu⫽|chleyn/ welche mann yetz|vnd ynn Kirchen gebrauch⫽|en ist. [Zwickau: Jörg Gastel, 1525], [A4]v⫺B ijr. Faksimile: O. Clemen, Das älteste Zwickauer Gesangbuch v. 1525. [...], 1935, ND 1960. Ein Neudruck: Zwickau: [Jörg Gastel], 1525. Vgl. K. Ameln / M. Jenny / W. Lipphardt (Bearb.), Das dt. Kirchenlied. Verz. d. Drucke v. d. Anfängen bis 1800, Abt. 1, Bd. 1/1, 1975, S. 7. Ausgabe. Ph. Wackernagel, Das dt. Kirchenlied v. d. ältesten Zeit bis zu Anfang d. XVII. Jh.s, Bd. 3, 1870, ND 1964, S. 542 f., Nr. 590. D. Herausgeber. 1. D Adam von Fulda, Ein ser andechtig Cristen⫽|lich Buchlein aus hailigen | schrifften und Leerern | von Adam von | Fulda in teutsch | reymen | gesetzt. Acht Holzschnitte Lucas Cranachs d. Ä. Wittenberg: Symph. Reinhart, 1512. VD 16, ZV 86. Im Einführungsgedicht von 14 Knittelverspaaren eignet C. das Buch – Adams Wunsch folgend – Hzg. Johann von Sachsen zu. Faksimile: E. Flechsig, Adam v. Fulda. [...] (Graphische Ges. Veröffentlichung 19), 1914. Abdruck bei H. J. Moser, Leben u. Lieder d. Adam v. Fulda, Jb. d. staatl. Akademie f. Kirchen- u. Schulmusik Berlin 1 (1929) 7⫺48, hier S. 8 f. 2. Martin Luther, Der Lxvj. [sc. Psalm] Deus misereatur | Es wolt vnß Gott genedig sein/ [...]. Notierter Einblattlieddruck. Magdeburg: H. Knappe d. J., 1524. Faksimile: K. Ameln, ‘Es wolle Gott uns gnädig sein’, Jb. f. Liturgik u. Hymnologie 3 (1957) 105⫺108, hier Tafel I (nach S. 104). Literatur. E. Herzog, Gesch. d. Zwickauer Gymnasiums. Eine Gedenkschr. z. Einweihungsfeier d. neuen Gymnasiums, 1869, S. 73; G. Bauch, Beitr. zur Litteraturgesch. d. schles. Humanismus. I, Zs. d. Ver. f. Gesch. Schlesiens 26 (1892) 213⫺ 248, hier S. 219-221; F. H¸lsse, Die Einführung d. Reformation in Magdeburg, Gesch.bll. f. Stadt u. Land Magdeburg 18 (1883) 209⫺369, bes. S. 252 f., 282⫺286, 306; A. Wrede, Die Einführung d. Reformation im Lüneburgischen durch Ernst d. Bekenner, 1887, S. 31⫺34; J. Kˆstlin, Die Baccalaurei u. Magistri d. Wittenberger artistischen Fakultät (Osterprogr. d. Univ. Halle-Wittenberg), T. 1, 1887, S. 1, 22, 26; O. Clemen, Ein Brief d. W. C. aus Zwickau, NA f. sächs. Gesch. 23 (1902) 134⫺137; wieder in: ders., Kl. Schr., Bd. 1, 1982, S. 476⫺479 (zit.); Ellinger, Neulat. Lit., Bd. 2, 1929, S. 60 f.; H. J. v. d. Ohe, Die Zentralu. Hofverwaltung d. Fürstentums Lüneburg (Celle) u. ihre Beamten. 1520⫺1648, 1955, S. 182, 205 f., 209; D. Ch. Brandt, The City of Magdeburg before and after the Reformation, Diss. Univ. of
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Cyclopius, Wolfgang
Washington 1975, S. 181, 185, 188⫺191, 287⫺ 289; A. Dˆrfler-Dierken, Die Verehrung d. hl. Anna in SpätMA u. früher Neuzeit (Forsch. z. Kirchen- u. Dogmengesch. 50), 1992, S. 316 f.; M. Schulze, Vom Nutzen d. Bekennens, in: H.-J.
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Vogtherr (Hg.), Hzg. Ernst d. Bekenner u. seine
Zeit (Uelzener Beitr. 14), 1998, S. 71⫺90, bes. S. 74 f.
J. Klaus Kipf
D Danhauser (Dann-, Tan-, Thonn-, -huser, Danusius, Abietiscola, Pierius), Peter I . L eb en . Quellen der Biographie sind neben der von D. veröffentlichten Korrespondenz, dem Celtis- und dem Cuspinian-Br. die Univ.smatrikeln Ingolstadt, Tübingen, Wien, Nürnberger Urkunden (Nürnberg, Stadtarch., B 14/I, Nr. 16, 205v; B 14/II, D. 89r, F. 137r u. 186r, G. 142v, J. 166v, K. 22v), Wiener Grundbücher (s. Perger), Akten der jurist. (s. Goldmann), der medizin. (s. Schrauf) und der theol. Fakultät der Univ. Wien (s. Lachitzer). Anders als in den österr. Forschungsbeiträgen, die aber nur die Wiener Jahre D.s betreffen, sind in den deutschen bis 2002 die biographischen und andere Mitteilungen mehr oder minder stark fehlerhaft.
D., Sohn des Nürnberger Bürgers Hans D. und seiner Frau Elsbeth, schrieb sich im April 1479 an der Univ. Ingolstadt für das Studium der Artes ein, ging als Ingolstädter Baccalaureus aber im Nov. 1481 nach Tübingen. Er hat danach in Heidelberg studiert und wahrscheinlich 1485 hier den Grad des Magisters erworben; am 18. Mai d. J. beglich der Vater für ihn Schulden, die bei der Universität und der Stadt aufgelaufen waren. Vermutlich hat er sich in Heidelberg noch zu einem weiteren Studium, dem juristischen, dem nächst dem studium humanitatis seine Neigung galt, aufgehalten; 1491 noch befanden sich in Heidelberg Bücher und andere Habe von ihm, die der Vater damals nach Nürnberg zurückschaffen ließ. Sinn für die Humaniora wird D. erst in Heidelberg bekommen haben. Hier hat er vielleicht noch D Agricola gehört, vielleicht schon J Celtis kennengelernt. Bezeugt ist er erst wieder Anfang 1489; offenbar astrologisch bewandert, stellte er damals in Nürnberg Sebald Schreyer die Nativität (Schreyers ‘Ko-
pialbuch C’ [s. u. II.], Bl. 20r⫺24r [fehlerhafter erster Versuch] u. 27r⫺32v [korrigierte Fassung]). 1489 besorgte er auch seine erste Veröffentlichung (s. II.A.1.). Bis zum April 1497 lebte er in seiner Heimatstadt, anscheinend ohne einem Brotberufe nachzugehen, rührig als Herausgeber – große Drucke wie die Anselm-Ausgabe (s. II.A.4.) und die Opera des Wilhelm von Auvergne (s. II.A.7.) finanzierte er selbst – und eng verbunden mit namhaften Personen des damaligen gelehrten und literarischen Lebens in und um Nürnberg, mit Hartmann J Schedel, Johann Löffelholz (1448⫺1509), Johann Tolhopf († 1503), Dietrich J Ulsenius, den er seinen Lehrer nannte, mit Georg Pirckheimer († 1505), dem Prior der Nürnberger Kartause Marienzelle, mit Celtis, der ihm ein Epigramm widmete (II 24: ‘De armis Danusii’) und ihn zu seinen engsten Freunden zählte, und besonders mit Sebald Schreyer (1446⫺ 1520); in der berühmten ‘Vorderstube’ von Schreyers Haus hingen Porträts von D. und Celtis. Im April 1497, nicht lange nach Celtis’ Berufung nach Wien (er trat aber erst im Okt. dort an), immatrikulierte D. sich an der Wiener Universität, sicherlich zum juristischen Studium; doch nahm er auch an Celtis’ Unterricht teil. In Wien heiratete er Barbara Reichwein, Tochter eines Wiener Bürgers, und erwarb auch ein Haus. Im SS 1512 wurde er zum Dr. iuris civilis promoviert, als erster in diesem Fache an der Univ. Wien. Im WS 1513/14 war er Dekan der Juristen. Er kam als Rechtslehrer zu Ansehen und Einfluß, zu Beziehungen auch zum kaiserlichen Hof. 1516/17 amtierte er als Prokurator der medizinischen Fakultät. Im Dez. 1518 beauftragte ihn Ks.
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Danhauser, Peter
D Maximilian, von der Wiener theol. Fakultät ein Gutachten über das letzte Stück seiner Genealogie, die Geschlechterfolge von Noe bis Sicamber, einzuholen; es wurde D. am 29. Dez. übergeben. Vermutlich war er damals bereits kaiserlicher Rat. D.s Verbindungen mit Nürnberg brachen in Wien nicht ab; so schenkte er im Herbst 1515 Christoph J Scheurl ein Exemplar von Johannes J Cuspinians Diarium über Maximilians Wiener Fürstentag vom Juli d. J. Nach dem Tod seiner ersten Frau (vor 1516?) war er mit der Wienerin Anna Part verheiratet. Seit 1517 besaß er ein ansehnliches Haus in der Wittwerkerstraße. Über seine weiteren Wiener Jahre ist bisher nichts bekannt. Er starb zu Wien am 5. Mai 1528. Sein Grabmal, auf dem er als Dr. iur. utr. und kaiserlicher Rat bezeugt war, befand sich beim Wiener Schottenkloster (Wien, ÖNB, Ser. n. 12781, 105v). I I. We rk . D. war kein professioneller Gelehrter und kein geborener Literat. Was er veröffentlicht oder selber verfaßt hat, entstammt den Nürnberger Jahren 1489⫺ 1497 und ist vorwiegend Auftragsarbeit, zu der ihn Schreyer und G. Pirckheimer veranlaßten; noch das ‘Mariengebet’ (1498) hat sie zu Adressaten. In den folgenden 30 Jahren der Wiener Zeit hat er nichts mehr zum Druck gegeben. In Nürnberg besorgte er eine Anzahl z. T. umfangreicher Ausgaben und versah deren Drucke mit ausführlichen Widmungen und teilweise mit dem Abdruck weiterer zugehöriger Korrespondenz. Alle übrige schriftliche Hinterlassenschaft findet sich, außer einigen Briefen an Celtis (Celtis-Br., Nr. 12, 62, 254) und einem an Hartmann Schedel (Stauber, S. 250), in Schreyers ‘Kopialbuch C’ (Nürnberg, GNM, Merkel-Hs. 1122): Horoskope, Carmina, Mariengebet, Abschriften auch eines Teils der den gedruckten Ausgaben beigegebenen Briefe. Hinzu kommt die ausführliche Würdigung der Verdienste Schreyers als Kirchenmeister von St. Sebald, die dieser von D.s Hand anfertigen ließ (Text bei G¸mbel, S. 111−113, nach ‘Kopialbuch B’).
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A . A us ga be n. Sind die beiden ersten Ausgaben im wesentlichen nur Wiederholungen bereits vorliegender Drucke, so handelt es sind bei den folgenden vom ‘Repertorium auctoritatum’ an überwiegend um Erstdrucke, und unter diesen sind Pionierleistungen wie die Werkausgabe des D Anselm von Canterbury. In das spezifisch humanistische Feld fallen nur die drei ersten Ausgaben von 1489/90. Nach der Zahl der erhaltenen Exemplare zu urteilen, waren die Werkausgaben des D Thomas Hemerken von Kempen und des Wilhelm von Auvergne große Bucherfolge. Als D. 1493 für Schreyer mit der Arbeit am ‘Archetypus triumphantis Romae’ begonnen hatte, geriet er mit der Erfüllung dieses Auftrags bald in Schwierigkeiten, da der Kartäuserprior Pirckheimer ihn zu den zeitraubenden Editionen des Thomas von Kempen, des D Dionysius Carthusiensis und des Wilhelm von Auvergne zu drängen wußte. Pirckheimer zog ihn damit bewußt in einen Konflikt über die Vereinbarkeit von säkular-humanistischer und strikt christlich-religiöser Lebensorientierung. Der in den Drucken veröffentlichte Briefwechsel zeigt, daß allein D. den Konflikt auszutragen hatte. Er suchte eine humanistischchristliche Symbiose, während Pirckheimer unbewegt bei seiner abweisenden Haltung zu den Studia humanitatis verharrte. 1. Cassandra Fidelis, ‘Oratio pro Bertucio Lamberto liberalium artium insignia suscipiente’. Vorlage für den Nachdruck der gerühmten Paduaner akademischen Rede der jungen Venezianerin war ein Exemplar des Druckes Venedig 1489, das Hartmann Schedel D. verschafft hatte. D. reihte sich den Gratulanten der Cassandra mit einem Brief schwärmerischer Verehrung an sie (Nürnberg, 22. Nov. 1489) ein und fügte ihm Celtis’ Ode an Apoll (“daß er von Italien nach Deutschland komme möge ...”) bei. Druck. Oratio Cassandre venete. [Nürnberg: Peter Wagner, 1489/90]. GW 9889.
2. Hermolaus Barbarus d. J., ‘Oratio ad Fridericum III. imperatorem et Maximilianum I. regem Romanorum’.
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In D.s Ausgabe sind die vorhergehenden Drucke der Rede Barbaros (GW 3344 u. 3345) um die ‘Gratulatio’ des Ludovicus Brunus zu Maximilians Krönung (412 Hex.) nach deren separatem Löwener Druck von 1486 (GW 5655) erweitert. Angeregt u. a. von Johannes Beckenhaub, dem gelehrten Mitarbeiter in Kobergers Offizin, gewidmet als Muster lat. Stils dem Scholaren Konrad Stepeck (Nürnberg, 2. April 1490). Druck. Oratio hermolay barbari laureati poete | ad federicum et maximilianum principes cum | Gratulatione Ludouici bruni laureati po|ete de regis romanorum coronatione. [Nürnberg: Peter Wagner, 1490]. GW 3346.
3. Ps.-Beda, ‘Repertorium auctoritatum Aristotelis’. Erstdruck des ‘Repertorium auctoritatum’, einer kommentierten alphabetischen Sammlung von Sentenzen aus den Schriften des Aristoteles und anderer (Boethius, Seneca, Avicenna, Averroes u. a.). D. schloß dem spätscholastischen ‘Repertorium’ die gänzlich andersartigen ‘Auctoritates Ciceronis’ an, mit einem Vorwort, in dem Cicero als studii humanitatis maximus cultor gefeiert wird; er entnahm sie ⫺ bis auf den Abschnitt Sequitur ex sexto de repub. ⫺ geschlossen und ohne jede Änderung dem Cicero-Kapitel der ‘Margarita poetica’ D Albrechts von Eyb. Widmung an Sebald Schreyer (26. Juli 1490), dem er die Anregung zu der Ausgabe zuschreibt und sie als Buch für Schüler (von St. Sebald?) offeriert. Drucke. Repertorium siue tabula generalis au| ctoritatum arestotelis cum commento per | modum alphabeti et philosophorum. Nürnberg: Peter Wagner, [1490]. GW 3757. Während das ‘Repertorium’ unabhängig von D.s Ausg. und so auch ohne die ‘Auctoritates Ciceronis’ seit 1495 (GW 3758) bis Ende des 16. Jh.s noch mehrfach erschien (VD 16, B 1419⫺1423), ging D.s Ausg. samt dem Cicero-Teil in Herwagens große Beda-Ausg. von 1563 (Bd. 2, S. 213⫺284) ein und kehrt daher noch in PL 90, Sp. 965⫺1090, wieder.
4. Anselm von Canterbury, Opera. Die nach unbekannter hsl. Vorlage gearbeitete Ausgabe enthält mit Ausnahme von ‘De grammatico’ alle heute als echt geltenden Schriften Anselms, dazu einige Pseudepigrapha; als letztes Stück ist die ‘Imago
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mundi’ des D Honorius Augustodunensis beigefügt, die bereits um 1472 in einem Nürnberger Druck (Hain 8800) vorlag. Widmung an den Nürnberger Rechtskonsulenten Dr. Johann Löffelholz mit Antwort von diesem. D., der die Ausgabe als primitie studiorum meorum vorstellt, beansprucht, ein vergessenes Werk wieder ans Licht geholt zu haben, vor allem ein einfaches und verständliches, nicht durch verstiegene questiones verstelltes theologisches Werk, dessen Autor er Hieronymus vergleichen möchte. Druck. Opera et tractatus beati Ansel-|mi episcopi cantuariensis. or|dinis sancti Benedicti. Nürnberg: Kaspar Hochfeder, 27. März 1491. GW 2032.
5. Thomas Hemerken von Kempen, Opera. Die Ausgabe, die als erste annähernd das heute bekannte Gesamtwerk umfaßt, beginnt mit Thomas’ ‘De imitatione Christi’ und Gersons ‘De meditatione cordis’, die seit 1485 schon häufig gemeinsam gedruckt worden waren (HC 9088⫺9108), 1492 auch bei Ant. Koberger in Nürnberg. Es folgen Bl. XXIX ra⫺LXXXV rb zuvor nicht gedruckte Schriften des Thomas: Buch 2⫺4 der ‘Dialogi noviciorum’, ‘Soliloquium animae’, ‘De disciplina claustralium’ u. a. Den übrigen 16 Stücken scheint der Druck Thome a Kempis Sermones, epistole et tractatus devoti [Utrecht, 1473] (HC 9768) Vorlage gewesen zu sein. Mit Brief G. Pirckheimers an D. (14. Febr. 1494), der die Debatte mit D. über die Studia humanitatis eröffnet, und D.s Antwort und Widmung. Druck. Opera et libri vite fratris Thome de Kem-|pis [...]. Nürnberg: Kaspar Hochfeder, 29. Nov. 1494. HC 9769.
6. Dionysius der Kartäuser (Jakob von Gruytrode?), ‘Specula omnis status vitae humanae’. Nach einer Hs., die G. Pirckheimer D. bei einem Besuch der Nürnberger Kartause zur Lektüre und zur erwünschten Drucklegung mitgegeben hatte. Widmung an G. Pirckheimer (15. Jan. 1495) mit Bericht der Entstehungsgeschichte.
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Druck. Specula omnis status humane vite Venerabilis pa|tris Dyonisii prioris domus Carthusie in ruremund [...]. Nürnberg: Peter Wagner, 28. Jan. 1495. GW 8419.
7. Wilhelm von Auvergne, Opera. Die Ausgabe umfaßt die Schriften ‘De fide et legibus’, ‘Summa de virtutibus et vitiis’, ‘De immortalitate animae’. Im Inhaltsverzeichnis des Drucks (Bl. [2]r) sind die drei wie ein einziges Werk in acht Büchern präsentiert. Vorlage war eine Hs. aus dem Nürnberger Dominikanerkloster, die D. von G. Pirckheimer mit der Aufforderung zur Edition erhalten hatte. Auch das Beiwerk, die alphabetisch gereihten Descriptiones quarundam virtutum et viciorum zu Anfang ([3]v⫺[4]v) und die Serie der dubitationes operis (meist mit utrum beginnende Quaestiones, welche die Schriften aufwerfen) am Ende, wird D. der Hs. entnommen haben. Der Druck wiederholt abschließend den Vermerk der Hs., daß der Nürnberger Predigermönch Johann Rosenbach das Sachregister (im Druck 57 S. mit ca. 2500 Stichwörtern) geschaffen und den Band am 16. März 1440 rubriziert und foliiert habe. D. hat die Arbeit an dieser umfangreichen Ausgabe, für die es ihm auch an theologischer Vorbildung fehlte, als äußerst belastend empfunden; vgl. seine Widmung an Ulsenius (und dessen Antwort, 31. März 1495) und bes. Celtis-Br., S. 190. Druck. Guilhermi diui Parisien|sis episcopi opera. de fide. legibus. | de virtutibus. moribus. vicijs. pecca|tis. temptationibus. resistentijs. me| ritis. retributionibus et immortalita|te anime. [...]. [Nürnberg: Georg Stuchs, nach Aug. 1496, nicht nach 1497]. GW 11862.
B . ‘ Ar ch et yp us tr iu mp ha nt is Ro m ae ’. Unter dem 8. Juli 1493 schlossen auf Celtis’ Betreiben Sebald Schreyer und D. einen Vertrag, mit dem D. sich verpflichtete, für Schreyer und zu seinen Händen ein archetipus betiteltes und neun Teile umfassendes Buch herzustellen. Das geplante Werk war bereits wenig später unter dem deutlicheren Titel archetipus triumphantis rome bekannt (Brief G. Pirckheimers an D. vom 14. Febr. 1494; s. o. A.5.).
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In einem 2. Vertrag vom 24. Aug. 1496 war das Projekt auf 20 Bücher und einen Anhang appologeticum poetarum konzipiert und sollte nun binnen sechs Monaten abgeschlossen sein. Das ‘Apologeticum’ lag bereits im Nov. 1494 vor (s. D.s Brief an Pirckheimer in A.5.). Für das Werk war eine reiche Illustration vorgesehen, nicht weniger als 316 Holzschnitte. Nach Schreyers abschließender Bilanz seiner Aufwendungen in Höhe von 334 fl. für das offenbar sehr umfangreiche Werk muß dieses im Frühjahr 1497 in allen Teilen fertig vorgelegen haben; nirgends verlautet, daß D. seinen (im 2. Vertrag terminierten) Pflichten nicht nachgekommen sei. Das Werk kam dennoch nicht zum Druck. Vermutlich scheute Schreyer, den der sich abzeichnende geschäftliche Mißerfolg der Schedelschen ‘Weltchronik’ skeptisch machen konnte, die Kosten der Drucklegung. Über den Inhalt des Projekts sagen die beiden zwischen Schreyer und D. geschlossenen Verträge nichts. Die einzige Bemerkung über ihn findet sich in D.s Widmung an Ulsenius (März 1495) zur Ausgabe der Opera des Wilhelm von Auvergne (s. o. A.7., Bl. [2]v. Danach handelte es sich um ein ex clarissimis simulque doctissimis poetarum, oratorum et historicorum auctoribus kompiliertes Werk, und D. stellte in Aussicht: maxime animos Germanorum excitabit atque inflammabit ad virtutem; das hinzukommende ‘Apologeticum’ diente, wie D. in der Widmung an G. Pirckheimer zur Ausgabe des Thomas von Kempen kenntlich machte, der Rechtfertigung des poetarum studium auch gegen christliche Vorbehalte. Nach diesen Hinweisen wird der ‘Archetypus’ eine das Studium humanitatis fundierende große Textsammlung aus Autoren der römischen Antike gewesen sein, gegliedert nach unbekannten Gesichtspunkten zunächst in 9, dann in 20 Teile. Joachimsen glaubte den im ersten Vertrag vorfindlichen Werktitel archetipus, einen unerkannten gravierenden Übertragungsfehler Hartmanns irrig korrigierend (dazu Apol. poet., 1988), als “Archetypus liberalium artium” lesen zu können; seiner fehlgreifenden Lesart sind alle, ohne den Wortlaut
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der Quelle zu prüfen, gefolgt. In dem Volltitel ‘Archetypus triumphantis Romae’ sah Joachimsen sicherlich zutreffend eine Assoziation an Flavio Biondos ‘Roma triumphans’, knüpfte daran aber Mutmaßungen über den Inhalt des Werks, die unverbindlich spekulativ bleiben. Einen Versuch, die wenigen erhaltenen Holzschnitte ⫺ ihre Zuordnung zum ‘Archetypus’ ist nicht gesichert ⫺ auf das inhaltliche Programm des ‘Archetypus’ zu befragen, hat Schoch, 2001, unternommen. D.s Projekt des ‘Apologeticum poetarum’ wurde in Nürnberg wenige Jahre später von J Bernhaubt wiederaufgegriffen.
C . C ar mi na . Im Sept. 1495 stellte D. eine Serie von 17 lat. Carmina auf Sebald Schreyer zusammen, deren gemeinsames Thema Schreyers überragende virtus ist. Sie beginnen mit Distichen an den Leser und schließen mit solchen, wollen demnach als Zyklus verstanden sein. Verfasser der Carmina ist D. nicht. Er hat sie sämtlich dem panegyrischen ‘Libellus ad Falconem’ des Baptista Mantuanus entnommen und durch neue Überschriften sowie den Austausch des Namens Falco (-onis, -onem) gegen Schreyers Namen (wenn metrisch nötig latinisiert Clamosus) in den betreffenden Versen zu einem Schreyer-Panegyricus redigiert. Sie sollten ihm zu einer ergetzlichkeit in seinen widerwertigkeiten dienen, und damit scheint auf geschäftliche Mißerfolge, die Schreyer damals trafen, oder einen langwierigen verlustreichen Streit mit einem Verwandten angespielt zu sein (vgl. Hampe, S. 164 f.; Celtis-Br., S. 143, und Od. II 23). Überlieferung. Schreyers ‘Kopialbuch C’, Bl. 75r⫺78r u. 74v.
D . Mar ie ng eb et . Unter dem 14. März 1498 schickte D., genesen von langer Krankheit, aus Wien an G. Pirckheimer und Schreyer ein Mariengebet (Ad castissimam et Jhesu cristi matrem intemeratam virginem [...]) und verband damit den Wunsch, die beiden Freunde möchten es unter ihrem Namen und zu ihrem Ruhm zusammen mit einem Bildnis der Anna Selbdritt veröffentlichen. Aus der Herkunft des Gebets machte D. kein Hehl: es handelt sich um des Lucius
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Dankgebet an Isis (Diana) in Apuleius’ ‘Goldenem Esel’ (XI 25). Den Gebetstext des Apuleius übernahm D. bis auf die ersten beiden Wörter ⫺ Tu quidem ersetzte er durch Maxima virgo, virgo ⫺ ohne jede Änderung, substituierte also ungescheut Maria der heidnischen Göttin, attribuierte ihr alle deren göttliche Eigenschaften und Funktionen, die das Gebet preist. Das ohne Zweifel häretische Gebet wurde von G. Pirckheimer nicht ohne weiteres übernommen; er stellte, um leidliche Orthodoxie zu gewährleisten, durch einige Auslassungen und zahlreiche Zusätze eine neue Textfassung her, die dann unter seinem Namen ging. Überlieferung. 1. Fassung mit D.s Brief an Pirckheimer und Schreyer: Schreyers ‘Kopialbuch C’, Bl. 78v⫺79r (fehlerhafte Abschrift d. Originals). 2. (Pirckheimers) Fassung: Ch. Erdmann, Relatio historico-paraenetica de sacrosanctis sacri Romani imperii reliquiis et ornamentis [...] Norimbergae asservatis [...], o. O. 1629, S. 84 f.; J. F. Roth, Gesch. u. Beschreibung d. Nürnbergischen Karthause [...], Nürnberg 1790, S. 108⫺111 (nach Erdmann, mit teilw. mißverstehender dt. Übers.). Nach Erdmann soll das Gebet in St. Sebald bei der Statue der hl. Anna zu lesen gewesen sein. Literatur. S. Laschitzer, Die Genealogie d. K.s Maximilian I., Jb. d. kunsthist. Slg.en d. allerhöchsten Kaiserhauses 7 (1888) 1⫺199, hier S. 30; B. Hartmann, Konrad Celtis in Nürnberg, MVGN 8 (1889) 1⫺68, hier S. 18⫺20, 23⫺25, 59⫺62; K. Schrauf, Acta facultatis medicae univ. Vindobonensis, Bd. 3, 1904, S. 116, 123; Joachimsen, Gesch.auffassung, S. 156 f. u. 269 Anm. 6⫺ 8; R. Stauber, Die Schedelsche Bibliothek, 1903, S. 81 f., 250; A. G¸mbel, Kirchliche Stiftungen Sebald Schreyers, MVGN 18 (1908) 99⫺133; K. Schottenloher, Die Entwickelung d. Buchdrukkerkunst in Franken bis 1530 (Neujahrsbll. d. Ges. f. Fränk. Gesch. 5), 1910, S. 55⫺58; A. Goldmann, Die Universität, in: Gesch. d. Stadt Wien, hg. v. Alterthumsver.e zu Wien, Bd. 6, 1918, S. 1⫺ 205, hier S. 122 mit Anm. 3; E. Flechsig, Albrecht Dürer. Sein Leben u. seine künstlerische Entwicklung, Bd. 1, 1928, S. 122⫺129; Cuspinian-Br., S. 75; Celtis-Br., S. 23 f. u. Reg.; Th. Hampe, Sebald Schreyer vornehmlich als Kirchenmeister von St. Sebald, MVGN 28 (1928) 155⫺207, hier S. 163⫺165, 178, 188, 205 f.; A. Reimann, Die älteren Pirckheimer. Gesch. eines Nürnberger Patriziergeschlechtes im Zeitalter d. Frühhumanismus (bis 1501), 1944, S. 160⫺196; H. AnkwiczKleehoven, Der Wiener Humanist Joh. Cuspi-
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Diel, Florentius
nian, 1959, S. 143; E. Caesar, Sebald Schreyer, MVGN 56 (1969) 1⫺211, hier S. 111 f. u. 120⫺ 122; L. Buza´ s, Gesch. d. UB München, 1971, S. 23, 28; R. Perger, Nürnberger im mal. Wien, MVGN 63 (1976) 1⫺98, hier S. 89; F. Machilek, Klosterhumanismus in Nürnberg um 1500, MVGN 64 (1977) 10⫺45, hier S. 10, 25⫺27, 39; N. Holzberg, Willibald Pirckheimer, 1981, S. 49 f. 52, 55; Apol. poet., S. 31 f.; B. Hamm, Hieronymus-Begeisterung u. Augustinismus vor d. Reformation, in: K. Hagen (Hg.), Augustine, the Harvest, and Theology (1300⫺1650), Leiden u. a. 1990, S. 127⫺ 235, hier S. 170⫺175; C. G. Santing, Geneeskunde en Humanisme. Een intellectuele biografie van Theodericus Ulsenius, Rotterdam 1992, S. 65⫺67 u. ö.; P. Uiblein, Die Univ. Wien im MA, 1999, S. 253 f. mit Anm. 108; R. Schoch, ‘Archetypus triumphantis Romae’. Zu einem gescheiterten Buchprojekt d. Nürnberger Frühhumanismus, in: 50 Jahre Sammler u. Mäzen [Gedenkschr. Otto Schäfer] (Veröff. d. Hist. Ver.s Schweinfurt NF 6), 2001, S. 261⫺298; U. Hess, in: C. Wiener u. a. (Hgg.), Amor als Topograph. 500 Jahre Amores d. Conrad Celtis (Bibl. O. Schäfer. Ausstellungskat. 18), 2002, S. 70⫺73.
F. J. Worstbrock
Delitianus J Probst, Andreas Diel (Dül, Tyll), Florentius I . L eb en . Die Biographie D.s ist nur in sehr unvollständigen Umrissen greifbar. Geburts- und Todesdatum und auch wichtige Daten seiner akademischen Laufbahn sind unbekannt. Andere entnimmt man nur späten Quellen: V. F. Gudenus, Vindemiae ad Historiam Universitatis (Anfang 18. Jh.), Mainz, Stadtarchiv, Abt. 18/20, Bl. 66r; H. Knodt. Historia Universitatis Moguntinae [...], Mainz 1752, Commentatio II, S. 3, 42, 64 f.
D. stammte aus Speyer, immatrikulierte sich am 3. Okt. 1473 in Heidelberg (Florentius Dül de Spira) und studierte die Artes in der Via moderna. Am 8. Juli 1475 wurde er Baccalaureus. Vermutlich hat er auch in Heidelberg den Grad des Magisters erworben. Er wechselte an die 1477 neugegründete Univ. Mainz, amtierte hier bereits 1479 als Dekan der Artistenfakultät und wurde damals Mitglied des Kleinen und Großen Senats. Ebenfalls seit 1479 war er Regens der Großen Burse der Moderni ‘Zum Algesheimer’. Im WS 1482/
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83 versah er erneut das Amt des Dekans, 1483/84 das des Rektors. D. war Priester und bezog seinen Unterhalt aus verschiedenen Pfründen. Nachdem er zunächst die Stelle eines Frühmessers zu St. Peter in Speyer innehatte, wurde er Domvikar in Mainz, erhielt dann aber als artistischer Magister regens 1484⫺ 1487 die Lektoralpräbende des Liebfrauenstifts in Frankfurt. Graduierter Theologe kann D. nicht schon, wie Steiner (S. 77), Diel (S. 361) und Ältere mitteilen, in Heidelberg geworden sein, vielmehr hat er mit dem theologischen Studium wohl überhaupt erst in Mainz begonnen. Er schloß es als Lizentiat ab und lehrte, nachdem er an die zehn Jahre in der artistischen Fakultät gewirkt hatte, seit dem 13. Okt. 1487 in der theol. Fakultät; ein Kanonikat am Dom zu Fritzlar, das mit seiner Lektur verbunden gewesen sein soll, erhielt er offenbar nicht (Steiner, S. 309). Ende 1491 wurde D. zum Pfarrer der Universitätskirche St. Christoph bestellt. Er hatte die Pfarrei noch 1518 inne. Spätere Lebenszeugnisse fehlen. Mit seinem Drucker Peter Drach in Speyer hatte D., wie Drachs Rechnungsbuch bezeugt, schon 1483 Geschäftsbeziehungen, deren Art aus der Notiz (Geldner, Sp. 99) freilich nicht zureichend deutlich wird. D., der seine wissenschaftliche Prägung in Heidelberg erhalten hatte, vertrat auch in Mainz mit Entschiedenheit die Via moderna, galt dort zu seiner Zeit sogar als der führende Kopf der Modernen; vgl. die Würdigung bei Johann Hebelin, Schüler Jakob J Merstetters, in seiner ‘Historia Moguntina’ (Würzburg, UB, M.ch.f. 187, 121r⫺199r, hier 138r; Abdruck bei Steiner, S. 536). Die moderni sind nach D.s Anspruch innouatores antiquitatis, dürfen so heißen, weil sie der alten Logik eine neue ausgefeilte, vollkommenere Gestalt geben (‘Summulae logicales’, Bl. a iijr: [...] modernorum summulas dicimus propter vetustissime artis logice nouam elimationem in ipsis reseratam et patentem ). Auch beim Donat-Kommentar kommt es ihm darauf an, daß dieser eine grammaticorum
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Diel, Florentius
vetustissimi declaratio secundum modernorum doctrinam sei. Im Geltenlassen der Alten bei vollem Anspruch auf den Fortschritt der Wissenschaft drückt sich das Selbstverständnis der Modernen aus. Das Artesstudium hatte nach D. unter Führung der Logik die Aufgabe einer Propädeutik der Theologie; die Logik selbst sah er in den Dienst einer Wahrheitserforschung gestellt, die zum ewigen Heil geleitet (Komm. zu ‘Peri hermeneias’, Bl. a ijr u. ö.). I I. We rk . D.s wissenschaftliches Werk umfaßt ausschließlich Schriften zum Artesstudium, zur Logik und zur Grammatik. Während er in den Lehrschriften zur Grammatik als ihr Autor genannt ist, fehlt in den Schriften zur Logik die namentliche Zuweisung. Im Titel der ‘Summulae logicales’ (s. u.) ist mitgeteilt, daß diese eine Arbeit der Mainzer Vertreter der Via moderna seien, doch nach seinen Äußerungen im Donat-Kommentar (s. u. II.B.1.) war D. zumindest der federführende Magister (Bl. [2]r: [...] vt clarius quam in summularum prefatione notifecimus; Bl. [b4]r: [...] ut esse de logica dicimus circa initium summularum nostrarum logicalium, u. a.). Auch der Kommentar zu Aristoteles’ ‘Peri hermeneias’, im Explicit bezeichnet als questiones et materia modernorum libri perihermenias [...] collectionis in collegio moguntino facte, könnte ein Gemeinschaftswerk unter Führung D.s sein, ist aber später als der Donatkommentar entstanden und daher dort nicht erwähnt. A . L og ik . 1. ‘Summulae logicales’. Das Hauptwerk der Mainzer Moderni fußt wie alle Handbücher der spätscholastischen Logik auf den sieben Traktaten der ‘Summulae logicales’ des Petrus Hispanus, ist aber nicht deren Kommentar und entspricht ihnen auch nicht in der Ordnung und Gewichtung der einzelnen Traktate. Der terministische, bei Hispanus letzte Teil, für die Moderni aber das Hauptstück, ist an die zweite Stelle ge-
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rückt und umfaßt nun drei Traktate. Die ersten sieben Traktate der Mainzer ‘Summulae’ bestehen jeweils aus einem knappen eigenen Textus und einem weit ausgreifenden Kommentar; der achte und letzte Traktat ist ein Kommentar zu Aristoteles’ ‘Topik’ und zu den ‘Sophistici elenchi’ ohne Textus. Der im Druck gebotene Werktitel bekundet eine von den Mainzer Moderni ungeachtet fester nominalistischer Grundposition beanspruchte Offenheit gegenüber der Tradition, die sich auch in den Traktaten selbst niederschlägt. Beachtung verdient, daß sie in der Universalienfrage einen vermittelnden Standpunkt einnehmen, der wenigstens hier eine Annäherung an die Via antiqua zuläßt (vgl. Steiner, S. 83 f.). Druck. Modernorum summule˛ logicales cum | notabilibus topicorum ac dispu⫽|tatis elenchorum librorum ex aristote|le boetio/ beato augustino/ mar⫽|silio/ et ab alijs | subtilioribus | sententijs/ viris doctissi⫽|mis fideliter enucleate˛/ ac a magistris collegii mo|guntini regentibus | de modernorum | doctrina sunt | studiosissi⫽|me inno⫽|uate˛. Speyer: Peter Drach, [nicht vor 1489]. GW 8337.
2. Kommentar zu Aristoteles’ ‘Peri hermeneias’. Der Quästionenkommentar zu Aristoteles’ Theorie des Aussagesatzes (enunciatio) ist in zwei Bücher, eines mit 16 (zu Kap. 1⫺9 von ‘Peri hermeneias’) und eines mit 7 Quaestiones (zu Kap. 10⫺14) geteilt (enthält aber nicht, wie Diel, S. 363 u. 370 f., angibt, eine Ausgabe des Aristoteles-Textes selbst). Er war laut Kolophon 1490 abgeschlossen und gehörte wie die ‘Summulae logicales’ zu den offiziellen Lehrbüchern der Mainzer Modernen. Druck. Modernorum de collegio Ma|guntino exercitata librorum | Perihermenias clarissima. [Speyer: Peter Drach, nicht vor 1490]. GW 8336.
B . G ra mm at ik . 1. ‘Etymologia Donati’. Das Buch enthält unter gemeinsamer Vorrede zwei selbständige Lehrgänge über die etymologia (d. h. über die lat. Wortarten und ihre Formenbildung), beide auf der Grundlage von Donats ‘Ars minor’, zunächst ein äußerst knapp gehaltenes, nur
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Diel, Florentius
6 Bll. umfassendes compendiolum für den Unterricht der Anfänger, sodann einen breiten, nach scholastischer Methode verfahrenden Donat-Kommentar für den Unterricht der Fortgeschrittenen (221 Bll.). Beide Unterrichtswerke sind für die Hand des Lehrers gedacht. Offensichtlich setzen sie beim Schüler die Kenntnis der ‘Ars minor’ voraus und verstehen sich als Wege zu ihrer Vertiefung, dienen dabei aber nicht fortschreitender Entwicklung der Sprachfertigkeit, sondern dem höheren Verständnis der etymologia als System und dessen theoretischer Durchdringung. Schon das compendiolum ist ein begrifflich orientierter Durchgang durch die ‘Ars minor’, deren Text sie so gut wie nicht zitiert; es behandelt die acht partes orationis und ihre Akzidentien (Genus, Numerus, Casus, Modus, Tempus usf.) definierend und differenzierend (mitunter mit sprachlogischen Anleihen), bestimmt sie ohne significationes, beschränkt den Grammatikentwurf insgesamt auf einen Abriß des kategorialen Gerüsts. Mit der Vorführung der Deklinationen und Konjugationen, auch nur mit einem einzigen Paradigma, hält es sich nicht auf. Zur Unterstützung des begrifflichen Verständnisses hat D. vor allem die Terminologie öfter verdeutscht (Indikativ: der zeiger, Imperativ: der gebieter, usf.). Eine “Minimalgrammatik” (Puff, S. 179) bietet allenfalls Donat, das compendiolum jedoch nicht. Der große Kommentar vereinigt zwei Kommentartypen. Zum einen traktiert er abschnittsweise den Donat-Text, den er jeweils am Kopf der Abschnitte im Wortlaut zitiert (Glossenkommentar), zum andern unterzieht er durchgehend System und Aufbau der ‘Ars minor’ ausgebauten Quaestiones (Utrum partium orationis ordo a magistro Donato sit bene assignata, Utrum accidentia grammaticalia sint specifice distincta, Utrum tantum due sint nominum figure usf.), die ausdrücklich auch Beispiele für das Disputationstraining der Schüler sein sollen. Der Kommentierung des Donat gehen als Einleitung fünf wissenschaftstheoretische Quaestiones voran. Das dominierende methodische Paradigma des gesamten Kommentars ist, wie vom
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Verfechter der Via moderna nicht anders zu erwarten, die Logik, aber auch inhaltlich ist er stark sprachlogisch bestimmt. So kann D. in der Praefatio die grammatikalischen Quaestiones als eine Art praktischer Logik (tanquam logicam vsualem) charakterisieren, die er an die ‘Summulae logicales’ angepaßt habe. Druck. Titel und Kolophon liegen in zwei verschiedenen Fassungen vor: a) Modernorum de collegio | maiori moguntino etymo⫽|logia preclara donati noui⫽|ter exarata: et in duas pri|mo minorem et secundo ma⫽|iorem editiones partita: ad di⫽|scipulorum diuersorum capaci|tatem successiuam. b) Etymologia preclara do⫽|nati nouiter exarata [...]. Speyer: Peter Drach, 21. Aug. 1490. GW 8985. Von einer vermutlichen 2. Aufl. [Mainz: Peter v. Friedberg, um 1494/98], GW 8986, sind nur drei Doppelbll. erhalten. Im Kolophon der ‘Grammatica initialis’ gibt D. als Druckdatum des ‘Compendiolum’ 1489 statt 1490 an; ein (womöglich separater) Druck des ‘Compendiolum’ von 1489 konnte jedoch bisher nicht nachgewiesen werden.
2. ‘Grammatica initialis’. Die für das Paedagogium (Vorschule) an der Burse der Modernen verfaßte Grammatik ist eine stark erweiterte Neubearbeitung (36 Bll.) des 1490 gedruckten ‘Compendiolum’. Als Gegenstand der Grammatik ist, sehr beschränkt, nun auch an die Syntax gedacht. Die Verdeutschung der grammatikalischen Terminologie ist beträchtlich ausgebaut. Druck. Grammatica initialis valde re⫽|soluta. etymologie et syntaxis | octo partium orationis. compendiosa adeo: vt dica|tur compendiolum. Nouiter redacta in lucem. | Anno. 1509. honestate plena. Ini⫽|tialibus doctrinis quam vberri⫽|mis bene ordinata. Mainz: Friedr. Heumann, 17. Juli 1509. VD 16, D 1425.
3. D.s Theorie und Praxis der Grammatik sind gänzlich vorhumanistisch. Die Kategorien klassische Imitatio, Latinitas, Elegantia liegen außerhalb seines Interesses. Allerdings hat er von Lorenzo Vallas ‘Elegantiae’ Kenntnis genommen und zitiert einmal aus ihnen, auch die Grammatik des Johannes Sulpitius nennt er, und in der ‘Grammatica initialis’ werden neben den antiken Grammatikern Donat, Servius, Diomedes mehrfach auch Aldus Manutius,
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Dottanius, Georg
Calepinus und Tortellius angeführt. Irgendeinen verändernden Einfluß auf D.s Behandlung der Grammatik der Moderni haben die Genannten nicht ausgeübt. Zu beachten ist immerhin, daß er, wie der Kolophon der ‘Summulae logicales’ ausweist, auf einen Druck in kritisch überprüfter Orthographie (... cum vera orthographia ac diphthongandi) Wert legte (s. auch C.1.), und dies spricht für eine begrenzte Aufnahme praktischer humanistischer Arbeit an der Revision des Lateins. C. Herausgeber. 1. Passionis dominice sermo hi⫽|storialis notabilis atque precla|rus. Venerabilis domini Gabrielis biel [...]. Mainz: Friedr. Heumann, 29. Aug. 1509. VD 16, B 5375. Dem Traktat seines von ihm hochverehrten Landsmannes Gabriel D Biel schickte D. eine Exhortatio preuia voraus. Lt. Kolophon (Bl. r iiijr) legte D. den Reutlinger Druck von 1489 (HC 8515) zugrunde, untergliederte den Text aber neu, revidierte seinen Wortlaut und korrigierte vor allem seine Orthographie. Neben den Nachdrucken Passionis dominice Ser|mo historialis notabilis, [Hagenau]: Heinr. Gran, 1515 (München, Bayer. SB, 4° P.lat. 191) und Sermo seu potius Tra⫽|ctatus notabilis atque preclarus dominice passionis [...], Hagenau: Heinr. Gran, 28. April 1520 (München, SB, 4° P.lat. 184), erschien der von D. besorgte Text auch in Sammeldrucken von Biels ‘Sermones dominicales’, Hagenau 1510, 1515, 1519 (VD 16, B 5376, 5377, 5379). 2. D Konrad von Zabern, Ars bene cantandi chora-|lem cantum in multitudine personarum, laudem dei resonantium [...]. Mainz: Friedr. Heumann, 3. Nov. 1509. VD 16, C 4916. Eine D.s liturgischen Interessen entsprechende Neuausgabe von Konrads ‘De modo bene cantandi’, [Mainz: Peter Schöffer], 1474. Im Kolophon gibt D. an, er habe den Musikologen Konrad im Heidelberger Artesstudium noch selber gehört.
D . ‘ Li be r c on su et ud in um ’ d er P fa rr ki rc he St . C hr is to ph in Ma in z. Unter dem Titel Praesentatio, proclamatio, juramentum plebis, liber consuetudinum et jurium ecclesiae verfaßte D. eine Instruktion für seine Hilfsgeistlichen, die in ihrem 1. Teil vornehmlich die Aufgaben der Seelsorge, im 2. Teil die liturgischen Ordnungen von St. Christoph behandelt, besonders die Bräuche bei den festlichen Anlässen der Universität und der Fakultäten. D.s Aufzeichnungen sind nur in einer
Abschrift erhalten, die der Pfarrer Joh. Seb. Severus als hsl. Anhang in seine ‘Parochiae Moguntinae’ (Aschaffenburg 1768) für eine geplante Neuauflage aufnahm. Ausgabe von Teil 1: Falk, 1904. Literatur. K. Prantl, Gesch. d. Logik im Abendland, Bd. 4, 1870, S. 192 u. 233 f.; F. W. E. Roth, Beitr. z. Mainzer Schriftstellergesch. d. 15. u. 16. Jh.s, Der Katholik 78 (1898) 238⫺242; F. Falk, Die pfarramtlichen Aufzeichnungen (Liber consuetudinum) d. F. D. zu St. Christoph in Mainz (1491⫺1518) (Erläuterungen u. Ergänzungen z. Janssens Gesch. d. dt. Volkes IV 3), 1904; F. Herrmann, Die Mainzer Bursen ‘Zum Algesheimer’ u. ‘Zum Schenkenberg’ u. ihre Statuten, Arch. f. hess. Gesch. u. Altertumskunde NF 5 (1907) 92⫺124, hier S. 96 f.; P. Kalkoff, Huttens Vagantenzeit, 1925, S. 191 f. u. 203; K. Diel, Florentius Diel u. d. geistigen Strömungen in d. Frühzeit d. Univ., Jb. f. d. Bistum Mainz 4 (1949) 361⫺374; F. Geldner, Das Rechnungsbuch d. Speyrer Druckherrn, Verlegers u. Großbuchhändlers Peter Drach [...], Arch. f. Gesch. d. Buchwesens 5 (1962⫺64) 1⫺ 196, hier Sp. 29, 99 u. 166; G. Pietzsch, Der Musikunterricht an d. Univ. Mainz im ersten Halbjahr ihres Bestehens, in: Tradition u. Gegenwart. Stud. u. Quellen z. Gesch. d. Univ. Mainz, T. 1, 1977, S. 1⫺53, hier S. 14 u. 19 f.; A. Seifert, Logik zwischen Scholastik u. Humanismus, 1978, S. 16, 24, 60, 107, 121, 141, 147; J. Benzing, Verz. d. Professoren d. alten Univ. Mainz, 1986, S. 14; J. Steiner, Die Artistenfakultät d. Univ. Mainz 1477⫺1562, 1989, S. 77⫺86, 303, 307, 330 u. ö. (Reg.); H. Puff, ‘Von dem schlüssel aller Künsten/ nemblich der Grammatica’. Deutsch im lat. Grammatikunterricht 1480⫺1560, 1995, S. 177⫺193.
F. J. Worstbrock
Dietrich von Pleningen J Pleningen, Dietrich von Dobeneck J Cochlaeus, Johannes Dottanius (Doth-, Dotonius, Dotte, Todt; Georgius Meningensis; Sartoris), Georg I . L eb en . D. aus Meiningen (Thür.) immatrikulierte sich im WS 1479 als Georgius Sartoris de Menigenn für das Studium der Artes an der Univ. Leipzig. Mit dem Namen Dottanius (o. ä.) erscheint er zuerst in seiner Seneca-Ausgabe von 1496 (s. u. II.A.4.a), regelmäßig seit 1500 auch in amtlichen
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Dottanius, Georg
Funktionen und in den Urkunden. Im SS 1481 erwarb er das Bakkalaureat, im WS 1487 den Grad des Magisters; die Prüfungsgebühren konnte er damals nicht aufbringen (Matr. Leipzig, Bd. 2, S. 299 f.). D. lehrte in der Leipziger Artistenfakultät, wurde Ende 1497 in deren Rat kooptiert. Zwischen 1499 und 1511 versah er viermal das Amt des Vizekanzlers. Im SS 1500 war er Rektor; die Empfehlungsrede zu seiner Wahl (Text: Philadelphia, UL, Cod. Ms. 842, Bl. 6v⫺7v) hielt Martin J Polich. Im Laufe der 1490er Jahre entschied D. sich für die Laufbahn des Universitätstheologen. 1499 wurde er als Biblicus, 1502 als Sententiarius zugelassen. Im selben Jahre erhielt er die Priesterweihe. 1510 wurde er, präsentiert von Hieronymus Dungersheim, zum Lizentiaten und zum Dr. theol. promoviert. Seit 1514 gehörte er dem Kleinen Fürstenkolleg an, seit 1515 dem Rat der theol. Fakultät. D. war angesehen in seiner Universität, wirkte aber wenig über sie hinaus. Johannes Hornburg führte ihn 1520 als prominentesten Leipziger Theologen an (‘Chonradi Celtis Prothucij Elegiae duae multo festiuissimae’, Leipzig 1520, Bl. Br). D. war befreundet mit Johannes J Cochlaeus. Aus dem Testament seines Kollegen Georg J Breitkopf († 1529) erhielt er ein Vermächtnis. D. ist in den Akten der Universität zuletzt am 9. Mai und 19. Juli 1536 bezeugt. I I. Sc hr if te n. Ein wissenschaftliches Werk hat D. als Lehrer der Artes und als Theologe nicht hinterlassen. Er gehörte zu jenen Leipziger Gelehrten, die, ohne Ordnung und Inhalte des herkömmlichen Studiums anzutasten, für eine neue Einbeziehung der antiken literarischen und wissenschaftlichen Tradition aufgeschlossen waren, sie durch Ausgaben und mit kleinen Schriften und Gedichten unterstützten und so die Leipziger humanistische Reform von 1519 vorbereiteten. Nach Martin Polich (‘Castigationes in alabandicas declarationes S. Pistoris [...]’) war er des Griechischen mächtig. A. Herausgeber. 1. Poetarum famosiorum | Octauy Cleophyli fa⫽|uensis catalogus pluriumque celebratissi⫽|
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morum virorum: in vniuersitate liptzen⫽|si famosa magistri Georgij Meynigen|sis peruigili cura elimatus. [Leipzig: Martin Landsberg, um 1496]. GW 7125. Neudruck: Leipzig: M. Landsberg, 1501. VD 16, C 4123. 2. Mancinelli Veliterni | de componendis versibus opusculum. cum ad|ditionibus Francisci mataratij et Sulptij[!] veru|lani arti carminum necessarijs [...]. [Leipzig: Wolfg. Stöckel], 1496. HC 10614 (⫽ Hain 10615). Bl. [a]v⫺[a5]v D.’ ‘Carmen de poetices et carminis commoditatibus’. 3. Scribendi Orandique Mo|dus per Anthonium Mancinellum. cum proprietatibus vocum. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1496. Hain 10594. Bl. aaa ijr⫺aaa iijr: Widmung an den litterarum humanitatis studiosus Joh. Yßleuber, Leipziger Mag. artium und nun Schreiber des Grafen von Henneberg (Leipzig, 26. Nov. 1496): Im Rahmen der von der artistischen Fakultät 1496 beschlossenen Repetitiones in allen Fächern ist D. die öffentliche Rhetorikvorlesung zugefallen, der er die Einführung Mancinellis zugrundelegt. Nachdruck Leipzig 1500. Hain 10599.
4. Unter den zahlreichen Leipziger Seneca-Ausgaben der Zeit ist D. als Hg. folgender erkennbar. a) Seneca de beata vita. | Georgius Meynigensis (3 Dist.). Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1496. Hain 14609. b) Candidus Senece libellus | de eui humani breuitate. [Leipzig: Wolfg. Stöckel], 1498. Hain 14610. Bl. [AA]v⫺AA ijr: Antikisch formulierte und illustrierte Elegie Georgius dottanius meiningensis ad Scholares de cursu et breuitate temporis (23 Dist.). c) Perspicacis Senece diuinus | liber de tranquillitate animi vel | vite [...] annexis eiusdem philosophi epistolis ad sanctum apostolum | Paulum: et Pauli ad eundem. Leipzig: Jak. Thanner, 1499. Hain 14608. In einer Mitteilung an den Leser (vor dem Druckvermerk) versichert D., daß der SenecaText aus neuen Hss. genommen sei, beklagt aber gleichzeitig die sehr fehlerhafte Überlieferung. Auch den (angeblichen) Briefwechsel Senecas mit Paulus, an dessen Echtheit D. nicht zweifelt, will er emendiert haben. 5. Aristotelis Stagirite et philo|sophi omnium perspicatissimi et ora⫽|toris eloquentissimi tria rhetori|corum volumina [...]. [Leipzig: Jak. Thanner, um 1499]. GW 2479. Die Ausgabe ist unmittelbar verknüpft mit einer Statutenänderung der Univ. Leipzig von 1499, die erstmals ins Prüfungsprogramm der Magister eine Rhetorik ⫺ und nicht nur eine Brieflehre ⫺ stellte. Daß es die aristotelische ist, allerdings noch in der lat. Version Wilhelms von Moerbeke, versteht sich aus der insgesamt noch aristotelischen Formierung des Leipziger Artesstudiums. In der Vorrede (Titelbl.v), die
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Dottanius, Georg
den Rang des Aristoteles und seiner ‘Rhetorik’ herauszustellen versucht, fehlt nicht das (humanistische) Bedauern über die Mängel des Textes, die er im Laufe seiner Überlieferung erlitten habe.
B . ‘ Ca rm en de po et ic es co mm od it at ib us ’. Der Verstraktat (93 Dist.) ist eine flammende Verteidigung der Dichtung gegen ihre Feinde und Verächter. Die Dichtung wird freilich fast ausschließlich mit dem Argument ihres vielfachen Nutzens für Lebensführung, Bildung und Wissen und wegen ihrer wirksamen rhetorischen Qualitäten gewürdigt. Dem Hauptstück über die commoditates poetices geht eine vehemente Attacke gegen jene unheiligen Gemüter voran, welche die sacra monumenta mit ihrem Haß verfolgen. Das Carmen ist insgesamt als rhetorischer Akt entworfen, dessen Aufbau und Mittel Randglossen (narratio, comparatio, apostrophe, exclamatio ad deum, amplificatio usf.) erläutern.
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Drucke. S. o. II.A.2. Selbständig: Carmen Lysitelilogon de poe⫽|tices commoditatibus contra sa⫽|crilogos[!] diuine[!] muneris osores. [Leipzig: Wolfg. Stöckel(?), um 1502]. Hain 6402; VD 16, ZV 23200. Neudruck Leipzig: [Jak. Thanner], 1508; VD 16, S 1818. Literatur. Wolfenbütteler Anonymus, S. 59 f.; F. Zarncke, Acta rectorum universitatis studii Lipsiensis, 1859, S. 31 f., 37, 41 50, 55, 57, 119; B. St¸bel, Ukb. d. Univ. Leipzig von 1409⫺1555 (Cod. dipl. Saxoniae regiae II, 11), 1879, S. 483, 509; Th. Brieger, Die theol. Promotionen auf d. Univ. Leipzig 1428⫺1539, 1890, S. 18 f., 24, 28, 37, 52; J. Foerstemann (Hg.), Ukb. d. Stadt Leipzig, Bd. 3 (Cod. dipl. Saxoniae regiae II, 10), 1894, S. 93 u. 101; Bauch, Leipzig, S. 28, 51⫺54, 96 u.ö.; G. Buchwald (Hg.), Die Matrikel d. Hochstifts Merseburg 1469⫺1558, 1926, S. 66, 68, 69; Th. Freudenberger, Hieronymus Dungersheim v. Ochsenfurt a. M. 1465⫺1540 (Reformationsgesch. Stud. u. Texte 126), 1988, S. 30, 32, 72, 348.
F. J. Worstbrock
‘Dunkelmännerbriefe’ J ‘Epistolae obscurorum virorum’
E Eberbach (Aper-, Aprobacchius), Peter (Petreius) I . L eb en . E. wurde um 1480 als Sohn Georg Eberbachs in Rothenburg o. d. T. geboren. Der Vater († 21. Juni 1508) hatte in Erfurt und Freiburg i. Br. studiert und war am 22. Dez. 1488 in Ferrara zum Dr. med. promoviert worden; seit 1489 lehrte er als Mediziner an der Univ. Erfurt. Zwei Geschwister E.s sind namentlich bekannt: Heinrich, ab 1512 Professor der Medizin in Erfurt († 8. Dez. 1537), und Christine, verheiratet mit Gerlach von der Marthen († 1539). Unter dem Rektorat des Vaters wurde E. zusammen mit seinem Bruder im WS 1497/98 in Erfurt immatrikuliert. Im Frühjahr 1502 erhielt er dort den Grad eines Baccalaureus, 1508 den eines Magister artium. E. gehörte wie sein Bruder zu den Schülern Nikolaus J Marschalks. Dieser dedizierte E. sein ‘Interpretamentum leve in Psellum philosophum […]’ und seine ‘Grammatica exegetica’ und vermittelte ihm auch die Grundzüge des Griechischen. Als Marschalk 1502 an die Univ. Wittenberg zog, fiel Maternus J Pistoris die Führung des um Marschalk entstandenen Kreises junger Humanisten zu. Der Ausbruch der Pest in Erfurt 1505 sprengte diesen jedoch: E. verließ die Stadt und zog mit Herebord von der Marthen nach Straßburg, wo er sich Jakob J Wimpfeling und Thomas J Wolf d. J. anschloß. Zu Wimpfelings ‘Epistola excusatoria ad Suevos’ steuerte er ein Begleitschreiben bei, Wolf war er bei der Niederschrift von dessen Psalmenkommentar behilflich. Im Herbst 1506 kehrte E. nach Erfurt zurück. Innerhalb der sich in der Folge um Konrad J Mutianus sammelnden Gruppe von Hu-
manisten kam E. bald eine führende Rolle zu, da er Mutians besonderes Vertrauen genoß. Literarisch verewigt sind die Mitglieder des Kreises in Eobanus J Hessus’ ‘Bucolicon’. Nach dem Abschluß des artistischen Studiums (1508) scheint E. sich zunächst dem Studium der Medizin zugewandt zu haben (vgl. Mutianus-Br., Nr. 132), bevor er mit dem Rechtsstudium begann. Aufgrund der innerstädtischen Konflikte verließ E. im Frühjahr 1510 Erfurt und immatrikulierte sich zum SS 1510 in Wien. Dort wohnte er zusammen mit Joachim J Vadian und dem Nördlinger Johannes Mair (Marius). Bereits Ende Juli zog E. jedoch nach Olmütz (Vadian-Br., Bd. 1, Nr. 4), wo er Aufnahme bei dem Lateinschulmeister Hieronymus Benedikt fand und in Kontakt zur dortigen humanistischen Sodalität trat. Ende 1510 bzw. Anfang 1511 kehrte er nach Wien zurück, wo die alte Wohngemeinschaft wieder auflebte. Spätestens im Okt. 1511 war E. wieder in Erfurt. Zusammen mit anderen Mitgliedern des Erfurter Humanistenkreises unterstützte er Johannes J Reuchlin in dessen Auseinandersetzung mit der Kölner theol. Fakultät und Johann J Pfefferkorn. In den von Reuchlin veröffentlichten ‘Illustrium virorum epistolae’ erscheint E. in der Liste der Defensores Capnionis; in den J ‘Epistolae obscurorum virorum’ (II 9, II 45 u. II 59) findet er als Erfurter Anhänger Reuchlins Erwähnung. Im Aug. 1513 trat E. eine zweijährige Reise nach Italien an. Versuche, sich an der Kurie in Rom in den Besitz von Pfründen zu bringen, scheiterten ebenso wie die Bemühungen um ein Kanonikat am Marienstift in Gotha (1514), an welchem Mutian bepfründet war. In Rom fand E. Zugang
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Eberbach, Peter
zum Kreis um den deutschen Kurialen Johannes Goritz. Mit Michael J Hummelberg und Kaspar Ursinus Velius schloß er Freundschaft; er traf erneut mit Ulrich von J Hutten zusammen und pflegte Kontakte zu den Reuchlinisten Pietro Galatino und Martin Groning. Über den Stand des Reuchlinprozesses lieferte er Berichte nach Deutschland. Nach dem 25. Aug. 1515 (Brief an Reuchlin) kehrte er von Rom aus nach Erfurt zurück. Dort schloß er sich Eobanus Hessus an, der von Mutian die Führung des Humanistenkreises übernommen hatte. Nach Hessus, dem Reuchlin in einer Anspielung auf seinen Namen (e«ssh¬n ⫺ rex) die Königswürde innerhalb der Gruppe zugesprochen hatte, fiel E. der Rang eines dux zu. E.s Wappen (ein schwarzer, nach rechts springender Eber auf goldenem Grund) fand Aufnahme in die Wappentafel, die J Crotus Rubeanus 1521 zum Abschluß seines Rektorats in die Matrikel der Univ. Erfurt eintragen ließ. Pläne einer Professur für E. an der Univ. Wittenberg (Plinius-Lektur) zerschlugen sich sowohl 1520 als auch 1523. Für die folgenden Jahre schweigen die Quellen. Am 21. Aug. 1529 (nach der Matricula alumnorum iuris am 22. [Aug.]) wurde E. an der Univ. Heidelberg als iuris utriusque baccalaureus immatrikuliert und am 12. Okt. 1529 zum Licenciatus iur. utr. promoviert. Das juristische Baccalaureat hatte E. ⫺ vermutlich 1512 (s. Vadian-Br., Bd. 1, Nr. 16) ⫺ in Erfurt erworben. Von Heidelberg aus kehrte E. nach Erfurt zurück, wo er im Collegium beatae Mariae virginis (dem ‘Juristenkolleg’) eine vom Erfurter Rat vergebene Präbende erhielt. Vermutlich in Erfurt starb E. noch vor dem 29. Sept. 1532 (s. Eobanus Hessus, ‘Epistolae familiares’, Marburg 1543, S. 238, an Martin Hune, 23. Dez. 1532). I I. We rk . E. ist nicht durch größere Werke hervorgetreten. Er übernimmt die Aufgabe des Anregers für andere Autoren oder beteiligt sich mit kleinen Beiträgen (meist Gedichten) an deren Werken. Den an Umfang größten Werkbestandteil bildet der Briefwechsel.
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1. Briefwechsel. Eine Sammlung der Briefe E.s fehlt bislang; sie läßt sich mit Hilfe der Korrespondenzen anderer Humanisten jedoch zumindest ansatzweise rekonstruieren. Am umfangreichsten ist der Briefwechsel mit Mutianus Rufus; er umfaßt insgesamt 17 Briefe, davon 14 Schreiben Mutians (s. MutianusBr., Reg.). Den Anfang macht ein Schreiben Mutians ([kurz vor 14. Juni 1509]), in welchem dieser im Streit zwischen Eobanus Hessus und E. zu vermitteln sucht (Mutianus-Br., Nr. 132). Ein Brief Mutians (ebd., Nr. 181) ist an E. und Herebord von der Marthen gerichtet. Der letzte Brief Mutians datiert vom 13. Juni 1516 (ebd., Nr. 562). Von E. sind dagegen nur drei Briefe an Mutian erhalten, einer vom 28. April 1512 (ebd., Nr. 182) und zwei aus dem Jahr 1516 (ebd., Nr. 554 u. 555). Von Eobanus Hessus ist das Dedikationsschreiben zu seiner Schrift ‘De amantium infoelicitate’ gemeinsam mit E.s Erwiderung überliefert (Eobani Hessi […] de | Amantium infoelicitate Contra Venerem de | Cupidinis impotentia. [...]. Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1508, Bl. A ijr⫺iijr. VD 16, E 1457). Zum Erfurter Humanismus ist auch Johannes Lang, der spätere Reformator der Stadt, zu rechnen, der sich im WS 1500/1 an der Univ. Erfurt immatrikulierte und 1506 in das Erfurter Augustinereremitenkloster eintrat (die Familie Eberbach besaß dort ihr Erbbegräbnis). Die Briefe stammen aus den Jahren 1506 bis 1520 und sind in der Hs. A 399 (Bl. 254r⫺v) der Forschungsbibl. Gotha und in Bd. XVI der Collectio Camerariana (Bl. 57, 60, 61, 61b, 62⫺65) der SB München enthalten. Burgdorf, S. 122⫺125, veröffentlichte aus der insgesamt acht Briefe E.s an Lang umfassenden Sammlung des Camerarius drei Briefe: von [Ende 1506], vom Nov. 1507 und 5. Sept. 1508. Durch den Erfurter Humanismus wurden auch Hermann J Trebelius und Georg J Spalatin geprägt, an die E. am 11. Juli 1512 und im Jahr 1514 Briefe richtete (Trebelius, ‘Nenia […] in obitu pudicissimae feminae Dorotheae de Clunis’. [Frankfurt/O. 1512]. VD 16, T
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Eberbach, Peter
1848; Hamburg, SUB, Sup. epist. 4° 45, Bl. 23). Der früheste von E. überlieferte Brief ist sein Begleitschreiben zu Wimpfelings ‘Epistola excusatoria ad Suevos’ vom Jan. 1506 (Wimpfeling-Br., Nr. 205). E. versucht darin, Wimpfeling über die Anfeindungen hinwegzutrösten, die dieser wegen seiner Schrift ‘De integritate’ v. a. von seiten des Mönchtums zu erleiden hatte, indem er ihn auf das Vorbild bedeutender Männer (u. a. Johann D Rucherat von Wesel und Giovanni Pico della Mirandola) hinweist, die ein ähnliches Schicksal erleiden mußten. Die Korrespondenz mit Vadian, die E. im Mai 1510 begann, scheint einseitig gewesen zu sein, da von den insgesamt zwölf erhaltenen Briefen nur einer aus der Feder Vadians stammt. In seinen Briefen klagt E. denn auch beständig, von Vadian keine Antwort zu erhalten. Vadians Schweigen war schließlich auch der Grund, daß E. die Korrespondenz im Aug. 1514 abbrach (Vadian-Br., Bd. 1, Nr. 2, 4⫺6, 8, 16, 33, 40, Anh. Nr. 2 u. 3 sowie Bd. 3, Nr. 4 u. 5 [an Vadian u. Georg J Tannstetter]). Auf Drängen Mutians bekundete E. Reuchlin seine Unterstützung im Kampf gegen die Kölner Theologen ([Aug. 1513]; Reuchlin-Br., Nr. 222). Außer diesem Schreiben ist noch ein Brief E.s aus Rom vom 25. Aug. 1515 (Illustrium | virorum episto|lae, Hebraicae, Graecae et Latinae ad | Ioannem Reuchlin […] missae. Hagenau 1519, Bl. [y4]v. VD 16, R 1242) und die Antwort Reuchlins vom 18. Okt. d. J. erhalten (Clm 4007, Bl. 80v⫺81r, hg. v. Horawitz, Nr. 12). Im Clm 4007 finden sich auch Briefe von Hummelberg und Ursinus an E. sowie ein Schreiben E.s an Hummelberg (Bl. 71r⫺72r, 78r⫺79r, 79r⫺80v, 85r⫺v u. 90r⫺v), die allesamt aus den Jahren 1515 und 1516 stammen (zwei der Schreiben bei Horawitz, Nr. 14 u. 17). In diesen Schreiben spielt der Fortgang des Prozesses um Reuchlins ‘Augenspiegel’ in Rom eine wichtige Rolle. Von Ulrichs von Hutten Verbindungen zum Erfurter Humanistenkreis zeugt ein Brief an E. und Eobanus Hessus, der von Aug. 1519 stammt (Hutten, Opera, Bd. 1, Nr. 135). Noch später, nämlich aus den Jah-
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ren 1521 und 1522, datieren zwei Briefe E.s an Beatus J Rhenanus (Rhenanus-Br., Nr. 214 u. 216), die letzten brieflichen Zeugnisse E.s. 2. ‘In Eduardum Leeum epigrammata’. Die Schrift ist Ausdruck der Begeisterung, die innerhalb des Erfurter Humanistenkreises für J Erasmus von Rotterdam herrschte. Eigentlicher Anlaß für die Entstehung der ‘Epigrammata’ war die 1519 veröffentlichte Kritik des Engländers Edward Lee (unter Heinrich VIII. Erzbischof von Canterbury) an Erasmus’ Edition des ‘Novum Instrumentum’. Die Initiative für die gemeinsame Aktion der Erfurter Humanisten gegen Lee ging vermutlich von E. aus. Ein Brief E.s an Eobanus Hessus, in welchem er diesen auffordert, alle Kräfte zum Kampf gegen Lee aufzubieten und sich an die Spitze der Truppen zu setzen, leitet die Epigramme ein. Von Hessus stammt der größte Teil der Sammlung. Neben E. und Hessus beteiligten sich noch Euricius J Cordus, Anton Niger und Adam Krafft (Crato) mit Beiträgen. Drucke. In Eduardum | Leeum quorundam e so⫽|dalitate literaria Er⫽|phurdiensi/ Erasmici no|minis studiosorum | Epigrammata […]. Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1520. VD 16, E 79. Ein weiterer Druck: Mainz: [Joh. Schöffer], 1520. VD 16, E 80.
3. Beiträge zu Veröffentlichungen anderer Humanisten. Aus der Zeit in Wien und Olmütz ist eine Reihe von poetischen Beigaben E.s bekannt. Sie beginnt mit einer Zuschrift an den Leser in Vadians Ausgabe einer lat. Übersetzung der ‘Batrachomyomachia’ (Homeri Batrachomyomachia | Ioanne Capnione Phorcensi metaphraste […]. Wien 1510, Bl. [B4]v. VD 16, H 4627). Von E. ging die Anregung zur Veröffentlichung einer Gedenkschrift für den am 15. Aug. 1510 in Wien verstorbenen Arbogast J Strub aus, wie der beigegebene Brief E.s an Vadian und dessen Antwort bezeugen. E. selbst trug ein Carmen in vier Distichen, eines in Hendekasyllaben, eines in Hinkversen, eine Variation über ein Distichon des Cornelius Gallus und ein Distichon über eine Sentenz bei (Briefe und Carmina bei Brandst‰tter/
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Tr¸mpy). Weitere lobende und empfeh-
lende Carmina aus der Wiener Zeit finden sich in J Augustinus Moravus’ ‘Catalogus episcoporum Olomucensium’ (Wien [1511], Bl. [B6]r. VD 16, K 8), in Johannes J Cuspinians Ausgabe der ‘Libri historiarum quatuor’ des Lucius Florus (Wien 1511, Bl. 2v. VD 16, F 1686) und in Vadians 1518 in Wien erschienener Schrift ‘De poetica et carminis ratione’. Neben Christoph von J Suchten, Ulrich von Hutten u. a. beteiligte sich auch E. in Rom am ersten Band der im Kreise des Kurialen Johannes Goritz entstandenen ‘Coryciana’ (hg. v. I. IJsewijn, Rom 1997, S. 185 f.). 1516 steuerte E. zum gemeinsamen Druck von Huttens ‘Epistola Italiae ad Divum Maximilianum’ und Hessus’ ‘Responsio Maximiliani’ (Erfurt: Matthes Maler. VD 16, H 6257) mehrere kurze poetische Fingerübungen bei (Bl. [C5]r⫺v: De Gallo et Leone, Aliud, Aliud ad Gallum, De Cancro a Florentinis picto; hg. in Hutten, Opera, Bd. 3, S. 250 u. 256). 4. Unsicheres. Verschiedentlich wird E. (so von Krause, Bd. 1, S. 215, und H. R. Abe, Beitr. z. Gesch. d. Univ. Erfurt 17 [1973/74] 276) die Schrift ‘De generibus ebriosorum et ebrietate vitanda’ zugewiesen, die 1515 erstmals in Erfurt erschien und bis ins 17. Jh. hinein zahlreiche weitere Auflagen erlebte. Bei dem Werk handelt sich um eine anläßlich des Erfurter Quodlibets 1515 zum Vortrag gebrachte Scherzrede, die in scholastischem Gewand die Folgen der Trunkenheit ausmalt. Die Scherzrede wird Bl. [A]v als Werk der Erfurter Sodalitas bezeichnet und mit Gedichten von Eobanus Hessus u. a. eingeleitet. Der Name E.s aber findet nirgendwo Erwähnung. Gegen seine Verfasserschaft bzw. Beteiligung spricht auch, daß E. erst im Herbst 1515 aus Rom nach Erfurt zurückgekehrt war. Literatur. F. Kampschulte, Die Univ. Erfurt in ihrem Verhälnis z. d. Humanismus u. d. Reformation, Bd. 1, 1858 (ND 1970), Reg.; L. Geiger, in: ADB 1, 1875, S. 504; A. Horawitz, Zur Biographie u. Correspondenz J. Reuchlin’s, in: WSB 85/3, 1877, S. 117⫺190, hier Nr. 12, 14, 17; K. Krause, Helius Eobanus Hessus, Bd. 1, 1879 (ND 1963), Reg.; K. Gillert, Einl. z. MutianusBr., S. XLV⫺XLVII; G. Oergel, Beitr. z. Gesch. d. Erfurter Humanismus, Mitt. d. Ver. f. d. Gesch. u. Altertumskunde v. Erfurt 15 (1892) 1⫺136, hier S. 7⫺12, 17⫺24, 61 f., 90 u. 114⫺117; ders., Das Collegium Beatae Mariae virginis (Juristen-Schule)
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z. Erfurt, ebd. 22 (1901) 53⫺130, hier S. 120; Bauch, Erfurt, S. 77 f., 142⫺144, 191, 199 u. 211; M. Burgdorf, Der Einfluß d. Erfurter Humanisten auf Luthers Entwicklung bis 1510, 1928; W. N‰f, Vadian u. seine Stadt St. Gallen, Bd. 1, 1944, S. 185⫺190; H. Grimm, in: NDB 1, 1953, S. 324; E. Brandst‰tter / H. Tr¸mpy, Arbogast Strub. Biographie u. literarhistorische Würdigung. Gedächtnisbüchlein, hg., übers. u. komm. v. H. T. (Vadian-Stud. 5), 1955, S. 117⫺123, 140⫺143, 148⫺151; H. R. Abe, Die Univ. Erfurt in ihren berühmtesten Persönlichkeiten. 1., Beitr. z. Gesch. d. Univ. Erfurt 4 (1958) 17⫺138, hier S. 32 f.; Bonorand II, S. 221; H. Junghans, Der junge Luther u. die Humanisten, 1984, Reg.; Kleineidam, Erfurt 2 II, Reg.; W. K¸hlmann, in: Killy, Lit.lex. 3, 1989, S. 139 f.; E. Bernstein, Der Erfurter Humanismus am Schnittpunkt v. Humanismus u. Reformation, Pirckheimer-Jb. 12 (1997) 137⫺165; B. Sowinski, in: DDL 3, 2001, S. 300⫺302; D. Stievermann, Zum Sozialprofil d. Erfurter Humanisten, in: G. Huber-Rebenich / W. Ludwig (Hgg.), Humanismus in Erfurt, 2002, S. 33⫺53, bes. S. 34 f., 41 f.; Melanchthon-Br., Bd. 11 (Personen), S. 380 f.
Gerald Dˆrner
Eck (von, Eccius, Eckius, Maier, -or, -yer), Johannes I . L eb en . Geb. am 13. Nov. 1486 in Egg a. d. Günz als Sohn des ottobeurischen Klosteramtmannes Michael Maier zog E. achtjährig in das Haus seines Onkels Martin Maier, Pfarrer in Rottenburg a. N., der ihn auf die Universität vorbereitete und sein Studium finanzierte. Im Alter von 11½ Jahren immatrikulierte er sich 1498 an der Univ. Heidelberg. Elf Monate später wechselte er auf Wunsch des Onkels nach Tübingen, wo er 1499 zum Baccalaureus und 1501 bei Johannes J Nauclerus zum Magister artium promovierte. Er nahm das Studium der Theologie auf und hörte u. a. bei Konrad D Summenhart die Sentenzen nach Johannes Duns Scotus. Die Pest trieb ihn im Oktober nach Köln. Im Juni des folgenden Jahres rief ihn der Onkel zurück nach Freiburg i. Br., wo er bis 1510 die Humaniora lehrte. Unterdessen setzte er sein Theologiestudium fort, vor allem bei Georg Northofer, hörte Jura bei Ulrich J Za-
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sius sowie Geographie, Mathematik und (privatim) Astronomie bei Gregor J Reisch. Seit 1505 las er auch über Theologie. Gleichzeitig wurde er Superintendent und 1506 Rektor der nominalistischen Pfauenburse. Im Okt. 1506 erwarb er den Baccalaureus biblicus, ein Jahr später den Baccalaureus sententiarum. 1508 wurde er in Straßburg zum Priester geweiht. 1510 promovierte er bei Johannes Suter Brisgoicus zum Dr. theol. Nicht eingelöste Versprechen auf eine Theologieprofessur ließen ihn neuerlich an einen Wechsel denken. Ausgestattet mit Empfehlungen Konrad J Peutingers und des Ingolstädter Professors für Kirchenrecht Hieronymus de Croaria bewarb er sich um Georg J Zingels vakante Lektur der Hl. Schrift in Ingolstadt, wo er 1510 an seinem 24. Geburtstag die Berufung zu seiner ersten ordentlichen Professur erhielt. Drei Tage später wurde er zum Prokanzler der Universität bestellt. Aufgrund von Streitigkeiten mit dem Domkapitel wurde er jedoch erst 1511 in das mit seinem Lehrstuhl verbundene Eichstätter Professorenkanonikat eingeführt. Alle Ämter behielt er bis zum Tode. 1519 bis 1540 war er zugleich Pfarrer an der Ingolstädter Liebfrauenkirche, wo er neben der Universitätslehre eine rege Predigttätigkeit entfaltete. Wann und wo E. den seit 1519 gelegentlich nachgewiesenen Dr. decr. erwarb, ist ungewiß. Er selbst verwendete den Titel erst seit 1523. E. starb am 10. Febr. 1543 nach schwerer Krankheit. Sein Epitaph befindet sich in der Liebfrauenkirche zu Ingolstadt. Gemessen an seiner Beziehung zu den Humaniora war E. trotz der in Reden und Gedichten bewiesenen Affinität zum humanistischen Zeitgeist sowie anfänglich zahlreicher privater Briefkontakte mit Vertretern des Humanismus (u. a. Jakob J Wimpfeling, Peutinger, Nikolaus J Ellenbog, Willibald J Pirckheimer, Christoph J Scheurl, Jodocus J Truttfetter, Ulrich Zasius, Leonhard von Eck, Bartholomäus J Arnoldi von Usingen, Joachim J Vadian, Johannes J Cuspinian, J Erasmus) im engeren Sinn kein Humanist. Schon seit früher Jugend war er durch eine eher traditionelle scholastische Bildung geprägt. In
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den Studia humanitatis galt seine eigentliche Leidenschaft der Philosophie, näherhin der Logik, die ganz besonders in der Kritik der Humanisten stand. Seinerseits ließ er wenig Gelegenheiten aus, selbst Häupter des Humanismus wie Laurentius Valla, Erasmus und Zasius oder den Ingolstädter Universitätskollegen Jakob J Locher harsch zu kritisieren. Zwar wandte er sich 1516/17 in seinen bahnbrechenden Aristoteleskommentaren gegen eine allzu sophistische Scholastik, doch war seine Kritik nicht auf die Substanz der rezipierten Lehre gerichtet. Vielmehr vertrat er eine von Auswüchsen purgierte Form der Scholastik, die der Selbsterneuerungsbewegung der ausgehenden Scholastik zuzuordnen ist. Humanistisch war allenfalls seine starke Quellenorientierung, v. a. auf den ‘reinen’ Aristoteles hin. E. galt nicht nur als äußerst streitbarer Schriftgelehrter, sondern auch als einer der schärfsten und passioniertesten Disputanten seiner Zeit, der kaum eine Auseinandersetzung scheute. Im Auftrag Jakob Fuggers des Reichen übernahm der junge Theologe 1514 im Oberdeutschen Zinsstreit die Verteidigung der festverzinslichen Handelsgesellschaftseinlage und wurde Protagonist des neben der Reuchlin-Fehde vielleicht bedeutendsten Gelehrtenstreits im Deutschland der Vorreformation. Im Streit um den Zins insbesondere mit den Humanisten (Pirckheimer, Scheurl, Bernhard J Adelmann, Johannes Oecolampadius, Johannes J Cochlaeus, Zasius u. a.) erwarb er sich das disputatorische und publizistische Rüstzeug für die späteren Auseinandersetzungen mit Martin Luther und den Reformatoren. 1519 war er es, der, obwohl er anfänglich freundschaftliche Beziehungen zu dem späteren Reformator gesucht hatte, Luther auf der Disputation von Leipzig dahin provozieren konnte, auch Entscheidungen von Konzilien in Frage zu stellen und Lehrsätze des Johannes Hus als christlich zu bezeichnen. E. war der erste und blieb bis zu seinem Tode einer der unversöhnlichsten unter den führenden Kontroverstheologen. 1520 erwirkte er die Bannandrohung gegen Luther, später wandte er sich gleicher-
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maßen entschieden gegen die oberdeutschen und schweizerischen Reformatoren, assistierte bei Reichstagen und Religionsgesprächen und beteiligte sich neben seiner Verantwortung für den Entwurf der ‘Confutatio’ des Augsburger Bekenntnisses an zahlreichen Versuchen, die neuen Lehren in Schrift und Wort zu widerlegen. Dabei machten ihn seit seinem Eintreten für den Zins 1514 sein leidenschaftliches Auftreten und seine dogmatisch-polemische Härte immer wieder zur Zielscheibe von Spott und Verleumdung nicht nur seitens seiner humanistischen und reformatorischen Gegner. E. wurde so, beginnend mit Pirckheimers ‘Eccius dedolatus’, zum Gegenstand unzähliger Reformationssatiren. I I. We rk . Der folgende Aufriß des Werks beschränkt sich auf die bis 1517 verfaßten und erschienenen Schriften.
A. Ver fa ss er und He ra us ge be r. 1. ‘Bursa pavonis’. Gleich E.s erstes Werk, das er 1507 in Druck gab und dem Abt von Ottobeuren zueignete, beschäftigte sich mit der Logik. Es enthält seine Vorlesungen, die er bis 1506 an der Freiburger Pfauenburse gehalten hatte. Die Aristoteleskommentare waren für den Hausgebrauch der Studenten bestimmt, wie einem weiteren Dedikationsbrief an einen seiner Studenten zu entnehmen ist. Sie weisen den 21jährigen Magister noch als Ockhamisten aus. Von humanistischem Zeitgeist zeugen die beigefügten Gedichte von Johannes Suter, Johannes Adelphus J Muling, Mattheus Zell, Johannes Pludanus und Dietrich J Ulsenius. E. nahm die Schrift 1516 in überarbeiteter Form in das Werk ‘In summulas Petri Hispani’ auf. Drucke. Bursa pavonis. | Logices exercitamenta | appellata parva logicalia. a Johanne | Eccio in regio Friburgiorum archigym|nasio cantatissimo congesta ac examina|ta. In eo contubernio litterario, quod | Pavonis Bursa nuncupatur [...]. Straßburg: Matth. Hüpfuff, 1507. VD 16, E 281. Metzler, Nr. 1(1). – In summulas Petri Hispani [...] (s. u. 8.), Bl. LXXXIIIr⫺CXIr.
2. ‘Orationes quatuor’. Mit dem Druck der Grabrede auf seinen Lehrer Georg Northofer von 1508, der im
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selben Jahr ebenfalls in Freiburg gehaltenen Rede über die Artes liberales sowie der Reden, die er 1512 als Ingolstädter Prokanzler über die Medizin und die Theologie gehalten hatte, griff E. 1513 nach literarischem Ruhm. Er widmete das Sammelbändchen, das außerdem eine kleine Ansprache an Hieronymus de Croaria und Gedichte seiner Schüler Wolfgang Fabricius Capito und Urbanus Rhegius enthält, Augustin Kölner, der mit ihm im Auftrag des Herzogs die Reform der Univ. Ingolstadt betrieb. Druck. Audi lector | Offendes hic Johannis Eckii | Theologi foelicis studii Auripolitani | Vicecancellarii et Canonici | Eistettensis Oratio|nes quatuor non | indoctas [...]. Augsburg: Joh. Otmar, 24. Dez. 1513. VD 16, E 269, 326, 400 u. 418. Metzler, Nr. 3.
3. ‘Chrysopassus’. Das theologische Erstlings- und Hauptwerk des jungen E. fußt auf Vorlesungen, die er in Anlehnung an Duns Scotus und die ältere Franziskanerschule 1512 bis 1513 über Gnade und Prädestination hielt. Schon seine erste Ingolstädter Vorlesung hatte er über die Heilsaussichten derer gehalten, die ohne Kenntnis der christlichen Lehre dem natürlichen Gesetz folgen. Im ‘Chrysopassus’ versucht er, Mensch und Gott in ihrem Verhältnis und Anteil am Prozeß der Rechtfertigung zu bestimmen. Dabei vertritt er die Auffassung von der Praedestinatio post praevisa merita, wonach Gott die Menschen gemessen an den von ihm vorausgesehenen freien Handlungen zu Heil oder Verdammnis bestimmt. Auch wenn die Freiheit Gottes bei der Prädestination nicht beeinträchtigt werden könne, setzt E. das Verhalten des Menschen doch als Causa sine qua non voraus. Die Werke des Menschen erlangten ihren Heilswert allerdings nur dank der Gnade Gottes, der ihm die Heilsmittel erst an die Hand gibt. Unter Wahrung der Allmacht Gottes mißt E. somit dem freien Willen des Menschen entscheidende Bedeutung bei. E.s Rechtfertigungslehre war prägend für seine späteren Positionen in den Auseinandersetzungen mit den Reformatoren. Der ‘Chrysopassus’ wird von einem Empfehlungsschreiben de Croarias, Wid-
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mungsschreiben an die bayerischen Herzöge, einem Vorwort, einem Schriftstellerverzeichnis und einem Lobgedicht Rhegius’ eingeleitet sowie abgeschlossen durch Schreiben E.s an den Eichstätter Domdekan Erhard Truchseß und seinen Onkel Martin Maier, ein Nachwort Kaspar Schatzgers OFM sowie ein Epigramm seines Tübinger Lehrers in den Humaniora Heinrich J Bebel. De Croaria hatte die Drucklegung angeregt, außerdem zusammen mit Truchseß, Maier und Schatzger das Werk auf E.s Wunsch zuvor begutachtet. Druck. Chrysopassus | a Ioanne Maioris Eckio procancellario | Auripoli et canonico Eisteten. lecta est | subtilis illa praedestinationis materia [...]. Augsburg: Joh. Miller, Nov. 1514. VD 16, E 305. Metzler, Nr. 4.
4. ‘Consilium in casu quinque de centenario’. Die ihm von Fugger vorgelegte Frage nach der Rechtfertigung der festverzinslichen Kapitalaufnahme durch Handelsgesellschaften ging E. in erster Linie als Moraltheologe an. Seine Konstruktion eines kombinierten Vertrages aus Gesellschafts-, Kauf- und Versicherungsvertrag, der, da alle Teilverträge an sich zulässig seien, auch insgesamt zulässig sein müsse, führte Argumente aus den Summen Hostiensis’ und des Angelus de Clavasio, der Vertragslehre Summenharts sowie zuletzt der ‘Consultatio in causa quinque de centum’ des Augsburgers Sebastian Ilsung von 1512/13 (Augsburg, SuStB, 2° Cod. 391) zu einem logischen Ende. Nach dem Verbot einer Disputation durch den Kanzler der Universität Anfang Okt. 1514 versandte E. sein Consilium, das bis dahin nur aus dem systematischen Teil bestand, zur Begutachtung an die römische Kurie sowie zahlreiche Universitäten. Den umfangreichen disputativen Teil vollendete er bis zum 9. März 1515. Obwohl nur handschriftlich verbreitet, hat vor seinem Eintritt in die Causa Lutheri keine seiner Schriften eine vergleichbar heftige Resonanz erfahren. Die Veröffentlichung seiner Thesen im Okt. 1514 stieß auf den massiven Protest vornehmlich der Nürnberger und Eichstätter Humanisten (Adelmann, Pirckheimer).
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Es gelang E. in der Folgezeit nicht, die autoritative Anerkennung seiner Thesen seitens des Papstes oder einer Universität zu erlangen. Allerdings konnte er auch nicht widerlegt werden, vielmehr schlossen sich zahlreiche namhafte Theologen und Juristen seinem Ratschlag an. Der Ausgang des Zinsstreites war für E. zwiespältig. Zwar steigerte er seinen Bekanntheitsgrad außerordentlich, fügte jedoch seinem Ansehen nachhaltigen Schaden zu. Bis zu seinem Ende wurden seine Gegner nicht müde, ihn als habgierigen Fuggerknecht zu verunglimpfen. Nachdrücklich wirkten sich seine Thesen indes auf die Handelspraxis in den oberdeutschen Städten aus, wo die festverzinsliche Kapitalaufnahme bald breite Anwendung fand. Überlieferung. Consilium Ioan. Eckii Theologi in casu quinque de centenario [systematischer Teil], 11. Sept. 1514. Augsburg, SuStB, 2° Cod. 391; Freiburg, UB, Hs. 601, 1r⫺28r; [überarbeitete Fassung], 4. Okt. 1514. Wien, ÖNB, Cod. 12509, 120r⫺153r. – Quod ille contractus quinque de centum sit licitus probatur [...] [positiver disputativer Teil, 1. Fassung], [1514]. München, UB, 2° Cod. ms. 125, 241r⫺265r. – ‘Großer Zinstraktat’ [positiver u. negativer disputativer Teil], 9. März 1515. Ebd., 94r⫺239v. Ausgabe des systematischen Teils: Wurm, 1997, S. 221⫺285.
5. Barbarossa-Vita. E.s einzige genuin historische Schrift, erreicht die nur in einer Reinschrift überlieferte Vita Barbarossas nicht die gewohnte Qualität der E.schen Frühwerke. E., der sonst gerne auf frühere Arbeiten verwies, überging die Vita später stets mit Schweigen. Wahrscheinlich war ihre Entstehung bei aller Verehrung für den Kaiser aus Schwaben und allem aufrichtigen Reichspatriotismus lediglich durch das kurz zuvor erfolgte Verbot seiner Zinsdisputation durch den Eichstätter B. und Kanzler der Universität Gabriel von Eyb veranlaßt. Die bereits überfällige Buchwidmung an den Kanzler sollte im Eilverfahren nachgeholt werden. Zu diesem Zweck wählte E. ein Thema, das sich innerhalb weniger Tage bewältigen ließ. Die Vita schließt sich in Chronologie und Sprache eng an die ‘Gesta Friderici’ D Ottos
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von Freising an, obwohl E. nach eigenem Bekunden nur Exzerpte der Gesta zur Verfügung hatte. E. nimmt Intentionen Ottos auf, wenn er den Staufer als idealen christlichen Herrscher beschreibt. Der Kaiser wird dabei nicht nur an das römische Herrscherideal rückgebunden, sondern durch die Aufnahme des Kreuzes zum Prototyp des christlichen Ritters. E.s lat. Vita diente 1519/20 Adelphus Muling als wichtigste Vorlage für die Abfassung seiner dt. Barbarossa-Vita. Überlieferung. Friderici I. Sueui cognomento Barbarosse Caes. semper Aug. et Imp. gloriosissimi vita a Ioan. Eckio Theologo Sueuo tumultuarie congesta. Widmung vom 10. Okt. 1514. Leipzig, UB, Dep.Ratsbibl.Rep. II, Vol. 73c. Metzler, Nr. 4A.
6. ‘De vera Paschae celebratione’. Die kaiserlich befohlene Erstellung eines Gutachtens zur Kalenderreform für Papst und Lateranense wurde E. von der Universität wegen seiner astronomischen und mathematischen Kenntnisse, vielleicht aber auch, um ihn von weiteren Schritten in der Zinssache abzuhalten, Ende Okt. 1514 übertragen. Bereits am 18. Nov. hatte er mit Hilfe lateinischer und hebräischer Kalender Kaspar Schatzgers eine positive Stellungnahme verfertigt. Die kurze Schrift wurde 1515 von E.s Vetter durch die Hinzufügung der päpstlichen und kaiserlichen Schreiben sowie eines Gedichts E.s an den portugiesischen König zu dessen Sieg über die Mauren angereichert und mit einer Widmung an den Bischof von Augsburg in Druck gegeben. Druck. De vera Paschae celebrati|one Ioannis Eckii Theo|logi [...]. Hg. v. Michael Knab. Augsburg: Joh. Miller, 11. Mai 1515. VD 16, E 437. Metzler, Nr. 5. Ausgabe des Gratulationsgedichts an Kg. Manuel I. von Portugal: Wiedemann, S. 456.
7. ‘Orationes tres’. Mit der Veröffentlichung der drei Reden schloß E., wie es sein nachdrückliches Selbstlob ausweist, an die Intentionen der ‘Orationes quatuor’ an. Der Sammelband und die Lobrede auf die Bildung des brandenburgischen Adels waren den in Ingolstadt studierenden jungen Markgrafen ge-
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widmet. Von frühem Interesse am Missionsgedanken und aktuellem Kenntnisstand bez. der portugiesischen Entdeckungen zeugt die am 18. Dez. 1512 gehaltene Rede de fidei Christianae amplitudine ultra reliquas infidelium sectas. Die Rede contra Grillos vom 8. Okt. 1515 schließt sich dem Germania-Lob Bebels an und ist das eindrücklichste Zeugnis von E.s Affinität zur humanistischen und nationalen Euphorie der Epoche. Den Schluß bilden ein in Briefform gekleideter Bericht sowie Dokumente über die Zinsdisputation von Bologna, die der Widerlegung einer differierenden Darstellung durch Cochlaeus dienen sollten. Auf der Kehrseite des Titelblattes finden sich wiederum Gedichte von Schülern und Kollegen, darunter ein informatives Lobgedicht Balthasar Hubmaiers auf E.s umfassende Bildung. Druck. Audi lector. | Joannis Eckii Theologi In|golstadien. orationes accipe tres non | inelegantes [...]. Augsburg: Joh. Miller, 5. Dez. 1515. VD 16, E 377, 378 u. 387. Metzler, Nr. 6.
8. ‘In summulas Petri Hispani’. Im Zuge der Universitätsreform übertrug die Ingolstädter Artistenfakultät am 11. Nov. 1515 E. die Abfassung eines neuen Kommentars zu den ‘Summulae’ des Petrus Hispanus, den dieser nach kurzer intensiver Arbeit am 19. Febr. 1516 mit der Widmung an Ilsung und Leonhard von Eck abschließen konnte. Sein durch und durch scholastischer Hispanuskommentar setzt sich zwar kritisch mit Fehlern oder dem häufig umständlichen Stil der ‘Summulae’ auseinander, anerkennt aber auch deren Vorzüge für den Logikunterricht. Daß die Wahl der Fakultät überhaupt auf Petrus Hispanus fiel, war Ausfluß der kurzzeitigen Hispanus-Rezeption in der ausgehenden Scholastik. Auf Einfluß und Verbreitung des E.schen Lehrbuchs wirkte sich die Wahl insofern negativ aus, als die Fakultät den bald als dialecticus sordidus verrufenen Logiker Hispanus bereits 1535 wieder aus dem Lehrplan entfernte. ⫺ Im Anhang ließ E. sein Erstlingswerk ‘Bursa pavonis’ wieder abdrucken. Druck. Joan. Eckii Theologi in | summulas Petri Hispani extempo|raria et succincta, sed suc-
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cosa explanatio | pro superioris Germaniae scholasticis. | Cum privilegio. Augsburg: Joh. Miller, Mai 1516. VD 16, E 258. Metzler, Nr. 7.
9. Wiener Disputation. Der Band enthält neben dem B. Gabriel gewidmeten Diarium der Wienreise Dokumente zu den Disputationen von Bologna und Wien, drei sehr rhetorische Reden anläßlich akademischer Feiern mit Widmung an Propst Johann Zinngießer von Polling sowie nicht weniger als zwölf Widmungsund Lobgedichte auf Gabriel von Eyb, Zinngießer und E., darunter solche namhafter Humanisten wie Heinrich Bebel, Johannes J Aventinus, Urbanus Rhegius und Paul Speratus. Wie bereits das Motto des Titelblattes Rumpere liuor edax vermuten läßt, knüpft der Sammelband an die Intention der o. g. ‘Orationes’ an, E.s Ruhm als geübter Redner und scharfsinniger Disputator zu mehren und gegen Anfeindungen der “Neider” in Schutz zu nehmen, was E. freilich zuweilen – etwa in der süffisanten Reaktion des Erasmus – mehr Spott als Anerkennung einbrachte. Hervorhebenswert erscheint allerdings die Rede pro auctorandis in artibus von 1511, in der E. im Bilde einer Traumreise Entartungen des Wissenschaftsbetriebes anprangert. Druck. Disputatio Joan. Ec|kii Theologi Viennae Pannoniae ha|bita [...]. Augsburg: Joh. Miller, 27. Jan. 1517. VD 16, E 314, 397 u. 403. Metzler, Nr. 8. Ausgabe. T. Virnich, J. E., Disputatio Viennae Pannoniae habita (1517) (Corpus Catholicorum 6), 1923.
10. Kommentare zur Dialektik des Aristoteles. Den Auftrag zu den Aristoteleskommentaren, die sein Schaffen bis zum Beginn der Auseinandersetzung mit Luther bestimmen sollten, hatte E. gleichzeitig mit dem zur Abfassung seines Hispanuskommentars (s. o.) erhalten. Am 10. Juni 1516 beendete er die Arbeit an der ‘Vetus ars’. Doch zähe Verhandlungen zwischen Artistenfakultät und Drucker um die Druckkosten verzögerten den Satz des fertigen 1. Teils des Organonkommentars. So schloß E. kaum drei Wochen nach dessen Drucklegung am 7. Nov. 1516 den 2. Teil zu den ‘Analytiken’ und wenig später den 3. und
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letzten Teil mit einem knappen Kommentar zu ‘Topik’ und ‘Elenchi’ ab. Zahlungsversäumnisse der Fakultät verzögerten abermals den Satz. Die als kurze Einführungen angekündigten Lehrbücher hatten sich jedoch unversehens zu einem umfangreichen dreiteiligen Opus ausgewachsen. Um der ursprünglichen Absicht dennoch gerecht zu werden, begann E. noch im Herbst 1516 mit der Arbeit an einer Kurzfassung, für die er am 16. Nov. das herzogliche Privileg erhielt. Dieser ‘Elementarius Dialectice’ lag bereits am 12. Febr. 1517, 2 ½ Monate früher als die letzten Teile des Organonkommentars, gedruckt vor. Er erwies sich, nicht zuletzt auf Kosten des Organonkommentars, als solcher Erfolg, daß er noch im selben Jahr erneut aufgelegt wurde. Am 27. April verließ endlich auch der letzte Teil des Organonkommentars die Druckerpresse. Damit, mit Hispanuskommentar und ‘Elementarius’, lag E.s Logikwerk geschlossen vor. Seit Herbst 1517 widmete sich E. bereits der aristotelischen Physik, die im Juni 1518 im Druck erschien. Die 1. Aufl. des ‘Elementarius Dialectice’ widmete E. den jungen Grafen von Oettingen, die beide in Ingolstadt studierten. Beide Auflagen zierte ein Gedicht von Vitus Werler, letztere eines von Rhegius, während der Kommentar zur Dialektik des Aristoteles Gedichte von Bebel, Aventinus, J Vadian, Ludwig Rest und Augustin Mair aufweist. Den Widmungsbrief an Kardinal Matthäus Lang verwendete E. 1519, wohl weil er den Wert der Logik für die Disputation hervorhebt, erneut für die Ankündigung der Leipziger Disputation. E.s Logiklehrbücher stellen die Werke seiner Vorgänger und Zeitgenossen in der Übergangsepoche der Logik zwischen Scholastik und Humanismus weit in den Schatten (Seifert). Der Paradigmenwechsel der Logikgeschichte besiegelte jedoch bald ihr Schicksal. Obwohl sie den Höhepunkt der spätscholastischen Logiklehre bilden, schritt die Entwicklung der Studien eilig über sie hinweg. Nur ein bis zwei Jahrzehnte sollten sie in Gebrauch bleiben. E. machte in seinen autobiographischen Aufzeichnungen später erstaunlich wenig Auf-
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hebens um das seiner philosophischen Lieblingsdisziplin entsprungene Werk. Ihn beschäftigte inzwischen anderes ⫺ die Auseinandersetzung mit Luther und den Reformatoren. Drucke. Elementarius | Dialectice d. | Joan. Eckii | [...]. Augsburg: Joh. Miller, 12. Febr. 1517. VD 16, E 327. Metzler, Nr. 9(1). – Elementarius | Dialectice d. | Joan. Eckii | [...]. Cum privilegio. | Recognovit et auxit. Augsburg: Joh. Miller, 26. Dez. 1517. VD 16, E 328. Metzler, Nr. 9(2). – Aristotelis Stragyrite Diale|ctica, cum quinque vocibus Porphyrii Phe|nicis, Argyropilo traductore, a Ioanne Eckio | Theologo facili explanatione declarata, adnotatio|nibus compendiariis illustrata, ac scholastico exer|citio explicata [...]. Augsburg: Joh. Miller, 27. April 1517. VD 16, A 3530. Metzler, Nr. 10.
11. ‘Oratio funebris’. E.s am 14. April 1517 auf den Augsburger B. Heinrich von Liechtenau gehaltene Leichenrede wurde ebenfalls von E.s Vetter herausgegeben und mit einer Widmung an Abt Leonhard Widmann von Ottobeuren sowie einmal mehr mit einem Lobgedicht Rhegius’ auf E. versehen. Druck. Oratio funebris habita per Ioann.| Eckium The. Augustae in exequiali pompa Reverendissimi | D. Hinrici Episcopi Augustensis. Hg. v. Michael Knab. Augsburg: Silvan Otmar, 1517. VD 16, E 399. Metzler, Nr. 11.
12. ‘Oratio adversus priscam et ethnicam philosophiam’. E. übersandte am 9. Nov. 1516 Vadian, Viktor Gamp und Georg J Tannstetter als Dank für die ihm bei seinem Wienaufenthalt erwiesene Freundlichkeit seine 1509 in Freiburg gehaltene Rede gegen die heidnische Philosophie, wonach die heidnische Philosophie die Wahrheit zwar gesucht, die christliche Theologie sie aber gefunden habe. Wie einem Brief E.s an Vadian vom 18. März 1517 zu entnehmen, besorgte dieser den Druck der Rede (Vadian-Br., Bd. 1, Nr. 91, S. 182 ff.). Druck. Ioannis Eckii Theologi oratio | aduersus priscam et ethnicam Philoso|phiam Friburgii habita | Anno gratiae | 1509. | Palinodia super eadem recontata | in philosophorum laudem. [Wien: Luk. Alantsee, 1517]. VD 16, E 404. Metzler, Nr. 12.
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B . Ü be rs et ze r. 1. ‘Das Schiff des Heils’. Von E.s hoher Verehrung für Johannes D Geiler von Kaysersberg zeugt seine der Hzg.in Kunigunde von Bayern gewidmete auszugsweise Übersetzung und Auslegung des 1511 erschienenen Predigtwerks ‘Navicula penitentie’. Dabei reichert er Geilers Texte durch eigene Parabeln und Gedanken anderer Autoren an. E.s ‘Schiff’ weist inhaltlich bereits auf sein erstes theologisches Hauptwerk voraus. Wie Querverweise im ‘Chrysopassus’ zeigen, betrachtete E. das Büchlein nicht nur als katechetische, sondern auch als dogmatische Arbeit. Wahrscheinlich erst nachträglich wurde der Druck zur Illustration der Symbolik der Predigten mit einem aufwendigen Holzschnitt sowie einer Ußlegung dieser Figur versehen, welche eigentlich eine kurze Zusammenfassung des gesamten Inhalts und vielleicht sogar eine “earlier, less complete version” sowohl der der Hzg.inwitwe zugeeigneten Hs. (Cgm 46; Metzler, Nr. 2A) als auch des gedruckten Textes darstellt (Arlt, Ausg.). Drucke. Das schiff des Heils | Auff das aller kürtzest hie ußgelegt | Nach der Figur die doctor Johannes von Eck gemacht hat zu Ingolt|stat. bewegt auß den predigen des wirdigen Herren doctor Johannes geil|ler von Keisersperg [...]. Straßburg: Joh. Grüninger, [23. Aug.] 1512. VD 16, G 775. Metzler, Nr. 2. Ausgabe. G. O. Arlt, Das Schiff d. Heils by J. von E. (Indiana Univ. Stud. 19/20), Bloomington/Ind. 1932/33. Literatur (beschränkt auf den jungen E. vor Eintritt in die Causa Lutheri 1518). Th. Wiedemann, Dr. J. E., Professor d. Theologie an d. Univ. Ingolstadt, 1865; J. Greving, J. E. als junger Gelehrter. Eine literar- u. dogmengesch. Unters. über seinen Chrysopassus praedestinationis aus d. J. 1514 (Reformationsgesch. Stud. u. Texte 1), 1906; J. Schlecht, Dr. J. E.s Anfänge, Hist. Jb. 36 (1915) 1⫺36; J. Metzler (Hg.), Tres orationes funebres in exequiis Ioannis E.ii habitae. Accesserunt aliquot epitaphia in E.ii obitum scripta et catalogus lucubrationum eiusdem (1543) (Corpus Catholicorum 16), 1930 (mit unvollständigem Werkverz.); G. v. Pˆlnitz, Die Beziehungen d. J. E. z. Augsburger Kapital, Hist. Jb. 60 (1940) 685⫺706; W. L. Moore, Between Mani and Pelagius. Predestination and Justification in the Early Writings of John E., Cambridge/Mass. 1967; A. Seifert, Logik zwischen Scholastik u. Humanismus. Das
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Eck, Valentin
Kommentarwerk J. E.s, 1978; H. A. Oberman, Werden u. Wertung d. Reformation, 21979; N. Holzberg, Willibald Pirckheimer, 1981 (Reg.); W. L. Moore, Doctor Maximus Lumen Ecclesiae. The View of Augustine in John E.’s Early Writings, Sixteenth Century Journal 12 (1982) 43⫺54; E. Iserloh, J. E. (1486⫺1543). Scholastiker, Humanist, Kontroverstheologe, 21985; H.-J. Gerste (Hg.), Die Briefe d. J. E. (1486⫺1543) bis z. Febr. 1518, Staatsarbeit Münster 1990 (aufwendige, materialreiche Ed.; Ausg. d. ges. Briefwechsels durch d. Corpus Catholicorum in Vorbereitung); Schˆner, Ingolstadt, S. 153 f., 325⫺329 u. ö.; J. P. Wurm, J. E. u. d. obd. Zinsstreit 1515⫺1518 (Reformationsgesch. Stud. u. Texte 137), 1997; H.-J. Gerste / J. P. Wurm, Non me praeterit, candide lector. J. E. u. sein Interesse an d. Historie, Sammelbl. d. Hist. Ver.s Ingolstadt 106 (1997) 145⫺161; dies., Die Barbarossa-Vita d. J. E. u. d. Obd. Zinsstreit, in: E. Widder u. a. (Hg.), Manipulus Florum. Fs. f. P. Johanek z. 60. Geb., 2000, S. 43⫺62.
Johann Peter Wurm
Eck (Eckius, Ecchius; Philyripolitanus), Valentin. I . L eb en . E. wurde um 1494 als Sohn einer Lindauer Bürgerfamilie geboren. Er immatrikulierte sich im WS 1508 in Leipzig. Anschließend reiste er ⫺ ausweislich seiner den Olmützer Humanisten gewidmeten Gedichte ⫺ offenbar durch Mähren nach Polen. Im WS 1511/12 trug er sich in die Matrikel der Univ. Krakau ein und wurde im SS 1513 Baccalaureus artium. Er blieb in Krakau und unterrichtete privatim in der deutschen Burse. Seine Lehrer waren die humanistischen Dichter Paulus Crosnensis und Rudolf J Agricola Iunior; diesem war E. wahrscheinlich von Leipzig nach Krakau gefolgt. Agricola widmete E. brieflich seine Ausgabe der Ps.-KratesBriefe (Krakau, 1512) und schrieb Begleitgedichte für das ‘De arte versificandi opusculum’ (s. II.A.1.) und ‘De antiquissima nominis et familiae Thurzonum origine’ (II.B.5.). 1517 nahm E. die Stelle des Leiters der städtischen Schule in der oberungarischen Freien Stadt Bartfeld (Ba´rtfa, heute Bardejov, Slowakei) an. Dort erlangte er Ämter von zunehmender Bedeutung; u. a. war er
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Stadtschreiber (1522⫺25) und Bürgermeister (1526⫺29, 1538⫺40, 1550⫺51). Er reiste häufig nach Krakau (belegt sind Besuche für 1518, 1520/1, 1531 u. 1537), wo nahezu alle seine Veröffentlichungen erschienen. Sein Gönner in Ungarn war der hochgebildete königliche Sekretär in Buda, Alexius Thurzo´, der 1522 Schatzmeister des ungarischen Königs, 1527 königlicher Oberrichter, schließlich 1532 Vize-Regent wurde. Ihm, dem Schüler des Jacobus Piso und Briefpartner des J Erasmus, sind fast alle Schriften E.s zwischen 1518 und Thurzo´s Todesjahr 1543 gewidmet. Janocki, S. 62⫺64, zufolge reiste E. nach Ungarn, um Thurzo´s Tochter zu unterrichten. Ältere polnische Darstellungen behaupten, daß E. nach Krakau zurückkehrte, um Paulus Crosnensis als Lektor an der Universität nachzufolgen (s. jedoch Bauch, S. 46).
Nach dem Sieg der Türken bei Moha´cs (1526), während des (1538 beendeten) Kampfes um den ungarischen Thron zwischen Johannes Za´polya und Erzhzg. Ferdinand, brachte E.s habsburgische Gesinnung Unruhe in sein Leben. Seine literarische Produktion scheint zwischen 1531 und 1537 zum Erliegen gekommen zu sein; archivalische Quellen bezeugen verschiedene diplomatische Missionen im Auftrag Bartfelds und benachbarter Städte in dieser Zeit. Nach einer Reise nach Krakau i. J. 1537 kehrte E. nach Bartfeld zurück, um erneut Bürgermeister zu werden. Von 1539 bis 1546 war er Lehrer der Söhne des Vizepalatins Ferenc Re´vai, zwischen 1542 und 1547 königlicher Steuerbeamter (tricesimator regius) in Bartfeld. Er nahm an einer Gesandtschaftsreise nach Brünn und Wien (1548/9) teil und diente nach seiner Rückkehr der Stadt ein drittes Mal als Bürgermeister. Das Datum seines Todes ist unsicher; es wird gewöhnlich mit 1556 (vor dem 28. Sept.) angegeben. Der Engländer Leonard Cox erwähnt seine Freundschaft mit E. in seinem Traktat ‘De erudienda iuventute’ (Krakau 1526). Der schlesische Dichter Georg von Logau richtete ein Epigramm an E. und dessen ehemaligen Schüler Georg Werner (‘Hendecasyllabi, elegiae et epigrammata’, Wien, 1529; VD 16, L 2348); Adam Schröter schrieb eine Elegie zum Lobe von E.s Muse (‘Ele-
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giarum liber unus. Item epigrammatum liber unus’. Krakau, [um 1550]). E. pflegte Kontakt mit dem Sekretär des polnischen Königs, Johannes Dantiscus, und genoß die Gunst Matthias Drzewickis (Bischof von Włocławek 1513⫺1531; Erzbischof von Gnesen 1531⫺1535) und des kgl. Ratgebers in Finanz- und Wirtschaftsfragen Justus Ludovicus Decius (Dietz).
I I. We rk . E.s Schriften, sämtlich lat. verfaßt, sind moralistischer, didaktischer, panegyrischer oder religiöser Natur. Sie gingen aus seiner Tätigkeit als Lehrer und seinen lokalen und regionalen politischen Engagements hervor. Die religiösen Gedichte sind häufig Auftragswerke. E.s literarischer Einfluß ist greifbar bei seinen Krakauer Studenten wie Georg Werner und Ludwig Öchslin, die selbst namhafte Humanisten wurden. Seine Dichtung und seine Prosa sind zeittypisch, spiegeln nicht nur die bestehenden politischen und religiösen Wirren der Region, sondern auch die damaligen ästhetischen Normen, unter denen Stellungnahmen zu Ereignissen und Zuständen der Zeit ihren Ausdruck fanden. A . P ro sa . 1. ‘De arte versificandi’. Einflußreiches Lehrbuch der lat. Verskunst in zwei Auflagen, das den Höhepunkt der humanistischen Poetik der Krakauer Lehrtradition bildet. Leitbilder waren die Traktate von Konrad J Celtis, Laurentius J Corvinus und Heinrich J Bebel. Das auf die technische Vermittlung der horazischen Metren konzentrierte Buch baut ferner auf Ulrich von J Hutten (‘Ars versificandi’) und Johannes Despauterius sowie den Italienern Johannes Tortellius, Angelus Politianus, Nicolaus Perottus, Franciscus Niger, Nicolaus Ferretus und Antonius Mancinellus auf. Neben den Klassikern zitiert E. auch neulat. Dichter wie Baptista Mantuanus, Ludovicus Bigus, Faustus Andrelinus und Philippus Beroaldus d. Ä. Das Lehrbuch blieb in den Schulen der Tatraregion bis zur Verdrängung durch die von Melanchthon bzw. den Jesuiten gebotenen Modelle in Gebrauch.
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Drucke. a) Valentini Eckij Philyripolitani de arte versificandi | opusculum [...]. Krakau: Fl. Ungler, 1515. Pol. Typ. III 72. Widmungsbrief an Justus Ludovicus Decius (Krakau, 1515). Am Ende ein Panegyricus E.s an B. Franciscus Chahol von Zagreb und ein kurzes Gedicht an den Krakauer Schüler Sebastian Steinhoffer. ⫺ b) erweiterte u. korrigierte Aufl., Valentini Ecchii Lendani, de ver| sificandi arte opusculum [...]. Krakau: Hier. Vietor, 1521. Estreicher, Bd. 16, S. 12; Bohonos, Nr. 652; Malicki, Nr. 672. Mit dem Widmungsbrief an Decius aus a) und einem weiteren an Alexius Thurzo´ (Krakau, 3. Jan. 1521). Am Ende nun ein Gedicht E.s an Nikolaus Lausmann von Goldberg, Pfarrer in Karpfen (Krupina, heute Slowakei). Ein ND: Krakau: Hier. Vietor, 1539. Estreicher, Bd. 16, S. 12; Bohonos, Nr. 653; Malicki, Nr. 673.
2. ‘De mundi contemptu et virtute amplectenda dialogus’. Der zwischen Cosmophilus und Pantharetus geführte Dialog behandelt mit dem Contemptus mundi ein zunächst mittelalterlich dünkendes Thema: die Verachtung der vergänglichen irdischen Güter, voran des Reichtums, die Verurteilung der Lebensform des Weltgenusses (voluptas). Doch zeigt der weitere Verlauf des Dialogs, daß ihm das Modell der Zwei-WegeLehre (das Exemplum von Hercules am Scheidewege wird zitiert) zugrundeliegt. Der Brandmarkung der ins Verderben leitenden Voluptas folgt eine allegorisch inszenierte Beschreibung des mühsamen, aber mit Glückseligkeit lohnenden steilen Pfades hinauf zur erhabenen Burg der Virtus; er geleitet zu ihr über zehn Raststätten, in deren jeder, angefangen bei der Fortitudo, eine weiterführende Einzeltugend (bisweilen mit Begleiterinnen) siedelt. Die Reden des weisen Pantharetus lassen Cosmophilus rasch die Blindheit seiner bisherigen Weltverhaftung erkennen und gewinnen ihn sicher für die Virtus. In der Widmungsvorrede, einer panegyrischen Persönlichkeitsschilderung seines Gönners Alexius Thurzo´ (5. Febr. 1519), gibt E. sich als eifriger Platoleser zu erkennen. Drucke. […]. De mundi contemptu et virtu-|te amplectenda Dialogus. | Supellectilium Fasciculus carmine elegiaco. […]. Krakau: Hier. Vietor, 1519. Estreicher, Bd. 16, S. 10; Malicki, Nr. 674. Dem Druck des ‘Dialogus’ ist ein Ensemble von Gedich-
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ten angehängt: Bl. d 3r⫺e 2r ‘Supellectilium fasciculus’ (s. II.D.2.), e 2v⫺[e4]r ‘De amicitiae et concordiae utilitate’ (s. II.D.1.), [e4]r⫺[e5]v drei Glückwunschgedichte für Andreas Reuber zu seiner Wahl zum Bürgermeister von Bartfeld (1517⫺ 1519), ein abschließendes Carmen des Libellus an den Leser. Ein ND: Krakau: Matth. Scharffenberg, 1528. Pol. Typ. XII 22.
3. ‘De rei publicae administratione’. Der kleine Dialog zwischen dem lernbegierigen Philomathes und dem in der Staatsführung ergrauten Etnearches handelt über die Grundsätze und Bedingungen guter Herrschaft, soweit sie in den Händen leitender fürstlicher Beamten (reipublicae administratores) liegt. Alles herrschaftliche Handeln muß sich nach der Lehre des Etnearches an den vier Kardinaltugenden ausrichten. Deren für die Staatsführung spezifische Erläuterung mit dem Schwerpunkt auf der iustitia bildet daher das zentrale Anliegen des Dialogs. Als wesentliche soziale, die concordia im Gemeinwesen tragende Tugend nimmt E. die christliche caritas hinzu. In der Figur des Etnearches verkörpert sich die platonische Maxime, daß Staatslenker der Philosoph sein solle. Die Widmungsvorrede (Krakau, 14. Nov. [1520]) an Alexius Thurzo´, nun Geheimsekretär Ludwigs II. von Ungarn, plädiert für eine auf Bildung gegründete Herrschaftspraxis der magistratus. Druck. […]. De reipublicae administratio-|ne, dialogus. | Epistola consolatoria, ad magnificos dominos, | Alexium et Ioannem, Thursones, ob mortem | Reuerendissimi domini Ioannis Thurso-|nis, Episcopi Wratislauiensis. | Epitaphia uaria pro eodem ad eosdem dominos. […]. Krakau: Hier. Vietor, 1520. Estreicher, Bd. 16, S. 9; Bohonos, Nr. 655; Malicki, Nr. 676. Dem Druck sind angehängt E.s Kondolenzbrief (17. Nov. 1520) an Alexius und Johannes Thurzo´ zum Tode ihres Halbbruders, des Breslauer B.s Johannes Thurzo´, samt acht Epitaphien und E.s Gedicht ‘De amicitiae et concordiae utilitate’ (s. u. D.1.).
B . D ic ht un g. 1. ‘Panegyricus in laudem Augustini Moravi’. Großes Lobgedicht auf J Augustinus Moravus, den Propst von Olmütz und Kanonikus in Prag und Breslau, der in Krakau und Padua studiert und in der kgl.
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Kanzlei in Buda Dienste als Sekretär getan hatte; unterstützt von seinem Gönner Stanislaus Thurzo´ (Halbbruder des Alexius), dem Bischof von Olmütz, propagierte er die humanistischen Studien in Mähren. Das Gedicht feiert die Bildung und Gelehrsamkeit des Augustinus und unterstreicht Olmütz’ Bedeutung als geistiges und kulturelles Zentrum. Vermutlich entstand das Gedicht als Ertrag eines Aufenthaltes in Olmütz 1510 oder 1511, bei dem E. Augustinus’ Gastfreundschaft genossen hatte. Druck. […] panegyricus in lau|dem praestantissimi viri doctoris Augu|stini Moraui/ Prepositi Olomuncz|ensis et Brunnensis. […]. Krakau: Fl. Ungler, [nach 8. Aug. 1513]. Pol. Typ. III 40. Mit Widmungsbrief (Krakau, 8. Aug.) an den Olmützer Kanoniker Sigismund Gloczer und zwei kurzen Gedichten an Gloczer und Johannes Tulner (Vikar in Olmütz).
2. ‘Hymnus exhortatorius’. Preis Kg. Sigismunds von Polen zur Feier seines Sieges über die Russen in Orsza (8. Sept. 1514). Zuerst in Krakau zusammen mit dem ‘Carmen extemporarium’ des kgl.-polnischen Sekretärs Johannes Dantiscus gedruckt, ein Jahr später in Rom in einer vom polnischen Primas Jan Łaski (Johannes a Lasco) geförderten Anthologie. Drucke. Ioannis Dantisci Carmen extemporarium de victoria insigni ex | Moschis Illustrissimi principis Sigismundi [...]. Krakau: Fl. Ungler, 1514. Pol. Typ. III 57. Mit einem kurzen Widmungsgedicht E.s an den Leser auf der Titelseite. ⫺ Wieder in: Carmina | De memorabili cede Scismaticorum | Moscouiorum per Serenis. ac Inuictis. | D. Sigismundum Regem Polonie [...]. [Rom 1515?]. Wierzbowski, Nr. 1927; Piekarski, Nr. 183; Solte´ sz, C 270. Widmungsbrief des Eb.s Johannes a Lasco von Gnesen an Kg. Sigismund von Polen (Rom, 25. Jan. 1515). Neben E.s Hymnus Gedichte von Johannes Dantiscus, Christoph von J Suchten, Bernardus Wapowski, Andreas Cricius (Andrzej Krzycki), Jacob Piso und F. Andronicus.
3. ‘An prudenti viro sit ducenda uxor’. Lehrgedicht über die in Italien und Deutschland von Humanisten seit langem traktierte Frage, ob man heiraten soll, verfaßt von E. als didaktischer Text für seine Schüler. Das Gedicht steht in der Nachfolge Poggios, Francesco Barbaros und D
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Albrechts von Eyb, ist aber sehr wahrscheinlich direkt von Heinrich Rybischs ‘Disceptatio an uxor sit ducenda’ angeregt, die dieser in Leipzig im Herbst 1509 während E.s dortiger Studienzeit vortrug; Rybischs ‘Disceptatio’ fußt ihrerseits auf Antonio Urceo Codros ‘An uxor sit ducenda’ (Sermo IV). Drucke. An prudenti viro | sit ducenda uxor. […]. Krakau: Joh. Haller, 1518. Pol. Typ. IV 157. Widmungsbrief an Alexius Thurzo´ (Krakau, 26. Jan. 1518). Mit panegyrischen Gedichten E.s an Justus Lud. Decius, Johannes Dantiscus, Peter Zipser (Pfarrer und Archidiakon von Bartfeld), Andreas Reuber (Bürgermeister ebd.) und Fabian Eysenberger (Notar ebd.). ND: Krakau: Hier. Vietor, 1514 [⫽ 1524]. Estreicher, Bd. 16, S. 11; Bohonos, Nr. 661; Malicki, Nr. 679. Mit dem ‘Supellectilium fasciculus’ (s. u. D.2.). Das Datum des Widmungsbriefs an Thurzo´ vor ‘An prudenti viro […]’ ist gegenüber dem Druck von 1518 um einen Tag geändert. Neu datierter Widmungsbrief E.s an Thurzo´ vor dem ‘Supellectilium fasciculus’. Am Ende jetzt ein Nachwort von Matthias Pyrser (Krakau, 5. April 1524).
4. ‘Threni neglectae religionis’. Politisches Gedicht an Kg. Sigismund über die Bedrohung der Christenheit durch Türken, Tartaren, Walachen und Moskowiter, sämtlich traditionelle Feinde Polens. E. beklagt mit Blick auf die Erfolge der Reformation in Mittel- und Osteuropa, daß die wahre Religion selbst daniederliege. Er preist den König für das entschiedene Eingreifen gegen diese Feinde, bittet ihn, eine führende Rolle im Kampf gegen die Muslime zu übernehmen, und betont die mangelnde Eignung des Papstes, die Völker Europas zum Kampf gegen die Türken zu bewegen. Die Feststellung, Ks. Maximilian sei bereit zur Unterstützung Sigismunds, verrät E.s habsburgfreundliche Gesinnung. Druck. Ad Sigismundum inuictissi-|mum Regem polonie. Russie. | Prussie. etc. Thre|ni neglecte | Religionis [...]. [Krakau: Joh. Haller], 1518. Pol. Typ. IV 158. Titelepigramm von E. Widmungsbriefe (Krakau, 15. Febr. 1518) des Justus Lud. Decius an Matthias Drzewicki (Bischof von Włocławek) und des Decius an E. (Krakau, 15. Febr. 1518). Panegyricus des E. an Drzewicki.
5. ‘De antiquissima nominis et familiae Thurzonum origine’. Typischer humanistischer Panegyricus zu Ehren des Gönners Alexius Thurzo´, in
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dem E. das Haus Thurzo´ mit dem Gott Neptun verbindet und jüngere Mitglieder des Hauses, darunter Alexius’ Brüder, verherrlicht, bevor er Leben und Leistungen des Alexius selbst zusammenfaßt. Das Gedicht, auf das öffentliche Leben des Bischofs zentriert, sollte wahrscheinlich die Stellung des Gepriesenen bei Hofe in Buda unterstützen, und zwar zu einer Zeit, als sein Stern zu steigen begann, und die Position des Autors als eines loyalen und nützlichen Klienten des Alexius festigen. Druck. De antiquissima no|minis et familie Thurzonum ori|gine, et singulari Praestantissimi domini Alexii Thurzo|nis […] Panegyris [...]. Krakau: Hier. Vietor, 1519. Estreicher, Bd. 16, S. 9; Malicki, Nr. 670. Widmungsbrief des Agricola Iunior an Alexius Thurzo´ (Krakau, 6. Okt. 1519).
C. Politische Dichtung nach 1520. Eine Reihe politisch motivierter Gedichte steht in Verbindung mit dem Aufstieg von E.s Gönner Alexius Thurzo´ und mit den Ereignissen bis zur Schlacht von Moha´cs und ihren Folgen. E. fuhr fort, Thurzo´ mit Lobgedichten zu Themen von ungarisch-nationalem Interesse zu überschütten; er drängte Kg. Ludwig Jagiello, die ungarischen Truppen gegen die Türken zu führen; nach dessen Tod unterstützte er den habsburgischen Kandidaten Ferdinand im Kampf um die ungarische Thronfolge. 1. […]. De diuo Alexio,| Patricio Romano Hymnus Saphi-|cus [...]. Krakau: Hier. Vietor, [nach 11. April 1521]. Estreicher, Bd. 16, S. 9; Bohonos, Nr. 659. Widmungsbrief E.s an Alexius Thurzo´ (Buda, 11. Mai 1521). Enthält zusätzlich die Gedichte Ad […] dominum Alexium […] de salutaris eucharistiae sacramenti mysteriis, elegia und Domini Georgii Thursonis Augustae defuncti, epitaphium [...]. 2. Vita divi | Pauli primi eremi-|tae [...]. Krakau: Hier. Vietor, 1522. Bauch, S. 52 (Ex.: Wien, ÖNB, 35.R.147). Widmungsbrief an Alexius Thurzo´ (Bartfeld, 18. Nov. 1522). Mit Gedichten an Johannes Baptista Bonzagnus (Domherr und Vikar in Erlau), Thomas von Lucca (Apotheker ebd.), Lucas Paloczy (Burgvogt von Schloß Makovica b. Bartfeld) und den jungen Adligen Georg Soos (Protege´ des B.s La´szlo´ Szalkay von Erlau). 3. Ad Inuictissimum Ludovicum Hungariae et | Bohemiae etc. regem, pro bello Turcis infe|rendo. Exhortatio. | Item, Alia, ad Proceres Hungariae/ |
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Praeterea, de Illustris atque magnifici domini, Domini | Alexii Thurzonis de Bethlemfalua etc | in Regalium Thauernicorum ma-|gistrum electione. Plau-|sus Heroicus. Krakau: Hier. Vietor, 1524. (Ex.: Warschau, Bibl. Narodowa, Fot. 4° 1480). Widmungsbrief an Alexius Thurzo´ (Bartfeld, 1524). 4. Ad Proceres | Hungariae […] | Exhortatio. [Krakau: Hier. Vietor, 1527]. Solte´ sz, E 64. Widmungsbrief an Alexius Thurzo´ (Bartfeld, o. D.). ⫺ Ein ND: [Krakau: Hier. Vietor], 1528. VD 16, E 445; Solte´ sz, E 65.
5. Ad inclytum Hungariae | et Bohemiae Regem etc. Archiducem Austriae | etc. Dominum Ferdinandum,| Epistola, nomine partium supe-| riorum Hungariae. | […] | Alia eiusdem Epistola, Ad Magnificum D. | Alexium Thurzonem, Regiae | Curiae Iudicem. Wien: Hier. Vietor, 1530. VD 16, E 443-444. Zwei Versepisteln im Namen der oberungarischen Bergstädte an Alexius Thurzo´ (2. Dez. 1528) und an Kg. Ferdinand (13. Nov. 1529) über die Bedrängnis der Städte durch Gegenkönig Johannes Za´polya. Mit E.s kurzen Gedichten De […] domina Magdalena domini Thurzonis coniuge, Ad eundem dominum Thurzonem und Marti militans […]. 6. Pannoniae | luctus | quo principum aliquot, et in-|signium virorum mortes, | aliique funesti casus | deplorantur. [...]. Krakau: Hier. Vietor, 1544. Estreicher, Bd. 16, S. 12; Bohonos, Nr. 1503; Solte´ sz, P 53. Poetische Anthologie auf die Gefallenen der Schlacht von Moha´cs. Darin (Bl. B 1v⫺[C4]v) E.s Gedichte: Nicolao Thurocio aulae regiae magistro; Paulo Bakyth; Eidem [Alexio Tursoni eiusque familiae]. Idem; Francisco Comiti a Frangapanibus Archiepiscopo Colocensi. Eidem; Arci Wissegrad; Eidem [Clarae ab Wylak Francisci Iauriensis Episcopi matri]. Idem. Idem; Barbarae Francisci a Reva Propalatini Regni Hungariae coniugi; Eidem [Valentino Zepsio Praeposito Eursiensi]; Eidem [Iosepho Tectandro Medico]. NDe Wien 1798 (Budapest, Sze´che´nyi Könyvta´r, 79.222; 81.973) u. Bratislava 1799 (Wien, ÖNB, 21.CC. 481). D. Kleinere Carmina zu moralistischen und religiösen Themen. 1. Heroicum Carmen de amicitiae et concordiae utilitate (83 Hex.). Krakau: Joh. Haller, 1518. Beklagt die unablässigen Feindschaften und Kriege in der Geschichte der Menschheit und preist die Segnungen von Frieden und Eintracht. Die Editio princeps (Pol. Typ. IV 171) des Gedichts ist verloren. Erhalten ist es nur in Drucken mit ‘De mundi contemptu’ von 1519 (s. II.A.2.) und ‘De reipublicae administratione’ von 1520 (s. II.A.3.). 2. ‘Supellectilium fasciculus’. Gedruckt zusammen mit ‘De mundi contemptu et virtute amplec-
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tenda dialogus’ (s. II.A.2.), 1519 u. 1528, sowie ‘An prudenti viro sit ducenda uxor’ (s. II.B.3.), 1524. Gedicht (94 Dist.) an Alexius Thurzo´ über das Verhältnis von Dichter und Mäzen, das aus Ratschlägen zur Ausstattung einer Residenz Thurzo´s besteht, gleichzeitig die bescheidenen eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse anläßlich einer Patenschaft thematisiert. Widmungsbrief an Alexius Thurzo´ (20. Juni 1518), im Druck von 1524 mit neuem Datum (20. Juni 1524). 3. […]. Apophoreticum carmen de Christi natiuitate [100 Dist.]. | Iubilus Heroicus Cassouiae habitus ob aduentum | Reuerendissimi Antistitis domini Georgii Quinque-|ecclesiensis episcopi [72 Hex.]. | Epithalamium pro nuptiis domini Ioannis | Sayslich [56 Dist.]. […] Krakau: Hier. Vietor, 1520. Wierzbowski, Nr. 968. Widmungsbrief an Alexius Thurzo´ (Bartfeld, o. D.) vor den ersten beiden Carmina. Mit Hexastichon ad eundem Dominum Alexium etc. Widmungsbrief an Sayslich (Bartfeld, 25. Mai 1520) zum Epithalamium. 4. De Resurrectione | Dominica Carmen […]. Krakau: Hier. Vietor, 1525. Estreicher, Bd. 16, S. 10; Bohonos, Nr. 654; Malicki, Nr. 677. 132 Hex. Widmungsbrief an Alexius Thurzo´ (Bartfeld, 1. Jan. 1525). ND Krakau: Hier. Vietor 1534. Estreicher, Bd. 16, S. 10; Wierzbowski, Nr. 1113. 5. Ad [...] | [...] eximi-|um uirum, Sacrae Regiae Maiestatis Doctorem, do-|minum Ioannem Benedictum. [...] | Epistola […]. [Krakau, um 1550]. Estreicher, Bd. 16, S. 8; Bohonos, Nr. 656. 29 Hex. Mit Versen von Johannes Dantiscus und Johannes Mylius. NDe [Krakau, um 1550]. Estreicher, Bd. 16, S. 8; Bohonos, Nr. 657, u. Krakau: Łazarz Andrysowic, 1561. Estreicher, Bd. 16, S. 8; Bohonos, Nr. 658. 6. Gratae Posteritati Si|gismundus Liber Baro | in Herberstein, Neiperg et | Guetenhag [...] donatus actiones suas a pu|ero ad annum vsque aetatis suae | septuagesimum tertium | breui commentario-|lo notatas reli-|quit. Wien: Raph. Hofhalter, 1558. VD 16, ZV 7721; Solte´ sz, H 229. Bl. [I4]r⫺ Kv: E.s Gedichte Amplimissimi Viri Domini Sigismundi ab Herberstain [...] Epitaphium carmine iambico; Clarissimi Equitis [...] Domini Sigismundi [...] ab Herberstain [...] Epitaphium; Aliud; Aliud. ⫺ 2. Aufl. ebd. 1560 (VD 16, H 2201) mit E. s Gedichten (H 3r⫺H 4r). Ein Fragment einer früheren Ausgabe ([1556?]), in der Sze´che´nyi-Nationalbibl. Budapest (Solte´ sz, H 228), die möglicherweise E.s Gedichte enthielt. 7. Poetische Beigaben zu Krakauer Drucken. a) Octavius Cleophilus Phanensis, [...] de poetarum cetu libellus. Hg. v. Rud. Agricola Iunior. [Krakau: Florian Ungler], 1511. Pol. Typ. III 4. Titelepigramm E.s (4 Dist.).
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b) Modus Epistolandi | Philippi Beroaldi Bononiensis | [...] | Addita sunt quedam ex elegantijs Jacobi | Vimphelingij Epistole necessaria […]. Hg. v. Agricola. [Krakau: Fl. Ungler, 1512]. Pol. Typ. III 21. Am Ende eine Elegie E.s in laudem Philippi Beroaldi. c) Heinrich Schreiber, Algorithmus proportion-|um vna cum monochordi | generis dyatonici | compositione. Krakau: Fl. Ungler, 1514. Pol. Typ. III 55. Titelepigramm E.s (3 Dist.). d) Johannes Visliciensis (Jan z Wis´licy), Bellum Prutenum [...]. Krakau: Joh. Haller, 1516. Pol. Typ. IV 134. Empfehlende Elegie an Kg. Sigismund I. von Polen. Abdruck bei B. Kruczkiewicz (Hg.), Pauli Crosnensis Rutheni atque Johannis Visliciensis carmina, Krakau 1887, S. 169. E. Herausgeber. 1. Lucii. Flori bellorum Romano|rum libri quattuor ex ve|tustissimo exemplari | nouissime: ac di-|ligenter re-|cogniti. Krakau: Joh. Haller, 1515. Pol. Typ. IV 119. Titelepigramm E.s. 2. Q. Horatius Flaccus, ‘De arte poetica ad Pisones’. Krakau: Joh. Haller, 1521. Nach Pol. Typ. IV 198 (kein erhaltenes Ex. bekannt). 3. Q. Horatius Flaccus, ‘Epistolarum libri II’. Krakau: Joh. Haller, 1522. Das einzige bekannte Ex. in der ehemaligen Bibliothek der Familie Krasin´ski ist zerstört (Pol. Typ. IV 204). Nicht nachweisbar sind zwei weitere Ausgaben: 4. Aurelius Prudentius Clemens, ‘Liber peristephanon’. Krakau: Matth. Scharffenberg, 1526. Estreicher, Bd. 16, S. 12 u. Bd. 25, S. 322 (jedoch kein Druck Scharffenbergs vor 1527 bekannt, s. Pol. Typ. XII, S. 3). 5. Augustinus, ‘De vita christiana’. Krakau: Hier. Vietor, 1529. Estreicher, Bd. 12, S. 298 u. Bd. 16, S. 8 (kein Ex. bekannt). F. Unsicheres. 1. De ratione legendi autores libellus. [...] Epistola [...] Emmanueli Reubero. Krakau: Matth. Scharffenberg, 1523. Estreicher, Bd. 16, S. 10 (jedoch kein Druck Scharffenbergs vor 1527 bekannt, s. Pol. Typ. XII, S. 3). 2. Epigrammatum sacrorum liber. Krakau: Hier. Vietor, 1537. Estreicher, Bd. 16, S. 8 (kein Ex. bekannt). 3. Ad […] Joannem Benedictum […] Regis Poloniae Medicum […] elegiacon. Krakau: Hier. Vietor, 1545. Estreicher, Bd. 16, S. 8 (kein Ex. bekannt). Literatur. J. D. Janocki, Ianociana sive clarorum atque illustrium Poloniae auctorum maecenatumque memoriae miscellae, Bd. 1, Warschau/ Leipzig 1776, S. 62⫺71; K. Estreicher, Bibliografia polska, 34 Bde., Krakau 1870⫺1951; G. Bauch,
V. E. u. Georg Werner, Ungarische Revue 14 (1894) 40⫺57; T. Wierzbowski, Bibliographia Polonica XV ac XVI ss., 3 Bde., Warschau 1889⫺94; K. Piekarski, Katalog Biblioteki Ko´rnickiej, Bd. 1, Ko´rnik [Krakau] 1923; A. Klenner, E. Ba´lint Thurzo´ Elek humanista Pa´rtfogoltja, Pestszenterzse´bet [1939]; M. Bohonos, Katalog starych druko´w Biblioteki Zakładu Narodowego im. Ossolin´skich. Polonica wieku XVI, Breslau 1965; M. Malicki u. a., Catalogus Librorum Polonicorum saeculi XVI qui in Bibliotheca Iagiellonica asservantur, Krakau 1992⫺95; E. Solte´ sz u. a., Catalogus librorum sedecimo saeculo impressorum, qui in Bibliotheca Nationali Sze´che´nyiana asservantur, Budapest 1990; J. Glomski, The German Role in the Reception of Italian Neo-Latin Literary Currents at Cracow (1510⫺1525), in: B. Guthm¸ller (Hg.), Dtld. u. Italien in ihren wechselseitigen Beziehungen während d. Renaissance, 2000, S. 31⫺44; D. Sˇkoviera, Bardejovcˇan V. Ecchius a jeho ucˇebnica Ars versificandi, Bratislava 2002; C. Mielczarski, Humanistyczna sztuka wierszowania na Uniwersytecie Krakowskim. Podre˛cznik De arte versificandi Walentego Ecka (Krako´w 1515), Warschau 2004.
Jacqueline Glomski
Eckhart, Jodocus J Textoris, Jodocus Ellenbog (Elbogen, Ellen-; Cubitus, -tensis), Nikolaus I . L eb en . E. wurde geboren am 18. März 1481 in der Reichsstadt Biberach als jüngster Sohn des Mediziners und Humanisten Ulrich D Ellenbog und seiner Frau Margaretha Weber. Er besuchte die Lateinschule in Memmingen, wo Andreas Hummel sein Lehrer war. Am 12. Juli 1497 immatrikulierte er sich an der Univ. Heidelberg. Er fand zunächst Aufnahme bei dem Theologen Daniel Zanckenried; später wohnte er in der Burse Wenck (zu seinen Kommilitonen zählte Georg J Simler). Nach der Promotion zum Baccalaureus artium am 8. Nov. 1499 scheint E. noch zwei Jahre in Heidelberg geblieben zu sein, ohne daß sich der Erwerb eines weiteren akademischen Grades nachweisen läßt. In der Nachfolge seines kurz zuvor verstorbenen Vaters plante E., das Studium der Medizin zu absolvieren. Möglicherweise hängt mit diesem Plan der Wechsel an die Univ. Krakau (im-
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matr. 15. Nov. 1501) zusammen, die führend war in den für die zeitgenössische Medizin grundlegenden Fächern Astronomie und Astrologie. Im Anschluß an das Studium in Krakau bezog E. 1502 mit der Univ. Montpellier eine Hochburg der medizinischen Studien. Auf einer Reise in die Gascogne traf er während des Aufenthaltes in einem Dominikanerinnenkloster die Entscheidung, der Welt abzusagen und Mönch zu werden. Die Wahl fiel auf das Kloster Ottobeuren. Am 23. Febr. 1504 traf E. dort ein und legte an Himmelfahrt 1504 Profeß ab. Im Sept. 1505 empfing er in St. Stephan in Augsburg die Subdiakonatsweihe, im März 1506 ⫺ wohl ebenfalls in Augsburg ⫺ die Priesterweihe. Nach nur vier Jahren im Kloster wurde E. das Amt des Priors übertragen. 1512 wurde er von diesem Amt entbunden, mußte aber gegen seinen Willen die Aufgaben des Cellerars übernehmen. Nach seiner Entpflichtung 1522 übte E. das Amt des Novizenmeisters aus (bis 1531), und von 1534 bis 1538 versah er nochmals das Priorat. Daneben war E. für die 1509 im Kloster eingerichtete Druckerei zuständig und verwaltete auch die Bibliothek. Auf seine Initiative ging die Anschaffung der Werkausgaben des Ps.-Dionysius Areopagita und der Kirchenväter Johannes Chrysostomus und Ambrosius sowie die von Schriften der Humanisten Lorenzo Valla, Giovanni Pico della Mirandola, Marsilio Ficino, Johannes J Reuchlin und J Erasmus zurück. Nach Hauke (s. u. II.C.), S. 16, ist auch der Zuwachs an Triviumund Quadriviumhss. dort das Werk E.s. Weniger erfolgreich war er beim Erwerb griech. und hebr. Codices für die Bibliothek. Seit 1536 schränkte ihn ein Gichtleiden immer stärker ein. E. starb am 6. Juni 1543 im Kloster Ottobeuren, wo er auch begraben ist. I I. We rk e. Neben Johannes J Trithemius und Veit J Bild zählt E. zu den bedeutendsten Vertretern des Humanismus unter den deutschen Benediktinern. Er pflegte Kontakte zu zahlreichen Humanisten (s. u. II.A.). Gegen Kritiker im eigenen Kloster und im
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Orden verteidigte er die Notwendigkeit wissenschaftlicher Studien. Der Briefwechsel und seine Schriften verraten ein breites Interesse, das von der Theologie über die Philologie und Geschichte bis hin zur Astronomie bzw. Astrologie und Medizin reicht. E.s Schriften haben bisher keine große Beachtung gefunden. Mit wenigen Ausnahmen blieben sie ungedruckt; E. versandte sie zur Lektüre an Verwandte und Freunde, vielfach verbunden mit der Bitte, sie nicht an andere weiterzugeben. Eine Zusammenstellung der Schriften findet sich in der Einleitung zum Ellenbog-Br., S. LXXXIX⫺XCVI. A . B ri ef we ch se l. E.s Briefwechsel zählt zu den am besten erhaltenen Korrespondenzen des deutschen Humanismus. Er beginnt mit dem Eintritt E.s in das Kloster Ottobeuren und endet nur wenige Tage vor seinem Tod. Gesammelt ist er in insgesamt neun von E. selbst angelegten Briefbüchern, die jeweils 100 Schreiben umfassen, mit Ausnahme des letzten Buches, das nur bis zur Nr. 91 reicht. Während E. die eigenen Schreiben wohl vollständig in die Briefbücher übertrug, traf er bei denen seiner Briefpartner eine Auswahl; daher überwiegen die von E. stammenden Schreiben (80 %) deutlich gegenüber denen der Korrespondenten. Die ersten beiden Briefbücher mit der Korrespondenz bis 1516 sind überliefert in Stuttgart, LB, Cod. hist. in qt. 99 (den Abschluß bildet ein Schreiben des Erasmus). Von dem Stuttgarter Codex gibt es eine Abschrift, die der Ottobeurer Konventuale Ignatius Zollicher 1778/79 anfertigte (heute Ottobeuren, Klosterbibl., Ms. O. 83). Die Briefbücher III⫺IX wurden um 1670 neben anderen Hss. E.s (s. u. II.C.) von Etienne Baluze, dem Bibliothekar Colberts, für dessen Sammlung erworben und gelangten von dort in die Kgl. Bibliothek, die heutige BN Paris (lat. 8643, Bd. 1⫺3). Zu den Briefpartnern, mit denen E. über einen längeren Zeitraum korrespondierte, gehören Bernhard J Adelmann von Adelmannsfelden, Johannes J Altenstaig, Konrad J Peutinger, Wolfgang Reichart, Georg Simler und Reuchlin. Letzteren unter-
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stützte er in dessen Auseinandersetzungen mit Johannes J Pfefferkorn und der Kölner theol. Fakultät wegen der jüdischen Bücher. Der briefliche Austauch mit den Benediktinern Veit Bild, Gallus Knöringer (St. Mang), Wolfgang Seidel (Tegernsee) und Nikolaus Entringer (Weingarten) sowie mit dem Augustinereremiten Nikolaus Pruckner (Lauingen) zeigt das Eindringen humanistischer Bestrebungen auch in die Klöster. Darüber hinaus ist E.s Briefwechsel mit Johannes J Eck (mit insgesamt 37 Schreiben der umfangreichste Teil der gesamten Korrespondenz) ein wichtiges Zeugnis der beginnenden Gegenreformation. In der Ausgabe von A. Bigelmair und F. Zoepfl ist nur der kleinere Teil der Briefe mit vollem Text abgedruckt, der größere Teil, v. a. die Korrespondenz mit Verwandten und Mitgliedern des eigenen Ordens, nur in Form von Regesten wiedergegeben. Ausgabe. Ellenbog-Br.
B . G ed ru ck te We rk e. Gedruckt wurden von E. nur die drei Schriften ‘Oratio in laudem septem fratrum filiorum s. Felicitatis’, ‘De palla sive pallio s. Alexandri’ und ‘Oratio in laudem gloriosissimi martyris Theodori’. Sie sind Teil des von E. selbst zusammengestellten Bandes Passio septem fratrum | filiorum sanctae Foelicitatis. | Translatio sancti Alexandri. | Passio Sancti Theodori martyris (dort Bl. bv⫺[b5]r, cv⫺c 3r, [c8]r⫺ [c10]v), der insgesamt 30 Bll. zählt und 1511 in der Ottobeurer Klosterdruckerei erschien (VD 16, E 1015⫺1017). Beschreibung des Drucks in Ellenbog-Br., S. XCV f. C . H an ds ch ri ft li ch üb er li ef er te Wer ke . Überlieferung. Ottobeuren, Klosterbibl., Ms. O. 20, O. 21, O. 80 u. O. 81; Paris, BN, lat. 3202, 3548, 3548A, 3660, Bd. 1 u. 2, 4215, 4842, 7455 u. 8413A; Augsburg, Staatsarchiv, Reichsstift Ottobeuren MüB 6. Vgl. Catalogus codicum mss. Bibliothecae regiae, Bd. 3/3, Paris 1744, S. 386, 432, 444 f. u. 562, Bd. 3/4, 1744, S. 7, 361 u. 531; Bibliothe`que Nationale. Catalogue ge´ne´ral des mss. latins, Bd. 4, Paris 1958, S. 348 f., Bd. 6, 1975,
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S. 44⫺46 u. 471⫺474; H. Hauke, Die mal. Hss. in d. Abtei Ottobeuren. Kurzverzeichnis, 1974, S. 31⫺34 u. 76⫺79.
1. Kollektaneen. Auf die Studienzeit und die ersten Jahre im Kloster geht die Ottobeurer Papierhs. Ms. O. 81 (90 Bll.) zurück. Sie umfaßt mehrere Glossare (lat. bzw. lat.⫺dt.), Sammlungen von Apophthegmata, ein griech. und ein hebr. Alphabet sowie Auszüge aus Filippo Beroaldos d. Ä. ‘Declamationes’, Plinius’ ‘Naturalis historia’ und Eusebius’ ‘Praeparatio evangelica’. Ein am 1. Mai 1511 abgeschlossener zweiter Kollektaneenband, Ms. O. 20 (290 Bll.), enthält zu Beginn eine Sammlung von Sentenzen aus Werken griech. und römischer Autoren; ihr folgen Exzerpte aus Schriften von Joh. Chrysostomus, Cyprian, Ambrosius, Hieronymus und Augustinus, aus Ps.Dionysius Areopagitas ‘De divinis nominibus’ und ‘De mystica theologia’ (in lat. Übers. Marsilio Ficinos) sowie aus Giovanni Picos ‘Heptaplus’ und Reuchlins ‘Sergius’. Der Band schließt mit Carmina des Ps.-Pythagoras und Ps.-Phokylides (jeweils griech.-lat.). In der Hs. Paris, BN, lat. 4842, bilden die Auszüge aus Briefen bzw. Briefsammlungen (Seneca, Libanios, Petrarca, Filelfo, Ficino) einen der Schwerpunkte. Vom starken Interesse am Hohenlied v. a. im Mönchtum zeugen in demselben Codex Exzerpte aus den Predigten D Bernhards von Clairvaux und seines Fortsetzers Gilbert von Hoyland (E. plante selbst einen Kommentar zu diesem biblischen Buch; vgl. Ellenbog-Br., Nr. II 6). Ergänzt werden diese beiden Teile durch Auszüge aus Epiktets ‘Enchiridion’, aus den Werken des Macrobius und des Prudentius und denen Gregors von Nazianz, Hilarius’ von Poitiers und Ambrosius’. Lange unbeachtet blieb die Hs. Paris, BN, lat. 7455 (vgl. jetzt Roth, S. 57 f.); unter allen Kollektaneenbänden nehmen die Werke humanistischer Autoren hier den größten Raum ein. Vertreten sind u. a. Bessarion, Lorenzo Valla, Poliziano, Rinuccini, Paulus J Ritius, J Wimpfeling, Peutinger, Jacques Lefe`vre d’Etaples und Erasmus. E.s besonderes Interesse fanden die Werke Picos (‘De ente et uno’, ‘Disputatio-
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nes adversus astrologiam divinatricem’ und ‘Epistolae’) und Reuchlins (‘De verbo mirifico’, ‘De rudimentis Hebraicis’ und ‘De arte cabalistica’ sowie die Abschrift einer Übersetzung von Ps 110⫺115 aus dem Hebräischen ins Lateinische). Schon früh verloren ging eine während des Noviziats angefertigte Epitome aus den von Ficino übersetzten Werken Platos (v. a. aus dem ‘Kratylos’). E. hatte die Passagen exzerpiert, quae fidei nostrae plus adstipulare videbantur […], quaeque ad bene beateque vivendum conducere quoquo modo videbantur (Ellenbog-Br., Nr. I 73). Die vom Ottobeurer Abt Leonhard Widenmann gewünschte Drucklegung der ‘Epitome’ kam nicht zustande. Am Ende des dritten Briefbuches (Paris, BN, lat. 8643, Bd. 1, 92v⫺99r) findet sich eine Sammlung von Gedichten und Gebeten E.s. Die frühesten entstanden noch während der Heidelberger Studienzeit; Empfänger der Gedichte waren meist Kommilitonen. Aus dieser Phase stammen auch zwei an Maria gerichtete Gebete. Ein weiteres Gebet findet sich auf der Innenseite des hinteren Deckels einer in Heidelberg von E. erworbenen Cicero-Ausgabe. Anderes, wie das Gedicht auf eine Meise, das seinen Schülern gewidmete ‘Carmen dicolon’ oder das Hexastichon gegen die Lutheraner, stammt dagegen erst aus der Zeit im Kloster (der Abschluß des dritten Briefbuches, 1524, bildet dabei den Terminus ante quem). 2. Exegetische Arbeiten, Predigten und Reden. E. hat sich dem Studium der Bibel intensiv gewidmet und sich während der gesamten Zeit im Kloster mit textkritischen und exegetischen Fragen auseinandergesetzt, wovon die Korrespondenz in vielfältiger Weise Zeugnis gibt. Häufig wird er von Briefpartnern um die Erläuterung unklarer Bibelstellen gebeten. In seinen kontroverstheol. Schriften (s. u. 6.) argumentiert E. vorrangig mit der Bibel. Den Bestrebungen des Humanismus entsprechend befürwortete E. die Lektüre der Bibel in den beiden Ursprachen. Große Energie verwandte er auf die Beschaffung einer griech. und einer hebr. Bibel. Er selbst gelangte aber im
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Griechischen kaum über die Anfangsgründe hinaus; die Werke griech. Autoren las er jeweils in lat. Übersetzung. Ein wenig erfolgreicher scheint E. bei der Aneignung des Hebräischen gewesen zu sein, zu dessen Studium ihn das Vorbild des Hieronymus und die Werke Reuchlins angeregt hatten. Auf Bitten des Abtes entsandte Reuchlin zweimal Hebräischlehrer nach Ottobeuren. Außer zu Reuchlin pflegte E. Kontakt zu anderen Hebraisten wie Kaspar Amman, Joh. J Böschenstein und Konrad J Pellikan. Bevorzugt widmete sich E. der Auslegung des Psalters. Im Laufe der Jahre entstanden, beginnend mit der ‘Expositio primi psalmi’ von 1515 und endend im Jahr des Todes mit einer nicht mehr erhaltenen Auslegung von Ps 36 (erwähnt in Ellenbog-Br., Nr. IX 62), mehrere kurze Schriften zu ausgewählten Psalmen. Wo E. in seiner Auslegung hebr. Wörter erläutert, begnügt er sich meist mit dem Hinweis auf Reuchlins ‘De rudimentis Hebraicis’. Die Schriften kennzeichnet insgesamt eher ein erbaulicher denn ein wissenschaftlicher Charakter. Dies gilt auch für andere exegetische Arbeiten wie ‘De Ave et Eva’ (1515), ‘An Adam duas habuerit uxores’ und die Auslegung des Gesangs der drei Männer im Feuerofen aus Dn 3 (1526). Mit 144 Bll. umfangreichstes exegetisches Werk sind die 1535 verfaßten ‘Enarrationes [...] in passionem salvatoris nostri Ihesu Christi’ (Paris, BN, lat. 3548A), eine Zusammenstellung der die Passion betreffenden Evangelienstellen mit ausführlichen Erläuterungen. Ziel der Schrift ist die Erweckung der compassio des Lesers und seine Stärkung zur Abwehr der drei Feinde Welt, Fleisch und Teufel. E.s Interesse an der Bibel dokumentiert auch noch die letzte von ihm erhaltene Schrift (abgeschlossen im Dez. 1540), die ‘Miscellanea omnia secundum librorum et capitulorum bibliae’; bei ihr handelt es sich um eine umfangreiche Sammlung von Stellen aus den Büchern des AT und NT. Von E. ist auch eine größere Zahl von Predigten und Reden in den Hss. Ottobeuren, Ms. O. 80, und Paris, BN, lat. 3548 u. 3660, Bd. 2, überliefert. Es sind Predigten
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bzw. Reden zu den Feiertagen des Kirchenjahres bzw. zu Festen des Klosters Ottobeuren. Mehrfach sind dessen Patrone, Theodor und Alexander, Thema von Predigten bzw. Ansprachen; aber auch andere Heilige, wie die hl. Ursula und die 11 000 Jungfrauen oder die hl. Felicitas, finden Berücksichtigung (s. o. B.). An die eigenen Mitbrüder richtet sich eine längere, ‘Morologia’ betitelte Rede (Ms. O. 80, 4r⫺26r), in der E. am Beispiel eines im Kloster lebenden morio namens Henne I Cor 3,19 auslegt. E. ermahnt darin die Mönche, sich der wahren Weisheit zu verschreiben, auch wenn diese in der Welt als Torheit angesehen werde. 3. Kommentare. Als Mönch verfaßte E. auch mehrere kürzere Abhandlungen zum Leben im Kloster (z. B. ‘De silentio nocturno’ und ‘De benedictione mensae enarratio’). Seine bedeutendste Leistung auf diesem Gebiet bildet jedoch der Kommentar zur Benediktregel (‘Enarrationes in regulam s. patris Benedicti’, Paris, BN, lat. 4215), an dem er mehrere Jahre arbeitete und den er im Aug. 1513 abschloß. Hervorgegangen war er aus den Erklärungen, die E. den Mitbrüdern im Kloster als Prior vorgetragen hatte. E. zitiert jeweils zunächst einen Satz aus der Regel und läßt diesem dann eine ausführliche Erläuterung der darin enthaltenen Begriffe und Gegenstände folgen. Zweimal hat E. Kommentare zu den ‘Fasti’ des Karmeliters Baptista Mantuanus verfaßt. Der erste entstand 1521 (Paris, BN, lat. 3202, 1r⫺163v). Neben der Abschrift der ‘Fasti’ beschränkt er sich auf die Erklärung ungebräuchlicher Worte und die Aufschlüsselung der Zitate und Anspielungen. Umfangreicher ist der 1533 entstandene Kommentar (Paris, BN, lat. 8413A), der neben den Wort- nun auch ausführlichere Sacherläuterungen enthält. Keinen Kommentar im eigentlichen Sinne, sondern den Versuch einer christlichen Deutung stellt ‘Ovidi fabula de Philemone et Baucide moralizata’ (Ottobeuren, Ms. O. 80, 64v⫺72r) dar. E. verfaßte sie während der Zeit des Noviziats. Der in menschlicher Gestalt auf die Erde kom-
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mende Jupiter wird bei E. zu Christus; sein Begleiter, mit dem er Aufnahme bei den Menschen sucht, ist das göttliche Wort. 4. Schriften zur Astronomie bzw. Astrologie und verwandten Gebieten. Seit der Studienzeit in Krakau, wo er Johann von Glogau gehört hatte, brachte E. der Astronomie und Astrologie großes Interesse entgegen. Er hatte die antike astronomische Literatur wie Ptolemaeus’ ‘Almagest’ (in lat. Übers. des Georgius Trapezuntius) und Iulius Firmicus Maternus’ ‘Libri octo matheseos’ gelesen, kannte aber auch entsprechende zeitgenössische Schriften wie etwa die ‘Ephemerides’ des Johannes Schöner. Von E. stammt die Kopie von Arats ‘Phainomena’ im Cod. 17.8 Aug. 4° der HAB Wolfenbüttel, der ein Konvolut astronomischer Traktate enthält. E. unterscheidet zwar zwischen Astronomie und Astrologie und betont mehrfach die Freiheit des menschlichen Willens gegenüber einer Lenkung durch die Sterne, mißt andernorts aber dem Einfluß der Sterne große Bedeutung auf das persönliche Schicksal eines Menschen zu. So stellte er auch für zahlreiche Personen die Nativität und entwarf auf deren Grundlage sogenannte ‘Iudicia genethliaca’. Zwei dieser Iudicia, das für seinen Bruder Johannes von 1505 und das für den Augsburger Dompropst Marquard von Stein aus dem Jahr 1516, sind in Ottobeuren, Ms. O. 80 (26v⫺62r) überliefert. Dieselbe Hs. enthält auch einen Traktat ‘Contra necromanticos’, welcher E.s Bruder Johannes zugeeignet ist, der offenbar bedenkliche Affinitäten zur Nekromantik entwickelt hatte (vgl. Ellenbog-Br., Nr. II 62). 5. Klosterchronik. Um 1540 verfaßte E. eine Chronik seines Heimatklosters. Diese reicht von der Stiftung Ottobeurens (764) bis zur Absetzung des Abtes Wilhelm im Jahr 1469; danach bricht sie unvermittelt ab. E. nahm in die Chronik mehrere Urkunden des Klosters auf. ⫺ Papierhs., seit 1991 im Staatsarchiv Augsburg (zuvor Hauptstaatsarchiv München), Reichsstift Ottobeuren MüB 6 (97 Bll., 91 beschrieben). 6. Kontroverstheologische Schriften. Zu den bedeutenderen Werken E.s zählen seine kontroverstheol. Schriften. Sie
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dienen vorrangig der Rechtfertigung und Verteidigung der von seiten der Reformatoren in Frage gestellten Institutionen und Lehren der alten Kirche wie des Papsttums, der Orden, der Verehrung und Anbetung der Heiligen, des Meßopfers oder des Fegefeuers. Im folgenden können nur die wichtigsten Schriften vorgestellt werden. Zeigte sich E. anfänglich eher indifferent gegenüber der Reformation ⫺ im Briefwechsel gibt es erstmals im Juni 1519 eine Äußerung ⫺, zwangen ihn schon bald die Veränderungen in der nahegelegenen Reichsstadt Memmingen und der Übergang einer Reihe ihm freundschaftlich verbundener Personen zur neuen Lehre (Bernh. Adelmann, Pellikan, zeitweilig auch Bild) zu einer Stellungnahme. Insbesondere die Hinwendung des ehemaligen Heidelberger Studiengenossen Joh. Oekolampad zur neuen Lehre und dessen Austritt aus dem Kloster im Jan. 1522 trafen E. hart. In seiner Schrift ‘De secessu Oecolampadii de monasterio s. Altonis’ (Ottobeuren, Ms. O. 80, 160v⫺168v) warf er diesem vor, die christliche Freiheit zum Ungehorsam gegen die Oberen mißbraucht zu haben. Gerade die Vorbilder im Glauben sollten sich durch besonderen Gehorsam auszeichnen. Als Apostat werde Oekolampad bei niemandem mehr Glauben finden.
V. a. der Bauernkrieg, in dessen Verlauf Ottobeuren geplündert wurde, machte E. zu einem erbitterten Gegner der Reformation, der auch die Anwendung von Gewalt zur Niederwerfung der neuen Bewegung und zur Wiederherstellung der kirchlichen Einheit befürwortete. Eine Ursache für den Erfolg der reformatorischen Bewegung erkannte E. im Zustand der alten Kirche und im Verhalten des Klerus. In seiner 1526 entstandenen ‘Responsio ad nonnullas quaestiones factas de papa’ (Ottobeuren, Ms. O. 80, 150r⫺156r) nimmt er Stellung zu der Anfrage eines Ordensangehörigen, ob der Papst das Haupt der Kirche und das Kardinalskollegium deren Körper sei. E. kritisiert darin scharf die Lebensführung der Päpste und Kardinäle an der Kurie in Rom, verteidigt gleichzeitig aber auch das Papsttum: Die Kirche bedürfe eines Hauptes. Auch habe sich die Monarchie, die schon im Hoheprie-
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stertum des AT verwirklicht sei, als die beste Herrschaftsform erwiesen. Die Würde des Papsttums werde durch das unwürdige Verhalten einzelner Vertreter nicht beeinträchtigt. Wenn der Papst wegen seiner Lebensführung nicht mehr das Haupt der Kirche sein könne, stünde auch die Herrschaft der Kaiser und Könige zur Disposition. Ungehorsam gegenüber der Obrigkeit aber bedeute Rebellion gegen Gott.
Besonders hart trafen E. die Angriffe auf das Mönchtum; entsprechend heftig fallen seine Reaktionen auf diese Angriffe aus. In der Einleitung zu der Schrift ‘Vituli monachilis Lutheri confutatio [...] pro monasticae vitae defensione’ (Paris, BN, lat. 3548, 67r⫺130v, 1532 abgeschlossen) entschuldigt sich E. denn auch ausdrücklich für den von ihm angeschlagenen Ton. Die ‘Confutatio’ bildet eine Stellungnahme zu der 1523 von Melanchthon und Luther veröffentlichten ‘Deuttung der zwo grewlichen Figuren Bapstesels zu Rom und Munchkalbs zu Freyberg in Meyssen funden’ und folgt in ihrer Argumentation weitgehend dem Aufbau dieser Schrift. So nimmt zunächst die Untersuchung, was Monstren seien und ob ihr Auftreten ein Zeichen für die bevorstehende Umwälzung der Welt darstelle, breiten Raum ein. E. kommt dabei zu dem Ergebnis, daß ‘unnatürliche’ Geschöpfe wie das Mönchskalb keinen Einfluß auf das historische Geschehen besäßen. Ereignisse wie der Bauernkrieg hätten meist eine natürliche Ursache ⫺ in diesem Fall die verderblichen Schriften Luthers. E. wehrt sich auch gegen Luthers Vorwurf, daß das Mönchtum eine Mitschuld am gegenwärtigen Zustand der Welt trage. Nicht die wahren Mönche seien für das Übel in der Welt verantwortlich, sondern solche, die das Kloster verlassen hätten und nun zusammen mit anderen (genannt werden Zwingli, Ambrosius Blarer und Osiander) überall den Samen der Zwietracht aussäten. Götzendienst werde nicht von den Mönchen, sondern von den Anhängern des neuen Glaubens getrieben. Der Vorwurf der Uneinigkeit untereinander, den Luther aufgrund der großen Zahl von Orden erhoben hatte, fällt für E. auf die reformatorische Bewegung selbst zurück. Ausführlich verteidigt E. in dieser Schrift ⫺ wie später dann auch in dem Traktat ‘De operibus bonis’ ⫺ die Heilswirksamkeit der guten Werke: Das Heil liege zwar nicht in den Werken selbst, sondern im Leiden Christi, aber die Werke seien Mittel zur Erlangung des Himmelreiches.
Der Rechtfertigung des Mönchtums diente auch die 1538 vollendete ‘Confutatio spurcissimi cuiusdam libelli Martini
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Luter [sic]’ (Paris, BN, lat. 3660, Bd. 1, 1r⫺121r; gemeint ist Luthers ‘Kleine Antwort auf Hertzog Georgen nehestes buch’). E. warf Luther vor, mit seiner Kritik des mönchischen Lebens nur die eigene Flucht aus dem Kloster beschönigen zu wollen. Was Luther für Ruhm halte, bedeute eigentlich Schande; weil er den rechten Weg verlassen habe, schreibe er nurmehr Ketzerisches und setze sich in Widerspruch zu den Lehren der Kirche, den Beschlüssen der Konzilien und nicht zuletzt auch den guten Sitten. Luthers Leben stellt E. das sich durch Heiligkeit auszeichnende Leben der Mönche gegenüber: Der Eintritt ins Kloster bedeute den Eingang in eine neue Form des Daseins. In der sicheren Erwartung auf den ewigen Lohn im Himmel könnten die Mönche auch im Frieden aus der Welt scheiden.
Im Unterschied zu den vorgenannten, gegen Luther gerichteten Schriften zielt E.s Traktat ‘De veritate corporis et sanguinis Christi in eucharistia’ (Paris, BN, lat. 3660, Bd. 1, 122r⫺144r) v. a. auf Zwingli (“ein verheirateter Priester”) und Oekolampad (“ein entlaufener Mönch”), welche die leibliche Gegenwart Christi in Brot und Wein in Frage gestellt und die Einsetzungsworte in tropischer Form gedeutet hatten. Für E. geht damit die Heiligkeit des Mahles verloren: Die Einsetzungsworte Christi seien eindeutig; sie müßten so erklärt werden, wie die Kirche und ihre Lehrer sie bislang ausgelegt hätten. Zur Verteidigung der Lehre vom Fegefeuer verfaßte Ellenbog zwei Schriften, 1529 die ‘Adclamatio [!] animarum in purgatorio adversus negantes purgatorium’ (Paris, BN, lat. 3548, 37v⫺56v) und in der zweiten Hälfte der 1530er Jahre ‘De purgatorio et mortuorum suffragiis’ (Ottobeuren, Ms. O. 21, 125v⫺130r). Zwar finde in der Bibel das Fegefeuer keine namentliche Erwähnung, doch kenne sie einen Ort, an welchem Gute und Schlechte bis zum Anbruch des Jüngsten Gerichtes verweilen müßten. Als Belegstellen führt E. u. a. Gn 15 u. 37, Lam 3, Lc 16 und Mt 25 u. 26 an, kritisiert aber im gleichen Atemzug auch das reformatorische Beharren allein auf der Hl. Schrift: Es sei töricht, Gottes Handeln nur auf die Zeit der Bibel beschränken zu wollen, da Gott auch heute
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noch wirke. Hinweise auf die Existenz des Fegefeuers entdeckt E. schon in Platos ‘Phaidon’ (113d). Von den Kirchenvätern sieht er Joh. Chrysostomos, Tertullian, Augustinus und Gregor d. Gr. als Vertreter der Lehre vom Fegefeuer an, womit für ihn zugleich die Behauptung der Reformatoren vom Fegefeuer als einer ‘papistischen Erfindung’ widerlegt ist. Im Ottobeurer Ms. O. 21 finden sich fünf Abhandlungen, in denen E. seine Positionen gegenüber der Reformation und ihren Lehren entwickelt: ‘Tractatus primus de operibus bonis’ (2r⫺22v), ‘Tractatus secundus de religiosis et pro defensione vitae monasticae’ (23r⫺53v), ‘Tractatus tertius Lutheranorum errores et dolos peculiarius describens’ (54r⫺92r), ‘Tractatus quartus de angelorum et aliorum electorum honore et invocatione. Item de sanctorum reliquiis et imaginibus’ (92v⫺106v) und ‘Tractatus quintus. Etiam non expressa in scriptura observare debemus, contra nostrates haereticos’ (107r⫺117r). Von Interesse sind von diesen Tractatus v. a. der dritte und der fünfte. Eine Art Resümee der Auseinandersetzungen mit den Lehren der Reformation bildet der 1539 entstandene ‘Tractatus tertius’, in welchem alle die Punkte zusammengetragen sind, die E. in seinen vorhergehenden Schriften zu verteidigen gesucht hatte, ob nun Amtspriestertum, Zölibat, Papsttum, Orden, die Zuordnung von Schrift und Tradition, Heiligenverehrung, die Lehre vom Fegefeuer oder die kirchlichen Gewohnheiten wie das Fasten und die Bittgänge. Überall in Deutschland habe die Häresie Luthers für Krieg und Streit gesorgt. Die propagierte Freiheit sei zum Bösen mißbraucht worden, wie die Geschehnisse des Bauernkrieges deutlich bewiesen hätten. Gute Werke würden von Luther mit dem Hinweis auf den Glauben geschmäht. Folglich herrsche bei seinen Anhängern statt Keuschheit und Enthaltsamkeit bloße Fleischeslust. E. vergleicht Luther mit den Tieren in Apo 13, die Gott lästern und die Menschen verführen, und rückt ihn damit in die Nähe des Antichrists: Wie ein Ungeheuer sei Luther zu meiden, zu fliehen, zu verabscheuen und zu vertreiben. Der ‘Tractatus quintus’ dient der Zurückweisung des reformatorischen Schriftprinzips. E. sieht darin eine Einschränkung der Wirksamkeit des Hl. Geistes: Christus habe allen Gläubigen seinen Geist zugesagt, der sie lehren und ihnen die Geheimnisse Gottes offenbaren werde (Io 16). Eine
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Beschränkung der Inspiration auf die Bibel würde die Verheißungen Christi als Lüge erscheinen lassen und die Gegenwart des Geistes in der Kirche verneinen. Die Inspiration durch den Geist gelte nicht nur für die Verfasser der biblischen Bücher, sondern auch für deren Ausleger. Das Wirken der Kirchenlehrer sei die Erfüllung der allen Gläubigen gegebenen Zusage des Geistes. Als Zeichen für ihre Inspiration gelten E. die Gelehrsamkeit, die Heiligkeit ihres Lebens und die Harmonie ihrer Lehre mit dem allgemeinen Glauben. E. stellt die von der Kirche anerkannten Lehrer zeitweise auf eine Stufe mit den Verfassern der biblischen Bücher: Gleichwie die Apostel die Schriften der Evangelisten ergänzt hätten, ergänzten die Werke der Kirchenlehrer die Schriften der Apostel, denn die Bibel enthalte nicht alle Lehren Christi (non totum scriptum est, quod aut Christus fecit aut docuit); viele seien erst später ⫺ unter der Führung des Hl. Geistes ⫺ niedergeschrieben worden. Prüfstein für die Echtheit einer Überlieferung ist die Annahme durch die Kirche. Literatur. M. Feyerabend, Des ehemaligen Reichsstiftes Ottenbeuren, Benediktiner Ordens in Schwaben, sämmtl. Jbb., Bd. 2, Ottobeuren 1814, S. 764⫺777, 780⫺782, 789⫺793 u. 803⫺805, Bd. 3, 1815, S. 100 u. 145⫺150; L. Geiger, N. E., Österr. Vjschr. für kath. Theol. 9 (1870) 45⫺112, 161⫺208, u. 10 (1871) 443⫺458; A. Horawitz, in: ADB 6, 1877, S. 47; M. Bernhard, Die Buchdruckerei d. Klosters Ottobeuren, Stud. Mitt. OSB 2 (1881) 313⫺322; P. Lindner, Album Ottoburanum. Die Äbte u. Mönche d. ehemaligen freien Reichs-Stiftes Ottobeuren [...], Zs. d. Hist. Ver. f. Schwaben u. Neuburg 30 (1903) 112⫺117; O. Erhard, N. E. v. Ottobeuren, Allgäuer Gesch.freund NF 7 (1912) 7⫺13; A. Bigelmair, N. E. u. d. Reformation, in: H. M. Gietl (Hg.), Fg. A. Knöpfler z. Vollendung d. 70. Lebensjahres, 1917, S. 18⫺42; M. Sontheimer, Die aus d. Kapitel Ottobeuren hervorgegangene Geistlichkeit, 21922, S. 252⫺267; F. Zoepfl, Der Humanist N. E. z. Frage d. bäuerl. Leibeigenschaft, Hist. Jb. 58 (1938) 129⫺135; H. Pˆhlein, Wolfg. Seidel, 1951, S. 45⫺49; G. H. Tarvard, A Forgotten Theology of Inspiration: N. E.s Refutation of ‘scriptura sola’, Franciscan Studies 15 (1955) 106⫺122; A. Bigelmair, N. E., in: Lebensbilder a. d. Bayer. Schwaben, Bd. 5, 1956, S. 112⫺139; F. Zoepfl, in: NDB 4, 1959, S. 454; ders., Kloster Ottobeuren u. d. Humanismus, in: A. Kolb / H. T¸chle (Hgg.), Ottobeuren. Fs. z. 1200-Jahrfeier d. Abtei, 1964, S. 189⫺267; I. Guenther, in: CoE 1, S. 428; D. Harlfinger (Hg.), Graecogermania. Griech.stud. dt. Humanisten, 1989, S. 123 f.; U. Roth, Die philol. Freiheit d. Humanisten Joh. Reuchlin, Daphnis 31 (2002) 55⫺61; F. Posset, Renaissance Monks. Monastic
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Humanism in Six Biographical Sketches, Leiden 2005, S. 155⫺171.
Gerald Dˆrner
Emser, Hieronymus I . L eb en . Drei Phasen bestimmen das Leben des schwäbischen Humanisten, Dresdner Hofkaplans und katholischen Kontroverstheologen H. E.: 1. die durch mehrfachen Ortswechsel geprägte Zeit des Studiums und erster humanistischer und kirchenpolitischer Aktivität (1478–1505), 2. die erste Dresdner Phase (1505–1519) des Kaplans, Sekretärs und Beraters des albertinischen Hzg.s Georg und 3. die zweite Dresdner Phase (1519–1527), in der er einer der eifrigsten und polemischsten Widersacher der Reformation war. Von E.s Leben berichten verschiedene Quellen, wobei die nicht immer zuverlässigen Selbstaussagen E.s recht breiten Raum einnehmen.
E. wurde wahrscheinlich am 26. März 1478 in Weidenstetten bei Ulm geboren. Wie sein ab 1519 häufig gebrauchtes Wappen – ein Bock, der ihm später den Spitznamen ‘Bock Emser’ einbrachte – vermuten läßt, entstammt er einer adligen Familie. Sein Vater, Johannes Emser, war um 1500 Kanzler am Benediktinerstift St. Ulrich und Afra in Augsburg. Am 19. Juli 1493 wird E. an der Univ. Tübingen immatrikuliert; dort lernt er – wie er später selbst berichtet – bei Dionysius Reuchlin († 1520), dem Bruder Johannes J Reuchlins, Griechisch. 1497 wechselt er nach Basel, wo er noch im selben Jahr (vor seiner Immatrikulation!) zum Bakkalaureus und 1499 zum Magister artium promoviert wird. Anschließend studiert er dort Theologie und wird 1502 zum Priester geweiht. In Basel trifft er 1499 Willibald J Pirckheimer und ist Anfang 1500 für kurze Zeit Erzieher der Söhne Johann Amerbachs. Zum ersten Mal erhärtet sich hier der Verdacht, daß Gründe für E.s wechselhaftes Leben auch in seiner Person liegen: angeblich hat er Amerbachs Söhne ungebührlich behandelt (vgl. die Rechtfertigungen E.s, Amerbach-Korr., Nr. 117). Ernste Konsequenzen zeitigt sein Verhalten zwei Jahre später (1502), als ein Streit mit den Baslern ihn kurze Zeit ins Gefängnis bringt und er
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schließlich der Stadt verwiesen wird. E. hat – so berichtet er später nicht widerspruchsfrei selbst – einem eingeschlafenen Schweizer Studienkollegen Spottverse über die Schweizer ins Heft geschrieben, die von J Bebel(?) stammten (Thurnhofer, 1922; vgl. auch das Gedicht an Hölzel in den ‘Carmina ad Blasium Hoelcelium’, Augsburg 1518). E. findet eine Anstellung beim päpstlichen Legaten Raimund Peraudi, der in Deutschland Ablässe für den Türkenkreuzzug verkauft. Mit ihm reist er durch Deutschland, bis er Ende 1503 oder Anfang 1504 offenbar in Straßburg weilt und eine Edition von Werken Giovanni Picos della Mirandola besorgt (s. u. II.D.2.). J Wimpfeling hatte E. in einem Brief vom 6. Nov. 1503 an Sebastian J Brant (Wimpfeling-Br., Nr. 149) für eine Verwendung als Hauslehrer in Straßburg empfohlen. Schon im SS 1504 aber ist E. in Erfurt immatrikuliert. Diesen Aufenthalt erwähnt E. auch später in einer Streitschrift von 1521 (Enders, Ausg. [II.C.2.], Bd. 2, S. 179): Luther habe damals E.s Vorlesung über Reuchlins ‘Sergius’ gehört; da Sergius ein ehemaliger Mönch, Schwätzer und Schlemmer ist, könnte diese Anspielung auch reine Polemik gegen Luther sein. Bereits im WS 1504 erscheint E. in Leipzig und erwirbt dort 1505 das theol. Bakkalaureat; vor 1509 wird er dort zum Lizentiaten des kanonischen Rechts promoviert. Die zweite, ruhigere Lebensphase E.s beginnt 1505 mit dem Wechsel an den Dresdner Hof, wo er als Sekretär (bis ca. 1511) und Kaplan Hzg. Georgs von Sachsen arbeitet, dem er bis zu seinem Tod als Berater eng verbunden bleibt. Peraudi hatte ihn empfohlen, nicht ohne auf seinen freizügigen Lebenswandel hinzuweisen (vgl. Gess, Bd. 1, S. 23 Anm. 3). Pfründen sichern ihm ab 1511 den Lebensunterhalt. Diese Zeit, in der seine ersten eigenständigen Werke entstehen, wird dominiert von E.s Aktivitäten zur Kanonisierung des B.s Benno von Meißen, die er im Auftrag Georgs seit 1505 betreibt (Volkmar). Wegen Widerständen der Kurie – wahrscheinlich war E. 1506/07 deshalb sogar in Rom (Kawerau, S. 14; skeptisch: Aurich, S. 19) – unternimmt E. 1510 eine ‘Forschungsreise’
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nach Hildesheim und Goslar (Petersberg), um in alten Hss. nach Lebens- und Wunderzeichen Bennos zu suchen. Offenbar ohne sein Wissen verwertet er v. a. Fälschungen eines Hildesheimer Benediktiners (Kawerau, S. 15⫺17; Volkmar, S. 75⫺ 78). E. hält sich in seiner Funktion als Berater des Herzogs häufig auch in Leipzig auf. Kontakte zu führenden Humanisten belegt der Briefwechsel (s. u.), aber auch ein Schwank, den E. am 5. Juni 1508 an Heinrich J Bebel sendet (‘Facetiae’ III 135). Die dritte und heute bekannteste Phase in E.s Leben – sein erbitterter Kampf gegen Luther und andere Reformatoren – beginnt 1519 (Thurnhofer, 1921, S. 11⫺21; M¸ller, S. 57⫺62). Am 25. Juli 1518 ist Luther nach einer Predigt im Dresdener Schloß noch mit anderen Klerikern in E.s Wohnung zu Gast. Hier entsteht ein Streit, der zunächst noch beigelegt wird, mit der Leipziger Disputation (Juni/Juli 1519) aber zum endgültigen Bruch und zu offener Feindschaft führt. Nun erst beginnt E.s theol. Publizistik. In ständiger, von Anfang an polemischer Reaktion auf einzelne reformatorische Schriften und Argumente wird E. zum bedeutendsten Gegner Luthers im albertinischen Sachsen. Von 1524⫺ 1526 betreibt er in seinem Haus die erste Dresdner Druckwerkstatt, die sog. Emserpresse (Aurich). 1527 erscheint seine ‘katholische’ Übersetzung des NT. E. stirbt am 8. Nov. 1527 in Dresden. Die Beziehungen E.s zu anderen Humanisten (Pirckheimer, J Erasmus u. a.) erweisen sich selten als so intensiv, wie die Forschung glauben macht (s. u. II.E.). Anlaß vieler Korrespondenzen ist im übrigen die herausragende Stellung E.s am sächsischen Hof (vgl. Aurich, S. 22). I I. We rk . A . S ch ri ft en vo r 1 51 9. 1. ‘Opuscula’. Sammlung von 100 kleinen Musterbriefen mit einem Umfang von 5⫺7 Zeilen in der Art von Francesco Filelfos ‘Epistulae breviores’, gewidmet dem jungen Hzg. Jo-
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hannes d. J. von Sachsen-Lauenburg, der stets auch als Absender oder Empfänger gewählt ist. Die Stücke dienen der Einübung in lat. Schriftlichkeit, sollen aber auch, ausgestattet mit guten Empfehlungen und mit Sprüchen von Philosophen, zu rechter Lebensführung anleiten. E. möchte sein dem adligen Adressaten verpflichtetes Büchlein von den Briefmustern eines Paulus Niavis (D Schneevogel) und Laurentius J Corvinus unterschieden wissen, da deren Inhalte einer sozial niedrigen Sphäre angehörten. Im Anhang bringt E. ein Epigramma de colenda virtute (36 vv.) und ein Hexastichon an den jungen Ernst von Schleinitz, den zusammen mit seinem Bruder Haubold 1501 Stephan J Gert zum Studium nach Bologna begleitete, sowie einen Brief Filippo Beroaldos d. Ä., der sich über E.s Mustersammlung hoch anerkennend ausspricht, und abschließend E.s Epitaph auf den am 17. Juli 1505 verstorbenen Italiener. Das erst spät gedruckte ‘Opusculum’ der Musterbriefe, von dem Beroaldo ein hsl. Exemplar erhalten hatte – nach dessen Brief offenbar mit E.s Mitteilung, daß er fürstlicher secretarius geworden sei –, muß spätestens 1505 und deutlich vor Beroaldos Tod entstanden sein. Es ist daher vermutlich E.s erste selbständige Schrift. Drucke. Opuscula Hie⫽|ronymi Emser ducalis | secretarii, quae in hoc li⫽|bello continentur [...] | Nobilium et ingenuorum puerorum epistolaria progym|nasmata epistolijs centum numero | [...]. Leipzig: Melch. Lotter d. Ä., [um 1509?]. VD 16, E 1127 mit Bd. 25, S. 195. Die frühesten datierten Drucke: Opuscula Hie⫽|ronymi Emser Ducalis | secretarii [...]. Leipzig: Val. Schumann, 1516. VD 16, ZV 21508; Straßburg: Joh. Knobloch, 27. April 1516. VD 16, E 1126. Weitere sieben Drucke in Leipzig 1517⫺1521 (VD 16, ZV 4998 u. 4996, E 1128, 1130⫺1132; IA 160.174), je einer in Augsburg 1519 (VD 16, E 1129), in Antwerpen [ca. 1520] (IA 160.168) und in Köln 1522 (IA 160.178) sowie zwei in Krakau 1518 u. 1523 (IA 160.159 u. 160.182). 1596 besorgte Jeremias Reusner in Leipzig einen ND der Musterbriefe zusammen mit Briefen anderer Autoren u. d. T. Centuria | Epistolarum | [...] Prin|cipis Ioannis II. Du-|cis Saxoniae [...]. VD 16, E 1133.
2. ‘Deutsche Satyra’. 562 vv. Eingeleitet mit einem Lob der früheren Hochschätzung der Ehe werden
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zunächst weitgehend unsystematisch Exempla (aus Valerius Maximus, Ovid u. a.) angeführt (teils mit ausufernden Marginalien) und ab v. 391 den inzwischen ins Gegenteil verkehrten Sitten kontrastiert: auffallende und teuere Kleidung, Verspottung treuer Ehemänner etc. Am Ende konstatiert E., daß der Großteil des jetzigen Elends vom Ehebruch komme. Die Eheleute werden ermahnt, sich der Würde der Ehe bewußt zu sein. Erstmals findet im Titel eines dt. Werkes der Begriff ‘Satire’ im Sinne von Straf- und Lehrgedicht Verwendung (Kˆnneker, S. 31 f.). Adelphus J Muling fügte die ‘Satyra’ anonym seiner Ausgabe der ‘Mörin’ Hermanns von Sachsenbein bei. Drucke. Eyn deutsche Satyra vnd straffe | des Eebruchs/ vnnd in was wurden vnnd erenn der Eelich | stand vorczeiten gehalten/ mit erclarung vil schoner historien. Leipzig: Melch. Lotter, 1505. VD 16, E 1110. Weitere Aufl.n verzeichnet Behrendt, S. 185 f. Ausgaben. R. T. Clark Jr., H. E., Eyn dt. Satyra [...] (Texte d. späten MAs 3), 1956; G. Ruh, H. E., Ein deutsch Satyra und Straffe des Eebruchs. Unters. u. Text, 1964.
3. ‘De origine propinandi’. In dem 12 Quartbll. umfassenden Dialog zwischen Sophronius und Silenus und einem abschließenden Richterspruch werden Vor- und Nachteile von Trinkgelagen diskutiert. Das Fazit lautet, daß Zutrinken und (gelegentlich auch übermäßiger) Alkoholgenuß dem Edlen und Alten erlaubt sei, weil dies der Süße des Lebens diene, die Freundschaft festige und den wahren Charakter des Gegenübers erkennen lasse. Zu verbieten sei es dagegen den jungen Leuten, vor allem wenn sie um die Wette trinken. In seiner Widmungsvorrede an den Dresdner Paul Brachtbeck äußert sich E., der kurze Zeit vorher mit einigen Ressentiments nach Dresden gekommen war, lobend über die Stadt. Drucke. Dialogismus [...] de ori⫽|gine propinandi vulgo compotandi et an sit toleranda compotatio [...]. Leipzig: Melch. Lotter, Febr. 1505. VD 16, E 1111. Empfehlungsgedichte des Herm.
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J Buschius und des Mich. Drachenfels. Drei weitere Drucke: ebd., 1505; Frankfurt (O.): Konrad Baumgarten, 1508; Leipzig: Jak. Thanner, 1513; VD 16, E 1112, ZV 15867, E 1113.
4. Schriften über den hl. Benno Seit dem späten 13. Jh. wird Benno, Bischof von Meißen 1066⫺1105/7, in Sachsen verehrt. Über sein Leben ist allerdings nur sehr wenig historisch Verläßliches bekannt. Die von E. verfaßte Vita Bennos beruht zu großen Teilen auf Fälschungen, Mißverständnissen und Motivanleihen aus anderen Heiligenviten (vgl. allgemein R‰dle; Volkmar, S. 125⫺140). a) Lat. Kurzfassung. E. lobt in 100 an Papst Julius II. gerichteten Distichen Benno als antikaiserlichen Bischof und erwähnt, Benno sei ihm erschienen und habe seine eigene Kanonisation unter Julius II. angekündigt (R‰dle, S. 281−288). Druck. Epitome ad sanc|tissimum dominum nostrum Papam Ju⫽|lium secundum super vita miraculis et | sanctimonia diui patris Bennonis [...]. Leipzig: [Melch. Lotter], 1505. VD 16, ZV 4995. Die Epitome ist – verkürzt auf 65 Dist., ohne E.s Vision – auch in der ‘Vita Bennonis’ von 1512 (s. u. b), Bl. C iiijv –[C6]r, als Carmen in Apotheosim Divi Bennonis abgedruckt.
b) ‘Vita Bennonis’. Die Vita des Meißner Bischofs Benno, Ergebnis der Forschungsreise von 1510, ist das mit Abstand umfangreichste und bedeutendste Werk E.s vor seinen kontroverstheol. Schriften. Es gliedert sich in 33 Kapitel, die chronologisch das Leben des hl. Benno nachzeichnen: von der Erziehung durch den hl. Bernward in Hildesheim und der Freundschaft mit dem hl. Anno in Goslar über die Berufung zum Bischof von Meißen und Exempeln seiner Papsttreue bis zum Wunder der in einem Elbfisch wiedergefundenen Domschlüssel. Die Vita ist insgesamt zurückhaltend in der Behauptung der Wundertätigkeit Bennos (anders die dt. Übers., s. u. c); eher wird Benno im Sinne humanistischer Ideale stilisiert (vgl. etwa Kap. 4 über die Erziehung Bennos im Lesen, Schreiben und Dichten und die Schilderung der Freundschaft mit Anno in Kap. 13 u. 14; s. auch Volkmar, S. 132 f.,
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137 f.). Neben historischen ‘Fakten’ kommt gelegentlich auch ein gewisses Interesse an der slawisch-heidnischen Vergangenheit zum Ausdruck, etwa in der Beschreibung und etymologischen Deutung der heidnischen Götter Radigast, Suanthewitz und Zcernebock (B iiijr). Druck. Divi Bennonis Misnensis quondam epis⫽|copi vita. miracula. et alia quedam | non tam Misnensibus quam Ger⫽|manis omnibus decora [...]. Leipzig: Melch. Lotter, 1512. VD 16. E 1117. Ausgabe. AASS, Junii, Bd. 3, Antwerpen 1701, S. 150⫺173 (etwas gekürzt).
c) ‘Das Leben Bennos’. Eine leicht modifizierende Übersetzung der lat. Vita (b), die der sächsischen Hzg.in Barbara gewidmet ist. Neu ist der Anhang mit einer Liste postumer Wunder (D jr– [E5]r). Druck. Das heilig leben vnd | legend des seligen Vatters Bennonis | weylund Bischoffen tzu Meyssen: ge⫽|macht vnd in das tewtsch gebracht […]. Leipzig: Melch. Lotter, 1517. VD 16, ZV 4997.
d) ‘Lied über Benno und Luther’. Einblattdruck mit Noten, bestehend aus einem enkvmion [!], einer Bitte an den hl. Benno um Erhalt des rechten Glaubens und Rechtfertigung der Heiligenverehrung (Ach Benno du vil heilger man/ durch dich hat Got vil wunder than) und einer antifrasiw , einer Kontrafaktur der ersten drei Strophen, in der Luther angeredet und seine Haltung verdammt wird (Ach Luter e man/ Was hat dir Bischoff du vil boser Benn gethan). Das Lied steht im Zusammenhang mit E.s und Luthers Streitschriften bezüglich der Erhebung der Gebeine des hl. Benno (1524) (s. u. II.C.4.). Druck. enkvmion in diuum Bennonem | [...]. [Dresden: Emserpresse], 1524. Ausgabe. Aurich, S. 54 f., Nr. 12 (mit Abb.).
B . D eu ts ch e Ü be rs et zu ng en . E.s Übersetzungstätigkeit ist erst ab 1517 belegt (s. auch II.A.3.c) und beschränkt sich anfangs auf kleinere Stücke. Von großer Wirkung ist E.s Übersetzung des NT.
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1. Baptista Mantuanus, ‘De morte contemnenda’. Versübersetzung des lat. Gedichtes in 112 Reimpaaren. Gewidmet dem Landrentmeister und Hauptmann zu Leipzig Georg von Wedebach und seiner Frau Apollonia (Dresden, 1517). Druck. Wider die anfechtung des todes | vnnd das der nit tzuforchten sey | ein schon gedicht […]. Leipzig: Melch. Lotter, 1517. VD 16, S 7237.
2. Plutarch, ‘De capienda ex inimicis utilitate’. Nach der lat. Übersetzung des Erasmus von Rotterdam. Widmung an Georg von Wedebach. Drucke. Plutarchus wie ym | eyner seinen veyndt nutz | Machen kan. [Leipzig: Melch. Lotter, 1519]. VD 16, P 3726. Worstbrock, Antikerez., Nr. 306; [Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1520]. VD 16 P 3727. Worstbrock, Antikerez., Nr. 307.
3. Heinrich VIII. von England, ‘Assertio septem sacramentorum’. Übersetzung im Auftrag Hzg. Georgs. Druck. Schutz vnd handt|habung der siben Sacrament | Wider Martinum Luther […]. Leipzig: Joh. Schönsperger d. J., 1522. VD 16, H 2170.
4. Erasmus von Rotterdam, ‘Expostulatio Jesu ad mortales’. Teilübersetzung in 23 gereimten Terzinenpaaren (aab ccb). Druck. Ein heilsame erma⫽|nung des kindlein Jesu an | den sunder getzogen auß | Erasmo […]. [Leipzig: Martin Landsberg, um 1522]. VD 16, E 3020.
5. Das Neue Testament. Grundlage des sog. ‘Emsertestaments’ ist der Text von Luthers Septembertestament (1522), den E. nur an einzelnen Stellen verändert, meist indem er ihn wörtlicher an die Vulgata anlehnt (vgl. grundsätzlich Gelhaus, S. 27⫺56, 144⫺158; Kˆster, S. 7⫺10). Entscheidende Vorarbeit hierfür leistete E. in seinen vielfach aufgelegten Annotationes | [...] vber Luthers Naw Testament gebessert | vnd emandiert. Dresden: [Emserpresse], “1524” [1525]. VD 16 E 1090 (Erstausgabe Auß e was grond vnnd vrsach | Luthers dolmatschung/ vber das nawe testament | dem gemeinen man | billich verbotten worden
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sey. [...]. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1523. VD 16 E 1089). Sie führen 1400 “Irrtümer und Lügen” des Luthertextes auf. Illustrationen finden sich nur zur Offenbarung des Johannes, für die E. sich in Wittenberg Holzstöcke gekauft hatte (Aurich, S. 23). Im Epilog bekennt E., daß er verbessert habe, was in der alt oder naw verdewtschten transzlation (CXCV r) falsch gewesen sei (E. begreift sich nicht als Übersetzer des NT), reflektiert über die Schwierigkeit seines Ein-Mann-Unternehmens und äußert seine prinzipiellen Zweifel an der Richtigkeit einer Übersetzung der Bibel in die Volkssprache (vgl. Kˆster, S. 17⫺21 und die Regesten, ebd. S. 277⫺281). E.s NT wird dennoch in zahlreichen Auflagen verbreitet. Die zweite, posthum erschienene Dresdner Ausgabe von 1528 hat Augustin von Alfeld betreut (Kˆster, S. 24 f.). Neben erheblichen Änderungen der Einrichtung finden sich hier Eingriffe in den Bibeltext, die damit begründet werden, daß E. noch zu sehr Luthers Text verhaftet gewesen sei (CCXIr). In den Marginalien wird nun auch ein Großteil der Textänderungen E.s mit explizitem Bezug auf Luther und mit Verweis auf E.s ‘Annotationes’ erläutert. Drucke. Das naw | testament nach lawt | der Christlichen kirchen | bewerten text/ corrigirt/ vnd wider|umb zu recht gebracht [...]. Dresden: Wolfg. Stöckel, 1527. VD 16, B 4374. Gemeinsam mit den ‘Annotationes’: Leipzig: Val. Schumann, 1528. VD 16, B 4384. Weitere Drucke d. 16. Jh.s: VD 16, B 4382 f., 4389⫺94, 4406, 4424 f., 4446, 4448, 4456 f., 4470, 4472, 4478, 4485, 4486. Drucke einer nd. Übers. unter E.s Namen (zuerst Köln: Hero Fuchs, 1526): VD 16, B 4506, 4510, 4538. Bis 1793 folgen weitere 70 Drucke (ausführlich bibliographiert von Kˆster, S. 357⫺396). Abdruck der Vorrede Hzg. Georgs bei Gess, Nr. 1467.
6. Xenophon, ‘Oeconomicus’. In der Widmung an Christoph von Tauschwitz, den er als standhafte Wehr gegen die Reformation rühmt, bezeichnet E. seine Übersetzung als außtzug. Sie ist indes mit Ausnahme weniger Kürzungen und geringfügiger interpretierender Erweiterungen vollständig. Vorlage war nicht, wie E. nahezulegen scheint, die verlorene Überset-
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Emser, Hieronymus
zung Ciceros, sondern vermutlich die des Raffaele Maffei Volaterrano. Drucke. Xenophon | von der hauszhaltung/ | Wye sich tzwey Junge | Ehelewt yn die narung schicken | vnnd sich mit einander begehen | sollen das sie yhr guth mheren/ | vnd jr hawsz weyszlich e vnd wol | regirn mogen. [Dresden: Emserpresse], 1525. VD 16, X 40, Aurich, Nr. 44 mit Abb. Drei weitere Drucke in Frankfurt a. M. 1565, “1565” [1567] u. 1567. VD 16, X 42⫺44.
7. Erasmus, ‘Hyperaspistes diatribae adversus servum arbitrium’, Buch I. Vollständige, nach der Widmung an den Merseburger B. Vinzenz von Schleinitz mit grosser eyl am 26. Mai 1526 abgeschlossene Übersetzung. Die Vorrede des Erasmus ist von E. irrig auf den 23. Mai 1526 datiert. Druck. Schirm vnd | schutzbuchlein der Dia⫽|triba wider Martini Lu⫽|thers knechtlichen wil⫽|len durch Erasmum von | Roterdham. | Ins Teutzsch gebracht durch | Hieronimum Emser. Leipzig: Melch. Lotter, 1526. VD 16, E 3035.
C . A nt ir ef or ma to ri sc he s ch ri ft en ab 15 19 .
St re it -
Der weitaus größte Teil von E.s Œuvre besteht aus den Schriften, die er ab 1519 gegen Luther und die Reformatoren verfaßt hat (Smolinsky, 1984, S. 221⫺309). Sie werden hier nur summarisch dargestellt. Druckbeschreibungen bei H.-J. Kˆhler, Bibliographie d. Flugschr. d. 16. Jh.s, T. 1, Bd. 1, 1991, Nr. 883⫺900, 903⫺915. 1. Schriften von 1519. Kurz nach der Leipziger Disputation im August 1519 publiziert E. einen Brief an ˇ ak) in Prag, in dem er die Joh. Zack (Z Hussitenfrage behandelt: die Hussiten könnten sich nicht auf Luther berufen. Dieser Brief löst die erste Kontroverse mit Luther aus, der schon im Sept. 1519 mit einer Volte gegen den ‘Bock Emser’ reagiert. E. repliziert im Nov. 1519 mit seiner ersten Schmähschrift gegen Luther, die er als “Freisprechung des Bocks von der lutherischen Jagd” bezeichnet. Drucke. De disputa|tione Lipsicensi, quantum ad Boemos obiter de-|flexa est […]. Leipzig: Melch. Lotter, 1519. VD 16, E 1116. – A Uena-
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tione Lute⫽|riana Aegocerotis assertio. | […]. Leipzig: Martin Landsberg, 1519. VD 16, E 1081. Ausgaben. F. X. Thurnhofer, De Disputatione Lipsicensi, quantum ad Boemos obiter deflexa est (1519). – A Venatione Luteriana aegocerotis assertio (1519) (Corpus Catholicorum 4), 1921.
2. Schriften von 1520⫺1522. Auf Luthers Hauptschrift ‘An den christlichen Adel deutscher Nation’ (1520) antwortet Emser 1521 mit einem umfangreichen Werk Wider das vn⫽|christenliche buch Martini Lu-|ters Augustiners/ an den Tewtschen Adel außgangen | [...] (Leipzig: M. Landsberg; VD 16, E 1137); begleitet wird diese Kontroverse von kleineren polemischen Streitschriften. 1522 verfaßt E. eine größere Schrift gegen Karlstadt und die Bilderstürmer (Smolinsky, S. 301 f.; VD 16, E 1109). Ausgabe. L. Enders, Luther u. E., Ihre Streitschrr. aus d. Jahre 1521, 2 Bde., 1890⫺1892.
3. Schriften gegen Luther ab 1523. Auf Luthers Streitschrift ‘Wider den falsch genannten geistlichen Stand des Papstes und der Bischöfe’ von 1522 antwortet E. mit einer umfangreichen, Ks. Karl V. gewidmeten Schrift: Wyder den falsch|genanten Ecclesiasten vnd war| hafftigen Ertzketzer Martinum | Luter [...]. Leipzig: Martin Landsberg, 1523. VD 16, E 1138 (vgl. Smolinsky, S. 275⫺289). Wichtig werden nun auch die Schriften E.s, die sich gegen Luthers Übersetzung des NT (s. o. II.B.5.) sowie gegen dessen angebliche Unterstützung des Bauernkriegs richten (Smolinsky, S. 304⫺309). 1524 wechselten E. und Luther anläßlich der Erhebung der Gebeine des hl. Benno auch Streitschriften über die Heiligenverehrung (Volkmar, S. 157⫺172). 4. Die Meßopferschriften von 1524/25. Vor allem gegen Luther und Zwingli richten sich fünf Schriften E.s zum Thema der hl. Messe, die drei lat. jeweils in Form eines fiktiven Streitgesprächs mit dem Gegner. Im Druck der ‘Canonis missae defensio’ (Straßburg: Joh. Grüninger, 1524) ist auf der Titelrückseite ein offener Brief J Wimpfelings an Luther und Zwingli abgedruckt, in dem beide beschworen wer-
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Emser, Hieronymus
den, die Argumente E.s zu berücksichtigen (Freudenberger, Ausg., S. 38⫺40; Wimpfeling-Br., Nr. 356). Ausgabe. Th. Freudenberger, Schr. z. Verteidigung d. Messe (Corpus Catholicorum 28), 1959. D. Herausgeber und Drucker. 1. Libertus von Broechem, Collectio reuerendissimi patris et Domini | domini Liberti Episcopi Gericensis. | De crucibus […]. Nürnberg: [Joh. Weißenburger], 1503. VD 16, ZV 24841. 2. Opera Ioannis Pi⫽|ci Mirandule Comitis Con⫽|cordie litterarum principis novissime | accurate revisa [...]. [Straßburg]: Joh. Prüß d. Ä., 1504. VD 16 P 2578. Mit einem Vorwort an die Leser von J Wimpfeling (Wimpfeling-Br., Nr. 156). Evtl. ist E. nicht der Hg., sondern nur Mitarbeiter, der die Vorlage besorgt und ein Register erstellt hat. 3. Tractatus vtilis|simus de preparan|dis conseruandis et reformandis Vi|no. Cereuisia et Aceto. Leipzig: [Melch. Lotter], 1507. VD 16, T 1802. Weitere Ausgaben und dt. Übersetzugen bei Kawerau, S. 116 Anm. 46. 4. Bonifacii Symonetae [...] | de christiane fidei et Romanorum pon|tificum persecutionibus opus pene | divinum et inestimabile [...]. Basel: Nik. Keßler, 1509. VD 16, S 6542. Mit einer Vorrede E.s an Martin von Lochau, den Abt von Altzella (s. auch Kawerau, S. 20 f.). 5. Enchiridion | Erasmi Roterodami Germani de milite | Christiano [...]. Leipzig: Val. Schumann, 27. Aug. 1515. VD 16, E 2744. Mit einer Widmungsvorrede und zwei lat. Gedichten E.s an den Prager und Meißner Propst Ernst von Schleinitz. Vier weitere Drucke: ebd., [15]16, 1516, 1519, 1520. VD 16, ZV 5260, E 2755⫺2757. 6. Io. Clerk. pro | Henrico. VIII. Angliae et Fran|ciae Rege Potentissimo fidei defensore, apud | Leonem. X. Pont. Max. Oratoris: in ex| hibitione Regij Libri in consistorio | habita oratio […]. [Leipzig: Val. Schumann, 1522]. VD 16, C 4124. E. betrieb 1524⫺1526 eine Druckerei in seinem Dresdner Haus. Neben einigen amtlichen Drucken publizierte E. hier v. a. seine eigenen Streitschriften und Schriften anderer katholischer Autoren (Gesamtbibliographie aller 46 Drucke bei Aurich, S. 41⫺89).
E . B ri ef we ch se l. Mehrere Briefe sind erhalten aus der Korrespondenz E.s mit Erasmus, Pirckheimer und dem sächsischen Herzogspaar. Je ein einzelner erhaltener Brief bezeugt auch
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den Kontakt zu Georg J Spalatin (Smolinsky, S. 33 Anm. 93), Joh. Amerbach (Amerbach-Korr., Nr. 117) und Filippo Beroaldo d. Ä. (publiziert in E.s ‘Opuscula’). Im Zuge der Konfessionsstreitigkeiten kam es offenbar ab 1519 zu nicht erhaltener Korrespondenz mit Bernhard J Adelmann von Adelmannsfelden, Melanchthon, Petrus J Mosellanus, Johann Lang (Smolinsky, S. 33 f.). Der Briefwechsel mit Hzg. Georg von Sachsen, seiner Frau Barbara und seinem Sohn Johann ist ediert von Clemen. 1. Erasmus von Rotterdam. Der tatsächliche Briefwechsel wird nicht sehr viel umfangreicher gewesen sein als der erhaltene (Erasmus, Op. epist., Nr. 553, 1551, 1566, 1683, 1773, 1923). Erasmus interessiert sich für E. vor allem als den Vertrauten Hzg. Georgs, mit dem Erasmus ausführlicher korrespondierte (vgl. Smolinsky, S. 320 f.). Den Kontakt hatte Pirckheimer 1516 hergestellt, weil E. Erasmus verehrte und ihn 1516/17 im Auftrag von Hzg. Georg nach Leipzig berufen wollte. Aus den letzten Lebensjahren E.s stammen die meisten Briefe; in ihnen geht es vor allem um eine friedliche Reform der monastischen Orden. 2. Willibald Pirckheimer. Briefe von und an Pirckheimer sind von 1515⫺1517 und von 1523 erhalten. Auch sie zeugen weniger von Pirckheimers Anerkennung des Humanisten E. als von dem Nutzen der politischen Position E.s (vgl. Pirckheimer-Br., Nr. 375, 384, 387, von 1515/16 wegen des nach Sachsen gegangenen Hans Schütz). Mit Ausbruch des Konfessionsstreits scheint das Verhältnis weitgehend gestört. Daß noch 1520 eine Widmungsepistel Pirckheimers an E. (in der Übers. von Lukians ‘Rhetor’) erschien (vgl. Eckert/Imhoff, S. 277⫺285 mit dt. Übersetzung) und einiges Aufsehen erregte – Luther interpretierte sie als Parteinahme Pirckheimers für die altgläubige Seite –, resultiert wohl lediglich aus dem verspäteten Druck der Lukian-Übersetzungen (Holzberg, S. 261). Wegen des vielbeach-
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Enen, Johann
teten Vorfalls um die Nürnberger Klarissen-Äbtissin Caritas D Pirckheimer, deren Brief an E. von den Protestanten veröffentlicht und verunglimpft wurde (vgl. Ekkert/Imhoff, S. 280 f.), schreibt der verärgerte Pirckheimer 1523 noch einmal an E., bedauert dessen Streit mit Luther und versichert E. trotz jahrelangen Schweigens seiner Freundschaft (Pirckheimer-Br., Bd. 5, Nr. 791). Literatur. G. Kawerau, H. E. Ein Lebensbild aus d. Reformationsgesch. (Schr. d. Ver. f. Reformationsgesch. 61), 1898; F. Gess, Akten u. Briefe z. Kirchenpolitik Hzg. Georgs v. Sachsen, 2 Bde., 1905⫺1917 (ND 1985); O. Clemen, Briefe v. H. E., Joh. Cochläus, Joh. Mensing u. Petrus Rauch [...] (Reformationsgesch. Stud. u. Texte 3), 1907; G. H. M¸ller, M. Luther u. Dresden, Dresdner Gesch.bll. 26 (1917) 47⫺69; F. X. Thurnhofer, W. Pirkheimer u. H. E., in: Beitr. z. Gesch. d. Renaissance u. Reformation. Fg. J. Schlecht z. 60. Geb., 1917, S. 335⫺347; ders. (s. o. II.C.1., Ausg.); ders., H. E. u. d. Eidgenossen, in: Briefmappe. Zweites Stück (Reformationsgesch. Stud. u. Texte 40), 1922, S. 1⫺22; W. Klaiber (Hg.), Kath. Kontroverstheologen u. Reformer d. 16. Jh.s. Ein Werkverz. (Reformationsgesch. Stud. u. Texte 116), 1978, Nr. 957⫺1002 (unzuverlässig); N. Holzberg, W. Pirckheimer, 1981, Reg.; W. P. Eckert / Ch. v. Imhof, W. Pirckheimer, Dürers Freund, im Spiegel seines Lebens, seiner Werke u. seiner Umwelt, 21982, Reg.; H. Smolinsky, Augustin v. Alveldt u. H. E. Eine Unters. z. Kontroverstheol. d. frühen Reformationszeit im Hzg.tum Sachsen (Reformationsgesch. Stud. u. Texte 122), 1984; R. Kemper, Kleinigkeiten zu E., Leuvense bijdragen 74 (1985) 67⫺79; H. Gelhaus, Der Streit um Luthers Bibelverdeutschung im 16. u. 17. Jh., 1989; W. Behrendt, H. E.s ‘Satyra’, J. Adelphus u. d. ‘Wormser Freidank’, ZfdA 119 (1990) 185⫺191; B. Kˆnneker, Satire im 16. Jh., 1991, S. 31 f.; U. Kˆster, Stud. zu d. kath. Bibelübersetzungen d. 16., 17. u. 18. Jh.s (Reformationsgesch. Stud. u. Texte 134), 1996, S. 7⫺10, 17⫺27 u. ö.; F. R‰dle, Der hl. Benno v. Meißen u. Hildesheim, in: J. Bepler / Th. Scharf-Wrede (Hgg.), Die Dombibl. Hildesheim. Bücherschicksale, 1996, S. 271⫺304; F. Aurich, Die Anfänge d. Buchdrucks in Dresden. Die Emserpresse 1524– 1526, 2000; C. Volkmar, Die Heiligenerhebung Bennos v. Meissen (1523/24) (Reformationsgesch. Stud. u. Texte 146), 2002, Reg.
Ludger Lieb
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Enen, Johann I . L eb en . E. wurde um 1480 in Ehnen bei Wormeldingen an der Obermosel (heute Luxemburg) geboren. Sein akademischer Werdegang läßt sich wie folgt skizzieren: möglicherweise Besuch der Klosterschule TrierSt. Maximin, ab ca. 1495 Studium in Trier, um den 1. Febr. 1497 Baccalaureus, im Mai 1498 Magister artium, als Magister artium oder Professor Vorlesungen. Febr. 1502 Dekan der Artistenfakultät, im Anschluß daran Studium der Theologie in Trier und Baccalaureus Bibliae, 1512/13 Rektor der Univ. Trier, 1514 Promotion zum Dr. theol., 30. Sept. 1517 Dekan der Theol. Fakultät. Nach der Priesterweihe erhielt E. eine Seelsorgepfründe an der Liebfrauenkirche Trier und wirkte (ab 1512?) als Domprediger. In dieser Eigenschaft hatte E. mit der Erhebung und ersten öffentlichen Ausstellung des ‘Heiligen Rockes’ im Frühjahr 1512 zu tun. 1517 wurde E. in Trier zum Weihbischof und Bischöflichen Generalvikar ernannt. Er verstarb am 31. Juli 1519 und wurde in der Abtei St. Maximin begraben. Die Grabinschrift überliefert Hontheim, S. 547. I I. Sc hr if te n. 1. 1512 erschien bei Kaspar Hochfeder in Metz eine anonyme lat. Heiltumsschrift über die Auffindung des ‘Heiligen Rockes’ im Trierer Dom, hinter der man E. vermutet. Wenig später kam in derselben Offizin eine dt. Übersetzung des Textes heraus. Drucke. [A]Nno domini Millesimoquin|gentesimoduodecimo. Reliquie | plurimorum sanctorum et sancta⫽|rum nouissime reperte: per Reue⫽|rendissimum in christo patrem et | dominum: dominum Richardum electum et | confirmatum archipresulem Tre|uerensem [...]. Ad instantiam In|uictissimi Illustrissimi quoque prin|cipis Maximiliani Romanorum: | Imperatoris semper augusti. Seibrich, 1995, Nr. 1. ⫺ [A]Ls man zaltt nach der ge| burtt xpi. M.CCCCC. | vnd. xii vff mitwochen in den Osterfyertagen ist der | froenaltar des grosses stifftes Sant Peters in der hey⫽|ligen Statt zu Tryer vffgethon worden | mit viel loeb|lichen vnd groszwirdigem Heyltumen, wie hernach | gedruckt steit. Seibrich, 1995, Nr. 5.
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Engel, Johannes
2. 1516 erschien bei Peter Drach in Speyer innerhalb der 4. gedruckten Ausgabe des ‘Missale Trevirense’ ein Meßformular zum Fest ‘Tunica Domini’ ([CCXCI]ra⫺[CCXCII]va). Es hat E. zum Verfasser. Beschreibung u. Abb. bei Heinz, Nr. 4, S. 74⫺82. 3. E.s bedeutendstes Werk ist die 1514 bei Kaspar Hochfeder in Metz gedruckte ‘Medulla gestorum Treverensium’. Die ‘Medulla’ ist eine Kombination von Heiltumsschrift, Stadt- und Bistumsgeschichte. Sie vermittelt Informationen über den Ursprung der Wallfahrt zum ‘Heiligen Rock’ und die Geschichte Triers, ergänzt durch Verzeichnisse weiterer Trierer Reliquien und Ablässe. Damit ist sie die erste Geschichte Triers in dt. Sprache. Gleichzeitig bildet sie die älteste gedruckte Fassung weiter Teile der D ‘Gesta Treverorum’, einer vermutlich um 1100 entstandenen Geschichte der Stadt und des Bistums Trier. Inhaltlich zerfällt die ‘Medulla’ in drei Teile: 1. (Bl. III) die römische, vorchristliche Geschichte Triers, 2. (Bl. IIII⫺XXV) die Trierer Heiligen bis zu Eb. Modoald (622⫺647), 3. (Bl. XXVv⫺LXIIIv) die Trierer Heiltümer einschließlich des ‘Heiligen Rockes’. Über die wallfahrtspraktischen Intentionen hinaus bemüht sich die ‘Medulla’, angebliche Irrmeinungen über die Trierer Hauptreliquie zu korrigieren. Doch werden die trierischen Gründungsund Heiltumslegenden unkritisch übernommen. Die ‘Medulla’ läßt sich auch als Versuch werten, die Stadt Trier neben Aachen und Köln als rheinisches Wallfahrtszentrum neu zu etablieren. 1517 fertigte Johannes Scheckmann, Mönch der Benediktinerabtei St. Maximin, auf Bitten E.s eine lat. Übersetzung der ‘Medulla’ an. Diese ‘Epitome’ bringt die gelehrten und humanistischen Intentionen von E.s Schrift deutlicher zum Ausdruck: Ihr vorgeschaltet ist ein vier Schreiben umfassender Briefwechsel zwischen E. und Scheckmann einerseits sowie Scheckmann und dem niederländischen Humanisten und Freund des J Erasmus von Rotterdam, Johannes Borsalius († nach April 1536), andererseits. Der Briefwechsel geht auf Probleme der Stilhaltung des nachge-
schalteten Werkes und seiner Übersetzung ins Lateinische ein. Er hätte als humanistische Übersetzungsdebatte eine eigene Auswertung verdient. Eine wirkungsgeschichtliche Spur der ‘Epitome’ findet sich u. a. im Kommentar zu den Kanonisationsakten des in Trier verstorbenen hl. Simeon († 1035) (AASS, Juni, Bd. 1, 1867, S. 85). Drucke. Medulla Gestorum Treverensium. | e Clarlich berichtung des hochwirdigen heyltumbs e al⫽|ler stifftt und Closter inwendigdig[!] vnd bey der statt Tryer mit vilen anderen zu˚ gesatzten (des altten vnd | neuwen testamentzs) geschichten der selben statt/ [...]. 12 Holzschnitte. Seibrich, 1995, Nr. 35. In leicht veränderter Aufl. 1515 bei Hochfeder in Metz ein weiteres Mal erschienen. Seibrich, 1995, Nr. 36. ⫺ Epitome. alias. medulla Gestorum Trevi|rorum [...] in latinum | versa Fratre Joanne Scheckmanno traductore/ tribus libellis perfecta [...]. Metz: Kaspar Hochfeder für Matthias Han, 13. Juli 1517. Seibrich, 1995, Nr. 37. ⫺ Neuausg. der Textfassung von 1514 in nhd. Übers. v. P. J. A. Schmitz, 1848. ⫺ M. Embach / W. Schmid [Hgg.], Die Medulla d. Johann Enen. Ein Trierer Heiltumsdruck von 1514. Faksimileausgabe u. Kommentar, 2004. Literatur. J. N. v. Hontheim, Historia Trevirensis Diplomatica et Pragmatica, Bd. 2, 1750, S. 546 f., 552; F. X. Kraus, in: ADB 6, 1877, S. 111; H. Ries, in: NDB 4, 1959, S. 498 f.; M. Persch, in: BBKL 3, 1992, Sp. 345 f.; M. Embach, Die Rolle K. Maximilians I. (1459⫺1519) im Rahmen d. Trierer Heilig-Rock-Ausstellung v. 1512, Jb. f. westdt. Landesgesch. 21 (1995) 409⫺438; W. Seibrich, Die Heiltumsbücher d. Trierer Heiltumsfahrt d. J. 1512⫺1517, Arch. f. mittelrhein. Kirchengesch. 47 (1995) 127⫺147; A. Heinz, Die gedruckten liturgischen Bücher d. Trierischen Kirche, 1997, S. 8, 74⫺82, 88; W. Seibrich, Die Weihbischöfe d. Bistums Trier, 1998, S. 65⫺69; M. M¸ller, Die spätmal. Bistumsgesch.schreibung. Überlieferung u. Entwicklung (AKuG, Beih. 44), 1998, S. 430⫺434; H. K¸hne, Ostensio reliquiarum. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt u. Funktion d. Heiltumsweisungen im röm.-dt. Regnum (Arbeiten z. Kirchengesch. 75), 2000, S. 496⫺511.
Michael Embach
Engel (Angelus), Johannes I . L eb en . Die im GW und jetzt auch im VE 15 angesetzte Namensform Angeli statt Angelus ist nicht autori-
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Engel, Johannes
siert. Vgl. u. a. die Praefatio des ‘Almanach novum atque correctum’, 1510: [...] Preterea ego Joannes Angelus cum magistro Andrea Stiborio [...]. Überwiegend nennt E. sich, häufig genug auch in seinen lat. Schriften, mit der primären dt. Namensform. ⫺ Irrige, noch in der jüngeren Forschung wiederkehrende Daten der Biographie wurden 1994 von Schˆner korrigiert.
E., nach eigener Angabe gebürtig aus Aichach, immatrikulierte sich zum Studium der Artes im WS 1468/69 an der Univ. Wien (Johannes Engl de Aicha), wurde im Jan. 1471 dort Baccalaureus, wechselte am 29. Aug. 1472 aber nach Ingolstadt (Johannes Engel de Eichach), wo er im Jan. 1474 den Grad des Magisters erwarb. Er lehrte anschließend in der Artistenfakultät, wurde ins Konzil der Fakultät allerdings erst spät, 1480, aufgenommen. 1475 trat er einer von dem Magister Ulrich Ranpeck initiierten communitas bei, deren Ziel es war, gegen Honorar Unterricht in den humanistischen Fächern anzubieten. Das mit Genehmigung der Universität begonnene, in einem privat angemieteten Haus betriebene Unternehmen scheiterte jedoch schon nach einem Jahr und hinterließ E. nur Schulden und mancherlei Streitigkeiten (vgl. Schˆner, 1994, S. 466−473). E.s Beteiligung an dem kurzlebigen Projekt läßt ein frühes humanistisches Interesse erkennen, das in Ingolstadt am ehesten Martin D Prenninger, tätig dort bis zum WS 1475/ 76, hatte vermitteln können.
1479 schrieb E. sich als Scholar in der medizinischen Fakultät ein. Wohl erst in Verbindung mit der Medizin hat er sich der Mathematik und – vermutlich anknüpfend an Erhard D Windsberger – der Astrologie zugewandt. Als Astrologe wurde er in seiner Zeit ein Mann von Ruf. Erneute finanzielle Schwierigkeiten veranlaßten ihn im Juni 1484, Ingolstadt zu verlassen. Von seinen Aufenthaltsorten und seinen Tätigkeiten in den Jahren bis 1488 weiß man nichts. 1488/89⫺1491 arbeitete er als Korrektor großer astronomischer und astrologischer Werke bei Erhard Ratdolt in Augsburg, der in dieser Zeit auch eigene Werke E.s, das ‘Astrolabium planum in tabulis’ und mehrere Almanache, druckte. Empfohlen durch die Leistungen der Augsburger Jahre erhielt E. 1492 den Ruf auf die Ingolstädter Mathematiklektur als Nachfolger von Friedrich Weiß. Er setzte nun
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auch das 1484 abgebrochene Medizinstudium fort und wurde 1497 (vgl. Schˆner, S. 227) zum Dr. med. promoviert. Bei der Ingolstädter Pest im Sommer 1495 blieb er in der Stadt, um mit seinen medizinischen Kenntnissen helfen zu können; der Ingolstädter Rat honorierte den ungewöhnlichen Einsatz. Kontakt mit Konrad J Celtis und seinem Kreis hat E. in Ingolstadt anscheinend erst spät gefunden; die frühesten Hinweise darauf datieren von 1497 (Celtis-Br., S. 263, 266, dazu Nr. 191). Bald nach seiner medizinischen Promotion verließ er ⫺ inzwischen verheiratet ⫺ Ingolstadt, um sich in Krems als Arzt niederzulassen. Später, zu einem nicht belegten Zeitpunkt, aber wohl nicht lange nach 1500, zog er nach Wien, dem für den Astrologen und Mathematiker damals attraktivsten Ort. Offenbar erst hier trieb er, auch in Zusammenarbeit mit Andreas J Stiborius, eigene astronomische Forschungen (s. u. II.E.). Georg J Tannstetter rückte ihn posthum mit einer bio-bibliographischen Würdigung in die ruhmreiche Reihe der Viri mathematici der Wiener Universität (‘Tabulae Eclypsium Magistri Georgij Peurbachij’, 1514, Bl. [aa6]r), und auch Thomas J Resch (ebd., [aa6]v) und Stiborius (ebd., [aa8]v) zählten ihn zu Wiens mathematici nobiles. E. starb nach Tannstetters Angabe in Wien am 29. Sept. 1512. Ein Autograph E.s, ein Pfandschein von 1483 über fünf medizinische Bücher, ist erhalten in München, Archiv der Ludwig-Maximilians-Univ., O V 1, 34r; Abdruck: Mal. Bibl. Kat., Bd. 3, S. 232.
I I. We rk . E. verfaßte Almanache und Praktiken in beträchtlicher Zahl, andere astrologische Schriften und einen Pesttraktat. Als seine besondere Leistung wertete Tannstetter in den ‘Viri mathematici’ die Emendation von Werken anderer und von astronomischen Tafeln. Er führt auch einen ‘Libellus de correctione Calendarii’ E.s an, der indes sonst nicht nachweisbar ist. Unvollendet blieb eine Vervollständigung der ‘Tabulae aequationum motuum planetarum’ D Peuerbachs, an der E. nach Tannstetter bis zu seinem Tode gearbeitet hatte; auch von ihr ist nichts erhalten. Die ‘Ephemeri-
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Engel, Johannes
des coelestium motuum ab anno 1494 usque ad annum 1500’, zuerst genannt von C. F. M. Dechales, Cursus seu mundus mathematicus, Lyon 21690, Bd. 1, S. 88, sind ebenfalls nicht nachweisbar, wahrscheinlich nur leichtfertiges Konstrukt eines Gelehrten (Knobloch, S. 135 f.). A. Kor re kt or. Der Augsburger Drucker Erhard Ratdolt, mit dem E. seit 1488 zusammen arbeitete, brachte 1489⫺91 vier Ausgaben prominenter Werke der Astronomie und Astrologie heraus, als deren Korrektor die Kolophone E. in stets gleichlautender respektvoller Form nennen: 1. Abu Ma¤sˇar, Albumasar de magnis coniunctio-|nibus: annorum reuolutionibus: ac | eorum profectionibus: octo conti-|nens tractatus. Augsburg: E. Ratdolt, 31. März 1489. GW 836. 2. Pierre d’Ailly, Concordantia astronomie cum theologia | Concordantia astronomie cum hystorica | narratione. Et elucidarium duorum pre-|cedentium: domini Petri de Aliaco car|dinalis Cameracensis. Augsburg: E. Ratdolt, 2. Jan. 1490. Hain 834.
3. Tabule directionum prefectionumque | famosissimi viri Magistri Joannis | Germani de Regiomonte in nati-|uitatibus multum vtiles. Augsburg: E. Ratdolt, 2. Jan 1490. Hain 13801. 4. Guido bonatus de forliuio. Decem | continens tractatus Astronomie. Augsburg: E. Ratdolt, 26. März 1491. GW 4643. Ratdolt stellte dem umfangreichen Werk nachträglich ein im Juni 1491 abgeschlossenes Registrum voran; dazu J Canter (II.D.4.).
Es handelt sich bei allen vier um Erstdrucke. Ob Ratdolt oder E. ihr Anreger war und wer von ihnen über die hsl.en Vorlagen verfügte, ist nicht geklärt. Die Drucke selbst, die ohne jedes Beiwerk erschienen, schweigen sich aus, und so läßt sich auch ein eigentlicher Hg. nicht bestimmen. E.s und Ratdolts Interessen konsonierten; Ratdolt hatte schon in seiner Venediger Zeit (1476⫺86) als engagierter Verleger astronomisch-astrologischer Werke einen Namen. B . A lm an ac he un d P ra kt ik en . E. erstellte seit 1483/84 Almanache, meist, wie auch andere Almanachschreiber, deutsche und lateinische zugleich. Die
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Almanache erschienen, ausgenommen die beiden “neuen” von 1510 und 1512, sämtlich als Einblattdrucke. Vermutlich hat E. regelmäßiger, als es noch die naturgemäß besonders schüttere Überlieferung belegt, Almanache verfaßt. E.s Almanache sind geprägt durch die Verbindung von Astrologie und praktischer Medizin. So enthält schon der erste, der Bamberger Almanach auf 1484, nach knappen komputistischen Angaben (Ostertermin etc.) und einer Tafel der Neu- und Vollmonde als Hauptstück die Kalender für Purgation und Aderlaß. Im Augsburger Almanach von 1489 (s. u. Nr. 6) tritt mit gleichem Gewicht die metereologische Prognostik hinzu; der Aderlaßkalender ist stets zugleich Wetterkalender. Die ausschließlich dt. Praktiken, insgesamt wiederum astrologische Prognostiken, erschienen stets als Hefte. In ihren astronomischen Grundlagen stützen sich E.s Almanache und Praktiken weitgehend auf D Regiomontans ‘Ephemerides’, die ihrerseits auf den Alfonsischen Tafeln basieren (Zinner, 1968, S. 227). Das gilt auch noch für die Wiener Einblattdrucke von 1512 und 1513 (Drobrzycki/ Kremer, S. 190 f. u. S. 229 Anm. 8). Gänzlich neu geschaffen, den früheren insgesamt unvergleichlich sind die “neuen” Almanache von 1510 und 1512 (s. u. II.E.). Drucke. Almanache: 1. Almanach auf das Jahr 1484, dt. Bamberg: [Typen v. Joh. Sensenschmidt]. GW 1892. VE 15, A-496 u. 497 (Preßvariante). Faksimile: Heitz/ Haebler, Nr. 43 (A-496) u. K. Sudhoff, Graph. u. typograph. Erstlinge d. Syphilislit. aus d. J. 1495 u. 1496, 1912, Taf. II (A-497). Die Angabe Das von einem maister zu Ingolstadt am Ende des anonymen Druckes wird in der Forschung einhellig auf E. bezogen. 2. Almanach auf das Jahr 1488, dt. [Nürnberg: Marx Ayrer]. GW 1892/20. Zuschreibung des nur in einem Fragment erhaltenen Blattes an E. wegen signifikanter Übereinstimmungen mit GW 1893. VE 15, A-498. 3. Almanach auf das Jahr 1488, lat. Nürnberg: [Marx Ayrer]. GW 1893. VE 15, A-499. 4. Almanach auf das Jahr 1489, dt. Augsburg: E. Ratdolt. GW 1894. VE 15, A-500. 5. Almanach auf das Jahr 1489, dt. Augsburg: E. Ratdolt. GW 1895. VE 15, A-501.
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Engel, Johannes
6. Almanach auf das Jahr 1489. lat. Augsburg: E. Ratdolt. GW 1896. VE 15, A-502. 7. Almanach auf das Jahr 1489, dt. Heidelberg: Friedr. Misch. GW 1897. VE 15, A-503. 8. Almanach auf das Jahr 1489, lat. Heidelberg: F. Misch. GW 1898. VE 15, A-504. Faksimile: Heitz/Haebler, Nr. 62. 9. Almanach auf das Jahr 1490, dt. Augsburg: E. Ratdolt. GW 1899. VE 15, A-505. 10. Almanach auf das Jahr 1490, lat. Augsburg: E. Ratdolt. GW 1439 u. Anm. bei GW 1899: Zuweisung an E. wegen Übereinstimmung mit GW 1899. VE 15, A-506. 11. Almanach auf das Jahr 1512, lat. Wien: Joh. Winterburg. Seethaler, S. 748. 12. Almanach auf das Jahr 1513, lat. Wien: Joh. Winterburg. Seethaler, S. 749. Praktiken: 1. Practica maister eng|els von haidelberg [...], ohne Jahresangabe. [Straßburg: Joh. Grüninger (?)]. GW 1902. 2. Die dewtsch practick maister | Hannß Engel auff das Jar | lxxxviij. mit dem gewiter vor | nie in solcher gestalt gepracticiert. Nürnberg: Marx Ayrer. GW 1903. Faksimile: G. Hellmann, Neudrucke v. Schr. u. Karten über Meteorologie u. Erdmagnetismus, 1899, Nr. 12. 3. Dise Practica hat gemacht Mayster Johannes Engel in der löblichen Universitet Ingelstat auf das Jar M.CCCC Lxxxxvi. Jar. [Ingolstadt (?)]. GW 1903a. Nicht mehr nachweisbar. 4. Praktik auf das Jahr ?, dt. [Ingolstadt: G. Würffel u. Marx Ayrer, 1496/97]. GW 1901/10. Zuweisung an Joh. Zainer in Ulm, um 1489: P. Amelung, Gutenberg-Jb. 1982, S. 211⫺219; dazu G. Stalla, ebd. 1994, S. 83. 5. Practica Magistri Johannis | Engel zu Ingelstat. Ingolstadt: G. Würfel u. Marx Ayrer. GW 1904. Am Ende: [...] Auff das XCvij Jare.
C . ‘ As tr ol ab iu m p la nu m i n t ab ul is ’. E.s astrologisches Hauptwerk, das sich nach seinem Titel als ‘in astronomische Tafeln umgesetztes Astrolabium’ versteht, umfaßt vier Teile, von denen aber im wesentlichen nur der 1. und der 4. ihm selbst gehören: Der 1. Teil enthält für jedes der acht Klimata (antik-mal. Breitenzonen der Erde) Tafeln zur Berechnung des Aszendenten der Tierkreiszeichen in jeder Stunde und Minute sowie Tafeln der Gleichungen der Himmelshäuser, der 2. die ‘Imagines’ des Petrus von Abano, die Abbildungen der 36 Dekane und 360 Bilder
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der personifizierten Grade des Tierkreises samt zugehörigen prognostischen Beischriften, der 3. Tafeln zur Berechnung des Zeitpunkts der Konzeption und der Geburt, v. a. umfangreiche Auszüge aus der ‘Mathesis’ des Iulius Firmicus Maternus über die Nativitäten (3, 2⫺14; 4, 2⫺16, 19; 5, 1.2; Knobloch, S. 137), der 4. Tafeln der ungleich langen Tag- und Nachtstunden für jede Klimazone. Der zentrale Teil ist der 2. mit seinen 360 Prognosen gemäß dem Einfluß des zum Zeitpunkt der Geburt aufsteigenden Aszendenten. Allerdings hatte Petrus von Abano ihn für die sechste Klimazone, in der Padua liegt, angelegt. Mit Hilfe von E.s Tafeln werden die ‘Imagines’ aber auch für andere Klimazonen anwendbar. Der 2. Teil mit seinen holzgeschnittenen Bildern und den Beischriften wurde die Vorlage der Abbildungen von Abanos ‘Imagines’ in zahlreichen Hss., darunter dem ‘Heidelberger Schicksalsbuch’ (Schˆner, S. 225 Anm. 8; Haage, 1981). Drucke. 1. Astrolabium planum in tabulis Ascendens | continens qualibet hora et minuto. Equa-|tiones domorum celi [...]. Augsburg: Erh. Ratdolt, 5. Okt. 1488. GW 1900. 2. Astrolabium planum in tabulis ascen|dens [...]. Venedig: Joh. Emerich, 9. Juni 1494. GW 1901. Weitere Drucke Venedig 1502 u. 1512. IA, Bd. 4, S. 577 f. Engl. Übers. v. R. Turner: Esoptron Astrologikon. Astrological Opticks wherin are represented the faces of every Signe, with the images of each degree in the Zodiack [...] Compiled at Venice by [...] Joh. Regiomontanus and Joh. Angelus [...]. London 1655. BL, General Catalogue of Printed Books to 1975, Bd. 94, London 1981, S. 458.
D . P es tt ra kt at . Der erst posthum gedruckte Traktat ist in E.s Wiener Zeit (Bl. B iijr: hie zu˚ Wien) entstanden, nicht vor 1509, da E. von den in deutschen Regionen seit 1494 aufgetretenen Epidemien, die er mit Angabe des Jahres nennt (Bl. A iijr), als jüngste eine von 1509 anführt. Er gliedert sich in drei Teile: 1. Ursachen der Pest und Vorkehrungen gegen sie, 2. Symptomatik und Diagnostik, 3. Therapie und Medikation. E., der sich im ersten Teil erneut als astrologischer Mediziner bekennt, stützt sich, wie schon der Werktitel versichert, auf die Leh-
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Engel, Johannes
ren anderer, hauptsächlich wohl auf den häufig genannten Avicenna, doch pocht er auch auf eigene Beobachtung und Erfahrung (Bl. a ijv u. ö.) und empfiehlt unter den Arzneien ein von ihm hergestelltes Wasser. Druck. Tractat von der Pe|stilentz Joanni Engel/ der Freyen künsten | vnd artzney Doctor/ auss der leer der | Doctorn der artzney vnd Astro⫽| nomey gezogen. Augsburg: [Sigm. Grimm u. Marx Wirsung], 4. Nov. 1518. VD 16, E 1198.
E . ‘ Al ma na ch no vu m’. Unter dem Titel ‘Almanach novum atque correctum’ ließ E. für das Jahr 1510 einen Almanach erscheinen, der sich von den Almanachen der Einblattdrucke von Grund auf unterscheidet. Er enthält eine programmatische Praefatio, als Hauptstück die vollständigen Ephemeriden für 1510 und, im Anhang, den ‘Canon’ (Anleitung) aus Regiomontans ‘Ephemerides’ (gedr. zuerst 1474) sowie den Abriß von Regeln der astrologischen Prognostikation, den Ratdolt 1484 seinem Druck von Regiomontans ‘Ephemerides’ beigegeben hatte. In der Praefatio äußert E. erstmals Kritik an der Tauglichkeit der Alfonsinischen und Bianchinischen Tafeln, deren Mängel, angeblich schon von Peuerbach und Regiomontan moniert, er selber zusammen mit Stiborius und einigen anderen mathematici bei Beobachtungen auf dem Turm des Wiener Collegium ducale festgestellt habe. Daher habe er im Anschluß an Vorgaben Peuerbachs und Regiomontans aufgrund eigener Beobachtung und Berechung neue Planetentafeln erstellt, deren Positionsbestimmungen von den Alfonsinischen bis zu 3° differierten. E.s Verabschiedung der alfonsinischen Tradition blieb nicht ohne Widerspruch. Der schon im Dez. 1511 veröffentlichten Kritik des Krakauer Astronomen Stanislaus (Aurifaber) trat er in der Praefatio des ‘Alamanach novum et correctum’ für 1512 mit ausgreifender Polemik entgegen. E.s neue Planetentafeln, die seinen Ephemeriden zugrundeliegen, sind verschollen. Dobrzycki/Kremer haben eine aus den Ephemeriden (für 1510 und 1512) und den
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Beispielen, die E. in den beiden Vorreden mitteilt, gewonnene Rekonstruktion vorgestellt. Betont sei, daß dem Astrologen E. an einer exakten Berechnung der Planetenbewegungen um der Prognostik willen gelegen war, nicht an der Entwicklung mathematisch-astronomischer Methoden für sich. Drucke. 1. Almanach nouum atque correctum | per Joannem angelum artium | et medicine doctorem pe⫽|ritissimum ex proprijs ta⫽|bulis calculatum | super Anno | domini | 1510. [...]. Wien: Joh. Winterburg, [1509]. VD 16, E 1196. – Ausgabe der Praefatio: Dobrzycki/Kremer, S. 213⫺ 216 (mit engl. Übers.). 2. Almanach nouum atque correctum | [...] | 1512. Wien: Joh. Winterburg, 1512. VD 16, E 1197. – Ausgabe der Praefatio: Dobrzycki/Kremer, S. 216⫺225 (mit engl. Übers.). Literatur. S. Seemiller, De vita et scriptis Iohannis Angeli Aichachensis Boii, Ingolstadt 1791; A. M. Kobolt, Baierisches Gelehrten-Lexikon, Landshut 1796, S. 45; P. Heitz / K. Haebler (Hgg.), Hundert Kalender-Inkunabeln, 1905; K. Sudhoff, Laßtafelkunst in Drucken d. 15. Jh.s, Arch. f. Gesch. d. Medizin 1 (1907) 219⫺288, hier S. 253 f., 260, 287; E. Wickersheimer, Note sur J. E. (Angeli) d’Aichach, astrologue et me´dicin, mort a` Vienne 1512, in: Fs. Max Neuburger, 1928, S. 319⫺322; E. Zinner, Leben u. Wirken d. Joh. Müller gen. Regiomontanus, 21968, S. 43 f., 226⫺ 228; Zinner, Astronom. Lit., S. 19, 46, 48, 60, 65 u. ö. (Reg.); B. Haage, Dekane u. Paranatellonta des ‘Astrolabium planum’ in einem Nürnberger Fragment, AKuG 60 (1978) 121⫺140, hier S. 134⫺ 138; Das Heidelberger Schicksalbuch. Faksimile d. ‘Astrolabium planum’ in frühnhd. Übertragung aus CPG 832 d. UB Heidelberg. Kommentarbd. v. B. Haage, 1981, S. 11 f., 31, 34, 50, 63, 107; J. Seethaler, Das Wiener Kalenderwesen v. d. Anfängen bis z. Ende d. 17. Jh.s, Diss. (masch.) Wien 1982; Grˆssing, Naturwiss., S. 189 f.; E. Knobloch, Astrologie als astronomische Ingenieurkunst d. HochMAs. Zum Leben u. Wirken d. Iatromathematikers u. Astronomen J. E., Sudhoffs Archiv 67 (1983) 129⫺144; L. Liess, Gesch. d. medizin. Fakultät in Ingolstadt, 1984, S. 185 f.; H. Grˆssing, Angelus, J., Arch. d. Gesch. d. Naturwiss. 16 (1986) 789⫺792; Schˆner, Ingolstadt, S. 191 f., 195⫺202, 223⫺232, 466⫺473, 495 f. u. ö.; J. Dobrzycki / R. L. Kremer, Peurbach and Mara¯gha Astronomy? The Ephemerides of J. Angelus and their Implications, Journal for the History of Astronomy 27 (1996) 187⫺237; J. Schˆner, in: Biogr. Lex. LMU, S. 99 f.; VE 15 ⫽ F. Eisermann,
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Engelbrecht, Philipp
Verz. d. typograph. Einblattdrucke d. 15. Jh.s im Hl. Röm. Reich Dt. Nation, Bd. 2: Kat. A⫺I, 2004.
F. J. Worstbrock
Engelbrecht (Engentinus), Philipp I . L eb en . Die wichtigsten biographischen Quellen sind die Matrikeln und die Briefsammlungen (s. u. II E.). Die Einträge in den Senatsprotokollen der Univ. Freiburg werden zitiert von Schreiber u. Hagenmaier. Vgl. ferner Flamm.
E. stammt aus Stadt Engen im Hegau (als Pfand von Österreich im Besitz der Grafen von Lupfen), nach der er sich seit 1511 Engentinus zubenannte. Im Sommer 1508 immatrikulierte er sich in Leipzig, im Winter 1508/09 in Wittenberg. Er dürfte demnach um 1492/93 geboren sein. Sein älterer Bruder Anton (1485⫺1556) hat 1503 und 1504 dieselben Universitäten besucht; er hat auch später, als Basler Dr. theol. (1520) und Erasmianer, Speyerer Weihbischof und Straßburger Pfarrer ein Wanderer zwischen den entstehenden Konfessionen, in E.s Vita eine wichtige Rolle gespielt. In Wittenberg, wo E. am 6. Okt. 1510 zum Baccalaureus artium und am 10. Febr. 1512 zum Magister artium promoviert wurde, prägten ihn die Jahre des humanistischen Aufbruchs. Sein wichtigster Lehrer wurde Georg J Sibutus, er lernte Richardus J Sbrulius, Christoph J Scheurl, Martin Luther (der 1508/09 in der Artistenfakultät Moralphilosophie und ab 1511 in der theol. Fakultät lehrte), Georg J Spalatin und Otto J Beckmann kennen sowie J Hutten, zu dessen ‘Ars versificandi’ er 1510/11 als Hutteni coniuratus das Empfehlungsgedicht auf dem Titelblatt beisteuerte (s. u. II.B.1.); es ist sein erster literarischer Auftritt. In den J ‘Epistolae obscurorum virorum’ (II 9, verfaßt v. Hutten [1517]) figurieren Sibutus, Balthasar Vach (Phachus) und E. als die Vertreter des Humanismus in Sachsen. 1513/ 14 verfaßte E. eine Beschreibung der Torgauer Hochzeit Hzg. Johanns (des Beständigen), deren Druck er 1514 überreichte, trotz der Vermittlung des Grafen Georg
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von Lupfen unbedankt. E. suchte nun eine Wirkungsstätte am Oberrhein. Am 31. Okt. 1514 an der Univ. Freiburg immatrikuliert, gewann er die besondere Wertschätzung des Ulrich J Zasius und der Zasius-Schüler Johannes Zwick, Thomas Blarer und Bonifacius Amerbach; letzterer wurde der Pate eines früh verstorbenen Kindes E.s. Im Febr./März 1515 verfaßte E. die ‘Friburgica’, die er Rektor und Senat der Universität widmete im Blick auf eine Anstellung als poetices lector ordinarius; der bisherige Lector, Dr. Kaspar Baldung, strebte ganz in die Juristenfakultät. Bevor E. diese Stelle Ende 1516 erhielt, arbeitete er in der Basler Druckerei Frobens. Dort wurde er bekannt mit J Erasmus, Beatus J Rhenanus, Claudius Cantiuncula und Wolfgang Capito. Der Stadtrat, der 1514 eine Büste des neuen Stadtpatrons Lambert hatte anfertigen lassen, beauftragte E. 1518/19, eine poetische Lambertus-Vita zu verfassen. Während der Pestflucht der Univ. Freiburg 1519/20 lebte E. 10 Monate lang als Gast im Konstanzer Haus des Johannes Fabri, wo er mit Michael J Hummelberg und J Vadian in Kontakt trat und u. a. mit Johannes Alexander Brassicanus und Urbanus Rhegius verkehrte, die Maximilian I. 1517 bzw. 1518 zu Poetae laureati erhoben hatte. 1521 begab sich E. zum Wormser Reichstag Karls V. pro laurea consequenda; daß er den Lorbeer erlangt hat, ist unwahrscheinlich, da er nachher zwar einmal als poeta laureatus bezeichnet wird (s. u. II. B.8.), aber selber den Titel nicht geführt hat. Bereits damals scheint E. ein Freiburger Haus zumindest teilweise besessen zu haben, denn am Rand des Wormser Reichstags entstand das anonyme satirische Humanistendrama ‘Poeta domum emit’ ([Worms: P. Schöffer d. J., 1521]; VD 16, E 1221). Darin verurteilt ein Poetengericht E., sein Haus wieder zu verkaufen und den Erlös nach Poetenart zu verprassen. Trotz des auch von der Universität verkündeten Wormser Edikts trat E. offen für Luther und die Verbreitung seiner Schriften ein, u. a. in seiner Vergil-Vorlesung im Sommer 1521. Die Universität rügte ihn pflichtgemäß, aber massiven
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Engelbrecht, Philipp
Druck übte, seit 1524, der streng altgläubige Stadtrat aus wegen E.s Verbindungen zu den Straßburger Evangelischen. Gleichzeitig gingen Freunde wie Zasius andere Wege. E., oft krank, starb vor dem 12. Sept. 1528 auf dem Operationstisch eines Straßburger Chirurgen. Den Schriften lassen sich Hinweise auf Vorlesungen E.s über Cicero (wohl ‘De officiis’, 1516/17), Vergil (1521), Horaz, Valerius Flaccus (vor 1525) und Persius (1525) entnehmen. Die Persius-Erklärungen wurden 1578 von Johann Thomas Freigius aus den nachgelassenen Mitschriften seines Vaters Nikolaus, eines Hörers E.s, veröffentlicht. Johannes Molitorius, ein Schüler E.s, verfaßte 1522 unter dem Einfluß der ‘Friburgica’ seines Lehrers ein Stadtgedicht auf Esslingen (‘Esselingae Encomion’). I I. We rk e. Das literarische und philologische Schaffen E.s umfaßt (A.) die von ihm selbst zum Druck gebrachten eigenständigen poetischen Werke aus der kurzen Spanne 1514⫺19 sowie (B.) die poetischen Beigaben zu Editionen oder Werken befreundeter Humanisten 1511⫺28, (C.) ungedruckte Gedichte, darunter das Fragment einer verlorenen hsl. Odensammlung in mehreren Büchern, (D.) die z. T. erst postum aus hsl. Hinterlassenschaft veröffentlichten philologischen Arbeiten und (E.) Briefe. A . Eigenständige poetische Werke. Mit seinen ersten beiden Werken, der Beschreibung eines höfischen Festes und einem Stadtgedicht, wandelt E. zunächst in den Spuren seines Lehrers Sibutus. Dieser hatte über Wittenberg gedichtet (‘Silvula in Alborim illustratam’, 1506) und darüber unterrichtet und 1511 das festliche Wittenberger Turnier von 1508 in Hexametern gefeiert; dieses Werk durfte E., obschon noch Student, neben Doktoren und Magistern mit Versen begleiten (s. u. B.2.). E.s ‘Epithalamium’ (1.), als poetische Festbeschreibung (1400 elegische vv.) im deutschen Humanismus ein frühes Specimen und vom Adressaten weder in Auftrag ge-
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geben noch gewürdigt, preist die Fürstenhäuser der Brautleute und schildert alle Stationen des Festes, besonders ausführlich Mahl und Turnier und das mit mythologischen Malereien Cranachs geschmückte Brautbett. Das Lobgedicht auf die Stadt Freiburg (2.), formal eine poetische Epistel, weist Bezüge zu J Buschius’ ‘Lipsica’ und Sibutus’ ‘Silvula’ auf, doch E. wählt wiederum anstatt des heroischen das elegische Versmaß (430 vv.). Spezifische Höhepunkte bilden die Schilderungen des Münsters, des vereitelten Bundschuherüberfalls von 1513 und der Universität; ihr sind die Drucke a) und b) gewidmet. c) ist hingegen der Stadt gewidmet und der versifizierten Lambertus-Vita (4.; 714 Hex.) angefügt, die E. im Auftrag des Rates verfaßte. Lambert, dessen durch Rudolf von Zähringen 1191 nach Freiburg verbrachte Kopfreliquie im 14. Jh. in den Besitz der Stadt gelangt war, wurde in E.s Vita erstmals ausdrücklich zum Stadtpatron erklärt, womit die Stadt Freiburg ihren Platz in der aktuellen habsburgischen Zähringermemoria definierte. Drucke. 1. Illustrissimi Principis Ioannis | Ducis Saxoniae [...] Et [...] Margaritae Principis de | Anhalt [...] | Epithalamium a Philippo Engelbrecht Engentino | concinnatum [...]. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, 1514. VD 16, E 1220. 2.a) Friburgica | Philippi Engelbrecht | Engentini: florentissime˛ urbis Fri|burgi apud Brisgoicos/ | descriptionem complectens, | ad Hieronymum | Huszer Plu⫽|denti⫽|num. | [...]. [Straßburg]: Joh. Schott, 1515. VD 16, E 1219. Empfehlende Verse des Johannes Zwick. Widmung an Rektor und Senat der Univ. Freiburg (Freiburg, 7. März 1515). Das Exemplar, das E. dem Kaspar Baldung dedizierte (Freiburg, UB, H 4542,ka), zeigt hsl. Korrekturen E.s, beginnend mit dem Titel: Friburgica ist ersetzt durch Epistola (falsarius mutavit turpiter). In den Widmungsbriefen von b) und c) nennt E. das Werk gleichwohl haec mea Friburgica bzw. Friburgica mea (n. pl.), am Ende von c) heißt es Friburgicorum finis. b) Philippi Engelbrechti En-|gentini Epistola, florentissimae Vrbis | Friburgi, apud Brisgoicos, descriptio-|nem complectens, Ad hieronymum | Husaerum Pludentinum, [...] iam denuo a mendis uindicata [...]. Basel: [Joh. Froben], 1. Aug. 1515. VD 16, E 1218. Empfehlende Verse des Joh. Zwick (wie a). Veränderte Widmung an Rektor und Senat der Univ. Freiburg, Basel, 1. Aug. 1515; E. kritisiert darin den Druck
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Engelbrecht, Philipp
Schotts heftig, weil er durch Fehler entstellt sei, wie übrigens auch den Wittenberger Druck des ‘Epithalamium’ (s. o. 1.). 38 Marginalien zum poetischen Text nennen die Loci des Stadtlobs. c) s. u. 4. 3. Ad illustrissimum | principem Philippum | Comitem Palatinum Rheni [...] carmen paraeneticum [...]. Basel: [Joh. Froben], April 1517. VD 16, E 1215. [a]v–aijv: Widmungsbrief (15. März 1517); E. empfiehlt dem 13jähr. Philipp von Bayern – einem jüngeren Bruder Ottheinrichs –, der in Freiburg studiert und E.s Cicero-Vorlesung hört, die Hingabe an die Musen, die auch einem Fürsten sehr wohl zieme. a iijr–c ijr: ‘Carmen paraeneticum’ (306 Hex.). Bl. [c2]v–[c4]r: ‘Elegiacum’ des Bartholomaeus [Latomus] Arlunensis. 4. Divi Lam|berti episcopi Tra-|iectensis, Martyris & magni | apud Friburgenses Brisgoi|cos Patroni uita [...] Epistola ad Hierony|mum Husaerum Pludentinum | quae Friburgum summa-|tim complectitur [...]. Basel: Joh. Froben, April 1519. VD 16, E 1216. Bl. [A]v–A 2v: Widmungsbrief an Bürgermeister und Rat der Stadt Freiburg, Febr. 1519; E. würdigt die forcierte Sorge des Rates für die Verehrung des Freiburger Stadtpatrons Lambert von Maastricht; ihr ist der Auftrag für die poetische Beschreibung der Vita entsprungen. Bl. A 3r–Er (S. 5⫺33): Vita (714 Hex.). Bl. E r–F3v (S. 33⫺36): ‘Friburgica’ ohne Widmung an Rektor und Senat. Bl. [F4]r–v: Ode (2. asklepiad. Str.) auf die Rückkehr des Hieronymus Bappius. Ausgabe der ‘Friburgica’. J. Neff, Helius Eobanus Hessus, Noriberga illustrata u. andere Städtegedichte (Lat. Litt.denkmäler d. XV. u. XVI. Jh.s 12), 1896, S. XXII⫺XXV (Lesarten), XXXIX f. (Erläuterungen), 55⫺72 (Text). B. Poetische Beigaben. 1. Vlrici Hutteni de Arte Versificandi | Liber unus [...] Philippus Engelbrechtus | Hutteni coniuratus ad Lectorem [...] (6 Dist.). Leipzig: Wolfg. Stöckel, [1511]. VD 16, H 6285. Gedruckt in Hutten, Opera, Bd. 1, S. 15 f. 2. Friderici & Joannis [...] Saxoniae principum | torniamenta per Georgium Sibutum [...] decantata. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, 1511. VD 16, S 6270. Bl. [A4]r: Philippus Engentinus in commentationem Prothomachiae (5 Dist.). 3. D. Dionysii Areo|pagitae De mystica Theo| logia lib. 1 | Graece [...] Joan. Eckius Commentarios adiecit [...]. Augsburg: Joh. Miller, 1519. VD 16, D 1854. Bl. [F7]v–[F8]r: 16 Hendecasyllaba E.s. Abdruck bei Th. Wiedemann, Dr. Johann Eck, 1865, S. 499 f. 4. Topica | Claudii Cantiuncule [...]. Basel: Andr. Cratander, Juni 1520. VD 16, C 2042. Titelbl.v: 10 Dist. – Ein weiterer Druck: Basel 1545. VD 16, C 2043.
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5. Declama-|tiones diuine de humane | vite miseria. D. Joan. | Fabro [...] authore. Augsburg: Joh. Miller, Aug. 1520. VD 16, F 199. Bl. iiijv–[v]r (18 Dist.). 6. [...] Stra-|bonis geographicorum commentarios [...] a Conrado Heresbachio [...] | recognitos. Basel: Val. Curio, März 1523. VD 16, S 9346. Bl. [1]v (8 Dist.). 7. Demosthe|nis Olynthiaca | prima in Lati| nam linguam | versa, a | Phil. Mel. Hagenau: Joh. Setzer, 1524. VD 16, D 524. Titelbl.v (5 Dist.). – Weitere Drucke in den Ausgaben von Übersetzungen aller drei olynthischen Reden ebd. 1524, Basel 1538 u. Frankfurt a. M. 1547 (VD 16, D 532⫺534) und in den fünfteiligen lat. Opera omnia, hg. v. Hier. Wolf, Basel 1549 (VD 16, D 487), hier T. IV, S. [2]. 8. Divi Clemen⫽|tis recognitionum libri | X ad Iacobum fratrem | Domini, Rufino Tora|no Aquileiense | interprete [...], hg. v. Joh. Sichardus. Basel: Joh. Bebel, 1526. VD 16, C 4076. Bl. [a4]v: Philippus Engentinus poeta laureatus [!] in aeditionem D. Clementis (8 Dist.). – Dass. ebd. 1536. VD 16, C 4077. Bl [a8]v. 9. Officia | Ciceronis [...] cum scho|liis Phil. Melan. Quae | possint esse uice prolixi commentarij [...]. Hagenau: Joh. Setzer, 1525. VD 16, C 3180. Titelbl.v (11 Dist.). – Weitere Drucke: ebd. 1526 u. 1532. VD 16, ZV 3455 u. 3457. 10. D. Erasmi | Roterodami, De co|pia verborum ac Rerum [...]. Hagenau: Joh. Setzer, 1528. VD 16, E 2669. Bl. [8]v (4 Dist.). – Weitere Drucke VD 16, E 2674⫺2685, 2688, 2690⫺2703. C. Ungedruckte Gedichte, u. a. Odenbücher (verloren). 1. Basel, UB, Ms. Ki. Ar. 25a, Nr. 34 ist ein an Wolfgang Capito als Brief versandtes Blatt, das ausschließlich von E.s eigener Hand die Kopie einer seiner Oden enthält: Ex primo libro carminum philippi Engentini. Ad vuolfgangum fabricium Capitonem libertatem esse rem incomparabilem Ode IIII. Inc.: Cum me tu, Capito, mones. Es handelt sich um neunmal vier Zeilen in der vierten asklepiadeischen Strophe. E. weist die Aufforderung Capitos, das Römische Recht zu studieren, unter Hinweis auf die Entthronung der römischen Juristen durch die mal. Glossatoren und Kommentatoren zurück. – Dieser bruchstückhaften Überlieferung zufolge hat E. eine hsl. Sammlung von Oden angelegt, die sicher mehr als nur ein Buch umfaßte. 2. Basel, UB, Ms. G II 162, Bl. 209 (279): 6 Distichen E.s Bonifacio suo Amerbacchio compatri anläßlich des Todes des Söhnchens E.s. Undatiert. Inc.: Sustulit hinc nostrum crudelis Morta puellum (Regest: Amerbach-Korr., Bd. 2, S. 9). D. Philologische Arbeiten. 1. C. Vale|rii Flacci Argonau|ticoˆn libri octo, a` Philippo Engen⫽|tino emendati, et ad uetustißi|
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ma exemplaria recogni|ti adiectis praeterea | singulorum libro⫽|rum argumen⫽|tis per eun|dem. Straßburg: Joh. Knobloch, 1525. VD 16, V 125. Abdruck der Argumenta bei Neff, Teil 3, S. 11− 15.
2. In | Auli Flacci | Persii Satyras | Sex, | Quatuor praestantium virorum | Commentarij. | Valentini. | Volsci. | Engentini. | Foquelini. | Labore et studio Ioan. Thomae | Freigij [...] editi. Basel: Petrus Perna, [1578]. VD 16, ZV 12305. Weitere Ausgabe: Auli | Persii Flacci | Satyrae sex | [...]. ebd., 1582. VD 16, P 1629. Die Kommentare der vier Autoren werden in der im Titel genannten Reihenfolge jeweils einzelnen Abschnitten zugeordnet. E.s letzter Eintrag (Teil 1, S. 198) ist datiert: 1. Aug. 1525. Auszüge bei Neff, Teil 3, S. 8− 10.
3. Quincti | Horatii Flac⫽|ci Venusini [...] opera, | grammaticorum XL. [...] partim iustis commentariis, | partim succinctis annotationibus [...] in unum corpus collectis illustrata [...]. Basel: Seb. Henricpetri, 1580. VD 16, H 4874. E.s (undatierte) Kommentare beziehen sich auf die Oden I 1 (Sp. 14) bis II 17 (Sp. 499 f.) und bestehen überwiegend in den Argumenta. Auszüge bei Neff, Teil 3, S. 5−7.
E . B ri ef e. E. hat seinen Briefwechsel nicht gesammelt. Einzelne Stücke gibt es verstreut in den Briefwechseln seiner Korrespondenzpartner (Briefe von E. mit *, an E. ohne Stern), die aber mehr noch Nachrichten über ihn an Dritte mitteilen (kursiv): Bonifacius Amerbach: Amerbach-Korr., Bd. 2, Nr. *495, 531, 535, 717, 972; Bd. 3, Nr. *1167, 1169, 1288, 1289, 1306; s. o. *C.2. – Jacobus Bedrotus: Basel, UB, Ms. Frey-Grynaeus I 19, Bl. *46. – Thomas Blarer: T. Schiess, Briefwechsel d. Brüder Ambr. u. Th. Blaurer, Bd. 1, 1908, Nr. 23, *37. – Wolfgang Capito: s. o. C.1. – Erasmus, Op. Epist., Nr. 344, 357, 366, 501, *1105. – Michael Hummelberg: A. Horawitz, Analecten z. Gesch. d. Humanismus in Schwaben (1512⫺1518), WSB 86, 1877, S. 217⫺279, hier Nr. 24, *25. – Christoph Scheurl: Scheurl-Br., Nr. 61; G. Bauch, Zu Christoph Scheurls Briefbuch, Neue Mitt. aus d. Gebiet histor.-antiquar. Forsch. 19 (1898) 400⫺ 456, hier Nr. 36b, 178a. – Vadian-Br., Bd. 2, Nr. *155, Bd. 3, Nr. *359. – Zasius-Br., S. 199, 252, 281, 291, 489 f., 494⫺497, 502. – Zwingli: Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, Bd. B II, 1911 (Corpus Reformatorum 94), Nr. *123. Literatur. AASS Sept. V, Antwerpen 1755, S. 568 f.; H. Schreiber, Gesch. d. Albert-Ludwigs-
Univ. z. Freiburg i. Br., Bd. 1, 1868, S. 85⫺91; Hutten, Opera, Suppl.-Bd. 2/2, S. 361⫺363; A. Horawitz, in: ADB 6, 1877, S. 134⫺136; J. Kˆstlin, Die Baccalaurei u. Magistri d. Wittenberger Philos. Fakultät 1503⫺1517, 1887, S. 3, 10, 26; G. Bauch, Zur Cranachforsch., Repertorium f. Kunstwiss. 17 (1894) S. 421⫺435, hier S. 424 f.; J. Neff, Ph. E. (Engentinus). Ein Beitr. z. Gesch. d. Humanismus am Oberrhein 1. Teil (Beilage z. Progr. d. Gr. Progymnasiums in Donaueschingen f. d. Schuljahr 1896/97 [Progr. No. 628]), 1897, 2. Teil (Beilage 1897/98 [Progr. No. 634]), 1898, 3. Teil (Beilage 1898/99 [Progr. No. 643]), 1899; H. Flamm, Geschichtl. Ortsbeschreibung d. Stadt Freiburg i. Br., Bd. 2 (Häuserstand 1400⫺1806), 1903, S. 108 f.; I. Staub, Dr. Joh. Fabri, 1911, S. 181 (Reg.), bes. S. 74, 93 f., 99; P. P. Albert, Die reformator. Bewegung z. Freiburg bis z. Jahre 1525, Freiburger Diözesan-Arch. 46 (1919) 1⫺80, hier S. 6 f., 9, 50 u. ö.; H. Grimm, in: NDB 4, 1959, S. 529 f.; W. Hagenmaier, Das Verhältnis d. Univ. Freiburg i. Br. z. Reformation, Phil. Diss. Freiburg (masch.) 1968, S. 10 f., 15 f., 18, 25⫺28, 136, 171, 178 f.; Grossmann, Wittenberg, S. 111, 128; P. G. Bietenholz, in: CoE 1, 1985, S. 432; St. Rowan, Ulrich Zasius, 1987, S. 149, 153, 157, 160 f.; J. Fugmann, Humanisten u. Humanismus am Bodensee in d. ersten Hälfte d. 16. Jh.s, Schr. d. Ver. f. Gesch. d. Bodensees u. seiner Umgebung 107 (1989) 107⫺190, hier S. 122⫺125, 181; W. Ludwig, Die Darstellung südwestdt. Städte in d. lat. Lit. d. 15. bis 17. Jh.s, in: B. Kirchg‰ssner / P. Becht (Hgg.), Stadt u. Repräsentation (Stadt in der Gesch. 21), 1995, S. 39⫺76, bes. S. 50 f., 67⫺ 72, 75 f.; H. Haumann / H. Schadek (Hgg.), Gesch. d. Stadt Freiburg i. Br., 22001, Bd. 1, S. 277 f., 481, Bd. 2, S. 15, 19⫺21, 37, 56; A. Schirrmeister, Triumph d. Dichters, 2003, S. 314 (Reg.).
Dieter Mertens
Engentinus J Engelbrecht, Philipp Epistates J Probst, Andreas ‘Epistolae obscurorum virorum’ (EOV, ‘Dunkelmännerbriefe’) Neben dem ‘Moriae encomium’ des J Erasmus von Rotterdam sind die EOV die wohl bekannteste Humanistensatire der Weltliteratur. Ihre Entstehung verdanken sie einem konkreten Anlaß, von dem sie sich jedoch in ihrer Stoßrichtung weitgehend verselbständigt haben.
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1 . A nl aß . Im Jahr 1507 hatte der drei Jahre zuvor zum christlichen Glauben konvertierte Jude Johannes J Pfefferkorn in Köln seinen ‘Judenspiegel’ veröffentlicht, in dem er die Konfiszierung und Vernichtung aller außerbiblischen jüdischen Schriften forderte, da sie der Bekehrung ihrer Anhänger zum Christentum im Wege stünden. 1509 befahl Ks. D Maximilian allen Juden auf Pfefferkorns Antrag, diesem ihre ‘christenfeindlichen’ Bücher zu übergeben. Erst nachträglich beauftragte der Kaiser den Eb. v. Mainz, die Angelegenheit zu prüfen. Dieser holte bei mehreren Universitäten (Köln, Mainz, Erfurt und Heidelberg) und bei verschiedenen Gelehrten Gutachten ein. Zu den letzteren zählten u. a. der Dominikaner Jakob von J Hoogstraeten, damals Inquisitor der Kirchenprovinzen Köln, Mainz und Trier und Theologieprofessor in Köln, sowie Johannes J Reuchlin, einer der ersten deutschen Humanisten, die auch des Hebräischen mächtig waren und sich mit kabbalistischem Gedankengut befaßten. Von allen Befragten riet allein Reuchlin in einem vertraulichen Gutachten von 1510 von der Vernichtung der Judenbücher ab. Der Kaiser folgte seinem Rat. Daraufhin veröffentlichte Pfefferkorn 1511 seinen ‘Handt Spiegel [...] wider und gegen die Jüden und Judischen Thalmudischen schrifftenn’, auf den Reuchlin noch im selben Jahr mit seinem ‘Augenspiegel’ reagierte, welcher in der Folge der Kölner Universität zur Prüfung der Rechtgläubigkeit vorgelegt wurde. Das Ergebnis waren die 44 ‘Articuli’ (VD 16, A 3763), die Arnold von Tongern 1512 gegen Reuchlin zusammenstellte und die der Kölner Theologe Ortwin J Gratius, ein weiterer Protagonist des Reuchlinstreites, der durch Ausgaben und Übersetzungen Pfefferkornscher Schriften hervortrat, in einer Gedichtbeigabe verherrlichte. 1513 erklärte die Kölner theol. Fakultät den ‘Augenspiegel’ für ketzerisch und ließ ihn 1514 verbrennen. Hoogstraeten strengte bei der römischen Kurie einen Prozeß gegen Reuchlin an. Papst Leo X., ein Humanistenfreund, gewährte Reuchlin die Rückver-
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weisung des Verfahrens an den B. v. Speyer, der den Angeklagten freisprach. Auf Appellation Hoogstraetens ging die Sache nach Rom zurück, wo sie sich noch mehrere Jahre hinzog. Unter dem Eindruck der Causa Lutheri wurde 1520 schließlich Hoogstraeten Recht gegeben. Reuchlin widerrief, und der ‘Augenspiegel’ kam auf den Index. Im Laufe des Verfahrens hatten sich in der Wahrnehmung vieler Zeitgenossen die Akzente deutlich verschoben: Nicht mehr die Frage nach der Daseinsberechtigung jüdischer Literatur in christlichem Umfeld stand im Vordergrund. Vielmehr sah man den Humanisten Reuchlin den Angriffen von Repräsentanten der ‘Pfaffenkirche’ und von Anhängern der überkommenen Scholastik ausgesetzt, die man durch die Kölner Theologen, allen voran Hoogstraeten und Gratius, vertreten sah (zum Verhältnis von Scholastik und Humanismus in Köln vgl. Meuthen; Mehl, 1991; zu den in den EOV aufgebauten Fronten Gerschmann; Mensching). Obgleich auch manche Humanisten Reuchlins vermeintliche Judenfreundlichkeit und seine Opposition gegen die kirchliche Autorität nicht teilten, so ergriffen doch viele die Partei des ‘Opfers’. Es entzündete sich ein regelrechter Medienkrieg, in dessen Verlauf namhafte europäische Gelehrte ihre Solidarität u. a. in lat., griech. und hebr. Briefen bekundeten, aus denen im Verein mit etlicher Korrespondenz aus früheren Jahren Reuchlin 1514 die ‘Clarorum virorum epistolae’ zusammenstellte. An den Titel dieser Sammlung knüpfen die EOV kontrastierend an. Ludwig, 2002, S. 153⫺155, weist darauf hin, daß obscurus nicht nur als Gegenbegriff zu jenen clari zu verstehen ist, sondern zudem eine Formulierung aus dem Widmungsbrief des Heinrich J Bebel zu seinen ‘Commentaria epistolarum conficiendarum’ an Hzg. Ulrich von Württemberg aufnimmt, wo der Autor die Verfasser unklassischer Sprachlehrbücher als auctores obscuri (⫽ ‘Humanisten nicht bekannt, für Humanisten nicht beachtenswert’) brandmarkt. Der bewußte Bezug zu dieser polemischen Passage ist um so plausibler, als die ‘Commentaria’ auch sonst als Hintergrundtext für die EOV herangezogen werden.
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2 . Ver öf fe nt li ch un g. Die erste Ausgabe der EOV (Bˆmer, Ausg., Bd. 1, S. 107, Nr. 1; Benzing, 1956, Nr. 239; VD 16, E 1720) erschien im Herbst 1515 anonym, laut Kolophon in impressoria Aldi Minutij – eine parodistische Anspielung auf das große Venezianer Verlagshaus des Aldus Manutius. In Wirklichkeit entstand sie bei Heinrich Gran in Hagenau. Das Frühjahr 1516 brachte einen unveränderten Nachdruck – in Nürnberg bei Friedrich Peypus (Bˆmer, Ausg., Bd. 2, S. 109, Nr. 2; Benzing, 1956, Nr. 240; VD 16, E 1721) – , der Herbst desselben Jahres eine um sieben Briefe erweiterte Auflage (VD 16, E 1722). Während Bˆmer (Ausg., Bd. 1, S. 109, Nr. 3) für diese als Druckort noch Köln und als Drucker Heinrich von Neuß angab, konnte Benzing, 1955 (vgl. ders., 1956, Nr. 241), nachweisen, daß sie in Speyer bei Jakob Schmidt das Licht erblickte. Diese erweiterte Auflage wurde ihrerseits einmal nachgedruckt, vermutlich in Frankreich (vgl. Bˆmer, Ausg., Bd. 1, S. 109, Nr. 4; Benzing, 1956, Nr. 242). Im Frühjahr 1517 kam der zweite Teil der Sammlung auf den Markt (VD 16, E 1723); auch hier konnte Benzing, 1955 (vgl. ders., 1956, Nr. 243), Bˆmers (Ausg., Bd. 1, S. 109, Nr. 5) ältere Zuschreibung an Heinrich von Neuß (Köln) in Jakob Schmidt (Speyer) korrigieren. Wohl im folgenden Jahr druckte Johannes Grüninger diese Ausgabe angeblich in Bern, tatsächlich jedoch in Straßburg nach (vgl. Bˆmer, Ausg., Bd. 1, S. 109 f., Nr. 6: vermutete noch 1517 als Erscheinungsjahr; Benzing, 1956, Nr. 244; VD 16, E 1724); Grüningers Druck enthält eine Appendix von acht Briefen zu Teil 2, die Bˆcking in seine Ausgabe aufnimmt (Bd. 1, S. 284⫺300), während Bˆmer sie als spätere Zutat (s. u. 3.) in seiner Ausgabe nicht berücksichtigt. Drucke. Teil 1: Epistolae obscurorum virorum ad venerabi|lem virum Magistrum Ortuinum Gratium Dauentriensem | Coloniae Agrippinae bonas litteras docentem: | varijs et locis et temporibus missae: | ac demum in volumen | coactae. | (Am Ende:) In Uenetia impressum in impressoria Aldi Minutij: [...]. [Hagenau: Heinr. Gran, 1515]. VD 16, E 1720. ⫺ Teil 1 mit Appendix: Epistole obscurorum virorum ad Vene|rabilem virum magistrum
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Ortuinum Gratium Dauentriensem Co|lonie agrippine bonas litteras docentem: varijs et locis et tempo|ribus misse: ac demum in volumen coacte. | Cum multis alijs epistolis in fine | annexis que in prima impres|sura non habentur. [...] [Speyer: Jak. Schmidt, 1516]. VD 16, E 1722. – Teil 2: Epistole Obscurorum virorum ad Magistrum Ortuinum | Gratium Dauentriensem Colonie latinas litteras pro|fitentem non ille quidem veteres et prius visae: sed et novae et illis prioribus | Elegantia argutijs lepore ac venustate longe superiores. | [...] (Am Ende:) Quinta luna Obscuros viros edidit. Lector | Solue nodum et ridebis amplius. | Impressum Romanae Curiae [...]. [Speyer: Jak. Schmidt, 1517]. VD 16, E 1723. Die weiteren Drucke bei Bˆmer, Ausg., Bd. 1, S. 107⫺ 112; Benzing, 1956, Nr. 239⫺252; VD 16, E 1720⫺1729. Ausgaben. E. Bˆcking, Hutten, Opera, Suppl.-Bd. 1 u. 2, 1864⫺70 (ND 1966); A. Bˆmer, Epistolae obscurorum virorum, 2 Bde. [Bd. 1: Einf.], 1924 (ND 1978). Übersetzungen. W. Binder, Briefe v. Dunkelmännern, 1876 u. ö. (z. B. hg. v. P. Amelung, 1964; hg. v. K. Riha, 1991; zuletzt in ‘Epistolae obscurorum virorum [...]’, lat.-dt., hg. v. A. F. W. Sommer, 2001); F. Griffin Stokes, EOV. The Latin text with an English rendering, notes and a historical introduction, London 1909 (erneut u. d. T.: On the Eve of the Reformation, New Introduction by H. Holborn, New York 1964; Auszüge bei: E. Rummel, The Case against J. Reuchlin, Toronto u. a. 2002, S. 110⫺147); O. Plassmann, Briefe v. Dunkelmännern an Mag. O. Gratius [...], 1940; H. J. M¸ller, Briefe v. Dunkelmännern, 1964; S. Kivistˆ, Hämäräin miesten kirjet (EOV), Helsinki 1999.
3 . A ut or en . Die Verfasserschaft blieb lange Jahre unbekannt, bis 1532 der Lutheraner Justus Menius in seiner Streitschrift ‘Ad Apologiam Joannis Croti Rubeani responsio’ (VD 16, M 4536) seinen ehemaligen Lehrer J Crotus Rubeanus und dessen Freund Ulrich von J Hutten als Urheber der Sammlung preisgab (Text in Auszügen bei Bˆmer, Bd. 1, S. 79 f., u. R‰dle, S. 108). Seitdem wurde viel gemutmaßt, wer außer diesen beiden einen Beitrag zu den EOV geleistet haben könnte. In Frage kommt Hermann J Buschius, der in seiner Kölner Zeit mit Ortwin Gratius über das universitäre Curriculum in Konflikt geraten war (vgl. Mehl, 1984), evtl. auch Huttens
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Freund Jakob Fuchs (vgl. Bˆmer, Ausg., Bd. 1, S. 101 f.; Best, S. 15). Merkers (S. 289⫺314) Versuch, die EOV in weiten Teilen Nikolaus J Gerbel zuzuschreiben, wurde von Bˆmer abgelehnt, der dessen Verfasserschaft nur für die Straßburger Appendix zu Teil 2 gelten läßt (Bˆmer, 1924; ders., Ausg., Bd. 1, S. 102 Anm. 1). Die Communis opinio geht heute davon aus, daß Crotus der geistige Vater und Hauptautor des ersten Teils der EOV ist, der während seiner Lehrtätigkeit in Fulda entstand. Hutten hingegen wird als Verfasser der sieben Ergänzungsbriefe zu Teil 1 sowie der meisten Briefe von Teil 2 angenommen. Sein Beitrag zu Teil 1 ist umstritten; wahrscheinlich stammt der Eröffnungsbrief aus seiner Feder. Hutten muß seine Texte während seiner zweiten Italienreise geschrieben haben, die ihn auch nach Rom führte, wo Reuchlins Sache verhandelt wurde. Zur Frage der Autorschaft vgl. Brecht; Bˆmer, Ausg., Bd. 1, S. 74⫺102; Best. 4 . A uf ba u u nd In ha lt . Die 41 (⫹ 7) Briefe des ersten und die 62 des zweiten Teils sind mit einer Ausnahme allesamt an den Kölner Theologieprofessor Ortwin Gratius adressiert. Sie stammen aus der Feder eines fiktiven Kreises von Freunden und Schülern; nur I.34 ist angeblich vom Meister selbst verfaßt, App. 4 und 7 hingegen von Arnold von Tongern bzw. Hoogstraeten. Die fiktiven Absender geben sich schon allein durch ihre Namen als ‘Barbaren’ zu erkennen (z. B. Caprimulgius, Dollenkopfius, Mistladerius); Mehl, 1994, sieht mit den Namensformen Vertreter der Artes mechanicae im Gegensatz zu Vertretern der Artes liberales charakterisiert, wie sie im zeitgenössischen Schrifttum – etwa bei Johannes J Murmellius, ‘Didascalici libri duo’ (1510) – dargestellt werden, und erblickt in diesem Mißverhältnis eine Quelle der Komik. Ortwin wird auf diese Weise zum Haupt einer ‘obskuren’ Sodalitas stilisiert, die das Feindbild der realen Autoren verkörpert. Ihre Mitglieder sind Gegner des Humanismus im allgemeinen und Reuchlins im besonderen, sie repräsentieren die scho-
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lastische Tradition und das kirchliche Establishment. Die Anhänger des OrtwinKreises erweisen sich durch den Inhalt ihrer Briefe und vor allem auch durch ihre Sprache als gänzlich ungebildet und moralisch fragwürdig, ohne sich dessen bewußt zu sein. Ihre intellektuellen und charakterlichen Defizite sowie Mißstände der Institutionen, für die sie stehen, werden im ersten Teil mit Schilderungen von akademischen Quisquilien, studentischen Besäufnissen und erotischen Fehltritten von Klerikern humoristisch karikiert. Bemerkungen über den Stand des Reuchlin-Streites fallen hier eher beiläufig, während dieses Thema im zweiten Teil – fast im Sinne einer propagandistischen Berichterstattung über den Prozeß an der Kurie – stärker in den Vordergrund tritt. Hier wird auch wesentlich direkter Kritik an kirchlichen Mißständen geübt (z. B. II.12 Ausbeutung Deutschlands durch die römische Kurie, II.32 Bestechlichkeit, II.50 explizite Kleruskritik). Dieser Teil wurde häufig als literarisch weniger kunstvoll beurteilt (relativierend Hahn mit Diskussion älterer Forschungspositionen). 5 . G at tu ng st yp us . Die Frage nach der Gattung der EOV wurde in der Forschung vielfach gestellt und – theoretisch mehr oder weniger fundiert – in unterschiedlicher Weise beantwortet, je nachdem welcher Aspekt des facettenreichen Werkes jeweils im Vordergrund stand. So lassen sich die EOV formal dem Typus des fingierten Briefes zuordnen (vgl. Rogge). Sie setzen als Folie den echten Brief, die konstitutive Kommunikationsform innerhalb der Res publica litteraria, voraus, insbes. die humanistische Freundschaftskorrespondenz. Auf diese wird hier mit den Mitteln der indirekten oder mimischen Satire Bezug genommen (vgl. Kˆnneker, S. 105). Dieses Verfahren ist formal als eine Unterart der Parodie anzusehen (vgl. Th. Verweyen / G. Witting, in: Killy, Lit.lex. 14, 1993, S. 193⫺196, hier S. 194). Im Falle der EOV besteht die Darstellungsabsicht freilich nicht in einer Herabsetzung der Prätexte, d. h. der echten Humanistenkorrespondenz. Objekt der
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Parodie ist vielmehr der zeitgenössische spätscholastische Wissenschaftsbetrieb und der ihn angeblich repräsentierende Typus des moralisch zwielichtigen und dümmlichen Pseudogelehrten, zu dem die echten Verfasser der EOV ihre Gegner stilisieren. Wenn die ‘Dunkelmännerbriefe’ nach wie vor “als Höhepunkt der Humanistensatire” gelten (Mennecke-Haustein, S. 270; zum satirischen Charakter des Werkes vgl. Becker; Kˆnneker), so ist der Begriff ‘Satire’ in diesem Kontext nicht als spezifische Gattungsbezeichnung zu verstehen. Die EOV wollen nicht Kritik an real bestehenden Mißständen üben, um eine Verbesserung der Verhältnisse herbeizuführen. Sie zeichnen vielmehr ein tendenziöses Zerrbild, das gezielt der Diffamierung des Gegners dienen soll. Den Aspekt der persönlichen Verunglimpfung betont Ludwig, 1999, mit der Zuordnung zur Form der Invektive, indem er auf Gratius’ humanistische Aktivitäten und Ambitionen aufmerksam macht und zeigt, daß dieser keineswegs dem Humanismus gegenüber abwehrend eingestellt war (anders, jedoch ohne erschöpfende Berücksichtigung der vorhandenen Zeugnisse, Chomarat, der Gratius “un esprit me´diocre et borne´” zuschreibt [S. 273]); den 2. Teil der EOV hatte bereits R‰dle, S. 114, als Invektive charakterisiert, den ersten hingegen eher als Parodie. Angesichts der Vielzahl der bislang vorgenommenen Zuordnungen wäre eine gattungstheoretische Analyse der EOV eine lohnende Aufgabe. Unabhängig von der abschließenden Klärung dieser Frage lassen sich indes die Mittel, mit denen die Dunkelmänner verzeichnet werden, recht gut klassifizieren. Sie demaskieren sich selbst durch ihre Sprach-, Denk- und Lebensgewohnheiten. Die Sprache übertreibt die Merkmale des gängigen spätmal. Lateins, das sich zum einen durch seine wissenschaftliche Funktionalisierung in der Scholastik, zum anderen durch den umgangssprachlichen alltäglichen Gebrauch weit von klassischen Maßstäben entfernt hatte. Vokabular, Morphologie und Syntax sind geprägt von Neologismen nach dem Vorbild der scholastischen Terminologie (z. B. convivalitas [I.33],
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vinificatus [II.9]), von Barbarismen und Soloezismen, v. a. Germanismen (z. B. Utinam omnes poetae essent ibi, ubi piper crescit, quod dimitterent nos in pace [I.25]; zur Barbarolexis vgl. Hess, S. 175⫺ 258, v. a. S. 213⫺219). Zudem vergreifen sich die Obscuri regelmäßig im Stil. Dies trifft in besonderem Maße auf die bombastischen Grußformeln zu, die nicht nur dem antiken Usus widersprechen, sondern auch in humanistischen Brieflehren, wie etwa den ‘Commentaria epistolarum conficiendarum’ Bebels, aufs schärfste kritisiert werden (zur bewußten Konterkarierung zeitgenössischer Regeln vgl. Ludwig, 2002; allg. zu Stil und Sprache vgl. Bˆmer, Ausg., Bd. 1, S. 69⫺74; Lˆfstedt; Mehl, 1994; Kivistˆ). Sobald sich die Dunkelmänner aufs Dichten verlegen, offenbaren sie in leoninischen Hexametern und an volkssprachlichen Vorbildern orientierten Knittelversen ihre Inkompetenz in klassischer Metrik (zu den Gedichteinlagen vgl. Becker, S. 153⫺167 u. 181). Mit ihren Denkstrukturen und Lektüregewohnheiten fühlen sich die Obscuri fest auf dem Boden der spätscholastischen Bildung und ihrer Methodik, die zum Selbstzweck erstarrt erscheint. Biblische Autoritäten und pseudo-syllogistische Schlüsse werden zur Diskussion völlig banaler Fragen aufgeboten, um diese Argumentationsform ad absurdum zu führen (I.1). Als Lehrbücher benutzen die Dunkelmänner mal. Kompendien wie das ‘Doctrinale’ des D Alexander von Villa Dei [NB] oder die Kommentare des Remigius von Auxerre; die Orientierung der Humanisten an der Sprache der antiken Autoren empfinden sie als unzumutbar revolutionär (I.7). Selbst wenn sie ausnahmsweise einen Klassiker lesen, so tun sie dies nach der falschen Methode: nicht im Litteralsinn, sondern nach der allegorischen Auslegungstradition (I.28). Nicht einmal die Titel ihrer eigenen Lehrbücher wissen sie korrekt wiederzugeben: Combibilationes statt Compilationes (I.31). Dieser terminologische Mißgriff verrät zugleich, auf welchem Gebiet die Hauptinteressen der Obscuri liegen (zur Gelehrtenkarikatur vgl. Becker, S. 107⫺151 u. 177⫺179): Ihre Lebensge-
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wohnheiten sind stark an fleischlichen Genüssen und materiellem Profit orientiert: Liebesabenteuer (I.4, I.9, I.21), Besäufnisse (I.1) und Aberglaube (I.41) sind an der Tagesordnung. Die einschlägigen Briefe wirken häufig schwankhaft-burlesk und offenbaren einen Hang zum Fäkalwitz (I.40). 6 . Q ue ll en / Ver wa nd te Di sk ur sf or me n. Blickt man auf die ältere und zeitgenössische Literatur, so ergeben sich außer zu Schwänken und Fazetien (z. B. Bebels ‘Facetiae’) auch Verbindungslinien zur Klerikersatire, die schon ein langes Vorleben im MA und z. B. bei Erasmus in den ‘Colloquia familiaria’ ihre Beispiele hat. Auch die neue Narrensatire (Sebastian J Brant) und das Fastnachtsspiel lieferten Anregungen. Einen wichtigen Beitrag leistete die Universitätssatire der Quaestiones quodlibeticae, in denen der Lehrbetrieb durch die Disputation von Scherzfragen veralbert wird (Jodocus J Gallus, Jakob J Hartlieb u. a.). Formen der Invektive, an denen man sich orientieren konnte, fand man sowohl in der klassischen Literatur, etwa in der zuerst 1513 in Rom, 1515 zweimal in Basel gedruckten ‘Apocolocyntosis’ des Seneca, als auch bei humanistischen Autoren, so in den Schmähschriften Poggios, die um die Entstehungszeit der EOV im Rahmen seiner Opera 1511 und 1513 in Straßburg von J Aucuparius herausgegeben wurden (vgl. Ludwig, 1999, S. 145⫺147). Der Sprachwitz der EOV schließlich entfaltet erst vor dem Hintergrund zeitgenössischer normativer Texte wie den ‘Commentaria epistolarum conficiendarum’ Bebels seine volle Wirksamkeit (eine Vielzahl verwandter Gattungen, v. a. unter dem Aspekt der Barbarolexis, diskutiert Hess). 7 . Wir ku ng sg es ch ic ht e. Auf den Gang des Reuchlin-Prozesses hatten die EOV geringeren Einfluß, als man anzunehmen geneigt ist. Selbst namhafte Humanisten bzw. Rom-Gegner wie Erasmus und Luther äußerten Bedenken gegen den verunglimpfenden Ton (vgl. Erasmus, Op. epist., Bd. 3, S. 44⫺46, Nr. 622
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u. S. 58 f., Nr. 636; Luther-Br., Bd. 1, S. 61 u. 63 f.). 1518 reagierte Gratius mit seinen ‘Lamentationes obscurorum virorum’ auf die Angriffe, in denen er die Humanisten nach der päpstlichen Verurteilung des ‘Augenspiegels’ ihre Niederlage beklagen läßt. Außer diesem von persönlichen Motiven geleiteten Rezeptionszeugnis hinterließen die EOV in den folgenden Jahrzehnten keine nennenswerten Spuren. Das mangelnde Interesse ist schon daran ersichtlich, daß zwischen der Veröffentlichung des zweiten Teils 1517 und dem Erstdruck aller Briefe in einem Band von 1556 (VD 16, E 1725) fast 40 Jahre vergingen. Zwischen 1556 und 1599 erschienen die EOV dann noch sechsmal mit verschiedenen komischen, z. T. antikatholischen Zugaben (vgl. Ludwig, 1999, S. 149). Einzelne Aspekte des Werkes wurden in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s in der Dramenliteratur aufgegriffen: Nikodemus Frischlin prangerte in seinem 1578 zum 100jährigen Bestehen der Univ. Tübingen aufgeführten ‘Priscianus vapulans’ (VD 16, F 2971) die Deformation der lat. Sprache durch die akademischen Fachwissenschaften an. In der 1587⫺1590 entstandenen Dramentrilogie ‘De regno humanitatis’ des Jesuiten Jakob Gretser, das der Verherrlichung des ciceronianischen Sprachideals dient, tritt ein vir obscurus auf, der ein deplorables Latein spricht und mehrfach auf die EOV Bezug nimmt (vgl. R‰dle, S. 114 f.). Das dt. Pendant zu den Obscuri, der Begriff ‘Dunkelmänner’, erscheint erstmals Ende des 18. Jh., und zwar nicht etwa in Übersetzungen des Werkes, sondern in vulgäraufklärerischen polemischen Schriften aus dem Umkreis des Berliner Hofes. Erst im 19. Jh. wird er gebräuchlich “im Sinne einer heuchlerisch-unehrlichen Wissenschaftsfeindlichkeit sowie [...] Amoral, speziell mit Bezug auf Kleriker, die Religion und Glauben für verwerfliche Zwecke mißbrauchen” (Meuthen, S. 76). Während des sog. Kulturkampfes griff Eckart Warner (⫽ Severin Simoneit) mit seinen 1883 in Leipzig bei Otto Wiegand herausgegebenen ‘Briefen moderner Dunkelmänner’ direkt auf die EOV zurück, um gegen die päpstliche Einmischung in die Angelegen-
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heiten des neugegründeten deutschen Kaiserreichs zu polemisieren (zur Geschichte des Begriffs und der Tradition der ‘Dunkelmännerbriefe’ vgl. Rogge, S. 15⫺82). Literatur. W. Brecht, Die Verfasser d. EOV (QF z. Sprach- u. Culturgesch. d. germ. Völker 93), 1904; P. Merker, Der Verfasser d. Eccius dedolatus u. anderer Reformationsdialoge. Mit einem Beitr. z. Verfasserfrage d. EOV, 1923; A. Bˆmer, Verfasser u. Drucker d. EOV: Kritik einer neuen Hypothese, ZfB 41 (1924) 1⫺12; J. Benzing, Wer ist d. Drucker d. “EOV” Bömer 3 u. 5, Das Antiquariat 11 (1955) 57⫺59; ders., Ulrich v. Hutten u. seine Drucker (Beitr. z. Buch- u. Bibl.swesen 6), 1956; H. Rogge, Fingierte Briefe als Mittel politischer Satire, 1966; K.-H. Gerschmann, ‘Antiqui – Novi – Moderni’ in d. EOV, Arch. f. Begriffsgesch. 11 (1967) 23⫺36; Th. W. Best, The humanist Ulrich v. Hutten: A reappraisal of his humour, Chapel Hill 1969; Hess, Narrenzunft, S. 175⫺220; J. H. Overfield, A new look at the Reuchlin affair, Studies in Medieval and Renaissance History 8 (1971) 167⫺207; P. Sch‰ffer, Letters of Obscure Men, in: G. Hoffmeister (Hg.), The Renaissance and Reformation in Germany. An introduction, New York 1977, S. 129⫺140; J. Chomarat, Les hommes obscurs et la poe´sie, in: L’Humanisme allemand, S. 261⫺282; R. P. Becker, A war of fools. The letters of Obscure Men – A study of the satire and the satirized, 1981; B. Lˆfstedt, Zur Sprache d. EOV, Mlat. Jb. 18 (1983) 271⫺289; J. V. Mehl, The 1509 dispute over Donatus: Humanist editor as controversialist, Publishing History (1984) 7⫺19; Overfield, Humanism, S. 338 (Reg.); W. Trusen, J. Reuchlin u. d. Fakultäten. Voraussetzungen u. Hintergründe d. Prozesses gegen d. ‘Augenspiegel’, in: G. Keil u. a. (Hgg.), Der Humanismus u. d. oberen Fakultäten (Mitt. d. Kommission f. Humanismusforsch. 14), 1987, 115⫺157; W. Frey, Multum teneo de tali libro. Die EOV, in: P. Laub (Bearb.), Ulrich v. Hutten. Ritter, Humanist, Publizist 1488⫺1523, 1988, 197⫺210; R. Hahn, Huttens Anteil an d. EOV, PirckheimerJb. 4 (1988) 79⫺111; E. Meuthen, Die EOV, in: W. Brandm¸ller (Hg.), Ecclesia militans. Fs. R. Bäumer z. 70. Geb., Bd. 2, 1988, S. 53⫺80; U. Mennecke-Haustein, in: Killy, Lit.lex. 3, 1989, S. 270−272; G. Mensching, Die Kölner Spätscholastik in d. Satire d. EOV, in: A. Zimmermann (Hg.), Die Kölner Univ. im MA (Miscellania Mediaevalia 20), 1989, S. 508⫺523; B. Kˆnneker, Satire im 16. Jh., 1991, S. 102⫺134; J. V. Mehl, Humanism in the home town of the ‘Obscure Men’, in: ders. (Hg.), Humanismus in Köln (Stud. z. Gesch. d. Univ. Köln 10), 1991, S. 1⫺38; F. Lotter, Der Rechtsstatus d. Juden in d. Schr. Reuchlins z. Pfefferkornstreit, in: A. Herzig / J. H.
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Schoeps / S. Rhode (Hgg.), Reuchlin u. d. Juden (Pforzheimer Reuchlinschr. 3), 1993, S. 65⫺88; J. V. Mehl, Language, class, and mimic satire in the characterization of correspondents in the EOV, The sixteenth century journal 25 (1994) 289⫺305; F. R‰dle, Die EOV, in: H. Boockmann (Hg.), Kirche u. Gesellschaft im Hl. Röm. Reich d. 15. u. 16. Jh.s (GGN 3/206), 1994, S. 103⫺115; W. Ludwig, Lit. u. Gesch. O. Gratius, d. ‘Dunkelmännerbriefe’ u. d. ‘Testament d. Ph. Melanchthon’ v. W. Jens, Mlat. Jb. 34/2 (1999) 125⫺167, bes. 125⫺150; ders., Der Humanist O. Gratius, H. Bebel u. d. Stil d. Dunkelmännerbriefe, in: G. Huber-Rebenich / W. Ludwig (Hgg.), Humanismus in Erfurt, 2002, S. 131⫺160; S. Kivistˆ, Creating anti-eloquence: EOV and the humanist polemics on style, Helsinki 2002.
Gerlinde Huber-Rebenich
Erasmus von Rotterdam (Desiderius Erasmus Roterodamus) Inhalt. I. Leben. ⫺ II. Werk. A. Frühschriften. B. Studium und Erziehung. C. Sprachlehre und Sprachkunst. D. Exzerptsammlungen. E. Literarisches Werk. F. Carmina. G. Theologische Schriften. H. Politische Ethik. J. Epilog. K. Der Editor. L. Briefwerk. ⫺ III. Wirkung.
I . L eb en . Die wichtigste Quelle zu E.’ Leben ist seine umfangreiche Korrespondenz (Erasmus, Op. epist., bes. Nrn. I, II, 447, 1437). Auch die zwischen E. und Edward Lee, Ulrich von J Hutten, den Straßburger Reformatoren u. a. ausgetauschten Streitschriften sowie das ‘Carmen alpestre’ (ASD I-7, Nr. 2) geben wertvolle Hinweise. Besonderen Quellenwert hat die von Beatus J Rhenanus verfaßte Vita des E., gedruckt in der ersten Gesamtausgabe (1538⫺40) als Widmungsepistel an Karl V., jetzt in Op. epist., Nr. IV; ebd. im Anhang zu einzelnen Bänden auch E.’ Testamente und weitere Dokumente. Der junge E. schrieb sich stets Herasmus, so zuletzt 1505; der erste authentische Gebrauch der Form Erasmus findet sich 1503 (Op. epist., Nr. 173). Die ersten sicheren Belege für den Beinamen Desiderius bieten sein Gedicht an Robert Gaguin und sein Brief an Hendrik van Bergen (Op. epist., Nr. 49) in dem am 20. Jan. 1497 erschienenen Druck von Hermans’ ‘Silva Odarum’. Die volle dreigliedrige Form Desiderius Herasmus Roterodamus erscheint zuerst 1500 im Titel der ‘Adagiorum Collectanea’. Vgl. Allen, Op. epist., Bd. 1, S. 73 Anm.; M. O’Rourke Boyle, The Eponyms
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of ‘Desiderius Erasmus’, Renaissance Quarterly 30 (1977) 12⫺23.
E. wurde in der Nacht auf den 28. Oktober geboren. Das Jahr ist aus seinen widersprüchlichen Angaben nicht mit Sicherheit zu erschließem; die Annahmen schwanken zwischen 1466 und 1469 (vgl. zuletzt Vredeveld, 1993). Seine Mutter, eine junge Witwe, stand zum Vater in einem Verwandtschaftsgrad, der nach dem Kirchenrecht ein Ehehindernis darstellte. Der Vater war Priester in Gouda, und zwar einer Lokaltradition zufolge schon zur Zeit von E.’ Geburt; auch hatte E. einen um drei Jahre älteren Bruder. Ein Familienname ist nicht bekannt. Daß Priester Konkubinen und Kinder hatten, war damals keine Seltenheit. Gegen die rechtlichen Nachteile seiner unehelichen Geburt schützte E. sich später mit päpstlichen Privilegien. Eine psychische Belastung ist indessen aus manchen seiner Äußerungen herauszuhören. Seine Schulzeit begann E. in Gouda, zog aber bald mit seiner Mutter nach Deventer, wo er für einige Jahre die Schule des Kapitels vom St. Lebuin besuchte und dort neben Nachwirkungen der Devotio moderna auch Ansätze zu einem humanistischen Bildungsprogramm kennenlernte. Einmal traf er dort mit dem Altmeister des nördlichen Humanismus Rudolf D Agricola zusammen, den er in der Folge stets mit größter Verehrung erwähnte. In Deventer starb E.’ Mutter an der Pest. Nach dem bald erfolgten Tod seines Vaters schickten ihn seine Vormünder zunächst zur Schule von ’s Hertogenbosch und bald danach in das nahe bei Gouda gelegene Kloster Steyn der Augustiner-Chorherren, wo er um 1488 seine Profeß ablegte. Bedenkt man, daß der rund Zwanzigjährige verwaist, mittellos und vorläufig ohne Anzeichen einer sonderlichen Begabung im Leben stand, so erscheint der Eintritt in eine klösterliche Gemeinschaft nicht unangemessen. Indessen hat E. später betont, er habe sich mutig, aber leider erfolglos, diesem Schritt widersetzt. In Steyn richtete E. überschwängliche Freundschaftsbriefe an den Klostergenossen Cornelius Gerard, die von wachsender Stilsicherheit und Kenntnis der lateinischen Klassiker zeugen. Auch Werke
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von Kirchenvätern und italienischen Humanisten wie Lorenzo Valla waren ihm zugänglich. Im Jahre 1492 ⫺ das erste gesicherte Datum seines Lebenslaufes ⫺ wurde E. zum Priester der Diözese Utrecht geweiht. 1493 brauchte der Bischof von Cambrai, Hendrik van Bergen, einen im Latein versierten Sekretär und nahm E., der somit von der Residenzpflicht im ungeliebten Kloster loskam, in seinen Dienst. 1495 verschaffte der Bischof ihm einen Studienplatz im Colle`ge de Montaigu in Paris. Die Unterkunft und Verpflegung waren elend; die theologischen Vorlesungen monoton. E. überstand sie, indem er heimlich mit einem Leidensgenossen aus Italien, Fausto Andrelini, scherzte. Bald begann er, gutgestellten Tironen bei ihren Studien zu helfen, offensichtlich mit Humor und pädagogischem Geschick. So kam er in die Lage, das verhaßte Montaigu mit einer Privatpension zu vertauschen. Ein gutes Jahrzehnt blieb E., wenngleich mit langen Unterbrechungen, in Paris. In seinen nun häufiger erhaltenen Briefen ist, mit Ausnahme der Väterlektüre, von Theologie kaum mehr die Rede, umso wichtiger wird der Humanismus. Robert Gaguin, sein führender Vertreter in Paris, zeigte wohlwollendes Interesse, und dank ihm knüpften sich Kontakte mit Verlegern an. 1497 erschienen erstmals zwei Briefe und zwei Gedichte im Druck. Ohne Lehrer, dafür umso eifriger, widmete sich E. dem Griechischstudium. Auch unternahm er, neben Vorarbeiten zu einer kritischen Hieronymusausgabe, neutestamentliche Studien. Er entdeckte Lorenzo Vallas kritische Anmerkungen zum NT und gab sie 1505 heraus. Im Sommer 1499 nahm sein Schüler William Blount, Lord Mountjoy, E. mit nach England. Dort lernte er John Colet, Thomas More und den achtjährigen zukünftigen Kg. Heinrich VIII. kennen. Bei weiteren Besuchen in England übersetzten E. und Thomas More um die Wette Dialoge Lukians ins Lateinische. Bei Reisen in die Niederlande ergaben sich vielversprechende Kontakte zum Hof vom Burgund. Im Januar 1504 durfte E. bei einem Festakt in Brüssel mit seinem ‘Panegyricus’ den
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heimkehrenden Philipp den Schönen begrüßen. 1506⫺09 weilte E. in Italien. Der Italienaufenthalt wurde dadurch möglich, daß er hochgestellte junge Briten auf ihren Bildungsreisen betreute. 1506 erwarb er in Turin, sozusagen auf der Durchreise, den theologischen Doktorgrad. In Rom wurde er von Kardinälen empfangen und lernte den nachmaligen Papst Leo X. kennen. Entscheidend war der Aufenthalt in Venedig, wo er Mitarbeiter des berühmten Druckers Aldus Manutius wurde und in dessen Verlag seine ‘Adagia’ in stark erweiterter Neufassung herausbringen konnte. Hier wurde E. zum führenden Humanisten des Abendlandes. Übrigens teilte er Brot und Bett mit Girolamo Aleandro, einem anderen Mitarbeiter des Aldus-Verlags, der später Kardinal und ein Gegner wurde, von dem sich E. stets verfolgt fühlte. Als Folge der Italienjahre verfaßte E. zwei besonders kühne Schriften, das ‘Moriae encomium’ und den Dialog ‘Julius exclusus’. Zunächst feierten E.’ Erziehungschriften Triumphe in den Schulen Italiens. Später, als es in Italien lebensgefährlich wurde, sich zu Luther zu bekennen, beriefen sich reformationsfreundliche Kreise mit Vorliebe auf E. Schließlich erschien auch sein Name auf dem römischen Index. Die Thronfolge Heinrichs VIII. bewog E., Italien zu verlassen und nach England zurückzukehren. Seine dortigen Freunde setzten große Erwartungen in den jungen Herrscher, der dem Humanismus verpflichtet schien. Im Falle des E. erfüllten sich die hochgespannten Hoffnungen allerdings nicht so recht. Immerhin fand er als Griechischdozent am Queens’ College in Cambridge ein mageres Auskommen, das ihm reichlich Zeit zu seinen Studien ließ. Im Vordergrund stand das griechische NT, aber auch die ‘Adagia’ nahmen hier dauerhafte Gestalt an. Eb. William Warham verschaffte ihm 1512 eine Pfründe in Aldington (Kent), auf deren bescheidenes Einkommen er fortan zählen konnte. Nach seiner Abreise im Sommer 1514 hat E. England nur noch zweimal kurz besucht, aber sein Einfluß wirkte nach, zunächst im Anglikanertum, im 17. Jahrhundert dann
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vermehrt im englischen Rationalismus; auch bei Newton kommt er zur Geltung. 1514⫺21 lebte E. zumeist in Flandern und Brabant; indessen vermehrten sich auch seine Reisen nach Basel, wo die Zusammenarbeit mit dem Verleger Johann Froben stets enger wurde und 1516 mit der Erstausgabe von E.’ NT und der von ihm betreuten großen Hieronymusausgabe einen ersten Höhepunkt erreichte. 1515 wurde E. zum Rat des zukünftigen Karl V. ernannt. Er quittierte die Ehre mit der Abfassung der ‘Institutio principis christiani’ und ihrer Widmung an den jungen Herrscher. Am burgundischen Hof ließ er sich aber nur selten blicken, und der Aufforderung, Karl nach Spanien zu begleiten, wich er aus; andererseits wurde das ihm ausgesetzte Jahrgeld nur selten ausbezahlt. Im Sommer 1517 bezog E. im Löwener Lilienkollegium ein Quartier, das er trotz häufiger Abwesenheit bis 1521 beibehielt. Intensiv kümmerte er sich um die Errichtung eines Collegium trilingue. Finanziert aus dem Erbe seines Freundes Hieronymus Busleyden, sollte die neue Institution, von der Universität zunächst unabhängig, diese durch ein Angebot humanistischer Studien ergänzen. Die Universität selbst war von konservativen Theologen dominiert, aus deren Kreisen E., vor allem wegen seines NT, bitteren Angriffen ausgesetzt war. Dabei taten sich Nicolaas Baechem Egmondanus und Edward Lee, später Erzbischof von York, hervor. Aus Paris erhielten sie Unterstützung von Noe¨l Be´da und Pierre Cousturier, ebenso aus Alacala´ von Diego Lo´pez Zu´nˇiga (Stunica), dessen philologische Zensuren oft gut fundiert waren. Auch von den Kanzeln herab wurde er von London bis nach Rom vehement getadelt, wobei sich besonders Dominikaner und Karmeliten stark machten. Inbesondere wurde E. seit dem ersten Auftreten Luthers oft die Mitschuld an dessen aggressiver Kirchenkritik zugeschoben. Durch lange Jahre hat sich E. in zahlreichen Streitschriften, vielleicht umständlicher als nötig, gegen seine Kritiker zur Wehr gesetzt. Im Nov. 1521 zog E. nach Basel, wo ihm die Hausgemeinschaft mit Froben Ruhe und ungehinderte Arbeit versprach. Neben
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zahlreichen Erst- und Nachdrucken seiner eigenen Werke und Briefsammlungen brachte der Verlag unter Mithilfe des E. auch eine Reihe großer Kirchenväterausgaben heraus. Bei der hektischen Editionstätigkeit kam E. die Hilfsbereitschaft des Beatus Rhenanus zu statten. Ihm, der selbst ein Gelehrter von Rang war, schenkte E. allzeit sein volles Vertrauen, wiewohl er sonst mit zunehmendem Alter ungewöhnlich argwöhnisch wurde. Ebenso voll verließ er sich auf Bonifacius Amerbach, der ihn in praktischen und juristischen Dingen beriet und zum Vollstrecker seines Testamentes erkoren wurde. Komplizierter gestaltete sich das Verhältnis zu Johannes Oecolampadius, zuvor ein vertrauter Freund und Helfer bei der Herausgabe des NT, dann aber Haupt der Basler Reformationspartei. Trotz der unvermeidlichen Spannungen kam es nicht zum Bruch; E. war sogar geneigt, Oecolampads Deutung des Abendmahls zuzustimmen. E. fühlte sich in Basel gut aufgehoben, und wiewohl ihn der Triumph der reformierten Partei nach längerem Zögern zur Übersiedlung in das katholische Freiburg i. Br. bewog (1529⫺ 35), kehrte er auf sein Lebensende hin nach Basel zurück. Dort starb er nach schwerem Leiden in der Nacht zum 12. Juli 1536. Erasmus hatte unter dem 20. Juni 1525 seine Bibliothek für 400 fl. an seinen polnischen Bewunderer Jan Łaski verkauft, sich aber auf Lebenszeit das volle Nutzungsrecht vorbehalten. Nach seinem Tod wurde die Bibliothek zu Łaski nach Polen geschafft und dort verwahrt. Die 1525 und um 1533 erstellten Verzeichnisse der Bibliothek sind nicht erhalten, wohl aber die nach E.’ Tod, wohl noch 1536 angefertigte sog. Versandliste mit 417 Titeln und eine von Bonifacius Amerbach zwischen 1536 und 1544 angelegte ergänzende Fortsetzung mit weiteren 113 Titeln (‘Catalogus’). Abdruck beider Verzeichnisse bei Vanautgaerden, 2002.
Zu Beginn der Reformation stand E. auch bei den deutschen Zeitgenossen auf dem Gipfel seines Ruhms. Im Okt. 1520 traf er in Köln mit dem Hof des frisch gekrönten Karl V. und den ihn begleitenden Fürsten zusammen und ließ sich allseitig feiern. Den alten J Reuchlin, den Rom kürzlich verurteilt hatte, versicherte er
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brieflich seiner Unterstützung. Kf. Friedrich dem Weisen legte er ans Herz, Luther vor dem Zugriff Roms zu schützen. Ebenfalls anwesend in Köln war Dürer, dem E. zuvor in Antwerpen zweimal gesessen hatte und der ihm im Kampf gegen Rom eine Führerrolle zudachte. E. traf sich mit Kardinal Schiner und vermutlich Franz von Sickingen. J Hutten schrieb ihm kurz darauf, um ihn vor seinen Feinden zu warnen und ihn der Verehrung ganz Deutschlands zu versichern. Noch im Juni 1520 scherzte er mit Hutten, als ihn derselbe in seine Pläne zu einem Pfaffenkrieg einweihte. Zweieinhalb Jahre später, als Hutten krank und mittellos nach Basel kam, war E.’ Sympathie verflogen. Der folgende Abtausch von Streitschriften wirft kein günstiges Licht auf E. Luther und E. haben sich nie gesehen. Von Anfang an war Luthers Bewunderung für den Geißler kirchlicher Mißstände und Herausgeber des NT nicht ungemischt; in Luthers Sicht nahm er die Erbsünde zu leicht und blieb unbetroffen beim Gedanken an Verdammnis und Gnade. Auch bei E. meldeten sich, trotz tapferen Einstehens für den von Rom Geächteten, bald Bedenken. Luthers Sprache war so aggressiv, daß er seiner eigenen Sache und zugleich den Anliegen des Humanismus schadete. Nur unter dem Druck von Freunden fand sich E. schließlich bereit, seine gegen Luther gerichtete ‘De libero arbitrio diatribe’ herauszugeben. Die darin vorsichtig geäußerten Ansichten zur Willensfrage griff Luther mit rücksichtsloser Schärfe an. Auch in seinen Tischgesprächen hat er E. oft brutal verdammt. Dagegen blieben E.’ Freundschaften mit Melanchthon und J Pirckheimer ungetrübt, wiewohl der erstere sich sogleich zur Reformation bekannt hatte, der letztere aber sie erst mit der Zeit ablehnte. Gerade in den Basler (und Freiburger) Jahren gehörte E. dem ganzen Abendland. Von Portugal bis Dänemark und Polen reichte der Kreis der Bewunderer, die ihn besuchten und sich zuweilen für einige Zeit seinem Haushalt anschlossen. Papst Hadrian VI. and Kg. Franz I. von Frankreich versuchten vergeblich, E. in ihre
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Nähe zu holen. Ohne Anmaßung konnte er seine neuen Werke gekrönten Häuptern widmen. Kardinäle und Bischöfe, die sich um liberale Reformen innerhalb ihrer Kirche bemühten, suchten seine Freundschaft. Aber auch die Anfeindungen dauerten an, und zwar sowohl von konservativ katholischer Seite als auch vermehrt aus dem protestantischen Lager. Namentlich ärgerte sich E. über Publikationen aus Straßburg, darunter eine, die durchaus als Huldigung gedacht war. Sebastian Franck hielt E. in hohen Ehren und hat mit seiner ‘Geschichtbibel’ auch spätere Generationen auf das subversive Potential in E.’ Schriften hingewiesen. Ganz allgemein blieb im deutschen, niederländischen und französischen Sprachgebiet angesichts der vorherrschenden konfessionellen Spannungen E.’ Ruf ambivalent. Beliebt blieb er abseits der Orthodoxien, etwa bei Arminianern, Jansenisten, Pietisten, bis er dann in der Aufklärung wieder zentrale Beachtung gewann. Literatur. Bibliographien zur Forschung: Bibliographia Erasmiana, in: J. Coppens (Hg.), Scrinium Erasmianum, Bd. 2, Leiden 1969, S. 621⫺ 678; Catalogue of the Erasmus Collection in the City Library of Rotterdam (Bibliographies and Indexes in Philosophie 2), New York/London 1990, S. 290-678 (Works about E.); J. C. Margolin, Quatorze anne´es de la bibliographie e´rasmienne (1936⫺1949), Paris 1969; ders., Douze anne´es de la bibliographie e´rasmienne (1950⫺1961), Paris 1963; ders., Neuf anne´es de bibliographie e´rasmienne (1962⫺1970), Paris 1977; ders., Cinq anne´es de bibliographie e´rasmienne (1971⫺1975), Paris 1997. Zeitschriften zur E.-Forschung: Erasmus in English, Toronto 1970 ff. (1988 eingestellt); Erasmus of Rotterdam Society Yearbook, Ann Arbor (Mich.) 1981 ff. Gesamtdarstellungen: J. Huizinga, Erasmus, Haarlem 1924 (dt. von W. Kaegi, 1928 u. ö.; engl. von F. Hopman, New York/London 1924, ND 1952); J. J. Mangan, Life, Character and Influence of Desiderius E. of R., 2 Bde, London 1927; K. A. Meissinger, E. v. R., Berlin 21948; W. P. Eckert, E. v. R. Werk u. Wirkung, 2 Bde, Köln 1967; R. H. Bainton, E. of Christendom, New York 1969; J. D. Tracy, E. A Growth of a Mind, Genf 1972; R. Stupperich, E. v. R. u. seine Welt, 1977; C. Augustijn, in: TRE 10, 1982, S. 1⫺18; ders., E. v. R. (dt. Übers. von M. E. Baumer, 1986, engl. Übers. von J. C. Grayson, Toronto 1991); M.
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Erasmus von Rotterdam
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Peter G. Bietenholz
I I. We rk . Erasmus ist erst vergleichsweise spät zum bewußten Schriftsteller geworden, der
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Erasmus von Rotterdam
er dann auch blieb, ohne noch eine Karriere in kirchlichen oder weltlichen Institutionen anzustreben. Das erste eigene Buch, das er veröffentlichte, waren die 1500 erschienenen ‘Adagiorum Collectanea’. Erst durch sie begann er in der gelehrten Welt ein Name zu sein. Wichtige Bücher auf dem Gebiete der Bildung und des Unterrichts waren bereits in den Pariser Jahren 1495⫺1499 entworfen, in Vorformen auch formuliert, kamen aber erst 15 und mehr Jahre später, als der Buchmarkt allem, was aus erasmischer Feder stammte, Erfolg garantierte, an die Öffentlichkeit. Von den noch früheren, in Steyn verfaßten oder begonnenen Schriften hat er aus späterer Sicht, nicht ohne Revisionen, nur ‘De contemptu mundi’ und die ‘Antibarbari’ gelten lassen; die frühesten, die nur durch eine ehemals Steyner Handschrift erhalten blieben, ließ er fallen. Unveröffentlicht, da noch unvollendet, blieb eine Anzahl von Schriften, von denen man nur aus dem ‘Lucubrationum index’ von 1518/19, E.’ erstem eigenen Werkverzeichnis (Löwen: Dirk Martens, 1. Jan. 1519; Abdruck von F. L. Hoffmann, Serapeum 23 [1862] 49⫺ 58), und aus dem ‘Catalogus omnium Erasmi lucubrationum’ von 1523 (Op. epist., Bd. 1, Nr. I) weiß, darunter Heiligenpredigten der Pariser Zeit, deren Manuskripte ihm angeblich Freunde entwendeten, und Declamationes aus den Jahren in Italien (1506⫺09). Durch den Erfolg der ‘Adagia’ wurde E. der Buchdruck als Instrument seiner schriftstellerischen Chancen bewußt. Er machte von dem neuen Medium mit wachsender Intensität Gebrauch und wußte es schließlich zu nutzen wie keiner seiner Zeitgenossen. Mit dem gedruckten Buch baute er sein Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit auf. Treffend hat man ihn als “impresario of print” bezeichnet; schon Albrecht Dürer hat ihn auf seinem Stich von 1526 so dargestellt. Seit dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jh.s hat E. wohl nichts mehr verfaßt, was nicht für den Druck bestimmt war, und dazu gehörten bald auch seine Briefe, die er seit 1515 in wachsender Anzahl und in beachtlich dichter Folge herausgab. Die Drucke seiner Schriften
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verschafften ihm schon zu seinen Lebzeiten eine europaweite Präsenz, wie sie vor ihm kein Autor selbst erlebt hat. Viele seiner Bücher waren europäische Bestseller. Er war im 16. Jh. nicht nur der mit weitem Abstand meistgedruckte lat. Autor (wenngleich die kirchliche Zensur in Italien den Druck erasmischer Werke nach Mitte des Jahrhunderts nahezu erstickte), sondern auch der in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und England meistübersetzte. Eine kritische Verzeichnung der Druck-Überlieferung, die eine verläßliche und genaue Konsultation bis ins 18. Jh. gewährte, eine Verzeichnung sowohl der vollständigen Ausgaben als auch der Teildrucke, Bearbeitungen, Kürzungen, Exzerpte und der Übersetzungen, fehlt nach wie vor. Die Bibliotheca Belgica erteilt über die Druck-Überlieferung einer Anzahl wichtiger Werke fundierte Auskünfte, doch geben die vorhandenen Druck-Bibliographien auch vereint für die Überlieferung des gesamten Œuvre nur unvollständige und gänzlich ungleichmäßige Information.
E. war der letzte große lateinische Schriftsteller. Zu seiner Zeit und solange die humanistische Gelehrtenkultur in Geltung waren, verbürgten ihm in der Respublica litteraria höchsten Rang die jedem Bedarf gewachsene Beherrschung des Lateins, die Ausdrucksfülle, rhetorische Brillanz, urbane Gewandtheit seiner Sprache, die umfassende Kennerschaft der antiken Autoren und deren literarische Aneignung. Tiefer aber als der sprachliche und literarische Glanz wirkte der universale kritischreformerische Geist seines Werks. Nahezu das gesamte erasmische Werk ist der Reform von Kirche und Gesellschaft verschrieben, der Erneuerung der Theologie und der Frömmigkeit, der Bildung und Erziehung, der Politik und der Moral zumal der Mächtigen, und es antwortete damit auf fundamentale Mängel, Mißstände und Probleme der Zeit. Mit der seit dem ‘Moriae encomium’ offenen und anhaltenden Kritik an der kirchlichen Hierarchie, am Mönchtum, an der Veräußerlichung christlichen Lebens, an der traditionellen Schultheologie, nicht zuletzt mit der Textrevision des NT zog E. in wachsendem Maße die Gegnerschaft der etablierten Theolo-
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Erasmus von Rotterdam
gie, streitbarer Mönche und anderer geistlicher Opponenten auf sich, die ihm mit öffentlicher Rede, polemischen Traktaten und offiziellen Verurteilungen zusetzten. Die Apologien, mit denen er sich in den nicht endenden Konflikten verteidigte, machen einen beträchtlichen Teil seines Œuvre aus. Gemäß seinen kritisch-reformerischen Motiven und Zielen ist das erasmische Werk, in aller Vielfalt seiner Formen, ein Werk der Unterweisung mit dem Grundanliegen der Verschmelzung von Eruditio und Pietas, von humanistischer Bildung und christlicher Lebensphilosophie. Mit diesem Anliegen sind auch E.’ Editionen und Übersetzungen, voran die des NT und der lateinischen und griechischen Kirchenväter, fest verbunden. Auf die philologische Arbeit an den Kirchenvätern, seinen Vorbildern der Einheit von Bildung und Frömmigkeit, hat E. wohl den größten Teil seiner Zeit verwendet. Zur Vorbereitung einer Gesamtausgabe verfaßte E. seit 1523 mehrfach briefliche Berichte über sein gewaltiges Œuvre, die er jeweils veröffentlichte (Op. epist., Bd. 1, Nr. I), zuletzt den ‘Index omnium Erasmi Roterodami lucubrationum’ von 1530, den Hector Boece erbeten hatte (Op. epist., Bd. 8, Nr. 2283). Diese letzte Fassung, die das Œuvre in neun ordines gliedert, für deren jeden ein Band vorgesehen war, liegt der postumen ersten Gesamtausgabe zugrunde, den 1540⫺42 bei Hieronymus Froben / Nikolaus Episcopius in Basel erschienenen Omnia Opera | Des. Erasmi Ro-|terodami, quaecunque ipse | autor pro suis agnovit, novem tomis distin/|cta […] (VD 16, E 1859⫺1872), und sie blieb die bestimmende Maßgabe auch für die 1703⫺ 06 gedruckte Leidener Ausgabe (⫽ LB) und ebenso für die seit 1969 erscheinende neue kritische Amsterdamer Gesamtausgabe (⫽ ASD). Die von Erasmus selbst vorgenommene Gliederung folgt verschiedenen Gesichtspunkten, teils weitgefaßten inhaltlichen (Bd. 1: institutio literarum, Bd. 4: moralia, Bd. 5: pietas, Bd. 6: NT mit den ‘Annotationes’, Bd. 7: Übersetzungen griech. Kirchenväter, Bd. 9: Ausgaben lat. Kirchenväter), teils solchen der Gattung
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(Bd. 2: ‘Adagia’, Bd. 3: Briefe, Bd. 8: Apologien), aber auch quantitativen (die Bände sollten ungefähr die gleiche Stärke haben). Eine ⫺ sehr wünschenswerte ⫺ Gliederung innerhalb der Bände, insbesondere der Bände 1, 4 und 5, blieb aus. Im übrigen machte Erasmus kein Hehl daraus, daß seine ordines nicht in jedem Falle ⫺ ausdrücklich nicht der 1. und der 4. ⫺ als geschlossene und voneinander geschiedene Corpora zu verstehen sind, vielmehr mancherlei enthalten, das sich verschiedenen ordines zuordnen läßt. Allein schon den ‘Colloquia familiaria’, die E. in den 1. ordo stellte, stünden gleichermaßen auch der 4. und der 5. offen. Jede Gliederung des erasmischen Gesamtwerks wird provisorisch sein und umso prekärer, je mehr sie eine sachliche Sonderung der einzelnen Schriften versucht. Das gilt auch für die im folgenden vorgenommene Gliederung, die im Bestreben der Übersichtlichkeit verschiedene charakteristische Schaffensbereiche ansetzt, dabei auch, soweit möglich und erforderlich, der Chronologie Rechnung trägt. Die Rubrik A faßt die frühesten Schriften zusammmen, unter den Rubriken B⫺E stehen überwiegend die Schriften, die, zumindest mit ihren ersten Entwürfen, in die Pariser Jahre 1495⫺1499 zurückreichen. Unter die Rubrik E (‘Literarisches Werk’) sind die rhetorisch konstituierten und die fiktionalen Texte gestellt. Im folgenden Aufriß des erasmischen Werks kommen nicht sämtliche Schriften zur Sprache, doch alle diejenigen, welche die Substanz, die Konturen, die Verbreitung und Wirkung seines Œuvre bestimmen. Literatur. Allgemeine Bibliographien zu Leben und Werk sowie Zeitschriften zur E.-Forschung s. o. unter I. (Leben). Bibliographien der E.-Drucke: van der Haeghen, Re´p. ⫽ [F. van der Haeghen], Bibliotheca Erasmiana. Re´pertoire des œuvres d’E´rasme. 1re se´rie: Liste sommaire et provisoire des diverses e´ditions de ses œuvres, 2e se´rie: Auteurs publie´s, traduits ou annote´s par E´rasme, Gent 1893 (NDe Nieuwkoop 1961, 31990, Würzburg 2005). ⫺ BB ⫽ Bibliotheca Belgica. Bibliographie ge´ne´rale des Pays-Bas. Fonde´e par F. van der Haeghen. Re´e´dite´e sous la direction de M.-Th. Lenger, Bd. 2:
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F. J. Worstbrock
A . Frü hs ch ri ft en . Die ersten Schriften, die nächst den frühen Gedichten aus E.’ Hinterlassenschaft erhalten sind, verfaßte er um 1488/89 als Mönch des Augustiner-Chorherrenklosters in Steyn. Ihre Chronologie ist nicht sicher zu bestimmen. Nur von zweien gibt die Überlieferung das Lebensalter des Verfassers an. Danach wird die ‘Oratio de pace et concordia’ E.’ älteste überkommene Schrift sein. Die beiden ältesten und nur in einer Hs. erhaltenen Stücke sind später aus E.’ Blickfeld geraten; die Totenrede auf Berta van Heyen hat er nirgends mehr erwähnt (wegen der Abwertung der Ehe?), die ‘Oratio de pace’ nur noch im ‘Lucubrationum index’ von 1519 (unter den nondum aedita et imperfecta, s. Serapeum 23 [1862] 57). 1. ‘Oratio de pace et concordia’. Dem Kolophon der Hs. zufolge verfaßte E. die dem Mitbruder und Freund Cornelius Gerard gewidmete Rede in seinem 20. Lebensjahr, somit wahrscheinlich 1488/89. Das Thema, Forderung von Frieden und Eintracht wider Entzweiung und Streit, gehört zu den beständig wiederkehrenden, spezifisch bestimmenden des erasmischen Gesamtwerks (s. bes. ‘Querela pacis’ [H.3.]).
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Die Friedensrede des jungen E. versammelt aber bereits auch zentrale Argumente und Gesichtspunkte, die in späteren Schriften wiederkehren: die optimistische Annahme, der Mensch, im Unterschied zu den Tieren wehrlos geboren, sei seiner Natur nach zu Eintracht und Wohlwollen geschaffen; die pazifistische Prämisse, daß der Friede alle Tugenden auf seiner Seite habe, Zwietracht alle Laster, jede gute Entwicklung Frieden voraussetze, Zwietracht einzig Unheil nach sich ziehe; die Beschwörung der in ihrer genügsamen Armut friedlichen und menschenfreundlichen Aetas aurea; die Berufung auf den Kosmos und auf den Organismus des menschlichen Körpers als Erscheinungen naturgemäßer concordia; die Mahnung an die besondere Pflicht des Christen ⫺ und hier ausdrücklich auch des Klerikers und des Mönchs ⫺ zur Friedfertigkeit. Für den Vergleich von menschlicher und tierischer Natur und zur Illustration einer durch Zwietracht stimulierten äußersten Entartung des Menschen hat E. sich ausgiebig, auch wörtlich, der 15. Satire Juvenals bedient. Handschrift. Tilburg, Kath. Univ. Brabant, Brabanter Slg., D 141. Die Hs. wurde 1570 nach einer oder mehreren Hss. aus Kloster Steyn zur Veröffentlichung von ‘Philomusus’ (Bonaventura Vulcanius) kompiliert und war später im Besitz von Petrus Scriverius (1570⫺1660). Sie enthält neben einigen späteren Gedichten (s. u. F.4.b) nur Schriften und Gedichte, die E. in Steyn verfaßt hat, die bis zum Erstdruck durch Leclerc in LB VIII aber unbekannt blieben. Leclercs Druck der ‘Oratio de pace et concordia’ und der ‘Oratio funebris’ auf Berta van Heyen liegt diese Hs. zugrunde; vgl. LB VIII, Vorwort. Zum Inhalt und zur Geschichte der Hs.: A. A. J. Karthon, Het verloren Erasmiaansch hs. van P. Scriverius, teruggevonden in ‘s Hertogenbosch, Het Boek 5 (1916) 113⫺129; C. Reedijk (Hg.), The Poems of E., with Introduction and Notes, Leiden 1956, S. 131 f.; P. O. Kristeller, Iter Italicum, Bd. 4, 1959, S. 349b; H. Vredeveld, ASD I-7, S. 51 f. Ausgabe. LB VIII, Sp. 545D⫺552B.
2. ‘Oratio funebris in funere Bertae de Heyen’. Der Tod von E.’ fürsorglicher Gönnerin Berta van Heyen (s. CoE, Bd. 2, S. 189 f.) und somit auch seine Leichenrede, die an
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die Töchter der Verstorbenen, Augustinerinnen in Gouda, gerichtet ist, dürften ins Jahr 1489 fallen, denn die Rede verfaßte er nach dem Kolophon der Hs. als 20jähriger (anno aetatis vicesimo primo). Als Gattungsmodell dienten ihm die brieflichen Totenreden des Hieronymus (Sp. 553D: quem ego imitatus sermonis dumtaxat filo) auf Nepotianus (Ep. 60) und auf Paula (Ep. 108), denen er auch einzelne Motive und Wendungen entnahm, und wie Hieronymus der Würdigung der Paula fügte er seiner Rede zwei Epitaphien an. Die Rede ergeht sich, nach eröffnender pathetischer Klage, im Preis dreier Tugenden der Verstorbenen: ihrer Keuschheit in der Ehe und als Witwe, ihrer steten Wohltätigkeit, insbesondere ihrer Fürsorge für die Armen, und ihrer geduldigen Ergebenheit im Leid (beim frühen Tod ihrer jungvermählten Tochter). Der junge Augustiner E. schrieb die idealisierende ‘Oratio’ aus einer sichtlich monastischen Perspektive. Er mißt Bertas Vollkommenheit an ihrer Weltverachtung (Sp. 554DE mit der mundus-mare-Allegorie von ‘De contemptu mundi’, Kap. 1), spricht ihr eine stärkere Neigung zur Lebensform der ‘Maria’ statt der ‘Martha’ zu und so zur vita caelebs (nur auf Befehl der Eltern habe sie geheiratet); die Witwe hätte man nach ihrer Lebensführung für eine monacha (Sp. 555F) halten können. Eine mulier fortis, frei von jeder Schwäche des weiblichen Geschlechts. Handschrift. Tilburg, Kath. Univ. Brabant, Brabanter Slg., D 141. Ausgabe. LB VIII, Sp. 551D⫺560B. Separate Ausg. der beiden Epitaphien: Vredeveld, ASD I7, S. 405 f., Nr. 113 u. 114. Übersetzung, engl.: B. Inwood, CWE 29, 1989, S. 15⫺30.
3. ‘De contemptu mundi epistola’. Eine Schrift der Werbung für das Ideal der weltverachtenden mönchischen Lebensform in 11 Kapiteln, verfaßt wohl vor 1490 (vgl. aber IJsewijn) in Kloster Steyn. Sie erschien gedruckt erst 1521, in einer sprachlich überarbeiteten Fassung, versehen mit einer Vorrede an den Leser und einem als Kap. 12 angehängten, wohl erst bei der Vorbereitung des Drucks geschrie-
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benen Epilog. In der Vorrede läßt E. Distanz zu seiner Jugendschrift spüren, gibt sie als spielerische Übung in locis communibus aus, und das Kap. 12 ist einem Widerruf nahe, warnt eindringlich vor unbedachtem Eintritt ins Klosterleben, über dessen zeitgenössische Praxis ein vernichtendes Urteil ergeht; gegen das institutionelle Mönchstum spielt E. das aufrichtige innere Christsein aus, das der Kutte nicht bedarf. E. gibt in der Vorrede ⫺ gewiß fingierend ⫺ an, die Schrift im Auftrag eines gewissen Theodoricus als dessen Brief an den Neffen Jodocus verfaßt zu haben (vgl. Dresden, Ausg., S. 13 f.). Er bezeichnet den Brief als epistola hortatoria, 1523 in der Revue seines Gesamtwerks als declamatio (Opus epist., Bd. 1, S. 18) und bezeichnet damit seinen rhetorischen Charakter (vgl. auch S. 79: persuadere volumus). Die elf Kapitel führen nach dem einleitenden ersten, welches sich über die Welt als ‘Meer’ ergeht, eine Folge von Loci communes aus, die Kap. 2⫺7 Loci des Contemptus mundi (Periculosum est morari in mundo, De contemnendis opibus, Mortiferas atque acerbos esse voluptates carnis usf.), die Kap. 8⫺11 Loci der gepriesenen Vita solitaria. Die Aufforderung zur Weltverachtung, traditionell monastisch, ist hier auffällig stark mit antiken Stimmen und Exempla instrumentiert; Weltverachtung erscheint als eine Tugend schon der antiken Weisen. Nicht minder entschieden dringt die humanistische Perspektive im Lob der Vita solitaria durch. Gepriesen wird das Kloster als Ort glücklicher Abgeschiedenheit von aller irdischen Unruhe, Bedrängnis und Sorge, als Ort daher höchster Freiheit, äußeren und inneren Friedens und des Genusses der wahren Freuden, der voluptates animi, und insoweit als ⫺ expressis verbis ⫺ epikureisches Ideal. Dieses Lob, das, sehr ichbezogen, die eigene Erfüllung im Auge hat, blendet den definitiven Kern des Mönchseins, Selbstentäußerung und Hingabe an Gott, nahezu aus, verdrängt das religiöse Motiv für den Eintritt ins Kloster an die Peripherie. Der Versuch des jungen Augustiners E., mönchische Existenz und humanisti-
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sches Interesse zur Einheit zu bringen, beschreibt in Wahrheit eine Illusion. Das späte Kap. 12 hat diese auf ihre Weise beseitigt. Die 1981 von M. Haverals im Rijksarchief Zwolle (Verzameling Hss. Vereeniging Overijsselsch Regt en Geschiedenis, 1034, 8r⫺34v) entdeckte Abschrift der vermutlich ursprünglichen Fassung trägt noch den Titel Epistola suadens deserere seculum ac monachum fieri, sie kennt auch noch nicht jenen Theodericus, in dessen Namen E. nach der Vorrede zur Druckfassung die ‘Epistola’ verfaßt haben will. Sie zeigt im übrigen, daß E. die elf Kapitel seiner Jugendschrift in der Tat mit nur geringen sprachlichen Retouchen ⫺ bisweilen aber tendenziösen (Ersetzung von monachus durch solitarius u. a.) ⫺ zum Druck gegeben hat. Drucke. D. Eras|mi. Roterodami | de contemptu mundi epistola, | quam conscripsit adolescens | in gratiam ac nomine The/|odorici Harlemei Ca/|nonici ordinis diui | Augustini […]. Löwen: Dirk Martens, 1521. NK 2907. Weitere DruckÜberlief.: van der Haeghen, Re´p., S. 64 f.; NK 804⫺809; VD 16, E 2597⫺2602; Bezzel 684⫺ 690. Die 17 bis 1536 erschienenen Drucke entstammen überwiegend Offizinen in Antwerpen, Löwen und Köln. Ausgaben. LB V, Sp. 1239⫺1262; S. Dresden, ASD V-1, 1977, S. 1⫺86 (zit.). Übersetzung, engl: E. Rummel, CWE, Bd. 66, 1988, S. 135⫺175.
4. ‘Antibarbari’. E. hat mit der Schrift, der er später den Titel Antibarbarorum libri gab, noch vor seinem 20. Lebensjahr, vor Okt. 1488, in Steyn begonnen. Nach zwei ersten Fassungen, von denen man nur aus E.’ Briefwechsel mit Cornelius Gerard weiß (dazu Pfeiffer, 1936, S. 65−67; Thema und Tendenz dürften der damals entstandenen ‘Apologia Herasmi et Cornelii […]’, ASD I-7, Nr. 93, entsprochen haben), arbeitete er 1494/95, als er Steyn längst verlassen hatte und Hendrik van Bergen, dem Bischof von Cambrai, als Sekretär diente, an einer dialogisch angelegten Neufassung in vier Büchern; von diesen kamen aber allein die beiden ersten zum Abschluß, das 3. blieb unvollendet, für das 4. war nur der Stoff gesammelt. Buch 1, das er 1495 in Paris Robert Gaguin vorlegte und, vermutlich 1499/1500, Buch 2 in London John Colet, unterzog er 1507 bei seinem Aufent-
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halt in Bologna einer erweiternden Redaktion, gab ihnen nun den Titel ‘Antibarbarorum libri’ und dachte endlich auch an eine Veröffentlichung. Das Manuskript, das er bei seiner Abreise von Bologna Richard Pace anvertraut hatte, ging indes verloren und tauchte trotz langjähriger Suche nie wieder auf. In den Niederlanden kursierten, wie E. erfuhr, als er nach langem Englandaufenthalt im Sommer 1517 nach Löwen zurückkehrte, Abschriften von Buch 1 der älteren Fassung von 1494/ 95. Um dessen Druck durch andere zuvorzukommen, aber auch im Zweifel, ob er sein Bologneser Manuskript jemals wiedersehen würde, überarbeitete er 1519/20 diese ältere Fassung von Buch 1 und gab die erneuerte Version im April 1520 zum Druck. Noch 1535 kam eine von E. selbst korrigierte Ausgabe heraus. So haben ihn die ‘Antibarbari’ fast lebenslang beschäftigt, dauerhafter als jede andere seiner Schriften. Eine auf 1519 datierte Abschrift von Buch 1 der Fassung von 1494/95, wohl eine der damals umlaufenden, wurde, entdeckt (vor 1924) in der StB Gouda von P. S. Allen (s. Op. epist., Bd. 5, S. XX), erstmals 1930 von A. Hyma ediert (⫽ G). Die Druckfassung von 1520 (⫽ A) stimmt mit G im Grundbestand überein, ist aber ⫺ im ersten Sechstel ⫺ beträchtlich erweitert: Breiter ausgestaltet ist neben der Szenerie des Dialogs und der Zeichnung der Gesprächspartner mit zahlreichen Zusätzen, meist verschärfenden, die Debatte über den Zustand der Bildung und ihre Verächter selbst. Zur Textgeschichte immer noch grundlegend Pfeiffer, 1936.
Die ‘Antibarbari’ lassen ‘De contemptu mundi’ schon nach ihrer literarischen Form ganz hinter sich. Sie sind ein Dialog unter Freunden, die sich in Halsteren b. Bergen-op-Zoom, dem brabantischen Landsitz Hendriks van Bergen, in amön-idyllischer Umgebung (von E. zugeschnitten nach Platos ‘Phaidros’) zusammenfinden: der Bürgermeister von Bergen Willem Conrad, der Stadtarzt Jodocus, der Stadtsekretär Jacobus Battus, Erasmus und Willem Hermans, einer seiner Jugend- und Klosterfreunde. Da sie alle antibarbari sind, verläuft der Dialog ohne ernstliche interne Oppositionen. Er folgt auch nicht
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platonischem Vorbild, sondern, indem er Battus mit einer beherrschenden Hauptrede auftreten läßt, dem von Ciceros ‘De oratore’. Im Eingangsgespräch über die Ursachen des deplorablen Zustands der Bildung stellt Battus, nachdem der Arzt, der Bürgermeister und Hermans verschiedene Erklärungen (die Sterne, die negative Rolle der Religion, das Altern der Welt) geltend gemacht haben, der Misere unnachsichtig anklagend die wahre Diagnose: schuld seien die ignoranten Lehrer und die für das Schulwesen verantwortlichen politischen Instanzen. Damit ist der Hauptteil vorbereitet, eine ausgedehnte, mitunter von Fragen und Einwänden der anderen Teilnehmer unterbrochene förmliche Oratio des Battus zur Verteidigung der humanistischen Studien gegen ihre Feinde. Die Gruppe der Feinde, gegen die Battus zu Felde zieht, um ihre Argumente mit rationes (S. 71⫺105), testimonia (S. 105⫺120) und exempla (S. 121⫺136) zu widerlegen, ist die der (vornehmlich mönchischen) Ignoranten, die im Namen christlicher simplicitas die säkularen studia politiora, ohne sie überhaupt zu kennen, meinen verachten zu sollen. Zur Frage steht die Beziehung von Christentum und heidnischer Antike im ganzen, steht das grundsätzliche Verhältnis von Religion und Kultur. Battus’ ganzes Anliegen ist es, die Isolierung des Christentums von der vor- und außerchristlichen Welt des Geistes grundsätzlich aufzuheben. Er hat keinen Zweifel, daß die Geschichte, da die gesamte eruditio einschließlich ihrer philosophischen Substanz der Antike zu verdanken sei, eine genuin christliche eruditio nicht kenne, die antike eruditio aber, auch sie von Gott gegeben und erleuchtet, die christliche Ära sowohl vorbereitet habe als sie auch neu zu beleben vermöge. Er sucht zu erweisen, daß die säkulare eruditio für den Christen nicht nur förderlich, sondern auch notwendig ist, und darin weiß er sich auf der Seite der Kirchenväter, voran des Hieronymus, nicht zuletzt auch des Apostels Paulus, der bereits christliche Verkündigung mit höchster Bildung verbunden habe. Den Vorwurf, daß Bildung zu Hochmut ver-
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führe, kehrt er um: Erst hohes Wissen schaffe das demütige Bewußtsein seiner Begrenztheit und Unabschließbarkeit, letztlich des Nichtwissens und damit eine Voraussetzung der Weltverachtung, die der eruditio und der pietas gemeinsames Ziel sei. Mit der Frage der Verbindung von eruditio und pietas ist das leitende Thema von E.’ Lebenswerk angeschlagen. Neben der bildungsverachtenden ‘barbarischen’ Gegnerschaft ist eine zweite gegenwärtig, eine von Battus zwar nicht thematisierte, aber doch häufiger attackierte: die, angefangen bei der Sprache, bildungsverderbende dogmatische Scholastik (vgl. Schottenloher, S. 86 ff.). Battus verwirft sie summarisch. Vielleicht sollte die am Ende angekündigte, aber ausgebliebene Fortsetzung des Gesprächs, das 2. Buch, eine zentrale Auseinandersetzung mit ihr liefern. Als zusammenfassende Bezeichnung der humanistischen Gemeinschaft hat E. in den ‘Antibarbari’ (S. 68, Z. 10 u. 22) erstmals den Begriff res publica literaria geprägt. Drucke. Antibar|barorum D. Erasmi | Roterodami, liber unus, quem iuue|nis quidem adhuc lusit: caeterum | diu desideratum, demum re/|pertum non iuuenis reco/|gnouit, et uelut postlimi/| nio studiosis restituit […]. Basel: Joh. Froben, Mai 1520. Druck-Überl.: BB, E 286−295; NK 776; VD 16, E 1997⫺2005. Der bei BB unter E 295 angeführte Druck “Coloniae, Nic. Caesar, 1518” existiert nicht. Ausgaben. LB X, Sp. 1691⫺1744; K. Kumaniecki, ASD I-1, 1969, S. 1⫺138 (teilweise Parallelausg. von A und G), zit. ⫺ Ausgabe der 1. Version: Hyma, S. 239−331. Übersetzungen. Engl: M. Mann Philipps, CWE 23, 1978, S. 1⫺122. ⫺ Ndl.: I. Bejczy, Desiderius E., Het book tegen de barbarij, Nijmegen 2001. Literatur. P. Mestwerdt, Die Anfänge des E. Humanismus u. ‘Devotio moderna’, 1917, S. 215⫺ 236, 245⫺283 u. ö.; A. Hyma, The Youth of Erasmus, Ann Arbor 1930, erweiterter ND New York 1968; R. Pfeiffer, Humanitas Erasmiana (Stud. d. Bibl. Warburg 22), 1931; O. Schottenloher, E. im Ringen um d. humanistische Bildungsform (Reformationsgeschichtl. Stud. u. Texte 61), 1933, S. 49⫺57, 86⫺110 u. ö.; E. W. Kohls, Die Theologie des E., 2 Bde., 1966; C. Augustijn, Het probleem van de initia Erasmi, Bijdragen. Tijdschrift
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voor filosofie en theologie 30 (1969) 380⫺395 (dt., in: ders., E. Der Humanist als Theologe u. Kirchenreformer, 1996, S. 3⫺25). Zu 3.: R. Bultot, E´rasme, Epicure et le ‘De contemptu mundi’, in: J. Coppens (Hg.), Scrinium Erasmianum, Bd. 2, Leiden 1969, S. 205⫺238; M. Haverals, Une premie`re re´daction du De contemptu mundi d’E´rasme dans une manuscrit de Zwolle, Hum. Lovan. 30 (1981) 40⫺54; E. J. M. van Eijl, De interpretatie van E.’ De contemptu mundi, in: R. Lievens u. a. (Hgg.), Pascua mediaevalia. Studies voor Prof. Dr. J. M. de Smet, Löwen 1983, S. 337⫺350; E. Rummel, Quoting Poetry instead of Scripture. E. and Eucherius on Contemptus Mundi, BHR 45 (1983) 503⫺509; J. IJsewijn, Zur Interpretation von E., ‘De Contemptu Mundi’, cap. VII, Wolfenb. Ren. Mitt. 12 (1988) 62⫺64. Zu 4.: R. Pfeiffer, Die Wandlungen d. ‘Antibarbari’, in: Gedenkschrift 1936, S. 50⫺68; J. D. Tracy, Against the ‘Barbarians’. The Young Erasmus and his Humanist Contemporaries, Sixteenth Century Journal 11 (1980) 3⫺22; Chomarat, Gramm et rhe´t., S. 423⫺426; C. G. van Leijenhorst, A Note on the Date of the ‘Antibarbari’, E. in English 11 (1981/82) 7; R.-L. DeMolen, First Fruits. The Place of Antibarbarorum liber and De contemptu mundi in the Formulation of Erasmus’ Philosophia Christi, in: Colloque E´rasmien de Lie`ge, Luik 1986, S. 177⫺196; I. Bejczy, Overcoming the Middle Ages. Historical Reasoning in E.’ Antibarbarian Writings, E. of R. Society Yearbook 16 (1996) 34⫺53; P. Schenk, Ein Idyll im Garten. Beobachtungen z. Szenerie in E.’ ‘Antibarbarorum Liber’, Mlat. Jb. 38 (2003) 411⫺437.
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B . S tu di um un d E rz ie hu ng . Seit dem Quattrocento hatte sich, basierend auf dem genuinen Bildungsinteresse des Humanismus, erstmals ein spezifisch pädagogisches Schrifttum konstituiert, das sowohl die Erziehung des ganzen Menschen als auch im besonderen die sprachliche und literarische Bildung zum Gegenstand hatte, häufig auch beides miteinander verband. Die Beiträge des E. gehören zu den verbreitetsten und historisch wirkungsvollsten, vor allem zu den modernsten ihrer Art. Sie gehen zu einem Teil wie etliche andere, die, zumindest ursprünglich, in den Bereich des Unterrichts fallen (‘Familiarium colloquiorum formulae’, ‘De conscribendis epistulis’, ‘De copia’, die ersten Encomia, die ‘Adagia’) auf die Jahre
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1496⫺98 zurück, in denen E. in Paris als Privatlehrer von Söhnen aus begüterten Häusern seinen Unterhalt zu bestreiten suchte. 1. ‘De ratione studii ac legendi interpretandique auctores’. Die Schrift greift Überlegungen zu Ziel und Methode des Studiums auf, die E. bereits 1496⫺97 als Lehrer der Brüder Northoff und der beiden Engländer Thomas Grey und Robert Fisher in etlichen Briefen niedergelegt hatte (vgl. Op. epist., Bd. 1, Nr. 54, 56, 58, 61⫺64, 66). Als John Colet ihn 1511 bat, eine Schrift über den Aufbau des Studiums für seine neue Schule bei St. Paul in London zu verfassen (vgl. Op. epist., Bd. 1, Nr. 227 u. 230), ergriff er gern die Gelegenheit, rasch auf wenigen Seiten seine Ratschläge zusammenzustellen. Unter dem 13. Sept. 1511 schickte er sie ihm von Cambridge aus zu. Die stark von Quintilian (inst. 2,1⫺10) inspirierte Schrift umfaßt zwei Teile. Der kleinere erste (De ratione studii) richtet sich an den Schüler, der zweite (De ratione instituendi discipulos) an den Lehrer. Grundlegend für den Schüler ist die Aneignung der sprachlichen Kompetenz (Griech., Lat.), da allein sie einen Zugang zu den ‘Sachen’ (Inhalten) ermöglicht; sie wird erworben in der alten Stufenfolge von Ars (Grammatik), Imitatio (Lektüre der besten Autoren) und Exercitatio (Verfassen von Texten in Vers und Prosa); die Lektüre ist zugleich zum Aufbau eines möglichst reichen Gedächtnisschatzes von Sentenzen, Maximen, historischen Exempla zu nutzen. E. setzt die Vitalität der alten Sprachen für jegliche Kommunikation voraus. Vom Lehrer verlangt er eine umfassende Kenntnis der antiken Literatur aller Wissensgebiete; sie dient vor allem dem Zweck der besten Textkommentierung. Den Unterricht beschreibt E. als geordnetes Fortschreiten von der Einübung der einfachsten sprachlichen Elemente bis zum Niveau einer mediocris eloquentia in Wort und Schrift. Der letzte Abschnitt ist der interpretierenden Lektüre (praelectio auctorum) gewidmet. E.’ ‘Ratio studii’ vollzieht eine völlige Abkehr vom traditionellen Artes-System.
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An dessen Stelle treten die ‘guten’ antiken Autoren, für die Schüler ein kleinerer Bestand, für den Lehrer ein enzyklopädisch universaler. Hier gilt, daß alles Wissenswerte schon in der antiken und ⫺ für die Theologie ⫺ der patristischen Literatur enthalten ist. Als Maßstab beim Erwerb einer korrekten habituellen Sprachfähigkeit zeichnet sich ein Kanon von Autoren ab: für das Griechische die als Rangfolge verstandene Trias Lukian, Demosthenes, Herodot, für das Lateinische an erster Stelle Terenz, dann Vergil und Horaz, erst danach die Prosaiker Cicero und Caesar. Die ‘Ratio studii’ nimmt erstmals seit der Antike das Griechische in ein Bildungsprogramm auf, und zwar an privilegierter Stelle noch vor dem Latein. Drucke. Nichtautorisierte verkürzte Version, mit gefälschter Widmung an William Thale: Augustini Dathi Senensis pancarpie | Epistolae […] Praeterea Herasmi Roterdami [!] Ratio studii ac legendi interpretan|dique auctores Iuuenibus apprime vtilis. Paris: G. Biermant, 20. Okt. 1511. ⫺ Erster autorisierter Druck, mit Widmung an Petrus Viterius: D. Erasmi Roterodami de dupli|ci Copia rerum ac verborum commentarii duo. | De ratione studii et instituendi pueros commentarii totidem […]. Paris: Jod. Badius, 15. Juli 1512. ⫺ Revidierte und endgültige Fassung: Erasmi Roterodami | De ratione studij, ac legendi, | interpretandique auctores | libellus aureus […]. Straßburg: Matth. Schürer, Aug. 1514. VD 16, E 3533. Zur weiteren Druck-Überl.: van der Haeghen, Re´p., S. 169⫺ 172, verzeichnet 90 Drucke bis ins 18. Jh.; VD 16, E 3531⫺3557; NK 810, 856, 863, 2914⫺16, 2975. Margolin, ASD I-2, S. 89⫺102. Ausgaben. LB I, Sp. 520⫺530B; J. C. Margolin, ASD I-2, 1971, S. 113⫺146, Kurzfassung S. 147⫺151. Übersetzungen. Dt.: D. Reichling, Ausgew. Schriften d. Desiderius E., 1896, S. 102⫺119. ⫺ Engl: B. McGregor, CWE 24, 1978, S. 661⫺691.
2. ‘De pueris statim ac liberaliter instituendis’. Wie E. in der Widmung an den 13jährigen Prinzen Wilhelm von Kleve (Freiburg, 1. Juli 1529) bemerkt, hat er während seines Italienaufenthalts ⫺ vielleicht 1509 ⫺, als er an ‘De duplici copia rerum ac verborum’ arbeitete, zur Illustration rhetorischer copia eine Declamatio über das Thema möglichst frühzeitiger und liberaler Kindererziehung verfaßt; das Manuskript,
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das er damals einem Kopisten in Rom zur Abschrift geliehen hatte, sei jedoch nur unvollständig, kaum zur Hälfte, an ihn zurückgekommen, und erst sehr viel später habe er auf Drängen gelehrter Freunde die Schrift nach ihrer ursprünglichen Gestalt wiederhergestellt. Als Declamatio demonstriert die Schrift, wie ein thematisches Konzept mit der Technik rhetorischer copia zu einer großen Abhandlung ausgearbeitet werden kann; E. stellt seiner Declamatio eine solche kurze Konzeptfassung (ihrerseits mit Propositio, Probatio, Confutatio und Peroratio, vgl. Chomarat, S. 962⫺964) voran. 1529 aber wollte E. seinem Adressaten, der den Unterricht Konrad Heresbachs genoß, nicht nur ein Specimen rhetorischer copia verehren, das bestimmende Motiv der Widmung war, wie er betont, die in der Declamatio erörterte Methode der Erziehung (instituendi ratio). E. verficht den Grundsatz, daß der Mensch nicht schon kraft seiner Natur Mensch ist, sondern erst durch Erziehung, die seine natürlichen Anlagen sorgsam lenkt und entwickelt, zum Menschen wird (ASD I-2, S. 31: homines, mihi crede, non nascuntur, sed finguntur). Damit wird eine möglichst frühzeitige (statim …) Erziehung des Kindes unumgänglich, und je früher sie einsetzt, umso nachhaltiger wird sie den Nachahmungstrieb und die Gedächtniskraft des Kindes nutzen, es daher umso erfolgreicher formen und fördern können. Nächst dem Appell an die Eltern, v. a. an den Vater, mit der Unterweisung der Kinder so früh wie möglich zu beginnen, betrifft der zweite Hauptpunkt die Methoden der Unterweisung. E.’ wichtigster Rat: dem Kind das Lernen auf alle Weise zu erleichtern, es kindgemäß anzulegen und daher möglichst als Spiel zu betreiben. Zwang und Gewalt, körperliche Züchtigung und andere Formen strenger Bestrafung weist er als erzieherische Mittel mit Nachdruck und ausführlich (ASD I-2, S. 54⫺65) zurück. Er wünscht keinen autoritären, sondern einen freundlich zugewandten, kameradschaftlichen Lehrer. Als inhaltlich komplementäres Stück zu E.’ Declamatio läßt sich der Dialog ‘Puerpera’ aus den ‘Colloquia familiaria’ lesen.
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Drucke. Libellus no|vus et elegans D. Erasmi Ro/|terodami, de Pueris statim ac liberaliter insti/|tuendis, cum alijs compluribus. quorum ca| talogum indicabit uersa pagella. Basel: Hier. Froben, Joh. Herwagen, Nik. Episcopius, Sept. 1529. VD 16, E. 3474. Weitere 18 Drucke des 16. Jh.s. van der Haeghen, Re´p., S. 163 f.; VD 16, E 3473⫺79; NK 856; Margolin, Ausg., S. 10, 13, 15. Ausgaben. LB I, Sp. 489A⫺516A; J.-C. Margolin, ASD I-2, 1971, S. 23⫺78. Übersetzungen. Dt.: D. Reichling, Ausgewählte pädagogische Schriften des Desiderius E., 1896, S. 45⫺101. ⫺ Engl.: B. C. Verstraete, CWE 26, 1985, 291⫺346. ⫺ Frz.: J.-C. Margolin, E´rasme, Declamatio de pueris statim ac liberaliter instituendis. E´tude critique, Traduction et Commentaire, Genf 1966.
3. ‘De civilitate morum puerilium’. E.’ Anstandslehre ist das erste Buch, das monographisch über Auftreten und Benehmen des Menschen in der Gesellschaft, durchaus der alltäglichen, handelt. In seinen sieben Kapiteln geht es vornehmlich um die Schicklichkeit (decorum) des äußeren Verhaltens (Körperhaltung, Gebärden, Gesichtsausdruck, Sauberkeit, Sphären der Peinlichkeit, Kleidung), sowohl im allgemeinen als auch in den wiederkehrenden besonderen Situationen des Mahls, der Begegnung, des Spiels. Bei aller Fülle von Einzelheiten, die E. beachtet, gibt er kein Regelwerk, sondern zielt auf Grundeinstellungen des Anstands, die Selbstbeobachtung, Disziplin, Zurückhaltung, Zuvorkommenheit, ästhetische Sensibilität, Scham umfassen, nicht zuletzt Nachsicht bei Fehlern anderer. Die Formung des äußeren Verhaltens entspricht nach E.’ Urteil letztlich dem inneren ethischen Habitus und ist dessen Ausdruck. Nicht weniges knüpft in E.’ Beschreibung guter Manieren an die Tradition der Tischzuchten u. ä. an, doch vieles beruht auf seiner eigenen Menschenbeobachtung, und das Konzept der civilitas gehört ganz ihm. Die Kultivierung des Verhaltens, die civilitas meint, betrifft nicht exquisite höfische Sitten, ist auch nicht anderweit standesspezifischer Art, soll vielmehr, wie E. im Schlußabschnitt bemerkt, für jedermann gelten, ob er aus gutem Hause stammt oder bäuerlicher Herkunft ist.
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Im Spektrum des erasmischen Œuvre gehört das Anstandsbüchlein zwar nicht zu den wichtigsten Schriften, doch erfreute es sich sogleich einer lebhaften Nachfrage und raschen Verbreitung wie keine andere. Sein stupender Erfolg spricht für einen breiten Bedarf. Seine eminente kultur- und sozialgeschichtliche Bedeutung hat zuerst N. Elias analysiert. “Der Begriff ‘civilitas’ verfestigte sich von nun ab im Bewußtsein der Menschen in jenem speziellen Sinne, den er durch das Thema der Schrift erhielt” (S. 67), und so nahmen ihn auch die Nationalsprachen auf (‘civilite´’, ‘civility’, ‘civilta`’; ‘Zivilität’ konnte sich jedoch nicht einbürgern). Gewidmet ist die Schrift dem 11jährigen Heinrich von Burgund, dem Sohn Adolfs van Veere, für den E. 30 Jahre zuvor die ‘Oratio de virtute amplectenda’ (s. u. E.1.c) verfaßt hatte. Drucke. De civili|tate morum puerilium | per Des. Erasmum Rote|rodamum libellus nunc primum | et conditus et aeditus. Basel: Joh. Froben, [Frühjahr] 1530, VD 16, E 2186. Bereits im selben Jahr erschienen sieben (!) weitere Drucke, darunter im Aug. bei Froben ein von E. verbesserter (VD 16, E 2188), in Antwerpen und Köln mit Scholien (v. a. zu den zitierten antiken Autoren) von Gisbert Longolius (NK 2860; VD 16, E 2189). Bis zum Tode des E. 1536 sind 36 Ausgaben nachgewiesen (Bˆmer, 1904, S. 39). Die Gesamtzahl der bis zum 18. Jh. erschienenen Ausgaben, Bearbeitungen und Übersetzungen übersteigt die von van der Haeghen, Re´p., S. 29⫺34, gesammelte Zahl von ca. 130 bei weitem. VD 16, E 2186⫺2300; NK 788⫺790, 2860⫺2865. Der bei van der Haeghen, S. 29, angeführte Druck “Antverpiae, Michael Hillenius, 1526” existiert nicht. Schon 1531 erschien ⫺ gleich an vier Orten, in Augsburg, Frankfurt, Mainz (VD 16, E 2289⫺2291) und Straßburg (Faksimiledruck Berlin [1938]), die erste dt. Übersetzung; bis Mitte des 18. Jh.s sind insgesamt mindestens 21 nachzuweisen, häufig mit mehrfachen Nachdrucken. Engl. Übersetzungen seit 1532, frz. seit 1537, ndl. seit 1546. Eine Untersuchung der Textgeschichte u. der Drucküberlieferung, der Bearbeitungen und Übersetzungen fehlt. Überblick über die Übers.en vorerst bei Brunken und Verwey. Ausgaben. LB I, Sp. 1033A⫺1044B; F. Bierlaire, ASD I-8 (in Vorbereitung). Übersetzungen. Engl.: B. McGregor, CWE 25, 1985, S. 269⫺289. ⫺ Frz.: F. Bierlaire, La civilite´ pue´rile d’E´rasme (Notulae Erasmianae 3), Brüssel 1999.
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Literatur. A. Bˆmer, Anstand u. Etikette nach d. Theorie d. Humanisten, Neue Jbb. f. d. klass. Altertum […] u. f. Pädagogik 14 (1904) 223⫺242, 249⫺285, 330⫺355, 360⫺390, hier S. 268⫺272 u. ö.; W. H. Woodward, Desiderius E. Concerning the Aim and Method of Education, New York 1904 (ND 1971); J. H. Hofer, Die Stellung d. Desiderius E. u. d. Johann Ludwig Vives zur Pädagogik d. Quintilian, 1910; J. C. Margolin, Pe´dagogie et philosophie dans le De pueris statim ac liberaliter instituendis d’E´rasme, Paedagogica historica 4 (1964) 370⫺391; N. Elias, Über den Prozeß der Zivilisation, Bern 1969, Kap II 1, II 3 u. ö.; J. G. Neuer, The Historical Development of Tischzuchtenlit. in Germany, Los Angeles 1970; H. Verwey, The first ‘book of etiquette’ for children. E.’ De civilitate morum, Quaerendo 1 (1971) 19⫺30; F. Bierlaire, E. at School. The De ciuilitate morum puerilium libellus, in: R. L. De Molen (Hg.), Essays on the Works of Erasmus, New Haven/London 1978, S. 239⫺251; ders., L’enseignement des bonnes manie`res a` l’e´poque moderne, Re´seaux. Renue interdisciplinaire de philosophie morale et politique 32⫺34 (1978) 23⫺32; E. Rummel. Structure and Argumentation in E.’ De pueris instituendis, Renaissance and Reformation N. S. 5 (1981) 127⫺140; Chomarat, Gramm. et rhe´t., S. 406⫺417, 509⫺512, 518⫺526; 962⫺969; O. Brunken, in: Br¸ggemann, Hdb., S. 632⫺656; J. K. Sowards, E. as a Practical Educational Reformer, in: Sperna Weiland / Frijhoff (Hgg.), E. of R., S. 123⫺131; B. S. Tinsley, Essaying the Curriculum: Erasmus and Montaigne as Pedagogues, E. of R. Society, Yearbook 13 (1993) 44⫺67; L. Jardine, Penfriends and Patria. Erasmian Pedagogy and the Republik of Letters, E. of R. Society Yearbook 16 (1996) 1⫺18; J.-C. Margolin, E´rasme, pre´cepteur de l’Europe, Paris 1996.
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C . S pr ac hl eh re un d S pr ac hk un st . Inhalt. 1. ‘De duplici copia rerum ac verborum’. 2. ‘De constructione octo partium orationis’. 3. ‘De conscribendis epistolis’ und ‘Brevissima formula’. 4. ‘De recta Latini ac Graeci sermonis pronuntiatione dialogus’. 5. ‘Ciceronianus’. ⫺ Literatur.
1. ‘De duplici copia rerum ac verborum’. Ein früher Entwurf zu Buch 2, Kap. 10⫺ 33, von ‘De copia’, den E. 1495⫺1499 für seine Pariser Schüler angelegt hatte, wurde ohne sein Wissen als Brevis de copia praeceptio zusammen mit E.’ frühen Schülergesprächen in den ‘Colloquiorum formulae’ (Basel: Joh. Froben, 1518; s. u. E.3.) gedruckt. In der Zwischenzeit hatte E. sein
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Lehrbuch um Methoden zur Variation von Argumenten und ebenso des Stils erweitert und ließ es in einer Sammlung pädagogischer Schriften für die Schule bei St. Paul in London, die dem Dekan John Colet gewidmet ist (Op. epist., Nr. 260), 1512 in Paris bei Jodocus Badius erscheinen. Die Unterscheidung einer copia (‘Fülle, Reichtum’) des sachlichen Wissens (rerum) und des sprachlichen Ausdrucks (verborum) folgt Cicero, Quintilian und Seneca d. Ä. E. bietet viele Beispiele aus antiken Autoren und übertrifft Humanisten des Quattrocento wie Stefano Fieschi, Aeneas Silvius D Piccolomini und Niccolo` Perotti in der Vielfalt des Materials sprachlicher Muster, doch stützt sich sein Werk besonders auf die dialektischen und rhetorischen Methoden der Amplificatio und Abbreviatio aus mal. Homiletik (Ars concionandi) und Dichtungslehre (Ars poetriae). Das den Argumenten gewidmete Buch 2 enthält eine kurze Beschreibung der in ‘De ratione studii’ (s. o. B.1.) entwickelten pädagogischen Methode, bei der Lektüre gesammeltes einschlägiges Material unter thematischen Stichwörtern (loci) in Merkhefte einzutragen, um es bei Übungen im Abfassen von Texten zu verwenden. ‘De copia’ fand unmittelbar Verbreitung in den Schulen nördlich der Alpen und erschien bis 1540 in mindestens 134 Drucken. Drucke. D. Erasmi Roterodami de dupli|ci Copia rerum ac verborum commentarii duo. De ratione studii […]. Paris: Jod. Badius, 1512. Von E. revidierte Ausgaben: Straßburg: Matth. Schürer, 1514; Basel: Hier. Froben, 1526 u. 1534. VD 16, E 2645, 2667 u. 2673. Zur weiteren Druck-Überl. s. van der Haeghen, Re´p., S. 65⫺70; VD 16, E 2643⫺2719; NK 810, 2866⫺2873, 2908⫺2920, 2963⫺2965; H. D. Rix, The Editions of E.’ ‘De copia’, Studies in Philology 43 (1946) 595⫺618. Ausgaben. LB I, Sp. 3A⫺110D; B. I. Knott, ASD I-6, 1988. ⫺ ‘Brevis de copia praeceptio’: L.-E. Halkin u. a., ASD I-3, 1972, S. 62⫺67, 105⫺ 109, 216⫺220. Übersetzung, engl.: B. I. Knott, CWE 24, 1978, S. 279⫺659.
2. ‘De constructione octo partium orationis’. Für die Schule bei St. Paul beauftragte Colet den Lehrer William Lily mit der Abfassung einer kurzen Syntax, einem Lehr-
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buch über die passende Verknüpfung von Wörtern zu Sätzen (Constructio), und E. mit deren Revision. Der anonyme Erstdruck enthält einen Brief Colets an Lily. E. benennt seinen Anteil im Vorwort zur 1515 bei Froben erschienenen revidierten Ausgabe (Op. epist., Nr. 341). Niccolo` Perotti (im Gefolge Guarinos) und Antonio de Nebrija hatten ⫺ vielleicht, weil dem aristotelischen Substanzbegriff die Bedeutung, die er in der mal. Grammatik meist besaß, nicht mehr zugestanden wurde ⫺ im Bereich der Constructio dem Verbum den führenden Rang gegeben. Ähnlich behandeln Lily und E. zuerst die Verben, danach Nomina und Adjektive gemeinsam, Pronomina, Adverbien, Konjunktionen, Präpositionen und Interjektionen. Sie klassifizieren die Verben durch die Nomina, die ihnen vorangehen, und die Kasus, die sie regieren, unterteilen sie dann weiter z. B. nach Bedeutung, Wortstellung oder Syntax, doch vor allem stützen sie sich auf Beispiele, um eine Erörterung über Partizipien, Gerundien und Gerundivien zu umgehen, wie sie Lorenzo Valla ⫺ von seinen ‘Elegantiae’ hatte E. eine Epitome (LB I, Sp. 1069A⫺1126C) hergestellt ⫺ begonnen hatte. Zum Quellenbestand zählen weitere humanistische Grammatiker wie Agostino Dati, Giovanni Sulpizio, Aldo Manuzio und Johannes Despauterius. E. dürfte diverse Beispiele aus den antiken Autoren, voran aus Terenz, Vergil und Cicero, beigesteuert haben. Das Kompendium, das lat. Grammatik anhand weniger Regeln, wie es E.’ übrige pädagogische Schriften empfehlen, lehrt, wurde bis 1600 mehr als 80mal nachgedruckt, 1539 ins Italienische übersetzt sowie 1728 und 1782 für das Englische bearbeitet. Drucke. Libellus de Constructione | Octo partium | orationis. London: R. Pynson, 1513. Von E. revidierter Druck: Basel: Joh. Froben, 1515. VD 16, E 2544. Zur weiteren Druck-Überl. s. van der Haeghen, Re´p., S. 60⫺63; VD 16, E 2543⫺2596; NK 800⫺802, 2889⫺2906; C ytowska, Ausg., S. 107⫺116. Ausgabe. M. C ytowska, ASD, I-4, 1973, S. 105⫺143.
3. ‘De conscribendis epistolis’ und ‘Brevissima formula’. E. hatte 1498 in Paris für seinen Schüler Robert Fisher eine kurze Abhandlung über
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das Briefschreiben verfaßt, die er von Zeit zu Zeit überarbeitete und erweiterte, bis ihn Raubdrucke einer frühen Version (Libellus de Conscribendis epi⫽|stolis […]. Cambridge: J. Siberch, 1521) und einiges spätere hsl. Material (‘Brevissima formula’, Basel?, 1519/20?) veranlaßten, eine authentische Fassung zu veröffentlichen. Obwohl E. seine Autorschaft an der ‘Brevissima formula’ erst 1536, wenige Monate vor seinem Tod, widerstrebend einräumte (Op. epist., Nr. 3099 u. 3100), erlebte sie unabhängig vom ‘Opus de conscribendis epistolis’ (Basel: J. Froben, 1522) eine lebhafte Druckgeschichte. Matthes Maler in Erfurt druckte die erste von drei erhaltenen Ausgaben der ‘Formula’ von 1520, doch der erste unautorisierte Herausgeber war wahrscheinlich Ulrich Hugwald, dessen Brief an Petrus Fabricius im Basler Druck Adam Petris (Sept. 1521), vielleicht einem seitengenauen Nachdruck des verlorenen Erstdrucks, angehängt ist. Der Titel, Breuissima maximeque compendiaria conficiendarum epistolarum formula, bietet E.’ Material einem auf didaktische Kurzfassungen begierigen Publikum an, während der Widmungsbrief an einen fiktiven Petrus Paludanus (Op. epist., Bd. 11, S. 366 f., App. XXVI) eine vom Hg. gefertigte Überarbeitung von E.’ Brief an Robert Fisher mit dem ersten Entwurf der Brieflehre ist (Op. epist., Nr. 71). Die ‘Formula’ dürfte aus Aufzeichnungen, darunter vielen Paraphrasen aus Quintilian, für die Überarbeitung des Traktats zu den Themen Stil, Nachahmung, Kunstlehre, Übung und den drei Causae der Rede (demonstrativa, deliberativa, iudicialis) bestehen. Die Zitierung der Libanius zugeschriebenen ÅEpistolimai˜oi xarakth˜ rew (Erstdruck Juli 1501) ergibt einen Terminus a quo, der nach dem ca. 1499/1500 verfaßten ‘Libellus’ liegt. Gemäß der ‘Formula’ soll ein Brief mit rhetorischer Kunstfertigkeit verfaßt sein, doch oratorisches Prunken vermeiden; die Briefe des Plinius stellt sie als die genauer und kunstvoller formulierten denen Ciceros voran; Angelo Poliziano gibt sie den Rang eines epistolographischen Modells. Polizianos Verteidigung des stilistischen Ek-
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lektizismus und seine Kontroversen mit den Ciceronianern Bartolomeo Scala und Paolo Cortesi, erstmals posthum gedruckt in den ‘Omnia opera’ (Venedig: Aldus, Juli 1498), dürften E.’ Revision z. T. angeregt haben: Während der ‘Libellus’ von Polizianos Kontroverse mit Scala nichts sagt, wird sie im ‘Opus’ erwähnt und Poliziano als Muster zitiert. In den Anmerkungen von 1510 zur ‘Syntaxis’ (Paris: Jod. Badius, 1509) vergleicht Johannes Despauterius E.’ Ansichten zur Briefkunst mit denen Polizianos. Wahrscheinlich benutzte Despauterius eine Handschrift, die E. in Paris vor seiner Reise 1506 nach Italien hinterlassen hatte. Die Bezugnahmen in seiner ‘Syntaxis’ auf Hauptpunkte, die E.’ reifen Traktat gliedern, deuten darauf hin, daß die Grundkonzeption von E.’ Brieflehre seinem Aufenthalt in Italien vorangeht. E. verwahrte sich gegen diese Anleihen im Vorwort zum Druck Basel 1515 von ‘De constructione octo partium orationis’ mit gelindem Tadel. E.’ autorisierte Ausgabe von 1522 behandelt zunächst die Eigenart des Briefs, den Unterricht im Briefschreiben (exercitatio und imitatio) sowie Stil und Aufbau der Briefkomposition, danach werden zahlreiche Brieftypen, die ihrerseits nach Genera (deliberativum, demonstrativum, iudiciale sowie, außerhalb der rhetorischen Trias, das Genus familiare) geordnet sind, diskutiert und klassifiziert. E. zitiert die antike Etikette (Anrede, Gruß) und Konzeption des Briefes als zwanglose Konversation und spottet über mal. Anrede-, Gruß- und Abschiedsformeln, doch widerspricht er auch zeitgenössischen Gelehrten, die den Brief in seinem Inhalt oder in seinen freien rhetorischen Möglichkeiten beschränken wollen. Sein Lehrbuch wird zu einer Einführung in die Lehre rhetorischer Komposition; illustriert mit einer Fülle antiker, patristischer und humanistischer Beispiele läßt E. keinen Zweifel, daß in der Praxis der Brief jedes Thema in jedem den Umständen und den Briefpartnern angemessenen Stil zu behandeln vermag. Das ‘Opus’ war, auch in zahlreichen Bearbeitungen und Kurzfassungen für den Schulunterricht, das ganze 16. Jh. hindurch weit
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verbreitet. Wegen E.’ Spott über den Hochmut des Klerus und wegen der berühmten Suasorie für die Ehe (‘Encomium matrimonii’), die zuerst 1518 in den ‘Declamationes aliquot’ erschienen war (s. u. E.1.b), erregte es auch die Aufmerksamkeit der klerikalen Zensur. Drucke. 1. ‘Formula’: Breuissi⫽|ma maximeque | Compendiaria conficien|darum Formula […]. Erfurt: M. Maler, 1520. VD 16, ZV 3279 (erster erhaltener Druck). Weitere Druck-Überl.: van der Haeghen, re´p., S. 54 f.; VD 16, E 2058⫺2085; NK 823. ⫺ 2. ‘Opus’: D. Era|smi Roterodami | opus de conscribendis episto/|lis, quod quidam et mendosum, | et mutilum aediderant, recogni|tum ab autore et locupletatum […]. Basel: J. Froben, 1522. VD 16, E 2505; von E. revidierte Ausg.: Basel: Hier. Froben u. Nik. Episcopius, 1534. VD 16, E 2515. Zur weiteren Druck-Überl. s. van der Haeghen, Re´p., S. 55⫺59; VD 16, E 2505⫺2541; MK 824⫺825, 2853, 2944⫺2946. R. A. B. Mynors, Introductory Note on the First Printing, in: Fantazzi, Übers., S. 256 f.; A. Jolidon, Histoire d’un opuscule d’E´rasme: La ‘Brevissima maximeque compendiaria conficiendarum epistolarum formula’, in: ACNL Sanctandreani, Binghamton 1986, S. 229⫺243; J. R. Henderson, The Enigma of E.’ ‘Conficiendarum epistolarum formula’, Renaissance and Reformation 25 (1989) 313⫺330. Ausgaben. LB I, Sp. 345A⫺484B; J.-C. Margolin, ASD I-2, 1971, S. 153⫺579; vgl. J. R. Henderson, Despauterius’ Syntaxis (1509), Hum. Lov. 37 (1988) 175⫺210; H. Vredeveld, Hum. Lov. 48 (1999) 8⫺69 u. 49 (2000) 101⫺37. Übersetzungen. Dt.: K. Smolak, in: Welzig, Ausgew. Schr., Bd. 8, 1980 (in Auswahl). ⫺ Engl.: Ch. Fantazzi, CWE 25, 1985, S. 1⫺254, 255⫺267 u. 26, 1985, S. 493⫺559, 559⫺562.
4. ‘De recta Latini ac Graeci sermonis pronuntiatione dialogus’. E.’ Dialog über die korrekte Aussprache des Griechischen und des Lateinischen führte einen Versuch des Antonio de Nebrija von 1486 weiter, die offenkundigen Diskrepanzen zwischen antiken Texten und zeitgenössischer Sprechweise zu erklären. Westeuropäer verkehrten miteinander international in verschiedenen lateinischen Dialekten und lernten seit der osmanischen Invasion Griechisch von byzantinischen Exulanten. Als Aldo Manuzio 1508 die zeitgenössische Aussprache des Griechischen und Lateinischen kritisierte, arbeitete E. in dessen Venezianer Offizin ge-
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meinsam mit Hieronymus Aleander, der, später sein Gegner, ebenfalls auf diesem Gebiete publizieren wollte; sie gehörten beide zu Aldus’ Gelehrtenkreis, in dem Altgriechisch gesprochen wurde. E. veröffentlichte seinen Dialog zusammen mit der Erstausgabe des ‘Ciceronianus’ 1528 im Zusammenhang seiner Kontroverse über die Reformation mit Aleander und anderen und unterstrich damit im Blick auf italienische Kritiker, die jeden Deutschen als Barbaren betrachteten, zugleich seine philologische Kompetenz. Der Widmungsempfänger, Maximilian von Burgund, Sohn seines ehemaligen Schülers Adolf van Veere (s. E.1.c), dürfte die Verwendung frz. und ndl. Wörter (neben solchen aus anderen modernen Sprachen) für die Wiedergabe der antiken Aussprache geschätzt haben. Die volkssprachlichen Wörter erscheinen als Marginalien des zwischen Bär und Löwe geführten lat. Dialogs. Der Bär, der E.’ gut bekannte pädagogische Grundsätze wiedergibt, beschreibt eine Erziehung, durch die das Löwenjunge in der Fähigkeit zu sprechen, die den Menschen vom Tier unterscheidet, ein hervorragendes Niveau zu erreichen vermag; viele Menschen gäben jedoch nur tierische Laute von sich, da die Sprachen im allgemeinen Gebrauch degenerierten. Nur die Gelehrtensprachen Griechisch und Latein könnten in unverminderter Güte bewahrt werden, obwohl auch sie von Verderbnis durch die Volkssprachen gereinigt werden müßten. Anders als die Ciceronianer vertritt der Bär keine unanfechtbare Norm: Gelehrte könnten von allen antiken Autoren lernen und müßten sich, um verständlich zu sein, zuweilen einem modernen Sprachgebrauch beugen. Der Löwe sollte seinem Jungen Aussprache, Lesen und gute Handschrift beibringen lassen; der Bär behandelt diese Fertigkeiten in umgekehrter Reihenfolge in direktem Bezug auf Quintilians Pädagogik und sein Dictum, demzufolge Buchstaben distinkte Laute bezeichnen. E.’ Quellen für die Aussprache umfassen jüngst edierte Werke von Terentianus Maurus und Marius Victorinus, weitere Grammatiker und verstreute Bemerkungen antiker Autoren. Fast ohne Belegmaterial
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aus Inschriften und ohne das im 19. Jh. gebildete Konzept der Sprachfamilien begründete E. die heute von der Klassischen Philologie vertretene Aussprache der alten Sprachen. Drucke. De recta latini grae/|cique sermonis pronuntiatione Des. Era/|smi Roterodami Dialogus […]. Basel: Hier. Froben, März 1528. VD 16, E 3607; von E. revidierte Ausg.: ebd., Okt. 1529. Zur weiteren Druck-Überl. s. C ytowska, Ausg., S. 4⫺6 (16 datierte Drucke bis 1703). VD 16, E 3607⫺3612. Ausgaben. LB I, Sp. 913A⫺968B; M. C ytowska, ASD I-4, 1973, S. 1⫺103. Übersetzungen. Dt.: J. Kramer (Beitr. z. klass. Philol. 98), 1978. ⫺ Engl.: M. Pope, CWE 26, 1985, S. 347⫺475, 580⫺625.
5. ‘Ciceronianus’. Begeisterung für Lorenzo Valla und die Lektüre von Polizianos ‘Omnia opera’ während der Überarbeitung von ‘De conscribendis epistolis’ begründeten E.’ Abneigung gegen eine ciceronianische Rede an den Papst, die er in Rom am 6. April 1509 gehört hatte und an die er später im ‘Ciceronianus’ erinnert. In einem sokratischen Dialog heilt E.’ Sprecher Bulephorus mit Hilfe des Hypologus den Nosoponus von der Krankheit, ausschließlich Cicero nachzuahmen. Die erste Ausgabe verwendet Argumente aus Kontroversen des Quattrocento: Valla gegen Poggio Bracciolini, Poliziano gegen Paolo Cortesi und Bartolomeo Scala. Die zweite Ausgabe bezieht sich zusätzlich auf Gianfrancesco Picos della Mirandola Debatte mit Pietro Bembo (1512/ 13), von der E. behauptete, sie 1528 nicht gekannt zu haben. Die unerquickliche Begegnung 1519 mit Christophe de Longueil (Longolius; vgl. Op. epist., Nr. 914, 935 u. 1706), einem in Brabant geborenen französischen Humanisten, dem man für fünf in streng ciceronianischem Stil verfaßten Lobreden auf Rom das römische Bürgerrecht verliehen hatte (bald danach strengten Gegner ein Verfahren wegen angeblicher Beleidigung der maiestas Roms gegen ihn an, dem er sich entzog), inspirierte wohl die karikierende Figur des Nosoponus (wenngleich E. dies bestritt); Bulephorus beklagt an Longueil, der in seiner stilpuristischen Obsession nur einen schmalen
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Band Briefe und Reden hervorgebracht habe, die Vergeudung seines Talents (vgl. Op. epist., Nr. 1595). Attacken von Italienern, die E.’ Rechtgläubigkeit in Zweifel zogen, provozierten seine Kritik an der Sinnlosigkeit und auch am Paganismus der Attitüde, in einer christlichen Welt ausschließlich Wörter zu gebrauchen, die bei Cicero belegt sind. Stattdessen verlangt er, Ciceros Gelehrsamkeit, seiner Rhetorik und seinem politischen Engagement nachzueifern. Nosoponus’ Überblick über vergebliche Versuche, einen perfekten Ciceronianismus zu praktizieren, besonders ein Vergleich von Jodocus Badius und Guillaume Bude´, lösten verärgerte Reaktionen aus und belasteten seine Beziehungen zu manchen Zeitgenossen. Drucke. De recta Latina Grae/|cique sermonis pronuntiatione […] Dialogus cui titulus, Cice| ronianus, siue, De optimo genere di|cendi […]. Basel: Hier. Froben, 1528. VD 16, E 3607. Von E. überarbeitete Ausg.n: ebd., Okt. 1529 u. März 1530. Zur weiteren Druck-Überl. s. van der Haeghen, Re´p., S. 75; VD 16, E 2618⫺2623. Ausgaben. LB I, Sp. 973A⫺1016C; J. C. Schˆnberg, 1919 (folgt dem Druck Basel 1540); P. Mesnard, ASD I-2, 1971, S. 581⫺710. Übersetzungen. Dt.: Th. Payr, in: Welzig, Ausgew. Schr., Bd. 7, 1972, S. 2⫺355. ⫺ Ital.: A. Gambaro, Brescia 1965. ⫺ Frz.: P. Mesnard, in: La philosophie chre´tienne, Paris 1970, S. 261⫺ 358. ⫺ Engl.: B. I. Knott, CWE 28, 1986, S. 323⫺ 448, 542⫺603. Literatur. I. Bywater, The Erasmian Pronunciation of Greek and Its Precursors, London 1908; I. Scott, Controversies over the Imitation of Cicero, New York 1910; E. Drerup, Die Schulaussprache d. Griech v. d. Renaissance bis z. Gegenwart, Bd. 1, 1930, ND 1968, S. 17⫺46; H. Gmelin, Das Prinzip d. Imitatio in d. roman. Literaturen d. Renaissance, Roman. Forsch. 46 (1932) 83⫺ 360; C. Angeleri, Osservazioni critiche al ‘Ciceronianus’ di Erasmo, Atene e Roma, ser. 3, 6 (Juli⫺ Sept. 1938) 176⫺191; W. R¸egg, Cicero u. d. Humanismus, 1946, S. 117⫺125; G. J. Engelhardt, Mediaeval Vestiges in the Rhetoric of E., Publications of the Modern Language Association 43 (1948) 739⫺744; M. Pomilio, Una fonte italiana del ‘Ciceronianus’ di Erasmo, Giornale italiano di filologia 8 (1955) 193⫺207; J. K. Sowards, E. and the Apologetic Textbook. A Study of the ‘De duplici copia verborum ac rerum’, Studies in Philology 55 (1958) 122⫺135; C. Reedijk, Three E. Autographs in the Royal Library at Copenhagen,
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Judith Rice Henderson
D . E xz er pt sa mm lu ng en . 1. ‘Adagia’. Die erste Ausgabe seiner Sammlung der Sprichwörter und Redensarten der Antike ⫺ die ‘ Ad ag io ru m c ol le ct an ea ’ ⫺ brachte E. im Sommer 1500 bei dem deutschen Drucker Johann Philipp in Paris heraus. Nach eigenem Zeugnis hatte er die etwas mehr als 820 griech. und lat. Proverbien in zwei Monaten zusammengestellt (ASD II9, S. 46, Z. 216 f.). Unter Beigabe eines für den englischen Prinzen Heinrich verfertigten Lobgedichts (ed. Vredeveld, ASD I-7, S. 99⫺114) widmete er das Bändchen seinem Gönner William Blount, Lord Mountjoy, eignete Blount und dessen Sohn Charles (seit 1528) auch alle noch folgenden Ausgaben zu. In der um 20 Stücke erweiterten Ausgabe, die 1506 bei Jodocus Badius und Jean Petit in Paris erschien, waren die ‘Collectanea’ ein in mehr als 30 Nachdrucken erfolgreiches Buch. Doch dachte E. schon 1500 daran, Tausende von Sprichwörtern zu publizieren (Op. epist., Nr. 123 u. 125), ein Plan, der erst 1508 in Venedig bei Aldus Manutius zu verwirkli-
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chen war, wo er die im Zeichen historischkritischer Quellenstudien völlig neu angelegten ‘A da gi or um ch il ia de s’ (die 1526, 1528 und 1533 den Titel ‘Adagiorum opus’ tragen) schrieb und zum Druck gab (vgl. Geanakoplos, S. 256−278; Hoven, S. 264⫺269). Vermutlich war es Beatus J Rhenanus, der Johann Froben 1513 zu einem nicht autorisierten Nachdruck der Aldina veranlaßte und in der Folge erreichte, daß E. die ‘Chiliades’ auch künftig bei Froben erscheinen ließ. Die Frobeniana von 1515 galt E. wegen vieler Änderungen und Zusätze, darunter erstmals großer zeitkritischer Kommentare, geradezu als nouum opus (Op. epist., Nr. 322, Z. 22), in dessen Anlage er fortan nicht mehr eingriff (vgl. Mann Phillips, 1964, S. XII). Bis 1536 ließen noch sieben weitere Drucke die ‘Chiliades’ von anfänglich 3260 (nach ASD II-4, Einl. S. 7: 3271) auf zuletzt 4151 Stücke anwachsen, E. aber auch die Unabschließbarkeit seines Werkes, ja dessen “provisional character” (ASD II-8, Einl. S. 15) erkennen. Den Anspruch, die ‘Collectanea’ seien die erste Sammlung ihrer Art apud latinos (ASD II-9, S. 40, Z. 85), hat E. zu Unrecht erhoben. Er übergeht damit die mal. Proverbien- und Florilegienliteratur (vgl. Schmidt, S. 132 f.), sieht v. a. aber nicht die Priorität des ‘Proverbiorum libellus’, den Polydorus Vergilius bereits im April 1498 herausgebracht hatte (vgl. Hay, S. 22⫺29; Ruggeri, S. 27⫺38). Obwohl die ‘Collectanea’ z. T. sogar wörtlich mit dem ‘Libellus’ übereinstimmen, ist eine direkte Abhängigkeit nicht erwiesen. Polydorus und E. haben wohl unabhängig voneinander dieselben Quellen resp. Zwischenquellen benutzt, so u. a. die für griech. Sprichwörter ergiebigen Schriften und Briefe italienischer Humanisten des späteren 15. Jh.s (dazu Heinimann, S. 159−161). Wenn E. in dem seit 1519 öffentlichen Streit mit Polydorus noch bis 1533 an seiner Priorität festhält, zeigt dies, daß er die Idee einer Sammlung griech.-lat. Proverbien ganz für sich reklamiert.
E. sammelt kleinste literarische Formen, die als Dicta in Rede und Schrift kursieren, dabei gerade auch solche, die unterhalb der Satzgrenze liegen, so daß es neben Sprichwörtern und Zitaten um sprichwörtliche Redensarten, Metaphern und Vergleiche geht. Bei aller Fülle im Detail folgt die Sammlung einer “clear idea of an
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adage” (Mann Phillips, 1964, S. 6), die den von E. wegweisend im Sinne humanistischer Erneuerung bestimmten Gattungsbegriff der paroemia (vgl. Beuermann) voraussetzt: Gängige Sprichwörter läßt er beiseite und berücksichtigt nur aus der Antike bezeugte, durch stilistische Qualität wie Bildungsgehalt ausgezeichnete Proverbien. Zentral sind v. a. die Merkmale der brevitas und obscuritas, da sie als Indizien für die verborgene Wahrheit jener Sprichwörter gelten, in denen nicht bloßes Buchwissen, sondern ceu symbolis das aus Natur und Erfahrung gewonnene Weltwissen einer priscorum philosophia (ASD II-1, S. 58, Z. 254 f.) enthalten ist (vgl. Harth, S. 106⫺108; Bauer, S. 189⫺191). Untrennbar verbunden mit diesem auf die Exklusivität des Gegenstands zielenden Sammlungskonzept ist das philologische Bemühen um den originalen Wortlaut der Proverbien: Nicht nur fordert E. die Autopsie zumal griech. Texte (vgl. Op. epist., Nr. 181, Z. 90⫺93), sondern bis in den Aufbau der primär sprachlichen Kommentare (dazu Mann Phillips, 1964, S. 75⫺ 86; Greene, S. 11 f.) richtet er seine Arbeitsweise auch darauf aus, die Herkunft eines Sprichworts mit den von Autor zu Autor differierenden Verwendungen anhand von Exzerpten aus den Quellentexten zu belegen und darzustellen. So wie sie sich seit 1508 präsentieren, sind die ‘Adagia’ eine gewaltige Sammlung von Exzerpten, mit der E. seinen Gegenstand umfassend neu erschließen will. Schon der in mehr als drei Jahrzehnten ständig gewachsene Quellenbestand illustriert diesen universalen Anspruch, weil die griech. und römischen Autoren der klassischen Antike “so gut wie vollzählig” (Payr, Übers., S. XXVI) vertreten, doch auch Sprichwörtersammlungen, Florilegien, Lexika, Scholien und Kommentare systematisch herangezogen sind (vgl. Mann Phillips, 1964, S. 86⫺95). Andererseits reagiert E. im Aufbau des Werkes auf das Problem einer adäquaten Organisation der kaum überschaubaren Stoff- und Wissensfülle: Nach den einleitenden Briefen stellt er seine ‘Prolegomena’ (Titel nach LB) voran, die, in 14 Kapitel gegliedert, Krite-
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rien für Begriff, Wert und Gebrauch des Sprichworts entwickeln, um den ‘Adagia’ ein “wissenschaftliches Fundament” (ASD II-1, Einl. S. 16) zu geben. Im eigentlichen Sammlungsteil folgen die Adagien in lokkerer, eher zufällig wirkender Reihung, bei der jedoch immer wieder Gruppen formund sinnverwandter und v. a. nach Quellen zusammengehöriger Stücke auftreten, so daß die Ordnungs- und Gliederungsverfahren wechseln und sich der “gewollte Eindruck der variatio” (ASD II-4, Einl. S. 14) ergibt. Indem E. auf ein striktes Sammlungsprinzip verzichtet, entsteht nicht nur ein Handbuch für die Rede- und Schreibpraxis, sondern zugleich auch ein enzyklopädisches Lexikon der Antike, wobei er die Grenze von Wissensdiskurs und Literatur fortwährend überspielt (vgl. Chomarat, S. 764 f.). Zwar fehlen Untersuchungen, doch ist das Verhältnis der ‘Adagia’ zur literarischen Tradition der Florilegien und Miszellaneen zweifellos in hohem Maße reflektiert: Die “apparent disorder” (Mann Phillips, 1964, S. 84; zum Problem Vogel, S. 117 f.) der Sammlung erweist sich als planvoll gestaltete Kunstform, die einerseits herkömmliche Erwartungen an die Vermittlung gelehrten Wissens berücksichtigt, andererseits aber ⫺ wie der Kommentar zu den ‘Herculei labores’ (ASD II-5, 1981, S. 23⫺41; dazu Jardine, S. 41⫺48) zeigt ⫺ einen auf die Öffentlichkeit des Buchdrucks angelegten Rahmen für die Erneuerung der antiken Literatur bildet. Auf der Ebene der Adagien-Kommentare entwickelt E. eine digressive Schreibweise, die dort, wo die Abschweifung über Seiten geht und selbst zum Zweck wird, essayartige Prosatexte avant la lettre hervorbringt (vgl. Schon, S. 83⫺89; Chomarat, S. 768⫺771). In diesem Kontext liefern die antiken Sprichwörter eine “allgemeine Topik” (Harth, S. 110) für das moralistische Ausloten des Menschen und verbunden damit die problemorientierte Erörterung der eigenen Gegenwart. Bes. exponiert sind die zeitkritischen Essays der 1515er-Ausgabe, in denen E. ⫺ am “apex of his career” (Mann Phillips, 1964, S. 120; vgl. Augustijn, S. 66 f.) ⫺ politi-
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sche und ethische Reformideen umreißt, die in seinen weiteren Friedensschriften, v. a. der ‘Institutio principis christiani’ und der ‘Querela pacis’ (vgl. ASD II-5, S. 159⫺ 161, u. ASD II-6, S. 395⫺397), entfaltet sind. Die zeitgenössisch enorme Wirkung dieser Stücke bezeugen neben den ab 1517 gedruckten lat. Separatausgaben ihre zuerst dt. Übersetzungen: Ulrich Varnbüler und Georg J Spalatin tragen zu den um 1520 laufenden Debatten um eine Reform des Fürstenstaates bei (vgl. M¸ller; Hamm), während Sebastian Franck 1531 in der ‘Vorrede vom Adler’, die den zweiten Teil seiner ‘Geschichtbibell’ eröffnet, “radikal-religiöse[] Zeitkritik” (K¸hlmann, S. 53) übt. Drucke. ‘Collectanea’: Desyderii Herasmi Roterdami veterum maximeque insi⫽|gnium paroemiarum id est adagiorum collectanea [...]. Paris: Joh. Philipp, 1500. BB, E 54. 33 weitere Drucke allein zu Lebzeiten des E.: BB, E 55⫺81, 83⫺88. ⫺ ‘Chiliades’: Erasmi Roterodami Adagiorum | Chiliades Tres, Ac Centu-|riae Fere Totidem [...]. Venedig: Aldus Manutius, Sept. 1508. BB, E 89. Bis 1536 neun weitere autorisierte Ausgaben, dagegen nur wenige Nachdrucke (BB, Bd. 2, S. 287⫺296), zwei weitere s. ASD II-4, S. 8. 1517 bei Froben erschienene und bald nachgedruckte Separatausgaben: Adagium 3001 ‘Dulce bellum inexpertis’ (BB, E 212⫺224), 2601 ‘Scarabeus aquilam quaerit’ (BB, E 270⫺272) und 2201 ‘Sileni Alcibiadis’ (BB, E 259⫺264). ⫺ Zu dieser Gruppe gehören Ulrich Varnbülers 1519 und 1520 gedruckter dt. ‘Dulce bellum’-Text (ebd., E 230, 231) sowie die um 1520 von Spalatin übersetzten ‘Man musz entwer ein konig oder aber ein narr geborn werden’ (⫽ E 201 ‘Aut regem aut fatuum nasci oportere’; ebd., E 273; zur Datierung Knops, S. 153) und ‘Sileni Alcibiadis’ (BB, E 269; VD 16, E 1993; Zuschreibung an Spalatin bei Holezcek, S. 105). Eine “e´tude se´pare´e” (Mann Phillips, 1990, S. 327) verdiente die je und je andere Zurichtung der ‘Chiliades’ in ihren zahlreichen epitomischen Ausgaben seit 1521 (vgl. BB, E 140⫺194). Umfassende Bibliographie der vollst. Ausgaben, Auszüge und epitomischen Bearbeitungen sowie der dt., ndl., engl., frz. und anderer volkssprachl. Übersetzungen und Auszüge: F. van der Haeghen u. a., Bibliotheca Erasmiana. Bibliographie des œuvres d’E´rasme, Bd. 1, Gent 1897; BB, Bd. 2, S. 271⫺386. Ausgaben. ‘Collectanea’: F. Heinimann / M. L. van Poll-van de Lisdonk, Adagiorum collectanea, ASD II-9, 2005. − ’Chiliades’: LB II; M. L.
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van Poll-van de Lisdonk / M. Mann Phillips / Ch. Robinson, Adagiorum chilias prima, ASD II1, 1993; M. L. van Poll-van de Lisdonk / M. Cytowska, Adagiorum chilias prima, ASD II-2, 1998; M. Szyman´ ski, Adagiorum chilias secunda, ASD II-3, 2005; F. Heinimann / E. Kienzle, Adagiorum chilias secunda, ASD II-4, 1987; F. Heinimann / E. Kienzle / S. Seidel-Menchi, Adagiorum chilias tertia, ASD II-5, 1981; F. Heinimann / E. Kienzle, Adagiorum chilias tertia, ASD II-6, 1981; R. Hoven / C. Lauvergnat-Gagnie` re, Adagiorum chilias quarta, ASD II-7, 1999; A. Wesseling, Ada-
giorum chilias quarta, ASD II-8, 1997. Übersetzungen. Dt.: Th. Payr, Adagiorum chiliades (Adagia selecta), in: Welzig, Ausgew. Schr., Bd. 7, 1972, S. 357⫺633. ⫺ Engl.: M. Mann Phillips, E. on His Times, Cambridge 1967 (übers. alle großen Adagia); M. Mann Phillips / R. A. B. Mynors, Adages I i 1⫺I v 100, CWE 31, 1982; R. A. B. Mynors, Adages I vi 1⫺I x 100, CWE 32, 1989; ders., Adages II i 1⫺II vi 100, CWE 33, 1991; ders., Adages II vii 1⫺III iii 100, CWE 34, 1992; D. L. Drysdall / J. N. Grant, III iv 1⫺IV ii 100, CWE 35, 2005; J. N. Grant / B. I. Knott, Adages IV iii 1⫺V ii 51, CWE 36, 2006.
2. ‘Parabolae sive similia’. Die erstmals 1514 in Straßburg bei Mathias Schürer gedruckten ‘Parabolae’ sind eine der rhetorischen Schulung dienende Kollektion von bildhaften Vergleichen und Gleichnissen, die E. aus antiken Schriftstellern exzerpiert hat. Obwohl über längere Zeit geplant, entstand die Sammlung doch eher als “sous-produit” (Chomarat, S. 784) der Arbeiten an den ‘Adagiorum Chiliades’ von 1515 und der gleichzeitigen Seneca-Edition. Es war seine Absicht, wie E. im Widmungsbrief an Pieter Gillis schreibt, das kleine Werk sowohl den eng verwandten ‘Adagia’ als auch seiner Stillehre ‘De copia’ ceu coronidem (ASD I-5, S. 94, Z. 74) anzufügen (vgl. Westney, S. 20⫺22). Gesammelt hat er rund 1300 prägnant kurze Prosavergleiche, deren Bild- und Deutungsteil meist durch Partikel (ita, sic) explizit verknüpft sind. Mit antiken Termini bezeichnet E. diese sprachliche Form als parabolh¬ und collatio (S. 89 f., Z. 24 f.) und sieht sie von daher als exquisites rhetorisches Mittel, das, für alle Redegenera und jeden Stil geeignet, den Reiz selbst der Bücher der Propheten und der Evangelien ausmache (vgl. Balavoine, S. 56⫺58). Während die Textaus-
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wahl insofern jedoch rhetorisch-stilistischen Kriterien folgt, wird das Material sonst “weitgehend unsortiert” (Hess, S. 41; weiterhin Mynors, Übers., S. 124) dargeboten. Denn soweit die Sammlung sichtbar arrangiert ist, begnügt E. sich damit, die Textstücke in vier Kapiteln ganz unterschiedlichen Zuschnitts ihren antiken Autoren zuzuordnen. Im umfangreichen ersten Teil stammen die Vergleiche sämtlich aus den ‘Moralia’ Plutarchs, der E. als Vorbild in hoc genere gilt (Analyse der Quellen bei Chomarat, S. 784⫺791); weniger systematisch angelegt sind die nächsten Partien zu Senecas ‘Epistulae Morales’ und Lukian (später: Ex Luciano, Xenophonte ac Demosthene); im letzten Teil aber, den E. daneben auch Aristoteles und Theophrast zuspricht, dient ihm die ‘Naturalis historia’ des Plinius lediglich als Bildarsenal für etwa 500 Vergleiche, deren sprachliche Form und moralische Deutung seine eigene Erfindung sind (vgl. S. 94, Z. 63). Schon weil sie nicht kommentiert sind, wirken die ‘Parabolae’ neben den ‘Adagia’ recht bescheiden. Doch waren sie nicht minder erfolgreich als diese (vgl. ASD I-5, Einl. S. 12⫺75). Dabei zeigt ihr Verhältnis zu mal. Florilegien, daß sie durch die konzeptuelle Ausrichtung auf antike Texte und Redetypen als Sammlung “völlig neuen Typs” (Wachinger, S. 23) gelten können. Drucke. Desyderii Erasmi Rotero⫽|dami de duplici Copia, Verborum ac re⫽|rum commentarij duo [...]. Daran, mit separatem Titel: Erasmi Roterodami | Parabolarum, siue Similium | Liber. Straßburg: Matth. Schürer, Dez. 1514. VD 16, E 2645/E 3237; Bezzel, Nr. 738. Neuredigierte Ausgabe Basel: Joh. Froben, Febr. 1518. Zehn weitere Ausgaben und 25 NDe zu Lebzeiten des E., vgl. Margolin, ASD I-5, S. 12⫺31. Zur weiteren Druckgeschichte vgl. van der Haeghen, Re´p., 1. se´r., S. 137⫺139. Ausgaben. LB I, Sp. 557⫺624; J.-C. Margolin, ASD I-5, 1975, S. 87⫺332. Übersetzung, engl.: R. A. B. Mynors, CWE 23, 1978, S. 130⫺277.
3. ‘Apophthegmata’. Die ‘Apophthegmata’, deren erste Ausgabe im März 1531 bei Froben in Basel erschien, sind eine mit kurzen Erläuterungen
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versehene Sammlung denkwürdiger Aussprüche berühmter Männer und Frauen der Antike. Bereits im Januar 1530 hatte E. das Werk einem Briefpartner als paraphrasim in Apophthegmata Plutarchi (an Hajo Hermann Hompen, Op. epist., Nr. 2261, Z. 45 f.) avisiert, die Publikation jedoch erst am Jahresende konkret in Angriff genommen (ebd., Nr. 2412, Z. 8⫺15). Bis zur zweiten Ausgabe von 1532, dem acht Bücher umfassenden ‘Apophthegmatum opus’, wuchs die Sammlung dann auf mehr als 3 000 antike Texte an. Sie ist in dieser Form geradezu eine “’Summa’ der Lebensweisheit und Sittenlehre” (Verweyen, S. 100). Im Widmungsbrief an den jungen Hzg. Wilhelm von Cleve (Freiburg, 26. Febr. 1531) führt E. dazu aus, daß seine ex optimis autoribus ausgewählten egregie dicta (Op. epist., Nr. 2431, Z. 5⫺ 7) eine Fülle von moralischem, politischem und militärischem Wissen leicht verfügbar machen und praktisches Handeln orientieren sollen. Zugleich aber geht es ihm um die stilistischen Qualitäten der an konkrete Situationen gebundenen Aussprüche, so v. a. um lakonische Kürze, Witz und urbanen Ton, da sie das Apophthegma als Redetyp auszeichnen, wie er musterhaft gesammelt bei Plutarch zu finden ist (ebd. Z. 57⫺59). Aus der kanonischen Geltung, die E. diesem Autor zuschreibt, erklärt sich dann nicht nur, daß Plutarchs ‘Moralia’ über weite Strecken als Hauptquelle dienen (vgl. die Nachweise bei Philips, Übers.); einsichtig wird auch das historisch-philologisch ausgerichtete Konzept der Sammlung: E. begründet es in einer scharfsichtigen Kritik an den PlutarchÜbersetzern Francesco Filelfo und Raffaele Regio, und bis hin zur Anordnung und Kommentierung der Texte ist es auf den antiken Autor bezogen (vgl. Largier, S. 96; Ter Meer, S. 93). Drucke. Apophthe|gmatum, Sive Scite Dictorum | Libri Sex, ex optimis quibusque utriusque linguae autori|bus Plutarcho praesertim excerptorum [...]. Basel: Joh. Froben, Joh. Herwagen u. Nik. Episcopius, März 1531. BB, E 317. VD 16, E 2035. Zwei weitere autorisierte Ausgaben: BB, E 320 (⫽ VD 16, E 2036), u. BB, E 326 (⫽ VD 16, E 2037). Neun Nachdrucke zu Lebzeiten des E.:
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BB, S. 433⫺437; vgl. van der Haeghen, Re´p., 1. se´r., S. 15⫺19; daneben eine ⫺ 1534 und 1537 in Magdeburg gedruckte ⫺ epitomische Ausgabe: VD 16, E 2052 u. 2053. Einzige dt. Vollübersetzung des 16. Jh.s blieb die erstmals 1534 unter Plutarchs Namen erschienene Heinrich von Eppendorfs. Worstbrock, Antikerez., Nr. 311 u. 312. Bibliographien der Drucke, Auszüge, Bearbeitungen u. Übersetzungen: F. van der Haeghen u. a., Bibliotheca Erasmiana, Bd. 2, Gent 1901; BB, Bd. 2, S. 431⫺471. Ausgabe. LB IV, Sp. 85⫺380. Übersetzung. H. Philips, E. v. R., Apophthegmata, 2001. Literatur. Zu 1.: D. Hay, Polydore Vergil, Oxford 1952; P. M. Schon, Vorformen d. Essays in Antike u. Humanismus, 1954; M. Mann Phillips, The ‘Adages’ of E., Cambridge 1964; D. J. Geanakoplos, Greek Scholars in Venice, 1962; D. Harth, Philologie u. praktische Philosophie, 1970; Chomarat, Gramm. et rhe´t., S. 761⫺782; W. K¸hlmann, Staatsgefährdende Allegorese, Lit.wiss. Jb. NF 24 (1983) 51⫺76; Ch. B. Beuermann, Le renouvellement de l’esprit par l’adage, BHR 47 (1985) 343⫺355; F. Heinimann, Zu d. Anfängen d. humanistischen Paroemiologie, in: Ch. Sch‰ublin (Hg.), Catalepton. Fs. f. B. Wyss, 1985, S. 158⫺182; H. Holeczek, E. deutsch, Bd. 1, 1986; Th. M. Greene, E.’s Festina lente, in: ders., The Vulnerable Text, New York 1986, S. 1⫺17 u. 237 f.; M. Knops, Das Sprichwort Man musz entweder ein König, oder aber ein Narr geborn werden, in: A. Buck (Hg.), E. u. Europa, 1988, S. 149⫺161; P. G. Schmidt, E. u. d. mlat. Lit., ebd., S. 129⫺137; B. Bauer, Die Philosophie d. Sprichworts bei Seb. Franck, in: J.-D. M¸ller (Hg.), Seb. Franck (1499⫺1542), 1989, S. 181⫺ 221; M. Mann Phillips, Comment s’est-on servi des Adages?, in: Colloque Tours 1986, S. 325⫺ 336; R. Hoven, Les e´ditions successives des Adages: coup d’œil sur les sources et les me´thodes de travail d’E´rasme, in: Miscellanea J.-P. Vanden Branden, Brüssel 1995, S. 257⫺281; R. Ruggeri, Un amico di Erasmo: Polidoro Virgili, Urbino 1992; L. Jardine, E., Man of Letters. The Construction of Charisma in Print, Princeton 21995; S. Vogel, Kulturtransfer in d. frühen Neuzeit, 1999; K. Eden, Friends Hold All Things in Common. Tradition, Intellectual Property, and the Adages of E., New Haven 2001; J.-D. M¸ller, Res publica u. Res publica Litteraria. Am Beispiel v. Spalatins Übers.en d. politischen Ethik d. E., in: M. Fumaroli (Hg.), Les premiers sie`cles de la Re´publique europe´enne des Lettres, Paris 2005, S. 237⫺259; J. Hamm, Pax Erasmiana dt., Zu d. E.übers.en C. Meuselers, U. Varnbülers u. G. Spalatins, in: N. McLelland / H. J. Schiewer / S.
Schmitt (Hgg.), Humanismus in d. dt. Lit. d. MAs u. d. frühen Neuzeit, 2007. Zu 2.: Chomarat, Gramm. et rhe´t, S. 782⫺ 803; L. I. Westney, E’s Parabolae sive similia, 1981; C. Balavoine, Bouquets de fleurs et colliers de perles. Sur les recueils de formes bre`ves au XVIe sie`cle, in: J. Lafond (Hg.), Les formes bre`ves de la prose et le discours discontinu (XVIe⫺XVIIe sie`cles), Paris 1984, S. 51⫺71; B. Wachinger, Literarische Kleinstformen, in: W. Haug / B. Wachinger (Hgg.), Kleinstformen d. Lit. (Fortuna vitrea 14), 1994, S. 1⫺37; G. Hess, Enzyklopädien u. Florilegien im 16. u. 17. Jh., in: Th. Stammen / W. E. J. Weber (Hgg.), Wissenssicherung, Wissensordnung u. Wissensverarbeitung, 2004, S. 39⫺57. Zu 3.: Th. Verweyen, Apophthegma u. Scherzrede, 1970; M. Cytowska, ‘Apophthegmata’ d’E´rasme de R., Eos 61 (1973) 123⫺133; N. Largier, Diogenes d. Kyniker (Frühe Neuzeit 26), 1997; T. ter Meer, A True Mirror of the Mind. Some Observations on the Apophthegmata of E., E. of R. Society Yearbook 23 (2003) 67⫺93.
Manfred Eikelmann
E . L it er ar is ch es We rk . Inhalt. 1. Declamationes. a) ‘Encomium artis medicae’. b) ‘Encomium matrimonii’. c) ‘Oratio de virtute amplectenda’. d) ‘Contra tyrannicidam’. e) ‘De morte declamatio’. 2. ‘Moriae encomium’. 3. ‘Colloquia familiaria’. 4. ‘Iulius e coelis exclusus’. ⫺ Literatur.
1. Declamationes. 1498/99 verfaßte der Student der Theologie in Paris als Privatlehrer für seine vornehmen Schüler neben ersten Anleitungen und Entwürfen zur Einübung eines angemessenen Lateins (s. o. B., Einleitung) auch Deklamationen (rhetorisch-epideiktische Vorträge) über verschiedene Sujets. Das damals entstandene ‘Encomium matrimonii’ war, wie E. rückschauend im ‘Catalogus lucubrationum’ (Op. epist., Bd. 1, S. 18) ausdrücklich bemerkt, dem Rhetorikunterricht zugedacht. Vom Wiederaufleben der Declamatio in der Schule hat E. sich viel für die Förderung sprachlicher Kultur versprochen (vgl. Op. epist., Nr. 191; ‘De ratione studii’, s. o. B.1.; Chomarat, S. 931 ff., 999 f.). Seine Schätzung der Declamatio bezeugen auch entsprechende spätere Übersetzungen aus Lukian, Libanius, Galen (s. u. K.6., 22., 34.). E.’ erste eigene Deklamationen liegen noch im Vorfeld seiner Literatenlaufbahn, ent-
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standen zu einem Zeitpunkt, als er “nichts unversucht gelassen” habe (so 1518 in der Widmung des ‘Encomium artis medicae’), und er ließ sie auch erst an die 20 Jahre später drucken. Die Declamatio aber blieb mit ihren Möglichkeiten des fiktionalen Spiels weiterhin, wie v. a. das ‘Moriae encomium’ und die ‘Querela pacis’ belegen, eine von E. bevorzugte literarische Form. Der ‘Lucubrationum index’ von 1519 (hg. v. F. L. Hoffmann, Serapeum 23 [1862] 49⫺58) nennt unter den unveröffentlichten Schriften, von denen sich nichts erhalten hat, auch zwei Declamationes, ein Encomium sapientie coeptum und einen Antipolemos, quod Rhomae scripsit hortatu Cardinalium, opus imperfectum; bei diesem handelt es sich vermutlich um die vom Krieg des Papstes gegen Venedig abratende Suasorie, die E. im ‘Lucubrationum catalogus’ (Op. epist., Bd. 1, S. 17) anführt, neben der er auch eine den Krieg des Papstes befürwortende verfaßte. Zu E.’ literarischen Plänen gehörten schließlich, als er das ‘Moriae encomium’ konzipierte, auch ein Naturae und ein Gratiae Encomium (ebd., S. 19).
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tio, Probatio, Refutatio, Peroratio) und den Beweismitteln (Argumenta, Exempla) der klassischen Rhetorik entwickelte Preisrede auf die ärztliche Kunst, gehalten an ein (fiktives) Publikum von Magistern und Studenten. Der Hauptteil, die Probatio, breitet als Hauptgesichtspunkte dignitas, auctoritas, usus und necessitas der als wohltätigste aller Artes gepriesenen Medizin aus. Als wichtigste Quelle nutzte E. Plinius’ ‘Historia naturalis’. Die Exempla der Probatio sind antiken Schriftstellern und der Bibel entnommen. Der zeitgenössische Zustand der Medizin, ihre Leistungen und Autoritäten spielen in der Declamatio keine Rolle; von ihnen erfährt man nichts. Verfaßt ist die Lobrede auf die Medizin im Frühjahr 1499, vermutlich für den Freund Gisbert, damaligen Stadtarzt von Saint-Omer (vgl. Op. epist. Nr. 87⫺89); E. hielt sich damals wegen der Pest nicht in Paris, sondern in Tournehem b. Saint Omer auf (vgl. J. Hadot, in: Colloquia Tours 1972, Bd. 1, S. 87⫺96). Die gedruckte Ausgabe widmete er unter dem 15. März 1518 Henricus Afinius (van den Eynde), Stadtarzt in Antwerpen, Eobanus J Hessus lieferte 1524 eine Bearbeitung des ‘Encomium’ in elegischen Distichen (VD 16, E 1460).
Eine Sammlung von vier Deklamationen kam unter ihrem Gattungstitel zuerst am 30. März 1518 bei Dirk Martens in Löwen heraus: Declamatio|nes aliquot | Erasmi Roterodami. | Querimonia pacis undique profligatae. | Consolatoria de morte filii. | Exhortatoria ad matrimonium. | Encomium artis medicae cum caeteris adiectis. BB, E 1224 (S. 767 f.); NK 811. Den vier Deklamationen ist eine Declamatiuncula des E. angehängt, eine kurze antwortende Rede eines Bischofs an die Gratulanten zu seiner Erhebung (vgl. dazu Allen, Op. epist., Bd. 1, Nr. 48, Anm. 6); über Zeitpunkt und Umstände dieser Declamatiuncula wußte E. später nichts mehr (ebd., S. 18). Seit dem Löwener Druck von 1518 erschienen die Deklamationen weiterhin häufig in spezifischen, jedoch unterschiedlich zusammengesetzten Sammlungen. Nachweise: BB, E 1224⫺1234 (S. 767⫺ 772), E 1294 (S. 994 f.); zusammen mit dem ‘Enchiridion militis christiani’: BB, E 1004, 1006 f., 1044, 1047⫺49, 1053 f., 1056 f., 1059.
Drucke. Declamatio|nes aliquot | Erasmi Roterodami […] Encomium artis medicae cum caeteris adiectis (s. o.). Löwen: Dirk Martens, 30. März 1518. Bl. [o4]r⫺[r4]v: Declamatio | eiusdem in laudem artis | medicae. NK 811; BB, E 1224. Weitere Druck-Überl.: BB, E 1225⫺1234, 1294; VD 16, E 2796⫺2808. Stets zusammen mit dem ‘Encomium matrimonii’. Den fehlerhaften Erstdruck und seine Nachfolger revidierte und ergänzte E. in der Ausgabe des Sammeldrucks Libellus no|vus et elegans D. Erasmi Ro/|terodami, de Pueris statim ac liberaliter insti/|tuendis […] In laudem Medicinae declamatio […]. Basel: Hier. Froben, 1529. VD 16, E 3474. Ausgaben. LB I, Sp. 537A⫺544E; J. Domanski, ASD I-4, 1973, S. 145⫺186. Übersetzungen. Dt.: E. Bornemann, zusammen mit einem Faksimile der lat. Erstausgabe, [1960]. ⫺ Engl: B. McGregor, CWE, Bd. 29, 1989, S. 35⫺50.
a) ‘Encomium artis medicae’. Eine gemäß den Kompositionsregeln (Exordium / Captatio benevolentiae, Parti-
b) ‘Encomium matrimonii’. Die zuerst 1518 gedruckte Declamatio hatte E. etwa 20 Jahre zuvor in Paris für
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seinen Schüler und freundschaftlichen Gönner William Blount, Lord Mountjoy (ca. 1478⫺1534), verfaßt. Sie preist die Ehe als erstes und einziges von Gott noch vor dem Sündenfall gestiftetes Sakrament, als die der menschlichen Natur primär gemäße und für die Erhaltung der Menschheit unersetzliche Lebensform, preist sie als Quelle eines glücklichen Daseins und als Institution von hohem gesellschaftlichen Wert. Dem auf die Ehe gehäuften Lob fehlt nicht die brisante Note: Es geht zu Lasten des zölibatären Standes, dem ein der Ehe überlegener Rang abgesprochen wird. Größere Bedeutung erhielt die Declamatio erst durch den Streit mit ihren theologischen Kritikern in Löwen und Paris, den die Drucke seit 1518 nach sich zogen. Schon im Febr. 1519 brandmarkte der prominente Löwener Theologe Jean Briard in öffentlicher Rede ⫺ ohne dabei E. und das ‘Encomium’, die ohne Zweifel gemeint waren, beim Namen zu nennen ⫺ die Ansicht, die Ehe sei dem Zölibat vorzuziehen, als häretisch. E. antwortete der theol. Fakultät zu Löwen mit der am 1. März 1519 abgeschlossenen ‘Apologia pro declamatione matrimonii’ (Basel: Joh. Froben, Mai 1519. LB IX, Sp. 105E⫺112A. Vgl. BB, S. 429 f.). Seine Erklärung, daß es sich bei der inkriminierten Schrift um eine unverändert belassene Jugendarbeit und im übrigen um eine rhetorische Übung im Stil des genus laudativum handle, nicht um eine ernsthafte theologische Äußerung, verfing bei den Gegnern nicht, verleugnete wohl auch ungeachtet des fiktiven Charakters der Suasorie deren doch nicht zu tilgende kritische Betrachtung des Zölibats. Den fiktiven Status des ‘Encomium’ unterstrich E., indem er es 1522 als Exemplum epistolae suasoriae in seine Brieflehre ‘De conscribendis epistolis’ (ASD I-2, S. 400⫺429) aufnahm und ihr dort das abratende Gegenstück De genere dissuasionis (ebd., S. 429⫺432) folgen ließ. Auf die Kritik des Pariser Theologen Jodocus Clichtoveus (1472⫺ 1543) in seinem ‘Propugnaculum ecclesiae’ (1526) antwortete E. zunächst kurz mit der ‘Appendix de scriptis Clichtovei’ (1526, LB IX, Sp. 811E⫺ 814D). Nachdem die Pariser theol. Fakultät 1531 ihre 1526 formulierte Verurteilung verschiedener Schriften des E. veröffentlicht hatte, ließ er 1532 eine umfassende Auseinandersetzung mit Clichtoveus erscheinen, die ‘Dilutio eorum quae Iodocus Clithoveus scripsit adversus declamationem Des. Erasmi Roterodami suasoriam matrimonii’ (Ausg.: Telle, 1968), die nicht nur die früheren Stellungnahmen zusammenfaßt, sondern sich auf eine grundsätzliche Diskussion um den Zölibat ausweitet.
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Zusammenfassend zu den zahlreichen theologischen Attacken gegen das ‘Encomium matrimonii’: Margolin, Ausg., S. 367⫺381. Quellenverzeichnis des gesamten Komplexes der Streitigkeiten bei Telle, 1968, S. 60−64. Engl. Übersetzung der ‘Apologia pro declamatione matrimonii’: Ch. Fantazzi, CWE 71, 1993, S. 85⫺95, der ‘Dilutio’: ders., CWE 83, 1998, S. 116⫺148. Drucke. Declamatio|nes aliquot | Erasmi Roterodami […] Exhortatoria ad matrimonium […] (s. o.). Löwen: Dirk Martens, 30. März 1518. Bl. l iiv⫺[o4]r: Declamatio | in genere suasorio, de | laude matrimonii | Erasmi Rot. NK 811; BB, E 1224. Verzeichnis der Druck-Überl.: Margolin, Ausg., S. 340⫺367. Der eingebürgerte Titel ‘Encomium matrimonii’ ist erstmals in dem Druck Basel: Joh. Froben, 30. Aug. 1518 (BB, E 1226), verwendet. Dt. Übers. von Johann Herold: Von loblichem herkommen […] der hailigen Eh, Ain rhumreiche löbliche Declamation. Augsburg: Phil. Ulhart d. Ä., 1542. VD 16, E 2821 f. Ausgaben. LB I, Sp. 414⫺424; J.-C. Margolin, ASD I-5, 1975, S. 333⫺416. Übersetzung, engl.: Ch. Fantazzi, CWE, Bd. 25, 1985, S. 129⫺145, wiederholt in: E. Rummel (Hg.), Erasmus on Women, Toronto 1996, S. 57⫺75.
c) ‘Oratio de virtute amplectenda’ (‘Epistola exhortatoria ad Adolfum principem Veriensem’). Der 1498 verfaßte protreptische Brief an den jungen, noch nicht 10jährigen Adolf van Veere, den Sohn von E.’ Gönnerin Anna von Borssele, besteht in seinem Hauptteil aus einer Eloge des Kindes nach den Loci der rhetorischen Descriptio personae (Familie, Eltern, Vorfahren, körperliche und geistige Vorzüge, Charakter u. a.). Betont und illustriert mit zahlreichen Exempla aus antiker Literatur und Geschichte wird die harmonische Kongruenz von äußerer und innerer Vollkommenheit. Einbezogen ist ein ausgedehntes Lob von E.’ Freund Jakob Batt als dem unübertrefflichen Lehrer des adeligen Kindes. In der Einleitung des Briefs rechtfertigt E. die der bloßen Schmeichelei verdächtige Gattung der panegyrischen Rede durch ihre Funktion, dem Adressaten ein anspornendes Ideal vor Augen zu halten. Erst am Ende, außerhalb der panegyrischen Aktion, steht eine Mahnung zur Frömmigkeit, mit der nachdrücklichen Maßgabe, es komme auf
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Christi Lehre an, nicht auf die Weisungen von Priestern und Mönchen. Für Adolfs religiöse Erziehung, die gleichzeitig mit dem humanistischen Elementarunterricht erfolgen solle, sind drei Gebete beigefügt, die E. auf Bitten der Mutter verfaßte, jene, die auch in den Drucken der ‘Lucubratiunculae’ von 1503 und 1509 der ‘Epistola exhortatoria’ folgen (s. u. E.1.4.c). Seit dem Druck Basel: Joh. Froben, März 1518, wurde der Titel Oratio de virtute amplectenda üblich. Drucke. Lucubratiunculae aliquot | Erasmi Canonici ordinis diui Augustini perquam uti|les adolescentibus. | Epistola exhortatoria ad capessendam virtutem | ad generosissimum puerum Adolphum principem | Veriensem. | Precatio qum [!] erudita: tum pietatis plena: | ad Iesum dei virginisque filium. | Paean in genere demonstratiuo: virgini matri | dicendus. Obsecratio ad eandem semper gloriosam. | Ode de casa natalicia pueri Iesu. | Enchiridion militis Christiani […]. Antwerpen: Dirk Martens, 15. Febr. 1503. NK 835. NDe ebd. 1509 u. Löwen 1514. NK 836 u. 2954. Die ‘Oratio’ (‘Epistola exhortatoria’) ist auch sonst meist Sammeldrucken mit dem ‘Enchiridion militis christiani’ als Hauptstück beigedruckt. VD 16, E 2893⫺2909; BB, E 1003, 1004, 1006, 1007, 1044, 1047, 1048, 1049, 1053, 1054, 1056, 1059; ferner: BB, E 1230, 1232, 1296. Ausgabe. LB V, Sp. 65D⫺72D. Übersetzung, engl.: B. Inwood, CWE 29, 1989, S- 1⫺13.
d) ‘Contra tyrannicidam’ (Antwort auf Lukians Rede des Tyrannenmörders). 1506 erschien bei Josse Bade in Paris ein Band mit zahlreichen Lukian-Übersetzungen des E. und weiteren aus der Feder seines Freundes Thomas More. Die LukianÜbersetzung war eines ihrer gemeinsamen Unternehmen während E.’ zweiten Aufenthalts 1505/06 in England. Von Lukians Rede des Tyrannenmörders (‘Tyrannicida’) hatte jeder eine Übersetzung angefertigt und ihr jeweils eine eigene Declamatio beigefügt, die auf die Rede von Lukians Tyrannenmörder antwortet und dessen Ansinnen zurückweist. Die Rede eines Tyrannenmörders war ein typisches Sujet der spätantiken Vortragsrhetorik. Lukians Declamatio liegt folgender Fall zugrunde: Ein angeblicher Tyrannenmörder versucht vor Gericht Anerkennung und Lohn für einen gleich dop-
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pelten Tyrannenmord einzuklagen: Statt des Tyrannen, den er nicht antraf, habe er dessen Sohn, der selbst schon zum Tyrannen geworden sei, getötet, den Vater aber dadurch zum Selbstmord getrieben: dieser habe sich in Schmerz und Verzweiflung über den Verlust des Sohnes in das bei der Leiche hinterlassene Schwert gestürzt.
Erasmus’ nach den Regeln der forensischen Rede gebaute Entgegnung weist die Ansprüche des Klägers mit Argumenten zurück, zu denen dessen Auftritt bei Lukian bestens einlädt: Der sich als um die Stadt verdienten Helden aufspielende Kläger könne ein Geschehen, das wider seine Planung und in der Hauptsache auch ohne sein Zutun verlaufen sei, nicht als seine Tat ausgeben; auch sei die Behauptung, daß gleichzeitig zwei Tyrannen in der Stadt geherrscht hätten, widersinnig, usf. E.’ replizierender Redner erkennt kein zureichend ehrenwertes Motiv der selbstherrlichen Figur Lukians und vermißt den Nachweis, daß die beanspruchte Tat im Konsens mit den moralischen Grundsätzen der Bürger stehe. E.’ und Mores Lukian-Repliken konkurrieren nicht in ihrer sachlichen Zielsetzung und ihren tragenden Argumenten. Ihre beträchtliche Differenz besteht in der Art der Ausarbeitung. Während More eine kurze, konzise, klare Fassung bevorzugt, demonstriert die um das Dreifache längere Declamatio des E. sprachliche und gelehrt illustrierende Fülle. Eine ähnliche stilistische Differenz zwischen E. und More beobachtet Rummel bereits in ihren Übersetzungen. Drucke. Luciani viri quam disertissimi compluria opuscula longe festiuissima ab Erasmo Ro⫽|terodamo et Thoma moro interpretibus optimis in latinorum linguam traducta […]. [Paris]: Jod. Badius, 13. Nov. 1506. Zur weiteren DruckÜberl. s. Thompson, 1974, S. lv⫺lxvii. Ausgaben. LB I, Sp. 271E⫺298C; Chr. Robinson, ASD I-1, 1969, S. 516⫺551. Übersetzung, engl.: E. Rummel, CWE 29, 1989, S. 71⫺123.
e) ‘De morte declamatio’. Die Trostrede anläßlich des frühen Todes eines Sohnes entstand den Angaben des ‘Catalogus lucubrationum’ (Op. epist., Bd. 1, S.18) zufolge in Siena, wo E. Anfang
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1509 als Begleiter des Eb.s Alexander, des Sohnes Kg. Jakobs IV. von Schottland, eingetroffen war. Von den Deklamationen, die er damals in Italien verfaßte, habe er, so E. ebd., in seinen Papieren nur diese eine wiedergefunden. Die rhetorisch gebaute, recht unpersönlich gefaßte Rede sucht mit bekannten rationalen Trostgründen über den Schmerz des Verlusts hinwegzuhelfen, appelliert dabei auch an den Christen, der im Ertragen von Leid den zahlreichen Männern der Antike, die vorbildliche patientia bewiesen hätten, nicht nachstehen dürfe. In ‘De conscribendis epistolis’ wurde die Declamatio als exemplum consolationis aufgenommen (ASD I-2, S. 441⫺455), hier mit dem Namen des angeblichen Adressaten: Antonius Suketus amisit filium optimae spei adolescentem. Drucke. Quere|la pacis undique | gentium eiectae | profligatae/|que Autore Erasmo | Roterodamo. | Cum quibusdam alijs […]. Basel: Joh. Froben, Dez. 1517. S. 53⫺70, mit neuem Titel: Des Eras|mi Roterodami, in | genere consola|torio, De mor|te decla-|matio. Widmung an Heinrich Glarean (o. D.). Druck-Überl.: Zwei Einzeldrucke: Basel 1518, Nürnberg um 1520; VD 16, E 3073 u. 3078. Beigedruckt in Drucken des ‘Enchiridion militis christiani’: BB, E 1044, 1047 f., 1053⫺1057, 1059, von ‘De praeparatione ad mortem’: BB, E 1157, 1161, 1163, 1167⫺1169, 1171, 1174, 1176, der ‘Declamationes aliquot’ / ‘Decl. quattuor’: BB, E 1224, 1229 f., 1232, 1234, der ‘Querela pacis’: 1290, 1292, 1294⫺96, 1332. Vgl. VD 16, E 3072⫺ 3090. Ferner VD 16, E 3474 u. C 5283. Dt. Übers. von Jakob Salwechter, in: Das Christlich Trostreich Büchlein […] wie man sich Gottselig zu sterben schicken vnd zum Todt bereiten soll […]. Frankfurt a. M.: Herm. Gülfferich, 1546. VD 16, E 3091. Ausgabe. LB IV, Sp. 617A⫺624A.
2. ‘Moriae encomium’. Keine von E.’ Schriften hat in gleich hohem Maße die Jahrhunderte hindurch ihre Attraktivität bewahren können wie dank seiner literarischen Reize das ‘Moriae encomium’, der Preis der Torheit durch die Göttin Torheit selbst. Die Idee des ironisch-hintergründigen Spiels will E. im Sommer 1509 auf der Rückreise von Italien nach England bekommen haben. Einen Anstoß gab die scherzhafte Assozia-
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tion des Namens seines Freundes Thomas More (lat. Morus) mit dem griech. mvro¬w (moˆro´s ‘töricht, närrisch’), dem er das Buch auch gewidmet hat. Ausgearbeitet hat E. es nach seiner Ankunft im Herbst bei More in London, während einer Woche, als ihn die Nierensteine plagten. An eine Veröffentlichung der paradoxen Preisrede hat er nicht gleich gedacht. Sie kursierte fast zwei Jahre nur im Manuskript unter seinen Freunden. Der dürftige Pariser Erstdruck von 1511 erschien ohne sein Wissen. Erst 1512 kam E. mit einer autorisierten Ausgabe nach. Die Rede der Torheit hat verschiedene Teile und Themen; ihr Verhältnis zueinander und damit die Frage der Einheit, schon der fiktionalen Kohärenz des gesamten Entwurfs sind Hauptprobleme der Interpretation. Im ersten, stark lukianisch inspirierten Teil präsentiert die Torheit, die sich als mächtigste der olympischen Gottheiten ausgibt, ein weites Panorama ihres universalen Regiments im Theater der Menschenwelt; ihr Gefolge bilden Eigenliebe, Schmeichelei, Vergeßlichkeit, Trägheit, Genußsucht, Unvernunft, Wollust. Der aufreizende Kern in der Selbstrühmung der Torheit ist der mit durchdringender Beobachtungslust demonstrierte anthropologische Befund, daß ohne Selbstbetrug, Einbildung, Illusionen niemand glücklich, nicht einmal erträglich zu leben vermöge, daß auch Heldentum und Kunsteifer, selbst Klugheit und der Weg zur Weisheit von Torheit geleitet seien. Die menschliche, zutiefst menschliche Torheit erscheint gerade in ihrer Widervernünftigkeit als Quelle von Lebensfreude, Vitalität, Kreativität. Aber ist nicht alles, was die Torheit spricht, von vornherein als närrische Rede denunziert, oder stellt die Torheit nicht doch scharfsinnig und respektlos die wahren Diagnosen, oder fungiert sie, bald törichte Weisheit, bald weise Torheit, eher als Maske, deren sich der Autor beliebig zu bedienen vermag? Die Fragen nach der Identität der Torheit werden im weiteren Verlauf des ‘Encomium’ nicht leichter. Es kann in seiner Vielgesichtigkeit sehr verschiedene legitime Lesarten haben.
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Der zweite Teil bringt eine massive Ständekritik, welche die Gelehrten vom Schulmeister an, sodann Theologen und Mönche, Fürsten und Höflinge und insbesondere die hohen geistlichen Ränge bis zum Papst hinauf aufs Korn nimmt, Personengruppen, deren Vertreter sich für höchst vernünftig halten und nicht bemerken, wie tief sie der Torheit verfallen sind. Die spielerische Distanz der schildernden Torheit wechselt über weite Strecken in satirische Anklage. Erstmals bei E. wird hier das Gebaren der Kardinäle und des Papstes (Julius II.) dem wahren Christentum der apostolischen Zeit kontrastiert. Zu Beginn des dritten Teils, schickt sich die Göttin Torheit gemäß rhetorischer Regel an, zur Unterstützung ihres vorgetragenen Ruhmesanspruchs gewichtige Autoritäten anzuführen ⫺ und spielt nun, fernab vom Olymp, den Theologen. Mit Bibelstellen, vor allem bekannten Paulusworten, weiß die Torheit zu belegen, daß die Toren, nicht die Weisen Gott wohlgefällig sind. Doch die biblischen Autoritäten leiten nur das abschließende und krönende Thema ein, das der allen anderen Torheiten inkommensurablen christlichen Torheit. Als den wahren Toren führt die Rednerin den strikt nach den Forderungen des Evangeliums lebenden Christen vor, der radikal der Welt entsagt und alles ihr Unrecht erträgt. Als ganz exzeptionelle Toren, ja wie von Wahn Ergriffene erscheinen schließlich jene wenigen, denen in geistiger Entrückung ein Vorgeschmack der jenseitigen höchsten Glückseligkeit vergönnt ist. Die ‘Moria’ und ihre Wirkung können ohne die Textgeschichte nicht zureichend beurteilt werden. Die Schrift wuchs im Laufe ihrer mehrfachen Überarbeitungen und Erweiterungen um etwa ein Drittel ihres ursprünglichen Umfangs. Den Hauptanteil der Erweiterungen, welche die kompositorische Balance erheblich veränderten und neue inhaltliche Gewichtungen erbrachten, hat dabei die Straßburger Ausgabe von 1514; E. schob ihr im zweiten Teil ausgedehnte scharfe Attacken gegen die scholastische Theologie und das zeitgenössische Mönchtum ein, und auch der dritte Teil erhielt beträchtliche Zusätze
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(vgl. Screech, 1980; ASD I-3, S. 29−33). Erst seit dieser Ausgabe, deren Textbestand in den folgenden nicht geschmälert wurde, zog die ‘Moria’ den Protest der konservativen Theologie auf sich, schon im Sept. 1514 den tadelnden Brief des Löwener Theologen Maarten van Dorp (Op. epist., Nr. 304), der die gänzlich mißverstehende Aufforderung enthält, E. möge, um seinen Anliegen Resonanz zu verschaffen, ein Lob der Weisheit verfassen. Ob E.’ Antwort (Op. epist., Nr. 337), die seit der Ausgabe Basel 1516 der ‘Moria’ häufig beigedruckt ist, als eher taktische Abwehr oder zum Nennwert zu lesen ist, beurteilt die Forschung nicht einhellig. Zu den lang anhaltenden Angriffen gegen die ‘Moria’ und E.’ Repliken s. ASD I-3, S. 24⫺29. Die ungewöhnlich zahlreichen offenen und versteckten Zitate und literarischen Allusionen der ‘Moria’ veranlaßten einen Kommentar, der den Drucken ⫺ mit Ausnahme der italienischen ⫺ als Beitrag des Gerardus Listrius seit der Ausgabe Basel 1515 lange Jahre beigefügt wurde; er dürfte jedoch in beträchtlichem Maße von E. selber verfaßt sein. Die volkssprachlichen Versionen der ‘Moria’ setzen bereits 1512 mit einer tschechischen (Hs.: Prag, UB, XVII D 38) ein. Die ersten frz. und dt. (Georg Halewin, 1517; Seb. Franck, 1534) sind freilich keine getreuen, sondern frei bearbeitende Übersetzungen. Vgl. ASD I-3, S. 36⫺39. Drucke. 1. Moriae encomium. Erasmi. Roterodami | declamatio. Paris: Gilles de Gourmont, [1511]. BB, E 838. Am Ende: Finis Moriae, in Gratiam Mori. Erstdruck, von dem E. sich mehrfach distanziert hat, nach einer sehr fehlerhaften Abschrift hergestellt in Zusammenarbeit mit Jean Petit, bei dem das Buch gleichzeitig erschien (BB, E 839). ⫺ 4. Moriae Encomium | Erasmi Roterodami declamatio: nuper ab eo recognita […]. Paris: Jod. Badius, 27. Juli 1512. BB, E 841. Erster von E. revidierter Druck. ⫺ 6. Erasmi Roterodami | mvri¬aw eœgkv¬mion, id est Stultitiae | laus, Libellus vere aureus, | […] nuper ex ipsius au⫽|toris archetypis | diligentissime | restitutus. Straßburg: Matth. Schürer, Nov. 1514. BB, E 843. Durchgreifend revidierte und um gut ein Viertel des früheren Textumfangs vermehrte Ausgabe. ⫺ 9. In hoc opere | contenta | Ludus L. Annaei Senecae, | De morte Claudij Caesaris […] Erasmi Roterodami
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Mo|riae Encomium, cum commen/|tarijs Gerardi Listrij, trium | linguarum periti. Die ‘Moria’ mit eigenem Titel: Erasmi Roterodami mv/|ri¬aw eœgkv¬mion .i. Stultitiae laus, | libellus uere aureus, nec mi/|nus eruditus […]. [Basel]: Joh. Froben, [1515]. BB, E 846. ⫺ 35. Ausgabe letzter Hand: Moriae | Encomium, id est, stul/|ticiae laudatio, ludicra declamatione | tractata […] per ipsum autorem etiam | atque etiam recognita […]. Basel: Hier. Froben u. Nik. Episcopius, 1532. BB, E 870. ⫺ Verzeichnis der älteren Druck-Überlieferung einschl. der Übersetzungen: BB, E 838⫺999. Verzeichnis und textgeschichtl. Beschreibung der bis 1540 erschienenen 38 Drucke bei Miller, ASD IV-3, S. 40⫺61. Ausgaben. LB IV, Sp. 401⫺504C; C. H. Miller, ASD IV-3, 1979 (auf der Grundlage der Ausg. Basel 1532). Faksimile: H. A. Schmid, Erasmi Roterodami Encomium moriae i. e. Stultitiae laus […] Basler Ausgabe 1515. Mit den Randzeichnungen von Hans Holbein d. J. in Faksimile, 2 Bde, Basel 1931. Übersetzungen. Dt.: A. Hartmann, 1929, 2 1960, wieder in: Welzig, Ausgew. Schr., Bd. 2, 1975, S. 1⫺211. ⫺ Engl.: B. Radice, CWE, Bd. 27, 1986, S. 77⫺153; C. H. Miller, The Praise of Folly, London/New Haven 2003. ⫺ Frz.: P. de Nolhac, Paris 1936; P. Mesnard, E´rasme. La philosophie chre´tienne, Paris 1970, S. 27⫺107. ⫺ Ital.: T. Fiore, Elogio della pazzia, Torino 1972.
3. ‘Colloquia familiaria’. Die ‘Colloquia’ erschienen in ihrer ersten Fassung mit dem Titel ‘Familiarium colloquiorum formulae’ im Nov. 1518 bei Froben in Basel, ohne Wissen des E., aber unter seinem Namen hg. von Beatus Rhenanus. Bis zu ihrer letzten autorisierten Fassung (1533) kamen sie in weiteren 14 beständig erneuerten und vermehrten Auflagen heraus, wandelten sich dabei vom anfänglich nur lateindidaktischen Gesprächsbuch für Schüler seit der 5. Fassung durch einen stetig wachsenden Anhang von schließlich 48 teils kleineren, teils umfangreichen selbständigen Dialogen zu einem brillanten literarischen Werk, welches das ganze Spektrum von E.’ kritisch-reformerischem Denken aufzunehmen vermochte, dabei aber stets zugleich der sprachlichen Erziehung verpflichtet blieb. Die ‘Colloquia’ wurden zu E.’ Lebzeiten und weit darüber hinaus sein erfolgreichstes Werk. Sind bis zum Tode des E. 1536 bereits mindestens 88 Drucke und Nachdrucke ⫺ ohne die Teildrucke und Übersetzungen ⫺ zu verzeich-
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nen, waren es bis 1700 mehr als 200. Damit waren sie das ⫺ ausgenommen die Bibel ⫺ meistgedruckte Buch der Frühen Neuzeit. In der Widmung des Erstdrucks an die Söhne des Frankfurter Patriziers Nikolaus Stalberger (Basel, 22. Nov. 1518) berichtet Rhenanus, E. habe das kleine Unterrichtsbuch vor 20 oder mehr Jahren in Paris einem Freund, dem Augustinus Caminadus (Aug. Vincent [aus Kamin/Mecklenburg?]), der als Privatlehrer sein Auskommen suchte, zu Gefallen verfaßt; dieser habe immer wieder Kopien des verborgen gehüteten Manuskripts zu Geld gemacht, und so sei der auf diese Weise verbreitete Text schließlich durch den Niederländer Lambert Holonius ⫺ er war seit Okt. 1518 bei Froben beschäftigt ⫺ ihm, Rhenanus, bekannt geworden. Diese Entstehungsgeschichte wurde von E. wenig später, in der Vorrede an den Leser zur 3. Ausgabe (Löwen, März 1519), spürbar korrigiert: Was er seinerzeit bei Scherz und Plauderei an Wendungen für alltägliche Konversation und Tischgespräch sorglos unter Freunden von sich gegeben habe, sei von Caminadus aufgelesen, vielfach mit unzulänglichem Eigenen versetzt, auf Gesprächspartner verteilt, mit Zwischentiteln versehen und in dieser Mischgestalt mit Gewinn vertrieben worden.
Das von Rhenanus veröffentlichte Buch, von dem ob seiner Mängel E. sich deutlich distanzierte ⫺ es gehöre ihm nicht ⫺, stellt der Gattung der Schülergespräche gemäß (vgl. Paul D Schneevogel, J Hundern, J Mosellanus, J Murmellius u. a.) Gesprächsformeln und Redewechsel in einen Zusammenhang alltäglicher Situationen, bietet sporadisch auch stilistische und grammatikalische Erläuterungen. Es erschien mit zwei Beigaben, einer zu sprachlicher Gewandtheit anleitenden Brevis de copia praeceptio (einem frühen Entwurf von ‘De duplici copia’ entnommen) und einer Anleitung zur Methode des Lernens (De ratione studii ad amicum quendam epistola protreptica). Aufgrund der Resonanz, die das kleine Buch sogleich fand, sah sich E. gefordert, rasch eine sprachlich verbesserte Neuausgabe (Löwen, Dirk Martens, März 1519) vorzulegen. Okt./Dez. 1519 folgte eine gründlicher überarbeitete und erweiterte 3. Ausgabe, die überdies spöttische Anspielungen auf die theologischen Gegner des Collegium Trilingue in Löwen und auf Ed-
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ward Lee, den Kritiker des ‘Novum instrumentum’, enthält sowie E.’ Verwahrung gegen den Versuch, ihn zum Parteigänger Luthers und J Reuchlins zu machen. Die 4. Ausgabe (Basel, März 1522) brachte mit ihrer erneuten Revision und vor allem ihrer enormen Vermehrung der formulae, die hier ihre definitive Redaktion erhielten, ein nahezu neues Buch, in dessen Titel nun erstmals auch die pädagogisch-moralische Zielsetzung (ad uitam instituendam) aufgenommen ist; für die neuen Gesprächsbeispiele sind häufig Sujets erasmischer Kritik (Wallfahrt, Ablaß, Fastengebot, Greuel des Krieges, Pfründenjagd des Klerus u. a.) gewählt, die, weiter ausgeführt, in den künftigen Dialogen wiederkehren. Mit der 5. Ausgabe (Juli/Aug. 1522) setzte die Erweiterung durch selbständige Dialoge außerhalb der Konversationsmuster ein (‘Convivium religiosum’, ‘Apotheosis Capnionis’ [⫽ Reuchlins]). Nachdem in der 8. Ausgabe die Zahl der Dialoge bereits auf 22 angewachsen war, erschienen die 9. Ausgabe (Febr. 1526), die sich durch neue umfangreiche Gespräche wie ‘Das Fischessen’ und die ‘Peregrinatio religionis ergo’ hervortat, und alle weiteren unter dem gewichtigeren Titel ‘Familiarium colloquiorum opus …’. Mit dem Dialog, seinen Möglichkeiten gleichermaßen zum Wettstreit der Argumente wie zu spielerischer, von Witz und Ironie bewegter Kommunikation, seiner Offenheit für variierende Inszenierungen und die Wahl eines kontrastreich bunten, der Alltagswelt der Zeit entnommenen Gesprächspersonals fand E. die literarische Form, die ebenso Torheiten und Mißstände amüsant vorzuführen wie aufklärende Reflexion über die Reform der Bildung und Erziehung und der Sitten gefällig und lebendig, doch auch satirisch und sarkastisch zu vermitteln erlaubte. In der thematischen Vielfalt und Vielschichtigkeit der ‘Colloquia’ erhielt die führende Stimme aber mehr und mehr die Kritik an Kirche, Geistlichkeit, religiöser Praxis, die Forderung nach geistiger Freiheit und Selbsterkenntnis, innerer Frömmigkeit, moralischer Wahrheit. Alle Kritik diente indes dem zentralen Anliegen der Wegweisung
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zu einer von christlicher Ethik geprägten Lebenspraxis, welche den Frieden der Seele gewährt, in E.’ Sicht ⫺ so der ‘Epicureus’, der letzte Dialog der ‘Colloquia’ ⫺ die christliche Verwirklichung des epikureischen Ideals. Die unablässigen Anfeindungen, die E. seit 1522 mit den ‘Colloquia’, ihrer Kritik an veräußerlichter Frömmigkeit, am Heiligenkult, an den Mönchen, seitens der Löwener und der Pariser Theologie auf sich zog (vgl. Bierlaire, Les Colloques, 1978, S. 201⫺303), zwangen ihn zu Klärung und Verteidigung. Briefliche Entgegnungen genügten nicht. Als die theol. Fakultät in Paris im Mai 1526 die ‘Colloquia’ inkriminierte und ihr Verbot betrieb, fügte E. der 10. Ausgabe (Juni 1526) eine Stellungnahme ‘De utilitate colloquiorum’ (Text: ASD I-3, S. 741⫺752) bei, in der er sich gegen Unverständnis und Verunglimpfung verwahrt und Thematik und Intention eines jeden der bis dahin erschienenen Dialoge geduldig erläutert. Er hatte Anlaß, seine Verteidigung in den Ausgaben von 1529 weiterzuführen. Dem Druck des Pariser theologischen Verdikts von 1526 i. J. 1531 ließ er im Febr. 1532 seine ausführliche Replik folgen, die ‘Declarationes ad censuras Lutetiae sub nomine Facultatis Theologiae Parisiensis’ (LB IX, Sp. 928⫺954). Der Kritik spanischer Mönche antwortete er mit seiner ‘Apologia ad monachos quosdam Hispanos’ (LB IX, Sp. 1015⫺1084). Zu weiteren Auseinandersetzungen veranlaßte ihn der seit 1525 von Rom aus gegen ihn als angeblichen Häretiker agierende päpstliche Diplomat Alberto Pio, Prinz von Carpi (‘Apologia adversus rhapsodias calumniosarum querimoniarum Alberti Pii’, LB IX, Sp. 1093⫺ 1196). Insgesamt wurden E.’ Apologien im Streit um die ‘Colloquia’ einschließlich der Antworten an seinen alten Widersache, den Pariser Theologen Natalis Beda, umfangreicher als diese selbst. Drucke. 1. Fassung: Familia-|rium colloquiorum | formu/|lae, | et alia quaedam, | per Des. Eras|mum Rote/|roda/|mum […]. Basel: Joh. Froben, Nov. 1518. ⫺ 4. Fassung: Familia⫽|rium colloquiorum | formulae, per D. Erasmum Ro/| terod. non tantum ad lin/|guam puerilem expolien|dam utiles, uerum | etiam ad uitam | instituen/|dam […]. Basel: Joh. Froben, März 1522. − 9. Fassung: Familiarium colloquio|rum opus multis nominibus utilißimum, nunc | postrema cura ab autore D. Eras. Rot. | recognitum, magnaque acceßio|ne auctum. Basel: Joh. Froben, Febr. 1526. ⫺ Letzte Fassung: Familia-|rium colloquiorum Des. | Erasmi Roterodami opus, ab au/|tore postremum diligenter recognitum, | emendatum & locupletatum, adiectis | nouis aliquot lectu dignis colloquijs […]. Basel: Hier. Froben u. Nik.
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Episcopius, März 1533. ⫺ Zur Textgeschichte: Gutmann (mit hist. Kontext), Bierlaire, 1977 (interne Textgeschichte). ⫺ Druck-Überlieferung: BB, E 405⫺602, 630⫺634; VD 16, E 2301⫺2415 (Auszüge u. dt. Übers.en: E 2416−2458); Bezzel, Nr. 430⫺526 (Auszüge u. dt. Übers.en: Nr. 527⫺ 552). Ausgaben. LB I, Sp. 629⫺890; L.-E. Halkin u. a., ASD I-3, 1972 (textgeschichtl. Ausg.). Übersetzungen. Dt.: H. Schiel, E. v. R., Vertraute Gespräche, 1947 u. ö.; in Auswahl: Welzig, Ausgew. Schr., Bd. 6, 1967. ⫺ Engl.: C. R. Thompson, The Colloquies of Erasmus, Chicago/London 1965; ders. CWE, Bd. 39⫺40, 1997. ⫺ Frz.: E´. Wolff, E´rasme, Colloques, 2 Bde, Paris 1992.
4. ‘Iulius e coelis exclusus’. Die Autorschaft der anonymen Schmähschrift gegen den am 21. Febr. 1513 verstorbenen Papst Julius II. war unter den Zeitgenossen umstritten und ist es noch heute. Im September 1518 erschien bei Dirk Martens in Löwen der erste datierte und firmierte Druck. Doch gingen ihm, spätestens seit Anfang 1517 (vgl. Op. epist., Bd. 2, Nr. 532), schon mehrere anonyme und undatierte Drucke voraus. Die älteste sichere Bezeugung des Pamphlets ist die Abschrift, die Bonifacius Amerbach in Basel unter dem 5. Aug. 1516 anfertigte; ob sie von einer Handschrift oder einem Druck genommen ist, steht dahin. Spätestens im Februar 1517 war das Pamphlet am burgundischen Hof bekannt (Op. epist., Bd. 2, Nr. 532). Vermutlich ist es schon Jahre zuvor, bald nach dem Tode des Papstes entstanden. Als die Drucke es öffentlich machten, gingen bald Zuschreibungen an verschiedene denkbare Autoren um. Genannt wurden Fausto Andrelini, der Hofdichter Kg. Ludwigs XII. ⫺ auf ihn konnte der Titel des vielleicht ersten Drukkes (s. u.) zutreffen, falls er nicht bewußt fingiert war ⫺, dann Hieronymus J Balbus, 1521 Ulrich von J Hutten und neben diesen noch andere. Am häufigsten aber kam, bei seinen Freunden wie bei seinen Gegnern, der Name des E. ins Spiel. Zwar verwahrte E. sich energisch gegen das Gerücht, verurteilte die Verbreitung des Buchs durch den Druck ⫺ es war in den Jahren 1517⫺19 in der Tat ein Bestseller ⫺, ohne doch unmißverständlich die Autor-
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schaft zu dementieren (vgl. Op. epist., Bd. 4, Nr. 961 und 967). Auch die heutige Forschung plädiert aufgrund der maßgeblich von Allen (Op. epist., Bd. 2, S. 418⫺ 420) beigebrachten, von Pineau, Reedijk und anderen ergänzten Indizien weit überwiegend für E.s Autorschaft, ohne indes letzte Sicherheit zu behaupten (vgl. den Überblick bei M. J. Heath, CWE, Bd. 27, S. 157⫺160). Einen umfassenden Versuch, die Annahme von E.’ Autorschaft zu widerlegen, machte Stange. Nachdrückliche Zweifel, daß die Verfasserfrage bereits gelöst sei, äußerte aufgrund erneuter Prüfung von E.’ einschlägiger Korrespondenz zuletzt A. Gerlo. Der Autor inszeniert das Pamphlet auf Julius II. als dessen Selbstdarstellung im Gespräch mit Petrus an der Himmelspforte, an der er brüsk, aber vergeblich Einlaß verlangt. Er läßt den Papst anmaßend und ruhmredig seine einzig der Erweiterung von Macht und Reichtum verschriebene Politik schildern, seine simonistischen Umtriebe und seine Finanzpraktiken, seinen sittenlosen Lebenswandel. Julius führt sich als verschlagenen Kriegshelden und Feind des Friedens vor, als zynischen Verächter von Kirchenreform und Frömmigkeit, in allem als unantastbar skrupellosen Genießer päpstlicher potestas absoluta. Der burlesk einsetzende Dialog baut in allmählicher Steigerung das Verhältnis der beiden Gesprächspartner als denkbar schärfsten Kontrast auf. Petrus, der von Julius verachtete arme Fischer, der er als Jünger Jesu war, spielt den unwissenden Himmelspförtner, der mit ironischer Neugier Frage auf Frage stellt und den Papst so zu fortschreitender Enthüllung seiner ruchlosen Amtsführung veranlaßt. Mit den prahlenden Auskünften des Papstes hat es ein Ende, als er gegen die Kirche der apostolischen Zeit, die er als erbärmlich taxiert, die pompösen Triumphe, die er nach seinen Feldzügen feierte, als Demonstrationen der angeblich wahren Kirche auszuspielen trachtet. Nun verkehren sich die Rollen, ist der Papst der Fragende und Unwissende, der von der Lehre des NT, von Nachfolge Christi und christlicher Weltverachtung nie gehört hat, und
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tritt Petrus als der erste und authentische Stellvertreter Christi hervor, der dem Christus völlig entfremdeten Exponenten einer übel verweltlichten Kirche die verurteilende Strafpredigt hält. Das monströse Porträt des Papstes und das Panorama seiner Herrschaft, die der Dialog liefert, entbehren nicht ungerechter Einseitigkeit und maliziöser Übertreibungen, historischer Fehler und Verzerrungen. Auf den kunstsinnigen, vielleicht bedeutendsten Mäzen der Renaissance, der Bramante, Michelangelo, Raffael in seine Dienste zu ziehen wußte, fällt aus der radikal moralistischen Sicht des Autors kein Blick. Der Dialog erschöpft sich nicht in einer Abrechnung mit der von Petrus als tyrannus plus quam mundanus, Christi hostis, Ecclesiae pestis apostrophierten Person des Julius. Er zielt darüber hinaus auf das Papsttum in seiner zeitgenössischen Verfassung und schrankenlosen Machtfülle im ganzen und greift mit seiner Kritik das verdorbene hierarchische System im ganzen an. Handschriften. Basel, UB, A IX 64, Abschrift Bonifacius Amerbachs vom 5. Aug. 1516; ebd. A IX 64a, unvollst. Abschrift Bruno Amerbachs. Drucke. Ältester Druck (nach Stange): F. A. F. Poete Regij libellus. | de obitu Julij Pontificis Maximi. Anno do⫽|mini. M.D.XIII. [Speyer: Jak. Schmidt, 1517]. VD 16, L 1511. Faksimile: Stange (Anhang). Erster datierter Druck: Dialogus vi|ri cuiuspiam | eruditissimi, festiuus sane et elegans, quomodo | Iulius .II. P.M. post mortem coeli fores | pulsando, ab ianitore illo D. Petro intromitti nequiuerit […]. Löwen: Dirk Martens, Sept. 1518. NK 3283. ⫺ Bis einschl. 1519 mindestens 13 Drucke. VD 16, L 1511⫺1519, NK 1239 u. 3282, dazu die Verzeichnisse von H. Ullrich (Bibliographie d. ‘Iulius exclusus’, Het Boek 20 [1931] 81⫺ 104 u. 226), Ferguson (Ausg., S. 55⫺59) und Stange (S. VI⫺IX), die für diesen Zeitraum aber jeweils unvollständig sind. Versuch einer Filiation und internen Chronologie der Drucke des 16. Jh.s bei Stange, S. 268−338. ⫺ Eine zeitgenössische dt. Übers.: Von dem gewalt vnd haupt | der kirchen/ ein gesprech/ | zwischen dem heyligen S. Peter | vnd dem allerheyligisten Bapst Julio […]. [Speyer: Johann Eckhart, um 1521]. Ausgaben. Hutten, Opera, Bd. 4, 1860, S. 427⫺457; W. K. Ferguson, Des. Erasmi opera omnia, Supplementum, Den Haag 1933, S. 65⫺ 124. Ferguson legte einen Druck zugrunde, der
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sich nach Stange, S. IX, “am weitesten vom Original entfernt”. Übersetzungen. Dt.: G. Christian, in: Welzig, Ausgew. Schr., Bd. 5, 1968, S. 5⫺109. ⫺ Engl.: P. Pascal (Einleitung u. Anmerkungen von J. K. Sowards), Bloomington/London 1968; M. J. Heath, CWE, Bd. 27, 1986, S. 155⫺197. ⫺ Frz.: J.-C. Margolin (Hg.), Guerre et paix dans la pense´e d’E´rasme, Paris 1973, S. 55⫺103. Literatur. Zu 1.: Chomarat, Gramm. et rhe´t., S. 931−941, 948−962. ⫺ b): E. V. Telle, E´rasme de R. et le septie`me sacrement, Genf 1954; ders. (Hg.), E. Roterodamus, Dilutio eorum quae Iodocus Clithoveus scripsit adversus declamationem Des. Erasmi Roterodami suasoriam matrimonii, Paris 1968, Introduction. ⫺ d): C. R. Thompson, The Translations of Lucian by E. and Sir Thomas More, Yale 1940; Ch. S. Rayment, The Tyrannicida of E., Speech Monographs 26 (1959) 233⫺247; C. R. Thompson, in: The Complete Works of St. Thomas More, Bd. 3,1, New Haven 1974, S. xxx⫺xxxviii; E. Rummel, E. as a Translator of the Classics, Toronto 1985, S. 58⫺69. Zu 2.: A. R¸egg, Des E. ‘Lob der Torheit’ u. Th. Mores ‘Utopia’, in: Gedenkschrift 1936, S. 69⫺88; W. Kaiser, Praisers of Folly. Erasmus, Rabelais, Shakespeare, Cambridge (Mass.), 1963; W. Trillitzsch, E. u. Seneca, Philologus 109 (1965) 270⫺293; B. Kˆnneker, Wesen u. Wandlung der Narrenidee im Zeitalter d. Humanismus. Brant, Murner, Erasmus, 1966; J. IJsewijn / J. IJsewijn-Jacobs, Die ‘Stultitiae laus’ des E. u. d. ‘De triumpho stultitiae libri tres’ des Faustinus Perisauli, Meander 22 (1967) 327⫺339; J. Lefebvre, Les fols et la folie, Paris 1968, S. 213⫺277 u. ö.; K. Williams (Hg.), Twentieth Century Interpretations of the ‘Praise of Folly’. A Collection of Critical Essays, Englewood Cliffs (NJ) 1969; R. Klein, La forme et l’intellegible, Paris 1970, S. 433⫺450; H. B. Rothschild Jr., Blind and Purblind. A Reading of The Praise of Folly, Neophilologus 54 (1970) 223⫺234; J. A. Gavin / T. M. Walsh, The Praise of Folly in Context. The Commentary of Girardus Listrius, Renaissance Quarterly 24 (1971) 193⫺209; E. Sch‰fer, E. u. Horaz, Antike u. Abendland 16 (1970) 54⫺67; P. Mesnard, E´rasme et la conception dialectique de la Folie, in: E. Castelli (Hg.), L’Umanesimo et ‘la follia’, Rom 1971, S. 45⫺61; J. Chomarat, L’Eloge de la Folie et Quintilien, Information litte´raire 2 (1972) 77⫺ 82; S. Dresden, Sagesse et folie d’apre`s E´rasme, in: Colloquia Tours 1972, Bd. 1, S. 285⫺299; G. Thompson, Under Pretext of Praise. Satiric Mode in Erasmus’ Fiction, Toronto/Buffalo 1973; C. H. Miller, Medieval Elements and Structural Unity in The Praise of Folly, Renaissance Quarterly 27 (1974) 499⫺511; W. A. Rebhorn, The Metamor-
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and Conviction in Early Modern Europe, Princeton 1969, S. 299⫺318; F. Bierlaire, Un livre du maıˆtre au XVIe sie`cle. E´rasme explique´ par Hegendorf, Quaerendo 2 (1972) 200⫺220; L. V. Ryan, Erasmi convivia. The Banquet Colloquies of E., Mediaevalia et Humanistica 8 (1977) 201−215; F. Bierlaire, E´rasme et ses Colloques. Le livre d’une vie (Travaux d’Humanisme et Renaissance 159), Genf 1977; ders., Les Colloques d’E´rasme: re´forme des e´tudes, re´forme des mœurs et re´forme de l’E´glise au XVIe sie`cle, Paris 1978; ders., E´rasme, les imprimeurs et les ‘Colloques’, Gutenberg-Jb. 1978, S. 106⫺114; Chomarat, Gramm et rhe´t., S. 849⫺ 930; S. Barth, in: Br¸ggemann, Hdb., Sp. 377⫺ 413; J. O. Osorio, Enonce´ et dialogue dans les Colloques d’E´rasme, in: Colloque Tours 1986, S. 19⫺34; L. L. E. Schl¸ter, Niet alleen. Een kunsthistorisch-ethische plaatsbepaling van tuin en huis in het Convivium religiosum van E., Amsterdam 1995; F. Carine, La re´flexion sur le pouvoir du langage dans plusieurs colloques d’E´rasme, Re´forme ⫺ Humanisme ⫺ Renaissance 58 (2004) 59⫺88. Zu 4.: B. Pineau, E´rasme et la papaute´. E´tude critique du Julius exclusus, Paris 1924; C. Stange, E. u. Julius II. Eine Legende, Berlin 1937; C. Reedijk, Een Schimpdicht van E. op Julius II, in: Opstellen door Vrienden en Collegas Aangebonden aan Dr. F. K. H. Kossmann, Den Haag 1958, S. 186⫺207; R. H. Bainton, E. and Luther and the Dialog Julius exclusus, in: Vierhundertfünfzig Jahre lutherische Reformation 1517⫺1967. Fs. F. Lau, 1967, S. 17⫺26; C. Reedijk, E´rasme, Thierry Martens et le Iulius Exclusus, in: Scrinium Erasmianum, Bd. 2, S. 351⫺378; A. Hyma, The Youth of Erasmus, 2. Aufl. New York 1968, S. V⫺XVI; J. K. McConica, E. and the ‘Julius’. A Humanist Reflects on the Church, in: Ch. Trinkaus / H. A, Oberman (Hgg.) The Pursuit of Holiness in Late Medieval and Renaissance Religion, Leiden 1974, S. 444⫺471; M. L. Colish, Seneca’s Apocolocyntosis as a Possible Source for E.’ Julius Exclusus, Renaissance Quarterly 29 (1976) 361⫺368; J.-C. Margolin, L’art du dialogue et la mise en sce`ne dans le Julius exclusus, in: M. T. Jones-Davies (Hg.), Le dialogue au temps de la Renaissance, Paris 1984, S. 213⫺236; A. Gerlo, Le Iulius exclusus e coelis dans la correspondance d’E´rasme, in: R. de Smet (Hg.), La satire humaniste, Brüssel 1994, S. 165⫺187.
F. J. Worstbrock
F. C ar mi na . Inhalt. 1. ‘Epigrammata’, 1518. a) ‘De casa natalitia Iesu’. b) ‘Varia epigrammata’. c) ‘Concio de puero Iesu’. 2. Von E. anderweitig veröffent-
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lichte Gedichte. 3. Gedichte, die ohne E.’ vorherige Zustimmung erschienen sind. 4. Postum veröffentlichte Gedichte. a) Ms. Gouda. b) Ms. Scriverius. c) Ms. Egerton 1651. 5. In E.’ Prosawerken eingebettete Gedichte. ⫺ Literatur.
E., der sich in seiner Jugend zum Poeta geboren fühlte, hat während seiner ganzen Karriere lat., gelegentlich auch griech. Gedichte verfaßt, in den verschiedensten Metren und Gattungen, und hat sie auch gern in den Druck gegeben. Wenn er sich auch manchmal abschätzig darüber äußerte, so sind solche Bemerkungen als Bescheidenheitsformeln zu deuten. Die Zeitgenossen jedenfalls durchschauten sie als Topoi und lobten E.’ Begabung; ja, Dichter wie Eobanus J Hessus, Johannes Stigel und Janus Secundus zollten ihm das Kompliment der Nachahmung. 1496 veröffentlichte E. seine erste Gedichtsammlung. Diese und andere Gedichte sammelte er zehn Jahre später in den ‘Varia epigrammata’ und ließ sie im Januar 1507 zusammen mit den ‘Adagiorum collectanea’ in Paris erscheinen. Zu Thomas Mores ‘Utopia’ und ‘Epigrammata’, die er 1518 in Basel herausgab, fügte er die eigenen, um viele Stücke vermehrten ‘Epigrammata’ hinzu. Als er dann das Gesamtwerk 1524 und 1530 in ordines einteilte, vergaß er seine Dichtungen nicht. Epigramme verschiedenen Inhalts wies er einen Platz im 1. Band an. Das ‘Carmen de senectute’ sollte im 4. Band erscheinen, und zwar unter den Werken, die den Charakter bilden. Gedichte, die die Frömmigkeit betreffen, gehörten in den 5. Band. Hier erwähnt er namentlich ‘Expostulatio Iesu’, ‘Casa natalitia’ und ‘Michaelis encomium’. Die von E. gewünschte thematische Gliederung ist in der Baseler, teilweise auch in der Leidener Ausgabe durchgeführt. Reedijks 1956 erschienene Edition hingegen ordnet die Gedichte nicht thematisch, sondern chronologisch, um dadurch E.’ Entwicklung besser zu beleuchten. In der neuesten Ausgabe (1993/95) sieht Vredeveld, teils wegen der oft unsicheren Datierung, teils um des ursprünglichen Kontexts willen, von der Organisation E.’ und ebenso von der Reedijks ab und stellt die
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Gedichte entsprechend ihrer Publikationsgeschichte vor (Ziff. 1.⫺5.). Diese Gliederung, ebenso die Numerierung der Gedichte, wird in der folgenden Darstellung beibehalten. Für die Drucküberlieferung sei auf Reedijk, S. 360⫺380, und ASD I-7 verwiesen. Ausgaben. 1. Omnia opera, Basel: Hier. Froben u. Nik. Bischof, 1538⫺1542. Bd. 1 enthält c. 129⫺132, 65, 4⫺8, 12⫺41, 52⫺54, 3, 55⫺61, 70, 92; Bd. 2: c. 91; Bd. 3: c. 68, 69, 66, 56, 71, 75, 73, 74, 82, 81, 80, 89, 90, 78, 79; Bd. 4: c. 64, 2; Bd. 5: c. 42⫺48, 50, 51, 1, 133, 88, 49, 9⫺11; Bd. 9: c. 134. 2. LB. Bd. 1 enthält c. 129⫺132, 128, 65, 4⫺8, 12⫺41, 52⫺54, 3, 55⫺61, 70, 92; Bd. 2: c. 91; Bd. 3/1: c. 56, 66, 68, 69, 71, 73, 74; Bd. 3/2: c. 75, 78, 79, 82, 81, 80, 69, 89, 90; Bd. 4: c. 64, 2; Bd. 5: c. 42⫺48, 50, 51, 1, 133, 88, 49, 9⫺11; Bd. 8: c. 113, 114, 102⫺106, 93, 135, 107, 108, 36, 109⫺112; Bd. 9: c. 134. 3. C. Reedijk, The Poems of Desiderius E., Leiden 1956. Dazu: H. Vredeveld, Towards a Definitive Edition of Erasmus’ Poetry, Hum. Lov. 37 (1988) 115⫺174. Auswahl aus Reedijks Ausg., mit Einl. u. dt. Übers. v. W. Schmidt-Dengler, in: Welzig, Ausgew. Schr., Bd. 2, 1975. 4. H. Vredeveld, Poems, mit engl. Übers. v. C. H. Miller; Notes to Poems, CWE 85⫺86, 1993; ders., krit. Ausg., ASD I-7, 1995. Dazu: R. Jakobi, Gnomon 73 (2001) 514⫺516.
1. ‘Epigrammata’, 1518 (c. 1⫺61). In dieser Sammlung bringt E. fast alle Gedichte zusammen, die er, sei es in früheren Sammlungen, sei es als Beigaben, bis 1518 selbst veröffentlichte, und fügt sieben bis dahin noch ungedruckte Dichtungen hinzu. Den Grundstock bilden drei früher erschienene Sammlungen. a) ‘De casa natalitia Iesu’ (c. 42, 50, 6, 5). Das wohl 1496 in Paris veröffentlichte Werkchen enthält eine Meditation auf die Hütte, in der Jesus geboren wurde (c. 42), sowie einen langen Hymnus an die Erzengel Michael, Gabriel und Raphael und alle Engel, mit wiederholtem Gebet um Frieden (c. 50). Beide Gedichte dürften 1490/91 in Steyn entstanden sein. Am Schluß stehen zwei Epigramme zum Lob Pariser Humanisten. In dem einen stellt E. sich Robert Gaguin vor (c. 6); in dem anderen lobt er Gaguins Geschichte Frankreichs und die Eklogen des Fausto Andrelini (c. 5).
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Druck. De casa natalitia Jesu | et paupere puerperio | diue virginis marie Carmen. Paris: A. Denidel, [Jan. 1496?]. GW 9375. Verbesserter ND: Ebd., [1496?]. GW 9376.
b) ‘Varia epigrammata’ (c. 2, 4⫺42). Als E. Anfang 1507 seinen ‘Adagia’ ein kleines Gedichtbuch beigab, eröffnete er die Sammlung mit dem reizenden Gedicht über das Alter (c. 2). Er hatte es im Aug. 1506, kurz vor seinem 40. Geburtstag, auf der Reise nach Italien verfaßt. Obwohl autobiographisch-introspektiv gestaltet, ist die Ode kein Erlebnisgedicht. Sie ist vielmehr ein rhetorischer Appell zu einem christlichen ‘Carpe diem’, in dem E. sich selbst als Exemplum darstellt. Wie der Dichter, so soll auch der Leser die Kürze menschlichen Lebens bedenken und sich einzig und allein Christus widmen. Unmittelbar nach dieser berühmten Ode steht die Ode zum Lob Britanniens (c. 4), die im Frühherbst 1499 entstand. Die Prosopopoeia ⫺ die personifizierte Britannia lobt sich selbst und ihre königliche Familie ⫺ war dem achtjährigen Prinzen Heinrich zugedacht. Hierauf folgt eine Reihe Carmina verschiedenen Inhalts, darunter die Gedichte in ‘De casa natalitia’, Epigramme an Freunde, Epitaphien, Bildbeschreibungen und Titelepigramme für die Bücher anderer. Drucke. Varia epigrammata. [Paris]: Josse Bade u. Jean Petit, 8. Jan. 1507. BB, E 56 (oft zusammen mit: Veterum maxime insignium paroemiarum. i. adagiorum collectanea. [Paris], 24. Dez. 1506.).
c) ‘Concio de puero Iesu’ (c. 43, 46, 47, 44, 48, 45, 52). Als Beigabe zu seiner für John Colets Schüler bestimmten Predigt über den Knaben Jesus (s. u. G. 4.a) gab E. sieben noch unveröffentlichte Gedichte in den Druck (1511?): die später so populäre, von Leo Jud und Hieronymus J Emser auch ins Dt. übersetzte ‘Expostulatio Iesu cum homine’ (c. 43), ferner fünf ‘Carmina scholaria’ mit Lebensregeln für die Schüler Colets (c. 44⫺48) und ein satirisches ‘Epitaphium scurrulae temulenti’ (c. 52). Druck. Desiderii Erasmi […] Concio de | puero Iesu a puero in | schola Coletica nu|per
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Londini insti|tuta pronun|cianda. [Paris: G. Biermant?], 1. Sept. [1511?]. NK 2887. Druck-Überlieferung der ‘Expostulatio’: VD 16, E 2979⫺3020; NK 854⫺55, 2887, 2928⫺29; Bezzel 1067⫺1103. Drucke der dt. Übersetzungen: Bezzel 1104⫺ 1107.
Zu den besprochenen drei Sammlungen kommen einige Carmina, die E. nach 1511 veröffentlicht hatte: (1) Ein katechetisches Gedicht ‘Christiani hominis institutum’ (c. 49) in: Opuscula aliquot Erasmo Roterodamo castigatore et interprete. Löwen: Dirk Martens, 1514. Nach einer Vorlage von John Colet verfaßt, war das Gedicht als erstes Lesematerial für dessen Schüler bestimmt. (2) Griech. ‘Ex voto’ an Unsere Liebe Frau von Walsingham (c. 51), im Frühjahr 1512 anläßlich einer Pilgerfahrt entstanden. In: Lucubrationes. Straßburg: Matth. Schürer, 1515. (3) ‘Lob Schlettstadts’ (c. 53) in: Iani Damiani Senensis ad Leonem X. Pont. Max. de expeditione in Turcas Elegeia. Basel, 1515; und drei Epigramme für Johannes J Sapidus, Sebastian J Brant und Thomas J Aucuparius (c. 3, 54, 55) in: De duplici copia verborum ac rerum commentarii duo. Straßburg: Matth. Schürer, 1514. In diesen Epigrammen vergilt E. die Gastfreundschaft, die er im Aug. 1514 in Elsaß genoß.
Sieben weitere, bis dahin unveröffentlichte Gedichte runden die ‘Epigrammata’ ab. Sie stehen, z. T. aus publizistischen Gründen, am Anfang und Ende der Sammlung: ‘Rhythmus iambicus in laudem Annae’ (c. 1), wohl 1491 entstanden und zehn Jahre später für Anna van Borsselen revidiert, sowie die Epigramme c. 56⫺61, die E. 1511⫺1516 zu verschiedenen Anlässen gedichtet hatte. Druck. De opti|mo reip. statu deque | noua insula Vtopia libellus ue-|re aureus [...] Thomae Mori [...] | Epigrammata clarissimi | disertissimique uiri Thomae | Mori, pleraque e Graecis uersa. | Epigrammata. Des. Eras-|mi Roterodami. Basel: Joh. Froben, März 1518. Verbesserter ND: ebd., Dez. 1518. Zu beiden Drucken: R. W. Gibson, St. Thomas More: A Preliminary Bibliography of his Works and of Moreana to the Year 1750, New Haven 1961, S. 7⫺9 (Nr. 3) u. 10⫺12 (Nr. 4); Bezzel 912 u. 913.
2. Von E. anderweitig veröffentlichte Gedichte (c. 62⫺92). Hier sind zunächst die Verse zu erwähnen, die E. vor 1518 veröffentlichte, aber nicht in seine ‘Epigrammata’ aufnahm:
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a) Beileidsgedicht an Antoon van Bergen auf den Tod seines Bruders Hendrik, des Bischofs von Cambrai (c. 62), in: Jacob Anthoniszoon, De praecellentia potestatis imperatoriae. Antwerpen: Dirk Martens, 1. Apr. 1502 [⫽ 1503]. b) Ein griech. ‘Homerocenton’ (c. 63) und lat. ‘Gratulatorium carmen’ (c. 64) auf die Rückkehr Philipps des Schönen aus Spanien im Nov. 1503, in: Ad illustrissimum principem Philippum [...] gratulatorius panaegyricus. Antwerpen: Dirk Martens, 1504. c) Iambische Trimeter an William Warham, Eb. von Canterbury (c. 65), in: Euripidis [...] Hecuba et Iphigenia, Latinae factae Erasmo Roterodamo interprete. Paris: Jod. Badius, 13. Sept. 1506. d) Epitaph für den am 15. Aug. 1516 verstorbenen B. von Cambrai, Jacques de Croy (c. 66), in: Auctarium selectarum aliquot epistolarum, Basel: Joh. Froben, Aug. 1518. e) Beigedicht für Bernard Andre´ (c. 67) in dessen: Hymni christiani [...] multiiugo metrorum genere compositi per totius anni circulum. Paris: Jod. Badius, 7. Juli 1517.
Es folgt eine Reihe von Epitaphien, poetischen Beigaben und Gelegenheitsgedichten, aber auch das berühmte ‘Carmen votivum’ an die hl. Genovefa, Patronin von Paris (c. 88). In letzterem Gedicht, wohl 1531 geschrieben, erfüllt E. ein Gelübde, das er vor mehr als drei Jahrzehnten machte, als er während der Studienzeit in Paris an Quartanfieber litt. Hier will der alte Humanist noch einmal mehr zeigen, wie man eine Heilige in wahrhaft christlicher Weise verehrt: indem man die Ehre ihrem wahrem Quell Christus zuteilt. Drucke. De recta latini grae-|cique sermonis pronuntiatione [...] Dialogus [...] Dialogus cui titulus, Cice-|ronianus [...]. Basel: Joh. Froben, März 1528 (c. 73, 74, 70, 72, 71). Bezzel 1763. ⫺ Opus epistolarum [...]. Basel: Joh. Froben, 1529 (c. 68, 69, 71, 75, 66, 73, 74, 82, 81, 80). Bezzel, 1004 u. 1005. ⫺ Diuae Genouefae prae⫽|sidio a quartana febre liberati, | Carmen uotiuum. | Nunquam antehac excusum. Freiburg: Jak. Faber Emmeus, 1532.
3. Gedichte, die ohne E.’ vorherige Zustimmung erschienen sind (c. 93⫺97). 1513 erschienen fünf Jugendgedichte, die Reyner Snoy († 1537) ohne E.’ Zustimmung aus der Hs. veröffentlichte. Die ersten drei sind Moralsatiren (c. 94⫺96), die im Winter 1490/91 entstanden: Gegen falsche Güter; gegen die Wollust, Gemah-
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nung an den Tod; gegen den Geiz. Dann folgt ein Dialog (c. 93) zur Verteidigung humanistischer Beredsamkeit und Dichtung gegen ihre barbarischen Verächter. Als E. sich nämlich 1489 dem gelehrten Mönch Cornelis Gerard in einem Versbrief über die modernen Barbaren vorstellte, schob Gerard seine eigenen Antworten in das Gedicht ein und schickte den so gestalteten Dialog an den neuen Freund zurück. Ein ‘Themation’ gegen den Reichtum (c. 97) beschließt Snoys Sammlung. Mit Ausnahme des von Cornelis umgestaltenen Versbriefs hat E. diese Gedichte 1521 selbst in den Druck gegeben, wenn auch unter Bezeigung von Unwillen und Resignation. Druck. Silua carminum antehac nunquam impressorum. | Satyre tres [...] Metrum phalenticum[!] de Nummo. | Apologia Herasmi sub dyalogo lamentabili as-|sumpta adversus barbaros qui veterum eloquentiam contem-|nunt et doctam Poesim derident [...]. Gouda: Aellardus Gauter, 18. Mai 1513 (c. 94⫺96, 93, 97). NK 871. Autorisierter ND: Progymnas|mata quaedam pri-|mae adolescentiae Erasmi. Löwen: Dirk Martens, 1521 (c. 94⫺97, 43, 44). NK 855.
4. Posthum veröffentlichte Gedichte (c. 98⫺127). Von den Gedichten, die E. nicht in den Druck gegeben hat und später wohl auch gern der Vergessenheit anheimgegeben hätte, sind rund dreißig erhalten, die meisten davon in Handschriften des 16. Jh.s. a) Ms. Gouda (c. 98⫺102). Auf einen Versbrief an Engelbert Schut (c. 98), in dem sich E. 1489 als Verehrer des Leidener Gelehrten zu erkennen gab, folgen vier Gedichte aus der frühen Klosterzeit (1487?), als E. in schwärmerischen Prosa- und Versbriefen um seinen Klosterbruder Servatius Rogerus warb. Es sind die ‘Elegia de collatione doloris et leticiae’, ‘De praepotenti virtute Cupidinis pharetrati’, die ‘Elegia querula doloris’ und ein ‘Carmen buccolicum’ (c. 99⫺102). Das bukolische Gedicht, traditionell der Deventer Schulzeit zugeordnet, ist vielmehr als allegorische Liebesekloge zu deuten: Wie Rosphamus um Gunifolda, so wirbt E. immer hoffnungsloser um Servatius.
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Überlieferung. Gouda, StB, Librije coll. 1323. Dazu: P. S. Allen, in: Op. epist., Bd. 1, Anhang IX, S. 609⫺613; Bd. 6, S. xix, Addendum zu Bd. 1, S. 609; D. van Heel, Hss. berustende in de Goudse Librye, Gouda 1949, S. 36⫺39; J. W. E. Klein, New Light on the Gouda Erasmiana Mss., Quaerendo 18 (1988) 87⫺95; K. Goedriaan, The Gouda Erasmiana revisited, ebd. 23 (1993) 241⫺ 264.
b) Ms. Scriverius (c. 113⫺114, 128, 102⫺106, 93, 135, 107, 108, 36, 109⫺ 112). Die Hs. enthält zumeist Juvenilia. Das ‘Carmen bucolicum’ (c. 102, hier mit den Hirtennamen Pamphilus und Galataea), eine ‘Oda amatoria’ (c. 103) und ein elegisches ‘Carpe diem’-Gedicht ‘De mutabilitate temporum ad amicum’ (c. 104) sind wohl den ersten Klosterjahren zuzuweisen. Zu der Klosterperiode gehören auch die stoisch gefärbte ‘Elegia de patientia’ (c. 105), der dichterische Wettstreit zwischen E. und Willem Hermans zum Lob des Frühlings (c. 106), die Hymne auf Papst Gregor d. Gr. (c. 107), das Epigramm auf die vier Letzten Dinge (c. 108) und das Freundschaftsgedicht, das E. für Willem Hermans verfaßte (c. 109). Nach diesen Juvenilia stehen drei Gedichte über religiöse Themen: eine lange Hymne auf die Jungfrau Maria und die Inkarnation des Wortes (c. 110), ein Gedicht auf die übernatürlichen Zeichen bei der Kreuzigung Jesu (c. 111) und ein Kurzepos über die Höllenfahrt Christi (c. 112). Die Marienhymne, möglicherweise in einem dichterischen Wettstreit mit Gillis van Delft 1499 entstanden, folgt weitgehend dem Vorbild des Prudentius. Das Epyllion über die Höllenfahrt Jesu hingegen ahmt Macarius Mutius’ bekanntes Kurzepos ‘De triumpho Christi’ nach. Da dieses am 29. März 1499 in Venedig veröffentlicht wurde, ergibt sich hieraus ein Terminus post quem für E.’ Dichtung. Auch das Gedicht über die Zeichen bei der Kreuzigung dürfte von 1499 stammen. ⫺ Ms. Scriverius enthält u. a. auch die ‘Oratio funebris’ für Berta van Heyen (mit den zwei Epitaphien, c. 113⫺114) und den ‘Conflictus Thaliae et Barbariei’ (mit c. 128). Überlieferung. Tilburg, Kath. Univ. Brabant, Brabanter Slg., D 141. Die Hs. wurde 1570 von
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‘Philomusus’ (Bonaventura Vulcanius) kompiliert. Später ging sie in den Besitz des Petrus Scriverius (1576⫺1660) über und diente dann als Vorlage für die Gedichte in LB, Bd. 8. Dazu: A. A. J. Karthon, Het verloren Erasmiaansch hs. van P. Scriverius, teruggevonden in ’s Hertogenbosch, Het Boek 5 (1916) 113⫺129.
c) Ms. Egerton 1651 (c. 50, 5, 6, 115, 116, 7, 117, 1). Die Hs., etwa im Winter 1499/1500 von einem englischen Humanisten kopiert, bringt u. a. drei Gedichte, die nur aus dieser Quelle bekannt sind. Im ‘Carmen extemporale’ (c. 115) lobt E. John Skelton als einen britischen Orpheus, Homer und Vergil. ‘In castigationes Vincentii’ hebt er Augustinus Vincentius Caminadus’ Vergilausgabe von 1498 auf Kosten der Ausgabe Paul Hemmerlins hervor (c. 116). Die ‘Contestatio salvatoris ad hominem sua culpa pereuntem’ (c. 117), möglicherweise 1499 entstanden, ist eine erste Fassung der ‘Expostulatio Iesu’ (c. 43). Überlieferung. London, BL, Ms. Egerton 1651. Dazu: D. R. Carlson, Erasmus, Revision, and the British Library Ms. Egerton 1651, Renaissance and Reformation n. s. 15 (1991) 199⫺232; ders., ebd. 1993, S. 87⫺92.
Unter den weiteren, erst postum veröffentlichten Gedichten (c. 118⫺127) sind besonders hervorzuheben die elegische Paraphrase der Antiphon ‘Salve regina’ (1499?; c. 118), eine iambische Invektive gegen Papst Julius II. (1511?; c. 119) und eine hexametrische Beigabe (c. 120), die ´ lvar Go´mez (1488⫺1538) für der Spanier A sein Buch ‘De militia principis Burgundi quam velleris aurei vocant’ ihm etwa 1517 abgerungen hatte. 5. In E.’ Prosawerke eingebettete Gedichte (c. 128⫺134). In seine Prosawerke hat E. gelegentlich auch Verse eingestreut: leoninische Hexameter der personifizierten Barbaries, klassische Hexameter der Muse Thalia im ‘Conflictus Thaliae et Barbariei’ (c. 128); metrische Einlagen in den ‘Colloquia’ (c. 129⫺132), insbesondere die Epigramme im ‘Convivium poeticum’ (c. 130) und das Hochzeitsgedicht im ‘Epithalamium Petri Aegidii’, von den neun Musen in verschie-
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denen Metren dargebracht (c. 132); ‘Introitus’ und ‘Sequentia’ in ‘Virginis matris apud Lauretum cultae liturgia’ (c. 133); und ein Verspaar in ‘Responsio ad Petri Cursii defensionem’ (c. 134). Literatur. Ellinger, Neulat. Lit., Bd. 1, S. 416⫺419; F. Kossmann, Een vergeten lofdicht van E. op de Orde van het Gulden Vlies door Alvar Gomez 1517, Het Boek 26 (1942) 357⫺364; C. Reedijk, Een schimpdicht van E. op Julius II, in: Opstellen door vrienden en collega’s aangeboden aan Dr. F. K. H. Kossmann, 1958, S. 186⫺207; J. H. Rieger, E., Colet, and the Schoolboy Jesus, Studies in the Renaissance 9 (1962) 187⫺194; J.-C. Margolin, Le ‘Chant alpestre’ d’E´rasme: poe`me sur la vieillesse, BHR 27 (1965) 37⫺79 (wieder in: ders., E´rasme dans son miroir et dans son sillage, 1987, Nr. 1); J. IJsewijn, E. ex poeta theologus siue de litterarum instauratarum apud Hollandos incunabulis, in: Scrinium Erasmianum, Bd. 1, S. 375⫺384; D. F. S. Thomson, E. as a Poet in the Context of Northern Humanism, in: Nationale E.-Herdenking: Handelingen / Comme´moration Nationale d’E´rasme: Actes, 1970, S. 187⫺210; E. Sch‰fer, E. u. Horaz, Antike u. Abendland 16 (1970) 54⫺67; J.-C. Margolin, Paris through a Gothic Window at the End of the Fifteenth Century: A Poem of E. in Honor of St. Genevie`ve, Res Publica Litterarum 1 (1978) 207⫺220 (wieder in: ders., E´rasme dans son miroir et dans son sillage, 1987, Nr. 2); G. Tournoy, Two Poems written by E. for Bernard Andre´, Hum. Lov. 27 (1978) 45⫺ 51; A. M. M. Dekker, Twee epigrammen van E. (R 49, 50), Hermeneus 53 (1981) 367⫺370; G. Tournoy, The ‘Lost’ Third Epitaph for Henry of Bergen, written by E., Hum. Lov. 33 (1984) 106⫺ 115; N. van der Blom, E.’ ‘Carmen Votiuum’ ter ere van Ste-Genevie`ve, Hermeneus 58 (1986) 191⫺ 198; H. Vredeveld, Traces of E.’ Poetry in the Work of Helius Eobanus Hessus, Hum. Lov. 35 (1986) 48⫺59; ders., Some ‘Lost’ Poems of E. from the Year 1499, in: Fide et Amore: A Fs. for H. Bekker on his Sixty-Fifth Birthday, 1990, S. 329⫺339; C. H. Miller, E.’s Poem to St. Genevieve: Text, Translation, and Commentary, in: Miscellanea Moreana: Essays for G. Marc’hadour, Binghamton/ N. Y. 1989, S. 481⫺515; ders., The Liturgical Context of E.’s Hymns, in: ACNL Torontonensis, Binghamton/N. Y. 1991, S. 481⫺490; D. R. Carlson, English Humanist Books: Writers and Patrons, Manuscript and Print, 1475⫺1525, Toronto u. a. 1993, S. 82⫺101; R. Green, E. and Prudentius, in: ACNL Abulensis, Tempe/Az. 2000, S. 309⫺318; A. Vanautgaerden / J.-C. Margolin, E´rasme de R., Ode pour dire les me´rites de l’Angleterre (Notulae Erasmianae 2), Brüssel 1998; dies., E´rasme de R., Vieillir (Notulae Erasmianae
4), Brüssel 2001; R. Stieglecker, Die Renaissance eines Heiligen. S. Brant u. Onuphrius eremita (Gratia 37), 2001, S. 85⫺94; C. Carena, La poesia latina nei Carmina di Erasmo da R., in: Giornate filologiche ‘Francesco della Corte’ ⫺ III, Genua 2003, S. 203⫺217.
Harry Vredeveld
G . The ol og is ch e S ch ri ft en . Inhalt. 1. Geistliche Schriften. a) ‘Enchiridion militis Christiani’. b) ‘Christiani matrimonii institutio’. c) ‘Vidua Christiana’. d) Gebete. e) ‘Explanatio symboli’. 2. Werke zur Schriftauslegung. a) Hermeneutische Schriften. b) Paraphrasen zum NT. c) Psalmenauslegung. 3. Der Streit mit Martin Luther um den freien Willen. a) ‘De libero arbitrio’. b) ‘Hyperaspistes’. 4. Predigt und Predigtlehre. ⫺ Literatur.
Die Diskussion darüber, ob E. überhaupt als Theologe zu betrachten sei, darf mittlerweile als entschieden gelten (vgl. Walter, 1991, S. 16⫺31). Diejenigen, welche ihm das Theologesein absprechen, identifizieren die Theologie des frühen 16. Jh.s zu sehr mit deren scholastischer Ausprägung und werden damit den theologischen Arbeiten des E., die in der Tradition der patristischen und der mal. ‘monastischen’ Theologie stehen, nicht gerecht. Dieser Tradition verdankte E. auch den von ihm programmatisch verwendeten Begriff der Philosophia Christi, mit dem er eine aus der Bibel, v. a. dem NT, und Schriften der Kirchenväter geschöpfte, eher auf die Affekte als auf den Intellekt abzielende Theologie bezeichnete, die allen Christen, nicht nur klerikalen Spezialisten, offenstehen soll (vgl. P. Walter, in: 3LThK 8, 1999, Sp. 247 f.). 1 . G ei st li ch e S ch ri ft en . a) ‘Enchiridion militis Christiani’. Die erbauliche Schrift möchte zur rechten Frömmigkeit anleiten, die für E. keineswegs Sache der Geistlichen allein, sondern aller Christen ist. Entsprechend dem Topos vom menschlichen Leben als Kriegsdienst, der sowohl bei stoischen Philosophen wie Seneca und Epiktet, als auch in der Bibel begegnet, charakterisiert E. das Leben als einen Kampf, der nur mit den richtigen Waffen ⫺ Gebet und Kenntnis
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der Hl. Schrift ⫺ gewonnen werden kann. Voraussetzung dafür ist die bereits von den Weisen der Antike empfohlene Selbsterkenntnis, die den Menschen wahrnehmen läßt, daß er dem Leibe nach zum animalischen, der Seele nach zum geistigen, letztlich göttlichen Bereich gehört. Die ursprüngliche, durch die Sünde gestörte Einheit beider soll wiederhergestellt werden, indem die Vernunft als das Göttliche im Menschen, das durch die Sünde nicht zerstört wurde, wieder zur Herrschaft gelangt. Dazu gibt E. 22 Regeln und weitere Ratschläge an die Hand, die zur Überwindung der Vorherrschaft des Äußerlichen im einzelnen Menschen wie in Kirche und Welt helfen sollen. Sie werden von einer teilweise heftigen Kritik begleitet, die sich v. a. gegen die Ordensleute richtet, deren besondere Qualität in Sachen Christsein E. bestreitet (vgl. Rummel, 1995). Von zentraler Bedeutung ist die fünfte Regel, in der E. das anthropologische und hermeneutische ‘Grundgesetz’ (Auer, S. 80) für die Lebensgestaltung wie für die Schriftauslegung darlegt: Überall ist vom Sichtbaren zum Unsichtbaren vorzustoßen. Die vierte und sechste Regel zeigen, daß dies von Jesus Christus getragen und ermöglicht ist. E. läßt in dem Werk, das auf einer platonisierenden Schriftinterpretation basiert und diese propagiert, die Tendenz erkennen, den Bereich des Institutionellen (Kirche, kirchliches Amt, Liturgie, Sakramente, Brauchtum usw.) zugunsten einer individuellen, rein innerlichen Frömmigkeit abzuwerten. Das ‘Enchiridion’, dessen Adressat nach wie vor unsicher ist (vgl. Festugie` re, S. 29⫺34, gegen Schottenloher), erschien zunächst in einem Sammelband, in welchem E. geistliche und theologische Texte veröffentlichte. 1515 kam erstmals eine Separatausgabe heraus. 1518 trat das Werk, versehen mit einem umfangreichen Vorwort (Op. epist., Bd. 3, Nr. 858; Holborn, Ausg., S. 3⫺21) an Paul Volz (1480⫺1544), den Abt von Hugshofen, sowie zahlreichen Beigaben, seinen Siegeszug an. Es erreichte sowohl im lat. Original als auch in Übersetzungen ⫺ u. a. von Johannes Adelphus J Muling (II.B.6.) ins Deut-
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sche ⫺ weite Verbreitung und begründete die Bedeutung des E. als geistlicher Schriftsteller. Drucke. Lucubratiunculae aliquot | Erasmi […] Enchiridion militis Christiani : saluberrimis | praeceptis refertum contra omnium viciorum irri| menta [!] efficacissimis : et ratio veri chri|stianismi, in: Lucubratiunculae aliquot | Erasmi Canonici ordinis diui Augustini perquam vti|les adolescentibus. Antwerpen: Dirk Martens, 1503 (d. h. 1504; vgl. Renaudet, S. 429), Bl. Dr⫺[N4]r. NK 835. ⫺ Enchiridion militis Cristi|ani [!]. Löwen: Dirk Martens, 1515. BB, E 1000. ⫺ Enchi-|ridion militis Christiani, salu/|berrimis praeceptis refertum […] Cui accessit noua | mireque utilis Praefatio […]. Basel: Joh. Froben, 1518. VD 16, E 2751. Druck-Überl.: BB, Bd. 2, S. 777⫺843. Ausgaben. LB V, Sp. 1A-66C; Holborn, Ausgew. Werke, S. 22⫺136 (zit.). Übersetzungen. Dt.: W. Welzig, in: Welzig, Ausgew. Schr., Bd. 1. ⫺ Engl.: Ch. Fantazzi, CWE, Bd. 66, 1988, S. 8⫺127.
b) ‘Christiani matrimonii institutio’. Entsprechend den im ‘Enchiridion’ entwickelten Kriterien hat E. in zahlreichen Schriften den Ehestand gegenüber dem Ordens- und Priesterstand aufgewertet. Erstmals gab er dem Thema breiteren Raum in dem 1518 veröffentlichten, jedoch zwanzig Jahre zuvor entstandenen ‘Encomium matrimonii’ (s. o. E.1.b.). In mehreren ‘Colloquia familiaria’ (‘Proci et puellae’, ‘Virgo miso¬gamow’, ‘Virgo poenitens’, ‘Coniugium’ [ASD I-3, S. 277⫺313]) griff er das Thema wieder auf, um es in ‘Christiani matrimonii Institutio’ breit zu entfalten und seine Position gegen Angriffe zu verteidigen. Das Werk ist Katharina von Arago´n (1485⫺1536) gewidmet, die bereits von den Scheidungsabsichten ihres Mannes, Kg. Heinrich VIII., wußte und den Erwägungen des E. über eine großzügigere Scheidungspraxis kaum zugestimmt haben dürfte. Im Mittelpunkt der Einleitung steht die aus dem römischen Recht stammende, von mal. Kanonisten und Theologen übernommene und von E. leicht ergänzte Definition der Ehe als “legitime und lebenslängliche, zur Erzeugung von Nachkommenschaft eingegangene Verbindung von Mann und Frau, die eine ungeteilte Lebens- und Gütergemeinschaft beinhaltet” (Sp. 617D).
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Von den die Ehe stabilisierenden Faktoren natura, lex, religio behandelt E. besonders ausführlich den letzten, wobei er beklagt, daß die Ehe, obgleich ein Sakrament, im Christentum wegen der Höherschätzung der Jungfräulichkeit nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit gefunden habe. E. betont die geistige Dimension der Ehe, die in der Verbindung der Seelen bestehe; die wahre Ehe sei nicht die nach den Gesetzen gültige, sondern die auf echter Zuneigung beruhende. Im umfangreichen ersten Teil behandelt E. die Eheschließung und deren Voraussetzungen. Er problematisiert den römischrechtlichen Grundsatz vom Zustandekommen der Ehe durch Konsens im Hinblick auf formlos (‘klandestin’) geschlossene Ehen und fordert die Einführung einer Formpflicht ⫺ ein Anliegen, dem das Konzil von Trient Rechnung tragen wird ⫺ sowie ein Mitspracherecht der Erziehungsberechtigten. E. plädiert für die Auflösung von Ehen, die wegen Nichtbeachtung dieser Kriterien zerbrochen sind, und, unter Berufung auf die matthäischen ‘Unzuchtsklauseln’, für die Möglichkeit einer Scheidung nach Ehebruch. Hinsichtlich der Partnerwahl, die E. aus männlicher Perspektive beschreibt, warnt er vor zu großer Ähnlichkeit der Partner, sieht vielmehr in einer gewissen Spannung zwischen beiden die beste Voraussetzung für eine gelingende Ehe. Er rät dazu, die inneren Vorzüge, vor allem Bildung, über äußere Güter wie Schönheit, Reichtum, adlige Geburt zu stellen. Der kürzere zweite Teil ist dem Gelingen des Ehelebens gewidmet. Obwohl E., nicht zuletzt unter Berufung auf entsprechende Bibelstellen, vom Vorrang des Mannes ausgeht, der v. a. für die Bildung seiner Gattin zu sorgen habe, betont er die Gegenseitigkeit der Liebe wie der Verpflichtungen. Da E. sich mehrfach zur Kindererziehung geäußert hat (s. o. B.2., 3.), kann er sich im dieses Thema behandelnden dritten Teil kurz fassen. Im Rahmen der Mädchenerziehung geht er auch auf Musik und Malerei ein, wobei er zeitgenössische Erscheinungsformen kritisiert.
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Eine von Joh. Herold (1514⫺67) angefertigte dt. Übersetzung der ‘Institutio’ sowie des ‘Encomium matrimonii’ erschien erst nach E.’ Tod (VD 16, E 2185). Autograph. Kopenhagen, Kgl. Bibl., Gl. kgl. Samling 96 Fol., 1r⫺68v. Erstdruck. Christia|ni matrimonii insti/|tutio. Basel: Joh. Froben, 1526. VD 16, E 2182. Druck-Überl.: BB, Bd. 2, S. 471⫺476. Ausgabe. LB V, Sp. 615A⫺724B. Widmung: Op. epist., Bd. 6, Nr. 1727. Übersetzung, engl.: M. J. Heath, CWE, Bd. 69, 1999, S. 214⫺438.
c) ‘Vidua Christiana’. E. gab dieser Schrift die Form eines offenen Briefes an Maria von Österreich (1505⫺1558), Schwester Ks. Karls V. und Kg. Ferdinands sowie Witwe des nach der Schlacht von Moha´cs (1526) auf der Flucht ertrunkenen Kg.s Ludwig II. von Ungarn (1506⫺1526). Dem Anreger, Marias Hofkaplan Joh. Henckel († 1539), gestand er seine Schwierigkeiten mit dem Thema, auch weil er die Wiederverheiratung der Adressatin erwartete (Op. epist., Bd. 8, Nr. 2110), die jedoch nicht erfolgte. Dem Anlaß entsprechend beginnt E. mit einem Blick auf die Folgen von Kriegen. Da er adlige Leserinnen anzielt, geht er zunächst auf das höfische Leben und dessen christliche Durchdringung ein, bevor er zum Thema kommt. Hier nimmt er seinen Ausgangspunkt bei der antiken Hochschätzung der monogamia im Sinne des Verzichtes auf erneute Heirat nach dem Tod des Partners, um dann aus christlicher Sicht Jungfräulichkeit, Ehestand und Witwenschaft miteinander zu vergleichen, die nicht als solche ihren jeweiligen Rang haben, sondern aus dem Geist heraus, aus dem sie gelebt werden. Breiten Raum nimmt die Darstellung von Witwen aus Bibel (v. a. die virago Judit) und Hagiographie (Elisabeth von Thüringen) ein. An Motiven für den Verzicht auf eine erneute Ehe führt E. an erster Stelle das studium pietatis an, dann die Sorge um Kinder. Frauen jedoch, die sich zur Witwenschaft nicht berufen wissen oder denen es an Unterhalt fehlt, verwehrt er eine erneute Heirat nicht.
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Erstdruck. Vidva Christiana […] ad serenissimam pridem Hunga|riae Booemiaeque reginam, Mariam […]. Basel: Hier. Froben u. Joh. Herwagen, 1529. VD 16, E 3654. Druck-Überlieferung: BB, Bd. 2, S. 1041⫺1048. Ausgabe. LB V, Sp. 723B⫺766E; inc. u. expl.: Op. epist., Bd. 8, Nr. 2100. Übersetzung, engl.: J. W. O’Malley / J. T. Roberts, CWE, Bd. 66, 1988, S. 184⫺257, wiederholt in: E. Rummel (Hg.), Erasmus on Women, Toronto 1996, S. 188⫺227.
d) Gebete. a) ‘Modus orandi Deum’.
Die Schrift ist formal ein offener Brief an den polnischen Adligen Hieronymus (bei E. fälschlich Hieroslaus) Łaski (1496⫺ 1541). Mit der Tradition unterscheidet E. Lob-, Dank- und Bittgebet. Nachdem er den Gebrauch von oratio im christlichen Latein und die in 1 Tim 2,1 begegnenden griech. Ausdrücke erklärt hat, stellt er im ersten Teil biblische Anleitungen zum Beten und Gebete vor. Ausführlich geht er der Frage nach, wie die Spannung zwischen dem Verbot Jesu, beim Beten zu plappern wie die Heiden und seine Ermahnung zum Gebet ohne Unterlaß aufzulösen sei (ASD V-1, S. 137⫺141): Christliches Leben ist insgesamt Gebet und gerade deshalb auf regelmäßiges Beten angewiesen. Der zweite Teil fragt, an wen sich das Gebet richtet, wie die Betenden sich zu verstehen haben, welche Inhalte und Formen christlichem Beten angemessen sind. E. bestreitet den reformatorischen Vorwurf, die Anrufung der Heiligen beeinträchtige die alleinige Mittlerschaft Christi und verdunkle dessen Ehre, auch wenn er im Heiligenkult manche vestigia veteris paganismi (S. 154, Z. 167) sieht. Was Inhalte und Formen des Betens angeht, empfiehlt E. eine Orientierung an den in der Bibel überlieferten Gebeten, vor allem am Vaterunser, sowie an der Liturgie, die in der Volkssprache gefeiert bzw. durch Übersetzungen zugänglich gemacht werden sollte. ‘Modus orandi Deum’ wurde von Georgius J Carpentarius (II.2.a) ins Deutsche übersetzt. Druck. Modus | orandi Deum. Basel: Joh. Froben, 1524. VD 16, E 3168; erweiterte Auflage
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ebd., 1525. VD 16, E 3170. Druck-Überlieferung: VD 16, E 3168⫺3179; NK 2955. Ausgaben. LB V, Sp. 1099F⫺1132E; J. N. Bakhuizen van den Brink, ASD V-1, 1977, S. 111⫺176 (zit.). Übersetzung, engl.: J. N. Grant, CWE, Bd. 70, 1998, S. 141⫺230.
b) Liturgische Texte.
Auf Bitten des Pfarrers von Porrentruy, Theobaldus Bietricius, eines Verehrers der Madonna von Loreto, verfaßte E. ein Meßformular zu deren Ehren. Der Neuauflage ist neben dem Approbationsschreiben des Eb. von Besanc¸on, Antoine de Vergy (1488⫺1541), eine Predigt des E. über die rechte Marienverehrung beigegeben, die mit keinem Wort auf die Loreto-Legende eingeht. Sie wird auch von Freunden des E. wie Ulrich J Zasius gelobt, der den Loreto-Kult kritisierte und nicht verstehen konnte, wieso E. gerade dieses Sujet gewählt hat (Amerbach-Korr., Bd. 3, Nr. 1030). Unter die liturgischen Texte können auch E.’ Hymnen auf Heilige und Engel gerechnet werden (vgl. Miller, S. 482 f.). Drucke. Virginis Ma⫽|tris apud Lauretum cul/|tae Liturgia. Basel: Joh. Froben, 1523. VD 16, E 3664; erweiterte Aufl. ebd., 1525. VD 16, E 3665. Ausgaben. LB V, Sp. 1327A⫺1336B; L.-E. Halkin, ASD V-1, 1977, S. 87⫺109 (zit.; dazu: J. IJsewijn, Hum. Lov. 31 [1982] 217; Miller, S. 487− 490).
Übersetzung, engl.: J. J. Sheridan, CWE, Bd. 69, 1999, S. 83⫺108.
g) Gebete. Bereits der Sammelband mit dem Erstdruck des ‘Enchiridion’ enthält drei Gebete (ursprünglich für Adolf van Veere verfaßt, s. o. C.2.c): ‘Precatio […] ad Iesum Dei Virginisque filium’ (LB V, Sp. 1210E⫺ 1216B), ‘Paean […] Virgini matri dicendus’ (Sp. 1227E⫺1234C) und ‘Obsecratio ad eandem semper gloriosam’ (Sp. 1233E⫺ 1240A), die mit diesem mehrfach nachgedruckt wurden. E. hat jedoch nur das erste in die Sammlung ‘Precationes aliquot novae’ aufgenommen, die er für David (1521⫺1567), den Sohn des Augsburger Patriziers Johann Paumgartner (1488⫺ 1549), verfaßt bzw. zusammengestellt hat. Die beiden anderen erschienen ihm aus der
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Rückschau zu sehr als zeitgebundene Auftragswerke (Op. epist., Bd. 1, Nr. 181 u. Nr. I), die zudem ein reformatorisches Publikum kaum ansprechen konnten (vgl. Trapman, S. 771 ff.). Die Sammlung enthält im ersten Teil neben an die drei göttlichen Personen sowie an Maria gerichteten Gebeten solche für den Tages- bzw. Jahreslauf wie auch für unterschiedliche Anlässe. Diese sind ebenso ‘neu’ wie die 22 aus der Bibel geschöpften Stoßgebete (eiaculationes) des zweiten Teils. Die 13 daran anschließenden allerdings stammen aus Werken des E., hauptsächlich den ‘Colloquia’ (vgl. Trapman, S. 776 f.). Den dritten Teil bilden Wiederabdrucke: neben der ‘Precatio […] ad Iesum’ (s. o.) die oft damit verwechselte Precatio ad Dominvm | Iesum pro pace Ecclesiae (Erstdruck: Duae Ho⫽| miliae divi Basilii, de | laudibus ieiunij, Des. Erasmo | Roterodamo interprete […] Cum alijs nonnullis. Freiburg: Joh. Faber Emmeus, 1532, Bl. 47r⫺51v. VD 16, E 3420 [Text: LB V, Sp. 1215B⫺1218D; Vorrede: Op. epist., Bd. 9, Nr. 2618]; zur dt. Übers. vgl. Holeczek, S. 261) sowie die Vaterunser-Paraphrase Precatio dominica in sep/|tem portiones distributa […]. Basel: Joh. Froben, [1523]. VD 16, E 3449 (Text: LB V, Sp. 1219A⫺1228C; Vorrede: Op. epist., Bd. 5, Nr. 1393). Zahlreiche Gebete wurden, meist ohne Verfasserangabe, übersetzt in evangelische wie katholische Gebetbücher aufgenommen (vgl. Althaus, 1927, Reg.). Erstdruck. Precationes | aliquot novae, ac rur/|sus nouis adauctae, quibus adoles/|centes assuescant cum deo colloqui. | Item Eiaculationes ali|quot e scripturae canonicae uerbis | contextae, Cum alijs nonnullis ual/|de pijs. Basel: Hier. Froben u. Nik. Bischoff, 1535. Ausgabe. LB V, Sp. 1197A⫺1228C; Vorreden: Op. epist., Bd. 11, Nr. 2994⫺2995. Übersetzungen. Dt.: R. Padberg, E. v. Rotterdam, seine Spiritualität Grundlage seines Reformprogramms, 1979, S. 48⫺73 (Auszug). ⫺ Engl.: St. Ryle, ‘Precatio ad Iesum Dei Virginisque filium’, ‘Paean’, ‘Precationes aliquot novae’, CWE, Bd. 69, 1999, S. 1⫺16, 17⫺38 u. 117⫺151; J. N. Grant, ’Obsecratio’, ‘Precatio dominica’, ebd., S. 41⫺54 u. S. 59⫺77; Ch. J. McDonough, ‘Precatio ad Dominum Iesum pro pace Ecclesiae’, ebd., S. 109⫺116.
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e) ‘Explanatio symboli’. Das früheste Zeugnis für E. als katechetischen Autor ist das in Hexametern gefaßte ‘Christiani hominis institutum’, das er auf der Basis einer englischen Vorlage seines Freundes John Colet (1467⫺1519) zum Gebrauch für dessen St. Pauls-Schule in London verfaßt hat (ed. H. Vredeveld, ASD I-7, 1995, S. 179⫺189; vgl. R. Padberg, S. 44⫺69), das ausgereifteste die Sir Thomas Boleyn (1477⫺1539) gewidmete ‘Explanatio symboli’. Diese erreichte ihren Auftraggeber mitten in den Auseinandersetzungen um die Scheidung Kg. Heinrich VIII. und dessen Heirat mit der Tochter Boleyns, Anne († 1536). Davon ist in dem Werk, das mit Recht “l’abre´ge´ de la the´ologie d’E´rasme” genannt wird (J. N. Bakhuizen van den Brink, ASD V-1, S. 183), ebensowenig die Rede wie von der Reformation. Im Mittelpunkt der ‘Explanatio’, die entsprechend der im 16. Jh. eine neue Blüte erlebenden Katechismus-Tradition die sittliche Unterweisung mit dem Dekalog (ASD V-1, S. 294⫺318) und das Vaterunser (S. 318⫺320) einbezieht, steht das Apostolische Glaubensbekenntnis (S. 214⫺294), dessen Authentizität E. an anderen Stellen diskutiert (vgl. J. N. Bakhuizen van den Brink, ASD V-1, S. 196⫺199). Neben den Auslegungen Augustins und Thomas’ von Aquin stützt E. sich v. a. auf den Kommentar Rufins von Aquileia, den er unter der überkommenen Zuschreibung an Cyprian von Karthago zitiert. Deswegen hat er ihn auch in seiner Cyprian-Ausgabe von 1519 ediert, in deren Vorwort er jedoch auf den richtigen Autor hinweist (Op. epist., Bd. 4, Nr. 1000, Z. 35⫺37). Das gängige FrageAntwort-Schema des Katechismus erhält dadurch einen besonderen Reiz, daß E. den Glaubensschüler die Fragen stellen läßt. Gleichwohl ist die ‘Explanatio’ nicht für Kinder, sondern für Katecheten geschrieben, wie E. gegen M. Luther hervorhebt, der ihm vorwarf, jene durch seine Darstellung altkirchlicher Häresien und des geschichtlichen Werdens des Bekenntnisses zu verunsichern (vgl. I. Backus, S. 111⫺ 114; V. Mellinghoff-Bourgerie). Die ‘Explanatio’ wurde nicht nur in der Alten,
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sondern auch in der Neuen Welt benutzt (vgl. A. Etchegaray, S. 182).
Übersetzung. G. B. Winkler, in: Welzig, Ausgew. Schr., Bd. 3, S. 117⫺495.
Drucke. Dilvcida et | pia explanatio symboli qvod apo|stolorum dicitur, decalogi pre˛ceptorum, & domini/|cæ precationis. Basel: Hier. Froben u. Nik. Bischoff, März 1533. VD 16, E 2624. Weitere Drucke: VD 16, E 2625⫺28; NK 828, 2948. Ausgaben. LB V, Sp. 1133A⫺1196E; J. N. Bakhuizen van den Brink, ASD V-1, 1977, S. 177⫺320. Übersetzungen. Dt.: P. Walter, in: G. Greshake / J. Weismayer (Hgg.), Quellen geistlichen Lebens, Bd. 3, Mainz 1989, S. 21⫺24 (Auszug). ⫺ Engl.: L. A. Perraud, CWE, Bd. 70, 1998, S. 231⫺ 387.
b) Paraphrasen zum Neuen Testament. Zwischen 1517 und 1524 veröffentlichte E. in regelmäßiger Folge Paraphrasen zum gesamten NT mit Ausnahme der Apoc. Während es ihm in seiner lat. Übersetzung um eine möglichst getreue Wiedergabe des Textes ging, soll die Paraphrase, die E. zum Genus des Kommentars zählt (liberius quoddam commentarii perpetui genus [Op. epist., Bd. 5, Nr. 1274]), in freierer, den Gesetzen der lat. Sprache entsprechender und zugleich dunkle Aussagen erklärender Weise den Inhalt verständlich machen. Es geht darum, das Gesagte anders auszudrücken, ohne anderes zu sagen (sic aliter dicere vt tamen non dicas alia [Op. epist., Bd. 3, Nr. 710]), wobei die Fiktion entsteht, als spräche der Autor selber (Paulus ipse loqui videatur [ebd.]). E. relativierte später den damit gegebenen Anspruch, indem er den kommentierenden Charakter herausstellte (Op. epist., Bd. 5, Nr. 1333 u. 1381). Die Paraphrasen erschienen in Einzelbänden, die außerdem ein Widmungsschreiben, in dem u. a. auch literarkritische Fragen behandelt werden, sowie eine Zusammenfassung der paraphrasierten Schrift (Argumentum) enthalten. Später wurden sie in Sammelbänden zusammengefaßt (VD 16, E 3375, 3351 u. 3353). Die ursprünglich für die 2. Auflage des ‘Novum Testamentum’ (1519) verfaßten Argumenta wurden erstmals im Anhang der ersten Separatausgabe der ‘Ratio verae theologiae’ (s. o. 2.1.) gedruckt. Während der Kreis der Widmungsträger der übrigen Paraphrasen sich im üblichen Rahmen hält, hat E. die Paraphrasen zu den Evangelien und der Apostelgeschichte den mächtigsten Männern seiner Zeit zugeeignet (Mt: Ks. Karl V. [Op. epist., Bd. 5, Nr. 1255], Mc: Kg. Franz I. [ebd., Nr. 1400], Lc: Kg. Heinrich VIII. [ebd., Nr. 1381]; Io: Kg. Ferdinand [ebd., Nr. 1333], Act: Papst Klemens VII. [ebd., Nr. 1414]). Die Paraphrasen erreichten eine beachtliche Breitenwirkung sowohl im lat. Original als auch in volkssprachlichen Übersetzungen v. a. in England, wo laut königli-
2 . Wer ke zu r S ch ri ft au sl eg un g. a) Hermeneutische Schriften. E. hat seiner NT-Ausgabe neben der Widmungsvorrede an Papst Leo X. (Op. epist., Bd. 2, Nr. 384) drei ‘Einleitungsschriften’ mit unterschiedlichen Funktionen beigegeben: Die ‘Paraclesis ad lectorem pium’ (ed. Holborn, S. 139⫺149) lädt zur Lektüre des NT ein, da hier die philosophia Christi am reinsten und ursprünglichsten zu finden sei. Die ‘Methodus’ (ebd., S. 150⫺162) bietet eine Anleitung zur Schriftauslegung, während die ‘Apologia’ (ebd., S. 163⫺174) das Unternehmen gegen Kritiker verteidigt. Von der ‘Methodus’ erschien bald eine wesentlich erweiterte und vielfach aufgelegte Separatausgabe. Ausgehend von der Einsicht, daß die Hl. Schrift als Text auch rhetorischen Regeln folgt, versucht E., die antike Rhetorik für die Schriftauslegung fruchtbar zu machen. Er, der sowohl als Philologe wie als Ausleger in der Tradition der patristischen und der mal. Exegese steht, rückt die am Ideal der Nachfolge Christi orientierte tropologische Interpretation in den Vordergrund, was freilich nicht mit einer ‘moralisierenden’ Auslegung gleichgesetzt werden darf (vgl. Walter, 1998). Erstdruck. Ratio seu | Methodus compendio perueniendi ad ve|ram Theologiam […] Argumentum | in omneis epistolas Apostolorum […]. Löwen: Dirk Martens, 1518. NK 2973. Druck-Überlieferung: BB, Bd. 2, S. 1018⫺1041. Ausgaben. LB V, Sp. 75⫺138; Holborn, Ausgew. Werke, S. 175⫺305 (zit.).
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chem Erlaß von 1547 in jeder Pfarrkirche ein Exemplar der Evangelienparaphrasen in Übersetzung zum allgemeinen Gebrauch aufliegen sollte (vgl. Craig). Im deutschsprachigen Raum wurde der Anfangserfolg der von Leo Jud übersetzten Paraphrasen zu den ntl. Briefen durch das Erscheinen von Luthers NT-Übersetzung gebremst, so daß die Übertragung der Evangelienparaphrasen durch Jud lange auf sich warten ließ (vgl. Holeczek, S. 109⫺128). Drucke. In epistolam Pauli | Apostoli ad Romanos Paraphrasis. Löwen: Dirk Martens, 1517. NK 846; Paraphrasis | in duas epistolas Pauli ad Corinthios. Löwen: Dirk Martens, 1519. NK 844; In epistolam | Pauli ad Gala|tas Paraphrasis. Löwen: Dirk Martens, 1519. NK 845; ‘Paraphrasis in epistolas minores Pauli’. Antwerpen: Mich. Hillen, 1519. NK 0442; Para⫽|phrases in epistolas | Pauli, ad Timotheum duas, | ad Titum unam, et ad Phile|monem unam […]. Basel: Joh. Froben, 1520. VD 16, E 3328; ‘Paraphrasis in epistolam Pauli ad Ephesios’. Löwen: Dirk Martens, 1520. NK 0439; Para⫽|phrases in episto/|las Pauli ad Ephesios, Philip|penses, et Colossenses, et in du/| as ad Thessalonicenses […]. Basel: Joh. Froben, 1520. VD 16, E 3324; Para|phrases in duas | Epistolas Petri apostolorum | principis, et in vnam Iudae […]. Löwen: Dirk Martens, 1520. NK 842; In epistolam | Iacobi | Episcopi Hierosolymitani Para|phrasis. Löwen: Dirk Martens, 1520. NK 2958; Paraphra|sis in treis epi/|stolas Canonicas Ioannis | apostoli. Löwen: Dirk Martens, 1521 (Ex.: Köln, UStB, 6 an GB IV 3787); In epistolam | Pauli Apostoli | ad Hebraeos paraphrasis [...] | extraema. Löwen: Dirk Martens, 1521. NK 2959; Paraphrasis ad evange/|lium Matthaei. Basel: Joh. Froben, 1522. VD 16, E 3333 (Autograph d. Entwurfs d. 1. Kap. u. d. Gesamttextes: Kopenhagen, Kgl. Bibl., Thottske Saml. 73 Fol., 78r⫺80v, 84r⫺ 189r); D. Eras⫽|mi Roterodami Pa|raphrasis in Euangelium secun/|dum Ioannem. Basel: Joh. Froben, 1523. VD 16, E 3344 (Autograph d. Erstfassung d. Kap. 1⫺18: Kopenhagen, Kgl. Bibl., Thottske Saml. 73 Fol., 193r⫺294v); In evangelium Lu/|cae Paraphrasis. Basel: Joh. Froben, 1523. VD 16, E 3061; In evangelium | Marci Paraphrasis. Basel: Joh. Froben, 1523. VD 16, E 3067; In Acta Apostolo/|rum Paraphrasis. Basel: Joh. Froben, 1524. VD 16, E 3046. Ausgaben. LB VII; Paraphrasen zu Hbr, Iac, 1⫺2 Pt, Iud, 1⫺3 Io: J. J. Bateman, ASD VII-6, 1997. Übersetzungen, engl.: Paraphrase zu Mc: E. Rummel, CWE, Bd. 49, 1988; zu Lc 11⫺24: J. E. Phillips, Bd. 48, 2003; zu Io: J. E. Phillips,
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Bd. 46, 1991; zu Act: R. D. Sider, Bd. 50, 1995; zu Rom u. Gal: J. B. Payne / A. Rabil Jr. / W. S. Smith Jr., Bd. 42, 1984; zu 1⫺2 Tim, Tit, Phlm, 1⫺2 Pt, Iud, Iac, 1⫺3 Io, Hebr.: J. J. Bateman, Bd. 44, 1993.
c) Psalmenauslegung. Zeitweise scheint E. vorgehabt zu haben, den gesamten Psalter zu kommentieren, hat aber nach Ps 4 die fortlaufende Kommentierung aufgegeben und sich, ohne erkennbares Prinzip und in lockerer Folge, einzelnen Psalmen, insgesamt 11, zugewandt. Auch wenn er stets um die Aufhellung philologischer und historischer Details bemüht blieb, war die Zielrichtung seiner Psalmen-Auslegung eine geistliche. Mit fast der gesamten christlichen Tradition hielt er an der christo- und ekklesiologischen Deutung der Psalmen in Form der Allegorese fest. Im Vordergrund stand für ihn freilich die tropologische Auslegung, welche die zum Grundbestand des christlichen Betens, vor allem der Geistlichen, gehörenden Texte für das Leben fruchtbar machen möchte. Da er nur rudimentäre Hebräischkenntnisse besaß, war E. auf die Mithilfe von Hebraisten angewiesen. In drei Fällen verfaßte E., ausgehend vom Text eines Psalms, Traktate zu aktuellen Fragen, so über die Reinheit der Kirche (Ps 14), den Türkenkrieg (Ps 28) und die Einheit der Kirche (Ps 83). In der ‘C on s ul ta ti o d e b el lo Tu rc is in fe re nd o’ bietet E. eine ausführliche, hauptsächlich auf Giovanni Battista Egnazios ‘De Caesaribus’ (Venedig: Aldo Manuzio 1516) gestützte Darstellung der türkischen Geschichte, insbesondere der Expansion nach Westen, die die Christen durch ihre Uneinigkeit und Feigheit ermöglicht haben. Die Türken sind, wie E. anhand des zentralen Stichwortes von Ps 28 darlegt, eine vox Domini, um die Christen zur Umkehr zu rufen. Sie verdanken ihre Siege nicht ihrer Tugend, sondern den Untugenden der Christen, die ihren Gegnern in nichts nachstehen (Turcae pugnamus cum Turcis [ASD V-3, S. 52]). Ein gerechter Krieg gegen die Türken kann nur erfolgreich sein, wenn die christlichen Völker und ihre Führer die Ursache für Gottes Zorn überwinden, d. h. ihre Sündigkeit. E. schließt einen Krieg gegen die Türken nicht völlig aus,
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fordert aber die Christen auf, durch ein wahrhaft christliches Leben die Gegner zu bekehren. Der ‘L ib er de sa rc ie nd a E cc le si ae c on co rd ia ’ kreist um den Gedanken der concordia, für E. der “Inbegriff der christlichen Religion” (R. Stupperich, ASD V3, S. 247). Die Krankheit der Spaltung ist noch nicht zur Unheilbarkeit fortgeschritten. Es bedarf eines Aufeinanderzugehens beider Lager, welches E. mit dem Ausdruck sygkata¬basiw (Herablassung) bezeichnet, den griech. Kirchenväter für die Inkarnation des Logos gebraucht haben (vgl. Walter, 2007, S. 106⫺112). E. fordert Reformen, die v. a. den geistlichen Charakter des kirchlichen Amtes wieder deutlich werden lassen, und plädiert dafür, Gebräuche wie das Gebet für die Verstorbenen, die Anrufung der Heiligen, die Bilder- und Reliquienverehrung, die Beichte usw., die von den Lutheranern als Mißbräuche gebrandmarkt werden, als Zeugnisse echter Frömmigkeit zu tolerieren. Seine Hoffnung für eine Einigung setzt er auf ein allgemeines Konzil. Die Schrift, die noch zu Lebzeiten des E. zahlreiche Nachdrucke erlebte und in mehrere Sprachen übersetzt wurde ⫺ u. a. von Wolfgang Fabricius Capito (1478⫺1541) ins Deutsche (vgl. Holeczek, S. 262⫺272) ⫺, ist zum Manifest der ‘Vermittlungstheologie’ des 16. Jh.s geworden. Drucke. Enarratio allegorica in primum psalmum Beatus vir, in: D. Erasmi. Ro|terodami viri | vndecunque doctissimi Lucu⫽|brationes […]. Straßburg: Matth. Schürer, 1515, S. 237⫺285. VD 16, E 2727; D. Erasmi Ro⫽|terodami commentarius in | psalmum, Quare fre|muerunt gentes, in: En optime lector, rarum damus thesaurum, et nihil | non nouum […]. Arnobij Afri […] commentarios, pios iuxta ac eruditos in omnes psal/|mos […] per | Erasmum Roterodamum proditos et emendatos. | D. Erasmi Roterodami commentarium in psalmum: Quare fremuerunt gentes. Basel: Joh. Froben, 1522, S. 207⫺265 (recte S. 217⫺275). VD 16, E 2459 (Autograph: Kopenhagen, Kgl. Bibl., Thottske Saml. 73 Fol., Bl. 16r⫺45r); Paraphrasis in tertium psalmum, in: Exomologesis sive mo/|dus confitendi […]. Basel: Joh. Froben 1524, Bl. D2r⫺[E7r]. VD 16, E 2970; In Psal|mum quartum concio […]. Basel: Joh. Froben, 1525. VD 16, E 3131; Des. Eras | mi Roterodami con/|cionalis interpretatio, plena pieta/|tis, in Psalmum LXXXV.
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[…]. Basel: Joh. Herwagen u. Hier. Froben, 1528. VD 16, E 2504. Enarra|tio triplex in psal|mum XXII. […]. Basel: Froben, 1530. VD 16, E 2743; Vtilissi|ma consultatio de | bello Turcis inferendo, et obiter enar/|ratus Psalmus XXVIII. […]. Basel: Froben, 1530. VD 16, E 3650; Enarratio | pia iuxta ac docta in psal/|mum XXXIII […]. Basel: Hier. Froben, Joh. Herwagen u. Nik. Bischoff, 1531. VD 16, E 2741; Enarratio | psalmi trigesimioctavi mul/|tum ab enarratione ueterum differens […]. Basel: Hier. Froben, u. Nik. Bischoff, 1532. VD 16, E 2742; Des. Erasmi | Roterodami Liber de sarcien/|da ecclesiae concordia deque sedandis opi/|nionum dissidijs […]. Basel: Hier. Froben u. Nik. Bischoff, 1533. VD 16, E 3623; De puritate | tabernaculi sive ecclesiae chri/|stianae […]. Basel: Hier. Froben u. Nik. Bischoff, 1536. VD 16, E 3483. Ausgaben. LB V, Sp. 171A⫺506D; ASD V-2, 1985: Ps 1 (ed. A. Godin), 2⫺3 (ed. S. Dresden), 4, 14, 22 (ed. Ch. Be´ ne´ ); ASD V-3, 1986: Ps 28 (ed. A. G. Weiler), 33, 38, 83 (ed. R. Stupperich), 85 (ed. C. S. M. Rademaker). Übersetzung, engl.: M. J. Heath, CWE, Bd. 63, 1997 (Ps 1⫺4); M. J. Heath / E. Kearns / C. White, Bd. 64, 2005 (Ps 85, 22, 33, ‘Consultatio de bello Turcis inferendo’).
3 . D er St re it mi t Mar ti n L ut he r u m d en fr ei en Wi ll en . Während die gegen katholische Kritiker gerichteten Streitschriften meist um die theologische Methode und E.’ Kirchenkritik kreisten (vgl. Rummel, 1989), ging der Streit mit Martin Luther, der unter den Diskussionen des E. mit Reformatoren einen besonderen Stellenwert einnimmt, um die Frage nach dem freien Willen in Hinordnung auf das Heil. a) ‘De libero arbitrio’. Erst nach langem Zögern und vielfachem Drängen hat E. diesen Traktat verfaßt, in dem er auch nach Auffassung Luthers den Kern der reformatorischen Lehre getroffen hat. In der Einleitung wirft E. die Frage nach der rechten Auslegung der Bibel auf, die von Luther als einzige Autorität in theologischen Streitfragen anerkannt wird. Im ersten Hauptteil, der eigentlichen collatio, stellt er die Bibelstellen zusammen, die für bzw. gegen den freien Willen sprechen, um im zweiten Hauptteil, der diatribh¬, auf dieser Basis das Problem philosophisch und theologisch zu diskutieren.
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E. macht deutlich, daß es für ihn, der wie Luther jede Selbsterlösung des Menschen ausschließt, durchaus einen freien Willen gibt. Dieser ist auf Grund des Sündenfalls der ersten Menschen keineswegs ausgelöscht, wie Luther annimmt, sondern lediglich geschwächt und durch die Erlösung in Jesus Christus wiederhergestellt. Die Leugnung des freien Willens ist für E. weniger ein Unrecht gegenüber den Menschen, deren Schwachheit er nicht bestreitet, sondern vielmehr gegenüber Gott, der den Menschen erlöst und dadurch gleichsam neu geschaffen hat. Gottes Gnade und menschlicher freier Wille verhalten sich zueinander wie Erst- und Zweitursache. Gott regt den freien Willen an und führt ihn zur Vollendung, aber er nimmt ihm die Entscheidung nicht ab, das Heilsangebot anzunehmen oder die Annahme zu verweigern. Ohne einen solchen freien Willen wäre verantwortliches moralisches Handeln unmöglich. Am Ende überläßt E., entsprechend der Gattung der diatribh¬, dem Leser die Entscheidung in der Streitfrage, die für ihn, im Gegensatz zu Luther, die Glaubensgemeinschaft nicht sprengen muß. In der Tat waren die von E. bzw. Luther bezogenen Positionen, die auf einer unterschiedlichen Augustinusinterpretation gründen, auch in der Vergangenheit eingenommen worden, etwa von spätmal. Augustiner-Theologen wie Gregor von Rimini und Hugolin von Orvieto, ohne daß dies die Kirche gespalten hätte (vgl. Burger). Luther nimmt in seiner kämpferischen Gegenschrift ‘De servo arbitrio’ (Wittenberg 1525; Luther, WA, Bd. 28, S. 600⫺787) den Fehdehandschuh auf. Er bestreitet die theologische Kompetenz des E., den er als Skeptiker bezeichnet, und versucht dessen Bibelinterpretation Schritt für Schritt zu widerlegen. Die von J Carpentarius (II.2.d) überarbeitete dt. Übersetzung von ‘De libero arbitrio’ blieb im Gegensatz zu derjenigen des lutherischen Theologen und Liederdichters Nikolaus Herman (1480⫺1561) ungedruckt (vgl. Holeczek, S. 176 ff.). Erstdruck. De libero arbitrio DIATRI/|BH, siue Collatio […]. Basel: Joh. Froben, 1524. VD 16, E 3147.
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Ausgaben. LB IX, Sp.1215⫺1248D; J. v. Walter, De libero arbitrio DIATRIBH sive collatio (Quellenschr. z. Gesch. d. Protestantismus 8), 1910, ND 1935 (zit.). Übersetzungen. Dt.: O. Schumacher, Vom freien Willen, 1940, 71998; W. Lesowsky, in: Welzig, Ausgew. Schr., Bd. 4, S. 1⫺195. ⫺ Engl.: P. Macardle, CWE, Bd. 76, 1999, S. 1⫺89.
b) ‘Hyperaspistes’. E. antwortete Luther mit seinem umfangreichen “Schutzschild”. Der erste Teil, den er in weniger als zwei Wochen geschrieben und zum Druck befördert haben will, um auf der Frankfurter Frühjahrsmesse 1526 damit präsent zu sein, geht hauptsächlich auf die Einleitung von ‘De servo arbitrio’ ein und beschäftigt sich mit Luthers Stellungnahme zur Frage der Auslegungsbedürftigkeit der Bibel. Auch wenn E. mit Luther von deren Klarheit überzeugt ist, sofern es um ihren zentralen Inhalt Jesus Christus geht, widerspricht er Luthers Auffassung hinsichtlich der Rolle der Kirche im Auslegungsprozeß. Die Auseinandersetzungen mit den Reformatoren haben E. gezeigt, daß die Berufung auf die Schrift allein weder diachron noch synchron die Einheit der Auslegung wahren kann. Im wesentlich umfangreicheren zweiten Teil, der länger auf sich warten ließ, versucht E., die Argumente Luthers Schritt für Schritt zu widerlegen, was das Buch schwer lesbar macht. E. läßt Luther ausführlich zu Wort kommen und tritt in einen Dialog mit ihm ein. Als entscheidender Unterschied zwischen beiden zeigt sich das Gottesbild. Für E. ist Luthers Lehre vom verborgenen und offenbaren Gott ein Konstrukt zur Rechtfertigung seiner theologischen Paradoxien. Nach diesem Schlagabtausch war der Bruch zwischen beiden endgültig. Hieronymus J Emser übersetzte den ersten Teil des ‘Hyperaspistes’ ins Deutsche, eine von J Carpentarius (II.2.d) angefertigte Übersetzung blieb dagegen ungedruckt (vgl. Holeczek, S. 180 f.). Drucke. Hyperaspi|stes diatribe adversus Seruum Arbitrium Martini Lu/|theri. Basel: Joh. Froben, 1526. VD 16, E 3028; bearbeitete Aufl.: Hyperaspi|stes diatribae [...]. Ebd., 1526. VD 16, E
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3029. ⫺ Hyperaspi|stae liber Era-|smi Roterod. secundus aduersus librum | Martini Lutheri, cui titulum fe|cit Seruum arbitrium. Basel: Joh. Froben, 1527. VD 16, E 3033. Autograph: Kopenhagen, Kgl. Bibl., 96 Fol., 76r⫺163v, 177r⫺177v. Ausgabe. LB X, Sp. 1249A⫺1336C u. 1337A⫺ 1536F. Übersetzungen. Dt.: Buch 1, W. Lesowsky, in: Welzig, Ausgew. Schr., Bd. 4, S. 197⫺675; O. J. Mehl, Schutzschrift (Hyperaspistes) gegen Martin Luthers Buch ‘Vom unfreien Willen’, Erstes Buch, hg. v. S. Wollgast, 1986. ⫺ Engl.: Buch 1⫺ 2, C. H. Miller, CWE, Bd. 76, 1999, S. 91⫺297, u. Bd. 77, 2000.
4 . P re di gt en un d P re di gt le hr e. Von den Predigten des E. ist keine überliefert. Er selber beklagt den Verlust derjenigen, die er zu Beginn seines Aufenthaltes in Paris (1495/96) gehalten hat (vgl. Op. epist., Bd. 1, Nr. I, S. 37). Die folgenden beiden geistlichen Ansprachen hat E. für andere verfaßt. a) ‘Concio de puero Iesu’. Entworfen als Rede eines Schulknaben an seine Mitschüler (commilitones), ist die Concio nach ihrem gedanklichen und sprachlichen Niveau jedoch keineswegs kindlich. Ihr gesamtes Programm ist am Ende der Einleitung in einer Gradatio zusammengefaßt: Hunc (sc. Iesum) in primis cognoscere studeamus, cognitum laudemus, laudatum amemus, amatum exprimamus atque imitemur, imitantes eo fruamur, fruentes immortali felicitate potiamur (Sp. 600D). Zwar distanziert der Sprecher sich der religiösen Rede gemäß eingangs von weltlicher Beredsamkeit, doch setzt E. voll auf die Wirksamkeit der Form; es herrscht in der gesamten Concio rhetorische Fülle. E. verfaßte die ‘Concio’ während seines dritten Aufenthalts in England für John Colet und die von ihm 1510 neu eröffnete Schule bei St. Paul in London. Drucke. Desiderii Erasmi Rotter|dami Vtriusque linguae | doctissimi concio de | Puero Iesu a puero in | schola Coletica nu|per Londini Insti| tuta pronun|cianda. [Paris: G. Biemantius?], 1. Sept. [1511?]. NK 2887. Von E. revidierte Ausg.: Straßburg: Matth. Schürer, Aug. 1514. VD 16, E 2464. Die mindestens 50 Ausgaben des 16. Jh.s erschienen meist als Beidrucke von ‘De ratione studii ac
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legendi interpretandique auctores’ oder des ‘Enchiridion militis Christiani’. VD 16, E 2462⫺2502; NK 2885, 2887, 2954; Bezzel 556−597. e Dt. Übersetzung: Ein vberscho⫽|ne vnd fast nutzliche Pre⫽|dig zu˚ den kinderen vonn dem kindlein | Jesu […]. Köln: [Joh. von Aich], 1536. VD 16, E 2503. Ausgabe. LB V, Sp. 599D⫺610A. Übersetzung, engl.: E. Kearns, CWE 29, 1989, S. 51⫺70.
b) ‘De immensa Dei misericordia’. Die Predigt, die E. auf Bitten des Basler B.s Christoph von Utenheim († 1527) anläßlich der Einweihung einer den ‘Misericordiae Domini’ gewidmeten Kapelle verfaßte, entspricht schon nach ihrem Umfang nicht einer wirklich gehaltenen Predigt, ist vielmehr ein rhetorisch reich ausgearbeitetes encomium ⫺ so E.s eigene Bezeichnung (Sp. 559F und Vorrede: Op. epist., Bd. 5, Nr. 1474) ⫺ auf Gottes unermeßliche Barmherzigkeit, ein Beispiel neuen humanistischen, nach Maßstäben klassischer Rhetorik geformten Predigtstils (einige Drucke verweisen mit marginalen Stichwörtern auf verwendete rhetorische Elemente). Der Bischof, dem E. ein exemplar primae manus (Op. epist., Bd. 5, Nr. 1456, Z. 3) zugeschickt hatte, bat ihn, für den Druck alles wegzulassen, was für oder gegen Luther ausgelegt werden könnte (ebd., Nr. 1464). Die Schrift erschien zeitgleich mit ‘De libero arbitrio’ (s. u. 3.a) im September 1524 und entfaltet die erasmische Gnadenlehre ohne Bezug zu dieser Kontroverse. Es fällt jedoch auf, daß E. zu Beginn ausdrücklich nicht Maria, wie damals üblich, sondern Jesus Christus anruft (Sp. 557B). Bevor E. zum Preis der göttlichen Barmherzigkeit ansetzt, geht er gegen zwei Grundübel an, die sich ihr beide verschließen, gegen die fiducia sui (hochmütiges Selbstvertrauen) und die gegenteilige, noch verderblichere desperatio. Gottes unerschöpfliche Barmherzigkeit, die er mit der Liebe Gottes und seiner Gnade gleichsetzt, manifestiert sich für ihn auf verschiedene Weise, als fürsorglich zuvorkommende (misericordia praeveniens), aufrichtende (sublevans) und heilende (medicans). Letztere reinigt von Schuld durch Vergebung (ignoscens) und bewahrt vor Sünden durch
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correptio, belehrenden Tadel. Selbst die Strafe der Unbußfertigen ist Zeichen der göttlichen Barmherzigkeit (puniens). Die Meinung, daß Gott am Ende auch die Verdammten erlöse, die sich auf einen bedeutenden Urheber stützen kann (magno nititur auctore, Sp. 568D), den von E. geschätzten Origenes, führt er, auch wenn sie von Glaubenshütern abgelehnt wurde, als Zeichen der Hochachtung der göttlichen Barmherzigkeit an. So wie alle Menschen aller Zeiten der Barmherzigkeit Gottes bedurft haben, war diese auch immer gegenwärtig. Alle Geschichte verkündet deren Lob. Zur Erkenntnis der Barmherzigkeit Gottes aber kann der Mensch schon aus der Betrachtung seiner selbst, von Körper und Geist, gelangen. Ihre Unerschöpflichkeit geht aus der immensitas als Wesensmerkmal Gottes hervor. Einen weiteren spezifisch erasmischen Zug bekommt die Predigt mit ihrem Schlußteil, mit der Frage, wie man Gottes Barmherzigkeit herausfordern, sie ihm entwinden (extorquere) könne. Dazu, so lautet die Antwort, komme es auf unsere eigene Barmherzigkeit an, die mehr wiege als alle geistliche Übungen; sie dürfe auch die Türken nicht ausnehmen. Die 1525 bei Froben gedruckte dt. Übersetzung der Schrift besorgte Georg J Carpentarius (II.2.b). VD 16, E 3045. Drucke. De immensa dei mise/|ricordia, Des. Erasmi Rotero/|dami Concio, | Virginis et martyris | comparatio, per eundem. | Nunc primum et condita et aedita. Basel: Joh. Froben, Sept. 1524. VD 16, E 3037. Weitere Drucke: VD 16, E 3038⫺ 3044; NK 2883⫺2886. Ausgabe. LB V, Sp. 557A⫺588E. Übersetzung, engl.: M. J. Heath, CWE 70, 1998, S. 69⫺139.
c) ‘Ecclesiastes’. Im ersten Buch seines letzten großen Werkes behandelt E. die Würde und die Schwierigkeiten der Predigt, wobei er den Predigern Jesus Christus, das inkarnierte Wort Gottes, als Beispiel vor Augen stellt. Im Hinblick auf den von ihm beklagten Verfall der Predigt kritisiert E. nicht nur die ungebildeten und nachlässigen Prediger, sondern auch das oft wenig interessierte Publikum. In Abwandlung des von
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der antiken Rhetorik propagierten Rednerideals des ‘vir bonus dicendi peritus’ sieht E. den idealen Prediger als frommen und gebildeten Menschen, der in der Predigt sein Innerstes nach außen kehrt. Auch wenn die Predigt- ebenso wie die Redekunst weniger durch Befolgung von Regeln als durch Übung erlernt wird, gibt E. im folgenden zahlreiche Hilfestellungen. Im zweiten und dritten Buch wendet er die Regeln der klassischen Rhetorik, die er v. a. aus Cicero und Quintilian schöpft, auf die Predigt an. Im Zusammenhang mit den Redefiguren geht E. auch auf die in der Bibel verwendeten ein und bietet so eine ausführliche Anleitung zu deren Auslegung. Im vierten Buch schließlich stellt E. zentrale Themen der christlichen Theologie und der Predigt zusammen und leitet den Prediger an, bei seiner Lektüre der Bibel wie theologischer Autoren, besonders der Kirchenväter, nach Themen (loci) geordnet Material zu sammeln. Druck. Des. Erasmi Rot. | Ecclesiastae sive de ratione concionandi libri | quatuor […]. Basel: Hier. Froben u. Nik. Bischoff, 1535. VD 16, E 2720. Autograph v. Buch 1: Kopenhagen, Kgl. Bibl., Gl. kgl. Samling 95 Fol., Bl. 4⫺9, 77 f., 10⫺ 57, 74 ff. Ausgaben. LB V, Sp. 769A⫺1100C; J. Chomarat, ASD V-4/5, 1994 (zit.). Literatur. P. Althaus, Forsch. z. evangelischen Gebetslit., 1927, ND 1966; A. Renaudet, Pre´re´forme et humanisme a` Paris pendant les premie`res guerres d’Italie (1494⫺1517), Paris 21953; A. Auer, Die vollkommene Frömmigkeit d. Christen nach d. Enchiridion militis Christiani d. E. v. R., 1954; O. Schottenloher, E., Joh. Poppenruyter u. d. Entstehung d. Enchiridion militis Christiani, ARG 45 (1954) 109⫺116; E. V. Telle, E´rasme de R. et le septie`me sacrement. E´tude d’e´vangelisme matrimonial au XVIe sie`cle et contribution a` la biographie intellectuelle d’E´rasme, Genf 1954; R. Padberg, E. als Katechet. Der lit. Beitr. d. E. v. R. zur kath. Katechese d. 16. Jh.s, 1956; J. Coppens, Les ide´es re´formistes d’E´rasme dans les pre´faces aux Paraphrases du Nouveau Testament, in: Scrinium Lovaniense. Me´langes historiques E. van Cauwenbergh, Löwen 1961, S. 345⫺ 371; A. Etchegaray Cruz, Pre´sence de saint Augustin dans l’Enchiridion et le Symbolum d’E´rasme, Recherches Augustiniennes 4 (1966) 181⫺ 197; K. Bornkamm, Das Verständnis christl. Unterweisung in d. Katechismen von E. u. Luther. Zs.
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Peter Walter
H . P ol it is ch e E th ik . E.’ politische Schriften sind jeweils aus äußeren Anlässen, als Auftrags- oder Gelegenheitsarbeiten entstanden. Sie sind Schriften des politischen Moralismus, richten sich auf das Wollen und Handeln von Herrschern. Die grundsätzlich monarchische Verfassung des Gemeinwesens hat E. nicht in Frage gestellt, sie dabei aber auf
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die Wohlfahrt des Volkes als Zweck und Ziel allen politischen Handelns verpflichtet. Als das politische Übel schlechthin brandmarkt er den Krieg. 1. Panegyricus auf Philipp den Schönen. Philipp († 1506), der Sohn Kg. Maximilians, Erzhzg. von Österreich und Hzg. von Burgund, war am 4. Nov. 1501 nach Spanien aufgebrochen, um sich das Erbe seiner Gemahlin Johanna, der Tochter Ferdinands II. von Aragon und Isabellas von Kastilien, zu sichern. Als im Herbst 1503 seine Rückkehr nach Brüssel bevorstand, übernahm E., der sich seit dem Spätsommer 1502 ohne festes Einkommen wieder in Löwen aufhielt, den wohldotierten Auftrag, die Ankunft des erfolgreichen Fürsten mit einer Festrede zu feiern. Die Abfassung der Rede widerstand ihm freilich bald wegen der panegyrischen Gattungsregel der Schmeichelei (an Colet, Op. epist. Nr. 181), und es hinderte den Fortgang der drängenden Arbeit immer wieder der Mangel an geeigneter aktueller Information (Op. epist. Nr. 178), so daß zum Ersatz viel drapierende Gelehrsamkeit und häufig große Exkurse die Seiten zu füllen hatten. Diese Umstände waren einer übersichtlichen Komposition des ‘Panegyricus’, der am Dreikönigstag 1504 Philipp übergeben wurde, nicht günstig. Das Gerüst des ‘Panegyricus’ ist das Itinerar Philipps: Die Reise ging von den Niederlanden durch Frankreich bis nach Saragossa und Toledo, der Rückweg über Savoyen, Innsbruck, den Rhein hinunter bis Köln und von dort nach Brüssel. Von den zahlreichen Stationen der Reise mit ihren vielerlei Begegnungen und Empfängen beschreibt E. nur einen kleinen Teil, doch die wichtigsten, etwa Empfang und Geleit des frz. Kg.s Ludwig XII. Eingelagert sind u. a. umfangreiche Vergleiche mit den Zügen und Triumphen antiker Heroen, ein ausgedehnter Preis der Person Philipps, seiner Tugenden und Taten (wiederum im Vergleich mit antiken Exempla, mit besonderer Betonung seiner politischen felicitas), ein außerhalb des panegyrischen Themas stehender Traktat über Krieg und Frieden, dessen prinzipielle Motive großenteils in
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der ‘Institutio principis Christiani’ wiederkehren. Den eigenen Vorbehalten gegen die Gattung des Panegyricus war E. bereits in seiner ‘Oratio de virtute amplectenda’ (s. o. E.1.c) mit dem Argument begegnet, daß ein panegyrisch gezeichnetes Ideal schlechte Fürsten zu bessern, gute zu bestärken geeignet sei. Erasmus wiederholt diese (wohl an den jüngeren Plinius, Epist. 3,18,2-3, anknüpfende) Sicht in einem Brief der Rechtfertigung an Jean Desmarez (Op. epist., Nr. 180) und legt damit nahe, den ‘Panegyricus’ mittelbar als Fürstenspiegel zu verstehen. So hat er ihn auch später wiederholt als einen Vorläufer der ‘Institutio principis Christiani’ gekennzeichnet. Dem entspricht seine Aufnahme als Beidruck der ersten drei Basler Ausgaben der ‘Institutio’. Drucke. Ad illustrissimum principem Philippum: archiducem | Austrie˛: ducem Burgundie˛ etcetera. de triumphali | profectione Hispaniensi: deque foelici eiusdem in pa|triam reditu gratulatorius pane˛gyricus […]. Antwerpen: Dirk Martens, [Februar] 1504. NK 837. Neben der Widmungsepistel (Op. epist., Nr. 179) auch der Brief an Desmarez (ebd., Nr. 180) und das dem ‘Panegyricus’ sekundierende ‘Carmen gratulatorium’ für Philipp (101 Hex.). Weitere Druck-Überlieferung: BB, E 1253⫺1255, 1257⫺1258; VD 16, E 1873⫺1876; Ausg., S. 17 f. Ausgaben. LB IV, Sp.507A⫺550C; O. Herding, ASD-IV-1, S. 1⫺93. Ausgabe des ‘Carmen gratulatorium’: LB IV, Sp. 553 f.; Vredeveld, ASD I-7, c. 64. Übersetzung, engl.: B. Radice, CWE, Bd. 27, 1986, S. 1⫺75.
2. ‘Institutio principis Christiani’. E. arbeitete an der ‘Institutio’ seit dem Frühjahr 1515, als ihm ⫺ wohl durch den burgundischen Kanzler Jean Le Sauvage, den er im April in Gent kennengelernt hatte ⫺ zu Ohren gekommen war, daß er in den weiteren Rat des jungen Karl von Burgund (Sohn Philipps, künftiger Ks. Karl V.) berufen werden sollte. Die Verleihung des Ehrenamtes, mit dem keinerlei Verpflichtungen verbunden waren, erfolgte Ende 1515 oder Anfang 1516. Im Mai 1516 erschien das Buch in einem planvoll angelegten Sammeldruck, verbunden mit
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sieben weiteren Texten, welche die ‘Institutio’ thematisch flankieren. Aufbau des Sammeldrucks (die Texte griech. Autoren in E.’ lat. Übers.): 1. (Ps.-)Isokrates, ‘De regno administrando’, 2. ‘Institutio principis Christiani’, 3. Erasmus, Panegyricus an Philipp d. Schönen, 4. ‘Carmen gratulatorium’ an Philipp, 5. Plutarch, ‘De discrimine adulatoris et amici’, mit Widmung an Kg. Heinrich VIII. v. England, 6. Plutarch, ‘De utilitate capienda ex inimicis’, 7. Plutarch, ‘De doctrina principum’, 8. Plutarch, ‘Cum principibus maxime philosophum debere disputare’.
Die ‘Institutio’ bildet keinen systematischen Entwurf, sondern eine lockere Folge von 11 Kapiteln mit je eigenen Themen. Das erste, nahezu so umfangreich wie die übrigen zusammen, ist das den Grundsätzen der Fürstenerziehung gewidmete Hauptstück. Die folgenden zehn geben praktische Ausführungen zu wichtigen Teilbereichen des Verhaltens und Regierens eines Fürsten. Auch die einzelnen Kapitel zeigen keine durchgehend diskursive, sondern meist eine eher aphoristische Faktur. Diese sollte einer möglichst mühelosen Lektüre dienen und ist in der Einrichtung der frühen Drucke, in ihrer kleinteiligen Gliederung der Kapiteltexte, bewußt bewahrt (vgl. die Überschrift: Institutio […] aphorismis digesta quo minus onerosa sit lectio). E. hat die ‘Institutio’ als ein officium verstanden, das er als neuer consiliarius dem erst 15jährigen Karl leistete, und er schrieb sie in der Überzeugung, daß gute Herrschaft ihre Voraussetzung in einer wohlbedachten Erziehung des Fürsten habe. Der Fürst soll ein Mann von makelloser Integrität, vollkommener Selbstkontrolle und persönlicher Disziplin sein, der, allen Äußerlichkeiten abhold, allein seinen Pflichten lebt. Das von den Fürstenspiegeln seit je propagierte Postulat, daß der Herrscher dem Gemeinwohl zu dienen habe, wird bei E. radikal. E. weist jegliche Nutzung der Macht zu persönlichen Zwecken, weist fürstlichen Luxus, prunkvolle Repräsentation, dynastischen Ehrgeiz und ähnliche Merkmale zeitgenössischen Herrschaftsgebarens zurück. Vor allem liegt Erweiterung der Macht nach Innen oder Außen seinem
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idealen Fürsten gänzlich fern. Wie er die Macht allein als Instrument der sozialen Ordnung gebraucht, sollen auch die Gesetze, denen er selber unterworfen ist, einzig dem Nutzen der Allgemeinheit dienen. Bei der Erhebung von Steuern achtet er darauf, daß die Schwächeren der Gesellschaft geringer belastet werden, wie auch im Strafrecht die Schädigung eines Armen strenger geahndet werden soll als die eines Reichen (Grundsatz der legum humanitas, ASD IV-1, Z. 1005). Beamte und Richter sollen nicht auf sachfremden Wegen in ihre Ämter kommen, sondern nach Maßgabe ihrer Integrität und ihrer Fähigkeiten. Dem Gemeinwohl aber sind nicht nur der Fürst und seine Administration verpflichtet, auch die gesamte Bevölkerung hat zum Gedeihen des Gemeinwesens beizutragen, durch Arbeit; unverbesserliche Müßiggänger ⫺ zu diesen zählt E. überflüssige Berufe, Söldner, in großer Zahl Mönche, den Adel ⫺ sind zu entfernen. Der Fürst selber wird nicht ruhen, den Wohlstand des Landes durch Sicherung und Ausbau der Infrastruktur beständig zu festigen und zu mehren. Das abschließende Kapitel ist eine der erasmischen Brandreden gegen den Krieg. E. widerspricht hier ausdrücklich Augustin und Bernhard v. Clairvaux, die ‘gerechte’ Kriege nicht verwerfen wollten: die gesamte Lehre Christi bekämpfe den Krieg. Die ‘Institutio’, in der Forschung häufig als “nur moralistisch” und daher als “unpolitisch” und “wirklichkeitsfremd” kritisiert, steht zur politischen Wirklichkeit der Zeit, zum rapiden Aufstieg des absoluten Fürstenstaats ⫺ wie auch etwa zu Machiavellis ‘Il principe’ ⫺ gewiß quer. Doch nimmt sie mit wichtigen Positionen, mit der Forderung der Selbstbegrenzung fürstlicher Macht, mit der Suprematie des Gemeinwohlprinzips, das hier zum Wohlfahrtsstaat tendiert, Errungenschaften des 18. und 19. Jh.s vorweg. Es versteht sich, daß E. bei Abfassung gerade der ‘Institutio’ in Fülle antike Gesprächspartner hatte, voran Plato, Aristoteles, (Ps.-)Isokrates, Xenophon, Plutarch, Cicero, Seneca. Die zeitgenössische Übersetzung der mit sieben Drucken zwischen 1516 und 1525
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sehr erfolgreichen Schrift begann 1521 mit den dt. Fassungen Georg J Spalatins und Felix Juds; 1534 folgte eine dän., 1539 eine ital., 1542 eine frz. Übersetzung. Drucke. Institutio Principis Christia/|ni saluberrimis referta praece|ptis per Erasmum Roteroda|mum, cum alijs nonnullis eo/|dem pertinentibus […]. Basel: Joh. Froben, April/Mai 1516. BB, E 1253 (irrig die Datierung “Avril 1515 ⫺ mai 1516”). Die zweite autorisierte, von E. überarbeitete und für die weiteren Drucke maßgebende Ausgabe erschien bei Froben im Juli 1518. BB, E 1257. Weitere Druck-Überlieferung: BB, E 1255, 1256, 1258, 1261⫺1263, 1267⫺1269, S. 865 f.; VD 16, E 3132⫺3144. Zeitgenössische Übersetzungen: BB, E 1259, 1260, 1264, 1265. Bezzel 1253⫺1258. Ausgaben. LB IV, Sp. 561A⫺612A; O. Herding, ASD IV-1, 1974, S. 95⫺219. Übersetzungen. Dt.: A. J. Gail, E. v. R., Fürstenerziehung, 1968; G. Christian, in: Welzig, Ausgew. Schr., Bd. 5, S. 111⫺357. ⫺ Engl.: L. K. Born, Education of a Christian Prince, New York, 1936 (mit guter Einl.); N. M. Cheshire / M. J. Heath, CWE, Bd. 27, 1986, S. 199⫺288; diess., E., The Education of a Christian Prince, Cambridge 1997.
3. ‘Querela Pacis’. Klage gegen den Krieg und Lobpreis des Friedens ziehen sich durch das ganze erasmische Œuvre. Frühestes Zeugnis ist die noch in Steyn verfaßte ‘Oratio de pace et discordia’ (s. o. II.A.1), das letzte größere Dokument zum Thema enthält die ‘Apologia adversus rhapsodias calumniosarum querimoniarum Alberti Pii’ von 1531. Nach dem Friedensappell im ‘Panegyricus’ für Philipp d. Schönen und dem wohl 1509 in Italien entstandenen ‘Antipolemos’, der verloren ist (s. o. II.E.1.), faßte E. seine Grundgedanken zum Friedensproblem erstmals im Brief an Antoon van Bergen vom 14. März 1515 (Op. epist., Nr. 288) zusammen. Im selben Jahr erschien im Rahmen einer neuen Ausgabe der ‘Adagia’ (Basel: Joh. Froben; BB, E 93) der große Essay über das Adagium ‘Dulce bellum inexpertis’, “das mitreißendste Dokument über Krieg und Frieden, das Erasmus hinterlassen hat” (v. Raumer, S. 15); die Ausgabe wartete mit weiteren Adagia-Essays scharfer Kritik an Krieg und Kriegspolitik auf (‘Scarabaeus aquilam quaerit’, ‘Spartam nactus es, hanc orna’ u. a.). In die
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‘Colloquia familiaria’ kam das Thema mit den Dialogen ‘Militis et Cartusiani’ und ‘Charon’. E.’ pazifistische Engagements, die er auch direkt an die bedeutendsten europäischen Herrscher, an Karl V. und Franz I., adressierte (Widmungsbriefe zur Matthäus- und Markus-Paraphrase), können sich in der Vehemenz unterscheiden, aber auch in der sachlichen Radikalität. Während er in ‘Dulce bellum inexpertis’ von einem Türkenkrieg strikt abriet, hat er sich, als die Türken 1529 vor Wien standen, der Vorstellung einer militärischen Abwehr der osmanischen Expansion nicht mehr verschlossen (‘Consultatio de bello Turcis inferendo’, 1529/30; s. o. II.G.2.c). Die ‘Querela Pacis’ ist unter E.’ Friedensappellen der am ausführlichsten gearbeitete. Mit ihrer Abfassung folgte E. der Aufforderung des burgundischen Kanzlers Le Sauvage, die Friedenspolitik der Niederlande ⫺ Versöhnung mit Frankreich, die im März 1517 durch den Vertrag von Cambrai besiegelt wurde ⫺ publizistisch und mit der Autorität seines Namens zu unterstützen. Doch ging E. weiter; die als Rede der personifizierten Pax inszenierte Schrift richtet sich, wiewohl sie Frankreich schmeichelnde Reverenz erweist, allgemein an die europäischen Fürsten. Das Jahr 1516 ⫺ Ende des Kriegs in Italien, Friede zwischen Frankreich und England im Vertrag von Noyen, dem Ks. Maximilian beitrat ⫺ ließ auf einen dauerhaften europäischen Frieden hoffen. Die Pax beklagt in einem ersten Teil der ‘Querela’ ihre vergebliche Suche nach einer Heimstatt in der Menschenwelt: Während im Kosmos, in den Species der Tierwelt und in allen Organismen Eintracht herrsche, finde sie in der gesamten menschlichen Gesellschaft nichts als Zwietracht und diese selbst im Innern eines jeden Menschen. Der Zustand universaler Zwietracht verleugne die Natur des vernunftund sprachbegabten Menschen, denn auch er sei auf Einvernehmen, Friedfertigkeit und Freundschaft angelegt. Vor allem aber verleugneten die Christen in ihrer Zwietracht ihr Christsein. Sowie die ‘Querela’ nach dem Panorama des allerorten herrschenden Unfriedens mit der Frage nach
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dessen Ursachen beginnt, konzentriert sie sich auf den Krieg und die Machthaber, die ihn stets zu verantworten haben. Kriege, grundsätzlich unmenschlich und unchristlich, werden, so lautet die Anklage, stets aus Macht- und Besitzgier der Fürsten geführt, nicht im Interesse des Volkes, das nur die verheerenden Schäden zu tragen hat. Ihre Anlässe sind meist nichtig oder erfunden. Gegeißelt wird die führende Beteiligung der Geistlichkeit an der Kriegshetze, die Beteiligung von Papst und Bischöfen am Kriegstreiben selbst. Die Fürsten werden ermahnt, die Landesgrenzen zu garantieren, eine nur Streit auslösende Vormachtspolitik aufzugeben und auf eine allein dynastischen Zwecken dienende Heiratspolitik zu verzichten. Gefordert wird die bedingungslose Ächtung von Kriegen unter Christen. Gegen die beginnende nationalistische Kriegshetze wird die übernationale Einheit der christlichen Welt beschworen. Die lebhafte Resonanz der ‘Querela’ bezeugen die bis 1530 mindestens 30 Drucke; nach 1530 werden die Neuauflagen sehr spärlich; ihre Zahl steigt nur in den Jahren des 30jährigen Krieges wieder deutlich an. Die volkssprachlichen Versionen setzen 1520 mit einer span. und 1521 mit den dt. Übersetzungen Georg Spalatins und Leo Juds ein. Drucke. Quere|la pacis undique | gentium eiectae | profligatae/|que. | Autore Erasmo | Roterodamo […]. Basel: Joh. Froben, Dez. 1517. Umfangreicher Sammeldruck in vier Teilen, die jeweils mit eigenem Titel und Holzschnitt auftreten. Der ‘Querela’ (S. 1⫺50) folgt zunächst E.’ ‘De morte declamatio’ (S. 55⫺70), danach sechs neue und 30 revidierte ältere Lukian-Übersetzungen des E. (S. 75⫺540), schließlich vier Lukian-Übersetzungen des Thomas Morus und die ‘Declamatio Mori Lucianicae respondens’ (S. 542⫺642). Ausführliche Beschreibung: BB, S. 971⫺992. Weitere Drucküberlieferung einschließlich der Übersetzungen: BB, E 1291⫺1333, E 1224 u. S. 1016 f.; VD 16, E 3488⫺3509; Bezzel 1666−1687. Ausgaben. LB IV, Sp. 625A⫺642D; O. Herding, ASD IV-1, 1977, S. 59⫺100. Faksimile des Druckes der Erstausg., mit einem Nachwort von F. Geldner, [1961]. Übersetzungen. Dt.: R. Liechtenhan, Bern 1934; A. v. Arx, Basel 1945; W. Hahlweg, in v. Raumer, S. 211-248; G. Christian, in: Welzig,
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Ausgew. Schr., Bd. 5, 1968, S. 359⫺451; B. Hannemann, 1998. ⫺ Engl.: B. Radice, CWE, Bd. 27, 1986, S. 289-322. Literatur. L. K. Born, E. on Political Ethics: The Institutio Principis Christiani, Political Science Quarterly 43 (1928) 520⫺543; O. Herding, Isokrates, E. u. d. Institutio principis christiani, in: R. Vierhaus / M. Botzenhart (Hgg.), Dauer u. Wandel d. Geschichte. Fs. K. v, Raumer, 1966, S. 101⫺143; E. von Koerber, Die Staatstheorie des E. v. R., 1967; R. Padberg, Pax Erasmiana. Das politische Engagement u. d. ‘politische Theologie’ des E. v. R., in: Scrinium Erasmianum, Bd. 2, S. 301⫺312; J. D. Tracy, The Politics of Erasmus. A Pacifist Intellectual and his Political Milieu (Erasmus Studies 3), Toronto 1978; S. SeidelMenchi, Erasmo di R, Adagia. Sei saggi politici in forma di proverbi, Turin 1980; R. F. Hardin, The Literary Conventions of E.’ Education of a Christian Prince: Advice and Aphorism, Renaissance Quarterly 35 (1982) 151⫺163; H. R. Burke, Audience and intention in Machiavelli’s The Prince and Erasmus’ Education of a Christian Prince, E. of R. Society Yearbook 4 (1984) 84⫺93; Ch. D. MacCullough, The Concept of Law in the Thought of E. of R., Ann Arbor 1989; J. M. Estes, Officium principis christiani. Erasmus and the origins of the Protestant state church, ARG 83 (1992) 49⫺72; E. Voegelin, The History of Political Ideas, Bd. IV: Renaissance and Reformation, Columbia Univ. / London 1998; ders., Die Ordnung d. Vernunft: E. v. R., 2002; Th. Stammen, Stud. z. polit. Denken des Humanismus, 1999; P. G. Bietenholz, Concordia christiana. E.’ Thought and the Polish Reality, E. of R. Society Yearbook 21 (2001) 44⫺70; J.-D. M¸ller, Res publica u. Res publica litteraria. Am Beispiel von Spalatins Übersetzung d. polit. Ethik des E., in: M. Fumaroli (Hg.), Les premiers sie`cles de la Re´publique europe´enne des Lettres, Paris 2005, S. 237⫺259. Zu 3: Wichtige ältere Lit. bei Herding, ASD IV-1, S. 22 f.; R. H. Bainton, The Querela Pacis of E., Classical and Christian Sources, AfR 42 (1951) 32⫺48; K. von Raumer, Ewiger Friede, 1953, S. 1⫺21; J. Hutton, E. and France: the Propaganda for Peace, Studies in the Renaissance 8 (1961) 108⫺127; P. Mesnard, L’essor de la philosophie politique au XVIe sie`cle, Paris 31969; R. Padberg, Pax Erasmiana. Das politische Engagement u. d. ‘politische Theologie’ des E. v. R., in: Scrinium Erasmianum, Bd. 2, S. 301⫺312; K. Garber, L’Humanisme europe´en et l’utopie pacifiste. Essai de reconstitution historique, in: Colloquium Mons, S. 393⫺425; P. Brachin, Vox clamantis in deserto. Re´flexions sur le pacifisme d’E´rasme, in: Colloquia Tours, Bd. 1, S. 247⫺275; J. A. Fernandez, E. on the Just War, Journal of the History of
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Ideas 34 (1973) 209⫺226; F. Kr¸ger, Das Engagement des E. für d. Frieden, in: Dogma u. Politik. Zur polit. Hermeneutik theol. Aussagen, 1973, S. 62⫺90; J.-C. Margolin, Guerre et paix dans la pense´e d’E´rasme, Paris 1973; R. Dealy, The dynamics of E.’ Thought on War, E. of R. Society Yearbook 4 (1984) 53⫺67; L.-E. Halkin, E´rasme, la guerre et la paix, in: F. J. Worstbrock (Hg.), Krieg u. Frieden im Horizont d. Renaissancehumanismus (Mitt. d. Kommission f. Humanismusforschung d. DFG 13), 1986, S. 13⫺44; P. Dust, Three Renaissance Pacifists. Essays in the Theories of E., More, and Vives, New York 1987; O. Herding, E. ⫺ Frieden u. Krieg, in: A. Buck (Hg.), E. u. Europa, 1988, S. 13⫺32; Pax optima rerum. Zu d. Friedensschriften des E. v. R. u. ihrer zeitgenöss. lit. Rezeption, in: H. Brunner u. a., Dulce bellum inexpertis. Bilder d. Krieges in d. dt. Lit. d. 15. u. 16. Jh.s, 2002, S. 394−463; H. Peterse, ‘Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen’. E. v. R. über Krieg u. Frieden, in: ders. (Hg.), Süß scheint d. Friede d. Unerfahrenen. Das Bild vom Krieg u. d. Utopie d. Friedens in d. Neuzeit, 2006, S. 9-23. R. Kommoss, Seb. Franck u. E. v. R. (German. Studien 153), 1934; S. Wollgast, E. v. R. u. Seb. Franck ⫺ Vertreter zweier Linien d. Friedensgedankens im 16. Jh., Daphnis 14 (1985) 497⫺516; P. G. Bietenholz, How Sebastian Franck Taught Erasmus to Speak with His Radical Voice, BHR 62 (2000) 233⫺248; J. Hamm, Pax Erasmiana dt. Zu d. E.übersetzungen C. Meuselers, U. Varnbülers u. G. Spalatins, in: N. McLelland / H. J. Schiewer / S. Schmitt (Hgg.), Humanismus in d. dt. Lit. d. MAs u. d. frühen Neuzeit, 2007.
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J . E pi lo g: ‘D e p ra ep ar at io ne ad m or te m’ . Die späte Schrift, mit deren Thema der zunehmend von Krankheit Geplagte länger schon umgegangen war, entstand auf briefliche Bitte von Thomas Boleyn, Grafen von Wiltshire und Ormonde, dem Vater Annas, der zweiten Gemahlin Kg. Heinrichs VIII., vom 19. Juni 1533. Mit Boleyn hatte E. seit längerem nähere Verbindung, hatte ihm bereits 1529 die Paraphrase von Ps 22 und im März 1533 die ‘Explanatio symboli’ zugeeignet. Die Abfassung der Boleyn unter dem 1. Dez. 1533 gewidmeten ‘Vorbereitung auf den Tod’ fällt wohl in den November. Ungeachtet ihrer Ratschläge für das religiöse Verhalten eines Sterbenden und sei-
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nes Beistands ist E.’ Schrift weit davon entfernt, eine Handreichung allein für die Sterbestunde zu sein. Von Anbeginn ist sie eine Meditation über Tod und Sterben, die gutes Sterben und gutes Leben miteinander verbunden sieht und so auf einem rechten Lebensverständnis aufbaut. Ein guter Tod ist, nach einer Formulierung in der Widmung, die Schlußschrift eines Lebens im Geiste Christi (philosophiae Christianae colophon). Was Erasmus oft ausgeführt hat, gilt auch für den ernstesten Augenblick: Nicht der Beistand eines Priesters, die Sakramente und überkommene Rituale sind für das Heil entscheidend ⫺ von abergläubischen Praktiken wie Ablaß etc. zu schweigen ⫺, sondern der unerschütterliche Glaube. Die philosophia Christiana bedarf keiner äußeren Zeichen, Versöhnung mit Gott ist nicht an Beichte und Eucharistie gebunden. E. selbst ist zutiefst fromm, aber ohne den Beistand der Kirche gestorben. Ihre theologische Fundierung hat die ‘Praeparatio’ in der paulinischen Interpretation des Sterbens Christi und der Auferstehung. Wesentlich ist ihre ermutigende Substanz, die Überwindung der Todesfurcht ⫺ sie ist leicht für den, der allem Irdischen zu entsagen vermag und es schon im Leben hinter sich läßt ⫺ und die Stärkung der Hoffnung auf Gottes unermeßliche Barmherzigkeit. Die Gattung der Ars moriendi, an die die ‘Praeparatio’ gewiß anknüpft, ist in ihr vollkommen erasmisch gewandelt. Die ‘Praeparatio’ gehörte zu ihrer Zeit zu E.’ populärsten Schriften. Schon in ihrem Erscheinungsjahr 1534 wurde sie siebenmal gedruckt und im selben Jahr ins Deutsche (Kaspar Hedio) und Flämische übersetzt. Bis 1540 erschienen 24 lat. Ausgaben, bis 1550 zwei dt., vier ndl., vier frz., zwei span. und eine engl. Autograph. Kopenhagen, Kgl. Bibl., Gl. kgl. Samling 95 Fol., flüchtig geschrieben, unvollst., nicht E.’ abschließende Konzeption. Drucke. Des. Erasmi Rotero|dami liber cum primis pivs, de | praeparatione ad mortem, nunc primum et con/|scriptus et aeditus […]. Basel: Hier. Froben u. Nik. Episcopius, [Ende Jan.] 1534. BB, E 1150. Inhalt: S. 1⫺2 Titel und Widmung,
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S. 3⫺80 ‘De praeparatione ad mortem’, S. 81⫺167 16 Briefe des Erasmus von 1532 und 1533, u. a. an den Wiener Bischof Joh. Fabri und an den kgl. poln. Sekretär Jodocus Decius. 21 Einzeldrucke bis 1540, s. BB, E 1150⫺1169, 1206; van der Haeghen, Re´p., S. 156 f.; VD 16, E 3405⫺3416; van Heck, Ausg., S. 334. Hinzu kommen die Beidrucke in Ausgaben des ‘Enchiridion’: BB, E 1044, 1047, 1048. Zahlreiche Drucke der dt., frz., span., ndl., engl. Übersetzungen, s. BB, S. 970 f., van Heck, S. 335. Ausgaben. LB V, Sp. 1293D⫺1318D; A. van Heck, ASD V-1, 1977, S. 340⫺392. Übersetzung, engl.: J. N. Grant, CWE, Bd. 70, 1998, S. 389⫺450. Literatur. Th. N. Tentler, Forgiveness and Consolation in the Religious Thought of E., Studies in the Renaissance 12 (1965) 110⫺133; P. G. Bietenholz, Ludwig Baer, E., and the Tradition of the ‘Ars bene moriendi’, Revue de litte´rature compare´e 52 (1978) 155⫺170; L.-E. Halkin, E´rasme et la mort, Revue d’histoire des religions 200 (1983) 269⫺291.
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K . D er Ed it or. E. muß sowohl nach der Zahl wie nach der inhaltlichen Vielfalt der von ihm verantworteten Ausgaben als der bedeutendste Editor seiner Zeit gelten. Der Anteil seiner Aktivität an den einzelnen Editionen ist freilich ganz unterschiedlich: er reicht von einem empfehlenden Vorwort (das, wie natürlich auch die Nennung des berühmten Namens im Titel, den verlegerischen Erfolg entscheidend förderte) oder der flüchtigen, lediglich einen knappen Tag beanspruchenden Überprüfung eines Textes (z. B. Josephus) bis zu jahrelanger philologischer Arbeit an einem einzigen Autor (Hieronymus, Hilarius, Cyprianus, Augustinus). In der Regel entsprachen seine Editionen den Bedürfnissen der Zeit, indem sie (mit dem NT und den Kirchenvätern) der Erneuerung der Theologie bzw. des allgemeinen christlichen Lebens und (mit den antiken Klassikern) der ethischen wie sprachlichen Bildung dienten. E. hat diese editorische Tätigkeit als selbstverständlichen Teil seines auf universale Unterweisung gerichteten Wirkens begriffen, was auch den Charakter der Ausgaben kennzeichnet: die Texte sind nicht im mo-
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dernen Sinn das objektive, vom sozusagen interesselosen Editor abgelöste Resultat der systematisch aufgearbeiteten Überlieferung, vielmehr ergeben sie sich aus dem Akt einer persönlichen Aneignung, wobei E. auf bis dahin einzigartige Weise die ‘ideale’ Individualität des Autors (v. a. seiner Sprache) erfaßt und primär aus dieser Vertrautheit, also über die Stilkritik, seine editorischen Entscheidungen fällt. Gegebenenfalls verteidigt er die von ihm konzipierte Autor-Individualität auch gegen die objektiven Textzeugen. Oft sind die von ihm beklagten und behobenen Textverderbnisse in Wirklichkeit nicht Fehler, sondern Sprachtatsachen bzw. qualitative Schwächen der Autoren, die er nicht wahrhaben mag. In solchen Fällen sieht er die Schuld meist in der geistigen Beschränktheit (etwa dem Mangel an Griechischkenntnissen) bzw. dem ideologischen Fälscherinteresse der Abschreiber und Drukker, v. a. aber in deren blinder Eigenmächtigkeit (temeritas) beim Umgang mit den Texten. Entscheidende Qualifikationen des Editors sind für E. Iudicium, d. h. die Fähigkeit, den individuellen Autor adäquat zu verstehen und zu bewerten, und Divinatio, d. h. die durch gute Sprach- und Realienkenntnis (vgl. Thomson, S. 160 f.) abgesicherte Phantasie für Konjekturen. Was E. “ohne den Schutz der Überlieferung” konjiziert, pflegt er in Scholien zu erläutern. Die Textbasis besteht (abgesehen natürlich von den Erstausgaben) oft in bereits vorliegenden Drucken, zu denen nach Möglichkeit subsidiär noch Handschriften herangezogen werden. Die Auswahl der Textzeugen, aus denen eher durch punktuelle Konsultation als durch systematische Kollation die Druckvorlage (offenbar meist ein mit Marginalien versehenes exemplar) hergestellt wurde, ist in der Regel zufällig, ihre Beschreibung und Beurteilung meist sehr undeutlich. E. unterscheidet nicht genau zwischen Druck und Handschrift: auch Drucke sind bei ihm oft codices (excusi oder vulgati); nur ein codex vetustissimus ist mit Sicherheit eine Handschrift. Bemerkenswert bleibt, daß E. das von ihm als unecht Erkannte oder Deklarierte
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gleichwohl (mit entsprechenden censurae versehen) in seinen Ausgaben bewahrt. Während E.’ Ausgaben zum einen wegen ihrer problematischen Subjektivität, zum andern wegen der vom Autor selbst eingeräumten Flüchtigkeit und Unausgewogenheit der philologischen Bearbeitung (sichtbar in der meist am Anfang verdichteten, zum Schluß geradezu versiegenden Kommentierung) fast nur noch historischen Wert haben, bleiben ihre Praefationes als literaturgeschichtliche Zeugnisse bedeutsam. Auch E. hielt sie für wichtig (vgl. an Botzheim, Op. epist., Bd. 1, S. 39). Sie versammeln eine Fülle von ästhetischen Urteilen wie von antiquarischem Wissen und enthalten besonders in den Kirchenväter-Editionen glänzende, mehrfach auch synkritisch pointierte Autorenportraits. Die Editionen sind im folgenden grundsätzlich chronologisch angeordnet; nur bei Johannes Chrysostomus sind die Einzelwerke, auch wenn sie früher erschienen sind, den Sammelausgaben nachgestellt. Miterfaßt sind neben den von E. veranstalteten Ausgaben original griech. Texte auch die Editionen seiner eigenen Übersetzungen aus dem Griechischen. Der erste Platz unter den Editionen gebührt der des NT. Der Name des Editors E. ist stets gekürzt zitiert: Des. Erasmus (allein flektiert) Rot.
1 . Neu es Te st am en t. Novum In|strumentum omne, diligenter ab Erasmo Rot. | recognitum et emendatum, non solum ad graecam ueritatem, ue-|rum etiam ad multorum utriusque linguae codicum, eorumque ue-|terum simul et emendatorum fidem. postremo ad pro-| batissimorum autorum citationem, emendationem | et interpretationem, praecipue, Origenis, Chry|sostomi, Cyrilli, Vulgarij, Hieronymi, Cy-|priani, Ambrosij, Hilarij, Augusti-|ni, una cum Annotationibus, quae | lectorem doceant, quid qua | ratione mutatum sit. | Quisquis igitur | amas ue-| ram | Theolo-|giam, lege, cogno|sce, ac deinde iudica. | Neque statim offendere, si | quid mutatum offenderis, sed | expende, num in melius mutatum sit. Basel: Joh. Froben, Febr. 1516. Widmung an Papst Leo X. (Basel, 1. Febr. 1516; Op. epist., Nr. 384). Auf die drei sog. Einlei-
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tungsschriften ‘Paraclesis’, ‘Methodus’ und ‘Apologia’ (Bl. aaa 3r⫺[bbb8]v) folgen der synoptische griech.-lat. Text in zwei Kolumnen (bis S. 224), danach In Annotationes Novi Testamenti Praefatio (S. 225⫺ 230, Basel, [ca. Dez.] 1515; Op. epist., Nr. 373), dann die Adnotationes (S. 231⫺671); nach einer Widmung des Oecolampadius an den Leser (S. 672⫺[673]) Korrekturen: Emaculata in Euangeliis und Emendata in Epistolis (S. [673⫺675]). Die lange Vorbereitung der Edition des NT lief parallel zu E.’ diversen griech. Übersetzungen und zur Ausgabe der Hieronymus-Briefe (1516) sowie der Werke des Seneca (1515); die Arbeiten an letzterem wertete E selbst als progymnasmata zu seiner Bibelausgabe (an Botzheim; Op. epist., Bd. 1, S. 14). E. hatte in Cambridge u. a. mit John Colets Hilfe “einige” griech. Hss. des NT studieren können, die rekonstruierbare Textbasis seiner Edition bildeten jedoch v. a. die drei aus dem 12. Jh. stammenden Hss. (der Rezension der sog. Koine), die ihm in Basel zur Verfügung standen: eine davon aus dem Besitz der Familie Amerbach, die restlichen (einschließlich zweier Hss. des 15. Jh.s) aus der Bibliothek der Basler Dominikaner (vorgestellt bei Brown, ASD VI-2, Introduction S. 6 f.). E.’ Edition, deren Druck Oecolampadius und Nikolaus J Gerbel betreuten, bietet einen durchaus eklektischen, unfertigen und im übrigen unausgeglichenen Text (vernachlässigt scheinen Lc, Ih, Acta sowie die Apc, deren Schluß von E. mangels eines Textzeugen aus der lat. Vulgata ins Griechische rückübersetzt wurde). Die beigegebene lat. Übersetzung, mit der E. spätestens 1512 in England begonnen hatte und die er über die sukzessiven Auflagen des NT ständig weiter veränderte (in der 2.⫺4. Auflage mit der Rechenschaft von Fehlerlisten aus der Vulgata), war eine “humanistisch-rhetorische Revision der Vulgata” (de Jonge, 1988, S. 152), die gemeinsam mit den Annotationes das adäquate Verständnis des griech. Textes sichern sollte. Die Edition von 1516 war wegen des aus Spanien drohenden Konkurrenzunternehmens der sog. Complutensischen Polyglotte überstürzt und unsorg-
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fältig. Gleichwohl wurde sie (als Grundlage für Luthers Bibelübersetzung) für Jahrhunderte zum Textus receptus des NT. Es folgten vier mit Hilfe neuer Hss. verbesserte, von E. autorisierte Neuauflagen (1519, 1522, 1527 und 1535, die letztere ist Grundlage der kritischen Edition in ASD VI), die sich auch in bezug auf die Einleitungsschriften unterscheiden: die ‘Methodus’ ist 1519 zur ‘Ratio verae theologiae’ erweitert und 1522 (zugunsten separater Drucke) ganz weggelassen, seit 1527 entfiel auch die ‘Paraclesis’, so daß in den letzten beiden Ausgaben nur noch die ‘Apologia’ übrig blieb. 2. Guielermi hermani | Goudensis Theologi ac Poetae clarissimi Sylua | Odarum.| Hendecasyllabum herasmi ad studiosos [Vredeveld, ASD I-7, Nr. 30] [...]. [Paris: Guy Marchant, 20. Jan. 1497]. HC 8452. Am Schluß (Bl. f iii⫺f iiii) ein Gedicht des E. an Robert Gaguin (ASD I-7, Nr. 7). Widmung an Hendrik van Bergen, B. v. Cambrai (Paris, 7. Nov. 1496; Op. epist., Nr. 49): E. hatte auf Gaguins Empfehlung den Erstdruck der Gedichte seines langjährigen Freundes Hermans veranlaßt. 3. Officia Ciceronis solertis|sima cura Herasmi Roterodami ex multis exemplaribus exactissime castigata | appositis ad singula capita argumentis commo⫽|dissimis: crebrisque in marginibus annotamentis [...]. Paris: Jean Philippe, [um 1501]. Widmung an Iacobus Tutor (⫽ J. Voecht, Paris, 28. April [1501]; Op. epist., Nr. 152). Inhaltsangaben und zahlreiche Erklärungen E.’ in margine; eine verbesserte Ausgabe folgte 1520 (s. u. 24.). 4. Laurentii Vallae uiri tam graecae quam latinae linguae peritissimi in | Latinam Noui testamenti interpretationem ex collatione Graeco-|rum exemplarium Adnotationes apprime vtiles. Paris: Jod. Badius, 13. April 1505. Mit Widmung an Christopher Fisher (Paris, [März] 1505; Op. epist., Nr. 182) und einem Valla betreffenden Brief von Badius an E. (Paris, 9. März 1505; Op. epist., Nr. 183). 5. Euripidis Tragici poet*ae+ nobilissimi Hecuba et Iphigenia: | Latin*ae+ fact*ae+ Erasmo Rot. interprete [...]. Paris: Jod. Badius, 13. Sept. 1506. Zur Druckgeschichte vgl. ASD I-1, S. 195⫺ 212. 6. Luciani viri quam disertissimi compluria opuscula longe festiuissima ab Erasmo Rot. | et Thoma moro interpretibus optimis in latinorum linguam tra-|ducta [...]. Paris: Jod. Badius, 13. Nov. 1506. Die einzelnen Titel mit ihren jeweiligen Widmungen sind aufgeführt in ASD I-1, S. 374. Zur Druckgeschichte vgl. ebd., S. 363⫺378. Die für die Zukunft maßgebliche revidierte und erwei-
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terte Aufl. erschien in Paris bei Badius 1514: Die dafür vorgesehene Widmung an William Warham, Eb. v. Canterbury (London, 29. April 1512; ASD I-1, S. 381, Op. epist., Nr. 261) wurde erst verspätet in die Basler Ausgabe 1517 aufgenommen. 7. Dicta sapien⫽|tum e Grecis: | ut habebantur a nescio quo | greculo utcunque collecta: | Erasmo interprete. [Leipzig: Melch. Lotter d. Ä., um 1508]. VD 16, S 5893. Später aufgenommen in die Sammlung Ps.-Cato etc., Löwen 1514 (s. u. 9.). 8. Opuscula Plutarchi nuper traducta. | Erasmo Rot. interprete. | Quo pacto quis dignoscere possit adu|latorem ab amico. | Quo pacto quis efficere possit ut ca-|piat vtilitatem ab inimico. | De tuenda bona valetudine praecepta. | In principe requiri doctrinam. | Cum principibus maxime philoso-|phum debere disputare. | Vtrum grauiores sint animi morbi, | quam corporis. | Num recte dictum sit, laue bivsaw id est, | Sic viue vt nemo te sentiat vixisse. | De cupiditate diuitiarum. [...] (nur lat.). Basel: Joh. Froben, Aug. 1514. VD 16, P 3594. Widmung an Heinrich VIII. (Juli 1513; ASD IV-2, S. 119 f.; Op. epist., Nr. 272). Plutarchi Chaeronensis | de tuenda bona valetudine precepta [...] war bereits im Juli 1513 in London bei Rich. Pynson gedruckt worden (Widmung an Johannes Yonge, London, 1. Jan. 1513; ASD IV-2, S. 187 f.; Op. epist., Nr. 268). Die an 1., 2., 4. und 5. Stelle genannten Traktate wurden, in revidierter Fassung, in die Frobensche Ausg. der ‘Institutio principis christiani’ (Mai 1516; VD 16, E 3133) aufgenommen. Textgrundlage war im wesentlichen die 1509 bei Aldus erschienene griech. Edition der ‘Moralia’ Plutarchs. 9. Ps.-Cato, Publilius Syrus, Septem Sapientes, Opuscula aliquot Erasmo | Rot. castigatore et interprete: quibus | primae aetati nihil prelegi potest: neque vtilius neque elegantius. | Libellus elegantissimus, qui vulgo Cato | inscribitur, complectens sanctiss*imae+ vitae communis | praecepta. | Mimi Publiani. | Septem Sapientum celebria Dicta. Institutum Christiani hominis Carmine pro | pueris, ab Erasmo compositum [⫽ Vredeveld, ASD I-7, Nr. 49] [...]. Löwen: Dirk Martens, Sept. 1514. NK 534. Widmung an Joh. Nevius (Löwen, 1. Aug. 1514; Op. epist., Nr. 435). Sehr erfolgreiche Sammlung von Schultexten. Zur Druckgeschichte vgl. Op. epist., Nr. 435, Einleitung. 10. L. Annei Senece Tragoe|diae pristinae integritati restitutae per [...] Des. Erasmum Rot. | Gerardum Vercellanum. | Aegidium Maserium. [...] Explanatae diligentissime | tribus commentariis [...]. Paris: Jod. Badius, Dez. 1514. E.’ Anteil an dieser Edition des Tragikers Seneca, den er von Seneca orator unterscheidet, ist nicht mehr sichtbar. Er hatte die von ihm selber “an vielen Stellen glücklich emendierten” Seneca-Tragödien Aldus Manutius überlassen; seine in England fortgesetzte
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Bearbeitung gab er an Badius, qui uisus est nostra cum alienis miscuisse (E. an Johann Botzheim; Op. epist., Bd. 1, S. 15). 11. [...] Lucij Annaei | Senecae sanctissimi philosophi lu-|cubrationes omnes additis etiam | nonnullis, Erasmi Rot. cura, | si non ab omnibus, certe ab innume-|ris mendis repurgatae [...]. Basel: Joh. Froben, Juli [Kolophon: Aug.] 1515. VD 16, S 5731. Widmung an Thomas Ruthall, B. von Durham (Basel, 7. März 1515; Op. epist., Nr. 325). E. hatte sich für die Edition der Prosaschriften Senecas (er trennt nicht zwischen Vater und Sohn) in Cambridge einige veteres codices (aus King’s College und Peterhouse) besorgt und die Texte für den Druck mit zahlreichen Randnotizen präpariert. Wieder auf dem Festland überließ er die Betreuung des Drucks seinen Freunden Beatus J Rhenanus und Wilhelm Nesen in Basel. Zu seiner lang anhaltenden Enttäuschung veruntreute letzterer den wichtigsten Teil des Handexemplars, und so kam eine durchaus unbefriedigende Edition zustande, die E. als persönliche Blamage empfand und durch die Neuausgabe von 1529, eine seiner besten editorischen Leistungen, ersetzte. Alle korrupt scheinenden Stellen sind mit Asterisk, Verbesserungen in margine mit einer Crux markiert. Zur Druckgeschichte vgl. Trillitzsch, S. 272−276. 12. Omnium operum | diui Eusebii Hieronymi | Stridonensis | Tomus primus *⫺ nonus+ una cum ar-|gumentis et scholiis | Des. Erasmi Rot. | cuius opera potissi|mum emendata sunt | quae ante hac | erant depra|vatissima | et instaura|ta ea quae prius | erant mutila. 9 Bde. Basel: Joh. Froben, 1516. VD 16, H 3482. E., seit etwa 1500 speziell mit den Briefen des Hieronymus befaßt, edierte diese (einschließlich der Brieftraktate) in den ersten vier Bänden der durch Johann Amerbach bereits geplanten und begonnenen Gesamtausgabe. Bd. 1 enthält die moralisch-paränetischen Schriften (quae ad vitam recte instituendam pertinent), Bd. 2 Unechtes (absteigend vom Diskutablen zu den lectu prorsus indigna), Bd. 3 Polemisches und Apologetisches, Bd. 4 Exegetisches. Die Bibelkommentare (Bd. 5⫺9) übernahmen gelehrte Freunde, namentlich zeichnend die Brüder Bruno und Basilius Amerbach. Der Widmungsbrief an William Warham, Eb. v. Canterbury, (Basel, 1. April 1516; Op. epist., Nr. 396) mit einem rühmenden Portrait des idealen christlichen Schriftstellers Hieronymus ist die bedeutendste, in späteren Vorreden (z. B. zu Hilarius und Cyprian) gern variierte Äußerung des E. über seine Kirchenväter-Editionen. Die Ausgabe enthält eine Vita des Hieronymus und besonders reiche Argumenta und Scholia zu den einzelnen Briefen und Traktaten. Der Text ist sehr frei auf der Basis der Edition Lyon 1508 konstituiert, ohne nachweisliche Anbindung an Handschriften (vgl. Thomson, S. 165 f.). Revi-
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dierte Ausgaben der Briefe (non paucis locis vel correctis vel additis, quae nos in priore aeditione fefellerant, so E. an Botzheim; Op. epist., Bd. 1, S. 14) erschienen in Basel 1522 und 1524. Obwohl E. für die Revision alte codices zur Verfügung hatte, waren Konjekturen unumgänglich, die in den beigegebenen Scholien verständlich gemacht wurden. 13. Institutio Principis Christia-|ni saluberrimis referta praece|ptis, per Erasmum Rot. | cum aliis nonnullis eo-|dem pertinentibus [...]. Basel: Joh. Froben, April bzw. Mai 1516. Auf die ‘Institutio’ (s. o. H.2.) folgen: Praecepta Isocratis de regno administrando, übersetzt von E., den Schluß bildet seine bereits 1514 Heinrich VIII. gewidmete Übersetzung des Plutarch: quo pacto dignosci possit adulator ab amico. VD 16, J 525. Widmung an Karl V. (ASD IV-1, S. 133⫺135; Op. epist., Nr. 393). 14. Iosepi [!] viri Iu|daei PERI AYTOKRATOROS | LOGISMOY. Hoc est de | imperatrice rati-| one, deque [...] septem fra-|trum Macabaeo-|rum [...] marty|rio liber, a` Des. Erasmo Rot. [...] recogni-|tus [...]. Köln: Euch. Cervicornus, [1517]. VD 16, J 992. Widmung an Helias Marcaeus ([Köln, Anfang Mai 1517?]; Op. epist., Nr. 842). Wieder abgedruckt in: Flavii Iose|phi [...] opera [...]. Köln: Euch. Cervicornus, 1. Febr. 1524. VD 16, J 957. E. hatte bei dieser Bearbeitung einer alten lat. Übersetzung, die ihn nur einen knappen Tag beschäftigte, keinen griech. Text zur Hand und nahm “aus dem lat. auf den griech. Wortlaut rückschließend” seine nicht sehr zahlreichen Eingriffe vor. 15. Eucherius, Epistola ad Valerianum propinquum de philosophia Christiana, zum ersten Mal gedruckt im Anhang der Edition des Ps.-Cato (s. o.), Löwen: Dirk Martens, [1517], mit Widmung an Alard von Amsterdam (Löwen [1517]; Op. epist., Nr. 676). Aufgenommen in die von Johannes Alexander Brassicanus besorgte Edition Divi Eucherii [...] Lucubrationes [...]. Basel: Hier. Froben u. Nik. Episcopius, Aug. 1531 (VD 16, E 4127), S. 294⫺310, mit den Scholien des E. (S. 308⫺310). 16. De opti|mo reip*ublicae+ statu deque | noua insula Vtopia [...] libellus ue-|re aureus [...] Thomae Mori [...] Epigrammata [...] Thomae | Mori, pleraque e` Graecis uersa [...]. Basel: Joh. Froben, März 1518. VD 16, M 6294. E. empfiehlt in seinem Brief an Joh. Froben (Löwen, 25. Aug. 1517; Op. epist., Nr. 635), die ‘Utopia’ in Basel zu drucken. 17. Theodori | Gazae Thessalonicensis, Gramma-|ticae institutionis libri duo [...], sic translati per Erasmum Rot., | ac titulis et annotatiunculis explana-|ti, ut citra negotium et percipi queant | et teneri. Iidem Graece, pro ijs | qui iam aliquantulum profecerunt. [...]. Basel: Joh. Froben, Mai
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1518. VD 16, T 801. Widmung an Johannes J Caesarius (Antwerpen, 23. Juni 1518; Op. epist., Nr. 428). Vereinigt die separat bei Dirk Martens in Löwen gedruckten Übersetzungen der Bücher I (Juli 1516) und II (Febr. 1518). E. hat bei dieser “Arbeit von zwei Tagen” den griech. Text (außer den Beispielen) übersetzt, gliedernde Tituli eingefügt und Fehler beseitigt. Theodors v. Gaza griech. Übersetzungen von Ciceros ‘De senectute’ und ‘Somnium Scipionis’ wurden von E. in seine Cicero-Edition von 1520 (s. u.) aufgenommen. 18. Ex recogniti|one Des. Eras-|mi Rot. | C. Suetonius Tranquillus. | Dion Cassius Nicaeus. | Aelius Spartianus. | Iulius Capitolinus. | Aelius Lampridius. | Vulcatius Gallicanus V. C. | Trebellius Pollio. | Flauius Vopiscus Syracusius. | Quibus adiuncti sunt, | Sex. Aurelius Victor. | Eutropius. | Paulus Diaconus. | Ammianus Marcellinus. | Pomponius Laetus Ro. | Io. Bap. Egnatius Venetus. Basel: Joh. Froben, Juni 1518. VD 16, E 3644. Widmung an Kf. Friedrich und Hzg. Georg v. Sachsen (Antwerpen, 7. Juni 1517; Op. epist., Nr. 586) sowie an den Leser (1517; Op. epist., Nr. 648). E. hatte kurz vor Fertigstellung seiner Edition die 1516 von Giovanni Battista Egnazio besorgte Aldina (mit Sueton, Aurelius Victor, Eutropius und Paulus Diaconus) erhalten, dessen ‘Annotata’ er nutzt und ergänzt (14 Seiten Anmerkungen zu Sueton, nur drei zu den übrigen Autoren). Zu den Hss. vgl. Thomson, S. 161. 19. Quintus | Curtius de rebus | gestis Alexan⫽|dri magni re⫽|gis Mace⫽|donum | cum adnotationibus Des. Erasmi Rot. Straßburg: Matth. Schürer, Juni 1518. VD 16, C 6462. Widmung an Hzg. Ernst v. Bayern ([Löwen], 4. Nov. 1517; Op. epist., Nr. 704). Mit einigen wenigen Eingriffen in den Text. 20. Basilii in Esaiam Commentariolus eodem [scil. Erasmo] interprete, bereits um 1511 übersetzt, erstmals zusammen mit dem ‘Enchiridion militis Christiani’, Basel: Joh. Froben, Juli 1518, gedruckt. Alter Widmungsbrief an John Fisher (Cambridge, Sept. 1511; Op. epist., Nr. 229), in dem E. Zweifel an der Echtheit äußert. VD 16, B 701. 21. Excellen|tissimi uiri Vdalrici Zasii L*egum+ Doct*oris+ | earundemque in [...] Friburgensium | Academia professoris ordinarii lucu-|brationes aliquot sane quam elegantes, | nec minus eruditae. [...]. Basel: Joh. Froben, 1518. VD 16, Z 128. Widmung an Bonifacius Amerbach (Basel, 31. Aug. 1518; Op. epist., Nr. 862) mit Rühmung des J Zasius, der die Jurisprudenz in Deutschland zu einer vorbildlich klassischen Sprache zurückgeführt habe. Das Manuskript hat E. aus Zeitmangel “nur überflogen, nicht durchgelesen”. 22. Libanius, Aliquot de|clamatiun|culae | Graecae | eaedemque Latinae, per | Des. Eras-
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mum Rot. | Scazon trimeter ad libellum [⫽ Vredeveld, ASD I-7, Nr. 28] [...]. Löwen: Dirk Martens, Juli 1519. E. hatte die Übersetzung der drei ‘Declamationes’ bereits in Löwen am 17. Nov. 1503 hsl. dem Bischof v. Arras und Kanzler der Univ. Löwen, Nicolas le Ruistre, als praeludia et quasi primiciae seiner Griechischstudien gewidmet (ASD I-1, S. 181⫺184; Op. epist., Nr. 177). Eine stark verbesserte Ausg. (VD 16, L 1480), die u. a. auch zwei Schriften Lukians und Isokrates’ ‘Ad Nicoclem de institutione principis’ (jeweils von E. übers.) enthielt, erschien im Mai 1522 bei Joh. Froben in Basel. 23. Opera Diui Cae|cilii Cypriani episcopi Carthagi-|nensis, ab innumeris mendis repurgata, adiectis | nonnullis libellis ex uetustissimis exemplari-|bus, quae hactenus non habebantur, ac | semotis iis, quae falso` uidebantur | inscripta, una` cum annotatiun|culis. Atque haec omnia no|bis praestitit ingen|ti labore suo | Erasmus Rot., | vir iu|uandis optimis studiis natus. Basel: Joh. Froben, Febr. 1520. VD 16, C 6508. Widmung an Kardinal Lorenzo Pucci (Löwen, 31. Juli 1519; Op. epist., Nr. 1000). Den Textbestand der früheren Editionen (Rom 1471, Deventer um 1480, Paris 1512) ergänzte E. aus mehreren Hss. (u. a. der Klosterbibl. von Gembloux). Seine Annotatiunculae betreffen theologische und philologisch-sprachliche Probleme. 24. Officia | Ciceronis rursus | accuratissime recognita | per Erasmum Rot., | Vna cum | alijs [... i. e. de amicitia, de senectute, Liber Paradoxorum, Somnium Scipionis, Graeca traductio Theodori Gazae in Senectutem et Somnium]. Basel: Joh. Froben, Aug. 1520. VD 16, C 3175. Mit erneuter Widmung an Iacobus Tutor (⫽ J. Voecht, Löwen, 10. Sept. 1519; Op. epist., Nr. 1013) einschließlich des alten Widmungsbriefs an denselben (Paris, 28. April 1498 [?1501]; Op. epist., Nr. 152). E.’ philologische Anmerkungen zu den ‘Officia’ und zu den hier zusätzlich edierten, der Ausgabe des Petrus Marsus (Rom 1491) entnommenen Werken Ciceros sind S. 8⫺37 zusammengestellt und buchweise gezählt (‘Officia’ 1, 2 u. 3 haben z. B. 105 voces annotatae). E.’ Neubearbeitung der Ausgabe (gemeinsam mit Konrad Goclenius): Basel: Froben, 1528. VD 16 C 3181. 25. Arnobius (Iunior), [...] En optime lector, rarum damus thesaurum, et nihil | non nouum, | Des. Erasmi Rot. praefationem ad nuper ele|ctum pontificem Romanum Adrianum huius nomi|nis sextum, | Arnobij Afri, vetusti pariter ac laudatissimi scripto|ris commentarios pios iuxta ac eruditos in omnes psal|mos, sermone Latino, sed tum apud Afros uulgari, per | Erasmum Rot. proditos et emendatos, | Des. Erasmi Rot. commentarium in psalmum: Quare | fremuerunt gentes [...]. Basel: Joh. Froben, Sept. 1522. VD 16, B 3130. E.
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verwechselt den Autor (5. Jh.) mit dem älteren Arnobius (Verf. von ‘Adversus nationes’). In seiner Widmung an Papst Hadrian VI. (Basel, 1. Aug. 1532; Op. epist., Nr. 1304) verteidigt E. das fehlerhafte Latein des A. als seinem einfachen Publikum angemessen (vgl. die Einschränkung im Titel: sermone Latino, sed tum apud Afros uulgari). E. benutzte eine einzige Hs. aus dem Kloster der Augustinerchorherren in Frankenthal bei Worms (⫽ Cod. L d. Ausg. v. K.-D. Daur, Turnhout 1990). Dem Kommentar des Arnobius fügte Froben [S. 216] E.’ Auslegung zu Ps 2 (s .o. E.2.c) bei. 26. [...] Diui Hilarii Pictauorum epi|scopi lucubrationes per Erasmum | Rot. non mediocribus | sudoribus emendatas, formulis | nostris, operaque nostra, quantum | licuit, ornauimus. Priorem aeditio-|nem non damnamus, sed quid in-|tersit, ipse cognosces ex collatio-|ne, lector optime, simulque vale-|bis [...]. Basel: Joh. Froben, Febr. 1523. VD 16, H 3618. Widmung an Eb. Ioannes Carondiletus von Palermo (Basel, 5. Jan. 1523; Op. epist., Nr. 1334). Als Grund für die extrem verderbte Überlieferung sieht E. den schwierigen Stil des Theologen Hilarius, der stets zu verändernden Eingriffen eingeladen habe. Die im Titel genannte prior aeditio, die hier entschieden verbessert wird, ist die Ausgabe des Jodocus Badius (Paris, 1. Jan. 1511). 27. M. T. Cicero|nis Tusculanae Quae-|stiones, per Des. Erasmum Rot. | diligenter emendatae, | et scholijs illustratae. Basel: Joh. Froben, Nov. 1523. VD 16, ZV 3448. In seiner Widmung an Johannes Flatten (Basel, ca. Okt. 1523; Op. epist., Nr. 1390) beschreibt E. den Vorgang der Textkonstituierung: die Kollation der existierenden Drucke überließ er seinen Helfern, er selber behielt sich die Entscheidung vor; in zweifelhaften Fällen wurde die alternative Lösung auf dem Rand registriert. Die wenigen Entscheidungen ohne Überlieferungsfundament (citra codicum suffragium) sind durch scholia erläutert. 28. Dictionarius Graecus, prae-|ter omnes superiores accessiones, quarum nihil est omissum, | ingenti uocabulorum numero locupletatus per utri-|usque literaturae non uulgariter peritum, | Iacobum Ceratinum. | Ac ne libellorum quidem ac fragmentorum, quae supe-|riores adiecerant, hic quicquam desiderabis. Basel: Joh. Froben, Juli 1524. Nicht in VD 16. Der Widmung Graecae literaturae candidatis (Basel, 1. Juli 1524; Op. epist., Nr. 1460) zufolge gab E. lediglich die Anregung zur Neubearbeitung dieses aus Italien stammenden, 1497 bei Aldus gedruckten griech.lat. Lexikons. 29. Commentarius Erasmi Rot. | in Nucem Ouidij, ad Ioannem Mo|rum Thomae Mori filium. | Eiusdem commentarius in duos hymnos Pru-|dentij, ad Margaretam Roperam Thomae
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Mori | filiam. Basel: Joh. Froben, 1524. Nicht in VD 16. Widmung des Kommentars zur ‘Nux’ an Johannes Morus ([Dez. 1524]; ASD I-1, S. 145 f.; Op. epist., Nr. 1402), zu den Prudentius-Hymnen an dessen Schwester Margareta Roper (25. Dez. 1524; Op. epist., Nr. 1404). 30. [...] C. Plinii Secundi di|uinum opus cui titulus, Historia Mundi, | multo qua`m antehac unquam prodijt emaculatius: idque primum ex annota|tionibus eruditorum hominum, praesertim Hermolai Barbari [...]. Basel: Joh. Froben, März 1525. VD 16, P 3533. Widmung an Stanislaus Thurzo´, B. v. Olmütz (8. Febr. 1525; Op. epist., Nr. 1544). E. rühmt die Verdienste von E. Barbaro, Bude´, Beroaldo und Caesarius um das Werk des Plinius. Er selbst hat non pauca aus einem vetustissimus codex emendiert. Den Druck überwachte Sigismund Gelenius. 31. Coelii | Calcagnini | Libellus elegans | de libero arbitrio ex philo-|sophiae penetralibus. Basel: Joh. Froben, Juli 1525. VD 16, C 202. E. veranlaßte den Druck dieser Schrift, in der sein eigener Traktat zum Thema bereits rezipiert war. Widmung an Florianus Montinus v. Ferrara (Basel, 16. Mai 1525; Op. epist., Nr. 1578). 32. Plutar-|chi Chaeronei Libellus perquam ele-|gans, De non irascendo. | Eiusdem, De curiositate. | Uterque Latinus Des. Erasmo Rot. in-| terprete. | Adiecti sunt iidem Graeci, | quo uel praelegi possint, uel certe legi a | Graecanicae literaturae studiosis. Basel: Joh. Froben, Mai 1525. VD 16, P 3588. Widmung an Alexius Thurzo´ (Basel, 30. April 1525; ASD IV-2, S. 263⫺265; Op. epist., Nr. 1572). 33. Plutar⫽|chus Chaeroneus, de | uitiosa uerecundia, Erasmo | Rot. inter-|prete. Basel: Joh. Froben, Febr. 1526. VD 16, P 3640, auch als Appendix der ‘Lingua’ (VD 16, E 3639, dort immodica statt uitiosa). Widmung an Franciscus van der Dilft (Basel, 3. Febr. 1526; ASD IV-2, S. 307 f.; Op. epist., Nr. 1663). 34. Galeni me|dicorum principis ex|hortatio ad bonas arteis, praesertim me|dicinam, de optimo docendi gene|re, et qualem oporteat esse me| dicum. Des. Eras. Rot. | interprete. Basel: Joh. Froben, 1526. VD 16, G 165. Widmung (Basel, 28. April 1526; ASD I-1, S. 637 f.; Op. epist., Nr. 1698) an Johannes Antoninus von Kassa, E.’ jungen ungarischen Arzt. E. übersetzte hier die ersten drei Traktate der im April 1525 bei Aldus erschienenen sehr fehlerhaften griech. Gesamtausgabe Galens (vgl. Ebels-Hoving/Ebels, bes. S. 135⫺137). 35. Opus eruditissimum | diui Irenaei episco| pi Lugdunensis in quinque libros dige-|stum [...] ex uetustissimorum codicum collatione quantum licuit | emendatum opera Des. Erasmi Rot., ac nunc pri|mum in lucem editum [...]. Basel: Joh. Froben, 1526. VD 16, I 316. Widmung an B. Ber-
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nard v. Trient (Basel, 27. Aug. 1526; Op. epist., Nr. 1738). E. ediert hier die aus dem 4. Jh. stammende lat. Übersetzung der Polemik des Irenaeus gegen die Gnosis, die unter dem Titel ‘Adversus haereses’ bekannt ist. Die drei von E. benutzten Hss. sind verloren (vgl. Thomson, S. 166). 36. Diui Ambrosii Epi|scopi Mediolanensis omnia opera, per | eruditos uiros, ex accurata diuersorum codicum collatione emendata, | Graecis quae uel aberant, uel erant corruptissima plerisque in locis fe|liciter restitutis, in quatuor ordines digesta [...]. Basel: Joh. Froben, Aug. 1527. VD 16, A 2180. Widmung an Johannes a Lasco, Eb. v. Gnesen (Basel, 13. Aug. 1527. Op. epist., Nr. 1855). E. hat, unterstützt durch Sigismundus Gelenius, Amerbachs Gesamtausgabe (Basel 1492), für die nach Auskunft der Vorrede des Johannes D Heynlin von Stein von überall her Einzeldrucke herangezogen und durch gelehrte Männer in eine accommodata librorum distinctio gebracht worden waren, mit Hilfe weniger zusätzlicher Hss. nur oberflächlich bearbeitet (Op. epist., Nr. 2033). Zum Neudruck der beiden von E. zunächst für unecht erklärten Schriften ‘De apologia prophetae David’ und ‘De interpellatione David’ im Anhang von ‘De pueris statim ac liberaliter instituendis’ (S. 411⫺487), Basel, Sept. 1529, vgl. Op. epist., Nr. 2076 u. 2190, sowie J.-C. Margolin, ASD I2, S. 7. 37. Fragmen⫽|tum Commentario-|rum Origenis in Euangelium secun-|dum Matthaeum, Erasmo | Rot. interprete. | Opus antehac non excusum. [Basel: Joh. Froben, 1527?]. VD 16, O 913. Widmung an Nikolaus v. Diesbach (Basel, 6. Juli 1527; Op. epist., Nr. 1844). Den griech. Codex erhielt E. durch die Bemühung Wolfgangs v. Attenstein aus der Bibliothek von Ladenburg. 38. Johannes Chrysostomus u. Athanasius, Diui Ioannis Chry|sostomi Archiepiscopi Constantinopolitani | et diui Athanasii Alexandrini Archiepiscopi lucubrationes aliquot [...] nunc | primum uersae et in lucem aeditae per Des. | Erasmum Rot. [...] Catalogus Operum Chrysostomi: | Aduersus Iudaeos conciones quinque [...] De Lazaro et divite conciones quatuor [...] De uisione Esaiae [...] conciones quinque [...] De beato Philogonio [...] concio una. | Homiliae in epistolam Pauli ad Philippenses duae [⫽ VD 16, J 426] [...] De orando deum conciones duae [⫽ VD 16, J 442] [...] Commentariorum in acta Apostolorum homiliae tres [⫽ VD 16, J 414] [...] De dignitate et onere episcopi, libri sex [...] uersi, per […] Germanum Brixium Antissiodorensem [...] Athanasii Lucubrationum Catalogus, [...] De Sancto Spiritu ad Serapionem Episcopum epistolae duae [⫽ VD 16, A 3994], | Quod Nicena synodus [...] merito promulgauit quae erant aduersus Arianam haeresim decreta [⫽ VD 16, A 3993] | Apologeticus aduersus
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eos qui calumniabantur quod in persecutione fugisset. | Apologeticus secundus. [⫽ VD 16, A 3983] | De passione domini ac de cruce. [⫽ VD 16, A 3999] | De hoc quod scriptum est, Euntes in uicum [...] [⫽ VD 16, A 3985] De uirginitate [...] [⫽ VD 16, A 4002] De hoc quod dictum est in Euangelio Quicunque dixerit uerbum [...] [⫽ VD 16, A 3997] De spiritu sancto [⫽ VD 16, A 3995]. Basel: Joh. Froben, März 1527. VD 16, J 408. Widmung an Kg. Johann III. v. Portugal (Basel, 24. März 1527; Op. epist., Nr. 1800). Die hier S. 305⫺435 gedruckten Einzelschriften des Athanasius widmete E. dem B. von Lincoln, John Longlond, (Basel, 3. März 1527. Op. epist., Nr. 1790). E.’ Chrysostomus-Übersetzungen sind aufgenommen in die folgende 6-bändige Basler Gesamtausgabe (mit Index) 1530: 39. Diui Ioannis Chrysostomi Archiepiscopi Constantinopolitani opera, | quae hactenus uersa sunt omnia [...]. Basel: Froben (Joh. Herwagen, Hier. Froben und Nik. Episcopius), 1530. VD 16, J 399. Widmung an Christoph von Stadion, B. v. Augsburg (Freiburg i. Br., 5. Aug. 1530; Op. epist., Nr. 2359; zur Druckgeschichte vgl. dort Allens Einleitung). Die Texte sind von den jeweiligen Übersetzern noch einmal nach den griech. Hss. revidiert. a) IVANNO° | XR°SOSTOMO° PERI TO°, OTI | polloy˜ me¡n aœjiv¬matow, dy¬skolon de¡ eœpisko-| pei˜n dia¬logoi eÕj| Diui Ioan|nis Chrysostomi, quod | multae quidem dignitatis, sed difficile sit | episcopum agere, dialogi sex. Basel: Joh. Froben, 1525. VD 16, J 455. Widmung an Willibald J Pirckheimer (Basel, 14. März 1525; Op. epist., Nr. 1558). b) Diui Ioan|nis Chrysostomi de | orando deum, libri duo, Erasmo | Rot. interprete. | Adiuncti sunt iidem Graece, ut lector | conferre possit. Basel: Joh. Froben, April 1525. VD 16, J 442. Widmung an Maximilian v. Burgund (Basel, 30. März 1525; Op. epist., Nr. 1563). c) Diui Ioan|nis Chrysostomi con-|ciunculae perqua`m elegantes sex | de fato et prouidentia Dei (nur griech.). Basel: Joh. Froben, Febr. 1526. VD 16, J 421. Widmung an John Claymond (Basel, 30. Jan. 1526; Op. epist., Nr. 1661). d) Diui Ioan|nis Chrysostomi in Epi|stolam ad Philippenses Homiliae duae, | uersae per Erasmum Rot. | additis Graecis. | Eiusdem Chrysostomi li|bellus elegans Graecus, in quo confert | uerum monachum, cum principibus, di|uitibus ac nobilibus huius mundi (lat., danach griech. Text). Basel: Joh. Froben, 1526. VD 16, J 426. Widmung an Polydorus Vergilius (Basel, 19. Aug. 1526; Op. epist., Nr. 1734). e) [...] Tria noua dabit hic libellus, Epistolam | Erasmi, de modestia profitendi lin|guas. Libellum perquam elegantem Diui Ioan|nis Chrysostomi
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Graecum, de Babyla mar|tyre. Epistolam Erasmi Rot. in | tyrologum quendam impudentissimum ca|lumniatorem [⫽ Op. epist., Nr. 1858]. Basel: Joh. Froben, Aug. 1527. VD 16, J 412. Die Widmung an Nicolaus Marvillanus (Varius) (Basel, 14. Aug. 1527; Op. epist., Nr. 1856) empfiehlt den zurückhaltenden Gebrauch der Sprachen. f) Diui Ioan-|nis Chrysostomi | Archiepiscopi Constantinopolitani | Commentarius in epistolam ad | Galatas, Erasmo Rot. | interprete. | Opus nouum, et nunc primum natum atque excusum. [Basel: Joh. Froben], 1527. VD 16, J 418. Widmung an Ioannes Card. Lothoringiae (John of Lorraine) (Basel, 29. Juni 1527; Op. epist., Nr. 1841). g) Aliquot opuscula Diui | Chrysostomi Graeca, lectu dignissima, cum | praefatione Erasmi Rot., | cuius studio sunt aedita (nur griech.). Basel: Froben, 1529. VD 16, J 411. Widmung an Charles Utenhove (Basel, 1. Febr. 1529; Op. epist., Nr. 2093). h) Aliquot Homiliae | Diui Ioannis | Chrysostomi, ad pietatem summo-|pere conducibiles, nunc primum et uersae et editae, per | Erasmum Rot. Basel: Froben, 1533. VD 16, J 409. Widmung an Johannes Paungartner (Freiburg i. Br., 1. März 1533; Op. epist., Nr. 2774). Enthält: ‘De Davide et Saule deque tolerantia’. Der von E. benutzte schön geschriebene, mit Goldbuchstaben und farbigen Bildern illuminierte Codex, der nicht mehr zu identifizieren ist, enthielt noch weitere Homilien, die E. jedoch für unecht erklärt. i) Divi Ioannis | Chrysostomi missa | graecolatina. D*es.+ Erasmo Rot. interprete. Paris: Chr. Wechel, 1537. Die erste lat.-griech. Einzelausg., nachdem E.’ bereits im Sept. 1511 abgeschlossene Übersetzung (vgl. Op. epist., Nr. 227) schon in die Chrysostomus-Gesamtausg. Paris: Claude Chevallon, 1536, aufgenommen worden war (vgl. Op. epist., Nr. 2359, Introduction). 40. Fausti epi|scopi de gratia Dei, et | humanae mentis libero arbitrio, opus | insigne cum Des. Erasmi Rot. | Praefatione. | Item. | Faustini episcopi ad Flac|cillam Imperatricem, de fide aduer⫽| sus Arianos: et de propositis quaestionibus | Arianorum. | Peruetustus uterque, sed iam primum in lucem aediti. Basel: Joh. Faber, 1528. VD 16, F 667. In seiner Widmung an Fericus Carundiletus (Basel, 25. Juni 1528. Op. epist., Nr. 2002) bedauert E., den Faustus-Text nicht schon vor seiner eigenen Schrift ‘De libero arbitrio’ gekannt zu haben. Die (einzige erhaltene) Hs. (Paris, BN, Lat. 2166, 9. Jh.) war ihm von Hermann von J Neuenahr zugeschickt worden, der sie in vetusta bibliotheca aufgespürt hatte. Außer dem Nachweis der Bibelzitate keine editorischen Zugaben. 41. L. Coelii | Lactantii Firmiani | de opificio dei, siue formatione hominis li-|ber unus, per Des. Erasmum Rot. | accurate recognitus, et | additis
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scholiis illustratus. Köln: Joh. Gymnich, 1529. VD 16, L 66. Widmung an Tielmann Gravius (Basel, 20. Febr. 1529; Op. epist., Nr. 2103). E. erstellte den Text “teils” nach der Aldina von 1515, “teils” nach einem vetustissimus codex. Dieser ist identisch mit Cod. V (Valenciennes 141, 9. Jh.) der Edition von S. Brandt (CSEL 27, 1893), der übrigens in seinen ‘Prolegomena’, S. X⫺XII, E.’ editorische Entscheidungen mit großer Reserve beurteilt. Zum Prooemium und den ersten 10 Kapiteln Sprachund Sachkommentare mit vereinzelten Lesarten aus der Hs. 42. L. Annei Senecae | opera, et ad dicendi facultatem, et ad | bene uiuendum utilissima, per Des. Erasmum Rot. ex | fide ueterum codicum, tum ex probatis autoribus, postremo sagaci non | nunquam diuinatione sic emendata, ut merito priorem aeditionem, ipso ab- | sente peractam, nolit haberi pro sua. [...] Adiecta sunt eiusdem scholia nonnulla. Basel: Hier. Froben u. Joh. Herwagen, März 1529. VD 16, S 5759. In margine v. a. bei den Briefen an Lucilius zahlreiche erklärende Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge zum Text. Wie schon im Titel distanziert sich E. in seiner umfangreichen Widmung (Basel, Jan. 1529; Op. epist., Nr. 2091) an Peter Tomicki, B. von Krakau, von der unsorgfältigen Ausgabe des Jahres 1515 (s. o. 11.). Er benutzte mehrere codices mirae uetustatis, unter ihnen den karolingischen Cod. Valenciennes 411 (olim 393). Zur Druckgeschichte vgl. Thomson, S. 158⫺160. In einer eigenen Widmung an den Leser (Op. epist., Nr. 2092) widerlegt E. die auch durch Hieronymus begünstigte Annahme eines Briefwechsels zwischen Paulus und Seneca, den er gleichwohl druckt. Zur Druckgeschichte vgl. Trillitzsch, S. 276−280. 43. Diui Aurelii Augustini | Hipponensis episcopi, omnium operum primus | *decimus+ tomus. summa uigilantia repurgatorum a mendis innumeris per Des. | Erasmum Rot., ut optimo iure tantus | ecclesiae doctor renatus uideri possit [...] Addito indice copiosissimo. Basel: Joh. Froben, 1529 (Kolophon: 1528); Bd. 2, 1528: ‘Epistulae’; Bd. 3, 1528 (Kolophon: Sept. 1529): christliche Lehrschriften; Bd. 4, Mai 1528: restliche Lehrschriften; Bd. 5, Dez. 1529: ‘De civitate dei’ (in der Ausg. des J. L. Vives, Basel 1522, hier von E. nach einer neuen, “in langobardischen Buchstaben geschriebenen” Hs. bearbeitet); Bd. 6, Okt. 1528: polemische Schriften; Bd. 7, Okt. 1528: restliche polemische Schriften; Bd. 8, März 1529: ‘Enarrationes in Psalmos’; Bd. 9, April 1529: Auslegungen zum NT (Predigten) u. a.; Bd. 10, Mai 1529: restliche Predigt-Auslegungen. VD 16, A 4148. Widmung an den Eb. Alfonsus Fonseca v. Toledo (Freiburg i. Br., Mai 1529; Op. epist., Nr. 2157). Textgrundlage war Amerbachs Ausg. Basel 1490. E., der Augustins Sprache zu weitschweifig findet, hält den
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überlieferten Text für extrem interpoliert und emendiert sehr kühn, nur in wenigen Fällen mit Hilfe von Hss. (z. B. einer Hs. aus dem Kloster Gembloux für ‘De trinitate’). Besondere Mühe verwendet er auf die ‘Epistulae’. E. nimmt alle unter Augustins Namen überlieferten Werke auf und beurteilt in knappen Censurae deren Echtheit. Vor allem in Bd. 1 neben vielen Zitatnachweisen in margine kommentierende Annotate, auch alternative Lesarten. In Bd. 2 eine Vorrede vom Okt. 1527 (fehlt in LB u. im Op. epist.), hg. v. P. G. Bietenholz, History and Biography in the Work of E. of R., Genf 1966, S. 103⫺107. 44. Georgii | Agricolae medici | Bermannus, siue | de re metallica. Basel: Joh. Froben, 1530. VD 16, A 910. Einleitend der Brief, in dem E. den Brüdern Andreas und Christoph v. Könneritz die Drucklegung des Dialogs ‘Bermannus’ über die Joachimsthaler Silberminen zusichert, um deren Vermittlung er (vgl. Op. epist., Nr. 2216) gebeten worden war (Freiburg i. Br., 18. Febr. 1529; Op. epist., Nr. 2274). 45. Xenophon|tis Socratici rheto- | ris Hieron siue Tyrannus, liber utilissimus | his qui rempublicam administrant, Des. | Erasmo Rot. interprete, | opus recens. Basel: Froben, 1530. VD 16, X 58. Widmung an Anton Fugger (Freiburg i. Br., 13. Febr. 1530; Op. epist., Nr. 2273) und Petrus Aegidius (ebd., 28. Jan. 1530; Op. epist., Nr. 2260) mit drei Epitaphien auf dessen zwei verstorbene Ehefrauen (ASD I-7, Nr. 83⫺85). Die Übersetzung war von E. schon Jahre vorher begonnen, aber abgebrochen worden. 46. Diui Alge|ri quondam ex scholasti|co Monachi Benedictini, de ueritate Cor⫽|poris et sanguinis dominici in Eucharistia, | cum refutatione diuersarum circa hoc hae|reseon, opus pium iuxta ac doctum. | Nunquam antehac excusum. | Ex recognitione Des. | Eras*mi+ Rot. Freiburg i. Br.: Joh. Faber Emmeus, 1530. VD 16, A 1870. Widmung an B. Balthasar Mercklin v. Hildesheim (Freiburg i. Br., 5. März 1530; Op. epist., Nr. 2284). Unmittelbar vorher hatte Augustinus Marius (Op. epist., Nr. 2321) den ebenfalls gegen Berengar von Tours gerichteten Eucharistietraktat des Gui*t+mundus, Eb. v. Aversa (11. Jh.), herausgegeben (als Reaktion auf Oekolampads neue Abendmahlslehre). E. bekennt sich zu Algers Position. Außer Zitatnachweisen keine Anmerkungen. Zur späteren Ergänzung der zwei Schlußkapitel vgl. Op. epist., Nr. 2283, Anm. S. 337. 47. En magnis impendiis, summisque la|boribus damus amice lector | T. Liuii Patauini La| tinae historiae principis quicquid hactenus | fuit aeditum, sed aliquanto qua`m antea, tum magnificentius, tum emaculatius. | Accesserunt autem Quintae Decadis Libri quinque, nunquam antehac aediti, quos adie|cimus ex uetustissimo codice,
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cuius copiam nobis fecit celebre Monasterium Lorsense [...]. Basel: Froben, März 1531. VD 16, L 2094. Widmung an Charles Blount, Lord Mountjoy (Freiburg i. Br., 1. März 1531; Op. epist., Nr. 2435). Erstveröffentlichung des von Simon Grynaeus in Lorsch entdeckten Codex (heute Vindobonensis 15, 5. Jh., unikale Überlieferung der Bücher 41⫺45), dessen mühsame Zubereitung für den Druck E. schildert. Zu der von Nikolaus J Karbach veranstalteten Livius-Ausgabe, Mainz: Joh. Schöffer, Nov. 1518 (VD 16, L 2090), hat E. nur ein unspezifisches, die Drucker rühmendes Vorwort Misobarbaris atque iisdem Philomusis omnibus (23. Febr. 1519; Op. epist., Nr. 919) beigesteuert. 48. ARISTOTELO°S APANTA | Aristotelis [...] opera, | quaecunque impressa hactenus extiterunt omnia, | summa cum uigilantia excusa. | Per Des. Eras*mum+ Rot. [...] (2 Bde., griech.). Basel: Joh. Bebel, 1531. VD 16, A 3279. Auf der Titelseite ein griech. Dialog in 12 Hinkjamben zwischen dem Philologen und dem Buchhändler (unter E.’ Namen, doch nach Op. epist. Nr. 2433 wenigstens teilweise von Simon Grynaeus. Vredeveld, ASD I-7, Nr. 87). Sehr lehrhafte Widmung E.’ an Johannes Morus (Freiburg, 27. Febr. 1531; Op. epist., Nr. 2432) mit einer Liste der erhaltenen und verlorenen Aristoteles-Werke. Die Edition reproduziert die komplette (für Studenten zu teure) Aldina (1495⫺98), deren Text durch Befragung anderer Einzelausgaben v. a. von Simon Grynaeus verbessert wurde. 49. Divi Gregorii Na-|zianzeni Orationes XXX, Bilibaldo Pirckheimero interprete, nunc primum editae [...] cum aliis quibusdam [...]. Basel: Froben, Sept. 1531. VD 16, G 3082. Widmung (mit Rühmung des verstorbenen Pirckheimer) an Hzg. Georg von Sachsen (Freiburg i. Br., 15. Mai 1531; Op. epist., Nr. 2493). 50. DEMOSTHENO°S LOGOI | D°O KAI EJHKONTA Habes Lector | Demosthenis [...] orationes | duas et sexaginta, et in easdem | Vlpiani commentarios, quantum extat: | Libanii Argumenta: | Tum collectas a` studioso quodam ex Des. Erasmi Rot. Guilhelmi Bu-|daei atque aliorum lucubrationibus Annotationes [...]. Basel: Joh. Herwagen, Sept. 1532 (griech. Text in zwei getrennt paginierten Teilen, S. 1⫺532 u. 1⫺207, danach, Bl. ss 3v⫺yy 3v, die im Titel genannten ‘Annotationes’ von Budaeus und Erasmus). VD 16, D 484. Der griech. Text nach der Aldina von 1504. Widmung an Johann Georg Paungartner (Freiburg, 2. Aug. 1532; Op. epist., Nr. 2695). E.’ Anteil an dieser Ed. scheint nur in der ihm von Herwagen abgerungenen Widmungs-Praefatio zu bestehen (vgl. Op. epist., Nr. 2686). 51. Habes hic amice lector | P. Terentii Comoe| dias, una cum scholiis ex Donati, Asperi, | et Cor-
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nuti commentarijs decerptis, multo qua`m antehac unquam | prodierunt emendatiores [...] Indicata sunt diligentius carminum genera, | et in his incidentes difficultates [...] idque | studio et opera Des. Erasmi Rot., non sine praesi-|dio ueterum exemplariorum. Basel: Froben, März 1532. VD 16, T 397. Textgrundlage war die Edition von Robertus Stephanus, Paris 1529. In seiner Widmung an die 13- und 7-jährigen Brüder Johannes und Stanislaus Boner (Freiburg, 12. Dez. 1532; Op. epist., Nr. 2584) rühmt E. die reine Sprache des Terenz und betont die Bedeutung der Metrik (auch als Hilfe für die Textkonstituierung). Die genera metrorum werden konsequent angegeben (für E. eine Arbeit von 4 Tagen), dazu kommen viele sprachliche und textkritische Bemerkungen in margine, bes. zu ‘Andria’ und ‘Eunuchus’ (vgl. Thomson, S. 162⫺165). 52. Pia, brevis ac di|lucida in omnes psalmos ex|planatio sanctissimi viri d*ivi+ Haymonis, olim | Episcopi Halberstattensis [...]. Opus antehac | nunquam excusum. Freiburg: Joh. Faber, 1533. VD 16, H 228. E. hielt den Text (12. Jh., vgl. F. Stegm¸ller, Repertorium biblicum medii aevi, Madrid 1950⫺1977, Nr. 1357) im Gefolge des Johannes J Trithemius für ein Werk des karolingischen Autors D Heimo von Halberstadt. Widmung an Johannes von Heemstede (Freiburg, 28. Febr. 1533; Op. epist., Nr. 2771) mit (im Rückblick selbstkritischer) Empfehlung des monastischen Lebens und entsprechender dictionis simplicitas. Nach einer aus den Bauernkriegen geretteten Hs. des Augustinerchorherrenstifts Marbach b. Colmar. Ohne editorische Zugaben. Identische Ausgabe im selben Jahr 1533 bei Johannes Grapheus in Antwerpen. 53. En amice lector, thesaurum da- | mus inaestimabilem | D*iuum+ Basilium uere | magnum sua lingua disertissime loquentem | quem hactenus habuisti Latine balbutientem [...] Operum catalogum, et Erasmi Rot. | praefationem uersa pagina monstrabit (Inhaltsverz. griech. u. lat., Texte nur griech.). Basel: Froben, März [15]32. VD 16, B 638. Widmung an den päpstlichen Sekretär Jacopo Sadoleto (Freiburg, 22. Febr. 1532; Op. epist., Nr. 2611). 54. Duae Ho-|miliae divi Basilii, De | laudibus ieiunii, Des. Erasmo | Rot. interprete. | Xenophontis Tyrannus | ab eo recognitus. | Cum aliis nonnullis [...]. Freiburg: Joh. Faber, 1532. VD 16, B 699. Widmung an Johannes Cholerus (Freiburg, [März] 1532; Op. epist., Nr. 2617). E. konkurriert hier ausdrücklich mit der Übersetzung des Raffaele Maffei Volaterrano. Er hält die 2. Homilie für unecht. Als Beigabe eine revidierte Fassung von Xenophons ‘Hieron’ (s. o. 45.). 55. Divi Basilii | Magni Ep*iscopi+ Caes. Cappa-|dociae opus argutum ac pium De Spiritu
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sancto | ad Amphilochium, Des. Erasmo | Rot. interprete. | Nunc primum et versum et excusum. Basel: Froben, Mai 1532. VD 16, B 723. Widmung an Johannes Dantiscus (Freiburg, 30. April 1532; Op. epist., Nr. 2643). Die Übersetzungen d. J. 1532 waren Nebenprodukte der gleichzeitigen griech. Basilius-Edition bei Froben: 56. KLA°DIO° | PTOLEMAIO° ALEJANDREVS [...] peri¡ th˜ w gevgra›i¬aw bibli¬a oœktv¬ [...]. Claudii Ptolemaei Alexandrini [...] De Geographia | libri octo, summa cum uigilantia excusi. Basel: H. Froben u. N. Episcopius, 1533. VD 16, P 5206. Widmung an den Arzt Theobald Fettich (Freiburg, 1. Febr. 1533; Op. epist., Nr. 2760), der bei der Besorgung der Hs. aus der Bibliothek der Basler Dominikaner (⫽ Vat. Pal. Graecus 388) behilflich war. Weder Titel noch Widmung verraten eine aktive Beteiligung des E. an der Edition. 57. Origenis Adaman|tii eximii scripturarum inter⫽|pretis opera, quae quidem extant omnia, per Des. | Erasmum Rot. partim uersa, partim uigilanter recognita, | cum praefatione de vita, phrasi, docendi ratione, operibus illius, adiectis | epistola Beati Rhenani nuncupatoria, quae pleraque de uita | obituque ipsius Erasmi cognitu digna continet: | et indice copiosissimo. Basel: H. Froben u. N. Episcopius, Sept. 1536. VD 16, O 908. E.’ letzte große Edition (2 Bde.), posthum am 15. Aug. 1536 von Beatus Rhenanus dem Kölner Eb. Hermann von Wied gewidmet und mit einer kurzen Vita des E. (darin die Schilderung seines Todes) versehen (Op. epist., Bd. 1, Nr. III, S. 52⫺56). Von E. stammt nur die kurze Widmung an den Leser (Basel [1536]; Op. epist., Nr. 3131). E. übernahm den Text kaum verändert aus der lat. Editio princeps des Jacques Merlin, Paris: J. Badius, 1512 (mit den Übersetzungen von Rufinus und Hieronymus u. a.), und fügte seine eigene 1527 separat edierte fragmentarische Übersetzung des Mt-Kommentars hinzu. E.’ kurze und unvollendet gebliebene Einleitung behandelt Leben und Werk wie v. a. die auch stilistisch vorbildliche exegetische Methode des Origenes. Sehr sparsame Wort- und Sacherklärungen in margine. Literatur. Summarisches Verzeichnis der gedruckten Editionen: Van der Haeghen, Re´p., 2e se´rie. ⫺ S. Prete, Die Leistungen d. Humanisten auf d. Gebiete d. lat. Philologie, Philologus 109 (1965) 259⫺269; W. Trillitzsch, E. u. Seneca, ebd., S. 270⫺293; E. J. Kenney, The Character of Humanist Philology, in: R. R. Bolgar (Hg.), Classical Influences on European Culture A. D. 500⫺ 1500, Cambridge 1971, S. 119⫺128; H. Holeczek, Humanist. Bibelphilologie als Reformproblem bei E. v. R., Th. More u. W. Tyndale (Studies in the History of Christian Thought 9), Leiden 1975; A. Godin, E´rasme lecteur d’Orige`ne, Genf 1982; R.
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Pfeiffer, Die Klass. Philologie v. Petrarca bis Mommsen, 1982, S. 95⫺124; C. Augustijn, in: TRE 10, 1982, S. 1⫺18, bes. S. 9 f.; E. Rummel, E. as a Translator of the Classics (E. Stud. 7), Toronto u. a. 1985; B. Ebels-Hoving / E. J. Ebels, E. and Galen, in: J. Sperna Weiland / W. Th. M. Frijhoff (Hgg.), E. of R., The Man and the Scholar, Leiden 1988, S. 132⫺142; H. J. De Jonge, Wann ist E.’ Übers. d. NT entstanden?, ebd., S. 151⫺157; D. F. S. Thomson, E. and Textual Scholarship in the Light of Sixteenth-Century Practice, ebd., S. 158⫺171; J. den Boeft, “Illic aureum quoddam ire flumen”. E.’ Enthusiasm for the Patres, ebd., S. 182⫺191; M. Vessey, E.’ Jerome: The Publishing of a Christian Author, E. of R. Society Yearbook 14 (1994), S. 62⫺99; I. Diu, Enjeux de pouvoir dans la Re´publiques des Lettres. Pre´faces et de´dicaces d’E´rasme pour ses e´ditions et traductions d’oeuvres classiques et patristiques, in: D. de Courcelles (Hg.), Le Pouvoir des livres a` la Renaissance, Paris 1998, S. 65⫺76; G. Heldmann, Von d. Wiederentdeckung d. antiken Lit. zu d. Anfängen methodischer Textkritik, in: E. Pˆhlmann, Einführung in d. Überlieferungsgesch. u. d. Textkritik d. antiken Lit., Bd. 2, 2003, S. 97⫺135.
Fidel R‰dle
L . B ri ef we rk . Gegen 3200 Briefe aus E.’ Korrespondenz sind heute ⫺ im fast immer lat. Originaltext ⫺ erhalten, etwa die Hälfte davon aus seiner eigenen Feder. Die Ausdrucksform des brieflichen Dialogs war E. wichtig; er hat sie gründlich erforscht und meisterlich gehandhabt. Die Eleganz seiner Briefe war es, wie Beatus Rhenanus berichtet (Op. epist., Bd. 1, S. 57), durch die sich bereits der junge E. empfahl, in die Dienste de Bischofs von Cambrai treten und so das Klosterleben verlassen konnte. Seine Korrespondenz war bis in die späten 1490er Jahre freilich noch geringeren Umfangs. Aus seinen ersten 30 Lebensjahren sind nur etwa 70 Briefe bekannt. Im Herbst 1499, damals in England, mußte er sich noch nach geeigneten, den bonae litterae zugeneigten Briefpartnern umsehen (an More, Op. epist., Nr. 114). Mit steigendem Ruhm aber wuchs auch seine Korrespondenz, bis zu Überfülle. Sie wurde eine tägliche Mühe, die ihm, wie er einmal versichert, die Hälfte seiner Zeit raubte (Nr. 1985). Er nahm die bisweilen erdrückende Last indes zwar nicht klaglos, doch in ge-
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wohnter strenger Arbeitsdisziplin entschieden und mit freundlicher Geduld auf sich, konnte freilich bei weitem nicht alle Briefe, die ihn schließlich aus ganz Europa erreichten, auch beantworten (vgl. Nr. 873, 944, 948 u. a.). Zu unterscheiden sind das Briefwerk, wie es heute gesammelt und ediert vorliegt, und die seit 1515 von E. selber oder mit seinem Einverständnis sukzessiv publizierte Korrespondenz (gut 1200 Stücke), zu unterscheiden nicht nur nach dem Volumen. E. war nicht der erste Humanist, der aus seinem Briefwechsel veröffentlichte; desgleichen hatten schon Marsiglio Ficino, Gianfrancesco Pico della Mirandola, Robert Gaguin und andere getan. Aber Stetigkeit und dichte Folge der eigenen Briefausgaben (vgl. Halkin, 1983), nicht weniger als zehn (einschl. des Briefanhangs in ‘De praeparatione ad mortem’, 1534) über 20 Jahr hin, kennt man nur von E. Die erste, kleinste Sammlung von 1515, noch unselbständig als Anhang in einem Sammeldruck für Leo X. erschienen, diente mit den Briefen an den Papst und zwei Kardinäle (Nr. 333⫺335) wohl nur dem Zweck einer Empfehlung in Rom. 1516 folgte eine selbständige, ebenfalls noch kleine, aber repräsentable Sammlung mit elf Briefen von ausgesuchten viri illustres (Leo X., Eb. William Warham von Canterbury, John Colet, Bude´, J Pirckheimer, J Zasius u. a.) an E., sieben an diese von E. und zwei anderen. Um den Kreis seiner Leser zu erweitern ⫺ so ausdrücklich an More (Nr. 543) ⫺, brachte er ein halbes Jahr später 35 Briefe heraus, epistolae elegantes, und mit diesem Etikett sprach er erstmals ein an eigener epistolographischer Übung interessiertes Publikum an. Auch das ‘Auctarium’ von 1518 gab dem Leser ausdrücklich Briefe von eruditi an die Hand. Die ‘Farrago’ von 1519 eröffnete mit 333 Briefen die Reihe der großen Sammlungen, die sich nicht mehr auf eine Auslese von Briefen eines eng begrenzten Zeitraums, der jüngsten Vergangenheit, beschränken, sondern aus der gesamten Korrespondenz vom Ende der 1480er Jahre an genommen sind und dabei hauptsächlich E.’ eigene Briefe enthalten, oft in bewußt autobiogra-
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phischer Absicht. Auch die großen übergreifenden Sammlungen zeigen, jede ihrem Zeitpunkt gemäß, ein eigenes Profil. So ist die mit 1025 Briefen umfangreichste, das ‘Opus epistolarum’ von 1529, durch die neuen 354 Stücke seit 1521 geprägt, und in ihnen dominieren das Leiden an der Spaltung der Christenheit, Themen und Vorfälle des religiösen Streits, die persönlichen Auseinandersetzungen mit der konservativen Theologie, Unbehagen am Fortgang der Reformation, und es greifen zunehmend Enttäuschung, Resignation, Pessimismus des zwischen den Parteien isolierten und von beiden angefeindeten Mannes um sich. In die einzelnen Sammlungen, die E. zum Druck gab, nahm er häufig schon zuvor veröffentlichte Briefe auf und kombinierte sie mit neuen. Eine chronologische oder anderweit systematische Ordnung hat er dabei nie verfolgt, und sie ist auch mit der Einteilung des ‘Opus epistolarum’ in 24 Bücher nicht gegeben (ausdrücklich dazu E.’ Vorrede zum ‘Op. epist.’, Nr. 2203). Seine Sammlungen beruhen jedoch auf durchaus planvoller Auswahl. Es entsprach seinem Begriff des Briefs, daß er in Briefform gefaßte Abhandlungen nicht aufnahm, denn Briefe sollten wie Gespräche der Lebenswirklichkeit angehören und dementsprechend Situation, Verfassung, Stimmung des Schreibers nicht verleugnen und auch die Person des Adressaten beachten (ausführlich dazu E.’ Brief an Beatus Rhenanus zu den ‘Epistolae ad diversos’, Nr. 1206). Kriterien, nach denen E. Briefe zur Publikation bestimmte oder zurückhielt, lassen sich am besten im Vergleich mit einem erhaltenen Kopialbuch beobachten, das seine Amanuenses vom Sommer 1517 bis zum April 1518 für den Briefwechsel mit Privatpersonen geführt haben. Zumeist nicht zum Druck kamen Briefe, die Bitten um materielle Hilfe ⫺ solche hatte E. damals noch nötig ⫺ enthielten oder von finanziellen Transaktionen oder Verlegerproblemen handelten. Was er zum Druck gab, entbehrte manchmal der Indiskretionen des Originals. Ohne Diskretion indessen breitete er vor aller Welt seine Gesundheitsprobleme aus. Ob er bei der For-
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mulierung seiner Briefe bereits mit einem weiteren Lesepublikum rechnete, steht Fall für Fall zur Frage. In seinen letzten Jahren hat er weit mehr Briefe geschrieben als publiziert. Skeptisch meinte er kurz vor seinem Tod, man tue wohl besser daran, seine Briefe nicht zu Lebzeiten zu veröffentlichen. E.’ Briefwerk ist die wichtigste, die unvergleichlich reiche Quelle für die Kenntnis seiner äußeren und inneren Lebensgeschichte, und darunter sind umfängliche autobiographische Schreiben, welche wie die Briefe Nr. 94 und bes. Nr. 447 über seine bittere frühe Lebensgeschichte berichten, von der man sonst nur wenig wüßte, oder welche wie Nr. 867 mit ausgedehnten genrehaften Schilderungen von wechselvollen und begegnungsreichen Reisen und anderen Begebenheiten unterhalten. Die Briefe, die meist sehr um Interessen und Belange der eigenen Person kreisen, sind so auch immer wieder Briefe des Schriftstellers E., reflektieren alles, was ihn in seinen Schriften bewegte und gehen auf den Applaus und die kritische, oft mißbilligende Resonanz ein, die sie fanden. E. korrespondierte mit den Mächtigen der Zeit, mit Päpsten, Kardinälen, Bischöfen, mit dem Kaiser, dem englischen und dem französischen König, vor allem mit zahllosen Gelehrten von Spanien bis Polen; doch verschloß er sich keineswegs geringeren Adressen. Im Medium seiner einzigartig weitreichenden Korrespondenz kommt der zentrale europäische Rang des E. glänzend zum Vorschein. Nicht zuletzt ragen seine eigenen Briefe im Gesamtbereich der lat. Literatur als Vorbilder der Briefprosa heraus. Drucke. Chronologisches Verzeichnis der bis 1536 gedruckten Briefe bei Halkin, 1983, S. 211⫺ 224. Ausgaben. P. S. Allen u. a., Opus epistolarum Des. Erasmi Roterodami denuo recognitum et auctum, 12 Bde., Oxford 1906⫺1958 (⫽ Op. epist.). Verzeichnis der gedruckten Ausgaben der Briefe bei F. M. Nichols, The Epistles of Erasmus from his Earliest Letters to his Fifty-first Year, London 1901, S. xxvi⫺lvii. Übersetzungen. Dt. (in Auswahl): W. Kˆhler, E. v. R., Briefe, 3., erweiterte Aufl. v. A. Flitner, 1986. ⫺ Engl.: Nr. 842⫺992: R. A. B. My-
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nors / D. F. S. Thomson, komm. v. P. G. Bietenholz, CWE, Bd. 6, 1982; Nr. 993⫺1121 u. 1122⫺ 1251: R. A. B. Mynors, komm.v. P. G. Bietenholz, CWE, Bd. 7 u. 8, 1987 u. 1988; Nr. 1252⫺ 1355: R. A. B. Mynors, komm. v. J. M. Estes, CWE, Bd. 9, 1989; Nr. 1356⫺1534: R. A. B. Mynors / A. Dalzell, komm. v. J. M. Estes, CWE,
Bd. 10, 1992; Nr. 1535⫺1657 u. 1658⫺1801: A. Dalzell, komm. v. Ch. G. Nauert jr., CWE, Bd. 11 u. 12, 1994 u. 2003. ⫺ Frz.: A. Gerlo u. a., La correspondance d’E´rasme, 12 Bde., Brüssel 1967⫺1984. Literatur. J. W. Binns, The Letters of E., in: T. A. Dorey (Hg.), Erasmus, London 1970, S. 55⫺ 79; J. Beumer, Der Briefwechsel zwischen E. u. Joh. Lang, in: Scrinium Erasmianum, Bd. 2, S. 315⫺324; P. G. Bietenholz, E. and the German Public 1518⫺1520. The Question of the Authorized and Unauthorized Circulation of His Correspondence, Sixteenth Century Journal 8 (1977) 61⫺78; Y. Charlier, E´rasme et l’amitie´ d’apre`s sa correspondance, Paris 1977; Chomarat, Gramm. et rhe´t., Bd. 2, S. 1039⫺1052; E. Rummel, The Use of Greek in E.’ Letters, Human. Lov. 30 (1981) 55⫺92; A. Gerlo, E. v. R.: Sein Selbstproträt in seinen Briefen, in: F. J. Worstbrock (Hg.), Der Brief im Zeitalter d. Renaissance (DFG Kommission f. Humanismusforschung, Mitt. 9), 1983, S. 7⫺24; L.-E. Halkin, E. ex Erasmo: E´rasme e´diteur de sa correspondance, Aubel 1983; A. M. O’Donnell, Contemporary Women in the Letters of E., E. of R. Society Yearbook 9 (1989) 34⫺72; Chr. Be´ ne´ vent, E´rasme en sa correspondance: conqueˆte(s) et de´faite(s) du langage, in: T. van Houdt u. a. (Hgg.), Self-Presentation and Social Identification. The Rhetoric and Pragmatics of Letter Writing in Early Modern Times, Löwen 2002, S. 57⫺86; E. Rummel, Argumentis, non contumeliis: The Humanistic Model for Religious Debate and E.’ Apologetic Letters, ebd., S. 305⫺ 316.
F. J. Worstbrock
I II . Wir ku ng . 1. E. hatte weder Katheder noch Kanzel zur Verfügung, hat keine Schule, keine Gemeinschaft, keine Institution begründet, hatte viele Freunde, aber keine feste Gefolgschaft. Er wirkte und wurde eine europäische Größe als freier, auf sich gestellter Gelehrter und Schriftsteller. Er war der einzige Autor seiner Zeit, der nicht nur in der Phase seines höchsten Ansehens (ca. 1515⫺1525), sondern auch in den
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Jahren nach seinem Tode in der gesamten intellektuellen Welt und in jedem konfessionellen und politischen Lager gelesen wurde. Ein großer Teil seiner Schriften blieb ⫺ ungeachtet aller Verbote und Beschränkungen ⫺ in den meisten europäischen Ländern modo grosso bis ins 18. Jh. kontinuierlich präsent. Eine systematisch aufgebaute Lehre, eine fest umrissene Ideenwelt hat E. nicht hinterlassen, doch die Botschaft seines Werks, das in der Summe alles Einzelnen inneren Zusammenhang aller wesentlichen Aspekte und so eine erstaunliche Einheit aufweist, ist in den Grundzügen deutlich und eindringlich. Sie wurde gleichwohl wie schon von den Zeitgenossen, so auch in der Nachwelt verschieden verstanden und beantwortet (vgl. Augustijn, TRE 10, 1982, S. 12⫺ 14), verschieden gewendet und genutzt. Die E.-Rezeption, die in den Niederlanden immer schon besondere Aufmerksamkeit genoß und um die sich für Spanien Marcel Bataillon bereits 1937 umfassend bemüht hat, ist im Zuge des allgemeinen Aufschwungs der E.-Studien seit den späteren 1960er Jahren ebenfalls ⫺ nur die Arbeiten von Bruce Mansfield und Silvana Seidel Menchi zu nennen ⫺ ein gründlich ergriffenes Thema geworden und hat ertragreiche Untersuchungen erfahren. Gänzlich fehlt der Versuch einer integralen Untersuchung für Deutschland. Doch auch begrenzt auf einzelne Länder erweist sich das Thema vielfach als nahezu unerschöpflich. Unentbehrliche Grundlage wird die textgeschichtliche sowie die besitz- und gebrauchsgeschichtliche Analyse der Drucküberlieferung sein. Im folgenden seien für E.’ Wirkung, Rezeption und Bedeutung nur einige Hinweise gegeben. 2. E.’ Ruhm und Nachruhm dokumentieren Hunderte von Epitaphien und Epigrammen (LB I, ‘Epitaphiorum ac tumulorum libellus’), briefliche Nachrufe, Gedenkreden ⫺ bedeutsam die nahezu hagiographisch verehrende Rede des Wiener Bischofs Friedrich Nausea (Köln 1536. VD 16, N 199) ⫺, die Prosopographie (Giovio, Beza, Pantaleon u. a.) usf. Dem kontrastiert die beharrliche, nach E.’ Tod sich fortsetzende Gegnerschaft der orthodoxen
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Erasmus von Rotterdam
Theologie in Paris und Löwen, der Mönchsorden, der kirchlichen Hierarchie besonders in Italien und Spanien. 1543 veranlaßte der Mailänder Erzbischof die öffentliche Verbrennung von Bänden der Basler Gesamtausgabe von 1540. Nach mehreren ähnlichen Maßnahmen andernorts erwirkten auch auf dem Trienter Konzil die Gegner, die E. die Schuld an der Reformation zuschrieben, 1559 die vollständige Indizierung seiner Schriften durch Paul IV. Sie wurde zwar 1564 im Index Pius’ IV. revidiert und auf einen Teil der Schriften ⫺ darunter das ‘Moriae encomium’ und die ‘Colloquia familiaria’ ⫺ beschränkt, doch verlangt war daneben die Reinigung der bedingt erlaubten erasmischen Schriften von allen anfechtbaren Äußerungen; sie konnte zu völliger Verstümmelung der Texte führen. Das kirchliche Verdikt fand strikte Beachtung nur in Italien und Spanien. In den Niederlanden ordnete die spanische Regierung zwar eine noch verschärfte Durchführung der Trienter Konzilsbeschlüsse an, die auch den bekämpften E. betraf ⫺ so überzog der Antwerpener ‘Index expurgatorius’ von 1571 E.’ Gesamtwerk in einem ihm gewidmeten besonderen Teil mit zahllosen Streichungen ⫺, die spanischen Maßnahmen wirkten indes als Stimulans der niederländischen Freiheitsbewegung, in der der verfolgte E. nun auch ein politischer Name wurde. In Italien kam die Erasmus-Rezeption nach einer ersten Phase lebhafter Druckproduktion, und zwar überwiegend der neuartigen religiösen und theologischen Titel (1514 ff.), und einer zweiten, durch zahlreiche Übersetzungen bestimmten (1529 ff.) seit dem Pontifikat Pauls IV., soweit der Buchmarkt ein Urteil zuläßt, mehr als ein Jahrhundert nahezu zum Erliegen. Unter den Reformatoren haben Luther und andere ihn, der sich standhaft der Parteinahme entzog, verdammt, während Melanchthon zu ihm stand, seine Bedeutung für die reformatorische Bewegung und ebenso sein spracherzieherisches Werk zu würdigen wußte und auch Zwingli sich zu den von E. empfangenen Anregungen bekannte. E.’ Beurteilung blieb im Protestan-
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tismus gespalten. Nach dem Trienter Konzil setzten die konfessionell bestimmten Kontroversen auch über E. verschärft ein und rissen bis ins 18. Jh. nicht ab. Unbetroffen von Zensur und Kontroversen blieb die Autorität des E. für die Theologie und das religiöse Leben in England. Die anglikanische Kirche nahm auf dem Wege zu ihrer Gründung zentrale Gedanken erasmischer Reform auf. Die Paraphrasen zum NT waren in ihrer engl. Übersetzung schon unter Kg. Edward VI. (1547⫺1553) offizielles Lehrbuch der englischen Kirche geworden. 3. Weithin unbestritten war und blieb E. als der Meister der lat. Sprache und als Vorbild humanistisch-literarischer Erudition, und entsprechend nachhaltigen Einfluß hatte er auch auf die pädagogische Literatur, nicht zuletzt in England, wo seit Colets Gründung der Londoner Schule bei St. Paul sein Name mit der humanistischen Schulreform verbunden war. Selbst in den späteren Jesuitenkollegs gehörten ‘De duplici copia’ und ‘De conscribendis epistolis’ zum festen Bestand der Unterrichtswerke. Deutsche und französische humanistische Geschichtsschreiber des 16. Jh.s rückten E. in den historischen Rang eines Vollenders der ‘Wiedergeburt’ der Litterae. Aber nicht nur im Epochenkonzept der ‘Renascentia’ der Künste und Wissenschaften, auch in seiner Erweiterung um die ‘Wiedergeburt’ des ursprünglichen Christentums, der man bei protestantischen Autoren (Konrad Gesner, Gerhardus Johannes Vossius u. a.) begegnet, erhielt E. einen prominenten Platz. 4. Große historische Tragweite war E.’ mit der Erneuerung der Theologie beschieden, die zur biblischen Quelle zurückzuführen und an die Theologie der Kirchenväter anzuschließen er trachtete. Mit der Anwendung der rekonstruierenden philologischen Kritik, wie sie die Humanisten beim Studium antiker Texte übten, auf den Bibeltext war der Anspruch eines methodischen Neubeginns der Exegese, einer undogmatischen Exegese, erhoben, und diese bedeutete einen Bruch nicht nur mit der mal. exegetischen Tradition, sondern als geforderte Fundierung der Theologie einen
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Euticus, Henricus
Bruch vor allem mit der systematischen Theologie der Scholastik. Die Methode der am Text arbeitenden Exegese, wie sie sich in E.’ Ausgabe des NT, den zugehörigen Einleitungsschriften und den ‘Annotationes’ zeigt und auch den Paraphrasen der Psalmen und des NT zugrundeliegt, hat von Anfang an Aufsehen erregt, hier scharfe Ablehnung, dort entschiedene Zustimmung gefunden. E.’ Ausgabe des NT, nach dessen 2. Aufl. (1519) Luther im Sept. 1522 seine dt. Übersetzung herausbrachte, blieb für ihn trotz seiner späteren Kritik an E. Grundlage der reinen Lehre. Auch in der weiteren reformatorischen Bibelauslegung, bei Calvin und bei Theodor Be`ze, behielt E.’ NT-Edition ihre Autorität und waren seine Kommentare der wichtigste Diskussionspartner, und auch die katholische Exegese des NT entzog sich nicht den von E. gelegten neuen Grundlagen. 5. Schon Huizinga (Erasmus, dt. v. W. Kaegi, 1928, S. 203) hat die Art von E.’ Wirkung als “Unterströmung” zu charakterisieren versucht. Nach außen manifeste Bewegungen hat E. in der Tat nicht hervorgerufen, und Einflüsse, die exakt bestimmbar von ihm ausgingen, sind zwar mannigfach punktuell, in einiger Breite aber nicht häufig namhaft zu machen. Das gilt auch für den sog. Erasmianismus, der die von E. vertretene Gesinnung der Toleranz im Zusammenleben der Konfessionen meint oder auch das Streben nach Eintracht, nach Wiederherstellung der Einheit auf einem mittleren Weg. Als Beispiel für eine in diesem Sinne angelegte Politik gilt das kirchenpolitische Verhalten der Herzöge von Jülich-Kleve-Berg vom Ende der 1520er bis zum Ende der 1560er Jahre; es diente freilich primär der Abwehr politischer Gefahren, die eine religiöse Zersplitterung heraufbeschwören konnte, und es blieb im übrigen ohne Parallele. Auch das Wirken irenischer Theologen wie Georg Cassander und Georg Witzel, eigenständiger E.-Anhänger, oder des Pariser Theologen Claude d’Espence (1511⫺1571), eines E.-Verehrers, der um Vermittlung zwischen den
Konfessionen bemüht war, läßt sich als erasmianistisch bezeichnen. Literatur. S. o. Sp. 677⫺679.
F. J. Worstbrock
Erhardi, Johannes Pellificis J Honorius
Euticus (-tycus, -tychus, Geratwol, Grat-, Krat-), Henricus (Heinrich) Zu unterscheiden sind der Arzt Heinrich Euticus d. Ä. und sein gleichnamiger Sohn, der Jurist Heinrich Euticus d. J. Sie wurden in der älteren Forschung, u. a. von Aschbach, bisweilen miteinander identifiziert. Die griech.-lat. Version des Familiennamens Geratwol geht auf Konrad J Celtis zurück; die spezielle Form Euticus (statt Euticius) wählte E. selbst (s. Celtis-Br., S. 48). Er verwendete sie nicht vor 1492. I. E. d. Ä. aus Neustadt a. d. Aisch studierte in Padua und danach in Ferrara Medizin und wurde dort am 15. Dez. 1475 zum Dr. med. promoviert. Über seine familiäre Herkunft und seinen Werdegang bis zum Studium in Italien ist nichts bekannt, und auch sein weiterer Lebensweg ist nur punktuell greifbar. Im SS 1476 immatrikulierte er sich an der Univ. Erfurt als doctor medicine; gleichzeitig beantragte er bei der artistischen Fakultät eine Lehrerlaubnis in arte oratoria ⫺ offensichtlich ein humanistisches Angebot ⫺, wurde jedoch abschlägig beschieden. Im SS 1480 ist er in Wien als arcium et medicine doctor universitatis Ferrariensis immatrikuliert, kam aber wie in Erfurt auch dort nicht zu einem festen Lehramt. Etwa 1485 ließ er sich in Nürnberg als Arzt nieder (Stauber, S. 87). Später war er kürzere Zeit als Arzt in Augsburg tätig und danach, seit dem 20. März 1494 bis 1501, als Stadtarzt in Frankfurt a. M. (Kallmorgen). Er starb dort 1507. Bedeutsam für ihn war die spätestens seit 1491 bestehende Freundschaft mit Konrad J Celtis, den er, der Ältere, seinen praeceptor nannte und sich als Zensor seiner eigenen literarischen Versuche erbat. Umgekehrt war er Celtis zu Diensten, als er
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Euticus, Henricus
1492 bei Erh. Ratdolt in Augsburg den Druck von Celtis’ Ingolstädter Rede und der ‘Panegyris’ besorgte; er versah ihn mit einem Preisepigramm (Titelbl.v, 21 Hendecasyllabi) zum Ruhme des Poeta laureatus, das dieser später der Sammlung seiner eigenen Epigramme einreihte (K. Hartfelder [Hg.], Fünf Bücher Epigramme v. K. Celtis, 1881, S. 115). Celtis wiederum richtete um 1495 an E. die Ode III 16 mit der beschwörenden Bitte, der erkrankten Geliebten (Ursula) Heilung zu verschaffen. II. Unter dem 9. April 1492 schrieb E. an Celtis, er bereite ein scommaton [!] in curialium mores, einen Zyklus satirisch porträtierender Carmina mit Illustrationen, zur Veröffentlichung vor, und teilte ihm zugleich zwei Proben mit, zum einen das Eingangsgedicht, Rede eines jungen Königs, der, um die ererbte Herrschaft zu bewahren, statt auf Fortsetzung der väterlichen Praxis auf Erneuerung und Aufbruch und auf die Fähigkeiten der jungen Höflinge setzt, zum andern das Schlußgedicht, Rede eines greisen Königs, der mit einer Klage über den Verlust der guten alten Sitten resignierend abtritt (Celtis-Br., Nr. 27); die beiden Gedichte sollten eine Serie Selbstdarstellungen von 24 iuvenes scommatici rahmen, die Celtis in roherer Gestalt schon früher habe zu Gesicht bekommen können. Demnach lag bereits eine ältere Fassung vor. Diese wird keine andere sein als der Libellus facetus. gestas res viginti quattuor | Parasitum iocundissime pertractans, den Petrus D Popon damals zum Druck brachte ([Leipzig: Martin Landsberg, 1492]. Hain 12396). Dieser ‘Libellus facetus’, den E. dem renommierten Juristen und gelehrten Rat Peter Knorr, von 1454 bis zu seinem Tode 1478 zugleich Propst von St. Lorenz in Nürnberg, schon vor langen Jahren zugeeignet hatte, enthält in der Tat eine Revue von 24 Höflingstypen, die ihre verschiedenen ‘Künste’ (artes) vorführen: allerlei Spielarten von Trug und Opportunismus, Aufschneiderei und Narretei. Das scommaton, das E. in seinem Brief an Celtis ankündigte, sollte demnach eine um das Eingangs- und das Schlußgedicht vermehrte und im übrigen überarbeitete Neufassung sein, die indes nicht zum
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Druck kam. Die Parade der unguten Parasiten sprach der Aufbruchsverheißung des jungen Königs Hohn und bestätigte den Pessimismus des alten. Der Parasiten-Zyklus hatte, wie E. in der Zueignung an Peter Knorr erklärt, einen entsprechenden bildlichen Zyklus zur Vorlage. Dieser aber scheint, wie noch die Überschriften der 24 Stücke erkennen lassen, als Illustration von Sprichwörtern entstanden zu sein.
J Trithemius (Cat., S. 173, u. Script. eccl., S. 392) kannte von E. d. Ä. neben den Scommata seu urbanos et lepidos iuvenum iocos, wie er sie nennt, eine Satyra in sophistas et dialecticos et humanitatis studii inimicos und ein Carmen In laudes beatae virginis, die beide nicht erhalten sind. E. hat weitere nicht mehr greifbare Carmina verfaßt; dies entnimmt man den Versen, mit denen J Buschius sich bei E. für Gedichte bedankt, die ihm der Sohn überbracht hatte (‘Epigrammaton liber III.’, 1504, Bl. [E4]r). III. Der jüngere E. immatrikulierte sich am 17. Nov. 1492 in Ingolstadt (Heinricus Geratwol ex Nurnberga). Er studierte bei Celtis, knüpfte an die freundschaftlichen Beziehungen, die der Vater zu Celtis unterhielt, an (vgl. seine beiden Briefe von 1496 im Celtis-Br., Nr. 121 u. 124, in denen er sich nach dem Vater Euticus nennt) und folgte ihm im WS 1499 nach Wien. Wie der Vater hatte auch er Verbindungen zu Buschius (‘Epigrammaton liber III.’, 1504, Bl. E iijr⫺v: Ad Euticum iuniorem, 14 Dist.). In Drucken von dessen marianischem Rosarium (‘Hecatostichon triplex de beata Maria virgine’, zuerst Köln, um 1499. GW 5800) ist er mit einem Dank an den Dichter Buschius für seine “unvergänglichen Rosen” (Bl. [C4]v f.; 11 Dist.) vertreten. Wohl der jüngere E. findet sich als letzter unter den zwölf Mitgliedern der Sodalitas litteraria Danubiana, deren Namen Johannes J Cuspinianus auf einer in seinem Hause angebrachten Inschrifttafel verewigte. Vielleicht ist auch dem jüngeren E. ein Gedicht des henricus Euticus an den ksl. Rat Johann Fuchsmagen zuzuweisen (Zingerle, Carm., S. 121 f.). In Wien studierte E. die Rechte und erwarb den Grad
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Euticus, Henricus
eines Licentiatus legum. Seit etwa 1503/04 lebte er in Bamberg, tätig in bischöflichen Diensten, urkundlich bezeugt 1507. Zur Inthronisation B. Georgs II. Marschall von Ebnet am 29. Sept. 1504 hielt er die Festrede, eine stilistisch und mit ihrer Anziehung antiker Autoren und Exempla um humanistische Signatur bemühte, inhaltlich aber gänzlich unauffällige Ansprache; sie geht auf die Person des Bischofs nur mit üblicher Eloge ein, verbreitet sich ein wenig über die Tugenden eines idealen geistlichen Fürsten und kommt erst am Schluß kurz zum vorangestellten Thema Ecce constitui te super gentes et regna [...] (Ier 1,10). Dem Druck der Rede fügte er zwei eigene Carmina bei, eine Oracio ad deum patrem (45 Hex.) und ein Mariengebet (12 Hex.). Er widmete ihn dem Bamberger Domherrn Friedrich von Redwitz, seinem Förderer, dem er auch den Auftrag der Festrede zu verdanken hatte.
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Druck. Ohne Titel. Bl. [2]r: Oracio Henrici Kratwols: Eutici | iunioris. ll. Lic. habita in consecra/|cione [...] domini | Georgy Episcopi Babenbergensis. [Bamberg: Joh. Pfeil, 1504]. VD 16, K 2281, verfehlte Zuweisung an den Straßburger Drucker Joh. Schott; vgl. F. Geldner, Die Buchdruckerkunst im alten Bamberg 1458/59 bis 1519, 1984, S. 73 u. 95, Nr. 73. Abschrift d. Druckes: Würzburg, UB, M.ch.q. 24, 47r-55v. Literatur. Aschbach, Wiener Univ. II, S. 435; B. Hartmann, Konrad Celtis in Nürnberg, MVGN 8 (1889) 1⫺68, hier S. 14 f.; Bauch, Erfurt, S. 109 f.; Bauch, Wien, S. 77; R. Stauber, Die Schedelsche Bibl., 1908 (ND Nieuwkoop 1969), S. 87; W. Kallmorgen, Siebenhundert Jahre Heilkunst in Frankfurt a. M., 1936, S. 275; H. Ankwicz-Kleehoven, Der Wiener Humanist Joh. Cuspinian, 1959, S. 90 f.; J. Kist, Die Matrikel d. Geistlichkeit d. Bistums Bamberg 1400⫺1556, 1965, S. 143, Nr 2129; Kleineidam, Erfurt 2II, S. 53.
F. J. Worstbrock
F Fagilucus J Buchwald, Sigismund Fais, Hieronymus J Vehus, Hieronymus Fischer (Vischer; Piscator, Hamifer), Heinrich (Hinricus), aus Northeim (Northemensis, Aquilonipolensis) I . L eb en . Die durch häufige Ortswechsel geprägte Biographie F.s ist nur in wenigen exakten Daten greifbar. Auch die Matrikeln der Universitäten, an denen er sich aufgehalten hat, weisen ihn in der Mehrheit nicht nach. Das wichtigste biographische Dokument ist F.s poetisches Testament, das er 1503 in Rom während einer Krankheit verfaßte (s. u. II.C.3.). Biographische Anhaltspunkte bieten auch die Druckorte von F.s Dichtwerken; es sind bis 1505 einmal Leipzig, sonst ausschließlich Erfurt und Wittenberg. Mitteilungen über den alternden F. bringen allein einige Gedichte seines Leipziger Freundes Henning Pyrgallius (Feuerhane). Vgl. Henningi Pyr⫽|gallij Hyldesiani | Lusus [...]. Leipzig: Val. Schumann, 17. Dez. 1515. VD 16, F 882. Bl. D iijv: Ad Henricum Hamiferum [...] vatem laureatum [...]. – In obi|tum Petri Mosellani Pro⫽|tegensis Viri [...] Henningi Pyrgallij Ascalingensis | Planctus [...]. Leipzig: Nik. Faber, 1524. VD 16, F 881. Bl. [a7]r⫺[A8]r: Ad Henricum Hamiferum Aquilonipolensem [...]. F. probierte verschiedene Latinisierungen seines Namens: zuerst Piscator, dann die periphrastische Version Hamifer (später noch von Pyrgallius verwendet), mitunter auch Northemensis, bevorzugte aber auf Dauer die Herkunftsbezeichnung Aquilonipolensis.
Gebürtig aus Northeim, erhielt F. Schulausbildung in Göttingen (so nach seinem eigenen Epitaph, Bauch, S. 102). Danach nahm er im SS 1471 in Erfurt das Studium der Artes auf, wurde bereits 1472 Bakkalaureus, aber erst 1479 Magister. Von seiner Studienzeit datiert seine lange Freundschaft mit Heinrich J Boger. In Erfurt
lehrte er u. a. anhand der ‘Poetria nova’ Galfrids von Vinsauf praktische Stilistik (ars scribendi). In den 1480er Jahren verließ er Erfurt und ging, vermutlich als Lehrer, zunächst nach Lüneburg, später nach Meißen (Bauch, S. 103 f.). Vor 1489 hat er sich auch in Leipzig aufgehalten, das er in der ‘Dimetromachia’ als neue hospita vatum lobt, vielleicht auch um 1492, als er in Leipzig eine Ausgabe der horazischen ‘Ars poetica’ besorgte (s. u. II.A.2). Da er 1489, 1494, 1500 und noch 1503 in Erfurt drukken ließ, wird er in diesen Jahren vorwiegend hier seinen Wohnsitz gehabt haben. Er war damals verheiratet und hatte drei Kinder. 1503 unternahm er, da ihm von kirchlicher Seite eine Erbschaft streitig gemacht wurde, eine Reise nach Rom. In Bologna traf er seinen Freund Boger wieder. Zurückgekehrt nach Deutschland hielt er sich erneut in Leipzig auf und las dort an der Universität (so Pyrgallius am Ende des Druckes seines Nachrufs, s. u.). Doch wandte er sich bereits 1504 nach Wittenberg. Der Poeta und didaktische Schriftsteller F. hatte auch hier nur kurze fruchtbare Jahre. Wohl noch vor 1507 ist er in Hildesheim zu finden. Auch die weiteren Jahre scheint er in Hildesheim verbracht zu haben, suchte aber, wie seine historischen Gedichte zeigen, auch in Lübeck, das er nach Ausweis seiner Stadtbeschreibung (s. u. II.D.2.) genau kannte, und in Hamburg Verbindungen aufzubauen. 1515 ermunterte ihn Pyrgallius, selber Hildesheimer, in einem Epigramm (Bauch, S. 188), seine jüngst abgeschlossene metrische ‘Vita Christi’ zu veröffentlichen; sie erschien aber nicht und ist verschollen. In späten Jahren hat F., wie man Pyrgallius’ Ode auf F. von 1524 (s. o.) entnimmt, noch die Weihen genommen. Er starb am 15. Juni 1527 in Hildesheim und wurde hier
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Fischer, Heinrich
bestattet. Pyrgallius schrieb ihm einen Nachruf (32 Dist.) und ein Epitaph in: In lugu⫽|bres trium amico⫽|rum occubitus [...] Henningi Pyrgallij Ascalingi|qrhnow . Leipzig: Nik. Faber, 31. Dez. 1527. VD 16, F 880. Bl. [A6]v⫺[A7]r. I I. We rk . Von F., der sich zeitlebens als Dichter verstand, sind nur Verswerke überkommen, außer dem ‘Dimetromachia’-Kommentar keine Prosa. Als Dichter kam er freilich aus der spätmal. Schule und blieb in deren Horizont befangen. Der vorbildliche Lehrer des Stils, den er in jungen Jahren in Erfurt pries, war kein antiker, sondern Galfrid von Vinsauf, der Autor der ‘Poetria nova’ (s. u. II.A.1.). Dichtersprache war für ihn ein Idiom, das mit möglichst fremdem, gern griech., halb- und ps.griech. Vokabular hantiert (vgl. den ‘Grecismus’ Eberhards von Be´thune und den ‘Cornutus’ des D Johannes de Garlandia) und künstlich kryptische Umschreibung und Verbrämung zur Methode macht. Aus Italien hat er nichts mitgebracht, den ästhetischen Appell antiker Dichter nicht vernommen, nichts – schon im metrischen Handwerk – von humanistischer Disziplin verspürt. Er genoß Anerkennung und Freundschaft bei seinesgleichen, im Erfurter Kreis um Heinrich Boger und noch bei Henning Pyrgallius, in Leipzig gewiß nicht nur bei ihm, und er gehörte sogar zur großen Schar der von Maximilian gekrönten Poetae laureati. Die humanistische Elite seiner Zeit hat ihn jedoch ignoriert, und nicht von ungefähr hat er an keiner Universität, an der er auftrat, reüssieren können und ein Amt erhalten. Er war keine Figur des Übergangs, wie Ellinger meint, sondern eine der Kontaktlosigkeit zur humanistischen Moderne, ist als solche für die Beurteilung der diskrepant gemischten literarischen Lage der Zeit aber durchaus aufschlußreich. Das überschwengliche Lob, das der Wolfenbütteler Anonymus dem Literaten F. spendete (“tullianae eloquentiae vehemens aemulator”), hat schon Meibom d. J. (s. II.D.1., S. 598) als gänzlich unangebracht verworfen. J Trithemius kannte von F. nur die ‘Dimetromachia’, von dieser aber wohl kaum mehr als den Titel.
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F.s erwähltes Metier war bis in seine Wittenberger Jahre eine tendenziell enzyklopäische und zugleich christlich-moralistisch engagierte Schuldichtung. Erst in späten Jahren entdeckte er für sich die Species des historischen Gedichts. In allem war er kein Mann der poetischen Konzeption, er metrifizierte. Offensichtlich in Anlehnung an die Selbstbestimmung des Matthäus von Vendoˆme im Prolog des ‘Tobias’ fixierte er zu Beginn des ‘Catalogus Platonicus’ (s. II.B.3.) seine Autorposition: Was Plato verkündet, Marsilius [sc. Ficinus] transfert, Translata aquipolensis Metrificat [...]. Auffällig ist in allen Poemen F.s die kleinteilige, in kurzen Abschnitten prozedierende Komposition. Viel hielt er sich zugute auf seine Fertigkeit in der Abfassung von Versus cancellati (paarweise binnen- und endreimende Hexameter). F.s Oeuvre ist umfangreicher als bisher bekannt, doch der Bestand seiner Überlieferung inzwischen in bedrohlichem Maße angegriffen. Einiges, das ungedruckt blieb, ging unter, aber auch von einzelnen Drukken sind schon seit langem Exemplare nicht mehr auffindbar, nur noch durch Werke der älteren Gelehrtengeschichte belegt oder durch Bauch, Erfurt, als letzten Zeugen. A . K le in er e C ar mi na . 1. Der Cod. 58.6 Aug. 2° der HAB Wolfenbüttel enthält in einer Gedichtsammlung aus dem Besitze Dietrich Blocks (Bl. 50r⫺108v) eine Auswahl vermischter Carmina von und an F. aus den 1470er Jahren, F.s erster Erfurter Zeit. Es sind Freundschaftsgedichte (64ra zwei Carmina an Dietrich Block, 63vb⫺64ra eines an den Hildesheimer Canonicus Henning Bringmann, 57vb eines von Tilman D Rasche Telomonius an F.), ein spielerischer Gedichtwechsel mit Boger, der sich an die von F. so geschätzten Versus cancellati knüpft (51vb⫺52ra u. 52va), eine metrische Ankündigung einer Übung über Galfrids ‘Poetria nova’ mit vier weiteren sie anpreisenden Carmina (64ra⫺b). 2. Carmina zu einer Ausgabe hat F. nur zweimal beigetragen, zum einen zu seiner Ausgabe von Horacy flacci venusini. poe|
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Fischer, Heinrich
te censory poetica ad pisones, [Leipzig: Martin Landsberg, um 1492], Titelbl.v: Magister hinricus Northemensis ad horacium, Bl. [B8]r: Ad lectorem Horacianum. M. H. N. (Nachträge z. Hains Repertorium bibliographicum u. seinen Fortsetzungen [...] hg. v. d. Kommission f. d. GW, 1910, S. 33, Nr. 161); zum andern neben Versen Nikolaus J Marschalks und Maternus J Pistorius’ ein Titelepigramm (5 Dist.) zum Druck von Martianus Capella, ‘De nuptiis Philologiae et Mercurii’, Buch III (‘De grammatica’), Erfurt: Wolfg. Schenck, 1500, Hain 4372. B . D id ak ti sc he Ge di ch te de r E rf ur te r J ah re . 1. ‘Dimetromachia’. F.s erstes gedrucktes Dichtwerk besteht aus einer Serie von Tetrasticha (2 Dist.), in deren Kernbestand die beiden Distichen jeweils eine Tugend empfehlen, rückwärts gelesen aber ihr entsprechendes Gegenteil. Die Namen der Tugenden sind im Druck jeweils auf den linken Rand neben die Tetrasticha gesetzt, die Namen der Laster auf den rechten: Fortitudo – Timiditas, Pericia – Impericia usf.). In der von rückwärts vollzogenen Lesart bleibt das Metrum erhalten, so aber, daß der 4. Vers ausgreifend auf den Schluß des 3. und der 2. ausgreifend auf den Schluß des 1. zu Hexametern aufgefüllt werden und so der gekürzte 3. und 1. Vers nur mehr Pentameter bilden. Das Spiel mit der retrograden, semantisch und metrisch verkehrenden Lesart (von Bauch, S. 172, nicht verstanden), das F. als dimetromachia bezeichnet, entstammt der mal. Schule; vgl. Eberhard der Deutsche, ‘Laborinthus’, v. 771⫺774, und ‘De metrico dictamine’, in: Ch. Fierville (Hg.), Une grammaire latine ine´dite du XIIIe sie`cle, Paris 1886, S. 4 (‘retrograda metra in dictionibus’). Das im Erstdruck 98 Tetrasticha umfassende Gedicht – hinzu kommen vorn ein Tetrastichon Ad libellum und drei Distichen Ad lectorem sowie ein Schlußgebet (24 gereimte Hex., Versus cancellati) – beschränkt sich nicht auf eine Tugendlehre. Es begegnen auch einige poetologische und autobiographische Stücke. Vor allem aber
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wechselte F. nach dem 48. Tetrastichon zu anderen Sujets, vornehmlich zu zyklischen Gruppen des trivialen Schulwissens (5 Sinne, 7 Artes, 9 Musen, 7 Hauptsünden). Die vor 1494 erschienene 2. Aufl. erweiterte F. um nicht weniger als 50 Tetrasticha und gab ihr vor allem für nahezu jedes Tetrastichon einen Kommentar bei, der insbesondere der Erläuterung der das gesamte Gedicht beherrschenden mythologischen Anspielungen und Exempla gilt. Unter den zitierten Quellen stehen neben zahlreichen antiken Dichtern Boccaccio (‘Genealogia deorum gentilium’) und D Eberhard d. Deutsche. Die kommentierte Ausgabe erhielt als Schlußstück eine panegyrische Widmung an Kf. Friedrich d. Weisen. Drucke. 1. (Ohne Titel) Bl. 1v: Preter precipuas alias quas ex hac dimetromachia lector consequetur | comoditates [...]. Erfurt: [Drucker d. Bollanus, 14]89. GW 9984. – 2. Dimetromachia de virtutum | et viciorum conflictu Magistri | Hinrici Northemensis. [Leipzig: Martin Landsberg, vor 1494]. GW 9985.
2. ‘Cithara sophialis’. Das enzyklopädische Gedicht (366 Dist.) versammelt, geteilt in drei Bücher mit insgesamt 37 thematisch bestimmten Einzelgedichten, Grundwissen der christlichen Schule. Die Vielfalt der Themen, die meist spruchartig knapp behandelt sind, findet in den drei Büchern keine planvolle Ordnung, doch hat ein jedes seine prägenden Schwerpunkte. Im 1. Buch: Schöpfung, Sündenfall, Weltzeitalter, biblische Geschichte in ausgewählten Exempla von der Genesis bis zu den Königsbüchern; im 2.: Jahreszeiten, Astronomisches, Artes liberales, die Musen, Dichterkataloge und Plädoyer für die Dichtung; im 3.: Dekalog, christliche Lehre und Lebensführung. Viel Raum nehmen im 2. Buch die Dichterkataloge ein, Verzeichnisse antiker lat. Dichter und Schriftsteller, christlich-mal.er und einer Anzahl zeitgenössischer moderni (J Celtis, J Locher, J Wimpfeling, J Mutian, J Trithemius u. a.) sowie – unter der Überschrift Quod poete non sunt ab vrbibus iussu platonis pellendi – eine vierte Serie mit Erfurter und Leipziger Autoren (u. a. J Barinus, Andreas J Probst), deren
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Fischer, Heinrich
oft künstlich umschriebene Namen freilich nur teilweise erkennbar sind (Auszug bei Bauch, S. 176⫺178). Druck. Argumentum | Qualiter A fit ad O ductum. Que maxima mundi [...]. Erfurt: Wolfg. Schenck, 1500. GW 9983. Inhaltsbeschreibung u. Abdruck d. Dichterkataloge bei Freytag, Adparatus, 1753, S. 959⫺962.
3. ‘Catalogus Platonicus’. Das Gedicht sucht in seinen sieben Teilen im Gefolge Ficinos die Konkordanz wesentlicher platonischer und christlicher Anschauungen darzutun. Statt F., der sich in der Widmung an Johann Doring aus Lüneburg als Verfasser nennt, wird es bei von Hase und im VD 16 irrig dem Johannes Jocarius zugeschrieben, der nur das Titelepigramm beitrug. Druck. Cathalogus Platonicus | Ioannis Iocarii Antropolensis [...]. Erfurt: Wolfg. Schenck, [um 1505?]. VD 16, J 304, verweist auf M. von Hase, Bibliographie d. Erfurter Drucke v. 1501⫺1530, 3 1968, S. 9, Nr. 69: “Kein Exemplar feststellbar”. Beschreibung nach Autopsie und mit kleinen Auszügen allein bei Freytag, Adparatus, 1752, S. 361⫺363.
C . Wit te nb er ge r G ed ic ht e. 1. ‘Sophologia’. Das der neuen Univ. Wittenberg zugedachte Gedicht versucht sich an einer Präsentation der sieben Artes liberales mit ihren von F. ausgewählten Vertretern, danach, mit verschiedenen Gattungen, der Dichtung – hier nennt er J Brants ‘Narrenschiff’ und Johanns von J Kitscher ‘Tragicomedia’ – und schließlich der Philosophie und der höheren Disziplinen Medizin, Jurisprudenz, Theologie. F. schreibt sich bei der Besprechung der Grammatica das Verdienst zu, als erster in Wittenberg das ‘Doctrinale’ des D Alexander von Villa Dei zugunsten von Marschalks und Perottis Grammatiken vertrieben zu haben. Im Epilog feiert er die Erfindung des Buchdrucks, die er mit dem Namen des Mainzers Peter Schöffer verbindet. Drucke. 1. M. Henrici Aquilonipolensis poetae Sophologia de originibus arcium et quattuor facultatibus Achademiae Albiberospolitanae. Erfurt: Wolfgang Schenck, [um 1503]. VD 16, F 1174. Panzer, Ann. VI, 505, 72; von Hase (s. o.
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II.B.3.), S. 6, Nr. 45: “Kein Exemplar auffindbar”. – 2. Sophologia M. Henrici Aquiloni-|polensis Poetae de originibus arcium | et quattuor facultatibus Achademiae | Albiberospolitanae | [...]. [Wittenberg: Herm. Trebelius, 1505]. VD 16, F 1175. Das Berliner Ex. (Xc 7196) ist Kriegsverlust. Kein anderes Ex. nachweisbar.
2. ‘De vita et laudibus divi Aurelii Augustini’. F.s Vita Augustins, des Patrons der Univ. Wittenberg, ist ausweislich des Preisgedichts an den als Leuchte Wittenbergs gefeierten Petrus Ravennas (Bl. A ijr, 8 Dist.) während dessen Wittenberger Jahren (Frühjahr 1503 bis Juli 1506) entstanden. Quelle des in 43 kurze, meist unverbundene Abschnitte geteilten und 506 Hexameter umfassenden Poems ist, da auf Augustin als Ordensgründer und seine Regel deutlich Gewicht gelegt wird, vermutlich eine zeitgenössische Vita der Augustinereremiten. Druck. Carmen Magistri Hinrici Aq|uilonipolensis poetae de | vita et laudibus almi|fici et clarissimi pr|aesulis divi aure|lii Augustini [...]. [Wittenberg, um 1505]. Nicht im VD 16. Ex.: Göttingen, SUB, 8° Poet.lat.rec. II, 1166 Inc.
3. ‘Epitaphiale’. Kleine Sammlung von Epitaphien (meist 1 Distichon) auf fiktive Personen mit typischen Lastern, dazu drei ehrende Epitaphien auf verstorbene Zeitgenossen, F.s eigenes Epitaph (Bauch, S. 102) und sein ebenfalls metrisch gefaßtes Testament (Auszug bei Bauch, S. 105 Anm. 3). Druck. Epitaphiale Magistri Hinrici Aqui|lonipolensis Poetae una cum Testamento suo. [Wittenberg: Herm. Trebelius, 1505]. VD 16, F 1173. Ex.: Wittenberg, Lutherhalle, CGH 226.
4. ‘De arte metrica’. Die in 65 Distichen vorgetragene Verslehre beschreibt zunächst die Artikulationsweise der lat. Sprachlaute und die Gliederung ihres Inventars, traktiert dann einige Regeln der Silbenquantität, erklärt die Metrik von Hexameter und Pentameter und schließt mit Hinweisen für den Ornatus der Versrede (Wortstellung, Epitheton, Tropen u. a.). Ein bescheidener und durchaus vorhumanistischer Unterrichtstext, der ohne gründliche Explikation und Kommentierung schwerlich wirksam werden konnte.
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Fischer, Heinrich
Druck. Carmen de arte metrica Magistri | Henrici Aquilonipolensis P. | Hermannus Trebelius ad studiosos iu/|uenes in artem metricam M. H. A. (2 Dist.). [Wittenberg: Herm. Trebelius, 1505]. VD 16, F 1172.
D . H is to ri sc he Ge di ch te . Die drei historischen Gedichte F.s stehen in einem sachlich und wohl auch ihrer Entstehung nach engen Zusammenhang. Die Lübeckische Chronik (D.2.) ist jedoch nicht, wie Bauch, S. 186, meinte, der “zweite Teil” der ‘Adolpheis’ (D.1.). Das Erscheinungsjahr der ‘Adolpheis’ 1511 gibt einen Anhaltspunkt für die Entstehungszeit aller drei. Die Texte wurden von der historischen Forschung bisher völlig übersehen, und daher fehlt auch, angefangen bei den Quellen, jegliche Untersuchung. 1. ‘Adolpheis’. Gegenstand der ‘Adolpheis’ (116 Dist.) ist die Geschichte der Grafen Adolf von Schauenburg und Holstein im 12. und 13. Jh., beginnend mit Adolf I., den Lothar von Supplinburg 1110 mit der Grafschaft Holstein-Stormarn belehnte (Kap. 2). Hauptgestalt (Kap. 8⫺15) ist Adolf IV., dem nach dem Verlust Holsteins an Dänemark 1201 unter Adolf III. (Kap. 4⫺5) nach langen Kriegen 1229 vertraglich die Wiedergewinnung der nordelbischen Lande gelang (Kap. 11), der 1239 aber der Herrschaft entsagte, Franziskaner in Hamburg wurde (Kap. 13), sich 1244 nach einer Bußfahrt nach Rom zum Priester weihen ließ und 1261 im Marienkloster in Kiel starb. Der seit Adolf I. engen Verknüpfung der holsteinischen mit der hamburgischen Geschichte trug F. nur punktuell (Kap. 6⫺ 7, dänische Eroberung der Stadt 1210 und 1216) und durch eine dürre chronikalische Liste der Frühgeschichte Hamburgs von 810⫺1100 (Kap. 1) Rechnung. Hauptquelle des Gedichts wird das ‘Chronicon comitum de Schowenburg’ D Hermanns von Lerbeck gewesen sein. F. widmete es mit sieben sapph. Strophen Graf Johannes von Schauenburg (1510⫺1527). Drucke. Adolpheis decantata | per Hinricum Aquilonipolensem [...]. [Lübeck: Georg Richolff d.
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Ä., 1511]. VD 16, F 1171. Wiederabdruck bei H. Meibom (d. Ä., Hg.), Hermanni de Lerbeke [...] chronicon comitum Schawenburgensium [...], Frankfurt a. M. 1620, S. 155⫺165 (Adolpheis de historia generosorum nobiliumque comitum Theorosburgensium, vel alias vulgo Schomburgensium, ac Hamburgensis ciuitatis famosae), u. H. Meibom (d. J.), Rerum Germanicarum tomi III, Bd. 1, Helmstedt 1688, S. 599⫺604.
2. ‘De primordiis Lubicanae urbis Caesareae’. Der Titel des Gedichts trügt, denn es erzählt in zwei Büchern (135 u. 211 Dist.) lübeckische Geschichte von den Anfängen der Stadt (um 1073) bis um 1470. Mit dem 21. Kap. des 2. Buches bricht es offenbar unvollendet ab. Eine zusammenhängende Geschichte Lübecks bringt es nicht, vielmehr eine wiederum in kurzen Abschnitten darstellende chronistische Auswahl. Schwerpunkt des 1. Buches ist das Schicksal der Stadt in der Zeit Heinrichs d. Löwen. Bevor F. im 2. Buch den chronistischen Faden wiederaufnimmt, liefert er eine Beschreibung der Stadt mit ihren Straßen, Plätzen, Toren, Kirchen und Klöstern, skizziert ihre natürlichen geographischen Gegebenheiten und ihre Handelsbeziehungen (II 1⫺3). F. arbeitete anscheinend mit einem Ensemble mehrerer Quellen, nicht nach einer einzigen geschlossenen. Den Kap. I 1⫺4 u. 6 liegt deutlich D Helmolds ‘Slawenchronik’ (I 57, 76, 86, 90) zugrunde, die er auch nennt, den Kap. I 9⫺ 13 D Arnolds von Lübeck ‘Slawenchronik’ (IV 1⫺2). F. widmete das Gedicht dem Rat der Stadt. Im Schlußkapitel des 1. Buchs legt er sein Gedicht vier gelehrten Lübekker Doktoren zu wohlwollender Begutachtung vor. Drucke. In: H. Meibom (d. Ä., Hg.), Hermanni de Lerbeke [...] chronicon comitum Schawenburgensium [...], Frankfurt 1620, S. 166⫺190; H. Meibom (d. J.), Rerum Germanicarum tomi III, Bd. 1, Helmstedt 1688, S. 605⫺620. Vermutlich hat Meibom d. Ä. eine Hs. vorgelegen; doch gibt er keine Hinweise zur Vorlage seiner Ausgabe.
3. ‘Naumachia’. Meibom d. J. lag, wie er in der Vorrede zum Nachdruck der ‘Adolpheis’ (s. o. C.1., S. 598) berichtet, ein weiteres “Carmen
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Flemminck, Johannes
Elegiacum” F.s, betitelt “Naumachia”, vor. Es beschreibt die Seeschlacht, die an Laurentius (10. Aug.) 1211 die verbündeten Hansestädte dem dänischen König Johann II. bei Bornholm lieferten. Meibom bemerkt, es sei unkultiviert und abgeschmackt wie die übrigen, und verzichtete wohl aus diesem Grunde und wegen seines inhaltlich entfernteren Interesses auf eine Ausgabe. Für die ‘Naumachia’ kennt die Überlieferung sonst keinen Beleg. Ihr Text ist verschollen. Literatur. Trithemius, Script. eccl., S. 396; Wolfenbütteler Anonymus, S. 84 f.; F. G. Freytag, Analecta litteraria de libris rarioribus, Leipzig 1750, S. 439⫺441; ders., Adparatus litterarius, Bd. 1⫺2, Leipzig 1752⫺53, S. 361⫺363 u. 957⫺963; Knod, Bologna, S. 128, Nr. 900; Bauch, Erfurt, S. 101⫺105, 170⫺189 u. ö. (Reg.); Ellinger, Neulat. Lit., Bd. 1, S. 362; Grossmann, Wittenberg, S. 37, 90, 103 f.
F. J. Worstbrock
Flemminck (Flamingus, -engus, -inius), Johannes Magister und Priester, Verfasser kleinerer lat. Gedichte, vielleicht auch größerer Prosatexte. 1. L eb en . Johannes J Butzbach, Prior von Maria Laach, schrieb 1509 in seinem ‘Auctarium de scriptoribus ecclesiasticis’ einen längeren Abschnitt über F., nannte ihn darin annos natus circiter quadraginta und Boppard seine Vaterstadt. Letzteres gibt auch Eobanus J Hessus in seinem ‘Hodoeporicon’ an (Krause). Sein Lehrer in Deventer war Alexander D Hegius (Koppe, 1995, Faksimile). Ab 1502 ist F. als geistlicher Beistand der Franziskanerinnen der Dritten Regel bei St. Martin nahe Boppard bezeugt (Conrad), wo er bis zu seinem Tode blieb. 1507 druckte Joh. Adelphus J Muling die Elegia Heu quam deflendum F.s (s. u. 2.). Im Sept. 1518 lernte F. in Boppard J Erasmus kennen. Im Okt. 1518 besuchte Eobanus Hessus ihn auf dem Weg zu Erasmus in Löwen. F. starb am 24. Juli 1532 in Boppard und wurde in St. Martin
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beigesetzt. Auf der Grabplatte steht das von ihm selbst entworfene Epitaph Sit licet in cineres corpus mortale solutum (Rˆll, in: Rˆll/Koppe, Anhang I, Nr. 64). Pius Bodenheim († 1662) erwähnte in seiner Chronik von St. Martin die Gelehrsamkeit F.s, seine Verse an den Wänden der Kirche und im Kloster sowie in Büchern. Von Erasmus wurde F. im Okt. 1518 vir angelicae puritatis, iudicii sobrii sanique, doctrinae non vulgaris (Erasmus, Op. epist., Nr. 867, an Beatus J Rhenanus) sowie vir eruditus vereque Christiane puritatis (ebd., Nr. 879, an Christoph Eschenfelder) genannt. 2. G ed ic ht e. Überlieferung. F.s Gedichte sind mit wenigen Ausnahmen nur einmal überliefert. Nur weniges ist gedruckt. Zählung der Gedichte im folgenden nach Rˆll, in: Rˆll/Koppe, Anhang I. Korpusüberlieferung: Trier, StB, Ms. 804/814 8°, Bl. 88r⫺103r, 120v: 71 kleine lat. Gedichte und ein unbedeutender dt. Vierzeiler, geschrieben 1515 oder (wenig) später von Hupertus Coloniae OSB aus St. Matthias bei Trier, zu der Zeit im Kloster Marienberg bei Boppard. Auf eine geordnete Sammlung folgen weitere Gedichte F.s. Dazwischen stehen Gedichte von J Brant, J Wimpfeling und Erasmus sowie Anonyma. Gesamtverzeichnis bei Rˆll, in: Rˆll/Koppe. Streuüberlieferung: Rˆll, Nr. 3: Cambridge, UB, Hh.I.8., Bl. 57r⫺v, und Muling (Hg.), ‘Eneas Silvius, De prauis mulieribus [...]’, Straßburg: J. Grüninger, 1507; Rˆll, Nr. 72: Frankfurt a. M., StUB, Ms. Praed. 189, Bl. 1v (Tetrastichon); Rˆll, Nr. 73: Köln, Hist. Arch., Cod. W 352, Bl. 44v (Tetrastichon); Rˆll, Nr. 74: H. Crombach, S. Ursula vindicata, Köln 1647, S. 1097 (8 Dist.); Rˆll, Nr. 63: Brower/Masenius, Bd. 1, S. 476 (Epitaph); Rˆll, Nr. 64: Brower/Masenius, Bd. 2, S. 432 (F.s Epitaph für sich selbst und xaire pater, lat. Gedicht, nicht gleich Rˆll, Nr. 24) und Bodenheim, S. 395 (F.s Epitaph, andere Fassung als in Trier, StB, 804/814 8°); Rˆll, Nr. 24: Bodenheim, S. 395. In der StB Trier befinden sich mindestens 24 von F. mit Notizen versehene Schriften, die zwischen 1468 und 1527 gedruckt wurden. Neben Alanus, ‘De maximis theologie’ (1492), Hraban, ‘De institutione clericorum’ (1505), Prudentius, ‘Psychomachia’ (1527) usw. stehen die ‘Adagia’ (1508) des Erasmus, J Reuchlins ‘Sergius’ (1507) und andere humanistische Texte, aber auch Heinrich D Institoris, ‘Malleus maleficarum’ (1494). Als seinen Namen trug F. Johannes Flamingus Bo-
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Flemminck, Johannes
niportuensis ein. Nicht selten schrieb F. isoliert griech. Wörter, einmal gnv¬ti [!] se ayton. Unter diesen Eintragungen in F.s Büchern finden sich auch (großenteils von Rˆll verzeichnete) Verse F.s, darunter solche auf seinen Lehrer Hegius, u. a. Preceptor meus illi pius vir optimus atque | Hegius, huic nomen, Pallados arte vigens (Rˆll, Nr. 77) und zwei sapph. Strophen. In der von Janus Gruterus zusammengestellten Sammlung Heidelberg, UB, Cpl 1821, Abschrift Clm 10789, ist mit fünf Gedichten ein anderer F., nämlich Johannes Flemingus dominus in Wineghem vertreten, s. Biographie Nationale [...] de Belgique 7, 1880, S. 107.
78 vorwiegend geistliche kleine Gedichte sind ausdrücklich für F. bezeugt, zumeist in einem Korpus. Je einmal steht in einer Überschrift castigatum, emendatum, correctum, editum von F.; zu F.s kürzender Abwandlung von Heinrich J Bebels Parenesis ad sacerdotes: Disce sacros libros s. Rˆll, 1973, S. 167. Vereinzelt äußerte F. sich zur Poetik, so zu Prudentius: spondeum pro dactilo posuit und elegans plane carmen et amenum atque venustum. Mulings Widmung von 1508 (s. u. 3.) kommentierte er mit utinam mi Adelphe, judicio magis quam amore, decerneres de nostris studiis. Zu den ‘Adagia’ merkte er an: Erasmus Roterodamus synchronos meus [...]. Butzbach bezeugte 1509 im ‘Auctarium’ Abhandlungen F.s, von denen nichts überliefert ist: legi tum nonnulla ingenij illius prestantissima sed pauca quedam sinthemata in quibus se tam humanarum quam divinarum scripturarum eruditissimum ostendit philosophum. F. praktizierte die rheinische Devotio moderna mit der Formel der sapiens et eloquens pietas. Sein Betätigungsfeld war begrenzt; am mittleren Rhein war er aber anscheinend der einzige humanistische Dichter. In seinem Rahmen gelangen ihm einige Stücke ganz gut, so das Hexastichon [...] ad divum Hieronymum doctorem insignem (Rˆll, Nr. 20), das Heroicum carmen ad divam virginem (Nr. 13), Ad deum (Nr. 33). Das Bemühen um stilistische Überhöhung bezeugen u. a. chrysologia (Nr. 53), de hyperhagia triade und altlat. mater homonis (Nr. 15; Keil). F. wollte es wohl, wenn möglich, seinen Vorbildern Hegius,
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Baptista Mantuanus, Wimpfeling u. a. im kleinen gleichtun. Die Tatsache, daß seine Elegie (Rˆll, Nr. 3) zum Abschluß einer Sammlung Gedichte von Baptista Mantuanus, J Buschius, Cyprian, Brant und Picus Mirandola sorgfältig abgeschrieben und interlinear glossiert wurde (Rˆll, 1973), bestätigt die lobenden Äußerungen von Zeitgenossen. 3. Briefe. Muling (Hg.), ‘Libelli X. divi Gregorii Nazanzeni [...]’, Straßburg: J. Knobloch, 1508: an Georg Bohem und F. gerichteter Widmungsbrief vom 31. Dez. 1507; Köln, Hist. Arch., Cod. W 352, Bl. 90r⫺93v: Brief Butzbachs vom 15. März 1512 an F.; Trier, StB, Inc. 1289 8°, Nr. 5 enthält die Abschrift einer undatierten Briefkopie F.s mit der Ermahnung eines jungen Mannes (s. Rˆll/Koppe, Anhang II, Nr. 4); der Name des Adressaten ist geschwärzt. Literatur. J. N. v. Hontheim, Historia Trevirensis diplomatica et pragmatica, Augsburg/Würzburg 1750, Bd. 3, S. 968a [referiert Crombach, s. o. 2.]; P. Conrad, Trierische Gesch. bis z. J. 1784, Hadamar 1821; Ch. Brower / J. Masenius, Metropolis ecclesiae Trevericae, bearb. u. hg. v. Ch. v. Stramberg, 2 Bde., 1855⫺56; P. Bodenheim, Chronik v. St. Martin, in: Ch. v. Stramberg, Das Rheinufer v. Coblenz bis z. Mündung d. Nahe, 8 Bde, 1851⫺60, Bd. 4 (Denkwürdiger u. nützlicher Rhein. Antiquarius, Abt. 2, Bd. 5[!]), 1856; C. Krause, Helius Eobanus Hessus, 1879, Bd. 1, S. 292; P. Richter, Die Schriftsteller d. Benediktinerabtei Maria-Laach, in: Westdt. Zs. f. Gesch. u. Kunst 17 (1898) 73⫺92, 277⫺338, hier S. 323; L. Keil, Humanisten in d. Trierer Landen im Anfang d. 16. Jh.s. I. Der Priester J. Flaming, Trierische Chronik 16 (1920) 146⫺151; K. Arnold, Ergänzungen z. Briefwechsel d. Joh. Trithemius, Stud.Mitt.OSB 83 (1972) 176⫺204, hier S. 183 f.; W. Rˆll, J. Flamingus Boppardiensis u. ein Glossator, in: G. Droege / W. Fr¸hwald / F. Pauly (Hgg.), Verführung z. Gesch., 1973, S. 165⫺ 186; H. Molitor, Joannes Flamingus (1449⫺ 1532), in: R. B‰umer (Hg.), Reformatio Ecclesiae. Fg. E. Iserloh, 1980, S. 281⫺285 [fehlerhafte Auflistung der Gedichte F.s in falscher Reihenfolge, Nr. 38 entfällt]; H. Molitor, in: CoE 2, 1986, S. 40 f.; K. Koppe (Bearb.), Kostbare illustrierte Bücher d. 16. Jh.s in d. StB Trier, 1995, S. 9⫺11; W. Rˆll / K. Koppe, Der Bopparder Humanist J. F. (in Vorbereitung).
Walter Rˆll
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Fries, Lorenz
Fries (Friese, -en, Phryesen, Phruss, Fri-, Phri-, Phru-, Phrysius), Lorenz I . L eb en . Der Arzt F. (wohl um 1490⫺1530/32), der mit seinem gleichnamigen Zeitgenossen Lorenz Fries (1491⫺1550) aus Mergentheim, Sekretär und Geschichtsschreiber der Fürstbischöfe von Würzburg, nicht verwechselt werden darf, stammte wahrscheinlich aus dem Elsaß. Die von Heinrich Pantaleon in seiner ‘Prosopographia heroum atque illustrium virorum Germaniae’ (3. Teil, Basel 1566, S. 150) in Umlauf gesetzte, durch seinen Familiennamen veranlaßte Legende, er stamme aus den Niederlanden (vgl. noch Jˆcher, Gel.-Lex., Bd. 1, Sp. 765), wird durch eigene Zeugnisse über Kindheitserlebnisse im Elsaß widerlegt. Sein Geburtsort ist dennoch unbekannt. Nach Hirsch, S. 628, wurde er in Straßburg, nach Binder Johnson, S. 33, “vielleicht in Mühlhausen, wahrscheinlicher in Metz” geboren, doch sonst wird allgemein angenommen, daß er aus Colmar stammte, wo er später einige Jahre tätig war. Im Colmarer Bürgerbuch ist unter dem Jahre 1441 ein Jerge friese, möglicherweise ein Verwandter, belegt (L. Sittler, Les listes d’admission a` la bourgeoisie de Colmar 1361⫺1494, Colmar 1958, Nr. 2506). Zwar nennt er sich selbst ‘Fries von Colmar’ (Laurentium Phryesen von Colmar im ‘Spiegel der Artzney’ [s. II.B.3.]), und auch Paracelsus spricht 1528 von Phruss de Colmaria, doch damit ist vielleicht eher sein Wirkungsort als der Geburtsort gemeint, denn in der ‘Synonima’ (1519) (s. II.B.4.) heißt er Phrisius Argentarie (d. h. von Straßburg).
Auch sein Geburtsjahr ist unbekannt. Kurz vor 1520 bezeichnet er sich als ‘jungen Mann’, was wohl bedeutet, daß er kaum vor 1490 geboren wurde; trotzdem setzt Bittel, 1943a, S. 167, seine Geburt “etwa im Jahr 1485” an, und Massing, S. 69, erwägt sogar 1480. Über seine Jugend und seine akademische Ausbildung sind wir nur dürftig informiert. Daß er in Schwaben erzogen (so Schmidt, 1890; zustimmend Baas, S. 231 f.) oder in Schlettstadt humanistisch gebildet wurde, ist reine Vermutung, die auf unsicheren Anspielungen im ‘Spiegel der Artzney’ basiert. In den gedruckten deutschen Universitätsmatrikeln fehlt sein Name ganz, auch in der Wiener Matrikel ist er nicht verzeichnet, obwohl er vielleicht hier studiert
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hat, denn er teilt Einzelheiten aus Studentenkreisen dort mit (s. das Kapitel über Wien in der ‘Uslegung der Mercarthen oder Carta Marina’ [s. u. II.C.2.]). Man hat oft behauptet, er habe den Doktorhut in Montpellier erworben, aber da sein Name auch in der dortigen Matrikel (M. Gouron, Matricule de l’Universite´ de me´dicine de Montpellier [1503⫺1599], Genf 1957) nicht vorkommt, ist dem schwerlich zu glauben. Möglicherweise hat er in Italien, vielleicht in Piacenza und Pavia, studiert, denn auch von dort erzählt er Einzelheiten (‘Spiegel der Artzney’, Buch 1, Kap. 2). Da er die Kunde von der ‘Wundergeburt zu Rom vom 7. März 1513’ (s. u. II.A.1.) mitbringt, wäre anzunehmen, daß er sich damals auf jeden Fall in Italien aufhielt, und aus dem Umstand, daß dieser Druck (o. O., Dr. u. J.) zweifelsfrei 1513 von Joh. Weißenburger in Nürnberg gedruckt wurde, leitet Benzing die Vermutung ab, F. habe in Nürnberg Station gemacht und sich dort evtl. um eine Anstellung als Arzt bemüht. Wohl mit Recht meint Benzing, es sei nicht anzunehmen, “daß Fries von Colmar aus den Druck nach Nürnberg gegeben hat, wo Straßburg mit mehreren leistungsfähigen Offizinen ganz in der Nähe war” (Benzing, 1962, S. 121). Sicher belegt ist F. von 1514/15 bis Ende 1518/Anfang 1519 in Colmar. Hier zählte Diebolt Vögelin, Prior des Augustinerklosters, zu seinen Freunden; möglicherweise pflegte F. dort im Spital die Kranken. Im März 1519 hielt er sich in Straßburg auf, und von dort ging er für acht Monate nach Fribourg/Schweiz als Stadtarzt. Ende 1519 finden wir ihn wieder in Straßburg, wo er heiratete und am 23. Okt. 1520 das Bürgerrecht erwarb, welches er am 11. Mai 1525 wieder aufgab (Ch. Wittmer / J. Ch. Meyer, Le Livre de bourgeoisie de la ville de Strasbourg 1440⫺ 1530, Bd. 2, Straßburg 1954, Nr. 6976 u. 8032). Sein Weggang von Straßburg dürfte mit den religiösen Entwicklungen dort zusammenhängen. Hier hatte er u. a. mit dem katholisch gebliebenen Drucker Johannes Grüninger eng zusammengearbeitet, der Schwierigkeiten mit dem Straßburger Magistrat hatte; sicher gehörte auch der streitbare Luther-Gegner Thomas J
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Fries, Lorenz
Murner zu seinem Bekanntenkreis. Um 1522 hatte F. in seiner ‘Trostlichen bewerung’ (s. II.A.6.) gegen die Theologen von beyderley seckten, Papisten und Euangelisten Front gemacht, und später trat er energisch auf die katholische Seite. Offenbar ging er 1526 nach Metz, doch genaue Belege fehlen. Am 28. Febr. 1528 berichtet Paracelsus von F.’ Wohlbefinden und vom Empfang, den ihm F.’ Familie in Colmar gewährte (s. Amerbach-Korr., Bd. 3, Nr. 1244). Aus Diedenhofen (Villa Theonis) widmet F. im Juli 1528 dem damals in Köln weilenden Trierer Humanisten Bartholomaeus Latomus seine ‘Mantia’ (s. II.A.13.). Auf jeden Fall wirkte er vom 23. Okt. 1528 bis nach dem 23. Juli 1530 in Metz. Hier verfaßte er gemeinsam mit dem Stadtarzt Johannes Nidepontanus (Neidbruck, Dupont) 1529 eine Schrift über den damals grassierenden ‘Englischen Schweiß’ (s. u. II.B.6.). Das undatierte, von Otto Brunfels beigesteuerte Vorwort in der Ausgabe des ‘Spiegel der Artzney’ vom 14. März 1532, spricht von F. als Verstorbenem. Ein Bildnis von F. etwa v. J. 1522/ 23 ist in zwei Schriften (II.A.5.) gedruckt; eine Wiedergabe findet sich bei Benzing, 1962, S. 120. I I. We rk . F. schrieb lateinisch und deutsch (wobei nicht klar ist, ob die lat. Übersetzungen seiner dt. Schriften von ihm selber stammen). Er machte es sich zur Aufgabe, medizinisches Fachwissen in der Volkssprache zu verbreiten. Während er in einem besonderen Abschnitt der Vorrede der Erstausgabe des ‘Spiegel der Arznei’ die Gelehrten auf Latein um Verzeihung dafür gebeten hatte, daß er die Kunst Apollos in der Volkssprache lehre, heißt es in der Vorrede zur Ausgabe v. J. 1532 programmatisch: Auch bedunckt mich Teütsche zung nit minder würdig/ das alle ding darinn beschriben werden/ dann Griechisch/ Hebreisch, Lateinisch/ Italianisch/ Hispanisch/ e Frantzosisch/ in welchen man doch gar bey alle ding vertolmetschet findet. Solt vnser sprach minder sein? neyn/ ja wol vil meer/ vrsach das sye ein vrsprüngliche sprach ist/ nit zu˚samen gebetlet/ von Grie-
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chisch/ Lateinisch/ den Hunen vnd Goe auch meer reguliert then/ als Frantzosisch/ v (Bl. A iij ). Über seine dt. Schriften urteilt Sudhoff, 1895, S. 772, treffend: “Seine kräftige, kernige, oft derbe Sprache weiß den Volkston vorzüglich zu treffen; in den vielen aus dem Leben gegriffenen Beobachtungen ein Sittenschilderer von großer Unmittelbarkeit, bietet er culturgeschichtliches Material in Fülle, oft voll köstlicher Kleinmalerei.” Dies trifft besonders für die zahlreichen Erinnerungen aus der eigenen Praxis im ‘Spiegel der Artzney’ zu. Wie Bittel, 1943a, S. 164, vermerkt, berühren sich die Titel einiger Schriften von F. mit den Titeln paracelsischer Schriften fast wörtlich; ihre mögliche gegenseitige Abhängigkeit ist noch nicht erforscht. Als Schriftsteller war Fries sehr produktiv. Er war auf drei Gebieten tätig: in der Astrologie (A.), der Medizin (B.) und der Geographie (C.). Die überwiegende Mehrheit seiner Schriften erschien beim rührigen Straßburger Drucker Johannes Grüninger. Die folgende Aufstellung beruht weitgehend auf Benzing, 1962 (mit vielen, doch nicht vollständi-
gen Exemplarnachweisen), unter Heranziehung von Benzing, 1981, Nr. 626⫺646, Muller, 1985/ 86, und VD 16, F 2847⫺2888. Benzing, 1962, ersetzt die älteren Titelverzeichnisse von Schmidt, 1890, und Re´p. (obwohl die ausführlichen Druckbeschreibungen und Kommentare bei Schmidt, Re´p., noch nützlich sind), Sudhoff, 1895, und Bittel, 1943a. Benzing, 1962, bringt auch zahlreiche weiterführende Hinweise, die hier nicht wiederholt werden. Die Angaben bei Chrisman, 1982a, sind unvollständig und im einzelnen fehlerhaft.
A . A st ro lo gi sc he Sc hr if te n. F. verfaßte eine Reihe von Praktiken und interpretierte verschiedene Zeitereignisse. 1. ‘Wundergeburt zu Rom vom 7. März 1513’. Reimpaargedicht von 92 Versen, in dem die ‘Wundergeburt’ als Strafe Gottes ausgelegt wird. Druck. Nach der geburt vnsers herren [...] ist dises selczam wunderliches vnnd erschrockenlichs Monstrum | nit weyt von Rom von eynem weybs bilt geborn [...]. [Nürnberg: Joh. Weißenburger,
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nach 7. März 1513]. Benzing, 1962, Nr. 1. Faksimile: E. Holl‰nder, Wunder, Wundergeburt u. Wundergestalt in Einblattdrucken d. 15. bis 18. Jh.s, 1921, S. 312, Abb. 176.
2. Horoskope v. J. 1519 für Graf Johann Ludwig von Nassau-SaarbrückenSaarwerdern (1472⫺1545) und v. J. 1530 für Philipp von Nassau-Saarbrücken-Saarwerdern (1509⫺1554). Überlieferung. Heidelberg, UB, Cpg 736, Bl. 65⫺84 bzw. 85⫺90.
3. ‘Eine kurze Schirmrede der Kunst Astrologie’. Diese Verteidigung der Astrologie richtet sich namentlich gegen Luther, der in seiner Auslegung des 1. Gebotes in ‘Decem praecepta Wittenbergensi praedicata populo’ (1518) die Irrlehren der Astrologie bekämpft hatte, die eine Wissenschaft sein wolle, aber die angeborene Narrheit nicht abstreifen könne. Die Schrift löste eine Polemik aus, die sich auch in Pamphilus J Gengenbachs ‘Gouchmat’ (Datierung umstritten, doch wohl um 1521; dazu Thomke, S. 973; Naylor, S. 109) niederschlug: v. 771 heißt es vom närrischen Arzt, der sich v. a. zur Astrologie bekennt: Ich gloub worlich du seist der frieß. F. reagierte darauf mit ‘Ein zu samen gelesen vrteyl auß den alten erfarnen meistern der Astrology’ (s. u. 7.). Druck. Ein kurcze Sch⫽|irmred der kunst Astrolo⫽|gie/ wider etliche vnuerstan|dene vernichter/ auch etliche | antwurt vff die reden/ vnd | fragen/ Martini Luthers | Augustiners/ [...]. Straßburg: Joh. Grüninger, 28. Nov. 1520. VD 16, F 2861; Benzing, 1962, Nr. 2; Schmidt, Re´p. I 176; Zinner, Astronom. Lit., Nr. 1129.
4. ‘Ein vßlegung wie man das Astrolabium brauchen sol’. Mit dem Astrolabium ist nicht das Meßgerät, sondern das sog. ‘Astrolabium planum’ des Mathematikers, Astrologen und Mediziners Johannes J Engel gemeint. Diese Scheibe diente zur Bestimmung des Einflusses der Sternzeichen und in der Medizin zur Feststellung der kritischen Tage. Druck. Ein vßlegung wie man das | Astrolabium brauchen sol/ welches gemacht | hat Laurentius Frieß/ zu˚ nutz allen er⫽|farern der natur/
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Artzten vnd ur⫽|theilern der gestirn [...]. Straßburg: Joh. Grüninger, 23. Juni 1522. VD 16, F 2851; Benzing, 1962, Nr. 3; ders., 1981, Nr. 626. Lat. Übersetzung: Expositio vsusque Astrolabij | a Laurentio Frisio fabrefacti, amoenum, na|ture˛ exploratibus, medicis, et astro|rum judicibus: fructum communicans. Straßburg: Joh. Grüninger, 7. Sept. 1522. VD 16, F 2852; Benzing, 1962, Nr. 4; Zinner, Astronom. Lit., Nr. 1170.
5. ‘Ein kurzer bericht wie man die gedechtniß wunderbarlichen stercken mag’. Dank dem Buchdruck seien Wissen und Wissenschaften allgemein zugänglich geworden. Es gebe, so F., so viel zu lesen, daß man es gar nicht behalten könne, es sei denn, man stärke und übe das Gedächtnis mit Hilfe dieses Büchleins. Nach einer allgemeinen Diätetik der geistigen und körperlichen Befindlichkeit und medizinischen Vorschriften zur Stärkung des Gedächtnisses bietet er allerlei Ratschläge und Anweisungen zur Übung der Gedächtniskunst, wobei der aberglaub Lulli oder andere dergleichen dorechte vffmerckung verworfen werden. Seine Empfehlungen werden z. T. am Straßburger Münster exemplifiziert, was (so Massing) Rückschlüsse auf dessen vorreformatorische Innenausstattung erlaubt. Druck. Ein kurzer bericht | wie man die gedechtniß wunder⫽|barlichen stercken mag/ [...]. Straßburg: Joh. Grüninger, 12. März 1523. VD 16, F 2862; Benzing, 1962, Nr. 5 (mit Abb., S. 120); Benzing, 1981, Nr. 628; Schmidt, Re´p. I 197. Lat. Übersetzung: Artis memora|tivae naturalis et artifitialis | certa, facilis et verax traditio, quemque exigno [!] (vt ita | dicam) momento, rei litterarie opulentissimum | reddens, experientia Laurentij Phrisij med. | Doc. diligentissime congesta. Straßburg: Joh. Grüninger, [nach 16. März], 1523. VD 16, F 2863; Benzing, 1962, Nr. 6; Benzing, 1981, Nr. 627. Die bei Hain 12985 u. 12986 unter F.’ Namen verzeichneten Ausgaben, angeblich 1488 bzw. 1497 bei Joh. Prüß in Straßburg erschienen, gibt es nicht bzw. stammen nicht von F. Zu ‘Ars memorativa’-Ausgaben des 15. Jh.s aus dt. Offizinen s. GW 2566⫺2569.
6. ‘Eine trostliche bewerung das der jüngst tag noch in vil jaren nitt kume’. Die Konjunktion von Saturn und Jupiter im Febr. 1524 löste eine Flut von Schriften aus; die große Sintflut wurde vorausgesagt (s. Talkenberger). F. nahm in zwei Schrif-
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ten (s. auch 7.) Stellung zu den Vorhersagen und wendet sich nicht zuletzt gegen Luthers ‘Christliche und vast Wolgegründte beweysung von dem Jungsten tag’ (1522; VD 16, L 3928⫺3934); er stellte sich eher optimistisch und sagte der Erde einen langen Bestand voraus: da die 9. Himmelssphäre eine Umlaufszeit von 49 000 Jahren habe, die sich mindestens einmal erfüllen müsse, dürfe man den Jüngsten Tag nicht vor dem Ablauf von 42 279 Jahren erwarten. Druck. Eine trostliche bewerung das der | jüngst tag noch in vil jaren nitt kume/ Auch | das sein zeit niemant wysse dann got [...]. Vermutlich Straßburg: Joh. Grüninger, 1523. VD 16, F 2885; Benzing, 1962, Nr. 7; Benzing, 1981, Nr. 629; Zinner, Astronom. Lit., Nr. 1244.
7. ‘Ein zusamen gelesen urteyl auß den alten erfarnen meistern der Astrology über die großen zusamenkunfft Saturni und Jovis in dem M.D.xxiiij jar’. Für das Jahr 1524, dessen 25. Febr. man mit großer Sorge erwartete, verfaßte F. diese besondere Prognostikation. Er verwahrt sich gegen den Angriff Gengenbachs in seiner ‘Gouchmat’ (s. o. 3.), bezeichnet ihn als eine ölschenklige hundßmuck, der im grund vngelert sei und weder zählen noch messen könne (zit. nach Prietzel, S. 362). Gengenbach holt zum Gegenangriff aus in ‘Eine Christliche vnd ware Practica wider ein vnchristenliche gotzlesterige vnware practica [...]’ (1523/4) (s. Raillard). In der ‘Practica’, wo ein Holzschnitt aus der ‘Gouchmat’ wiederholt wird, der den Arzt als Esel darstellt, führt Gengenbach aus, wie das Gebet als Heilmittel wirksamer sei als die Astrologie. Gengenbach hielt sich eher an die Hl. Schrift als an die Astrologie. F. wirft er vor: Wärest du ein rächter stärnensäher, so ermantest du das volck zuo einer waren penitentz, welche ein rechte hinderstellerinn ist deß zorn gottes (Raillard, S. 124). Zum Streit zwischen Gengenbach und F. s. Pfister, S. 135⫺140, 369⫺378, 434⫺445; Talkenberger, S. 257⫺259, 286⫺290, 306⫺330; H. Robinson-Hammerstein, The Battle of the Booklets, in: P. Zambelli (Hg.), Astrologi hallucinati, 1986,
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S. 129⫺151, bes. S. 140⫺144; Thomke, S. 977⫺ 979; Naylor, S. 194⫺199. Druck. Ein zu˚samen gelesen vrteyl | auß den alten erfarnen meistern der Astrology über die | großen zu˚samen kunfft Saturni vnnd Jouis in dem | M.D.xxiiij. iar [...]. [Straßburg: Joh. Grüninger, 1523/24]. VD 16, F 2888; Benzing, 1962, Nr. 8; Benzing, 1981 Nr. 630; Schmidt, Re´p. I 208; Zinner, Astronom. Lit., Nr. 1243.
8. ‘Practica vff das iar [...] M.D.XXV’. Druck. Practica vff das iar so man zellet | nach der geburt Christi. M.D.XXV. [Hagenau: Amandus Farckall, 1524/25]. VD 16, F 2866; Benzing, 1962, Nr. 9.
9. ‘Der Iuden practica’. Eine scharfe Strafpredigt über die Juden. Auf Grund von Planetenkonjuktionen in den Jahren 1524 bis 1528 sagt F. den Juden ein schweres Schicksal voraus, es sei denn, sie keren zu˚ der sicherheit vnd freyheit christenlicher ordnung. Druck. Der Iuden practica. [Hagenau: A. Farckall], 1525. VD 16, F 2855; Benzing, 1962, Nr. 10; Zinner, Astronom. Lit., Nr. 1297.
10. ‘Prognostication vff das iar [...] M.D.xxvj’. Vermutlich veröffentlichte F. solche dt. geschriebene Prognostikationen in den späteren 1520er Jahren alljährlich (in der ‘Judenpractica’ spricht er von mynen vrteylen der gestirn, so ich järlich vßgon laß), eine lückenlose Reihe hat sich aber nicht erhalten. Für 1529 sind auch zwei lat. aus Köln (A.13.) und eine frz. aus Metz (A.14.) bekannt. Druck. Prognostication vff das iar | so man zellet .M.D.xxvj. [...]. [Straßburg: Joh. Grüninger, 1525/26]. VD 16, F 2867; Benzing, 1962, Nr. 11; Benzing, 1981 Nr. 633; Schmidt, Re´p. I 228; Zinner, Astronom. Lit., Nr. 1320.
11. ‘Astrologiae judicariae canones compendiosissmi’, 1527. Umfangreiche astrologische Abhandlung, dem Trierer Propst Johann von Metzenhausen gewidmet. Überlieferung. Berlin, SBPK, Ms. lat. qu. 40, 16. Jh., 11r⫺179v. Vgl. V. Rose, Verz. d. lat. Hss. d. Kgl. Bibl. in Berlin, Bd. 2/3, 1905, S. 1365 f., Nr. 78.
12. Horoskop für Nicolas de Heu, chevalier, seigneur d’Ennery, 1528.
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Überlieferung. Paris, Bibl. de l’Arsenal, Ms. 5028, Bl. 3⫺20.
13. ‘Mantia sive Prognosticatio astrologica’ auf das Jahr 1529. Drucke. (1) Mantia sive | Prognosticatio Astrologica Lau|rentij Frisij ad annum Christi. M.D.XXIX. [...]. [Köln]: Servas Kruffter, [1528/ 29] (mit Widmung an Barth. Latomus aus Villa Theonis [⫽ Diedenhofen] vom Ende Juli 1528). VD 16, F 2864; Benzing, 1962, Nr. 12. (2) Andere Fassung: Mantia sive | prognosticatio Astrologica Laurentii | Frisij ad annum Christi. M.D.XXIX. | Domini Anno. Köln: Hero Fuchs, 1529. VD 16, F 2865; Benzing, 1962, Nr. 13.
14. ‘Syderal diuinement ou Prognostique’. Prognostikation auf das Jahr 1529 in frz. Sprache, mit Widmung des Verfassers an den Rat der Stadt Metz vom 23. Okt. 1528. Schmidt, 1890, zufolge persifliert Franc¸ois Rabelais diese Prognostikation in der ‘Pantagrue´line prognostication [...] par maistre Alcofribas’ v. J. 1532/33 (s. Thorndike, 1941, Bd. 5, S. 313 f., 435). Druck. [Paris: Simon du Bois f. Christian Wechel, 1528/29]. Benzing, 1962, Nr. 14.
15. Prognostikation auf das Jahr 1530. Druck. Pronostication Laurentij Frieß/ | Doctor. Auff das jar so man zelet. M.CCCCC. vnd XXX. [...]. Straßburg: Joh. Knobloch, [1529/30]. VD 16, F 2868; Benzing, 1962, Nr. 15; ders., 1981, Nr. 640; Zinner, Astronom. Lit., Nr. 1406.
16. Prognostikation auf das Jahr 1531. Drucke. (1) Prognostication oder weisz|sagung ausz desz himels lauff [...] Auff das iar. M.CCCCC.XXXJ. [Straßburg: Joh. Grüninger, 1530/31]. VD 16, F 2869; Benzing, 1962, Nr. 16; ders., 1981, Nr. 641; Schmidt, Re´p. I 249; Zinner, Astronom. Lit., Nr. 1440. (2) Andere Fassung (?): Prognostication oder Weissagung [...]. Straßburg: Joh. Knobloch d. J., [1530/31]. VD 16, F 2870; Benzing, 1962, Nr. 17; ders., 1981, Nr. 642.
B . Med iz in is ch e S ch ri ft en . Als Arzt hat F. eine mutige Eigenständigkeit gezeigt, in der festen Überzeugung, einige Tendenzen in der zeitgenössischen Medizin seien schädlich. So gerieten F. und Paracelsus, trotz ihrer offenbar freundschaftlichen Beziehungen, in medizinischen Fragen immer mehr in Gegensatz (s. Bit-
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tel, 1943a, S. 168 f.). F. war echter Galeniker und streitbarer Verteidiger der arabischen Medizin (s. Wickersheimer, 1955), während Paracelsus bei Beginn seiner Lehrtätigkeit in Basel ausgerechnet die Bücher Galens und Avicennas öffentlich verbrannt haben soll.
1. ‘Ein clarer bericht wie man alte scheden, löcher vnd bülen heylen soll mit dem holtz Guaiaco’. Von dieser Syphilisschrift erschienen nach Sudhoff, 1895, bis 1575 insgesamt neun Ausgaben. Schon der Titel lockte den Käufer geschickt an: [...] also leicht dz es ein yeder selbes thun mag vmb ein kleynen costen. do man bißhar vil gelts hat müssen haben. Zu dem aus Mittelamerika importierten Guajakholz als Heilmittel gegen die Syphilis s. R. S. Munger, Guaiacum, the Holy Wood from the New World, Journal of the History of Medicine 4 (1949) 196⫺ 229, auch den für ältere Vorstellungen aufschlußreichen Art. ‘Frantzosen-Holtz’ in J. H. Zedler, Universallexicon, Bd. 9, 1735, Sp. 1753⫺1758. Drucke. (1) Ein clarer bericht | wie man alte e scheden/ locher vnd bülen heylen | soll mit dem holtz Guaiaco/ [...]. [Straßburg: Joh. Grüninger, 7. Jan. 1525]. VD 16, F 2856; Benzing, 1962, Nr. 18; Benzing 1981, Nr. 631. (2) [Straßburg: Joh. Prüß d. J., 1530]. VD 16, F 2858; Benzing, 1962, Nr. 19; Benzing, 1981, Nr. 639; (3) u. d. T. Ein e grüntlich vnd | bestendig heilung/ Alter schaden [...]. Straßburg: Joh. Prüß d. J., 1539. VD 16, F 2860; Benzing, 1962, Nr. 20. Andere Fassung: Ejn clarer bericht | yetzt nüw von dem Holtz e Guaiaco | wie dann bis har dauon gehort [...]. Straßburg: Joh. Grüninger, 28. Aug. 1529. VD 16, F 2857. Fehlt bei Benzing. Wiederabgedruckt in: Artzney Biechleinn der | Kreuter/ gesamlet durch Johannem | Tallat von Vochenberg [...]. Augsburg: Heinr. Steiner, 1533. VD 16, F 2859.
2. ‘Epitome opusculi de curandi pusculis, ulceribus, et doloribus morbi Gallici’. Schon im Abschnitt über den Aussatz im ‘Spiegel der Artzney’ (1518) erwähnt F. bei der Diskussion der Syphilis eine sundere Geschrifft so hab ich uszlassen gon in Latin und Tütsch. Diese wurden vermutlich um 1515⫺17 gedruckt, sind aber nicht erhalten. Der Text ging jedoch in die ‘Epitome’ auf, war für Fachleute bestimmt und
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daher ein wesentlich umfangreicheres Werk als der ‘klare Bericht’. Sie behandelt Herkunft und Namen der Krankheit (F. schreibt ihren Ursprung der Planetenkonjunktion im Okt./Nov. 1483 zu), ihre Symptome, Ursachen und Behandlung, Diät, und bringt zahlreiche medizinische Rezepte. Insgesamt bringt die Schrift keine neuen Erkenntnisse. Drucke. Epitome opusculi de curandi pusculis | ulceribus, et doloribus morbi Gallici, mali | frantzoss appellati [...]. Basel: Heinr. Petri, Aug. 1532. VD 16, F 2854; Benzing, 1962, Nr. 22. Die ‘Epitome’ wurde bis ins 18. Jh. in mehreren medizinischen Sammelwerken abgedruckt, z. B. in: Liber de morbo gallico [...]. Venedig: Joh. Patavinus u. Venturinus de Ruffinellis, 1535 (Benzing, 1962, Nr. 23), Bl. Q iiiir⫺S iir, zusammen mit Schriften von Niccolo` Leoniceno, J Hutten u. a. Zuletzt erschien sie u. d. T. ‘De morbo gallico opusculum’ in: Aloysius Luisinus (Hg.) Aphrodisiacus sive de lue venerea, Leiden 1728, Bd. 1, Sp. 345⫺356. Ndl. Übers.: Pocken boecxhen [...]. Kampen [zw. 1540⫺66]. Benzing, 1962, Nr. 21.
3. ‘Spiegel der Artzney’. F.’ größtes und bedeutendstes Werk, ein vielbenutztes Hausbuch, den gemeinen armen kranken zugeeignet. In dieser Darstellung der Gesundheitslehre und der inneren Medizin (es gilt als das älteste dt. Werk über dieses Gebiet; zum Kontext Zimmermann, zum Kenntnisstand s. Chrisman, 1982b, S. 136) bemüht sich F., zwischen Arzt und Patienten sachverständig zu vermitteln. (Den geplanten chirurgischen Teil hat er zu schreiben unterlassen, da dis erst newlich zu Strassburg beschehen ist ⫺ wohl ein Hinweis auf D Johannes’ von Gersdorff ‘Feldbuch der Wundartzney’ [1517].) Er hält streng fest an seinem wissenschaftlichen Standpunkt und geht sowohl mit fragwürdigen volksmedizinischen Praktiken wie mit jeder Art von ärztlicher Scharlatanerie und Kurpfuscherei scharf ins Gericht, z. B. mit dem Mißbrauch der Uroskopie. Die einzigen Ärzte, zu denen man Vertrauen haben darf, sind solche, die die Grammatik, Logik, Astronomie, Arithmetik, Geometrie, Musik, Kosmographie und Naturwissenschaften beherrschen. Er bekennt sich in allgemeiner Form zur Astrologie als einer Grundlage der Medizin. Das Buch wurde ein großer Erfolg, aber der
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Text wurde bei der Drucklegung neuer Auflagen von Grüninger derart entstellt, daß F. später verlangte, daß alle früheren Ausgaben als fehlerhaft widerruft und falsch declariert sein müßten (dazu Ritter, 1955, S. 232). Zur Rezeption des Werkes aussagekräftig sind die Bemerkungen des Marburger Mathematik- und Medizinprofessors Johannes Dryander (1500⫺ 1560) in: Ein new Artzney vnd Practicyrbüchlein von allerley Kranckheiten [...], Köln: Euch. Cervicornus, 1537. Dryander verwahrt sich gegen den Verdacht, sein Buch sey vß dem Teutschen Artzney Spiegell (so weilent der Hochberümpte vnd erfarne Medicine Doctor Laurentz Fryße [...] zusamen getragen hat) getzogenn vnd colligirt, betont aber, daß er hie mit dasselbig buch nit geryngert oder veracht/ sonder höchlich gepreiset haben will (Bl. M iiv). Doch zeigt Benzing, 1962, S. 129, daß Dryander zumindest die gesamte Einteilung und fast alle Kapitelüberschriften nach F. beibehielt. Drucke. (1) Spiegel der | Artzny des | geleichen vormals nie | von keinem doctor in tüt|sch vßgangen ist [...]. Straßburg: Joh. Grüninger, 1. Sept. 1518. VD 16, F 2871; Benzing, 1962, Nr. 27; Schmidt, Re´p. I 160. Das Buch sollte offenbar rechtzeitig zur Frankfurter Herbstmesse erscheinen. Die Holzschnitte basieren auf denen der Erstausg. von Johannes’ von Gersdorff ‘Feldbuch der Wundtartzney’, Straßburg: J. Schott, 1517 (dazu Ritter, 1955, S. 179). Auszug in: H. Heger (Hg.), SpätMA, Humanismus, Reformation (Die dt. Lit. Texte u. Zeugnisse), 1978, Bd. 2, S. 833836. (2) Straßburg: Joh. Grüninger, 1. Sept. 1519 (ebenfalls rechtzeitig zur Herbstmesse). VD 16, F 2872; Benzing, 1962, Nr. 28; Schmidt, Re´p. I 168. Dazu K. Sudhoff, Ein Kap. aus d. Gesch. d. Setzerwillkür im 16. Jh., Zs. f. Bücherfreunde 6/1 (1902/03) 69⫺71. (3) Straßburg: Joh. Grüninger, 10. März 1529. VD 16, F 2874; Benzing, 1962, Nr. 29; Benzing, 1981, Nr. 635; Schmidt, Re´p. I 240. (4) Von Brunfels überarbeitet: Straßburg: Balth. Beck, 18. Aug. 1529. VD 16, F 2873; Benzing, 1962, Nr. 30. (5) Von Brunfels überarbeitet: Straßburg: Balth. Beck, 14. März 1532 (nach Benzing, 1962, Nr. 31, 32 [⫽ Benzing, 1981, Nr. 643], 33 [⫽ Benzing, 1981, Nr. 644], gibt es Exemplare mit geringfügigen Satzvarianten, vgl. VD 16, F 2875 f.). (6) Straßburg: Balth. Beck, 1546. VD 16 2877; Benzing, 1962, Nr. 34; Benzing, 1981, Nr. 646. Hinzukommen verschiedene Teilauszüge, z. B. Von allerley speysen so | dienstlich zur
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menschlicher narung/ Durch Doctor Laurentium Friesen vor dreyssig Ja⫽|ren beschriben/ zu besserung menschlicher gesund|heit [...]. Mülhausen (Elsaß) 1559. VD 16, F 2878; Benzing, 1962, Nr. 38), hg. v. Matthias Erb, Superintendenten von Reichenweier; die Partien über den Harn und andere Auswürfe erschienen sogar in dänischer Übersetzung von Henrick Smid aus Malmö: En liden Bog om Menniskens Vand och anden naturlig affgang [...]. Kopenhagen 1557 (Benzing, 1962, Nr. 35; Waller , Nr. 3262; Nielsen, Nr. 639). Weitere Ausgaben: Kopenhagen 1577 (Benzing, 1962, Nr. 36; Waller , Nr. 3263; Nielsen, Nr. 1508), Lübeck u. Rostock 1599 (Benzing, 1962, Nr. 37; Nielsen, Nr. 1509), und Kopenhagen 1650 (Waller , Nr. 9026). In Wundartznei/ vnd der | Chirurgen handwirckung [...]. Frankfurt a. M.: Chr. Egenolff, 1534 (Benzing, 1962, Nr. 39), einem anonymen Handbuch, das zufellige Gebrechen vnd verletzungen/ so von der Haubtscheyttel biß zur fußsohlen dem menschen widerfaren mögen, behandelt, wird F. neben Johannes Charetanus und Lanfrancus Mediolanensis als Gewährsmann erwähnt.
4. ‘Synonima’. Das Werk stellt einen gutgemeinten Versuch dar, dem Problem der damaligen Verwirrung in der Benennung der Arzneistoffe beizukommen, doch schon die Zeitgenossen haben es ziemlich abfällig aufgenommen. So wirft Konrad Gesner (Bibliotheca universalis, Zürich 1545, Bl. 476v) F. tausend Fehler vor und bezeichnet das Buch als eine Zumutung für Gelehrte. Trotzdem erschien es 1535 in neuer Auflage. Drucke. (1) Synonima | vnd gerecht | vßlegung der wörter | so man dan in der ar|tzny/ Allen krütern/ [...] zu˚schreiben [...] Me congessit Phrisius Argentarie. Straßburg: Joh. Grüninger, 29. Nov. 1519. VD 16, F 2880; Benzing, 1962, Nr. 42; Schmidt, Re´p. I 169. (2) Straßburg: Barthol. Grüninger, 1535. VD 16, F 2881; Benzing, 1962, Nr. 43; Schmidt, Re´p. I 169. Eine Ausg. in frz. Sprache v. J. 1579 ist (nach Benzing, 1962, Nr. 44) “sehr fraglich”.
5. ‘Tractat der Wildbeder natuer, wirkkung vnd eigentschafft’. Beschreibt die Eigenschaften des Wassers aus medizinischer Sicht und bietet eine Übersicht über die verschiedenen Bäder in der Schweiz (Pfeffers) und Süddeutschland (z. B. Göppingen, Überlingen) nebst Ratschlägen, wie man sich auf eine Wasserkur vorbereiten soll, und Hinweisen auf mögliche Gefahren.
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Drucke. (1) Tractat der Wildbeder natuer | wirckung vnd eigentschafft mittsampt vnderweisung wie | sich ein yeder bereiten sol ee er badet/ auch wie man baden/ | vnd endlich zu˚fell der badenden wenden sol/ Gemacht mit | grossem fleiß durch Laurentium Phriesen der freien kunst | vnnd artzny doctorem. Straßburg: Joh. Grüninger, 1519. VD 16, F 2882; Benzing, 1962, Nr. 45; Schmidt, Re´p. I 165. (2) Ein hochnutzlicher tra|ctat, eygenschafft vnnd würckung der | wunderbaren natur aller Wildbeder, so in Teüt-|schen landen gelegen [...]. Straßburg: Barth. Grüninger, 2. Nov. 1538. VD 16, F 2884; Benzing, 1962, Nr. 47; Benzing, 1981 Nr. 645l. (3) u. d. T. Eyn new Badenfart. | e Wildt Bader L. | Friesen [...], zus. mit Schriften von Brunfels und Euricius J Cordus, Straßburg: Jak. Cammerlander, [um 1537]. VD 16, F 2883; Benzing, 1962, Nr. 46.
6. ‘Sudoris anglici exitialis, pestiferique morbi ratio, praeseruatio, et cura’. Schrift gegen den Englischen Schweiß, zusammen mit dem Metzer Arzt Johannes Nidepontanus (Neidbruck, Dupont). Zum Englischen Schweiß (Sudor anglicus) s. J. L. Flood, ‘Safer on the battlefield than in the city’: England, the ‘Sweating Sickness’, and the Continent, Renaissance Studies 17 (2003) 147⫺176. Druck. Sudoris an⫽|glici exitialis, pesti|ferique morbi ra⫽|tio, praeserua⫽|tio, et cura [...]. Straßburg: Joh. Knobloch d. J., 1529. VD 16, D 2984 u. F 2879; Benzing, 1962, Nr. 8. Textabdruck in: C. G. Gruner, Scriptores de sudore Anglico superstites […], post mortem auctoris adornavit et ed. H. Haeser, Jena 1847, S. 157⫺179.
7. ‘Defensio medicorum principis Auicennae ad Germaniae medicos’. Hier bekennt sich F. ganz und gar zum Arabismus in der Medizin. Schon 1518 hatte er im ‘Spiegel’ behauptet, daß, wenn er einen Knochen Ibn Sinas (Avicennas) besäße, er ihn als eine Reliquie eines Heiligen verehren würde. Er verteidigt Avicenna gegen Mediziner wie Symphorien Champier, Niccolo` Leoniceno u. a. Vor allem wirft er der Pariser medizinischen Fakultät vor, sich bei der Beurteilung des von den Humanisten neu erschlossenen griech. Schrifttums vornehmlich von literarischen Kriterien leiten zu lassen und die eigentlichen medizinischen Erkenntnisse der Araber, besonders auf dem Gebiet der Diagnostik, zu verkennen. Die Schrift en-
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Fries, Lorenz
det mit dem Ausruf: Vivat Avicenna, vivantque eius imitatores, in eo qui cunctos sanat languores. Als die ‘Defensio’ 1533 von Se´bastien de Monteux abgedruckt wird, wird F. als Avicennista insignis ac vigilantissimus bezeichnet. Der Tübinger Medizinprofessor Leonhard Fuchs reagierte scharf darauf in seiner ‘Compendiaria in medendi artem’ (Hagenau: Joh. Setzer, 1531; VD 16, F 3238), indem er auf die Abhängigkeit der Araber von den Griechen aufmerksam machte (s. Chrisman 1982b, S. 172 f.). Drucke. (1) Defensio | medico⫽|rum | principis Auicennae, ad | Germaniae medicos [...]. Straßburg: Joh. Knobloch d. J., 24. Aug. 1530, gewidmet dem Straßburger Philosophen und Arzt Joh. Fuchs d. J. VD 16, F 2853; Benzing, 1962, Nr. 49. (2) Abdruck mit Schriften anderer Verfasser: Annotatiunculae Sebastiani Montui [...] in errata recentiorum medicorum per Leonardum Fuchsium [...] collecta. Lyon: B. Bounyn, 1533, Bl. 39v⫺45r. Benzing, 1962, Nr. 50. 8. Auch erscheint F. zusammen mit Brunfels (baid erfarne Doctores in Mathematica vnd Medicinis) als Mitverfasser von Von allerhandt Ap⫽| poteckischen Confectionen/ Latt|wergen/ Oel/ Pillulen/ Trencken [...] eyn kur|tzer Bericht [...]. Straßburg: Jak. Cammerlander [um 1540]. VD 16, F 2886. Eine weitere Ausgabe erschien 1552 in Frankfurt a. M. VD 16, F 2887; s. I. Schmidt, Die Bücher a. d. Frankfurter Offizin Gülfferich ⫺ Han ⫺ Weigand Han-Erben, 1996, Nr. B-43 u. S. 130. Welchen Anteil F. an diesem Werk hatte, läßt sich nicht feststellen. Hinzu kommen verschiedene hsl. überlieferte Rezepte: (1) ‘Regimen breve pro [...] Roberto a Monreall’ (Luxemburg, Staatsarchiv, A.XXXIX.19; s. Wickersheimer, 1957); (2) zur Behandlung von Frauenleiden (Laurentio Phrysio in verhaltung der Frawen Zeit Diaeta) in Augsburg, UB, Cod. III.2.4º 30, 3r⫺5r u. 77r⫺78v; und (3) zur Behandlung der Syphilis in Heidelberg, UB, Cpg 264, 110v⫺111r. Zu diesen s. Sommer.
C . G eo gr ap hi sc he Sc hr if te n. F. nahm die kartographischen Erkenntnisse Martin J Waldseemüllers geschickt auf und verhalf ihnen zu größerer Verbreitung. Waldseemüllers Wandkarte (132 ⫻ 236 cm) von 1507 reduzierte er auf 28 ⫻ 40,7 cm. Dazu s. A. Ortelius, Catalogus cartographorum, bearb. v. L. Bagrow, (A. Petermann’s Mitt., Erg.-H. 199) Teil 1,
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1928, S. 69⫺71; L. Bagrow, Die Gesch. d. Kartographie, 1951, S. 343; Binder Johnson, S. 33⫺116. 1. ‘Claudii Ptolomaei Alexandrini mathematicorum principis opus Geographie noviter castigatum et emaculatum [...]’. Von F. im Auftrag von Grüninger herausgegeben. Die lat. Übersetzung stammt von Engel und die Vorrede schrieb Thomas J Aucuparius. F. steuerte auch ein Register der Städte, Länder und Flüsse mit historisch-antiquarischen Notizen und eine Einführung in die geographische Wissenschaft bei. Dem Werk sind 50 Karten von Waldseemüller beigegeben, die F. mit mal. anmutenden Schilderungen von Land und Leuten kommentiert hat. Die Weltkarte weist als eine der ersten (jedoch nicht als erste überhaupt!) den Namen ‘Amerika’ auf (Sudhoff, 1921, S. 118⫺127; doch vgl. J. Fischer und R. v. Wieser, Die älteste Karte mit d. Namen America aus d. Jahre 1507 u. d. Carta Marina aus d. Jahre 1516 v. M. Waldseemüller [Ilacomilus], 1903). Drucke. (1) Straßburg: Joh. Grüninger, 12. März 1522. Benzing, 1962, Nr. 51; Schmidt, Re´p. I 187. (2) Straßburg: Joh. Grüninger unter Kostenbeteiligung von Joh. Koberger, 30. März 1525. Benzing, 1962, Nr. 52; Schmidt, Re´p. I 222. (3) Lyon: Melchior u. Gaspar Trechsel, 1535. Benzing, 1962, Nr. 53. (4) Lyon: Hugo a` Porta, gedruckt Wien: Gaspar Trechsel, 1541. Benzing, 1962, Nr. 54.
2. ‘Uslegung der Mercarthen oder Carta Marina’. Ebenfalls im Auftrag Grüningers herausgegeben, eine auf die praktischen Zwecke eines Laienpublikums zugeschnittene Wandkarte in 12 Bll. Die erste Wandkarte enthält ein Namenregister mit erläuternden Angaben über die Lage der Städte und Länder und über deren kommerzielle Verhältnisse. Die seltzamen wunderparlichen ding in dieser welt werden im phantastischen Bilderschmuck veranschaulicht, obwohl dieser in der 2. und bes. in der 3. Auflage stark vermindert wird. Zu den Holzschnitten s. Ritter, 1955, S. 98. Siehe auch Binder Johnson mit Faksimile der Carta Marina.
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Fries, Lorenz
Drucke. (1) Uslegung der Mercar|then oder Carta Marina | Darin man sehen mag/ wo einer in der welt sey [...]. Straßburg: Joh. Grüninger, 1525. VD 16, F 2847; Benzing, 1962, Nr. 55; Benzing, 1981, Nr. 632. (2) Straßburg: Joh. Grüninger, 3. Juni 1527. VD 16, F 2848; Benzing, 1962, Nr. 57; Benzing, 1981, Nr. 634; Schmidt, Re´p. I 233 (mit Angaben z. Entstehung d. Druckes). Faksimile: Unterschneidheim 1972. (3) u. d. T. Vnderweisung | vnd vszlegunge | Der Cartha marina [...]. Straßburg: Joh. Grüninger, 22. April 1530. VD 16, F 2849; Benzing, 1962, Nr. 58; Benzing, 1981, Nr. 638; Schmidt, Re´p. I, S. 246. Ausführliche Beschreibung bei Binder Johnson, S. 49⫺82 (zur Karte) und 83⫺116 (zum Begleitheft). Lat. Übersetzung durch den Mathematiker Nikolaus Prugner: Hydrogra⫽|phiae, hoc est chartae mari⫽|nae, totiusque orbis, | breuis, sed dilucida descriptio. Straßburg: Joh. Grüninger, 1530. VD 16, F 2850; Benzing, 1962, Nr. 59; Benzing, 1981, Nr. 637.
3. ‘Carta marina universalis emendata et veritati restituta a Laurentio Frisio anno 1530’. 12 Karten, verkleinerte Bearbeitung der ‘Carta marina navigatoria’ Waldseemüllers v. J. 1506, Straßburg: Joh. Grüninger, 1530 (Benzing, 1962, Nr. 60; Benzing, 1981 Nr. 636). Die Karte wurde auch mit lat. Text gedruckt (Straßburg: Ch. Grüninger, 1531; Petrzilka). Benzing vermutet auch frühere Ausgaben; er verweist auf L. Bagrow, Fragments of the ‘Carta Marina’ by Laurentius F. 1524, Imago mundi 14 (1959) 111 f., wo Probedrucke einer Ausgabe von 1524/25 (Fragmente in Leiden, UB) wiedergegeben und besprochen werden. Literatur. Ch. Schmidt, Laurent F. de Colmar, me´decin, astrologue, ge´ographe a` Strasbourg et a` Metz, Annales de l’est 4 (1890) 523⫺575; Schmidt, Re´p., Reg.; K. Sudhoff, in: ADB 49, 1895, S. 770⫺775; K. Sudhoff, Ueber L. F., Münchener Medizin. Wochenschrift 45 (1898) 1507; K. Baas, Studien z. Gesch. d. mal. Medizinalwesens in Colmar, ZGO 61 (1907) 217⫺246, bes. 230⫺234; E. Sitzmann, Dictionnaire de biographie des hommes ce´le`bres de l’Alsace […], 1909 (ND Paris 1973), Bd. 1, S. 533 f.; K. Sudhoff, Skizzen, 1921, S. 118⫺127; A. Hirsch (Hg.), Biograph. Lexikon d. hervorragenden Ärzte aller Zeiten u. Völker, 21930, Bd. 2, S. 628; A. Pfleger, Schwänk u. Schimpfreden eines Colmarer Doktors, Colmarer Jb. ⫺ Annuaire de Colmar 2 (1936) 96⫺109; R. Raillard, Pamph. Gengenbach u. d.
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Reformation, Diss. Zürich 1936, S. 115⫺127; L. Thorndike, A History of Magic and Experimental Science, New York 1941 (41966), Bd. 5, S. 430⫺438; K. Bittel, Die Elsässer Zeit d. Paracelsus. Hohenheims Wirken in Straßburg u. Kolmar, sowie seine Beziehungen zu L. F., Elsaß-Lothring. Jb. 21 (1943) 157⫺186 [⫽ Bittel, 1943a]; ders., L. F. u. andere Elsässer Ärzte um 1500, Straßburger Monatshefte 7 (1943) 469⫺472 [⫽ Bittel, 1943b]; E. Wickersheimer, Laurent F. et la querelle de l’arabisme en me´dicine (1530), Les Cahiers de Tune´sie. Revue de sciences humaines, Nr. 9, Ier trim. (1955) 96⫺103; F. Ritter, Histoire de l’imprimerie alsacienne aux XVe et XVIe sie`cles, Strasbourg/Paris 1955; H. Sallander, Bibliotheca Walleriana, 2 Bde., Stockholm 1955 [⫽ Waller]; E. Wickersheimer, Deux re´gimes de sante´: Laurent F. et Simon Reichwein a` Robert de Monreal, abbe´ d’Echternach de 1506 a` 1539, T He´mecht 10, H. 1 (1957) 59⫺71; ders., in: NDB 5, 1961, S. 609 f.; J. Benzing, Bibliographie d. Schr. d. Colmarer Arztes L. F., Philobiblon 6 (1962) 120⫺140; H. Binder Johnson, Carta Marina. World Geography in Strassburg 1525, Minneapolis 1963; H. Sommer, Medizin. Rezepte d. Colmarer Arztes L. F. aus zwei Sammelhss., Medizin. Monatsschr. 20 (1966) 22⫺24; M. Petrzilka, Die Karten d. Laurent F. v. 1530 u. 1531 u. ihre Vorlage, d. ‘Carta marina’ aus d. J. 1516 v. M. Waldseemüller, 1970; B. Zimmermann, Das Hausarzneibuch. Ein Beitr. z. Untersuchung laienmedizin. Fachlit. d. 16. Jh.s unter bes. Berücksichtigung ihres humanmedizin.-pharmazeut. Inhalts, Diss. Marburg 1975; J. Benzing, Bibliographie strasbourgeoise. Bibliographie des ouvrages imprime´s a` Strasbourg (BasRhin) au XVIe sie`cle, Bd. 1, 1981; M. U. Chrisman, Bibliography of Strasbourg Imprints, 1480⫺ 1599, New Haven/London 1982 [⫽ Chrisman, 1982a]; dies., Lay Culture, Learned Culture. Books and Social Change in Strasbourg, 1480⫺1599, New Haven/London, 1982 [⫽ Chrisman, 1982b]; J. M. Massing, Laurent F. et son ‘Ars memorativa’: la cathe´drale de Strasbourg comme espace mne´monique, Bulletin de la cathe´drale de Strasbourg 16 (1984) 69⫺78; J. Muller, Bibliographie strasbourgeoise. Bibliographie des ouvrages imprime´s a` Strasbourg (Bas-Rhin) au XVIe sie`cle, Bd. 2⫺3, 1985/86; S. Pfister, Parodien astrolog.-prophet. Schrifttums 1470⫺1590 (Saecula spiritalia 22), 1990; H. Talkenberger, Sintflut. Prophetie u. Zeitgeschehen in Texten u. Holzschnitten astrolog. Flugschr. 1488⫺1528, 1990; L. Nielsen, Dansk bibliografi 1482⫺1600, Kopenhagen 21996; H. Thomke (Hg.), Dt. Spiele u. Dramen d. 15. u. 16. Jh.s, 1996; K. Prietzel, Pamphilus Gengenbach, Drucker zu Basel, Arch. f. Gesch. d. Buchwesens 52 (1999) 229⫺461; Ph. Naylor, Pamphilus Gengenbach 1480⫺1525. Writer, Printer, Publicist in
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Funck, Engelhard
Pre-Reformation Basel, Diss. London (University College) 2002, S. 194⫺199.
John L. Flood
Funck (Scintilla, auch: Teutonicus), Engelhard 1 . L eb en . Geb. um 1450 in Schwabach, 1468 als Engelhardus Fungk de Swobach an der Univ. Erfurt immatrikuliert, dort 1471 Baccalaureus artium und Beginn eines juristischen Studiums, das er in Italien mit der Promotion zum Doctor decretorum beendete. Seit 1480 Prokurator (für das Domkapitel Eichstätt) an der römischen Kurie, 1492⫺1499 Sollicitator litterarum apostolicorum. Mitglied der Bruderschaft der Deutschen bei Santa Maria dell’Anima, wo er 1485⫺92 ein dieser Kirche gehörendes Haus bewohnte (1483⫺85: procurator causarum famosus genannt). In Rom stand F. in Kontakt mit den Kardinälen Johannes Antonius (Bischof von Alexandria) und Francesco de’ Piccolomini (Neffe des Aeneas Silvius D Piccolomini und späterer Papst Pius III.). Inhaber einer Vielzahl von Pfründen in Franken, u. a. in Würzburg, Schweinfurt, Laudenbach, Oberscheinfeld und Kitzingen. Streit hatte er in den 1480er Jahren mit Thomas J Wolf d. J. um ein Kanonikat an St. Thomas in Straßburg. Seit 1485 besaß er ein Kanonikat am Stift Neumünster in Würzburg und hielt sich seit 1496 wiederholt dort auf (1497 als stellvertretender Generalvikar genannt); seit ca. 1500 war er Dekan des Stifts. Johannes J Trithemius nennt ihn 1507 als den einzigen in der Stadt, der das Griechische beherrsche. Er starb am 29. Nov. 1513 in Würzburg. An seiner Grabstätte in der Neumünsterkirche hat sich eine Grabtafel aus Messing mit einer fünfzeiligen Inschrift in Renaissance-Kapitalis erhalten; ein weiteres dort angebrachtes Grabepitaph ist später verschwunden (s. Borchardt). I I. We rk e. Neben seiner beruflichen Tätigkeit als päpstlicher Kanzleibeamter Autor von ca. drei Dutzend erhaltener lat. Versdichtun-
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gen und einiger Reden und Epitaphien (u. a. auf die Würzburger Bistumspatrone Kilian, Kolonat und Totnan sowie B. Rudolf von Scherenberg). Gegenstand der Gelegenheitsdichtung (zumeist Hexameter und elegische Distichen) sind der Lobpreis von Förderern, Klagen über den Tod der Mutter und humanistischer Freunde, weiterhin zehn Gedichte an den Kardinal Johannes Antonius sowie eine Stadtbeschreibung Schwabachs in 142 Versen. Die Würzburger Synodalrede von 1509 erweist sich als Plädoyer für eine bischöfliche Steuererhöhung. Willibald J Pirckheimer gegenüber nannte er sich glücklich, in der Gunst der Musen Ersatz für den fehlenden Adel gefunden zu haben (Pirckheimer-Br., Bd. 1, S. 47 f.). 1. Zeitgenössische Einschätzungen. Bereits 1492 hat Trithemius (in der Entwurfsfassung seines Schriftstellerkatalogs ‘De scriptoribus ecclesiasticis’) F. gekannt und 1495 in seinem Verzeichnis berühmter deutscher Schriftsteller aufgeführt: [...] Fertur carmine et prosa quaedam cudisse opuscula, quibus nomen suum longe lateque notificauit (Trithemius, Cat., S. 179). J Wimpfeling empfahl ihn anstelle Martials (Wimpfeling-Br., S. 356) und rechnete ihn unter die größten zeitgenössischen Dichter (‘Contra turpem libellum Philomusi’, 1510, Bl. Bv). Beatus J Rhenanus rechnete ihn 1512 zur Elite der deutschen Zeitgenossen, die über omnem latinorum splendorem verfügten (Rhenanus-Br., S. 41). Willibald Pirckheimer, der bereits in seiner Studienzeit Epigramme F.s abschrieb, zählte ihn 1517 unter die großen, durch Wissen und Gelehrsamkeit ausgezeichneten Theologen (Pirckheimer-Br., Bd. 3, S. 162) (vgl., auch zum Folgenden: Arnold, 1999, passim). Lilius Gregorius Gyraldus (‘De poetis nostrorum temporum’, hg. v. K. Wotke, 1894, S. 66) reihte ihn noch 1548 unter die namhaften deutschen Literaten ein. 2. Überlieferung. F.s Œuvre ist nahezu ausschließlich hsl. überliefert; die wichtigsten Überlieferungsträger sind: Innsbruck, UB, Hs. 664 (geschrieben v. Johannes Fuchsmagen; Abdruck bei Zingerle, Carm., S. 104⫺109, 111⫺114). ⫺ Uppsala, UB, Hs. C 687
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Funck, Mathias
(auf Wimpfeling zurückgehend; Abdruck bei Holstein, Ungedr. Gedichte, S. 447⫺459; vgl. auch dessen ‘Adolescentia’, hg. v. Herding, Nr. 105 f., S. 376⫺378). ⫺ Clm 716, Bl. 152v⫺154v, 159v⫺ 163v, 169v⫺170r (Autograph Hartmann J Schedels; s. Worstbrock). ⫺ Clm 24598, Bl. 1v (aus Regensburg; freundl. Hinweis v. Franz Fuchs, Würzburg). ⫺ Nürnberg, StB, Pirckheimerpapiere (s. Pirckheimer-Br., Bd. 1, S. 47⫺49). ⫺ London, BL, Add. ms. 22805, Bl. 11v⫺12r. ⫺ Chicago, Newberry Library, Cod. 63 (s. Herding); Joh. Adelphus J Muling, ‘Margarita facetiarum’, 1509, Bl. A ijv. ⫺ Würzburg, UB, M.ch.q. 24, Bl. 2r⫺9v (‘Oratio ad clerum Herbipolensem’ [autograph], hg. v. Arnold, S. 375⫺380). ⫺ ebd., M.ch.f. 266, Bl. 74r⫺77v (die auch im folgenden Druck überlieferte ‘Oratiuncula’). ⫺ D. Engelhardi funck decretorum doctoris Decani | ecclesie S. iohannis Nouimonasterij […] oratiuncula/ in coronatione D. Henrici de wurtzpurg Ca|nonici iubilei in choro […] habita […]. o. O. u. Dr., [15]03. VD 16, ZV 22447. Literatur. Jˆcher, Gel.-Lex. 2, 1750, Sp. 809; Zingerle, Carm., S. 104⫺109, 111⫺114; Holstein, Ungedr. Gedichte, S. 446⫺459; Bauch, Erfurt, S. 84⫺87; J. Schlecht, Pius III. u. d. dt. Nation. Mit einem Anhang ungedruckter Briefe u. d. Lobgedichte d. Engelbert [sic] Funk, 1914, S. 49⫺ 51; Ellinger, Neulat. Lit. 1, S. 348, 386 f.; CeltisBr., S. 60; Pirckheimer-Br., Bd. 1, S. 49; W. Engel (Hg.), Die Rats-Chronik d. Stadt Würzburg (XV. u. XVI. Jh.), 1950, S. 61; Cowie, Peter Schott, S. 451, 494 f., 586, 720 u. ö. (Reg.); O. Herding (Hg.), J. Wimpfelings ‘Adolescentia’, 1965, S. 376⫺ 378; Kleineidam, Erfurt 2II, S. 57; W. Trautmann, Humanistenlob auf Schwabach, in: H. Schl¸pfinger (Hg.), 600 Jahre Schwabach, 1971, S. 72⫺ 87; O. Herding, Zu einer humanist. Hs., 63 d. Newberry Library Chicago, in: E. Hassinger (Hg.), Gesch., Wirtschaft, Gesellschaft. Fs. C. Bauer, 1974, S. 153⫺187, hier S. 164 Anm. 20, 167; Th. Frenz, Die Kanzlei d. Päpste d. Hochrenaissance (1471⫺1527), 1986, S. 320; K. Borchardt (Bearb.), Die Würzburger Inschriften bis 1525, 1988, S. 208 f.; A. Wendehorst, Das Stift Neumünster in Würzburg (Germania Sacra N. F. 26), 1989, S. 345⫺347 u. ö. (Reg.); K. Arnold, E. F. Beitr. z. Biographie eines fränk. Humanisten, Jb. f. fränk. Landesforsch. 52 (1992), Fs. A. Wendehorst, S. 367⫺380; F. J. Worstbrock, Hartmann Schedels ‘Liber antiquitatum cum epitaphiis et epigrammatibus’, in: D. Peil u. a. (Hgg.), Erkennen u. Erinnern in Kunst u. Lit., 1998, S. 215⫺243, hier S. 237; U. Grosch u. a. (Bearbb.), Lorenz Fries, Chronik d. Bischöfe v. Würzburg 742⫺1495, Bd. 4, 2002, S. 287.
Klaus Arnold
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Funck (Fungk), Mathias, Haynoviensis I . L eb en . F., aus Haynau in Schlesien, empfing Privatunterricht und erste humanistische Impulse von seinem älteren Bruder Fabian († 1552), Schüler des Laurentius J Corvinus in Breslau und seit 1499 Student in Krakau. Im WS 1502/03 immatrikulierte F. sich in Krakau als Mathias Caspar [d. h., Caspars Sohn] de Haynowia. 1506 bezogen er und Fabian die neugegründete Univ. Frankfurt (Oder). Dort wurde er im SS 1507 Bakkalar. Nachdem er im WS 1511/ 12 den Magistergrad erlangt hatte, ging F. nach Stendal, um dort eine Lateinschule zu eröffnen. Weil ihm der märkische Dialekt schwerfiel und er sich infolgedessen als Exilierter vorkam, kehrte er schon 1513 nach Frankfurt zurück, wo Fabian seit fünf Jahren die Humaniora lehrte. Im WS 1514/ 15 in den Fakultätsrat aufgenommen, betätigte F. sich von 1516 bis 1522 als Examinator, im SS 1518 und 1520 auch als Dekan der Artistenfakultät und Mitglied des Collegium maius. Wohl 1522 verließ er die Universität und wurde Pfarrer an der Kirche Unserer Lieben Frau in Haynau. Dort unterhielt er freundschaftliche Beziehungen mit den Liegnitzer Reformatoren. Eine Epistel über das Abendmahl, die Valentin Krautwald an ihn richtete, erschien 1526 in ‘De caena dominica et verbis caenae, epistolae duae D. Valentini Cratoaldi’ (wahrscheinlich in Breslau). F. ließ sich freilich von Krautwalds Argumentation nicht überzeugen. Ein Gedicht, das unter den Initialen M. F. H in Konrad J Wimpinas ‘Sectarum, errorum [...] librorum partes tres’ (1528, s. u. II.B.7.) veröffentlicht wurde, erweist den Autor als Antilutheraner. Als Hzg. Friedrich II. von Liegnitz das Augsburgische Bekenntnis in seinem Gebiet einführen wollte, fühlte F. sich 1535 gezwungen, das Pfarramt niederzulegen. Wohl einige Jahre später zog er wieder in die Mark. Ein Brief von Georg Buchholzer an Melanchthon (8. Aug. 1548) erwähnt ihn am Berliner Hof, zusammen mit seinem Bruder, dem ‘Papisten’
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Funck, Mathias
Dr. Funck. Um 1551 hatte F. eine Minorpräbende im Brandenburger Domkapitel inne. I I. We rk . F. hat sich in der lat. Prosa und Dichtung versucht, namentlich in der Kurzepik, worin er, ital. Neulateinern folgend, einen konservativ-christlichen Humanismus an den Tag legt. Die 1514 abgeschlossene ‘Centuria’ des Wolfenbütteler Anonymus erwähnt unter seinem Namen fünf Werke, darunter drei in Hexametern: De laudibus S. Annae, Genesis Mariana und D. Hedwigis vita. Erwähnt werden ferner zwei (wohl prosaische) Schriften: In hominum effrenem petulantiam satyra und De gemino vitae humanae calle ex Pythagorica traditione. Von diesen Werken ist nur das Epyllion über die Geburt Marias erhalten (1513). Das ‘Leben der hl. Hedwig’ scheint 1511 erschienen zu sein, ist aber heute verschollen. Erhalten sind außerdem ein Kurzepos über die Höllenfahrt Christi (1514) sowie eine Anzahl Beigedichte. A . Kur ze pe n. 1. ‘Primitie carminum in genethlium salutifere virginis Marie’. In seinem Widmungsbrief an Fabian erklärt F., er habe das Kurzepos in Stendal verfaßt, um sich über seine Einsamkeit zu trösten, und entschuldigt sich für sein Erstlingswerk. Auch in einem Epigramm bittet er den Bruder, die Unreife der Schrift zu übersehen. Als Gegengewicht zu diesen Bescheidenheitsformeln stehen zwei lobende Epigramme des lorbeergekrönten Dichters Hermann J Trebelius. Die v. a. von Baptista Mantuanus’ ‘Parthenice Mariana’ (1481) angeregte Dichtung erzählt die bekannte Legende von Marias Geburt. Nach Mantuanus’ Vorbild eröffnet F. sein Gedicht mit einer Anrufung an die Parthenice Maria. Hierauf beschreibt er – im Gegensatz zu Mantuanus, der Joachim völlig in den Hintergrund schiebt – dessen Heirat mit Anna und lobt das tugendhafte Leben der Gatten. Nach zwanzig Jahren immer noch kinderlos, zieht Joachim nach Jerusalem, um im
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Tempel ein Gelübde abzulegen. Wie Mantuanus die Gemälde im Geburtshaus Marias, so beschreibt F. die im Tempel aufgehängten Gemälde, die auch hier die Hauptepisoden jüdischer Geschichte von Abraham bis Moses darstellen. Es folgt die Verweisung Joachims aus dem Tempel, sein einsames Leben fern von Heim und Herd, die Rückkehr der Gatten und (wiederum nach Mantuanus) die unbefleckte Empfängnis Mariä, die Geburt der Jungfrau, die Freude der Menschen und der Engel, das Erschrecken der Hölle und das Jauchzen der Patriarchen im Limbus. Das Gedicht endet mit einem langen Gebet an die Jungfrau. Druck. Primitie carminum Ma|thie Fungk Haynouiensis In | Genethlium salutifere vir-|ginis Marie. quibus hy-|storiam natiuitatis | graphice prose|quitur [...]. [Frankfurt (O.): Joh. Hanau, 1513]. VD 16, F 3403.
2. ‘Triumphus Christianus’. Die mit poetischen Beigaben von Fabian Funck, Trebelius und F. selbst geschmückte Dichtung ist dem Kanzler der Universität, B. Dietrich von Bülow, gewidmet. In diesem Kurzepos folgt F. dem Vorbild des Italieners Macarius Mutius, dessen ‘De triumpho Christi’ (Venedig 1499) bereits J Erasmus von Rotterdam (1499), Eobanus J Hessus (1512) und Paulus Crosnensis (1513) inspiriert hatte. Nach vorabgeschickter Anrufung Gottes and Abweisung Apollos und der Musen erzählt das Gedicht den Abstieg Jesu in die von Cerberus, Charon, den Furien und Dis bewohnte Unterwelt. Die Höllischen versuchen ihr Reich zu verteidigen, werden jedoch in die Flucht geschlagen. Als Christus Pluto gefesselt hat, schreitet er in die Vorhölle, um die Frommen zu befreien. Unter großen Freuden steigen sie in den Himmel. Unterdessen ersteht Christus wieder und tröstet seine Mutter. Die ganze Schöpfung jubelt im Frühlingsglanz. Wie Mutius schaltet auch F. an diesem Punkt eine zweite Invokation an Christus ein. Erst dann fühlt er sich imstande (wiederum nach Mutius’ Vorbild), die triumphierenden Väter von Adam bis Johannes den Täufer der Reihe nach aufzuzählen. Ihnen folgen der gekreuzigte Schächer, die unschuldigen Kin-
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der und die frommen Frauen von Eva bis Anna und Elisabeth. Druck. Triumphus Christianus | Mathie Funck Hayno⫽|uiensis [...]. Frankfurt (O.): Joh. Hanau, 27. Juni 1514. VD 16, F 3404. B. Beigedichte. Von F. sind außerdem acht Epigramme bekannt, die in den Werken anderer erschienen sind: 1. Joh. J Beussel, Carmen elegiacum Joannis Tu⫽|berini [...] | De resurrectione | domini nostri Jesu Christi restau⫽|ratoris generis humani. [Frankfurt (O.): J. Hanau, um 1512]. VD 16, B 2376. F. empfiehlt das Buch in einem Ogdoastichon Ad lectorem. 2. Chyromancia doctoris Andree | Henrici | [...]. Frankfurt (O.): J. Hanau, 1514. VD 16, H 2061. Enthält zwei Epigramme von F.: ‘Ad lectorem’ und ‘Hexastichon in persona libelli’. 3. De iudicio Sanguinis. edi|cio Andree Henrici Berlinensis [...]. Frankfurt (O.): J. Hanau, 1514. VD 16, ZV 7691. F. steuerte ein Titelepigramm bei. 4. Antonius Sirectus, Formalitates moderniores de mente Scoti, hg. v. Gerhard Funck, Frankfurt (O.): [J. Hanau], 1514. Titelepigramm von F. (nach Jˆcher, Gel.-Lex., Fortsetzung, Bd. 2, Sp. 1296; nicht mehr nachweisbar). 5. Georgii Crebicii Croelliani | [...] | Fastorum liber [...]. Frankfurt (O.): J. Hanau, 4. April 1515. VD 16, K 2315. Mit Beigabe von F., Ad lectorem. 6. Wieprecht Schwab, Philoso⫽|phicus triumphus [...]. Frankfurt (O.): J. Hanau, 1515. Teitge, Nr. 113. Mit Beigabe von F. 7. Konrad Wimpina, Sectarum | Errorum, Hallutina|tionum, et Schismatum, ab origine ferme | Christianae ecclesiae, ad haec usque nostra | tempora, concisioris Anacephalaeo⫽|seos [...] Librorum par|tes Tres. Frankfurt (O.): [J. Hanau], 1528. VD 16, K 1533. Die Beigaben M. F .H. Candido lectori (im 3. Teil des Drucks, Bl. [3]r, Einleitung zu ‘De fato’) und M. P. H. [wohl verdruckt für: M. F. H.] Phaletium Trochaicum penthametrum, Ad Libellum am Ende des gesamten Drucks stammen höchstwahrscheinlich von F. Literatur. Wolfenbütteler Anonymus, S. 76; G. Bauch, Die Anfänge d. Univ. Frankfurt a. O. u.
d. Entwicklung d. wiss. Lebens an d. Hochschule (1506⫺1540) (Texte u. Forsch. 3), 1900, S. 61, 80, 121⫺126, 128; Ch. D. Hartranft (Hg.), Corpus Schwenckfeldianorum, Bd. 2, 1911, S. 416⫺ 418; Ellinger, Neulat. Lit., Bd. 1, S. 368 f.; Melanchthon-Br., Regesten, Bd. 5, 1987, S. 330; H. Vredeveld, in: Killy, Lit.lex. 4, 1989, S. 66; H.E. Teitge, Der Buchdruck d. 16. Jh.s in Frankfurt
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an d. Oder: Verz. d. Drucke, 2000, S. 40, 311 f., 314; M. Hˆhle, Univ. u. Reformation: Die Univ. Frankfurt (Oder) v. 1506 bis 1550 (Bonner Beitr. z. Kirchengesch. 25), 2002, S. 83⫺91, 139⫺141, 598.
Harry Vredeveld
Fürstenberg (-berger, Furstenberg, -ius, -ensis, -erus), Philipp I . L eb en . F. (de Mittelhain [Mittelheim, Stadt Oestrich-Winkel], Rinchaviensis) entstammt einer im Rheingau reich begüterten, ursprünglich Mainzer, seit 1474 Frankfurter Patrizierfamile. Er starb am 18. Sept. 1540 in Frankfurt, nach den Epitaphien des Jacobus Micyllus 61 Jahre alt. F. ist demnach 1479 geboren. Er studierte in Tübingen (immatr. 1. Mai 1496) und Heidelberg (immatr. 31. Mai 1499), dazwischen wohl bei Jakob J Merstetter in Mainz. In Heidelberg zählte F. sofort zu den exponierten Schülern J Wimpfelings, der ihn in seinen Drucken zu Wort kommen ließ und als domesticus und amicus bezeichnete. F., mit den führenden Geschlechtern Frankfurts verbunden, wurde 1505 Ratsherr, 1510 Schöffe und als solcher langjähriges Mitglied der politisch maßgeblichen ‘Ratschlagung’ sowie 1519, 1525 (während des Zünfteaufstands) und 1531 Älterer Bürgermeister. Mit anderen humanistisch orientierten Ratsherren sorgte er für die Gründung einer städtischen Lateinschule und für die Berufung Wilhem Nesens (1520⫺1524), Ludwig Carinus’ (1524) und Jakob Micyllus’ (1524⫺1533, 1537⫺1547) zu Schulleitern (Poeten). F.s wichtigstes Betätigungsfeld aber war die städtische Außen- und Bündnispolitik. Seine dt. Berichte von den Reichstagen der Jahre 1517 bis 1532 sind eine seit L. v. Ranke hochgeschätzte und für Editionen vielfach (v. a. J. Janssen, Frankfurts Reichskorrespondenz, Bd. 2/ 2, 1872, S. 905⫺993; Dt. Reichstagsakten, Jüngere Reihe, bisher Bde. 2, 3, 7, 8, 10, 1896⫺1992) herangezogene Quelle. Reste der Bibliothek F.s finden sich in der StB Mainz; bekannt sind Bücher aus seiner Studienzeit: Ink. a83 (s. u. A.7.); der Sammelbd. Ink. 2147 (s. u. A.2. u. 3.), der sieben zwischen 1489 und 1500 erschienene und zwischen 1499 und 1501 erworbene Drucke vereinigt, und D Johannes de Sacrobosco, ‘Sphaera mundi’, Paris 1500 (Falk, S. 211 f.). Später versorgte F. Freunde mit Neuerscheinungen von
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der Messe, er kannte sich in alten Klosterbibliotheken aus, vermittelte J Cochlaeus 1520 die ‘Variae’ Cassiodors (Pirckheimer-Br., Bd. 3, S. 193, 215 f.) und verschaffte 1529 dem Joh. Sichard eine Hs. mit medizinischen Traktaten des Caelius Aurelianus, die dieser edierte (Caelii Aureli-|ani [...] | passionum libri V [...]. Basel: Seb. Henricpetri, 1529 [VD 16, C 28], Bl. a 2v).
I I. Sc hr if te n. A . G ed ic ht e. F. hat, meistens von Wimpfeling aufgefordert, dessen literarisches und pädagogisches Programm mit empfehlenden, in die Titelblätter der Drucke aufgenommenen Versen unterstützt: reinere Latinität (1.), Verteidigung des Werts der Dichtung (2. u. 5.), insbesondere der geistlichen (3. u. 4.), und die Askese einer bildungsorientierten Erziehung (6.). Die bisweilen dicht gedrängte Verwendung antiker Eigennamen in metonymischen und synekdochischen Ausdrücken (bes. 2., 6., 8.a u. b) geht über die poetische Praxis Wimpfelings und seiner übrigen Schüler deutlich hinaus. 1. Marci Tullii Ciceronis Libellus de Ami|cicia correctissimus. Heidelberg [vielmehr ND einer Heidelberger Ausg.: Leipzig: Melch. Lotter, nach 1500?]. GW 7001. Titelbl.v: ‘In laudem M. T. Ciceronis [...]’, inc. Ut septemgeminus gratissima flumina Nilus (2 Dist.). Weitere Drucke Köln 1505 u. 1507. VD 16, C 2862 u. 2864. 2. Peter J Schott d. J., De mensuris Sylla|barum epithoma. Straßburg: Joh. Schott, 24. Dez. 1500. HC 14525. Bl. [A]v: ‘Elegiacum in Opusculum Petri Schotti Argentinensis’, inc.: Eous pratis Cretensibus Ida pharetris (6 Dist.). Mainz, StB, Ink. 2147, Sammelbd. aus F.s Besitz. Weitere Drucke: Erfurt 1504. VD 16, S 3997; Straßburg 1506. VD 16, S 3999; Augsburg 1509. VD 16, S 4000. ⫺ Ausgabe. Cowie, Peter Schott, Bd. 1, S. 332 f. 3. Baptiste Mantuani theologi | contra poetas impudice lo⫽|quentes. [Mainz: Peter Friedberg, um 1495; wahrscheinlich 1499]. GW 3309. Titels.: ‘Ad lectorem in laudem Baptiste Mantuani hexasticon [...]’, inc. Lascivum fugito Gallum spurcumque Tibullum (3 Dist.). Mainz, StB, Ink. 2147, aus dem Besitz F.s u. mit hsl. Korrektur. 4. Wimpfeling, De Himnorum et Sequen|tiarum auctoribus. [...]. [Speyer: Konrad Hist, nach 1. Sept. 1499]. Hain 16175. Titels.: ‘Tetrasthicon
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[...]’, inc.: Invide Castalios laceras quur Zoile vates? (2 Dist.). Ein weiterer Druck [Mainz: P. Friedberg, nach 1. Sept. 1499]. HC 16176. 5. Wimpfeling, Pro concordia dialecticorum et | oratorum [...] Oratio habita ad gymnosophistas Hey|delbergenses [...] M.CCCC.XCIX. Pridie jdus Au⫽|gusti. […]. [Mainz: P. Friedberg, nach 12. Aug. 1499]. Reichling, Suppl. 222. Titels.: ‘Hexasticon [...] in eandem orationem’, inc.: Perlege grandiloquos pubes placidissima vates (3 Dist.). 6. [...] Adolescentia | Wympfelingij. [Straßburg: M. Flach d. Ä., nach 27. Okt. 1500]. HC 16190, Titelbl.v; Bl. [A8]v: ‘Ad pueros et ephebos in Adolescentiam Wimpfelingii’, inc. Deliciis nimium, puer indulgere caveto (9 Dist.). Weitere Drucke: Straßburg 1505. VD 16, W 3332; Leipzig 1506. VD 16, W 3333; Hagenau 1508. VD 16, W 3334; Straßburg 1511. VD 16, W 3335; Straßburg 1514. VD 16, W 3336; Straßburg: Hüpfuff, 1515. VD 16, W 3337; Straßburg: Knobloch, 1515. VD 16, W 3338. ⫺ Abschrift: München, SB, 4° Rar. 1549/ 3: Publij Ovidij Nasonis | Epistola Sapphus ad | Phaonem. Leipzig: M. Landsberg, 1507. VD 16, O 1602, Bl. [A8]v. ⫺ Ausgabe: Herding, S. 182 f. Wimpfeling hat F. in den beiden Epigrammserien seiner Heidelberger Mitstreiter und Schüler zur Verteidigung des Nominalismus (Gedenkschrift für D Marsilius von Inghen) und der moralisch-literarischen Pädagogik (‘Adolescentia’) auftreten lassen: 7. Ad illustrissimum Bavarie du|cem Philippum Comitem | Rheni Palatinum [...] Epigrammata in divum Marsilium inceptorem Planta⫽|toremque gymnasij Heydelbergensis. [Mainz: P. Friedberg, nach 10. Sept. 1499]. HC 10781. Bl. [c4]r: ‘In monarcham philosophie Marsilium [...]’, inc. Emule Marsilium divum quur rodere anhelis? (2 Dist.). Mainz, StB, Ink. a83, aus dem Besitz F.s. 8. Wimpfeling, ‘Adolescentia’ (wie o. 6.), 1500, Bl. LXVIIIr: a) ‘Ad adolescentem contra superbiam tetrasthicum’, inc. Inflatos fugito (Scyllae velut inguina) fastus, und b) ‘Ad adolescentem ut superstitiones maleficarumque incantationes detestetur [...] tetrasthicon’, inc. Si fugis horrisonum Ditem triplicesque sorores. ⫺ Ausgabe. Herding, S. 348.
B . P oe ti sc he Ko rr es po nd en z. Um 1500 tauschte F. mit Nikolaus J Ellenbog in Heidelberg Abschiedsgedichte aus, die Ellenbog in seine autographe Briefsammlung als Anhang zum 3. Buch aufnahm (Paris, BN, Ms. lat. 8643 t. I, Bl. 94r⫺v; im Ellenbog-Br., S. 185, nur erwähnt). Auf drei Distichen Ellenbogs antwortete F. mit zwei sapph. Strophen (‘Ad
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studiosum Nicolaum Ellenbog saphicum Philippi Furstenburg’, inc.: Gratias magnas tibi chare Ellenbog [1. sapph. Strophe]) und auf zwei ebensolche Strophen Ellenbogs mit 12 Versen in fünfsilbigen Adoneen (‘Ad eruditum iuvenem Nicolaum Ellenbog Philippus Furstenburg. Carmen adoneum’, inc.: Huc ades oro). Nur in diesen Gedichten löst sich F. vom elegischen Vers. Ein nicht erhaltenes ‘Carmen in Philippum Furstenbergensem’ des in Heidelberg lehrenden Magister artium Johannes Zwig, Heidelberg 1499, wird neben anderen Gedichten Zwigs von dessen Kritikern (u. a. Dietrich Gresemund d. J.) namens der Heidelberger Artistenfakultät als prosodisch fehlerhaft verworfen. Hsl. in UB Freiburg, Ink. 4° D 254, S. [lxxx], im Druck von Franciscus Philelphus, ‘Orationes et opuscula’, Venedig 1492 (HC 12924).
C . P ro sa . Von Wimpfeling vor dem 28. Nov. 1500 brieflich dazu aufgefordert, statt seiner die mythologischen und poetisch verhüllten Ausdrücke in Hermann J Buschius’ Gedicht ‘De institutione adolescentum’ für die ‘Adolescentia’ zu erläutern, erklärte sich F. brieflich bereit und kommentierte 17 Lemmata unter Beiziehung antiker Autoren und moderner Italiener, bes. Boccaccios (‘De genealogia deorum’). Drucke. Wimpfeling, ‘Adolescentia’ (wie o. A.6.), 1500, Bl. XXXVIv⫺XXXIXr. Für die weiteren Drucke s. o. A.6. Ausgabe. Herding, S. 273⫺279.
D . B ri ef e a n F. Außer den brieflichen Bitten Wimpfelings, für ihn zur Feder zu greifen (s. o. A.2. u. C.; vgl. auch Wimpfeling-Br., Nr. 100, 101 u. 110), sind folgende Briefe aus seiner Frankfurter Ratsherrenzeit erhalten: 1. von Ulrich von J Hutten, der um Freundesdienste bittet: a) Mainz, Juni 1520 (Hutten, Opera, Bd. 1, S. 354 f.); b) Burg Wartenberg, 31. März 1522 (ebd., Bd. 2, S. 114 f.); 2. von Johannes Cochlaeus a) Widmungsbrief (Frankfurt, 9. Febr. 1520) zu den Opu|scula Maxentii | Johannis. Bl. [A]v⫺A ijv, an: Opera B. Fulgen|tii Aphri, episcopi Ruspensis [...] Item Opera Ma|xentii Iohannis. Ha-
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genau: Th. Anshelm, 1520; VD 16, J 628. Ein weiterer Druck: Köln 1526 (VD 16, J 629), Bl. [A]v⫺ A 3v; b) Frankfurt, 2. Juni 1520 (hsl. Berlin, SBPK, Autographenslg. Radowitz, Nr. 153). Hg. v. R. Jung, Cochlaeus als Bewerber um d. Rektorat d. Frankfurter Lateinschule, 1520, Arch. f. Frankfurts Gesch. u. Kunst, 3. Folge 6 (1899) 333⫺336; 3. von Jacobus Micyllus, Frankfurt, 1. Jan. 1532, Widmung der Ausgabe des Terentianus Maurus, ‘De syllabis’ (Frankfurt: Chr. Egenolph, 1532; VD 16, T 360), S. 3. Auszug bei J. Classen, Jacob Micyllus, 1858, S. 95.
I II . Wür di gu ng . F. hat keine Gelehrtenkarriere angestrebt, keinen Grad erworben und auch kein selbständiges Werk verfaßt. Seine poetischen und prosaischen lat. Texte sind Beiträge zu Werken anderer oder verdanken sich dem geselligen Verkehr; sie stammen sämtlich aus seinen Studienjahren bei Wimpfeling 1499⫺1500 und heben sich durch Kenntnisreichtum und Beherrschung der Prosodie und Metrik vor anderen hervor. Wimpfeling hat den vornehmen Schüler nachdrücklich als Humanisten herausgestellt. Das Echo ist 1510 bei Hutten zu hören (‘Querelae’ II 10, v. 211⫺214; Hutten, Opera, Bd. 3, S. 78). F. verkörpert wie der 10 Jahre jüngere Jakob Sturm, seit 1501 in Heidelberg, mit dem ihn die Politik seit den 1520er Jahren oft zusammenführte, den Typus des reichsstädtisch-patrizischen, humanistisch gebildeten und das städtische Bildungswesen wie auch die Reformation fördernden Politikers. Doch anders als Sturm hat sich F. nach den humanistischen Studien nicht einer höheren Fakultät, sondern zielstrebig der reichsstädtischen Politik zugewandt. Die Nachrufe von Janus Cornarius (Frankfurter Stadtarzt 1538⫺1542), Johann Fichard (Stadtadvokat 1533⫺1581) und Micyllus (s. o. II.D.3.) heben die lebenslange, zumindest in den Nebenstunden betriebene Beschäftigung mit Dichtung und humanistischer Wissenschaft hervor und betonen seine Kenntnis der griech. Sprache; über der Lektüre des griech.-lat. Homer sei er verstorben. Die Urteile über F. als Humanisten schwanken zwischen privatim geäußerter Einschrän-
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kung: literis [...] graecis et latinis mediocriter eruditus (Cochlaeus 1520, PirckheimerBr., Bd. 4, S. 192) und publiziertem fülligerem Lob, das freilich differenziert: der Lateiner sei ranggleich cum magnis professoribus, der Griechischkenner rangiere aber nur supra mediocritatem (Cornarius 1541). Literatur. Würdigungen d. 16. u. 17. Jh.s: Wimpfeling, Catalogus archiepiscoporum Moguntinensium (1515), Aschaffenburg, Hofbibl., Ms. 22, 18r; Jacobus Micyllus, Silvarum libri V, Frankfurt a. M. 1564 (VD 16, M 6096), Epitaphien S. 329, 377 f., vgl. auch S. 54 im Hessus-Epitaph; Janus Cornarius, in: Aetii medici Graeci [...] tetrabiblos, Basel 1542 (VD 16, A 572), Bl. α 4v⫺[α5]r in d. Widmung an d. Frankfurter Rat (erneut Basel 1549 [VD 16, A 573]); Dr. Johann Fichards Annalen, in: R. Jung (Hg.), Frankfurter Chroniken
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(Quellen z. Frankfurter Gesch. 2), 1888, S. 269 f.; Melchior Adam, Vitae Germanorum iureconsultorum et politicorum, [Frankfurt a.M.]/Heidelberg 1620, S. 69⫺71 (nach Cornarius u. Micyllus). ⫺ G. E. Steitz, Reformatorische Persönlichkeiten, Einflüsse u. Vorgänge in d. Reichsstadt Frankfurt a. M. v. 1519 bis 1522, Arch. f. Frankfurts Gesch. u. Kunst N.F. 4 (1869) 57⫺174, hier S. 88⫺90, 105 f., 119 f.; M. Spahn, Joh. Cochläus, 1898, S. 30, 57⫺60; F. Falk, Jakob Merstetter, Adam Gelthuß u. Joh. Faust, ZfB 18 (1901), S. 209⫺214; H. F. Singer, Der Humanist J. Merstetter 1460⫺ 1512, 1904, S. 22, 31, 35 f.; O. Herding (Hg.), Jakob Wimpfelings Adolescentia, 1965, S. 165, 182 f., 272⫺279, 348; H. Kˆrner, Frankfurter Patrizier, 1971, S. 5⫺7, 84 u. 92; S. Jahns, Frankfurt, Reformation u. Schmalkaldischer Bund, 1976, S. 437 (Reg.); G. Schmidt, Der Städtetag in d. Reichsverfassung, 1984, S. 563 (Reg.).
Dieter Mertens
G Gallinarius (Henlin), Johannes I . L eb en . Die erste Bezeugung des in Heidelberg geborenen G. ist sein Eintrag in der Matrikel der Univ. Heidelberg vom 1. April 1495 unter dem Namen Henlin. Mit der latinisierten Form seines Namens tritt er schon 1499 in seinen ersten veröffentlichten Zeilen (s. u. II.A.1.) auf. Den Grad des Magisters erwarb er in Heidelberg im WS 1500. Seinem Lehrer Jakob J Wimpfeling, dem er nach Straßburg folgte, blieb er lebenslang freundschaftlich verbunden. Nach einem Brief Thomas J Wolfs d. J. an G. vom 31. Jan. 1505 (s. u. II.A.3.) unterrichtete er zu diesem Zeitpunkt dort schon einige Jahre an der Schule von Jung-St. Peter Grammatik und Rhetorik. Auch Wolf konnte ihn damals mit J Aucuparius, J Ringmann u. a. zu seinen engsten Anhängern zählen (Zasius-Br., S. 371). Noch in Straßburg wurde G. Priester. Seit dem 4. Dez. 1507 setzte er sein Studium zunächst in Freiburg (Johannes Gallinarius art. mgr. Heidelbergens. pbr. dioc. Argentin.), seit dem 30. Juni 1509 an der juristischen Fakultät in Köln fort, hier bezeugt bis 1512 (Matr. Köln, Bd. 2, S. 642). Dank seiner Beziehungen zu einflußreichen Gönnern war er gut bepfründet (vgl. Rapp). Spätestens seit 1516 war er Stadtpfarrer zu Breisach. Wimpfeling schlug ihn 1521 neben anderen als Nachfolger für seine eigene Pfründe in Schlettstadt vor (Wimpfeling-Br., Nr. 349). Das letzte Lebenszeichen ist ein Brief G.’ an Beatus J Rhenanus vom 28. März [1525] (Rhenanus-Br., Nr. 446), in dem er von seinem Entschluß spricht, das Pfarramt in Breisach zum 24. Juni 1525 aufzugeben und sich selbst in die Pfarrei zu Endingen zurückzuziehen.
G. stand bei seinen gelehrten Zeitgenossen am Oberrhein in hohem Ansehen. Freunde fand er früh schon in Wimpfelings Umkreis: Valentin Schell (Celido), Philipp J Fürstenberg, Johann Adelphus J Muling, besonders Matthias Ringmann Philesius, den er in der Neuauflage der ‘Adolescentia’ (s. u. II.A.4.) unter die Schüler Wimpfelings reihte (Bl. 70r) und vorn (Bl. [1]v) mit einem Tetrastichon zu Wort kommen ließ. Auch zu J Erasmus von Rotterdam, der seine Bildung und Lebensart schätzte (Erasmus, Op. epist., Nr. 305), hatte er nicht nur briefliche Kontakte (Nr. 867 u. 1342); er suchte ihn 1514 in Basel auf und machte ihn mit J Zasius bekannt. I I. We rk . Wimpfeling zählte G. in ‘Contra turpem libellum Philomusi’ (1510, Bl. Bv) zu jenen zeitgenössischen poetae, die besondere Anerkennung verdienten, weil sie sich religiösen und moralischen Anliegen verpflichtet fühlten und keine paganistische Poesie betrieben. Ein poetisches Œuvre des G. ist freilich kaum greifbar. Gewiß wird manches verloren sein, wie die Verse des Gallinarius noster über die Vier Winde vermuten lassen, die Ringmann in der ‘Cosmographiae introductio’ (1507, Bl. a iiijr) zitiert und die nur dort erhalten sind. Was von G.’ Versen jedoch in den Druck kam, sind nur verstreute Beiträge, die ihm den Namen eines Poeta nicht eintragen können, stets nur ad hoc verfaßte Beigaben aus den Jahren 1499⫺1516, die, häufig zusammen mit Versen Ringmanns, gedruckte Schriften und Ausgaben anderer begleiten. Es sind viele unauffällige darunter, aber auch eindringliche zeitkritisch engagierte (s. u. II.B.10., 11., 13.)
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Gallinarius, Johannes
In seinen ersten Jahren hat G. selber einige Ausgaben besorgt oder sich an ihrer Veröffentlichung beteiligt. Seine wirkungsvollste Leistung war die Neubearbeitung von Wimpfelings ‘Adolescentia’. Einige Jahre später übersetzte er eine ps.-lukianische Schrift, deren Thema ihm entsprach. Aus G.’ Korrespondenz sind neben zwei Widmungsbriefen und dem wichtigen Brief an Konrad Carlon (II.B.7.) nur die beiden oben angeführten Briefe an Erasmus und Beatus Rhenanus erhalten. A . Herausgeber, Bearbeiter, Übersetzer. 1. Petri Anthonij de Clapis Clarissimi | doctoris Oratio in genere de⫽|monstratiuo In laudem Ciuitatis Uniuersitatisque Hey|delbergensis [...]. [Mainz: Peter v. Friedberg, nach 4. Okt. 1499]. GW 7057. Die bald nach Juni 1465 gehaltene Lobrede des Petrus Antonius de Clapis auf Heidelberg brachte Valentin Schell (Celido), der die heute verlorene Hs. aufgefunden hatte, mit Unterstützung G.’ zum Druck; vgl. dazu Bl. a ijr⫺v die Widmungsschreiben G.’ und Schells an Konrad Schelling vom 4. Okt. 1499. G. ist außerdem mit einem Titelepigramm und Bl. [b3]v mit einem Sapphicum zum Lobe von Stadt und Univ. Heidelberg vertreten. 2. Marci Tullii Ciceronis Libellus de Ami|cicia correctissimus. | [...]. Heidelberg: [Heinr. Seligmann, 1500 od. Frühjahr 1501]. GW 7001 (verfehlte Datierung und Firmierung; vgl. V. Sack, Gutenberg-Jb. 1968, S. 128). G. besorgte die Ausgabe zusammen mit Val. Schell und Ph. Fürstenberg und trug neben den Tetrasticha der beiden ein Lob auf Cicero als den Patron der lat. Sprache und der Eloquenz bei (Titelbl.v, 7 Dist.). Zwei Nachdrucke 1507: VD 16, C 2862 u. C 2864. 3. Iacobi Wimphelingi | De Integritate | Libellus [...]. Straßburg: Joh. Knobloch, 5. März 1505. VD 16, W 3388. Mit einem Brief Thomas Wolfs d. J. an G. vom 31. Jan. 1505 (Bl. [A2]v), der G. wegen seiner sprachlichen Kompetenz die Überwachung der Drucklegung anvertraute. Am Ende ein Dictum D Geilers von Kaysersberg (‘Wie man sich Konkubinen verschafft’), das G. auf Bitten Mulings und Jakob Rutgers versifizierte (mit anschließender dt. Version). In der erweiterten 2. Aufl. Iacobi Wimphelingi | De integritate Libellus cum epistolis | prestantissimorum virorum hunc | libellum approbantium | et confirmantium | (Straßburg: J. Knobloch, 22. Okt. 1506) zusätzlich ein Endecasillabicon ad lectorem (6 vv.) von G.
4. Neubearbeitung von Wimpfelings ‘Adolescentia’. Der Gedanke einer erweiterten Neuausgabe der ‘Adolescentia’ wird auf G.’ eigene
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Unterrichtspraxis in Straßburg zurückgehen, in deren Lektüreprogramm die ‘Adolescentia’ stand (so G. im Brief an Konrad Carlon, s. u. B.7.). G.’ Zusätze, die den Umfang der Erstausgabe um etwa ein Fünftel vermehren, erscheinen zum weitaus größten Teil als Anhang (der keine eigene thematische Kohärenz beansprucht); einige längere Prosaauszüge und wenige Verse sind jedoch dem Zusammenhang des Werks inseriert. Von den neuen Texten erhielt G. zwei von Wimpfeling selbst (Brief an Joh. Harst u. Cosmas Wolf mit einem fortsetzenden Schreiben von Thomas Wolf; die für Peter Sturm gesammelten Moralitates pro pueris). Zweimal ist Laktanz dabei (Inst. div. 6,3,1 über die beiden Wege des bivium Pythagoricum), einmal Cicero; im übrigen kommen nur als Humanisten kenntliche Autoren zu Wort, Aeneas Silvius D Piccolomini (Erziehungsbrief an den Neffen Antonio Tedeschi), Petrarca (Auszug aus der Sentenzensammlung in Amerbachs Opera-Ausgabe von 1496; vgl. J Brant, II.G.1.a) und Ps.-Petrarca (‘De vera sapientia’), Jakob J Locher (zwei Carmina), schließlich G. selbst mit einem Epitaphium dialogicum auf den 1503 verstorbenen Johann von Dalberg (Gespräch zwischen dem Bischof und dem Tod), dessen noch in weiteren Epigrammen Brants und Wimpfelings und sechs Prosaepitaphien Thomas Wolfs gedacht wird. Das Spektrum hat einen moderneren Ton als das Wimpfelings, der u. a. D (Ps.-)Bernhard von Clairvaux und D Gerson viel Gewicht gab. G.’ erweiterte Neuausgabe, die den Wortlaut der Erstausgabe bisweilen verdeutlichte, nicht selten allerdings auch fehlerhaft veränderte, blieb im Textbestand aller folgenden Auflagen der ‘Adolescentia’ erhalten. Druck. Adolescentia Jacobi | wimphelingij cum nouis quibusdam additioni-|bus per Gallinarium denuo reuisa ac eliminata.[...]. Straßburg: Joh. Knobloch, 22. Febr. 1505. VD 16, W 3332. NDe bis 1515 J Wimpfeling. Ausgabe. O. Herding, Jakob Wimpfelings Adolescentia, 1965 (mit Bezeichnung der Zusätze des G.).
5. Übersetzung von Ps.-Lukian, ‘Palinurus’ (⫽ Maffeo Vegio, ‘Dialogus de felicitate et miseria’). Mit der Wahl des ‘Palinurus’ nahm G. die Thematik der zwei Lebenswege (Tu-
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Gallinarius, Johannes
gend und Laster) und ihres jenseitigen Lohns (Heil und Verdammnis) auf, die er in der 2. Aufl. der ‘Adolescentia’ mit einem der Auszüge aus Laktanz (Inst. 6,3,1) eingeführt hatte. Als Übersetzer knüpfte er, wie man der Widmungsvorrede an die Mgf.in Sibylle von Baden (Köln, 10. Jan. 1511) entnimmt, offensichtlich an die Programmatik Ringmanns (Vorrede zur Caesar-Übersetzung) an: Überwindung des Wissensprivilegs der Lateinkundigen, Übersetzung in ein gemeyn zungen tütscher nation nach dem Grundsatz der Verständlichkeit. Wie Ringmann im ‘Caesar’ erläutert er dem Leser vorweg die im Text begegnenden fremden Namen. Entworfen wurde die Übersetzung des ‘Palinurus’, die erste dt., 1511 auf einer Rhein- und Moselfahrt, die G. im Gefolge des Schwagers der Widmungsträgerin, Reinhards von Hanau, Domherrn zu Köln und Trier, unternahm. Druck. Luciani Palinurus | usz kriechischer sprach durch das | latyn in tütsch transferiert sagen von | geferlichkeyt vnd trübsal in allen ständen der welt. Straßburg: Matthias Hüpfuff, 1512. VD 16, L 3061. Überarbeitete Fassung von Jakob Vielfeld im Druck seiner Übersetzung von Lukians ‘Dialogi mortuorum’ (10 u. 22): Straßburg: Jak. Cammerlander, 1545. VD 16, L 3062. Worstbrock, Antikerezeption, S. 106 f. B. Beiträger. 1. Gedenkschrift für D Marsilius von Inghen, redigiert von Jakob J Merstetter, Ad illustrissimum Bauarie du|cem Philippum Comitem Rheni palatinum [...] epistola. [...] | Epigrammata in diuum Marsilium inceptorem Plan⫽|tatoremque gymnasij Heydelbergensis […]. [Mainz: Peter v. Friedberg, nach 10. Juli 1499]. HC 10781. Bl. [c5]v ein Carmen des G. (5 Dist.), erneut in: Questiones Marsilij super | quattuor libros sententiarum [...]. Straßburg: Martin Flach, 29. Aug. 1501. VD 16, M 1127, Bl. a 2v. 2. Scherzreden des Jakob J Hartlieb und Paulus Olearius, De fide concubinarum in sacerdotes | Questio accessoria causa ioci et vrbanitatis in quodlibeto Heidel-|bergensi determinata [...]. [Basel: Jak. Wolf, um 1501]. VD 16, H 645, O 660. G. trug zur Ausgabe jeder der beiden fast stets zusammen gedruckten und zahlreich aufgelegten Scherzreden Titelepigramme bei. Abdruck: F. Zarncke, Die dt. Univ.en im MA, 1857, S. 67 u. 88. 3. Castigatorium Egidii de Roma | in corruptorium librorum san⫽|cti Thome de Aquino a
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quo⫽|dam emulo deprauatorum. Straßburg: Martin Flach, 8. Jan. [?] 1501. VD 16, A 317. Bl. [2] ein Hexastichon von G. 4. Declamatio Philippi be|roaldi de tribus fratribus. | ebrioso: scortatore et lusore. Germania Jacobi wimpffe⫽|lingij ad Rempublicam Argen*tinam+. | Ad vniversitatem heydelbergensem | Oratio Ja. wimpfe. S. de an|nuntiatione angelica. Straßburg: Joh. Prüß d. Ä., 20. Dez. 1501. VD 16, B 2078. Titelbl.v: Preisepigramm (7 Dist.) des G. auf das Werk Beroaldos; Bl. [c6]r: 7 Dist. des G. über die Verdienste Wimpfelings um Straßburg. Abdruck der Distichen auf Wimpfeling (mit dt. Übers.) bei E. v. Borries, Wimpfeling u. Murner im Kampf um d. ältere Gesch. d. Elsasses, 1926, S. 91 f. 5. Questiones exquisite claris⫽|simi Marsilii in libros Ari|stotelis de generatione et corruptione [...]. Straßburg: Martin Flach, 23. Aug. 1501. VD 16, M 1126. Titelepigramm G.’ (5 Dist.). 6. Baptistae Mantuani Poetae Ora⫽|torisque clarissimi duarum Par|thenicum libri: cum commenta-|rio Sebastiani Murrhonis Ger⫽|mani Colmariensis: Haebraice | Grecae Latineque linguarum inter|praetis doctissimi. Straßburg: Joh. Schott, 28. Aug. 1501. VD 16, S 7317. Titelbl.v: 16 Distichen des G. an die Leser, die den christlichen Dichter Baptista gegen die antiken heidnischen ausspielen. Am Ende der 2. ‘Parthenice’, Bl. [L4]v (⫽ LXXIIv), ein Lob des G. auf den sorgfältigen Drucker Schott, der selber für eine hilfreiche Interpunktion Sorge getragen habe (5 Dist.). 7. F. Baptiste Mantuani | Bucolica Seu adolescentia in decem aeglogas diuisa. | Ab Iodoco Badio Ascensio familiariter exposita | cum indice dictionum. [...]. Straßburg: Joh. Prüß d. Ä., 23. März 1503. VD 16, S 7169. Bl. [A4]v⫺[A6]r: G.’ Brief an Konrad Carlon, Stiftsscholaster von JungSt. Peter, vom 13. März 1503, in dem G., unter scharfer Kritik am herkömmlichen Grammatikunterricht, sein humanistisch-pädagogisches Programm vorstellt. Danach ein Decatostichon G.’, das den Stoff der zehn Eklogen zusammenfaßt. Am Ende, Bl. [p7]v, zwei Epitaphien des G., auf Jakob Drach (Dracontius) und auf Kraft Hofmann († 1501). Mit Briefwechsel zwischen Th. Wolf und Wimpfeling zur Ausgabe. Nach VD 16, S 7165 u. 7166, gehen dieser Ausgabe zwei Drucke von [Straßburg: Joh. Prüß], 1502, voran, die eine Beigabe allein von G., vermutlich das Decatostichon, enthalten. 8. Magnencij Rabani | Mauri De laudibus sancte Crucis | opus erudicione versu prosaque | mirificum. Pforzheim: Th. Anshelm, März 1503. VD 16, H 5271. Bl. Aa iiiv⫺iiiir: drei Carmina, in denen G. die alles überteffende Kunst von D Hrabans Dichtung preist. Abdruck: Migne, PL 107, Sp. 135 f.
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Gallus, Jodocus
9. Psalterium Dauidicum: | Cantica et Hymni. [Straßburg]: Joh. Prüß d. Ä., 1504. VD 16, ZV 1646. Titelepigramm von G. NDe: [Straßburg: Reinh. Beck], 1515 u. 1520. NDe mit einem weiteren Titelepigramm (Panegiricon) von G.: Straßburg: Joh. Prüß d. J., 1512 u. 1515. VD 16, ZV 1650, 1655. Vgl. Die Bibelslg. d. Württ. LB Stuttgart, Abt. 1, Bd. 4: Lat. Bibeldrucke 1454⫺2001, Teil 1, 2002, Nr. D 261, D 262, D 287. 10. Joannes Garson [Garzoni] | de miseria humana | Epistole consolatorie. Epi|grammata & Epithaphia. a doctis di|sertisque Germanie viris edita ad | Thomam Vuolphium Iuniorem | in obitum fratris. Straßburg: Joh. Grüninger 4. März 1505. VD 16, G 473. Titelbl.v: ein Octastichon (4 Dist.) an den Leser. 11. Jacobi Wimpfe⫽|lingij Apologia pro Republica | Christiana [...]. Pforzheim: Th. Anshelm, 27. März 1506. VD 16, W 3343. Am Schluß G.’ Elegia pathetica, eine Invektive gegen habgierige und bildungsfeindliche Geistliche. Die Merkwürdigkeit, daß G. als Gegenstand des Lernens und Erkennens über mehr als die Hälfte des Gedichts ein kosmographisches Summarium ausbreitet, läßt sich nicht mit Wimpfeling verbinden, doch mit Ringmann, der damals an der ‘Cosmographiae introductio’ arbeitete. 12. Rodericus Zamorensis, Speculum vite humane | In quo discutiuntur commoda & incommoda/ | dulcia & amara [...] laudes et pericula omnium statuum. Straßburg: Joh. Prüß, 12. Jan. 1507. VD 16, R 2700. Bl. A iijr⫺v. Unter den Epigrammen Brants, Wimpfelings, Ringmanns, Beatus Rhenanus’ u. a. 12 Distichen G.’, die der beklagten Habgier des Klerus eine Lebensform der Genügsamkeit und der Erbauung am Studium der Hl. Schrift kontrastieren. 13. Castigationes loco|rum in canticis ecclesiasticis et diuinis | officijs deprauatorum Iacobi Vuimpfelingij Sletstattensis [...]. Straßburg: Joh. Schott, 1513. VD 16, W 3348. Titelepigramm von G. (6 Hendecasyllabi). 14. Heinricus de Hassia [...] con⫽|tra disceptationes et contrarias | predicationes fratrum mendican|tium super conceptione | beatissime Marie | virginis [...]. [Straßburg: Reinh. Beck], 1516. VD 16, H 2130. Bl. a ijv: 17 Distichen G.’, in denen er ein Ende der unaufhörlichen Streitigkeiten in der Christenheit fordert, um vereint den Kampf gegen die Türken führen zu können. Literatur. J. Franck, in: ADB 8, 1878, S. 336⫺338 (fehlerhaft); Schmidt, Hist. litt., Bd. 1, S. XV f., 33, 75, Bd. 2, S. 80 u. 92; G. Knod, Aus d. Bibl. d. Beatus Rhenanus. Ein Beitrag z. Gesch. d. Humanismus, 1889, S. 9, 15 f.; J. Kindler v. Knobloch, Oberbad. Geschlechterbuch, 1898, Bd. 1, S. 423; Knepper, Wimpfeling, Reg.;
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ders., Das Schul- u. Unterrichtswesen im Elsaß von d. Anfängen bis gegen d. Jahr 1530, 1905, S. 136 f., 305 f., 341⫺343 u. ö.; Matr. Köln, Bd. 2, S. 642; H. Neu, Pfarrerbuch d. evang. Kirche Badens, Bd. 2, 1939, S. 252; V. Probst, Petrus Antonius de Clapis (ca. 1440⫺1512). Ein ital. Humanist im Dienste Friedrichs d. Siegreichen v. d. Pfalz (Veröffentlichungen d. Hist. Instituts Mannheim 10), 1989, S. 24; M. U. Chrisman, in: CoE 2, 1986, S. 73; F. Rapp, in: Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne 7, 1986, S. 1100; Wimpfeling-Br., Reg.
Susann El Kholi / F. J. Worstbrock
Gallus (Galtz, Gallicus), Jodocus (Jost von Ruffach) I . L eb en . Die Namensform variiert zwischen Galcz, Galtz, Galici, Gal(l)icus, doch überwiegt die Form Gallus. In Urkunden wird er auch als Meister Jost von Ruffach genannt. Hauptquelle zur Lebensgeschichte ist neben den Heidelberger Universitätsakten (Dr¸ll) das ‘Chronicon’ seines Neffen Konrad J Pellikan, den er intensiv gefördert hat.
G. wird als Sohn (16 Geschwister) des Flickschneiders (sartor) Johann Galtz, der aus Pruntrut (Porrentruy) im Schweizer Jura stammt, 1459 im oberelsässischen Rufach geboren. Dort besucht er (ab ca. 1467) die Klosterschule der Franziskaner, wechselt dann zu der 1441 humanistisch reorganisierten Lateinschule in Schlettstadt, wo u. a. Jakob J Wimpfeling und Ludwig D Dringenberg ihn unterrichten, und danach zur Basler Klosterschule der Minoriten. Diese schicken ihn 1476 auf die Univ. Heidelberg (immatr. 22. Okt.) in der Hoffnung, er werde in den Orden eintreten. G. entspricht dieser Erwartung nicht, studiert v. a. bei Wimpfeling, wird am 6. Juli 1478 Baccalaureus artium via moderna und am 8. Mai 1480 Licenciatus artium. Seit Anfang der 1480er Jahre ist er Präfekt der Bursa nova in Heidelberg. Er liest als Dozent über die ‘Physica’ und die logischen Schriften (‘Organon’) des Aristoteles und betreibt zugleich das Studium der Theologie. Im WS 1484/85 ist er als theol. Baccalaureus Dekan der Artistenfakultät. Seit Okt. 1487 hat er eine Kollegiatpfründe an Hl. Geist in Heidelberg, von Dez. 1490 bis Juni 1492 dort ein Plebanvikariat inne.
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Am 20. Dez. 1492 wählt ihn die Universität als Licenciatus theologiae zum Rektor. Ein 1493 erfolgtes Ersuchen des Markgrafen von Baden, in seine Dienste zu treten, bleibt ergebnislos. Für gute Beziehungen zum kurpfälzischen Hof spricht, daß er 1494 Kurprinz Ludwig in ein Feldlager begleitet. 1493 erhält er die Pfarrei in Nekkarsteinach, um 1496 wird er Kanoniker am Chorherrenstift in Sinsheim, 1498 in Speyer Kanoniker an St. Germanus und Mauritius sowie Domprediger (bis 1506) als Nachfolger Wimpfelings und bischöflicher Rat. 1498⫺1505 hat er auch die Pfarrei Sprendlingen inne. 1501 nimmt er als Vertreter des Bistums Speyer an der Kölner Synode teil. 1511 besucht er mit Wimpfeling Rufach und die Klöster Murbach und Marbach. In Pforzheim schlichtet er 1511 einen Streit zwischen der Ortskirche und den Franziskanern. Schon langjährig gichtkrank, stirbt er am 21. März 1517 in Speyer und hinterläßt in zeitüblicher freier Einstellung zum Konkubinat eine illegitime Tochter, die Franziskanerin wurde. G., der zum engeren Kreis der 1495 von J Celtis in Heidelberg initiierten Sodalitas litteraria Rhenana gehörte, hatte freundschaftliche Verbindungen mit den meisten Gelehrten der Sodalitas, mit Wimpfeling, J Trithemius, den er auch in Sponheim besuchte (vgl. dessen ‘Chronicon Sponheimense’, in: Opera historica [...], hg. v. M. Freher, Frankfurt a. M., 1601, Bd. 2, S. 396), Dietrich J Gresemund d. J., Konrad J Leontorius, nicht zuletzt Johannes J Reuchlin. Vermutlich durch dessen Vermittlung unterstützte Johannes J Cuno ihn und Thomas Truchseß zwischen Ende 1499 und Anfang 1501 in Speyer bei ihren Griechischstudien; Cuno widmete ihm 1507 seine erste Basilius-Übersetzung, seine erste aus dem Griechischen. Johann Adelphus J Muling, der G. seinen Lehrer nannte, widmete ihm, dem Meister der ‘Scherzreden’, 1508 seine Ausgabe der ‘Scommata’ Geilers. Jacobus J Montanus widmete ihm und Wimpfeling seinen ‘Fasciculus myrrhae’ (1511; Wimpfeling-Br., Nr. 285). Von seiner Bibliothek – in ihr viele Schenkungen befreundeter Humanisten und ein
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seit 1500 geführtes Journal – fand Pellikan 1518 im Nachlaß ein Verzeichnis vor. G. vermachte sie den Franziskanern seiner Heimatstadt Rufach. Sie ging, soweit bekannt, bis auf eine Hs. (Colmar, Bibl. mun., Ms. 138) verloren. G., den Wimpfeling v. a. als kirchenreformerischen Theologen schätzte, ist weniger ein bedeutender und initiativer Autor als einer, der sich in einem gelehrten Aufgabenraum und Umfeld aktiv zu bewegen wußte. Er erfüllte dabei anstehende Aufgaben und integrierte sich in die publizistischen Vorhaben. Der Schwerpunkt des “Jodocus Ciceronianus” (Port) lag in Predigt und Rede. Seine Gedichte und Epigramme entstanden im Kontext humanistischer Interaktion ebenso wie die (bisher nicht systematisch erfaßten) Briefe. Seinem Habitus nach zählte er zum ‘konservativen’ Kreis des oberrheinischen Humanismus, der, wie Sebastian J Brant und sein Mentor Wimpfeling noch stark spätmal. Denken verhaftet, zugleich kirchen- und gesellschaftsreformerisch offen war. I I. We rk . G. schrieb mit Ausnahme seines späten Andachtswerks (s. u. D.) durchweg auf Latein. Seine zahlreichen geistlichen wie weltlichen Reden sind nur zum Teil überliefert. Einen Katalog der Reden bzw. Predigten G.’ ad universitatem et clerum bis 1495 stellte Trithemius zusammen (Trithemius, Cat., S. 181; danach Kleinschmidt, S. 56). Er führt 13 geistliche Reden (davon vier erhalten ⫽ A.2.⫺5.) an, benennt zwei (verschollene) Dialoge de promovendis ad magistrum und summiert die akademischen Reden pauschal unter Oraciones plures pro baccalaureis (darunter wohl auch B.1.⫺2.). Von den erhaltenen geistlichen und akademischen Reden ist der größere Teil einzig in Se´le´stat, Bibl. Humaniste, Ms. 116, um 1507 (im folgenden ⫽ S) überliefert; vgl. Kleinschmidt, S. 66⫺72. A . G ei st li ch e Red en . 1. ‘Oratio de sancta Katharina’. Unbetitelte und undatierte dialogische Rede zu Ehren der Patronin der Heidelber-
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ger Artistenfakultät, vielleicht zum Dekanat 1484/85, sicher nach 1480, dem Jahr des Magistergrads. – S, 63r⫺71r; hg. v. Hartfelder, Katharinenfest, S. 61⫺71. 2. ‘Oratio habita in synodo Spirensi’. Der dialogisch gestaltete Text zum Thema sittlicher Lebensform wurde am 11. Mai 1489 in Speyer vorgetragen. Wimpfeling übernahm sie als zweites Stück (Bl. [c6]r⫺ [d6]v) in den von ihm veranlaßten Sammelband ‘Directorium statuum seu verius tribulatio saeculi’, [Straßburg]: Peter Attendorn, [nach 25. Okt. 1489]; GW 8476. 3. ‘Oratio de Spiritu Sancto’. Die Predigt ad universitatem Heidelbergensem hielt G. in der Marienkapelle, der Universitätskapelle der Heidelberger Peterskirche (1488, vermutlich Pfingsten, 25. Mai). – S, 36r⫺41v. 4. ‘Oratio de Spiritu Sancto’. G. trug die Predigt ad universitatem Heidelbergensem am Pfingstsonntag, dem 26. Mai 1493, ebenfalls in der Marienkapelle am vor. – S, 42r⫺51r. 5. ‘Oratio ad clerum’. Ort und genaues Datum der in [...] capitulo rurali vorgetragenen Ansprache sind unbekannt. Da Trithemius die Rede im ‘Catalogus’ nennt, ist sie vor 1495 entstanden. Laut Vermerk in der Hs. (51v) trug G. die Rede nicht selbst vor, was sich mit der Angabe einer oracio ad clerum ruralem per alium dicta im ‘Catalogus’ des Trithemius deckt. – S, 51v⫺62v. 6. Verschollen sind die von Trithemius im ‘Catalogus’ aufgeführten Predigten: ‘Oracio de purificacione dive parthenices matris’, ‘Oracio de natali domini’, ‘Oracio de annunciacione dominica’, ‘Oracio de sancto Iohanne baptista’, ‘Oracio de epiphania’, ‘Ad clerum Wormaciensem oracio per alium dicta’. Hinzu käme ein ‘Dyalogus per modum oracionis de purificacione’.
B . A ka de mi sc he Re de n ( Or at io n es qu od li be ti ca e) . Heidelberg hielt wie alle spätmal. Universitäten jährlich große Disputationsveranstaltungen ab, bei denen jeder Magister über ein frei gewähltes Thema zu sprechen hatte. Um den ermüdenden Pflichtvorträ-
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gen mehr Attraktivität zu verleihen, wurden an einigen Hochschulen den ernsten Sujets auch satirische Scherzreden, die Quaestiones minus principales, beigemischt. Heidelberg förderte diesen Brauch, und G. gehörte zu den besten Rednern dieses Genres, das Unterhaltung mit Didaxe verband. 1. ‘Monopolium et societas vulgo des Liechtschiffs’. Die Scherzrede, die von Amtsanmaßern und betrügerischen Windmachern handelt, hielt G. am 25. Okt. 1489 (zur Datierung A. Thorbecke, Die älteste Zeit d. Univ. Heidelberg 1386⫺1449, 1886, S. 63* Anm. 152) in Heidelberg unter dem Vorsitz Wimpfelings. Sie bildet das 5. Stück ([e6]v⫺ [f5]r) in Wimpfelings ‘Directorium statuum’ (s. o. A.2.; Abschrift im Clm 11805, um 1500, 26r⫺31r) und ergänzt die vorangestellte, ältere Heidelberger Scherzrede von der ‘Schelmenzunft’ des Straßburger Klerikers Bartholomaeus D Gribus von 1478/79, deren Sujet und Titel Thomas J Murner für seine ‘Schelmenzunft’ (1511) übernahm. Strittiger als der Einfluß von Gribus auf Murner ist der von G. auf Sebastian Brant und sein ‘Narrenschiff’ von 1494 (eher positiv neuerdings Hartau, S. 149⫺156). Ausgaben. F. Zarncke, Sebastian Brant, Narrenschiff, 1854 (ND 1964), S. LXVIII⫺LXXII; ders., Die dt. Universitäten im MA, 1857, S. 51⫺ 61.
2. Weitere Quaestiones quodlibetares. a) Das Thema der juristisch-theologisch ernsthaft angelegten Quaestio quodlibetaris vom 30. Aug. 1492 unter dem Vorsitz Johann Lipfarts lautet: Damnificans alium in bonis fortune corporis aut anime teneatur ea restituere, adeo ut non possit absque tali restitucione vere et catholice penitere. – S, 1r⫺8v. b) Das Thema der sehr kurzen Quaestio minus principalis, die G. 1492 (vermutlich auch am 30. Aug.) in der Univ. Heidelberg hielt, lautet: Si Iudocus in grammatica baccalaureus damnicaverit in vino fratres de sancto Iacobo, teneatur ipse ad restitucionem aut pocius ipsi ei ad plenam satisfactionem. Im Text wird auf Verhältnisse am Kolleg St. Jakob angespielt, das der Zister-
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zienserorden außerhalb der Mauern Heidelbergs unterhielt. – S, 8v⫺9v; hg. v. Kleinschmidt, S. 73. c) Das Thema der quaestio minus principalis et accessoria, die G. 1492 (vermutlich am 30. Aug.) in der Univ. Heidelberg vortrug, lautet: Steffanus, qui cognominatur Iudeus, tam perfectus sit in fide mosaica christianus, ut merito debeat dici fidelis in frigida valle internuncius. Die Figur des getauften Juden Stephan taucht auch schon in der ‘Liechtschiff’-Rede von 1489 auf (s. o. B.1.). Der Text belegt trotz der formalen Verteidigung des Neuchristen ein zeittypisches antijüdisches Vorurteil. – S, 10r⫺16v; hg. v. Kleinschmidt, S. 73⫺ 80. C . Tra kt at e. 1. ‘Tractatus procuratorum editus sub nomine diaboli’. Dialog zwischen Teufel und Maria, die sich mit ihm über seinen Kampf mit dem genus humanum auseinandersetzt und Schutz verspricht. Für den G. zugeordneten Text wird in der Hs. kein Datum genannt. – S, 105r⫺111v. 2. ‘In arborem iudiciorum opusculum domesticum’. Es handelt sich um einen von G. verfaßten, am 12. Okt. 1496 abgeschlossenen Rechtstraktat. – S, 112r⫺135v. D . A nd ac ht sb uc h. ‘Eyn ewangelisch Abc’. Der befreundete Oppenheimer Drucker Jakob Köbel verlegte diese einzige dt. geschriebene Schrift von G. Zum Inhalt vgl. Pfleger, S. 826⫺ 828; Ritter, Heidelberg, S. 463⫺465, 477, 500. Druck. Eyn ewangelisch Abc | In dem vil Götlicher Leren [...] begryffen sein [...]. Oppenheim: Jak. Köbel, 1517. VD 16, J 309; vgl. J. Benzing, Jakob Köbel zu Oppenheim 1494⫺1533, 1962, Nr. 52.
E . G ed ic ht e u nd Ep ig ra mm e. Trithemius führt in seinem ‘Catalogus’ zu G. nur pauschal auf: Scripsit etiam carmina et epigrammata diuersi generis multa. Ich stelle das wenige mir Bekannte
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und durch explizite Zuschreibung Gesicherte zusammen: Gedicht auf Ks. Maximilian I.: Uppsala, UB, Cod. C 687, 216r⫺ v ; Teildruck bei Holstein, Ungedr. Ged., S. 462 f. – Quaestio ad utriusque status praelatos, quid sperent de utroque capite papa et cesare modernis futurum von 1493 (10 Dist.), moraldidaktisches Carmen (18 Dist.), undatiert, und Distichon ad Wormaciam in lat. und dt. Fassung vom 20. Nov. 1494, alle drei in S, 2r⫺73r; hg. v. Hartfelder, Gelehrtengesch., S. 166⫺ 168. – Trauergedicht und Distichon auf Peter J Schott, ‘Lucubraciunculae’, 1498, CLXXXr⫺v; danach Cowie, Peter Schott, Bd. 1, S. 313 f.; S, 71v. – Hexastichon zur Gedenkschrift für D Marsilius von Inghen, redigiert von Jakob J Merstetter, [Mainz 1499]; HC 10781, Bl. cv. – Tetrastichon zu Wimpfelings ‘Adolescentia’ (1500), hg. v. Herding, 1965, S. 341. – Kleine poetische Beiträge zum ‘Rationarium evangelistarum’ (zusammengestellt von Georg J Simler [II.A.1.a]) und zu D Hrabanus Maurus’ ‘De laudibus s. Crucis’ (Pforzheim: Th. Anshelm, 1503. VD 16, H 5271), Bl. Aa iiir; danach PL 107, Sp. 135. F. Herausgeber. 1. D ‘Mensa philosophica’. Heidelberg: Heinr. Knoblochtzer, [nach 28. März] 1489, Hain 11080. Auf Betreiben des Oppenheimer Druckers Jak. Köbel (G.’ Widmungsbrief an ihn, 28. März 1489) und unter Mithilfe seines Heidelberger Juristenkollegen Joh. J Wacker edierte G. die für das Tischgespräch konzipierte Exempla-Sammlung eines spätmal. Anonymus. Die ältere Annahme (Schmidt, S. 43 f., 392 Anm. 204) einer eigenen Autorschaft von G. ist schon angesichts der Druckgeschichte (Erstdruck: Köln: Joh. Koelhoff, [um 1479/80]) nicht zu halten. Dem Text der ‘Mensa’ schlossen Gallus und Köbel auf den frei gebliebenen letzten zwei Bll. des Druckes drei Schwänke an. Wegen Anstößigkeit sind in den erhaltenen Exemplaren häufig die beiden letzten Seiten entfernt (Rauner/ Wachinger, S. 170 f.). Faksimile der Widmung und der drei Zusätze ebd., S. 182, 184⫺186. 2. Jakob Wimpfeling, ‘Laudes ecclesie Spirensis’. [Basel: Mich. Wenssler, 1486]. Faksimile: R. D¸chting / A. Kohnke, J. Wimpfeling, Lob d. Speyrer Doms. Ed., Übers. u. Komm., 1999, Druckbeschreibung S. 105⫺107. Das Lobgedicht Wimpfelings über den Speyrer Dom und sein Domkapitel brachte G. mit Widmungsbrief an den
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Verfasser (Heidelberg, 10. Jan. 1486; WimpfelingBr., Nr. 7) zum Druck. 3. Francisci Philelfi poete | et oratoris Clarissimi | conuiuiorum libri duo: de multarum ortu et incre|mento disciplinarum […]. Speyer: Konrad Hist, 1508. VD 16, F 1018 u. G 318. G. unterstützte die von seinem Speyrer Mitkanonikus, dem Schlettstädter Lektor Johannes Kierher, edierte Ausgabe der ‘Convivia Mediolanensia’ (1443) des Francesco Filelfo (1398⫺1481) durch die Beigabe einer Epithoma convivalitatis und einer Epithoma epularis Lauticie (Bl. i iiij f.) nach einem Traktat des Gioviano Pontano über die Tafelfreuden – gemeint sind die geistigen Genüsse, die Gespräche bereiten, auch wenn das Mahl einfach ist. 4. Orarium Spirense. Kolophon: [...] labore quidam et studio Jodoci | Galli: Rubeaquensis. [...]. 2 Bde., Venedig: Julianus de Castello u. Joh. Hertzoch, 1509. H. Bohatta, Bibliographie d. Breviere. 1501⫺1850, 1937, Nr. 2749. G. redigierte und edierte das Speyrer Diözesanbrevier 1507 im Auftrag B. Philipps von Rosenberg (1504⫺1513); u. a. nahm er Wimpfelings Josefs-Offizium auf. Widmungsvorrede an den Bischof (19. Juni 1507); s. Donner, S. 42 f., 88⫺90. 5. ‘Castigatorium’ (ohne Titel, [Speyer: Peter Drach III., 1509]) zum ‘Missale Spirense’. G. erhielt von Philipp von Rosenberg 1507/08 den Auftrag, das Missale der Diöz. Speyer von 1501 (VD 16, M 5624 ⫽ Cop. 4233 [mit falsch aufgelöstem Druckdatum 1500]) zu redigieren. Es kam nicht zur Neuausgabe, G. erstellte lediglich ein ‘Castigatorium’ mit Fehlerverbesserungen und einigen Ergänzungen, das als liturgischer Sonderdruck mit Widmungsbrief an den Bischof (Speyer, 3. Jan. 1509) erschien; vgl. Donner, S. 43 Anm. 105 u. S. 90 f. Das einzige, von Donner, S. XIII, nachgewiesene Exemplar jetzt in Speyer, LB, an: Inc. 48 (Mitteilung v. J. Vorderstemann, Speyer). Literatur. K. Hartfelder, Das Katharinenfest d. Heidelberger Artistenfakultät, Neue Heidelberger Jbb. 1 (1891) 58⫺71, bes. S. 61⫺71; ders., Zur Gelehrtengesch. Heidelbergs am Ende d. MAs, ZGO 45 (1891) 141⫺171, bes. S. 163⫺168 (beide Beitr. wieder in: ders., Stud. z. pfälz. Humanismus, hg. v. W. K¸hlmann / H. Wiegand, 1993, S. 247⫺ 266, 215⫺245); Holstein, Ungedr. Ged., S. 359⫺ 382, 466⫺473; Schmidt, Hist. litt., Bd. 2, S. 40⫺ 46; J. Schlecht, Zur Gesch. d. erwachenden dt. Bewußtseins, Hist. Jb. 19 (1898) 351⫺358, hier S. 356 f.; Knepper, Wimpfeling, Reg.; L. Pfleger, Eine unbekannte dt. Druckschrift d. elsäss. Humanisten J. G., Anz. f. Elsäss. Altertumskunde 2, Jg. 5⫺8 (1913⫺1916/17) 826⫺828; W. Port, Zwei neue Gedichte Werners v. Themar, ZGO 80 (1928) 428⫺430; Celtis-Br., S. 259 f. u. ö. (Reg.); Ritter, Heidelberg, S. 465; O. Herding (Hg.), Jakob
Wimpfelings ‘Adolescentia’, 1965, S. 341 Anm. 105; G. Biundo, in: NDB 6, 1964, S. 55; O. Herding (Hg.), Jakob Wimpfeling / Beatus Rhenanus, Das Leben d. Joh. Geiler v. Kaysersberg, 1970, S. 44 f. u. 88; R. Donner, Jakob Wimpfelings Bemühungen um Verbesserung d. liturg. Texte (Quellen u. Abh. z. mittelrhein. Kirchengesch. 26), 1976, S. XIII, 88⫺91 u. ö. (Reg.); E. Kleinschmidt, Scherzrede u. Narrenthematik im Heidelberger Humanistenkreis um 1500, Euphorion 71 (1977) 47⫺81; Wimpfeling-Br., Bd. 1, S. 128 mit Anm. 1, 174; E. Rauner / B. Wachinger, Mensa Philosophica. Faksimile u. Komm. (Fortuna vitrea 13), 1995, S. 170 f., 182⫺186; Reuchlin-Br., Bd. 1, S. 311 f., 319⫺323, 331 f., 348⫺350; D. Dr¸ll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1386⫺1651, 2002, S. 263 f.; J. Hartau, Narrenschiffe um 1500. Zu einer Allegorie d. Müßiggangs, in: Th. Wilhelmi (Hg.), Sebastian Brant, 2002, S. 125⫺169; D. Mertens, Zum polit. Dialog bei d. oberdt. Humanisten, in: B. Guthm¸ller / W. G. M¸ller (Hgg.), Dialog u. Gesprächskultur in d. Renaissance, 2004, S. 293⫺317, hier S. 300 f.
Erich Kleinschmidt
Galtz J Gallus, Jodocus Gebwiler (Gebwilerius), Hieronymus Inhalt. I. Leben. ⫺ II. Schriften. A. Pädagogische Schriften und Ausgaben für seinen Unterricht. 1. Eigene Schriften. 2. Ausgaben von G. veranstaltet. 2.1. Grammatik. 2.2. Dichter und Redner. 2.3. Logik, Physik, Ethik. 3. Ausgaben, G. gewidmet. 4. Unterrichtswerke, von G. empfohlen. ⫺ B. Polemische Schriften. 1. von G. verfaßt. 2. Ausgaben. ⫺ C. Historische Schriften. 1. Gedruckte Schriften. 2. Ungedruckte Schriften. 3. Verschollene und geplante Werke. ⫺ D. Weitere Beiträge zu Drucken ⫺ E. Briefe. ⫺ Literatur.
I . L eb en . G. wurde im Sept. 1474 (s. u. II.C.2.c., Bl. 289v) in Colmar geboren (Argentuariensis, ebd., Bl. 1r, d. i. Colmariensis; vgl. Bl. 197 v u. Rhenanus-Br., Nr. 368); in Kaysersberg, seinem Herkunftsort nach der Basler Matrikel, dürfte er aufgewachsen sein. Er starb 1545 in Hagenau nach 50 Jahren pädagogischer Tätigkeit, so die Inschrift, die ihm seine sechs, aus der Ehe mit Anna zum Stein stammenden Söhne setzten. Nach dem Studium in Basel (1492) und in Paris (Bacc. art. 1492/93, Mag. art. 1495), wo Lefe`vre d’Etaples sein Lehrer
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war, wurde G. in Breisach, wohl 1495, Lateinschulmeister; als solcher bewarb er sich 1498 vergeblich um das Amt des Stadtschreibers. 1501 übernahm er ⫺ stolz, nach Ludwig D Dringenberg und Craft Hofmann der dritte zu sein ⫺ die städtische Lateinschule in Schlettstadt mit 250 Schülern. Zu ihnen zählten Beatus J Rhenanus, Johannes Kierher und Johannes J Sapidus, die G. als Helfer dienten und ebenfalls in Paris studierten. (Weitere?) 30 Schüler lebten im Haus G.s, 1507/08 Bonifacius Amerbach. Bereits 1509 wechselte G. nach Straßburg an die Schule des Domkapitels, um sie entsprechend den Reformvorstellungen J Wimpfelings zu erneuern. Die Straßburger Jahre bis 1521 sind die fruchtbarsten des pädagogischen Autors und Editors G.; in der Bereitstellung geeigneter und erschwinglicher Unterrichtsbücher sah er eine vordringliche Aufgabe, weshalb er mit Matthias Schürer († 1519) eng zusammenarbeitete. Im Kreis der sodalitas der Straßburger Humanisten traf er 1514 und 1518 mit J Erasmus zusammen, der ihn als sehr kultiviert (humanissimus) lobte. Gegen die seit 1520/21 in Straßburg anwachsende reformatorische Bewegung polemisierte G. offen ⫺ bereits Ende 1521 ist das Echo im ‘Karsthans’ und Ende 1522 im Gedicht Steffans von Büllheym über die Gegner des Matthäus Zell zu hören. Längst ein scharfer Kritiker der Mißstände im Klerus, sah G. diese vom Verhalten der evangelischen Prädikanten noch überboten. Ihre Lehre brandmarkte er als Häresie. Seit 1523 publizierte er entsprechende Streitschriften in dt. und lat. Sprache. Auf die ‘Beschirmung’ (II.B.1.a) antwortete ihm 1524 Hans Füeßli von Zürich, sekundiert von Zwingli. Der Straßburger Rat vermahnte G. 1523, verbot 1524 ihm und gleichzeitig J Murner das Schreiben und ließ sich von G. das unfertige Manuskript seiner Straßburger Chronik aushändigen. Die Neuordnung des Straßburger Schulwesens entzog der Tätigkeit G.s dort jede Grundlage. Er ging nach Hagenau, wo ihm der Rat 1525 die Leitung der Schule an der Pfarrkirche St. Georg anstelle des Lutheranhängers Michael Hilspach übertrug. G.
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stützte die altgläubige Orientierung Hagenaus, das als Haupt der Reichslandvogtei Sitz des (bis 1530 habsburgischen, danach pfälzischen) regierenden Unterlandvogts war. G.s Publizistik richtete sich mehr als zuvor in Straßburg auf die habsburgischen Herrscher und ihr Haus aus. Seine historiographischen Arbeiten sind, soweit sie nicht bei seinem Tod 1545 unfertig waren und verlorengingen, in der Hagenauer Zeit beendet und zumindest teilweise zum Druck gebracht worden. I I. Sc hr if te n. G. war von der Bedeutung der Erziehung für die christliche Gesellschaft und von der Verantwortung des Schulmeisters zutiefst durchdrungen. Pfarrer, Bürgermeister und Schulmeister sah er als die drei Säulen eines jeden städtischen Gemeinwesens an. G.s Zucht umfaßte die sprachlichliterarische und religiös-moralische Erziehung sowie die Erklärung und Bewahrung kirchlichen Brauchtums und der traditionellen kirchlichen Lehre, Kenntnis der elsässischen Heimat und Anhänglichkeit an das Haus Habsburg. Diese Anliegen greifen in seinen Schriften ineinander. Deshalb ist ihre sachliche Sonderung in pädagogische, polemische und historische Schriften oft nur ein Notbehelf. A . P äd ag og is ch e S ch ri ft en un d A us ga be n f ür se in en Un te rr ic ht . Über G.s tägliche Unterrichtspraxis in Schlettstadt spricht ein Brief des 13jährigen Bonifacius Amerbach. Die kurrikulare Konzeption (ordo et modus), die G. an der Straßburger Domschule entwickelt hat und in den Einleitungen der von ihm herausgegebenen Unterrichtsbücher erläutert, entspricht der Intention der Gymnasiumspläne Wimpfelings von 1501. Sie erhebt den Anspruch, auf das Universitätsstudium in altioribus disciplinis, d. h. auf ein Artes-Studium auf hohem Niveau, vorzubereiten. Der Anspruch der Domschule reichte über den der Stiftsschule von Jung St. Peter damit wohl hinaus. In Schlettstadt hat G. Grammatik (im Anschluß an den Donat) mit Hilfe des
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‘Doctrinale’ unterrichtet, doch bei gleichzeitiger Lektüre und prosodischer Analyse der Dichter (Horaz, Ovid, Battista Mantovano). In Straßburg ersetzte er das ‘Doctrinale’ durch J Cochlaeus’ Nürnberger ‘Quadrivium grammatices’. Dieses erweiterte er indes in vier Auflagen immer wieder mit Versen aus dem ‘Doctrinale’, die G. wegen ihres mnemotechnischen Nutzens schätzte. Doch streckenweise scheint G.s Cochlaeus den Alexander von Villa Dei nur noch zu kommentieren. Überdies erscheint seit der 2. Auflage als Anhang das 2. Buch von D Pergers ‘Grammatica nova’ (teilweise gekürzt) sowie eine Lehre der Prosodie, seit der 3. Auflage eine ebenfalls Perger entnommene Interpunktionslehre. Der Rekurs auf die dt. Sprache, den Cochlaeus bei der Formenlehre praktiziert, wurde in Straßburg ausgedehnt mittels des von G.s Helfer Georg Altenheymer erarbeiteten und G. gewidmeten lat.-dt. Wörterbuchs zur ganzen Cochlaeus-Grammatik (s. u. A.2.1.a). Für das Verfassen lat. Reden, Gedichte und Briefe hat G. nur ‘klassische’ Autoren zugelassen, zu denen er aber auch Poliziano zählt. J Lochers Abriß der ciceronianischen Rhetorik empfahl er für das häusliche Studium. Einen kräftigen Akzent setzte seine entschiedene Favorisierung des Plautus anstatt des Terenz. Aristotelische Logik, Natur- und Moralphilosophie wurden nach den Pariser Lehrbüchern des Lefe`vre d’Etaples und seines Schülers Jodocus Clichtoveus unterrichtet (VD 16, G 605, gehört Johannes Gebwiler, nicht Hieronymus). Im Winter 1516/17 führte J Luscinius in die griech. Grammatik ein, anschließend widmete er G. und dessen Schülern eine in Tabellenform gegossene Elementargrammatik, während G. die Ps.-Stobaeus-Übersetzung empfahl. Nach der Oporinus-Vita des Andreas Jociscus (VD 16, J 302) hat auch G. selber erfolgreich Griechischunterricht erteilt. G.s Unterricht war, besonders in Straßburg, an Wimpfelings Leitbild des integren, gebildeten und frommen Weltpriesters orientiert. Er erfüllte Wimpfelings
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Wunsch, J Gresemunds ‘Historia’ und William Meltons ‘Sermo ad iuvenes’ für den Unterricht bereitgestellt zu wissen. 1. Eigene Schriften. a) Jn [!] septem psalmorum pe|nitentialium breuis explanatiuncula a | Hieronymo Gebwilerio ex diuo | Gregorio ac ceteris | collecta. | Oratio exhortatoria eiusdem ad discipulos | vt ad dignam eucharistie sumptio|nem sese preparent. [Straßburg, um 1510]. VD 16, G 599 u. 601. Dieselbe Auflage mit korrigiertem Titel (Septem [...]) VD 16, ZV 6425. Titelbl.v⫺A ijv: Anleitung zu Osterbeichte und -kommunion, darin Verse (17 Dist.) über die Beichte. Ab Bl. A iijr: Text und Erklärung der Bußpsalmen als fortlaufender Text. b) Exhorta|tio admodum brevis | sacram communionem adire cupienti|bus haud inutilis a Hierony⫽|mo Gebuilerio edita. | Item confitendi modus a Deuspaterio | Niniuita per quaestiunculas literariis | tyrunculis excusus. [Straßburg: Joh. Prüß d. J., um 1518]. VD 16, G 602. Bl. Titelbl.v⫺A vr: G.s Anleitung (wie a). A vv⫺A vijv: Despauterius’ katechismusförmige Einführung in das Bußsakrament und Anleitung zur Beichte. Bl. A viijr⫺v: Merkverse für den Religionsunterricht. ⫺ Weiterer Druck: VD 16, ZV 6424. c) Panegiris Caro|lina continens Hecatosthicon ele|giacum carmen in sacratissime | Ceasareae atque catholicae Ma|iestatis praeconium a Hieroni|mo Gebuliero lusum ad-|iunctis eodem authore | scholijs quibus sequen|tia lectu non iniucun| da obiter inserun|tur. Straßburg: Joh. Prüß d. J., 1521. VD 16, G 603. Bl. Ir⫺IIv: Widmungsbrief (1. Febr. 1521) und -gedicht (1. asklepiad. Strophe) an Jean Hannart, Ersten Sekretär Karls V. Das Hecatostichon wird, anders als Wimpfelings ‘Hecatostichon’ auf Hzg. Eberhard I. von Württemberg (1495), stets suo loco durch den Kommentar unterbrochen, der aber aufgrund seiner Länge zum Haupttext wird. Von großem Wert sind die historisch-topographischen Beschreibungen des Elsaß (Bl. VIIv⫺XIIr), Straßburgs (Bl. XIIv⫺XIXv; XIXr⫺v: Mentel-Legende über die Anfänge des Buchdrucks) und der Vogesen (Bl. XIXv⫺XXIv); sie sind die ersten; Sebastian
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Münster, ‘Cosmographia’, hat auf sie zurückgegriffen. Das Carmen ist als Gesangstext für die Umzüge der gesamten Straßburger Schuljugend am Nikolausfest 1520 verfaßt und begrüßt den ins Reich einziehenden Karl V. Der kommentierte und durch ein Register (Bl. 2r⫺[4]v) erschlossene Druck richtet sich sowohl an den König ⫺ als Habsburger Alsatico stemmate satus ⫺, dem G. das Elsaß ans Herz und zu Füßen legt, als auch an die Schulen im Elsaß, denen G. eine erste ausgearbeitete Heimatkunde bietet. ⫺ Weiterer Druck: Straßburg 1641. Bl. [):(4]r⫺v: Mülbius an den Leser, kritische Würdigung des Werkes. 2. Ausgaben, von G. veranstaltet. 2.1. Grammatik. a) Grammatica Jo. Cochlei Norici Rudimen⫽| ta ad usum Latinae linguae | necessaria continens. Si|ue Prosa / siue Carmine | latine scribendum / lo|quendumue sit Alexandri etiam versiculis utilioribus introsertis […]. Straßburg: Reinh. Beck d. Ä., 1513/14. VD 16, C 4367. Drei weitere Straßburger Ausg.n Nov. 1514, 1515 u. 1519, VD 16, C 4368⫺4370. Jedesmal fügt G. weitere Verse des ‘Doctrinale’ ein, was er im Schlußwort, am nachdrücklichsten 1519, Bl. CXIv⫺[CXII]r, verteidigt. Bereits im Einleitungsbrief an Wimpfeling (Wimpfeling-Br., Nr. 308) sucht G. Unterstützung für das Verfahren. b) Georg Altenheymer, Vocabulorum in Io|annis Coclei Grammaticam Colle|ctaneum […]. Straßburg: Joh. Prüß d. J., 1515. VD 16, A 1973. Bl. A ijr⫺iijv: Widmungsbrief Altenheymers, hypodidascalus G.s, an G., rühmt den Adressaten; A iijv⫺[A4]r: Rühmende Verse Altenheymers auf G. Zu Altheymers Vokabular s. M¸ller, Lexikogr., S. 60⫺62. 2.2. Dichter und Redner. a) Quinti Hora⫽|tii Flacci li⫽|ber Epistolarum. | Eiusdem, de arte Poetica. | Multa praeterea hic sunt correcta, vel muta⫽|ta ad exemplar Aldi. Straßburg: Matth. Schürer, Febr. 1514. VD 16, H 4925. Bl. Aa ijr Brief G.s an Schürer über den moralischen Wert der Episteln (probos mores tersae latinitati adiungere). b) M. Actii Plauti Asinii | comici claris|simi comoediae quinque. | 1 Amphitryo. | 2 Asinaria. | 3 Aulularia. | 4 Captiui duo. | 5 Curculio. | Cum lucubratiunculis ex commentarijs | Pyladis Brixiani, ornati[!]. Straßburg: Matth. Schürer, Aug. 1514. VD 16, P 3380. Bl. [a7]v⫺[a8]r: Einleitungsbrief: G. legt der lernenden Jugend mit gro-
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ßer Emphase Plautus ans Herz. Dieselbe Auflage mit korrigiertem Titel VD 16, P 3381. c) Theoderici Gresemundi. | Carmen de Historia Violatae crucis. Et eius | vita. Cum interpretatione Hieronymi | Gebuileri Scholarum summi tem|pli Argentoracensium mo⫽|deratoris. Straßburg: Reinh. Beck d. Ä., 1514. VD 16, G 3183. Weiterer Druck desselben Jahres ebd. G 3184. ⫺ Titelbl.v⫺a ijr: Widmungsbrief G.s (15. Febr. 1514) an den Domkanoniker in Straßburg und Trier Graf Bernhard von Eberstein d. J., bis Nov. 1512 G.s Schüler, über den Nutzen der litterae für den Adel; Distichon G.s an den Leser. Bl. a iijr⫺[a4]v: [J. Wimpfeling], ‘Gresemundi vita’; Fleischer weist sie ohne Diskussion G. zu, doch kaum zu Recht. G. ist der Autor vermutlich der Inhaltsangabe (Bl. br⫺v), sicher des Kommentars. Dieser gibt lexikalische, stilistische, rhetorische und sachliche Erklärungen, darunter, teils nach Gerson, religionsgeschichtliche über die Umwandlung heidnisch-antiker Riten in christliche Bräuche. d) Oratio | reverendi in Chri/|sto patris et viri undecunque doctissi. | Domini Hieronymi Balbi Episcopi | Gurcensis […] Fer|dinandi Archiducis Austrie etc. O|ratoris […] coram Adriano | vi. Pont. Max. habita. Hagenau: Th. Anshelm, 1523. VD 16, B 180. ⫺ Titelbl.v: Widmungsbrief G.s, ex scholis nostris 5. Juni 1523, an Eiteljohann Rechberger, Kanzler B. Wilhelms von Straßburg. Wiederabdruck der zuvor in Rom [o. Dr.] erschienenen Obödienzrede J Balbus’ [9. Febr. 1523] über die Kirchentreue der Habsburger, ihre Kämpfe gegen die Türken und die aktuelle Notwendigkeit des Türkenkriegs. Bl. C ijv⫺[C4]r: Epigramme Balbus’ auf Kardinäle. e) Johannes Secundus (Jan Everaerts), Incomparabilis | doctrine, trium item lingua⫽|rum peritissimi uiri D. Erasmi Rotherodami, in sanctissi| morum martirum Rofensis Episcopi, ac Thomae | Mori, iam pridem in anglia pro Christiana | ueritate constanter defensa, innocenter | passorum, Heroicum Carmen [...]. Hagenau: Val. Kobian, Sept. 1536. VD 16, E 4676; verbesserter Druck ebd. 1536. VD 16, ZV 5620. Verfasser des ‘Carmen’ auf Bl. A iijr⫺[A4]v ist nicht Erasmus, sondern Johannes Secundus († 24. Sept. 1536). Scharfe Kritik an G.s Hagenauer Ausgabe übte Johannes’ Bruder Hadrian Everaerts, vgl. C. Reedijk, The Poems of Desiderius Erasmus, Leiden 1956, S. 396 f.; Amerbach-Korr., Bd. 4, S. 446. ⫺ Bl. A ijr⫺v: G. widmet am 1. Sept. 1536 dem streng altgläubigen Pfalzgrafen Johann II. von Simmern (1509⫺47), Präsidenten des Reichskammergerichts 1536⫺39, die Passio der beiden Märtyrer John Fisher und Morus. Bl. Br⫺B ijv: G.s Kommentar, der teils philologisch, doch größtenteils zeithistorisch ist, mißbraucht die Klage des Dichters über Eng-
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land für Elogen auf die providentielle Rolle Karls V. als Retter der Kirche, Bezwinger Frankreichs und künftig auch Englands. 2.3. Logik, Physik, Ethik. a) Jodocus Clichtoveus, In hoc opusculo continen⫽|tur introductiones. | [Sp. 1:] In terminos | In suppositiones | In predicabilia | In diuisiones | In predicamenta | In librum de enunciatione | In primum priorum. [Sp. 2:] ln secundum priorum | In libros posteriorum | In locos dialecticos | In fallacias | In obligationes | In insolubilia. Straßburg: Joh. Knobloch d. Ä., 1516. VD 16, C 4205. Bl. a ijr: G. klärt den Leser auf, daß er eine Bearbeitung von Schriften Lefe`vres in Händen hält (Rice [s. u. E.], Nr. 115). b) Jntroductio in | Physicam paraphrasim: adie|ctis annotationibus ex⫽|planata. A Iacobo Sta|pulensi edita. Straßburg: Reinh. Beck d. Ä., 1514. VD 16, L 955. Der beigefügte Kommentar stammt von Jodocus Clichtoveus. G. legt im Brief an den Leser (Bl. a IIr) sein Konzept eines Trivialschulcurriculums vom Donat bis zur Moralphilosophie dar, das zu fruchtbarem Universitätsstudium befähige (Rice [s. u. E], Nr. 110). c) Artificialis introductio Iacobi | Fabri Stapulensis: In Decem Ethicorum Libros Aristotelis: Ad| iuncto Familiari Commentario Iudoci Clichto|vei declarata. | Leonardi Aretini Dialogus de | moribus: Ad Galeotum amicum dia|logo paruorum moralium Aristotelis Ad | Eudemium respondens. | Iacobi Fabri Stapulensis introdu⫽|ctio in Politicam. | Xenophontis Dialogus de eco|nomia. Straßburg: Joh. Grüninger, 1511. VD 16, L 947. Bl. IIr: Widmungsbrief an Sebastian J Brant (Rice [s. u. E.], Nr. 80). 3. Ausgaben, G. gewidmet. a) P. Fausti Andrelini | Foroliuiensis Poetae Laureati |atque Oratoris clarissimi | Epistolae prouerbiales | et morales [...]. Straßburg: Matth. Schürer, 1508. VD 16, A 2775. Titelbl.v: Widmungsbrief des Hg.s Beatus Rhenanus an G., 31. Aug. 1508; Rhenanus-Br. Nr. 4. Weitere, größtenteils Straßburger Drucke dieser Ausgabe: VD 16, A 2777⫺79 u. 2780 (daraus Abschrift Darmstadt, LB, Ms. 2696), 2783⫺2787, 2790. b) Desiderii Erasmi Rotero|dami, de duplici Copia rerum ac verborum, | Commentarii duo […]. Straßburg: Matth. Schürer, 1513. VD 16, E 2643. Bl. ijr⫺v: Widmungsbrief des Sebastian J Murrho d. J. an G., seinen Lehrer; aus dem Haus Schürers 17. Jan. 1513. Die Vorlage (den Erstdruck, Paris Juli 1512) hat Kierher im Herbst 1512 aus Paris mitgebracht. c) William Melton, Sermo ad iuvenes, qui | sacris ordinibus iniciari, et examini se | submittere petunt. cum epistolio | I. Vu. ad Hiero. Gebuilerum,| et responso eiusdem [...]. Straßburg: Matth.
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Schürer, 1514. VD 16, S 6012. Titelbl.v⫺A iijv: Brief Wimpfelings an G.: Die Drucklegung folgt einer Anregung des Erasmus; [B7]v⫺C iijv G. an Wimpfeling, 13. Sept. 1514; Wimpfeling-Br., Nr. 311 u. 313. [C8]r: Distichon G.s ad lectorem. ⫺ Weitere Drucke VD 16, S 6013 f. d) Progymnasmata Graeca|nicae literaturae ab Ottomaro Luscinio | pro studiosis iam pridem concinnata […]. Straßburg: Joh. Knobloch, 1517. VD 16, N 30. Titelbl.r Tetrastichon G.s, Titelbl.v: Widmungsbrief des Luscinius an G. mit namentlicher Nennung der Förderer und Hörer seines Griechischkurses an G.s Schule. Weitere Drucke VD 16, N 31 f. 4. Unterrichtswerke, von G. empfohlen. a) Illustrium | graecorum, prae|clarae sententiae, partim morales [...] partim ad festiuos iocos | accommodatae. Ex Stobaeo graeco autho⫽|re, per Ottomarum Luscinium | Argentinum, Iurispon. Doct. e graeco | in latinum traductae. Straßburg: Joh. Schott, 1518. VD 16, ZV 8730. Weiterer Druck in: Graece | et latine.| moralia quaedam insti⫽|tuta, ex uarijs authoribus. [...] | Cebetis Tabula | Sententiae morales, multorum uirorum illustrium [...]. Hg. v. Luscinius, Augsburg: Simpr. Ruff, 1523. VD 16, N 28. Die Übersetzung der ‘Sententiae’ beginnt ohne Titel auf Bl. O vv mit dem Widmungsbrief des Luscinius an Ambrosius Yphofer, Straßburg, 13. Juni 1518. Es folgt Bl. [O8]r von G. ein an die Schuljugend gerichtetes Decastichon. Es preist Luscinius, Straßburgs Ruhm, als Übersetzer des Ps.-Stobaeus und Lehrer des Griechischen im Elsaß. b) Compendium | Rhetorices/ ex Tulliano thesauro di⫽|ductum ac concionatum: per Iaco|bum Locher Philomusum ora|toriae professorem. | Aptissima syntaxis de componendis [!] | Oratione funebri. Straßburg: Reinh. Beck, 1518. VD 16, ZV 9823. Dieselbe Auflage mit korrigiertem Titel: VD 16, L 2214. Bl. Br: Empfehlendes Tetrastichon G.s. Weiterer Druck: VD 16, ZV 9824.
B . P ol em is ch e S ch ri ft en . G. variiert in Schriften und Widmungsschreiben folgende Grundideen, die das Anliegen der vorreformatorischen Reform im Sinne Wimpfelings mit einer Historisierung der Reformation als Ketzergeschichte verbinden: Rom fördert Mißstände im Klerus durch Dispense und verhindert Reformen; zur Strafe läßt Gott die neue Lehre und ihre Ausbreitung zu, doch es handelt sich um eine Irrlehre, wie sie die Kirche in
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ihrer Geschichte schon mehrfach überstanden hat; G. will Mut machen zu widerstehen und durchzuhalten. 1. von G. verfaßt. a) Beschirmung des lobs vnd | eren der hochgelobten hymelischen künigin Ma| rie/ aller heiligen gottes / auch der wolan⫽|gesetzten ordnungen der Christlich⫽|en kirchen wider die freuenlichen | heiligenschmeher [...]. [Straßburg: Joh. Grüninger], 21. März 1523. VD 16, G 593. Bl. A ijr⫺v: Widmungsbrief G.s an B. Wilhelm von Straßburg, darin die von Laien verbreiteten fünf Artikel, die G. widerlegen will. Er wendet sich nach Inhalt und Sprache an Laien. ⫺ Über altkirchliche Ketzereien und aktuelle ketzerische Freveltaten, so über die des Steinschneiders Meister Sigmund (Bl. XXVIIr⫺XXVII[I]r), Erklärung und Verteidigung kirchlicher Ordnungen, Bräuche und Gebete. ⫺ Die Antwurt eins Schwytzer Purens (Zürich: Hans Hager, 1524. VD 16, F 3275) von dem Handwerker Hans Füßli ⫺ eine gelehrte Erwiderung verdiene G. nicht ⫺, eingeleitet von Zwingli, ist dem Straßburger Ratsherrn Renbold Mußler gewidmet und antwortet auf G. Punkt für Punkt. b) Gravissi⫽|mae sacrilegii, ac con⫽| temptae theosebiae ultionis, ethnicorum He⫽|braeorum et Christianorum uerißimis | comprobatae exemplis syngramma,| Hieronymo Gebuuilero autore,| ortum et originem im⫽|perialis Oppidi Hagenou, hactenus pau|cis notum, Liminaris huius libelli | Epistola indicat. Hagenau: [Wilh. Seltz], 1528. VD 16, G 597. ⫺ Bl. A 2r⫺ [A7]r: Widmungsbrief, 30. Sept. 1527, an alle weltlichen Amtsträger in Hagenau. Lob der konfessionellen und politischen Standfestigkeit der Stadt, die ihrem Herkommen gemäß sei. Von Bl. A 4r an Abriß der Geschichte Hagenaus. ⫺ Die Hauptschrift geht von der pietas als einem Proprium des Menschen aus und verfolgt in religionsgeschichtlichem Ansatz (u. a. mit Laktanz, Battista Mantovano) die göttlichen Strafen für impietates von Adams Sündenfall bis zum Sacco di Roma 1527. Habsburgische Geschichte wird auf Kosten der staufischen stilisiert: wegen Heinrich IV. strafte Gott die Salier und Staufer
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bis ins siebte Glied (d. i. Konradin), doch die Habsburger hätten sich niemals impietates zuschulden kommen lassen. Bl. [C6]v⫺ [C8]v zum Bauernkrieg; Bl. Dr⫺[D7]r stellt G. Friedrich Barbarossas Reform des Klosters Hohenberg als aktuelles Vorbild dar. Als erster zieht G. dabei den ‘Hortus deliciarum’ D Herrads heran und bringt Verse Herrads (R. Green u. a. [Hgg.], Herrad of Hohenbourg, Hortus deliciarum, London/ Leiden, 1979, Bd. 1, S. 227; Bd. 2, S. 505) und D Rilints (ebd., Bd. 1, S. 226 Nr. 345, Bd. 2, S. 504) zum Abdruck. ⫺ [D7]v: An den Rat Hagenaus (8 Dist.). 2. Ausgaben. a) Johannes Culsamer / Bartholomäus J Arnoldi, Concer|tatio | haud inelegans | Culsameri Luth|eriani et. F. Bartolom. | Vsingen. theologiae con|sulti augustiniani | [...]. Straßburg: Joh. Grüninger, 7. Jan. 1523. VD 16, A 3748. Bl. A ijr⫺ iijr: Widmungsbrief G.s vom 31. Dez. 152[2] an Balthasar Gerhard, Johanniterkomtur, und Martinus Gallicianus, Kartäuserprior, beide Straßburg, und ihre Professen. G. verbreitet einen Erfurter Druck (s. VD 16, C 6309 f., 6312) zu antilutherischem Trutz und Schutz. b) Isidor, Augustinus, Hieronymus, Conten|ta in | hoc libello. | Ysidorus de sectis et nominibus | haereticorum. | Diui augustini libellus au|reus de fide et operibus. | S. Hieronymi liber de per⫽| petua gloriosae Virginis | Mariae virginitate, | Epistola eiusdem contra vi|gilantiu de venerandis san⫽|ctorum reliquijs. Straßburg: Joh. Grüninger, 12. März 1523. VD 16, I 372. ⫺ Bl. A ijr⫺iijr: Widmungsbrief an B. Wilhelm von Straßburg, 1. März 1523: Rom ließ Wilhelms Klerusreform [1509] scheitern und nährte so die Neuerungen. c) Theophilus Tectonus, Compen|diosa Boemice | seu Hussitane here|seos ortus et eiusdem damnatorum | Articulorum descriptio [...] | nuper a theophi|lo tectono congesta. Straßburg: Joh. Grüninger, 16. Febr. 1524. VD 16, T 291. Bl. A ijr: Widmungsbrief G.s an Georg Ebel, Propst von St. Arbogast, 14. Okt. 1523, mit der Behauptung, der Autor sei ein gewisser Theophilus Tectonus Vosagigena. Dahinter verbirgt sich vielleicht der bereits vom Rat abgemahnte G. selber. G.s Ausführungen über Hus und Hieronymus von Prag in Nr. C.2.c, Bl. 263r⫺265v, 268r⫺269r, stimmen teilweise wörtlich mit “Tectonus” überein. d) D Hildegard von Bingen [NB], De prae⫽| senti clericorum | tribulatione, futurorumque Tem⫽|porum euentu, Diuae Hilde⫽|gardis Prophetiarum, seu | Diuinarum reuelatio|num libellus haud | poeniten⫽|dus [...]. Hagenau: Wilh. Seltz, 1529. VD 16, H 3628. Bl. A 2r⫺v: Widmungs-
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brief an Friedrich Brechter (Prechter), Inhaber des Reichslehens Hochfelden. Bl. C 3r⫺v: Ad tribulatum clerum [...] elegiacum carmen (12 Dist.), Distichon an Brechter. ⫺ G. veröffentlicht drei in vetustissimo codice gefundene Prophetien, die die gegenwärtigen Bedrängungen der (katholischen) Kleriker und Laien vorhersagten. G.s lat. Druck ist das konfessionelle Gegenstück zu Andras Osianders d. Ä. dt. Hildegard-Druck 1527 (Gesamtausg., Bd. 2, 1977, S. 483⫺501), VD 16, H 3631⫺ 3633. e) Ein schone auch | Christenliche Epistel / des Hochgelerten | Doctoris / Erasmi von Roterdam / wi⫽|der ettliche / so sich fälschlichen berümen / | daß sie Euangelisch seyen / hieuor zu˚ La⫽|tein / yetzt kürtzlichen auch zu˚ Teutsch auß⫽|gangen [...]. [Hagenau: Val. Kobian, 1532]. VD 16, E 2889. Bl. A ijr⫺[A4]r: Widmungsbrief des Übersetzers G. an Graf Reinhart von Zweibrücken, 1. März 1530, worin G. Erasmus’ ‘Epistola contra pseudoevangelicos’ vom Dez. 1529 dezidiert katholisch deutet; Bl. Hv⫺H ijr: G.s Schlußrede an den Leser. In beiden Texten erklärt G. das Prinzip seines Übersetzens (nach dem rechten, auch vermercklichstem synn vnd verstandt). Das Datum kaschiert die Benutzung der genauso datierten Übersetzung des Faber Emmeus (VD 16, E 2887). G.s Übersetzung bleibt aber eigenständig und ist besser.
C . H is to ri sc he Sc hr if te n. G.s Hauptthemen sind die historische Landesbeschreibung des Elsaß und die Geschichte der habsburgischen Dynastie. Damit stellt sich G. in die Traditionen sowohl der Germania illustrata als auch der habsburgischen Hofgeschichtsschreibung. Er verbindet beide Stränge nach Möglichkeit in jeder Schrift. Mit den elsässischen Orten seiner Schultätigkeit hat er sich jeweils auch historiographisch beschäftigt (s. o. B.1.b, C.2.a u. b), er hat in Archiven und Bibliotheken elsässischer Klöster wichtige Funde zum frühen und hohen MA gemacht und ist dabei zum Entdecker des ‘Hortus deliciarum’ der D Herrad von Hohenburg geworden (s. o. B.1.b). Er hat Sach- und Schriftquellen des habsburgischen Aargaus aufgetan (Wettingen; Rhenanus-Br., Nr. 140). Die sehr beachtliche heuristische Leistung übertrifft indes G.s kritische Fähigkeiten bei weitem. Fluchtpunkt all seiner historiographischen Tätigkeit ist die ungedruckt gebliebene ‘Austrias’ (C.2.c). Sie führt ⫺ wie die gedruck-
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ten Kurzversionen ‘Epitome’ (C.1.c, d, f) ⫺ die Genealogie der Habsburger nicht nur mit JakobD Mennel über die Merowinger auf die Trojaner zurück, sondern weiter, mit J Stabius und unter dem Einfluß des Ps.-Berosus, auf den G. sich beruft, bis auf Noa. G. will der Umorientierung der nationalen Bewegung von Karl auf Luther entgegenwirken und, mit zunehmendem Nachdruck, die Auserwähltheit der Habsburger als Retter der Kirche historisch aufweisen. 1. Gedruckte Schriften. a) Libertas | Germaniae. | qua Germanos Gallis, nemi⫽|nem vero Gallum a` Chri|stiano natali, Ger⫽|manis impe⫽| rasse,| certissimis classicorum | scriptorum testimonijs probatur. | Encomium sacrae Ro. Regiae ac | catholicae maiestatis, illustriumque Romani Im|perij Principum Electorum. | Nantuantes, Heluetios, Raurices, Tribotes seu | Alsatas, Nemetes [...] | Germanos esse [...] | attestatio.| Hieronymo Gebuilerio autore [...]. Straßburg: Joh. Schott, 1519. VD 16, G 600. ⫺ Bl. a ijr⫺a iijv: Widmungsbrief an Jakob Villinger, 15. Juli 1519, d. h. nach der Wahl Karls V. (28. Juni). Doch die (Prosa)Schrift entstand größtenteils in den Monaten davor, als die Thronkandidatur Franz’ I. ihre größten Chancen hatte. Sie zu delegitimieren, verwehrt G. den französischen Königen seit Hugo Capet die trojanische Abkunft, welche er vielmehr, ineins mit der Herrschaft über Germanien und Gallien seit “Kg. Pharamund” bzw. über das Reich seit Karl d. Gr., für die deutschen Franken in Anspruch nimmt. Bezüglich der linksrheinischen Reichsgebiete verwendet G. Autoritäten und Argumente aus Wimpfelings ‘Germania’ und J Peutingers ‘Sermones convivales’, auf die er Bl. [d5]r verweist. Kap. 10 reagiert auf die nunmehr erfolgte Wahl Karls mit einem (Prosa)Encomium (Bl. d iijr⫺d iiijr). Bl. a iijv: 6 Distichen, Abdruck bei Knepper, Nat. Gedanke, S. 199. Der Titel, ein aktuelles politisches Schlagwort (bei G. auch Germana bzw. Germanica libertas), meint hier die Freiheit von französischer servitus, nicht von Rom, wie bei Hutten und Luther seit 1520. ⫺ Weiterer Druck: o. O. 1642.
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b) Ein schöne warhafftig | vnd hieuor vngehörte hystorie / des Fürst⫽|lichen stammens vnd härkommens / der hei⫽| ligen junckfrawen Otilie / irer eltern [...] | so Hertzogen / Grauen vnd Her⫽|ren seind gewesen / in Schwaben / El⫽|saß vnnd Breyßgaw [...]. Straßburg: M. Schürer (Erben), 1521. VD 16, G 604. Bl. ijr⫺A ijr: G. widmet, 24. Wintermonat 1521, den Junkern Jörg, Samson und Albrecht von Ratsamhausen zum Stein die zunächst lat. abgefaßte ⫺ aber nicht erhaltene ⫺, dann, zur Unterrichtung der Laien, in ländtlichen teutschen übertragene Vita Odilias. G. beschreibt Leben und Kult sowie, mit Hervorhebung der Klostergründungen, Vorfahren und Verwandtschaft und leistet damit einen Beitrag zur Alsatia illustrata. ⫺ Weiterer Druck: Freiburg i. Br. 1598. VD 16, ZV 6426. c) Epitoma regii ac vetustissimi ortus | Sacrae cesaree atque Catholice Maiestatis [...] Ferdinandi Boemie regis [...] | omniumque austria⫽|corum archiducum. ducum. principumque Habsbur|gensium [...] ad duo ferme | annorum milia […] nominatim con|scriptorum,| autore Hieronimo Gebwilero […] in tres libros destinctum. Straßburg: Joh. Grüninger f. H. G., 20. März 1527. VD 16, G 594. ⫺ Bl. A ijv⫺ iijr: Widmungsbrief an Kg. Ferdinand; s. u. C.1.f. d) Keiserlicher vnd Hispanischer Mt. | auch [...] aller [...] | hertzogen von österreich, Darzu der fürst|lichen graven von Habsburg, alt künglich harkumen, | mit namen gar nahe vff zweitusend Jar. Durch | Hieronimum gebweiller [...] Hie-|vor zu latin/ vnd ietzt nachmals | zu˚ tütsch [...] | begriffen. Straßburg: Joh. Grüninger f. H. G., 22. Febr. 1527. VD 16, G 596. ⫺ Bl. A ijr: 3 dt. gereimte Verspaare; A ijv⫺iiijr: Widmungsbrief, 1. Jan. 1527, an Wilhelm von Rappolstein, Landvogt, und Regenten zu Ensisheim; Bl. A iiijv: Erzhzg. Ferdinand an G., Speyer, 20. Juli 1526. e) In glori|osissimvm sacrae | Caesareae atque Catholicae Maiesta|tis (capto Galliarum Rege) trium⫽|phum, Terpsichores Hecasticon, | Elegiacum Carmen, una cum | libello Hiero. Gebuile. ha⫽| ctenus inuiso, originem et | interitum illu-
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stris Ze⫽|ringiae domus Prin|cipum, strictim | continente. Hagenau: Wilhelm Seltz, 1529. VD 16, G 598. ⫺ Teilabschrift Zürich, Zentralbibl., Simlersche Briefslg. ⫺ Der Druck besteht aus zwei thematisch ganz verschiedenen Teilen, einem ersten zu den aktuellen Siegen der habsburgischen Politik in Europa und einem anderen zur regionalen Geschichte; beide sind dem vom Schlettstädter Lateinschüler zum Reichsvizekanzler aufgestiegenen Balthasar Merklin aus Waldkirch gewidmet. 1.) Titelbl.v⫺A iijv: Widmungsbrief G.s an Merklin, 31. Dez. 1529, über dessen Karriere. Bl. [A4]r⫺[A6]r: 50 Dist. auf Karls V. Sieg bei Pavia am 24. Febr. 1525; nach der Züricher Abschrift gedruckt bei Knepper, Nat. Gedanke, S. 199⫺201. Bl. [A6]v⫺ [A8]r: 20 eleg. Distichen auf die (keineswegs verurteilte) Eroberung Roms am 8. Mai 1527 durch die Kaiserlichen nescio Caesare; Bl. [A8]r⫺v: Prosabericht über den Sieg im Kampf um Neapel Aug. 1528, Bl. [A8]v: über Ferdinands Erfolge in Ungarn 1527/28. ⫺ 2.) Bl. Br: Brief G.s an Merklin, 14. März 1529. Bl. Bv⫺[B8]r: ‘Commentaria’ über die habsburgischen Ursprünge des Klosters Waldkirch und die Entstehung und das Ende des von den Habsburgern abstammenden Hauses der Zähringer. f) [...] | Epitome regii ac vetustissimi | ortus Sacrae Caesareae ac Catholice Maiestatis, Sere|nissimi quoque Principis et Domini, Dn. Ferdi/|nandi, Vngariae ac Bohemiae Regis, omniumque | Archiducum Austriae, ac Habsburgensium Co| mitum, a` Hieronymo Gebuilero ex antiquiss.| et receptiss. Authoribus, nunc recens | diligentiss. in lucem aedita. Hagenau: Joh. Setzer, 1530. VD 16, G 595. ⫺ Titelbl.r: Über dem Titel Holzschnitt (unter den Schwingen des Doppeladlers der habsburgische Pfauen- und der Löwenschild), darüber [Ps 16,8] Sub umbra ala| rum tuarum, protege nos. Titelbl.v: Erzhg. Ferdinand im Namen Karls V., Nürnberg, 15. Febr. 1524, schützt G.s habsburgische Genealogie in drei Büchern für 3 Jahre vor unautorisierten Nachdrucken; Bl. [A2]r: Jakob J Spiegel im Auftrag Ferdinands, Speyer, 20. Juli 1526, an G.; Ferdinand
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wünscht nach Lektüre der ihm von G. überreichten Hs. deren Druck; Bl. A ijv⫺ [A4]r: G. an Ferdinand, 1. Juni 1530, über den Inhalt der drei Bücher der ‘Epitome’ und deren fehlerhaften Druck von 1527 (s. o. C.1.c); Bl. [A4]v⫺Q iijv: Bücher I⫺III von Noa bis Karl V.; Bl. [Q4]r: Hexastichon G.s. ⫺ Bl. [Q4]r⫺T iiiv: Buch IV, Vorfahren der Maria von Burgund (Kapetingergenealogie); Bl. [Q4]v⫺[R4]r: Widmungsbrief an Merklin, 21. Juli 1530, über Vatizinien; [R4]r⫺v: G. an den Leser und Tetrastichon. ⫺ Bl. T iiiv⫺[CC3]r: Buch V über die Zähringer mit Widmungsbrief an Merklin (Bl. [T4]r⫺v) wie Teil 2 des Drukkes C.1.e. Bl: [CC3]r: 5 eleg. Distichen an Karl V.; Bl. [CC4]r: Wappen G.s, von Maximilian verliehen; 2 Distichen. ⫺ Weiterer Druck: Löwen 1650 mit einem VI. Buch Libertas Germanica, das der Liste der Kapetinger eine mit Hilfe von C.1.a erstellte Liste der fränkischen Könige des 7.⫺ 10. Jh.s vorschaltet. g) Hiero|nymi Geb. Argen⫽| tuariensis de Austrasiaci seu Belgarum | regni ad Germanorum et Romanorum re|gnum devolutione, De Lotharingi|ci ducatus prima institutione, ac | debita eiusdem in Ro. Impera|tores subiectione [...] Li⫽|ber unus. Hagenau: [Petrus Braubach], 1536; J. Benzing, Bibliographie Haguenovienne, 1973, S. 108 f. Bl. A ijr⫺v: Widmungsbrief an Johannes Maius (Halbbruder J. Spiegels), 27. März 1536; [D2]v: G. an den Leser: Zirkumskription Austrasiens (die das Elsaß einschließt). ⫺ G. will aus der Geschichte Lothringens seit der regnorum divisio (Ordinatio imperii 817) die aktuelle Gehorsamspflicht der lothringischen Herzöge gegenüber dem Reich beweisen; Bl. [C8]r⫺Dv: zum Bauernkrieg in Lothringen. 2. Ungedruckte Schriften. a) Straßburger Chronik. Von der unfertigen und unbetitelten Chronik, die der Straßburger Rat 1524 einzog, sind in den Arch. Municipales de Strasbourg in unterschiedlichen Beständen geringfügige originale Reste erhalten, dazu etwas zahlreichere abschriftliche Fragmente, die Jakob Wencker zu Beginn des 18. Jh.s angefertigt und G. zugewiesen hat; die Buch- und Kapiteleinteilung stammen aus dem 17. Jh.
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Alle diese Straßburger Reste hat Stenzel, S. 48−79, publiziert. Unbekannt blieb ihm eine umfangreichere, doch ebenfalls unvollständige Abschrift von 1604 in Paris, BN, Fonds allemand Ms. 77, 1r⫺191r, ohne Autor; identifiziert von Wilsdorf, 1975, S. 35. Dank der hier erhaltenen Kaiser- und Papstgeschichte wird das Vorbild des Jakob D Twinger für die Gesamtkonzeption deutlicher als in den speziell straßburgischen Teilen. Teilausgabe. Stenzel, S. 48−79.
b) Schlettstädter Chronik. Verfaßt in Hagenau um 1530, überliefert in der Abschrift des Schlettstädter Bürgermeisters Jakob Frey (um 1650), als Einleitung zu seiner eigenen Chronik 1622⫺1678. Eine Abschrift beider Chroniken Berlin, SBPK, Ms. Germ. Qu. 845 (19. Jh.), S. 1⫺77. Ausgabe nach der Schlettstädter Hs.: J. Ge´ ny, 1530. Die Schlettstadter Chronik d. Schulmeisters H. G., 1890.
c) Commentariorum vestustissimi ortus nobilissimae Habsburgensium comitum illustrissimorum, item ducum et archiducum Austriacae domus [...] authore Hieronimo Gebuilero Argentuariensi [...] libri quinque. Strasbourg, BNU, Ms. 5458. 321 Bl., Papier. Autograph. Die Hs., noch von J. D. Schˆpflin um 1750 (vgl. Alsatia illustrata, Bd. 2, Colmar 1761, S. 461) benutzt, war erst 1936 (Heitz) wieder greifbar, stand also Schmidt, Knepper, Ge´ ny und Stenzel nicht zur Verfügung. ⫺ 2v⫺ 3v: Widmungsbrief an Kg. Ferdinand, 13. Juni 1540. Es handelt sich um G.s historiographisches Hauptwerk (in lat. Prosa), an dem er lange gearbeitet und auf das er früher unter dem Titel ‘Austrias’ mehrfach verwiesen hat; die ‘Epitome’ (C.1.c u. f) erklärte er als einen Auszug daraus. Formulierungen publizierter Werke finden sich hier wörtlich wieder. Die in A.1.c, Bl. Av u. A ijr angekündigte Geschichte Kg. Rudolfs ist hier Buch IV (188r⫺220r). Insgesamt ist das hsl. Werk, feierlich begonnen, am Ende dennoch unfertig. Die in der ‘Epitome’ in den Kapiteln über Karl V. und Ferdinand dargestellte Zeitgeschichte ist hier lediglich mit genealogischen Tabellen
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Gebwiler, Hieronymus
angedeutet. Auch ist die Einteilung in Bücher eine andere. Eine Zähringergeschichte (vgl. C.1.e u. f) fehlt. 3. Verschollene und geplante Werke. G. klagte 1530, für seine büchlin keine Drucker mehr zu finden. Um die 1545 nachgelassenen libri vetustatum wollte sich sein Sohn Protasius, von N. Brieffer und Beatus Rhenanus unterstützt und gedrängt (Rhenanus-Br., Nr. 396 f., 400, 403, 409), kümmern, was aber zu keinem Ergebnis führte. Dabei werden genannt: ein ‘Catalogus episcoporum Basiliensium’, von Brieffer gesehen; die vom Rat zurückzuerlangende ‘Chronica Argentinensis’ und eine ‘Chronologia’. G. selber verwies mehrmals auf geplante ausführliche Werke: 1521 (A.1.c, Bl. Av) auf eine ‘Alsatia’ und ‘Rudolphi gesta’ (vgl. C.2.c), 1536 (C.1.g, Bl. Dv) auf eine Geschichte des Bauernkriegs. D. Weitere Beiträge zu Drucken. a) Polydori Vergilii | Vrbinatis. | De | inventoribus | rerum libri | tres. | M. Antonii Sabellici De ar|tium inventoribus. | ad Baffum carmen | elegantissi⫽|mum. Straßburg: M. Schürer, 1515. VD 16, V 744. Titelbl.v (⫽ Bl. [i]v; vorhergeht bis Bl. [g8] ohne eigenen Kolophon VD 16, C 1592 bzw. ZV 2645): G. an Matthias Schürer, 30. Nov. 1509, er lobt Auswahl (Romane lingue primores et classici scriptores) und Qualität seiner Drucke. ⫺ Ein weiterer Druck: VD 16, V 746. b) Nycholai Dünckelspühel | Tractatus [...]. Straßburg: Joh. Schott, 1516. VD 16, N 1532. Es handelt sich um die von Wimpfeling besorgte Ausgabe (Wimpfeling-Br., Nr. 328 f.). Im Sinn des Hg.s empfielt G. auf dem Titel in 6 Distichen die Traktate des deutschen, den Italienern überlegenen Theologen. c) Doctissimi | Haymonis Saxonis | episcopi Halberstattensis in | diui Pauli epistolas cum | breuis tum perlucida | expositio […]. Straßburg: Reinh. Beck d. Ä., 1519. VD 16, B 4987. Titelbl.r: Tetrastichon G.s an den Leser d) Nicolle de L’Escut, Actiones | iuris, in compendiosas,| iuxta ac utiles figuras, et formulas, Iure⫽|consultis […] redactae.| [...] Per D. Nicolaum | de Lescut […]. Hagenau: Val. Kobian, 1536. VD 16, L 1304. Titelbl.v: 6 Distichen G.s, Lob des Werkes. ⫺ Ein weiterer Druck: VD 16, L 1305.
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E . B ri ef e. Die Schriften und Ausgaben G.s enthalten 25 Widmungsbriefe von G. aus den Jahren 1514⫺1540 und acht Briefe an G. (1508⫺26). ⫺ In der Amerbach-Korrespondenz der UB Basel sind acht Briefe an Johannes Amerbach (1508⫺09), einer an Johannes Froben (1510, G II 33), zwei an Bonifacius Amerbach (1530⫺31) und zwei von diesem enthalten (1531). Zwei Briefe des Schülers Johannes Rechberger sind von G. stilisiert. Clm 4007, 26r, enthält einen Brief von Michael J Hummelberg (1512). Ausgaben. Edierte Widmungsbriefe s. o. Nr. A.2.1.a; A.2.3.a⫺c: E.F. Rice, The Prefatory Epistles of Jacques Lefe`vre d’Etaples, New York/London 1972, Nr. 80, 110, 115; A.3.a, A.3.c. ⫺ Amerbach-Korr., Nr. 375, 380, 389, 396, 404, 412, 412a, 414, 1443, 1586; vgl. ebd., Nr. 1442, 1592. Literatur. H. K‰mmel, in: ADB 8, 1878, S. 486 f., M¸ller, Quellenschr. S. [43]⫺[49], [253] f.; Schmidt, Hist. litt., Bd. 2, S. 159⫺173, 407⫺411; C. Engel, Das Schulwesen in Straßburg vor d. Gründung d. protestant. Gymnasiums 1538, 1886, S. 34 f.; Knepper, Nat. Gedanke, S. 60⫺78 u. ö.; Ge´ ny, Schlettstadt, S. 55 u. ö.; Knepper, Wimpfeling (Reg.); J. Knepper, Das Schul- u. Unterrichtswesen im Elsaß, 1905 (Reg.); J. Ficker / O. Winckelmann, Handschriftenproben d. 16. Jh.s nach Straßburger Originalen, Bd. 2, 1905, Nr. 50; H. Burckhardt (Hg.), Karsthans (1521), 1910, S. 119; I. Staub, Dr. Johann Fabri, 1911, S. 67; H. Lempfried, Ältere Hagenauer Grabinschriften, Jahresber. d. Hagenauer Altertumsver. 2 (1911) 60⫺64 (in frz. Übers. E´tudes Haguenoviennes NS 28 [2002] 52⫺56); G. Gromer, Die Gesch.schreibung d. Stadt Hagenau i. Els. bis um 1850, 1913, S. 12⫺15; Ellinger, Neulat. Lit., Bd. 1, S. 382 ff.; E. Egli [Hg.], Huldreich Zwinglis sämtl. Werke, Bd. 3, 1914, S. 86⫺89; K. Stenzel, Die Straßburger Chronik d. elsäss. Humanisten H. G., unters. u. hg., 1926; C. Samaran / A. A. van Moe´ (Hgg.), Liber procuratorum nationis Anglicanae (Alemanniae), Paris 1935, Sp. 787 f.; F. J. Heitz, Quelques alsatiques anciens rapatrie´s en Alsace: IV. Un manuscrit autographe de Je´roˆme Guebviller, Revue d’Alsace 83 (1936) 148⫺153; M. Barth, Die Hl. Odilia, 2 Bde., Straßburg 1938 (Reg.); Die Matrikel d. Univ. Basel, Bd. 1, hg. v. H. G. Wackernagel u. a., 1951, S. 222; F. Ritter, Histoire de l’imprimerie alsacienne aux XV e et XVIe sie`cles, Paris 1955 (Reg.); M. Krebs / H. G. Rott (Hgg.), Quellen z. Gesch. d. Täufer, Bd. 7, 1959, S. 3 f.; A. L. Gabriel / G. C. Boyce, Liber receptorum nationis
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Gengenbach, Pamphilus
Anglicanae (Alemanniae), Paris 1964, Sp. 696; C. Wilsdorf, Beatus Rhenanus et le manuscrit du chroniqueur dominicain de Colmar, Annuaire de la Socie´te´ historique et litte´raire de Colmar 11 (1961) 37⫺43; H.-H. Fleischer, Dietrich Gresemund d. J., 1967, S. 3 u. ö.; A. Lhotsky, Apis Colonna, in: ders., Das Haus Habsburg, Bd. 2, 1971, S. 68⫺71, 75; E. Kleinschmidt, Herrscherdarstellung, 1974 (Reg.); C. Wilsdorf, Le Monasterium Scottorum de Honau et la famille des Ducs d’Alsace au VIIIe sie`cle. Vestiges d’un Cartulaire perdu, Francia 3 (1975) 1⫺87, hier S. 34⫺43; M. Lienhard, Mentalite´ populaire, gens d’E´glise et mouvement evange´lique a` Strasbourg en 1522⫺1523. Le pamphlet ‘Ein brüderlich warnung an meister Mathis ...’ de Steffan v. Büllheym, in: M. de Kroon / M. Lienhard (Hgg.), Horizons europe´ens de la Re´forme en Alsace, Strasbourg 1980, S. 37⫺62, hier S. 39 u. 51; H. Holeczek, Erasmus dt., Bd. 1, 1983, S. 231⫺235; F. Rapp, Die Lateinschule v. Schlettstadt ⫺ eine große Schule f. eine kleine Stadt, in: B. Moeller u. a. (Hgg.), Stud. z. städt. Bildungswesen d. späten MAs u. d. frühen Neuzeit, 1983, S. 215⫺234; ders., in: Dictionnaire d’histoire et de ge´ographie ecclesiastiques, Bd. 20, Paris 1984, Sp. 235 f.; A.-M. Burg, in: Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne, Bd. 2, Strasbourg 1986, S.1132 f.; M. U. Chrisman, in: CoE 2, 1986, S. 81 f.; R. Will, La plus ancienne description monumentale de la cathe´drale de Strasbourg tire´e de la chronique de l’humaniste Je´roˆme G., re´dige´e en 1521, Bulletin de la Cathe´drale de Strasbourg 20 (1992) 71⫺81; M. M¸ller, Die spätmal. Bistumsgesch.schreibung im Reich, 1998 (Reg.).
Dieter Mertens
Gengenbach, Pamphilus I . L eb en . Weder über G.s Herkunft noch über seinen Bildungsgang liegen gesicherte Informationen vor. Aus den unter seinem Namen überlieferten Werken kann mit großer Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, daß er lat. Klassiker und Kirchenväter im Original lesen konnte (vgl. z. B. ‘Gauchmatt’). G. wird erstmals in einem Schreiben des Nürnberger Druckerverlegers Anton Koberger an seinen Basler Kollegen Johann Amerbach vom 7. März 1499 erwähnt: panfulus, ein Seczer, hat beim Verlassen Nürnbergs offenbar Schulden bei Koberger nicht beglichen, die dieser nun
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über Amerbach eintreiben möchte (Regest bei: Amerbach-Korr., Bd. 1, S. 101, Nr. 96). Erste urkundliche Erwähnung findet G. 1504 in Basel, als er innerhalb eines notariellen Aktes als Zeuge fungiert. Am 24. Sept. 1508 tritt G. als Koch ‘Zum Rößlein’ in die Gartnernzunft ein. Anfang 1509 heiratet er Anna Renck, die Witwe des vorigen Kochs ‘Zum Rößlein’ war und vermutlich über einiges Vermögen verfügte. Zumindest scheinen sich nicht nur G.s private, sondern auch seine wirtschaftlichen Verhältnisse von diesem Zeitpunkt an gefestigt zu haben: Wird er zuvor als Schuldner und unruhiger Zeitgenosse erwähnt, so tritt er nun wiederholt als Gläubiger und Bürge auf. Am 10. Nov. 1511 erwirbt G. das Basler Bürgerrecht. Bis ins Jahr 1511 ist seine Tätigkeit als Kochwirt belegt, doch muß er um 1511/12 auch seine Offizin eröffnet haben; dies kann daraus geschlossen werden, daß der Drucker Nikolaus Lamparter am 1. Sept. 1512 verspricht, gemäß ergangenem Urteil G. vier Pfund Farbe in Monatsfrist zu geben. Hier wird es sich zweifelsohne um Druckerfarbe gehandelt haben, die auf eine eigenständige Tätigkeit als Drucker hinweist. Am 3. Aug. 1513 kauft er in der Freien Straße ein Haus im Wert von 210 fl. Im Sommer 1513 gehört G. zu den für den Feldzug nach Dijon Ausgehobenen, aber er stellt einen Söldner. In den Jahren 1515, 1517 und 1519 werden G.s Fastnachtspiele in Basel aufgeführt. Diese Aufführungen können wohl nur mit Zustimmung des Rats erfolgen, so daß deutlich wird, daß G. offenbar in engem Kontakt zu den Führungskreisen der Stadt steht. Im Sommer 1518 eröffnet G. die Reihe der volkssprachlichen Luther-Drucke in Basel. Etliche weitere theologische Flugschriften, teils von ihm selbst verfaßt oder zumindest initiiert, verlassen in den folgenden Jahren seine Presse, darunter der Erstdruck von Johann Eberlins von Günzburg ‘Bundesgenossen’ im Sommer 1521. Doch obwohl G. schon recht früh seine Parteinahme für Luther kundtut, muß fraglich bleiben, ob er die reformatorische Position in ihrer ganzen Tragweite einzuschätzen vermag. Es scheint vielmehr, daß er in der
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von Luther angestoßenen Bewegung lediglich die Fortsetzung älterer kirchenreformerischer Tendenzen sieht, die G. auch schon zuvor ein wichtiges Anliegen gewesen sind. Am 10. April 1519 gehört G. zu den Ausgelegten für den Zug nach Württemberg, der zum Ziel hat, die Massen von Knechten gewaltsam zurückzuholen, die aus weiten Gebieten der Eidgenossenschaft dem Verbot eigenmächtigen Reislaufens zum Trotz Hzg. Ulrich zugezogen sind, um diesen in seinen kämpferischen Auseinandersetzungen mit Graf Wilhelm von Fürstenberg um Ansprüche an Besitzungen in Burgund zu unterstützen. Ein halbes Jahr später, am 24. Okt. 1519, führt er Klage gegen Melchior Heider, den er zum Druck eines Werkes angestellt hatte; doch ist Heider während des Drucks in die Werkstatt eines anderen Druckers gewechselt. Dies ist das einzige Indiz dafür, daß G. in seiner Offizin einen Angestellten beschäftigt. Angesichts des geringen Umfangs seiner Druckproduktion ist zu vermuten, daß er meist allein arbeitet. Zwei Monate später, am 20. Dez. 1519, wird G. gemeinsam mit Adam Petri und Nikolaus Lamparter wegen des vom Stadtarzt Roman Wonnecker nicht genehmigten Drucks von Laßbriefen angeklagt und verurteilt. Um 1521/22 tritt G. der Bruderschaft der Schildknechte bei, die sich in besonderem Maße der Marienverehrung widmet. Eine gerichtliche Auseinandersetzung, die G. von Nov. 1521 bis März 1522 wegen des Büchernachlasses des Andreas Helmut mit dessen Schwiegersohn und Erben Hans Rüger führt, macht deutlich, daß G. auch als Buchhändler tätig ist. Die in diesem Prozeß erkennbaren Geschäftsmodalitäten lassen den Rückschluß zu, daß diese Tätigkeit vermutlich schon um 1511 eingesetzt hat. Um die Jahreswende 1521/22 wird G. gemeinsam mit zwei Zechkumpanen inhaftiert, weil sie auf der Zunftstube der Kürschner Spott- und Schimpfreden auf den französischen König, Kaiser und Papst geführt haben. Nach Urfehde und geringer (finanzieller) Ratsstrafe werden sie wieder freigelassen.
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Wenig später, am 9. Jan. 1522, kauft G. ein zweites Haus an der Freien Straße, nun in größerer Nähe zum Markt, in einem Abschnitt, der zu den exklusivsten Wohnund Geschäftslagen gehört, die das frühneuzeitliche Basel zu bieten hat (erkennbar auch am höheren Kaufpreis von ca. 430 fl.). Dieser Hauskauf deutet an, daß G.s Wohlstand und gesellschaftliches Ansehen weiter gestiegen sind. Zwei Jahre später, am 16. Jan. 1524, überträgt G. seinem Zunftbruder Ludwig David die Wahrnehmung seiner Interessen. Möglicherweise erlaubt ihm eine schwere Erkrankung schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, seine Geschäfte selbst zu führen. Am 15. Okt. 1524 wird G. letztmals urkundlich erwähnt. Zwischen diesem Datum und dem 22. Mai 1525 ⫺ G.s Witwe Anna wird ein Vogt zugewiesen, der sich um den Verkauf der Besitzungen kümmern soll ⫺ stirbt G. Seine Offizin wird von Johann Faber Emmeus übernommen, der 1526 die Drucktätigkeit aufnimmt. I I. We rk . G. zeigt sich in seinen ausschließlich volkssprachlich verfaßten Werken als aufmerksamer Beobachter politischer und religiöser Fragen. Die thematischen Schwerpunkte, die er in seinen eigenen Schriften verfolgt, setzen sich oft auch in den von ihm als Drucker publizierten Texten fort ⫺ oder umgekehrt formuliert: Die Tätigkeit des Autors geht in der des Druckers auf. Die Frage der Verfasserschaft einzelner anonym überlieferter Texte ist oft nicht sicher zu beantworten. G. hat sein Kürzel oder auch seinen vollständigen Namen häufig unter die Drucke gesetzt, um sich als Drucker kenntlich zu machen. So darf selbst bei Drucken, die ohne Verfasserangabe erschienen sind, eine entsprechende Signatur nicht dazu verleiten, G. ohne weiteres als Verfasser zu beanspruchen. Die Möglichkeit aber, G. könne der Verfasser einer solchen Schrift sein, muß stets geprüft werden. Dem Drucker G. können derzeit 118 Drucke, die hier nur in Auszügen darge-
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stellt werden, zugeschrieben werden. Weiterführende Informationen bei Prietzel, 1999. Als Werkausgabe ist noch immer die Edition von K. Goedeke maßgeblich (P. G. S R F, 1856, ND Amsterdam 1966), die jedoch auch einige Texte aufgenommen hat, die G. nach heutigem Forschungsstand nicht zugeschrieben werden können. Im folgenden sind bei Drucken G.s Druckort und Drucker nicht, erschlossene Druckdaten nur bei mehreren Drucken derselben Schrift durch G. genannt.
A . H is to ri sc he s Tag es sc hr if tt um . Die Publikation historischen Tagesschrifttums kennzeichnet G.s Tätigkeit als Autor und Drucker in besonderem Maße. Zwei thematische Schwerpunkte sind zu erkennen: zum einen die aktuelle Situation der Eidgenossenschaft, verbunden mit der Aufforderung zur Kaisertreue (1.⫺4.), zum anderen die Verehrung Karls V. im Kontext seiner Wahl zum römischen König (5.⫺7.). 1. ‘Glücksrad-Blatt’. Das ‘Glücksrad-Blatt’ geht in Inhalt und Intention über den Bezug auf ein konkretes historisches Ereignis hinaus. Der Text verzichtet ganz auf aktuelle Anspielungen und wählt eine allgemeine, unabhängige Ebene: Das von Gott selbst gedrehte Glücksrad soll mahnend auf die Vergänglichkeit irdischen Glücks hinweisen und den Blick auf das Jenseits lenken. Erst das Bild stellt die Verbindung von Text und politischem Zeitgeschehen her. Die zu erkennende Situation ⫺ z. B. Aufschwung der Eidgenossenschaft ⫺ läßt eine Entstehung kurz vor der Schlacht bei Novara (6. Juni 1513) vermuten.
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bastian J Brants. Die Schrift besteht aus zwei Teilen. (a) In einer Reimvorrede benennt G. den gegenwärtig zu beobachtenden religiös-moralisch-politischen Verfall. Vor allem gilt seine Kritik der mangelnden Weisheit der eigenen Landsleute, die, von Geldgier getrieben, die Warnungen vor den hinterhältigen Franzosen nicht beachtet haben und sich so über den jüngst geschehenen Verrat von Dijon (Sept. 1513) nicht zu wundern brauchen. Demgegenüber erteilt G. seinen eidgenössischen Lesern den Rat, sich politisch an Maximilian zu halten. (b) In dem nachfolgenden (Karten-) Spiel setzen sich zeitgenössische Machthaber mit der politischen Entwicklung von 1494 (Kg. Karl VIII. von Frankreich gewinnt Neapel) bis 1513 (nach der Niederlage Frankreichs wird der Hzg. von Mailand wieder in sein Amt eingesetzt) auseinander. G. selbst erscheint als letzter Redner, darf also in der Runde der Mächtigen ⫺ nach Heinz Narr und der weisen Bäuerin ⫺ das Schlußwort sprechen. Drucke. Der welsch Flusz | Flüszlisz Flüszlisz | Welcher wil sin in disem spyl | Der darff wol bruchen wißheit vyl | Dz in der fluß nit vberyl. | [...]. VD 16, G 1218. Ein weiterer Druck G.s: [Ende 1513]. Prietzel, 1999, Nr. 11. Ein ND: [Straßburg: Matth. Hüpfuff, 1513⫺15]. VD 16, G 1217. Ausgabe. Goedeke, S. 3⫺11, Anm. S. 435 f., 529⫺535.
Drucke. Der von G. veranstaltete Erstdruck ist verloren. Er kann erschlossen werden aus folgendem ND: Mit geduld hab ich gewart lang zeyt | e Das mir yetzund das gluckrad geyt | Dein widerstraussen hilfft dich nit | [...]. [Nürnberg: Hier. Höltzel, 1513/14]. Prietzel, 1999, Anhang A 1, Nr. 4.1. Eine Druckabschrift Ludwig Sterners vom 2. April 1514: London, BL, Ms. Add. 32447, Bl. 3r⫺4v. ⫺ Abbildungen: Harms, S. 350, Abb. 1; Schanze, 1992a, S. 142, Abb. 3.
3. ‘Der Bundschuh’. Über die Bundschuh-Verschwörung vom Herbst 1513, die sich unter Leitung von Jost Fritz im Breisgau zugetragen hat, berichtet diese in zwei Teile gegliederte Schrift: a) In einer Reimvorrede warnt G. seine Zeitgenossen vor Ungehorsam: Die Ständegesellschaft ist von Gott eingesetzt worden. Wer gegen diese Ordnung aufzubegehren versucht, zieht Gottes Zorn und Rache auf sich. b) Der anschließende, nicht von G. verfaßte Prosabericht informiert über die Ereignisse von der Entstehung des Bundschuhs bis zu den in Basel vollzogenen Exekutionen der Aufständischen.
2. ‘Der welsche Fluß’. Mit der Publikation dieser Schrift stellt sich G. in die publizistische Nachfolge Se-
Drucke. Der bundtschu | Disz biechlin sagt e von dem bösen | fürnamen der Bundtschu˚her/ wie es sich angefengt | geendet vnd vßkummen ist.
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[Jan. 1514]. VD 16, G 1172. Ein weiterer Druck G.s: [bald nach Jan. 1514]. VD 16, G 1170. Drei weitere Drucke: [Augsburg: Erh. Oeglin, 1514] (2 Drucke) u., erweitert, [Straßburg: Matth. Hüpfuff, 1514/15]. VD 16, G 1171, ZV 6497, G 1173; Prietzel, 1999, Anhang A 1, Nr. 14.1⫺3. Ausgabe. Goedeke, S. 23⫺31, Anm. S. 438⫺ 441, 546⫺556 (nach G.s 2. Druck).
4. ‘Der alte Eidgenosse’. Die Verfasserschaft dieses Textes ist nicht eindeutig zu klären. Da Inhalt und Ausdruck in hohem Maße formelhaft sind, ist eine Zuschreibung erschwert. Im Gespräch des Eidgenossen mit sieben zeitgenössischen Mächten, die ihn als Bündnispartner zu gewinnen versuchen, werden Richtlinien für das gegenwärtig notwendige Handeln formuliert: Zu der Aufforderung, sich auf alteidgenössische Tugenden wie z. B. Gottesfurcht, Einmütigkeit und Bescheidenheit zu besinnen, tritt vor allem die Warnung vor der Annahme fremden Geldes, vor bezahltem Reislauf. Stattdessen soll die Rückkehr zu altbewährter Neutralität die Politik der Eidgenossenschaft bestimmen. Das Gespräch mündet in die Auseinandersetzung zwischen dem jungen und dem alten Eidgenossen, dessen Rat, sich aus den Kriegshändeln herauszuhalten, den Schlußpunkt des Liedes setzt. Drucke. Der alt Eydgnosz | Das ist ein new lied von dem alten | Eydgnossen vnd allen fürsten vnd herren. [...]. VD 16, G 1167. Die weiteren Drucke: Zürich [1546], Bern 1557 und Zürich 1607. VD 16, G 1168 u. 1169; Prietzel, 1999, Anhang A 1, Nr. 17.1⫺3. Ausgabe. Goedeke, S. 12⫺22, Anm. S. 436⫺ 438, 543⫺546.
5. ‘Ein neues Lied zu Lob dem Carolo’. In diesem elf Strophen umfassenden Preislied auf Karl V. (entstanden bald nach dem 28. Juni 1519) begrüßt G. dessen Wahl zum König aus vollem Herzen, erkennt in ihr den Willen Gottes und erhofft sich angesichts der unvergleichlichen Machtfülle des neuen Königs den Anbruch eines herrlichen Zeitalters, in dem die Probleme der Vergangenheit souverän gelöst werden: Die Türkengefahr kann endgültig abgewendet werden und dem aufbegehrenden Frankreich wird endlich die Stirn ge-
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boten werden. Ferner warnt G. die Geistlichen, die sich gegen Karl gestellt haben, darunter auch Papst Leo X., vor der Strafe Gottes. Der weltliche Machthaber erscheint als derjenige, der die kirchlichen Mißstände beheben wird. Drucke. EJn newes lied gema|chet durch Pamphilum Gengenbach/ zu˚ | lob dem aller hoche gebornsten/ großmach|tigosten Carolo [...]. VD 16, G 1204. Ein ND: [Augsburg: Erh. Oeglin, 1519]. Prietzel, 1999, Anhang A 1, Nr. 53.1. ⫺ Faksimile. Acht Lieder aus d. Reformationszeit. Fg. d. Ges. f. dt. Lit. f. D. Dr. R. Frhr.n v. Liliencron z. 8. Dez. 1910, 1910, Nr. 1, Tafel I u. II.
6. ‘Dieses neue Bockspiel’. Dieser in der zweiten Jahreshälfte 1519 publizierte Einblattdruck, der vermutlich von G. verfaßt worden ist, ist Karl V. anläßlich der Wahl zum römischen König gewidmet. Er greift das offensichtlich beliebte Motiv auf, zeitgenössisches historisches Geschehen in die Form eines Kartenspiels zu kleiden. Auffällig ist, daß gegenüber früheren Texten (s. o. 2.) das Kartenspiel gewechselt hat: An die Stelle des in Frankreich beliebten Flußspiels tritt nun das typisch deutsche Bockspiel. Dieser Spielwechsel indiziert die durch die Wahl Karls V. veränderten politischen Machtverhältnisse: Die französische Dominanz ist gebrochen, die deutsche Seite beherrscht nun das politische Geschehen und diktiert die Spielregeln. In der zentralen Strophe wird die eidgenössische Position dargelegt. Angesichts der allgemeinen Mächtekonstellation rät die Vernunft zum Anschluß an Karl und zur Abkehr von Frankreich. Die sehr aufwendige graphische Gestaltung unterstreicht die Bedeutung des Blattes für G. Druck. Disz new Bockspyl ist gemacht zu lob vnd eren dem aller durchleü⫽|chtigosten e großmachtigosten herren/ Herr Carle [...]. Prietzel, 1999, Nr. 56. Ausgabe. A. Bube, Zwei Gedichte v. P. G., Anz. f. Kunde d. dt. Vorzeit NF 6 (1859), Sp. 127⫺ 130.
7. ‘Wie das löbliche Haus Österreich [...]’. Auch dieser Einblattdruck (1520) zeichnet sich durch eine außergewöhnliche Größe und graphische Ausstattung aus,
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Gengenbach, Pamphilus
welche die große Bedeutung des propagierten Inhalts für G. anzeigen. Der wohl von G. verfaßte Text, der u. a. auf der 1507 von Furter gedruckten Chronik Petermann D Etterlins und einer Hs. der D ‘Chronik der Stadt Zürich’ fußt, berührt Ereignisse aus dem Leben Rudolfs von Habsburg, beginnend mit dem Jahr 1250 und endend mit der Verleihung des Reichslehens Österreich an seinen Sohn Albrecht (1282). Rudolf wird dem jungen Karl V., der im Textverlauf als Adressat angesprochen wird, als vorbildhafter Herrscher dargestellt. Es spricht für das Selbstverständnis und Selbstbewußtseins G.s, daß er sich mit diesem Flugblatt wieder einmal als Berater des jungen Herrschers präsentiert. Wie sich Brant zuvor publizistisch als Ratgeber Maximilians hervortat, so übernimmt G. diese Rolle nun bei Maximilians Nachfolger. Druck. Hie merckent wie das loblich hausz Osterich an die edlen grafen von Hapkspurg [sic!] ist kummen. | [...]. Prietzel, 1999, Nr. 61. Abbildung: Hieronymus, Abb. 621.
B . Fas tn ac ht sp ie le . 1. ‘Die zehn Alter’. In seinem ersten Fastnachtspiel wendet sich G. 1515 gegen zahlreiche Übel der zeitgenössischen Gesellschaft, darunter auch gegen die junge wie alte Männer gleichermaßen ergreifende Kriegslust und die Gier nach französischem Geld. Der abschließende Bußruf des Einsiedlers will die Menschen dazu bewegen, sich reuevoll von ihrer Diesseitsorientierung zu lösen, um die endzeitliche Bedrohung doch noch abzuwenden. Dieses Stück hat vor allem in der Bearbeitung von Jörg Wickram (1531) eine intensive Nachwirkung entfaltet. Drucke. Die .X. alter dyser welt | [...]. VD 16, G 1225. Sechs weitere Drucke (bis zu Wickrams Bearbeitung): Augsburg: Joh. Schönsperger d. J., [vor 1518] u. 1518, München: Hans Schobser [15]18 u. [1518]; M[emmingen]: A[lbr.] K[unne]. [um 1519] u. 1519. Prietzel, 1999, Anhang A 1, Nr. 18.1⫺6. Ausgaben. Goedeke, S. 54⫺76, Anm. S. 442⫺459, 559⫺605. A. Elschenbroich, Dt. Lit. d. 16. Jh.s, 1981, Bd. 1, S. 554⫺582 u. 1183⫺1186.
2. ‘Der Nollhart’. G.s zweites Fastnachtspiel (1517) ist dem ersten thematisch eng verwandt: Die
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allgemeine Sündhaftigkeit und Blindheit der Menschen aller Stände hat die Strafe Gottes heraufbeschworen. Nacheinander befragen zehn Ständerepräsentanten ⫺ vom Papst bis zum Juden ⫺ den Nollhart und andere prophetische Autoritäten (Birgitta von Schweden, die kumäische Sybille, Methodius) nach ihrem zukünftigen Geschick. Die Deutung erfolgt ganz im Rahmen einer unmittelbaren Endzeiterwartung. Die Gestaltung des Drucks, vor allem der Titelholzschnitt und drei vorangestellte Verse, zeigen an, daß G. eine politische Orientierung der Eidgenossen an Kaiser und Reich fordert. Druck. Der Nollhart | Disz sind die prophetien sancti Me|thodij vnd Nollhardi. [...]. VD 16, G 1205. Fünf weitere Drucke: [Augsburg: Joh. Schönsperger d. J., 1517/18] u. 1522; [Erfurt: Joh. Loersfeld], 1525; [Straßburg]: J[ak]. C[ammerlander], [1544] u. [1544/45]. VD 16, G 1206⫺1210. Ausgaben. Goedeke, S. 77⫺116, Anm. S. 460⫺502, 605⫺612; V. Uffer, P. G., Der Nollhart (Schweizer Texte 1), 1977, S. 21⫺83.
3. ‘Die Gauchmatt’. In seinem letzten Fastnachtspiel (1519) richtet sich G. gegen das Laster der Unkeuschheit: Männer aller Stände werden durch die Macht der Frau Venus zu Liebesnarren. Nacheinander betreten sie entgegen den Ratschlägen des Narren, der als Türwächter fungiert, die gouchmat, werden ⫺ von Begehren entbrannt ⫺ von Frau Venus und ihrem Gesinde ihres Besitzes beraubt und verlassen nach einem Tanz nackt die Narrenwiese, der Lächerlichkeit preisgegeben. Drucke. Disz ist die gouch⫽|mat / so gespilt ist worden durch etli⫽|ch geschickt Burger einer loblichen | stat Basel. Wider den Eebruch vnd | die sünd der unküscheit. | [...]. VD 16, G 1178. Ein weiterer Druck: Straßburg 1582. VD 16, G 1179. Ausgabe. Goedeke, S. 117⫺152, Anm. S. 502⫺505, 615⫺618.
C . Mei st er li ed er. Die beiden überlieferten Meisterlieder G.s stellen sich zum historischen Tagesschrifttum und sind als gedruckte Lieder schwerlich aus meisterlicher Schulpraxis erwachsen. Vgl. H. Brunner / B. Wachin-
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Gengenbach, Pamphilus
ger (Hgg.), Repertorium d. Sangsprüche u. Meisterlieder d. 12. bis 18. Jh.s, Bd. 4, 1988, S. 3 f., Bd. 1, 1994, Drucke Nr. 77 u. 78.
1. ‘Historie von fünf schnöden Juden’. Antijüdische Schauererzählung (33 Strr. in D Frauenlobs Spätem Ton) nach einer Vorlage Thomas J Murners von einem Schmied, der den Frevel von fünf Juden an einer Marienstatue beobachtet und nach Konsultation mehrerer Geistlicher, einer Engels- und Marienerscheinung schließlich zur Anzeige bringt. Bei der Gerichtsverhandlung gegen den Haupttäter, der den Kopf der Madonna durchbohrt hat, bringt dessen Zweikampf mit dem Schmied die Entscheidung gegen den Juden, der schimpflich hingerichtet wird. Druck. Dz ist ein erschrockenliche history | e juden/ wie sie das bild Marie von fünff schnoden ver|spottet vnd durchstochen haben. Welche History ich | Pamphilus Gengenbach zu˚ lob vnd eer der junckfraw | Marie [...] jn/ ein New lied gesetzt e hab und jns Spaten thon gesungen. [1516?]. VD 16, G 1177. Ausgabe. Goedeke, S. 39⫺53. Abb. bei Hieronymus, Nr. 206.
2. ‘Tod, Teufel und Engel’. Moritat (16 Strr. in Jörg D Schillers Hofton) von drei Gesellen, die bei einem Berliner Wirt 1517 drei Tage lang praßten und in der Absicht, die Zeche durch Betrug zurückzuerhalten, stets bar bezahlten. Verkleidet als Tod, Teufel und Engel gaukeln die drei dem Wirt, um ihn zur Herausgabe seines Geldes zu nötigen, eine Erscheinung vor, werden aber überführt und in ihren Verkleidungen gehängt. e
Druck. Ein kurtzweilig new lied/ | Von dem Teuffel/ Todt/ vnnd En⫽|gel/ gemacht durch Pamphilum | Gengenbach/ vnd gesetzt | ins Schillers thon. | [...]. [Nürnberg: Friedr. Gutknecht, 1560⫺70]. VD 16, G 1195. Ausgabe. Goedeke, S. 32⫺38.
D . The ol og is ch es t um .
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G. hat als Drucker zahlreiche Flugschriften publiziert, zumeist jedoch ohne Nennung eines Verfassers. Als sicher von
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G. verfaßt können nur fünf Werke (1.⫺5.) festgehalten werden, zum Teil sogar nur einzelne Abschnitte dieser Texte. 1. ‘Wiener Prognosticon’. In diesem Flugblatt, das sich in das vielfältige Schrifttum einreiht, das anläßlich verschiedener vom 1. bis zum 27. Jan. 1520 am Himmel über Wien beobachteter Lichterscheinungen entsteht und publiziert wird, gibt G. seiner Aufforderung, sich Luther anzuschließen, besonders deutlichen Ausdruck. Wie im ungefähr gleichzeitigen Habsburg-Flugblatt (s. o. A.7.) spricht G. Karl V. direkt an: Er weist den König darauf hin, in den Himmelszeichen Hinweise für seine eigene Regierung zu erkennen. Priorität soll der Reform der Kirche zukommen, wobei sich Karl an Luther orientieren soll. Eine theologische Argumentation im Sinne Luthers bietet G. allerdings nicht. Die aufwendige graphische und satztechnische Gestaltung des Blattes läßt seine Bedeutung für G. erkennen. Druck. Pamphilus Gengenbach zu dem allergroszmechtigosten küng karle. | Als man zalt. M.CCCCC. vnd. XX. in dem Monat des Jenners | sind dise wunderzeichen zu˚ Wien yn Osterich alle nacheynander am hymel gesehen worden [...]. Prietzel, 1999, Nr. 57. Ausgaben. H. Fehr, Massenkunst im 16. Jh. Mit 112 Abb. Flugbll. aus d. Sammlung Wickiana (Denkmale d. Volkskunst 1), 1924, S. 86⫺88; H. Koegler, Das Mönchskalb vor Papst Hadrian u. d. Wiener Prognostikon. Zwei wiederaufgefundene Flugbll. aus d. Presse d. P. G., Zs. f. Bücherfreunde 11 (1907/8), H. 10 (Jan. 1908), S. 415 f.; W. Harms / M. Schilling, Dt. Illustrierte Flugbll. d. 16. u. 17. Jhs., Bd. 6, 2005, S. 16 f.
2. ‘Der Laienspiegel’ und 3. ‘Der Pfaffenspiegel’. Diese beiden 1521/22 erschienenen Einzeldrucke sind als publizistische Einheit konzipiert, wie die Parallelen in der Titelformulierung und in der Gestaltung der Titelblätter andeuten. Ergänzend wollen beide Schriften eine kurzgefaßte Glaubensunterweisung für Laien bzw. Geistliche bieten, indem sie Luthers Lehre auf ihre Rechtgläubigkeit überprüfen: Während die Übersetzung des Hieronymus-Briefs die Übereinstimmung von Luthers Theologie mit der kirchlichen Tradition erweisen
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Gengenbach, Pamphilus
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soll, werden im ‘Laienspiegel’ Zitate aus Paulus-Briefen ausgewählt, um die Schriftgemäßheit der Lehre des Reformators zu belegen. Der Druck des ‘Pfaffenspiegels’ wird von einer Widmung G.s an Karl V. unterschrieben, der angesichts seiner besonderen Verantwortung für die Wahrung des christlichen Glaubens aufgefordert wird, Luthers Lehre anzuerkennen und zu fördern.
Fries’ Prophezeiungen skizziert G. die Bedingungen einer christlichen Stadtgemeinschaft, die dreier Elemente vor allem bedürfe: eines weisen, frommen Rates, eines zuverlässigen Pfarrers und eines gottesfürchtigen Arztes. Angesichts des unmittelbar bevorstehenden Anbruchs der Endzeit mahnt Gengenbach seine Mitmenschen eindringlich zu einem bußfertigen Verhalten.
Drucke. Der Leien spiegel | sancti Pauli des alten gloubens | wider den nüwen. [...]. VD 16, G 1196. Ein ND: [Erfurt: Matthes Maler, 1522]. VD 16, G 1197. ⫺ Ein christlich biech|lin deß durchlüchtigosten vnd christli⫽|chen vßlegers der prophetischen/ ewan⫽|gelischen/ vnd apostolischen geschriff⫽|ten sancti Hieronymi [...] | Der pfaffen spiegel. VD 16, H 3533. Ausgabe. ‘Laienspiegel’: Goedeke, S. 186⫺ 197 (ohne lat. Text), Anm. S. 511 f., 628; ‘Pfaffenspiegel’: ebd., S. 167⫺185, Anm. S. 506⫺511, 628.
Druck. Ein Christliche vnd ware | Practica/ wider ein vnchristenliche gotzlesterige vn⫽|ware practica. [...]. VD 16, G 1174. Ausgabe. Raillard, S. 116⫺127 (Anhang 2).
4. Nachwort zu Eberlins ‘Denkspiegel’. Bereits im Sommer 1521 hat G. bei der Erstveröffentlichung der ‘Fünfzehn Bundesgenossen’ eng mit ihrem Verfasser, dem Franziskanerobservanten Johann Eberlin von Günzburg, zusammengearbeitet. Zwei Jahre später, im Aug./Sept. 1523 bringt G. den ‘Denkspiegel’ heraus, dem er ein eigenes Nachwort anfügt. Sein vornehmliches Anliegen ist ⫺ expliziert besonders anhand von Mc 4,14⫺20 ⫺ die rechte Aufnahme des alleinseligmachenden Wortes Christi in Sanftmut und Geduld. Mit Nachdruck betont G. den notwendigen Zusammenhang von Glaube und Werken. Drucke. Der denck Spiegel | eines Christene lichen labens/ gemacht durch | Johann Eberlin von Gintzburg [...]. Prietzel, 1999, Nr. 108. Ein weiterer Druck: Straßburg: Joh. Schwan, 1524. VD 16, E 140. Ausgabe. L. Enders, Joh. Eberlin v. Günzburg, Ausgewählte Schr., Bd. 3 (NDe dt. Litt.werke d. XVI. u. XVII. Jh.s 183⫺188), 1902, S. 97⫺109 (nach d. Straßburger Druck).
5. ‘Eine christliche und wahre Practica’. Mit dieser Anfang 1524 erschienenen Schrift setzt G. den Schlußpunkt der literarischen Auseinandersetzung mit dem Arzt und Astrologen Lorenz J Fries, die er im Frühjahr 1519 in der ‘Gauchmatt’ eröffnet hat. Neben der Korrektur von Details aus
6. ‘Die Totenfresser’. Dieser nur in Nachdrucken erhaltene Dialog erscheint 1521/22 ohne Verfassernennung bei G. Die Zuschreibung an ihn als Verfasser der Schrift hat eine lange, noch über Goedeke zurückreichende Tradition. Der Text wendet sich in satirischer Weise gegen die zeitgenössische Praxis der Totenmessen und der damit verbundenen Jahrzeiten. Er zeichnet sich durch eine auffällig untheologische Argumentation aus. Die Kritik an der ausufernden Praxis der Totenmessen wird v. a. wirtschaftlich begründet, in zweiter Linie wird auch der mangelnden Seelsorgetätigkeit der Geistlichen gedacht. Doch werden die Gedenkmessen nicht grundsätzlich abgelehnt. Die reformatorische Argumentation gegen die Totenmessen, die zwingend auf ihre Beseitigung zielt, bleibt unberücksichtigt. Drucke. Diß ist ein iemerliche | clag vber die Todten fresser: | [...]. [Augsburg: Heinr. Steiner, 1522?]. VD 16, G 1180 (zwei Ausgaben). Ein weiterer Druck: [Straßburg: Joh. Prüß d. J., 1522]. VD 16, G 1181. Eine Druckabschrift im Hausbuch Valentin Holls, Nürnberg, GNM, Hs. Merkel 2° 966, Bl. 36v⫺37r. Ausgaben. Goedeke, S. 153⫺159, Anm. S. 505, 619 f.; J. Schmidt, in: Das Zürcher Spiel v. reichen Mann u. armen Lazarus, 1969, S. 43⫺50; H. Heger, SpätMA, Humanismus, Reformation, Bd. 2, S. 434⫺441.
Zu den übrigen Werken, die G. gedruckt hat und die ihm häufig als Verfasser zugeschrieben worden sind: Prietzel, 1999, S. 345⫺366. E . Wei te re Sc hw er pu nk te de r Tät ig ke it al s D ru ck er. Hier sind vor allem Werke der Frömmigkeits- (13 Drucke), Unterhaltungs- (11 Drucke) und Fachliteratur (22 Drucke) zu
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nennen. Meist handelt es sich um volkssprachliche Publikationen. In einigen Fällen ist erkennbar, daß G. eine ältere Textvorlage überarbeitet hat, um sie den gewandelten Rezeptionsbedürfnissen anzupassen. G. nimmt innerhalb des Basler Druckgeschehens eine Sonderstellung ein: Einerseits ist er angesichts des (in Druckbögen gemessenen) äußerst geringen Umfangs seiner Produktion lediglich eine Randerscheinung, andererseits hebt er sich durch die Dominanz volkssprachlicher Drucke und durch die inhaltliche Schwerpunktsetzung seiner Offizin markant vom übrigen Basler Druckschaffen ab. Seine Drucke von aktuellen historischen Schriften, unterhaltenden Texten und volkssprachlicher Fachliteratur, mit denen er sich den täglichen Bedürfnissen eines weiten Bevölkerungskreises zuwendet, sind innerhalb Basels nahezu ohne Konkurrenz. Literatur. F. St¸tz, Die Technik d. kurzen Reimpaare d. P. G. (QF z. Sprach- u. Culturgesch. d. germ. Völker 117), 1912; K. Lendi, Der Dichter P. G. Beitr. zu seinem Leben u. zu seinen Werken (Sprache u. Dichtung 39), 1926 (ND 1970); W. Schein, Stilistische Unters. zu d. Werken P. G.s, 1926; R. Raillard, P. G. u. d. Reformation, 1936; V. Werren-Uffer, Der Nollhart v. P. G., 1983; W. Harms, Bemerkungen z. Verhältnis v. Bildlichkeit u. hist. Situation. Ein Glücksrad-Flugbl. z. Politik Ks. Maximilians I. i. J. 1513, in: K. Grubm¸ller / R. Schmidt-Wiegand / K. Speckenbach
(Hgg.), Geistl. Denkformen in d. Lit. d. MA (Münstersche MA-Schr. 51), 1984, S. 336⫺353; R. Brandt, Die Glosse zu G.s ‘Nollhart’ v. 420. Ein ‘Quellennachweis’ als Beglaubigungsformel in d. Lesefassung eines Bühnenstückes, Daphnis 14 (1985) 357⫺363; F. Hieronymus, Oberrhein. Buchillustration, Bd. 2: Basler Buchillustration 1500⫺1545. [Kat.] UB Basel [...], 1985; P. Czerepak, Die ‘Gouchmat’ d. P. G., Mag. phil. (masch.) Göttingen 1986; F. Schanze, Zu drei Nürnberger Einblattdrucken d. frühen 16. Jh.s, Gutenberg-Jb. 1992, S. 134⫺145 [zit. Schanze, 1992a]; F. Schanze, Kartenspiel d. Mächte. Zu einem unbekannten polit. Spiel v. 1513 aus d. Schweiz, in: J. Janota / P. Sappler u. a. (Hgg.), Fs. W. Haug u. B. Wachinger, Bd. 2, 1992, S. 849⫺872; H. Thomke (Hg.), Dt. Spiele u. Dramen d. 15. u. 16. Jh.s (Bibl. d. Frühen Neuzeit 2), 1996, S. 93⫺138 u. 963⫺995; K. Prietzel, P. G. Drucker zu Basel (um 1480⫺1525), Arch. f. Gesch. d. Buchwesens 52 (1999) 229⫺461 (Lit.); K. Prietzel, Kaiserlob im
eidgenöss. Basel, in: Lit. ⫺ Gesch. ⫺ Lit.gesch. Fs. V. Honemann, 2003, S. 569⫺584.
Kerstin Prietzel
Geratwol J Euticus Gerbel (Musophilus), Nikolaus I . L eb en . G., geb. um 1485 (vgl. Merker, S. 240) in Pforzheim als Sohn des Bildhauers und Malers Anton Gerbel, besuchte die damals von Georg J Simler geleitete Lateinschule seiner Heimatstadt und immatrikulierte sich im Herbst 1501 in Wien. Er gehörte dort als Mitglied des Collegium poetarum et mathematicorum zum Schülerkreis des Konrad J Celtis (vgl. Bauch, Wien, S. 143⫺152), stand mit dem etwa gleichaltrigen Joachim J Vadianus in Kontakt, wurde von Johannes J Cuspinianus und dem ksl. Rat Johannes Krachenberger gefördert und trat früh mit lat. Versen hervor; in Wien muß er auch das Bakkalaureat erworben haben. Von Köln aus, wo er am 16. Juni 1507 (nicht 1506, vgl. Tewes, S. 565) in die Matrikel aufgenommen und bereits am 28. März 1508 zum Magister artium (via antiqua) promoviert wurde, schrieb G. am 10. Juni 1507 an Johannes J Trithemius, der ihm wenig später ausführlich antwortete (J. Trithemius, Opera Historica, hg. v. M. Freher, 1601, ND 1966, Bd. 2, S. 543⫺545). Am 10. Mai 1508, nur wenige Wochen nach dem Erwerb des Magistergrades, immatrikulierte er sich an der Univ. Tübingen. Als dem zwölfjährigen Philipp Schwartzerdt am 15. März 1509 in Pforzheim von Johannes J Reuchlin der Humanistenname Melanchthon verliehen wurde, war G. zugegen. Wenig später muß er sich nach Mainz begeben haben, wo er im Jan. 1510 als einer von drei Regenten der thomistischen Burse ‘Zum Schenkenberg’ dokumentiert ist (Tewes, S. 594⫺599). Vermutlich 1511 kehrte G. von Mainz nach Pforzheim zurück, übernahm dort zeitweilig die Leitung der Lateinschule (Scheible, 1989, S. 47) und stand in enger Verbindung mit Reuchlin (Reuchlin-Br., Bd. 2, Nr. 176 u. 205). Im
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Gerbel, Nikolaus
Mai 1512 ging er zum Studium der Rechte für zwei Jahre neuerlich nach Wien. Dort intensivierte er seine Kontakte zu Cuspinianus, arbeitete als Korrektor in der Druckerei von Hieronymus Vietor und Johannes Singriener und trat in Beziehung zu den Wiener Verlegern Leonhard und Lukas Alantsee (II.A.6.⫺11.). Im Sommer 1514 brach er nach Italien auf, besuchte in Venedig Aldus Manutius und traf Anfang Sept. in Bologna ein, wo er am 2. Okt. 1514 zum Doktor des Kirchenrechts promoviert wurde (Varrentrapp, S. 225). Wenige Tage später kehrte er nach Deutschland zurück und ließ sich Ende 1514 oder Anfang 1515 in Straßburg nieder; seit Jan. 1515 war er in der Reichsstadt als kirchlicher Rechtskonsulent tätig. Da er seinen juristischen Brotberuf jedoch zeitlebens ohne innere Befriedigung ausübte (s. Merker, S. 253 f.; MelanchthonBr., Bd. T2, Nr. 477), arbeitete G. daneben als Herausgeber und Korrektor für die Straßburger Offizin Matthias Schürers (vermutlich durch Vermittlung der ihm aus Wien bekannten Gebrüder Alantsee, die mehrfach Bücher bei Schürer drucken ließen; II.A.8., 10., 14., 19. u. 26.); G.s Mitwirkung ist ⫺ die bis zum Jahr 1521 erscheinenden Nachdrucke nicht gerechnet ⫺ bei mindestens 17 Publikationen Schürers nachweisbar (II.A.8., 12., 14.⫺ 15., 17.⫺20. u. 22.⫺30.). Im Zuge der Arbeiten an den Schürerschen Editionen der ‘Lucubrationes’ und der ‘Parabolae’ des J Erasmus (II.A.15. u. 20.), mit dem er im Frühjahr 1515 in Mainz oder Frankfurt zusammengetroffen war (vgl. WimpfelingBr., Bd. 2, S. 782), schrieb G. 1515/16 mehrere Briefe an den Rotterdamer Humanisten. Mitte Sept. 1515 reiste er nach Basel, um als Korrektor an der Drucklegung des ‘Novum Instrumentum’ mitzuwirken, dessen griech. Originaltext er 1521 noch einmal gesondert bei Thomas Anshelm in Hagenau drucken ließ (II.A.21. u. 32.). Als Mitglied der Straßburger Sodalitas literaria unterhielt G. Kontakte zu den maßgeblichen elsässischen Humanisten (Newald, S. 260 u. 366); der Kartäusermönch Otto Brunfels widmete ihm seine 1519 erschienene pädagogische Programm-
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schrift ‘De corrigendis studiis severioribus praeceptiunculae’ (Ritter, 1939, Nr. 272, mit Brief an G.). In der publizistischen Auseinandersetzung um Reuchlins 1511 gedruckten ‘Augenspiegel’ stand G. zusammen mit seinen damaligen Briefpartnern Michael J Hummelberg, Ulrich von J Hutten und Willibald J Pirckheimer im Lager der Reuchlinisten; in den 1519 in Hagenau veröffentlichten ‘Illustrium virorum epistolae’, an deren Drucklegung er möglicherweise mitgewirkt hat (II.A.31.), erscheint G.s Name unter den Capnionis defensores acerrimi. Sogar eine Beteiligung an den J ‘Epistolae obscurorum virorum’ hat man ihm verschiedentlich zuschreiben wollen (II.B.2.). Reuchlins damals bereits zum Poeta laureatus gekürter Schüler Johannes Alexander Brassicanus stellte seiner kurzen Gelegenheitsschrift ‘Huschelini testamentum’ (Straßburg: Joh. Knobloch, Dez. 1520; Ritter, 1939, Nr. 258) fünf an G. gerichtete Distichen voran, in denen er die wenige Monate zuvor erfolgte Verurteilung Reuchlins beklagt. Nachdem G. 1517 noch mit dem Gedanken gespielt hatte, in den Priesterstand einzutreten (vgl. Merker, S. 259; Rott, 1950, S. 71), heiratete er Anfang Sept. 1518 die Straßburgerin Agnes Lamprecht. In den folgenden Jahren wurde er zu einem überzeugten Anhänger Martin Luthers, der ihm 1521 noch von der Wartburg aus schrieb und ihn 1526 zum Paten seines ältesten Sohnes machte. Im Abendmahlsstreit vertrat G. strikt die lutherische Position und isolierte sich zunehmend mehr von den Straßburger Reformatoren Martin Bucer und Wolfgang Capito (B¸chle, S. 11⫺ 14; Horning, S. 21⫺65; Kaufmann). Wie mit Luther unterhielt er auch mit seinem Pforzheimer Jugendfreund Johannes Schwebel, dem Reformator des Hzg.tums Zweibrücken (s. II.A.36.), und mit Philipp Melanchthon einen ausgedehnten Briefwechsel; an der Drucklegung zahlreicher Werke Melanchthons in Hagenau und Straßburg war G. beteiligt (II.A.34.⫺35., 37.⫺38., 42., 54. u. 56.). 1521⫺1540 war G. Sekretär des Straßburger Domkapitels. 1525 kaufte er nahe der Wohnung des ihm bereits aus Pforz-
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heim gut bekannten Straßburger Münsterpredigers Kaspar Hedio, mit dem er theologische, literarische und historische Studien trieb, ein Haus. Nachdem seine erste Frau im Mai 1525 gestorben war, heiratete G. Ende 1525 Dorothea Kirsser aus BadenBaden, mit der er vier Kinder hatte (Rott, 1989, S. 1153 f.). In diesem Jahr war er auch als zukünftiger Schulmeister der neugestalteten Straßburger Lateinschule im Gespräch; wegen seiner zu hohen Gehaltsforderung wurde die Stelle jedoch an Johannes J Sapidus vergeben (Horning, S. 16 f.; Merker, S. 264 f.). Aufgrund gesundheitlicher Beschwerden ließ sich G. Anfang 1527 von Paracelsus behandeln. 1530 nahm er seine in den Jahren 1524⫺ 1529 nahezu zum Erliegen gekommene Editions- und Korrektorentätigkeit wieder auf, bei der historische Werke ⫺ darunter auch die nachgelassenen Schriften des 1529 verstorbenen Cuspinianus (II.A.52. u. 63.) ⫺ immer mehr in den Vordergrund traten (II.A.39.⫺41., 44., 46., 48., 50.⫺ 51., 57.⫺58. u. 62.). Diesen Publikationen und der Unterstützung seines einflußreichen Gönners, des Stettmeisters Jakob Sturm, der ihn bereits 1533 zum Superattendenten des städtischen Schulwesens hatte machen wollen (Horning, S. 17 f.) und Adressat des Widmungsbriefes seiner Arrian-Ausgabe von 1539 war (II.A.51.), verdankte G. die 1541 erfolgte Bestallung zum Professor für Geschichte an der 1538 neueröffneten Straßburger Hochschule, deren von Johannes Sturm verfaßte und im selben Jahr veröffentlichte Inaugurationsschrift er mit einem Gedicht begleitet hatte (II.A.49.). Nachdem sein ältester Sohn Nikolaus 1541 im Alter von 14 Jahren an der Pest und im Jahr darauf auch seine zweite Frau gestorben waren, gab G. diese Stellung jedoch bereits 1543 wieder auf. Vermutlich ebenfalls 1543, spätestens aber 1544 ging er mit Elisabeth Riser eine dritte Ehe ein. Seit Mitte der 1530er Jahre arbeitete G. als Herausgeber und Korrektor nur noch mit Straßburger oder seltener Basler (II.A.51., 58., 60., 61. u. 63.) Buchdrukkern zusammen. Für die Straßburger Druckerei von Kraft Müller betreute G.
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1537⫺1544 zehn Ausgaben (II.A.46.⫺48., 50., 52.⫺57.). Im Zuge der intensiven Beschäftigung mit den antiken Historikern verstärkte sich sein für einen CeltisSchüler typisches und bereits früh erkennbares (II.A.6. u. 13.) Interesse an geographischen und landeskundlichen Themen, dem schließlich auch G.s Hauptwerk entsprang: die als Erläuterung der 1540 vollendeten Griechenlandkarte des Nikolaos Sophianos angelegte ‘Descriptio Graeciae’ (II.B.1.), die 1545 und in einer stark erweiterten Fassung nochmals 1550 bei Johannes Oporinus in Basel erschien, für den G. auch andere historische Schriften ediert hat (II.A.58 u. 63.). Am 20. Jan. 1560 ist G. in Straßburg gestorben (Merker, S. 272). Die u. a. bei Chrisman, S. 90, und Kremer, S. 149, wiedergegebene Portraitzeichnung aus der Wiener Albertina stellt gemäß Rott, 1989, S. 1155, wohl nicht G. selbst, sondern seinen gleichnamigen Urenkel dar. I I. We rk . Merker konnte sich mit dem Versuch, G. eine Vielzahl von anonym oder unter einem Pseudonym erschienenen lat. Reformationssatiren zuzuschreiben (II.B.2.), insgesamt nicht durchsetzen, obwohl sich bis in die jüngste Zeit immer wieder Reflexe seiner Thesen finden. G.s schriftstellerisches Œuvre erscheint somit heute vergleichsweise schmal: Neben der ‘Descriptio Graeciae’, dem ohne literarische Ambitionen verfaßten privaten Tagebuch und seinem ausgedehnten Briefwechsel stehen lediglich rund 30 kleinere Gedichte, die meist als Beigabe fremder Werke, an deren Drucklegung G. beteiligt war, erschienen sind, zahlreiche mehr oder minder umfangreiche Vorreden zu den von ihm herausgegebenen Schriften (darunter das wichtige Proömium zu Cuspinianus’ ‘Caesares’; II.A.52.) sowie eine vielgedruckte kleine Fabel ‘De aranea et podagra’, die G. in einem Brief Petrarcas vorfand (II.A.25.; Elschenbroich). Keiner dieser Texte läßt es sonderlich ratsam erscheinen, G. ohne weiteres mit jenem “kämpferischen reformatorischen Publizisten” (so H.
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Wittenbrink, in: Killy, Lit.lex. 4, S. 122)
zu identifizieren, der die ⫺ oder auch nur einige der ⫺ unter II.B.2. verzeichneten Satiren verfaßt hat. Zu einer verlorenen vier Bücher umfassenden Schrift über die Bauernunruhen der Jahre 1524/25, deren Brutalität G. im Elsaß aus nächster Nähe miterlebt hatte (Schlacht bei Zabern), vgl. Varrentrapp, S. 228 f.; Rott, 1950, S. 74. In dt. Sprache ist von G. nur wenig überliefert: vereinzelte Partien seines Tagebuches und ein kurzes Sendschreiben, das dem Druck einer Predigt seines Pforzheimer Freundes Johannes Schwebel vorangestellt ist (II.A.36.). Bleibende Verdienste hat sich G. als Herausgeber und Korrektor zahlreicher antiker und zeitgenössischer Werke erworben, obgleich Erasmus G.s Korrektorentätigkeit während der Drucklegung des ‘Novum Instrumentum’ (II.A.21.) angesichts der vielen stehengebliebenen Fehler noch recht ungünstig bewertete (s. Erasmus, Op. epist., Bd. 2, Nr. 417 u. 421) und auch G.s Editio princeps der Cuspinianschen ‘Caesares’ schon in der Neuauflage von 1561 als mit unzähligen Fehlern behaftet kritisiert wurde (vgl. Ankwicz-Kleehoven, S. 286). Seine 1539 erschienene Arrian-Ausgabe (II.A.51.) gilt dagegen als bedeutende editorische Leistung (vgl. E. Legrand, Bibliographie helle´nique des XVe et XVIe sie`cles, Bd. 3, Paris 1903, ND ebd. 1962, S. 386 Anm. 1). Bei antiken Werken dürfte G. freilich kaum systematisch kollationiert haben; in vielen Fällen stützen sich seine Editionen lediglich auf die älteren Drucke. Unter den Ausgaben zeitgenössischer Werke sind Texte mit einem Umfang von nur wenigen Seiten (etwa II.A.16. mit 10 Bll. oder II.A.42. mit 12 Bll.), aber auch ein sehr umfangreiches Wörterbuch wie das ‘Dictionarium’ Ambrogio Calepinos (II.A.26.). A. Beiträger, Herausgeber und Korrektor. In die folgende 64 Titel umfassende Liste wurden alle Drucke aufgenommen, bei denen G. als Herausgeber, Korrektor oder zumindest Beiträger nachgewiesen werden konnte. Während G. in den frühen Ausgaben (1.⫺11.) trotz seiner schon hier vielfach anzunehmenden Korrektorentätigkeit meist
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nur durch kleinere begleitende Carmina hervortritt, gibt er sich seit Beginn seiner Straßburger Zeit (ab 1515) durch Vorreden, Dedikationsschreiben oder größere Beiträge zunehmend deutlicher als Herausgeber zu erkennen (B¸chle, S. 15 f.; Merker, S. 252 f.). Aufgenommen wurden auch zwei elsässische Drucke (27. u. 35.), die an G. gerichtete Briefe enthalten, aus deren Inhalt seine Mitwirkung an der Drucklegung hervorgeht. Die Straßburger Nachdrucke von Schriften Luthers, in denen G. nicht ausdrücklich als Herausgeber, Korrektor oder Beiträger dokumentiert ist, an deren Zustandekommen er aber nachweislich ebenfalls beteiligt war (B¸chle, S. 28; Horning, S. 39⫺43), sind dagegen nicht verzeichnet. Zwölf Ausgaben der Jahre 1540⫺1553, die lediglich Nachdrucke von G.s Begleitgedicht zu Jakob Frölichs Druckerzeichen enthalten, aber keine weiteren Anhaltspunkte für G.s Mitwirkung bieten, sind am Ende der Beschreibung des Erstdrucks (45.) nachgewiesen. 1. Regula puerorum Remi⫽|gij Et Regulae congruitatum mediocres. Pforzheim: [Th. Anshelm, um 1504/05]. VD 16, ZV 13074. Mit einem Distichon G.s (Faksimile bei Kremer, S. 102). Überarbeitete Ausgabe eines im 15. Jh. verbreiteten Schulbuches, die G.s Zugehörigkeit zum engeren Kreis um seinen Pforzheimer Lehrer Simler frühzeitig dokumentiert; vgl. D. Mertens, ZGO 120 (1972) 252 Anm. 23 u. S. 256 f. Anm. 35. Zu weiteren Drucken vgl. VD 16, R 1098, 1100, 1102 u. ZV 13075. 2. J Celtis, ‘Rhapsodia’. Augsburg: Joh. Otmar, 1505. VD 16, C 1897. G. steuerte als Schüler des Wiener Poeten- und Mathematikerkollegs eine Huldigung an Maximilian (20 Hex.) bei (bei B¸chle, S. 3 f.). 3. Hieronymus J Vehus, ‘Boemicus Triumphus’. [Straßburg]: Joh. Grüninger, [um 1505]. VD 16, V 492 (u. ZV 24390). Mit einem Gedicht G.s. 4. Remaclus Arduenna (Florenas), Epigrammaton | libri tres. [Köln: Heinr. Quentell], Nov. 1507. VD 16, F 1656. Wenige Monate nach seiner Immatrikulation in Köln beteiligte sich G. an dieser Erstpublikation des belgischen Humanisten mit einem Brief an Remaclus (1. Nov. 1507). Vgl. B¸chle, S. 24. 5. Georg J Simler, ‘Observationes de arte grammatica’. Tübingen: Th. Anshelm, März 1512. VD 16, S 6497. Griech. Titelepigramm (1 Dist.; bei B¸chle, S. 5). 6. Pomponius Mela, Ge/|ographiae libri tres [...]. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, Sept. 1512. VD 16, M 2308. Mit einem Elegidion, in dem G. die Leistung des Hg.s Giovanni Ricuzzi Vellini, gen. Camers, würdigt (bei B¸chle, S. 5). ND: Wien 1520. VD 16, M 2312.
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Gerbel, Nikolaus
7. Grammatices institutiones nouae/ Magistri Bernardi Per|gerii [...]. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener f. Leonh. u. Luk. Alantsee, Mai 1513. VD 16, P 1377. G. hat seiner Bearbeitung von Bernhard D Pergers ungemein erfolgreicher Grammatik eine versifizierte Zuschrift an die Gebrüder Alantsee (7. Mai 1513) sowie ein weiteres Gedicht an den Leser beigegeben. 8. J Celtis, ‘Libri odarum quatuor’. Straßburg: Matth. Schürer f. d. Gebr. Alantsee, Mai 1513. VD 16, C 1906. Mit einem Epigramm, in dem G. die Oden seines verstorbenen Lehrers rühmt (12 Dist.; bei B¸chle, S. 7 f.; Celtis-Br., Nr. 344). 9. J Vadianus, ‘Gallus pugnans’. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, Jan. 1514. VD 16, V 24. G. begleitete den ihm vor der Drucklegung zur Prüfung zugesandten satirischen Dialog seines Wiener Kommilitonen mit einem Gedicht (5 Dist.). Vgl. Vadian-Br., Bd. 3, Nachträge, Nr. 8; W. N‰f, Vadian u. seine Stadt St. Gallen, Bd. 1, 1944, S. 257⫺263. Ein weiterer Druck: Basel 1557. VD 16, S 6970. 10. Alberti Magni | Germani principis philosophi. | De natura locorum [...]. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener f. d. Gebr. Alantsee, März 1514. VD 16, A 1345. Mit einem Epigramm G.s (bei B¸chle, S. 9). Ein ND: Straßburg: Matth. Schürer f. d. Gebr. Alantsee, 1515. VD 16, A 1346. 11. Georg D Peuerbach, Tabulae Eclypsium [...]. Wien: Joh. Winterburger f. d. Gebr. Alantsee, April 1514. VD 16, P 2056. Mit einem Empfehlungsgedicht G.s. 12. P. Virgilii Maronis | Poetarum optimi Aeneidos Libri | Duodecim. Straßburg: Matth. Schürer, Juni [?] 1515. VD 16, V 1418. Mit einem Vorwort G.s (9. Aug. 1515; in dem ND von 1525: 5. Aug. 1525). Zwei NDe: ebd.: Matth. Schürer Erben, 1520, u. Joh. Knobloch, 1525. VD 16, V 1419 u. 1421. Die im Juni 1515 bei Schürer gedruckte schmale, sehr seltene und vielleicht ebenfalls von G. betreute Ausgabe von Vergils ‘Bucolica’ enthält entgegen der Angabe in VD 16, V 1457, keinen eigenständigen Beitrag G.s (überprüft am Ex. Freiburg i. Br., UB, D 7703,p). 13. Aeneas Silvius D Piccolomini, ‘Germania’. Straßburg: Reinh. Beck, Juni 1515. VD 16, P 3125. Mit einem Lobgedicht G.s auf Papst Leo X. 14. P. Ovidii Metamor⫽|phoseon libri | XV. Straßburg: Matth. Schürer f. d. Gebr. Alantsee, Juli 1515. VD 16, O 1635. Als Hg. gab G. dem Druck einen Brief an den Verleger Lukas Alantsee bei (6. Juli 1515). 15. D*esiderii+ Erasmi. Ro|terodami viri | vndecunque doctissimi Lucu⫽|brationes. Straßburg: Matth. Schürer, Sept. 1515. VD 16, E 2745. Mit einer Vorrede (Praefatus est editor Nicolaus Gerbellius) und einem Epigramm G.s (letzteres bei B¸chle, S. 8, wo sich auch eine knappe Darstel-
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lung von G.s Bemühungen um diese Edition findet). Vier NDe: Straßburg: Matth. Schürer, 1516 u. 1517. VD 16, E 2747⫺2750. 16. Otmar J Luscinius, ‘Musicae institutiones’. Straßburg: Joh. Knobloch d. Ä., 1515. VD 16, N 29. Mit einem Hexastichon G.s. 17. Opera Pompo⫽|nii Laeti [...]. Straßburg: Matth. Schürer, Okt. 1515 [i. e. 1516?]. VD 16, P 4147. Mit einem Brief G.s an Schürer (1. Febr. 1516). 18. P. Terentii Aphri poe|tae comici Lepidissimi | Andria. | [...] Ecyra | [...]. Straßburg: Matth. Schürer, Jan. 1516. VD 16, T 377. Mit einer Vorrede G.s an den Leser. Drei weitere Drucke: ebd., 1518; Schlettstadt: Laz. Schürer, 1520; Straßburg: Matth. Schürer [Erben], 1521. VD 16, T 380, 384 u. 386. 19. Riccardus J Bartholinus, ‘Austrias’. Straßburg: Matth. Schürer f. d. Gebr. Alantsee, Febr. 1516. VD 16, B 562. Mit einem Epigramm G.s (bei B¸chle, S. 9). 20. Erasmus, ‘Parabolae sive similia’. Straßburg: Matth. Schürer, Febr. 1516. VD 16, E 3238. G.s Mitarbeit an dieser Ausgabe der ‘Parabolae’ ist durch zwei seiner Briefe zweifelsfrei belegt, vgl. Erasmus, Op. epist., Bd. 2, Nr. 369 u. 383. Ein ND: ebd., Nov. 1516. VD 16, E 3239. 21. Novum In|strumentum omne, diligenter ab Erasmo Roterodamo | recognitum & emendatum [...]. Basel: Joh. Froben, Febr. 1516. VD 16, B 4196. Neben Joh. Oekolampad war auch G. als Korrektor an der Erstausgabe des ‘Novum Instrumentum’ (s. auch 32.) beteiligt; im Sept. 1515 war er zu diesem Zweck eigens nach Basel gereist. Vgl. Amerbach-Korr., Bd. 2, Nr. 535; Chrisman, S. 90; Hieronymus, 1992, Nr. 16, S. 28⫺33. 22. Flavii Philo⫽|strati de Vitis Sophistarum | Libri duo, Antonio | Bomfino in⫽|terprete. Straßburg: Matth. Schürer, März 1516. VD 16, P 2502. Mit einem Brief G.s an Joh. Rudolfinger (März 1516) und einer Bemerkung an den Leser. Die Ausgabe basiert auf einer Corvina-Hs. von Bonfinis Übersetzung, die G. von Cuspinianus zur Publikation überlassen worden war, vgl. Cuspinian-Br., Nr. 27, S. 58 Anm. 7. 23. M. Tullii Ci/|ceronis | De Amicitia. | De Senectute. | Paradoxa. | Cum Indice eorum, quae in | his tractantur. Straßburg: Matth. Schürer, Aug. 1516. VD 16, C 2877. Mit einem Brief G.s an den Leser. Neuauflagen in erweiterter Form: ebd., 1519 u. 1521. VD 16, C 3172 u. ZV 3444. 24. L. Apuleii Madauren|sis philosophi Pla| tonici. | Floridorum Libri quattuor | De Dogmate Platonis Li*ber+ vnus | De Philosophia Li*ber+ vnus. Straßburg: Matth. Schürer, Aug. 1516. VD 16, A 3175. Mit einem Geleitbrief G.s an den Straßburger B. Wilhelm von Honstein (1516).
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25. Aesop-Ausgabe des Maarten van Dorp, Fabularum quae | hoc libro continentur in⫽|terpretes atque autho|res Sunt hi. | [...] | Nicolaus Gerbellius Phorcensis. | Aesopi Vita ex Max*imo+ Planu⫽|de excerpta, & aucta. Straßburg: Matth. Schürer, Dez. 1516. VD 16, A 452. Mit G.s Fabel ‘De aranea et podagra’ (bei B¸chle, S. 9 f.; Elschenbroich, Bd. 1, S. 245 f.). Zahlreiche weitere Drucke mit G.s Fabel (darunter solche der Fabelsammlungen d. Joachim Camerarius) im 16. Jh.: VD 16, A 455⫺543 u. ZV 142⫺155. Die Fabel wurde von Burkhard Waldis (‘Esopus’, 1548) nachgedichtet. 26. Ambrosii | Calepini Bergomatis Dictio/|narium copiosissimum [...]. Straßburg: Matth. Schürer f. d. Gebr. Alantsee, Dez. 1516. VD 16, C 229. Ein von G. und Schürer gemeinsam verfaßtes kurzes Nachwort an den Leser, in welchem von dem immensen Arbeitsaufwand die Rede ist, den der Druck gefordert habe, vor dem Kolophon. 27. Ulrich von J Hutten, ‘Epistola ad Maximilianum Caesarem Italiae fictitia’. [Straßburg: Matth. Schürer, 1516]. VD 16, H 6258. Aus dem der Versepistel vorangestellten Brief Huttens an G. (31. Juli 1516; Hutten, Opera, Bd. 1, Nr. XXXV) geht hervor, daß Hutten eine hsl. Fassung der ‘Epistola’ kurz nach ihrer Fertigstellung von Bologna aus an G. nach Straßburg gesandt hatte, der sie wenig später zusammen mit Huttens Brief bei Schürer drucken ließ (vgl. Merker, S. 256). 28. Palaephati | scriptoris Graeci Opusculum | de non credendis fabulo⫽|sis narrationibus, Inter⫽|prete Philippo Pha⫽|sianino Bono⫽|niensi. Straßburg: Matth. Schürer, Jan. 1517. VD 16, P 94. Mit einem Brief G.s an Thomas Truchseß (Jan. 1517). 29. Auli Gel|lii Noctium Atti-|carum libri vn-| deviginti. Straßburg: Joh. Knobloch d. Ä. f. Matth. Schürer März 1517. VD 16, G 1035. Mit einem Vorwort G.s, in dem er Luscinius für seine Mitarbeit dankt (vgl. Schmidt, Hist. litt., Bd. 2, S. 183; Hieronymus, 1984, Nr. 287). 30. C. Crispi Sal|lustii Bellum Cati⫽|linarium. | Item.| Bellum Iugurthinum [...]. Straßburg: Matth. Schürer, Okt. 1517. VD 16, S 1370. Mit einem Vorwort G.s. Drei NDe: ebd., 1519; Schlettstadt: Laz. Schürer, 1521, u. Straßburg: Ulr. Morhart d. Ä., 1521. VD 16, S 1371, 1374 u. 1375. 31. Illustrium | virorum episto|lae, Hebraicae, Grae|cae et Latinae, ad | Ioannem Reuchlin Phorcensem | [...] missae, qui|bus iam pridem additus est | Liber secundus | nunqua`m antea editus. Hagenau: Th. Anshelm, Mai 1519. VD 16, R 1242. Neben zwei älteren Briefen G.s enthält die Sammlung auch ein an Reuchlin gerichtetes Schreiben G.s, das auf den Mai 1519 datiert ist (s. Hutten, Opera, Bd. 1, S. 459 f.). Da der Druck gemäß dem Kolophon ebenfalls erst im Mai 1519 abgeschlos-
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sen wurde, scheint G.s Schreiben eigens für diese Ausgabe verfaßt worden zu sein (sofern man es nicht mit L. Geiger [Hg.], Joh. Reuchlins Briefwechsel, 1875, S. 299, ohne Not auf 1518 vordatiert) und könnte somit auf eine Mitarbeit an der Drucklegung hindeuten. Vgl. B¸chle, S. 11. 32. Novum | testamen|tum Graece. Hagenau: Th. Anshelm, März 1521. VD 16, B 4177. Diese einsprachige Ausgabe basiert auf dem erstmals 1516 erschienenen ‘Novum Instrumentum’ des Erasmus (s. o. 21.) und soll Luther 1521/22 auf der Wartburg ⫺ zumindest zeitweilig ⫺ als Grundlage für seine Übers. des NTs gedient haben, vgl. Horning, S. 33⫺39 u. 68 (gegen Liebrich, S. 25), sowie H. Bornkamm, Theol. Lit.zeitung 72 (1947) 23⫺28. G. wendet sich in einer Vorrede an den Leser (in dt. Übers. bei Horning, S. 34⫺36). 33. Hermas, Pasto|ris nuntii | poenitentiae, | Visiones quinque, Mandata duodecim, Similitudines uero decem [...]. Straßburg: Joh. Schott, 1522. VD 16, H 2453. Mit einer Vorrede G.s an den Leser. 34. In obscu|riora aliquot | capita Geneseos | Phil*ippi+ Melanc*hthonis+ | Annotatio|nes. Hagenau: Joh. Setzer, Nov. 1523. VD 16, M 3460. Mit einer Vorrede G.s an den Leser. Sechs NDe in Tübingen, Mainz u. Nürnberg 1523 u. 1524. VD 16, M 3461⫺3466. 35. Philippi | Melanchtho|nis, Annotatio|nes in Johannem, castigatiores | quam quae antea inuulgatae sunt. | [...] una cum | Epistola commendatitia M*artini+ Lu|theri [...]. Hagenau: Joh. Setzer, 1523. VD 16, M 2477. In seinem auf der Titelseite erwähnten Brief an G. (Luther-Br., Bd. 3, Nr. 610) gibt Luther an, die beiliegende Nachschrift der Vorlesung Melanchthons an G. zu schicken, der dafür sorgen solle, daß der Text in Hagenau bei Joh. Setzer gedruckt werde. Vgl. Horning, S. 24 u. 40 f. 36. Joh. Schwebel, Ein Sermon vff | Misericordia domini [...] | vom gu˚ten hirten/ Joan⫽|nis decimo. | Dar bey auch ein sendtbrieff/ dem klei⫽| nen heüfflin zu˚ Pfortzheim/ durch | Nicolaum Gerbellium. | Jm jar M.D.xxiiij. [Straßburg: Joh. Schwan, 1524]. VD 16, S 4766. In dem Sendbrief vom Sommer 1524, den er der Predigt seines Freundes Schwebel (s. Kremer, S. 154 f.) vorangestellt hat, ermahnt G. seine Pforzheimer Landsleute, treu am Evangelium festzuhalten, vgl. B¸chle, S. 14. Ein weiterer Druck: [Augsburg: Joh. Schönsperger d. J.], 1524. VD 16, S 4763. 37. Institutio | puerilis litera|rum Graecarum. | Phil*ippi+ Mel*anchthonis+ | [...]. Hagenau: Joh. Setzer, 1525. VD 16, M 3489. Mit einem Distichon G.s (bei B¸chle, S. 14). 38. Gramma⫽|ticae Graecae | institutiones | integrae, a` Phil*ippo+ Melancht*hone+ | conscriptae, atque pluri|bus in locis auctae. Hagenau: Joh.
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Setzer, 1525. VD 16, M 3496. Mit einem Distichon G.s (bei B¸chle, S. 15). Zu den weiteren Drucken zwischen 1525 u. 1538 vgl. VD 16, M 3499, ZV 10665, 10668, 10672, 10677, 10679 u. 17068. 39. Iacobi Bra|celli Genuensis [...] Libri quinque. | Item | Iohannis | Ioviani Pontani, De bel| lo Neapolitano, Libri sex. Hagenau: Joh. Setzer, Sept. 1530. VD 16, B 6881. Mit einer Vorrede G.s an die Leser (1. Sept. 1530). 40. D Gunther von Pairis, ‘Ligurinus’, u. Bartholinus, ‘Austrias’. Straßburg: Joh. Schott, Aug. 1531. VD 16, B 563 u. G 4137. Mit einem Epigramm G.s an Bartholinus (s. o. 19.). 41. Filippo Buonaccorsi, P. Calli⫽|machi experientis | de bello Turcis inferendo, Oratio [...]. Hagenau: Joh. Setzer [Erben], Febr. 1533. VD 16, B 9788 u. 9789. Mit einem Brief G.s an Hzg. Ruprecht von Pfalz-Veldenz (8. März 1533). 42. Oratio | Philip*pi+ Melanch⫽|thonis dicta ab | ipso cum decerne⫽|retur gradus Magisterij d*omino+ An⫽|dreae Vuinclero [...]. Straßburg: Jak. Frölich, April 1535. VD 16, M 3833. Mit Dedikationsschreiben G.s an den Straßburger Ammeister Matth. Pfarrer (12. Mai 1535; vgl. Schmidt, Hist. litt., Bd. 1, S. 237 u. 250). 43. Leonhard Fuchs, Compen|diaria in artem medendi | introductio. Straßburg: Joh. Albrecht, Sept. 1535. VD 16, F 3239. Mit drei Distichen G.s. 44. Ps.-Boccaccio [⫽ Pietro Candido Decembrio], Com⫽|pendium Romanae | historiae. Straßburg: Jak. Frölich, 1535. VD 16, D 328. Mit einem Geleitwort G.s (1. März 1535). Vgl. Hieronymus, 1984, Nr. 315a. 45. Hymni/ | Psalmi: Ver⫽|siculi, & Benedicamus, | pro paruulis ecclesia⫽|sticis cantantibus [...]. Straßburg: Jak. Frölich, [ca. 1535]. VD 16, H 6520. Auf dem letzten Blatt steht unter der Überschrift ‘Ad Iacobum Iucundum’ G.s mit den Initialen N. G. P. (⫽ Nicolaus Gerbelius Phorcensis) signiertes Gedicht zu Frölichs Druckerzeichen (3 Dist.). Zu dem Druckerzeichen selbst (einem musizierenden Schwan mit der Umschrift: Musae noster amor, dulcesque ante omnia musae), das in der Ausgabe des ‘Compendium Romanae historiae’ (s. o. 44.) noch ohne G.s Verse abgedruckt worden ist, vgl. H. Grimm, Dt. Buchdruckersignete d. XVI. Jh.s, 1965, S. 176⫺178. Zusammen mit dem Signet findet sich G.s Sechszeiler noch in 12 weiteren Drucken: 1. [Sebald Heyden], ‘Nomenclatura rerum’. 1540. VD 16, H 3395; 2. Joh. J Murmellius, ‘Tabulae in artis componendorum versuum rudimenta’. 1540. VD 16, M 6985; 3. Michael Helding, ‘Prosodia’. 1540. VD 16, H 1619; 4. Erasmus, ‘De constructione libellus’. 1540. VD 16, E 2586; 5. [Joh. Sapidus u. Joh. Sturm], ‘Bucolicae querelae’. 1540. VD 16, S 1661; 6. Erasmus, ‘De civilitate morum puerilium’. 1542. VD 16, E 2226; 7. Sigmund Wölflin, ‘Syntaxis’. 1544. VD 16, W
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4133; 8. ‘Disticha D Catonis’ mit Erläuterungen d. Erasmus. 1548. VD 16, ZV 3161; 9. Melanchthon, ‘Grammatices Latina[e] elementa’. 1548. VD 16, ZV 10713; 10. Eobanus J Hessus, ‘Annotationes in Vergilii Bucolica’. 1553. VD 16, V 1498; 11. Donat, ‘De octo partibus orationis’. 1553. VD 16, ZV 4672; 12. Petrus J Mosellanus, ‘Paedologia’, u. Christoph Hegendorf, ‘Dialogi pueriles’. 1553. VD 16, ZV 13775. 46. De Vita | Moribus ac Rebus | Praecipue adversus Turcas, Gestis, | Georgii Castrioti, Clarissimi Epirotarum Principis, | [...] libri Tredecim, per Marinum | Barletium Scodrensem conscripti [...]. Straßburg: Kraft Müller, Sept. 1537. VD 16, B 389. Mit einem gemeinsam mit dem gebürtigen Pforzheimer Ulrich Chelius verfaßten Empfehlungsschreiben G.s (Sept. 1537). 47. Kaspar Hedio, Epitome | in Evangelia et | Epistolas, quae leguntur in Tem|plis per circuitum anni [...]. Straßburg: Kraft Müller, 1537. VD 16, H 924. Mit einen kleinen Dialog zwischen G. und Kraft Müller (Crato) in Versform ([8]v): Hedios ‘Epitome’ wird darin als ein kostbarer Edelstein gepriesen, durch den sich Reichtümer im Himmel anhäufen ließen (3 ⫹ 1 Dist. G.s; 4 Dist. Cratos). 48. Vete⫽|rum iuriscon|sultorum uitae, per Bern|hardinum Rutilium [...] con|scriptae. Straßburg: Kraft Müller, März 1538. VD 16, R 3877. Mit einem Geleitbrief G.s an Christoph Welsinger (12. Nov. 1537). Ein ND: Basel 1539 VD 16, R 3878. 49. Joh. Sturm, De litera|rum | ludis recte ape-|riendis. | liber. Straßburg: Wendel Rihel, 1538. VD 16, S 9945. Mit einem Gedicht G.s an den Leser (3 Dist.). Drei NDe: ebd., 1539, 1543 u. 1557. VD 16, S 9946⫺9948. 50. Achilles Pirmin Gasser, Historia|rum et chronicorum to⫽|tius Mundi Epitome [...]. [Straßburg: Kraft Müller], 1538. VD 16, G 495. G. und sein damals elfjähriger Sohn Nikolaus steuerten jeweils ein Gedicht bei. 51. Arriani de expedi-|tione sive rebus gestis | Alexandri Macedonum Regis libri octo [...] [griech. u. lat.]. Basel: Rob. Winter, März 1539. VD 16, A 3796. Vgl. Hirsch, S. 192⫺194. Eine Paraphrase von G.s langem Widmungsbrief an Jakob Sturm (1. Febr. 1539) bei Hieronymus, 1992, Nr. 251, S. 355 f. 52. J Cuspinianus, ‘De Caesaribus’. [Straßburg: Kraft Müller], 1540. VD 16, C 6477. G. hat das nachgelassene Hauptwerk seines 1529 verstorbenen Wiener Lehrers herausgegeben und mit einer für die Cuspinianus-Forschung wichtigen Vorrede (1. Aug. 1540) versehen, in der von den Unzulänglichkeiten des Manuskripts die Rede ist und das Leben Cuspinianus’ dargestellt wird; vgl. Ankwicz-Kleehoven, S. 269⫺274 u. 328. Eine weitere
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Aufl.: Basel [1561]. VD 16, C 6479 (mit irrigem Druckdatum 1553 auch unter VD 16, C 6478). 53. Elegiae | ODOIPORIKAI V. Ioachimi | Camerarij, & carmen odoiporiko¡n [...]. Straßburg: Kraft Müller, März 1541. VD 16, C 393. Mit einem an Camerarius adressierten Freundschaftsgedicht G.s (11 Dist.), in dem dessen Verse sehr gerühmt werden. 54. Liber selecta|rum declamationum | Philippi Melanthonis [...]. Straßburg: Kraft Müller, März 1541. VD 16, M 3554. Mit einem Widmungsbrief G.s an den Wittenberger Mathematiker Jakob Milich (1. Jan. 1541). Zahlreiche weitere Drucke zwischen 1544 u. 1587: VD 16, M 3555, 3557, 3561, 3565, 3567, 3572, 3576 u. 3580; B. Bauer (Hg.), Melanchthon u. d. Marburger Professoren, 22000, Bd. 1, S. 282⫺285. 55. Joh. Sapidus, Paraclesis | sive Consolatio de morte | Illustrissimi Principis Alberti Marchionis Ba|densis [...]. Straßburg: Kraft Müller, Aug. 1543. VD 16, S 1660. Mit G.s ‘Epitaphium Alberti Principis Badensis’ (5 Dist.). 56. Philippi | Melanthonis cum | Praefationum in quosdam illustres Autores: tum | Orationum de clarißimorum uiro⫽|rum uitis: | Tomus secundus. Straßburg: Kraft Müller, März 1544. VD 16, M 3556. Mit einem Widmungsbrief G.s an seinen Freund Peter Heldung (18. Nov. 1543). Sieben weitere Drucke zwischen 1546 u. 1587: VD 16, M 3558, 3562, 3564, 3568, 3573, 3577 u. 3581. 57. Icones im|peratorum, et bre⫽|ues uitae, atque rerum cuiusque gesta|rum indicationes: Ausonio, | Iacobo Micyllo, Vrsino | Velio authori⫽| bus. Straßburg: Kraft Müller, 1544. VD 16, G 1450. Mit einem Widmungsschreiben G.s an Joh. Maier (23. Aug. 1544; vgl. Schmidt, Hist. litt., Bd. 1, S. 88 Anm. 227). 58. [...] | Lycophronis | Chalcidensis Alexandra, | siue Cassandra [...] | Ioannis Tzetzae Variarum | Historiarum liber. Basel: Joh. Oporinus, März 1546. VD 16, L 7723. Mit einer Bemerkung G.s an den Leser zu Lykophrons ‘Alexandra’ und einer Vorrede G.s und einem Geleitbrief G.s an Oporinus (9. März 1546) zu Tzetzes’ ‘Variae historiae’; eine Paraphrase der Vorrede bei Hieronymus, 1992, Nr. 183. 59. M. Vitruvii | Pollionis [...] | De archite⫽| ctura libri X [...]. Straßburg: Georg Messerschmidt, Aug. 1550. VD 16, V 1764. Mit einem an den Käufer des Buches gerichteten Gedicht G.s (5 Dist.). 60. Troporum, | schematum, idiomatumque | communium liber [...] | Barptolemaeo VVesthemero | Phorzensi collectore. Basel: Joh. Herwagen d. Ä., 1551. VD 16, W 2239. Mit einem an die Leser des Buches gerichteten Gedicht G.s (9 Dist.). Ein ND: ebd.: Joh. Herwagen d. J., 1561. VD 16, W 2240.
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61. Ioannis Bro-|daei Turonensis An-|notationes in | Oppiani Cynegeticon libros | IIII [...]. Basel: Joh. Herwagen d. Ä., 1552. VD 16, B 8350. Mit einem an den Drucker gerichteten Geleitwort G.s. 62. Ludwig Rabe, Tomus I. | de S. Dei confesso|ribus, veteris⫽|que ecclesiae | martyri-|bus [...]. Straßburg: Balth. Beck [Erben], 1552. VD 16, ZV 12903. Mit einem Gedicht G.s an den Leser (8 Dist.). 63. J Cuspinianus, ‘De consulibus’. Basel: Joh. Herwagen d. Ä. u. Joh. Oporinus, Sept. 1553. VD 16, C 6486. Auch zu diesem Werk des Cuspinianus (s. o. 52.) verfaßte G. eine Vorrede (1. Nov. 1552); sie ist an den Augsburger Mäzen Joh. Jakob Fugger gerichtet, vgl. Ankwicz-Kleehoven, S. 279⫺ 291. Daneben enthält die Ausgabe einen Nachruf auf Cuspinianus (14 Dist.; bei B¸chle, S. 17). 64. David Kyber, Lexicon rei Her⫽|bariae Trilingue, ex va⫽|rijs & optimis [...] authoribus con⫽|cinnatum. [...]. Straßburg: Wendel Rihel, Sept. 1553. VD 16, K 2859. Mit einem von G. und Konrad Gesner in griech. Sprache verfaßten ‘Idyllium epitaphium’ auf den 1553 im Alter von nur 28 Jahren in Straßburg an der Pest gestorbenen Kyber. Das hexametrische Gedicht ist als Wechselgespräch zwischen Gesner, der Kybers Lexikon aus dem Nachlaß herausgegeben hat, und G. angelegt. 44 Verse sind Gesner, 47 G. zugewiesen; über die tatsächliche Autorschaft lassen sich jedoch keine gesicherten Angaben machen (s. o. 47.). Zu G.s Kontakten mit Gesner s. B¸chle, S. 24, Nr. 110; Varrentrapp, S. 232 f. mit Anm. 2.
B . L at ei ni sc he Sc hr if te n. 1. ‘Descriptio Graeciae’. Zu der großen Griechenlandkarte des Humanisten Nikolaos Sophianos aus Korfu, die im Herbst 1544 von Joh. Oporinus in Basel nachgedruckt worden war (Faksimile bei Hieronymus, 1992, Beilage), verfaßte G. u. d. T. ‘In descriptionem Graeciae Sophiani praefatio’ eine Begleitschrift (90 S.), die im Sept. 1545 erschien und neben reichen historisch-antiquarischen Mitteilungen über die griechischen Landschaften und Städte auch Angaben zur Berechnung der Entfernungen enthält. Die 21 Holzschnitte, die Oporinus dieser Ausgabe beifügte, stellen allerdings keineswegs ⫺ wie vorgegeben ⫺ griechische Städteansichten dar, sondern sind nach den Vorbildern deutscher Städte und Burgen gestaltet; in der zweiten Auflage von 1550 sind sie fortgefallen. Diese
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zweite, stark erweiterte Fassung von G.s ‘Descriptio Graeciae’ (rund 300 S.), die u. d. T. ‘Pro declaratione picturae sive descriptionis Graeciae Sophiani libri septem’ in Basel erschien und sein Hauptwerk bildet, vermittelt in reicher Fülle griech. und lat. Zitate aus den klassischen Geographen, Historikern und Dichtern ein zwar wenig anschauliches, aber doch facettenreiches Bild des antiken Griechenland. Neben der Beschreibung der Regionen, Städte, Flüsse, Berge, Inseln und Meere finden sich einleitende Ausführungen zu den Sitten und zur Sprache sowie Erläuterungen zur Geschichte und zu den Mythen der Griechen. Wie bereits in der ersten Auflage schweift G. dabei häufig auf die Gegenwart ab und erwähnt viele Zeitgenossen und Freunde (Camerarius, Paulus Fagius, Hedio, Christmann Herlin, Beatus J Rhenanus, Jakob J Spiegel, Jakob und Johannes Sturm, Vadianus u. a.). Da er Griechenland nicht aus eigener Anschauung kannte und er den literarischen Quellen nicht kritisch genug gegenüberstand, unterliefen ihm zahlreiche Fehler. Gleichwohl bildet seine ‘Descriptio Graeciae’ eine wichtige Pionierarbeit, die bis zum Ende des 17. Jh.s Geltung besaß. Drucke. a) Nicolai Gerbe|lij in descriptionem Graeciae | Sophiani, praefatio. | [...] | eiusdem de situ, nominibus & regionibus Graeciae perbreuis | in picturam Sophiani introductio. | [...] | eiusdem Gerbelij canon; quomodo, & in quot partes Picturae huius longitudo partienda sit [...]. Basel: Joh. Oporinus, Sept. 1545. VD 16, G 1451. Mit Widmungsbrief an die Grafen Wilhelm und Otto von Eberstein (1. Juni 1545). b) Nicolai Gerbe-|lij Phorcensis, pro declaratione | picturae siue descriptionis | Graeciae Sophiani, | Libri septem [...]. Basel: Joh. Oporinus, [1550]. VD 16, G 1452. Mit einem Geleitgedicht: Nicolaus Gerbelius Graeciae suae Vale (10 Dist.; u. a. bei B¸chle, S. 18; Merker, S. 271); das erneut beigegebene Dedikationsschreiben an die Grafen von Eberstein ist auf den 1. Juni 1550 umdatiert. Vgl. Varrentrapp, S. 231⫺237; Merker, S. 269⫺272; A. Tinto, in: Gutenberg-Jb. 1965, S. 171⫺175; Hieronymus, 1984, Nr. 468, S. 541⫺547 u. 721; ders., 1992, Nr. 292 f., S. 429⫺434 (das Ex. d. Erstausg. Basel, UB, EA II 43:1, enthält einen eigenhändigen Schenkungsvermerk: Nicolaus Gerbelius Petro H*eldung+ compatri suo dono dedit).
2. Die G. zugeschriebenen Satiren. Merker hat G. 1923 in einer großangelegten Untersuchung eine Reihe von lat.
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Satiren zugeschrieben, die in den Jahren 1520/21 verfaßt und gedruckt worden sind: die drei gegen Thomas J Murner gerichteten Spottschriften ‘Defensio Christianorum de Cruce’ (unter dem Pseudonym Matthaeus Gnidius Augustensis erschienen), ‘Murnarus Leviathan’ (Pseudonym: Raphael Musaeus) und ‘Auctio Lutheromastigum’ (anonym), die drei gegen Johannes J Eck gerichteten Dialoge ‘Eckius dedolatus’ (Pseudonym: Johannesfranciscus Cotta Lembergius), ‘Decoctio’ und ‘Eckius monachus’ (jeweils anonym) sowie die unter dem Pseudonym S. Abydenus Corallus Germ. erschienenen Schriften ‘Oratio ad Carolum maximum’ und ‘Dialogi septem’ (Einzeltitel: ‘Momus’, ‘Carolus’, ‘Pietatis et superstitionis pugna’, ‘Conciliabulum theologistarum’, ‘Apophthegmata Vadisci et Pasquilli’, ‘Huttenus captivus’ und ‘Huttenus illustris’); auch einen Anteil an den J ‘Epistolae obscurorum virorum’ wollte Merker G. zugestehen. Seine Argumente für diese Zuweisungen (vgl. bes. Merker, S. 273⫺314) konnten sich in der Forschung jedoch nicht bzw. nur in Einzelfällen durchsetzen (s. etwa Grimm, 1964, S. 250); der ‘Eckius dedolatus’ wird heute zumeist (wieder) als ein Werk Willibald J Pirckheimers angesehen, vgl. Rupprich, LG II, S. 105⫺109, sowie Holzberg, S. 191 f. u. 428 f. (mit kritischen Rezensionen zu Merker). Lediglich im Falle der gegen Murner gerichteten Satiren mit ihrem ausgeprägten Straßburger Lokalkolorit sowie einer Appendix zum Straßburger Druck der ‘Epistolae obscurorum virorum’, Teil 2, wäre die These Merkers gemäß Rott, 1989, S. 1155, und Scheible, 1989, S. 44 Anm. 312, bzw. A. Bˆmer, ZfB 41 (1924) 1⫺12, nochmals genauer zu überprüfen. C . Tag eb uc h (1522⫺1529). Die Aufzeichnungen sind in ein kleinformatiges Schreibheft (79 Bll., darunter mehrere leere) eingetragen und reichen von Dez. 1522 bis Dez. 1529. Das Tagebuch ist zumeist lat. verfaßt; bei der Wiedergabe von Gesprächen, Predigten oder Briefen wechselte G. aber häufig übergangslos ins Deutsche; Passagen mit einem ausgeprägt
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intimen Charakter sind mitunter griech. geschrieben. Die Einträge beleuchten die für die Einführung der Reformation in Straßburg entscheidenden Jahre: Im Jan. 1523 dokumentiert G. das Eintreten des Rates der Stadt für seinen Freund Matthäus Zell (1477⫺1548), der sich als Münsterprädikant früh zu Luther bekannt hatte. Wenig später (Dez. 1523⫺Aug. 1524) finden die revolutionären Eheschließungen der Straßburger Prediger seine Aufmerksamkeit. Die Spannungen innerhalb des Straßburger Domkapitels werden ebenso thematisiert wie die Auseinandersetzungen mit den Täufern und die schließlich 1529 durchgesetzte Abschaffung der katholischen Messe. Daneben gibt das Tagebuch Kunde von den persönlichen Lebensverhältnissen G.s: Verzeichnet sind die Fehlgeburten und der Tod seiner ersten Frau (26. Mai 1525), die Bemühungen um seine Wiederverheiratung, die im Nov./Dez. 1525 erfolgte zweite Eheschließung mit Dorothea Kirsser, Zusammenkünfte mit Freunden, gesundheitliche Beschwerden G.s (1527), die Geburt seiner Söhne Nikolaus (16. Mai 1527) und Theodosius (31. März 1529) sowie allerlei häusliche Geschäfte. Trotz seines unregelmäßigen und vielfach fragmentarischen Gepräges bildet G.s Tagebuch eine einzigartige Quelle für die Reformations- und Alltagsgeschichte Straßburgs im 16. Jh.; sein Verfasser präsentiert sich mehrfach als ein eher verschlossener, in religiösen Fragen kompromißloser Charakter. Überlieferung. Straßburg, Archives de la Ville, AST 38 (carton 20, 1). Eine vollständige Ausgabe steht aus. Vgl. J. Fikker / O. Winckelmann, Hss.proben d. 16. Jh.s nach Straßburger Originalen, Bd. 2, 1905, Nr. 47 B (Faksimile aus G.s Diarium: Bericht von einer Predigt Hedios, 29. Sept. 1527; vgl. Horning, S. 56); Rott, 1950; E. Wickersheimer, Paracelse a` Strasbourg, Centaurus. International Magazine of the History of Science and Medicine 1 (1950/ 51) 356⫺365 (mit Transkription der im Diarium enthaltenen Aufzeichnungen über G.s Behandlung durch Paracelsus 1527).
D . B ri ef e. B¸chle, S. 21⫺24 u. 28, bietet als Anhang I eine mit den Fundstellen versehe-
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ne Aufstellung von G.s Briefwechsel, die insgesamt 116 Schreiben umfaßt, von denen freilich nur 29 in die Zeit bis 1520 fallen (darunter ein Brief von und sieben Briefe an Erasmus); mit Ausnahme des dt. Sendschreibens (II.A.36.) sind alle Briefe lat. verfaßt. Nach Rott, 1989, S. 1154, läßt sich diese Liste noch um ca. 50 Briefe ergänzen. Mehrere Widmungs- oder Begleitschreiben in den von G. betreuten Drucken sind B¸chle entgangen, vgl. die gegenüber dessen Verzeichnis von 36 Editionen G.s (B¸chle, S. 24⫺28) nunmehr 64 Einträge umfassende Liste (II.A.) sowie Ritter, 1945, Nr. 691 (Brief Joh. Setzers an G.). In Band 18 der Collectio Camerariana (Clm 10368) befinden sich unter Nr. 103⫺120 insgesamt 15 an Joachim Camerarius d. Ä. gerichtete Briefe G.s (Nr. 112 von G.s Sohn Nikolaus, Nr. 115 u. 116 fehlen seit d. 19. Jh.). In einer leicht veränderten Fassung hat Camerarius sie mit zwei Ausnahmen (Nr. 117 u. 120) bereits 1561 in Leipzig innerhalb des ‘Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi et aliorum’ drucken lassen (VD 16, C 410; M ijr⫺N iiijv). Da diese Ausgabe noch drei andere Briefe G.s enthält und in Philadelphia, University of Pennsylvania Library, Ms. Lat. 198 (Hirsch, S. 192⫺194), sowie im Melanchthonhaus Bretten (vgl. ARG 24 [1927] 60) die Autographe von zwei weiteren Schreiben G.s aufbewahrt werden, beläuft sich die Gesamtzahl der an Camerarius gerichteten und noch erhaltenen Briefe G.s auf mindestens 20 Stücke, die B¸chle allesamt unbekannt waren. Eine reiche Einzelüberlieferung bilden auch G.s 23 aus den Jahren 1519⫺1533 stammende Briefe an den Reformator Joh. Schwebel, die 1597 innerhalb der ‘Centuria epistolarum theologicarum ad Johannem Schwebelium’ in Zweibrücken erschienen sind (VD 16, S 4757; Nr. 2, 8, 10, 13⫺15, 17⫺23, 26⫺28, 31⫺33, 35 u. 58⫺60). Moderne Editionen von G.s gleichfalls umfangreicher Korrespondenz mit anderen Reformatoren (darunter v. a. mit Luther und Melanchthon, aber auch mit Joh. Brenz, Martin Bucer, Joh. Bugenhagen, Justus Jonas und Zwingli) sind bei Bonorand II, S. 300 f., verzeichnet. Zu den in Straßburg
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Gert, Stephan
vorhandenen Briefen von und an G. vgl. v. a. J. Ficker, Thesaurus Baumianus. Verz. d. Briefe u. Aktenstücke, 1905, S. 81 f., sowie J. Adam, Inventaire des Archives du Chapitre de St-Thomas de Strasbourg, Straßburg 1937, passim. Vgl. ergänzend: A Cumulative Index to Vol. I⫺VI of P. O. Kristeller’s Iter Italicum, Leiden u. a. 1997, S. 232 s. v. Gerbel(l)ius. Literatur. A.-F. Liebrich, Nicolas G., jurisconsulte-the´ologien du temps de la Re´formation, Diss. Straßburg 1857; L. Geiger, in: ADB 8, 1878, S. 716⫺718; A. B¸chle, Der Humanist N. G. aus Pforzheim (Beilage z. Progr. d. Pro- u. Realgymnasiums Durlach), 1886; C. Varrentrapp, N. G. Ein Beitrag z. Gesch. d. wissenschaftl. Lebens in Straßburg im 16. Jh., in: Straßburger Fs. z. XLVI. Versammlung dt. Philologen u. Schulmänner, 1901, S. 221⫺238; E. Sitzmann, Dictionnaire de biographie des hommes ce´le`bres de l’Alsace [...], Bd. 1, Paris 1909, ND 1973, S. 590 f.; W. Horning, Der Humanist Dr. N. G., Förderer Lutherischer Reformation in Straßburg (1485⫺1560), 1918; P. Merker, Der Verfasser d. Eccius dedolatus u. anderer Reformationsdialoge. Mit einem Beitrag z. Verfasserfrage d. Epistolae obscurorum virorum, 1923, S. 239⫺272 u. passim; J. Rott, L’humaniste strasbourgeois N. G. et son diaire (1522⫺1529), Bulletin philologique et historique (jusqu’a` 1715) 1946/ 47 [1950] 69⫺78 (wieder in: Rott, 1986, Bd. 2, S. 313⫺322); F. Ritter, Histoire de l’imprimerie alsacienne aux XV e et XVIe sie`cles, Straßburg/Paris 1955, passim; ders., Re´pertoire bibliographique des livres imprime´s en Alsace au XVIe sie`cle de la Bibliothe`que Nationale et Universitaire de Strasbourg, 4 Bde., Straßburg 1939, 1945, 1950 u. 1957, passim; H. Ankwicz-Kleehoven, Der Wiener Humanist J. Cuspinian, 1959; R. Newald, Probleme u. Gestalten d. dt. Humanismus, hg. v. H.-G. Roloff, 1963, S. 260 u. 366; H. Grimm, in: NDB 6, 1964, S. 249 f.; R. Hirsch, N. G. and his Arrian, Gutenberg-Jb. 1966, S. 192⫺194; N. Holzberg, W. Pirckheimer, 1981, S. 181 f. u. 429 f.; Bonorand II, S. 299⫺301 (Lit.); F. Hieronymus, Oberrhein. Buchillustration, Bd. 2: Basler Buchillustration 1500 bis 1545 (Publikationen d. UB Basel 5), 1984, Nr. 287, 315a u. 468; M. U. Chrisman, in: CoE 2, 1986, S. 90 f.; J. Rott, Investigationes historicae. E´glises et socie´te´ au XVIe sie`cle, 2 Bde., Straßburg 1986, passim; ders., in: Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne, Bd. 3, Straßburg 1989, S. 1153⫺1155 (Lit.); H. Scheible, Melanchthons Pforzheimer Schulzeit, in: H.-P. Becht (Hg.), Pforzheim in d. frühen Neuzeit (Pforzheimer Gesch.bll. 7), 1989, S. 43⫺47; F. W. Bautz, in: BBKL, Bd. 2, 1990, Sp. 211 f.; A. Elschenbroich,
Die dt. u. lat. Fabel in d. Frühen Neuzeit, 1990, Bd. 1, S. 245 f., Bd. 2, S. 48⫺50 u. 248 f.; F. Hieronymus, En Basileia polei tes Germanias. Griech. Geist aus Basler Pressen (Publikationen d. UB Basel 15), 1992, Nr. 16, 183, 190, 251 u. 292 f.; Th. Kaufmann, Die Abendmahlstheol. d. Straßburger Reformatoren bis 1528, 1992; G.-R. Tewes, Die Bursen d. Kölner Artisten-Fakultät bis z. Mitte d. 16. Jh.s (Stud. z. Gesch. d. Univ. zu Köln 13), 1993, S. 564⫺573, 595⫺599 u. ö.; H.-J. Kremer, ‘Lesen, Exercieren u. Examinieren’. Die Gesch. d. Pforzheimer Lateinschule, 1997, S. 114 f. u. 149; H. Scheible, in: Melanchthon-Br., Bd. 12, 2005, S. 135 f. (Lit.).
Matthias Dall’Asta
Goldberger J Gürtler, Hieronymus Gert (Gerdt, Gerhart, -hardi), Stephan I . L eb en . G., geb. in Königsberg als Sohn eines altstädtischen Ratsherrn, studierte seit dem SS 1492 in Leipzig die Artes, wurde im WS 1493 Baccalaureus (Steffanus Gert de Konigisberg) und im WS 1496 Magister (Steffanus Gerhardi de Konigsberck). Er war Mitglied des Kleinen Fürstenkollegs und lehrte vom WS 1497 bis zum SS 1501 regelmäßig in der Artistenfakultät. Daneben betrieb er das Studium des kanonischen Rechts. Im Herbst 1501 ging er mit den Brüdern Haubold und Ernst von Schleinitz als deren Erzieher nach Bologna und setzte dort zugleich das eigene juristische Studium fort. Ob er in Bologna oder erst nach seiner Rückkehr in Leipzig zum Dr. iur. can. promoviert wurde, ist nicht ersichtlich. Im WS 1504/05 amtierte er in Leipzig, nun arcium et iuris pontificii doctor, als Rektor der Universität. In der juristischen Fakultät fand er ein freundschaftliches Verhältnis zu seinem Kollegen und Landsmann Christoph D Kuppener. Im übrigen wußte er erfolgreich für Karriere und Wohlstand zu arbeiten. Wie er in seinem Andreae-Kommentar (s. u. II.3., Bl. B ijr) bemerkt, war er – wohl zwischen 1505 und 1507 – Generalvikar B. Joachims I. von Brandenburg († Mai 1507). 1508 war er wieder in Leipzig als Rechtslehrer tätig (s. u. II.3.), kehrte bald darauf jedoch
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in seine preußische Heimat zurück, um dort in die Dienste des Deutschen Ordens zu treten. Beziehungen zu den Deutschherren, zu ihrem Hochmeister Friedrich von Sachsen (1498⫺1510), hatte er spätestens schon 1501 mit dem Panegyricus auf das Haus Sachsen (s. u. II.2.) geknüpft. G. wurde samländischer Domherr und, da das Domkapitel dem Deutschen Orden inkorporiert war, selber auch dessen Mitglied. Seinen gelehrten und literarischen Interessen kam in Preußen der kleine humanistische Kreis am Hof des ermländischen B.s Hiob von Dobeneck in Riesenburg entgegen. In amtlicher Tätigkeit ist G. 1509 als Beisitzer am Hofgericht in Königsberg bezeugt. Als Beauftragter des Hochmeisters Albrecht nahm er 1515 am Kongreß in Lübeck teil. 1516 erscheint er als Propst des Domkapitels. Damals war er maßgeblich in eine Intrige gegen den Domherrn Andreas Brachwagen verwickelt; sie brachte ihm und einigen anderen Mitgliedern des Kapitels 1517 eine scharfe Zurechtweisung des Bischofs und zeitweilige Haft ein. Um 1519 ist G. in Preußen gestorben. I I. Sc hr if te n. Was von G. verfaßt oder ediert wurde, entstand im Zusammenhang seiner Leipziger Lehrtätigkeit, sonst im Interesse an Verbindungen mit Angehörigen des sächsischen Adels (Schleinitz) und dem albertinischen Herzoghaus oder als Gefälligkeit für Leipziger Freunde. Den literarischen Hoffnungen, die Georg J Breitkopf anscheinend in ihn gesetzt hatte (s. u. II.2.), konnte er mit den wenigen Carmina, die man von ihm kennt, nicht schon entsprechen; immerhin sprach auch der junge Christoph von J Suchten in einem schmeichelnden Epigramm (‘Epigrammatum liber primus’, 1505, Bl. [a8]r⫺bv) von G.s literarischen Fähigkeiten. Ähnlich aber eröffneten auch G.s juristische Arbeiten kein präsentables Œuvre eines geborenen Gelehrten. 1. ‘Carmen in libidinis insolentes’. Ein der akademischen Jugend zugedachtes, als Unterrichtstext gedrucktes Gedicht in 46 Distichen, das vor ungezügelter Sexualität, v. a. übler Dirnenliebe, und ihren
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Folgen warnt. G. schloß den in Leipzig als Schultext schon bekannten D ‘Salutaris poeta’, eine versifizierte elementare Erziehungslehre, an und – nach den dürftigen Versen und ebenso thematisch ein herber Kontrast – Horazens Gesang auf Pindar (c. IV 2). Druck. Carmen Elegiacum Dicolon | distrophon Magistri Steffani Gerhardi de Monte re|gio in libidinis insolentes suo iuuenili plectello depromptum [...]. [Leipzig: Wolfg. Stöckel], 1497. GW 1070.
2. Panegyricus auf das albertinisch-sächsische Herzoghaus. Der in die Form eines Briefes an Hzg. Friedrich von Sachsen, Hochmeister des Deutschen Ordens, gefaßte Preis des sächsischen Herrscherhauses beginnt mit Hzg. Albert (1464⫺1500), es folgen Hzg. Georg (1500⫺1539), dann Friedrich selbst, schließlich sein Bruder Heinrich und seine Schwester Katharina. An jedem der Gefeierten hebt G. Tugenden hervor, die er mit Beispielen ihrer Taten und der Erzählung biographischer Begebenheiten belegt. Druck. Panegyrice laudationes Ste⫽|phani Gerhardi Regiomon⫽|tani de Illustri domo Saxo⫽|nie ad dominum dominum Fredericum Theotonici or|dinis summum Magistrum: Ducem Saxonie: Lant⫽|grauium Thuringie: et Marchionem Misne. [Leipzig: Martin Landsberg, 1501]. VD 16, ZV 21585. Am Ende ein Lob Georg J Breitkopfs auf G.s literarisches Talent (8 Dist.).
3. Kommentar zur ‘Lectura super arboribus consanguinitatis’ des Johannes Andreae. Der Kommentar geht auf ein Repetitorium zurück, das G. 1508 über das für viele Rechtsmaterien relevante System der kanonischen Verwandtschafts- und Verschwägerungsgrade abzuhalten hatte. Er legte die verbreitete, in Leipzig eingeführte ‘Lectura’ des Johannes D Andreae († 1348) mit den ‘Additiones’ des Leipziger Rechtslehrers D Johann von Breitenbach (vgl. Wolfenbütteler Anon., S. 53) zugrunde und kommentierte diese Vorlage mit reichen Anmerkungen (Annotationes) und Ergänzungen (Suppletiones), die er aus der gelehrten Literatur ebenso wie aus der Rechtspraxis und auch eigener Erfahrung
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zog und die ein kasuistisch fülliges, umfassend diskutierendes Werk ergaben. Durch Zitate aus Cicero, Cato, Varro und ausgiebig selbst aus Ovids ‘Metamorphosen’ (Bl. [B6]r) mischt er bisweilen humanistische Farbe ein. Einleitend und am Ende nimmt er Gelegenheit, auch über angemessenes Lernverhalten der Studenten und über Einkommensansprüche des Juristen zu sprechen. Dem Kommentar zu den Graden der Verwandtschaft (und, an späterer Stelle, der Verschwägerung) gehen kurze Regeln zur Bestimmung der Verwandtschaftsgrade und illustrierende Verwandtschaftsbäume voran, sämtlich mit folgenden dt. Versionen (Bl. 3v⫺[6]r u. [D5]v⫺[D6]r) in verschiedenen Mundarten (obersächs., bair., fränk.), so daß die Elemente der Bestimmung von Verwandtschaftsgraden auch dem Laien zugänglich werden. Die Berücksichtigung der Mundarten war vor allem wegen ihrer lexikalischen Verschiedenheit im Feld der Verwandtschaftsnamen motiviert. Die Widmung des Kommentars (Leipzig, 19. Aug. 1508) ging an Ernst von Schleinitz, den G. einst in Bologna begleitet hatte, jetzt aber als seinen patronus et tutor betrachtete. Den Druck eröffnet ein dem Thema des Kommentars verbundenes Carmen panegiricum G.s auf das lange kinderlose biblische Paar Joachim und Anna, ihre Tochter Maria und den Enkel Jesus (34 Dist.). Drucke. Lectura Joannis andree super Arbore consan-|guinitatis et affinitatis vna cum additionibus | vtriusque iuris Doctoris famatissimi domini Joannis de Breitenbach/ necnon cum | Suppletionibus et Annotationibus domini Stephani Gerhardi vulgariter Gerdt cognominitati [...]. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1508. VD 16, J 322. ND: Leipzig: W. Stöckel, 1517. VD 16, J 331. 4. L. J. Feller verzeichnet in seinem Catalogus Codicum Mssctorum Bibliothecae Paulinae in academia Lipsiensi concinnatus, Leipzig 1686, S. 427, “Qvaestiunculae M. Stephani super variis casibus”, enthalten in dem juristischen Cod. 73 der Hss. des Großen Fürstenkollegs. Die Hs. scheint verschollen zu sein. Ob der genannte M(agister) Stephanus mit G. identisch ist, steht dahin.
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5. Ausgaben und kleine Beiträge. a) Expositio Misteriorum mis|se Christi passionem de⫽|uotissime figurantium. metrice atque prosaice | posita [...]. [Leipzig]: Martin Landsberg, 1501. VD 16, B 238. Der Kolophon nennt als den Autor den Zisterzienser Balthasar, Provisor des Leipziger St. Bernhardkollegs, und vermerkt, daß G. den Traktat wieder und wieder emendiert habe. Der ND Augsburg: Joh. Froschauer, 1517 (VD 16, B 237), nennt G.s Namen und den des Autors nicht. b) Marci Tullij Ciceronis | Epistole familiares nuper casti|gatissime ab infinitis pene men|dis emaculate atque correcte.| [Leipzig: Martin Landsberg, vor 1505]. VD 16, ZV 3406. Titelepigramm (10 Hex.) von G. und Widmung an seinen begabten Schüler Ernst von Schleinitz mit einem überschwenglichen Preis Ciceros (o. D.). Die Datierung “um 1515” im VD 16 ist verfehlt, da G. seine Widmung an Ernst von Schleinitz Ex doctissimo Liptzensi gymnasio schreibt, er aber Leipzig bereits 1509 verlassen hatte. G.s pädagogische Beziehungen zu Ernst von Schleinitz fallen in die Jahre 1501 bis 1504. c) Christoph Kuppener, Consilia Elegantissima | in materia usurarum et contractuum vsurariorum [...]. Leipzig: Melchior Lotter, [1508]. VD 16, C 6352. Unter den Anregern der Schrift (Dominikaner, Kaufleute) nennt Kuppener mit Namen nur G., der auch das Titelepigramm (11 Hex.) verfaßte. d) Der Wolfenbütteler Cod. 58.6 Aug. 2° enthält unter den Epitaphien auf Hzg. Albert von Sachsen († 1500) ein Elogium G.s auf Albert (68va⫺b). Literatur. J. Voigt, Gesch. Preußens, Bd. 9, Königsberg 1839, S. 513⫺515; A. F. Meckelburg, Der Prozeß d. ungehorsamen Domherren zu Königsberg, Neue preuß. Provinzial-Bll. 66 (1861) 248⫺268; Th. Muther, Aus d. Univ.s- u. Gelehrtenleben im Zeitalter d. Reformation, 1866, S. 151, 156 f., 169, 174 f.; R. Stintzing, Gesch. d. populären Lit. d. röm.-kanonischen Rechts [...], 1867, S. 173⫺176; Bauch, Leipzig, S. 69 f. (fehlerhaft); E. Joachim, Die Politik d. letzten Hochmeisters in Preußen Albrecht v. Brandenburg, Bd. 1, 1894, S. 86; H. Freytag, Die Beziehungen d. Univ. Leipzig zu Preußen [...], Zs. d. westpreuß. Gesch.ver. 44 (1902) 1⫺158, hier S. 78 f. (fehlerhaft), 84, 90, 138; ders., Der preuß. Humanismus bis 1580, ebd. 47 (1904) 41⫺64, hier S. 47 u. 51; Knod, Bologna, S. 154 u. 493, Nr. 3332; Ch. Krollmann, in: Altpreuß. Biographie, Bd. 1, 1941, S. 208; K. Forstreuter, Vom Ordensstaat zum Fürstentum, 1951, S. 28 f., 53 f.; F. Gause, Die Gesch. d. Stadt Königsberg in Preußen, Bd. 1, 1965, S. 195; G. Keil, in: 2 VL 2, Sp. 1239 f.
F. J. Worstbrock
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Gratius, Ortwinus
Gratius (de, van Graes), Ortwinus I . L eb en . Die Informationen über G.’ Leben entstammen vielfach den autobiographischen Partien in seinen eigenen Werken oder den Vorreden bzw. Nachschriften, die er den von ihm besorgten Ausgaben beigefügt hat; besonders ergiebig sind die ‘Epistola apologetica’ (II.A.4.), die Nachschrift zum ‘Fasciculus’ (II.C.22.) und die Briefe an Friedrich Nausea (II.A.6.).
1. G. erblickte um 1480 als jüngstes von sechs Kindern und einziger Sohn einer verarmten Adelsfamilie aus Holtwick b. Coesfeld im Münsterland das Licht der Welt. Die Mutter, Gertrud, starb bald nach seiner Geburt. Der Vater, Friedrich, vertraute Ortwin seinem Bruder Johannes, damals Pfarrer in Deventer, zur Erziehung an, der den Neffen später die Schule des Alexander D Hegius besuchen ließ. G. lebte ca. 20 Jahre in Deventer und wirkte dort schließlich selbst als Lehrer. 1501 ging er nach Köln, wo er Ende März an der Universität immatrikuliert wurde (Ortwinus de Daventria; Matr. Köln 1, S. 515). G. zog in die Kuckanerburse ein, wo seinerzeit Gerhard von Zutphen das Amt des Regenten versah. Dieser wurde neben dem Theologen Petrus Sultz einer von G.’ wichtigsten Lehrern. Unter Zutphens Vorsitz wurde er am 25. Mai 1502 Baccalaureus, am 20. März 1506 (nicht 1505, wie Reichling angibt) erwarb er das Lizentiat und am 1. April den Magistergrad. Seit dem 3. Juli 1507 war G. Mitglied der Artistenfakultät. Schon als Lizentiat hatte er an der Universität Vorlesungen zu halten, als Magister regelmäßig an öffentlichen Disputationen teilzunehmen. G. las u. a. über Sallust (vgl. II.C.7.), Ciceros ‘De officiis’, ‘Laelius’, ‘Cato maior’ und ‘Paradoxa Stoicorum’ (vgl. II.C.13.). Einen Großteil seiner Veranstaltungen absolvierte er zeitlebens als Lehrer der Poesie und Rhetorik an der Kuckana. Diese Tätigkeit reichte jedoch nicht aus, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. G. nahm daher ab 1509 im Nebenberuf die Stelle des Vorstehers und Korrektors in der Quentellschen Offizin (Köln) an. Schon zuvor hatte er sich auf dem Gebiet des Buchdrucks engagiert, in-
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dem er den Buchhändler Heinrich von Neuß dazu ermutigte, in unmittelbarer Nachbarschaft der Kuckana eine eigene Presse einzurichten (vgl. Rautenberg, 1996, S. 108). In den ohne Angabe des Jahres, aber wohl um Ostern 1514 gedruckten ‘Praenotamenta’ (II.A.3.) und in der Nachschrift zur sicher auf Jan. 1515 datierten ‘Vita divi Bernardi’ des Heinrich Glarean (II.C.12.) bezeichnet sich G. als Priester (Christi sacerdos); damit ist ein Terminus ante quem für die Ordination gegeben. 1524 scheint G. Rektor einer von dem Mediziner Johann Wyßbeder von Etzstein gegründeten und nach ihm benannten Burse gewesen zu sein (vgl. Reichling, 1884, S. 18 f.). Köln blieb G.’ Wirkungsstätte bis zu seinem Tod am 22. Mai 1542. 2. Besonders in jüngeren Jahren pflegte G. nicht nur mit seinen Kollegen aus der theol. Fakultät Umgang, zu deren herausragenden Vertretern Gerhard von Zutphen, Arnold von Tongern und Jacobus J Hoogstraeten gehörten. Er stand auch in freundschaftlichem Kontakt mit humanistischen Gelehrten, von oder mit denen er nicht wenige Werke herausgab und mit Empfehlungsschreiben versah (s. u. II.C. u. D.). Zu diesen zählen G.’ ehemaliger Mitschüler in Deventer Johannes J Murmellius, der 1506⫺08 in Köln lehrende Jurist Petrus Ravennas, Hermann J Buschius, Glarean, Josephus Horlenius, Jacobus J Montanus, Rudolf von J Langen und Johannes J Caesarius, bei dem er möglicherweise Griechisch gelernt hat (vgl. Mehl, 1991, S. 17 f.; Ludwig, 1999, S. 136 Anm. 74). Im Zuge verschiedener Kontroversen ⫺ nicht zuletzt durch die Frontenbildung im Reuchlin-Streit (J ‘Epistolae obscurorum virorum’) ⫺ zerbrachen viele dieser Freundschaften jedoch schon bald. Zeitlebens verbunden blieb G. indes Johannes J Kruyshaer (Cincinnius), der sich 1502 in Köln immatrikuliert hatte und später Kaplan und Bibliothekar der Abtei Werden wurde. Beide wirkten zusammen an mehreren Ausgaben hagiographischer Texte mit und bildeten eine Art Beiträgergemeinschaft. Hervorzuheben ist das Verhältnis zu Petrus Ravennas, den G. geradezu verehrte. 1507 traten beide gemeinsam bei den all-
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jährlichen Dezember-Disputationen auf. Als der prominente italienische Jurist durch öffentliche Kritik an der in Deutschland üblichen Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses für Hingerichtete den Protest der Kölner Theologen, voran des Inquisitors J Hoogstraeten, hervorgerufen und gleichzeitig den Vorwurf unsteter Lebensführung auf sich gezogen hatte, stand G. ihm mit seiner ‘Criticomastix’ (II.A.1.) bei. Der Freund dankte ihm mit einem schmeichelnden Brief (abgedruckt ebd.), in dem er G. ermutigte, seine Reden über die Sieben freien Künste, die er bei den Disputationen gehalten hatte, in den Druck zu geben. Bereits 1509 wechselte G. jedoch die Fronten (vgl. Nauert, S. 613 f. u. 639), und 1511 verfaßte er ein Distichon zum Druck einer Replik Hoogstraetens auf Petrus’ juristische Thesen (s. II.D.14.; zum Verhältnis G.’ zu Petrus vgl. Reichling, 1884, S. 19⫺28; Liessem, S. 52⫺55; zum Konflikt zwischen Petrus Ravennas u. Hoogstraeten vgl. H. Peterse, Jacobus Hoogstraeten gegen Joh. Reuchlin, 1995, S. 18⫺ 20). Mit Buschius, mit dem zusammen G. noch 1508 Begleittexte zur Ausgabe der ‘Vita divi Swiberti’ (II.C.1.) verfaßt und Petrus Ravennas gegen dessen Kritiker verteidigt hatte, entzweite er sich schon im folgenden Jahr über Fragen des Kölner universitären Curriculums. Buschius beabsichtigte eine Donat-Vorlesung auf der Grundlage seiner kommentierten Ausgabe zu halten, G. hingegen setzte die Beherrschung der ‘Ars minor’ bei Studienanfängern bereits voraus. Die Kontroverse schlug sich in Begleittexten zu verschiedenen Ausgaben des Werkes nieder: ‘In artem Donati de octo partibus orationis commentarius’ (Köln: Heinr. v. Neuß, 6. Nov. 1509) enthält auf dem letzten Blatt einen Angriff Buschius’ auf G. Dieser verteidigt sich bereits am 17. Nov. in einem Raubdruck desselben Werkes (II.C.4.) mit einem Brief an den Leser (beide Texte bei Liessem, S. 50). Im Kern ging es bei dem Streit wohl darum, daß Buschius mit der Durchsetzung seiner kommentierten Grammatik eine grundsätzliche Reform des universitären Unterrichts anstrebte, während G. traditionelle Lehrinhalte nicht aufgeben wollte.
Der Donat-Streit belegt, daß G.’ grundsätzliche Aufgeschlossenheit für die Studia humanitatis ihre Grenzen hatte. Die aus
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der Kölner Rivalität mit Buschius entstandene Feindschaft gab womöglich den Ausschlag dafür, daß die Verfasser der ‘Epistolae obscurorum virorum’ (EOV), zu denen wohl auch Buschius gehört, später unter allen Reuchlin-Gegnern gerade G. zum Haupt der Dunkelmänner erkoren. 3. Ab 1509 engagierte sich G. in der Frage der Legitimität jüdischer Literatur, indem er mit dem getauften Juden Johannes J Pfefferkorn zusammenarbeitete und Schriften von diesem ins Lateinische übersetzte (II.B.). Als darüber der ReuchlinStreit ausbrach und von beiden Seiten eine Flut von Pamphleten in Umlauf gebracht wurde, ergriff G. in seinen ‘Praenotamenta’ (II.A.3.) für Pfefferkorn Partei (vgl. Kirn, S. 178 f., 181 f.). Zusammen mit seinen Kölner Kollegen Arnold von Tongern und Hoogstraeten bildete er eine Phalanx gegen Reuchlin und seine Anhänger. G.’ Verstrickung in den Reuchlin-Streit war der für seine Reputation folgenreichste Vorgang. Die ehemaligen Freunde Murmellius und Glarean attackierten G. 1514 öffentlich für sein als ‘reaktionär’ empfundenes Verhalten (vgl. Mehl, 1975, S. 125⫺127). Murmellius bezeichnete ihn in seinem ‘Scoparius’ als einen hom*o+ parum dign*us+, qui nominetur (vgl. A. Bˆmer [Hg.], Ausgewählte Werke d. Münsterischen Humanisten J. Murmellius, H. 5, 1895, S. 57); Glarean beschimpfte G. in einem Brief an Reuchlin vom 2. Jan. 1514 als homuncio (Reuchlin-Br., Bd. 3, Nr. 232). ⫺ G. unter dem Eindruck zunächst des Donat-Streits mit Buschius, sodann der Kampagne der Reuchlinisten eine Abkehr vom Humanismus zu unterstellen (so Rupprich, LG II, S. 718; Mensching, S. 519 f.), geht zu weit.
4. Außer zu Gelehrtenkreisen scheint G. auch gute Kontakte zu Kölner Honoratioren wie dem Bürgermeister von 1513 Johann Rinck und seinen beiden Söhnen Hermann und Johann d. J. unterhalten zu haben (vgl. Mehl, 1991, S. 7). In den späteren Jahren pflegte er persönliche und berufliche Beziehungen zu dezidierten Anhängern der römischen Kirche wie Johannes J Cochlaeus, dem Wiener B. Johannes Fabri (Faber) und dessen Nachfolger im Amt Friedrich Nausea. Mit letzterem unterhielt G. in den Jahren 1530⫺34 eine Korrespondenz (II.A.6.).
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Seit den 1520er Jahren vertrat G., freilich ohne je dem Protestantismus zuzuneigen, die Überzeugung, daß aufgrund gesamt- und kirchenpolitischer Entwicklungen und Mißstände eine innerkirchliche Reform notwendig geworden sei. Die Lösung sah er in der Einberufung eines allgemeinen Konzils, für das er in mehreren Sammlungen von älteren Konzilsakten (II.C.20. u. 22.) und anderen einschlägigen Schriften Textgrundlagen zur Verfügung stellen wollte. Bücher aus G.’ Besitz sind nicht bekannt. Die einzige Ausnahme bildet möglicherweise ein Exemplar der ‘Elegiarum moralium libri quattuor’ des Murmellius von 1508, das sich heute in Privatbesitz befindet (vgl. Ludwig, 1999), ⫺ vorausgesetzt der hsl.e Eintrag auf der letzten Druckseite Ortwini gratii daventriensis ist als Besitzvermerk, nicht als Verfasserangabe für das folgende Epigramm (s. II.D.40.) zu verstehen. Sollte es sich tatsächlich um ein eigenhändiges ‘Exlibris’ handeln, wären auch alle anderen Eintragungen in diesem Exemplar G.-Autographen.
I I. We rk . An eigenen Werken hat G. vergleichsweise wenig geschaffen. Auch seine lat. Übersetzungen von Schriften Pfefferkorns fallen mengenmäßig nicht sehr ins Gewicht. Der Hauptakzent seiner literarischen und philologischen Leistungen liegt auf der Tätigkeit als Herausgeber und Korrektor in der Quentellschen Offizin. Einen Schwerpunkt bilden dabei Schulschriften, die in der Kuckana zum Einsatz kamen. Die Werke, deren Druck er betreute, hat G. häufig mit Vorreden, Widmungen, Epigrammen und dgl. begleitet. Solche Texte verfaßte er auch zu Ausgaben, die er nicht selbst besorgt hatte. Der Grad seiner Beteiligung ist nicht in jedem Fall genau zu bestimmen. Bei der Unterscheidung in Herausgeberschaft und kleine Beiträge (C. u. D.) folgen wir der Einteilung von Reichling (1884, bibliographischer Anhang S. 87⫺104, im folgenden: R I usf.) unter Einbeziehung neuerer Erkenntnisse (abweichende Zuordnung bei Mehl, 1975, v. a. S. 273⫺279, wird nur berücksichtigt, wenn ersichtliche Gründe vorliegen).
Wie in G.’ persönlichen Beziehungen lassen sich auch in seinen Werken und
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den von ihm hg. Schriften unterschiedliche Phasen mit unterschiedlichen Schwerpunkten erkennen. Während er in seinen jüngeren Jahren, auch noch im Verlauf des Reuchlin-Streits, selbst vielfach für den Humanismus Stellung bezog bzw. einschlägige Texte edierte, erschienen ab den 1520er Jahren nur noch theol. orientierte Schriften. A . E ig en e Wer ke . 1. ‘Ad Petrum Ravennatem suae peregrinationis criticomastix’. Mit dieser Schrift nimmt G. seinen Freund Petrus Ravennas gegen den aufgrund seines Wanderlebens erhobenen Vorwurf in Schutz, ein unsteter Abenteurer zu sein. Zum Beweis seiner Autorität stellte er Briefe und Anträge zusammen, die hochrangige Persönlichkeiten an Petrus gerichtet hatten. Zudem schildert er die begeisterten Reaktionen auf seine Auftritte, darunter seine Ankunft und seine erste öffentliche Vorlesung in Köln. Zur Bekräftigung führt er eine Reihe von Kölner Gelehrten und Honoratioren an, die als Verehrer des Petrus galten. Nach einem Lob der Stadt und ihrer Universität schließt die Schrift mit der Bitte, Petrus möge ihr auch künftig treu bleiben. Der Adressat ließ den 10 Bll. umfassenden Text seinem ‘Alphabetum aureum’ beidrucken, das G. seinerseits mit einem Brief an den Verfasser vom 1. März 1508 begleitet hatte, und fügte dem Band einen überschwenglichen Dankesbrief und ein Epigramm zu seinem Abschied von Köln bei (s. Meuthen, Köln, S. 212 f.). Druck. Alphabetum Aureum | famatissimi Juris vtriusque Doctoris | et Equitis aurati domini Petri Rauenna|tis itali. [...] Ortwini Gratij Daventreni Ad Petrum Raven-|natem sue Peregrinationis Criticomastix. in quo mul-|ta […] in laudem Doctoris eius|dem perscribuntur. Köln: Heinr. Quentell (Erben), 1508. VD 16, G 2921; R I.
2. ‘Orationes quodlibeticae’. 1507 trug G. anläßlich der jährlich im Dez. stattfindenden Disputationes quodlibeticae bei einem gemeinsamen Auftritt mit Petrus Ravennas vor dem Senat der Universität eine Reihe von Lobreden auf die Philosophie, die Sieben freien Künste
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und die Poesie vor, die er ein Jahr später in den Druck gab. Das in die scholastische Form der Disputatio gekleidete Werk kann als Bekenntnis des jungen G. zu den Studia humanitatis angesehen werden. Dafür spricht nicht nur die Tatsache, daß er in der ersten Rede über die Philosophie diese auf den Bereich der Ethik konzentriert, sondern auch die Verteidigung der Dichtkunst gegen ihre ‘barbarischen’ Verächter und die Verspottung sophistischer Spitzfindigkeiten scholastischer Argumentationsführung. In der abschließenden ‘Oratio facetiarum et invectivarum contra ignavos et philosophiae inimicos’ polemisiert er zudem gegen spätmal. Lehrbücher und empfiehlt statt dessen antike und zeitgenössische humanistische. Vgl. Mehl, 1981. Druck. Orationes quodli-|betice periucunde Ortwini Gratij Da|uentriensis Colonie bonas litteras docentis. [...]. Köln: Heinrich v. Neuß, 1508. VD 16, G 2927; R II.
3. ‘Praenotamenta’. Das kurze Werk richtet sich gegen Reuchlins ‘Augenspiegel’ und seine ‘Defensio contra calumniatores suos Colonienses’, indem es Pfefferkorns Haltung zu rechtfertigen sucht. Der Druck enthält ferner einen Bericht über den Verlauf des Inquisitionsprozesses in Mainz aus dem Jahr 1513, die vier Universitätsgutachten über den ‘Augenspiegel’, eine Zusammenstellung der ‘häretischen’ Artikel aus demselben Werk sowie das Urteil, daß es zu Recht verbrannt worden sei. Druck. Hoc in opuscu-|lo. contram [!] Speculum oculare Jo-|annis Reuchlin Phorcensis. hec [...] continentur | Prenotamenta Ortwini Gratij [...]. [Köln: Quentell, 1514]. VD 16, G 2928; R XXV.
4. ‘Lamentationes obscurorum virorum’. Mit den ‘Lamentationes’, einer fiktiven Briefsammlung, reagiert G. auf die EOV nun seinerseits in satirischer Form. Er erweckt den Anschein, als seien die fiktiven Verfasser der Dunkelmännerbriefe reale Personen, die sich nur als Kölner Gelehrte maskiert hätten. Diese läßt G. nun nach dem Verdammungsbreve Leos X. vom 15. März 1517 gegen die Urheber, Leser und Verbreiter der EOV in laute Klagen ausbre-
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chen und sich gegenseitig von den Wechselfällen ihrer weiteren Lebenswege berichten. Ein Darstellungsziel ist ihre ‘Erkenntnis’, daß die bedingungslose Hingabe an die klassischen Musterautoren der Humanisten eine Vernachlässigung des christlichen Glaubens bewirke, die letztlich ins ewige Verderben führe. Wie die EOV erschienen die ‘Lamentationes’ in zwei Etappen: Die erste Ausgabe mit 45 Briefen wurde zur Ostermesse 1518 veröffentlicht, die zweite, um 40 Briefe vermehrte im Aug. desselben Jahres (der Widmungsbrief an den Leser datiert vom 5. Sept. 1518, im Correctorium berichtigt auf den 24. Aug.). Im Anschluß an die ‘Lamentationes’ ist eine ‘Epistola apologetica’ vom 11. März 1518 (2. Aufl.: ‘Apologeticon’) abgedruckt, in der G. die echten Verfasser der EOV in ernsthaftem Ton der Gottlosigkeit beschuldigt, da sie mit ihren Schmähreden gegen kirchliche Institutionen und Würdenträger alles Heilige in den Schmutz gezogen hätten. Der Brief enthält auch einen Bericht über G.’ Herkunft und seine Familienverhältnisse, mit dem er auf den in den EOV (ed. Bˆmer, I 16, II 7, 54, 61, 62 u. 65) vorgebrachten Vorwurf seiner unehelichen Geburt antwortet. Dem zweiten Druck der ‘Lamentationes’ ist am Ende neben einigen anderen Gedichten des G. auch ein Epitaph ⫺ quasi als Richtigstellung ⫺ beigegeben, das er nach dem Tod seines Lehrers Gerhard von Zutphen verfaßt hatte und das in den EOV völlig verballhornt wiedergegeben worden war (I 19). Die Aufnahme des Briefes von J Erasmus, der den Ton der EOV kritisiert (Op. epist., Bd. 3, Nr. 622), erfolgte ohne dessen Genehmigung (vgl. ebd., Bd. 3, Nr. 967, u. ‘Spongia’, Erasmus, LB, Bd. 10, Sp. 1640E⫺1641AB). Trotz Reichlings Rettungsversuch (1884, S. 58) gelten die ‘Lamentationes’ in der Forschung nach wie vor als einfallsloses Gegenstück zu den EOV, dessen literarischen Wert sie in keiner Hinsicht erreichen (vgl. Meuthen, 1988, S. 64). Drucke. Lamentationes | Obscurorum virorum. non | prohibite per sedem Apostolicam. | Epistola D. Erasmi Roterodami: quid de ob⫽|scuris sentiat. […]. Nach dem datierten Kolophon der ‘Lamentationes’ ([C4]v; 1518) folgt mit neu einset-
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zender Lagenzählung (a⫺b): Epistola apologetica Ortwini Gratij. ob pri|mam a paruulo educationem Dauentriensis cog-|nominati. Agrippinensis quoque academiae philo-|sophi Christique sacerdotis Ad obscuram Reuchli-|nistarum cohortem [...] missa. Köln: Quentell, 1518. VD 16, G 2925; R XXXV, A u. B (entgegen Reichlings Annahme war die ‘Epistola’ schwerlich zu separatem Vertrieb bestimmt, da G. sich in ihr, Bl. a iv, auf die supra zu lesenden ‘Lamentationes’ bezieht). ⫺ 2., vermehrte Ausg.: Lamentationes | Obscurorum virorum [...] Ortwino Gratio auctore. | Apologeticon eiusdem. cum aliquot epigrammatibus. […] Intersunt breuia apostolica duo. | Epistola Erasmi Roterodami. […] | Impressio secunda cum additionibus. Köln: [Quentell], 1518. VD 16, G 2926; R XXXV, C.1. Zu den späteren Drucken (Köln 1649, Leiden 1664, London 1689) vgl. R XXXV, C.2⫺4. Ausgabe. Hutten, Opera, Suppl. 1, S. 323⫺ 395 (‘Lamentationes’) u. 396⫺416 (‘Epistola apologetica’).
5. ‘Epistula de insigni ornatu, nobilitate et loci antiquitate ad divos Macabaeos martyres in Colonia’. Der Brief an die Benediktinerinnen des Kölner Makkabäerklosters, deren geistlicher Berater G. war, wurde 1524 auf der Basis von gefälschten Dokumenten verfaßt, die der Rektor und Beichtvater des Klosters, Helias Mertz (Marcaeus; de Luna), zusammengestellt hatte; ob G. von der Fälschung wußte, ist unklar (vgl. Th. Ilgen, Krit. Beitr. z. rhein.-westf. Quellenkunde d. MAs, Westdt. Zs. f. Gesch. u. Kunst 30 [1911] 143⫺296; Rautenberg, 1996, S. 232). Der Text enthält einen Bericht über die Gründung des Klosters, Bemerkungen über die Ausstattung von Kirche und Kloster sowie eine Würdigung der Verdienste des Helias Mertz. Die ‘Epistula’ ist zusammen mit anderen Zeugnissen zum Makkabäerkult in zwei Hss. überliefert: in der Papierhs. Paris, BN, Lat. 10161, 91r ff. (entstanden nicht vor 1521; diese Hs. kennen Ilgen, S. 232 f.; Mehl, 1991, S. 31; Ludwig, 1999, S. 141 Anm. 85) und in der auf Pergament geschriebenen Prachths. Köln, Diözesanbibl., Cod. 271, 122r⫺144v (entstanden 1525), die Mertz wohl im Zusammenhang mit dem Neubau der Klosterkirche und dessen Ausstattung in Auftrag gegeben hat. Beide Hss. enthalten neben anderen Makkabäertexten auch die Legende
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‘Divorum septem fratrum Macabaeorum agones stupendi’ aus der Feder des Johannes Kruyshaer, der die Pariser Hs. “zumindest redigierte”, die ‘Epistula’ seines Freundes G. wahrscheinlich nachträglich darin eintrug, um sodann eigenhändig “alle hierin enthaltenen Quellen [...] in die heutige Domhandschrift 271” zu kopieren (Freit‰ger, S. 211). Die Kölner Hs. ist beschrieben in P. Heusgen, Der Gesamtkat. d. Hss. d. Kölner Dombibl., 1933, S. 26 f.; G. Gattermann, Hss.census Rheinland, 1993, Bd. 1, Nr. 1197; J. Ch. Gummlich, in: Glaube u. Wissen im MA. Die Kölner Dombibl. Kat.buch z. Ausstellung, 1998, S. 534⫺541. Sie ist behandelt von U. Rautenberg, Medienkonkurrenz u. Medienmischung ⫺ Zur Gleichzeitigkeit v. Hs. u. Druck im ersten Viertel d. 16. Jh.s in Köln, in: G. Dicke / K. Grubm¸ller (Hgg.), Die Gleichzeitigkeit v. Hs. u. Buchdruck (Wolfenbütteler MAStud. 16), 2003, S. 167⫺202, hier: S. 176⫺179; Rautenberg hält es ⫺ abweichend von Freit‰ger und ohne nähere Begründung ⫺ für möglich, daß G. an diesem Codex eigenhändig mitgeschrieben hat.
6. ‘Epistolae VIII ad Fridericum Nauseam’. Die Briefe an den Mainzer Domprediger, der später zunächst Hofprediger, dann Bischof in Wien wurde, stammen aus den Jahren 1530 bis 1534. G. berichtet darin u. a. über seine Tätigkeit als Herausgeber und Korrektor bei Peter Quentell und über Personen, mit denen er in diesem Zusammenhang in Kontakt stand. Nach Nauseas Berufung an den Wiener Hof ist der Gedankenaustausch zuweilen nicht frei von Schmeichelei, und das Bemühen um die Erlangung von Pfründen wird spürbar. Druck. Epistolarum mi-|scellanearum ad Fridericum Nau|seam Blancicampianum, Episco| pum Viennensem, etc. singularium personarum, | Libri X. Basel: Joh. Oporinus, 1550, S. 108⫺111, 145 u. 146. VD 16, N 251; R XLIII.
7. ‘Triumphus beati Job in IV libros divisus’. Das Gedicht über den Dulder Hiob (927 Dist.) ist, sieht man von kleinen Beiträgen einmal ab, G.’ letztes eigenes Werk und zugleich die umfangreichste Dichtung aus seiner Feder. Der ‘Triumphus’ ist dem Wiener B. Johannes Fabri (Faber) gewidmet
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und im Anhang zu einer Sammlung von dessen Predigten veröffentlicht, die G. besorgt hat. Thematisch knüpft er an die Gruppe der 44 ‘Sermones de patientia’ (Bl. XCIIII ff.) an, wie G. im Widmungsbrief wortreich ausführt, wo er in einer gelehrten Praeteritio Hiob über bekannte heidnische Vertreter dieser Tugend stellt. Jedes der vier Bücher wird durch eine kurze Inhaltsangabe in Prosa und eine Wendung an den Leser (ebenfalls in Prosa) eingeleitet, in der G. das richtige Verständnis seiner Verse abzusichern sucht. Der inhaltliche Aufbau der vier Bücher folgt nicht dem Bibeltext, sondern enthält viele Zutaten des Autors, der z. T. aus dem Fundus des gelehrten Wissens schöpft, z. T. auf Mißstände der eigenen Zeit Bezug nimmt. Buch 1: Der ‘Triumphus’ beginnt mit einem Lob von Hiobs Frömmigkeit und Tugend, um sodann die Schicksalsschläge, die ihn treffen, und die Anfeindungen durch den Teufel zu schildern. Die personifizierte Patientia alias Tlemosyne sagt Hiob voraus, welche Vorwürfe und Angriffe er von seiten seiner Frau und von seiten der Impatientia zu erwarten habe. Hiob bleibt standhaft und gottesfürchtig und erntet dafür die Bewunderung der Edlen. Er legt dar, daß er die Schätze dieser Welt verachte, beschreibt das Goldene Zeitalter und beklagt die drei Hauptlaster, die diesem Idealzustand abträglich sind (luxuria, superbia, avaritia), um sich zu den wahren Gütern zu bekennen. Am Schluß des 1. Buches preist der Autor seinen Helden durch einen Vergleich mit dem großen antikpaganen Dulder Herkules, dem Hiob weit überlegen sei. Buch 2: Als sich der Teufel durch die Standhaftigkeit Hiobs überwunden sieht, beruft er in der Hölle eine Versammlung aller Dämonen ein und klagt bitter darüber, daß ein einziger Mensch ihnen allen widerstanden habe. Er ruft zu einem erneuten Versuch auf, Hiobs Haltung zu brechen. Impatientia übernimmt den Auftrag. Obwohl sie alle Register zieht ⫺ einschließlich der epikureischen Lehre, daß Gott/die Götter sich nicht um die Menschen kümmerten ⫺, scheitert sie an Hiobs Constantia. Daraufhin widerlegt Patientia ihre Gegenspielerin, indem sie die Ratio als Herrscherin über die Passiones preist, und treibt Impatientia in die Hölle, die in düstersten Farben und unter Aufbietung aller denkbaren Requisiten geschildert wird. Hiob freut sich und stimmt ein carmen protrepticum an. Er nimmt die Glückwünsche und Lobpreisungen seiner Lehrmeisterin Patientia entgegen und dankt
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ihr, bevor sie schließlich in den Himmel zurückkehrt, um von seinem Triumph zu berichten. Buch 3: Hiob wird weiterhin von seiner Frau mit Schmähungen überzogen, bleibt aber fest im Glauben und erreicht, daß sie ihre Unverschämtheit bereut. Schließlich fallen alle Übel und Schmerzen von ihm ab, so daß er als der glücklichste Mensch erscheint. Alle gratulieren ihm und danken Gott. Das Buch endet ⫺ in bukolischer Atmosphäre an einem Locus amoenus ⫺ mit einem Loblied auf die Patientia und der Einsicht, daß die Standhaften von Gott belohnt werden. Buch 4: Hiobs Verdienste geraten mit der Zeit in Vergessenheit, die Welt verfällt immer mehr dem Laster. Daher beschließt der Allmächtige, sie zu bestrafen. Hiob gelingt es, ihn durch seine Fürbitten und einen Appell an seine Barmherzigkeit zu besänftigen. Aber nach einer gewissen Zeit läßt es sich nicht mehr leugnen, daß auf Erden Satan regiert und die Menschen ganz und gar verdorben sind. Gottvater stimmt eine Klage an, in der er nicht zuletzt auch Mißstände innerhalb des Klerus anprangert (z. B. In sacerdotes indoctos, ventrique ac gulae deditos; In eos qui potestate ecclesiastica abutuntur) und schlägt die Welt zur Strafe für ihre Ausschweifungen mit einer neuen Seuche, der Syphilis. Deren Symptome werden zur Abschreckung en de´tail geschildert und ihre heilsame Wirkung im Hinblick auf einen keuschen Lebenswandel gepriesen. Das Werk endet mit einer Ermahnung zu Tugend und Gottesfurcht und zur Reinerhaltung der Seele.
Der ‘Triumphus’ hat stark lehrhaften Charakter. Dieser ergibt sich nicht nur aus dem Inhalt, sondern zeigt sich auch in der formalen Anlage: Die einzelnen Textabschnitte sind durch Zwischenüberschriften voneinander abgesetzt, die z. T. gliedernde Funktion haben, zuweilen aber auch auf den rhetorischen Aufbau bestimmter Passagen, den Einsatz bestimmter Stilmittel wie Vergleich oder Ironie hinweisen oder auf inhaltsschwere Sentenzen aufmerksam machen. Die Gelehrsamkeit des Autors findet nicht zuletzt in der Häufung mythologischer Exempla und Bilder ihren Ausdruck; ohne Unterschied werden Hades und Hölle, Pluto und Satan nebeneinandergestellt. Mit den Auftritten der personifizierten Patientia und Impatientia knüpft G. an die Tradition des allegorischen Epos an, deren Prototyp die im 16. Jh. stark rezipierte ‘Psychomachia’ des D Prudentius ist.
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Immer wieder bezeichnet G. seinen Helden als Figura Christi und reiht sich damit in die Tradition der typologischen Exegese des Buches Hiob ein. Dem Druck sind am Ende ein Epigramm (12 Dist.) und ein kurzes ‘Epistolium’ in Prosa von Johannes Kruyshaer beigegeben, der G. für seine Gelehrsamkeit (auch im Griechischen) preist. Druck. D. Iohannis | Fabri, Episcopi Vien-| nensis, Sermones fructuosissimi, cunctis | Ecclesiae catholicae defensoribus, | ac doctrinae euangelicae pro-|fessoribus, summope-|re necessarij [...]. Köln: P. Quentell, 1537, Bl. BB iijr⫺v (Widmungsbrief) u. Bl. BB 4r⫺DD 3v (‘Triumphus’). VD 16, G 2929; R XLV.
B . L at ei ni sc he Üb er se tz un ge n. Es gibt keinen Anhalt dafür, daß G., wie vielfach behauptet, sämtliche judenfeindlichen Schriften Pfefferkorns ins Lateinische übertragen hat (vgl. Reichling, 1884, S. 48 f. Anm. 4). Gerade für die lat. Übersetzung der ‘Beschyrmung’ (VD 16, P 2289), die ihm häufig zugeschrieben wird (so auch von Reichling, 1884, R XXXIV, nicht aber ebd., S. 49 Anm. 4), hat Kirn, S. 185⫺188, plausibel gemacht, daß die lat. Fassung wohl nicht von G. stammen kann. Eindeutig lassen sich nur die folgenden Übersetzungen G. zuweisen: 1. Johannes Pfefferkorn, ‘Osterbuch’. Die Übersetzung enthält ein Epigramm G.’ über die Freude im Himmel bei jeder Konversion eines Juden zum Christentum (Titelseite; 9 Dist.) und G.s Widmungsbrief an Arnold von Tongern (Titelbl.v; Köln, 20. Febr. 1509). Druck. In hoc libello com|paratur absoluta explicatio. quomodo | ceci illi iudei suum pascha seruent: et maxime quo ritu pascha-|lem eam cenam manducent. [...]. Köln: Heinr. v. Neuß, Febr. 1509. VD 16, P 2293; R VI.
2. Johannes Pfefferkorn, ‘Judenfeind’. Die Übersetzung enthält auf der Titelseite ein Epigramm G.’ (9 Dist.) gegen die pertinacia der Juden. Druck. Hostis iudeorum | [...]. Köln: H. v. Neuß, März 1509. VD 16, P 2316; R VII.
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C. Herausgeber und Korrektor. Komplett aufgenommen und beschrieben sind im folgenden jeweils nur die Erstdrucke. Die Angaben zu späteren Drucken, insbesondere Aussagen über Textbeigaben, erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 1. Marcellinus Presbyter, Vita diui Swiber|ti Verdensis ecclesie episcopi Saxonum Frisiorumque apostoli. […]. Köln: Heinrich v. Neuß, 1508. VD 16, M 936. R III; Rautenberg, 1996, S. 325 f. (S I). Vorrede vom Sept. 1508 (Titelbl.v), Dankbrief vom 25. Okt. 1508 an den Vizecurat von Kaiserswerth Gottfried Kessel für Übernahme der Druckkosten (Bl. G ijr) und Epigramm (14 Dist.) zur Verherrlichung des hl. Suitbert als Kämpfers gegen den heidnischen Wahn (Bl. Gv). Den Vorwurf der Fälschung der gesamten Vita durch G. widerlegte W. Diekamp, Die Fälschung d. vita s. Suidberti, Hist. Jb. 2 (1881) 272⫺287, der den Text als Fälschung des 14. oder beginnenden 15. Jh.s erwies. G. ist wohl für die Drucklegung der durch den bereits 1503 verstorbenen Kölner Theologen Gerhard von Harderwijk bearbeiteten Textfassung verantwortlich (vgl. Rautenberg, 1996, S. 225⫺227). 2. Baptiste man/|tuani vatis prestantissimi | diuinum secunde Parthenices opus. sacrosanctam diue virginis Ca/|tharine passionem heroico carmine illustrans. […]. Köln: Quentell, 1509. VD 16, S 7338; R V.1. Mit Titelepigramm an den Leser (8 Dist.) und Widmungsbrief (Bl. [hh6]r) an den Kölner Patriziersohn Peter Merl (Köln, 23. Dez. 1508). Spätere Drucke, ohne den Brief an Merl: Köln: Quentell, 1510 u. 1514; Straßburg: Joh. Knobloch, 1515. VD 16, S 7339, 7345 u. 7348. 3. Opus aureum ac no|uum et a doctis viris diu expectatum | domini Victoris de Carben olim iudei sed modo christiani et sacerdotis | in quo omnes iudeorum errores manifestantur [...]. Köln: Heinr. v. Neuß, 1509. VD 16, V 969; R VIII. Lat. Fassung der Konversionsschrift des ehemaligen Rabbiners, später Priesters Viktor von Karben (Hutten, Opera, Suppl. 2, S. 63 f.), an der G. der älteren Forschung zufolge großen Anteil gehabt haben soll. Mit Titelepigramm G.’ (9 Dist.), Briefen an den im Dienst des Eb.s v. Köln stehenden Augustinereremiten Theodorus de Caster, B. v. Cyrene (Titelbl.v⫺A ijv; 8. Febr. 1509) und an Helias Mertz (Bl. H ijr; Köln, 4. Jan. 1509) sowie einer Ad lectorem Epistola (Bl. O vr). 4. Hermanni bus|chij Pasiphili. in artem | Donati de octo partibus oratio-|nis commentarius ex Prisciano. Diomede. Seruio Capro. Agre-|tio Phoca clarissimis grammaticis. [...]. Köln: Quentell, 1509. VD 16, D 2223; R X. Diese insgesamt 3. Auflage von Buschius’ Donatkommentar enthält aufschlußreiche Zeugnisse zum Donat-Streit (s. o.): In einem Distichon (Titelseite) empfiehlt G. den
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lat. Grammatiker als Grundlagenwissen, verteidigt in einem Brief an den Leser vom 17. Nov. 1509 (Bl. G iijv, bei Liessem, S. 50 Anm. 2) jedoch seine Forderung, daß dessen Erlernung schon in den Lehrplan der Trivialschulen gehöre, nicht erst in den der Universität. Buschius’ Polemik gegen seine angebliche Ablehnung des Donat führt G. auf dessen Neid wegen seiner eigenen höheren Studentenzahlen zurück (vgl. Mehl, 1984, S. 9 f.). Spätere Drucke, mit zu Tetrastichon erweitertem Empfehlungsgedicht (bei Liessem, S. 57), aber ohne den Brief an den Leser: Köln: Quentell, 1513 u. 1515. VD 16, D 2233 u. ZV 4661. 5. Aurelij Pruden|tij Clementis Psychomachia id | est de anime pugna liber elegantissimus […]. [Köln: Quentell], 1509. VD 16, P 5151; R XI. G. schickt dem Prudentiustext ein Epigramm an den Leser (9 Dist.) und eine Widmungsepistel an Murmellius (Köln, 17. Aug. 1509) voraus. Er stellt Prudentius über die Dichter des heidnischen Altertums und kritisiert diejenigen, die sich allein an den Autoren der klassischen Antike orientieren und die christlichen Schriftsteller als minderwertig betrachten. G. bittet den Adressaten, auch künftig gegen diese irrige Ansicht vorzugehen. Die Dedikation endet mit einem Gruß an Jacobus J Montanus in Münster (zu G.’ Beigaben vgl. Haye, S. 686⫺690; beide Texte mit Quellen- und Similienapparat ebd., S. 695⫺697). 6. Publij Ouidii | Nasonis de tristi-|bus libri | duo […]. Köln: Quentell, 1509. VD 16, O 1687; R XII. Titelepigramm an den Leser (3 Dist.) mit Preis von Ovids Gedicht. 7. Bellum Catilina|rium Salustij [!] cum oratione lucu-|lenta Ortwini Gratij [...]. Köln: Quentell, 1510. VD 16, S 1410; R XIII. Dem Druck beigegeben hat G. ein Titelepigramm (14 Dist.) und die ‘Oratio’, die er seinen öffentlichen Vorlesungen über Sallusts ‘Verschwörung des Catilina’ als Einleitung voranstellte (Bl. Aa iv⫺Aa iijv). Sie enthält eine allgemeine Wertschätzung der Geschichte als Teil der Studia humanitatis und eine panegyrische Charakterisierung des Geschichtschreibers Sallust. Im Anschluß wird das Programm der Vorlesungen dargelegt. Späterer Druck: Köln: Quentell, 1515 (VD 16, S 1413; vgl. Mehl, 1975, S. 273). 8. Valerij maxi⫽|mi dictorum | ac factorum magis memorabi|lium liber singularis Centum et | Quadraginta pene historias complectens. [...]. Köln: Quentell, [um 1510]. VD 16, V 156 (Mehl, 1975, S. 273, nennt eine Ausgabe von 1519: Wien, ÖNB, 407.160-B). Titelepigramm (5 Dist.). 9. Publij Ouidij | Nasonis Metamorphoseos li| bri. Sextus. Septimus. Octauus. [Köln: Quentell, ca. 1511]. VD 16, O 1633; R XIX. Am Ende findet sich die Bemerkung, G. habe den Text an 300 Stellen gegenüber den Pariser Exemplaren verbessert: In trecentis | locis ab Ortwino Gratio Colonie ca-
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stigati in | quibus parrhisiensium exemplaria deprauata fuere (Bl. [ii4]r). 10. Werner D Rolevinck, De laudibus | westphalie seu antique saxonie | opus [...] ante aliquot | annos nobilissimis Vestphalie˛ principibus […] | dedicatum Iam vero […] politio|ribus characteribus Colonie˛ exaratum | […]. Köln: Quentell, 24. Febr. 1514. VD 16, R 2957; R XXIV. Titelepigramm (8 Hex., Lob der Westfalen) von G. Titelbl.v: Widmungsbrief an B. Erich v. Münster (Köln, 25. Jan. 1514), mit kurzer Autobiographie. Im Nachwort (Bl. [B6]r) an die Freunde Rotgerus Sueder und Lambertus de Beuessen, Kapläne von St. Lorenz in Köln, berichtet G. über die mangelhafte Qualität des angeblich 20 Jahre zurückliegenden Erstdrucks (um 1478; HC 14497) und die vorgenommenen gründlichen Korrekturen, die jedoch den Inhalt in keiner Weise verändert hätten. Ein Zusatz G.’ zu Rolevincks Text findet sich nur im 7. Kapitel des 3. Buches, wo es um die Univ. Köln und ihre Gelehrten geht (vgl. Reichling, 1884, S. 72). 11. D Johannes von Hildesheim, Historia glori| osissimorum trium regum integra. | syncera et pre multis mundi historijs lectu iucun|dissima. [...]. Köln: Quentell, 1514. VD 16, J 608; R XXVI. Diese um exegetische und homiletische Beiträge Alberts d. Gr., Augustins und des Jacobus de Voragine vermehrte Ausgabe der Dreikönigslegende des Johannes von Hildesheim wurde in der älteren Forschung z. T. fälschlich als Kompilation des G. angesehen (dagegen Reichling, 1884, S. 64). Aus seiner Feder stammt nur die Schlußschrift an den Leser (Bl. i iijr; Köln, 30. März 1514), in der er das Werk charakterisiert und über das Alter der Drei Weisen bei der Darbringung der Gaben im Stall von Bethlehem reflektiert. Im Anhang Gebete (u. a. von Hermann von J Neuenahr zum Fest der Epiphanie und 12 Distichen Seb. J Brants zu Ehren der Drei Könige). Zur Ausgabe vgl. Rautenberg, 1996, S. 91 u. 309⫺312 (DK I.5). 12. Vita diui Ber|nardi de monte Jouis archidia-|coni Auguste in allobrogibus | per Henricum Glareanum helueticum | Poetam laureatum. et Coloniensis | academie in artibus magistrum. | elegantissime conscripta. [...]. [Köln: Quentell, 1515]. VD 16, ZV 9865; R XXVII. Epistel des G. an den Lizentiaten der Theologie Eberhard Rodinck (Köln, 23. Jan. 1515; Bl. [A5]v⫺[A6]r) mit Ausführungen über verschiedene Namen Juppiters (im Zusammenhang mit dem mons Iovis). Es wird deutlich, daß Rodinck den Anstoß zum Neudruck des erstmals 1510 erschienenen Textes gegeben hatte. Wohl in polemischer Haltung gegenüber dem inzwischen zur Reuchlin-Partei übergelaufenen Glarean warnt G. den Adressaten vor Reuchlins Schriften zum Streit um die Judenbücher.
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13. Officia Marci | Tullij Ciceronis. et alia quedam | eiusdem opuscula. scilicet de Amicicia. de Senectute. et postremo quod | paradoxa appellitant. Ab desiderio Erasmo Roterodamo exactis-| sime adnotata. Jam vero ab Ortwino Gratio in Agrippinensi Co|lonia. publica diligentique professione iterum atque iterum recognita. | et in paragraphos aliter intercisa. | […]. Köln: Quentell, 1515. VD 16, C 3163; R XXX. Die ‘Adnotationes’ des Erasmus entnahm G. vermutlich der Edition Paris: Joh. Barbier, 10. Juli 1512 (vgl. Mehl, 1975, S. 167). Die Ausgabe ist eine Frucht von G.’ Lehrtätigkeit. Dem Druck ist ein Titelepigramm (10 vv.) an den Leser beigegeben. Spätere Drucke: Köln: Quentell, 1517; Straßburg: M. Schürer, 1517/19. VD 16, C 3170 u. 3172. 14. Seuerini Boe|thii de consolatione Philo|sophie˛ Libri quinque cum praeclaris Ioannis Murmellij | commentarijs. cumque Rodolphi Agricole˛ Phrisij et | Augustini Dathi. doctissimorum virorum in Boethij | partem luculentissima enarratione. [...]. Köln: Quentell, 1516. VD 16, B 6415; R XXXII. Der Kommentar des Murmellius war zusammen mit dem Boethiustext zuerst 1514 bei Richard Pafraet in Deventer erschienen. Die Neuauflage, eine Koproduktion von G. und Joh. J Caesarius, sei ⫺ so G. im Brief an Murmellius (Bl. U iijv⫺[U4]r; Köln, 5. März 1516), in dem er u. a. Caesarius als Vorkämpfer der Griechischkenntnisse in Deutschland preist, ⫺ wegen zahlreicher Fehler im Erstdruck notwendig geworden. Außer durch die Behebung von Fehlern griffen die Herausgeber jedoch auch anderweitig in den Text ein, indem sie nämlich solche Passagen aus dem Kommentar eliminierten, in denen Murmellius Reuchlins ‘Defensio contra calumniatores suos Colonienses’ gepriesen hatte (Vergleich der beiden Ausgaben bei P. Bissels, Humanismus u. Buchdruck: Vorreden humanistischer Drucke in Köln im ersten Drittel d. 16. Jh.s, 1965, S. 26⫺28). G.’ Brief läßt indes von Spannungen mit Murmellius nichts verlauten, vielmehr lobt er ihn und empfiehlt ihm drei Neffen an, die demnächst die von ihm geleitete Schule in Alkmaar besuchen sollen. 15. Marci Tullij | Ciceronis Epistole aliquot ele|gantiores selecte. [...] Nec omissum denique. quoto Ciceronis libro Epistole | ipse ad exemplar Aldi atque Crescentinatis iam tandem correcte contineantur [...]. Köln: Quentell, 1516. VD 16, C 2976; R XXXIII. G. hat der Ausgabe ein Distichon (Titelseite) und einen Brief an Josephus Horlenius (Köln, 28. April 1516; Bl. [d5]v) beigegeben, in dem er darlegt, daß er dessen Auswahl von Cicerobriefen nach einer Ausgabe des Aldus Manutius und nach Hubertinus Crescentinas (vgl. HCR 5462) verbessert und um die griech. Stellen vermehrt habe. Späterer Druck: Köln: Quentell, 1519. VD 16, C 2977.
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16. Aldi Manutij | Romani institutionum gram|maticarum libri tres luculentissimi. Köln: Quentell, 1518. VD 16, M 782; R XXXVI. In der Vorrede an den studiosus (Köln, April 1518; Titelbl.v) preist G. die Vorzüge der Grammatik des Aldus gegenüber den mal. Unterrichtsbüchern. 17. [...] De Verita-|te Corporis Et San⫽|guinis Christi In Eucharistia, Per […] dominum. D. Iohannem | Roffensem Episcopum, aduersus Iohannem | Oecolampadium [...] Aeditio Prima. Köln: Quentell, Febr. 1527. VD 16, O 334; R XXXVIII. 2. Druck: ebd., März 1527. VD 16, O 335 u. O 336. In den leicht voneinander abweichenden Praefationes (Titelbl.v) der beiden Ausgaben schließt sich G. ⫺ im Febr. als anonymer Chalcographus, im März unter seinem Namen ⫺ der Kritik des Autors John Fisher, B. v. Rochester, an Johannes Oecolampadius und Luther an und preist den Verfasser als Verteidiger des christlichen Glaubens (vgl. Mehl, 1985, S. 174 f.; synoptischer Abdruck der beiden Vorreden bei E. Staehelin [Hg.], Briefe u. Akten z. Leben Oekolampads, Bd. 2, 1934, S. 35⫺37). 18. Theophy|lacti Archiepiscopi Bulga|riae, in omnes Diui Pauli epistolas Enarra|tiones, diligenter recognitae. | Christophoro Porsena | Romano interprete. Köln: P. Quentell, Sept. 1527. VD 16, B 4991; R XXXIX. In der Vorrede an den Leser (30. Aug. 1527; Titelbl.v) pflichtet Philocharis (G.) dem Nachweis des J Erasmus bei, daß der byzantinische Erzbischof des 12. Jh.s und nicht Athanasius von Alexandrien, unter dessen Namen die lat. Übersetzung Porsenas lange Zeit ging, der Verfasser des Kommentars sei. Ein weiterer Druck mit der auf 1528 umdatierten Vorrede: ebd. 1528. VD 16, B 4994. 19. Biblia | Integra, Veteris Et | Novi Testamenti, […] vna cum singulorum capitum | argumentis, […]. Köln: [P. Quentell], 1529. VD 16, B 2591; R XLI. In der Vorrede an den Leser (Titelbl.v) verkündet der chalcographus G. mit Stolz, daß für die vorliegende Ausgabe die ältesten und korrektesten lat. und hebr. Texte herangezogen worden seien. Tatsächlich aber gehen die Emendationen auf den Hebraisten Peter Ubelius zurück, dessen Verbesserungen bereits in eine frühere bei Quentell erschienene und von Johannes Rudelius beaufsichtigte Bibelausgabe (‘Biblia sacra utriusque testamenti’, 1527. VD 16, B 2589) Eingang gefunden hatten; vgl. Mehl, 1985, S. 176 Anm. 31. Im zweiten Brief an Friedrich Nausea (s. o. II.A.6., S. 108 f.) spricht G. über die Mitarbeit des Rudelius an der Bibelausgabe. 20. Concilio|rum Quatuor Gene⫽|ralium. Niceni. Constantinopolitani. Ephesini. et Calce⫽| donensis. Que diuus Gregorius magnus tanquam | quatuor Euangelia colit ac veneratur […]. Köln: P. Quentell, 1530. VD 16, M 4842; R XLII. Die erste
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Sammlung der vier großen Konzilien war zusammen mit weiteren einschlägigen Texten von Jacques Merlin 1524 bei Cornicularius in Paris herausgegeben worden. G. hatte wahrscheinlich bei dem Ersteditor die Reproduktionsgenehmigung eingeholt. In seiner Praefatio an den Leser (Titelbl.v) hebt er hervor, daß die altehrwürdigen Zeugnisse nun zum Wohle aller wieder zugänglich gemacht würden. Die Frage, ob seine Zeitgenossen die Relevanz der historischen Dokumente zur Kenntnis nähmen, beantwortet G. mit der Aufforderung, dem Beispiel des “allerchristlichsten” Kg.s Franz I. von Frankreich zu folgen, der ⫺ wie schon die Kirchenväter ⫺ ihre ernsthafte Lektüre betreibe. Vgl. Mehl, 1985, S. 177 f. 21. Admiranda | Quaedam Poemata Dn. | Ioannis Bockenrodij Vuormatiani, | vatis vndecunque rarissimi. [...]. Köln: P. Quentell, 1533. VD 16, B 6062. Titelbl.v⫺A 2r: Brief an Friedrich Nausea (3. Sept. 1533), der die Carmina Bockenrodes offenbar an G. vermittelt hatte, mit Lob derselben, Preis Nauseas, Fabris, Karls V. und Ferdinands I.; in den Prosabrief sind mit Bezug auf den jeweiligen Kontext Verse G.’ eingestreut (1, 4 u. 8 Dist.). Am Ende des Druckes neun Distichen G.’ auf die Tapferkeit und Standhaftigkeit Ferdinands. 22. Fasciculus | Rerum Expetendarum Ac | fugiendarum. In quo primum continetur Con-|cilium Basiliense: non illud, quod in ma|gno Conciliorum volumine vul-|go circumfertur, sed quod | Aeneas Syluius […] conscripsit. | Insunt praeterea huic operi nobilissimo summorum aliquot | virorum epistolae, libelli, tractatus & opuscula, numero (ni fal|lar) LXVI. […]. [Köln: P. Quentell], 1535. VD 16, G 2924; R XLIV. Abdruck des Widmungsbriefes und Beispiele von G.’ Vor-/Nachworten zu den Texten seiner Sammlung bei Ludwig, 2002, S. 132⫺138 (mit dt. Übers.). Der ‘Fasciculus’ ist die umfassendste Sammlung von profan- und kirchengeschichtlichen Texten, die G. mit Blick auf eine innerkirchliche Reform zusammengestellt hat. Mehr als die Hälfte des Werkes füllen die ‘Commentarii de gestis Basiliensis concilii’ (1440) des Aeneas Sylvius D Piccolomini (vgl. Mehl, 1985, S. 181 mit Lit.). Hinzukommen 66 weitere Schriften verschiedener Verfasser, in denen innerkirchliche Mißstände beklagt und zu Angriffen auf die römische Kirche Stellung bezogen wird. Einen thematischen Schwerpunkt bilden Texte, die sich mit der Frage nach der Echtheit der Konstantinischen Schenkung befassen. Am Schluß stehen mehrere Äußerungen des Joh. Fabri über die Türkengefahr. Obwohl sich G. in der Dedikationsepistel an den Kölner Patrizier Joh. Helmann (Köln, 6. März 1535; Bl. A iijv⫺[A4]v) und in zahlreichen eingestreuten Begleittexten zu einzelnen Abhandlungen als Hg. nennt und die unter seinem Namen laufende längere Schlußschrift (Köln, 12. März 1535;
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Bl. 239r⫺242r) eine Beschreibung seines Lebens enthält, wurden wegen des kritischen Grundtons und der Tatsache, daß der ‘Fasciculus’ nach dem Tridentinischen Konzil auf den Index kam, in der älteren Forschung mehrfach Zweifel an seiner Herausgeberschaft laut, die jedoch schon Reichling, 1884, S. 77⫺80, entkräftete. Daß G. hier keine reformationsfreundliche Gesinnung zeigt, sondern fest im Schoß der kath. Kirche verwurzelt bleibt (anders noch Geiger, S. 602), wird immer wieder aus den Bemerkungen zu einzelnen Texten deutlich: So warnt er etwa in der Einleitung zu Poggios ‘Epistola de morte Hieronymi Pragensis’ vor dem Mißbrauch der Eloquenz im Dienste der Häresie (Bl. 152r), zollt den gelehrten Kritikern der Konstantinischen Schenkung, Valla, Hutten, Bartholomaeus Picernus, (Bl. 62v⫺80r) zwar Respekt für ihren Scharfsinn, plädiert aber doch für die Echtheit des Dokuments und ruft am Schluß von Erasmus’ ‘Liber de sarcienda ecclesiae concordia’ zur konfessionellen Einheit auf (Bl. 234r). G. wirbt in seinen eigenen Texten wiederholt ausdrücklich für die Einberufung eines allgemeinen Konzils, das die Kirche von innen heraus reformieren soll, so etwa in der Vorrede zu Picos ‘De reformandis moribus’ (Bl. 208r). Die Zweckbestimmung der im ‘Fasciculus’ zusammengetragenen Texte formuliert G. gleich auf der Titelseite: Quae, si futurum Concilium celebrari contigerit, summopere, tanquam cognitu necessaria, ab optimis quibusque expostulabuntur. Vgl. Cremans; Chaix; Mehl, 1985, S. 180⫺193. 23. D. Iohannis | Fabri, Episcopi Vien-|nensis, Sermones […] (s. o. II.A.7.). D. Kleine Beiträge. Im folgenden werden keine Angaben über den Wiederabdruck der Beiträge in späteren Drucken gemacht. 1. Epigrammaton | libri tres Remacli Florenatis hu|manitatis studiosissimi. ad pre|stantissimum virum Georgium Koeler Vratislauum iamprimum in lucem editi […]. [Köln: Quentell], 1507. VD 16, F 1656. Lobgedicht an Remaclus Florenas (22 Dist.; Bl. A 2r⫺v). 2. Giov. Antonio Campano / Jakob J Magdalius, Uita angelici | doctoris Thome aquinatis. ab | eximio oratore domino Ioanne Anthonij Campa⫽| no. episcopo interamniensi edita. A fratre autem | Iacobo Gaudensi Magdalio trecentis versibus sum⫽| ma cum laude absoluta. | [...]. [Köln: Quentell, nicht vor 1508]. VD 16, C 612. Titelseite: Ortwini Gratij [...] Sapphicum (2 Strr.). 3. Florea diue | virginis dei matris serta ab | Joanne Murmellio [...] Epigrammata quedam | eiusdem extemporalia. [...]. [Köln: Quentell, ca. 1508]. VD 16, ZV 11249; R IV. Titelepigramm (7 Dist.) an die Gottesmutter.
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4. Hendrik D Herp, Collationes tres | notabiles pro cupientibus ad rectissi|mam christiane religionis normam et perfectionem | contemplationisque peruenire. | Directorium aureum contemplatinorum [!] | Tractatulus de Effusione cordis cum alijs. [...]. [Köln: Joh. Landen, ca. 1509]. VD 16, H 2146. Titelepigramm (5 Dist.) des G. zur Empfehlung des Werkes. 5. [Arnold von Tongern?], Purgatorium | detractorum saluberri-|mum. […]. Köln: Quentell, 1509. VD 16, P 5408; R IX. Titelepigramm (2 Dist.) gegen einen Verleumder. 6. Sententiosa di|cta Baptiste Mantuani poeta⫽|rum omnium principis atque an⫽|tesignani. latinitate. elegantia ac morali eruditione refertissima. [...]. [Köln: Quentell, um 1510]. VD 16, S 7138. Titelepigramm (4 vv.) an den Leser. 7. Jakob Magdalius, Ars noua et sin|gularis notatuque dignissima | confingendi epitheta. [...]. [Köln: Quentell], 19. März 1510. VD 16, J 121. Titelepigramm (4 Dist.) auf Magdalius, dem G. ewiges Lob prophezeit, weil er aus den Dichtern des Altertums Weisheitslehren abgeleitet habe. 8. Marci Tullij | Ciceronis Epistole quedam se| lecte magisque elegantes […]. Hg. v. Murmellius. Köln: Quentell, 1510. VD 16, C 2975; R XV. Titelepigramm (1 Distichon). 9. Joannis Mur|mellij Ruremundensis Didasca| lici libri duo Cunctis litterarum et sapientie studiosis utilissimi [...]. Köln: Quentell, 1510. VD 16, M 6866; R XVI. Titelepigramm (3 Dist.) mit Preis der neuen bildungsfreundlichen Zeit und des Murmellius als eines ihrer herausragenden Vertreter (bei Reichling, 1880, S. 92 Anm. 1). 10. Iuuenalis Sa|tyrographi clarissimi tres saty| re pre ceteris lectitari digne sep-|tima octaua et tertia decima […]. Köln: Quentell, 1510. VD 16, J 1243; R XVII. Titelepigramm (4 vv.). 11. Fratris bapti⫽|ste mantuani carmelite theolo|gi et poetae prestantissimi Parthenice Tertia Diuarum Margaritae | Agathes Luciae & Apoloniae Agonas continens. [...]. Köln: Quentell, 1510. VD 16, S 7355. Titelepigramm (2 Dist.) an die Verehrer des Autors von G. Auch im Druck Köln: Quentell, 1514. VD 16, S 7359. 12. Baptiste Man-|tuani. vatis clarissimi Bucoli-|ca seu adolescentia in decem aeglogas diuisa. Ab Jodoco Badio Ascen|sio familiariter exposita. […]. [Köln]: Quentell, 1510. VD 16, S 7178; R XIV. Titelepigramm (2 Dist.). 13. Baptiste Mantuani [...] de mundi calamitatibus [...] Aliud eiusdem contra Poetas impudice loquentes [...]. Köln: Quentell, 1510. Nach VD 16, S 7218 (kein Ex. bekannt). Vgl. Baptiste Mantuani [...] | [...] de mundi calamitatibus, | [...] | Aliud eiusdem contra Poetas impudice lo|quentes siue scribentes opusculum [...]. Straßburg: J. Knobloch, 1515. VD 16, ZV 14532. Titelepigramm (6 Dist.)
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zum Lob des Poeta sacer und Hexastichon (6 Hex.) von G. (Titelbl.v). 14. Ad Reuerendis⫽|simum dominum Bernardinum | presbyterum Cardinalem Dyaconum | tituli sancte Crucis Editio tertia ab eximio [...] Magistro Jacobo de Hoechstraten [...] Jn defensionem principum | Almanie compilata. contra [...] Pe/| trum Rauennatem […]. Köln: [Quentell], 1511. VD 16, H 4802; R XVIII. Empfehlendes Titelepigramm (1 Dist.). 15. Jacobus Montanus, De Passione Ac | morte Christi Fasciculus mir-|rhe. […]. Köln: Quentell, 1511. VD 16, M 6211; R XX. Titelseite: empfehlendes Hexastichon an den Leser und Distichon G.’. 16. D Thomas von Aquin, ‘Summa theologica’ I-II, Expositio commentaria | Prima. subtilissima [...] | in Primam Secunde | Angelici doctoris sancti Thome aqinatis Per reuerendum sacre pagine professorem. inter/|pretemque profundissimum Magistrum Conradum Koellin [...]. Köln: Quentell, 1512. VD 16, T 1022. Titelepigramm (2 Dist.) mit Lob des Konrad Köllin. 17. Arnold von Tongern, Articuli siue | propositiones de iudaico fauore nimis | suspecte ex libello theutonico domini Joannis Reuchlin legum doctoris | (cui speculi ocularis titulus inscriptus est) extracte. cum annotationibus et im|probationibus […]. [Köln]: Quentell, 1512. VD 16, R 1307; R XXI. Titelbl.v: Epigramm (13 Dist.) gegen den ‘Augenspiegel’: G. zeichnet ein Bild der Unterwelt, die über Reuchlins Werk frohlockt, während der Himmel und die gesamte Christenheit darüber untröstlich sind. Die letzten Verse wünschen Reuchlin und seinem Buch Untergang und Verderben (abgedruckt in Hutten, Opera, Suppl. 2, S. 78 f.). 18. In diui maximilia|ani [!] Romanorum Imperatoris semper Au|gusti laudem et praeconium. Henrici Glareani […]. [Köln: Heinr. v. Neuß, 1512]. VD 16, L 2638; R XXII. Titelbl.v⫺[2]r: Brief G.’ an Glarean (15. Sept. 1512) mit Preis Maximilians und Glückwünschen zur Dichterkrönung. 19. Timann J Kemner, Compendium | artis dialectice. seu commentario|lus In tractatus Petri hispani [...]. Köln: Quentell, 1513. VD 16, K 717. Titelbl.v: Brief (5. Aug. 1511) G.’ an Kemner, in dem G. den Nutzen des Kompendiums im besonderen und der Dialektik im allgemeinen preist und deren vorteilhafte Wirkung auf die Jugend herausstreicht. 20. Pappa Joan⫽|nis Murmellij Ruremundensis | Viri eruditissimi et de studiosa iuuentute benemeriti. [...]. Köln: Quentell, 1513. VD 16, M 6953; R XXIII. Titelbl.v: Empfehlendes Epigramm (4 vv.). 21. Fratris bapti⫽|ste Mantuani Carmelite Theo|logi Oratoris. ac poete clarissimi Prima Parthenice. que Mari|ana inscribitur [...]. [Köln:
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Gratius, Ortwinus
Quentell, 1514]. VD 16, S 7325. Titelepigramm von G. (2 Dist.). 22. Antonij Tun⫽|nicij Monasteriensis. in prouer⫽|bia siue paroemias Germanorum Monostica. cum germanica inter-|pretatione. […]. Köln: Quentell, 1515. VD 16, T 2275; R XXIX. Titelseite: Empfehlung an den Leser (bei Hoffmann v. Fallersleben [Hg.], Tunnicius. Die älteste nd. Sprichwörterslg. v. A. Tunnicius gesammelt u. in lat. Verse übers., 1870 [ND 1967], S. 14). 23. Grammatica cla|rissimi poete et Oratoris Nico⫽|lai Perotti. Iam de integro castigata. […]. Köln: Quentell, 25. Aug. 1515. VD 16, P 1560. Bl. A ijv: ad grammatice studiosum Epigramma (2 Dist.) des G.; Bl. y iijv: Auszug Ex orationibus Ortwini Gratij (s. o. II.A.2.) über die wichtigsten Grammatiker. 24. Horatij Flac⫽|ci morales epistole cum argumen|tis breuiter ad vnius cuiuslibet caput adiectis [...] | Adiecte sunt huic operi sententie aliquot ex reliquis | eiusdem poete operibus collecte. | [...]. Köln: Quentell, 1516. VD 16, H 4928. Titelepigramm (4 Dist.) von G. mit Empfehlung des moralistischen Dichters. 25. Nuclei Joannis murmellij Ru|remundensis de latinorum et gre-|corum nominum. verborumque magis dif|ficilium declinationibus. studiose iuentuti perutiles summeque necessarij […]. Köln: Martin v. Werden, 1516. VD 16, M 6920; R XXXI. Empfehlendes Titelepigramm (2 Dist.). Für die von Reichling, 1880, Bibl. XXXII.2, genannte Ausgabe Quentell 1515 läßt sich kein Exemplar nachweisen. 26. Hermanni Tor|rentini vtilissima in primam Ale|xandri Galli partem commentaria. Köln: Quentell, 1516. VD 16, ZV 17571. Titelepigramm (3 Dist.) zum Lobe von Autor und Werk. Auch im Druck desselben Werks […] Cum additionibus Bitte⫽|ri Hengeueldij. ebd. 1520. VD 16, A 1860. 27. Ad […] Joannem | Ingewinkel. [...] Apologia Secunda | […] Iacobi Hochstraten [...] Contra defensionem | quandam in fauorem Ioannis Reuchlin nouissime | in lucem editam. [...]. Köln: Quentell, 1519. VD 16, H 4806. Schlußschrift (1. Okt. 1518) an den Kölner Archidiaconus Joh. Ingewinkel mit Polemik gegen die Reuchlinisten und solche Humanisten, denen die sprachliche Form über alles geht. Der Adressat wird als eine Art ‘Schutzpatron’ der Anti-Reuchlin-Partei tituliert. 28. Compendium | Etymologiae et syntaxis artis | grammatice Timani Cameneri | Guernensis [...]. Köln: Quentell, Mai 1513. VD 16, K 722. Titelepigramm (1 Dist.). 29. Johannes Kruyshaer, Vita diui Lud⫽|geri Mimigardeuordensis ec⫽|clesie: que est Monasteriensium westphalie Protho|episcopi Saxonumque et Phrisonum Apostoli. […]. Köln: Quentell, 1515. VD 16, K 2477; R XXVIII; Rautenberg, 1996,
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S. 327⫺329 (L I) u. S. 229 f. Titelbl.v: Epigramm (3 Dist.) von G. zum Thema religiöse vs. weltliche Literatur. 30. Thome Rhadini | Todischi [!]. Placentini. Ordinis | Praedicatorum Ad illustrissimos & inuictissimos Principes & popu⫽|los Germaniae, In Martinum Luterum Wittembergen|sem [...] Oratio elegantissima [...]. Köln: Quentell, 1520. VD 16, R 84. Titelepigramm (4 vv.) mit Lob der anti-lutherischen Haltung des Autors (vgl. Mehl, 1985, S. 173 Anm. 17). 31. Epistola | Martini Lu⫽|theri, Ad Illustrissimum | Principem Ac Dominum, D. | Henricum, huius nominis octauum, | Angliae & Franciae | Regem. | Eiusdem [...] Regis, ad eandem Martini Lutheri epistolam, Responsio. [...]. Köln: Quentell, April 1527. VD 16, L 4624. Titelbl.v⫺A 2r: Brief an Hermann Rinck (22. April 1527), in dem G. Luthers Gegner Rinck, Cochlaeus, Heinrich VIII. und die englischen Bischöfe Fisher, Warham und Tunstal für ihre gelehrten Angriffe auf den Reformator preist. Zugleich gibt er zu erkennen, daß er eine Beilegung der Causa Lutheri auf friedlichem Wege bevorzugt hätte, sieht aber Luther zwischenzeitlich zu sehr in die Fesseln seiner eigenen Polemik gegen weltliche wie kirchliche Autoritäten verstrickt. Vgl. Mehl, 1985, S. 175. 32. Ruperti Ab-|batis Tuitiensis, Summi Disertissi⫽|mique Theologi, [...] in XII. prophetas mino-|res, Commentariorum Libri XXXII. [...]. [Köln]: Franz Birckmann, Sept. 1527. VD 16, B 3835; R XL. Philocharis (G.) betont in seinem Vorwort (Titelbl.v) sowohl D Ruperts von Deutz Rechtgläubigkeit als auch seine stilistische Brillanz. Zugleich empfiehlt er die Brüder Birckmann für die Herausgabe orthodoxer Bücher der alten christlichen Autoren und preist Cochlaeus für sein Unternehmen einer Gesamtedition der Werke Ruperts. Vgl. Rh. Haacke, Die Überl. d. Schr. Ruperts v. Deutz, Dt. Arch. f. Erforschung d. MAs 16 (1960) 397⫺436, v. a. S. 431⫺433. Haacke unterstreicht G.’ zentrale Rolle bei der Herausgabe von Ruperts Schriften und geht davon aus, daß er ab 1529 Cochlaeus als Haupthg. der Werkausgabe ablöste. 33. Oratio | De Felicissima Electione, | inclyti ac potentissimi Regis Vngariae & Bohemiae Ferdi-|nandi Archiducis Austriae in Regem Romanorum, etc. [...] Caspare | Vrsino Velio [...] | Authore. | […]. Köln: P. Quentell, 1531. VD 16, U 363. Am Ende des Drucks Lobgedicht auf Ferdinand I. (4 Dist.). 34. Iohannis | Winkauffii Dilla|ni De Sacerdotio, Eu/|charistia, Deque Di|vorum Veneratio/|ne Congestus ex | Sacris Passim | Scripturis | Sermo. Köln: Quentell, 1532. VD 16, W 3486. Titelbl.v: Widmungsbrief G.’ an Tilmannus a Fossa (Gravius), Sekretär des Kölner Domkapitels (25. April 1532), in dem er die Predigten Winkauffs in eine
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Gratius, Ortwinus
Reihe mit weiteren gegenreformatorischen Schriften stellt, die in Peter Quentells Offizin gedruckt wurden. 35. Sermones Adventuales. | Friderici | Nauseae Blancicampiani | [...] tam | de tempore quamque de sanctis | [...] Sermonum priorum Quadragesimalium lib. i. | [...] Cum gratulatoria in totum opus praefatione [...] | Aeditio prima. | [...]. Köln: P. Quentell, ‘Sermones quadragesimales’ mit separatem Titelbl.: 1535, ‘Sermones adventuales’: 1536. VD 16, N 273. In den ‘Sermones quadragesimales’, Titelbl.v: Epigramme an Karl V. (8 Dist.) und Kg. Ferdinand (9 Dist.). Bl. A 3r: Brief (21. Juli 1535) an Tilmannus a Fossa mit Zueignung des Druckes, Lob des Empfängers und Preis der Orthodoxie. In den ‘Sermones adventuales’, Bl. [A6]r: die beiden Epigramme an Karl V. und Kg. Ferdinand (beiden hat Nausea sein Werk gewidmet) wie zu den ‘Quadragesimales’. Bl. [A6]v: Brief vom 12. Sept. 1536 an den Trierer Domdekan Johannes von Sierck mit Preis Nauseas als Verteidiger des rechten Glaubens und Lob seines Werkes sowie Schmeicheleien an Sierck. 36. […] | Concilia | Omnia, Tam Genera⫽| lia, quam particularia, ab apostolorum tempo⫽| ribus in hunc vsque diem a sanctissimis patri⫽| bus celebrata, […] his duobus tomis | continentur […], hg. v. Petrus Crabbe. Köln: P. Quentell, 1538. VD 16, C 5643; R XLVI. Epilog an den Leser zum 2. Band (Bl. DCCCXXVIr). G. betont die Überlegenheit der Neuausg. gegenüber älteren Publikationen, die voller Fehler seien und die Dokumente in falscher Reihenfolge böten. Den Zweck der Sammlung sieht G. darin, daß die wiederholte Lektüre der alten Konzilsakten auch in der Gegenwart dazu beitrage, die Heiligkeit der katholischen Kirche zu verteidigen. In welchem Maße G. dem Hg. assistierte, läßt sich nicht genau bestimmen. Vgl. Mehl, 1985, S. 178⫺180. 37. Conciones Pragenses | Friderici | Nauseae Blanci⫽|campiani [...] super eo, quod Christus ait: | Omne regnum in se diuisum, de⫽|solabitur etc. liber | vnus. […]. Köln: P. Quentell, 1538. VD 16, N 221. Am Ende des Drucks Epigramm (13 Dist.) mit vorangestelltem Argumentum an Christoph Eschenfeld: Mißstände innerhalb der Kirche dürften nicht zu ihrer grundsätzlichen Verachtung führen, da alles Gute immer auch seine Schattenseiten habe. 38. Responsa [...] sedis Apostolicae, ad [...] Germanicae nationis ad⫽|uersus illam | Gravamina. Per Fridericum Nauseam [...]. Köln: [Euch. Cervicornus?], 1538. VD 16, N 270. Titelbl.v: Epigramm (3 Dist.) mit Preis Nauseas. 39. Friderici | Nauseae [...] Euangelicae ve|ritatis Homiliarum Centuriae qua⫽|tuor, iam iterum atque iterum, | ab ipso authore, fideliter | recognitae. | [...]. Köln: P. Quentell, 1540. VD 16, N 229.
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Titelbl.v: dasselbe Epigramm wie in II.D.37. ohne die vv. 5 u. 6. 40. Zwei Distichen zum Lob der Virtus, hsl. überliefert in einem Exemplar der ‘Elegiarum moralium libri quattuor’ des Murmellius (VD 16, M 6868, Ex. Privatbesitz). Die auf der letzten Druckseite eingetragenen Verse nehmen mit dem VirtusGedanken das Grundthema der Elegien auf, die der Schreiber der Verse auch kommentiert und aus denen er Loci communes zum Thema Virtus extrahiert hat (vgl. Ludwig, 1999; s. o. I.4.).
I II . Wir ku ng sg es ch ic ht e. G. wurde, nachdem Reuchlin ihn in seiner ‘Defensio’ (1513) bereits schwer diffamiert hatte, zur Hauptzielscheibe des Spottes der EOV, die ihm die Rolle des scholastischen Pseudogelehrten mit intellektuellen wie moralischen Defekten zuweisen. Denselben Tenor verrät auch die weniger bekannte ‘Gemma prenosticationum’ (VD 16, G 1108) von 1517, eine unter G.’ Namen veröffentlichte Schrift, die insbesondere seine astronomischen Kenntnisse verunglimpft. Die Negativurteile über G. stammen indes nicht nur aus dem Kreis der Verfasser der Dunkelmännerbriefe und von Reuchlinisten. Auch Luther hat seinen Beitrag dazu geleistet, indem er G. in einem Brief an J Spalatin als Poetist*a+ Asinu*s+, canis, Lupus rapax in vestimentis ovium und Crocodilus bezeichnete (Luther-Br., Nr. 9). Diese Einschätzungen haben das G.-Bild bis in die Gegenwart geprägt. Daran ändert auch der tendenziöse Versuch einer “Ehrenrettung” durch den Biographen Reichling nichts, der seinen Protagonisten zum Opfer verantwortungsloser Spötter und Intriganten stilisierte. Noch B. Kˆnneker (Die dt. Lit. d. Reformationszeit, 1975, S. 19, u. dies., Satire im 16. Jh., 1991, S. 108) geht davon aus, daß in den EOV tatsächlich vorhandene Defizite G.’ übertrieben dargestellt werden, und Chomarat spricht G. auf der Basis stilistischer Schwächen in den ‘Orationes quodlibeticae’ (s. II.A.2.) humanistische Gelehrsamkeit ab (S. 271), um ihm “un esprit me´diocre et borne´” zuzuschreiben (S. 273). Nach der Communis opinio der neueren Forschung war G. jedoch ein zwar fest auf dem Boden der römischen Kirche stehender, dem Humanismus gegenüber aber
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Gresemund, Dietrich, d. J.
durchaus aufgeschlossener und keineswegs ungebildeter Gelehrter (vgl. Meuthen, Köln; R‰dle, S. 105; Ludwig, 1999; Haye, S. 683⫺685). Weder Vordenker noch begnadeter Dichter, hätte er ohne die Verwicklung in den Reuchlin-Streit wie viele seiner moderaten Standes- und Gesinnungsgenossen ein eher unauffälliges Dasein geführt und kein größeres Aufsehen erregt. In den theol. Veröffentlichungen seiner Spätphase wirkte G. nicht so sehr als Dogmatiker oder Kirchenrechtler, sondern vielmehr als Publizist, der für andere Informationen zugänglich machte. Mit Sammlungen von Konzilsakten (II.C.20. u. D.36.) und seinem ‘Fasciculus’ (II.C.22.) stellte er Materialien zur Verfügung, die von seinen Zeitgenossen in innerkirchlichen Fragen häufig konsultiert wurden; der ‘Fasciculus’ diente ⫺ vom Herausgeber gewiß unbeabsichtigt ⫺ nicht zuletzt protestantischen Theologen wie J. Bale und M. Flacius Illyricus als Arsenal für Angriffe gegen die römische Kirche. Die Tatsache, daß das Werk 1690 in London in erweiterter Form noch einmal herausgebracht wurde (vgl. R XLIV.2), zeugt von seiner kontinuierlichen Benutzung in theol. Debatten. Literatur. H. Cremans, O. G. u. d. Fasciculus rerum expetendarum ac fugiendarum, 1871; L. Geiger, in: ADB 9, 1879, S. 600⫺602; D. Reichling, Joh. Murmellius. Sein Leben u. seine Werke, 1880 (ND 1963); ders., O. G., Sein Leben u. Wirken. Eine Ehrenrettung, 1884 (ND 1963); H. J. Liessem, Hermann van d. Busche. Sein Leben u. seine Schr., 1884⫺1908 (ND 1965); H. Rogge, Fingierte Briefe als Mittel polit. Satire, 1966, S. 15⫺24; Ch. G. Nauert, Jr., Peter of Ravenna and the ‘Obscure Men’ of Cologne, in: A. Molho / J. A. Tedeschi (Hgg.), Renaissance Studies in Honor of Hans Baron, Florenz 1971, S. 609⫺640; J. V. Mehl, O. G.: Cologne Humanist, Diss. Univ. of Missouri 1975 (S. 273⫺279: Verz. d. von G. hg. u. d. von ihm mit Textbeigaben begleiteten Drucke); W. Klaiber, Kath. Kontroverstheologen u. Reformer d. 16. Jh.s. Ein Werkverz. (Reformationsgeschichtl. Stud. u. Texte 116), 1978, S. 124⫺127; J. Chomarat, Les hommes obscurs et la poe´sie, in: Humanisme allemand, S. 261⫺282; J. V. Mehl, O. G.’ ‘Orationes Quodlibeticae’: Humanist Apology in Scholastic Form, The Journal of Medieval and Renaissance Studies 11 (1981) 57⫺69; ders., The Dispute over Donatus, Publishing History 16 (1984) 7⫺19; G. Chaix, Le ‘fasciculus rerum expeten-
darum ac fugiendarum’ d’O. G. et l’esprit re´formateur a` Cologne en 1535, in: B. Chevalier (Hg.), Les re´formes, enracinement socio-culturel, 1985, S. 387⫺392; J. V. Mehl, O. G., Conciliarism, and the Call for Church Reform, ARG 76 (1985) 169⫺ 194; D. Riesenberger, in: CoE 2, 1986, S. 124 f.; E. Meuthen, Die ‘EOV’, in: W. Brandm¸ller (Hg.), Ecclesia Militans. Fs. R. Bäumer z. 70. Geburtstag, Bd. 2, 1988, S. 53⫺80; Meuthen, Köln, S. 219⫺226; H.-M. Kirn, Das Bild vom Juden im Dtld. d. frühen 16. Jh.s dargestellt an d. Schr. J. Pfefferkorns, 1989, S. 5, 63, 124, 164, 172, 178 f., 181 f., 187; U. Mennecke-Haustein, in: Killy, Lit.lex. 4, 1989, S. 318 f.; G. Mensching, Die Kölner Spätscholastik in d. Satire d. EOV, in: A. Zimmermann (Hg.), Die Kölner Univ. im MA (Miscellanea Medievalia 20), 1989, S. 508⫺523; J. V. Mehl, Humanism in the Home Town of the ‘Obscure Men’, in: ders. (Hg.), Humanismus in Köln (Stud. z. Gesch. d. Univ. Köln 10), 1991, S. 1⫺38; G.-R. Tewes, Die Bursen d. Kölner Artisten-Fakultät bis z. Mitte d. 16. Jh.s (Stud. z. Gesch. d. Univ. Köln 13), 1993, S. 101 f. u. ö. (Reg.); F. R‰dle, Die EOV, in: H. Boockmann (Hg.), Kirche u. Ges. im Hl. Röm. Reich d. 15. u. 16. Jh.s, 1994, S. 103⫺ 115; U. Rautenberg, Überlieferung u. Druck. Hll.legenden aus frühen Kölner Offizinen (Frühe Neuzeit 30), 1996; W. Ludwig, Lit. u. Gesch., O. G., die ‘Dunkelmännerbriefe’ u. d. ‘Testament d. Ph. Melanchthon’ v. W. Jens, Mlat. Jb. 34 (1999) 125⫺167, bes. S. 125⫺150; A. Freit‰ger, Joh. Cincinnius v. Lippstadt (ca. 1485⫺1555). Bibliothek u. Geisteswelt eines westf. Humanisten, 2000, S. 78, 81, 105 f., 125 f., 211 u. ö.; W. Ludwig, Der Humanist O. G., H. Bebel u. d. Stil d. Dunkelmännerbriefe, in: G. Huber-Rebenich / W. Ludwig (Hgg.), Humanismus in Erfurt, 2002, S. 131⫺160; Th. Haye, O. G. als Förderer d. Prudentius, Daphnis 32 (2003) 683⫺697.
Gerlinde Huber-Rebenich
Gresemund, Dietrich, d. J. I . L eb en . G. wurde am 10. Nov. 1476 (Ziegler, s. II.A.1) in Speyer als Sohn des Arztes Dietrich D Gresemund d. Ä. geboren. Der Vater, Leibarzt mehrerer Mainzer Erzbischöfe und führende Gestalt des frühen Mainzer Humanismus, ließ dem Sohn eine Ausbildung als Jurist zukommen und vermittelte ihm den Kontakt zu maßgeblichen Förderern wie Jakob J Wimpfeling und Johannes J Trithemius. G. erhielt dadurch
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Gresemund, Dietrich, d. J.
früh einen herausragenden Ruf als begabter junger Gelehrter. G.s akademische Studien begannen an der Artistenfakultät der 1477 gegründeten Univ. Mainz und führten ihn an die juristischen Fakultäten von Padua (belegt 1495) und Bologna (belegt 1497). 1498 wurde G. in Ferrara zum Dr. iur. utr. promoviert. Im Jahr darauf erscheint er als legum doctor in Heidelberg, wo er wohl auch als Rat am Pfälzer Hof tätig war. Er pflegte Beziehungen zum Humanistenkreis um den Kanzler der Universität und Wormser B. Johann von Dalberg, darunter außer zu Wimpfeling zu Jodocus J Gallus, Peter Günther, Johannes J Reuchlin, Adam J Werner von Themar und Johannes J Wacker. Kurz darauf findet man G. als Kleriker der Diöz. Mainz. Eine zweite Italienreise führte ihn 1501 nach Rom und Siena sowie auf dem Rückweg ins Elsaß, wo Verbindungen zu dem Straßburger Münsterprediger Johann D Geiler von Kaysersberg und Hieronymus J Gebwiler, Johannes Adelphus J Muling, Beatus J Rhenanus und Thomas J Wolf d. J. zustande kamen. Zurück in Mainz, erscheint G. 1505 als Kanoniker an St. Stephan. Dort wurde er in den folgenden Jahren u. a. als Scholaster mit der Unterweisung des Klerikernachwuchses betraut (1510), während er hauptamtlich im Dienst des Erzbischofs von Mainz tätig war, so seit 1508 als Protonotar und Generalrichter am Mainzer Geistlichen Gericht. Er zählte auch den Generalvikar und Gönner der Humanisten Dietrich Zobel von Giebelstadt zu seinen Freunden. G. starb am 14. Okt. 1512. G. wurde zu Lebzeiten wegen seiner Bemühungen in Germania illustranda gelegentlich mit Konrad J Celtis verglichen. In diesen Rahmen läßt sich ein Großteil seiner literarischen Produktion einordnen, wodurch zugleich die Personenbeziehungen G.s, der sich an zentralen literarischen Fehden seiner Zeit beteiligte, weiter erschlossen werden.
I I. We rk . A . S el bs tä nd ig e Wer ke . 1. ‘Lucubratiunculae’ mit ‘Apologia septem artium liberalium’. G.s erste größere Veröffentlichung datiert von 1493 und gliedert sich in drei
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Teile, die um das Thema der rechten, an der Antike orientierten Bildung und deren Wert für das menschliche Leben in seinen gesellschaftlichen Bezügen kreisen. Die beiden ersten Teile sind in Dialogform gehalten. Gesprächspartner sind zunächst Chiron, der Erzieher des Achill, und der griechische Philosoph Aristobolus (chironis et aristoboli de septem liberalibus disciplinis dialogus, Bl. a iijv⫺d iijr), während im zweiten Dialog die Persona Gresemund und die personifizierte Philosophie diskutieren (philosophie cum theoderico gresemundo Dialogus, Bl. d iijr⫺ [e6]v); im Zentrum steht die Vernachlässigung der Sieben freien Künste bzw. der Philosophie im zeitgenössischen Bildungswesen. Der dritte Teil ist als eine von der Philosophie verfaßte Rede der Oratoria an die Staatslenker konzipiert, namentlich an Kg. Maximilian I. und Papst Alexander VI., die dem Mißstand der Bildung Abhilfe schaffen sollen (Oratorie ad rerum publicarum gubernatores Oratio, Bl. [e6]v⫺g iijr). G. greift in den ‘Lucubratiunculae’ in Anbindung an antike Autoritäten wie Cicero und Quintilian oder an Humanisten wie die Leitgestalt des Aeneas Silvius D Piccolomini Kernthemen seiner humanistischen Zeitgenossen auf und fand insbesondere mit dem auch separat gedruckten Dialog über die Septem artes liberales entsprechenden Anklang. Drucke. Theoderici gresemundi iunio|ris moguntini lucubraciun⫽|cule bonarum septem artium liberalium Apologiam | eiusdemque cum philosophia dialogum et orationem ad rerum | publicarum rectores in se complectentes. Mainz: Peter v. Friedberg, 1494. GW 11511. Mit einem begleitenden Gedicht G.s, einem Widmungsbrief an Trithemius (1. Jan. 1494) sowie im Anhang Beigaben von Trithemius, Konrad J Leontorius, Jakob Wimpfeling (Widmungsbrief zur ‘Elegantiarum medulla’, s. u. II.B.3.a.a.) und Rutger J Sycamber. – Teil 1 (‘Apologia septem artium liberalium’) aufgrund der Editio princeps auch separat: Thodorici [sic] gresemundi iu⫽|nioris Moguntini iucundissi⫽|mus in septem artium liberalium defensionem dialogus. Deventer: [Jak. v. Breda], 1497. GW 11509. Mit Gedicht und Widmungsbrief G.s an Trithemius sowie den Beigaben von Trithemius etc. Jüngere Ausg.: Leipzig 1501. VD 16, G 3186. Ergänzend Fleischer, S. 168.
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Gresemund, Dietrich, d. J.
Ausgabe. Dietrich Gresemund d. J., Lucubraciuncule, eingel. u. komm. v. Th. A. Ziegler, phil. Magisterarbeit München 2007 (in Vorbereitung zum Druck).
2.‘Podalirii cum Catone dialogus’. Im Zentrum des 1495 entstandenen Dialogs steht die Auseinandersetzung zwischen der – nach dem mythischen Asklepiossohn benannten – Figur des Podalirius Ecdicetes (‘der Verteidiger’), mit der G. auf sich selbst anspielt, und dem aus Italien stammenden Cato Certomius (‘dem Scharfzüngigen’) über das Karnevalstreiben der Deutschen. Während Cato die deutschen Fastnachtsbräuche als unsittlich anprangert, verteidigt Podalirius sie als harmloses Spiel zur Erholung des Geistes, und beinahe kann er Cato überreden, sich als Herkules verkleidet dem kurzweiligen Treiben anzuschließen. Weit über eine bloße Apologie des Karnevals hinausgehend, ordnet sich der Dialog in den literarischen Agon italienischer und deutscher Humanisten um den kulturellen Vorrang ein. Wenngleich man die Schrift formal wie die ‘Lucubratiunculae’ in die Nähe “humanistischer Fingerübungen” (Walter, 1990, S. 313) rücken kann, reagiert sie thematisch in durchaus eigenständiger Weise auf das von italienischer Seite gegen die Deutschen vorgebrachte Barbarenverdikt. Druck. Podalirij Germani. cum Ca⫽|tone Certomio. de furore ger⫽|manico diebus genialibus carnispriuij Dialogus: [...]. [Mainz: Peter v. Friedberg, nach 28. Febr. 1495]. GW 11510. Widmungsbrief G.s an den Mainzer Kanzler Georg v. Hell (28. Febr. 1495). Im Anhang drei Gedichte G.s sowie Beigaben von Jacobus J Canter und Johannes J Cuspinianus. Ausgabe. Lefebvre, S. 391−401.
3. ‘Oratio ad sanctam synodum Moguntinam 1499 habita’. Vielleicht bereits als Kanoniker hielt G. 1499 auf einer Mainzer Synode eine gewandte Rede über das Priestertum, dessen innere Erneuerung er anmahnt. Die Rede teilt ein verbreitetes Reformanliegen ihrer Zeit, das mit Nachdruck auch von dem Synodalvorsitzenden Eb. Berthold von Henneberg vertreten wurde.
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Druck. Oratio Theodorici gresemun⫽|di ad sanctam synodum Mogun⫽|tinam elegantissima. [Straßburg: Martin Flach, 1499]. GW 11512. Mit zwei Gedichten G.s im Anhang. Ausgabe. Walter, 2006, S. 325⫺333.
4. ‘Historia violatae crucis’. G. verfaßte die 1512 erschienene Verserzählung 1506 aufgrund eines Gelübdes nach überstandener Krankheit. Anspielungsreich nimmt er auf ein Ereignis des Jahres 1383 Bezug, das ihm Anlaß gibt, religiöse Intention und ethisches Anliegen miteinander zu verbinden. Im Mittelpunkt stehen die Schändung eines in Mainz verehrten (noch erhaltenen) Kreuzes durch den leidenschaftlichen Spieler Schelkropf und dessen unausweichliche Strafe, wobei G. kontrastiv auf die Tugenden eines Sokrates und Cato verweist. Moralischer Ton und pädagogische Absicht sicherten dem Text anhaltendes Interesse (s. II.D.). Drucke. Historia violatae crucis | Theoderici Gresemundi. Straßburg: Reinh. Beck d. Ä., 1512. VD 16, G 3182. Mit einem Widmungsbrief des Hg.s Wimpfeling an Dietrich Zobel von Giebelstadt (5. März 1512) und Beigaben von Hieronymus Pius Baldung, Hieronymus J Vehus und Johannes Oecolampadius. – 2. Aufl. mit einem Kommentar und einer Vita G.s, verfaßt vom Hg. Hieronymus Gebwiler, Straßburg: R. Beck, 1514. VD 16, G 3183. Mit denselben Beigaben wie in der Editio princeps sowie neuen von Chrysostomus Lucanus und Georg Altenheymer. Zwei weitere Ausgaben: Straßburg 1514 u. Mainz 1564. VD 16, G 3184⫺ 3185. Ausgabe. G. Ch. Ioannis, Rerum Moguntiacarum vol. 3, Frankfurt a. M. 1727, S. 409⫺420. Eine dt. Übersetzung, die G. von Sebastian J Brant erbat (s. II.B.2.e), ist nicht bekannt.
5. ‘Collectanea antiquitatum’. Anders als oft zu lesen, ist G.s wegweisende Sammlung römischer Inschriften in und bei Mainz erhalten geblieben. Teile von ihr verzeichnet der Basler Domkaplan Hieronymus Brilinger, der sie bei einem Besuch 1509 ebenso sah wie etwa Beatus J Rhenanus. Abschriften der von G. gesammelten Inschriften finden sich darüber hinaus in den Sammlungen Konrad J Peutingers. Zum Druck gelangte das Inschriftencorpus G.s 1520 in der bekannten Ausgabe Mainzer Altertümer von Johann J Huttich, deren Hauptbestandteil es bildet.
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Gresemund, Dietrich, d. J.
Überlieferung. Fragment in der autographen Sammelhs. (1506⫺1531?) Brilingers: Aarau, Kantonsbibl., MsZF 37 (vgl. K.-W. Meier, Die Zurlaubiana, 2 Bde., 1981, Bd. 2, S. 1149 f.). Druck. Hg. unter dem von G. in seiner Ausg. des Probus 1510 (s. u. II.C.2.) angekündigten Titel u. um vier Inschriften erweitert durch Johann Huttich, Collectanea | antiquitatum in urbe, atque | agro Moguntino | repertarum. [Mainz]: Joh. Schöffer, 1520. VD 16, H 6467. 2. Aufl.: Mainz 1525. VD 16, H 6468. ND Mainz 1977. Abdruck der Aufzeichnungen Brilingers mit den Parallelen bei Peutinger und Huttich: Fleischer, S. 160⫺165 (mit Verweis auf die betreffenden Nummern im Corpus Inscriptionum Latinarum [CIL]; s. auch Fleischer, S. 147⫺152 mit Anm. 143⫺159). 6. ‘Catalogus et vitae episcoporum et archiepiscoporum Moguntinensium’ (verloren). Durch Wimpfeling ist belegt, daß G. 1509 an einem früh verlorenen Katalog der Bischöfe und Erzbischöfe von Mainz arbeitete. Wimpfeling dürfte G.s Arbeit für seinen eigenen ‘Catalogus archiepiscoporum Moguntinensium’ verwendet haben. Der Bischofskatalog G.s fügt sich in eine lange historiographische Tradition in Mainz, die im Zeitalter des Humanismus in neuer Weise aufgegriffen wurde, so bei G.s Mainzer Zeitgenossen Hermannus J Piscator. Vgl. Fleischer, S. 152⫺155; M¸ller (dazu die Rez. v. U. Goerlitz, Arch. f. hess. Gesch. u. Altertumskunde NF 58 [2000] 359⫺362); Goerlitz, S. 369⫺371 mit Anm. 75 u. Reg. B. Briefe und (Gelegenheits-)Gedichte Im wesentlichen können, unbeschadet partieller Überschneidungen, unterschieden werden: (1) G.s Widmungsbriefe und begleitende Gedichte in Drucken seiner eigenen Werke sowie der von ihm hg.en Werke anderer. (2) Briefe und Gedichte G.s. in humanistischen Sammelhss. (3) Beigaben G.s zu Drucken anderer zeitgenössischer Autoren und Herausgeber. 1. G.s (Widmungs-)Briefe an Georg von Hell, Trithemius und Wimpfeling sowie G.s – meist begleitende – Gedichte zu bzw. in den oben II.A.1.⫺3. und unten II.C.1.⫺2. genannten Drukken; vgl. auch u. II.C.3. 2. Chronologisch (geordnet nach Korrespondenzbeginn) sind zu nennen: a) Briefwechsel mit Adam J Werner von Themar (Mai 1493-Jan. 1495) sowie je ein Brief G.s an Kurprinz Ludwig von der Pfalz (Aug. 1494) und Peter Günthers an G. (Jan. 1495), ferner acht Gedichte G.s, teils im freundschaftlich-poetischen Dialog mit Werner entstandene Beigaben zu den Briefen, bei K. Hartfelder, Werner v. Themar,
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ein Heidelberger Humanist, ZGO 33 (1880) 1⫺ 101, hier S. 80⫺87, 91⫺97, wieder in ders., Stud. z. pfälz. Humanismus, hg. v. W. K¸hlmann / H. Wiegand, 1993, S. 73⫺174, hier S. 152⫺159, 163⫺169 (Korrekturen bei Fleischer, S. 38⫺40). b) Neben den zwischen Juni 1493 und 1510 entstandenen Widmungs- bzw. Empfehlungsbriefen von und an Wimpfeling (s. u. II.B.3.a.a., II.C.1., II.C.2.) sind zwei Briefe G.s an Jakob Wimpfeling von 1495 und 1506 erhalten (Wimpfeling-Br., Nr. 54 u. 218). Elf Gedichte G.s aus dem Cod. C 687 der UB Uppsala (Bl. 51v⫺53v, 118v⫺121v, 206v, 242v, z. T. von G.s Hand) sind abgedruckt bei Holstein, S. 376⫺382, Nr. 1⫺10, u. S. 465 Anm. *; ein zwölftes (Bl. 213r; nicht bei Holstein) ist identisch mit dem bei Hartfelder (s. o. II.B.2.a, 1993, S. 164 f.) gedruckten. Über die G. zu Unrecht zugeschriebenen bzw. ihm nur vermutungsweise zuzuschreibenden Gedichte s. Wimpfeling-Br., Bd. 2, S. 508 f., Anm. 10. S. auch Fleischer, bes. S. 121⫺127. c) Briefwechsel mit dem Frankfurter Dominikaner Wigand Wirt (Dez. 1494) im Kontext der literarischen Fehde des Trithemius zugunsten der Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariens, Straßburg, Bibl. Nationale et Universitaire, Ms. 106, Bl. 24r⫺v, 26r⫺v, 31v⫺32v; vgl. C. Schmitt, La controverse allemande de l’immacule´e conception. L’intervention et le proce`s de Wigand Wirt, O. P. (1494⫺1513), Archivum Franciscanum historicum 45 (1952) 397⫺450, hier S. 415 f.; Arnold, S. 106⫺113. d) Gedichte G.s, namentlich an den kgl. Sekretär Joh. Kollauer, von wahrscheinlich 1497 überliefert der Clm 388, Bl. 82r⫺v, 111r⫺v. Vgl. G. M. M¸ller, Die ‘Germania generalis’ d. C. Celtis. Stud. mit Ed., Übers. u. Komm. (Frühe Neuzeit 67), 2001, S. 25 f. e) Ein Brief an Seb. Brant (Mainz, 19. Okt. 1506) bei G. Knod, Zur Bibliographie Wimpfelings, ZfB 5 (1888) 463⫺481, hier S. 470 f. Anm. 2; zum Inhalt s. o. II.A.4. 3. Chronologisch nach den Daten der jeweiligen (vermutlichen) Erstdrucke sind zu verzeichnen (ohne die oft zahlreichen jüngeren Auflagen): a) Briefe und Gedichte G.s zu und in gedruckten Werken und Ausgaben Wimpfelings. a) ‘Elegantiarum medulla’ […], [Speyer, um 1493]. Hain 16165. Bl. a ijr⫺v: G.s Dank (Mainz, o. D.) für Wimpfelings vorausgehende Widmungsepistel (Wimpfeling-Br., Nr. 35 u. 36), Bl. [f4]r: Nachwort G.s (16. Okt. 1493) an den Leser. b) ‘Adolescentia’, Straßburg 1500. HC 16190. Bl. [H6]r: unter den Gedichten zahlreicher Wimpfeling-Schüler ein Tetrastichon G.s (Warnung vor der Lüge; bei O. Herding [Hg.], Jakob Wimpfelings Adolescentia, 1965, S. 341 f.).
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Gresemund, Dietrich, d. J.
g) D Hrabanus Maurus, ‘De laudibus sanctae Crucis’. Pforzheim 1503. VD 16, H 5271. Bl. Aa iiir: zwei Epigramme G.s (Unvergänglichkeit der Dichtung gegenüber der Malerei; die hohe Kunst von Hrabans Dichtung) im Kreise von Carmina anderer oberrhein. Humanisten (J Reuchlin, J Brant, J Gallinarius, J Simler). d) ‘Soliloquium […] pro pace christianorum’, [Straßburg um 1505/06]. VD 16, W 3407. Bl. [c5]v: ein Epigramm G.s (6 Dist.) zum Lob seines Lehrers Wimpfeling. e) Ein anderweitig nicht überliefertes Gedicht G.s (Absage an paganistische Dichtung und Bekenntnis zu Christus als seinem Apollo; 6 Hex.) zitiert Wimpfeling in ‘Contra turpem libellum Philomusi’ ([Straßburg 1510]. VD 16, W 3350, Bl. B ijr). Vgl. Fleischer, S. 126 f. z) Nach G.s Tod zitierte Wimpfeling in dem erweiterten Druck des Wiener Konkordats (Concordata principum Nationis Germanicae […]. Straßburg 1513. VD 16, K 209, Bl. c iijr) G.s Epicedion für Amandus Wolf († 1504), das auch im Uppsalaer Codex überliefert ist (s. o. II.B.2.b, Bl. 52r; bei Holstein, S. 377).
b) Gedichte G.s zu gedruckten Werken des Trithemius. a) ‘De laudibus ss. matris Anne’, Mainz 1494. Hain 15632. Bl. e ir: G.s Tetrastichon ad Sanctam Annam im Kreise von Gedichten Celtis’, Rud. D Agricolas, Rutger Sycambers, Adam Werners u. a.; s. Arnold, S. 239 f. b) ‘De proprietate monachorum’, Mainz 1495. HC 15619. Bl. [c6]r: empfehlendes Gedicht G.s (4 Dist.); s. Arnold, S. 230 f. c) Franciscus Diedus, Petrus ludouicus Maldu| ra In Uitam sancti Rochi | […] Unacum eiusdem Officio. [Mainz: Peter v. Friedberg, um 1494/95]. GW 8332. Bl. [b6]r: Gedicht G.s an den Leser (15 Dist.) zum Lob des Pesthelfers Rochus mit der Bitte um Fürbitte für den erkrankten Arzt Joh. Nell, der auch den Druck veranlaßte. d) Ad illustrissimum Bauarie du|cem Philippum Comitem Rheni palatinum [...] epistola. [...] | Epigrammata in diuum Marsilium inceptorem Plan⫽| tatoremque gymnasij Heydelbergensis […]. [Mainz: Peter v. Friedberg, nach 10. Juli 1499]. HC 10781. Bl. cv: Gedicht G.s (8 Dist.) In laudem Marsilij, der den Deutschen die Philosophie gebracht habe, zur Festschrift zu Ehren des Heidelberger Universitätsgründers D Marsilius von Inghen, die Jakob J Merstetter auf Veranlassung Wimpfelings redigierte. Dasselbe Gedicht erneut in: Quaestiones Marsilii super | quattuor libros sententiarum | […]. Straßburg: Martin Flach d. J., 1501. VD 16, M 1127. Bd. 1, Bl. a ijr. e) Joh. J Rhagius Aesticampianus, ‘Epigrammata’. Leipzig 1507. VD 16, R 1664. Bl. A iijv:
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Lob der geistlichen Dichtung und des Rhagius (29 Hex.; Hutten, Opera, Bd. 3, S. 565 f.). f) Prima pars […] operis […] Pe⫽|tri Ravennatis contra Gherardum de Zutphania | et fratrem Iacobum Theologiae professores. | […]. [Mainz: Joh. Schöffer, 1508]. VD 16, T 1538. Titelbl.v: G.s allegorischer Preis des Herbstes unterstützt den italienischen Rechtsgelehrten Petrus Tomasi von Ravenna in der Auseinandersetzung mit der theol. Fakultät der Univ. Köln (J Hoogstraeten, II.A.). g) Theodoricus J Ulsenius, ‘De s. Iudoco Hymnus’. [Deventer: Rich. Pafraet, um 1509]. NK 3999. Bl. a ijv: Hexastichon G.s auf Judocus im Kreise von Gedichten Hieronymus J Emsers, J Bartholomaeus Coloniensis’, Celtis’ und J Buschius’. C. Ausgaben und autographe Abschriften. 1. [...] | Versiculi Theodorici Gresmundi Legum Doctoris | Epistole Thome Wolffij iunioris. Decretorum Doctor | Carmina Esticampiani Poete laureati | Tetrastichon Jacobi Wimphelingi. | Epistola Thome Murner. | […]. [Straßburg]: Ioannes Strosack [i. e. Georg Husner], [1502]. VD 16, G 3187. Mit einem Widmungsbrief G.s an Wimpfeling (9. Nov. 1502; Wimpfeling-Br., Nr. 134). Mit diesem Druck von wahrscheinlich 1502 beteiligte sich G. als Herausgeber und als Verfasser dreier Gedichte in defensionem germanie Iacobi Wimphelingi bzw. ad Germaniam auf Seiten Wimpfelings an der Auseinandersetzung mit Thomas J Murner um die nationale Zugehörigkeit des Elsaß. Vgl. E. v. Borries, Wimpfeling u. Murner im Kampf um d. ältere Gesch. d. Elsasses, 1926, S. 43⫺47. In den Kontext der Fehde zwischen Wimpfeling und Murner gehören auch zwei der oben (II.B.2.b) erwähnten Gedichte (Ausg. in: Holstein, S. 378 f., Nr. 6 u. 7). 2. […] | Valerij probi interpretamenta litterarum singularium | in antiquitatibus Romanis […] | Idem Valerius Probus | de abbreviaturis. | […] Pomponii Laeti | libellus de Romanorum magi⫽|stratibus. | Idem de sacerdotijs Romanorum. | Idem de diversis legibus Romanorum. Oppenheim: [Jak. Köbel], 1510. VD 16, P 4158 u. 4934. Mit einer Vorrede G.s, einem Gedicht und einem Nachwort G.s sowie einem Brief Wimpfelings an G. (Worms, o. D.; Wimpfeling-Br., Nr. 271). G. ließ eine Schrift des italienischen Humanisten Pomponius Laetus zur römischen Altertumskunde hinzudrucken. Sie war bereits in Beatus Rhenanus’ erstmals im Jan. 1510 erschienener Pomponius-Werkausgabe (VD 16, P 4146) enthalten, in der eine Schrift G. gewidmet war (12. Jan. 1510; Rhenanus-Br., Nr. 13). Ziel der von G. kommentierten Probus-Ausgabe ist die Förderung zeitgenössischer Altertumsstudien wie namentlich der
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Greußer, Johannes
lat. Epigraphik. Zu den späteren Drucken vgl. VD 16, P 4159⫺4169 bzw. P 4935⫺4944; s. auch VD 16, F 1641⫺1654. Vgl. Fleischer, S. 155 f., u. Walter, 1990, S. 319 f. mit Anm. 40. 3. Vermutlich 1495 fertigte G. aufgrund des von Celtis aufgefundenen Codex der Werke D Hrotsvits von Gandersheim eine im Autograph erhaltene Abschrift an (Pommersfelden, Schloßbibl., Cod. 2883). Mit einem Hexastichon G.s auf Hrotsvit (bei P. v. Winterfeld, Hrotsvithae opera (MGH SS. rer. Germ. [34]), 1902, S. XIV), das unter den Beigaben zu der von Celtis besorgten Editio princeps der Opera Hrotsvits von 1501 fehlt. Celtis hatte Hrotsvits Werke im Sommer 1494 zur Abschrift an Trithemius in Sponheim gesandt. Da G. sich Anfang 1495 länger in Sponheim aufhielt, handelt es sich bei seiner Abschrift des Clm 14485 möglicherweise um jenes für Sponheim bestimmte Exemplar, vgl. Fleischer, S. 94, 104 f., u. Arnold, S. 65 mit Anm. 58.
D . Wir ku ng . Zu Lebzeiten galt G. weithin als führender Vertreter des Mainzer Humanismus. Bereits 1495 nahm Trithemius ihn in den ‘Catalogus illustrium virorum Germaniae’ auf. 1514, zwei Jahre nach G.s Tod, verfaßte Gebwiler eine Vita G.s. und fügte sie der zweiten Auflage der ‘Historia violatae crucis’ bei (s. o. II.A.4.). Gerade dieses Werk G.s sicherte sein Nachwirken bis ins 18. Jh., wenngleich die Kenntnis seines Lebens und Gesamtwerks nach seinem Tod rasch verblaßte. Literatur. Holstein, Ungedr. Gedichte, S. 359⫺382, 446⫺473; H. Heidenheimer, Ein Mainzer Humanist über d. Karneval (1495), Zs. f. Kulturgesch. NF 3 (1896) 21⫺57; Bauch, Mainz; H.-H. Fleischer, D. G. d. J. (Beitr. z. Gesch. d. Univ. Mainz 8), 1967; J. Lefebvre, Les fols et la folie, Paris 1968, S. 64⫺68 u. Reg.; H. Mathy, Die Univ. Mainz. 1477⫺1977, 1977, S. 24⫺33 u. ö.; J. Steiner, Die Artistenfakultät d. Univ. Mainz 1477⫺1562 (Beitr. z. Gesch. d. Univ. Mainz 14), 1989, S. 402⫺404 u. ö. (Reg.); P. Walter, Das Stephansstift u. d. Humanismus: D. G. d. J., in: 1000 Jahre St. Stephan in Mainz (Quellen u. Abh. z. mittelrhein. Kirchengesch. 63), 1990, S. 309⫺322; K. Arnold, Johannes Trithemius (1462⫺1516) (QF z. Gesch. d. Bistums u. Hochstifts Würzburg 23), 21991, S. 94⫺97, 105, 109 u. ö. (Reg.); M. M¸ller, Die spätmal. Bistumsgesch.schreibung, 1998, S. 18, 387⫺396; U. Goerlitz, Humanismus u. Gesch.schreibung am Mittelrhein, 1999 (Frühe Neuzeit 47), S. 320⫺322 u. ö. (Reg.); P. Walter, Cicero in pulpito. Einblicke in d. Predigtwerkstatt
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d. Mainzer Humanisten D. G. d. J. in: A. Egler/W. Rees (Hgg.), Dienst an Glaube u. Recht (Kanonist. Stud. u. Texte 52), 2006, S. 315⫺333.
Uta Goerlitz
Greußer (Greuß, Grusser, Greußing), Johannes (Tuberinus) I . L eb en . G., Sohn eines Bierbrauers und Bürgers in Rothenburg o. d. T., studierte an der Univ. Paris, wurde im WS 1483/84 dort Baccalaureus und 1486 Magister artium. Am 3. Juni 1489 immatrikulierte er sich als Magister an der Univ. Tübingen, vermutlich zum Studium der Theologie. 1494/95, wieder in Rothenburg, hatte er einen theologischen Grad allerdings noch nicht erworben, nannte sich damals nur magister Parisiensis. Er war Priester und seit etwa 1488 Vikar eines Altars beim Kloster St. Markus in Würzburg, ohne dafür ⫺ so seine Beschwerde in der Vorrede der ‘Passio’ (1495) ⫺ Einkünfte zu beziehen. 1494 suchte er sich bei Mgf. Friedrich von Brandenburg als Lehrer seiner Söhne zu empfehlen (Widmung des ‘Opusculum artis gramm.’). Über den Erfolg dieser Bewerbung ist nichts bekannt. Dagegen muß er in den Jahren um 1500 als Erzieher am Heidelberger Hof tätig gewesen sein, denn in einem Bucheintrag nennt ihn der junge Pfalzgraf Johann (*1488 als siebter Sohn Philipps d. Aufrichtigen) seinen praeceptor, und dort wird er nun auch als bachalarius sacrosancte facultatis theologie (vermutlich ist hier die Heidelberger Fakultät gemeint) geführt (Hubay, S. 56, Nr. 253, Hinweis von K. Kipf). Anscheinend kehrte er auf Dauer in seine Heimatstadt zurück und kam auch zu einigem Wohlstand. 1510 ist er als Stifter von Studienstipendien für die akademische Ausbildung von Geistlichen bezeugt. Damals lag er im Streit mit der Stadt Rothenburg, die sein Vermögen beschlagnahmte. 1515 stritt er ⫺ nach einem Brief der Stadt Rothenburg an Dr. Eucharius Steinmetz vom 4. Juli d. J. (Rothenburg o. d. T., Stadtarchiv, StaR B 221, fol. 21rv Nr. 49; Mitt. von K. Borchardt,
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Grieninger, Heinrich
Rothenburg) ⫺ mit seinem Bruder Stephan um das väterliche Erbe. Dies ist das vorerst letzte bekannte Lebenszeugnis G.s. I I. Sc hr if te n. 1. ‘Opusculum artis grammaticae introductorium’. Die beiden Widmungsvorreden, die eine an Mgf. Friedrich von Brandenburg (Rothenburg, 31. Dez. 1493), die andere an seine Söhne, werben für das Erziehungsideal des gebildeten Fürsten; sie zehren dabei reichlich vom Traktat ‘De educatione liberorum’ des Aeneas Silvius D Piccolomini. Am Ende der ersten Vorrede verteidigt G. umständlich die Lizenz der Du-Anrede: er sei darin Leonardo Bruni, Guarino, Poggio und anderen prominenten Italienern gefolgt, die es bei der brieflichen Anrede mit dem Brauch der Antiken und der Kirchenväter hielten. Die Grammatik selbst (30 Bll.), die Laut- und Formenlehre und Regeln der Syntax umfaßt, dürfte auf Bernhard D Pergers nach Perotti gebildetem ‘Artis grammaticae introductorium’ (‘Grammatica nova’) fußen, gewann in ihrem Verfahren allerorten raffender Bearbeitung aber eigenes Profil, ist grammatikgeschichtlich freilich ohne besondere Bedeutung. Das Prinzip der neuen humanistischen Grammatik nach Perottis Art, die Ausrichtung am Sprachgebrauch der Antiken, hat G. sichtlich mißverstanden; er zog sein Beispielsmaterial mit Vorliebe aus der Vulgata. Druck. Fulgens atque perutile opusculum artis | grammatice introductorium A viro Johanne greusser Tuberino [...] compositum. [Nürnberg: Peter Wagner, 1494]. GW 11513.
2. ‘Passio Tuberini’. Die 66 Bll. umfassende ‘Passio’ ist, beginnend mit dem Jeremia-Thema O vos omnes qui transitis [...] (Lm 12), mit dem sie auch schließt, eine predigthafte Betrachtung über die Passion Christi in der Ereignisfolge der Evangelienberichte. Sie stützt sich durchgehend auf Autoritäten der exegetischen und aszetischen Tradition. Eine genauere Untersuchung der Quellenlage steht aus. In der weitschweifigen Vorrede, einer Mahnrede, an den
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Würzburger B. Rudolf II. von Scherenberg († 29. April 1495) dringt G. auf die Sorgepflicht des Bischofs für den mittellosen niederen Klerus und nicht minder nachdrücklich auf die unerläßliche Übung biblischer Meditation. Wie in der Widmung der Grammatik beschließt er sie mit der Bitte um Verständnis für die gewählte DuAnrede. Druck. Passio tuberini cum pulcer⫽|rimis sacre pagine professorum expositionibus. Nürnberg: Peter Wagner, 1495. GW 11514. Literatur. F. Wagner / G. Schuster, Die lat. Grammatik v. J. G. aus Rothenburg ob d. Tauber, Mitt. d. Ges. f. dt. Erziehungs- u. Schulgesch. 15 (1905) 23⫺31; I. Hubay, Incunabula d. SuStB Augsburg, 1974, S. XVI u. 56; K. Borchardt, Die geistl. Institutionen in d. Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber [...] (Veröff. d. Ges. f. fränk. Gesch., Reihe IX, Bd. 37, 1⫺2), 1988, S. 605, 628, 649, 670, 1239; H. Puff, ‘Von dem schlüssel aller Künsten/ nemblich der Grammatica’. Deutsch im lat. Grammatikunterricht 1480⫺1560, 1995, S. 172, 195 f., 202, u. ö.
F. J. Worstbrock
Grieninger (Gren-, Gron-, Grun-, -iger), Heinrich I . L eb en . Am 10. Juni 1496 bot der Rat der Stadt Nürnberg G., der damals in München als Lehrer tätig war, das mit einem Jahressold von 100 fl. gut ausgestattete Lehramt an der neugegründeten ‘Poetenschule’ an. Die neue Institution, die nach einem vergeblichen früheren Versuch neben den vier anderen Lateinschulen vor allem auf Betreiben Joh. D Pirckheimers geschaffen worden war, sollte nach Programm und Methode modern, humanistisch ausgerichtet sein. Bei der Suche nach einem geeigneten poeta (philosophus) war auch Jacobus J Barinus aus Leipzig im Gespräch, doch hatte G. Pirckheimers Protektion und unterschrieb Ende Aug. 1496 den Vertrag (Nürnberg, Staatsarchiv, Rep. 61a, Nr. 9, Bl. 41v, 73v, 217v). Urkundliche Zeugnisse, die über G.s Herkunft und Bildungsweg unterrichten, fehlen ganz. Er bezeichnete sich selber als
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Grieninger, Heinrich
bonarum arcium doctor (⫽ Magister). J Celtis’ Mitteilung in der ‘Norimberga’ (2. Red., 1502) zufolge hatte er seine Bildung in Rhomanis litteris in Italien erhalten. Nach der Aufschrift der ihm gewidmeten Elegie des Georg J Sibutus in dessen ‘Ars memorativa’ (1505) war der stipendiatus Norimbergensium Poeta auch Priester und sogar legum doctor. Aus den wenigen Quellen, die über G.s Praxis an der Poetenschule Auskunft geben, wird er nur als Grammatiker kenntlich, dem neben der lat. Sprachlehre auch die Lektüre und Erklärung antiker Autoren oblag. Celtis bat er 1497 um die Rückgabe eines lat. Musteralphabets und gleichzeitig um die Übersendung griech. und hebr. Alphabete, um sie kopieren zu können; es ging ihm um Einübung einer reformierten lat. Schrift und um Einweisung in die Elemente der anderen alten Sprachen. Der Leiter der Poetenschule hatte sich schon bald gegen Angriffe der Dominikaner zu wehren, die in St. Sebald und St. Lorenz von der Kanzel herab gegen die neue Schule Front machten. Sie nannten die ars humanitatis nutzlos und verwerflich, die antiken Dichter verderbter als alle Ketzer, den Unterricht in der poetica eine Vergiftung der Jugend. Als eine briefliche Beschwerde G.s gegen die entstellenden Attacken beim Dominikanerprior und auch eine Intervention des Rates nicht fruchteten, replizierte er mit deutlichen Briefen an zwei der Prediger selbst (s. u. II.2.). Trotz wiederholten Einschreitens des Nürnberger Rates kam der Streit auch in den folgenden Jahren nicht zur Ruhe; dies entnimmt man deutlich G.s Epigramm zu Celtis’ Hrotsvit-Ausgabe (Celtis-Br., S. 469) und der öffentlichen Unterstützung, die G. gegen die Angriffe der Mönche noch 1505 durch Sibutus erhielt (‘De divi Maximiliani Caesaris adventu in Coloniam deque gestis suis panegyricus’, Köln 1505, Bl. C ijv: Ad Heinricum Grunigerum poetam Norimbergensem [6 Dist.]; Bl. C iijr⫺v: Hecatostichon an W. Pirckheimer, vv. 44⫺47 [Pirckheimer-Br., Bd. 1, S. 237]). Reibereien gab es überdies mit anderen Nürnberger Schulen. 1505/06 resignierte G., verließ Nürnberg ⫺ Reicke (Pirckheimer-Br., Bd.
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1, S. 241 f.) gibt zu erwägen, daß vielmehr der Ausbruch der Pest G.s zeitweiligen Abschied von Nürnberg veranlaßt haben könnte ⫺ und wurde Sekretär des Würzburger Bischofs; als solchen erwähnt ihn J Trithemius brieflich am 20. Aug. 1507 (Epist. fam. II 48, in: Opera, ed. M. Freher, Frankfurt a. M. 1601, Bd. 1, S. 559). Zwar konnte man G. zur Rückkehr bewegen, mit der Aussicht auf eine bescheidene Pfründe beim Kloster St. Clara, die er durch Vermittlung Willibald J Pirckheimers zu Pfingsten 1509 auch antrat. Er erhielt sie nun aber als Gotslohn, hatte keine Lehrverpflichtung mehr, und damit fand auch die Poetenschule ihr Ende. G. starb in Nürnberg bereits zwei Jahre später am 11. Mai 1511. I I. Sc hr if te n. 1. Grammatik. Für seinen Lateinunterricht verfaßte G. ein bescheidenes Lehrbuch, das die Formenlehre der Nomina und der Verben behandelt. Es ist einer der humanistischen Versuche, durch eine vereinfachte und überschaubar geordnete Darstellung der lat. Grammatik das bisher herrschende ‘Doctrinale’ des D Alexander de Villa Dei [NB] und seine überfrachteten Kommentare abzulösen. G. operiert, wie sich versteht, mit Belegen aus antiken Autoren, nur ausnahmsweise, bei der Erklärung der Bedeutung der Casus (Bl. [a7]r⫺v), mit dt. Sprachhilfen. Drucke. Epithome de generibus nominum de| clinationeque ipsorum De preteritis | item et supinis verborum. [Nürnberg: Kaspar Hochfeder, um 1496/98]. GW 11518. Der titelgleiche zweite Druck (Nürnberg: Hier. Höltzel, 1500. GW 11519) ist um einen Abschnitt über Verba defectiva und andere verbale Sondergruppen ergänzt und um das drastische Carmen ‘De moribus puerorum’ des Joh. Sulpitius als Anhang erweitert. NDe: Nürnberg 1502 u. Augsburg 1517 (VD 16, G 3329 u. 3330).
2. Invektiven gegen Nürnberger Dominikaner. Die erste briefliche Zurechtweisung, die G. einem der gegen die Poetenschule agitierenden Prediger zukommen ließ (Clm 428, 234r⫺236v; Abdruck von Ruland,
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Grünpeck, Joseph
Serapeum 16 [1855] 168⫺170), ist in der Hauptsache eine Apologie der Studia humanitatis. G. bestreitet sie mit Autoritäten, biblischen und patristischen Stimmen, aber auch mit Lorenzo Valla und einem Exzerpt aus ⫺ ohne ihn zu nennen ⫺ Pier P. Vergerios Hieronymus-Predigt (PL 22, Sp. 251⫺256); sie gibt ihm den Maßstab: auf die Verbindung von hieronymianischer sanctitas und eloquentia kommt es an, verderblich ist nur die ausschließliche Hingabe an die weltliche Bildung auf Kosten der Bibel (vgl. Hamm). Das zweite, weit heftigere Stück, adressiert an den Dominikaner Johannes Gallus, ist ein empörter Protest gegen Ignoranz und Verleumdung, der sich um Belehrung in der Sache kaum mehr bemüht (Clm 953, 60r⫺63v; Abdruck bei Bauch, S. 61−64). Literatur. G. A. Will, Nürnbergisches Gelehrten⫽Lexicon, Bd. 1, Nürnberg/Altdorf 1755, S. 573 f.; A. Reimann, Pirckheimer-Studien, Diss. Berlin 1900, Teildruck, S. 27⫺46: Exkurs II: H. G. u. d. Nürnberger Poetenschule; G. Bauch, Die Nürnberger Poetenschule 1496⫺1509, MVGN 14 (1901) 1⫺64, hier S. 11⫺28, 36, 39⫺43, 61⫺64; A. Werminghoff, Conrad Celtis u. sein Buch über Nürnberg, 1921, S. 46 f. u. 180 f.; Celtis-Br., Nr. 129, 165 u. 268; Pirckheimer-Br., Bd. 1, Nr. 69bis, S. 236 f., 241 f., 284; B. Hamm, Hieronymus-Begeisterung u. Augustinismus vor d. Reformation, in: K. Hagen (Hg.), Augustine, the Harvest, and Theology (1300⫺1600), Leiden u. a. 1990, S. 127⫺ 235, hier S. 167⫺170; M. Schieber, Wissenspolitik. Die Tätigkeit d. Nürnberger Rates für d. Entwicklung von Unterricht u. Forschung, Pirckheimer Jb. 14 (1999) 36⫺47.
F. J. Worstbrock
Grünpeck (-beckius, -peckh; Grien-, Grun-), Joseph I . L eb en . Quellen der Biographie. Neben universitären Quellen, eigenen Schriften und verstreut überlieferten Briefen geben v. a. Akten des Steyrer Stadtarchivs (s. Czerny) und Urkunden des Reichsfinanzarchivs (jetzt Wien, Staatsarchiv; Regesten im Jb. d. kunsthist. Slg.en d. allerhöchsten Ks.hauses [⫽ Jb.] 1 [1883] u. 3 [1885]) über G.s Leben Auskunft.
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G. stammte nach eigener Angabe aus Burghausen a. d. Salzach, als Geburtsdatum nennt Nikolaus Prugner († 1557) in einer Nativität (BAV, Pal. lat. 1423, S. 192) den 23. Juli 1473 (Hinweis F. Fuchs, Würzburg). G. immatrikulierte sich am 7. Mai 1487 an der Univ. Ingolstadt, erwarb im Dez. 1488 den Grad des Baccalaureus und im Jan. 1491 den des Magister artium und lehrte als Magister in der Adlerburse (Schˆner). In Ingolstadt trat G. in Kontakt zu Sixtus Tucher (ein undatierter Brief Tuchers an G. bei Czerny, S. 358 f.) und ⫺ wohl bereits 1491/92 ⫺ zu Konrad J Celtis, mit dem der erhaltene briefliche Kontakt allerdings erst 1496 einsetzt (Celtis-Br., Nr. 137 u. 331). Im SS 1494 ist G. als Ingolstädter Magister an der Univ. Krakau immatrikuliert. Die Dauer seines Aufenthalts ist unbekannt. Im zweiten SyphilisTraktat (II.B.2.) berichtet G. von einer Reise nach Italien, u. a. nach Rom und Nord- bzw. Mittelitalien (Etruria), wo er den von der Syphilis geplagten Heeren Kg. Karls VIII. von Frankreich und Kg. Maximilians I. begegnete. Seit Oefele (S. 56) wird diese Reise ins Jahr 1495 gesetzt. Da G. jedoch angibt, erst nach Italien auch Ungarn und Polen bereist zu haben (‘Libellus de mentulagra’, [a8]v), ist die Datierung der Reise fraglich.
Wieder in Ingolstadt, warb G. am 10. Juli 1496 brieflich beim Kanzler Hzg. Georgs von Bayern-Landshut um Unterstützung seines Plans einer bayerischen Geschichte (als Teil einer Germania [...] illustrata; s. Czerny, S. 355⫺357, hier S. 356). Allein durch G., zuerst in seiner Ausgabe der Paradoxa ciceronis (Ingolstadt: G. Wirffel u. M. Ayrer, 26. Sept. 1496. GW 7017. Verse ad lectorem), dann in der Widmung des ‘Tractatus de pestilentiali scorra’ an Graf Bernhard von Waldkirch (s. II.B.1.), hört man bereits im Herbst 1496 von einer sodalitas litteraria Danubiana, die somit eine Ingolstädter Gründung ist, zu deren ersten Mitgliedern G. zählte. Im Okt. 1496 (s. II.B.1.) hielt sich G. bereits in Augsburg auf; er unterrichtete dort Patriziersöhne (belegt 1497). Sein besonderer Gönner war Bernhard von Waldkirch, mit dem er einen gemeinsamen Brief an Celtis (29. Okt. 1496; Celtis-Br., Nr. 137) richtete und dem er zwei Schrif-
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ten widmete (II.B.1. u. A.2.). 1497 führte G. in Augsburg mit Schülern seine beiden ‘Comoediae utilissimae’ (II.A.2.) auf, die zweite in Anwesenheit des Königs. Maximilian nahm ihn bald darauf als Amanuensis der Kanzlei (Beihender, Secretarius) und Hofkaplan in seine Dienste; am 20. Aug. 1498 ließ er ihn während des Freiburger Reichstags in der Universität zum Poeta laureatus krönen. Für 1499 und kontinuierlich 1500/01 ist G. im Gefolge Maximilians belegt (Jb. 6 [1888] 443; Jb. 3 [1885] CLXXVII [Reg.]); ihm oblagen Niederschrift und Redaktion der Diktate für die sog. ‘Lateinische Autobiographie’. G. zeichnete auch als ksl. Historicus und Astronomus (s. Czerny, S. 361). Von 1500⫺1510 besaß G., der sich im Titel der ‘Neuen Auslegung’ (1507; s. II.C.4.) erstmals als Priester bezeichnet, die Anwartschaft auf eine Kanonikerpfründe in Altötting. Von anderen, so 1507 von Hartmann J Schedel, wird G. als doctor bezeichnet (s. u. II.D.3.); er selbst nennt sich erst seit 1518 so, doch ist der Erwerb eines entsprechenden akademischen Grades nicht belegt. Die Phase größter Nähe zu Maximilian, in der er sich in Verkennung der politischen Realität nach dem Augsburger Reichstag (1500) an Erzkanzler Berthold von Henneberg, Eb. von Mainz, wandte (s. Czerny, S. 45) und am 1. März 1501 an der Aufführung von Celtis’ ‘Ludus Dianae’ mitwirkte, endete bereits 1501, als er an der Syphilis erkrankte und dem Hofstaat nicht mehr folgen konnte (s. II.B.2.). G. verließ den Hof vor dem 7. Juni (Jb. 3 [1885], Nr. 2479), hielt sich im Dez. 1501 in Linz auf (s. II.C.3.) und beschrieb, als er sich geheilt glaubte, 1503 in Burghausen Verlauf und Behandlung der Krankheit (II.B.2.). Eine Bindung an den Hof blieb bis zum Tode Maximilians bestehen, wiewohl eine dauerhafte Rückkehr in Maximilians Umgebung nicht gelang. Am 22. März 1506 erhielten Konrad J Peutinger und G. in Wiener Neustadt 500 fl. für die Planung und Ausführung von Maximilians Grabmal (Jb. 3 [1885], Nr. 2592), noch 1518 bezeichnet Maximilian G. als seinen Kaplan (Czerny, S. 325), und auch Joh. J
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Aventinus, dem G. den Wortlaut einer Sterzinger Inschrift mitteilte, spricht nach 1515 von ihm als ksl. Kaplan, Historiographen und Astrologen (Clm 1202, 116r). Von 1503 an geben die Quellen nur noch spärlich Auskunft über Aufenthalt und Tätigkeit G.s. Ein unstetes Wanderleben als Lehrer und Wundarzt in Süddeutschland und Österreich, mit mehrfachen oder längeren Aufenthalten in Regensburg und Steyr (Oberösterr.) zeichnet sich ab. Am 8. April 1505 gewährte ihm der Regensburger Stadtrat eine jährliche Besoldung von 40 fl. zur Einrichtung einer Poetenschul (Hˆller, S. 122), doch sind die Zahlungen nur für dieses Jahr belegt. Im Okt. 1505 hielt sich G. in München (Celtis-Br., Nr. 331), 1507 in Nürnberg und 1508 wieder in Regensburg (s. II.C.5.) auf. 1514 unternahm er eine Wallfahrt nach Einsiedeln und besuchte Baden (Aargau). 1515 ist er in Landshut, 1518/19 für längere Zeit in Steyr nachweisbar. Am 12. April 1518 überschrieb der Kaiser ihm die Zinsen der dortigen Hofmühle, die er nach einer Überlieferung des 17. Jh.s bereits 1508 bezogen hatte (Czerny, S. 326 Anm. 1), als Leibgeding. Wegen der Nutzungsrechte hatte G. manchen Streit (Briefe u. Akten bei Czerny, S. 361⫺364) und er verzichtete 1524 zugunsten einer Provision darauf (Jb. 3 [1885], Nr. 2800). 1519 war er während der letzten Tage Maximilians in Wels. G.s Bemühungen, Unterstützung bei Karl V. und Erzhzg. Ferdinand zu finden (s. u. II.C.7., 12. u. 13.), hatten bescheidenen Erfolg: Für 1527 sind zwei Aufträge Ferdinands bezeugt (s. u. II.A.11.⫺12.); 1529 erbat G., bedrängt von Gläubigern und krank, von Ferdinand nochmals, nun vergeblich, einen Geldbetrag (Jb. 3 [1855], Nr. 2947). Ebenfalls von 1529 datiert der späteste Beleg in Steyrer Archivalien (J. Ofner, Amtsbl. d. Stadt Steyr, 1970, S. 6; Hinweis R. Locˇicˇnik, Steyr). Die Prognostik für 1532 bis 1540 (s. u. II.C.13.) ist die letzte von ihm erhaltene Spur. Nach älteren Lokalchronisten (s. Czerny, S. 328) starb er in Steyr.
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I I. We rk e. Verzeichnisse von G.s Schriften bieten Fuchs, S. 390⫺392, Czerny, S. 331⫺354, und Russell, 1991, S. 193⫺195 (sehr feh-
lerhaft). Im folgenden sind 23 Schriften aufgeführt, die sich nach Themen und Schaffensphasen vier Gruppen zuweisen lassen: Aus der Lehrtätigkeit in Ingolstadt und Augsburg (bis 1497) erwuchsen die humanistischen Schriften (A.); ebenfalls situationsbedingt entstanden zwei SyphilisTraktate (B.). Während seiner gesamten literarischen Tätigkeit (1496-um 1531) verfaßte G. immer wieder astrologisch- und naturkundlich-prognostische (C.) sowie (ab ca. 1499) historische Schriften (D.). Trotz der Vielzahl der oft schmalen Einzelschriften war G. Gelegenheitsautor, der häufig zur Aufbesserung seines Lebensunterhalts schrieb; gleichwohl verfolgt er in seinen Schriften eigene Anliegen. Die Themen Astrologie und Prodigiendeutung durchziehen auch die historischen und medizinischen Schriften; die Prognostiken (bes. C.9. u. 14.) wiederum enthalten zahlreiche historische und politische Bezüge. Vieles ist sowohl lat. als auch in (zumeist) eigener dt. Übersetzung überliefert. Eine Untersuchung zum Verhältnis der häufig zeitnah gedruckten Selbstübersetzungen zu den Vorlagen steht aus. A . H um an is ti sc he We rk e. 1. Kompendium von Lorenzo Vallas ‘Elegantiae’. Das Valla-compendium, das G. 1495 in Ingolstadt als Instrument humanistischer Erneuerung des Lateins in Deutschland zusammenstellte und im akademischen Unterricht vortrug, sucht aus dem großen Material der ‘Elegantiae’ ausdrücklich jene praecepta der Latinität zu exzerpieren, die den Deutschen die fremdesten seien. Von den insgesamt 61 Kapiteln entfallen 30 auf das Nomen; die übrigen Wortarten sind zunehmend schwächer bedacht. Ergänzend zog G. auch Agostino Datis ‘Elegantiolae’ und Franciscus Nigers ‘Triginta regulae elegantiarum’ heran. Zahlreiche leere Seiten der Hs. sind Indiz, daß das Kompendium unvollendet blieb. Es ist gleichwohl das bis dahin einläßlichste Zeugnis der Re-
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zeption des latinissimus Valla in Deutschland. Die programmatische Widmungsvorrede an die Hörer greift zunächst Vallas Proömium zum 1. Buch der ‘Elegantiae’ (Weltgeltung der Sprache Roms) auf und diagnostiziert danach die Bildungssituation in Deutschland, vornehmlich in dem als besonders ‘barbarisch’ geltenden Bayern. Thema des Proömiums ist die translatio der Sprachkunst von Griechenland nach Rom. Überlieferung. Clm 18998, 156r⫺213v, mit gelegentlichen dt. Noten (170r, 174v, 175v, 176r, 181v u. a.).
2. ‘Comoediae utilissimae’. Zwei einaktige szenische Dialoge mit Prologen und Argumenta, die G. seinem Freund Bernhard von Waldkirch widmete (o. D.). Da G. sie mit seinen Schülern aufführte, sind sie zu den Frühformen der lat. Schulkomödie zu rechnen. Die Comoedia prima wurde anläßlich der Hochzeit des Augsburger Bürgers Georg Salemon am 23. Juli 1497 aufgeführt. Das handlungslose Stück ist ein Streitgesprüch zwischen einer Nonne und einer Alten (anus), die den Lebenswandel der Jugend beklagen und Gottes Strafe ankündigen, auf der einen und zwei puellae, darunter Simpulatrix, und sechs übermütigen pueri, die das Recht der Jugend auf ungezügeltes Vergnügen verteidigen und die Alte derb verspotten, auf der anderen Seite. Allein Simpulatrix erkennt, daß es falsch ist, den Rat der Alten zu verschmähen, erntet dafür aber nur Spott. Ohne eine Lösung des Konflikts endet das Gespräch mit dem Ruf zur Hochzeit. Das zweite Stück, einen allegorischen Dialog zwischen Virtus und Fallacicaptrix, führten G. und seine Schüler am 26. Nov. 1497 vor Kg. Maximilian auf. Virtus ist der Lebensraum genommen, da Fallacicaptrix fast alle Regionen der Welt beherrscht. Schließlich findet Virtus Zuflucht in Augsburg bei Maximilian und erfleht dessen Schutz. Nach Plädoyers und einem direkten Streitgespräch der beiden Parteien, die auch um die Gunst der anwesenden Jugendlichen werben, spricht Maximilian Virtus die Herrschaft zu; Fallacicaptrix flieht. Das Stück basiert auf der Fabel des Prodikos von Herkules am Scheideweg, die G. ⫺ wohl angeregt durch das Fastnachtspiel ⫺ zur Gerichtsszene umgestaltet und statt Herkules den König vor die Entscheidung zwischen Tugend und Wollust stellt (Wuttke, 1964).
G. will mit den ‘Comoediae’ gutes Latein lehren, den schlechten Lebenswandel vieler kritisieren und zur Besserung aufru-
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fen. Beide Stücke zeigen Einfluß des Fastnachtspiels, das zweite nimmt Elemente des allegorischen Lob- und Festspiels auf. Druck. Comoedie vtilissime. omnem | latini sermonis elegantiam continentes e quibus | quisque optimus latinus euadere potest. Hg. v. Joh. Langenmantel u. Ludwig Hoser. [Augsburg: Joh. Froschauer, 1497/98]. GW 11566.
B . S yp hi li s- Tr ak ta te . 1. ‘Tractatus de pestilentiali scorra’. Den ‘Tractatus’, eine der frühesten Syphilisschriften, widmete G. in lat. Fassung am 18. Okt. 1496 in Augsburg Bernhard von Waldkirch, die dt. Übersetzung am 11. Nov. 1496 den Bürgermeistern und dem Rat der Stadt Augsburg. Der Traktat bezeichnet sich als Kommentar zu J Brants ‘Carmen de pestilentiali scorra’, das beiden Versionen beigegeben ist, konzentriert sich aber auf einen Aspekt desselben, die astrologische Herleitung der Krankheit. In zehn Kapiteln gibt G. nach Erwägungen zu natürlichen und übernatürlichen Ursachen von Katastrophen einen Überblick über die Geschichte der Konstellationen Jupiters und Saturns, deren letzte große (von 1484) die Ursache der Epidemie sei. Das letzte Kapitel gibt allgemeine Rezepte und Diätvorschläge gegen die Krankheit. Die dt. Version enthält Brants ‘Carmen’ in G.s Prosaübertragung, einer “Mischung aus Übersetzung, Paraphrase und freier Umgestaltung” (Reuchlin-Br., Bd. 1, S. 271). Die Reihenfolge einiger Kapitel ist umgestellt, zwei Abschnitte mit theol. Thematik sind zugunsten solcher über die Anordnung der Planeten und über vorbeugende Körperhygiene fortgelassen. Drucke. Tractatus de pestilentiali scorra sive mala | de Franzos. [...] com⫽|pilatus [...] super Carmina quaedam Seba|stiani Brandtt [...]. [Augsburg: Joh. Schaur, 1496]. GW 11569. Faksimile: Sudhoff, 1924, S. 25⫺59. Ein ND: [Nürnberg: Kaspar Hochfeder, 1496/97]. GW 11570. Weitere Drucke, am Ende vermehrt um eine Querimonia mentagrici (5 Dist.): [Leipzig: Gregor Böttiger, nach 1496]; Magdeburg: Moritz Brandis, 1498; [Köln: Corn. v. Zierickzee, um 1500]. GW 11571⫺ 11573. ⫺ Ein hübscher tractat von dem vrsprung | e des Bosen Franzos [...]. Augsburg: Joh. Schaur, 17. Dez. 1496. GW 11574. Faksimile: Sudhoff, 1924, S. 71⫺112. Abschrift d. Chrysogonus Krapf (Ex-
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zerpte) im Cgm 731, Tegernsee 1497, 219r⫺222r. Ein ND: [Nürnberg: Kaspar Hochfeder, Dez. 1496/Jan. 1497]. GW 11575. Ausgaben. Ch. G. Gruner, Jena 1787 (lat., nach GW 11571); Fuchs, S. 1⫺24 (lat.) u. 25⫺48 (dt.).
2. ‘De mentulagra alias morbo Gallico’. G.s zweiter Syphilis-Traktat (beendet am 5. Mai 1503 in Burghausen) steht unter dem Eindruck der eigenen Erkrankung und beschreibt Infektionen und Verlauf, fehlgeschlagene Kuren und zuletzt die offenbar erfolgreiche Therapie. Seinetwegen gilt G. als der “bedeutendste unter allen [...] Laienschriftstellern über Syphilis” (Proksch, S. 10). Die Schrift, die laut Prooemium der exacta et accurata exploratio (iijr) der Krankheit dienen soll, ist in der Selbstdiagnose und der Darstellung der körperlichen und sozialen Folgen der Syphilis vergleichbar nur mit J Huttens ‘De Guaiaci medicina et morbo Gallico’. Der ungegliederte Libellus [...] de mentulagra schildert nach einer Visionsszene, in der Erlebnisse der Italienreise verarbeitet sind, detailliert die Symptome sowie die vergebliche Konsultation von gelehrten und Wundärzten. G. erkennt die sexuelle Übertragung der Krankheit ⫺ daher die Bezeichnung mentulagra in Analogie zu Podagra ⫺ und unterscheidet Primär- und Sekundärinfektion. Den Hautausschlag behandelte G. mit der üblichen Quecksilbersalbe; den Heilerfolg schreibt er jedoch einer in Burghausen durchgeführten Kur aus einem Saft, einem Sirup und abführenden Pillen zu. Vgl. Proksch, S. 13⫺15. Ein Empfehlungsschreiben des Mailänder Humanisten Luigi Marliano († 1521), des späteren Leibarztes Karls V., an den Autor sowie Empfehlungen des Christian J Umhauser (prosaisch) und Georgius Gaddius (poetisch, mit dem Zusatz, er habe sich erweichen lassen) sprechen gegen Oefeles Vermutung (S. 57), daß erst G.s offene Schrift über die eigene Erkrankung seine Rückkehr an den Hof endgültig unmöglich machte. Druck. Libellus Iosephi Grunpeckii | de Mentulagra alias morbo gallico | [...]. [Memmingen: Albert Kunne, 1503-06]. VD 16, G 3630. Ausgabe. Fuchs, S. 49⫺70.
C . A st ro lo gi sc he un d n at ur ku nd l ic he Pr og no st ik . Von den erhaltenen 15 astrologischbzw. naturkundlich-prognostischen Schrif-
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ten sind neun nur dt., zwei nur lat. und vier lat. und dt. überliefert. Fünf Schriften wurden als illustrierte Flugschrift gedruckt; auch von den fünf nur hsl. überlieferten Stücken sind vier mit Illustrationen versehen. G. lehnt sich ⫺ anfangs durch Plagiate (C.1. u. 2.) ⫺ eng an Schriften Johann D Lichtenbergers und Sebastian J Brants an, folgt ihnen auch im Versuch, sich zugleich als lat. und dt. Autor zu etablieren. Er verbindet die Deutung astrologischer und natürlicher Phänomene mit der Aktualisierung biblischer Prophezeiungen. Die Schriften unterstützen die Reichsreformpläne Maximilians, nach dessen Tod steht weiterhin die Einheit des Reichs und die Abwehr der Türkengefahr im Mittelpunkt der zunehmend skeptisch gestimmten Äußerungen. 1. ‘Prognosticon de coniunctione Saturni et Iovis’ (lat. u. dt.). Die Schrift erläutert in 10 Kapiteln die astrologische Bedeutung der großen Konstellation Jupiters und Saturns vom 25. Nov. 1484; u. a. nimmt G. erstmals zur Kontroverse über die für 1524 angeblich zu erwartende Sintflut Stellung (Jakob D Pflaum u. Johannes Stöffler, ‘Ephemerides’, 1499). Fast die gesamte Schrift ist wörtlich aus Lichtenbergers lat. ‘Pronosticatio’ gezogen (Talkenberger, S. 112 f.). G. bringt zusätzlich die Antichrist-Legende. Am Ende Addiciones aus den astronomischen Iudicia des Wiener Magisters Christian Molitoris von Klagenfurt. Drucke. Prognosticon siue | (vt alij volunt) Iudicium Ex coniunctione | Saturni et Iovis Decennalique reuo⫽|lutione Saturni Ortu et fine antichristi [...]. Wien: Joh. Winterburg, 1496. GW 11567. Mit Widmungsbrief an B. Christoph Schachner von Passau (o. D.). ⫺ Fragmentarisch (2 Bll.) erhaltener Druck einer dt. Übers.: [Wien: Joh. Winterburg, um 1496]. GW 11568.
2. Prognostik für Johann Langenmantel. Auch die dt. Prognostik für den Augsburger Bürgermeister Johann IX. Langenmantel († 1501) ist zu weiten Teilen wörtlich von Lichtenberger, aus dessen dt. ‘Pronosticatio’, übernommen (Kurze, S. 48). G. verweist abschließend auf sein offenbar vorausgehendes lat. judicium (II.C.1.).
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Überlieferung. Cgm 3042, Augsburg, um 1496. Widmungsbild (1v); Abb. bei Benesch/Auer, S. 15.
3. ‘Prodigiorum, portentorum, ostentorum et monstrorum interpretatio’. Die dem kgl. Sekretär Blasius Hoelzel brieflich (Linz, 25. Dez. 1501; zur Datierung s. Ausg., S. 54) gewidmete Schrift beschreibt in zwölf Kapiteln, ausgehend vom Meteoriten von Ensisheim (J Brant, II.B.2.), über den G. sich oft mit Hoelzel unterhalten habe, antike und rezente Wunderzeichen, versucht eine Einteilung derselben und erklärt ihre Ursachen vor dem Hintergrund der aristotelischen Naturphilosophie und der Theologie. Überlieferung. Innsbruck, UB, Cod. 314, Autograph. Neun ganzseitige Federzeichnungen, darunter ein Widmungsbild (Wilflingseder, Abb. 41⫺51). Wilflingseders Zuschreibung an Marx Reichlich fand keine Zustimmung (vgl. W. Neuhauser, in: 1000 Jahre Oberösterr., Bd. 2, 1983, S. 202⫺204). Ausgabe. P. Kennel, ‘Prodigiorum interpretatio’. Ed. d. Hs. 314 d. UB Innsbruck, Dipl.-Arb. Innsbruck 2001.
4. ‘Neue Auslegung der seltsamen Wunderzeichen’. Kurz nach dem Reichstag zu Konstanz (April⫺Juli 1507) entstandener offener Brief an die Reichs- und Kurfürsten, in dem G. diese zur Einheit und zur Unterstützung der Pläne Maximilians zum Romund Kreuzzug sowie des Anspruchs des Königs, Haupt der Christenheit zu sein, aufruft. Er zählt jüngste Naturerscheinungen auf und deutet sie als Vorzeichen eines nahen Unglücks, das dem Reich und der deutschen Nation drohe, sollten die Fürsten in die gewohnte Uneinigkeit verfallen. G.s Anwesenheit auf dem Reichstag, die die Forschung durchweg annimmt, ist in der Schrift, die sich im Titel beider Drucke an die Fürsten, so auff dem reichs tag zu Costnitz versamlet sein gewesen, richtet, nicht vorausgesetzt. Drucke. Ein newe außlegung. Der Seltzamen | e wundertzaichen vnd wunderpurden/ so ain zeyther im reich als vor|poten des Allmechtigen gottes/ auffmannende affrustig zeseinn wi|der die feind christi vnd des heiligen reichs erschinen sein [...]. [Nürnberg: Friedr. Peypus, 1507]. VD 16, G 3632
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mit Bd. 25, S. 259. Ein ND: [Augsburg: Erh. Oeglin, 1507]. VD 16, G 1631 mit Bd. 25, S. 11. Druckabschrift (Exzerpt) im Cgm 817, Tegernsee, 234v.
5. ‘Speculum naturalis, coelestis et propheticae visionis’ (lat. u. dt.). Die Erstdrucke von G.s prognostischer Hauptschrift in lat. und dt. Fassung wurden fast gleichzeitig, am 26. und 27. Okt. 1508, beendet. Das lat. ‘Speculum’ widmete G. in zwei Briefen dem Kardinallegaten Bernardino Lo´pez de Carvajal (Regensburg, 11. Aug. 1508) und den geistlichen Reichsständen (o. D.), der dt. ‘Spiegel’ enthält nur den zweiten Brief, nun an alle Reichsstände gerichtet. G. appelliert in den Widmungsbriefen in biblischen Bildern an die Verantwortung der Regierenden für das Gemeinwohl und mahnt die Adressaten in ernsten Worten zur Umkehr. Das ‘Speculum’ greift im zentralen Bild der nauicula Petri in Seenot ein Motiv aus Lichtenbergers ‘Pronosticatio’ auf (Kurze, S. 48); ihn würdigt G. in dieser Schrift erstmals als Vorläufer (Kap. 3). RobinsonHammersteins Einschätzung des ‘Speculum’ als einer bloßen vereinfachenden “adaptation” (S. 133) der ‘Pronosticatio’ wurde jedoch von Talkenberger korrigiert. In 12 Kapiteln deutet G. Prodigien (Kap. 1⫺4), die z. T. bereits in der ‘Neuen Auslegung’ angeführt waren, Astrologisches, v. a. Planetenkonstellationen (Kap. 5), sowie Gleichnisse und Prophetenworte aus dem AT (Is 5,1⫺7; Ez 8,1⫺18; 23,1⫺ 21 u. 16,1⫺4) (Kap. 6⫺11). Nur in der lat. Fassung finden sich am Schluß sieben Artikel, die das Verhältnis der Allmacht Gottes zu Astrologie und Vorzeichendeutung bestimmen. Die Zeichen belegen die Notwendigkeit einer reformatio ([c5]r) des scharf kritisierten Lebenswandels der gesamten Christenheit, bes. des geistlichen Standes. Die in den übrigen Prognostiken enthaltenen Bezüge zur politischen Reichsreform treten gegenüber dem Aufruf zur individuellen Umkehr zurück. Vgl. Talkenberger, S. 110⫺145. Die Erstdrucke der lat. und der dt. Fassung wurden mit 13 Holzschnitten eines anonymen Meisters, der von Teilen der Forschung mit Hans Süß von Kulmbach bzw. Wolf Traut identifiziert wird,
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ausgestattet. Die Holzschnitte basieren auf einem zwar vom Text ausgehenden, diesen aber mit neuen Akzenten versehenden Bildprogramm. Vgl. Talkenberger, S. 126⫺142. Das ‘Speculum’ wurde in verschiedenen anonymen Prognostiken d. J. 1516⫺1525 ausgeschrieben, die dt. Version viermal nachgedruckt; Matthias Flacius nahm die Schrift in den ‘Catalogus testium veritatis’ (Basel 1556, S. 1011⫺1013) auf, und sie gelangte auf den Tridentiner ‘Index librorum prohibitorum’. Drucke. Speculum naturalis coelestis & propheticae visio⫽|nis: omnium calamitatum tribulationum & an|xietatum: quae super omnes status: stir⫽|pes & nationes christianae reipu⫽|blice: [...] ven⫽|ture sunt. Nürnberg: Georg Stuchs, 26. Okt. 1508. VD 16, G 3641. ⫺ Ein Spiegel der naturlichen, himlischen | vnd prophetischen Sehune gen aller trubsalen/ angst/ vnd not/ | [...]. Nürnberg: Georg Stuchs, 27. Okt. 1508. VD 16, G 3642. Vier weitere Drucke: Augsburg: Joh. Schönsperger, [um 1510]. VD 16, G 3643; Leipzig: Wolfg. Stökkel, 1522. VD 16, G. 3645. Faksimile: Nürnberg 1979; Ain nützliche Betrachtung | der Natürlichen, hymlischen/ | vnd prophetischen ansehune gen aller trubsalen/ [...]. Augsburg: Joh. Schönsperger, 1522. VD 16, G 3644. ⫺ Eine bearbeitete Fassung der Kap. 1⫺11 druckte Jak. Cammerlander in Straßburg u. d. T. Practica der gegenwer/| e tigen grossen Trubsaln und vilfaltiger/ | Wunder [...] ([um 1540]; VD 16, G 3633).
6. ‘Ad Philippum et Iohannem Frisingensis et Ratisponensis episcopos exhortatio’. Sendschreiben an die Brüder und Pfalzgrafen Philipp, Bischof von Freising, und Johann, Administrator von Regensburg, (Landshut, 27. Jan. 1515) über eine ‘Wundergeburt’ von zwei zusammengewachsen Mädchen, die G. 1514 am Bodensee gesehen haben will. G. deutet die siamesischen Zwillinge als Zeichen der Uneinigkeit im Reich. Das weibliche Geschlecht verweist auf die effoeminatio (a ijr) der Deutschen, denen eine Frauen- oder Volksherrschaft droht. Den zwei Köpfen und dem einen Körper der Zwillinge vergleicht G. ⫺ vermittelt über den zweiköpfigen Reichsadler ⫺ das Reich, das Deutsche und Italiener zugleich regieren wollen. Er appelliert an die Bischöfe, in ihrem Machtbereich auf Verbesserung des Lebenswandels, bes. des Klerus, zu dringen. Vgl. Ewinkel; Talkenberger, S. 113 f.
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Grünpeck, Joseph
Druck. Ad reuerendissimos | et illustrissimos principes et dominos | dominos Philippum & Ioannem Frisingensis et Ratisponensis ecclesi/| arum Episcopos. [...]. Salubris | exhortatio [...]. [Landshut: Joh. Weißenburger, 1515]. VD 16, G 3626.
7. ‘Dialogus epistolaris’ (lat. u. dt.). Fiktiver Briefwechsel zweier muslimischer Gelehrter. G. beklagt im Widmungsbrief an Karl V. (o. D.) das unglückliche Ende des seculum [...] Maximilianeum (A ijr) sowie das Auftreten falscher Prediger und Ausleger der Schrift. In je sieben Briefen diskutieren Johannes Arabs, Hofastronom des türkischen Sultans, und Petrus Alkeyrus (von Kairo), Hofrat des 1517 von den Türken besiegten Sultans von Ägypten und konvertierter Christ, der seinen Abfall bereut, über die Gründe des Siegeszugs des osmanischen Heeres, die im moralischen Verfall der Christenheit zu suchen sind, und über das Verhältnis von Christentum und Islam. Die für 1524 erwartete unheilvolle Konstellation wird erst am Ende zum Thema und steht ⫺ in der maßgeblichen Sicht des Petrus ⫺ ganz im Dienst des göttlichen Strafgerichts über die Christenheit. Sie deutet nun auf die drohende Herrschaft der Muslime über die Christen voraus. Die vom Reformationsdialog inspirierte Schrift bringt mit der Fiktion eines kritischen externen Blicks auf die Christenheit, wie ihn auch die D ‘Sultansbriefe’ [NB] bieten, einen neuen Aspekt in G.s Schaffen. Die dt. Version dürfte einer der ältesten Religionsdialoge in dt. Sprache sein. Drucke. Dialogus epistola|ris [...] in quo Arabs | quidam Turcorum imperatoris. Mathema| ticus/ disputat cum Mamulucho quodam/ | de christianorum fide et Turco secta/ | atque inde debellorum et Aquarum ex|undationibus/ [...] et aliis horribilibus pla|gis quo Anno vigesimo quarto [...] venturi sunt | [...]. Landshut: Joh. Weißenburger, [1522]. VD 16, G 3628. ⫺ Ein Dyalogus [...] | [...] do des Türkischen Kay⫽|ser Astronimus Disputiert mit | des Egiptischen Soldans obristen | radte/ ainem verlaugneten Christen von dem glauben der | Christen vnd von dem glauben des Machu⫽|meten. [...]. Landshut: Joh. Weißenburger, 1522. VD 16, G 3627.
8. ‘Beschluß über die künftigen Zusammenfügung der Planeten im Fisch’. G. appelliert unter Verweis auf die für 1524 zu erwartende große Konstellation an
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Kg. Ludwig von Ungarn und seine Gemahlin Maria, die Abwehrmaßnahmen gegen die Türken zu voranzutreiben; vgl. C. Gˆllner, Turcica, Bd. 1: Die europäischen Türkendrucke d. 16. Jh.s I, Bukarest/Berlin 1961, S. 110. Druck. Doctor Joseph Gruenpeck von | Burckhausen entlicher beschluß/ vber die kunfftie gen | zu˚samenfugung der planeten jm Visch/ Warnung ge⫽|gen die vnfellen/ so darauß jm xxiiij. xxv. xxvj. erwach⫽|sen sollen/ voraus wider die aufrüstung der Türcken. | An Künig Ludwigen/ vnd frawen Marian Küni⫽|gin zu˚ Hungern vnd Beham. o. O. u. Dr., [1523]. Nach VD 16, G 3629 (Ex. Budapest, Nationalbibl., Röpl. 50; non vidi).
9. ‘Iudicium über die Stadt Regensburg’ (‘Geschichte der Stadt Regensburg’). Das dem Reichshauptmann und Stadtkämmerer Thomas Fuchs (o. D.) gewidmete Iudicium vber die stat Regenspurg und die inwoner [...] gemacht Anno [...] 1523 (Titel d. Cgm 1502) verbindet Stadtgeschichte und Prognostik. G. gibt eine geographische Beschreibung und kurze Geschichte der Stadt Regensburg von den römischen Anfängen bis zur Judenaustreibung 1519 und dem Beginn der Wallfahrt zur Schönen Maria unter dem Aspekt astrologischer einfliessungen auf die Ereignisse (Kap. 1⫺6). Er schließt mit einem Ausblick auf die für 1524 erwarteten Unwetter und empfiehlt dem Rat Vorkehrungen dagegen (Kap. 7 u. 8). G. erwartet für Jan./Febr. 1524 starke Regenfälle und Überschwemmungen, gegen die man sich wappnen kann, keineswegs den Weltuntergang. Überlieferung. München, Hauptstaatsarchiv, RL Regensburg 300, Bl. 62r⫺70r, Autograph. Vgl. Stein-Kecks, S. 74 u. 75; Cgm 1502. Der Text erscheint in der Literatur auch als ‘Iudicium für 1511’, nachdem K. Schneider (Die dt. Hss. d. Bayer. SB München. Die mal. Hss. aus Cgm 888⫺ 4000, 1991, S. 187 f.) die Jahreszahl im Titel d. Cgm 1502 als “1511” las, bzw. als Prognostik für 1522 (Russell, 1991, S. 195). Die Zusammengehörigkeit der beiden Hss. wurde bisher nicht gesehen. 10. Sechs Ratschläge zur Vorbereitung auf die für 1524 erwarteten Unwetter, im wesentlichen identisch mit Kap. 7 u. 8 des ‘Iudicium’ für Regensburg, ließ G. u. d. T. Doctor Joseph Gruenpecks war|nunge auff das xxiiij. Jar drucken (o. O. u. Dr., [1523]. VD 16, G 3646). G. widmete die
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Grünpeck, Joseph
Flugschrift im Okt. 1523 dem vonn Starnberg, landtherrn jn Osterreich ([2]r), d. h. wohl dem oberösterr. Feldhauptmann Hanns von Starhemberg.
11. ‘Spiegel der heimlichen natürlichen Offenbarungen’. Prognostik für 1527⫺1532, erstellt 1527 im Auftrag des Rates der Stadt Regensburg, der nach der Niederlage von Moha´cs den Vormarsch der Türken zu fürchten hatte. Widmungsbrief an den Reichshauptmann Hans Fuchs zu Schneeberg (o. D.). G. gewinnt seine Vorhersagen aus einer Himmelsbeobachtung, die er am 27. Jan. 1527 im Auftrag Kg. Ferdinands in Wien durchführte. Die pessimistische Gegenwartsdiagnose gipfelt im Weheruf über die deutsche nacion, die den Anspruch auf den e Rang der aller berumbtisten [...] christlichisten nacionen verloren hat (60r). Sie endet mit einem Appell zur Abkehr von den ketzerischen Bewegungen (der Reformation) an den Rat der Stadt. Vgl. SteinKecks, S. 76⫺80. Überlieferung. München, Hauptstaatsarchiv, RL Regensburg, Nr. 300, 52r⫺60v, Autograph. Eine von Stein-Kecks Albrecht Altdorfer zugeschriebene Illustration (52v: Vision der verschlossenen Himmelspforte). Abb. bei W. Pfeiffer, Anzeiger d. GNM 1969, S. 104; Stein-Kecks, S. 91.
12. Nativität für Erzhzg. Maximilian. Dt. Geburtshoroskop für den am 31. Juli 1527 geb. ältesten Sohn Kg. Ferdinands, den späteren Ks. Maximilian II., in 12 Kapiteln. G. vergleicht ihn mit seinem Großvater Maximilian I.; die Vorbereitung seines Volkes auf die Apokalypse sei nun seine Aufgabe. Kg. Ferdinand bedachte G. im Mai 1528 für das Horoskop mit einem Geldgeschenk (Czerny, S. 327 f.). Überlieferung. ÖNB, Wien, Cod. 8489. Eine ganzseitige, kolorierte Federzeichnung (Widmungsbild).
13. Prognostik für 1532 bis 1540 (lat. u. dt.). G. zieht eine skeptische Bilanz der Wirkung seiner bisherigen Schriften. Nach einem Rückblick auf antike Naturkatastrophen und ihre Vorzeichen führt er jüngste Unwetter und Überschwemmungen (von Okt. u. Dez. 1530) an. Er gibt jährliche
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Prognosen für die apokalyptischen Ereignisse von 1532 bis 1540. Für 1540 erwartet er den Jüngsten Tag. Drucke. Prognosti|cum [...] Ab anno trigesimo secun|do usque ad Annum quadragesimum | Imperatoris Caroli quinti | plaerasque futuras Historias | continentes. Regensburg: Hans Kohl, 1532. VD 16, G 3636. Drei weitere Drucke: o. O. u. Dr., [1532]; Köln: [Joh. v. Aich], 1532. VD 16, G 3634 u. 3635; Pułtusk: Joh. Sandecius, [um 1532]. Markowski, S. 105 f. ⫺ Prognostication Doctor Joseph | Grünpecks/ Vom zwey und dreyssigsten Jar an | bis auff das viertzigst Jar/ [...]. Nürnberg: Kunigunde Hergot, [1532]. VD 16, G 3639. Drei weitere Drucke: [Nürnberg: K. Hergot, 1532]; [Wittenberg: Nickel Schirlentz, 1532] u. [Leipzig: Val. Schumann, 1532]. VD 16, G 3638, 3640 u. ZV 7115. Eine nicht untersuchte Hs. (Druckabschrift?): Wien, ÖNB, Cod. 4756, 161r⫺ 164v. Zinner, Astronom. Lit., Nr. 3866.
14. ‘Buch von der Reformation der Christenheit’. Nur in späten Sammeldrucken ist, gemeinsam mit dt. Prognostiken Lichtenbergers, Johannes Carions u. a., G.s allegorisch verschlüsselte Beschreibung der Herrschaft Maximilians überliefert, die sich als eine zum Zeitpunkt des Todes Friedrichs III. gestellte Vorausschau gibt. Sie stellt Maximilian als siegreichen Fürsten vor der Apokalypse (auch Überwinder, Reformierer der Christenheit) dar und ist, da die Todesvorbereitungen des Kaisers geschildert werden, frühestens um 1519, wahrscheinlich jedoch ⫺ dafür spricht die Verwendung des Reformationsbegriffs in korrigierender Absicht ⫺ deutlich später entstanden. Druck. Das Buch Joseph Grünpecks. Von der Reformation der Christenheyt und der Kirche, in: Propheceien und Weissa|gungen. Künfftige Sae e chen/ Geschicht vnd Zu˚fall [...] | [...] verkundende. [Frankfurt a. M., um 1548], [95]v⫺[98]r. VD 16, P 5065. Weitere Drucke: ebd., 1549 u. [um 1550]. VD 16, P 5066 u. 5068; o. O. 1620 u. 1621. Vgl. Kurze, S. 48 Anm. 287 u. S. 70.
15. Nativität für die Stadt Steyr. Zu unbestimmtem Zeitpunkt stellte G. der Stadt Steyr eine vage dt. Nativität, deren Grundlage die von G. auf den 25. Aug. 980 datierte Stadterhebung ist.
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Grünpeck, Joseph
Druck. F. X. Pritz, Beschreibung u. Gesch. d. Stadt Steyer u. ihrer nächsten Umgebung, Linz 1837, S. 394 f. (nach unbekannter Vorlage).
D . G es ch ic ht ss ch re ib un g. G.s Schriften zur Geschichte, die zu Lebzeiten ungedruckt blieben, bieten ⫺ weitgehend in mal. Tradition ⫺ exemplarische Herrscherdarstellung und Chronistik. Ein Schwergewicht liegt auf charakterisierenden Anekdoten und Aussprüchen sowie Vorzeichen. Ein Interesse an quellengestützter Klärung strittiger Fragen geht G. gänzlich ab. 1. Mitarbeit an der ‘Lateinischen Autobiographie’ Ks. Maximilians. Zwischen 1498/99 und 1501 war G. ⫺ nach eigener Angabe vor allen anderen Sekretären ⫺ mit der Aufzeichnung der autobiographischen Notate D Maximilians (IV.1.) betraut. Seine Hand wurde in den sog. ‘Originalnotaten’ (Wien, Haus-, Hof- u. Staatsarchiv, Max. fasc. 40a) bisher auf Bl. 37r⫺38r identifiziert (Schmid, Ausg., S. XIV f.). Vor 1501 fertigte er eine erste redigierende Reinschrift über die Notate zu den Jahren 1459⫺1485 (L) an, konnte jedoch chronologische Irrtümer und Unstimmigkeiten nicht beseitigen. G. behielt Materialien zur Autobiographie auch nach seiner Entfernung vom Hof bei sich, wie eine zweite, von Wiesflecker (1965 u. 1970) wieder bekanntgemachte Bearbeitung zeigt. Sie ordnet das Material in ‘Commentaria’, eine “flüchtige Dispositionsskizze” (ders., 1970, S. 424), und ‘Gesta’, eine bis 1507/8 fortgeführte “pragmatische Tatsachengeschichte” (ebd., S. 426), für die G. auch weitere Quellen heranzog. Diese erweiternde Bearbeitung bildet eine Vorstufe zur ‘Historia Friderici III. et Maximiliani I.’ (s. u. 4.). Inwieweit diese Entwürfe in Teil III des ‘Weißkunig’ eingingen, ist ungeklärt (bejahend: Wiesflecker, 1970, S. 428). Überlieferung. Erste Fassung: Wien, ÖNB, cod. 3302, Autograph G.s (⫽ L); Abschrift: Wien, Haus-, Hof-, u. Staatsarchiv, Hs. Blau 11 (17./18. Jh.) (⫽ K). ⫺ Zweite Fassung: Linz, Landesarchiv, Starhemberg. Archiv 33. Ausgaben der ersten Fassung. A. Schultz, Jb. d. Kunsthist. Slg.en d. allerhöchsten Ks.hauses 6
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(1886) 421⫺446 (Auszüge aus K als Ergänzungen d. ‘Originalnotate’); F. Schmid, Eine neue Fassung d. maximilianeischen Selbstbiographie, Diss. (masch.) Wien 1950 (L). Eine krit. Ausg. beider Fassungen kündigte Wiesflecker, 1970, S. 416, an.
2. ‘Vitae pontificum Salisburgensium’. Katalog der Bischöfe und Erzbischöfe von Salzburg von B. Rudpertus an bis zur Wahl Eb. Leonhards von Keutschach 1495, in der Salzburger Hs. Abt Wolfgang Walcher (1502⫺1515) und Prior Benedikt Prugger von St. Peter gewidmet. Die Vita des hl. Rudpertus ist die bei weitem ausführlichste. Es folgen 55 Abschnitte, in denen die Lebensläufe der (Erz-)Bischöfe jeweils kurz beschrieben und zusätzlich die bedeutendsten zeitgenössischen Ereignisse erwähnt sind. Vgl. M. M¸ller, S. 193 u. 198 f. Überlieferung. Salzburg, Stiftsbibl. St. Peter, cod. a VII 44, 16. Jh., S. 7⫺77. Vorangeht eine von G. veranlaßte recommendatio der Stadt Salzburg und ihrer Heiligen durch Vitalis Rottaler, Konventualen von St. Peter (S. 1⫺6). ⫺ Clm 1276, 16. Jh., Bl. 1r⫺53v; Wien, ÖNB, Cod. 8120, 18. Jh.
3. ‘Historiae de plerisque gestis et praecipue in Germania [...]’. Die annalistische Geschichte des Reichs von 772 bis 1488 mit verschiedenen Zusätzen, deren zwei letzte G. in Nürnberg in ambitu predicatorum bzw. am 2. Okt. 1507 vollendete, überliefert einzig Hartmann J Schedels Abschrift (Clm 23751, 1v⫺53v). Der erste Teil (bis 45v) gibt Notizen über Taten der deutschen Kaiser und Könige sowie einiger wichtiger Fürsten von der Zeit Karls d. Gr. bis 1488. Die Eingaben umfassen durchschnittlich acht Zeilen und beinhalten Informationen über Abstammung, Ehepartner und Kinder, sowie über die wichtigsten Taten der jeweiligen Kaiser: die Gründung von Städten, Universitäten und von Klöstern. Als erster Zusatz folgt eine Liste der Päpste von Innozenz VII. bis Julius II. mit Notizen über einzelne, bes. astrologische Ereignisse. Auf eingebundenen Zetteln (Bl. 49 u. 51) werden die Entdeckung Amerikas durch Columbus und der (irrtümlich auf 1507 datierte) Tod Philipps d. Schönen beschrieben. Die letzten Zusätze betreffen Fried-
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Grünpeck, Joseph
richs III. letzte Lebensjahre und Tod, Maximilians Herrschertugenden und die unter seiner Herrschaft erschienenen Prodigien. 4. ‘Historia Friderici III. et Maximiliani I.’. G.s meistbeachtete Schrift, die Lebensbeschreibungen Friedrichs III. und Maximilians I., ging aus der Arbeit an Maximilians ‘Autobiographie’ hervor. Wiesflekker rechnet sie zu den “bedeutendsten zeitgenössischen Quellen zur [...] Lebensgeschichte” des Kaisers (1986, S. 367). a) G. widmete die illustrierte Reinschrift der älteren Fassung in zwei undatierten Vorreden (zu Beginn und vor der ‘Historia Maximiliani’) dem jungen Erzhzg. Karl, dem sie als Fürstenspiegel dienen sollte. Die Hs. ging durch Maximilians Hände und erreichte den Widmungsempfänger schwerlich. Die Entstehung ist zwischen 1508 (Maximilian wird als 49jährig erwähnt) und dem 13. März 1516 (Karls Proklamation zum König von Spanien) anzusetzen. Benesch/Auer, S. 21 f., plädierten wegen der Anrede Karls als Burgundionum [...] princeps (Ausg., S. 64) für eine Datierung auf Anfang 1515; Mielke, S. 68 f., wies jedoch zu Recht darauf hin, daß Karl, der 1507 zum Herzog von Burgund proklamiert wurde, nicht erst seit seiner Großjährigkeitserklärung (5. Jan. 1515) mit diesem Titel angeredet werden konnte.
G. gibt nach einem vagen Hinweis auf die Vorfahren der Protagonisten (Kap. 1) die Viten Friedrichs (14 Kap.) und ⫺ mit mehr als doppeltem Umfang ⫺ Maximilians (32 Kap.), den er als den bedeutenderen Herrscher bezeichnet. G. konzentriert sich der didaktischen Intention entsprechend ganz auf die Charakterzeichnung der beiden Kaiser. Ausführlich schildert er Maximilians Förderung der Künste (bes. Kosmographie und Geschichte) sowie seine Neigung zur Jagd und zu Turnieren. Astrologie und Prodigien spielen, anders als Politik und Kriegszüge, eine wichtige Rolle. Maximilian sah die ‘Historia’ durch, strich ganze Kapitel und Illustrationen, versah drei Zeichnungen und ein Kapitel mit der Bemerkung weys k‹unig› und notierte einmal theurdank. Die dt. Buchprojekte hatten sein Interesse an der lat. Biographie offenkundig verdrängt. Ob Anregun-
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gen (Szenenauswahl, Illustrationen) in den ‘Weißkunig’ eingingen, wäre auf Grundlage der erweiterten Kenntnis der Illustrationen (zuletzt H.-M. Kaulbach, Neues v. Weisskunig, Kat. Stuttgart 1994) neu zu prüfen (skeptisch: J.-D. M¸ller, in: 2 VL 6, Sp. 215). Aus G.s Ankündigung in der 2. Vorrede, er wolle Maximilians Leben et populari [...] et scolastico stilo (Ausg., S. 78) darstellen, schloß zuerst Ilgen (Übers., S. XVI) auf die Absicht einer Selbstübersetzung. In dt. Sprache ist indes nur die jüngere Fassung (b) erhalten. Überlieferung. Wien, Haus-, Hof- u. Staatsarchiv, Hs. Böhm 24. Autograph. 46 ganzseitige, lavierte Federzeichnungen, die teils dem nach diesem Werk benannten Historiameister, neuerdings aber wieder Albrecht Altdorfer (Mielke; SteinKecks, S. 86) zugeschriebenen werden. Abb. bei Benesch/Auer, Tafeln 1⫺48; Mielke, Kat. Nr. 30a⫺k. Ausgabe. J. Chmel, in: Der österr. Gesch.forscher, Bd. 1, Wien 1838, S. 64⫺97. Übersetzung: Th. Ilgen, Die Gesch. Friedrichs III. u. Maximilians I. (Gesch.schreiber d. dt. Vorzeit 90), 21940.
b) Auch die jüngere, nur in dt. Übersetzung erhaltene Fassung schrieb G. ursprünglich lateinisch. Die beiden wenig veränderten Vorreden sind nun an Karl V. und Kg. Ferdinand von Böhmen und Ungarn gerichtet. Demnach entstand die Fassung zwischen 1526 und 1530. Der Grundbestand der älteren Fassung (a), einschließlich der von Maximilian gestrichenen Kapitel und Passagen, ist weitgehend unangetastet. Ergänzt sind Kapitel zur Spätzeit und zum Tod Maximilians. Seine unehelichen Kinder und die Entfremdung von der zweiten Gattin werden nicht verschwiegen. Die Möglichkeit einer Selbstübersetzung verneinen u. a. Czerny, S. 351, und Benesch/Auer, S. 27, während Wiesflekker, 1970, S. 419 Anm. 10, sie bejaht. Die Frage wäre unter Heranziehung der bisher nicht berücksichtigten hsl. Überlieferung neu zu prüfen. Überlieferung. Stuttgart, LB, Cod. hist. fol. 144, 16. Jh. (⫽ S); Hamburg, SUB, Cod. hist. 35, 1710⫺30, S. 1⫺132 (Abschrift v. S); Wien, ÖNB, Cod. 7419, 18. Jh. (Vorlage ungeklärt). Druck. J. J. Moser, D. J. Grünbecks [...] Lebens⫽Beschreibung Kayser Friederichs d. III. (V.) [...] u. Maximilians d. I. [...], Tübingen 1721 (nach S).
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Gundel, Philipp
In beiden Fassungen der ‘Historia Friderici III. et Maximiliani I.’ führt G. jeweils eine Liste von je drei libelli bzw. Büchell mit Diktaten Maximilians zu verschiedenen Themen an, die sich in seinem Besitz befanden (zit. bei Benesch/Auer, S. 17). Sie sind bis auf die 2. Bearbeitung der ‘Lat. Autobiographie’ (s. o. II.D.1., ‘Commentaria’) verschollen. Literatur. C. H. Fuchs, Die ältesten Schriftsteller über d. Lustseuche in Dtld. v. 1495 bis 1510, Göttingen 1843, S. 1⫺79, 390⫺392; J. Friedrich, Astrologie u. Reformation, 1864, S. 63⫺79; E. v. Oefele, in: ADB 10, 1879, S. 56⫺59; A. Czerny, Der Humanist u. Historiograph Ks. Maximilians I. J. G., Arch. f. österr. Gesch. 73 (1888) 315⫺364 (grundlegend); M. Radlkofer, Die humanistischen Bestrebungen d. Augsburger Ärzte im 16. Jh., Zs. d. Hist. Ver. f. Schwaben u. Neuburg 20 (1893) 25⫺52, hier S. 31⫺37; J. K. Proksch, Die Gesch. d. vener. Krankheiten, 1895, 1. Theil, S. 10⫺ 15; Bauch, Krakau, S. 43; K. Sudhoff, Graph. u. typograph. Erstlinge d. Syphilislit., 1912, S. 11⫺20 u. Tafel IX⫺XIII; ders. (Hg.), Zehn SyphilisDrucke aus d. J. 1495⫺1498 (Monumenta medica 3), Mailand 1924, S. XXI⫺XXVI, 25⫺59 u. 71⫺ 112 [engl. u. d. T.: The Earliest Printed Literature on Syphilis, adapted by Ch. Singer, Florenz 1925]; Celtis-Br., S. 224 f., 382, 503, 588 f.; O. Benesch / E. M. Auer, Die Historia Friderici et Maximiliani, 1957, bes. S. 14⫺38; D. Kurze, Joh. Lichtenberger († 1503) (Hist. Stud. 379), 1960, S. 48 u. 70; A. Lhotsky, Quellenkunde z. mal. Gesch.forsch., 1963, S. 458 f., 464; D. Wuttke, Die Histori Herculis d. [...] P. Bernhaubt gen. Schwenter, 1964, S. 207⫺209, 215; H. Wiesflecker, J. G.s Commentaria u. Gesta Maximiliani Romanorum Regis, 1965; F. Wilflingseder, J. G. u. Marx Reichlich, Kunstjb. d. Stadt Linz 1966, S. 44⫺57; D. Wuttke, in: NDB 7, 1966, S. 202 f.; H. Wiesflecker, J. G.s Redaktionen d. lat. Autobiographie Maximilians I., MIÖG 78 (1970) 416⫺461; ders., Ks. Maximilian I., 5 Bde., 1971⫺1986, bes. Bd. 5, 1986, S. 366 f. u. ö. (Reg.); D. Wuttke, Wunderdeutung u. Politik, in: Landesgesch. u. Geistesgesch. Fs. f. O. Herding z. 65. Geb., 1977, S. 217⫺244, bes. S. 238⫺241; M¸ller, Gedechtnus, bes. S. 51, 58, 66⫺68, 96⫺103 u. ö. (Reg.); M. Cortesi, Scritti di L. Valla tra Veneto e Germania, in: O. Besomi / M. Regoliosi (Hgg.), Lorenzo Valla e l’umanesimo Italiano, Padua 1986, S. 365⫺398, bes. S. 383⫺398; H. Robinson-Hammerstein, The Battle of the Booklets. Prognostic Tradition and Proclamation of the Word in Early Sixteenth-Century Germany, in: P. Zambelli (Hg.), ‘Astrologi hallucinati’. Stars and the End of the World in Luther’s Time, 1986, S. 129⫺151, bes. S. 133⫺137; H. Mielke, Albrecht Altdorfer. Zeichnungen, Deckfarbenmalerei, Druckgraphik, 1988, S. 68⫺
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83; P. A. Russell, Syphilis, God’s Sourge or Nature’s Vengeance? The German Printed Response to a Public Problem in the Early Sixteenth Century, ARG 80 (1989) 286⫺307, bes. S. 293 f.; M. Markowski, Astronomica et astrologica Cracoviensia ante annum 1550, Florenz 1990, S. 105 f.; H. Talkenberger, Sintflut. Prophetie u. Zeitgeschehen in Texten u. Holzschnitten astrolog. Flugschr. 1488⫺ 1528, 1990, S. 110⫺145, 219⫺223 u. ö.; P. A. Russell, Astrology as Popular Propaganda. Expectations of the End in the German Pamphlets of J. G. († 1533?), in: A. Rotondo` (Hg.), Forme e destinazione del messaggio religioso, Florenz 1991, S. 165⫺195; Schˆner, Ingolstadt, S. 206, 214 u. 248; D. Wuttke, Sebastian Brants Syphilis-Flugbl. d. J. 1496, in: G. Wˆhrle (Hg.), Girolamo Fracastoro, Lehrgedicht über d. Syphilis (Gratia 18), 2 1993, S. 125⫺142, bes. S. 128, 136⫺139; I. Ewinkel, De monstris (Frühe Neuzeit 23), 1995, S. 105 f., 112 u. ö.; H.-J. Hˆller, Die Gesch. d. Gymnasiums, in: Gelehrtes Regensburg, Kat. Regensburg 1995, S. 122⫺139, bes. S. 122⫺124; D. Wuttke, Sebastian Brant u. Maximilian I. [zuerst 1976], erweitert in: ders., Dazwischen, Bd. 1, 1996, S. 213⫺250, bes. S. 236⫺241, 246; M. Menzel, in: Biogr. Lex. LMU, S. 159 f. (nicht krit. genug); M. M¸ller, Die spätmal. Bistumsgesch.schreibung. Überlieferung u. Entwicklung, 1998, S. 193, 198 f.; H. Stein-Kecks, ‘Des himmels porten ist verschlossen’. Ein neuer Fund zu A. Altdorfer u. J. G., in: M. Angerer (Hg.), Ratisbona ⫺ die kgl. Stadt, 2001, S. 67⫺99; C. Dietl, Die Dramen J. Lochers u. d. frühe Humanistenbühne im süddt. Raum, 2005, S. 174⫺188 u. ö. (Reg.).
Sarah Slattery / J. Klaus Kipf
Gundel (Gündl, Gundelius, Gundeli, -ly, -elli), Philipp G., geb. der Inschrift seines Grabsteins zufolge am 1. Mai 1493, stammte aus Passau; in Gedichten und Ausgaben nennt er sich allerdings erst seit 1517 Pataviensis, zuvor, seit 1511, regelmäßig Boius (Bayer). Seit dem 4. Nov. 1510 studierte er in Wien die Artes (Philippus Gündl ex Patauia). Da er schon am 3. März 1513 das Lizentiat erwarb, muß er mit einer beträchtlichen Vorbildung nach Wien gekommen sein. So zeichnete er auch bereits für den Druck der Brieflehre des Dubravius vom 2. Jan. 1511 verantwortlich (s. u. II.C.1.) und durfte sich einige Monate später den Beiträgern zum ‘Gedächtnisbuch’ für Arbogast J Strub (II.D.2.) einreihen. Zu seinen Lehrern und
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bald auch Freunden zählten Joachim J Vadian und Johannes J Cuspinian. Mit Vadian korrespondierte er seit 1512. Cuspinian überließ ihm Textausgaben zur Veröffentlichung, die er selbst, zunehmend beschäftigt in kaiserlichen Diensten, nicht mehr zügig weiterführen und abschließen konnte (s. u. II.C.2. u. 5.). Vadian (‘De poetica’, S. 97) zufolge erhielt G. auch von J Hutten und J Eberbach Unterricht, als sie sich in Wien aufhielten. Nach dem Magisterexamen, aber wohl nicht vor Juni 1513 (s. II.C.4.), kehrte G. nach Passau zurück, meldete Vadian jedoch schon am 1. Aug., daß er bald wieder in Wien sein werde. Anscheinend hat er sich dort wieder bis ins Jahr 1514 aufgehalten und gelehrt; dafür spricht die Zahl von nicht weniger als vier Ausgaben, die er zwischen Okt. 1513 und Jan. 1514 in Wien zum Druck brachte. Vermutlich haben ihn wirtschaftliche Gründe dann aber veranlaßt, von Wien für längere Zeit Abschied zu nehmen und als Lehrer in die Passauer Domschule einzutreten. Wien hat er in den folgenden Jahren schmerzlich vermißt (Vadian-Br., Nr. 38) und es nur gelegentlich besuchen können, so, nach Mitteilung seines Freundes Jodocus Decius (II.D.19, Bl. CLII [recte CLIII]), zum Fürstentag im Juli 1515. In Passau erfreute er sich zwar des vertrauten Umgangs mit einem gebildeten Gönner, dem Domherrn und Dr. iur. utr. Wolfgang von Tannberg, hatte Georg J Hauer zum Freund und begabte Schüler, die er Vadian als Studenten empfehlen konnte (Vadian-Br., Nr. 46, 54, 72), doch blieb das Lehramt in der Provinz, das ihm wenig Ansehen und Einkommen (VadianBr., Nr. 46) brachte, für ihn ohne Reiz. Er hatte es von vornherein nicht als seinen Beruf erachtet. Bereits 1512, noch nicht Magister, hatte er im Selbststudium Medizin betrieben (Vadian-Br., Nr. 17), und ihr gehörte zeitlebens seine Vorliebe, doch schwankte seine Wahl lange zwischen den Fakultäten, bis er sich im Sommer 1516 endgültig für die Jurisprudenz entschied. Die Rückkehr nach Wien, nun zum juristischen Studium, war der für seine Zukunft maßgebliche Schritt. Die Verbindung zu Cuspinian lebte wieder auf und auch die
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literarische und editorische Tätigkeit. G. setzte das Studium zwar seit Mai 1517 in Ingolstadt fort, doch hielt er zu den Wiener Freunden enge Verbindung (s. die Beiträge in II.D.11.⫺14.). Im April 1518 befand er sich im Gefolge Cuspinians auf dessen Reise nach Krakau zur Hochzeit Kg. Sigismunds von Polen mit Bona Sforza. Am 31. Aug. 1518 brach Cuspinian sogar allein mit G. zu einer diplomatischen Mission an den ungarischen Hof in Buda auf. Damals war G. bereits auch Hauslehrer von Cuspinians ältestem Sohn Sebastian Felix. Im Sommer 1518 vertrat er Vadian auf der Professur für Poetik und Rhetorik und wurde, als etwa im Okt. d. J. feststand, daß Vadian nicht nach Wien zurückkehren werde, dank Cuspinians Empfehlung sein Nachfolger. G. stellte sich den Pflichten seines neuen Amtes mit Elan. Seinen Unterricht stützte er vornehmlich auf antike Texte, von denen er zu einem Teil neue Ausgaben besorgte, und er hatte viel Zulauf von Hörern (s. Vorrede zu II.C.10.). Sein erster Auftritt vor erlauchter und breiterer Öffentlichkeit war seine Weihnachtspredigt 1518. Als ordinarius poetices hielt er namens der Universität am 29. Jan. 1519 am Sarg Maximilians die Gedenkrede. Nach der Nobilitierungsurkunde von 1535 versah G. seine Professur 12 Jahre lang (ebenso: Die Matrikel d. Univ. Wien, Bd. 3, S. 65, zu G.s Rektorat im SS 1540) ⫺ eine nicht leicht verständliche Angabe, denn bereits 1524 folgte ihm Kaspar Ursinus Velius nach. Die Ansprüche der Poetik-Professur und auch äußere Umstände, die Wirren nach Maximilians Tod, 1521 die Pest, verzögerten den Abschluß seines juristischen Studiums. 1520 erwarb er das juristische Lizentiat, 1522 (nach dem 21. Aug.) den Grad des Dr. iur. utr. Die 1520er Jahre, in denen die Wiener Universität einen Niedergang erlebte, der ihren Fortbestand in Frage stellte, waren das bewegteste Jahrzehnt in G.s Leben. Die Chronologie seiner mehrfachen Wechsel der Orte, Tätigkeiten, Dienstverhältnisse ist dabei nur umrißhaft faßbar. In Krakau, wo er während der Wiener Pest 1521 Zuflucht gefunden hatte, hielt er sich etwa ein Jahr auf und lehrte dort die
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Rechte. Sein Freund Jodocus Decius, kgl. Sekretär, öffnete ihm Verbindungen zum kgl. Hof und zur höheren Geistlichkeit bis hinauf zu Eb. Johannes Konarski und seinem Koadjutor Tomicki. In Krakau schloß G. damals mit Barbara, Witwe des Mediziners Johannes Mellarius, seine erste Ehe. Spätestens im Aug. 1522 ⫺ nicht erst 1524, wie aufgrund irriger Datierung einer Äußerung des Kaspar Ursinus Velius vielfach behauptet ⫺ war er wieder in Wien und erfüllte den prekären Auftrag, Erzhzg. Ferdinand am 21. zum Einzug in die seit 1519 abtrünnige Stadt, über deren Häupter erst wenige Tage zuvor das Blutgericht ergangen war, namens der Universität mit einer Rede zu begrüßen. Um 1525 ging G. mit Katharina Beck (von Leopoldsdorf) seine zweite Ehe ein; aus ihr gingen seine Töchter Sophia (später verheiratet mit dem Mediziner Franz Emerich) und Margarete (verheiratet mit Johann Ambros Brassicanus) hervor. Angesichts der Krise der Wiener Universität hat G. seit 1524 offenbar nach neuen beruflichen Wegen gesucht. Am 21. März 1525 siegelte er als Stadtschreiber von Passau (Passau, Stadtarchiv, Urk. Nr. 1086 u. 1087), ist als solcher auch im Juni 1526 durch einen Brief seines alten Gönners Wolfgang von Tannberg bezeugt, mit dem dieser ihn Pirckheimer empfahl (Pirckheimer-Br., Bd. 6, Nr. 1041; Gindeles Unterscheidung zweier Ph. G. ist schon durch diesen Brief erledigt). Noch im Frühjahr 1527 war er für Passau tätig, am 3. März als Gesandter am böhmischen Königshof zu Prag, im Mai als Gesandter beim ksl. Reichsregiment in Regensburg (Passau, Stadtarchiv, II A 64 u. 65). In Passau galt G. in diesen Jahren nicht ohne Grund als Sympathisant der Reformation. Er war mit Johannes Pfeffinger, Prediger am Domstift, befreundet, der in Passau als erster öffentlich reformatorische Lehren vertrat, jedoch schon 1523, um keine Verhaftung zu riskieren, die Stadt verließ; 1556 erwähnte G. in einem Brief an Joachim Camerarius (Clm 10360, 176r⫺v, Autograph), daß Pfeffinger und er sich 30 Jahre zuvor in großen gemeinsamen Gefahren befunden hätten. Auch seine Bekanntschaft mit dem am 16. Aug. 1527 als Ketzer verbrannten Leonhard Käser, der ihn aus dem Kerker um Begutachtung der Richtig-
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keit seines christlichen Bekenntnisses bitten ließ ⫺ die Bitte hat ihn vermutlich nicht erreicht ⫺, spricht für engere Verbindungen G.s mit Anhängern der Reformation. Er geriet damals, um 1525, auch in eine Auseinandersetzung mit einem Passauer Prediger, der ihn von der Kanzel herab als Häretiker attackiert hatte (vgl. Gindele, S. 288 f.; Kaff). Ebenfalls in diese Jahre dürfte ein Briefwechsel mit Melanchthon fallen, den er nach langem Schweigen 1530 wiederaufnahm (so nach Melanchthons griech. Brief an G. vom 11. Juli 1530; Melanchthon-Br., Regesten, Nr. 967; Übers. bei Gindele, S. 292 f.).
Eine Wende seiner Lebensumstände brachte im Sommer 1527 die Berufung zum wohlbesoldeten fürstbischöflichen Rat in der Verwaltung Kardinal Matthäus Langs in Salzburg (Dienstvertrag vom 17. Juni 1527 in dt. Übers. bei Gindele, S. 294). Noch 1530 stand G., wie durch Melanchthons Brief (s. o.) bezeugt, in salzburgischen Diensten; wenigstens fallweise war er Lang auch noch 1532 und 1534 als Rat zur Verfügung (Sallaberger). Seine Bindungen an die Wiener Universität hat er in diesen Jahren bewahrt. Er war Mitglied der juristischen Fakultät und 1530 deren Dekan. Sein weiterer Weg führte ihn jedoch in den habsburgischen Staatsdienst. 1535 wurde er durch Kg. Ferdinand in den Adelsstand erhoben; die Urkunde der Nobilitierung (Abdruck bei Posch, S. 158⫺ 161) bezieht sich hauptsächlich auf G.s Dienste für das Haus Österreich unter Maximilian, auf seine Leistungen für die Universität und auf seine Veröffentlichungen; das neue Wappen, welches das ihm vordem von Maximilian verliehene ersetzte, führte u. a. den Pegasus im Feld. Im Sept. 1536 wurde er zum Kammerprokurator von Niederösterreich, 1541 zum Rat des Regiments von Niederösterreich ernannt. Seine prominente Stellung in der Landesverwaltung beschrieb 1546 Lazius (S. 118 f.). Der Wiener Universität blieb er, ohne noch zu lehren, weiterhin verbunden. 1536 ehrte sie ihn mit dem Titel eines ‘Academiae patronus et conservator’. Im SS 1540 war er ihr Rektor. Die medizinische Fakultät nannte ihn 1557 nostrae facultatis patronus singularis. G. starb in Wien am 4. Sept. 1567 und wurde bei St. Stephan bestattet. Den Grabstein, der sich nach
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Sallaberger heute in St. Michael befindet, setzte ihm sein Schwiegersohn Johann Ambros Brassicanus, Sohn des Ludwig Brassicanus (Text der Inschrift bei Aschbach, 1877, S. 321 f.; Posch, S. 33 f.). Über den Verbleib von G.s gewiß reicher humanistischer und juristischer Bibliothek ist vorerst nichts bekannt. Zwei Bände heute in Wolfenbüttel, HAB: 74.1 Quodl. 2° (Campanus, Opera omnia, Venedig 1502. Titels.: Philippi Gundelii Rhetoris Academiae Vienn. M.D.XX.) und 517.1 Quodl. 8° (Aeneas Silvius, ‘Proverbiorum libellus’, Wien 1509. Titels.: Philippi Gundelij sum. 1550):
G., vielseitig gebildet und literarisch bewandert, war in den süddeutsch-österreichischen und polnischen humanistischen Kreisen seiner Zeit ein bekannter und geschätzter Mann und hatte hier seine Freunde. Zu den engsten ⫺ außer seinen Lehrern und Gönnern in Wien und Passau ⫺ zählten: seit 1511 Andreas Perlach, Mathematiker, Astronom und Mediziner in Wien ⫺ G. schrieb ihm 1551 die Grabschrift (s. u. II.D.22.) ⫺, seit dem Wiener Fürstentag 1515 Jodocus Decius und Kaspar Ursinus Velius, in den Passauer Jahren Georg Hauer, in Ingolstadt Martin Kretz, in Krakau Rudolf J Agricola Iunior, seit 1521 der Mediziner Franz Emerich (s. u. II.D.23. u. 24.). Er besuchte J Aventin (RhenanusBr., Nr. 258) und Pirckheimer, kannte Beatus J Rhenanus und Melanchthon. Die Beziehung zu Vadian endete anscheinend abrupt, als dieser Wien verlassen hatte; die Gründe für diesen Bruch sind ungeklärt. I I. We rk . G.s selbständiges literarisches Schaffen fällt in seine nach Neigung und beruflicher Tätigkeit humanistische Phase, reicht nicht weiter als bis ins Jahr 1522. Beigaben zu Schriften und Ausgaben von Freunden hat er jedoch bis ins hohe Alter nicht versagt. Lazius (S. 124) stellte ihn 1546 in seiner Revue der bedeutenden Wiener Schriftsteller und Gelehrten neben Celtis, Vadian, Cuspinian u. a. in die Gruppe der Poetae, Rhetores & Historici. Einige größere und eine Fülle kleinerer Gedichte, alle ihren ‘Gelegenheiten’ verbunden, sowie einige Reden machen in der Tat sein literarisches Œuvre aus. G. war mit dem Griechischen
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vertraut, las, schrieb und übersetzte griech. Texte. Als Jurist war er gewiß weit mehr ein Mann der Praxis als der Wissenschaft. Nicht wenige seiner gedruckten Schriften, besonders die Krakauer, sind, wenngleich in älteren Verzeichnissen (Janocki; Denis) verläßlich bezeugt, in den größeren mitteleuropäischen Bibliotheken, in denen man sie sucht (ÖNB Wien; SB München; Bibl. Jagiellon´ska Krakau), jedoch nicht mehr greifbar, auch in den heutigen zentralen Druck-Katalogen (VD 16; IA; Pol. Typ.) nicht mehr nachgewiesen. Sie können daher hier nur nach Maßgabe der älteren Verzeichnisse genannt werden. Nichts erhalten zu sein scheint von den zahllosen Epigrammen, auch Briefen und Elegien, die er in der Passauer Zeit aufs Papier geworfen haben will (Vadian-Br., Nr. 58). Nicht erhalten ist auch G.s lat. Übersetzung der beiden letzten Bücher der ‘Epitome¯ historio¯n’ des byzantinischen Geschichtsschreibers Johannes Zonaras, die er 1520 für Cuspinian angefertigt hatte (dazu Ankwicz-Kleehoven, S. 123 f. u. 306).
A . Red en . Man weiß von vier öffentlichen Reden, die G. gehalten hat. Zwei, eine Hs. und ein Druck, sind heute noch greifbar. 1. Die Weihnachtspredigt, die G. 1518 in seinem neuem Amt vor der Universität und dem hohen Wiener Klerus hielt, hat zum Leitthema den Preis der Menschwerdung Gottes als der Offenbarung seiner unermeßlichen Güte. Sie feiert Christi Geburt als das unvergleichliche Ereignis der Weltgeschichte, als Erhebung der menschlichen dignitas über die der Engel, als Anfang unseres ewigen Heils. Ausdrücklich setzt G. alles Große, das in Mythos und Geschichte der Antike begegnet, hinter das Wunder der Inkarnation zurück, erklärt sich damit auch zum begrenzten Rang seines ganz auf der Antike aufbauenden Poetik-Lehrstuhls. Gleichwohl ist die Rede mit klassischer Bildung gewirkt, argumentiert mit antiken Dichterzitaten. So demonstriert sie wie schon Vadians Weihnachtspredigt von 1511 (s. u. II.D.1.) einen betont christlichen Humanismus. Es fehlt ihr indes, auffällig, jedes mariologische Interesse. ⫺ Den Druck widmete G. seinem Passauer Gönner, dem Domherrn Wolfgang von Tannberg; ihm und Cuspinian habe er mehr
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zu verdanken als jedem anderen Menschen, u. a. lebensrettende Fürsorge in schwerer Krankheit. Druck. De sacratissima di⫽|uinitatis Incarnatione Philippi | Gundelii Patauien*sis+ humaniores | literas in Gymnasio Viennen*si+ | ex Caesarea munificentia pu/|blice profitentis oratio, in ce|lebri cleri ac eruditorum | frequentia ipso die | Christiani Nata/|lis/ initio Anni | M.D.XIX. [!] | habita. Wien: Joh. Singriener, 24. Dez. 1518. VD 16, G 4118.
2. Gedenkrede am Sarg des verstorbenen Ks. Maximilian am 29. Jan. 1519 im Namen der Universität. Nicht erhalten. Matrikel d. Univ. Wien, Rhein. Nat., zum Jahr 1519, Bl. 256v: Cuius [sc. Maximiliani] funus Viennam allatum XXIX. Ian. quod 15 praelati infulati ac universa nobilitas Austriae comitati. Laudavit pro funere Magister Philippus Gundelius Boius ordinarius poetices. Vgl. S. Mitterdorffer, Conspectus historiae universitatis Viennensis, Bd. 2, Wien 1724, S. 97. 3. Oratio in obitum Ioannis Conarii episcopi Cracoviensis. Krakau: Florian Ungler, Mai 1525. Lobrede auf den 1521 plötzlich verstorbenen Krakauer Eb. Konarski. Nach Janocki, S. 103. 4. Die Begrüßungsrede, die G. für Erzhzg. Ferdinand I. bei dessen Einzug in Wien am 21. Aug. 1522 namens der Universität kraft Amtes zu halten hatte, ist eine Preisrede nach dem Muster antiker Panegyrici. Wie sich versteht, geht sie auf die gefährlich gespannte Situation nach der blutigen Abrechnung mit dem kaiserfeindlichen Stadtregiment nicht ein, kann jedoch nicht alle Momente des frostigen Empfangs seitens der Bürger leugnen oder sie nur mit Mühe umdeuten. Abdruck der einzigen Hs. (Wien, ÖNB, Cod. 7416, wohl Dedikationsexemplar) bei Posch, S. 51⫺76 (mit dt. Übers.). B . C ar mi na . 1. Eklogen. Die beiden im Sept. 1518 auf der Schiffsreise mit Cuspinian zum ungarischen Hof entstandenen Eklogen sind G.s erste größere Gedichte. In der ersten Ekloge, Apollonodia (126 Hex.), tritt Apoll
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als Sänger in bukolischer Szenerie auf; alle Natur lauscht ihm gebannt. Er singt zunächst von der Kosmogenese und der Entwicklung der menschlichen Kultur; sein zweites Lied gehört der leichten Muse, den Liebschaften Jupiters und abschließend seiner eigenen Liebe zu Daphne. Mit beiden Themen knüpft G. an Vergils 6. Ekloge an. Die zweite Ekloge, ‘Callianera’ (115 Hex.), Gegenstück zu Vergils 2. Ekloge, ist die Liebesklage des von Callianera verlassenen Amyntas. Die Widmung an Cuspinians Sohn Sebastian Felix teilt die Entstehungsumstände der beiden Stücke mit. Druck. Philippi. Gundelii. Pataviensis. | Philosophi et iurisprudentiae Candidati, | Aeglogae Duae. Quarum quae prior | Apollonodia. Altera, | Calli| anera. inscri/|bitur [...]. Wien: Hier. Vietor, 31. Dez. 1518. VD 16, G 4115.
2. Epicedion auf Maximilian. Das in 788 Hexametern gefaßte panegyrische Gedicht preist die Vorzüge Maximilians als Herrscher, stellt sein Leben und seine Taten aber nur sehr unausgewogen und lückenhaft dar. Den Wert einer selbständigen biographischen Quelle hat es nicht. Während Maximilians Jahre bis 1493 den umfangreichsten Teil beanspruchen, kommt die von G. miterlebte Zeit nur dürftig zum Zuge. Von Maximilians Ruhmeswerk, von den Gelehrten und den Poetae an seinem Hof erfährt man nichts, und es frappiert die Mitteilung, der Kaiser habe keinerlei Sorge für sein Grabmal getragen. Das antikisch eingefärbte, mit mythologischem Gerank und zitierten römischen Helden prunkende Epicedion, gewiß ein Zeugnis souveräner Bildung und der Beherrschung lat. Verssprache, diente wohl allererst einer Empfehlung bei Hofe nach Maximilians Tod. Es zählte ausdrücklich bei G.s späterer Nobilitierung. Widmung an den Passauer Bistumsadministrator Hzg. Ernst von Bayern (Wien, 22. Nov. 1519). Der Druck enthält im Anhang (Lage E) 22 lat. und griech. Epitaphien auf Maximilian von Cuspinian, Johannes Camers, Kaspar Ursinus, Thomas J Resch u. a., dazu abschließend ein Epigramm G.s auf Karl V. mit dem Akro- und Telestichon carolvs rex vivat.
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Druck. In divum | imp. Caes. Maximili⫽| anum. P. F. Augus. | Epicoedion. [...]. Autore | Philippo Gundelio Pata⫽|uien. Philosopho et | Pöeta, Viennensisque | Academie Rhe⫽|tore publico. | Epitaphia item quaedam | Graeca atque Latina eidem | Principi ab eruditis qui⫽|busdam pie posita. Wien: Joh. Singriener, Jan. 1520. VD 16, G 4117; vgl. H.-J. Kˆhler, Bibliographie d. Flugschr. d. frühen 16. Jh.s, Abt. 1, Bd. 1, 1991, Nr. 1454.
3. De gestis divi Adalberti Poloniae protomartyris. Krakau: Hier. Vietor, 15. Juli 1526. Hagiographisches Gedicht auf den polnischen Erzmärtyrer in Hexametern, verfaßt auf Veranlassung von B. Andreas Krzycki (Cricius) von Przemysl. Nach Janocki, Bd. 1, S. 104. 4. De Christi domini passione. De servatoris nostri Iesu Christi resurrectione. Krakau: Hier. Vietor, 1. April 1527. Zwei Elegien, gewidmet dem Freund Jodocus Ludovicus Decius. Nach Janocki, S. 104. 5. Gebete in Hymnenstrophen. G. verfaßte zwei in je 4 ambrosianische Strophen gefaßte Gebete für eine gelehrte Gesellschaft, für literas docti bonas, die Gott Ad altiora leiten möge Per litterarum munera. Der zweite Hymnus diente zur Einleitung literarischer Lesungen nach Tisch ([…] corpora sumpto refecimus cibo). Paul Hofhaimer vertonte beide Hymnen in vierstimmigen Sätzen. Die Texte und Kompositionen entstanden vermutlich um 1527, in G.s Zeit am Salzburger Hof, an dem damals auch Hofhaimer wirkte. Druck. Harmo⫽|niae poeticae Pauli Hof⫽| heimeri, uiri equestri dignitate insigni ac Musici excel|lentis […]. Nürnberg: Joh. Petreius, 1539. VD 16, H 4960. G.s Texte Bl. d 2r⫺v im Stimmbuch für den Tenor (media vox), wiederholt in den drei weiteren Stimmbüchern. Ausgabe. Pauli Hofheimeri Harmonias poeticas sive Carmina nonnulla Horatii aliorumque poetarum Romanorum […] ed. I. Achleitner, 1868, Nr. XXXII u. XXXIII.
6. Carminum libri duo, Wien 1539. Gewidmet dem Freund Decius. Nach Janocki, S. 105, und Denis, 1782, S. 396, Nr. 412. 7. In mortem Sigismundi Regis Polonorum Elegia. Krakau: Witwe Ungler, 8. Mai 1548. An den Freund Decius. Nach Janocki, S. 102.
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C . H er au sg eb er. Die von G. besorgten Ausgaben antiker, mal. und zeitgenössischer Autoren sind meist nur rasch revidierte Nachdrucke, die er seinem Wiener Artes-Unterricht zugrundelegte, oder solche, an denen andere das höhere editorische Verdienst haben. G. galt als verläßlicher Lateiner, war aber kein Mann der originären philologischen Edition. Immerhin plante er nach Vadian (‘De poetica’, S. 55 f.) eine Erstausgabe der Troja-Dichtung des Joseph Iscanus, die, wiewohl 1518 offenbar schon weit fortgeschritten, jedoch nicht zum Druck kam. 1. Roderici Dubravi Bohemi li-|bellus de componen-|dis epistolis [...] Per Philippum Gundelium Boium. Wien: [Hier. Vietor], 2. Jan. 1511. VD 16, D 2832. ND der zuerst 1501 mit Widmung an Bohuslaus von J Hassenstein erschienenen Brieflehre des Dubravius (vgl. Hassenstein-Br., S. XI u. 89 f.), ohne eigenen Textbeitrag G.s. ⫺ Textgleicher ND von G.s Ausg., aber ohne seinen Namen: Wien: Hier. Vietor, 1515. VD 16, D 2833. 2. Panegyrici variorum autorum | et declamationes nonnul/|lae perquam eruditae | hactenus non im|pressae. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 12. März 1513. VD 16, C 6491. Das wesentliche Verdienst an der für den Rhetorikunterricht vorgesehenen Ausg. der spätantiken Sammlung von 12 Panegyrici aus der römischen Kaiserzeit hat Cuspinian. Seine vorliegenden editorischen Arbeiten redigierte G. zusammen mit einem Neffen Cuspinians, dem Würzburger Kanonikus Georg Cuspinian, zum Druck. Vgl. den Bericht im Brief Georg Cuspinians an Sebastian Felix (Bl. aa 2r⫺v). Den 12 Panegyrici ist in G.s Ausg. nach Cuspinians Plan die Dankrede des Ausonius an Kaiser Gratian für das erhaltene Konsulat eingefügt und ein Anhang angeschlossen, die für die Lex Oppiana plädierende Rede des M. Porcius Cato und die Entgegnung des L. Valerius aus Livius 34,1,2⫺8,3 (Bl. [v5]v⫺xv) sowie, thematisch anknüpfend, drei hier erstmals gedruckte anonyme angeblich 1454 vor Niccolo` Perotti in Viterbo gehaltene Reden zu der Streitfrage, ob Frauen das Tragen von Schmuck zu gestatten sei (Bl. xv⫺E 3r). Von G. das Titelepigramm (4 Dist.) und 39 Elfsilbler, die in Form einer Rede des Libellus ad lectorem Cuspinian als Retter der Panegyrici vor dem Untergang preisen. 3. Antonii Geraldini poetae lau/|reati, et Prothonotarii apostolici, Bucolicon | opus sanctissimum atque eruditissimum, in quo | poeta aeglogis .XII. uitam Christi sal/|uatoris, eiusque gesta, ut breuiter, | ita summo artificio com/|plexus est [...]. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 31. Mai
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1513. VD 16, G 1395. Titelepigramm G.s (16 Elfsilbler, Verteidigung der religiösen statt der erotischen Ekloge). Titelbl.v: Brief G.s zur Ausgabe an den Wiener Verleger Lukas Alantsee (Wien, 4. Mai 1513), dessen Engagement für die Veröffentlichung von J Celtis’ Oden (s. u. II.D.4.) er hervorhebt und dem er den Druck auch von Johann Krachenbergers Elegien empfiehlt. 4. Spicilegium, philosophorum pene | omnium, quotquot per Graeciam Italiamque clari habiti sunt, illustria dicta complectens, per | Hermannum Buschium Germanum | poetam laureatum, et docte | et breuiter duobus | libellis compi/|latum […]. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 9. Juni 1513. VD 16, B 9953. Titelbl.v: Widmung der Ausg., die G. emendiert haben will, an den Arzt Matthias Gasser (Wien, 12. Juni 1513). 5. Publii Ovidii Nasonis | Fastorum libri Sex | diligentissime | recogniti. | Addito Calendario Romano | uenerandae uetustatis, | numquam antea | impresso, Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 3. Okt. 1513. VD 16, O 1607. Widmungsbrief an Wolfgang von Tannberg (24. Sept. 1513). ⫺ Bei dem angehängten römischen Kalender handelt es sich um die Monatsfasten aus dem ‘Chronographus anni 354’ (vgl. MGH AA, Bd. 9, S. 34 f.) nach der Hs. Johann Krachenbergers (Wien, ÖNB, Cod. 3416), die ihm Cuspinian zugänglich gemacht hatte. G.s um genaue Wiedergabe des hsl. Wortlauts bemühte Ausg. enthält Lesefehler. Zum Abschluß, nach dem Kalender, findet sich eine Klage (20 Dist.) G.s Ad Studiosos über die, wie er meint, sechs verlorenen Bücher der ‘Fasti’ Ovids (für die Monate Juli⫺Dez.). 6. Publii Ovidii Nasonis de | Tristibus libri quin-|que denuo revisi. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 22. Okt. 1513. VD 16, O 1689. Titelepigramm (Hexastichon) von G. an den Leser. Titelbl.v: G.s Widmung an den Passauer bischöfl. Rat Philipp Tantzer (7. Okt. 1513); hier bezeichnet er die kurz zuvor erschienene Ausg. der ‘Fasti’ Ovids ausdrücklich als die seine. 7. Compendium philo|sophie Moralis ex Aristotelis Pe⫽|ripateticorum Principis Ethicorum | atque Politicorum libris: per Jacobum Fabrum Sta⫽|pulensem [...] contractum. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 1. Dez. 1513. VD 16, L 915; ND der Ausg. Paris 1502. Bl. [c3]v⫺[c4]r: G.s poetische Würdigung des jüngst verstorbenen Faber Stapulensis, den er als einen der großen Wiedererwekker der Antike feiert, sowie Dank an Martin Edlinger, einen seiner Wiener Lehrer, der den Druck von Fabers Aristoteles-Kompendium unterstützt hatte (26 Dist.). 8. Tractatus Petri de Eliaco [Pierre d’Ailly] episco|pi Cameracensis, super libros Metheorum: de im/|pressionibus aeris. Ac de hiis quae in prima, se/|cunda, atque tertia regionibus aeris
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sunt [...]. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 7. Jan. 1514. VD 16, P 1807. Bl. [E5]v: Nachwort G.s an die Studenten. 9. William Melton, Sermo ad iuvenes, qui sa/| cris ordinibus initiari, et examini se sub|mittere intendunt [...] De studio philosophiae, et Poeticae moderando. | Canonumque, et theologiae praeferendo. Wien: Hier. Vietor, 10. Juli 1517. VD 16, S 6013. ND der Ausg. Jakob J Wimpfelings (Straßburg 1514). Titelepigramm von G. (Libellus loquitur […] Ph. G., 4 Dist.). 10. C. Plinii | secundi liber septimus natu|ralis historiae. | Seorsum impressus et | emendatus perquam | diligenter. Wien: Joh. Singriener, 1519. VD 16, P 3529. Titelgleicher ND der Ausg. Vadians vom 1515 (VD 16, P 3527). Vorlesungstext für das SS 1519. Im Vorwort an die Studenten (Titelbl.v), deren lebhaften Zulauf zu seinen Veranstaltungen er nicht unerwähnt läßt, begründet G. den gesonderten Druck des 7. Buchs der ‘Historia naturalis’ mit dessen Thema (Anthropologie). Deutlich weist er aber in der Überschrift zu Kap. 56 (hier: 55) und nochmals in einem Vermerk vor dem Kolophon Plinius’ Leugnung der Unsterblichkeit der Seele zurück. 11. Opusculum de Sphaera clarissimi | philosophi Ioannis de Sacrobosco. | Theoricae planetarum excellentissi⫽|mi Astronomi Georgii Purbachii [...]. Wien: Joh. Singriener, 12. Aug. 1518. VD 16, J 718. Titelbl.v: Philippus Gundelius astronomiae studiosis, 23 Elfsilbler über den Gegenstand der Astronomie. 12. Claudii Claudiani poetae | candidissimi in Ruffi⫽|num libri duo. Wien: Joh. Singriener, 4. Sept. 1518. VD 16, C 4034. G. entnahm den Text seiner Ausg. nach eigenem Hinweis in der Zuschrift an die Studenten der Claudian-Ausg. des Johannes Camers Wien 1510 (VD 16, C 4032). Als Vertreter Vadians habe er, dessen baldige Rückkehr erwartend, zur Überbrückung des Unterrichts einen kurzen Text gewählt. ⫺ Abdruck des Briefs an die Studenten mit dt. Übers. bei N‰f, S. 149 f. 13. Q. Septimii Florentis Tertulliani aduersus Gentes, Apologeticus. Wien: Joh. Singriener, 1521.Titelepigramm (4 Dist.) und Vorrede G.s an seine Hörer. VD 16, T 566. 14. M. Tullii | Ciceronis pro | lege Manilia si⫽|ve de imperio Gn. Pompeii | oratio. Wien: Joh. Singriener, 1522. VD 16, C 3291. Vorrede an die Studenten (o. D.): Gundel plant eine Vorlesung(sreihe) über sämtliche Reden Ciceros; die vorliegende Ausg. sei als compendium für die pauperes gedacht, die sich den ganzen Cicero nicht anschaffen könnten. ⫺ ND: Wien 1526. VD 16, C 3292. D. Kleine Beiträge. 1. Ioachimi Vadiani oratio | De Iesu christi die | natali. Wien: [Hier. Vietor u. Joh. Singriener], 28,
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Gundel, Philipp
Jan. 1511. VD 16, V 31. Titelepigramm (4 Dist.) G.s. 2. Arbogasti Stsub [!] Glaronesii ora/|tiones duae […] de/|inde non nulla mortuo ab doctis uiris eulo/|gia/ Epitaphiaque pie posita. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 16. April 1511. VD 16, ZV 14767. Bl. D iiir⫺v: G.s Epitaph auf Arbogast Strub (5 Dist.). ⫺ Ausgabe: H. Tr¸mpy, Arbogast Strub, Gedächtnisbüchlein (Vadian-Stud. 5), 1955, S. 132 f. (mit Übers.). 3. Orationes quaedam devotissi⫽|me Basilij magni. et Ioannis Crysosto|mi de communione Eucaristie˛ a | Francisco Rholandello Tar|uisiensi e graeco | tralatae […]. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 18. März 1513. VD 16, B 719. Der Hg. ist nach seinem Brief an den Franziskaner Theobald (Bl. c iiiv) Adamus Lepidus Necaranus. Titelepigramm (4 Dist.) von G. Das Ex. der ÖNB Wien 24.R.5 mit Widmung auf dem Titelbl. Pro dno. doc. Cuspiniano in zeitgenössischer humanistischer Kursive. 4. Conradi Celtis | Protucij, primi in Germania | poete˛ coronati, libri Odarum | quatuor […]. Straßburg: Matth. Schürer, Mai 1513. VD 16, C 1906. Unter den zahlreichen Gedichten, welche die Ausgabe begleiten, auf Bl. a iiiir⫺v G.s elegidion (25 Dist.) an Thomas Resch, dessen Verdienst um die Ausg. von Celtis’ Oden er preist; allein die Dichtung verleihe unsterblichen Ruhm. Bl. [a5]r ein Tetrastichon G.s an den Leser (Translatio der Dichtung nach Deutschland durch Celtis). Abdruck der beiden Gedichte: Celtis-Br., Nr. 347 u. 348. 5. Lactantius Placidus, Donati grammatici, sive, ut alii | uolunt, Lactantii, argumenta compendiaria, | in Fabulas potiores Ouidianae Meta⫽|morphosis [...]. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 15. Dez. 1513. VD 16, D 2206. Eine Ausgabe Vadians, der in sie drei Distichen G.s an den Leser (Bl. a 2r) aufnahm. 6. Ioachimi Vadiani Helvetii mythi/|cum syntagma, cui titulus | Gallus pugnans […]. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, 11. Jan. 1514. VD 16, V 24. Unter den zehn Epigrammen von Vadians Wiener Schülern und Freunden zum Lobe seines satirischen ‘Hahnenkampfs’ fünf Distichen G.s (Bl. [A3]v); am Ende (Bl. [F4]r) ein weiteres Gedicht G.s an den Leser (12 Elfsilbler). 7. Wolfgang J Marius, De extrema Christi censura. Clm 1851, 59v⫺78v. Zu Marius’ Gedicht, das offenbar gedruckt werden sollte, jedoch nicht im Druck erschien, trug G. vermutlich in seinen Passauer Jahren um 1515 fünf empfehlende Distichen bei (69r: Philippus Gundelius candido lectori). 8. Puerilia grammati|ces *exercitamenta+ magistri Georgii Hauerii | Turschenreutensis. Augsburg: Silvan Otmar, 17. März 1514. VD 16, H 775. Bl. a ijv⫺a iijr: 34 Elfsilbler G.s über Hauers Grammatik an seinen und Hauers Gönner Wolfgang von
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Tannberg. Bl. [i6]r: Epigramm G.s gegen mißgünstige Kritiker (7 Dist.). 9. Puerilia Grammati|ces exercitamenta. M. Georgii | Hauerii Tursenreutini […]. Augsburg: Joh. Miller, 10. Dez. 1515. VD 16, H 776. Neben G.s Elfsilblern über Hauers Grammatik aus dem Druck von 1514 ein Titelepigramm G.s (3 Dist.). 10. Hauerius. Augsburg: Joh. Miller, 2. Mai 1516. VD 16, H 777. Zu Hauers neugefaßter Grammatik auf Bl. [A3]r ein empfehlendes Epigramm G.s (6 Dist.). 11. Theophrasti philosophi inter | Graecos doctissimi eiusdemque eloquentissimi, de Caracteribus, siue Notis. Libellus au/|reus. Lapo Castelionculo interprete | Latinus factus, hisque typis in stu|diosorum utilitatem iam/|primum quam castigatis/|sime excusus. | Philippus Gundelius […, 20 Elfsilbler]. Wien: Hier. Vietor, 1517. VD 16, T 934. Titelepigramm G.s zu der von Cuspinians Famulus Johannes Gremper besorgten ersten (lat.) Ausg. der ‘Charaktere’ Theophrasts mit Lob des Hg.s. Das griech. Original kam erst in Pirckheimers griech.-lat. Ausg. von 1527 zum Druck. 12. Ioannis Harmonii Marsi. | Comoedia Stephanum [...]. Wien: Hier. Vietor, 1517. VD 16, ZV 754. ND der 1515 von Agricola Iunior beim selben Drucker besorgten Ausgabe. Empfehlende Distichen von G. 13. Gregorii. Episcopi. Nyseni. viri et | uitae sanctitate et ingenii magnitudine inter | Graecos Christianae professionis asser|tores praecipui. de uitae perfecti/|one, siue uita Moysi, Li/|ber utilissimus, per | Georgium | Trapezuntium e | Graeco in Latinum con/|uersus […]. Wien: Hier. Vietor, Dez. 1517. VD 16, G 3120. Bl. [A3]r⫺v: ein Gedicht G.s an den Leser in 20 jambischen Epodenstrophen (je ein Senar und ein Quartenar); er bestreitet seine Empfehlung der Schrift Gregors bzw. des Moses als Leitgestalt christlichen Lebens mit der Allegorie der Navigatio vitae. Johannes Gremper hebt in seiner Widmung an den Wiener B. Georg von Slatkonia die Verdienste seines Freundes G. um die sprachliche Korrektheit des gedruckten Textes hervor. 14. Ioachimi Vadiani Helvetii, | de Poetica et Carminis ratione, Liber | ad Melchiorem Vadianum fratrem. Wien: Joh. Singriener, 23. Juni 1518. VD 16, V 33. Die Reihe der sechs begleitenden Carmina von Schülern Vadians eröffnet G. auf Bl. a iiir mit 25 Elfsilblern (Bitte an die Götter und die Musen um ihre Gunst für Vadian und sein Buch). Ausg. von G.s Gedicht: J. Vadianus, ‘De poetica’, S. 7. 15. Vsus almanach. seu | Ephemeridum: ex commentarijs | Georgii Tannsteter Colimitii/ Preceptoris | sui decerpti, et in quinquaginta pro/| positiones, per Magistrum | Andream perla-
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Gundel, Philipp
chium | stirum | Redacti […]. Wien: Hier. Vietor, 1518. VD 16, T 176. Titelepigramm G.s (4 Dist.). 16. Almanach nouum super anno Christi saluatoris nostri. M.D.xviiij. | Ex tabulis doctiss. viri magistri | Joannis de Gmunden [...] in officina Collimitiana | per Magistrum Andream Perla⫽| chium [...] supputatum. Wien: Joh. Singriener, [1519]. VD 16, P 1443. Titelepigramm von G. (2 Dist.). ⫺ Nach Denis, 1782, Nr. 183 (danach VD 16, P 1442) ging ein ‘Almanach nouum’ Perlachs auf das Jahr 1518 mit einem Beitrag G.s voraus. 17. Des. Erasmi Roterodami De Duplici Copia Verborum ac Rerum Commentarii duo [...]. Wien: Joh. Singriener, 1519. Denis, 1793, Nr. 770. Slg. erasmianischer Schriften, ND der Ausg. Basel: Joh. Froben, April 1517. Titelbl.v: G., Eloquentiae candidato, 12 Epodenstrophen (je ein Hexameter und ein iambischer Senar), Lob des Erasmus und seiner hier veröffentlichten Schriften. 18. Pomponii Melae His⫽|pani Libri de situ orbis tres, | adiectis Ioachimi Vadiani | Heluetii in eosdem scho⫽|liis […]. Wien: Joh. Singriener, Mai 1518. Vd 16, M 2310. Bl. [a]v: 31 Elfsilbler G.s, summarisch über den Inhalt der Geographie des Mela, Preis des Kommentators Vadian und seiner humanistischen Gelehrsamkeit. 19. Ioannis | Camertis Minori|tani, artium, et sa⫽|crae theologiae | doctoris, in. C. Iulii | Solini polyi¬stvra | enarratio⫽|nes. Wien: Joh. Singriener, 1520. VD 16, ZV 14498. Bl. [6]r: 26 Elfsilbler von G. (Empfehlung der Lektüre des übertrieben gerühmten Solin und des Kommentars von Johannes Camers). 20. Jodocus Ludovicus Decius, Contenta | De vetustatibus Polono|rum. Liber I. | De Iagellionum familia. Liber II. | De Sigismundi regis tempo/| ribus. Liber III. Krakau: Hier. Vietor, Dez. 1521. Titelbl.v: 15 Distichen zum Geleit des dreiteiligen Geschichtswerks des kgl.-poln. Sekretärs und Freundes Decius. Das 3. Buch, ‘De Sigismundi regis temporibus’, ist mit eigenem Beiwerk eingeleitet, mit xylographischen Bildnissen Kg. Sigismunds, des Thronfolgers Sigismund Augustus und der Kg.in Bona Sforza, deren jedes G. mit panegyrischen Epigrammen (jeweils 7 Dist.) versah (Bl. [E6]r⫺[E8]r). Abdruck der Epigramme bei W. Czermak (Hg.), Jodoci Ludovici Decii De Sigismundi regis temporibus Liber 1521, Krakau 1901, S. 1 f., 7 f., 9 f. 21. Harmo-|niae poeticae Pauli Hof-|heimeri viri equestri dignitate insigni, ac Musici excel-|lentis quales sub ipsam mortem cecinit […] Quibus | praefixus est libellus plenus doctissimorum virorum | de eodem D. Paulo testimoniis […]. Nürnberg: Joh. Petreius, 1539. VD 16, H 4960. Die einzelnen Stücke des ‘Libellus’, einer posthum veranstalteten Sammlung humanistischer Lobgedichte auf Hofhaimer († 1537), reichen bis in die Jahre um 1500 (Celtis) zurück. Der Beitrag G.s, Ad
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scientissimum celeberrimumque virum, Dominum Paulum Hofheimer Equitem auratum, Caesareae Maiestatis supremum Musicum, Philippi Gundelij Patauiens. epistolium (Bl. [b7]r⫺v, 22 Dist.), steht in der Gruppe der Glückwunschgedichte zu Hofhaimers Nobilitierung zum Eques auratus 1515 in Wien. 22. Commentaria | ephemeridum clarissimi vi-| ri D. Andreae Perlachii Stiri, medi⫽|cae artis doctoris [...]. Wien: Aegidius Aquila, 1551. VD 16, P 1444. Hg. ist Joh. Schröter. Bl. B ijr⫺B iijr: Elegie G.s in 36 Dist. auf den am 11. Juni 1551 verstorbenen Freund Perlach und sein Werk. Bl. B iijv: Inschrift des Grabsteins, den G. dem Freund ⫺ [...] XL Annos iugi amicitia illi iunctus ⫺ auf dem Friedhof bei St. Stephan in Wien setzen ließ. 23. Summaria de⫽|claratio eorum, quae ad | urinarum cognitionem maxime faci⫽|unt, ex publicis Ioannis Baptiste˛ Montani prae-|lectionibus […] Item | an urinarum vel pulsuum | observatio certiores notas salutis vel mortis | Medico praebeat, vtilis enarratio Fran-|cisci Emerici Doctoris […]. Wien: Aegidius Aquila, 1552. VD 16, E 1053. Bl. a iijv⫺[a4]r: 13 Distichen an Franz Emerich, medicum peritissimum, amicum veterem, et multis nominibus carissimum, zum Lob der Fortschritte der Naturerforschung, insbesondere der medizinischen Kunst, die freilich gegen das fatum nichts auszurichten vermöge. 24. Febrium | putridarum expo-|sitio et methodica cu-|ra […] D. Francisco E-|merico Oppaviano | Autore. Wien: Aegidius Aquila, 1552. VD 16, E 1054. Titelbl.v: G.s Epigramm (9 Dist.) auf Franz Emerichs, Medici peritissimi sibique perpetua XXXI annorum amicitia iuncti, diagnostische und therapeutische Schrift, die ihr Fundament in der griechischen Medizin habe. 25. Liber sacrosancti euangelii | De Iesu Christi Domino, et Deo nostro. […] characteribus | et lingua Syra, Iesu Christo vernacula, Di-|uino ipsius ore consecrata, et a` Ioh. Euangelista He|braica dicta, Scriptorio Prelo diligenter Expressa […]. Wien: Mich. Zimmermann, 27. Sept. 1555. VD 16, B 4584. Auf der letzten Seite 22 Hexameter des Hg.s Johann Albrecht Widmanstetter (Orientalist, Diplomat, Verwandter G.s) zu der Frage, warum orientalische Bücher von rechts nach links geschrieben seien, und vier darauf antwortende Distichen G.s. 26. Martin Mylius, Oratiun|cula in funere Magnifi-|ci ac clarissimi viri do⫽|mini D. Francisci Emerici Oppa-|uiani [...]. Wien: Raphael Hofhalter, 1560. VD 16, M 7400. Widmung der Leichenrede an G., Freund und Schwiegervater des am 26. Mai 1560 verstorbenen Wiener Mediziners Emerich. Der Rede folgt ein kleines Epitaph G.s (Bl. cv).
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27. Exempla ali⫽|quot S. vetustatis Rom. in | saxis quibusdam, opera nobi-|lis viri, D. Hermetis Schallau|czeri, Caes. Maiestatis consil. et archi-| tecturae praefecti […]. Wien: Raphael Hofhalter, 1560. VD 16, S 2244. Unter den 20 elogiae auf Hermes Schallautzer, Baumeister Ferdinands I., im Anhang zu den von Wolfgang Lazius hg. Abbildungen und Inschriften der von Schallautzer aufgefundenen römischen Grabsteine auf Bl. E 3v 10 Distichen G.s. 28. Wolfgang Schrantz, Concio funebris | in obitum | honestissimae et piae matronae Magdalenae Ilsungae, [...]. Wien: Mich. Zimmermann, [1561]. VD 16, S 4071. Schrantz’ Totenrede vom 16. Jan. 1561 auf die Gattin des ksl. Rates und Dr. iur. utr. Georg Gienger folgt ein umfangreicher Anhang mit Epitaphien und Elegien verschiedener Autoren, darunter vier kleinen Epicedia G.s. 29. In | Auspicatum | et felicem adventum, | invictissimi ac sacratissimi | Rom: caesaris d. n. Maximiliani | Bohemorum Regis, et Austriae Archiducis etc. | congratulatio supplex inclyti Archigymnasii | Viennensis [...]. Wien: Raphael Hofhalter, 1563. VD 16, I 106. G. eröffnet Bl. A 2r mit 6 Distichen eine Sammlung von Carmina zum Einzug des als Römischer und böhmischer König bestätigten Maximilian II. 1563 in Wien.
E . J ur is ti sc he Sc hr if te n. 1. Libellus de officio et potestate Vicarii episcopalis. Krakau: Florian Ungler, Dez. 1523. Gewidmet dem Krakauer Eb. Joh. Conarius und seinem Adiutor Petrus Tomicki. Nach Janocki, S. 103. 2. Iuris utriusque lectiones ad sacratissimum et serenissimum principem Sigismundum Poloniae regem. Krakau: Hier. Vietor, 13. Febr. 1523. Nach Janocki, S. 103. 3. Zusammen mit den Wiener Juristen Georg Eder und Georg Gienger verfaßte G. 1559 Rechtsgutachten für Ks. Ferdinand I. in dessen Streit mit Papst Paul IV., der die Resignation Karls V. und Ferdinands Kaiserkrönung am 24. März 1558 für ungültig erklärt hatte, da ihnen die päpstliche Zustimmung gefehlt habe. Hs. der drei Gutachten: Wien, ÖNB, Cod. 8727. Literatur. J. Vadianus, De poetica et carminis ratione [1518], hg. v. P. Sch‰ffer (Humanist. Bibl., Reihe II, Bd. 21, I⫺III), 1973⫺77, Bd. 1, S. 55 f., 62, 97; W. Lazius, Vienna Austrie. Rerum Viennensium Commentarij in Quatuor Libros distincti, Basel 1546, S. 118 f., 124; J. D. Janocki, Ianociana sive clarorum atque illustrium Poloniae
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auctorum maecenatumque memoriae miscellae, Bd. 1, Warschau/Leipzig 1776, S. 102⫺105; M. Denis, Wiens Buchdruckergeschicht bis M.D.LX., Wien 1782, S. 84, 184 f., 194 f., 206, 471, 586 f., 601; ders., Nachtrag zu seiner Buchdruckergeschicht, Wien 1793, S. 38, 40 f.; A. Horawitz, Caspar Bruschius. Ein Beitrag z. Gesch. d. Humanismus u. d. Reformation, 1874, S. 136; Aschbach, Wiener Univ. II, S. 319⫺326 u. ö. (Reg.); J. Aschbach, Die Wiener Univ. u. ihre Gelehrten 1520⫺1565 (Gesch. d. Wiener Univ., Bd. 3), 1888, S. 82 f., 135 u. ö. (Reg.); Vadian-Br., Bd. 1, Nr. 17, 23, 38, 41, 46, 54, 58, 72, 80; Bd. 2, Nr. 134, 195; 279, 288; Bd. 3, Nr. 28; K. Schrauf, Acta facultatis medicae univ. Vindobonensis, Bd. 3, 1904, S. 294; A. Goldmann, Die Univ. [Wien]. 1529⫺ 1740, in: Gesch. d. Stadt Wien, hg. v. Altertumsvereine zu Wien, Bd. 6, 1918, S. 171 u. 198; F. Leeb, Leonhard Käser (Reformationsgeschichtl. Stud. u. Texte 52), 1928, S. 25 u. 28; H. Barycz, Historia universitatu Jagiellonskiego, 1935 (Reg.); W. N‰f, Ph. G. als Vertreter u. Nachfolger Vadians in d. Wiener Professur 1518, Schweizer Beitr. z. Allg. Gesch. 14 (1956) 148⫺155; H. AnkwiczKleehoven, Der Wiener Humanist Joh. Cuspinian, 1959, S. 14, 93, 104⫺107, 123, 162 f. u. ö. (Reg.); W. Posch, Philippus Gundelius. Ein Beitrag z. Gesch. d. Humanismus in Wien, Diss. (masch.) Wien 1961; H. Rˆssler, Gesch. u. Strukturen d. evang. Bewegung im Bistum Freising 1520⫺1571 (Einzelarbeiten aus d. Kirchengesch. Bayern 42), 1966, S. 210; J. Oswald, Zur Gesch. d. Humanismus in Passau u. Niederbayern, Ostbair. Grenzmarken 9 (1969) 288⫺298, hier S. 292⫺295; C. Gindele, Krit. Bemerkungen zu Ph. G. aus Passau als Empfänger d. griech. Briefes Melanchthons (Augsburg 1530), ebd. 14 (1972) 288⫺298; B. Kaff, Volksreligion u. Landeskirche. Die evang. Bewegung im bayer. Teil d. Diöz. Passau (Miscellanea Bavarica Monacensia 69), 1977, S. 17 f. (u. 14 Anm. 2; die von Kaff unter ABP, Gerneralakten 2107, zitierten Stücke finden sich dort nicht [Mitt. von Archivdir. Dr. Wurster]); dies., Protestanten in Passau, Ostbair. Grenzmarken 21 (1979) 106⫺ 119, hier S. 106 f.; Bonorand I, S. 160 f.; J. Reutter, Der Libellus plenus doctissimorum virorum de eodem D. Paulo testimoniis in den Harmoniae Poeticae Paul Hofhaimers als Zeugnis humanistischer Gelehrsamkeit, in: W. Salmen (Hg.), Heinrich Isaac u. Paul Hofhaimer im Umfeld v. Ks. Maximilian I., 1997, S. 113⫺121, hier S. 116 u. 118; J. Sallaberger, Kard. Matthäus Lang v. Wellenburg (1468⫺1540). Staatsmann u. Kirchenfürst im Zeitalter v. Renaissance, Reformation u. Bauernkriegen, 1997, S. 192 u. 313 Anm. 7.
F. J. Worstbrock
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Gürtler, Hieronymus
Gürtler, Hieronymus I . L eb en . Geb. 1464 oder 1465 als Sohn des Jakob Gorteler, der zwischen 1499 und seinem Todesjahr 1517 verschiedene Ämter in Goldberg (Złotoryja) im Hzg.tum Liegnitz bekleidete. Die Familie wird im Goldberger Stadtbuch Gorteler, Görteler und Gurteler genannt, zuweilen auch vom Wildenberg. Hieronymus nannte sich bereits bei der Kölner Immatrikulation Cingulator, in den frühen Schriften (II.A.1.a⫺b, 2., D.1.) Cingulatorinus, seit 1511 Cingularius Aureomontanus. In Thorn führte er nach dem Herkunftsort den Namen Aurimontanus (a Ferimontanis) (s. u. II.B. u. C.), später Wildenbergius (II.A.3.). Die hier verwendete Namensform ‘Gürtler’ geht auf Bauch, 1895, zurück, der die unter verschiedenen Namen veröffentlichten Schriften erstmals ein und demselben Verfasser zuwies. Von den mindestens fünf Brüdern erlangte Fabian, der während des Studiums in Frankfurt (Oder) (immatr. WS 1507/8) die Freundschaft Ulrichs von J Hutten gewann, bescheidene Bedeutung. Hutten widmete ihm 1510 im ‘Nemo’ ein Gedicht (Hutten, Opera, Bd. 1, S. 27), J Crotus Rubeanus verlieh ihm den Humanistennamen Fabius Zonarius (ebd., S. 20). Erhalten ist von ihm nur ein Brief (8. Sept. [1514/15?]) an Joachim J Vadian (Vadian-Br., Bd. 3, Nachträge, Nr. 14). Weitere Lebenszeugnisse bei Bonorand IV, S. 228 f. – Rupprich wollte Fabian aufgrund einer Formulierung im Briefwechsel Willibald J Pirckheimers (Bd. 3, S. 283) und weiterer Indizien den ‘Eckius dedolatus’ (1520) zuschreiben (so noch H. Grimm, in: NDB 7, 1966, S. 286 f.); s. jedoch Willibald J Pirckheimer, II.C.2.
Hieronymus, der die Goldberger Trivialschule besuchte, ist erstmals im Alter von über 30 Jahren mit der Immatrikulation im SS 1496 in Köln an einer Universität nachweisbar. Er absolvierte das Artesstudium in der Montanerburse, zu der er zeitlebens Kontakt pflegte (Tewes), wurde am 30. Mai 1497 Baccalaureus artium und erlangte am 17. Juni Dispens von seinen Lehrverpflichtungen, um andernorts eine Lehrtätigkeit auszuüben. Am 11. März 1501 erwarb er in Köln die Licentia in artibus. Nach dem Bericht Johannes Clajus’ d. Ä. in den ‘Variorum carminum libri quinque’ (Görlitz 1568; VD 16, C 4008, Bl. [M8]v) soll er 1501 die Leitung der
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Schule der Brüder vom gemeinsamen Leben in Kulm im Königlich-Polnischen Preußen übernommen haben und 1504 wegen einer Teuerung mit zahlreichen Schülern nach Goldberg gezogen sein. Unabhängig von dieser späten Quelle weisen Ortsangaben in der Brieflehre der Grammatik auf eine Unterrichtstätigkeit in Kulm (1507; s. II.A.1.a, lxxxr u. ö.). Am 27. Mai 1505 verfaßte G. als Lehrer in Goldberg den Widmungsbrief zu seiner ersten Veröffentlichung (s. II.D.1.). B. Johannes V. Thurzo´ von Breslau übertrug am 30. Aug. 1507 drei Altarlehen der Pfarrkirche an die Unterlehrer G.s und würdigte dabei den Aufschwung der Goldberger Lateinschule unter G. (Text d. Urkunde: Bauch, 1901, S. 13⫺15). Wegen des starken Zuzugs von Schülern wurde ein Neubau des Schulhauses notwendig. G. selbst war wohl seit Beginn der Lehrtätigkeit mit einem Kanonikat am Hl.-Geist-Stift in Liegnitz (belegt 1511) versorgt. Er bezeichnet sich im Rückblick (‘Totius naturalis philosophiae epitome’, 1544, Bl. a 3r) als autor des studium in Goldberg, das er auf Geheiß Hzg. Friedrichs II. von Liegnitz eingerichtet habe. Mehrere Schüler G.s übernahmen später Schulleiterposten in Schlesien, Sachsen und der Lausitz, zwei seiner Hilfslehrer, darunter ein Bruder Sigismund J Buchwalds, folgten ihm in Goldberg als Rektoren. Im SS 1511 bezog er zum Medizinstudium in Wittenberg nochmals die Universität und erlangte 1511 oder 1512 den medizinischen Doktorgrad (Koch). Nach Aug. 1513 ging er wieder nach Preußen und ist erstmals 1515 als Stadtarzt in Thorn bezeugt. Wohl erst hier gründete er eine Familie. Er nahm tätigen Anteil an der Entwicklung der Lateinschule im nahen Kulm. 1519 war er Zeuge bei der Erhebung der Kulmer Schulbrüder zu Kollegiatkanonikern (Woelky, S. 683), 1531 ersuchte er den preußischen Landtag in Thorn um Unterstützung der Schule (s. II.C.); 1537 wirkte er bei der von B. Johannes Dantiscus angeordneten Reform der Schule mit (zwei Briefe G.s an Dantiscus, 10. April u. 12. Juli 1537, bei Woelky, S. 770, 777 f.). Im 94. Lebensjahr starb G. am 30. Sept.
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Gürtler, Hieronymus
1558 in Thorn. Sein Sohn und zwei Schwiegersöhne, von denen frühere Nachricht fehlt, setzten ihm 1566 ein erhaltenes Kenotaph in der Goldberger Marienkirche (Text bei Bauch, 1895, S. 196 Anm. 1; R. Gorzkowski, Kos´cio´ł Narodzenia Najs´wie˛tszej Marii Panny w Złotoryi, Złotoryja 1997, Abb. XII). I I. We rk . G.s Werk erwächst aus seinem Selbstverständnis als Lehrer, er schrieb Lehrbücher für alle Bereiche des Trivium. Die langjährige Tätigkeit als Stadtarzt in Thorn hinterließ dagegen kaum Spuren (s. B.). Als Humanist ist G. Autodidakt, er stützt sich ganz auf verfügbare Lehrbücher und nennt nirgends einen Lehrer. Persönliche Bekanntschaft mit bedeutenderen Gelehrten – sieht man von späten dienstlichen Kontakten mit den Bischöfen Dantiscus und Giese ab – ist allein mit Laurentius J Corvinus nachzuweisen. G.s erfolgreichstes, auch konzeptionell wegweisendes Werk ist ein dt.-lat. Wörterbuch (A.3.). A . A rt es . 1. Grammatik. G.s Grammatik gehört zu den frühesten selbständigen Grammatiken in Deutschland mit humanistischem Anspruch, stellt allerdings – trotz der Eingriffe der 2. und 3. Auflage – allenfalls einen Zwitter zwischen spätmal. und humanistischer Grammatik dar. Nennenswerte Wirkung hatte sie nicht. a) Anregung zur Ausarbeitung einer Grammatik war J Wimpfelings ‘Isidoneus Germanicus’, dessen Vorrede G. in der eigenen Epistola preambularis (Goldberg, 14. Sept. 1506) zur 1. Auflage von 1507 benutzt. Sie besteht aus fünf opuscula: die Redeteile mit ihren Akzidentien (häufig wörtlich nach dem ‘Donatus minor’), Flexion (ethimologia), Syntax (dyasinthetica), Vers- und Brieflehre. Obwohl G. in der Einleitung die spätmal. Kommentare zum ‘Doctrinale’ D Alexanders de Villa Dei [NB] kritisiert, sind diese – etwa die ‘Glosa notabilis’ des Gerardus de Zutphen (zuerst Köln [um 1487]. GW 1049) – benutzt; das
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2. opusculum zur Flexion besteht gar aus kommentierten Auszügen aus dem ‘Doctrinale’ (s. Bauch, 1895, S. 170 f.). Zu den oft wörtlich ausgeschriebenen Quellen gehört Wilhelm D Zenders’ ‘Exercitium grammaticale puerorum’ (Puff, S. 154 u. 156). Das Belegmaterial ist – gewiß überwiegend indirekt – vorwiegend antiken Autoren sowie wenigen neueren (v. a. Baptista Mantuanus) entnommen. G. rechtfertigt den Verzicht auf dt. Übersetzungen in einer Vorrede zum 3. Teil durch Verweis auf mündliche Erläuterungen des Lehrers (Puff, S. 158 f.). Die Verslehre erklärt im Anschluß an Corvinus’ ‘Carminum structura’, der auch sämtliche Beispiele entnommen sind, allgemeine Regeln der Prosodie und 24 Metren, fügt zur Prosodie erneut kommentierte Auszüge aus dem ‘Doctrinale’ ein. Die Brieflehre fußt in wesentlichen Stükken ⫺ Definition des Briefs, seine genera (missiua und responsiua), partes epistole (causa, intentio, consequens), ordo partium (artificialis und accommodatus) – wohl auf der ‘Ars epistolandi’ Andreas J Hunderns, die ihrerseits den ‘Modus epistulandi’ des Guilelmo Traversagni (Wilhelm von Savona) als Leitquelle benutzte. Cicero, Francesco und Mario Filelfo, Beroaldo und auch Bebel führt er als Autoritäten an. Die tituli, die den standestypisch geordneten Adressaten gebühren, sind aus verschiedenen Quellen gesammelt. Sie sind biographisch von Interesse, da G. mit ihnen häufig die Namen von Gönnern (Bebel, MartinJ Polich), Freunden (Corvinus) und besonders Wittenberger Gelehrten (J Cyclopius u. a.) verbindet. b) Die 1511 gedruckte, heute anscheinend verlorene 2. Auflage (das folgende daher nach Bauch, 1895, S. 183⫺185) bezeichnet sich im Widmungsbrief an B. Johann V. Thurzo´ (Goldberg, 18. Dez. 1510) als gereinigt von reliquis Alexandri Gallici aliorumque grammatistarum halucinationibus. Wichtigste Quelle der Neubearbeitung sind Jakob J Heinrichmanns ‘Institutiones grammaticae’; partienweise Übernahmen aus ihnen ersetzen die auf dem ‘Doctrinale’ beruhenden Passagen im 2. opusculum, auch der dritte Teil (Syntaxis)
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folgt weitgehend Heinrichmann. Für Versund Brieflehre sind Heinrich J Bebels ‘Ars versificandi’ und ‘Commentaria epistolarum conficiendarum’ benutzt. c) Die 1512 fertiggestellte, erneut Johannes Thurzo´ brieflich (Wittenberg, 1. Aug. 1512) gewidmete 3. Ausgabe ist im ganzen stark gestrafft und um die Verslehre verkürzt. Im Verzeichnis benutzter Grammatici (32 Einträge) ist Heinrichmann erstmals genannt, ferner u. a. Joh. J Brassicanus, J Rhagius Aesticampianus und Georg J Simler. Drucke. a) Opus gram|matice | Integrum ac consummatissimum Germa|nieque solidissima et prima Iuuentutis | institutio [...]. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1507. VD 16, G 3935. Titelepigramm des Laur. Corvinus. b) Grammatica Hieronymi Cingulatorini Chrysopolitani [...]. Vocabulorum appendice interpollata: [...]. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1511. Nach Bauch, 1898, S. 164, Nr. 71. c) Hieronymi Cingula⫽|rij Aurimontani artis Grammatice | obseruationes: ad diuum Ioannem | Turzo Vratislauianorum Presulem: [...]. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1515. VD 16, G 3920. Neue Empfehlungsgedichte von Corvinus, Cyclopius und Baldmann. – Die Brieflehre aus c) wurde mehrfach separat nachgedruckt (Bauch, 1921, S. 34 f.): Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1515. Bauch, 1898, Nr. 103a; ebd., 1517. VD 16, G 3933; [Augsburg: Silvan Otmar, 1515?]. VD 16, G 3931 (mit fraglicher Datierung [1513]). – Das Introductorium iuuenum (Deventer: Jak. v. Breda, [um 1515?]; NK 3237), das IA 140.208 als Werk G.s führt, ist der Druck eines gleichnamigen Lehrbuchs (zuerst [Gent] 1485. GW 11048; vgl. ebd., Bd. 9, Sp. 692) und hat nichts mit G. zu tun.
2. ‘Elegantiarum opusculum’. Stilistisches Wörterbuch in 2 Teilen (zu den Elegantiae orationum und terminorum). Eine Praefatio über Begriff, Einteilung und Wirkweise (vires) der Rhetorik (10 S.) führt in das Werk ein. Häufig zitiert sind Cicero (‘De oratore’) und Quintilian; die Einführung schließt mit einem Lob der Rhetorik, das weitgehend von Ognibene da Lonigo (‘De laudibus eloquentiae’, zuerst Vicenza 1476; HC 10030) übernommen ist. Teil 1 gibt – in Anlehnung an Wimpfelings ‘Elegantiarum medulla’, der G. auch zahlreiche längere Passagen entnommen hat, und Corvinus’ ‘Hortulus elegantiarum’ – in 9 Kapiteln Vorschriften
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zur korrekten Konstruktion von 7 Redeteilen (ohne das Verb), das 10. Kapitel bildet ein alphabetisches Verzeichnis von 65 Wort- und Sinnfiguren. Der 2. Teil (De Elegantijs terminorum [...] ex Laurentij Vallensis et aliorum) ist ein kommentiertes alphabetisches Wortverzeichnis, das hauptsächlich aus Antonio Mancinellis ‘Epitoma elegantiarum Laurentii Vallensis’, daneben u. a. aus Heinrich J Bebels ‘Commentaria de abusione linguae Latinae’ kompiliert ist. Druck. Magistri Hieronymi Cingula|torini Aureomontani Elegan|tiarum Opusculum [...] | [...] ad Iacobum genitorem | suum [...]. Leipzig: Martin Landsberg, 8. April 1510. VD 16, G 3934. Titelepigramm und Widmungsbrief zu Teil 1 an den Vater (Goldberg, 16. Okt. 1507), Widmungsbriefe und -epigramme zu Teil 2 an Mancinelli († 1505!) und Bebel (Goldberg, 20. April 1509). Schlußschrift G.s zum 2. Teil und Dankesbrief des Vaters (ebd., 20. u. 21. April 1509). Poetische Empfehlungen der Goldberger Unterlehrer Joh. Joppener und Franz Baldmann vor Teil 1, nach Teil 2 von diesem eine Elegia [...] in Zoilum (17 Dist.).
3. ‘Synonymorum collectanea’. Das zwischen 1511 und 1513 entstandene alphabetische dt.-lat. Synonymenwörterbuch ordnet den mehr als 1000 dt. Lemmata zwischen zwei und über 40 lat. Interpretamente zu. Nur vereinzelt erscheint ein Lemma aus zwei synonymen Lexemen, häufiger ein syntagmatisches Lemma. Das Wörterbuch sollte ausweislich des Titels Schülern zu besserem Stil durch größeren Ausdrucksreichtum v. a. in Brief und Carmen verhelfen. Die Widmung an zwei Schüler und Beigaben der Unterlehrer unterstreichen die Herkunft aus dem Lateinunterricht. Als Anhang ist ein erläutertes Verzeichnis von lat. Heteronymenpaaren bzw. -gruppen beigegeben, Antonio Mancinellis ‘Proprietates vocum ex probatissimis collecte autoribus’ (u. a. ‘Opera’, Basel 1503, N iijv⫺[O8]r; VD 16, M 478), das G., ohne den Autor zu nennen, lediglich alphabetisch ordnete. Die ‘Synonymorum collectanea’ sind das erste gedruckte dt.-lat. Synonymenwörterbuch. Sie trugen entscheidend zur Durchsetzung des dt.-lat. Typus bei. Den Erfolg der Konzeption bestätigen die frz.lat. und die frz.-ndl.-lat. Bearbeitung (vgl. M¸ller, S. 169⫺172).
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Drucke. Hieronymi Cingularij Aurimon⫽| tani tersissima latini eloquij | Synonymorum collectanea | [...]. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, Okt. 1513. VD 16, ZV 16220. Widmung an Christoph und Nikolaus von Seydlitz (Goldberg, 23. Nov. 1511), Widmungsgedichte Franz Baldmanns und Bernhardin Buchwalds, Schlußschrift an die Widmungsempfänger (Goldberg, 28. Dez. 1513). In der 2. Aufl. (Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1514. VD 16, G 3936) zusätzlich Widmungsgedichte der Wittenberger Kommilitonen Cyclopius und Joh. Eisermann (Ferreus Montanus). Diese oder die 3. Aufl. (ebd. 1515. VD 16, ZV 20620) wurde sogleich von drei anderen Leipziger Drukkern (Lotter, Schumann und Landsberg: VD 16, G 3937 u. 3938, ZV 19723) nachgedruckt. Mindestens 19 weitere Drucke in Leipzig (11), Mainz, Straßburg (5), Landshut und Köln kontinuierlich bis 1522, dann nochmals in Magdeburg [um 1538]; vgl. Claes; M¸ller, S. 169 Anm. 134, mit VD 16, G 3937⫺3950, ZV 15723, 17923, 7148 u. 7149; IA 140.249. Eine frz.-lat. Bearbeitung: Antwerpen: Mich. Hillenius, 1524, eine frz.-ndl.-lat. Version: ebd. 1529 u. 1544; s. M¸ller, S. 172.
4. Schulbücher zur aristotelischen Philosophie. Als Thorner Stadtarzt verfaßte G. zwischen 1542 und 1548 für den Gebrauch der Lateinschulen in Kulm und Goldberg Einführungen in die schulrelevanten Teile der aristotelischen Philosophie (Physik, Logik, Ethik). a) Naturphilosophie. Die ‘Epitome’ bietet kurze Einführungen zu den fünf naturphilosophischen Schriften des Aristoteles. Drucke. Totius | Naturalis | Philosophiae in Phy|sicam Aristotelis Epitome, […]. Basel: Joh. Oporinus, März 1544. VD 16, G 3958. Widmungsbrief an die jungen Hzg.e Friedrich III. und Georg I. von Liegnitz (Thorn, 1542). Gemeinsam mit Ermolao Barbaros d. J. ‘Naturalis scientiae totius compendium’, hg. v. Konrad Gessner, ebd. 1548. VD 16, G 3959. Separat auch in Paris 1548 u. 1554 gedruckt (IA 140.247 u. 140.251). Weitere Drucke unter c).
b) Logik. Lehrbuch der “ciceronisch-agricolaschen Rhetoridialektik” (Risse, S. 48), in usum et gratiam iuventutis Culmensis Gymnasii zusammengestellt. G. gibt einen Quellenkatalog, der neben antiken Autoritäten die im 16. Jh. gängigen Autoren, Rudolf D Agricola, Joh. J Caesarius und Melan-
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chthon, aufführt. Bei weitem am häufigsten beruft sich G. auf Caesarius. Drucke. Vniver⫽|sae Philosophiae Ra⫽|tionalis in Dialecticam Aristo⫽|telis Epitome, libris octo ab⫽|soluta, [...]. Breslau: Andr. Wingler, [15]48. VD 16, ZV 7150. Widmungsbrief an B. Tiedeman Giese von Kulm (1543). Weitere Drucke unter c).
c) Erweitert um eine Einführung in die aristotelische Moralphilosophie (Ethik, Politik, Ökonomik) wurden die Lehrbücher zu Physik und Logik als dreiteilige Einleitung in die philosophia humana zuerst in Basel gedruckt. B. Tiedemann Giese von Kulm und Ermland gab ein empfehlendes Iudicium über das ihm gewidmete Handbuch bei. Zwischen Moralphilosophie und Politik sind die ‘Praecepta ad Demonicum’ (Ps.-Isokrates) in der Übersetzung Rudolf D Agricolas und D Seneca zugeschriebene De morum urbanitate dicta eingerückt. Die Darstellung der Moralphilosophie enthält einen alphabetischen Tugendkatalog. Die Ökonomik wird gemäß ihrer geringen Bedeutung für die Jugend nur kurz in einem Adnexus behandelt. Wie die ganze Epitome zeigt auch dieser starke christliche Überformung. Drucke. Totius Philo-|sophiae Humanae | in tres partes, nempe in Rationa-|lem, Naturalem, et Moralem, di-|gestio: [...] | [...]. Basel: Joh. Oporinus, [1549/50]. Das Druckdatum ergibt sich aus G.s Anrede des Tiedemann Giese als Bischof von Ermland (postuliert 25. Jan., ernannt 20. Mai 1549, † 23. Okt. 1550). VD 16, G 3951 (mit Druckdatum [1546]). Als Einleitung zum ganzen Werk stehen Gieses Iudicium (Löbau, [15]46) über das Werk und G.s Widmungsbrief an denselben (o. D.). Eigene Widmungsbriefe zu den drei Teilen: zu Teil 1 an Giese (o. D.), vor Teil 2 u. 3 diejenigen aus den Separatdrucken (s. o.). Die 2. Aufl. (Basel: Joh. Oporinus, 1555. VD 16, G 3952), ab autore recogniti atque locupletati (S. 377), mit neuem Widmungsbrief zu Teil 3 senatui populoque der Stadt Thorn (ebd., März 1551). Mindestens fünf weitere Drucke bei Oporinus zwischen 1555 und 1585 (VD 16, G 3953⫺3957), zwei in Paris 1553 und 1554 (IA 140.249 u. 140.250) sowie einer in Lyon 1562 (W. Risse, Bibliotheca logica, Bd. 1, 1965, S. 73).
B . Med iz in . ‘Pestilentialis ephemeris curandi ratio’. Als der Englische Schweiß im Sept. 1529 Preußen erreichte, verfaßte G. seine einzige
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erhaltene medizinische Schrift. In der Vorrede an die Leser (Thorn, 5. Okt. 1529) bezeichnet G. das Schweißfieber als Strafe Gottes, die zur Umkehr bewegen will; doch möchte er mit der Schrift auch seine Heilungserfolge weitergeben. Der Traktat bietet in 22 Kapiteln eine Beschreibung der Symptome und der geographischen Ausbreitung des Schweißfiebers, nennt als medizinische Ursache giftige Ausdünstungen und gibt Rezepte für Gegenmittel sowie Verhaltensmaßregeln. Druck. Perhor⫽|rendae pestilenti/|alis Ephemeris: quam falso sudato/|rium luem uocant: curandi Ratio. | [...]. Krakau: Hier. Vietor, April 1530. Panzer, Ann. VI, 474, 215; K. Estreicher, Bibliografia polska, Bd. 33, Krakau 1939, S. 9 (vorhanden in: Bethesda/Md., National Library of Medicine, 2217065R). Die Schrift scheint in der medizingeschichtlichen Literatur zum Englischen Schweiß unbekannt zu sein.
C . Ö ff en tl ic he Re de . ‘Pro Culmensis gymnasii instauratione oratio’. G. verfaßte anläßlich des preußischen Landtages in Thorn 1531 eine von einem Knaben deklamierte Rede, in der er die Landstände zur Unterstützung der Brüderschule in Kulm, besonders zur Versorgung dreier Hilfslehrer durch ein jährliches Stipendium, aufruft. Druck. Hieronymi Au⫽|rimontani a Ferimonta⫽|nis pro Culmensis Gymna⫽|sii instauratione ad | primates Prussiae O⫽|ratio in comitiis Turonensibus habita, Anno M.D.XXXI. Krakau: Hier. Vietor, [um 1531]. Nach Bauch, 1901, S. 26 (kein erhaltenes Ex. ermittelt). Ausgabe. Bauch, 1901, S. 27⫺37. D. Herausgeber und Bearbeiter. 1. Marci Tullij Ciceronis epistole famili-|ares atque breuiores Adolescentibus | quoque magis utiles ex toto epistolarum | eius volumine [...] | [...] studiose collecte. [...]. Breslau: Konrad Baumgarten, 1505. M. Burbianka, Roczniki biblioteczne´ 14 (1970) 92 f., Nr. 10. Widmungsbrief ad lectorem (Goldberg, 27. Mai 1505). G. empfiehlt den Kommentar des Hubertinus Crescentinus (zuerst Vicenza 1479. Reichling, Suppl. 5462) für weiterführende Studien. Einer der zahlreichen Drucke der ‘Epistolae familiares’ mit diesem Kom-
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mentar (erstmals Venedig 1480. GW 6834) dürfte G.s Vorlage gewesen sein. Die bisher bekannten weiteren Drucke: [...] ac denuo vigili cura elimate [...]. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1510 (mit Widmungsgedicht von Nikolaus Aedeler, Schulrektor in Zittau, und nun auf den 27. Mai 1509 datiertem, erweiterten Einführungsbrief), 1511, 1512 u. 1514 (VD 16, ZV 24638, C 3064, ZV 3429; IA 137.420); ebd.: Val. Schumann, 1515 u. 1517 (VD 16, ZV 2439, ZV 3439) sowie Krakau: Joh. Haller, 1510 (IA 137.335). 2. Hieronymi Cingularij Chrysopoli⫽|tani in omnes Petri hispani tractatu|los enarratiuncula [...]. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1513. VD 16, ZV 19250. Empfehlungsgedicht des Corvinus, Widmungsbrief G.s ad lectores (Goldberg, 1. Nov. 1511), Tetrastichon Liber ad lectorem sowie Conclusio (ebd., 22. Jan. 1512) vor dem Kolophon. Anlage, Textus sowie den größten Teil des Kommentars entnahm G. dem thomistischen KopulatKommentar der Kölner Montanerburse, der zwischen 1486 und 1507 16mal gedruckt wurde (s. J. P. Mullally, The Summulae logicales of Peter of Spain, Notre Dame/Ind. 1945, S. 139⫺143; verglichen: Copulata commentaria textui | omnium tractatuum Petri hyspani [...]. Köln 1496. Hain 8706). G. kürzt seine Vorlage auf etwa ein Drittel des Umfangs, stellt die Quästionen um und glättet sprachlich. Der 12. Traktat (distributionum) ist bis auf den ersten Satz fortgelassen und durch den pseudepigraphen, auch im Textus stark gekürzten Tractatus consequentiarum samt Kommentar ersetzt. Literatur. C. P. Woelky, Ukb. d. Bisthums Culm, Bd. 2, 1887, S. 683, 770, 777, 800 f.; G. Bauch, H. G. v. Wildenberg. Der Begründer d. Goldberger Particularschule, Zs. d. Ver. f. schles. Gesch. 29 (1895) 159⫺196; ders., Bibliographie d. schles. Renaissance, in: Silesiaca. Fs. C. Grünhagen, 1898, S. 145⫺186, hier S. 162, 164 f., u. ö.; ders., Drei Denkmäler z. älteren schles. Schulgesch. (Wiss. Beilage z. Jahresber. d. Evang. Realschule II z. Breslau), 1901, S. 27⫺31; ders., Valentin Trozendorf u. d. Goldberger Schule (Monumenta Germaniae paedagogica 30), 1924, S. 10⫺ 41 (weitgehend wie 1895, einige Ergänzungen); H. Rupprich, Der Eckius dedolatus u. sein Verfasser, 1931, S. 50⫺58; W. Risse, Die Logik d. Neuzeit, Bd. 1, 1964, S. 48, 418; F. Claes, Bibliograph. Verz. d. dt. Vokabulare u. Wörterbücher, gedruckt bis 1600, 1977, Nr. 219⫺238; H.-Th. Koch, Medizin. Promotionen an d. Univ. Wittenberg in d. Vorreformationszeit, in: W. Kaiser / A. Vˆlker (Hgg.), Medizin u. Naturwiss. in d. Wittenberger Reformationsära (Wiss. Beitr. d. Martin-Luther-
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Gürtler, Hieronymus
Univ. Halle-Wittenberg 82/7), 1982, S. 69⫺81, hier S. 73⫺75, 78; G.-R. Tewes, Die Bursen d. Kölner Artistenfakultät bis z. Mitte d. 16. Jh.s, 1993, S. 638⫺642; H. Puff, ‘Von dem schlüssel aller Künsten/ nemblich der Grammatica’. Dt. im lat.
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Grammatikunterricht 1480⫺1560, 1996, S. 154, 156⫺159, 161 f. u. ö.; M¸ller, Lexikogr., S. 35, 169⫺172, 175, 535 f., 574 f.
J. Klaus Kipf
H Hadeke (Hadelius, Hadus), Johannes (Janus) A . L eb en . H. stammte nach Auskunft seiner Wiener Immatrikulation und einer Marginalie in den ‘Elegiae’ (s. B.2., [C4]v) aus dem zwischen Weser- und Elbmündung gelegenen Lande Hadeln; in drei Universitätsmatrikeln nannte er die nahegelegene Stadt Stade als Herkunftsort. Den dt. Familiennamen Hadeke überliefert nur die Wittenberger Matrikel, die Krakauer Matrikel den Vornamen des Vaters (Christian). Seit 1513 nennt H. sich Hadus, seit 1517 P. Janus Hadelius. Für sein Geburtsjahr gibt allein das Datum der ersten Immatrikulation (1508) einen Anhaltspunkt. Die spärlichen Lebenszeugnisse umspannen nicht einmal zehn Jahre.
Im WS 1508 immatrikulierte sich H. in Wittenberg. Als Lehrer in Leipzig, Wittenberg und Frankfurt (Oder) (‘Elegiae’, d 3v) nennt er Richardus J Sbrulius. Ob demnach ein Leipziger Aufenthalt dem Wittenberger voranging oder sich zeitlich anschloß, wofür Sbrulius’ Leipziger Immatrikulation (SS 1511) spricht, ist angesichts des fehlenden Leipziger Matrikeleintrags H.s nicht geklärt. Träfe jenes zu, hätte er bereits 1507 oder 1508 in Leipzig Ulrich von J Hutten, von dem er 1516 als Huttenus meus (‘Camene’, s. B.1., [b4]v) spricht, kennenlernen können. In Huttens Werk ist kein Hinweis auf H. bekannt. Für die Jahre 1509 bis 1512 fehlt jedes Zeugnis. H. folgte 1513 Sbrulius an die Univ. Frankfurt (immatr. 16. Okt.); nach einem nächtlichen Tumult (Juni 1514) verließ er im folgenden Jahr unter Bruch eines Arrestes die Stadt (Bauch, 1900, S. 120 f.) und folgte einem Ruf Hzg. Bogislaws X. von Pommern an die Univ. Greifswald. Dort immatrikulierte er sich im SS 1514 als poeta, den der Herzog gesandt habe, ut interpretaretur oratores et poetas (Fried-
laender, S. 173). Es kam offenbar zu Spannungen, die nach H.s Schilderung im Diebstahl des für ein Jahr ausbezahlten Stipendiums des Herzogs gipfelten (s. ‘Camene’, [a5]r; ‘Elegiae’, d 3r). Er wandte sich nach Rostock, wo er im Okt. 1515 mit dem Zusatz ab universitate honoratus gratis immatrikuliert wurde. Das Rostocker Jahr, in dem er freundliche Aufnahme durch Angehörige der Universität, bes. die Regenten der Burse Porta coeli, Egbert Herlem (Harlem) und Jodocus Stagge, fand, nannte H. in den ‘Elegiae’ ein glückliches (d 3r). Die Pest vertrieb ihn 1516 von dort; entlang der Oder reiste er nach Krakau, wo er sich im Okt. 1516 immatrikulierte. Dort erlangte er keine befriedigende Stellung (s. B.2.), und so ging er 1517 nach einer lebensbedrohlichen Krankheit ⫺ er spricht von Schleimfluß (‘Elegiae’, c 3v) ⫺ nach Wien. In Krakau hinterließ er Feinde (Vadian-Br., Bd. 3, S. 171 f.). Er trat in Kontakt zum Humanistenkreis um J Cuspinian und J Vadian und erhielt offenbar durch Cuspinians Vermittlung (s. Schirrmeister, S. 101 f.) den Dichterlorbeer von Ks. Maximilian. Am 13. Okt. 1517 wurde er als Magister und poeta laureatus in die Wiener Matrikel eingetragen. Der Erwerb eines akademischen Titels ist aus Akten nicht belegt, doch gibt H. mehrfach an, das Studium durch eigene Lehre finanziert zu haben, und kündigte Vorlesungen über römische Dichter an (in Krakau über Ovids ‘Ibis’, in Wien über die ‘Fasti’, Juvenal u. Livius; vgl. ‘Elegiae’, b 2r, d 3r). Er dankte nach Empfang des Lorbeers dem Rektor Christoph Kulber für die Beteiligung der Universität an der Zeremonie (‘Elegiae’, e 2v⫺3r). Rudolf J Agricola d. J. kam 1517 und 1518 in Briefen an Vadian mit wachsender Distanz auf H.s
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Krönung zu sprechen (Vadian-Br., Bd. 1, Nr. 110, 120, 125, Bd. 3, Nachträge, Nr. 30). H. ging in Krakau und Wien dem Medizinstudium nach und plante, dieses in Italien fortzusetzen, um sich danach in Rostock niederzulassen (‘Elegiae’, [a5]r⫺v). Nach März bzw. Mai 1518 (sofern er die ‘Elegiae’ selbst zum Druck brachte, s. B.2.) von Wien nach Italien aufgebrochen, erreichte er Rom und den Kreis um den Kurialen Johannes Goritz, wie vier Carmina in den ‘Coryciana’ belegen (s. B.3.). Diese sind zugleich die letzten Spuren seines unruhigen Lebens. Entstehung und Überlieferung der 1524 gedruckten Sammlung erlauben indes nicht, aufgrund der Beteiligung H.s sein Todesjahr um 1524 (Grimm) oder 1525 (D¸chting) und Rom als Sterbeort (ebd.) anzusetzen. B . Wer k. Die seltenen Drucke seiner Gedichte erweisen H. als “bekenntnishaften Poeten” (D¸chting, S. 450), der ausschließlich lat. Poesie veröffentlichte. Diesem Selbstverständnis entspricht der seit 1514 belegte und durch die Dichterkrönung bestätigte Namenszusatz poeta. Zählt Ellinger H.s Elegie ‘Quiddam de pestilentia mirum’ “zu den besten Leistungen der humanistischneulateinischen Poesie” (Neulat. Lit, Bd. 1, S. 499), so weist ihm Wiegand nach gründlicher Analyse des Gesamtwerks bescheidener “einen nicht geringen Platz unter den poetae minores des früheren deutschen Humanismus” zu (S. 118). Die römische Elegiendichtung, bes. Ovids ‘Tristien’ und ‘Amores’, sind antike Bezugsgrößen für seine gelungeneren Gedichte (B.2.), unmittelbar und programmatisch knüpft H. an Hutten und J Celtis an (Wiegand, S. 117, 120⫺124, 127). H. erwähnt in den ‘Elegiae’ non pauci libelli, darunter eigene Gedichte, die er in Rostock bei seinem Gastgeber Egbert Herlem zurückgelassen habe ([d4]r⫺v). Sie sind bisher nicht aufgefunden. 1. ‘Camene’. Sammlung von 31 Lob- und Empfehlungsgedichten an einflußreiche Personen der Univ. Rostock und ihres Umfelds. Die Adressaten der Gedichte überschneiden
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sich mit dem Kreis, an den Hutten sechs Jahre zuvor seine ‘Querelae’ gerichtet hatte. Zunächst erscheinen Carmina auf Rostocker Professoren sowie den herzoglich mecklenburgischen Leibarzt. Dem Rektor Nikolaus Löwe empfiehlt sich H. als Lehrer der Rostocker Jugend, mehrfach bittet er um Vergütung für seine Lehrtätigkeit und stilisiert sich im Anschluß an Hutten als schiffbrüchiger Poet. Seinen Gastgeber Herlem preist H. als Mittelpunkt einer sacros inter concordia vates ([b5]r), als Zuflucht der profugi poetae (cv) und verweist auf die ihm einst von Hutten (‘Querelae’ IV.2) zugeschriebenen Verse (cr). Ein zweiter Teil mit kürzeren Gedichten ist den Rostocker Bursen (gymnasia) und ihren Regenten gewidmet. Ein Propempticon dient als Ausgangspunkt eines Lobes der Universität, eine Ermunterung der Jugend zum Studium in Rostock. Kleine Epigramme, u. a. an einen ungenannten Gegner, der erst in den ‘Elegiae’ benannt wird, beschließen die Sammlung, der v. a. universitätsgeschichtlicher Quellenwert zukommt. Drucke. Ad nonnullos illustres Ro|stochiane Achademie | viros paucule ex | tumultuarie Joannis Hadi | Camene. Holzschnitt (Porträt H.s?). [Rostock: Ludwig Dietz, 1516]. VD 16, H 117 (zur Druckerbestimmung s. Wiegand, S. 107); ein 2. Ex. bei A. Hortzschansky, ZfB 21 (1904) 411. ⫺ [E. J. F. Mantzel (Hg.)], Mecklenburgischer Scribenten Bibliotheque [...] andere Ordnung; welcher angefüget Johannis Padi [!] Camoene [...], Rostock 1732, S. 31⫺48; D. Schrˆder (Hg.), Dreyzehndes [- Funffzehendes] Alphabeth d. Mecklenburgischen Kirchen-Historie d. papistischen Mecklenburg [...], Wismar 1741, S. 2235⫺2237, 2310⫺2312, 2439 f., 2689⫺2695 (nach dem Erstdruck). Mantzel nennt die ‘Camene’ ein seines Wissens nie gedrucktes Werk (S. 4). Der Abdruck bietet eine von der Editio princeps abweichende Anordnung, abweichende Adressierungen zweier kleiner Epigramme, variierende Zuordnung einiger Versgruppen zu je zwei längeren Gedichten sowie vier im Erstdruck nicht enthaltene Epigramme (S. 43 u. 48); ein längeres Carmen fehlt dagegen. Mantzels Druck ist demnach von textgeschichtlichem Wert.
2. ‘Elegiae’ (‘Elegiarum liber primus’). Größerer literarischer Wert als den ‘Camene’ kommt den ‘Elegiae’ zu (Wiegand, S. 118, 128), denen ein inneres Sammlungsprinzip zugrundeliegt. Der am 9. Mai
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Hadeke, Johannes
1516 in Wien vollendete Druck vereinigt 26 Elegien mit lokalem Bezug zu Rostock, Krakau und Wien, die durch die Figuren des kranken und exilierten poeta/vates und seiner Rostocker Geliebten Sophia zusammengehalten werden. Marginal sind erklärende Glossen und ein Epilog eines Herausgebers Calliopius beigegeben. Obwohl dieser in dritter Person vom Autor spricht, dürfte hinter seinen biographischen Kenntnissen H. stehen. Das Einleitungsgedicht Iubet librum ire Rostochium [...] schließt an Ovid (Trist. I.1) an. Gedichte an die Rostocker Gönner bestätigen den Erfolg der ‘Camene’ und reflektieren in einem Abschiedsgedicht an die Sophia den Aufbruch aus der Stadt. Reisegedichte vor dem Hintergrund der Pest bilden H.s gelungenste Dichtungen, darunter die Descriptio Pestilentiae qua Francfordi ad Oderam laboratum est, ferner die vom zeitgenössischen Totentanz inspirierte Beschreibung der vom Tode begleiteten Fahrt von Frankfurt nach Krakau ([...] quiddam de Pestilentia mirum) und die Schilderung der Ankunft in der Stadt. In den Carmina der Krakauer Zeit stehen zumeist die eigene Krankheit und Fremdheit (c 3r) im Mittelpunkt; erst im vierten an einen Arzt gerichteten Bittgedicht dankt H. für erfolgte Behandlung. Der Erinnerung an die Sophia gilt u. a. eine originelle Erklärung der Krankheit (ex nimia abstinentia) mit freimütiger Schilderung gewährter Liebesfreuden. H.s Absagegedicht an Krakau (Vnde dicta sit Cracouia), sein Tomi, beantwortete Kaspar Ursinus Velius mit einer Verteidigung der Stadt (Walecki, Ausg.). In Wien richtete H. neben den auf die Dichterkrönung bezogenen Carmina ein Begrüßungsgedicht an die nach Krakau reisende Hzg.in Bona Sforza (18. März 1518), Gedichte an Johannes J Stabius und Wilhelm Pülinger. Die an Cuspinian, Vadian und Pülinger gerichtete Schilderung eines Gastmahls bei Johann Krachenberger schließt mit erotischen Pikanterien. Wie auch aus der Krakauer Zeit sind zwei akademische Selbstvorstellungen aufgenommen. Von den in der Schlußschrift des Her-
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ausgebers angekündigten weiteren Hadelii [...] Elegiarum libri ([c6]r) ist keine Spur erhalten. Druck. P. Iani Hadelii, poetae a divo | Maximiliano coronati, | elegiarum liber | primus. Wien: [Joh. Singriener für] Joh. Metzger, 1518. VD 16, H 118. Ausgaben einzelner Gedichte. H. Ankwicz v. Kleehoven, Documenta Cuspiniana (Arch. f. österr. Gesch. 121/3), 1957, Nr. 95⫺97 (die drei Elegien an Cuspinian bzw. denselben, Vadian u. Pülinger); W. Walecki, Ioannes H., Unde dicta sit Cracovia? [...] (Bibl. antiquitus litteraria 21), Krakau 1998, S. [3] (mit poln. Übers.); Wiegand, S. 128⫺133 (‘Quiddam de Pestilentia mirum’).
3. K le in er e B ei tr äg e H.s zu Druckwerken oder Ausgaben anderer sind selten. Ein Epigramm H.s Ad lectorem enthält Johann Grempers und Philipp J Gundels Ausgabe der ‘Vita Moysis’ Gregors von Nyssa in lat. Übersetzung (Wien, Dez. 1517; VD 16, G 3120). In Rom hinterließ H. als Beitrag zu den ‘Coryciana’ vier in einer Hs. und dem Druck von 1524 überlieferte Gedichte, drei Elogen In statuas Corycianas sowie ein Distichon auf den Stifter Joh. Goritz (hg. v. I. IJsewijn, Coryciana, Rom 1997, Nr. 368⫺371). Literatur. L. Geiger, Janus Hadelius, in: ADB 10, 1879, S. 300; C. Krause, J. Hadus, ebd., S. 307 f.; G. Bauch, J. Hadus-Hadelius. Ein Beitr. z. Gesch. d. Humanismus an d. Ostsee, Vjs. f. Kultur u. Litteratur d. Renaissance 1 (1886) 206⫺228; E. Friedlaender (Hg.), Aeltere Univ.s-Matrikeln II. Univ. Greifswald, Bd. 1, 1899 (ND 1965), S. 173; G. Bauch, Die Anfänge d. Univ. Frankfurt a. O. u. d. Entwicklung d. wissenschaftl. Lebens an d. Hochschule (1506⫺1540), 1900, S. 96, 120 f.; Bauch, Krakau, S. 74 f.; Ellinger, Neulat. Lit., Bd. 1, S. 496⫺501; H. Grimm, in: NDB 7, 1966, S. 418 f.; R. D¸chting, in: Killy, Lit.lex. 4, 1989, S. 450 f.; H. Wiegand, J. H.-Hadelius. Ein niedersächs. Wanderhumanist in Rostock, Krakau u. Wien, in: Th. Haye (Hg.), Humanismus im Norden (Chloe 32), Amsterdam 2000, S. 105⫺133; A. Schirrmeister, Triumph d. Dichters. Gekrönte Intellektuelle im 16. Jh., 2003, S. 101 f., 172, 190, 208 f. u. ö. (Reg.).
J. Klaus Kipf
Hadelius, Johannes → Hadeke, Johannes
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Hartlieb, Jakob
Hartlieb (gen. Walsporn), Jakob Olearius (Oliatoris, Ollea-; Olschleger, -schleher), Paulus Als Autoren sind H. und O. allein durch ihre 1499 in Heidelberg zum Abschluß derselben Quodlibet-Disputation vorgetragenen und fast stets gemeinsam überlieferten Scherzdisputationen hervorgetreten.
1.a) Jakob Hartlieb wurde als Sohn eines gleichnamigen Schultheißen († 1504) von Landau i. d. Pfalz geboren. Er immatrikulierte sich am 23. Aug. 1493 an der Univ. Heidelberg, wurde dort am 13. Jan. 1495 zum Bakkalaureatsexamen zugelassen und erwarb am 3. April 1497 das Magisterium. Zwischen Juni 1500 und Okt. 1503 amtierte er als Magister, zeitweise als (Mit-)Regens der Schwabenburse, und er folgte Olearius 1503 als Dekan der Artistenfakultät nach. H. wandte sich als Magister dem Theologiestudium zu. Bereits im Juni 1503 erscheint er in den artistischen Fakultätsakten als Baccalaureus biblicus, wurde aber erst am 18. Jan. 1513 zum Dr. theol. promoviert. Bereits 1510 ist er als Dekan des (der Universität eng verbundenen) Heiliggeiststifts bezeugt (Wimpfeling-Br., S. 658); H. behielt dieses Amt bis zum Frühjahr 1524. Danach amtierte er interimistisch als Domprediger in Speyer und trat im Aug. 1524 das Amt des Dekans am Speyrer Allerheiligenstift (St. Trinitas) an. Er starb in Speyer vor dem 2. Aug. 1525. Ein Schülerverhältnis zu Jakob J Wimpfeling, der den Druck von H.s einziger Schrift (s. u. 2.) vermittelte, ist nicht belegt. H. besaß jedoch einen Sammelband mit 13 Drucken von Schriften Wimpfelings d. J. 1493⫺1500, in den er einen Brief Jakob J Lochers kopierte (Herding, 1971), und Wimpfeling erwähnt ihn 1510 als Vertrauensperson (Wimpfeling-Br., S. 658). 1.b) Paulus Olearius aus Heidelberg wurde am 16. Okt. 1493 an der Universität seiner Heimatstadt immatrikuliert, erwarb im SS 1495 das Bakkalaureat und am 11. April 1497 den Grad des Magister artium. Im Juni 1499 wurde er in den Lehrkörper der Artistenfakultät aufgenommen. O. trug ein Tetrastichon zu Wimpfelings ‘Adolescentia’ (1500; Herding, 1965, S.
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345) bei. Er war 1502/03 Dekan der Artistenfakultät, wurde 1503 und 1507 in den Fakultätsrat gewählt und war mehrmals Temptator bei Magisterprüfungen (1504⫺ 1510). Auch O. wählte von den oberen Fakultäten die Theologie und wurde wie H. 1513 zum Dr. theol. promoviert. Spätere Lebenszeugnisse sind nicht bekannt. Vgl. Dr¸ll, S. 54; ergänzend Toepke, Bd. 2, S. 399. 2. Die zum Quodlibet-Akt von 1499 (zur Datierung Kleinschmidt, S. 21 Anm. 50) vorgetragenen Reden H.s und O.’ wurden auf Vermittlung Wimpfelings und mit einem Widmungsbrief Crato Hofmanns an seine Schüler (Schlettstadt, 27. Aug. 1501) versehen gedruckt. Der Korrektor Ludwig D Hohenwang [Bd. 4 u. NB] fügte Kapitelüberschriften hinzu (s. Ausg., S. 85). In den gemeinsamen Drucken geht O.’ Rede stets voran, wiewohl diejenige H.s zuerst gehalten wurde und auch in der Druckvorlage an erster Stelle gestanden haben muß. a) Hartlieb disputiert in ‘De fide meretricum in suos amatores’ über die Frage, “warum die blinden Liebhaber den Frauen mehr dienen [...] als Gott” (Ausg., S. 70); H. warnt insbesondere Studenten vor der in jeder Hinsicht schädlichen Frauenliebe, deren Folgen er mit Bildern der Liebesnarr- und -blindheit ausmalt. Eingelegt sind schwankhafte Beispielerzählungen von verliebten Studenten und ungelehrten Schulmeistern, Gedichte u. a. von Baptista Mantuanus und Hermann J Buschius, aber auch D Muskatblut zugeschriebene Verse, sowie komische Abecedarien. H. parodiert als rückständig empfundene Methoden des Schulbetriebs wie die Wort-für-Wort-Übersetzung, ferner geläufige Schultexte (Henkel) und Briefsteller. b) Olearius’ ‘De fide concubinarum in sacerdotes’ warnt im thematischen Anschluß an H.s Scherzrede vor den Folgen des Konkubinats bepfründeter Kleriker. O., der dem Quaestionenstil enger als H. folgt, diskutiert die Frage, ob Konkubinariern Eselsohren aufgesetzt werden sollen, und schließt so an die Narrenliteratur und -ikonographie an. Er inseriert neben Anekdoten lat.-dt. Dialoge zwischen Kleriker und Konkubine bzw. zwei Konkubinen, parodistisch verwendete oder vorgebliche Zitate aus der Bibel, weltlichen und geistlichen Rechtscorpora und anderen Autoritäten und stellt sieben Lehrsätze für Konkubinen auf.
Die Scherzreden stehen in der Tradition der in Heidelberg etablierten akademischen Scherzdisputation (Barth. D Gribus,
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Hassenstein, Bohuslaus Lobkowicz von
Jodocus J Gallus). Ihre vorherrschenden literarischen Verfahren sind die Parodie des Disputationsstils und lat.-dt. Sprachmischung mit komischer Wirkung durch sexuelle Anspielungen oder mißverstehende Übersetzung (Hess). Häufig sind dt. Liedzeilen, Sprichwörter und Aussprüche inseriert. In je verschiedenen Aspekten gehen H. und O. J Bebels und J Mulings Fazetien voran. Die Parodie fehlerhaften Lateins, bes. die in H.s Rede eingelegte Briefparodie (Ausg., S. 78), mag zu den Vorläufern der J ‘Epistolae obscurorum virorum’ gerechnet werden. Zum Druck gelangten die Scherzreden, weil Wimpfeling (vgl. ‘De integritate’, Kap. 21) und Hofmann (Widmungsbrief) sie als Satire gegen studentischen Lebenswandel und Konkubinat schätzten. Zahlreiche Nachdrucke bis ins 17. und 18. Jh. hinein sicherten den Reden einige Wirkung u. a. bei Johann Fischart (Hess, S. 223). Der Reiz der Reden für Spätere wird eher in ihrer teils sprachspielerischen, teils zotigen Komik als in ihrem satirischen Potential gelegen haben. Die Originaldrucke A und B (mit C) sind mit zehn “für ihre frühe Zeit selten freien und ausdrucksstarken Holzschnitten” (Hieronymus, S. XXIII) versehen, die als frühe Werke des Meisters DS gelten. Sie illustrieren Aspekte und Szenen der Texte, teils mit virtuos umgestaltendem Bezug auf die Illustrationen zu J Brants ‘Narrenschiff’. Abb. u. a. bei E. Bock, Die Holzschnitte d. Meisters DS, 1924, Tafel I⫺V; Hieronymus, S. 170. Der Erstdruck A enthält auf den Titelblättern und am Ende Gedichte, die teils die satirische Qualität unterstreichen (von Joh.J Gallinarius und Joh. Speißer aus Forchheim), teils wegen der Sprachmischung passend erschienen (Samuel D Karochs ‘Barbaralexis’). Einige der späteren Drucke (bereits B) vermehrten die beigegebenen Specimina komischer lat.-dt. Mischdichtung; vgl. Ausg., S. 83⫺88. Drucke. A: De fide concubinarum in sacerdotes | Questio accessoria causa ioci et vrbanitatis in quodlibeto Heidel/|bergensi determinata a magistro Paulo oleario heidelbergensi. Teil 2 mit separatem Titel: De fide meretricum in suos amatores. | Questio minus principalis vrbanitatis et facetie causa in fine quodlibeti | Heidelbergensis determinata a magistro Iacobo hartlieb Landoiensi. [Basel: Jak. Wolff, um 1501]. VD 16, O 660. B: erweitert, [Basel: Jak. Wolff, um 1501]. VD 16, O 659.
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C: Variante zu B (Zarncke, Ausg., S. 243). Weitere gemeinsame Drucke: [Nürnberg um 1502]; Augsburg 1505; [Köln um 1505]; [Nürnberg um 1508]; Mainz [1509]; [Basel um 1510]; [Augsburg 1520]; [Straßburg um 1540]. VD 16, O 661, 662, 664, 663, 669, 668, 667 u. ZV 11971. In separaten, jeweils erweiterten Drucken: Hartlieb: [Straßburg: Matth. Hüpfuff], 30. Aug. 1505. VD 16, ZV 18601 (eine Variante: VD 16, H 651); Olearius: [Straßburg: Hüpfuff], 1506. VD 16, O 665. – Zahlreiche weitere Drucke beider Reden, zumeist gemeinsam mit der anonymen Erfurter Scherzrede ‘De generibus ebriosorum et ebrietate vitanda’ (1515) und weiteren verwandten Texten: Worms [um 1550]. VD 16, ZV 5065; Frankfurt a. M. 1589 u. 1624; u. d. T. ‘Bacchi et Veneris facetiae’, o. O. 1617; Leiden 1624. Vgl. Kleinschmidt, S. 51 Anm. 26⫺28. Beide Reden wurden mit Einschüben 1556, 1557 u. 1570 in Frankfurt a. M. als Ergänzungsband zu den ‘Epistolae obscurorum virorum’ gedruckt, in fünf Ausg.n (Frankfurt a. M. 1581, 1599, 1624, 1643 u. 1757) als fester Bestandteil der ‘Epistolae’Drucke; vgl. ebd. Anm. 28. Ausgabe. F. Zarncke, Die dt. Univ.en im MA, 1857, S. 67⫺88 (H.) u. 88⫺102 (O.). Literatur. F. Zarncke, Über d. quaestiones quodlibeticae, ZfdA 9 (1853) 119⫺126, bes. S. 123 f. (wieder in: ders., Kleine Schr., Bd. 2, 1898, S. 9⫺ 14); ders., Ausg., S. 241⫺250; G. Toepke, Die Matrikel d. Univ. Heidelberg v. 1386⫺1662, Bd. 1, 1884 (ND 1976), S. 407 f., Bd. 2, 1886, S. 399, 423, 426, 428, 430 u. 599; Schmidt, Hist. litt., Bd. 1, S. 139⫺141, Bd. 2, S. 100 f.; O. Herding (Hg.), Jakob Wimpfelings Adolescentia, 1965, S. 345; ders., Bemerkungen zu einer Wimpfeling-Ausg., Jb. f. internationale Germanistik 3 (1971) 218⫺225, hier S. 218⫺220; Hess, Narrenzunft, S. 177, 180⫺183 u. ö. (Reg.); E. Kleinschmidt, Scherzrede u. Narrenthematik im Heidelberger Humanistenkreis um 1500, Euphorion 71 (1977) 47⫺81, hier S. 50 f., 52, 53; F. Hieronymus, Oberrhein. Buchillustration, Bd. 2, 1984, S. XXIII, 21 f., 170; N. Henkel, Dt. Übers.en lat. Schultexte (MTU 90), 1988, S. 119 f. u. 281 Anm. 70; Wimpfeling-Br., Bd. 1, S. 657 f., 660; D. Dr¸ll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1386⫺1651, 2002, S. 200 u. 436.
J. Klaus Kipf
Hassenstein, Bohuslaus Lobkowicz von (Bohuslaus a Lobkowicz) I . L eb en . 1. Vermutlich 1461 geboren als vierter Sohn des in Nordböhmen begüterten Zweigs der Lobkowicz, benannt nach der
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Hassenstein, Bohuslaus Lobkowicz von
Burg Hassenstein bei Kadanˇ (Kaaden) und Chomutov (Komotau). Sein Bruder Jan (1450⫺1517) war gleichfalls schriftstellerisch tätig. Früh verwaist, wurde H. von Verwandten aufgezogen; in seiner Jugend war er offenbar ein Anhänger der böhmischen Dissidenten (Utraquisten) (vgl. Op. poet. [s. u. II.A.3.], Nr. 340: Ad eundem *Henricum Hrussovianum+). Ab 1475 Studium in Bologna (wo er vermutlich zur römischen Kirche zurückkehrte), 1478 Flucht vor der Pest nach Trient, vielleicht kurzer Besuch in Böhmen, 1479 wieder in Bologna, 1481 in Ferrara. In Italien kam H. in Berührung mit den Studia humanitatis, die seine späteren Interessen und Tätigkeiten nachhaltig prägten. Er schloß Freundschaft mit gleichgesinnten Studenten aus dem Reich, die sich oft in jahrelanger Korrespondenz fortsetzte, so mit Christian Pedik, dem späteren kgl. böhmischen Notar, mit Peter von Rosenberg aus dem südböhmischen Magnatengeschlecht, dem späteren kgl. Statthalter in Böhmen, mit dem Straßburger Peter J Schott d. J., dem Eichstätter und Augsburger Domherrn Bernhard J Adelmann von Adelmannsfelden und seinem Bruder Konrad. Am 26. Nov. 1482 wurde H. in Ferrara zum Doktor des Kanonischen Rechts promoviert. Gleich danach kehrte er nach Böhmen zurück, wo er 1483/84 zunächst in Hassenstein lebte. In der Folge wechselten Versuche, am Hof oder im Regiment des Landes Fuß zu fassen oder ein einflußreiches geistliches Amt zu gewinnen, mit Aufenthalten in Hassenstein, wo er sich der Verwaltung seiner Güter und den Studien widmete. Kg. Vladislav II. ernannte ihn zum Propst von Vysˇehrad. Dieses Amt war mit dem Ehrenamt eines Erzkanzlers des Königreichs Böhmen verbunden, doch gab H. es bald auf. 1485 und vielleicht auch 1487 (von Marti´nek, 1981/82, S. 55 f., bestritten) war er zu Besuch bei seinem Studienfreund Peter Schott in Straßburg, wo er Verbindungen mit dem dortigen Humanistenkreis aufnahm. Nach Regelung von Familienangelegenheiten ging er 1487 nach Prag, wo er Sekretär in der kgl. Kanzlei unter Johannes von Schellenberg wurde und Freundschaft mit anderen gelehrten
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Mitgliedern der Kanzlei schloß. Auch Waffendienst scheint er geleistet zu haben (1488, Hassenstein-Br. [zit: Br. II], S. 18 f.). Er kämpfte gegen den ungarischen Kg. Mathias Corvinus, vielleicht auch in der Schlacht bei Thomaswald (28. Juli 1488). 1490 trat er, nach der Erbauseinandersetzung mit seinen Geschwistern finanziell unabhängig, eine Reise ins östliche Mittelmeer an, die ursprünglich bis Indien gehen sollte. Sie führte durch Bayern über Mailand und Genua nach Rom, von dort nach Venedig, wo er sich einschiffte. An der griechischen Küste entlang, dann über Rhodos und Zypern gelangte er nach Syrien, Palästina und Ägypten. Von dort wurde er nach Zypern und Kleinasien verschlagen; über die griechischen Inseln und die Peloponnes ging es nach Sizilien, von wo er nach Libyen übersetzte, dann auf dem Landweg nach Tunis und zu den Ruinen Karthagos. Von Nordafrika reiste er 1491 ⫺ vermutlich vorzeitig ⫺ nach Venedig, wo ihn die Nachricht vom Tod Peter Schotts und von seiner Aspektanz auf das Bistum Olmütz erreichte (Br. II, S. 24). Er kehrte nach Böhmen zurück. Obwohl ihn das Domkapitel einstimmig gewählt hatte, König und Stände die Berufung unterstützten und H. in Briefen an einflußreiche Hofleute und sogar an die Kurie die Angelegenheit zu fördern suchte, wurde er von Papst Alexander VI. nicht bestätigt. Den Bischofsstuhl bestieg nach 15-jähriger Sedisvakanz 1497 Stanislaus Thurzo´. Auch spätere Ambitionen auf ein Bistum scheiterten: In Breslau wurde 1502 an seiner Stelle Johannes Thurzo´ Koadjutor cum spe successionis und 1506 Bischof. Für das Erzbistum Prag (1497 vakant) kam er wegen seiner Forderung nach Rückgabe entfremdeter Kirchengüter auf Kosten des Adels nicht in Frage. Er zog sich zunehmend nach Hassenstein zurück. 1499 reiste er an den ungarisch-böhmischen Hof nach Ofen (Buda) und nach Wien. 1500 war er Mitglied einer königlichen Kommission in Karlstein, die die böhmischen Privilegien registrierte. 1501 besuchten ihn aus Wien Konrad J Celtis und Andreas J Stiborius. In den folgenden Jahren verhandelte er mit dem kgl. Sekretär Johannes Slechta über
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Hassenstein, Bohuslaus Lobkowicz von
eine Berufung an den Hof zu Ofen, wobei er eine angemessene Dotierung forderte, die ihm das standesgemäße Leben eines großen Herrn erlauben sollte. 1502 begab er sich dorthin. Doch schon 1503 nahm er wegen Querelen mit den Hofleuten und auch wohl auf Grund gesundheitlicher Probleme seinen Abschied, jahrelang noch hartnäckig um Auszahlung der versprochenen Bezüge bemüht. Aus den letzten Lebensjahren ist wenig bekannt. Er scheint sich vornehmlich auf Hassenstein aufgehalten zu haben, zuletzt chronisch krank, was ihn an literarischer Tätigkeit hinderte (Marti´nek, 1980a, S. 238). 1509 nahm er an der Ständeversammlung in Prag teil, auf der Ludwig, der dreijährige Sohn Kg. Vladislavs II., zum König und Nachfolger gekrönt wurde. Im Nov. 1510 (am 11.?) ist H. in Presnitz, nahe der sächsischen Grenze, gestorben, wo er auch begraben wurde. 2. H. ist der bedeutendste Vertreter des böhmisch-mährischen Humanismus um 1500. Johannes J Trithemius nennt in ‘De scriptoribus ecclesiasticis’ (1494) Bouslas de Hassenstein, natione Germanus, ungewöhnlich für einen Adligen, einen hervorragenden gelehrten orator und poeta. Wie viele Humanisten zeichnet er sich durch ein reflektiertes Selbstverhältnis aus: Die ‘richtige’ Lebensform ist nicht mehr durch Stand oder überkommene Rollenmuster vorgegeben, sondern muß bewußt gewählt werden; in einem (verlorenen) Brief will er dem Freund Peter Schott omnem vitae meae condicionem erklären (vgl. Br. II, S. 14). Er steht in brieflicher Verbindung mit bedeutenden Gelehrten seiner Zeit, vornehmlich aus Böhmen, Mähren, Ungarn und Deutschland (vgl. Br. II: Ad familiares). Über seine Freunde ist er in das dichte Netz gelehrter Kommunikation um 1500 eingebunden. Die Beziehung zum ‘Erzpoeten’ Konrad Celtis war anfangs gespannt, da H. ihm vorwarf, seine Verse an die 14 Nothelfer, leicht verändert, unter eigenem Namen veröffentlicht zu haben (1487, Br. II, S. 13; es handelt sich um das ⫺ auf Maria umgeschriebene ⫺ dritte ‘Proseuticum’ des Celtis auf einem Ein-
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blattdruck, Leipzig 1487; vgl. Marti´nek, 1978). Doch wurde das Verhältnis 1499 bei einem Besuch H.s in Wien bereinigt. Celtis richtete 1504 sogar an H. in seiner ‘Rhapsodia’ lobende Verse de situ Pragae et sectis et haeresibus in Bohemia. H. widmete ihm zwei Epitaphien (Op. poet., S. 147). H. besaß eine der größten Bibliotheken in den Ländern der böhmischen Krone, um deren Vergrößerung er sich unermüdlich bemühte (vgl. seinen Briefwechsel mit Bernhard Adelmann) und für die er westund südeuropäische Agenten einsetzte. Neben den im engeren Sinne humanistischen Disziplinen mit den Schwerpunkten Poesie, Rhetorik, Geschichte und Philosophie sowie theologischer und juristischer Fachliteratur umfaßte sie auch Medizin, Astronomie und (v. a. antike) Naturkunde, dazu liturgische Schriften. Etwa ein Viertel waren Werke antiker Schriftsteller. H. besaß 70 Titel in griech. Sprache, interessierte sich aber auch für mal. Autoren wie D Albertus Magnus und bemühte sich jahrelang um ein Exemplar des Koran (vgl. Flodr, 1966, S. 179⫺181; ein Katalog im Anhang von Mitis’ Edition der ‘Appendix poematum’ [s. u. II.A.2.g] und bei Balbi´n, Bd. 3, 1780, S. 210⫺228). Nach H.s Tod gelangten zahlreiche Bücher durch seinen Vertrauten Matthäus Aurogallus, später Griechisch-Professor in Wittenberg, leihweise an Luther und Melanchthon. Bei der Rücksendung fielen sie einem Brand in Komotau zum Opfer. Die Mehrzahl der Bücher (32 Hss. u. 411 Drucke) kam in die Lobkowicz-Bibliothek in Roudnice nad Labem (Raudnitz), von dort unter dem sozialistischen Regime in die SB (Sta´tnı´ knihovna) Prag und nach 1989 wieder in den Besitz der Familie nach Nelahozeves (Mühlhausen a. d. Moldau). Die Bücher tragen z. T. Spuren intensiver Benutzung durch H. (Marti´nek, 1984). H.s Interessen waren nicht nur literarisch, sondern galten ebenso seltsamen Bäumen in Schottland, den geographischen Entdeckungen der Zeit oder mathematischen Instrumenten. Er besaß einen Erd- und einen Himmelsglobus.
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I I. We rk . A . Ü be rl ie fe ru ng un d A us ga be n. Zu Lebzeiten H.s wurden nur einige Briefe und Gedichte an Peter Schott und eine Lobrede auf ihn in dessen ‘Lucubratiunculae’ (1498) sowie ein Johannes Sturnus gewidmeter Band von ‘Opuscula’ (ca. 1508/09) gedruckt (s. u. 2.a u. b). Es scheint, als habe H. negative Folgen seiner kritischen Verse über hochgestellte Persönlichkeiten und zu religiösen Kontroversen gefürchtet und diese daher nur hsl. kursieren lassen. Versuche, seine Poesie, Prosaschriften und Briefe zu veröffentlichen, an denen mehrere Gelehrte beteiligt waren, scheiterten im 16. Jh. zunächst, meist wohl an finanziellen Schwierigkeiten, bis seit Anfang der 1560er Jahre Thomas Mitis, unterstützt durch die Familie Lobkowicz, mit der Herausgabe verschiedener Sammlungen begann. Mitis’ Editionen sind fehlerhaft und haben oft willkürlich den ursprünglichen Gebrauchszusammenhang der Verse zerstört, der meist nicht mehr rekonstruierbar ist. Trotzdem müssen sich Neuausgaben zu erheblichem Teil auf sie stützen. Verzeichnis der Hss. und der älteren Drucke (mit Exemplarnachweisen und Inhaltsangaben) bei Hejnic/Marti´nek, S. 177f., 178⫺181, 183⫺203. 1. Handschriften. H.s Werke sind, von Streuüberlieferung abgesehen, überwiegend nur im Druck erhalten. Größere hsl. Bestände enthalten: Prag, Knihovna metropolitnı´ kapitoly, M 37 (Ende 15. Jh.); Prag, Nationalbibl. (Na´rodnı´ knihovna), I D 3 (Ende 15./Anfang 16. Jh.); ebd., XVII D 38; Wien, ÖNB, Cod. 3271 (Ende 15./Anfang 16. Jh.); ebd., Cod. 3482 (Anfang 16. Jh.); ebd., Cod. 8242 (17. Jh.); Pı´sek, StB (Meˇstska´ knihovna), 10 A 25. 2. Ältere Drucke. a) Petri Schotti Argentinensis [...] Lucubratiunculae | ornatissimae. Straßburg: Martin Schott, 1498. Hain 14524. b) Opuscula Bohuslai Boemi Ba⫽|ronis de Hassenstayn que hoc volumine continentur. | Ad Uuladislaum Pannonie et Boemie Regem In fune| re Anne Regine coniugis elegia consolatoria | Elegia ad xiiij sanctos. quos vulgo auxiliatores | vocant. de peregrinatione sua gracias agens | Ad Ioannem Sturnum Francum de Smalcaldia de aua| ricia libellus | Summos Christianos principes con-
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tra Thurcas excitans | adhortatorium carmen. [Erfurt, ca. 1508?]. VD 16, L 2176. Ex.: München, UB, 8° Döll. 6469; Prag, Nationalbibl., 65 D 2144. c) Illustris, | et generosi He⫽|rois, ac D. Bohuslai Has⫽|sisteynij a` Lobcouitz etc. Bo⫽|hemi, Poe¨tae, Oratorisque | clarissimi | Fragmentum Epistolarum. Prag [1561/62?]. Ex.: Prag, Nationalmuseum (Na´rodnı´ Muzeum)., 59 F 7. d) Illustris, | ac genero-|si D. D. Bohuslai Has-|sensteynij a` Lobkouitz […] Farrago pri-|ma Poe¨matum in ordinem di-|gestorum, ac […] edi-| torum Per Thomam Mitem Nymburgenum | a` Limusa. His accessit ad amplissimos Or-|dines Regni Bohemiae, breuis Narratio de lucubra-|tionibus, et vita D. Bohuslai. Prag 1562 (darin S. 209⫺224: D. Bohuslai Hassensteynii a` Lobkouitz, Liber Miscellaneorum, siue eorum Carminum, de quibus non satis constat, sintne` ipsius, an vero` familiarium Bohuslai, quae, quia in ve-|tusto libello immixta erant, libuit hinc subnectere). Ex.: Prag, Nationalmuseum, 49 D 31. e) Viri in-|comparabilis, ac | D. D. Bohuslai Hassen|steynii Lucubrationes ora|toriae [...]. His addita sunt col-|lecta per Thomam Mitem | diuersorum elogia D. Bohus|lai vitam | concernentia [...]. Prag 1563. Ex.: Prag, Nationalbibl., 52 G 175. f) Illustris, […] D. D. Bohuslai Hasisteynii | a` Lobkouitz […] Farrago | Poematum in ordinem dige-|storum ac editorum | Per Thomam Mitem Nymburgenum [...]. Prag 1570. Ex.: München, UB, P.lat.rec. 838 (1); Prag Nationalbibl., 52 G 16. g) Generosi | baronis, poetae orato⫽|risque excellentis, D. Bo⫽|huslai Hasistenij a` Lobkouicz, I. V. D. | Appendix Poe¨ma⫽|tum, editorum | a Thoma Mite […]. | Addita sunt elogia plurimorum in D. Bo⫽|huslaum una` cum Indice lib: Bi⫽| bliothecae Hasisteniae. [...]. Prag 1570 (darin Bl. [c8]r⫺[e5]r: Bibliothecae Hasisteniae Catalogus postremus librorum residuorum post miserabilem illam circiter LXX voluminum conflagrationum in Arce Chomotuviensi). Ex.: Prag, Nationalbibl., 52 G 16. h) Viri illu-|stris et magnifici, D. | D. Bohuslai Hasiste⫽|nii a Lobkovvicz etc. | Noua epistolarum Appendix | conquisita et edita | Per Thomam Mitem Nym⫽|burgenum [...]. Prag 1570. Ex.: München, UB, P.lat.rec. 838 (2); Prag, Nationalbibl., 52 G 175. 3. Ausgaben. B. Ryba, Spisy Bohuslava Hasisˇtejnske´ho z Lobkovic, Svazek I: Spisy prosaicke´, Prag 1933; ders., Bohuslaus Hassensteinius baro a Lobkowicz, Scripta moralia. Oratio ad Argentinenses. Memoria Alexandri de Imola (Bibliotheca scriptorum medii recentisque aevorum, saecula XV⫺XVI), 1937; J. Marti´nek/D. Marti´nkova´ , Bohuslai Hassensteinii a Lobkowicz Epistulae, Bd. 1: Epistulae
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de re publica scriptae, 1969 [Biographie S. V⫺ XII], Bd. 2: Epistulae ad familiares, 1980 (⫽ Br. I, II); J. Marti´nek, Bohuslav Hasisˇtejnsky´ z Lobkovic, Carmina selecta, Prag 1996; M. Vaculi´nova´ , Bohuslaus Hassensteinius a Lobkowicz, Opera poetica, 2006 (⫽ Op. poet.).
B . D ic ht un ge n. H. gilt ⫺ auch Zeitgenossen wie Hieronymus J Balbus ⫺ eher als Dichter denn als Prosaschriftsteller (Marti´nek, 1975; 1991, S. 16). Er schreibt ausschließlich auf Latein. Übersetzungen seiner Verse in die Volkssprache beurteilt er negativ (De interprete suorum carminum elegia, Op. poet., S. 50; Marti´nek, 1975, S. 25 f.). Hervorzuheben sind die Elegien an Peter Schott (1498 in dessen postumen ‘Lucubratiunculae’ veröffentlicht; vgl. Op. poet., S. 1⫺10); ein patriotisches Lob der Druckkunst und der neuen militärischen Technik: De propriis Germanorum inventis Carmen heroicum et adhortatio ad praestandam gratitudinem inventoribus bombardarum et chalcographiae in 163 Hexametern (vor 1482?; Op. poet., Nr. 12); zwei Elegien an die 14 Nothelfer, die erste entstanden zwischen 1483 und 1486, die zweite (Elegia de peregrinatione gratias agens in 56 Dist.) mit einer Aufzählung der Stationen seiner Orientreise (Op. poet., Nr. 19 u. 30); eine Satire Ad sanctum Venceslaum [...], in qua mores procerum, nobilium et popularium patriae suae reprehendit (197 Hex.), mit scharfen Ausfällen gegen die sittliche Verkommenheit des böhmischen Adels, die auf das Volk ausstrahle (1489, Victorinus von Vsˇehrd gewidmet; Op. poet., Nr. 24; ähnlich Nr. 201, ca. 1508); eine Elegie (ebenfalls an Victorinus vor dem Zerwürfnis mit ihm Ende 1493, dem Postscript zufolge jedoch fälschlich an Bernhard Adelmann gerichtet; vgl. Marti´nek, 1985), in der er dem Adressaten die heimische Geschichte Böhmens als würdigen Gegenstand seiner Verse empfiehlt (Op. poet., Nr. 34); seine Invektive gegen Victorinus und dessen Verspottung des Papstes (In papaemastygam, 1494, Op. poet., Nr. 35), der sich Epigramme auf Papst Alexander VI. anschließen, die zwischen heiligem Amt und korruptem Amtsträger unterscheiden
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(ebd., S. 44); ein Carmen adhortatorium ad bellum contra Thurcas in 250 Hexametern (1499?), das scharf die Untätigkeit des Kaisers und der reges Christiani Europas geißelt (Op. poet., Nr. 68); eine die vergilische Hirtenwelt zitierende Ecloga sive Idyllion Budae in 101 Hexametern (1503, Op. poet., Nr. 157); eine Kritik des Lebens bei Hof in 38 Distichen (Ad Sturnum de aula, Op. poet., Nr. 250); immer wieder paränetische oder panegyrische Verse an Kg. Vladislav II., darunter eine Elegia consolatoria zum Tod seiner Frau Anna, die nach der Geburt des Thronfolgers gestorben war, in 99 Distichen (1506; Op. poet., Nr. 199); Gebetsartiges, Verse auf Heilige, besonders die Jungfrau Maria, die Apostel, auf den König und den Thronfolger, auf Standesgenossen, Zeitgeschichtliches (bayrischer Erbfolgekrieg), gesellige und gelehrte Kommunikation mit Freunden und Sodalen über literarische Gegenstände, darunter auch Privates, Polemik oder Spott (die Pfründen des Hieronymus Balbus, Op. poet., S. 83 f.), Verse über seine eigene Befindlichkeit (Schlaflosigkeit, Fieber), die letzten Dinge. Mitis’ Sammlungen enthalten zwei Bücher Elegiae varii argumenti, ein Buch Epicedien und Epitaphe (auf böhmische Adlige, Amtsträger, Sodalen, berühmte Gelehrte wie Hermolao Barbaro oder Angelo Poliziano), insgesamt drei Bücher Epigramme ⫺ rühmend, beschreibend, satirisch, ironisch ⫺ mit dem üblichen Themenspektrum: Heilige, Verwandte, Freunde, Würdenträger, Orte (Karlsbad, andere böhmische Städte), Monumente, Gegenstände, Bücher, Autoren, die Geliebte Carlota u. ä. (Übersicht: Heijnic / Marti´nek, Bd. 3, S. 183⫺200). C . S ch ri ft en in Pr os a. Die Prosaschriften, die häufig “mosaikartig aus den antiken Zitaten und Wortverbindungen” zusammengestellt sind und “mehr auf die Wahl eleganter klassischer Ausdrücke als auf Gliederung des Inhalts bedacht” (Marti´nek, 1980b, S. 25; vgl. S. 30), sind beliebten Themen des frühen Humanismus im nördlichen Europa gewidmet. Sie belegen in unzähligen Zitaten und Anspielungen H.s immense Belesen-
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heit, in ihrer Zusammensetzung die Fähigkeit des Humanisten, in fremden Worten Eigenes auszudrücken, doch auch das Vermögen, seit dem Mittelalter hergebrachten Argumentationen neue Aspekte abzugewinnen. Die Lobrede auf Peter Schott (‘Oratio ad Argentinenses’, 1485?) entwirft das idealisierte Portrait eines Gelehrten, der gleichermaßen durch seine Studien in den Artes, durch (legistische und kanonistische) Fachkenntnisse, durch schrifstellerische Tätigkeit in Vers und Prosa und nicht zuletzt durch seine mores brilliert. In Schott entwirft H. ein Idealbild humanistischer Erziehung und feiert ihn als Sproß des vorbildlichen Straßburger Gemeinwesens. Der Traktat ‘De miseria humana’ (1495, Martin J Polich gewidmet; Drucke bis ins 17. Jh.) hebt nicht so sehr grundsätzlich auf die seit der christlichen Spätantike beklagte Conditio humana, d. h. auf das Mängelwesen Mensch, ab, wie sie z. B. die gleichnamige Schrift Papst Innozenz’ III. ausführt, als daß er die Beschwernisse und Gefährdungen verschiedener Berufe und Lebensverhältnisse (Handel, Krieg, Landwirtschaft, Hof, Handwerk, Königsherrschaft, auch literarische Tätigkeit usw.) darstellt. Die religiöse Perspektive fehlt nicht, doch ist sie zurückgedrängt: Die Religion spende allenfalls Trost, könne die Übel aber nicht aus der Welt schaffen. Der Meinung der Philosophen, das Glück (felicitas) liege in voluptas, virtus oder den bona corporis bzw. animi setzt H. das Streben nach immortalitas in Gott entgegen, gibt aber die weltlichen Güter nicht völlig auf, ordnet sie nur dem religiösen Rahmen ein: Stultum enim esset renuntiare voluptatibus, aspernari honores, divitias contemnere et per sudorem iuxta Hesiodum ad virtutem conari, nisi maior aliqua merces eam maneat, eben die immortalitas (ed. Ryba, 1933, S. 65). In ‘De avaritia’ (an Johannes Sturnus, 1499?) ruft H. die Topoi gelehrter Polemik gegen die Geldgier ab. Die verderblichen Folgen der divitiae für den Geist vergleicht er mit gesundheitlichen Schäden durch falsches Essen und Trinken oder schlechtes
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Klima. Doch sei der Reichtum keineswegs immer Quelle von Lastern; sowenig Armut Tugend garantiere, sowenig schließe Reichtum pietas und innocentia aus, allenfalls könne er ⫺ gefährlich wie das aufgewühlte Meer ⫺ die Menschen von ihren eigentlichen Zielen abbringen. Seine Abwertung in biblischer Tradition (I Tim 6,9) wird zugunsten einer profanen, vor allem auf ein gelehrtes otium zugeschnittenen Ethik relativiert (ed. Ryba, S. 72 f.). Ähnlich verfährt H. mit voluptas, die zwar traditionsgemäß als Daseinsziel verworfen, doch als das bedürfnislose Wohlbefinden des Weisen aufgewertet wird. Auch Ruhm wird positiviert; er setze nicht Reichtum, sondern virtus voraus und gehe häufig mit Armut zusammen. So zeichnet sich im Rahmen eines herkömmlichen Lastertraktats der Entwurf einer religiös grundierten, doch an der Welt orientierten Lebensform ab. Nur fragmentarisch überliefert ist der Traktat ‘De felicitate’ (1499). Das Fragment beschränkt sich auf die Zurückweisung der Meinung, daß Reichtum ein Glücksgut sei. Die Grenzen einer christlichen Rezeption der Antike treten in der kurzen Abhandlung ‘De veterum philosophis’ (‘De philosophorum nugis’, 1495?, aus H.s letztem Lebensjahrzehnt?) ans Licht. Sie stellt stichwortartig ‘absurde’ philosophische Lehrmeinungen zusammen, angefangen von Aristoteles’ Ansicht von der Unendlichkeit der Welt über den antiken Atomismus, die Seelenwanderungslehre des Pythagoras und die auf voluptas bezogene Ethik eines Aristipp oder Epikur bis hin zu allerlei naturkundlichen Theorien, um sie im Namen christlicher Weisheit zu verwerfen. In seinen traktathaften drei Briefen ‘De re publica’ (Br. I) äußert H. sich zur politischen und religiösen Situation in Böhmen und Mähren. Es sind eigentlich Abhandlungen, die über ihre jeweiligen Adressaten hinaus auf eine größere Öffentlichkeit zielen. Der erste Brief (1489) enthält die ⫺ nach der ‘Historia Bohemica’ des Aeneas Silvius D Piccolomini ⫺ frühesten Städteund Landesbeschreibungen Böhmens: Situm Pragae et incolentium mores ad te
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scribere institui (an den kgl. Notar Christian Pedik, Br. I, S. 1). Nach knappen Bemerkungen zur Gründung und Lage von Prag führt H. die geistlichen und weltlichen Bauten der Stadt und ihre Geschichte auf, alles jedoch in der Perspektive des Verlusts vormaligen Glanzes. Der Niedergang setzte nach der glanzvollen Zeit unter Ks. Karl IV. mit Wenzel IV. ein und mündete in den Hussitenstürmen, die große Teile der Stadt in Trümmer legten; erst unter Vladislav II. setzt eine zaghafte Erholung ein. H. endet mit einem Ausblick auf eine künftig zu schreibende Geschichte Böhmens, die nicht nur viele Fabeleien, sondern auch Ungenauigkeiten bei Aeneas Silvius korrigieren werde (dem H. in den historischen Exkursen teils bis in den Wortlaut folgt: Marti´nek, 1991, S. 11⫺ 14). Ein derartiges Werk ist allerdings von H. nicht überliefert. Der zweite Brief (1497), an Vladislav II. adressiert, führt für den Herrscher aus, quae honori gloriaeque tuae imprimis conducunt (Br. I, S. 13). Die Skizze von Vladislavs Regentschaft ist eine fürstenspiegelhafte Aufzählung von Herrschertugenden. H. erinnert an die Unordnung im Land, als Vladislav die Herrschaft antrat, seine Auseinandersetzungen mit Mathias Corvinus von Ungarn, nach dessen Tod er sich nicht durch grausame Strafen, sondern mittels benignitas und clementia in Böhmen durchgesetzt, Ungarn erworben und beide befriedet habe. Ein Fleck bleibt: Kirche und Glaube sind ruiniert und bedrohen die öffentliche Ordnung mit Zerfall. Der Brief mündet in einen Appell an Vladislav, gegen die Pest der Häresie einzuschreiten. Der dritte Brieftraktat (1499) ist, vermutlich anläßlich eines Aufenthalts am Sitz des Königs in Ofen, an den Jugendfreund Peter von Rosenberg gerichtet, den kgl. Statthalter in Böhmen seit 1490 (Br. I, S. 28). Ausgangspunkt ist hier noch ausgeprägter der Verfall der res publica, die nurmehr ein schattenhaftes Dasein führe und von niemandem mehr, selbst ihren Repräsentanten nicht, ernstgenommen werde. Dies bürde Rosenberg eine hohe Verantwortung auf. Der Brief ist ein mit biblischen und antiken Exempeln gespickter Traktat über gutes
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Regiment, Rechtspflege, Kriegswesen und eine Ethik für die Regierenden. Zuletzt (S. 65⫺69) wird er konkreter, beklagt die Abspaltung der böhmischen Kirche und ruft Peter auf, die Ordnung wiederherzustellen. I II . H. gehört zur ersten, noch recht fest in die Tradition eingebundenen Generation des mitteleuropäischen Humanismus. Das zeigt die literarische Verarbeitung seiner großen Mittelmeerreise: Er verfaßt kein Hodoeporicon, wie es häufig Spiegel eines neuen Weltverhältnisses um 1500 ist. Die Reise ist nur aus Briefen, gelegentlichen Anspielungen und vor allem dem Dankgedicht an die 14 Nothelfer rekonstruierbar. Sie ist keine der damals noch üblichen Pilgerreisen mehr ⫺ Jerusalem wird nur beiläufig erwähnt ⫺, sondern dient dem Kennenlernen fremder Länder. 1490 schreibt H. an Schellenberg, von Kindesbeinen an habe er das Bedürfnis verspürt, discere situs terrarum, mores et consuetudines hominum perspicere, cognoscere ritus et instituta gentium (Br. II, S. 23), von Victorinus wird das noch deutlicher zu einem Interesse an ‘Empirie’ stilisiert, als Versuch, pedibus oculisque zu ‘erfahren’, was die Lektüre der auctores nur unzulänglich erschließt (1492, Br. II, S. 26 f.). Doch schlägt sich kaum etwas von diesem Interesse an Erfahrung schriftlich nieder (Neuber). Im Hintergrund der Dankverse steht das reuige Eingeständnis, die dem Menschen von Gott gezogenen Grenzen überschritten zu haben. H.s Wahrnehmung ist literarisch präformiert, er sucht historisch berühmte Orte wie Troja auf oder Orte, die sich mit den Namen bedeutender Persönlichkeiten verbinden (Homer, Pythagoras, Hippokrates, Theophrast, Sappho, Apostel Johannes) und findet dort im wesentlichen Bestätigungen des überlieferten literarischen Wissens (Br. II, S. 21⫺25). Durchgängig ist seine Kritik am Islam, an der Unordnung der muslimischen Länder und an den Lastern, die dort angeblich erlaubt sind (vgl. auch Br. II, S. 48 [1494]). Trotz dieser Beschränkung des Blicks wird Reisen aus Wißbegierde gerechtfertigt, unangesehen alle Gefahren durch Stürme, Piraten, Räuber, Seuchen, Hungersnöte usw.
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(ähnlich über die Nordeuropa-Reise B. Adelmanns, Br. II, S. 30 f.). Verworfen dagegen werden Reisen aus Gewinnsucht, wie H. sie in ‘De miseria humana’ den Kaufleuten vorhält. Seit seiner Rückkehr aus Italien schwankt H. zwischen der ‘ruhmlosen’ Vita contemplativa, die der Philosophie, Apoll und den Musen sowie der Bewirtschaftung seiner Güter in der Nachfolge eines römischen Landedelmanns gewidmet ist, und der Vita activa in einem hohen kirchlichen Amt (das er nie erhält), in der kgl. Kanzlei oder bei Hof. Je nach den Umständen ⫺ ob ihm oder einem seiner Freunde gerade die Übernahme einer öffentlichen Aufgabe bevorsteht oder ob im Gegenteil sich die Aussicht darauf zerschlagen hat ⫺ ruft er einmal das eine, einmal das andere Inventar an Topoi ab, die in dieser Frage gewöhnlich angeführt werden: die pietas in patriam (1486, Br. II, S. 9), die Abscheu vor einem Leben per otium et voluptatem (1486/87, Br. II, S. 10), die Verpflichtungen des Gelehrten, sein Wissen zum Wohle der Allgemeinheit einzusetzen (1507, Br. II, S. 130⫺132), oder im Gegenteil die weise Entscheidung, sich von den Stürmen des Lebens zurückzuziehen, die Kritik an Geld- und Machtgier oder Schmeichelei, um die Gunst der Großen zu erringen (Br. II, S. 62⫺66; Op. poet., Nr. 250, an Sturnus). Immer stilisiert er sich als frei von kleinlichem Ehrgeiz, doch offen für öffentliche Aufgaben, für die sein Wissen gebraucht werden könnte (etwa Br. II, S. 73, 75 u. ö.). Diese Position entspricht der gewöhnlichen Haltung der Humanisten in den mitteleuropäischen Monarchien um 1500. Ihnen fehlen zwar die Wirkungsmöglichkeiten des ‘civic humanism’ (Hans Baron) in Italien, doch übernehmen sie fallweise Ämter und Aufgaben im Fürstenstaat und analysieren schonungslos die Mängel der überkommenen ständischen und politischen Ordnung. In seinen Schriften an gelehrte Amtsträger der böhmisch-ungarischen Krone, aber auch Kursachsens oder des Kaisers ist H. ein entschiedener Kritiker des moralischen und religiösen Verfalls, der Verderbtheit und Selbstsucht der geistlichen
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und weltlichen Herrschaftsstände, aber auch der dumpfen Blindheit des vulgus. Die Bedrohung durch die Türken und ihr Vordringen im östlichen Mitteleuropa veranlassen ihn in seinem Aufruf zum Türkenkrieg zu heftigen Ausfällen gegen die europäischen Mächte, ihre Selbstsucht und inneren Zwistigkeiten, insbesondere auch gegen den Augustus Maximilian I., dessen Titel er anderwärts einen bloßen Schatten (umbra) einstiger imperialer Größe nennt (1501 an den kursächsischen Rat Hans von J Hermansgrün, Br. II, S. 82; vgl. 1502 an B. Adelmann, ebd., S. 95). Aus der Distanz mischt H. sich in politische Auseinandersetzungen ein, im böhmisch-ungarischen Königreich und im Römischen Reich, zu dem Böhmen gehört ⫺ was sein Bekenntnis, er fühle sich als Germanus erklärt (1507 an B. Adelmann; Br. II, S. 137). Er ist ⫺ wie die deutschen Humanisten ⫺ Parteigänger des Römisch-deutschen Kaisertums und polemisiert gegen Papst Julius II., der angeblich den Deutschen die Kaiserwürde entziehen will. H. vertritt einen streng an der christlichen Glaubenslehre orientierten Humanismus. Sie ist ihm Richtmaß für die Beurteilung der antiken Philosophie wie auch auch der Werke von Zeitgenossen (1501, Br. II, S. 81 über Johannes Slechtas ‘Microcosmus’). Er kritisiert die pagan-mythologische Überformung des Glaubens und geht gegen Ende seines Lebens so weit, die Bedeutung klassischer Studien zu relativieren (Br. II, S. 99 f., 162; vgl. Marti´nek, 1980b, S. 28). Er ist ein immer entschiedenerer Verfechter der katholischen Religion, was zu Spannungen mit seinen humanistischen Freunden führt, etwa 1494 zum Zerwürfnis mit Victorinus von Vsˇehrd, der seine unnnachgiebige Haltung gegenüber den Hussiten bekämpft und in dem er den Verfasser eines kirchen- und papstkritischen Pamphlets (Papaemastix) vermutet (vgl. Br. II, S. 42⫺55). Mit seinen Aufrufen gegen die Böhmischen Brüder trifft H. mit der politischen Tendenz im Königreich überein, in dem 1503 und 1508 Mandate des Königs gegen die Dissidenten ergingen. Sein Engagement hat ihm als einem unbeirrbaren Vertreter der alten Kirche einen
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Hauer, Georg
hervorragenden Platz in der gegenreformatorischen Geschichtsschreibung, etwa in der ‘Bohemia docta’ des Jesuiten Bohuslav Balbı´n, gesichert. Literatur. B. Balbı´n, Bohemia docta [1675⫺ 1680], ed. K. R. Ungar, t. 1⫺3, Prag 1776⫺1780; I. Cornova, Der große Böhme B. v. L. u. z. H. nach seinen eigenen Schriften, Prag 1808; J. Truhla´ rˇ , Huˇ echa´ch za kra´le Vladismanismus a humaniste´ v C lava II. (De litteris Wladislao regnante in Bohemia renascentibus eorum cultoribus), Rozpravy [...] ˇ eske´ akademie III, 4, Prag 1894; K. Beer, in: E. C Gierach (Hg.), Sudetendt. Lebensbilder, 1934, S. 221⫺230; Celtis-Br., Reg.; Cowie, Peter Schott, Bd. 1, S. XXV f., 32⫺34 u. ö., Bd. 2, S. 729⫺731; M. Flodr, Die griech. u. röm. Lit. in tschech. Bibl.en im MA u. d. Renaissance (Opera universitatis Purkynianae Brunensis. Facultas philosophica 115), Brünn 1966; J. Hejnic / J. Marti´nek, Rukoˇ echa´ch a na Moveˇt’ humanisticke´ho ba´snictvı´ v C raveˇ. Enchiridion renatae poesis Latinae in Bohemia et Moravia cultae, Bd. 3, Prag 1969, S. 170⫺ 203, Biographie S. 170⫺175; J. Marti´nek, Bohuslaus Hassensteinius a Lobkowicz meliorne poeta an orator fuerit, in: Classica atque mediaevalia Jaroslao Ludvı´kovsky´ octogenario oblata, Spisy University J. E. Purkyneˇ v Brneˇ. Filosoficka´ fakulta 200 (1975) 247⫺249; ders., De Conrado Celte et Bohuslao Hassensteinio, Listy filologicke´ 101 (1978) 84⫺93; U. Bruckner, Zu B. v. L. u. Aeneas Silvius Piccolomini, Listy filologicke´ 103 (1980) 79⫺81; J. Marti´nek, Ke kritice a datova´nı´ ba´snicke´ho dı´la Bohuslava z Lobkovic, Listy filologicke´ 103 (1980) 230⫺240 [1980a]; ders., B. v. L. ˇ asove´ u. d. Antike, ebd., S. 24⫺30 [1980b]; ders., C urcˇenı´ listu˚ Bohuslava z Lobkovic dochovany´ch mimo chronologicke´ rˇady, Strahovska´ knihovna 16/17 (1981/1982) 45⫺73; J. Bujnoch, Stadt- u. Landesbeschreibung d. Böhmischen Länder an d. Wende d. ausgehenden 15. bis z. Mitte d. 16. Jh.s, in: H.-B. Harder (Hg.), Landesbeschreibungen Mitteleuropas v. 15. bis 17. Jh., 1983, S. 13⫺27; J. Marti´nek, De chirographo Bohuslai a Lobkowicz, Listy filologicke´ 107 (1984) 149⫺157; ders., De falsa litterarum gloria Bernardo Adelmanno facta, Listy filologicke´ 108 (1985) 204⫺217; ders., Pu˚sobenι´ Bohuslava z Lobkovic ve sveˇtle nove´ datace spisu˚. Restitutus ordo operum Bohuslai a Lobkowicz quo modo ad ipsius mores opiniones studia cognoscenda pertineat, Listy filologicke´ 109 (1986) 76⫺86; W. Neuber, B. L. v. H. Zum Problem v. Reiseperzeption u. humanistischer Bildung, in: H. Zeman (Hg.), Die Österr. Lit., Teil 2, 1986, S. 833⫺844; J. Bujnoch, Zwei Traktate d. B. H. v. L. zum Thema “De re publica” in Briefform an Kg. Wladislaw II. u. Peter v. Rosenberg 1497 u. 1499, in: H.-B. Harder / H. Rothe (Hgg.), Stud.
z. Humanismus in d. böhmischen Ländern, 1988, S. 157⫺175; J. Marti´nek, Das Bild d. Aeneas Silvius Piccolomini im Prosawerk d. B. v. L., in: H.-B. Harder / H. Rothe (Hgg.), Stud. z. Humanismus in d. Böhmischen Ländern. Ergänzungsheft, 1991, S. 7⫺18; H.-B. Harder, Die Entwicklung d. Landschaftsbeschreibung in Böhmen u. Mähren, in: H.-B. Harder / H. Rothe, Stud. z. Humanismus in d. böhmischen Ländern, Teil 3, 1993, S. 2⫺15; J. Marti´nek, Neulat. Reisedichtung in d. Böhmischen Ländern, ebd., S. 215⫺223; D. Marti´nkova´ , Beschreibungen böhmischer u. mährischer Städte im Zeitalter d. Humanismus, ebd., S. 25⫺34; H. Rothe, Die ‘Bohemia docta’ d. Bohuslav Balbı´n, ebd., S. 299⫺315; E. Petru˚, Die Erforschung d. lat. Lit. in d. böhmischen Ländern, Hum. Lov. 42 (1994) 69⫺76; P. Wˆrster, Humanismus in Olmütz. Landesbeschreibung, Stadtlob u. Geschichtsschreibung in d. ersten Hälfte d. 16. Jh.s, 1994; I. Hlobil / E. Petru˚ , Humanism and the Early Renaissance in Moravia, Olmütz 1999; J. Helmrath, Vestigia Aeneae imitari. Enea Silvio Piccolomini als ‘Apostel’ d. Humanismus, in: ders. u. a. (Hgg.), Diffusion d. Humanismus, 2002, S. 99⫺141, hier S. 138 u. 140. ⫺ S. auch Op. poet., S. XXXI⫺XXXVIII.
Jan-Dirk M¸ller
Hauer (Hawer, Hauerius), Georg I . L eb en . H., geboren um 1484 in Tirschenreuth (Opf.), immatrikulierte sich im SS 1500 an der Univ. Leipzig (Georgius Hawer de Torsenreudt), wurde dort im SS 1502 Baccalaureus und, als Schüler Virgil J Wellendorfers, im WS 1508 (nicht 1514!) Magister artium. Er ist zu unterscheiden von dem älteren gleichnamigen bayerischen Chronisten (‘Chronicon Bavariae’ v. J. 1479, Clm 1214). Nach Abschluß des Artesstudiums ging H. von einem unbekannten Zeitpunkt an bis mindestens Ende 1513 in Passau dem Beruf des Lehrers nach, vermutlich an der Domschule (vgl. die Widmung der ‘Puerilia exercitamenta’ II.A.1.). Er wurde Priester und war von 1513 bis 1518 Pfarrer in Plattling, seit 1514 vertreten durch einen Vikar. In Passau lernte er Philipp J Gundel kennen, der ihn 1513/14 in seinem Epigramm zu H.s ‘Puer. exercit.’ mit amicorum maxime ansprach. Am 15.
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Hauer, Georg
Mai 1514 schrieb H. sich an der Univ. Ingolstadt ein (Magister Georgius Hawer ex Tirschenreidt plebanus in Pledling), um das juristische Studium aufzunehmen. Anscheinend war er auch in Ingolstadt zeitweilig als Lehrer an einer Lateinschule tätig, denn er spricht im ‘Hauerius’ von seinen Unterlehrern (s. u. II.A.2., Bl. Kr: hypodidascalis nostris), und es erklärt sich aus dieser Tätigkeit am ehesten sein bis 1516 anhaltender Eifer für eine erfolgreiche Didaktik des Lateinunterrichts.
Vor dem Frühjahr 1519 war H. bereits Dr. des Kirchenrechts. Damals wählte der Ingolstädter Adelsrektor Graf Georg von Leuchtenberg den artium et sacrorum canonum doctor H. für das SS 1519 zu seinem Stellvertreter. Für das SS 1522 wurde H., nun Ordinarius des Kirchenrechts, selber zum Rektor gewählt. Im WS 1523 machte er sich, erneut Rektor, um die Umsetzung der im Nov. 1522 verabschiedeten neuen Statuten verdient. Vom SS 1525 bis zum WS 1531 versah er das Amt des Rektors fünf weitere Male. Daneben war er 1522⫺26 und 1535⫺36 Kämmerer der Universität. An der Seite seines Kollegen Johann J Eck, zu dessen ‘Orationes tres’ er bereits 1515 ein empfehlendes Hexastichon beigetragen hatte, trat H. von Anbeginn als harter Gegner der Reformation auf. 1520 übernahm er die Verkündigung der Bannbulle gegen Luther in Ingolstadt. Zusammen mit Eck und dem Juristen Franz Burckhard, seinem Lehrer, sorgte er für die Initiative der Universität zum Erlaß des ersten bayerischen Religionsedikts vom 5. März 1522, und auch bei der Verurteilung des lutherfreundlichen Ingolstädter Magisters Arsacius Seehofer wirkte er mit; er leitete das Verhör. In dem anonymen Pamphlet gegen die Ingolstädter Professoren in der Causa Seehofer, den im Stil der J ‘Epistolae obscurorum virorum’ verfaßten ‘Acta Concilii Doctorum Universitatis Ingolstadiensis [...]’ ([Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1524]. VD 16, ZV 9379. Vgl. Kolde, S. 149 ff.), war er eine prominente Zielscheibe. Als Pfarrer der Frauenkirche (seit 1518) erwirkte er 1520 für deren dringenden baulichen Bedarf bei Leo X. einen Ablaß (für Oculi bis Laetare 1521; Druckex. von H.s lat. Ab-
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laßverkündigung, in der er als päpstlicher commissarius zeichnet: München, UB, 2° H. lit. 176, Nr. 167; dt. Fassung ebd., Nr. 169). In Predigten bekämpfte er dort den ertzketzer Luther (s. u. II.B.). 1525 tauschte er das Pfarramt an der Frauenkirche mit Eck gegen das von St. Moritz. H. starb 52jährig am 23. Aug. 1536. Sein Grabmal (mit Porträtfigur) in St. Moritz, das er 1532 selber entworfen hatte, ist erhalten; die Inschrift der Grabplatte hält den Todestag und das erreichte Lebensalter fest. I I. Sc hr if te n. A. Grammatik. Die beiden Grammatiken, die H. verfaßte, verwirklichen ein gestuftes didaktisches Programm. Die aus seiner Passauer Lehrtätigkeit erwachsenen ‘Puerilia grammatices exercitamenta’ (1513) sollten als Lateingrammatik eines mittleren Anspruchsgrads dienen, setzten daher einerseits die Erarbeitung des Donat voraus, blieben anderseits bewußt unter der Stufe der großen Grammatiken, der Germanorum nostrorum institutiones ⫺ wohl vom Schlage der ‘Institutiones’ J Heinrichmanns ⫺, aus denen H. selber geschöpft hatte (s. das Nachwort zu den ‘Puer. exercit.’). Ingolstädter Freunde und schließlich der Rat der Stadt veranlaßten ihn, eine zweite, einfachere, den Anfangsgründen des Lateins zugedachte Grammatik zusammenzustellen, und so entstand 1515 der ‘Hauerius’, wie H. selber ihn nannte, ein Abriß auf locker bedruckten 23 Bll. in Kleinoktav, der an die Stelle des Donat treten sollte, einführend in die Grammatik der acht Redeteile, in Deklination und Konjugation, mit ganzen zwei Seiten für einige Regeln der Syntax. Im Nachwort (peroratio) zu den ‘Puer. exercit.’, das programmatisch, schulgeschichtlich und biographisch von Interesse ist, tritt H. mit entschiedenem Urteil für die humanistische Reform des Lateins ein, muß sich freilich, aufgewachsen mit dem ‘Doctrinale’ des Alexander de Villa Dei, von dem er sich erst als 24jähriger, also nach dem Leipziger Artes-Studium, habe lösen können, als Autodidakten und nur
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Hauer, Georg
unvollkommenen Lateiner bekennen. Nachdrücklich plädiert er für die subsidiäre Verwendung der Muttersprache im Lateinunterricht. Diese Methode praktiziert er freilich in den ‘Puer. exercit.’ nur sporadisch, bei einigen Stücken der Konjugation. Im ‘Hauerius’ dagegen sind sowohl die Paradigmen der Nominal- und Verbalflexion als auch viele Einzelwörter im Beispielsmaterial deutsch glossiert. Nahezu so umfangreich wie die Grammatik selbst ist im ‘Hauerius’ der Anhang von Sentenzen und Sprichwörtern, die der Lehrer den Schülern bei passender Gelegenheit nahebringen soll. Eine erste Gruppe ist der Sentenzensammlung der ‘Adolescentia’ Jakob J Wimpfelings ⫺ ihn verehrt H. als höchste pädagogische Autorität ⫺ entnommen, mit besonderem Interesse für die flores Ovidii vor den biblischen Spruchbüchern und den ‘Proverbia Senecae’, eine zweite den ‘Adagia’ des J Erasmus von Rotterdam. Die ausgewählten erasmianischen ‘Adagia’ sind, ausdrücklich auch als Hilfe für die hypodidascali, jeweils mit dt. Versionen versehen, nicht mit wörtlichen Übersetzungen, die H. für das Verständnis der oft fremden Bildlichkeit der ‘Adagia’ als ungeeignet erachtet, sondern mit sinngemäß äquivalenten deutschen Redensarten. Das kleine Buch beschließt eine Ratio instituendorum puerorum, die H.s LateinDidaktik zu einem systematischen Konzept zusammenfaßt. Hier gibt H. an, für die ersten Anfänge (Aneignung des Alphabets, Latinisierung der Schülernamen u. a.) ein Elementarbüchlein mit dem Titel Crepundia (‘Spielzeug’) verfaßt zu haben; von diesem ist jedoch bisher weder eine Hs. noch ein Druck bekannt geworden. Drucke. 1.a) Puerilia grammati|ces ‹exercitamenta› magistri Georgii Hauerii | Turschenreutensis. Augsburg: Silvan Otmar, 17. März 1514. VD 16, H 775. Widmung an den Passauer Domherrn und Dekan Wolfgang von Tannberg (Passau, 27. Juni 1513). Bl. a ijv⫺a iijr: empfehlendes Hendecasyllabon Philipp Gundels (34 vv.). Bl. [i6]r: Epigramm Gundels gegen mißgünstige Kritiker (7 Dist.). Bl. i iiijr⫺[i6]r: Nachwort (peroratio). b) Puerilia Grammati|ces exercitamenta. M. Georgii | Hauerii Tursenreutini denuo im/|pressa et emendata diligentius | Appendix eorundem nuper adiecta | Epitome Sulpitij de scansione et sylla-
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barum quantitate | Compendium de numeris ad Philippum nepotem. Augsburg: Joh. Miller, 10. Dez. 1515. VD 16, H 776. Dieser zweite Druck enthält einen Anhang ergänzender grammatikalischer Kapitel, eine Figurarum appendix (über Barbarismus, Soloezismus, grammatische Figuren, Tropen) und eine dem Johannes Sulpitius entnommene Prosodie sowie eine eingehende Behandlung der lat. Zahlwörter. Er wiederholt die Widmung an Wolfgang von Tannberg und Gundels Hendecasyllabon aus der ersten Auflage und bringt neben einem Titelepigramm Gundels (3 Dist.) einen den Anhang einleitenden Brief H.s an Leonhard Eck (1. Sept. 1515) und am Schluß einen Brief von H.s Schüler Matthias Alber. ND Augsburg 1519. 2. Hauerius. Augsburg: Joh. Miller, 2. Mai 1516. VD 16, H 777. Bl. [G4]v⫺[I4]v: Dicteria ex Iacobi Wimphelingii Theologi Adolescentia translata pueris pro medijs versibus (ut dicunt) exponenda. Bl. Kr⫺M iijv: Auszug aus Erasmus’ ‘Adagia’ mit dt. Versionen. Titelbl.v⫺[A3]r: Briefe des Urbanus Rieger (Rhegius) und des Ingolstädter Sekretärs Matthäus Spielberger (1. Okt. 1515) an H. sowie H.s an den Ingolstädter Rat (25. März 1515). Bl. [A3]r: 6 empfehlende Dist. Ph. Gundels an den Leser. Weitere Drucke: Augsburg: Joh. Miller, 18. Aug. 1517. VD 16, H 778; Bamberg: Georg Erlinger, 1531. VD 16, ZV 24887. Abdruck des Auszugs aus den erasmianischen ‘Adagia’ mit ihren dt. Versionen: J. Knepper, Eine alte verdeutschung lat. sprichwörter, ZfdPh 36 (1904) 128⫺133 u. 378⫺382.
B. Antireformatorische Marienpredigten. 1523 sah sich H. als Pfarrer der Ingolstädter Frauenkirche veranlaßt, gegen Luthers Kritik des ‘Salve regina’, die ihm v. a. durch den ‘Sermon von der Geburt Mariä’ (1522; Luther, WA, Bd. 10/3, S. 312⫺334, bes. S. 321 f.) zum Ärgernis geworden war, die katholische Marienverehrung zu verteidigen. Er wählte dazu die Predigt an Marienfesten, Mariä Himmelfahrt (15. Aug.), Geburt (8. Sept.), Empfängnis (8. Dez.) 1523, sowie für zwei weitere Predigten Lichtmeß (2. Febr.) und Verkündigung (25. März) 1524. In den ersten drei Predigten sucht er, betont auch aus der Bibel, die Mariologie des ‘Salve regina’ zu rechtfertigen, das Königtum Marias, ihre Bedeutung als unser “Leben, Süße und Hoffnung” (vita, dulcedo et spes nostra), ihre Rolle als Fürsprecherin bei Gott. Die beiden folgenden Predigten greifen weiter, gehen auch gegen Luthers Verwerfung jeglichen Heiligenkults, den Gedanken des allgemeinen
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Priestertums, die Sakramentenkritik an; angehängt ist eine kurze Stellungnahme Wider der geweßen brobste zu Nurmberg außgangen schrifften, als vill dieselben das Sal⫽|ue regina betreffenn. Es handelt sich um die Pröpste Hektor Pömer (St. Lorenz) und Georg Pesler (St. Sebald) und ihre Schrift ‘Grund und Ursach aus der hl. Schrift, wie und warum die [...] Pröpst zu Nürnberg die Mißbräuch bei der hl. Messe [...] samt etlichen anderen Zeremonien abgestellt, unterlassen und geändert haben’ ([Nürnberg: Hier. Höltzel, 23. Okt. 1524]. VD 16, O 1016). Hieronymus J Emser und Johann Dietenberger verfaßten gegen sie umfassende Gegenschriften; vgl. Th. Freudenberger, Hier. Emser, Schr. z. Verteidigung d. Messe, 1959, S. XXIX⫺ XXXIV u. 112⫺147. Drucke. 1. Drey christlich predig vom | Salue regina/ dem Euan|geli[!] vnnd heyligen | schrift ge|meß. [Ingolstadt: Andr. Lutz, 1523]. VD 16, H 772. 2. Ander zwue predig | Vom Salue regina dem Euangelio | vnd heyligen Gschrifft gemeß. | Ain verantwortung gemelts Salue betreffendt/ | wider e e die gewesen probst zu˚ Nurmberg. Landshut: Joh. Weißenburger, 1526. VD 16, H 773. ND Dresden: Wolfg. Stöckel, 1533. VD 16, H 774. Literatur. J. N. Mederer, Annales Ingolstadiensis Academiae, Bd. 1, 1782, S. 107 f., 128 f., 156 f.; C. Prantl, Gesch. d. Univ. Ingolstadt, Bd. 1, 1872, Reg.; Bd. 2, Reg.; M¸ller, Quellenschr., S. 198, 202, 266, 301; J. Franck, in: ADB, Bd. 11, 1880, S. 44 f. (sehr fehlerhaft); J. Knepper, Ein Schlüssel zur röm. Datumsbestimmung aus d. Humanistenzeit, Neue Jbb. f. d. klass. Altertum, Gesch. u. dt. Lit. u. f. Pädagogik 12 (1903) 579 f.; ders., Der bayer. Humanist G. H. als Pädagoge u. Grammatiker, Mitt. d. Ges. f. Erziehungs- u. Schulgesch. 14 (1904) 253⫺277; Th. Kolde, Arsacius Seehofer u. Argula v. Grumbach, Beitr. z. bayer. Kirchengesch. 11 (1904/5) 49⫺77, 97⫺124, 149⫺ 188, hier S. 54 f., 63, 101, 154, 160; H. Buchheit, Ein Bildnis d. Ingolstädter Professors G. H., Kalender bayer. u. schwäb. Kunst 16 (1920) 19⫺14; J. B. Gˆtz, Die Grabsteine d. Moritzkirche in Ingolstadt (1340⫺1836), Sammelbl. d. Hist. Ver. Ingolstadt 45 (1926) 1⫺112, hier S. 33⫺35; ders., St. Moritz in Ingolstadt. Kirche u. Pfarrei, ebd. 47 (1928) 1⫺112, hier S. 61 f.; G. Frhr. v. Pˆlnitz, Die Untersuchung gegen Arsacius Seehofer, Hist. Jb. 60 (1940) 159⫺178; A. Seifert, Statutenu. Verfassungsgesch. d. Univ. Ingolstadt (1472⫺ 1581), 1971, S. 107 f., 250, 284, 326, 338; ders.,
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Die Univ. Ingolstadt im 15. u. 16. Jh., Texte u. Regesten, 1973, S. 113, 114, 118, 126⫺128, 137; W. Kausch, Gesch. d. Theol. Fakultät Ingolstadt im 15. u. 16. Jh., 1977, S. 137, 139⫺142; Dr. Joh. Eck. Seelsorger ⫺ Gelehrter ⫺ Gegner Luthers, 1986, S. 99 f. (Abb. v. Bildnis u. Grabmal); L. Ott, Ein bisher unbekannter Brief d. Ingolstädter Professors G. H. an Leonhard Haller, Sammelbl. d. Hist. Ver. Ingolstadt 89 (1990) 109⫺114; B. Schˆnewald, in: Biogr. Lex. LMU, S. 168 f. (fehlerhaft); H. Puff, Von dem schlüssel aller künsten/ nemblich der Grammatica’. Deutsch im lat. Grammatikuntericht 1480⫺1560, 1995, S. 172, 195 f., 202 u. ö.; M. Knedlik, in: BBKL 19, 2001, S. 633⫺ 635 (fehlerhaft).
F. J. Worstbrock
Heinrichmann (Henrichmannus), Jakob I . L eb en . H., geb. etwa 1482 als Sohn des Albrecht H. vermutlich in Sindelfingen, immatrikulierte sich am 29. Nov. 1497 in Tübingen (Jacobus Hainrichman de Blaubu´ren), wurde am 4. Juni 1499 Baccalaureus und am 24. Juni 1502 Magister artium. Erst der Magister gab als Ort seiner Herkunft Sindelfingen an, nannte sich danach auch in Überschriften einiger seiner Carmina, auch im Titel seiner Grammatik seit deren 2. Aufl. Sindelfingensis. Er gehörte wie die mit ihm befreundeten Johannes J Altenstaig und Michael J Köchlin zum engsten Schülerkreis um Heinrich J Bebel. Als Magister lehrte er in Tübingen bis 1508 neben Altenstaig im Contubernium modernorum lat. Sprache. In seinem Eifer für die humanistische Erneuerung des Lateins sah er sich, wie seine Briefe und weitere Äußerungen in der ‘Grammatica’ laut bekunden, von den Anhängern des Hergebrachten, den grammatistae barbari, angegriffen und setzte sich zur Wehr. Mit dem Sprachunterricht verband er Textinterpretationen, u. a. der Briefe des Filelfo (‘Gramm.’, Bl. [A3]v). Gleichzeitig betrieb er, und zwar mit Priorität, das juristische Studium (“das niemanden in Armut leben lasse”, ‘Gramm.’, Bl. [a5]v); Beatus Widmann, der spätere Kanzler Kg. Ferdinands
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Heinrichmann, Jakob
I., war einer seiner Lehrer (s. II.3.). Im Mai 1508 verließ er Tübingen (vgl. seinen Abschiedsbrief an Altenstaig in dessen ‘Vocabularius vocum’ und den weiteren Brief dort vom Okt. 1508), um in die Dienste des Eichstätter Bischofs zu treten. Als consiliarius episcopi Eystetensis immatrikulierte er sich in Ingolstadt am 23. Juli 1510 und wurde dort am folgenden Tag zum Lizentiat in utroque iure zugelassen. Das Datum der wohl bald danach erfolgten Promotion zum Dr. iur. utr. ist nicht bekannt. Spätestens 1514 wechselte er in die Dienste des Augsburger B.s Heinrich von Lichtenau. Unter dessen Nachfolger Christoph von Stadion (1517⫺1543), der die Räte seines Vorgängers sämtlich übernahm, wurde er für lange Jahre die wichtigste Person der Augsburger bischöflichen Administration. Schon im Jan. 1520, gleich nach dem Tode des Generalvikars Johannes Alantsee, übernahm er dessen Amt; er versah es noch unter B. Otto Truchseß von Waldburg (1543⫺1573), bis zu seinem Rücktritt als 76jähriger 1558. Seit 1518 war er gleichzeitig als Richter des Schwäbischen Bundes (‘Triumvir’) tätig, und zwar für die Adelsbank; noch auf seinem Epitaph-Blatt in den Augsburger Drucken der ‘Grammaticae institutiones’ von 1533 ([N6]v) und 1539 ([Q6]v) (s. II.1.) zeichnet er als Confederatorum Sueviae iurisdicundi III vir. Vor 1518 begegnet er bereits als Parteianwalt. Gut dokumentiert (Schrˆder, 1896) sind die Verhandlungen mit dem Augsburger Rat und dem Domkapitel (J Adelmann), die der junge Generalvikar im Streit um die Verkündigung der gegen Luther erlassenen Bannbulle ‘Exsurge Domine’ im Bistum Augsburg führte (Herbst 1520). Über H.s weitere Amtstätigkeit (Reform in Klerus und Klöstern, Verhandlungen im Bauernkrieg u. a.) besteht bisher nur punktuelle Kenntnis (vgl. Zoepfl). Die zugänglichsten Zeugnisse seiner Tätigkeit als Jurist und Schwäbischer Bundesrichter finden sich in seiner posthum hg. Slg. der ‘Consilia et Responsa iuris’ (s. II.4.).
H. starb am 28. Juni 1561 im 79. Lebensjahr und wurde im Augsburger Domkreuzgang bestattet; Grabplatte sowie Epitaph (Text: Veith, S. 89) mit Stifterbild und Wappen sind dort erhalten; das Stif-
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terbild wiederholt in allen wesentlichen Elementen den Holzschnitt des Augsburger Drucks der ‘Grammaticae institutiones’ von 1533 und 1539; das Epitaph dort ist dasselbe. Eine Würdigung des angesehenen Juristen enthält die Widmungsvorrede seines Nachfolgers Christoph Forstenheuser zur Ausgabe der ‘Consilia’ (s. II.4.). Als Kanoniker von St.Moritz in Augsburg (um 1519), seit 1521 Domherr, gleichzeitig Propst in Wiesensteig, Kirchherr in Zusmarshausen (1521⫺ 1541) und Altstädten (Resignation 1533 gegen eine Rente) wie auch durch die Einkünfte aus seinen Ämtern war H. ein wohlhabender Mann. Sein Hof in Augsburg wurde nach seinem Tode für 800 fl. verkauft; die Summe, die nach Maßgabe des Testaments an das Domkapitel fiel, wurde als Grundkapital für eine nunmehr fest angestellte und besoldete Musikkapelle am Augsburger Dom verwendet. Testamentarisch hinterließ er auch eine mit einem Kapital von 1000 fl. ausgestattete Stiftung, deren jährliche Zinserträge von ca. 50 fl. jeweils fünf unbescholtenen armen Dillinger Mädchen für die Beschaffung von Heiratsgut zufließen sollten. Aus H.s Bücherbesitz sind drei Inkunabeln erhalten (I. Hubay, Incunabula d. SuStB Augsburg, 1974, Nr. 1860, 1879, 1884: Schedels ‘Weltchronik’; Seneca, Philos. Schr. u. Briefe; Seneca, Tragödien), ein Sammelband in der Studienbibl. Dillingen (ehem. Kapuzinerkloster) und ein weiterer in der Bibl. des Priesterseminars Augsburg (ehem. Dillingen) mit hsl. Widmung von H.s Verwandtem J. A. Widmanstetter (Zoepfl, S. 116 u. 168).
I I. Sc hr if te n. Was H. geschrieben und veröffentlicht hat, entstand fast ausschließlich in den Tübinger und den frühen Eichstätter Jahren. Danach verfaßte er kaum mehr einen Vers. Er hatte seiner beruflichen Tätigkeit für das Augsburger Bistum und den Schwäbischen Bund zu genügen, die im Zuge der fortschreitenden Reformation in beiden Bereichen sehr angespannt war. 1. ‘Grammatica’ (‘Grammaticae institutiones’). H. hat seine im wesentlichen vor dem 1. April 1506 abgeschlossene ‘Grammatica’, die von der 2. Aufl. (1507) an unter dem Titel ‘Grammaticae institutiones’ erschien, in vier Bücher geteilt. Das 1. umfaßt die einleitenden Partien und als Hauptstück die Flexion der flektierenden Wortarten
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Heinrichmann, Jakob
(Nomen, Pronomen, Verb, Partizip), das weit kürzere 2. behandelt die nicht flektierenden Wortarten (Adverbium, Präposition, Konjunktion, Interjektion), das 3. die Syntax der flektierenden und das wiederum sehr kurze 4. die der nichtflektierenden Wortarten. Ersichtlich dachte H. so wenig wie J Brassicanus an eine von Grund auf neue Grammatikkonzeption; die Tatsache, daß er einer morphologischen Opposition (flektierend / nicht flektierend) auch die Syntax unterstellt, spricht für gänzliche Theorieferne. Vom Ansatz einer Dependenzsyntax nach italienischer Tradition, der durch Perottis ‘Rudimenta grammatices’ am stärksten verbreitet war, zeigt sich keine Spur, erst recht nicht von einer eigentlichen Satzlehre. Perottis ‘Rudimenta’ waren jedoch eine orientierende Quelle für die einleitenden Teile, die wie eine auswählende Paraphrase mit wörtlichen Übernahmen und eigenen Kommentaren anmuten, ebenso für Partien der Flexionslehre von Nomen und Verb. Eine Untersuchung auch nur der Hauptquellen von H.s Grammatik steht aus. Der vierjährige Unterricht (seit 1502), aus dem H.s Grammatik hervorging, war offenbar sehr erfolgreich, so daß u. a. Bebel ihn zur Redaktion und Veröffentlichung seiner Lehre drängte. Ihre Eignung bewies sie nach dem Urteil seiner humanistischen Freunde dadurch, daß sie mit der Autorität des herkömmlichen Grammatikunterrichts, dem ‘Doctrinale’ des Alexander Gallus und seinen weitschweifigen Glossenkommentaren, radikal brach, und zwar ebenso in didaktischer Hinsicht wie in der Lehre der Latinität selbst. Die systematische Aufbereitung des Stoffs nach Grundsätzen der Faßlichkeit und Übersichtlichkeit waren eines, die kontrollierte Wiederherstellung antiker Grammatikalität (in den Grenzen von Morphologie und Rektion der Wortarten) das andere, und diese hatte ihren Maßstab, so stellt er mit Perottis Worten fest, am Sprachgebrauch der Auctores selbst (Bl. br: Grammatica est ars recte loquendi recteque scribendi scriptorum et poetarum lectionibus obseruata). Beispielmaterial, das er zitiert, ist daher
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nahezu ausschließlich antiken Autoren, hauptsächlich den Dichtern, entnommen (ab und an auch Filelfo und Baptista Mantuanus); er inseriert es insgesamt jedoch eher zurückhaltend, dichter erst bei den Präpositionen und in der Syntax. Als Autoritäten der Doktrin führt er dagegen nicht die antiken Grammatiker an ⫺ es fallen kaum ihre Namen ⫺, sondern zeitgenössische Italiener, weit voran Curius Pasius Lancellottus (mehr als 40mal; er gilt H. als testis korrekter Latinität), danach Aldus Manutius, Calepinus, Mancinelli, Perotti, Valla. Als Unterrichtshilfe schloß H. die Muttersprache nicht aus, im Gegenteil: wenigstens im Bereich der Nomina gibt er den lat. Beispielen und Beispielreihen regelmäßig die dt. Bedeutungen bei, und beim Konjugieren, empfiehlt er, solle der Schüler selbst jede lat. Form zugleich auch deutsch wiedergeben (Bl. l ijv). Dies sind Regeln, die wenig später J Aventin in entschiedene Methode umsetzte. Schon H.s Unterricht hatte in Tübingen Kritiker und grundsätzliche Gegner jeglicher Neuerung auf den Plan gerufen. So suchte H. auch für sein Buch bei einflußreichen Freunden und früheren Lehrern Schutz gegen böswillige Anfeindung, indem er nicht nur dem Gesamtwerk, sondern auch den einzelnen Büchern Briefe voranstellte, in denen er erneut mit den grammatistae barbari, den Anhängern des Alexander de Villa Dei, abrechnet und vor allem um Unterstützung für sein Unternehmen bittet: Bl. A ijv⫺A iijv: an Bebel (23. März 1506); q iijv: an den Juristen und Stuttgarter Kanonikus Benedikt Farner (Ferner), der von H. als praeceptor und unicus amicus angesprochen wird (24. März 1506); [r6]r: H. an seinen Vater, damals magistratus und praefectus in Ochsenhausen, den er um kritische Prüfung des 3. Buches (Syntax) bittet (1. April 1506); [z5]v: an den befreundeten Georg Hermann, Kanoniker an St. Moritz in Augsburg (25. März 1506). Spät erst eingereiht wurde der Brief an die Tübinger Theologen Wendelin Stein und Peter Braun und den Mediziner Bernhard Rorbach ([a5]r⫺[a6]v; 1. Juli 1506). Der 24jährige
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Heinrichmann, Jakob
H. hat seine Grammatik nicht als ein Werk makellos beherrschter latinitas betrachtet. Er weist seine Adressaten vorsorglich auf mögliche Schwächen hin und bittet um wohlwollende Kritik. Unterstützt haben die Veröffentlichung der Grammatik Bebel und etliche Schüler H.s (Seb. Keffer, Matth. Kretz, Amand Megling, Joh. Haberkalt, Joh. Weber, Peter Rotacher) mit empfehlenden Epigrammen. Ein wichtigerer Beitrag war das Schreiben Michael Köchlins, H.s Kollegen im Collegium modernorum, an die jüngeren Studenten (19. Juni 1506); Köchlin würdigt die neue Grammatik als wichtiges Ereignis für die Lehre im Collegium und als Erfüllung eines Plans, den er selber schon acht Jahre zuvor verfolgt habe: die Ersetzung des Alexander Gallus durch ein Buch, das die Grundlagen römischer Beredsamkeit zu restituieren geeignet sei; anschließend stellt er den gesamten Studienplan des Collegium und dessen Lehrer vor. H.s Grammatik erlebte von 1506 bis 1522 nicht weniger als 62 Auflagen (1533 und 1539 folgten noch zwei Nachzügler), weit mehr als jede andere der neuen Grammatiken deutscher Humanisten (vgl. Brassicanus, J Aventinus, J Hauer, J Pinicianus), und sie war auch nach ihren Druckorten (Pforzheim, Straßburg, Leipzig, Tübingen, Hagenau, Nürnberg, Basel) die verbreitetste. Schon die 2. Aufl. (Pforzheim 1507) war eine verbesserte; die Emendationen besorgte Johannes J Hiltebrant, damals Korrektor in der Pforzheimer Offizin Anshelm. Drucke. VD 16, H 1983⫺2040 (H 2018 ist zu streichen [irrig Nürnberg 1515 statt 1519], da identisch mit H 2033); VD 16, ZV 7682, 7686⫺7689, 14510, 23271. 1. Grammatica Jacobi | Henrichman sectae recentioris | quam modernorum vocant in | gymnasio Tubin|gensi mode|ratoris | Ars condendorum carminum Henrici Bebelij Iustin⫽|gensis Poetae Laureati. | Syllabarum quantitates Racemationes et exquisiti|ores obseruationes eiusdem. Pforzheim: Th. Anshelm, 1506. VD 16, H 1983. 2. Grammaticae institutiones | Iacobi Henrichman Sindel|fingensis castigatae de|nuo atque diligen| ter elaboratae. Pforzheim: Th. Anshelm, 1507. VD 16, H 1984. Titelbl.v: Joh. Hiltebrant an den Leser;
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Bl. y iir⫺v: Hiltebrants Korrekturen, die in den folgenden Drucken eingearbeitet sind. An der weiteren Druckgeschichte seiner Grammatik war H. nicht unbeteiligt. Seit der 4. Aufl. (Pforzheim 1508) erschienen etliche Drucke mit einem Brief H.s an seinen Lehrer Kaspar Hummel, dem er für früheren Lateinunterricht dankt (23. Febr. 1508), und, am Ende der Drucke, das Gedicht contra ignauos grammatistas (7 Dist.) für Hiltebrant. Eine zuerst im Druck Tübingen 1511 (VD 16, H 1999) erschienene, offenbar in Eichstätt verfaßte Beigabe H.s, die bis 1521 in den meisten Drucken wiederkehrt, ist die ausgreifende Exhortatio ad literarum studiosos ut barbariem eliminent et eloquentiam uenentur, eine erneute flammende Kampfansage gegen den ‘barbarischen’ Zustand des Lateins, der vor allem im Klerus noch herrsche; anekdotenhaft aufgespießt wird das Gesprächsbüchlein D ‘Es tu scholaris’ (NB). Die späte, nochmals revidierte Augsburger Ausgabe von 1533 (VD 16, ZV 7682) ⫺ wiederholt Augsburg 1539 (VD 16, H 2040) ⫺ scheint von H. selbst veranlaßt worden zu sein; während ihr alles frühere Beiwerk fehlt, füllt die letzte Seite ([N6]v) ein von H. auf sich selbst verfaßtes sarkastisches Epitaph (‘Gier der Nachwelt auf seine Besitztümer, spes unica Christus’) mit H.s Namen und Titeln und illustrierendem Holzschnitt.
2. ‘Prognostica’. Die unterhaltsam persiflierende Parodie astrologischer Prognostik, noch in Tübingen entstanden und Christoph von Schwarzenberg sowie Bebel gewidmet (20. Febr. 1508), ist eine nur leicht variierte lat. Version der fast zeitgleich gedruckten dt. sog. ‘Roßschwantz-Praktik’ (Praktik des pseudonymen Dr. Joh. Roßschwantz). Durch die lat. Version, so H. in der Widmung, sollte das Stück auch im Ausland seine Leser finden können. Typischer und aktueller Zusatz H.s ist die Ankündigung gewaltiger Feindschaft inter Theologos et Poetas (Kap. 23). 1512 erschien die ‘Prognostica’ im Anhang des 3. Buches von Bebels ‘Facetiae’, für den sie H. von vornherein gedacht hatte. Durch verschiedene Sammeldrucke blieb sie lange bekannt, in Verbindung mit Bebels ‘Facetiae’ bis ins 18. Jh. (s. Pfister), wurde auch ins Dt. (rück)übersetzt. Sie gehört zu den Quellen von Fischarts ‘Aller Practick Großmutter’ (1572). Druck. Prognostica alioquin barbare practica nun|cupata: ab Iacobo Henrichman: lati|nitate
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Heinrichmann, Jakob
donata. paucis quibus|dam annexis. Straßburg: Joh. Grüninger, 1509. VD 16, H 2041. Abdruck bei Wackernagel, S. 131⫺138; M.-A. Screech (Hg.), F. Rabelais, Pantagrueline Prognostication pour l’an 1533 (Textes litte´raires franc¸ais 215), Gene`ve 1974, S. 130⫺136 (nach der Ausg. von Bebels ‘Facetiarum libri tres’, Frankfurt 1590). Zur Datierung s. Pfister, S. 250. Drucke des 16. Jh.s: VD 16, H 2042⫺2058 u. ZV 7683 u. 7684. 3. Carmina Mit kleinen Epigrammen begleitete H. Veröffentlichungen seiner Freunde Bebel und Köchlin und unterstützte ihre Apologien. Commentaria Epistolarum | Conficiendarum Henrici Bebbelij [...]. Straßburg: Joh. Grüninger, 1506, Bl. c ijr: In laudes Bebelij Epigramma Jacobi Heinrichman | philosophiae magistri (7 Dist.), Bl. iv: Epigramma iacobi heinrichmanni sindelfingensis (4 Dist., zu Bebels ‘Apologia’). M. Köchlin, De imperij a Graecis ad Germanos trala⫽|tione [...]. Straßburg: Joh. Grüninger, [1506], Bl. B vr (Tetrastichon), Bl. [D5]v⫺[D7]r, Brief an seinen ehemaligen juristischen Lehrer Beatus Widmann (Tübingen, 31. Jan. 1506) mit der Bitte um Verteidigung des wegen angeblicher häretischer Angriffe auf den Klerus verleumdeten Köchlin. Anschließend 5 Distichen gegen den Verleumder Köchlins.
4. ‘Consilia sive Responsa iuris’. Von H. angelegte Sammlung von Rechtsgutachten, sowohl eigener als auch von anderen verfaßter, posthum hg. von H.s Amtsnachfolger Christoph Forstenheuser, mit einer Widmung an B. Otto Truchseß von Waldburg, die eine Würdigung des Juristen H. und seiner maßgebenden Verdienste um die Rechtspflege in Schwaben enthält. Die in drei Bände und eine Appendix geteilte Sammlung umfaßt 117 meist lat., aber auch (teilweise) dt. Consilia zu vornehmlich zivilrechtlichen Fällen aller Art (Ehe-, Erb-, Testaments-, Vormundschaftssachen, Pfründenangelegenheiten, Besitzstreitigkeiten zwischen Klöstern, schuldrechtliche Fälle, Einforderung des Zehnten u. a.), viele kleinere Gutachten, aber auch große mehrteilige (bis zu 178 Folioseiten), Stücke von umfassender und profunder Rechtsgelehrsamkeit. Das Besondere und Wesentliche der gedruckten Sammlung ist die systematische Erschließung des großen Materials durch Summaria und Indices; die Summaria heben zu jedem Consilium die in ihm behandelten Gegenstände und Gesichtspunkte,
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die formulierten Rechtsnormen und Argumente der Reihe nach und in fortlaufender Bezifferung heraus (das Summarium des umfangreichen Consilium I 1 umfaßt allein 692 Punkte), die Indices kompilieren die Summaria eines jeden Bandes und ordnen sie zu einem alphabetischen Sachregister. Auf diese Weise wurde die Consiliensammlung zu einem Nachschlagewerk der Rechtspraxis. Ob die Anlage der Summaria und Indices, zu der nur ein Fachmann befähigt war, auf H. selbst oder, weniger wahrscheinlich, auf den Hg. zurückgeht, wird nicht deutlich. Druck. Consiliorum | sive | responsorum | iuris, a` reverendo | domino et utriusque iuris | doctore clarissimo, Iacobo Heinrich-|manno [...] par-| tim editorum, partim collectorum, et post | obitum ipsius nunc primum in lu-|cem emissorum [...]. Dillingen: Sebald Mayer, 1566. VD 16, H 1949. 3 Bde. samt Appendix in einem (536 Bll. in 2°). Literatur. F. A. Veith, Bibliotheca Augustana [I], Augsburg 1785, S. 86⫺97; W. Wackernagel, Joh. Fischart v. Straßburg u. Basels Antheil an ihm, 1870, S. 61⫺64, 67, 131⫺138; J. Franck, in: ADB, Bd. 11, 1880, S. 782 f.; A. Schrˆder, Die Verkündigung d. Bulle Exsurge durch B. Christoph v. Augsburg, Jb. d. Hist. Ver. Dillingen 9 (1896) 144⫺172 (mit Abdruck amtlicher Schreiben H.s); ders., Die Monumente d. Augsburger Domkreuzganges, ebd. 10 (1897) 33⫺91, hier S. 57 f.; A. H‰mmerle, Die Canoniker d. Hohen Domstiftes zu Augsburg bis z. Säcularisation (masch., Ex. BSB München), 1935, S. 90, Nr. 433; ders., Die Canoniker d. Chorherrenstifte St. Moritz, St. Peter u. St. Gertrud in Augsburg bis z. Säcularisation, (masch., Ex. BSB München), 1938, S. 57, Nr. 238; F. Zoepfl, Das Bistum Augsburg u. seine Bischöfe im Reformationszeitalter, 1969, S. 20⫺24, 32 f., 54, 68, 168, 416, 434 f. u. ö. (Reg.); S. Frey, Das Gericht d. Schwäbischen Bundes u. seine Richter 1488⫺1534, in: J. Engel (Hg.), Mittel u. Wege früher Verfassungspolitik, 1979, S. 224⫺281, hier S. 248 f., 252, 268 (fehlerhaft); M. Schmidm¸ller, Die Augsburger Domkapellmeister seit d. Tridentinum bis z. Säkularisation, Jb. d. Ver. f. Augsburger Bistumsgesch. 23 (1989) 69⫺107, hier S. 69; S. Pfister, Parodien astrologisch-prophetischen Schrifttums 1470⫺ 1590 (Saecula spiritalia 22), 1990, S. 53⫺55, 219⫺ 212, 227⫺231, 259⫺252, 573 f. u. ö.; K. Jensen, Die lat. Grammatik Melanchthons. Hintergrund u. Nachleben, in: J. Leonhardt (Hg.), Melanchthon u. d. Lehrbuch d. 16. Jh.s, 1997, S. 59⫺102, hier S. 79, 83 f., 93; H. Carl, Der Schwäbische Bund 1488⫺1534 (Schr. z. südwestdt. Landeskunde 24),
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Hermansgrün, Johannes
2000, S. 382, 390, 392, 396, 399 f., 402. S. Lorenz (Hg.), Tübinger Professorenkatalog 1,1, 2006, S. 82, Nr. 378
F. J. Worstbrock
Henricus Aquipolensis J Fischer, Heinrich Hermann von Neuenahr J Neuenahr, Hermann von Hermansgrün, Johannes (Joannes ex Lupis de Hermansgrün; Iohannes de Lupis et Hermansgrun; Ioannes Hermansgrun ex Lupis; Hans von Hermansgrün) I . L eb en . Der aus dem Vogtland stammende Ritter H. immatrikulierte sich im WS 1471/ 72 in Leipzig, erwarb im WS 1473/74 dort das Baccalaureat und war im WS 1474/75 in Erfurt immatrikuliert. Nach Johannes J Reuchlin (Reuchlin-Br., Nr. 69) war H. vor einer Reise in das Hl. Land Schüler des Pomponius Laetus († 1496). Die Jerusalemfahrt fällt vielleicht in das Jahr 1493, in dem ein Lippold (oder Leopold) von H. unter den Begleitern Kf. Friedrichs d. Weisen von Sachsen genannt ist. Eine zweite Reise in das Hl. Land plante H. (1504?) mit Graf Hoyer von Mansfeld. Am 10. März 1495 erstmals im Dienst Eb. Ernsts von Magdeburg nachzuweisen, wurde H. im selben Jahr als Gesandter zum Reichstag von Worms geschickt. Die Bezeichnung H.s als Magdeburger Domherr (zuletzt Rep. font., Bd. 6, S. 332) ist jedoch falsch. 1497 reiste er als Gesandter Kg. Maximilians I. gemeinsam mit Johannes Fuchsmagen zu Kg. Wladislaw II. nach Prag. H. stand mit Reuchlin, den er wohl nie persönlich traf, in Briefverkehr. Die sechs erhaltenen Schreiben (Reuchlin-Br., Nr. 69, 72, 74⫺76, 86) aus dem Hochsommer 1495 und dem Frühjahr 1497 belegen u. a. Kontakte H.s zu Johann von Dalberg und seinem Kreis. An H. richtete Reuchlin eine Versepistel (Nr. 75), in der er die Abfassung eines Epos über die Herzogserhebung Eberhards im Bart ablehnte; später (Nr. 76)
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meldete H. ihm, er habe von Eberhard Reuchlins Übersetzungen der Philippiken des Demosthenes erhalten. Auch pflegte H. seine Bekanntschaft mit Bohuslav Lobkowicz von J Hassenstein sowie Sebastian J Brant, den er 1498 besuchte, brieflich weiter (1501/1504). H. starb spätestens 1520. I I. We rk . H. verfaßte eine in zwei Versionen erhaltene Schrift, in der er Pläne für eine Reichsreform nach klassischem Vorbild in die Gestalt einer Traumvision kleidete. Eine aus dem Archiv der Reichsstadt Regensburg stammende Abschrift datiert das ‘Insomnium’ auf den 6. März 1495; eine zweite Fassung ist mit einem Widmungsbrief an Kf. Friedrich d. Weisen vom 23. März 1495 versehen, in dem darauf hingewiesen wird, daß der Adressat seine eigenen politischen Ansichten vernehmen werde. Der Autor sieht sich im Schlaf in eine Reichsversammlung versetzt, die in der einen Fassung im Markusdom zu Venedig, in der anderen im Dom zu Magdeburg stattfindet. Hier hält Friedrich II. (!) Barbarossa, der zusammen mit Karl d. Gr. und Otto I. erscheint, eine scharfe Mahnrede an die versammelten Fürsten. Neben harter Kritik am derzeitigen Kaiser, dem die weitgehende Vernachlässigung der Interessen des Reichs vorgeworfen wird, und am Papst, dem mit der Aufkündigung des Gehorsams durch die Deutschen gedroht wird, trägt der Staufer einen moralischen Appell an die Fürsten vor: allein von ihrem Einsatz für das Gemeinwohl sei eine Erneuerung des Reichs zu erwarten. Als äußere Feinde des Reichs, das im Inneren durch die Untätigkeit des Reichsoberhaupts, die Vergnügungssucht des Adels und den Egoismus der Fürsten bedroht ist, werden Franzosen und Türken identifiziert. Die von den Fürsten getragene Reform soll es ermöglichen, das Reich schlagkräftig gegen diese Feinde zu verteidigen. Verfassungsgeschichtlich bemerkenswert ist der Vorschlag, dem Kaiser einen Reichsverweser oder ein Reichsregiment an die Seite zu stellen. H.s Werk reiht sich in eine heterogene Gruppe von Schriften ein, de-
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Hessus, Helius Eobanus
ren Gemeinsamkeit darin liegt, daß sie zu den Reichsreformbestrebungen des 15. Jh.s beitragen wollten. Als dem ‘Traum’ nächstverwandte Reformschriften gelten die etwa 55 Jahre ältere D ‘Reformatio Sigismundi’ und das etwa gleichzeitig entstandene ‘Buch der hundert Kapitel’ des D Oberrheinischen Revolutionärs, die durch fantastische Gedankenflüge auffallen. Beide Schriften sind jedoch anonym überliefert; auch unterscheidet sich der ‘Traum’ durch die humanistische Bildung des Autors, die in Stil und Klassikerzitaten (Cicero, Sallust u. a.) klar zutage tritt. Jakob J Wimpheling erwähnt 1510 H.s ‘Traum’ in einem Gutachten für Maximilian I. (Werminghoff, S. 126 Anm.1). Die Hypothese, H. habe mit dem ‘Traum’ verkappt Interessen Maximilians vertreten, wird jedoch inzwischen abgelehnt; sein Werk drückt vielmehr Meinungen der Fürstenopposition aus. H.s ‘Insomnium’ gehört zu den literarischen Mustern des ‘Dialogus de sacri Romani imperii rebus’ seines Landsmanns Johann von J Kitzscher. Dieser teilt auch H.s Kritik an Maximilian und appelliert gleich ihm an die Verantwortung der Fürsten für das Wohl des Reiches. Überlieferung. München, Hauptstaatsarchiv, Gemeiners Nachlaß Karton 21 (Faszikel v. 21 ½ S. in humanistischer Kursive, 1495?, aus d. Nachlaß d. Regensburger Stadtarchivars Carl Theodor Gemeiner, † 1824); Clm 924, 144v⫺160r (1495; aus Mitteldeutschland?). Ausgaben. H. Ulmann, Der Traum d. Hans v. H. Eine politische Denkschrift aus d. J. 1495, Forsch. z. dt. Gesch. 20 (1880) S. 67⫺92 (Text S. 78⫺92); J. I. von Dˆllinger, Beitr. zur polit., kirchl. u. Culturgesch. d. sechs letzten Jhh., Bd. 3, 1882, S. 91⫺104 (beide aus Clm 924); Quellen z. Reichsreform im SpätMA, ausgew. u. übers. v. L. Weinrich (Frhr. v. Stein-Gedächtnisausg. 39), 2001, S. 380⫺417 (aus Clm 924 mit d. wichtigsten Lesarten aus Gemeiners Nachlaß). Literatur. Schmidt, Hist. litt., Bd. 1, S. 208, 212 u. 218; A. Werminghoff, Nationalkirchl. Bestrebungen im dt. MA (Kirchenrechtl. Abh. 61), 1910, S. 117⫺120 u. ö. (Reg.); H. Wiesflecker, Der Traum d. Hans v. H., eine Reformschrift aus d. Lager Kg. Maximilians I., in: Fs. K. Eder, 1959, S. 13⫺32; H. Koller, in: NDB 8, 1966, S. 665 f.; F. H. Schubert, Die dt. Reichstage in d. Staats-
lehre d. frühen Neuzeit, 1966, S. 128⫺133; Dt. Reichstagsakten, Mittlere Reihe, Bd. 5, 1981, S. 27⫺29, 65, 140 f., Nr. 42, S. 787 Anm. 1 u. S. 1162; Hassenstein-Br., Nr. 69 u. 86; E. Kraft, Reformschrift u. Reichsreform, Diss. masch. Darmstadt 1982, S. 260⫺277; H. Angermeier, Die Reichsreform 1410⫺1555, 1984, S. 85⫺87 u. ö.; C. M‰rtl, Zum “Traum” d. Hans v. H., Zs. f. hist. Forsch. 14 (1987) 257⫺264; Rep. font. ⫽ Repertorium fontium historiae medii aevi, Bd. 6, Rom 1990, S. 332; C. M‰rtl, Der Reformgedanke in d. Reformschr. d. 15. Jh.s, in: I. Hlava´ cˇ ek / A. Patschovsky (Hgg.), Reform v. Kirche u. Reich z. Zt. d. Konzilien v. Konstanz (1414⫺1418) u. Basel (1431⫺1449), 1996, S. 91⫺108, hier S. 103; K. Graf, Aus krichsscher sprach in das swebischs teutschs gebracht. Bemerkungen zu Reuchlins Patriotismus, in: St. Rhein (Hg.), Reuchlin u. die polit. Kräfte seiner Zeit, 1998, S. 205⫺224; ReuchlinBr., Nr. 69, 72, 74⫺76, u. 86; W. Paravicini (Hg.), Europäische Reiseberichte d. späten MAs, Bd. 1: Dt. Reiseberichte, bearb. v. Ch. Halm, 22001, Nr. 97 u. 100; M. Puhle / Cl.-P. Hasse (Hgg.), Hl. Röm. Reich dt. Nat. 962 bis 1806. Essays, 2006, im Reg. s. v. Hermansgrün; C. M‰rtl, H. Luppold v. Hermansgrün, Somnium, in: Hl. Röm. Reich dt. Nat. 962 bis 1806. Katalog, 2006, Nr. VII. 1, 588 f. (Abb. v. Clm 924, fol. 146v⫺147r).
Claudia M‰rtl
Hessus (Koch; Coci), Helius Eobanus Inhalt. I. Leben. ⫺ II. Werk. A. Eigene Schriften B. Lat. Übersetzungen und Paraphrasen. C. Briefwechsel. D. Ausgaben. E. Kleine Beiträge. ⫺ III. Wirkung. ⫺ Literatur.
I . L eb en . Wichtige Quellen der Biographie sind H.’ Briefe (II.C.), seine Epistel an die Posteritas in den ‘Heroides Christianae’ (II.A.8.) und die ‘Narratio’ seines Freundes Joachim Camerarius (hg. v. Burkard/K¸hlmann, 2003, u. Vredeveld, Ausg., 2004, S. [1]⫺91). Mit der Herkunftsbezeichnung Hessus ersetzt H. ab 1506 das Patronymikon Coci. Der Beiname Helius ist erstmals 1514 in den ‘Sylvae duae’ (II.A.7.) anzutreffen; H. nennt sich fortan nach dem Sonnengott, weil er an einem Sonntag geboren wurde und weil Helios/Apoll der Patron der Dichter ist (vgl. ‘Cur vocetur Helius’ ⫽ Beigabe zu ‘De vera nobilitate’ [II.A.10.], in geänderter Form auch in der ‘Farrago prior’ [II.A.41.], Bl. 202v⫺ 203r).
1. H. wurde am 6. Jan. 1488 in dem Dorf Halgehausen b. Frankenberg in Hes-
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Hessus, Helius Eobanus
sen als ältester Sohn von Hans Koch und seiner Frau Katharina geboren. Die Familie lebte in ärmlichen Verhältnissen. Der Vater, aus dem benachbarten Wittgenstein stammend, stand als Landarbeiter oder Koch im Dienst der Zisterzienserabtei Haina; die Mutter war aus Gemünden a. d. Wohra gebürtig. Den Anfangsunterricht erhielt H. von Abt Dietmar von Haina. Danach besuchte er die Lateinschule seines Verwandten Johannes Mebes in Gemünden, von 1502⫺1504 die des Jakob Horlaeus in Frankenberg. Dieser erkannte schon bald die Begabung des Knaben und führte ihn in die lat. Verslehre ein. Im Herbst 1504 immatrikulierte sich H. unter dem Namen Eobanus Coci Francobergius an der Univ. Erfurt. 1506 erhielt er den Baccalaureus artium, 1509 wurde er zum Magister promoviert (vgl. Schwinges/Wriedt, Nr. 271.4). Zu H.’ akademischen Lehrern und Mentoren zählten Ludwig Christiani, Ludwig Platz, Laurentius Usingen und Maternus J Pistoris. Die Anfangsgründe des Griechischen vermittelte ihm der Prior des Erfurter Augustinerklosters und spätere Reformator Johannes Lang. Den prägendsten Einfluß übte jedoch J Mutianus Rufus auf ihn aus, der als Kanoniker in Gotha einen Kreis junger Talente um sich scharte, zu denen neben H. auch Georg J Spalatin, Johannes J Crotus Rubeanus, Ulrich von J Hutten, Justus Jonas, Peter J Eberbach und Herebord von der Marthen gehörten. Mutian ermutigte H. immer wieder zu Kostproben seines Könnens und versuchte, für ihn Kontakte ⫺ etwa zu der Erfurter Patrizierfamilie von der Marthen ⫺ herzustellen, die ihm eine Entfaltung seiner poetischen Gaben erlauben sollten. Ein weiterer Förderer, der Titularbischof, Domherr und Universitätslehrer Johannes Bonemilch von Laasphe, verschaffte H. 1507 das Rektorat der Stiftsschule von St. Severi zu Erfurt. Das Lehramt war dem Dichter jedoch eine ungeliebte Pflicht, die er zum Mißfallen seiner Dienstherren bisweilen nur nachlässig versah. Eine anstoßerregende Publikation des Jahres 1508, ‘De amantium infoelicitate’ (II.A.4.), trug schließlich dazu bei, daß der ehemalige
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Wohltäter Bonemilch seinen Schützling zum Rücktritt drängte. Im Herbst 1509 trat H. als Sekretär in den Dienst des Bischofs von Pomesanien Hiob von Dobeneck. Der Amtssitz war Riesenburg, aber H. begleitete den Bischof auch häufig auf Dienst- oder Vergnügungsreisen in Preußen und auf Gesandtschaften ins Ausland. So wohnte er im Febr. 1512 der Hochzeit Kg. Sigismunds I. von Polen mit der ungarischen Prinzessin Barbara Za´polya bei. Zu diesem Anlaß verfaßte er ein ‘Encomium nuptiale’ (II.A.6.), in dem er zugleich eine Fehde mit dem Dichterrivalen Johannes Dantiscus austrug (vgl. Vredeveld, 2002). Nach Einschätzung seines Freundes und Biographen Camerarius entwickelte H. während seiner Zeit als bischöflicher Hofbeamter einen Hang zur Trunksucht (vgl. ‘Narratio’, Kap. 9), der ihn sein Leben lang nicht mehr verließ und sowohl seine Gesundheit als auch seine äußeren Lebensumstände beeinträchtigen sollte. Im Frühjahr 1513 sandte Hiob von Dobeneck ihn zum Studium der Rechte an die neugegründete Univ. Frankfurt (Oder), damit er sich für höhere Ämter qualifiziere. Der Kontrolle des Bischofs entzogen, gewann in H. jedoch schnell wieder der Dichter die Oberhand: Er verkaufte seine juristischen Textbücher und ließ sich in Leipzig nieder, wo er nähere Bekanntschaft mit Joachim Camerarius schloß, die sich zu einer lebenslangen Freundschaft verfestigte. Spätestens durch die Publikation der ‘Heroides Christianae’ (II.A.8.) erlangte H. europaweiten Ruhm, so daß er bei seiner Rückkehr nach Erfurt im Sommer 1514 als unbestrittenes Haupt des dortigen Humanistenkreises anerkannt wurde und selbst die Führungsrolle übernahm, die ehedem sein Mentor Mutian innegehabt hatte. Noch im selben Jahr heiratete H. die Bürgerstochter Katharina Spater. Aus der Ehe gingen fünf Söhne (Hieronymus, Julius, Heliodorus, Callimachus und Anastasius; letzterer starb noch als Kind) und eine Tochter (Norica) hervor. Die Familie lebte in der sog. ‘Engelsburg’, die aus dem Besitz der Spaters stammte, wegen finanzieller Engpässe aber später von H.’ Erfur-
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ter Mäzen, dem wohlhabenden Arzt Georg Sturz, übernommen wurde. In diese von H. so bezeichnete regia lud der Dichterkönig seine sodales zu Zusammenkünften und Symposien ein. Erst im Juli 1518 erhielt H. die lange angestrebte Professur für Poetik und Rhetorik an der Univ. Erfurt. Im Herbst desselben Jahres trat er zusammen mit dem jungen Adligen Johann von Werther eine Reise zu J Erasmus von Rotterdam an, der sich zu diesem Zeitpunkt in Löwen aufhielt. Reise und Begegnung hat H. in seinem ‘Hodoeporicon’ (II.A.15.) poetisch verarbeitet. Als Anfang der 1520er Jahre infolge der Reformation die Verhältnisse an der Univ. Erfurt immer schwieriger wurden und die Studentenzahlen abnahmen, geriet H. finanziell unter Druck. Um sich eine weitere Einnahmequelle zu eröffnen, studierte er ab 1523 Medizin. Den Arztberuf übte er jedoch nie aus. Dafür wurde sein Lehrgedicht ‘Bonae valetudinis conservandae praecepta’ (II.A.24.) ein großer Erfolg. 1526 vermittelte Melanchthon seinem Dichterfreund eine Stelle als Lehrer der Poetik an dem von ihm neugegründeten Egidiengymnasium in Nürnberg. Hier durchlebte H. seine produktivste Schaffensperiode. Neben zahlreichen anderen Schriften entstanden Werke zum Lobe der Stadt Nürnberg (II.A.26., 28. u. 35.), Lehrbücher für den Unterricht (II.A.27.; D.4.⫺6.), überarbeitete Neuauflagen älterer Werke (II.A.5. ‘Idyllia’; II.A.8.) und Sammlungen eigener Gedichte (II.A.34. u. 38.). Mit Hilfe seines Freundes Camerarius, der an derselben Schule lehrte, vertiefte H. seine Griechischkenntnisse und legte so den Grundstein für seine großen Übersetzungsarbeiten zu Theokrit (II.B.1.) und Homer (II.B.3. u. 8.). In sieben Gedichten ‘De tumultibus’ (II.A.32.) beklagte er die Wirren der Zeit. 1530 wohnte H. in Augsburg dem Reichstag bei. Für diesen Anlaß hatte er ein Gedicht an Ks. Karl V. vorbereitet (II.A.33.), das persönlich vorzutragen er jedoch keine Gelegenheit fand. In Nürnberg lernte H. Albrecht Dürer kennen, dessen Kunst er bewunderte (vgl. II.A.31; dazu Huber-Rebenich, 2006). Im Laufe
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der Zeit wurde H.’ wirtschaftliche Lage immer prekärer. Das Encomion ‘Noriberga illustrata’ (II.A.35.) honorierte der Rat der Stadt zwar mit einem Schuldenerlaß und schenkte ihm dazu noch 40 fl., aber weder die Entwicklung der Schule noch die Kontakte zu Nürnberger Patriziern und Gelehrten gestalteten sich zu H.’ Zufriedenheit. Nach längeren Verhandlungen folgte er daher im Mai 1533 einem Ruf auf eine Professur in Erfurt. Dort arbeitete H. in den kommenden Jahren v. a. an Versübersetzungen griech. Vorlagen (II.B.4. u. 7.⫺8.), übertrug auch eine dt. Schrift ins Lateinische (II.B.6.) und vollendete seine Paraphrase des Psalters in elegischen Distichen (II.B.5.). Die guten alten Zeiten seiner ‘Regentschaft’ als rex poetarum waren jedoch unwiederbringlich vorbei. So reifte in H. der Wunsch, in seine ursprüngliche Heimat, nach Hessen, zurückzukehren, wo Landgraf Philipp 1527 die Univ. Marburg gegründet hatte. Nachdem Philipp durch den Sieg in der Schlacht bei Lauffen a. Neckar 1534 seinen protestantischen Verwandten Hzg. Ulrich wieder in die Herrschaft über Württemberg eingesetzt hatte, beschrieb H. den Triumph in seinem panegyrischen Kurzepos ‘De victoria Wirtembergensi’ (II.A.37.). Das Werk fand in Hessen großen Anklang, und der Dichter durfte dem Landgrafen persönlich ein Exemplar überreichen. 1536 wurde er als Professor für Geschichte nach Marburg berufen. 1538 wählte man ihn zum Rektor der Universität. In Marburg veröffentlichte H. sein ‘Psalterium universum’ (II.B.5.b), das in protestantischen Kreisen hoch gelobt wurde. Hier sammelte und überarbeitete er auch seine wichtigsten Dichtungen, um sie unter dem Titel ‘Operum farragines duae’ (II.A. 41.) herauszugeben. Sein letztes Werk war die Versübersetzung der gesamten ‘Ilias’ (II.B.8.). H. starb am 4. Okt. 1540 und wurde auf dem Friedhof der Elisabethkirche beigesetzt. Die Grabstätte ist nicht erhalten. 2. H. war zeitlebens mehr Dichter als Denker. Als solcher hatte er Anteil an zeitgenössischen Entwicklungen und Kontro-
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versen genommen, ohne jedoch den Lauf der Dinge maßgeblich zu beeinflussen. Dem Zeitgeist entsprechend prägte sich auch in H. ein deutsches Nationalgefühl aus, das etwa in ‘De vera nobilitate et priscis Germanorum moribus’ (II.A.10.) und in der Briefelegie ‘Maximilianus Augustus Italiae’ (II.E.10. u. 17.) zum Ausdruck kommt. Im Reuchlin-Streit ergriff H. für den bewunderten Vir trilinguis Partei. Den Hauptautoren der J ‘Epistolae obscurorum virorum’, Crotus und Hutten, war er in persönlicher Freundschaft verbunden. Wie viele seiner Gesinnungs- und Altersgenossen war H. ein glühender Anhänger des Erasmus von Rotterdam, dem er in zahlreichen Gelegenheitsgedichten und in seinem ‘Hodoeporicon’ (II.A.15.) huldigte. Im Streit mit Edward Lee über die Ausgabe des griech. NT verteidigte H. Erasmus mit einigen bissigen Epigrammen (II.A.17.). Auch in Lehrveranstaltungen nahm H. auf das große Vorbild Bezug. So las der Rhetorikprofessor 1519 über das ‘Enchiridion militis Christiani’ (II.E.18.). H.’ Begeisterung kühlte sich später erheblich ab, allerdings nicht primär ⫺ wie bei vielen Humanisten seiner Generation ⫺, weil Erasmus sich nicht auf die Seite Luthers schlug, sondern aus verletzter Eitelkeit: Erasmus hatte es unterlassen, im ‘Ciceronianus’ H. in die Liste der vorbildlichen zeitgenössischen Dichter aufzunehmen (vgl. Erasmus, Op. epist., Nr. 2446), was dieser in seinen Briefen mit einigen hämischen Bemerkungen über den alten Erasmus quittierte (z. B. ‘Epistolae familiares’ [s. u. II.C.1.], 1543, S. 137, an Georg Sturz, 28. Jan. 1532), ohne jedoch mit Erasmus ganz zu brechen. Die Reformationsbewegung zog auch H. in ihren Bann. Besonderen Eindruck hinterließ bei ihm die persönliche Begegnung mit Luther, als dieser im April 1521 auf dem Weg zum Reichstag in Worms in Erfurt Station machte. Unmittelbar danach verfaßte H. seine vier Preiselegien auf Luther, denen er weitere Veröffentlichungen folgen ließ, in denen er Luther-Anhänger verherrlichte und die Papstkirche und ihre Vertreter angriff (II.A.18. u. 20.). Engeren Kontakt als mit Luther pflegte H. mit Phil-
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ipp Melanchthon und anderen Wittenberger Theologen. Von Melanchthon empfing er entscheidende Impulse für seine Bibeldichtung, vor allem für das ‘Psalterium universum’ (II.B.5.). Seine Verse, die klassische Form mit christlichen Glaubensinhalten verbanden, verkörperten geradezu das neue reformatorische Bildungsideal (vgl. Rhein; Rener, 1999; Huber-Rebenich, 2001b). Obwohl H. Protestant wurde, pflegte er dennoch weiterhin freundschaftliche Kontakte mit katholischen Kollegen aus der theol. Fakultät; er war auch der einzige aus dem Erfurter Kreis, der Crotus nach seiner Rückkehr zur römischen Kirche nicht die Freundschaft aufkündigte. Als es in den Turbulenzen der Reformation in Erfurt zu Ausschreitungen gegen städtische und kirchliche Autoritäten kam und radikale Prädikanten die Abkehr von der humanistischen Bildung und die Hinwendung zu einem einfachen Leben nach dem Evangelium forderten, war H. unter denen, die die klassischen Studien als unabdingbare Voraussetzung auch für die neue Theologie verteidigten. Seinen Standpunkt legte er etwa in den ‘Dialogi tres’ (II.A.23.) und mit der Briefsammlung ‘De non contemnendis studiis’ (II.A.21.) dar, in der er sich mit einem eigenen Gedicht auch hilfesuchend an den Erfurter Stadtrat wandte. Den Niedergang der humanistischen Disziplinen an seiner Alma mater konnte H. indes nicht aufhalten. I I. We rk . Das umfangreiche Œuvre des H. entzieht sich einer übersichtlichen Gliederung nach Gesichtspunkten wie Schaffensperioden oder literarischen Gattungen. Dieser Umstand liegt vor allem darin begründet, daß der weitaus größte Teil von H.’ Poesie Gelegenheitsdichtung und damit thematisch aus den Zeitumständen und persönlichen Lebenssituationen heraus motiviert ist. So dominieren im Frühwerk Episoden aus dem Erfurter Studentenleben (A.1.⫺ 3.). Die Begeisterung der jungen Humanisten für Erasmus von Rotterdam spiegelt sich in dem ‘Hodoeporicon’ (A.15.) und der Invektiven-Sammlung gegen Edward Lee (A.17.), ebenso die Verehrung Luthers
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in den Elegien (A.18.) und in der ‘Ecclesiae afflictae epistola’ (A.20.) an ihn. Die Wirren, die infolge der Reformation die humanistischen Studien in Erfurt beeinträchtigten, finden ihren Ausdruck in dichterischen Stellungnahmen, wie sie in ‘De non contemnendis studiis’ (A.21.) vereinigt sind. Das zum Zwecke des Broterwerbs unternommene Studium der Medizin schlägt sich in den ‘Bonae valetudinis conservandae praecepta’ (A.24.) nieder. Der Lehrtätigkeit am Egidiengymnasium in Nürnberg entspringt die Verslehre ‘Scribendorum versuum maxime compendiosa ratio’ (A.27.), und das Städtelob ‘Noriberga illustrata’ (A.35.) verdankt seine Entstehung H.’ Finanznot und der Hoffnung, für dieses Preisgedicht vom Rat der Stadt entlohnt zu werden. Mit dem Glückwunschgedicht ‘De victoria Wirtembergensi’ (A.37.) bemüht sich H. schließlich um die Gunst seines letzten Dienstherrn, Philipps von Hessen. Mit dieser thematischen Ausrichtung liest sich H.’ Werk fast wie ein poetisches Curriculum vitae, das die großen Ereignisse der Zeit vor allem dann reflektiert, wenn sie den Lebenskreis des Autors tangieren. Ohne vergleichbar konkreten Anlaß entstanden die beiden Gedichtzyklen, die H. im Sinne der Imitatio / Aemulatio in Orientierung an antiken Gattungen bzw. Werken antiker oder humanistischer Autoren schuf: das ‘Bucolicon’ (A.5.) und die ‘Heroides christianae’ (A.8.). Obgleich in beiden Dichtungen auch Zeitgenössisches und Persönliches einfließen, steht hier doch das Interesse an der Form und die poetische Auseinandersetzung mit verschiedenen Vorbildern stärker im Vordergrund als im übrigen Œuvre. So betrachtet denn H. selbst seinen Eklogenzyklus stolz als Pionierleistung eines deutschen Humanisten, und die Briefgedichte christlicher Heldinnen brachten ihrem Verfasser bleibenden Ruhm. Neben diesen beiden Hauptwerken und der chronologisch zu verortenden Gelegenheitspoesie entstehen in allen Schaffensphasen Hochzeits- (A.6., 30.) und andere Gratulationsgedichte (A.33.) sowie Epicedien (A.31., 36., 39.), die z. T. auch als Sammlung veröffentlicht wurden (A.34.). Um die Vereinigung seines gesamten ver-
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streuten Werkes, zu dem auch kleinere Rätselgedichte, Billets mit Einladungen zum Gastmahl, Freundschaftsbekundungen, Spottepigramme u. dgl. mehr zählen, bemühte sich H. selbst in den beiden großen Sammelausgaben der ‘Sylvae’ (A.38.) und der ‘Farragines’ (A.41.). Ausgaben. (Geplante) Gesamtausgabe der Dichtungen: H. Vredeveld, H. E. H., Dichtungen. Lat. u. dt., Bd. 3: Dichtungen d. Jahre 1528⫺1537, 1990; ders., The poetic works of H. E. H. ed., translated, and annotated, Bd. 1: Student Years at Erfurt, 1504⫺1509, Tempe (Az.) 2004; Bd. 2: Journeyman Years, 1509⫺1514, Tempe (AZ) 2008. Nachdrucke von Editionen, die nicht durch Autopsie geprüft werden konnten, sind im folgenden mit * gekennzeichnet. Auf Änderungen in Haupt- und Beiträgertexten bei späteren Drucken wird nur bei überarbeiteten Auflagen verwiesen. Auch bei den in die ‘Farragines’ (A.41.) aufgenommenen Gedichten ist stets mit Textänderungen zu rechnen.
A . E ig en e Wer ke . 1. ‘De recessu studentum ex Erphordia’. In diesem Erstlingswerk (230 Hexameter) schildert H. die Flucht von Fakultät und Studentenschaft vor der Pest im Sommer 1505 aus Erfurt. Die Gruppe, zu der H. gehörte, suchte zuerst in Melsungen Zuflucht, zog aber, als die Seuche auch dort ausbrach, nach Frankenberg weiter, wo man unter Fortführung der Studien überwinterte, um im Frühjahr 1506 nach Erfurt zurückzukehren. Der Druck endet mit einem Hendecasyllabum an Laurentius Usingen mit der Bitte um freundliche Aufnahme des Werkes. Das Schlußepigramm an den Leser greift einen literarischen Kritiker an. Druck. De recessu studentum ex Erphordia | tempore pestilenciae. Eobani Hessi Francobergii | carmen heroicum extemporaliter | concinnatum. [Erfurt: Wolfg. Stürmer, 1506]. VD 16, E 1544. Ausgabe. Vredeveld, 2004, S. 93⫺115, Kommentar S. 393⫺402.
2. ‘De pugna studentum Erphordiensium’. In 54 Distichen beschreibt H. den Überfall wütender Erfurter Arbeiter auf zechende Studenten am 9. Aug. 1506 (Datierung nach Vredeveld, Ausg., 2004,
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S. 119; in der älteren Forschung irrtümlich 1505), aus dem sich eine zweitägige Straßenschlacht entwickelte, die schließlich von bewaffneten Bürgern beendet wurde. Dem Druck ist ein Carmen invectivum ‘In bonarum artium detractorem’ angehängt. Druck. De pungna [!] studentum Erphordiensium | cum quibusdam coniuratis nebulonibus | Eobani Hessi Francobergii | carmen. Erfurt: Wolfg. Stürmer, 1506. VD 16, E 1543. Ein weiterer Druck ebd. 1507 (vgl. Vredeveld, Ausg., 2004, S. 120 f.). Ausgabe. Vredeveld, 2004, S. 117⫺133, Kommentar S. 403⫺408.
3. ‘De laudibus [...] Gymnasii litteratorii apud Erphordiam’. In dem Panegyricus (590 Hex.) wird die Univ. Erfurt mit einem großen Aufgebot von klassischer Mythologie und Historie als Sitz der Pallas gepriesen, der die antiken Bildungsstätten Athen und Rom weit überrage. Allen Fakultäten außer der medizinischen, die mit keinem Wort erwähnt wird, spendet der Dichter vollmundiges Lob. Vorangestellt sind dem Text ein an den Leser gerichtetes Titelepigramm von Crotus Rubeanus und ein Widmungsbrief H.’ an seinen Gönner Joh. Bonemilch von Laasphe. Dem Haupttext angehängt sind zwei kleinere Gedichte an die Stadt Erfurt, in denen H. den Lohn für sein Preislied einfordert. Es folgen eine Elegie Ulrichs von Hutten, in der dieser H.’ Ingenium preist, sowie dessen dankbare Antwortverse. Schließlich äußert Herebord von der Marthen in 3 Distichen seine Bewunderung für H., und Johannes Christiani gibt seiner Verbundenheit mit dem Dichter Ausdruck. Druck. De laudibus et praeconiis incliti | atque tocius Germaniae | celebratissimi Gymnasii litteratorii apud | Erphordiam Eobani Hessi Franco|bergii eiusdem litterariae comma|nipulationis alumnuli | iuvenis ephebi carmen […]. Erfurt: Wolfg. Stürmer, 1507. VD 16, E 1522. Ausgabe. Vredeveld, 2004, S. 135⫺191, Kommentar S. 409⫺431.
4. ‘De amantium infoelicitate’. Prosasatire mit Verseinlagen, in Dialogform abgefaßt: H. heilt seinen Dichterfreund Fronto Fundinus (Peter Eberbach) mit Hilfe der Musen und unter Berufung
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auf zahlreiche Autoritäten (von Tacitus bis Marsilio Ficino) von einer unerwiderten Leidenschaft für eine Dirne, die den Liebhaber, nachdem sein Vermögen durchgebracht war, kurzerhand aus dem Haus geworfen hat. Die Schrift ist als eine Art Sittenspiegel konzipiert, der jungen Männern die Vorzüge des keuschen Musendienstes gegenüber einem lockeren Luderleben vor Augen führen soll. Drucke. Eobani Hessi Francobergii de | amantium infoelicitate contra Venerem de | Cupidinis impotentia et versu et so|luta oratione opusculum | Erphordiense [...]. Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1508. VD 16, E 1457. Beiwerk: Titelepigramm Ad libellum hexastichon, Widmungsbrief an Peter Eberbach, dessen dankendes Antwortschreiben, empfehlendes Epigramm an den Leser, drei wohl von Eberbach stammende (vgl. Vredeveld, Ausg., 2004, S. 435) Distichen. Am Ende des Druckes Bitte an den Leser, auch die Beigaben wohlwollend zu lesen, ein Dialog zwischen Calliope und H. über die rechte Form der Liebe, eine Erklärung des Autors zur Wahl des Prosimetrum, abschließende Anrede an das Buch. ⫺ Ein weiterer Druck ohne den Widmungsbrief an Eberbach, dessen Antwort und die Erklärung zur Wahl des Prosimetrum: Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, 1515. VD 16, E 1458. Ausgabe. Vredeveld, 2004, S. 193⫺263, Kommentar S. 433⫺451.
5. ‘Bucolicon’ / ‘Idyllia’. Mit seinem ‘Bucolicon’ schuf H. als erster deutscher Dichter einen Zyklus von Hirtengedichten ⫺ eine Pionierleistung, auf die er in dem Titelepigramm zum Erstdruck mit Stolz verweist. Vorbilder waren ihm Theokrit, Vergil und Baptista Mantuanus, deren unterschiedliche Konzepte von bukolischer Poesie allesamt bei Eoban vertreten sind: Theokrits Hirtendichtung mit Schilderungen des ländlichen Alltagslebens steht neben Vergils maskierender Figurierung ⫺ begründet erst durch die Deutung der Vergil-Kommentatoren ⫺, in der die Hirten Dichterpersönlichkeiten verkörpern, und neben Baptistas allegorisch-moralistischer Gattungsversion, die auf eine christliche Tugendlehre (für die Adolescentia) abzielt (zu den verschiedenen Sinnebenen vgl. Vredeveld, 1985a u. 1988). Die erste Ausgabe (a) umfaßt unter dem Titel ‘Bucolicon’ elf Aeglogae, die sich
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stark an der vergilischen Hirtendichtung orientieren. 1. Schilderung des Aufbruchs des jungen H. in Begleitung seines Lehrers Ludwig Christiani aus Frankenberg nach Erfurt, 2. Preislied des Philetas (Spalatin) auf die humanistischen Ideale des Mutiankreises, 3. Liebesklage mit asketischem Grundton, in die ein verhüllter Vergleich zwischen Vergil und Baptista Mantuanus eingearbeitet ist, 4. Klage über die Verhältnisse an der Univ. Erfurt; Liebeswerben eines Stieres um eine Kuh; Erzählung über Gespenster und Hexen auf dem Hörselberg, 5. Sängerwettstreit zwischen Tityrus (Justus Jonas) und Battus (Peter Eberbach) mit Preisliedern auf die unbefleckte Empfängnis bzw. die Allmacht und Werke Gottes, 6. Preislied auf die ‘Beata tranquillitas’, das Musenrefugium Mutians, 7. Sängerwettstreit zweier Hirten über die jeweiligen Vorzüge von Schafen und Ziegen, 8. Encomion auf den Dichterlorbeer und das wahre Poetentum, 9. Leichenrede für Landgraf Wilhelm II. von Hessen, gefolgt vom Lob auf dessen Gattin Anna und Geburtstagsrede für dessen Sohn Philipp, 10. satirische Abrechnung mit dem Dichterrivalen Richardus J Sbrulius, 11. Hymnus auf die Gottesmutter Maria. Beiwerk: Widmung in einer vorgedruckten Elegie an den befreundeten Rechtsgelehrten Johannes Englender, den Vorsteher der landgräflichen Kanzlei in Kassel. Nach der letzten Ekloge ein Schlußepigramm gegen die Mißgunst der Kritiker, eine bereits zuvor in Umlauf gebrachte Elegie zu Ehren der Familie Englender, drei kleine Gelegenheitsepigramme (In morte Guilielmi Hessorum Reguli, Scrupus in Venetos und In eosdem παραβολη´ ), vier Gedichte der Freunde Herebord von der Marthen, Crotus Rubeanus, Justus Jonas und Johannes Pistor, die H.’ dichterische Leistung hervorheben, eine Elegie des Crotus Rubeanus, die Johannes Englender ewigen Ruhm durch H.’ ‘Bucolicon’ verspricht, als Schlußstück die Elegie Eobani Hessi veluti Coronidis adiectio.
In der neuredigierten und vermehrten Ausgabe von 1528 (b), die den theokritischen Titel ‘Idyllia’ trägt und den moralistischen Grundton zugunsten bukolischer Inszenierung zurücktreten läßt, ist zum einen der Zyklus der elf Eklogen ⫺ auch unter Veränderung ihrer Reihenfolge ⫺ auf zwölf erweitert, zum andern kommen fünf nicht-allegorische Eklogen hinzu. Die Erweiterung des ursprünglichen Zyklus ging von einer Umarbeitung der 3. Ekloge aus. Deren vv. 88 ff. wurden gegen neue ausgetauscht; die ersetzten Verse bilden mit 53
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neuen vorangestellten Versen nun das siebte Gedicht der zweiten Ausgabe. Von Ekloge 7 der Erstausgabe wurden die vv. 97 ff. abgespalten und bilden zusammen mit 30 neuen vorgeschalteten Versen Gedicht 10 der 2. Ausgabe. Die Verherrlichung der Jungfrau Maria fiel ersatzlos weg. Als ‘Idyllia’ 13⫺17 treten hinzu: ein Gespräch zwischen der Nymphe Erysiptolis und dem Flußgott Hieras (⫽ Gera) über den Verfall der Erfurter Universität und des Gemeinwesens (vgl. Ludwig, 1998, S. 168); ein Encomion auf den Landgrafen Philipp anläßlich seines Sieges über Franz von Sickingen, das bereits 1527 in anderem Kontext erschienen war (A.28.); eine ebenfalls bereits zuvor veröffentlichte Klage über die Verachtung der klassischen Studien an Melanchthon (A.25.); ein Gedicht an Georg Sturz über die Poesie als Heilmittel gegen die Gewalt der Liebe in Anlehnung an Theokrits ‘Cyclops’; ein Lob auf die Stadt Nürnberg, das schon früher zusammen mit dem Encomion auf Philipp von Hessen im Druck erschienen war (A.28.). Die zweite Ausgabe eignete H. in einer Elegie Willibald J Pirckheimer zu. Die fünf nicht-allegorischen Idyllen sind mit einer eigenen Elegie an den Leser eingeleitet. Eine dritte verbesserte Fassung, dem hessischen Kanzler Johannes Feige gewidmet, erschien 1539 in den ‘Farragines’ (c). Hier hat H. jedem Gedicht ein Argumentum in Prosa vorangestellt und die Texte mit erklärenden Anmerkungen versehen, in denen u. a. auch die allegorischen Verkleidungen gelüftet werden. Idyll 13 der zweiten Ausgabe tritt ganz an den Schluß der Sammlung. Wie im Druck von 1528 folgt auch hier dem 12. Gedicht die Elegie an den Leser. Drucke. a) Bucolicon Eobani | Hessi. Magistri | Erphurdi|ensis […]. Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1509. VD 16, E 1478. Überarbeitete Ausgaben: b) Helii Eo⫽|bani Hessi, Bucolicorum | idyllia XII. Nuper | anno demum decimooctavo | a prima aeditione reco|gnita, ac dimi|dia plus | parte vel aucta, vel | concisa, atque in ordinem ali-|um redacta. | His accessere ex recenti aeditione | idyllia quinque […]. Hagenau: Joh. Setzer, 1528. VD 16, E 1479. c) Farr. prior (s. u. A.41.), Bl. [2]r⫺55r.
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Ausgaben. H. Witeschnik, Die Idyllendichtung d. H. E. H., Diss. Wien 1971 (nach c, mit dt. Übers.); Vredeveld, 2004, S. 265⫺381 (nach a), Kommentar S. 453⫺546.
6. ‘Encomium nuptiale’ für Kg. Sigismund von Polen. Preisgedicht auf die Feierlichkeiten der Hochzeit des polnischen Kg.s Sigismund aus der Sicht eines bewundernden Augenzeugen mit Widmungsbrief an den König (17. Febr. 1512). Das Gedicht (367 Hex.) beginnt mit einer Invocatio an Christus und einer Zurückweisung Apolls und endet mit einer Verteidigung gegen einen ungenannten Dichterrivalen in Krakau, hinter dem sich Johannes Dantiscus verbirgt (vgl. Vredeveld, 2002). Gegen einen ‘Zoilus’ polemisiert H. auch in einem kurzen Postskript. Druck. Encomium nuptiale | divo Sigismundo regi Po|loniae scriptum anno | Christiani calculi | M.D.XII. | Magistri Eobani Hessi | diligentia [...]. Krakau: Joh. Haller, 1512. Pol. Typ. IV 93. Ausgabe. Vredeveld, 2008, S. 1⫺37, Kommentar S. 439⫺450.
7. ‘Sylvae duae: Prussia et Amor’. Zwei Gedichte, die aus H.’ Aufenthalt in Riesenburg hervorgegangen sind. In der Elegie ‘Helii Eobani Hessi ad doctissimum virum Mutianum Rufum generalis Prussiae descriptio’ (98 Dist.) beschreibt er Preußen, seine Städte, die Bevölkerung und den wirtschaftlichen Reichtum. Die zweite Elegie ‘Eiusdem ad Theodorum Collucium sacerdotem illiciti amoris antidotarium’ (129 Dist.) ist inhaltlich der Schrift ‘De amantium infoelicitate’ vergleichbar, indem der Dichter dem unglücklich verliebt von einer Romreise zurückkehrenden Collucius die Liebe in ihren unheilvollen Wirkungen vorführt und als Heilmittel die Dichtkunst anrät. Beigaben: vier Distichen ‘Sebastiani Myricii Regiomontani ad patriam Prussiam’, in denen Myricius Preußen glücklich preist, von H. besungen zu werden, ein Widmungsbrief H.’ an Myricius vom 1. Jan. 1514 (Titelbl.v). In überarbeiteter Form nahm H. die beiden Elegien auch als zweites und drittes Gedicht in das erste Buch seiner ‘Sylvae’ auf (Farr. prior [s. u. A.41.], Bl. 185v⫺192r).
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Druck. Helii Eobani | Hessi Sylvae duae nuper | aeditae Prussia et | Amor […]. [Leipzig: Melch. Lotter d. Ä., 1514]. VD 16, E 1553. Ausgaben. ‘Prussiae descriptio’ mit Übersetzung u. Kommentar: K¸hlmann/Straube, S. 702⫺ 711 (basiert auf der Fassung, wie sie sich erstmals in den ‘Sylvae’ von 1536 findet und dann in die ‘Farragines’ übernommen wurde); Vredeveld, 2008, S. 39⫺99 (nach a), Kommentar S. 451-467.
8. ‘Heroides christianae’. Anknüpfend an die ‘Parthenicae’ des Baptista Mantuanus gelingt es H. mit den ‘Heroides christianae’ zum zweiten Mal, eine antike Gattung in Deutschland heimisch zu machen. Er läßt den Briefschreiberinnen der ‘Epistulae Heroidum’ Ovids 22 christliche Frauen aus Bibel, Legende und Geschichte an die Seite treten, die Briefelegien an Christus, Ehemann, Geliebten und Sohn senden. Beginn und Schluß der Sammlung sind männlichen Schreibern vorbehalten: den Anfang macht Gottvater mit einem Brief an Maria, in welchem er ihr die Geburt Christi verkündigt; H. selbst wendet sich am Ende in einem mit biographischen Einzelheiten angereicherten Schreiben an die personifizierte Nachwelt. Die ersten beiden Episteln sind ⫺ auch dies geht auf Ovid zurück ⫺ ein Briefpaar: Maria nimmt in einer Antwort ihren Auftrag an. Maria Magdalena wendet sich am Ostermorgen an den auferstandenen Christus; die hl. Katharina an ihren Bräutigam Christus; Elisabeth von Thüringen an ihren am Kreuzzug teilnehmenden Gatten Ludwig; Helena an ihren Sohn Konstantin; Sabina an Alexius; die hl. Kunigunde an ihren Gemahl Heinrich; Monica an ihren Sohn Augustinus; Barbara an Origenes; die Hetäre Thais an ihren Bekehrer Paphnutius; Alcione an Georgius; Anna an Joachim; Maria Aegyptiaca an Zosimas; Pelagia an Nonius; die Jungfrau Maria an Johannes, der sich als Verbannter auf Patmos aufhält; Ursula an Aethereus; Anastasia an Chrysogonus; Thecla an Paulus; Elisabeth, die Mutter des Täufers Johannes, an ihren Gatten Zacharias; Paula an Hieronymus; Martha an Maximinus und schließlich Dorothea an Theophilus. Dieser im Jahre 1514 im Druck erschienenen Fassung der ‘Heroides christianae’ (a) sind zahlreiche Begleittexte beigegeben. In einem Titelepigramm ‘Hessi de se eulogium’ betont H. den Vorzug seines christlichen Standpunktes vor dem der heidnischen Dichter. Diesen Gedanken vertieft ⫺ nebst Stellungnahmen zu verschiedenen anderen literarischen Fragen ⫺ der lange Widmungsbrief an
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H.’ Förderer B. Hiob von Dobeneck. Der Dedicatio folgen Lobgedichte auf H. von Carolus Schenck (an den Leser), Paul von Schwarzenberg (an das Buch), Veit Werler (an H.) und Gregorius Aubanus (an H.). Am Schluß des Werkes richtet H. tröstende Verse an Werler gegen einen Neider.
Eine überarbeitete und dem neuen reformatorischen Geist angepaßte Fassung der ‘Heroides’ ließ H. 1532 in Hagenau erscheinen (b). Er gliederte sie in drei Bücher und ordnete die Briefe bestimmten Kategorien zu. Die Anordnung der Briefe ist grob chronologisch (vom NT über die Alte Kirche zur mal. Geschichte und Legende). H. verzichtete zudem auf einige der früheren Elegien und setzte neue an ihre Stelle. So entfallen die Briefe von Alcione an Georgius, von Ursula an Aethereus, von Thecla an Paulus und von Elisabeth an Zacharias. Neu hinzugekommen sind die Schreiben von Lydia an Paulus und von Elisabeth an Johannes d. Täufer. Der leicht veränderte Brief der Barbara ist nun nicht mehr an Origenes, sondern an Eusebius gerichtet. Im Widmungsbrief zur zweiten Ausgabe an Paul von Schwarzenberg äußert sich H. ausführlich zu den Verbesserungen. H. nahm diese Fassung der ‘Heroides’ auch in seine ‘Farragines’ (c) auf. Hier bildet jedoch erstmals die ‘Ecclesiae afflictae epistula’ den Abschluß. Drucke. a) Helii Eobani Hes|si Heroidum Christianarum | epistolae. opus novitium | nuper aeditum […]. Leipzig: Melch. Lotter d. Ä., 1514. VD 16, E 1506. Überarbeitete Ausgaben: b) Helii | Eobani Hessi | Heroidum libri | tres. | Nuper ab authore recogniti, | et ab aeditionis prioris | iniuria vindicati. Hagenau: Joh. Setzer Erben, 1532. VD 16, E 1507; c) Farr. prior (s. u. A.41.), Bl. [56]r⫺145r. Zu weiteren Nachdrucken vgl. Dˆrrie, S. 372. Ausgaben. H. Vredeveld, Heroidum libri tres, ed. with introduction and commentary, Diss. Princeton/N. J. 1970; ders., Ausg., 1990, S. 269⫺ 483 (Text nach b), Druckgesch. u. Varianten S. 580⫺587; ders., 2008, S. 101⫺435 (nach a), Kommentar S. 469⫺630. − Einzelne Briefe: Rupprich, DLE, S. 205⫺209 (‘Cunegundis Henricho’); Schnur, S. 210−219 (‘Eobanus Posteritati’); K¸hlmann, Lyrik, S. 318⫺337 (‘Monica Augustino’ u. ‘Eobanus Posteritati’ nach c), Kommentar S. 1134⫺1143; Rener, 1997, S. 445⫺461 (‘Elisabeth Ludovico’ nach a).
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9. ‘Hymnus paschalis’. In dem Hymnus (46 sapph. Strr.) besingt H. Christus als Sieger über die Macht der Hölle. Zeugnis für den Jubel der Welt über die Auferstehung ist der herrliche Frühling, dessen Pracht ausführlich beschrieben wird. Ob sich der Text auf einer weiteren Sinnebene als Lied auf den Sieg Reuchlins über seine Verleumder, v. a. J Pfefferkorn, lesen läßt (vgl. Krause, 1879, Bd. 1, S. 178 f.), ist nicht eindeutig nachzuweisen. Der Osterhymnus schließt mit einem Gebet, in dem göttlicher Schutz für die Christenheit in aktuellen Konflikten und Gefahren (dominikanische Inquisition, Türkenbedrohung, Krieg Ks. Maximilians mit Franz I. von Frankreich) erfleht wird. Das Werk ist brieflich dem Reuchlin-Anhänger Ludwig Platz gewidmet und mit zahlreichen Beigaben versehen, die z. T. keinen thematischen Bezug zum Haupttext haben. Dazu gehören Epigramme an Reuchlin oder zu seinem Lobe, aber auch Spottepigramme auf Maler und Scherzepitaphien auf einen reichen Geizhals und einen der Trunksucht verfallenen Sohn, der das Vermögen seines Vaters durchgebracht hat. Druck. Helii Eobani Hessi | hymnus paschalis. Nuper | ex Erphurdiensi Gymnasio Christianae | victoriae acclamatus | […]. Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1515. VD 16, E 1508. Ausgabe. Ph. Wackernagel, Das dt. Kirchenlied v. d. ältesten Zeit bis zum Anfang d. XVII. Jh.s., Bd. 1, 1864 (ND 1964), S. 261⫺263.
10. ‘De vera nobilitate’. In 172 Distichen wird die Überlegenheit des Seelenadels über den Geburtsadel besungen. Während die Adeligen früherer Zeiten das wahre Tugendideal verkörperten, seien die der Gegenwart im allgemeinen weit entfernt davon. Rühmliche Ausnahmen seien Ks. Maximilian oder der sächsische Kf. Friedrich d. Weise. Das Werk ist Georg Spalatin gewidmet, auf dessen Wunsch H. es in Angriff genommen hat. Mit dem Titelepigramm in acht Versen übergibt er es der Stadt Erfurt. Dem Haupttext angefügt ist eine kürzere Elegie an den pommerschen Edelmann Johannes von Osten ‘Cur vocetur Helius’.
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Druck. Helii Eobani | Hessi de vera nobili⫽| tate. et priscis Germanorum moribus | Ad Georgium Spalatinum libellus | carmine elegiaco […]. [Erfurt: Matthes Maler, um 1515]. VD 16, E 1559.
11. ‘Oratio in auspicio Officiorum M. Tullii Ciceronis et Maccii Plauti’. Die am 23. Mai 1515 zur Eröffnung einer Vorlesung gehaltene Rede beginnt mit einem Lob des Erfurter Studiums, um sodann, nach einem Exkurs über die eigene bisherige Laufbahn, die Jugend vor lasziven Dichtern zu warnen und des langen und breiten Cicero ⫺ besonders als Lehrer der Moralphilosophie ⫺ sowie Plautus zu preisen. Auf eine Ermunterung zu den rechten Studien folgt abschließend eine allegorische Darstellung der sieben freien Künste. Ein Titelepigramm H.’ rühmt Erfurt als Hort der Musen und der Bildung. Druck. Oratio sive Praelectio | In Auspicio Officiorum M. Tullii Ciceronis | Et M. Accii Plauti Comoediarum | In Academia Erphurdiensi per Magistrum Eobanum | Hessum In eadem Academia Bonas litteras | publice profitentem habita M.D.XV. [Erfurt: Hans Knappe d. Ä.]. Vgl. Vredeveld, 1997, S. 97.
12. ‘De generibus ebriosorum et ebrietate vitanda’. Den eigenen Lebenserfahrungen H.’ ist wohl sein besonderes Interesse am Thema der Trunksucht zu verdanken. Es schlug sich gleich in zwei Publikationen nieder (s. auch A.13.). Die parodistische Scherzrede gibt sich als Abschluß des Erfurter Quodlibet im Spätsommer des Jahres 1515 (vgl. Kleineidam 2II, S. 202⫺205), sie ist jedoch nie gehalten worden. Die anonyme Veröffentlichung ließ Spekulationen über die Verfasserschaft aufkommen, die bei einer tatsächlich gehaltenen Quodlibetrede ohne weiteres bekannt geworden wäre. Ohne schlagende Beweise wurde der Text v. a. in der älteren Forschung H. abgesprochen; Krause (1879, Bd. 1, S. 215) favorisiert ohne Anführung stichhaltiger Argumente Peter Eberbach als Hauptautor. In M. v. Hase, Bibliographie der Erfurter Drucke von 1501⫺1550, 31968, Nr. 357, und im VD 16 wird der Druck hingegen unter H. geführt, bei Hase noch unter Vorbehalt. Vredeveld plädiert hauptsächlich auf der Basis eines lexikalischen und stili-
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stischen Vergleichs mit anderen Schriften H.’ (insbes. der ‘Oratio’, s. A.11.) für dessen Federführung, wobei sein Text mit einigen, v. a. schwankartigen Einlagen von anderen Verfassern angereichert sei (so Vredeveld auf der Grundlage des in Vorbereitung befindlichen Bd. 3 der Gesamtausgabe ‘King of Poets: 1515⫺1517’ gegen Vredeveld, 2004, S. 198; s. auch Corrigenda in ders., 2008, S. xi. Die Rede besteht aus drei Hauptteilen, die in je drei Abschnitte untergliedert sind. Im ersten Teil wird versucht, unter komischer Verdrehung der Äußerungen angeführter Autoritäten zu zeigen, daß der Zustand der Trunkenheit tierischen Charakters sei. Der zweite Teil begegnet dem Vorwurf der Italiener, die Deutschen seien Trinker, mit der Unterstellung, jene seien noch viel verkommener: Sodomisten und feige im Krieg. Der dritte Teil schließlich führt die Verwerflich- und Verderblichkeit übermäßigen Alkoholkonsums vor Augen. Der Rede gehen Geleitverse mehrerer Vertreter des Erfurter Literatenkreises voran. Den Anfang bilden zwei Epigramme H.’, es folgen weitere von Johannes Femel, Bartholomäus Gotz, Euricius Cordus, Christoph Mancinus (nach Krause, 1879, Bd. 1, S. 204, möglicherweise identisch mit Christoph Hacke) und Bertram von dem Damme. Drucke. De generibus ebriosorum et ebrietate | vitanda. […] In conclu⫽|sione Quodlibeti Erphurdiensis […]. [Erfurt: Matthes Maler, 1515]. VD 16, E 1496. Die weiteren Drucke d. 16. Jh.s: [Mainz: Joh. Schöffer], 1516. VD 16, E 1497; Nürnberg: Hier. Höltzel, 1516. VD 16, E 1498*; Worms [um 1550]. VD 16, E 1499, E 1500, ZV 5065*; s. l. 1557. VD 16, E 1501; s. l. 1565. VD 16, E 1502*; Frankfurt a. M. 1581. VD 16, E 1729*; ebd. 1599. VD 16, E 1504*; ebd. 1599. VD 16, E 1731*. Ausgabe. F. Zarncke, Die dt. Univ.en im MA, 1. Beitrag, 1857, S. 116⫺154, Kommentar S. 254⫺ 257.
13. ‘De vitanda ebrietate elegia’. In 50 Distichen greift H. erneut das Thema der Trunksucht auf, hier in wesentlich ernsthafterer Form. Sie erscheint als Mittel des Teufels, seine Macht auf Erden ⫺ und hier besonders in Deutsch-
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land ⫺ zu festigen. Verbunden mit der Aufforderung zum Maßhalten werden die verderblichen Wirkungen unmäßigen Alkoholgenusses auf Körper und Geist geschildert. Das Titelepigramm und fünf weitere der Elegie vorangestellte Epigramme richten sich ebenfalls gegen Trunksucht sowie ausschweifendes Liebesleben. Drucke. Helii Eobani Hessi de vitanda | Ebrietate Elegia. Additis super eadem re | aliquot Epigrammatis […]. Erfurt: Matthes Maler, 1516. VD 16, E 1563. In die ‘Sylvae’ nahm H. später sowohl den Haupttext auf (Farr. prior [A.41.], Bl. 207v⫺209v u. d. T. ‘In ebrietatem’) als auch die Epigramme ‘Auriculas asini [...]’ (Bl. 221v u. d. T. ‘De ebrietate’) und ‘Amorem esse tolerabiliorem ebrietate’ (Bl. 209v als ‘Comparatio Veneris et Bacchi’). Haupttext und ‘De ebrietate’ auch in der Ausgabe von Huttens ‘De arte versificandi’ (s. u. D.5.).
14. ‘Victoria Christi ab inferis’. Als Vorlage für das Heinrich Eberbach gewidmete Gedicht (487 Hex.) über die Höllenfahrt Christi diente das Epyllion ‘De triumpho Christi’ des Italieners Macarius Mutius. Das Werk entstand vermutlich 1512 in Krakau. H. nahm es später nicht in seine ‘Farragines’ auf. Allerdings plante er 1540 kurz vor seinem Tod einen Separatdruck, der 1542 postum ⫺ mit einem Widmungsbrief des Dichters an Johann Meckbach, den Leibarzt Philipps von Hessen ⫺ bei Christian Egenolff in Marburg erfolgte, allerdings gemeinsam mit Texten des Asclepius Barbatus. Das Gedicht gibt sich darin als Jugendwerk, das erst 1540 in Marburg auf hsl. Grundlage wieder ans Licht gekommen sei, obwohl auch der Druck von 1517 erwähnt wird. Die Ausgabe enthält noch ein weiteres Gedicht H.’ an den Leser, in dem er die Muse Urania auftreten läßt. Der bislang als zweite Quelle angenommene ‘Triumphus Christi heroicus’ eines aus dem MA stammenden Ps.-Juvencus hat sich anhand von Zitaten aus D Hrotsvit von Gandersheim, Petrarca und Baptista Mantuanus nach neuesten Erkenntnissen als spätes Werk des H.-Freundes Johannes Spangenberg erwiesen, der seinerseits aus H.’ Dichtung schöpft (so Vredeveld auf der Grundlage des in Vorberei-
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tung befindlichen Bd. 3 der Gesamtausgabe ‘King of Poets: 1515⫺1517’ gegen Vredeveld, 1986a u. 2002, S. 171⫺174; s. auch Corrigenda in Bd. 2, 2008, S. xi. Drucke. Victoria Christi ab | inferis | carmine heroico Helio | Eobano Hesso authore. Erfurt: Matthes Maler, 1517. VD 16, E 1560. Postum erschien: Hymnus | paschalis Chri⫽|sti resurgentis, H. Eobano Hesso au|tore, nuper inventus, et aeditus | in schola Marpurgensi. […]. Marburg: Chr. Egenolff d. Ä., 1542. VD 16, ZV 5068.
15. ‘Ad D. Erasmum Roterodamum hodoeporicon’. Die Reise zu Erasmus in Löwen, die H. im Sept. 1518 zusammen mit Johannes v. Werther gleichsam im Namen seines Erfurter Zirkels antrat, sowie die Begegnung mit dem verehrten Humanistenfürsten, schildert er in seinem ‘Hodoeporicon’ (528 Hex.). Im Mittelpunkt der Beschreibung stehen Kirchen sowie andere historische Monumente. In der Darstellung zeigt sich der Dichter noch stark der Heiligenverehrung und dem Reliquienkult verhaftet. Gewidmet ist das Werk Justus Jonas. Dem Reisegedicht angehängt sind eine Elegie, mit der H. Erasmus seine Ankunft in Löwen gemeldet hatte, fünf Briefe des Erasmus an die Erfurter Mutian, Justus Jonas, Johannes Drach und Heinrich Beming sowie an H. und schließlich zwei von H. verfaßte Mariengedichte. Drucke. Helii Eobani Hessi a pro⫽|fectione ad Desiderium Erasmum Roterodamum | hodoeporicon | carmine heroico | Eiusdem ad eundem epistola elegiaca | Eiusdem virgini Matri votum carmine elegiaco [...]. Erfurt: Matthes Maler, [1519]. VD 16, E 1441. Ein weiterer Druck: Löwen 1519 (nach Panzer, Ann., Bd. 7, S. 263, 45).
16. ‘Oratio de studiorum instauratione’. Als mit der Wahl von Justus Jonas zum Rektor für das SS 1519 ein Mitglied von H.’ Humanistenkreis die Leitung der Universität übernahm, konnte diese endlich im neuen Geiste umgestaltet werden. Bei der im September stattfindenden Promotionsfeier hielt H. eine Festrede, in der er die Wiedergeburt der humanistischen Studien, besonders in Erfurt, begrüßt, der ‘dunklen’ Zeiten der Scholastik gedenkt und Erasmus als den Wegbereiter und Wegweiser der wahren Wissenschaft feiert.
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Der Druck ist mit Brief vom 10. Febr. 1520 Bernhard Ebeling gewidmet. Das einzige bekannte Exemplar (Stockholm, Kgl. Bibl., 178 G 17 b Br. Erfurt; für den Hinweis danken wir H. Vredeveld) hat H. eigenhändig Justus Jonas zugeeignet. Druck. Oratio de Studiorum insta⫽ | uratione in inclyta schola Erphurdiensi, | omnium ordinum consessu frequentissi⫽ | mo Auditorio. Ab Eobano Hesso | habita. Anno M.D.XIX | Mense Septembri. Erfurt: Matthes Maler, [1520]. Hase, Nr. 405. Vgl. Kampschulte, Bd. 1, S. 252; Krause, 1879, Bd. 1, S. 303.
17. ‘In Eduardum Leeum […] epigrammata’. Wie das ‘Hodoeporicon’ (A.15.) ist auch die gegen den Theologen Edward Lee gerichtete Epigrammsammlung ein Zeugnis für die Erasmusverehrung der Erfurter Humanisten. Auf die von Lee veröffentlichte Kritik an Erasmus’ Ausgabe des NT reagierten die Erfurter, angeregt durch Erasmus selbst (Op. epist., Nr. 1088), mit Invektiven gegen Lee. Die Sammlung erschien im Mai 1520 im Druck. Enthalten sind Beiträge von H. ⫺ der von Eberbach im Vorwort dazu aufgefordert wird, den Angriff anzuführen, und auch den Hauptanteil der Texte stellt ⫺, Euricius Cordus, Adam Krafft, Antonius Niger und Peter Eberbach. Letzterer, von dem auch das kurze Titelepigramm ‘Ad lectorem’ stammt, gilt aufgrund seiner Verfasserschaft des Vorwortes allgemein als Hg. Drucke. In Eduardum | Leeum quorundam e so⫽|dalitate literaria Er⫽|phurdien‹si› Erasmici no|minis studiosorum | epigrammata [...]. Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1520. VD 16, E 79. Ein weiterer Druck: Mainz: [Joh. Schöffer], 1520. VD 16, E 80. Zu weiteren Drucken vgl. Krause, 1879, Bd. 1, S. 308.
18. Luther-Elegien. Als Luther im April 1521 auf dem Weg zum Wormser Reichstag in Erfurt Station machte, verfolgte H. mit Begeisterung seinen triumphalen Einzug in die Stadt und die Ereignisse während seines Aufenthaltes. H.’ Überschwang schlug sich in vier Elegien nieder, die er zusammen mit drei den Reichstag betreffenden Gedichten im Mai drucken ließ. Die erste Elegie, ‘De eius in urbem Erphurdiam ingressu’, ist Aus-
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druck der frohen und erwartungsvollen Stimmung vor Luthers Erscheinen, der als Befreier der Stadt gepriesen wird. Im zweiten Gedicht, ‘De ingressu Lutheri in urbem Erphurdiam’, sieht der Leser den Rektor, Crotus Rubeanus, und andere Vertreter der Universität Luther entgegenziehen, um ihn in die Stadt zu geleiten. Gegenstand der dritten Elegie, ‘De concione Lutheri ad populum Erphurdiensem honoribusque eidem exhibitis’, ist die Predigt, die Luther in der Augustinerkirche hielt. In der vierten, ‘Ad Martinum Erphurdia abeuntem eulogion’, schließlich wird der Reformator mit guten Wünschen für das Gelingen seiner Mission verabschiedet. Damit ist der Kreis der eigentlichen Luther-Elegien geschlossen. Die drei folgenden sind einige Wochen später entstanden und von Wut und Enttäuschung über die Entwicklungen in Worms geprägt. Zunächst wendet sich H. an Justus Jonas und drückt seinen Unmut über die Ereignisse aus (‘Ad Iodocum Ionam theologum cum Martino redeuntem a Caesare’). In der zweiten Elegie, ‘Ad Udalricum Huttenum equitem fortissimum ac poetam, ut Lutheri causam armis etiam adserat’, wird Hutten zum Kampf für Luther und die Reformation aufgerufen. Bei der dritten, ‘In Hieronymum Emserum Lutheromastiga invectiva’, handelt es sich um eine Invektive gegen J Emser. Auf diesen ist auch die der Gedichtsammlung angehängte Appendix ‘Ad autores ludi Wittenbergae in Caprum aediti Eobani Hessi’ gemünzt. H. hat sein Werk Georg Forchheim gewidmet. Drucke. Habes hic lector. | In evangelici Doctoris | Martini Lutheri laudem defensionemque | elegias IIII […]. Erfurt: Matthes Maler, 1521. VD 16, E 1510. Weitere Drucke: Straßburg: Joh. Prüß d. J., 1521. VD 16, E 1511; Farr. post. (s. u. A.41.), Bl. 116v⫺128v (ohne Widmungsbrief); die Elegie an Hutten auch in: Hoc in libello haec | continentur | Helii Eobani Hessi, ad Hulderichum Hutte-| num, ut Christianae veritatis caussam, | et Lutheri iniuriam, armis con-|tra Romanistas prosequa-| tur, exhortatorium [...]. [Straßburg: Joh. Schott, 1521]. VD 16, E 1456, Titelbl.v⫺Bl. A iiir. Ausgaben. Rupprich, DLE, S. 209⫺223 (ohne die Invektive gegen Emser); K¸hlmann, Lyrik, S. 248⫺257 (Luther-Elegie 1 u. 4), Kommentar S. 1102⫺1106.
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19. ‘In poetam Sarmatam invectiva’. Die Invektive richtet sich gegen den Angriff eines anonymen deutschen, jedoch auf polnischer Seite stehenden Dichters, mit dem H. auch schon 1512 bei seinem Besuch in Krakau einen literarischen Streit ausgetragen hatte und der wohl mit Johannes Dantiscus zu identifizieren ist (s. o. A.6.; vgl. Vredeveld, 2002, S. 170). Dieser hatte ⫺ wiederum anonym ⫺ in seiner ‘Satyra in exercitum auxiliarem a principibus Germaniae missum Alberto Marchioni Brandenburgensi [...] contra Sigismundum’ (ed. S. Skimina, Ioannis Dantisci poetae laureati carmina, Krakau 1950, c. 28) den Rückzug der Deutschen vor Danzig als Feigheit beschimpft. In seiner Antwortelegie kehrt H. diese Beschuldigung um: Die Deutschen hätten im Gegensatz zu den Polen ihren Mut in der Vergangenheit häufig genug bewiesen. Gewidmet ist das in nur zwei Tagen entstandene Gedicht H.’ Freund Bartholomäus Gotz, der im Dienste des Deutschordensmeisters Albrecht stand und sich, wie H. in der Dedikation bemerkt, eine poetische Reaktion auf den Vorwurf der Feigheit gewünscht hatte. Druck. Eobani Hessi in poetam Sar⫽|matam Germanos igna⫽|viae insimulantem | invectiva […]. [Erfurt: Matthes Maler], 1523. VD 16, E 1521. Titelepigramm von Euricius Cordus.
20. ‘Ecclesiae afflictae epistola ad Lutherum’. Die Briefelegie spiegelt die unglückliche Position wider, in die H. mit dem Fortschreiten der Reformation geriet: Einerseits wurde ihm durch die sozialen Unruhen und besonders durch das Auftreten der evangelischen Prädikanten und deren Geringschätzung der humanistischen Studien die materielle Existenzgrundlage entzogen, andererseits machte er sich durch die Pflege alter Beziehungen zu Anhängern der Papstkirche einer lutherfeindlichen Haltung verdächtig. Der elegische Brief der personifizierten Kirche gerät somit gleichermaßen zur Anklage der Verfehlungen von Papst und Klerus, zum Bekenntnis zur Reformation und zur Kritik an ihren negativen Begleiterscheinungen für Wissenschaft und Bildung. Vorangestellt ist
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der Ausgabe von 1523 ein Widmungsbrief des Druckers Johann Setzer an Nikolaus J Gerbel. Der Form nach ist das Gedicht eine Heroide, und so konnte H. sie auch in den ‘Farragines’ von 1539 (Farr. prior [A.41.], Bl. 137r⫺145r) seinen ‘Heroides christianae’ von 1532 (A.8.) anhängen. Druck. Ecclesiae | afflictae epi|stola ad Lutherum [...]. Hagenau: Joh. Setzer, 1523. VD 16, E 1485.
21. ‘De non contemnendis studiis’. Mit dieser Sammlung von eigenen Texten und Texten anderer verfolgte H. das Ziel, den Bestrebungen der Prädikanten entgegenzuwirken, die Notwendigkeit der alten Sprachen für das Studium der Theologie zu leugnen. Während die Briefe Luthers und Melanchthons eigens zur Aufnahme in den Druck geschrieben wurden, sind die von Joh. Drach, Justus Jonas und Petrus J Mosellanus bereits älteren Datums und deshalb nur mittelbar auf die aktuelle Situation bezogen. Den Briefen folgen vier Gedichte Eobans. Im ersten (‘De contemptu studiorum querela’) wird den Prädikanten vorgeworfen, ihre bildungsfeindliche Haltung resultiere aus Geltungssucht und Unbildung, in den anderen drei Gedichten, die an den Erfurter Senat (‘Ad magnificum senatum Erphurdiensem pro instauratione collapsae scholae studiorum adhortatio’; auch in der Farr. prior [A.41.], Bl. 204v⫺207v), Justus Jonas (‘Ad Iudocum Ionam de casu studiorum ode’; in der Farr. prior, Bl. 248r⫺v) und die Studenten (‘Ad humaniores literas adhortatio’; in der Farr. prior, Bl. [256]r⫺v) gerichtet sind, fordert H. zur Wahrung der humanistischen Bildung auf. Gewidmet ist die Sammlung Georg Sturz (Dedikationsepistel mit Anmerkungen hg. v. O. Clemen, Briefe aus d. Reformationszeit, Zs. f. Kirchengesch. 31 [1910] 86 f.). Druck. De non contemnendis | studiis humanioribus futuro the⫽|ologo maxime necessariis ali⫽|quot clarorum virorum ad | Eobanum Hessum | epistolae. [...] Eiusdem de contemptu studiorum ode una | Eiusdem ad magnificum senatum Er⫽/phurdiensem paraklhsiw carmine | elegiaco, | cum quibusdam aliis. Erfurt: Matthes Maler, 1523. Hase, Nr. 497.
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22. ‘Ad principem Guilielmum ducem Brunsvigensem’. Anlaß der Trostelegie (58 Dist.) ist die Kriegsgefangenschaft Hzg. Wilhelms von Braunschweig-Wolfenbüttel i. J. 1519, in die er in der Schlacht bei Soltau (Hildesheimer Stiftsfehde) geraten war. H. widmete sie Martin Hunus. Drucke. Ad illustrissimum Prin|cipem Guilielmum | Ducem Brunsvig⫽|ensem etc. apud | hostes capti|vum Eoba⫽|ni Hessi | conso|lat⫽| io. [Erfurt: Michel Buchfürer, 1523]. VD 16, E 1443. Das Gedicht diente auch als Beigabe zum ‘Salomonis Ecclesiastes’ (B.2.) und fand Aufnahme in die Farr. prior (A.41.), Bl. 225r⫺227v.
23. ‘Dialogi tres’. Die drei in Prosa verfaßten Dialoge nehmen satirisch Bezug auf die bildungsfeindliche Haltung der Prädikanten und den Niedergang der Erfurter Universität. Im Mittelpunkt des ersten Dialoges, ‘Melaenus’, steht die Frage nach dem Wert der Medizin. Im ‘Misologus’ geht es um die Mißstände an der Universität, die im Auftreten der Prädikanten begründet seien. Auch in den ‘Fugitivi’ werden von Seiten der humanistischen Dialogpartner einem Magistratsmitglied gegenüber die Prädikanten für den gegenwärtigen Zustand der Universität verantwortlich gemacht. Als sich zwei dem Kloster entflohene ⫺ daher der Titel ⫺, jetzt als Prädikanten auftretende Mönche nähern, werden sie in das Gespräch einbezogen und verspottet. Während H. mit der Veröffentlichung der Dialoge lediglich beabsichtigte, seinen Kampf gegen die wissenschaftsschädlichen Auswüchse der Reformation fortzuführen, brachte ihn die Schrift noch stärker als bisher in den Verdacht einer lutherfeindlichen Haltung. Gewidmet sind die Dialoge Abt Petrus von Pforta. Druck. Eobani Hessi Dia⫽|logi tres. | Melaenus. | Misologus. | Fugitivi. | Studiorum et veritatis causa nuper aediti […]. Erfurt: Matthes Maler, 1524. VD 16, E 1531.
24. ‘Bonae valetudinis conservandae praecepta’. Das umfangreiche in elegischen Distichen verfaßte Lehrgedicht über die Erhaltung der Gesundheit ist aus den medizini-
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schen Studien erwachsen, denen sich H. seit 1523 widmete. Das Werk schöpft aus der hippokratischen Tradition, aus Celsus, Galen, Paulus von Ägina, Marsilio Ficino (‘De vita’) und dem D ‘Regimen sanitatis Salernitanum’. Es gliedert sich im Erstdruck (a) in drei Teile. H. beginnt mit praktischen Gesundheitsregeln. Es sei besonders auf eine ausgeglichene Psyche, ausgewogene Ernährung, eine gesunde Lebensweise und Körperpflege zu achten. Nach einem Exkurs über Entstehung und Funktion des Blutes fährt H. mit Lebensregeln fort und fordert in Sonderheit, der eigenen Natur gemäß zu leben und in allen Bereichen auf Abwechslung zu achten. Der zweite Teil ist den Nahrungsmitteln gewidmet. Besprochen werden nacheinander Fleischsorten, Innereien, Geflügel, Früchte, Gemüse, Getreidearten, Fische, Ei- und Milchgerichte sowie Getränke. Im dritten Teil schließlich folgt eine Betrachtung über den Zusammenhang zwischen den menschlichen Temperamenten und den vier Elementen, den vier Jahreszeiten, den Tierkreiszeichen, den Himmelsrichtungen und den Lebensaltern. H. hat das Werk Georg Sturz zugeeignet und im Anhang mit zahlreichen Beigaben versehen. Einem Vorwort an den Leser folgt das Martin Hunus gewidmete ‘Medicinae encomion ex Erasmo per Eobanum Hessum versu redditum’, eine Verteidigung der Medizin, mit der H. wohl besonders dem von den evangelischen Prädikanten erhobenen Vorwurf zu begegnen sucht, die Medizin sei grundsätzlich abzulehnen. Das ‘Lob der Medizin’ ist eine Bearbeitung der wesentlichen Inhalte von Erasmus’ ‘Encomion artis medicae’ in elegischen Distichen (Erasmus, ASD I-4, S. 145⫺186). Es folgen zusammen mit einer an Georg Sturz gerichteten Vorrede der ‘Chorus nobilium medicorum in Musaeo Sturtiano Erphurdiae’, kurze Epigramme zu 17 Bildern von Medizinern aus Mythologie und Geschichte, die im Haus des Arztes zu sehen waren, desgleichen der ‘Chorus Musarum in eodem’ und ein Schlußepigramm ‘In foribus Musaei’. Außerdem nahm H. die Sturzsche Fiebertabelle und die Tabelle der Temperamente des Hein-
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rich Schreiber (Grammateus) in sein Werk auf. 1531 erschien eine v. a. in der Aufteilung geänderte und durch Überschriften ergänzte Fassung (b), die mehrfach nachgedruckt wurde. Den Anfang bildet nun die Abhandlung über die Temperamente. Es folgen der Abschnitt über das Blut, der vorher die praktischen Lebensregeln unterbrochen hatte, dann die Verhaltensregeln und schließlich der Teil über die Nahrungsmittel. H. hat auch die neue Fassung Georg Sturz gewidmet. Beigegeben sind der Ausgabe neben zwei Titelepigrammen eine bearbeitete Version des Lobes der Medizin u. d. T. ‘Medicinae laus per Eobanum Hessum ex Erasmo, versu reddita’, eine erweiterte Fassung des ‘Chorus medicorum’ und schließlich der ‘Chorus Musarum’. H. hat das Werk in der überarbeiteten Fassung mit den Beigaben auch in die ‘Farragines’ (A.41.) aufgenommen. Um 1550 wurde es mit einem Kommentar des Königsberger Gelehrten Johannes Placotomus versehen. Auch in dieser Form hat es zahlreiche Neuauflagen erlebt, anfangs ohne, später wieder mit weiteren Beigaben von H. 1568 nahm sich mit Pieter Hazaert erneut ein Wissenschaftler kommentierend des Textes an. 1576 schließlich wurde das Gedicht von Johannes Episcopius ins Deutsche übertragen. Drucke. a) Bonae valetudinis con⫽|servandae praecepta ad magnificum D. | Georgium Sturtiaden per Eo⫽|banum Hessum [...]. Erfurt: [Joh. Loersfeld], 1524. VD 16, E 1460. Ein weiterer Druck: Straßburg: Heinr. Sybold, 1530. VD 16, E 1461*. ⫺ b) Bonae va|letudinis conservan-|dae rationes aliquot. | Simplicium ciborum facultates quaedam [...]. [Nürnberg: Joh. Petreius, 1531?]. VD 16, E 1462. Weitere Drucke: Farr. post. (s. u. A.41.), Bl. [78]r⫺108v; [Wittenberg] 1543. VD 16, E 1463*; ebd. 1544. VD 16, E 1464; Erfurt 1550. VD 16, E 1465 (ohne Beigaben); Leipzig 1551. VD 16, ZV 5069*; Frankfurt (O.) [um 1555]. VD 16, ZV 21132 (ohne Beigaben); Regensburg 1561. VD 16, E 1473*. Auch enthalten in: Impera⫽|tores Ger⫽|manici descrip⫽|ti versibus a Ge⫽|orgio Sabino [...] Item | De tuenda bona vale⫽|tudine libellus. | Helii Eobani Hessi. Eisleben 1561. VD 16, S 87. Mit Kommentar des Joh. Placotomus: De tuen⫽|da bona valetudine, libel-|lus Eobani Hessi […]. Frankfurt a. M. [um 1550]. VD 16, E 1466; weitere Drucke: Frankfurt a. M. 1551. VD 16, E 1467, ZV 1570, ZV 1571; ebd. 1554. VD 16, E 1468; Paris 1555; Frankfurt a. M. 1556. VD 16, E 1469; ebd. 1557. VD 16, E 1470*; mit ‘Medicinae encomion’, ‘Chorus illustrium medicorum’, ‘Chorus Musarum’, ‘In mensam facultatis artium […]
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Hexastichon’, ‘Disticha de Monasterio Westphaliae [...]’: Frankfurt a. M. 1560. VD 16, E 1471; ebd. 1564. VD 16, E 1474; ebd. 1571. VD 16, E 1476; ebd. 1582. VD 16, E 1477. Mit Kommentar des Pieter Hazaert: Saluberrima | bonae | valetudinis | tuendae praecepta | Eobani Hessi […] conscripta, novisque | commentariis a Petro Hassardo […] illustrata […]. Frankfurt a. M. 1568. VD 16, E 1475. Übersetzung von Johannes Episcopius: De conservanda vale-|tudine hominum, praecepta salutaria. | Heilsame unnd | gar sehr nützliche Precep-| ta unnd lehren der menschlichen Gesundheit [...]. Nürnberg 1576. VD 16, ZV 5073.
25. ‘Ad Principem Ioannem Fridericum Elegia’. Die Melanchthon in einer Elegie gewidmete Sammlung enthält verschiedene bereits in Erfurt entstandene Gedichte: Den Anfang bildet eine Elegie an Hzg. Johann Friedrich von Sachsen von 1522, in der H. diesen aufruft, sich für Reformation und Wissenschaften einzusetzen, und die später auch einen Platz in den ‘Farragines’ erhielt (Farr. prior [A.41.], Bl. 223r⫺225r). Es folgen zwei erstmals an dieser Stelle abgedruckte Epicedien auf Kf. Friedrich von Sachsen († Mai 1525) und auf Wilhelm Nesen, einen in der Elbe ertrunkenen jungen Gelehrten aus dem Melanchthon-Kreis, so daß der Druck auch als erste Teilausgabe von Epicedien gelten kann (s. u. A.34.). Drucke. Ad illustrissimum Prin⫽|cipem Ioannem Fridericum Ducem Saxoniae. | Elegia. | Epicedia duo […]. Nürnberg: Friedr. Peypus, 1526. VD 16, E 1445. Das Idyllion an Melanchthon über die Verachtung der humanistischen Studien wurde 1528 in die zweite Fassung des ‘Bucolicon’ (A.5.) und später im selben Kontext in die Farr. prior, Bl. 41v⫺44v, aufgenommen.
26. ‘Elegiae tres’. Die drei Elegien gab H. im ersten Jahr seines Aufenthaltes in Nürnberg heraus. Zwei der Gedichte beschreiben und feiern das neu gegründete Egidiengymnasium. Das erste, dem Joachimsthaler Stadtschreiber Bartholomäus Bach gewidmet, preist Nürnberg als Musensitz und das humanistische Lehrprogramm des Gymnasiums. Das zweite wurde anläßlich der Eröffnung der Schule zum Lob der Bildungsfreundlichkeit der Stadt geschrieben. Die dritte Elegie richtet sich gegen einen ungenann-
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ten “neidischen Verleumder”, der H. wegen eines kleinen metrischen Verstoßes in dem Idyllion über die Verachtung der Studien (A.25.) offenbar schwer getadelt hatte. Das Thema des Neides spiegelt sich auch in dem Titelepigramm ‘Invidiae’ wider. Am Ende des Drucks entschuldigt H. in einer kurzen Wendung an den Leser seinen metrischen Fehler mit allzu großer Eile und korrigiert den Vers. Drucke. Helii Eo⫽|bani Hessi poetae | Elegiae tres | De schola Norica, ad Barptholomeum Bacchium | In auspicio scholae propositum carmen. | In invidum quo intentatae calumniae respondet | Invidiae [...]. Nürnberg: Friedr. Peypus, 1526. VD 16, E 1489. Auch in der Farr. post. (s. u. A.41.), Bl. [109]r⫺116r.
27. ‘Scribendorum versuum maxime compendiosa ratio’. Während seiner Tätigkeit als Lehrer am Egidiengymnasium in Nürnberg wandte sich H. auch der Abfassung von Lehrbüchern zu. Den Anfang bildete eine kurze Verslehre. Sie versucht, den Anfänger mit den Grundlagen der Poetik (Wahl von Vokabular, Versarten, Quantitätsregeln, Stilfiguren etc.) vertraut zu machen. Dem Druck sind zwei Distichen des Camerarius beigegeben. Die angekündigte Fortsetzung für Fortgeschrittene wurde nie geschrieben. Drucke. Scri⫽|bendorum versuum | maxime compendio⫽|sa ratio, in schola Nurenbergae nuper | instituta pueris proposita [...]. Nürnberg: Fr. Peypus, 1526. VD 16, E 1549. Weitere Drucke: Wittenberg: Georg Rhau, 1531. VD 16, E 1550; Wittenberg: Hans Lufft, 1534. VD 16, E 1551*; auch enthalten in: Jakob Micyllus (Moltzer), Tres Libelli, | post cogni⫽|ta prima pro⫽|sodiae elementa […] Scribendorum versuum maxime com-| pendiosa ratio, Autore | Eobano Hesso. […]. Mühlhausen 1584. VD 16, M 6122*.
28. ‘Ex idylliis Eobani Hessi encomia duo, Urbis Norenbergae et illustr. Philippi Hessorum principis’. 1527 dichtete H. eine Lobelegie auf die Stadt Nürnberg. Er veröffentlichte sie zuerst zusammen mit einem schon in Erfurt entstandenen Gedicht an Philipp von Hessen zu dessen Sieg über Franz von Sickingen. Beide Gedichte fanden 1528 als 17. und 15. Idyll Aufnahme in die revidierte
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und erweiterte Fassung des ‘Bucolicon’ (A.5.) und als 16. und 13. Gedicht in die nochmals überarbeitete Version der Farr. prior (A.41., Bl. 47r⫺50v u. 39r⫺41v). Das Gedicht an Philipp wurde später zudem dem Druck von ‘De victoria Wirtembergensi’ beigegeben (A.37.). Gewidmet ist die Ausgabe von 1527 Hieronymus Baumgartner. Druck. Ex idylliis | Eobani Hessi encomia duo, | Urbis Norenbergae, et | illustrissimi Philippi Hessorum Principis [...]. [Nürnberg]: Joh. Petreius, 1527. VD 16, E 1480. Titelepigramm von Johannes Alexander Brassicanus.
29. ‘In hypocrisim vestitus monastici’. Die 46 elegischen Distichen sind dem Abt von St. Egidien in Nürnberg, Friedrich Pistorius, gewidmet. Sie prangern Heuchelei und unter der Mönchskutte verborgene Laster wie Hochmut und Genußsucht an. Druck. Helii Eobani Hessi poetae | in hypocrisim vestitus monastici eœkfv¬nhsiw . | Psalmi quatuor ex Davidicis carmine redditi. | Ad R. P. D. Fridericum Abbatem divi Ae|gidii apud inclytam Nurenbergam […]. [Nürnberg: Joh. Petreius, 1527]. VD 16, E 1518; s. B.5.a. Titelepigramm an den Leser (2 Dist.) von H.’ Schüler Joh. Pregellus.
30. ‘Venus triumphans’. Alle Texte dieser Sammlung kreisen um Joachim Camerarius. Die ersten drei haben seine Eheschließung mit der Nürnbergerin Anna Truchseß zum Anlaß. Nach einem Epigramm über das Verhältnis von Venus und den Musen läßt H. im ersten, in Hexametern verfaßten Gedicht die Liebesgöttin im Triumphzug am Leser vorbeiziehen, gefolgt von Scharen griechischer Götter und Heroen, antiker Staatsmänner, Dichter und Philosophen, die ihr allesamt erlegen sind. Kurzfristig schließt sich auch die keusche Muse an, die sich jedoch aus Sorge um ihre Reinheit alsbald wieder entfernt. So endet das Gedicht denn auch mit der Ermahnung, über Venus nicht die Musen zu vergessen, die sich mit einer legitimen Ehe sehr wohl verbinden ließen und ein sicherer Trost des kommenden Alters seien. Das zweite Gedicht, ebenfalls in Hexametern, ist eine ‘Querela adversus Venerem’ an H., mit der Camerarius auf die ‘Venus triumphans’ reagiert. Er klagt dar-
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über, daß Venus ihn lange vernachlässigt habe, erwähnt den Trost des Freundes und preist schließlich den Ort (Nürnberg), an dem nun auch er vom Junggesellen zum Ehemann geworden sei. Das dritte Gedicht, das Epithalamium zur Hochzeit des Camerarius, gestaltet H. als ‘Ludus musarum’: Am Schauplatz Nürnberg läßt er neben Merkur und Venus den Reigen der Grazien und die neun Musen auftreten, denen er Verse in verschiedenen Maßen in den Mund legt. Der Text ist in formaler Anlehnung an Erasmus’ Epithalamium für Petrus Aegidius entstanden (Erasmus, ASD I-7, Nr. 132). Das letzte Gedicht, ein Propemptikon in elegischen Distichen, steht nicht im Zusammenhang mit der Hochzeit, sondern mit einer Gesandtschaft an den ksl. Hof in Spanien, an der Camerarius 1527 zusammen mit Albrecht von Mansfeld teilnehmen sollte, die jedoch nicht zustandekam. Druck. Helii Eobani Hes|si Venus triumphans, ad | Ioachimum Camerarium Qu. | Ioachimi Came-|rarii querela, qua superi|ori carmini respondet. | In nuptiis Ioa-|chimi Camerarii Epithalamion, | seu Ludus Musarum, per Eobanum. | Eiusdem ad eundem in Hispa|nias abeuntem propemticon [...]. Nürnberg: Joh. Petreius, 1527. VD 16, E 1558. Ausgabe. C. P. Froebel, Hel. Eobani Hessi Venus triumphans de qua Joa. Camerius Questus ab Eobano ad thalamum ducitur et in Hispaniam abiens carmine celebratur, Rudolstadt 1823, Nr. III-86.
31. ‘Epicedion in funere Alberti Dureri’ u. a. Die große Wertschätzung, die H. Dürer entgegenbrachte, fand ihren Niederschlag nach dessen Tod Anfang April 1528 in einem Epicedion. In warmen Tönen preist H. das Ingenium des Künstlers. Das Epicedion ist an Joachim Camerarius gerichtet, der in engem Verhältnis zu Dürer gestanden hatte. Außer dem Titelepigramm (2 Dist.) an den Leser hat H. noch sieben kürzere Gedichte über Dürer beigefügt, darunter auch das ‘Somnium [...] quo monitus scripsit Epicedium’, worin Dürer dem Dichter im Traum erscheint und ihn um ein Grabgedicht ersucht, und ‘Ad pictores alios ne aegre ferant Durero palmam tri-
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bui’, in dem H. die anderen Künstler bittet, ihm seine Verherrlichung Dürers nicht zu verübeln. Im Anschluß an H.’ eigene Verse finden sich noch drei Grabgedichte des Thomas Venatorius auf Dürers Tod. Drucke. Epicedion | in funere Alberti Dureri | Nurenbergensis, aetatis suae pictorum | omnium facile principis dictum. | Somnium de eodem. | Epithaphia et alia quaedam. | Helio Eobano Hesso authore. | De eodem monodia Thomae | Venatorii, et epithaphia duo [...]. [Nürnberg: Friedr. Peypus, 1528]. VD 16, E 1490. H. hat das Epicedion auf Dürer in seine Sammlung von 1531 (A.34.) aufgenommen. Mit dieser fand es, einschließlich der sieben kürzeren Gedichte, auch seinen Platz in der Farr. prior (A.41.), Bl. 150v⫺ 155v. Ausgaben. H. Rupprich, Dürer, Schriftl. Nachlaß, Bd. 1, 1956, S. 298⫺303; s. auch u. A.34.
32. ‘De tumultibus horum temporum querela’. Die Hektor Pömer gewidmete Sammlung von sieben teils in Hexametern, teils in Distichen verfaßten Gedichten hat die von Krieg und sozialen Unruhen geprägte Gegenwart zum Gegenstand. Diese beiden Faktoren begünstigten ein Nachlassen des Interesses an humanistischer Bildung und damit auch den Niedergang des Nürnberger Egidiengymnasiums und boten H. Anlaß, erneut über den Zustand der Wissenschaften zu klagen. Im ersten Gedicht ‘De cladibus et tumultibus suorum temporum querela’, von dem sich der Titel der Sammlung herleitet und das H. als ‘Praefatio’ zu den anderen bezeichnet, stellt er das gegenwärtige Zeitalter den früheren gegenüber. Niemals vorher habe die Welt so sehr unter Bedrängnissen gelitten. Selbst das Evangelium sei machtlos im Kampf gegen den Teufel, der Wissenschaft und Glauben unermüdlich durch seine Ränke zusetze. Das zweite Gedicht, ‘Praesentium temporum cum priscis collatio’, bietet in einem Gang durch die Geschichte einen Vergleich der Kriege der großen Weltreiche mit den gegenwärtigen, das dritte, ‘Mutatio omnium regnorum Europae’, wendet sich den Kriegen der jüngsten Vergangenheit in Europa zu, das vierte, ‘Bellum servile Germaniae’, thematisiert den Bauernkrieg, im fünften, ‘In afflictam bellis inte-
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stinis Germaniam consolatio paraenetica’, ermahnt H. Deutschland, zur früheren Eintracht und Ordnung zurückzufinden und sich auf Evangelium und Wissenschaften zu besinnen. Die beiden letzten Gedichte schließlich haben den ‘Sacco di Roma’ zum Gegenstand (vgl. Rener, 2002): Im sechsten ‘Roma capta’ läßt H. den aus der Unterwelt zurückkehrenden Cicero die Stadt Rom nach der Ursache für ihren Untergang fragen, im siebten, ‘Roma capta Ciceroni respondet’, erklärt Roma ihren desolaten Zustand mit der Tyrannei der Päpste und deren Konflikt mit den deutschen Kaisern. Druck. Helii Eo|bani Hessi | de tumultibus | horum temporum | querela. | Priscorum temporum cum nostris Collatio. | Omnium regnorum Europae mutatio. | Bellum servile Germaniae […] Ad Germaniam afflictam consolatio paraenetica | elegia una. | Roma capta, elegiae duae. Nürnberg: Friedr. Peypus, 1528. VD 16, E 1556. Ausgaben. Vredeveld, 1990, S. 7⫺71, Druckgesch. u. Varianten S. 555⫺557. Das ‘Bellum servile Germaniae’: K¸hlmann, Lyrik, S. 258⫺ 275, Kommentar S. 1106⫺1113. Dt. Übersetzung auch bei W. Trillitzsch, Der dt. Renaissancehumanismus. Abriß u. Auswahl, 1981, S. 293⫺302.
33. ‘Carolo V. gratulatoria acclamatio’. Anläßlich des Augsburger Reichstages von 1530 verfaßte H. zwei Elegien an Karl V. In der ‘Acclamatio’ (130 Dist.) begrüßt die Stadt Nürnberg den nach Deutschland reisenden Kaiser und drückt ihre Hoffnung aus, er möge den Religionsfrieden stiften. Die zweite Elegie (120 Dist.) beschreibt die Bedrohung durch die Türken, verbunden mit der Aufforderung an Karl, die Welt von dieser Gefahr zu befreien. Im Druck erschienen die Gedichte erst nach dem Reichstag zusammen mit einer Elegie des Jacobus Micyllus ‘In adventum eiusdem, urbis Francofurdii gratulatio’. Drucke. Divo ac | invicto Imp. Caes. Caro⫽| lo. V. Augusto Germaniam ingredienti | urbis Norimbergae gratulatoria acclamatio. | Ad eundem de bello contra Turcas susci⫽|piendo adhortatio. | Per H. Eobanum Hessum. | In adventum eiusdem urbis Francofurdii gra⫽|tulatio. Per Iacobum Micyllum […]. Nürnberg: Joh. Petreius, 1530. VD 16, E 1484. Zwei weitere Drucke: Leip-
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zig: Nik. Faber, 1530. VD 16, E 1483; Nürnberg: Joh. Petreius, 1530. VD 16, ZV 23253. Ausgabe. Vredeveld, 1990, S. 73⫺101, Druckgeschichte u. Varianten S. 557⫺560.
34. ‘Epicedia’. Die 1531 in Nürnberg erschienene Sammlung umfaßt neun Epicedien. Vier von ihnen wurden bereits vorher oder zeitnah separat gedruckt. Es sind Gedichte auf folgende Personen enthalten: Kf. Friedrich von Sachsen (A.25.), Wilhelm Nesen (A.25.), Dürer (A.31.), Mutian (erst einige Zeit nach dessen Tod in Anlehnung an das ‘Epithaphium Bionis’ entstanden; vgl. Krause, 1879, Bd. 1, S. 414 f.), Hutten (in Form eines Dialogs zwischen Hutten und dem Tod; vgl. Krause, 1879, Bd. 1, S. 349 f.), Reuchlin (das erste von H. verfaßte Epicedion; vgl. Krause, 1879, Bd. 1, S. 346 f.), Willibald Pirckheimer (vgl. Krause, 1879, Bd. 2, S. 50), Mercurino di Gattinara (auf Wunsch von Johannes Dantiscus verfaßt; vgl. Krause, 1879, Bd. 2, S. 75) und Kaspar Nützel (vgl. Krause, 1879, Bd. 2, S. 50). Den Epicedien H.’ folgen im Druck die ‘Epitaphia Epigrammata’ des Joachim Camerarius. 1539 wurde die Sammlung H.’, um die Gedichte auf Hieronymus Ebner (vgl. A.36.) und Erasmus (vgl. A.39.) erweitert, in die ‘Farragines’ (Farr. prior [A.41.], Bl. 145v⫺178r) aufgenommen. Druck. Illustri|um ac clarorum | aliquot virorum memoriae | scripta epicedia | per Helium Eobanum Hessum. | Epithaphia epi⫽|grammata com⫽|posita | ab Ioachimo Camerario Bombergensi [!] […]. Nürnberg: Friedr. Peypus, 1531. VD 16, E 1509. Das Epicedion auf Gattinara zusammen mit einer Briefelegie an Dantiscus auch in: Epitaphia | epigrammata et elegiae aliquot il⫽| lustrium virorum in funere Mer|curini Cardinalis, Marchio⫽|nis Gattinariae, Caesaris | Caroli Quinti Au⫽|gusti supremi | Cancellarii [...]. Antwerpen: Joh. Grapheus, 1531. Ausgabe. Vredeveld, 1990, S. 103⫺181, Druckgesch. u. Varianten S. 560⫺575. Die Epicedien für Dürer und Hutten nach den ‘Farragines’ bei K¸hlmann, Lyrik, S. 274⫺293, Kommentar S. 1114⫺1121.
35. ‘Noriberga illustrata’. Das Enkomion auf Nürnberg verdankt sich im wesentlichen der prekären Finanzsituation, in der sich H. während seiner
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letzten Nürnberger Zeit befand. Er hoffte, erfolgreich, auf eine großzügige Gegengabe von Seiten des Stadtrates. Das Gedicht (fast 1400 Hex.), das in der Tradition der Laudes urbium steht, lehnt sich besonders an Celtis’ ‘Norimberga’ an, zu der H. sich im Widmungsbrief an den Stadtrat äußert (zu weiteren Quellen vgl. Keck, S. 46⫺51). Die ‘Noriberga illustrata’ ist in einzelne mit Überschriften versehene Kapitel gegliedert. Einer allgemeinen Einleitung folgen die Beschreibung von Lage, Befestigung, näherer Umgebung, Klima, natürlichen Ressourcen, öffentlichen Gebäuden und Plätzen, Kirchen, Eisenindustrie und Gärten sowie abschließend der Schule. Beigegeben sind der Ausgabe von 1532 ein Titelepigramm ‘Ad urbem ipsam’ und eine Zueignung an die Ratsherren der Stadt. Drucke. Urbs Nori-|berga | illustrata carmine heroico per Helium Eo⫽ | banum Hessum […]. [Nürnberg]: Joh. Petreius, 1532. VD 16, E 1557. Ein weiterer Druck in der Farr. post. (A.41.), Bl. [1]r⫺29r. Ausgaben. J. Neff, Noriberga illustrata u. andere Städtegedichte (Lat. Litt.denkmäler d. XV. u. XVI. Jh.s 12), 1896, S. 1⫺54 (Kommentar S. XIX⫺ XXVI u. XXXI⫺XXXIX); Vredeveld, 1990, S. 183⫺267, Druckgesch. u. Varianten S. 575⫺ 580. Auswahl bei K¸hlmann, Lyrik, S. 292⫺317, Kommentar S. 1121⫺1134.
36. ‘In funere D. Hieronymi Ebneri’. Im Aug. 1532 verfaßtes Epicedion, gewidmet dem Nürnberger Ratsschreiber Georg Hopell, anläßlich des Todes von Hieronymus Ebner. Unter den vielen Tugenden, die H. an Ebner hervorhebt, fehlen auch seine Verdienste um die Wissenschaften nicht. Drucke. In fune-|re clarissimi quondam vi⫽| ri, D. Hieronymi Ebneri, Urbis Noribergae | aerario praefecti supremi etc. per | Helium Eobanum Hessum [...]. Nürnberg: Joh. Petreius, [1532]. VD 16, E 1514; Farr. prior [A.41.], Bl. 171v⫺175r. Ausgabe. Vredeveld, 1990, S. 485⫺499, Druckgesch. u. Varianten S. 587⫺590.
37. ‘De victoria Wirtembergensi’. Glückwunschgedicht (534 Hex.) zu Philipps von Hessen Sieg 1534 in der Schlacht bei Lauffen, mit einer Widmungselegie an Johann Feige, den Kanzler Philipps, der es seinem Dienstherrn vortragen sollte. H.
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preist den Herrscher für seine hervorragenden Gaben und als würdigen Landesvater. Bei der Beschreibung von Kriegsrüstung und Kriegszug vergleicht er ihn mit Alexander d. Gr. und anderen Helden aus Mythos und Geschichte. Nach der siegreichen Schlacht konnte Philipp seinen Verwandten, Hzg. Ulrich I., wieder in die Herrschaft einsetzen. Die ‘Acclamatio’ endet mit einer Aufforderung an diesen, sich dankbar zu zeigen, und ⫺ nach einem Lob Hessens ⫺ mit einem abschließenden Preis der unsterblichen Taten Philipps, die H. auch künftig in seiner Dichtung verherrlichen will. Der ‘Acclamatio’ folgen zwei Gedichte auf Philipp und dessen Vater, die bereits 1528 als 15. und 6. Idyllion Aufnahme in die zweite Fassung des ‘Bucolicon’ (A.5.) gefunden hatten, dann eine Elegie, in der H. 1532 dem Kanzler Feige die Lektüre des ‘Bucolicon’, und hier bes. des 15. und 6. Idylls, ans Herz gelegt hatte, und schließlich ein empfehlendes Gedicht an H.’ alten Freund Johann Walther. Drucke. De victoria Wirtember⫽|gensi: Ad illustrem et inclytum heroa Philippum | Hessorum omnium ac finitimarum aliquot gentium | principem, gratulatoria acclamatio authore | Helio Eobano Hesso […]. Erfurt: Melch. Sachse d. Ä., 1534. VD 16, E 1561; Farr. post. (A.41.), Bl. [30]r⫺ 42r (mit dem Widmungsbrief als einziger Beigabe). Ausgabe. Vredeveld, 1990, S. 501⫺539, Druckgesch. u. Varianten S. 590⫺592.
38. ‘Sylvae’. Spätestens 1533 begann H., seine reichhaltige, in langen Jahren entstandene Gelegenheitsdichtung zu sammeln. Er verteilte das Material auf sechs Bücher, die er 1535 publizierte. Jedes der ersten fünf Bücher versah er mit einem Widmungsbrief an einen seiner Freunde und Förderer, nämlich Johannes Dantiscus, Georg Sturz, Heinrich Eberbach, Justus Jonas und Joachim Camerarius. Die im Titel genannte Ausgabe von 1533 scheint nie gedruckt worden zu sein; vgl. Krause, 1879, Bd. 2, v. a. S. 103 u. 186; Krause, 1879, Bd. 1, S. 261⫺ 275 (mit einigen Texten in Übers.). Drucke. Helii Eoba|ni Hessi Sylvarum libri VI. | Nuper primum aediti anno | M.D.XXXIII [...]. Hagenau: Peter Braubach, 1535. VD 16, E 1554. Weitere Drucke: [...] Nuper primum aediti
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anno M.D.XXX.V. [...], ebd. 1535. VD 16, ZV 18442; um drei Bücher erweiterte Fassung in der Farr. prior (A.41.), Bl. [179]r⫺340r.
39. ‘In funere […] D. Erasmi Roterodami epicedion’. Epicedion auf Erasmus, erst viele Monate nach dessen Tod auf Camerarius’ Drängen verfaßt. Gewidmet Gerard Geldenhauer aus Nimwegen. Drucke. In fune|re clarissimi et incom-|parabilis eruditionis viri, | D. Erasmi Roterodami, | epicedion | H. Eobani Hessi […]. Marburg: Euch. Cervicornus, 1537. VD 16, E 1512. Weitere Drucke, mit einem Epicedion auf Erasmus von Joh. Heune d. Ä.: Straßburg: Jak. Frölich, 1537 u. 1538. VD 16, E 1513 u. ZV 5067; Farr. prior (A.41.), Bl. 175r⫺178r. Ausgabe. Vredeveld, 1990, S. 541⫺551, Druckgesch. u. Varianten S. 592⫺595.
40. ‘Elegia de calumnia’ / ‘Descriptio Calumniae’. Auf Bitten Melanchthons, der von radikaleren Protestanten wegen seiner kompromißbereiten Haltung, insbesondere seit der Confessio Augustana, des Verrats an der Reformation bezichtigt wurde, verfaßte H. eine Elegie gegen die Verleumdung. Ausgehend von einer Beschreibung der personifizierten Calumnia des Apelles (nach Lukian, ‘Calumniae non temere credendum’, Kap. 2⫺5; vgl. auch C. G. Bretschneider [Hg.], Philippi Melanthonis Opera quae supersunt omnia, Bd. 17, 1851, S. 979⫺998), prangert H. die Verleumdung als Geißel der Menschheit an, die auch oder gerade vor den geistlichen und weltlichen Großen nicht haltmache. Vorangestellt sind der Elegie im Erstdruck (a) sechs Distichen an den Theologen Antonius Corvinus, der häufig den Landgrafen Philipp in Reformationsangelegenheiten vertrat. In der zweiten Auflage von 1538 (b) ist die ‘Descriptio Calumniae’ zusammen mit drei Texten veröffentlicht, die den Tod der Frau des Marburger Lehrers Philipp Pistorius, Barbara, betreffen: H.’ ‘Consolatio’ in elegischen Distichen, einem an H. gerichteten Brief des Johannes Drach, der ein Freund des Vaters der Verstorbenen gewesen war, sowie einem Trauerlied desselben.
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Drucke. a) Eobani Hessi Elegia, recens scripta | de Calumnia. Marburg: [Euch. Cervicornus], 1538. VD 16, E 1487. b) Helii Eo-|bani Hessi Descri⫽|ptio Calumniae, ad doctissi⫽|simum [!] virum Philippum | Melanthonem [...]. Marburg: Chr. Egenolff d. Ä., 1539. VD 16, E 1488.
41. ‘Farragines’. 1539 gab H. eine Sammlung seiner bedeutendsten Werke heraus, die sich in zwei Teile gliedert. Die Texte wurden nicht alle in ihrer ursprünglichen Form übernommen, sondern z. T. überarbeitet und erweitert (vgl. die Angaben bei den jeweiligen Schriften). Das Inhaltsverzeichnis nennt: (Farr. prior) 1. Bucolicorum Idyllia 17 cum argumentis et annotationibus (A.5.), 2. Heroides iam tertium recognitae et auctae (A.8.), 3. Illustrium ac clarorum virorum Epicedia, et ipsa aucta et recognita (A.34.), 4. Item Sylvarum libri novem (A.38.). (Farr. post.) 5. Urbis Norinbergae descriptio (A.35.), 6. Expeditio et victoria in Suevis principis Heßi etc. (⫽ ‘De victoria Wirtembergensi [...] gratulatoria acclamatio’; A.37.), 7. Coluthus de raptu Helenae et iudicio Paridis (B.4.), 8. Loci Homerici insigniores versi (B.3.), 9. Praecepta salubria carmine elegiaco scripta (⫽ ‘Bonae valetudinis conservandae rationes’; A.24.), 10. Elegiarum libellus (⫽ ‘Elegiae tres’ [A.26.] u. ‘Helii Eobani Hessi in Martinum Lutherum elegiarum libellus’ [A.18.]). Drucke. Operum | Helii Eoba|ni Hessi farragines duae, nu|per ab eodem qua fieri potuit diligentia contractae, et | in hanc, quam vides formam coactae, quibus | etiam non parum multa accesserunt | nunc primum et nata et | aedita […]. Schwäbisch Hall: [Peter Braubach], 1539. VD 16, E 1437. Zwei weitere Drucke: Frankfurt a. M. 1549 u. 1564. VD 16, E 1438 u. 1439.
42. ‘Epithalamion in nuptiis Iusti Studaei’. Das 250 Verse umfassende Epithalamion ist anläßlich der Heirat des Justus Studaeus, Rechtsdozenten an der Marburger Universität, entstanden (vgl. auch B. 7.). In dem Gedicht läßt H. auch Hymenaeus, Venus, Pallas und Merkur in unterschiedlichen Versmaßen zu Wort kommen. Es schließt mit einem Wechselgesang von puellae und iuvenes. Druck. Epitha | lamion, seu ludus | gratulatorius in nuptiis et | receptione insigniorum doc-
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Hessus, Helius Eobanus
tora|tus iurium, humanissimi, & | eruditissimi viri D. Iu-|sti Studaei, per | H. Eobanum Hessum. Frankfurt a. M.: Chr. Egenolff d. A., 1539.
B . L at . Ü be rs et zu ng en un d P ar ap hr as en . In H.’ letztem Lebensjahrzehnt traten eigene Schöpfungen hinter ein umfängliches Übersetzungswerk zurück. Es handelt sich dabei durchweg um metrische Bearbeitungen. Diese zielen weniger auf die getreue Wiedergabe des Wortlauts als auf die poetische Qualität der lat. Versionen selbst, die durch ihre Reize den Zugang zu den Originalen ebnen sollten. Während H. aus eigenem Antrieb mit großem Elan an der Übertragung des Theokrit und der ‘Ilias’ arbeitete, mußten die Wittenberger Theologen ihn immer wieder zum Abschluß des ‘Psalterium universum’ ermuntern, das sich in der Folgezeit als H.’ mit Abstand erfolgreichstes Werk erweisen sollte. Die Wirkung seiner ‘Ilias’ hingegen, der ersten lat. metrischen Übersetzung des gesamten Epos, war nicht annähernd vergleichbar. Vgl. Huber-Rebenich, 2002. 1. Theokrit, ‘Idyllia’. In Nürnberg konnte H. unter Anleitung von Joachim Camerarius seine Griechischkenntnisse verbessern, so daß er nun Theokrit auch im Original zu lesen vermochte. Schon bald plante er eine metrische Übersetzung der ‘Idyllia’, ein Vorhaben, das er mit Camerarius’ Unterstützung 1530 abschließen konnte. Gewidmet ist die Sammlung ⫺zu ihr gehören auch einige Gedichte von Bion und Moschus ⫺ Hieronymus Ebner. Der Sohn des Ratsherrn, Erasmus Ebner, steuerte ein Epigramm bei. Drucke. Theocriti | Syracusani Idyllia tri⫽| ginta sex, latino carmine reddita, | Helio Eobano Hesso interprete [...]. Hagenau: Joh. Setzer, Febr. 1531. VD 16, T 721. Drei weitere Drucke: Basel: Andr. Cratander, 1531. VD 16, T 722*; mit Scholien des Camerarius: Frankfurt a. M. 1545 u. 1553. VD 16, T 719 u. 720.
2. ‘Salomonis Ecclesiastes’. Die Versifizierung in elegischen Distichen ist Kf. Johann Friedrich von Sachsen gewidmet. Von Johannes Campensis lag bereits eine Prosaübersetzung des Predi-
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gers vor, auf die sich H. ebenso stützen konnte wie auf die Übertragung Luthers. Beigaben: Neben dem Titelepigramm (4 Dist.) die Elegien ‘Ad Principem Ioannem Fridericum ducem Saxoniae’ (s. o. A.25.) und ‘Ad Principem Guilielmum ducem Brunsvigensem’ (s. o. A.22.). Drucke. Salomo|nis Ecclesiastes carmine | redditus per Helium Eobanum Hessum, bo⫽|nas literas apud inclytam Norim⫽|bergam profitentem […]. Nürnberg: Joh. Petreius, 1532. VD 16, B 3647. Die weiteren Drucke: ebd. 1533; mit allen Beigaben auch in: Solomo|nis proverbia et Eccle| siastes doctiss. carmi|ne ac paraphrasi reddita, | per D. Alvarum Gomes, et Eoba-|num Hessum […]. Basel: Rob. Winter, 1538. VD 16, B 3591, S. 90⫺157; ohne die beiden Elegien auch in 25 weiteren Drucken (1538⫺1591) des ‘Psalterium universum’ (B.5.b); vgl. VD 16, B 3165*, 3173*, 3174, 3179, 3181*, 3183, 3184*, 3185, 3190, 3192, ZV 1682*, B 3198, ZV 1689, B 3201*, 3205, 3211, ZV 1697*, ZV 1702, B 3218*, 3223, ZV 3894*, B 3239, 3249, 3255*, ZV 23591*.
3. ‘Homericae icones’. Nach der Übertragung der theokritischen ‘Idyllia’ in lat. Verse wandte H. sich der ‘Ilias’ Homers zu. Das Vorhaben ließ sich jedoch nicht in einem Zuge ausführen. Vorab veröffentlichte H. 1533 die Übersetzung einiger der bekanntesten Stellen aus den homerischen Epen (u. a. Schild des Achill, Ehebruch von Ares und Aphrodite, Gärten des Alkinoos, Sirenen, Gürtel der Venus). Dem in Nürnberg lebenden Florentiner Privatier Thomas Lapus gewidmet. Drucke. Homericae | aliquot icones | insigniores, latinis versibus red|ditae per Helium Eobanum | Hessum [...]. Nürnberg: Friedr. Peypus, 1533. VD 16, H 4602; Farr. post. (A.41.), Bl. 55v⫺ 77r.
4. Kolluthos, Theokrit, Moschos u. a. Die metrische Übertragung des von Kardinal Bessarion in Süditalien wiederentdeckten Kleinepos des Kolluthos von Lykopolis (um 500 n. Chr.) über den Raub der Helena (392 vv.) stellte für H. eine weitere Herausforderung dar. Er veröffentlichte die Übersetzung zusammen mit Theokrits ‘Epithalamium Helenes’ und ‘Cupido mellilegus’, dem ‘Amor fugitivus’ des Moschos sowie vier weiteren Hexasti-
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Hessus, Helius Eobanus
chen über den Weingenuß nach griech. Vorlagen (Kratinos und Honestos). Widmungselegie an den Erfurter Arzt und Universitätslehrer Ambrosius Carlau. Drucke. Coluthi Lycopo|litae Thebani vetusti admo⫽|dum poetae. De raptu Helenes ac iudicio | Paridis poema, nunc primum ab | Helio Eobano Hesso latino | carmine redditum. | Epithalamion Helenes ex Theocrito | Moschi Amor fugitivus. | Eodem interprete [...]. Erfurt: Melch. Sachse d. Ä., 1534. VD 16, C 4623. Die Kolluthos-Übertragung auch in Farr. post. (A.41.), Bl. 42v⫺55r (mit Widmungselegie).
5. Psalmenparaphrasen. Ab 1527 arbeitete H. auf Wunsch der Wittenberger Reformatoren an der lat. Übersetzung biblischer Psalmen. Die Übersetzung des gesamten Psalters wurde erst nach zehn Jahren vollendet. a) Ausgewählte frühe Paraphrasen. Erste Beispiele wurden schon 1527 und 1530 gedruckt. 1527 erschienen als Beigabe zu der Schrift ‘In hypocrisim vestitus monastici’ (s. o. A.29.) die Paraphrasen von Ps 1, 133, 128 und 104. 1530 folgten Ps 118 (unter Berücksichtigung der Anmerkungen Luthers), 51, 126, 79, 37, 83, 14, 6, 15, 38, 114, 115 und 116 zusammen mit den vier Psalmen des Drucks von 1527. Die Sammlung ist Lazarus Spengler gewidmet. Beigaben: Titelepigramm, eine erste Fassung der Elegie ‘De fructu lectionis Psalmorum’, ein Brief Luthers (Luther-Br., Bd. 5, S. 201⫺203), ein Brief Melanchthons (Melanchthon-Br., Nr. 808) und zwei Psalmenübertragungen von Jacobus Micyllus (Ps 110 u. 24). Vgl. HuberRebenich, 2001b, S. 293⫺297; Stewing, S. 200. Druck. Psalmus | CXVIII. Ex ipsius M. Lutheri | scholiis, praeterea sedecim alii latino carmine | redditi per Helium Eobanum Hessum. | Eiusdem de fructu lectionis Psalmorum Elegia. | Epistola M. Lutheri. | Epistola Ph. Melanchthonis. | Iacobi Micylli psalmi duo [...]. [Nürnberg: Joh. Petreius], 1530. VD 16, B 3424.
b) ‘Psalterium universum’. Die vollständige Psalterübertragung erschien 1537 im Druck. Sie ist Philipp von Hessen gewidmet. H. gab ihr ein Titelepigramm an den Leser und eine geänderte
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Fassung seiner Elegie ‘De fructu et utilitate lectionis Psalmorum’ (s. o. a) bei. 1538 kam eine um Argumenta erweiterte Fassung heraus, die unter Verzicht auf das Titelepigramm Empfehlungsbriefe von Luther, Melanchthon, Justus Jonas und Spalatin enthält. Wahrscheinlich im selben Jahr erschien eine weitere Ausgabe, in der erstmals auch der ‘Ecclesiastes Salomonis’ angehängt war. Schon ein Jahr später kommentierte Veit Dietrich das ‘Psalterium’ Eobans, gab es ohne den ‘Ecclesiastes’, aber mit sämtlichen Beigaben der Erstfassung von 1537 in Straßburg heraus und widmete es dem Nürnberger Patriziersohn Paul Pfinzing. In dieser Form ⫺ in der Folge meistens in Verbindung mit dem ‘Ecclesiastes’ ⫺ liegt die Psalmenübertragung Eobans in zahlreichen Auflagen vor. Druck. Psalte⫽|rium universum carmine | elegiaco redditum at-|que explicatum ac | nuper in schola | Marpurgensi | aeditum | per Helium Eobanum Hessum, | publicum eius Academiae | professorem [...]. Marburg: Euch. Cervicornus, 1537. VD 16, B 3162. Ein weiterer Druck: Zürich: Christoph Froschauer d. Ä., [um 1538]. VD 16, B 3167*. Überarbeitete Ausgabe: Psalteri⫽|um universum iterum ab au|tore magna diligentia recognitum | atque emendatum cum praefationi-|bus ac testimoniis doctissimorum | hominum, multo quam ante ca|stigatius aeditum. | Adiectis in singulos psalmos singulis | argumentis versu elegiaco. | Autore Helio Eobano | Hesso. Schwäbisch Hall: P. Braubach, 1538. VD 16, B 3166. Weitere Ausgabe: Psalte⫽|rium universum, | iam tertium ab authore | summa diligentia recognitum atque | prorsus emendatum. | Cui accessit praeter argumenta nuper adiecta | Ecclesiastes | Solomonis eodem genere carminis | nempe elegiaco redditus. | Authore Helio Eobano | Hesso. Marburg: Chr. Egenolff d. Ä., 1538. VD 16, B 3165*. Mit Anmerkungen Veit Dietrichs: Psalte|rium Davidis car|mine redditum per Eo⫽|banum Hessum. | Cum annotationibus, Viti | Theodori Noribergensi quae Com⫽|mentarii vice esse | possunt. Straßburg: Kraft Müller, 1539. VD 16, B 3169. Mindestens 28 weitere Ausgaben bis 1591: vgl. VD 16, B 3173*, 3174, 3179, 3181*, 3183, 3184*, 3185, ZV 1673 (in ‘Partes’ gegliedert; ohne die Briefe von Luther, Jonas und Spalatin), B 3190⫺3192, 3196*, ZV 1682*, B 3198, ZV 1689, B 3201*, 3205, 3211, ZV 1697*, 1702, B 3218*, 3220*, 3223, ZV 3894*, B 3239, 3249, 3255* u. ZV 23591*.
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Hessus, Helius Eobanus
6. ‘Ludus Podagrae’. Der an Podagra leidende Erfurter Kartäuserprior Jodocus Hessus hatte ein dt. Gedicht auf seine Krankheit verfaßt. Er bat seinen Freund H. 1534, dieses ins Lateinische zu übertragen. H. entsprach dem Wunsch. Das als Gerichtsverhandlung konzipierte Gedicht gliedert sich in vier Teile: eine lange Verteidigungsrede der Podagra vor einem Richter, den Freispruch durch den Richter, ein Gebet der beiden Autoren (‘Ad Podagram’) und schließlich ein Gebet des Chors der Gichtkranken, die Göttin Podagra möge Nachsicht walten lassen. Der ‘Ludus’ wurde wie seine dt. Vorlage (VD 16, H 2740) erst 1537 gedruckt. Widmungsbrief an Jodocus Hessus, in dem sich H. zu seiner Übersetzung äußert, und drei weitere Distichen an den Freund. Druck. Podagrae ludus. Mainz: Ivo Schöffer, 1537. VD 16, H 2741. Gegen die Existenz der von Panzer, Ann. IX, 460, 67, angeführten Ausgabe von 1534 vgl. Krause, 1879, Bd. 2, S. 161.
7. ‘Epithalamion in nuptiis Studaei’. Übersetzung des von Johannes Lonicer d. Ä. anläßlich der Heirat des Marburger Lehrers der Rechte Justus Studaeus verfaßten Hochzeitsgedichtes aus dem Griechischen ins Lateinische (15 Dist.; vgl. auch A.42.). Druck in: Librorum | Aristotelis | De | Physica auscultatione, | generatione & corruptione, | longitudine & brevitate vitae, | Vita & morte animalium, | anima, | compendium, per Ioan⫽ | nem | Lonicerum [...]. Marburg: Chr. Egenolff d. Ä., 1540. VD 16, L 2444.
8. Homer, ‘Ilias’. 1539 konnte H. die langjährige Arbeit an der Übertragung der homerischen ‘Ilias’ in lat. Verse abschließen. Der Druck verzögerte sich jedoch bis Ende 1540, so daß H. ihn nicht mehr erlebte. Die ‘Ilias’ ist Caspar Schet gewidmet, einem jungen Kaufmann aus Antwerpen. Dieser bedankte sich mit einer langen Elegie, die am Ende der Ausgabe abgedruckt ist. Druck. Poetarum | omnium seculorum | longe principis | Homeri Ilias, | hoc est, de rebus ad | Troiam gestis descriptio, iam | recens latino carmine | reddita, | Helio Eobano Hesso | inter-
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prete. | [...]. Basel: Rob. Winter, 1540. VD 16, H 4665. Titelepigramm von Jakob Micyllus. Weitere Drucke: Paris: Bogard, 1543 (enthält Buch 1⫺3; ohne Schets Elegie) u. 1545; Basel 1549. VD 16, H 4669; Paris 1550. Einzelne Bücher auch in: Belli Troiani | scriptores praecipui, | Dictys Cretensis, Dares | Phrygius et Homerus, | Omnes iampridem latio iure donati [...]. Basel 1573. VD 16, D 1410.
C . B ri ef we ch se l. Seit seiner ersten Zeit in Erfurt hat H. bis zum Ende seines Lebens einen regen Briefwechsel mit Freunden, Gönnern und anderen einflußreichen Personen gepflegt, nicht zuletzt mit den Wittenberger Reformatoren. Die Korrespondenz enthält viel Persönliches aus seinem Umfeld. Gegenstand sind ebenso familiäre Angelegenheiten und Verabredungen mit Freunden, die Aufschluß über das gesellige Leben innerhalb des Humanistenzirkels geben, wie Beziehungen zu (potentiellen) Förderern und Dienstherren. Des weiteren tauschte man sich über literarische Fragen aus, über die Beschaffung von Büchern, eigene Arbeiten oder die Werke anderer ⫺ klassischer oder zeitgenössischer ⫺ Autoren. Jedoch nahm H. in seinen Briefen auch zu aktuellen politischen, religiösen und sozialen Fragen Stellung; seine Urteile sind freilich in der Regel eher emotional geprägt denn als kohärente programmatische Äußerungen zu verstehen. Insgesamt gibt sich H. in seinem Briefwechsel als gutmütige Persönlichkeit ohne scharfe Kanten zu erkennen. Ein aggressiver Ton wird allenfalls laut, wenn H. seine Dichtkunst nicht angemessen gewürdigt sieht, oder im Konflikt mit radikalen Gegnern der klassischen Bildung. Mit fortschreitendem Alter nimmt in den persönlichen Äußerungen die Klage über finanzielle Nöte und gesundheitliche Probleme immer mehr Raum ein. Mag H.’ Briefen auch die intellektuelle Tiefe und Kohärenz etwa der Korrespondenz eines Melanchthon abgehen, so stellen sie doch eine wertvolle zeithistorische Quelle dar und geben durch die oft sehr spontan wirkenden Äußerungen Einblick in das Alltagsleben eines humanistischen Dichters. Nach H.’ Tod begannen seine Freunde Johannes Drach (1.) und Joachim Camera-
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Hessus, Helius Eobanus
rius (2.⫺5.), die Briefe in Sammlungen herauszugeben, nicht ohne dabei editorische Eingriffe vorzunehmen; vgl. HuberRebenich, 2001a. Drucke. 1. Helii Eobani | Hessi, poetae excellentissimi et | amicorum ipsius epistolarum familiarium libri XII. [...]. Hg. v. Joh. Drach. Marburg 1543. VD 16, E 1493. 2. Joachim Camerarius d. Ä., Narratio | de H. Eobano | Hesso [...] Epistolae Eo⫽|bani Hessi ad Came⫽|rarium et alios quosdam [...] Cum quibusdam Camerarii et | aliorum scriptis [...]. Nürnberg 1553. VD 16, C 480. 3. Libellus | alter, epistolas | complectens Eobani | et aliorum quorundam | doctissimorum virorum, | necnon versus varii | generis atque ar⫽| gumenti [...]. Hg. v. Joachim Camerarius. Leipzig 1557. VD 16, C 409. 4. Tertius libellus | epistolarum H. | Eobani Hessi et | aliorum quorundam viro⫽|rum [...] Editus autore Ioachimo | Camerario Pabeperg具ense典. Leipzig 1561. VD 16, C 410. 5. Libellus novus, | epistolas | et alia quaedam | monumenta doctorum | superioris et huius aetatis complectens. [...] Editus | studio | Joachimi Camerarii [...]. Leipzig 1568. VD 16, C 411. Teilausgaben. B. F. Hummel, Celebrium virorum cum Norimbergensium tum aliorum quoque epistolae ineditae LX, Nürnberg 1777, S. 55⫺ 72; E. Weber, Virorum clarorum saeculi XVI et XVII epistolae selectae e codicibus manuscriptis Gottingensibus, 1894, S. 19⫺25. D. Ausgaben. 1. palladii de insitione carmen paraineses [!]. Due˛ de | famuli legibus | prognvsiw in Venetos | Epitaphium Elpidis. | Georgii Typherni De. B. Virgine carmen | Eiusdem de humane˛ vite˛ Miseria [...]. [Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1509]. VD 16, ZV 12141. Die Sammlung von Texten verschiedener Autoren hat H. wahrscheinlich zusammen mit dem aus Würzburg stammenden Johannes Möller als Vorlesungsdruck für den Universitätsbetrieb herausgegeben. Dem ‘Carmen de insitione’ des Palladius Rutilius Taurus folgt die ‘Paraenesis de legibus famuli’ des Gregorius Tifernas sowie eine Umdichtung dieses Textes durch H.’ (‘Protrepticus [...] famulorum’), die Möller gewidmet ist. Dieser hat dem Druck ein Titelepigramm in vier Versen beigegeben. Die Verse ‘Pro¬gnvsiw in Venetos’ sind einem Gedicht des Zaccaria Ferreri entnommen. Hinter dem ‘Epitaphium Elpidis’ schließlich verbirgt sich ein anonym überlieferter, seit dem SpätMA Boethius zugeschriebener Text. Den Abschluß bilden wiederum zwei Gedichte des Grego-
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rius Tifernas. Vgl. Leonhardt, 2002, S. 96 f.; Mˆncke, S. 147⫺150. 2. Johannes Antonius Campanus, [...] de miseria poetarum | sapphicum | Eiusdem de sacerdotio contra poetas | prophanos pulcherrimum | elegiacum | M. Valerii Martialis epigrammata | duo de contemptu poetarum | et quaedam alia lectu | digna ad eandem | rem fa|cien|tia […]. [Erfurt: Hans Knappe d. Ä.], 1515. VD 16, ZV 24775. Die unter dem Motto der Miseria poetarum stehende, im Vorlesungsformat gedruckte Sammlung enthält Texte von antiken und humanistischen Dichtern (Campanus, Martial, Bernardinus [Cyllenius] Veronensis und Ovid). H. fügte am Ende ein an den Leser gerichtetes Lobgedicht auf die Dichtkunst (6 Dist.) hinzu. Gewidmet ist die Ausgabe Euricius Cordus. Im Titelepigramm spottet Momus, die personifizierte Tadelsucht, über die armen Poeten. Vgl. Mˆncke, S. 150⫺152. 3. Ioannis Langi Er⫽|phurdiensis | epistola ad excellentissimum D. Mar⫽|tinum Margaritanum, Erphur⫽|diensis Gymnasii rectorem | pro literis sacris et | seipso. Erfurt: Matthes Maler, 1521. VD 16, L 309. Am 13. Mai 1521 wandte sich der Erfurter Reformator Lang in einem Brief an den altgläubigen Rektor der Universität, Martin von der Marthen, in welchem er seine Position verteidigte und um Unterstützung gegen seine Gegner bat. H. veröffentlichte dieses Schreiben zusammen mit einem eigenen Vorwort, mit dem er sich auf die Seite Langs stellte. 4. In P. Vir|gilii Maronis Buco|lica ac Georgica | adnotationes, ac loci omnes ma⫽|xime Theocriti, tum etiam | Hesiodi quidam, quibus | usus est Virgilius, lati|ne redditi per H. | Eobanum | Hessum. | E schola Norica. Hagenau: Joh. Setzer, 1529. VD 16, V 1472. H. gab die ‘Bucolica’ und ‘Georgica’ in Verbindung mit eigenen Anmerkungen (überwiegend Parallelstellen aus anderen Autoren) 1529 im Zuge seiner Lehrtätigkeit am Nürnberger Egidiengymnasium für den Schulgebrauch heraus. Er versah die ‘Bucolica’ und ‘Georgica’ mit je einer Praefatio und widmete die Ausgabe Abt Friedrich von St. Egidien. Weitere Drucke: ‘Bucolica’ mit Kommentar Leonard Kulmanns (mit Dedicatio und Praefatio): In P. Vir-|gilii Maronis | Bucolica. | Annotationes H. Eobani | Hessi. | Scholia item Leonardi Kul-| manni [...]. Köln: Joh. Gymnich I., 1535. VD 16, V 1476 (fälschlich mit Praefatio zu den ‘Georgica’). Weitere Drucke in Köln und Straßburg (zwischen 1537 u. 1563): VD 16, V 1480, 1484*, 1488*, 1498*, 1499*, 1500*, 1503*, 1504, 1505*. ⫺ ‘Bucolica’ mit Kommentar des Camerarius (ohne Dedicatio): In P. Ver|gilii Maronis | Bucolica. | Ioachimi Camerarii Pa⫽|bepergensis, post omnes omnium aliorum non | contemnenda explicatio. | H. Eobani Hessi | indicationes et interpre⫽|tatio-
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nes locorum | Theocriti. | Ioannis Sturmii | in priores tres eclogas com- | mentariolus […]. Straßburg [um 1555]. Ein weiterer Druck ebd. 1556. VD 16, ZV 15231*. ⫺ ‘Georgica’ (mit Praefatio): Köln: Joh. Gymnich I., 1536. VD 16, V 1551. Weitere Drucke in Köln und Basel (1540-um 1555): VD 16, V 1553, 1554 (den Scholia Melanchthons angehängt), 1555*, 1556. 5. De arte versificandi | carmen heroicum per Hulderichum | Huttenum. [...] Exegoria in ebrietatem | per Eobanum Hessum. Nürnberg: Joh. Petreius, 1531. VD 16, H 6288. Zwei weitere Drucke ebd. 1542 u. 1547. VD 16, H 6291* u. 6292. H. verfaßte nicht nur eigene Lehrbücher (s. o. A.27.), sondern gab auch die anderer Autoren heraus. Dem Dichter lagen dabei poetologische Schriften besonders am Herzen. Der Verslehre Huttens fügte er dessen ‘Nemo’ einschließlich eines Epigramms des C. M. R. (Mutians?) ‘Ad Crotum Rubianum de Nemine Hutteniano’ bei sowie seine beiden Gedichte ‘De ebrietate’ und ‘In ebrietatem exegoria’ (A.13.). 6. Marci | Hieronymi Vidae Cremo⫽|nensis poetae clarissimi | De arte poetica libri III. nu⫽| per in usum studiosorum in | lucem aediti [...]. Nürnberg: Friedr. Peypus, 1531. VD 16, V 993. Ebenfalls zum Schulgebrauch gab H. 1531 die Poetik Vidas heraus, die, bereits vor 1516 entstanden, erstmals 1527 im Druck erschienen war. H. stellte der Ausgabe ein Titelepigramm voran, das er auch in die Farr. prior (A.41.), Bl. 330r⫺v, aufnahm. E. Kleine Beiträge. Neben den Ausgaben liegt eine beträchtliche Anzahl von Drucken vor, zu denen H. nur ein empfehlendes Gedicht oder kurze Geleitworte beigesteuert hat; oder aber er hat einen Beitrag zu einer Textsammlung geleistet, an der mehrere Autoren beteiligt waren. Nach H.’ Tod erschienene Werke anderer Autoren, denen die jeweiligen Hgg. Texte H.’ beigefügt haben, sind in der folgenden Liste nicht berücksichtigt: 1. Bartholomäus J Arnoldi, Compendium Naturalis philosophiae [...]. Erfurt: Wolfg. Schenck, [um 1507]. VD 16, A 3692. ¿ 2. Thomae Vuolphii Iunioris in psalmum tercium et trigesimum expositio […]. Hg. v. Georg Spalatin. Erfurt: [Wolfg. Stürmer], 1507. VD 16, W 4280. ⫺ 3. Hermann J Trebelius, […] Epigrammaton et carminum liber primus […]. [Frankfurt (O.): Joh. Hanau d. Ä.], 1509. VD 16, T 1846. ¿ 4. Ausonii aenigma […] Eobani Hessi ad Mutianum Rufum aelegia […]. [Erfurt: Hans Knappe d. Ä., um 1511]. VD 16, A 4386 (Ausg. d. Elegie H.’ bei Vredeveld, 1992). ¿ 5. In hoc opusculo hec continentur. Hermanni Buschii spicilegium […]. [Magdeburg: Jak. Winter?], 1512. VD 16, B 9950. ¿ 6. Confutatio: apologetici cuiusdam sacre scripture falso inscripti
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[…] a […] Hieronymo Dungerßheym […]. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1514. VD 16, D 2947. ¿ 7. Jodocus J Trutfetter, Summa in totam physicen: hoc est philosophiam naturalem [...] per D. Iudocum Isennachcensem […]. Erfurt: Matthes Maler, 1514. VD 16, T 2130. ¿ 8. Ricii Cordi nocturnae periclitationis Hessiaticorum fontium nimphis sacrum expiatorium poema […]. [Erfurt: Hans Knappe d. Ä., 1515]. VD 16, C 5090. ¿ 9. Hoc in libello subscripta continentur. Forma recte penitendi et confitendi ex omni ferme vitiorum genere: adiecta […]. Erfurt: Matthes Maler, 1515. VD 16, T 640. ¿ 10. Quae in hoc libello nova habentur epistola Italiae ad divum Maximilianum Caesarem […] Ulricho Hutteno […] autore. Responsio Maximiliani […] Helio Eobano Hesso autore […]. Erfurt: Matthes Maler, 1516. VD 16, H 6257. ¿ 11. Jodocus J Textoris, Institutiones succincte in rite faciendam ex vera penitentia confessionem sacramentalem et pro mortiferis criminibus perfectam […]. Erfurt: Matthes Maler, 1516. VD 16, ZV 14902. (weiterer Druck: Erfurt: H. Knappe d. Ä., 1517. VD 16, T 641). ¿ 12. Oratio habita Erphurdie pro Iurisconsultorum ornatissimo collegio in solennibus sacris divi tutelaris Iuonis per Judocum textoris […]. [Erfurt: H. Knappe d. Ä.], 1517. VD 16, T 646. ¿ 13. Trutfetter, Quam Iudocus Eysennacensis […] tocius philosophie naturalis summam nuper elucubravit […]. Erfurt: Matthes Maler, 1517. VD 16, T 2128 (weiterer Druck: Erfurt: H. Knappe d. Ä., 1518. VD 16, T 2129). ¿ 14. Filippo Beroaldo d. Ä., De die dominicae passionis carmen. Helii Eobani Hessi de passione ac morte dominica carmen. [Leipzig]: Jak. Thanner, 1518. VD 16, B 2076. ¿ 15. M. Tullii Ciceronis oratio [...] pro M. Marcello […]. Erfurt: Matthes Maler, [um 1518]. VD 16, ZV 3408. ¿ 16. Jodocus J Textoris, Christiani poenitentis confessio latina, ex decem solum preceptis, contractis illuc omnibus ferme peccandi generibus, per Iudocum Vuindshemium […]. Erfurt: Matthes Maler, [1518]. VD 16, T 638 (weiterer Druck: Basel: Adam Petri, 1520. VD 16, T 639). ¿ 17. Hoc in volumine haec continentur. Ulrichus de Hutten […] Eodem autore ad Maximilianum Caesarem epistola Italiae. Autore Helio Eobano Hesso Maximiliani ad Italiam responsoria […]. [Augsburg]: Joh. Miller, 1519. VD 16, H 6243. ¿ 18. Praefatio in Epistolas Divi Pauli Apostoli ad Corinthios [...] habita ab [...] Iodoco Iona [...] addita est [...] Eobani Hessi praefaciuncula in Enchiridion Christiani militis [...]. Erfurt: [Matthes Maler], 1520. VD 16, J 892. ¿ 19. Heinrich Schreiber (Grammateus), [...] Algorismus de integris Regula de tri cum exemplis […]. Erfurt: H. Knappe d. Ä., 1523. VD 16, S 4139. ¿ 20. Andreae Althameri Brenzii scholia in Cornelium Tacitum […] De situ, moribus, populisque Germaniae […]. Nürnberg: Friedr. Peypus, 1529. VD 16, ZV 14838.
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Hessus, Helius Eobanus
¿ 21. Arminius dialogus Huttenicus, quo homo patriae amantissimus, Germanorum laudem celebravit. Hagenau: Joh. Setzer, 1529. VD 16, H 6280. Zwei weitere Drucke: Wittenberg: Josef Klug, 1538. VD 16, H 6281 u. 6282. ¿ 22. ÅAristo›a¬noyw […] Ploy˜ tow . Aristophanis […] Plutus, hg. v. Thomas Venatorius. Nürnberg: Joh. Petreius, 1531. VD 16, A 3278. ¿ 23. Joachim Camerarius, Astrologica […]. Nürnberg: Joh. Petreius, 1532. VD 16, ZV 2840. ¿ 24. Alberti Dureri […] de Symmetria partium in rectis formis humanorum corporum libri in latinum conversi […]. Übers. v. Joachim Camerarius. Nürnberg: [Hier. Andreae], 1532. VD 16, D 2860. ¿ 25. Psalmi omnium selectissimi [...] Latino carmine redditi per doctissimos viros […]. Hagenau: Joh. Setzer Erben, 1532. VD 16, B 3426. ¿ 26. Caesares Germanici descripti a Georgio Sabino […]. Wittenberg: Georg Rhau, 1532. VD 16, ZV 13487. ¿ 27. Clarissimi […] Alberti Dureri de varietate figurarum et flexuris partium ac gestibus imaginum libri duo […]. Nürnberg: Hier. Andreae, 1534. VD 16, D 2861. ¿ 28. Regiomontanus, Problemata XXIX. Saphaeae nobilis instrumenti astronomici, ab Ioanne de Monteregio […] conscripta […]. [Nürnberg: Joh. Petreius], 1534. VD 16, M 6551. ¿ 29. Sofokleoyw tragvdiai epta. Sophoclis tragoediae septem cum commentariis […] authore Ioachimo Camerario […]. Hagenau: Joh. Setzer Erben, 1534. VD 16, S 7032. ¿ 30. Oeconomica Aristotelis a Christophoro Hegendorffino et latina facta, et annotationibus illustrata […]. Hagenau: Peter Braubach, 1535. VD 16, A 3510. ¿ 31. Commentaria Germaniae in P. Cornelii Taciti […] libellum de situ, moribus et populis Germanorum […] Andreae Althameri diligentia [...] elucubrata. Nürnberg: Joh. Petreius, 1536. VD 16, ZV 14839. ¿ 32. Johannes Brenz d. Ä., Libellus casuum quorundam matrimonalium [...]. Basel: Barth. Westheimer, 1536. VD 16, B 7971. ¿ 33. Psalterii Davidis nova et perpetua translatio, per D. Ioannem Bugenhagium […]. [Basel: Barth. Westheimer], 1536. VD 16, B 3157. ¿ 34. Reinhard Lorichius, De lamentabili, quo florentissima iampridem urbs Vilmaria deflagravit, incendio, hecatostichon Reinhardi Hadamarii. Eiusdem epigrammata […]. Frankfurt: Chr. Egenolff d. Ä., 1536. VD 16, L 2582. ¿ 35. Colloquiorum theologicorum libri duo […] iam primum aediti, per M. Antonium Corvinum […]. Straßburg: Wolfg. Köpfel, 1537. VD 16, C 5332 (weitere Drucke: ebd. 1538 u. 1539. VD 16, C 5333 u. 5334). ¿ 36. Expositio decalogi, symboli apostolici, sacramentorum, et dominicae precationis, […] in dialogos redacta. Autore Antonio Corvino […]. Marburg: Euch. Cervicornus, 1537. VD 16, C 5338 (weitere Drucke: VD 16, ZV 3919, C 5339, 5340 u. 5341). ¿ 37. Annulorum trium diversi generis instrumentorum astronomicorum
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componendi ratio atque usus […] per Ioannem Dryandrum […]. Marburg: Cervicornus, 1537. VD 16, E 674. ¿ 38. De iuris prudentia amplectenda oratio Iustini Gobleri […]. Marburg: Cervicornus, 1537. VD 16, G 2305. ¿ 39. Breves expositiones epistolarum dominicalium totius anni a […] Antonio Corvino […] conscriptae […]. Magdeburg: Mich. Lotter, 1538. VD 16, C 5376 (Der bislang H. zugewiesene Beitrag ‘Ad lectorem’ stammt wahrscheinlich nicht von diesem, sondern von Jakob Mycillus, so Vredeveld auf der Grundlage des in Vorbereitung befindlichen Bd. 3 der Gesamtausgabe ‘King of Poets: 1515-1517’). ¿ 40. Ulrichi Hutteni […] opera poetica, ex diversis illius monumentis in unum collecta […], [Straßburg: Kraft Müller], 1538. VD 16, H 6395. ¿ 41. Georgii Sabini […] poemata […]. Straßburg: Kraft Müller, 1538. VD 16, S 132. ¿ 42. Grammatices Latinae elementa, Philippo Melanchthone authore. Item Syntaxis per eundem noviter recognita et aucta. Nürnberg: Joh. Petreius, 1539. VD 16, M 3360 (zahlreiche weitere Drucke: VD 16, M 3362, 3363, 3498, 4246⫺4248, ZV 10666, M 4249, 4251 u. 4253). ¿ 43. De tribus monstris ecclesiam vastantibus poema Ioannis Pollii […]. Carmina Ioannis Pollii […]. Marburg: Chr. Egenolff d. Ä., 1539. VD 16, P 4027. ¿ 44. Novum Dictionarii genus [...] ex variis authoribus collectum per Erasmum Alberum [...]. Frankfurt a. M.: Chr. Egenolff d. Ä., 1540. VD 16, A 1514. ¿ 45. Postilla Anthonii Corvini, in epistolas et evangelia […] per ipsum autorem denuo recognita et locupletata […]. Straßburg: Wolfg. Köpfel, 1540. VD 16, C 5358 (ein weiterer Druck: ebd. 1540. VD 16, ZV 3921). ¿ 46. M. Antonii Flaminii [...] in Psalmos aliquot Paraphrasis [...]. Basel: Rob. Winter, 1540. VD 16, B 3170. ¿ 47. Ioannis Pollii […] opuscula […]. Zürich: Chr. Froschauer d. Ä., [um 1540]. VD 16, P 4028.
I II . Wir ku ng . H. ist einer der produktivsten und vielseitigsten Vertreter der neulat. Poesie in Deutschland. Obwohl nie mit dem Lorbeer bekränzt, galt er aufgrund seines brillanten Stils und seiner Beherrschung der klassischen Formen vielen Zeitgenossen als rex poetarum. Dieser Titel geht auf Reuchlin zurück, der das junge Talent halb im Scherz in Anspielung auf seinen Namen zum e«ssh¬n (griech. für ‘König’) krönte (vgl. Brief Reuchlins vom 26. Okt. 1514, Reuchlin-Br., Bd. 3, Nr. 252). Auch andere namhafte Humanisten verliehen H. gelehrte Beinamen: Mutian pries ihn als Pindarus neotericus (Mutian-Br., Nr. 45),
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Hessus, Helius Eobanus
Erasmus ⫺ in Reaktion auf die ‘Heroides’ ⫺ als Christianus Ovidius (Op. epist., Bd. 3, Nr. 874), Justus Jonas im Zusammenhang mit der Psalterparaphrase als Hessicus David (Beigabe zum ‘Psalterium universum’, s. o. II. B.5.b; Der Briefwechsel d. J. Jonas, hg. v. G. Kawerau, Bd. 1, 1884, Nr. 351), und Hutten nannte ihn den größten lebenden Dichter Deutschlands (‘Ad poetas Germanos’, vv. 81⫺86, in: Hutten, Opera, Bd. 3, S. 69). In der Tat gebührt H. das Verdienst, gleich mehrere literarische Gattungen in Deutschland heimisch gemacht zu haben, so den Zyklus allegorischer Hirtengedichte und den christlichen Heldinnenbrief. Als erster neuzeitlicher Dichter lieferte er eine Versübersetzung der gesamten homerischen ‘Ilias’. Im 16. Jh. fand jedoch keines seiner Werke so große Resonanz wie das ‘Psalterium universum’, das in den Augen der protestantischen Humanisten die perfekte Synthese von Eruditio und Pietas darstellte und sich daher ideal in das von ihnen propagierte Bildungskonzept einfügte. Durch den engen Kontakt zu Melanchthon und seinem Kreis wirkte H. mit seiner literarischen Produktion geradezu als dessen Sprachrohr (vgl. Rhein; Rener, 1999; Huber-Rebenich, 2001b). Eigenständige gedankliche Konzeptionen waren insgesamt weniger H.’ Sache als die poetische Form. Auch als Haupt des jüngeren Erfurter Humanistenkreises gab er keine konzeptionellen Impulse, sondern vielmehr Anregungen zu literarisch-philologischem Schaffen. Aus seiner Feder flossen in diesem Kontext zahlreiche Gelegenheitsgedichte, die das Klima und den Alltag der humanistischen Sodalitas anschaulich widerspiegeln. Welch hohe Wertschätzung H. bei seinen Freunden und Schülern genoß, wird aus der Vielzahl der Epitaphien ersichtlich, die nach seinem Tod erschienen sind (vgl. Epitaphia | aliquot epigrammata in | mortem clarissimi poetae Helii Eobani | Hessi […]. Marburg 1540. VD 16, E 1738). Jacobus Micyllus, der bei H. in Erfurt studiert hatte, verfaßte ein langes Epicedion, das zuerst 1542 in Wittenberg gedruckt wurde (VD 16, M 6106) und das Johannes Drach 1543 seiner Sammlung von H.-Briefen vor-
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anstellte (s. o. II. C.1.). Weitere Briefausgaben veranstaltete H.’ enger Freund Camerarius (II. C.2.⫺5.), der mit seiner ‘Narratio’ von 1553 (II. C.2.; hg. v. Burkard/ K¸hlmann, 2003, u. Vredeveld, Ausg., 2004, S. [1]⫺91) auch die erste H.-Biographie lieferte. Der Dichter Christophorus Aulaeus schließlich veröffentlichte 1551 Sentenzen aus H.’ Werken (vgl. Helii Eo-| bani Hessi, Poetae | Germani, Operum Flores ac senten-|tiae insigniores, commodo studiosorum selecti [...]. Frankfurt a. M. 1551. VD 16, E 1440; erneut ebd. 1560. VD 16, ZV 5072). Als Nicodemus Frischlin in seinem ‘Julius redivivus’ von 1585 auf die kulturellen Errungenschaften der jüngeren deutschen Vergangenheit zurückblickte, machte er H. zu seiner Leitfigur. Literatur. Zu I. und Gesamtdarstellungen: K. F. Lossius, H. Eoban Hesse u. seine Zeitgenossen, Gotha 1797; W. Lauze, Von d. erleuchten u. hoch begabten Poeten Helii Eobani Hessi Leben u. absterben, Zs. d. Ver. f. hess. Gesch. u. Landeskunde, 2. Suppl., Bd. 1 (1841) 426⫺441; F. W. Kampschulte, Die Univ. Erfurt in ihrem Verhältnisse zu d. Humanismus u. d. Reformation, 2 Teile, 1858⫺ 60 (ND 1970); M. Hertz, H. Eoban Hesse. Ein Lehrer- u. Dichterleben aus d. Reformationszeit, 1860; G. Schwertzell, H. E. H., ein Lebensbild aus d. Reformationszeit, 1874; C. Krause, H. E. H. Sein Leben u. seine Werke. Ein Beitrag z. Cultur- u. Gelehrtengesch. d. 16. Jh.s, 2 Bde., 1879 (ND 1963); H. Entner, H. E. H. u. d. lutherische Reformation in Erfurt 1521⫺1525, in: M. Steinmetz / G. Brendler (Hgg.), Weltwirkung d. Reformation, Bd. 2, 1969, S. 472⫺484; H. R. Abe, Die Erfurter medizin. Fakultät in d. Jahren 1392⫺ 1524, Beitr. z. Gesch. d. Univ. Erfurt (1392⫺1816) 17 (1973/74) 1⫺259; R. W. Scribner, The Erasmians and the Beginning of the Reformation in Erfurt, Journal of Religious History 9 (1976) 3⫺31; Kleineidam, Erfurt 2II, Reg.; E. Kleineidam, Universitas studii Erffordensis, Bd. 3, 21983, Reg.; W. Trillitzsch, Humanismus u. Reformation: Der Erfurter Humanist u. “Dichterkönig” H. E. H., Wissenschaftl. Zs. d. Fr.-Schiller-Univ. Jena, Gesellschaftswissenschaftl. Reihe 33/3 (1984) 343⫺ 357; H. Vredeveld, in: Killy, Lit.lex. 5, 1990, S. 282⫺285; I. Gr‰sser-Eberbach, H. E. H., Der Poet d. Erfurter Humanistenkreises, 1993; R. Ch. Schwinges / K. Wriedt (Hgg.), Die Bakkalarenreg. d. Artistenfakultät d. Univ. Erfurt 1392⫺1521, 1995, S. 285; H. Vredeveld, in: J. Hardin / M. Reinhart (Hgg.), German Writers of the Renais-
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Hessus, Helius Eobanus
sance and Reformation 1280[!]⫺1580 (Dictionary of Literary Biography 179), Detroit u. a. 1997, S. 97⫺110; D. Stievermann, Marschalk (ca. 1470⫺ 1525), Spalatin (1484⫺1545), Mutian (ca. 1470⫺ 1526), H. (1488⫺1540) u. d. Erfurter Humanisten, in: D. von der Pfordten (Hg.), Große Denker Erfurts u. d. Erfurter Univ., 2002, S. 118⫺142. Zu II.: C. Krause, Eine neu aufgefundene Schrift d. E. H., ZfB 11 (1894) 163⫺169; Ellinger, Neulat. Lit., Bd. 2, S. 3⫺23; O. Clemen, Bibliographisches zu H. E. H. u. Biblio-Biographisches z. Verfasser d. “Katzipori”, Arch. f. Schreibu. Buchwesen 3 (1929/30) 7⫺10; H. Steiger, E. Hesse u. Albrecht Dürer, Bayer. Bll. f. d. Gymnasial-Schulwesen 66 (1930) 72⫺81; K. Romeick, E. H. über d. Zustände in Erfurt i. J. 1525, Aus d. Vergangenheit d. Stadt Erfurt 1/4 (1955) 82⫺92; W. L. Grant, Neo-Latin Literature and the Pastoral, Chapel Hill 1965, S. 164⫺169; H. Dˆrrie, Der heroische Brief. Bestandsaufnahme, Gesch., Kritik einer humanistisch-barocken Lit.gattung, 1968, bes. S. 368⫺374; M. v. Hase, Bibliographie d. Erfurter Drucke v. 1501⫺1550, Nieuwkoop 3 1968; W. Schmid, Antike Motive im Epicedion d. E. H. auf d. Tod Dürers, in: R. B. Palmer / R. Hamerton-Kelly (Hgg.), Philomathes. Studies and Essays in the Humanities in Memory of Philip Merlan, Den Haag 1971, S. 508⫺521; H. Vredeveld, Der heroische Brief ‘Maria Magdalena Iesu Christo’ aus d. ‘Heroidum Libri Tres’ d. H. E. H. (1488⫺1540), Daphnis 6 (1977) 65⫺90; E. Sch‰fer, Bukolik u. Bauernkrieg, in: F. Baron (Hg.), Joachim Camerarius (1500⫺1574), 1978, S. 121⫺ 151; H. Vredeveld, Mal. Legende in ovidischer Form. Wege d. Worte in d. Heroidum Christianarum Epistolae d. H. E. H., am Beispiel d. Briefes “Maria Aegyptia Zozimae”, in: D. C. Riechel (Hg.), Wege d. Worte. Fs. W. Fleischhauer z. 65. Geburtstag, 1978, 237⫺262; E. Sch‰fer, Der dt. Bauernkrieg in d. neulat. Lit., Daphnis 9 (1980) 1⫺31; Wiegand, Hodoeporica, S. 58⫺63 u. 495 f.; J.-D. M¸ller, Zum Verhältnis v. Reformation u. Renaissance in d. dt. Lit. d. 16. Jh.s, in: A. Buck, (Hg.), Renaissance ⫺ Reformation. Gegensätze und Gemeinsamkeiten (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 5), 1984, S. 227⫺ 253; E. Kleineidam, in: CoE 1, 1985, S. 434⫺436; H. Vredeveld, Pastoral Inverted: Baptista Mantuanus’ Satiric Eclogues and their Influence on the Bucolicon and Bucolicorum Idyllia of E. H., Daphnis 14 (1985) 461⫺496 [zit. Vredeveld, 1985a]; ders., A Neo-Latin Satire on Love-Madness: The Third Eclogue of E. H.’ Bucolicon of 1509, ebd., S. 673⫺719 [zit. Vredeveld, 1985b]; ders., H. E. H.’ Bonae valetudinis conservandae rationes aliquot. An Inquiry into its Sources, Janus 72/1⫺3 (1985) 83⫺112 [zit. Vredeveld, 1985c]; C. M. Bruehl, Zwei unbekannte Briefe v. Erasmus,
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Hiltebrant, Johannes
Lat.-Stud. in d. Reformation? Ph. Melanchthon u. H. E. H., Jb. f. Internationale Germanistik 32/2 (2000) 62⫺81; A. Budzisz, H. E. H.’ Heroides as an Example of Renaissance Religious Elegy, in: Ad Litteras. Latin Studies in Honour of J. H. Brouwers, Nijmegen 2001, S. 273⫺281; J. Hamm, Servilia bella. Bilder v. dt. Bauernkrieg in neulat. Dichtungen d. 16. Jh.s, 2001, S. 245⫺263; G. HuberRebenich, Officium amicitiae. Beobachtungen zu d. Kriterien frühneuzeitl. Briefslg.en am Beispiel d. v. J. Camerarius hg. H.-Korrespondenz, in: “Mentis amore ligati”. Lat. Freundschaftsdichtung u. Dichterfreundschaft in MA u. Neuzeit. Fg. R. Düchting z. 65. Geburtstag, 2001, S. 145⫺156 (zit. Huber-Rebenich, 2001a); dies., Der lat. Psalter d. E. H. u. d. Ideal d. docta pietas, in: W. Ludwig (Hg.), Die Musen im Reformationszeitalter, 2001, S. 289⫺303 [zit. Huber-Rebenich, 2001b]; W. K¸hlmann / W. Straube, Zur Historie u. Pragmatik humanistischer Lyrik im alten Preußen: Von K. Celtis über E. H. zu G. Sabinus, in: K. Garber u. a. (Hgg.), Kulturgesch. Ostpreußens in d. Frühen Neuzeit, 2001, S. 657⫺736, hier S. 669⫺682 u. 692⫺711; W. Ludwig, Musenkult u. Gottesdienst ⫺ Evang. Humanismus d. Reformationszeit, in: ders. (Hg.), Die Musen im Reformationszeitalter, 2001, S. 9⫺51; G. Huber-Rebenich, E. H. als Übersetzer. Selbstzeugnisse aus seinen Briefen u. Vorreden, in: dies. / W. Ludwig (Hgg.), Humanismus in Erfurt, 2002, S. 177⫺194; J. Leonhardt, Exeget. Vorlesungen in Erfurt v. 1500⫺ 1520, ebd., S. 91⫺110, hier S. 96 f.; A. Stewing, Die Psalterübertragung d. E. H., ebd., S. 195⫺211; H. Vredeveld, E. H. in Krakau, ebd., S. 161⫺ 176; M. Rener, Quoniam sors omnia mutat. Zwei Elegien d. H. E. H. zum sacco di Roma, in: Metamorphosen. Wandlungen u. Verwandlungen in Lit., Sprache u. Kunst v. d. Antike bis z. Gegenwart. Fs. B. Guthmüller, 2002, S. 111⫺127; N. Thurn, Dt. neulat. Städtelobgedichte, in: Neulat. Jb. 4 (2002) 253⫺269; G. Burkard / W. K¸hlmann (Hgg.), Joachim Camerarius, Narratio de Helio Eobano Hesso. Das Leben d. Dichters H. E. H., Lat. u. dt., 2003; W. Ludwig, Pontani amores. J. Camerarius u. E. H. in Nürnberg, in: Th. Baier (Hg.), Pontano u. Catull (NeoLatina 4), 2003, S. 11⫺45; R. D¸chting, H. E. H. Baccho debacchatus, in: Nova de veteribus. Mittel- u. neulat. Stud. f. P. G. Schmidt, 2004, S. 848⫺849; G. Mˆncke, Zwei Erfurter Drucke mit unbekannten Gedichten v. E. H., in: Gutenberg-Jb. 2004, S. 147⫺152; G. Wallner, Psalmi Davidici paraphrasibus poeticis aucti, Latinitas 52 (2004) 387⫺ 402; G. Huber-Rebenich, Zur Wahrnehmung d. Bildenden Kunst durch Literaten im Umfeld Dürers. Eobanus H. im Vergleich mit Joachim Camerarius, in: B. Guthm¸ller u. a. (Hgg.), Künstler u. Literat. Schrift- u. Buchkultur in d. europ. Re-
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Gerlinde Huber-Rebenich / Sabine L¸tkemeyer
Hiltebrant (Hiltebrand), Johannes I . L eb en . H. aus Schwetzingen, geb. ca. 1480, gestorben 1514 oder 1515, studierte in Heidelberg (immatr. 7. März 1496, bacc. art. viae antiquae 9. Nov. 1497) und lehrte danach als collaborator des Rektors Georg J Simler an der städtischen Lateinschule in Pforzheim. Er dürfte in der Heidelberger Realistenburse Simlers Schüler gewesen sein. Als Lehrer in Pforzheim sind beide erstmals zu 1502/1503 bezeugt, doch haben sie dort schon vorher, wahrscheinlich seit 1497/1498, unterrichtet. Als Simler 1510 an die Univ. Tübingen wechselte, erhielt H. den Unterricht in Pforzheim aufrecht, bis Nikolaus J Gerbel die Leitung der Schule übernahm, und zog ebenfalls nach Tübingen (immatr. 11. Mai 1511). Die Tübinger Artistenfakultät rezipierte ihn am 5. Nov. 1511, am 21. Juli 1512 wurde er zum Magister promoviert. Gelegentlichen Andeutungen zufolge (s. u. Drucke 5) hat sich H. danach wohl der Theologie zugewendet. Mit J Reuchlin verbunden erscheint H. in zwei 1512 gewechselten, von Reuchlin 1519 publizierten Briefen, doch ihre Verbindung scheint älter. Simler und H. begründeten den hohen Rang und die überregionale Anziehungskraft der Pforzheimer Schule. Von den Schülern dieser Jahre erinnerten 1533 Johann Kingsattler (Schüler 1502⫺1503) und 1559 Philipp Melanchthon (Schüler 1508⫺ 1509) in autobiographischen Rückblicken rühmend an beide Lehrer. Melanchthon nennt neben ihrem Latein- auch den Grie-
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Hiltebrant, Johannes
chischunterricht, der außerhalb des regulären Lehrprogramms erteilt wurde. Die Druckerei des Thomas Anshelm bildete das zweite Tätigkeitsfeld der Pforzheimer Lehrer, die beide die drei alten Sprachen pflegten. H. trat 1507 als Korrektor an Simlers Stelle. Sein Wechsel nach Tübingen 1511 fällt mit dem Umzug der Druckerei ebendorthin zusammen. H. fungierte weiterhin als castigator Anshelmitanus, zuletzt 1514, als er die Drucklegung der von Reuchlin zusammengestellten ‘Clarorum virorum epistolae’ betreute. Die Kompetenz der Druckerei in den drei alten Sprachen hing 1507⫺1514 hauptsächlich an ihm. Der ausführliche Nachruf des Nicolaus Basellius im auctarium zur Chronik des Johannes J Nauclerus (Oberman, S. 418) preist H. als pädagogische, moralische und philologische Autorität und widmet ihm ein griech. Distichon; er scheint auf den jungen Melanchthon zurückzugehen, der seit 1514 ebenfalls Anshelms Korrektor war. I I. Br ie fe un d Ver se . Die literarische Hinterlassenschaft H.s besteht, wie der genannte Nachruf angibt, aus Begleitbriefen zu den betreuten Drukken und empfehlenden Versen; hinzu kommt ein Brief an Reuchlin. Im Brief an den Leser, der erstmals der 2. Anshelmschen Ausgabe der ‘Grammatice institutiones’ Jakob J Heinrichmanns, die meist zusammen mit Heinrich J Bebels ‘Ars condendorum carminum’ gedruckt wurden, voransteht, skizziert H. sein Ethos als Korrektor. Er betont die Verantwortung für die philologische Zuverlässigkeit gerade des Schulbuchs, erhebt die Korrektheit zum Markenzeichen der Anshelmschen Drucke und empfiehlt jedem Leser, sich die kritische Einstellung eines Korrektors zum gedruckten Text zu eigen zu machen. Die Begleitbriefe zum ‘Opusculum de sagis maleficis’ des Martin Plantsch (1507) und zu der Sammlung der ‘Clarorum virorum epistolae’ (1514) befassen sich mit dem Stil und beschreiben seine unterschiedlichen Arten und Funktionen: dort den der Unterrichtung des einfachen Klerikers dienenden stilus planus et
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quasi vulgaris, dessen sich Plantsch bedient; hier das von Eleganz und dreisprachiger Gelehrtheit bestimmte scribendi genus der an Reuchlin gerichteten Briefe, die sich zu einem Spiegel des Lebens und der Wissenschaft des Adressaten fügen. Simlers lat. und griech. Grammatik (1512) eröffnet nach H. eine neue Dimension des Studiums. Für Deutschland trifft dies weitgehend zu. Priscian und Cicero folgend, betont H. die Abhängigkeit der lat. Sprache und Literatur vom Griechischen, mit Augustin und Hieronymus hält er die griech. Sprache für unabdingbar für das Verständnis der Bibel. Schon bei der Korrektur des Druckes Plantschs nutzte H. das Errataverzeichnis als Gräzist, indem er die Herkunft und korrekte lat. Schreibweise griechischer Lehnwörter erklärte. H.s Einleitungsbrief folgt der Argumentation Simlers und schließt sich implizit dessen Kritik an Konzeption und Unterricht Bebels an, der die Bedeutung des Griechischstudiums verkenne. Verse H.s finden sich lediglich auf den Titelseiten zweier Werke: jeweils ein empfehlendes Distichon des Lehrers, nicht des Korrektors, zum Pforzheimer Druck der ‘Ecloga de calvis’ Hucbalds und zu der von Simler stark bearbeiteten Fassung der ‘Regula puerorum Remigii’; deren ältestem Druck in Basel dürfte ein Pforzheimer Druck vorangegangen sein. Drucke. 1. [Hucbald von St. Amand] Carmen de laude | Caluorum. cuius singule dictiones a. C. littera | incipiunt. Pforzheim: Th. Anshelm, 1502. VD 16, H 5657. Titelbl.r: Distichon; auch VD 16, H 5658. – 2. Regula puerorum | Remigij: et Regule congruitatum mediocres. Basel: M. Furter, 1503. VD 16, R 1098. Titelbl.r: Distichon. Weitere Auflagen VD 16, R 1100, 1102, ZV 13074, 13075; NK 3714. – 3. Opusculum de sagis male|ficis Martini Plantsch concio|natoris Tubingensis. Pforzheim: Th. Anshelm, Jan. 1507. VD 16, P 3201. Bl. [g5]r⫺v: An den Leser und Errata. – 4. Grammaticae institutiones | Iacobi Henrichman Sindel|fingensis castigatae de|nuo atque diligen|ter elaboratae | Ars condendorum carminum Henrici Bebelij […], Pforzheim: Th. Anshelm, März 1507. VD 16, H 1984. Titelbl.v: An den Leser; Bl. yijr⫺v: philologisch kommentierte Korrekturen (nur in dieser Auflage). Weitere Drucke VD 16, H 1586, 1983, 1986, 1987 (hier Bl. [B5]v erstmals, in den folgenden Auflagen regelmäßig, am Ende des Bandes ein H. gewidmetes ‘Carmen contra ignavos grammati-
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Hoffmann, Christophorus
stas’ Heinrichmanns), 1988, 1989, 1991⫺1994, 1996, 1997, 1999, 2000, 2002⫺2005, 2007, 2008, 2010⫺2013, 2015, 2017⫺2029, 2033, 2035, 2036, ZV 7686⫺7689, 23271. ⫺ 5. Quae hoc libro continentur | Georgij Simler Vuimpinensis obseruationes de arte | grammatica | De literis gre˛cis […] | Isagogicum siue introductorium in literas graecas […]. Tübingen: Th. Anshelm, März 1512. VD 16, S 6497. Bl. [A4]v: An den Leser. ⫺ 6. Clarorum virorum epistolae […] missae | ad Ioannem Reuchlin Phorcensem […]. Tübingen: Th. Anshelm, 1514. VD 16, R 1241. Titelbl.v⫺a ijr: An den Leser. Weiterer Druck VD 16, R 1243; Abdruck: Reuchlin-Br., Bd. 1, S. XXIX f. Anm. ⫺ 7. Illustrium | virorum episto|lae, hebraicae, grae|cae et latinae, ad | Ioannem Reuchlin Phorcensem […] missae […]. Hagenau: Th. Anshelm 1519. VD 16, R 1242. Bl. a iiir⫺v: An den Leser (wie o. 6); sr⫺v: H. an Reuchlin; sv⫺s iiv: Reuchlin an H. Ausgabe der Briefe an und von Reuchlin: Reuchlin-Br., Bd. 2, Nr. 208 f. Literatur. A. Horawitz, in: ADB 12, 1880, S. 405; K. Steiff, Der erste Buchdruck in Tübingen (1498⫺1534), 1881, S. 21 f., 81 f., 84, 92, 106; A. Horawitz, Griech. Stud., in: Berliner Stud. f. class. Philol. u. Archäologie 1, H. 4, 1884 (ND 1975), S. 411⫺450, hier S. 425 f.; Matr. Heidelberg, Bd. 1, S. 419; Matr. Tübingen, Bd. 1, S. 184; J. Haller, Die Anfänge d. Univ. Tübingen, Bd. 1, 1927, S. 282 f., Bd. 2, 1929, S. 91*, 111*, 212*; H. Alberts, Reuchlins Drucker, Thomas Anshelm, in: M. Krebs (Hg.), Johannes Reuchlin (1455⫺ 1522), 1955 (ND 1994), S. 205⫺265, hier S. 217 f., 220, 250, 256, 263; H. Widmann, “Die Lektüre unendlicher Korrekturen”, Arch. f. Gesch. d. Buchwesens 5 (1964) Sp. 777⫺826, hier Sp. 780; ders. (Hg.), Der dt. Buchhandel in Urkunden u. Quellen, Bd. 1, 1965, S. 431 f.; W. Maurer, Der junge Melanchthon, Bd. 1, 1967, S. 30 f., 62; H. Widmann, Tübingen als Verlagsstadt, 1971, S. 23, 39; D. Mertens, Joh. H., ein Humanist aus d. Umkreis Reuchlins, ZGO 120, N. F. 81 (1972) 247⫺268; ders., in: NDB 9, 1972, S. 164; K. Hannemann, Wendelin Gürrich d. Ä. u. d. Jüngere (um 1495⫺ 1561): Lebenswege u. Schicksale, ZGO 126, N. F. 87 (1978) 145⫺221, hier 145 f., 154; H. A. Oberman, Werden u. Wertung d. Reformation, 1979, 3 1989, S. 210 f., 418; H. Scheible, Melanchthons Pforzheimer Schulzeit, in: H.-P. Becht (Hg.), Pforzheim in d. frühen Neuzeit, 1989, S. 9⫺50, hier S. 21 f., 29, 47, wieder in: H. Scheible, Melanchthon u. d. Reformation, 1996, S. 29⫺70; ders. (Hg.), Melanchthon-Br., Regesten, Bd. 8, 1995, Nr. 8942; R. Pohlke, Melanchthon u. sein Griechischlehrer Georg Simler, in: Philipp Melanchthon in Südwestdeutschland, 1997, S. 39⫺61, hier S. 41, 47; H.-J. Kremer, “Lesen, Exercieren u.
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Examinieren”. Die Gesch. d. Pforzheimer Lateinschule, 1997, S. 114; S. Lorenz, Von Johannes Reuchlin u. Jakob Locher zu Philipp Melanchthon: Eine Skizze zum Tübinger Frühhumanismus, Bll. f. dt. Landesgesch. 135 (1999) 37⫺58, hier S. 51 f.; Reuchlin-Br., Bd. 1, Reg., Bd. 2, Nr. 208 f. u. Reg.; Die Matrikel d. Magister u. Bakkalare d. Artistenfakultät (1477⫺1535), bearb. v. M. Eberlein u. S. Lang (Tübinger Professorenkat., hg. v. S. Lorenz, Bd. 1,1), 2006, S. 96, 234.
Dieter Mertens
Hoffmann, Christophorus (Ostrofrancus) I . L eb en . Quellen der Biographie H.s sind vor allem seine eigenen Schriften, doch geben auch diese nur spärliche Auskünfte. Er nennt sich bisweilen Ostrofrancus, häufig Erytrapolitanus Tuberinus. Demnach stammt er aus Rothenburg o. Tauber. Sein Taufname war Johannes (s. das autobiographische Geleitgedicht zur Predigtsammlung [II.A.]). Weiteres über seine Herkunft, auch über seine Schulbildung ist nicht bekannt, und er ist auch in keiner Universitätsmatrikel verzeichnet. Als Christophorus H. begegnet er seit 1490 unter den Konventualen des Benediktinerstifts St. Emmeram in Regensburg. Urkundliche Bezeugungen H.s (alle Angaben nach großzügiger Mitteilung von Franz Fuchs, Würzburg): Ablaßbrief des Raimund Peraudi von 1490 für den namentlich aufgeführten Konvent von St. Emmeram (München, Bayer. HStA, KU Regensburg/St. Emmeram, 1490 April 15). Bezeugungen für 1496 und 1502: Bayer. HStA, KL Regensburg/St. Emmeram Nr. 4 Fasz. 6, fol. 160r, und KU Regensburg/St. Emmeran, 1502 März 27. Zu einer Bezeugung von 1497 s. P. Schmid, Verhandlungen d. Hist. Ver. f. Oberpfalz u. Regensburg 127 (1987) 149⫺152. Urkunden von St. Emmeramer Abtswahlen mit eigenhändigen Unterschriften der Mönche im bischöfl. Zentralarchiv Regensburg.
Nach dem Jahr der Erstbezeugung in St. Emmeram könnte H. um 1465⫺1470 geboren sein. In St. Emmeram, wo er bis zu seinem Tode lebte, ist er einfacher Mönch geblieben. Kronseder (S. 10) vermutet, daß er als Lehrer in der Klosterschule tätig war; darauf könnten auch H.s Verse an den ehemaligen Emmeramer Schüler Johannes Prell hinweisen (Clm 28307, 74r)
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Hoffmann, Christophorus
und H.s rhythmischer Hymnus Pro cantilena scolarium ecclesiam ingrediencium Ascensionis dominice die (ebd., 86r⫺v). 1525 erlebte er den Versuch des Regensburger Rates, den gesamten Klerus unter das Regiment der Stadt zu bringen und entsprechend steuerpflichtig zu machen (vgl. Ziegler, S. 56−61). Im Alter haben H. Krankheiten, seit 1528 besonders ein schweres Gichtleiden geplagt. Nach 1531 verstummen die Lebenszeichen. H. starb am 13. Juni 1534 (vgl. Kronseder, S. 18). H. war ein belesener und gelehrter Mann; seine umfassenden Kenntnisse rühmt ein Epigramm des Freundes Adolf Graber (Clm 28307, 17r). Als Literat hat er unzweifelhaft humanistische Formung gesucht, doch erreichte seine Latinität nicht schon humanistische Disziplin. In Regensburg war er, wie Glauche 1988 aufgrund einer bis dahin unbekannten Gedichtsammlung H.s (Clm 28307) darlegen konnte, der Mittelpunkt eines ansehnlichen Freundeskreises, in dem man nach humanistischer Art auch literarischen Austausch pflegte. Zu ihm gehörten der AugustinerEremit Hieronymus D Streitel, der spätere Ingolstädter Dr. iur. Johannes Zelln (Celnus), der genannte Graber, Lehrer bei den Augustinern, und etliche andere, aber nicht gleich alle, an die H. Verse sandte. Beziehungen H.s zu Personen außerhalb Regensburgs, unter ihnen Johannes J Eck in Ingolstadt, blieben gezählt. Die zu J Aventin und zu J Stabius kamen durch deren Besuche in St. Emmeram zustande. I I. We rk . H. hat spät erst mit größeren Arbeiten begonnen und zunächst, 1511 bis 1515, nur mit Abschriften. Seine selbständigen Werke, das erste 1516, das letzte 1531 vollendet, gehören der Geschichtsschreibung an. 1525 hat er die übrigen Teile seines Œuvre, die Predigten und die Gedichte, in zwei Codices zusammengestellt. Die Sammlungen sprechen für ein festes Autorbewußtsein. Meist hat H. seine Arbeiten mit poetischen Widmungen versehen, die Abschriften einschließlich der Sammlungen der eigenen Carmina und Predigten jedoch ⫺ mit einer Ausnahme ⫺ nicht ei-
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nem bestimmten Adressaten dediziert, sondern sie ausdrücklich in die Hand eines jeden interessierten Lesers gegeben. H.s Arbeiten sind fast zur Gänze allein in autographen Handschriften erhalten. In einem zeitgenössischen Druck und zugleich ohne hsl. Überlieferung liegt nur die Schrift über die Vertreibung der Juden aus Regensburg i. J. 1519 vor (s. u. II.D.3.a). Das Hss.verzeichnis bei Kronseder, S. 19 f., ist zu ergänzen bes. durch den Clm 28307 (s. Glauche), ferner durch die Hs. Regensburg, Staatl. Bibl., Rat. ep. 572, S. 1⫺11 (s. u. II.D.2.c) und durch die kleinen Funde, die A. Podlaha (Zwei Legenden über d. Leben d. Laienbruders Friedrich von Regensburg, Prag 1905, S. 6) aus dem Druck J 2 Inc. der Prager Metropolitankap.-Bibl., Menhardt aus dem Wiener Cod. 3301 und Bischoff (S. 146, Anm. 182) aus dem Clm 14905 und dem Clm 14935 beigebracht haben. Autographen H.s, die nicht eigene Schriften H.s enthalten: Clm 14618; Bischoff, S. 146, Anm. 181. Ehem. Emmeramer Hss. mit kleinen Einträgen oder Randnotizen H.s: Clm 14029 (80v), Clm 14036 (50v), Clm 14053 (16v u. ö.), Clm 14076 (145r u. ö.). Das St. Emmeramer Schatzverzeichnis, das H. für die Registrierung durch den Rat der Stadt am 27. Mai 1525 niederschrieb, trägt heute die Sign. Clm 14987a.
A . P re di gt en . H. wurden 1494 in St. Emmeram die Kapitelpredigten für die Vigil von Weihnachten, die Vigil von Mariä Verkündigung und für Gründonnerstag übertragen. Er erfüllte diese Aufgabe von Weihnachten 1494 (Hs.: 1495, Weihnachtsstil!) an drei Jahrzehnte hindurch. Als er sie 1525 beendete, legte er eine chronologisch geordnete Sammlung aller 88 gehaltenen Predigten an, je 31 für die Vigil von Weihnachten und für Gründonnerstag, 26 für die Vigil von Mariä Verkündung (25. März; dieses Fest fiel, daher die geringere Zahl, mehrfach mit Ostern oder den Kartagen zusammen). Die Predigten sind entsprechend mal. Tradition überwiegend thematische Predigten. Sie bedienen sich zur gedanklichen Entwicklung nach scholastischer Art häufig der Divisio und Subdivisio. Bibelexegese nach den Sensus spirituales ist in ihnen selbstverständlich. Als theologische
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Hoffmann, Christophorus
Autoritäten zieht H. mit Vorzug die Kirchenväter, bes. Augustin und den Emmeramer Patron Ps.-Dionysius, heran, weit weniger mal. Größen wie Thomas von Aquin, Bernhard von Clairvaux, Anselm von Canterbury. Daneben begegnen, doch keineswegs in jeder Predigt, kurze partikuläre Zitate aus antiken Autoren, mitunter nur Floskeln, die zur Sache einer Predigt nichts beitragen. Neben Beispielfiguren aus der Hagiographie treten häufiger auch solche aus der Antike auf. Wohl nach Maßgabe antiker Rhetorik beginnt jede Predigt mit einem förmlichen Exordium (H. verwendet selber den Terminus: 1r, 298r, 385r u. a.); es beteuert regelmäßig die rednerische Schwäche des Predigers, leitet damit die Bitte um die Hilfe des Himmels ein und schließt jedesmal mit einem ‘Ave Maria’. Zum Bauplan der Predigten gehört meist auch als ihr Schlußteil eine adhortative Conclusio. In den Predigten der Jahre 1504⫺1510 und 1513⫺1517 sind das auffälligste Merkmal die zahlreichen, insgesamt 39 eingestreuten Verspartien (bis zum Umfang von 17 Distichen und 13 sapph. Strophen). Sie sind vornehmlich den rhetorisch engagierten Textteilen, dem Exordium und der Conclusio, inseriert. H. entnahm sie überwiegend der religiösen Dichtung durchweg ungenannter zeitgenössischer Humanisten, nur selten auch einem mal. oder einem antiken Autor. Einmal (252v) hat er ein offenbar eigenes Gedicht am Rande mit C. H. gekennzeichnet. Beispiele: 103v (O regina dei …, 6 Dist.): Seb. → Brant, ‘Salve regina’ (Th. Wilhelmi [Hg.], Seb. Brant, Kleine Texte, 1998, Nr. 110). ⫺ 114v (Te bone christe iesu …, 5 Dist.): Seb. Brant, ‘Ad sacramentum Eucharistiae’ (Wilhelmi, Nr. 114). ⫺ 115v⫺116r (Que paris indutum carnem …, 17 Dist.): Seb. Brant, ‘In laudem deifere virginis Mariae Hecatostichon’ (Wilhelmi, Nr. 115), 1⫺16, 23⫺26, 87⫺100. ⫺ 120r⫺121r (Qui rigas fontem puer effluentis …, 9 sapph. Strr.): Seb. Brant, ‘Ad fontem gratie supplicatio’ (Wilhelmi, Nr. 108). ⫺ 126v⫺127r (Ad mensam invitat deus …, 13 Dist.): Seb. Brant, ‘De manna caelesti’ (Wilhelmi, Nr. 118), 217⫺224, 229⫺246. ⫺ 129v⫺130v (En vides quanta rabie …, 13 sapph. Strr.): Seb. Brant, ‘Ad divum Sebastianum martyrem’ (Wilhelmi, Nr. 125), 101⫺124, 129⫺134, 141⫺160; von H.
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mit einigen Retuschen umgeschrieben auf Christus. ⫺ 153v (Armatur ce˛lestis homo …, 10 Hex.): Alanus ab Insulis, ‘Anticlaudianus’ 8,321⫺323, 325⫺328, 331⫺333. ⫺ 166v⫺167r (En ego qui totum mundum …, 12 Dist.): Ps.-Demosthenes, ‘Epitaphium Alexandri Magni’ (L. Bertalot, Initia humanistica Latina, Bd. 1: Poesie, 1985, Nr. 1487). ⫺ 204v (Tu mihi diua faue …, 11 Hex.): Baptista Mantuanus, ‘Parthenice prima’ 1,9⫺13 u. 23⫺28. ⫺ 210v⫺211r (Ad tua confugio supplex …, 10 Dist.): Baptista Mant., ‘Ad beatam virginem votum’ (‘Silvae’ 8,2; Walther, Initia 467), 1⫺2, 5⫺ 20; das letzte Dist. von H. selbst. ⫺ 219r (Sancta faue virgo …, 10 Hex.): Baptista Mant., ‘Parthenice secunda’ 1,4⫺12; der letzte Hex. von H. selbst. ⫺ 220v (Si fortuna volet …, 2 Hex.): Juvenal, sat. 7, 197⫺198. ⫺ 264r (Propterea duplicesque manus …, 10 Hex.): Baptista Mant., Parthenice prima 1,31⫺38; die beiden letzten Hex. von H. selbst. ⫺ 270r (Ferrea bella docent …, 8 Hex.): Baptista Mant., ebd. 1,177⫺184.
In die späten Predigten, seit Weihnachten 1521 (326r⫺v), dringt ein neues Thema ein, die mit flammender Rede vorgetragene Klage über das Unheil der Zeit, die lutherische “Häresie” und die osmanische Bedrohung. Die Weihnachtspredigt von 1524 (374r⫺380r) wettert gegen gewisse neotherici ⫺ es handelt sich um J Erasmus ⫺, welche den λο´ γο des Johannes-Evangeliums nicht mehr mit dem geheiligten verbum, sondern neu mit sermo übersetzen. Handschrift. Clm 14626, (1)⫹391 gez. Bll. Auf Bl. 1r Titelepigramm an den Leser (es stellt das Buch und seinen Autor vor), darunter die Jahreszahl 1525 und von späterer Hand Eintrag von H.s Tod 1534. Abdruck des Titelepigramms bei Kronseder, S. 12.
B . G ed ic ht e. 1. Die Sammlung der Carmina, die H. um 1525 anlegte, enthält zunächst Gedichte zweier jüngerer Freunde, die sämtlich an H. adressiert sind, 18 des Johannes Zelln (2r⫺10v) und 12 des Adolf Graber (11r⫺22v), abschließend noch eines des Augustinus Kolhoch (22r⫺23r). H.s eigene Gedichte, die, alle Ein- und Zweizeiler einbezogen, an die 140 zählen, folgen auf Bl. 25r⫺89r; nach der Datierung Anno 1525 X. Septembris (89r) stehen auf Bl. 89v⫺90r noch vier kleine Nachträge. H. hat seine Gedichte, weit überwiegend Gelegenheits-
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Hoffmann, Christophorus
stücke, die sich bis in die 1520er Jahre streuen, weder chronologisch noch sonstwie nach einem durchgehenden Plan geordnet, immerhin aber einzelne Gruppierungen vorgenommen. Das Spektrum der Gedichte umfaßt religiöse Dichtung, Gedichte an Freunde sowie an weitere Personen und Gebäudeinschriften. Unter den religiösen Gedichten ragen hervor umfangreiche hagiographische in 27 und 30 sapph. Strophen (31v⫺34r: Passio der hl. Agnes, 45v⫺48v: Passio des hl. Erasmus, 36r⫺39r: Vita des Apostels Matthias), eine Historia der Menschwerdung (56v⫺58v), metrische Fassungen des ‘Salve regina’ (26v, sicherlich nach dem Vorbild Seb. Brants), des ‘Regina coeli’ (26v⫺27r), des ‘Canticum Simeonis’ (55v) und zwei offenbar liturgische Dichtungen über die Sieben Freuden (27v⫺29r, 9 sapph. Strr.) und über die Fünf Schmerzen Mariä (29r⫺30r, 7 sapph. Strr.), beide mit Responsorium, Versus, Antiphon und Versiculus in Hexametern. Bei den Freundschaftsgedichten bildet das geschlossene Ensemble der 12 Carmina an Johannes Zelln (62r⫺68v), die zu einem Teil auch in der Wahl der verschiedenen Strophen und Metren mit dessen Gedichten an H. korrespondieren (vgl. Glauche, S. 189 f.), das reizvollste Specimen. Überblick über die große Zahl der Freunde und weiteren Personen, die von H. zu den verschiedensten Anlässen Epigramme erhielten, bei Glauche, S. 193−195. Von besonderem biographischen Interesse sind die drei Distichen an Johannes J Eck (70r) und die 9 sapph. Strr. an Johannes J Stabius (70r⫺71r). Im Zuge mehrerer Baumaßnahmen in St. Emmeram verfaßte H. Inschriften zu den Glasmalereien der Fenster verschiedener Räume, je eine Inschrift in Form eines Hexameterpaars für die fünf Fenster im Refektorium (40r⫺v), die zehn Fenster der Abtsstube (78r⫺v), die zwei des Schlafgemachs des Abtes (78v⫺79r), die acht eines Söllers (79r). 46 Inschriften waren den Fenstern des 1524 neu errichteten Trakts für die Kranken zugedacht (79v⫺83r). Zu den weiteren Inschriften (bis 86r) und ihrer Überlieferung s. Glauche, S. 196−198. Handschrift. Clm 28307. Beschreibung und Besitzgeschichte: Glauche, S. 188 f. Teilausgabe der Inschriften: Glauche, S. 199 f. Abdruck eines Briefgedichts H.s an den St. Manger Chorherrn Simon in Stadtamhof (50r) bei F. Fuchs, Bildung u. Wissenschaft in Regensburg, 1989, S. 19, Anm. 17. 2. Die begleitenden Gedichte, die H. seiner Predigtsammlung und seinen Abschriften beifügte, sind unter II.A., C.1., 3.a) und 3.b) verzeichnet.
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Im Wiener Cod. 3301 steht ein Epigramm H.s zu Gedichten aus dem St. Emmeramer ‘Codex aureus’ (294r) und ein Neujahrswunsch in vier sapph. Strophen (303ra). Von den Gedichten, die H. seinen Kapitelpredigten inserierte, läßt sich ihm nur eines mit Gewißheit zuweisen (s. o. II.A.). C. Abschriften. 1. Hymnare. H.s Abschriften begannen mit zwei St. Emmeramer Hymnaren, 1511 mit der ‘Hymnologia nocturna’, der 1514 die ‘Hymnologia diurna’ folgte. Er begnügte sich nicht mit einer bloßen Abschrift der Texte, sondern gab zu jedem Hymnus in der Überschrift auch das Versmaß bzw. die Strophenform an. Schon daraus, vollends aus den beiden metrischen Schreibergedichten am Anfang und am Ende der ‘Hymnologia nocturna’ ergibt sich, daß die Abschriften nicht dem liturgischen Gebrauch, wie Kronseder, S. 20, meinte, zugedacht waren, sondern der privaten Lektüre des Lesers. Handschrift. ‘Hymnologia nocturna’: Clm 14575. 1r Schreiberspruch (Tetrastichon), 3r und 265v Schreibergedichte (5 und 7 Dist.). Abdruck der Schreibergedichte bei Kronseder, S. 20 f. ⫺ ‘Hymnologia diurna’: Clm 14611. Zu Beginn ein unvollst. Kalendarium. 2. ‘Repertorium iuris canonici’. Kanonistisches Lexikon in alphabetischer Anordnung der Stichwörter, jeder Eintrag mit Verweis auf die einschlägige Stelle im ‘Decretum’. Abschrift ohne jegliches Beiwerk, nach Kronseder “wahrscheinlich 1514 vollendet” (S. 19, ohne Angabe von Kriterien). Vorlage war vielleicht der etwas ältere textgleiche Clm 14076, in dem sich einige Randglossen von H.s Hand finden, eine größere auf Bl. 145r. Handschrift. Clm 14988, 231 Bll. 3. Chroniken. a) Andreas von Regensburg, ‘Chronica de principibus terrae Bavarorum’. Die Chronik des Andreas, auf die H. 1515 in der Bibliothek des Klosters St. Mang in Stadtamhof gestoßen war, scheint seine historischen Interessen angestoßen zu haben. Er fertigte unverzüglich nicht allein eine Abschrift an, die er unter dem 14. April 1515 Abt Erasmus Münzer widmete (2r), sondern stellte dieser auch ein 19 Bll. umfassendes alphabetisches Register der Namen und Sachen voran. Die Abschrift besitzt nicht die Güte, die ihr Kronseder (S. 26⫺29) glaubte attestieren zu können, H. erlaubte sich vielmehr, wie Leidinger nachwies, nicht wenige willkürliche Änderungen. Handschrift. Clm 14989, 75 Bll. Zur Kritik der Hs. s. G. Leidinger (Hg.), Andreas von Re-
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gensburg, Sämtl. Werke (Quellen u. Erörterungen z. bayer. u. dt. Gesch. NF 1), 1903, S. LXXVI⫺ LXXVIII. Abdruck des Widmungsbriefes und der begleitenden Epigramme (1r) von Johannes Zelln und H. bei Leidinger, S. LXXVII. b) Deutsche Prosa des Pseudo-Dalimil. Dt. Prosaversion der tschechischen Reimchronik, die fälschlich unter dem Namen des Bunzlauer Kanonikus D Dalimil von Messeritsch lief. H.s Vorlage war der 1444 ebenfalls in St. Emmeram geschriebene Cgm 3967. Er stellte seiner Abschrift auf Bl. 1v ein empfehlendes Titelepigramm (10 Dist.) voran, das abschließend den durch Wyclif und Hus verschuldeten Irrweg des böhmischen Volks beklagt. Handschrift. Cgm 3968, 71 Bll. Ausgabe. H. Pez, SS. rerum Austriacarum, Bd. 2, Wien 1743, Sp. 1043⫺1111, nach H.s Abschrift, aber fälschlich, irregeleitet durch das Titelepigramm, auch unter H.s Namen. Zur Kritik an H.s Abschrift vgl. Kronseder, S. 30.
D . G es ch ic ht ss ch re ib un g. Die Werke des Geschichtsschreibers H. sind chronikalische Darstellungen in mal.monastischer Tradition. Sie beruhen, soweit sie nicht in die erlebte Gegenwart des Autors reichen, nirgends auf eigener Erforschung oder der Erschließung neuer Quellen, sondern kompilieren ⫺ mit bisweilen kritischen Ansätzen ⫺ überliefertes Wissen. Allein die zeitgeschichtliche Schrift über die Vertreibung der Juden aus Regensburg i. J. 1519 ist ⫺ in ihrem zweiten Teil ⫺ eigenständige Darstellung, ist als solche für die Vorgänge zugleich die “vorzüglichste Quelle” (Ziegler, S. 51). 1. ‘Chronica’. Das erste selbständige Werk H.s war bereits sein größtes; von dessen zwei Bänden ist indes nur der erste, 1516 vollendete erhalten. Die ‘Chronica’ bieten an den Fäden der Geschichte der Päpste, Kaiser und Könige, der Herzöge von Bayern, Bischöfe von Regensburg und Äbte von St. Emmeram in chronologischer Ordnung Gesamtgeschichte von Julius Caesar an, deren leitendes Thema, wie schon der Prologus ankündigt, jedoch Regensburg und seine ruhmvolle Vergangenheit ist. Der erste Band bricht mit dem Jahre 911 ab, der ver-
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lorene zweite reichte lt. Titel (Bl. 2v: … usque ad tempus quo id scribimus) bis in H.s Gegenwart. H. hat seinem Werk nicht eine vorhandene Weltchronik zugrundegelegt, sondern es aus einer großen Zahl von Autoren kompiliert, die jeweils gewissenhaft anzugeben ihm wichtig war. Doch hat er nicht alle Gewährsmänner, die er nennt, auch gelesen, ihre Namen vielmehr häufig auch dann angeführt, wenn er sie in einer benutzten anderen Quelle zitiert fand (anders Ziegler, S. 180). Die jüngste Quelle, die er konsultierte, scheint J Wimpfelings ‘Germania’ zu sein. Dem Prologus, in dem H. sich über den moralischen Sinn der Geschichtsschreibung und über die Zielsetzung seiner ‘Chronica’ äußert, folgt ein Marienhymnus des (nicht genannten) Gregorius Tifernas (Bertalot, Nr. 6684), jener, den Konrad J Celtis um 1487 unter seinem Namen in einem Einblattdruck hatte erscheinen lassen (‘Poeticum proseuticum ad gloriosissimam dei genitricem’, GW 6468). Nach den Lesarten des Celtis-Drucks und verschiedener Tifernas-Drucke und -Hss., die K. Adel ([Hg.], Conradi Celtis quae Vindobonae prelo subicienda curavit opuscula, 1966, S. 101⫺ 103) mitteilt, war H.s Vorlage wahrscheinlich Celtis’ Einblattdruck. Demnach hätte H. nicht Tifernas, sondern Celtis als den Autor des Marienhymnus betrachtet. Handschrift. Clm 14869, 231 Bll.
2. Regensburger Chroniken. a) ‘De monasterio S. Emmerami Chronicon’. In seiner 1517 verfaßten ersten Schrift zur Geschichte Regensburgs berichtet H. zunächst über Leben und Martyrium des hl. Emmeram und die Gründung des Klosters durch Hzg. Theodo, wendet sich danach aber den bedeutenden Förderern der Klosteranlage zu, Karl d. Gr. und seinem Geschlecht. Er verfolgt nicht die weitere Geschichte des Klosters, sondern begnügt sich, um St. Emmeram als die heiligste Stätte Regensburgs zu erweisen, mit der erläuternden Aufzählung der Heiligen und bedeutenden Toten, die in der Klosterkirche ihre letzte Ruhe fanden, darunter der ersten 18 Regensburger Bischöfe. Die historiographische und schon die sachliche Qualität der Schrift wiegt gering; viele Daten wurden in dem großen ‘Catalogus’
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korrigiert. Unter den Gewährsmännern, auf die H. sich beruft, ist hier erstmals Aventin genannt. Handschrift. Clm 14873, 132r⫺145r.
b) ‘Catalogus episcoporum Ratisbonensium nec non monasterii S. Emmerami abbatum’. H.s Hauptwerk über die Regensburger Geschichte beginnt mit der ältesten Bischofsgeschichte (Paulinus). Ihr folgt die Gründungsgeschichte von St. Emmeram. Danach schreitet die Darstellung in der zeitlichen Reihenfolge der Äbte und Bischöfe fort. H. stützte sich bis ins 15. Jh. fast ganz auf die Sammelhs. Clm 14053 des Hieronymus Streitel, die auf Bl. 10r⫺ 15r einen Katalog der Regensburger Bischöfe und auf Bl. 24r⫺29r einen der St. Emmeramer Äbte bringt. Selbständige Mitteilungen H.s setzen erst mit dem Abbatat des Johannes Tegernpeck (1471⫺ 1493) ein. Die Biographien der Äbte Erasmus und Ambrosius Münzer sind “im Stile von Augenzeugenberichten” (Glauche, S. 195) gestaltet. Für die Auseinandersetzung des Regensburger Rates mit dem Klerus der Stadt wegen dessen Besteuerung (1525⫺28) gilt H.s Darstellung als verläßliche originäre Quelle. Den bis 1531 geführten Äbtekatalog führte auf den beiden letzten Seiten der Hs. Ambrosius Mayrhofer fort. Handschrift. Clm 14987, 89 Bll. Ausgabe. A. F. v. Oefele (Hg.), Rerum Boicarum SS., Bd. 1, Augsburg 1763, S. 547⫺578 (sehr fehlerhaft).
c) ‘Catalogus abbatum et episcoporum’. Gekürzte, aber auch anders geordnete Version von Clm 14987: Bl. 1v⫺14r sind die Äbte von St. Emmeram, Bl. 15r⫺29v die Regensburger Bischöfe mit Angabe ihrer Regierungszeit und kurzen Lebensabrissen verzeichnet. Nach H.s Widmung an Abt Ambrosius Münzer (1r⫺v, o. D.) war Anlaß der Schrift die bei einem Tischgespräch mit dem Abt aufgetauchte Frage, ob die Reihe der Regensburger Äbte und Bischöfe die Zahl 50 erreiche oder nicht. Datierung am Ende von H. auf 1531. Handschrift. Clm 14988, 29 Bll.
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Ausgabe. J. B. Kraus, Bibliotheca principalis, Bd. 2, Regensburg 1748, S. 436⫺460. Der Cod. 13710 der ÖNB Wien “scheint auf fol. 23a bis 30a von diesem abgekürzten Katalog noch einmal eine Abkürzung zu bringen” (Kronseder, S. 55). Ob es sich bei dem Äbteverzeichnis (von Apollonius bis Erasmus Müntzer) in der Hs. Rat. ep. 572 der Staatl. Bibl. Regensburg, S. 1⫺11, das Franz Fuchs als Autograph H.s erkannte (Mitt. v. 22. April 2008), um einen weiteren eigenen Katalog H.s oder um eine (modifizierte) Abschrift eines aus anderer Feder stammenden Katalogs handelt, bedarf der Untersuchung.
3. Zeitgeschichte. a) Über Regensburg und die Vertreibung der Juden aus der Stadt 1519. Die Schrift hat, wie ihr Titel angibt, zwei Themen. Sie handelt in einem ersten Teil über Macht und Glanz des alten Regensburg von Karl d. Gr. an, hebt hervor, daß die Stadt sich sogar Kaisern, Ludwig d. Bayern und Karl IV., erfolgreich zu widersetzen vermochte, wendet sich danach dem Niedergang der Stadt in der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart zu und gibt die Alleinschuld daran den Juden, die wie üblich vor allem wegen angeblichen Zinswuchers inkriminiert werden. Damit liefert sie die Rechtfertigung für die wider verbrieften kaiserlichen Schutz im Febr. 1519, kurz nach Maximilians Tod, binnen weniger Tage durchgeführte Vertreibung der gesamten jüdischen Gemeinde aus der Stadt. Das Vorspiel der Vertreibung, die Hetzreden des Dompredigers Balthasar Hubmaier, ihren Beschluß durch den Rat und ihren erschütternden Vollzug samt Zerstörung der Synagoge und des Friedhofs schildert der zweite Teil der Schrift. In der Widmung an Abt Ambrosius Münzer motiviert H. seine Schrift mit dem historiographischen Anliegen, die Kenntnis von den Vorgängen für Spätere zu bewahren. Ob sie nicht eher als Auftragsarbeit entstanden ist ⫺ ihr Druck wurde lt. Kolophon von dem Regensburger Bürger Johannes Wagner finanziert ⫺, steht dahin. Ziegler, S. 188 f., sieht in der Schrift maßgeblich das rhetorische Engagement H.s am Werke, ungeachtet aller bösen Ausfälle
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nicht eine persönliche judenfeindliche Gesinnung. Druck. De Ratisbo|na metropoli Boioariae et | subita ibidem Iudaeorum | proscriptione. | Christophorus Ostrofran-|cus […]. Augsburg: Silvan Otmar, 10. Juni 1519. VD 16, H 4132. Titelepigramm von H. an den Leser. Titelbl.v: 4 Dist. des St. Emmeramer Mönchs Johannes Mayer (‘Nie hat kriegerische Gewalt Regensburg bezwingen können, nur die Juden durch Wucherzins’). Am Ende: Schreiben H.s an Hieronymus Streitel (o. D.). Auszüge bei R. Straus (Hg.), Urkunden u. Aktenstücke z. Gesch. d. Juden in Regensburg 1453⫺1738 (Quellen u. Erörterungen z. bayer. Gesch. NF 18), 1960, Nr. 1040, S. 385⫺388. b) L. Theobald vermutet in H. den Autor eines wohl in Regensburg nach Ende des Bauernkriegs verfaßten Pamphlets gegen Luther, das in Form eines Dankbriefs Suleimans II. an Luther diesen als Wegbereiter des Sultans zu brandmarken trachtet. Ziegler, S. 185, Anm. 876, folgt Theobalds Vermutung nicht. Literatur. A. F. Oefele (Hg.), Rerum Boicarum SS., Bd. 1, Augsburg 1763, S. 543⫺546; O. Kronseder, Ch. H., gen. Ostrofrankus (Progr. d. Kgl. Maximilians-Gymnasiums 1898/99), 1899; L. Theobald, Eine Satire gegen Luther, Zs. f. bayer. Kirchengesch. 6 (1931) 141⫺143 u. 7 (1932) 27 f.; H. Menhardt, Kleiner Fund z. Gesch. d. Münchener Codex aureus, ZfB 49 (1932) 551⫺ 554; B. Bischoff, St. Emmeram im SpätMA, in: ders., Mal. Studien, Bd. 2, 1967, S. 115⫺166, hier S. 146⫺148, 150 u. ö. (Reg.); W. Ziegler, Das Benediktinerkloster St. Emmeram zu Regensburg in d. Reformationszeit (Thurn- u. Taxis⫽Studien 6), 1970, S. 51, 57 f., 178⫺190 u. ö. (Reg.); G. Glauche, Die Regensburger Sodalitas litteraria um Ch. H. u. seine Emmeramer Gebäude-Inschriften, in: S. Kr‰mer / M. Bernhard (Hgg.), Scire litteras. Forschungen z. mal. Geistesleben (Bayer. Akad. d. Wiss., Phil.-Hist. Kl., Abhandlungen NF 99), 1988, S. 187⫺200.
F. J. Worstbrock
Honorius (Erhardi), Johannes, Cubitensis (Crispus, de Cubito) I . L eb en . Der im SS 1481 in Leipzig immatrikulierte Johannes Pannificis de Cubito (Elbogen, Sudeten), der im WS 1482/83 unter demselben Namen das Baccalaureat und im WS 1487/88 als Johannes Erhardi Pan-
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nificis de Cubito das Magisterium erwarb, war Schüler des wenig älteren Johannes J Maius (s. II.1.). Seit 1488 war er als Lehrer im Leipziger Artesstudium tätig und vornehmlich mit der Lectio der Poetik und der Rhetorik betraut. Bis 1502 tritt er in den Akten der Universität regelmäßig als Johannes Cubitensis (auch: de Cubito, de Elbogen) auf, seit dem WS 1502/03, in dem er das Amt des Rektors führte, aber als Johannes Honorius Cubitensis; mit diesem Namen erscheint er in seinen Veröffentlichungen bereits 1498, daneben auch als Johannes Honorius Crispus Cubitensis. Der Name Honorius versteht sich als Latinisierung von Erhard(i). H., deutlich humanistisch orientiert und philologisch befähigt, war zu seiner Zeit neben Jacobus J Barinus wohl der modernste Leipziger Vertreter der Artes. Zu seinen Freunden zählten nächst Johannes Maius Matthaeus J Lupinus und Georg J Breitkopf. Von Maius hat H. manche Anregung empfangen (s. II.7. u. 12.). Über die Gegenstände von H.’ Lehrtätigkeit erfährt man nicht nur aus seinen Schriften und Ausgaben, sondern auch aus seinen Vorlesungsankündigungen, die ⫺ wie damals in Leipzig anscheinend regelmäßig ⫺ zugleich einschlägige Buchanzeigen der Drucker waren. Von diesen naturgemäß nur selten erhaltenen Anzeigen entfallen, soweit bekannt, vier in Vers und Prosa sowie zwei nur in Prosa abgefaßte auf Veranstaltungen des H. Ihnen zufolge hat er um 1494 auf vielfachen Wunsch hin das ‘Doctrinale’ des D Alexander de Villa Dei [NB], dessen didaktische Vorzüge er hervorhebt, traktiert und dafür eine Vorlesung über Statius’ ‘Thebais’ und Ovids ‘Heroides’ verschoben. Drei Anzeigen betreffen seine Horazvorlesungen der 1490er Jahre, eine seine Vorlesung über Valerius Maximus und über die ars carminum wohl i. J. 1501. Abdruck der Intimatio (samt Bücheranzeige des Druckers Martin Landsberg) zu Valerius Maximus und zur ‘Ars carminum’ bei Clemen, 1907, S. 124; Faksimilia der übrigen bei Voullie´ me, S. 34 u. 39⫺42.
Mitte der 90er Jahre entschloß H. sich zur Laufbahn des Universitätstheologen. Am 28. April 1500 wurde er, nachdem er am 18. April die niederen Weihen empfangen hatte (Magister Erhardi Panificis de Cubito), für den Cursus biblicus zugelassen; in seinem artistischen Dekanat des WS
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Honorius Johannes, Cubitensis
1503/04 war er bereits Baccalaureus der Theologie. H. starb unerwartet, wohl noch nicht 40jährig, im Juni 1504. Der Artistenfakultät vermachte er einige Bücher; sie bedachte ihn dafür mit einem frommen Memento (Fakultätsprotokoll vom 9. Juli 1504; Matr. Leipzig, Bd. 2, S. 504). Ein weiteres Legat erhielt die Marienkirche in Freiberg (Clemen, 1907; zu sonstigem Bücherbesitz des H. s. Clemen, 1904, u. Andermann). H.’ Kollege J Breitkopf hinterließ 1504 in seiner Ausgabe von Horaz’ ‘Sermones’ eine Würdigung des Verstorbenen (im Brief an Thomas Spieß) und zwei Epitaphien. Auch Hermann J Buschius, damals in Leipzig tätig, verfaßte ein Epitaph (‘Epigrammaton liber III.’, 1504, Bl. [F6]r, 3 Dist.). I I. We rk . Alles, was H. veröffentlicht hat, diente seinem humanistisch ausgerichteten Unterricht im Leipziger Artesstudium. Das Hauptgewicht hatten als Grundlage die Ausgaben antiker Autoren. Was aus seiner eigenen Feder bekannt ist, Einleitungen und Kommentare zu den Autoren und eine kleine Verslehre, sind, bis auf das Kompendium des Valerius Maximus, ausschließlich Beiträge zu seinen Ausgaben. Zu einem Teil lassen sich die Ausgaben mit den Vorlesungsankündigungen / Buchanzeigen in Beziehung setzen. Unverkennbar treten bei H. seit Ende der 1490er Jahre die antiken Autoren ⫺ es waren stets nur römische Dichter ⫺ zugunsten unverfänglicher und vor allem religiöser Texte zurück. Es fällt schwer, einen Zusammenhang dieser tendenziellen Wende mit dem für Leipzig auch im übrigen folgenreichen Streit zwischen J Polich und J Wimpina um die Poetae und Theologi zu übersehen (vgl. auch J Beuschel und J Breitkopf). 1. Johannes J Maius, Opusculum de componendis versi|bus hexametro et pentametro. et de | quibusdam Lyricis carminibus [...] editum a Iohanne Maio Romhil|tensi viro clarissimo. [Leipzig: Martin Landsberg, 1488]. Hain 10537. Im Nachwort, einem Brief an seinen Bruder Wenzel (Leipzig, 18. Aug. 1488), gibt H. sich als Schüler des Joh. Maius und als Hg. des ‘Opusculum’ zu
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erkennen. Er fügte diesem am Ende Brief und Gedicht des Aeneas Silvius D Piccolomini an Kaspar Schlick vom 23. Dez. 1442 über die vera nobilitas der virtus bei (R. Wolkan [Hg.], Der Briefwechsel d. Eneas Silvius Piccolomini, Bd. I 1, 1918, Nr. 42). ⫺ Ankündigung: Clemen, 1907, S. 124. ⫺ ND: Leipzig: Jak. Thanner, 1500. Hain 10538. 2. Candidissimus Dominici Mancini | Liber de quatuor virtutibus et om|nibus officiis ad bene beateque viuen|dum pertinentibus. [Leipzig: Martin Landsberg, 1488]. HR 10631. Widmung an H.’ Bruder Wenzel (Leipzig, 30. Juni 1488). 3. Marci. Valerij Martia⫽|lis Xenia. Leipzig: Moritz Brandis, 28. Nov. 1488. Hain 10826. Die Ausgabe enthält die ‘Xenia’ und die ‘Apophoreta’ (⫽ Epigr. XIII u. XIV). H. fügte das hier und damals meist unter dem Namen des Antonio Beccadelli gehende Gedicht ‘De hermaphrodito’ (inc. Cum [Dum] mea me genetrix [mater] gravida gestaret in alvo) Hildeberts von Tours an sowie eine eigene poetische Empfehlung des Martial (16 Dist.), welche die allzu rigiden Sittenrichter abwehrt. Die 1498 bei Jak. Thanner gedruckte Neuauflage (Hain 10827): Marci Valerij Marti|alis Hispani Xenia et | Apophoreta ist auf Bl. A ijr⫺v ergänzt durch eine Breuis commemoratio vite Marci Valerij Martialis per magistrum Johannem Honorium Cubitensem, eine kurze Skizze von Leben und Werk Martials, dessen Epigrammen H. ohne Einschränkung moralistische Tendenz und Qualität zubilligt und zugleich als ihr typisches Merkmal Sarkasmus und Witz notiert. 4. Vita diui Antonij a Mapheo vegio | Laudensi viro [...] | [...] vnacum suavissimis | [...] carminibus de sancte Ma|rie et beate Anne laudibus pulcherrimis. Leipzig: Gregor Böttiger, 7. April 1492. Hain 15923. GW-Ms. 49550. Im Kolophon: [...] per magistrum Johannem Cubitensem diligenter emendatum. Vor dem Kolophon ein Dist. des H. Der Druck enthält neben der ‘Vita Antonii’ des Maffeo Vegio zwei weitere der bekanntesten religiösen Dichtungen der Zeit, den Marienhymnus Virgo decus celi virgo sanctissima virgo des Gregorius Tiphernas und Rudolf D Agricolas ‘Anna mater’. 5. Quinti Horatii | flacci epodos. Leipzig: Martin Landsberg, 1492. Hain 8904. Vor dem Kolophon ein Distichon des H. (‘ewige Dauer großer Dichtung’). NDe: Leipzig: Jak. Thanner, 1498 u. [ebd., 1500]. Hain 8905 u. Reichling, Suppl. 947. 6. Horatii Flacci satyrici | poete sermonum Liber | primus. [Leipzig: Martin Landsberg, 1492]. Hain 8907. Bl. A ijr⫺v: Horatij vita per Magistrum Joannem Cubitensem, mit Ausführungen über Begriff und Gattung der Satire und ihre römische Geschichte. ⫺ Ankündigung: Voullie´ me, S. 41. ⫺ ND: Leipzig: Jak. Thanner, [um 1502]. VD 16, H 4946.
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Honorius Johannes, Cubitensis
7. Mancinelli Veliterni de | componendis versibus | Opusculum. Leipzig: Martin Landsberg, 23. Juni 1493. Hain 10613. Der von H. zusammengestellte Druck enthält neben dem ‘Versilogus’ Mancinellis sowie Zusätzen aus Johannes Sulpitius und Franciscus Maturantius auf Bl. C ijr⫺[C4]v Joannis Cubitensis de quibusdam lyricis carminibus ad Mattheum Lupinum Libellus, eine Erläuterung der in Horaz’ Oden begegnenden Versmaße mit einzelnen Ergänzungen aus Catull, Persius und Boethius. Titelbl.v: 5 Distichen des Johannes Maius Ad lectorem, danach ein Auszug aus Battista Guarinos ‘De ordine docendi et discendi’ über den Nutzen der Kenntnis von Metrik und Prosodie (E. Garin [Hg.], Il pensiero pedagogico dello umanesimo, Firenze 1958, S. 446⫺448). 8. Quinti Horatij Flacci Epi|stolarum liber Primus. Leipzig: Martin Landsberg, 31. Jan. 1498. Hain 8913. Im Kolophon: Epistole Horatij [...] per magistrum Johannem Honorium Crispum Cubitensem emendate [...]. Titelbl.v: Widmung an Matthaeus Lupinus (o. D.). ⫺ Ankündigung: Voullie´ me, S. 39. 9. Ps.-Phalaris, Epistole Phalaridis per | Franciscum aretinum tra|ducte. Leipzig: Jak. Thanner, 31. Mai 1498. Hain 12900. Erster Druck der verbreiteten (s. Hain 12871⫺12899) Phalaris-Briefe in Deutschland. Titelbl.v ⫺ A iijr: Ausführliche Vorrede an den Leser. Die Ausgabe liefert den Text für die lectio rhetoricalis, die H. von der Fakultät für das SS 1498 zugewiesen wurde. Bei der Wahl der Phalaris-Briefe, einer antiken Fälschung, die H. sowenig wie dem lat. Übersetzer Franciscus Griffolinus bewußt war, folgte er dem Rat des Freundes Maius, der ihm auch, wohl als Druckvorlage, ein Exemplar der rhetorischen Briefsammlung vermittelte. Wegen des als Herrscher übel beleumundeten Phalaris ⫺ H. referiert die Sage von Perillus, dem Erfinder des ehernen Stiers, als dessen erstes Opfer ihn Phalaris bestimmte ⫺ sieht er sich zu einer Erklärung über den vermeintlichen Autor veranlaßt. Griffolinus folgend unterstellt er, daß sich im Brief die Person offenbare, und rückt, da sich in den Phalaris-Briefen ein menschenfreundlicher Charakter zeige, vom überlieferten finsteren Bild des exemplarisch grausamen Tyrannen ab. 10. Horaz, ‘Oden’. Quinti horatij Flacci li|ber carminum primus. | Johannis Honorij Cris|pi Cubitensis Ode di|colos tetrastrophos Ad lectorem. Leipzig: Jak. Thanner, 7. Juli 1498. Hain 8901. Jedes der vier Odenbücher mit eigenem Titel und eigener Lagenzählung. ⫺ Ankündigung: Voullie´ me, S. 42. 11. Hesiod, ‘Opera et dies’. Hesiodi poete georgicorum | liber per Nicolaum de valle | conuersus e greco in latinum. Leipzig: Jak. Thanner, 16. April 1499. GW 12403. Mit einer Praefatio des Honorius
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zur Person Hesiods und zu seinem Gedicht, die im wesentlichen aus einem Florilegium antiker Gewährsmänner besteht. Zwei Leipziger NDe: Jak. Thanner, 1502, u. Martin Landsberg, 1507. VD 16, H 2719 u. 2720. 12. Bononi Mombritij Medio⫽|lanensis ad sanctissimum d. | dominum Sixtum quartum | summum pontificem de dominica passione libri sex heroico carmine conscripti. Leipzig: Jak. Thanner, 1499. Hain 11543. Widmung an Dr. iur. utr. Joh. Schrenk, Rat Hzg. Georgs von Sachsen, den H. als einen seiner Förderer betrachtet und auf dessen Wunsch er den Druck des Passionsepos besorgt hat (Leipzig, 5. Jan. 1499). H. fügte am Ende (Bl. [K5]r⫺v) zwei eigene Carmina bei, einen Hymnus de passione domini nostri Jesu Christi (7 Dist.) und einen Hymnus de compassione beate virginis (8 Dist.). 13. Prudentius, ‘Dittochaeum’. Aurelij Prudentij li⫽|ber historiarum incipit. Leipzig: Jak. Thanner, 2. Mai 1499. Hain 13434. Im Kolophon: [...] per magistrum Johannem Cubitensem diligenter emendatus. H. ließ sich vermutlich von der Ausgabe dreier Hymnen des Prudentius anregen, die im Jahr zuvor Johannes Maius besorgt hatte. Noch ungeklärt ist der mögliche Zusammenhang mit der anonymen Leipziger dt. Übers. des ‘Dittochaeum’ (hg. v. F. Pensel, ZfdA 126 [1997] 64⫺85). 14. Leonardo Bruni, Leonardi Arretini episto⫽|le Familiares. Leipzig: Jak. Thanner, 1499. GW 5609. Die Ausgabe umfaßt neun Bücher, wie zuvor nur GW 5608 ([Löwen: Rud. Loeffs, um 1487]). Widmung an den Mediziner Wenzel D Faber von Budweis zum Dank für Förderung in früheren Jahren (Leipzig, 27. Okt. 1499). H. las über die Briefe Brunis, dessen admirabilem eloquentiam et ingenij acumen, verborum copiam maiestatemque sententiarum er rühmt, auf Beschluß der Fakultät im WS 1499. 15. Fratris Baptiste Mantua⫽|ni Carmelite contra poetas | impudice loquentes carmen. Leipzig: Jak. Thanner, 1499. GW 3311. Im Kolophon: [...] per Magistrum Johannem honorium Cubitensem diligenter emendatum [...]. Titelbl.v: Eloge des Jodocus Badius auf Baptista Mantuanus: [...] vnus est qui sola antiquitate antiquis postponendus est. 16. Marci Tulij Ciceronis de senectute | Liber acri cura et diligentia Magi|stri Joannis Cubitensis emendatus. Leipzig: Martin Landsberg, 1500. GW 6991. Bloßer Cicero-Text mit Zeilendurchschuß. Ohne Beigaben. 17. Magnus Basilius de poetarum | oratorum historicorumque ac philo|sophorum legendis libris cum commentariolo Magistri Johan-|nis Honorij Cubitensis. Leipzig: Jak. Thanner, [um 1503]. VD
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Hoogstraeten, Jacobus
16, B 655. Der Text des Basilius in der lat. Standardübersetzung des Leonardo Bruni. Widmung an H.’ im SS 1502 in Leipzig immatrikulierten Schüler Christoph Ursinus aus Krakau (o. D.). Am Ende 1 Dist. von Joh. Maius. Weitere vier Leipziger Auflagen 1505⫺1508. VD 16, B 657⫺659, 662. Der Kommentar des Honorius ist, abschnittsweise vorgehend, ein sprachlicher und sachlicher Stellenkommentar von gelehrter Kompetenz, kein Kommentar, der auf das Thema des Basilius zusammenfassend einginge. H. zitiert aus mehr als 40 antiken Autoren und Kirchenvätern, dazu aus 20 zeitgenössischen humanistischen Autoren, ausschließlich Italienern. 18. Kompendium des Valerius Maximus. H. stellte ein Kompendium der ‘Facta et dicta memorabilia’ des Valerius Maximus her, indem er sämtliche Exempla der neun Bücher auf durchweg zwei bis drei Zeilen kürzte. Der literarische Aufbau der Exempla und Anekdoten war in den bewußt auch sprachlich vereinfachten Kurzfassungen damit preisgegeben. Das zur fortlaufenden Lektüre kaum geeignete Kompendium sollte, wie H. in der Widmung an seinen Schüler Christoph Ursinus erläuterte, gleichwohl ein zur Beschäftigung mit Geschichte hinführendes Instrument sein. Für die moralistische Auffassung von Geschichtswissen, die H. vertritt, bot sich das zur moralischen Paränese neigende Werk des römischen Schriftstellers an. H. stattete sein Buch mit einer Vita des Autors und einem reichen Namen- und Sachregister aus. Drucke. Epitomata super nouem libros | Valerij Maximi de dictis fa|ctisque memorabilibus diligenter et | accurate a Magistro Johanne | Honorio Cubitensi recollecta. Leipzig: Jak. Thanner, 1503. VD 16, ZV 8171. Mit einem anpreisenden Epigramm (5 Dist.) des Mag. Andreas Boner (Fabanus) auf dem Titelbl. ⫺ Ankündigung: Clemen, 1907, S. 124. ⫺ Ein mit Ausnahme des Titelbl.s seiten-, zeilen- u. typengleicher ND: Leipzig: Jak. Thanner, 1507. VD 16, ZV 8172. Literatur. Bauch, Leipzig, S. 66 f., 70⫺75 u. ö. (Reg.); O. Clemen, Kleine Beitr. z. sächs. Gelehrtengesch., NA f . sächs. Gesch. u. Altertumskunde 25 (1904) 296⫺305, hier S. 297 f., u. 28 (1907) 122⫺134, hier S. 122⫺124 (zit.), wieder in: Clemen, Kl. Schr., Bd. 2, 1983, S. 26⫺36, 398⫺ 410; E. Voullie´ me, Nachträge zu d. Buchhändleranzeigen d. XV. Jh.s, in: Wiegendrucke u. Hss. Fg. Konrad Haebler, 1919, S. 18⫺44, hier S. 33 f., 39⫺ 42; G. Buchwald, Die Matrikel d. Hochstifts Merseburg 1469⫺1558, 1926, S. 61; U. Andermann, Albert Krantz, 1999, S. 105 f.
F. J. Worstbrock
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Hoogstraeten (Hoch-, Hooch-, -strassen, -stratanus, -straten, -tus), Jacobus I . L eb en . Zeitlebens war H. in verschiedene Kontroversen verwickelt, die zu einer regen schriftstellerischen Tätigkeit führten. Vor allem seine Auseinandersetzung mit Johannes J Reuchlin über die Bedeutung der jüdischen Literatur für die christliche Glaubenslehre hat seinen Ruf nachhaltig geschädigt. Wegen seines Vorgehens in dieser Angelegenheit wurde er für die Humanisten zur Zielscheibe ihres Spottes, was sein Bild in der Geschichtsschreibung bis auf dem heutigen Tag beeinflußt hat. Er wurde um das Jahr 1465 in Hoogstraeten in der Nähe von Antwerpen geboren. Über seine Familie liegen keine Erkenntnisse vor. Er immatrikulierte sich unter dem Namen seines Geburtsortes am 20. Mai 1482 in der Artistenfakultät zu Löwen. Nach dem Erwerb des Magister artium (1485) begann er in Löwen ein Theologiestudium. Er trat dem Dominikanerorden bei und wurde zum Priester geweiht. Zur Fortsetzung seines Studiums schickte sein Orden ihn 1496 an die Kölner theologische Fakultät. Hier begegnete er Servatius Vanckel, der gleichzeitig Professor der Theologie und Prior des Kölner Dominikanerklosters war. Unter Vanckels Einfluß wandte sich H. der Observanz zu, die eine Reform des Ordens auf der Grundlage der ursprünglichen Regel anstrebte. Am 9. Mai 1504 promovierte H. bei Vanckel, wurde Regens des Kölner Dominikanerklosters und Professor der Theologie an der Universität. Im Jahre 1507 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen H. und Petrus Tomasi von Ravenna, der an der juristischen Fakultät zu Köln lehrte. Der italienische Gelehrte hatte in seinen Vorlesungen den damals in Deutschland gängigen Brauch kritisiert, die Leichen hingerichteter Verbrecher als abschreckendes Beispiel am Galgen hängen zu lassen, statt sie zu beerdigen. Tomasi empfand dieses Verfahren als inhuman und meinte sogar, die Behörden begingen hiermit eine Todsünde. Indirekt richteten sich seine Worte gegen die
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Hoogstraeten, Jacobus
Geistlichkeit, die diese Praxis billigte. Als er seine Auffassung in einer Schrift veröffentlichte, faßte H. den Entschluß, seinen Kollegen zu widerlegen. Die Kontroverse zwischen beiden zog sich über mehrere Jahre hin. H. erreichte den Gipfel seiner geistlichen Karriere im Jahre 1510, als er zum Prior des Kölner Dominikanerklosters und päpstlichen Inquisitor für die Kirchenprovinzen Köln, Mainz und Trier ernannt wurde. Als Kommissar des Bischofs von Utrecht führte er einen Ketzerprozess gegen den Arzt Hermann von Rijswijk. Dieser war wegen der Verbreitung averroistischer Ideen angeklagt. H. verurteilte den Arzt als Häretiker und übergab ihn den weltlichen Behörden, die ihn am 14. Dez. 1512 verbrannten. Weitaus schwieriger gestaltete sich seine Rolle in der sog. Causa Reuchlini. Diese hatte als Auseinandersetzung über die Frage begonnen, ob der Talmud für die christliche Glaubenslehre schädlich sei. Gegenüber Johannes J Pfefferkorn, der die Konfiszierung und Verbrennung der rabbinischen Literatur befürwortete, trat Reuchlin für ihren Erhalt ein. Seine Ansichten veröffentlichte er 1511 im ‘Augenspiegel’. Auf Drängen H.s unterzog die Kölner theol. Fakultät das Buch einer Untersuchung und verurteilte den Inhalt am 16. Aug. 1513 als häretisch. Die theol. Fakultäten von Löwen, Mainz und Erfurt schlossen sich diesem Urteil an. Das Verfahren richtete sich ausschließlich gegen den Inhalt des Buches; die Rechtgläubigkeit Reuchlins stand nicht zur Debatte. Am 15. Sept. 1513 eröffnete H. vor dem Inquisitionstribunal in Mainz ein Zensurverfahren gegen den ‘Augenspiegel’. Während des Prozesses stellte Reuchlin sich geschickt als Opfer inquisitorischer Arroganz dar. Er erreichte, daß der Mainzer Erzbischof das Verfahren aussetzen ließ. Vor dem Gericht des Bischofs von Speyer wurde Reuchlin am 29. März 1514 von allen Anklagen gegen den ‘Augenspiegel’ freigesprochen. H. war nicht bereit, sich zu fügen, und appellierte an den Papst. Leo X. richtete in Rom eine Kommission ein, die er mit der Untersuchung des ‘Augenspiegels’ betraute. H. rei-
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ste nach Rom, wo er sein Anliegen persönlich erläutern wollte. Er scheiterte jedoch erneut. Die Kommission war mehrheitlich der Überzeugung, daß die Beschwerden gegen Reuchlins Buch haltlos seien. Um seinem Inquisitor eine peinliche Niederlage zu ersparen, setzte der Papst das Verfahren in Rom im Jahre 1516 außer Kraft. Seine Entscheidung bedeutete, daß das Urteil des Speyrer Gerichts vorläufig seine Rechtsgültigkeit behielt. 1517 kehrte H. nach Deutschland zurück. Hier hatte die Affäre inzwischen hohe Wellen geschlagen, was in einer Reihe satirischer Schriften zum Ausdruck kam. Zur Unterstützung Reuchlins veröffentlichten die Humanisten J Crotus Rubeanus, Ulrich von J Hutten und Hermann J Buschius anonym die J ‘Epistolae obscurorum virorum’ (1515⫺1517), eine genial-bösartige Satire in Form einer Briefsammlung, die sich gegen die Professoren der Kölner Universität richtete. H. reagierte nicht auf die Schmähschrift. Als dagegen ein Mitglied der Kommission in Rom, Georgius Benignus, eine Schrift zur Verteidigung Reuchlins veröffentlichte, entschloß sich H., diese zu widerlegen. Er verfaßte in den Jahren 1518 und 1519 zwei umfassende Schriften, die ‘Apologia’ und die ‘Apologia secunda’, in denen er mit theologischen und juristischen Argumenten seine Bedenken gegen den ‘Augenspiegel’ darstellte. In einer weiteren Schrift, der ‘Destructio Cabale’, attackierte H. die kabbalistischen Studien Reuchlins. Die Streitigkeiten zwischen H. und seinen Gegnern eskalierten in diesen Jahren dermaßen, daß J Erasmus von Rotterdam ihn in einem Brief (Op. epist., Nr. 1006) um Zurückhaltung bat. H. reagierte darauf nicht. Der Konflikt erreichte seinen dramatischen Höhepunkt, als der Ritter Franz von Sickingen Partei für Reuchlin ergriff. Der mächtige Sickingen drohte dem Dominikanerorden mit einer Fehde, wenn dieser keine disziplinarischen Maßnahmen gegen H. ergreife. Im Mai 1520 kam in Frankfurt a. M. ein Vergleich zwischen Sickingen und den Dominikanern zustande, wobei H. von seinen Ämtern als Prior und Inqui-
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Hoogstraeten, Jacobus
sitor suspendiert wurde. Papst Leo X. war jedoch nicht bereit, dem Vergleich zuzustimmen. Zugleich faßte er den Entschluß, jetzt hart gegen Reuchlin und dessen Sympathisanten durchzugreifen. Am 23. Juni 1520 verurteilte er den ‘Augenspiegel’ als ein verwerfliches Buch, das weder verkauft noch gelesen werden dürfte. Der Papst weigerte sich allerdings, das Buch als häretisch zu verurteilen. Schon vor der definitiven Entscheidung in der Causa Reuchlini hatte H. angefangen, sich mit Luther auseinanderzusetzen. Die Verurteilung der Schriften Luthers durch die Kölner theol. Fakultät am 30. Aug. 1519 war hauptsächlich sein Werk. In den folgenden Jahren veröffentlichte er mehrere anti-reformatorische Schriften. Außerdem war H. als Inquisitor an der Hinrichtung mehrerer Lutheraner in den Niederlanden beteiligt. Er starb am 27. Jan. 1527. I I. We rk . Alle Schriften H.s sind lat. verfaßt und nur in gedruckter Form überliefert. Ein Briefwechsel existiert nicht.
A . S tr ei ts ch ri ft en ge ge n P et ru s Tom as i v on Ra ve nn a. 1. ‘Iustificatorium principum Alamanie’. Gegenüber Petrus von Ravenna verteidigt H. den deutschen Brauch, hingerichteten Kriminellen das kirchliche Begräbnis zu verweigern und sie als Warnung am Galgen hängen zu lassen. Drucke. Iustificatorium principum alamanie | [...]. [Köln: Herm. Bungart, 1508]. VD 16, H 4818; ein ND: Köln: Joh. Landen, 8. Mai 1508 (s. Peterse, S. 151, Nr. 2). Titelepigramm von Jakob J Magdalius von Gouda.
2. ‘Defensio scholastica principum Almanie’. Zweite Schrift gegen Petrus von Ravenna. H. wiederholt seine Argumente gegen die Auffassung des italienischen Gelehrten über die Behandlung hingerichteter Verbrecher. Außerdem stellt er in zwei Quaestiones dessen moralische Integrität in Frage.
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Druck. Defensio scholastica principum | almanie in eo quo sceleratos deti|net. insepultos in ligno. […]. [Köln]: Joh. Landen, 1508. VD 16, H 4810.
3. ‘Protectorium principum Alemanie’. Dritte und letzte Streitschrift gegen Petrus von Ravenna. H. veröffentlicht hierin Gutachten der theologischen und juristischen Fakultäten zu Köln und Löwen und der Gerichte zu Lüttich und Utrecht, die seine Position unterstützen. Die Schrift ist Kardinal Bernardino Lo´pez de Carvajal, der 1510 Köln als päpstlicher Legat besuchte, gewidmet. Druck. Protectorium principum Alemanie | […]. Köln: [Heinr.] Quentell [Erben], 1511. VD 16, H 4802.
B . C au sa Re uc hl in i. 1. ‘Consultatio contra immundos libros Iudaeorum’. Im Auftrag Ks. Maximilians I. fertigte H. i. J. 1510 ein Gutachten über den Talmud an. Er befürwortet dessenVernichtung wegen seines anti-christlichen Charakters und weist in diesem Zusammenhang auf die Verurteilung des Talmuds durch die Päpste Gregor IX. (1227⫺1241) und Innozenz IV. (1243⫺1254) hin. Drucke. Beschyrmung Johannes Pfefferkorn | (den man nit verbrent hat) zeygt menniglichen an den | handell [...]. [Köln: Heinr. v. Neuss, 1516], Bl. D iijv⫺Er. VD 16, P 2288; Defensio | Joannis | Pepericorni, contra famosas et crimina|les obscurorum virorum epistolas [...]. Köln: [Heinr. Quentell Erben], 1516, Bl. C iijr⫺[C4]v. VD 16, P 2289. Ausgabe. Hutten, Opera, Suppl.-Bd. 1, S. 99⫺ 101.
2. ‘Libellus accusatorius contra Oculare Speculum Ioannis Reuchlin’. Die Anklageschrift gegen den ‘Augenspiegel’, die H. während des Prozesses in Mainz am 15. Sept. 1513 überreichte. Sie enthält Stellen aus dem ‘Augenspiegel’, die sich mehrheitlich auf Reuchlins Verteidigung der rabbinischen Literatur beziehen. Drucke. Acta Iudiciorum inter F. | Iacobum Hochstraten inquisito|rem Coloniensem et Iohan| nem Reuchlin LL. doctor | ex Registro publico [...]. Hagenau: Th. Anshelm, 1518, Bl. A ijr⫺Br.
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Hoogstraeten, Jacobus
VD 16, A 150. ⫺ Epistolae trium illustr|ium virorum, ad Hermannum Comitem Nuenarium [...]. Köln: Euch. Cervicornus, 1518, Bl. ev⫺[e4]v. VD 16, H 4820; Epistolae | trium illustrium Vi|rorum, ad Hermannum Comitem | Nuenarium […]. [Hagenau: Th. Anshelm, 1518]. VD 16, H 4819.
3. ‘Erronee assertiones’. H. verfaßte die Schrift in Rom, wo er sich zum Prozeß gegen den ‘Augenspiegel’ aufhielt. Sie enthält Stellen aus Reuchlins Buch, die von H. widerlegt werden. Widmung an Papst Leo X. Druck. Erronee assertiones in oculari Speculo Io. Reuchlin […]. Rom 1517. S. Peterse, S. 153, Nr. 8.
4. ‘Apologia’. Widerlegung der ‘Defensio Ioannis Reuchlin’ (1517) des Georgius Benignus. Die ‘Apologia’ ist die erste umfassende Schrift, die H. zur causa Reuchlini veröffentlichte. In der Polemik zwischen Benignus und H. spielt die Auslegung von Ih 5,39 im Blick auf die Bewertung der rabbinischen Überlieferung eine wichtige Rolle. Druck. Ad sanctissimum | dominum nostrum Leonem papam | decimum. Ac diuum Maxemilianum [!] Imperatorem | [...] Apologia […] | Iacobi Hochstraten. Köln: [Heinr. Quentell Erben], 1518. VD 16, H 4807.
5. ‘Apologia secunda’. Die Schrift richtet sich gegen die ‘Epistolae trium illustrium virorum’ (1518) und deren Herausgeber Hermann von J Neuenahr. Ihr ist ein Brief des Kölner Humanisten Ortwin J Gratius beigefügt, der hierin seine Unterstützung für H. zum Ausdruck bringt (Bl. F iijv⫺[F4]r). Druck. Ad reuerendum | [...] D. Joannem Ingewinkel […] Apologia secunda | […]. Köln: Peter Quentell, 1519 (so Titelseite, am Ende: 1. Okt. 1518). VD 16, H 4806.
6. ‘Destructio Cabale’. Widerlegung von Reuchlins ‘De arte cabalistica’ (1517). H. gesteht ein, anfänglich von den exegetischen Möglichkeiten der Kabbala fasziniert gewesen zu sein, schon bald aber die Gefahren für die christliche Glaubenslehre erkannt zu haben. Der Arzt und Gelehrte Paulus J Ricius veröffentlichte 1523 eine Gegenschrift, in der er die Lehre der Kabbala verteidigt.
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Drucke. Destructio Ca⫽|bale seu Cabalistice perfidie ab | Ioanne Reuchlin Capnione iampridem in lucem | edite˛ […]. Köln: Peter Quentell, April 1519. VD 16, H 4812.
C . A nt ir ef or ma to ri sc he s ch ri ft en .
St re it -
1. ‘Colloquia cum divo Augustino’ (Pars prima u. Pars secunda). H. sucht in den ‘Colloquia’ das Erbsünden- und Konkupiszenzverständnis Martin Luthers zu widerlegen. Den Ansichten des Reformators stellt er die Aussagen des Kirchenvaters Augustin über diese Thematik gegenüber. Der erste Teil ist Papst Hadrian VI., der zweite Ks. Karl V. gewidmet. Der zweite Teil erschien vor dem ersten. Drucke. [...] Fratris Iacobi de Hochstraten | cum diuo Augustino Colloquia contra enormes | atque peruersos Martini Lutheri errores | Pars secunda. Köln: Peter Quentell, Aug. 1521. VD 16, H 4809. ⫺ […] F. Iacobi Hochstratani cum diuo Augustino | Colloquia contra […] Martini Lutheri errores. […] | Pars prima […]. Köln: Peter Quentell, Jan. 1522. VD 16, H 4808.
2. ‘Dialogus de veneratione et invocatione sanctorum’. Die zweite antireformatorische Schrift richtet sich gegen Johannes Lonicerus, einen ehemaligen Augustiner, der die traditionelle Heiligenverehrung in Frage gestellt hatte. H. rechtfertigt die kirchliche Praxis. Die Schrift ist v. a. interessant wegen des Versuchs, das Verhältnis zwischen Schrift und Tradition aus katholisch-theologischer Sicht darzustellen. Drucke. Dialo⫽|gus de veneratione | et inuocatione sanctorum contra perfidiam Lu⫽|theranam […] ad […] Hermannum de Weda Archi⫽| episcopum Coloniensem […]. Köln: Peter Quentell, 1524. VD 16, H 4813 u. 4814; eine Variante: VD 16, ZV 24224. Ausgabe. F. Pijper, in: Bibliotheca reformatoria Neerlandica, Bd. 3, s-Gravenhage 1905, S. 431⫺ 498.
3. ‘De purgatorio’. H. verteidigt die Existenz des Fegfeuers, die Luther geleugnet hatte. Er beruft sich auf die Kirchenväter (u. a. Augustin und Ambrosius) und unterscheidet ein innerliches (spirituelles) und ein externes Feuer. Das externe Feuer ist das eigentliche Feg-
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Hoogstraeten, Jacobus
feuer, das H. in traditionellem Sinn als reinigende Kraft darstellt. Druck. Iacobi | Hoochstrati ordi⫽|nis praedicatorii | […] De Purgatorio […]. Antwerpen: Mich. Hillen v. Hoogstraeten, 1525. NK 1113. Ausgabe. Pijper (wie o. 2.), S. 499⫺536.
4. ‘Epitome de fide et operibus’. Die drei letzten Schriften, die H. veröffentlichte, sind als eine thematische Einheit zu betrachten. Sie befassen sich mit dem Verhältnis zwischen Gnadenlehre und guten Werken. H. entwickelt in diesen Schriften, wie Hofmann und Ickert dargelegt haben, eine eigenständige theologische Argumentation auf der Grundlage der Hl. Schrift. Druck. Epitome de | fide et operibus aduersus chimaericam illam atque monstrosam Martini Lutheri | libertatem […]. Köln: Peter Quentell, 1525. VD 16, H 4817.
5. ‘Dialogus adversus pestiferum Martini Lutheri tractatum de christiana libertate’. H. attackiert Luthers Rechtfertigungslehre, wie dieser sie in ‘De libertate christiana’, der lat. Fassung des Freiheitstraktats, dargelegt hatte. Druck. Aduer⫽|sus pestiferum Martini Lu⫽| theri Tractatum, qui de Christiana libertate inscri⫽|bitur, fructuosus Dialogus Authore fratre Iacobo | Hoochstrato [...]. Antwerpen: Mich. Hillen, 1526. NK 1112.
6. ‘Disputationes contra Lutheranos’. In seiner letzten Schrift setzt sich H. mit verschiedenen Anhängern Luthers, u. a. mit dem Grafen Wilhelm von Isenburg, auseinander. Neben der Bedeutung der guten Werke für die Gnadenlehre verteidigt H. in dieser Schrift auch die Willensfreiheit. Druck. Ad reueren⫽|dissimum in Christo patrem | [...] Erardum de Marcha [...] | [...] Fratris Iacobi Hoechstrati | [...] | aliquot disputationes. contra Lutheranos. [Köln: Peter Quentell, 1526]. VD 16, H 4805. Ausgabe. Pijper (wie o. 2.), S. 537⫺620.
D . Wei te re th eo lo gi sc he Sc hr if t en . 1. ‘Defensorium fratrum mendicantium’. In seiner frühesten Schrift behandelt H. in der Form einer scholastischen Disputa-
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tion die Frage, ob Bettelmönche berechtigt seien, die Beichte zu hören und Sündenvergebung auszusprechen. Diese Frage bildete einen Zankapfel zwischen den Bettelorden und der Weltgeistlichkeit. H. beklagt den sittlichen Verfall der Weltgeistlichkeit. Druck. Defensorium fratrum mendi|cantium contra curatos | illos qui priuilegia fratrum iniuste impugnant [...]. [Köln: Heinr. Quentell Erben], 1507. VD 16, H 4811.
2. ‘Tractatus magistralis’. H. verfaßte die Schrift anläßlich seiner Ernennung zum päpstlichen Inquisitor. Er behandelt hierin die Frage, ob ein Christ seine Zuflucht zur Zauberei nehmen dürfe, um sich gegen schwarze Magie zu schützen. H. verurteilt ein solches Vorgehen als Häresie. Druck. […] Tractatus magi/|stralis declarans quam grauiter peccent | querentes auxilium a maleficis compilatus | ab […] Iacobo hoechstrassen […]. Köln: Martin v. Werden, 1510. VD 16, H 4803 u. 4804.
3. ‘Margarita moralis philosophie’. Moraltheologische Schrift, die sich mit der Ethik des Aristoteles auseinandersetzt. Die Forschung bewertet ihren Inhalt unterschiedlich. Eine ausführliche Darstellung dieser bei weitem umfangreichsten Schrift H.s steht noch aus. Druck. Margarita mo|ralis philosophie | in duodecim redacta libros. | […]. Köln: Peter Quentell, 1521. VD 16, H 4821.
4. ‘Absoluta determinatio’. H. verurteilt die Geistlichen, die im Konkubinat leben. Er fordert die Gläubigen dazu auf, sich aktiv für die Entfernung solcher Geistlichen aus dem Priesteramt einzusetzen. Druck. Absoluta | Determinatio Reuerendissimi P. Iacobi Hochstrassen [...] | […] de presbyteris publica fornicatione nota/|tis […]. Köln: Konrad Caesar, 1523. VD 16, H 4801. Literatur. J. Que´ tif / J. Echard, Scriptores ordinis Praedicatorum, Bd. 2, Paris 1721, S. 67⫺ 72; H. Cremans, De Iacobi Hochstrati vita et scriptis, 1869; L. Geiger, in: ADB 12, 1880, S. 527⫺529; N. Paulus, Die dt. Dominikaner im Kampfe gegen Luther (1518⫺1563), 1903, S. 87⫺ 106; R. Coulon, in: Dictionnaire de The´ologie Catholique 7/1, 1927, Sp. 11⫺17; H. Jedin, in:
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Horlenius, Joseph
NDB 9, 1972, S. 605 f.; W. Klaiber, Kath. Kontroverstheologen u. Reformer d. 16. Jh.s. Ein Werkverz. (Reformationsgesch. Stud. u. Texte 116), 1978, S. 146⫺148; U. Hofmann, Via Compendiosa in Salutem. Stud. zu Jakob v. Hochstratens letzten kontroverstheol. Schr. (1525⫺1526), 2 Bde., Diss. Tübingen 1981; M. Gielis, Hekserij en heksenvervolging in het licht van de leer van Jacob van H. over toverij en duivelspact, Taxandria 59 (1987) 5⫺52; U. Horst, J. H. OP (ca. 1460⫺ 1527), in: E. Iserloh (Hg.), Kath. Theologen d. Reformationszeit, Bd. 4, 1987, S. 7⫺14; S. Ickert, Defending and Defining the Ordo Salutis: J. van H. vs. M. Luther, ARG 78 (1987) 81⫺97; ders., Catholic Controversialist Theology and Sola Scriptura: The Case of Jacob van H., The Catholic Historical Review 74 (1988) 13⫺33; F. W. Bautz, in: BBKL 2, 1990, Sp. 1042⫺1045; H. Peterse, J. H. gegen J. Reuchlin. Ein Beitrag z. Gesch. d. Antijudaismus im 16. Jh., 1995 (mit krit. Werkverz.); W. P. Eckert, in: 3LThK 5, 1996, Sp. 271 f.; W. Trusen, Die Prozesse gegen Reuchlins ‘Augenspiegel’. Zum Streit um d. Judenbücher, in: St. Rhein (Hg.), Reuchlin u. d. polit. Kräfte seiner Zeit (Pforzheimer Reuchlinschr. 5), 1998, S. 87⫺131; U. Hofmann, in: 3RGG 3, 2000, Sp. 1814.
Hans Peterse
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der Pest. Für die wiederholte Behauptung Hamelmanns, H. habe auch in Herford
gelehrt, hat sich ein Nachweis nicht beibringen lassen. Zu H.’ Freunden zählten seiner erhaltenen Korrespondenz, verschiedener Widmungen und anderer Zeugnisse zufolge nächst Johannes Pering der Herforder Fraterherr Jacobus J Montanus, der H. häufig Aufträge erteilte (vgl. Krafft/Crecelius, Briefe Nr. 8⫺10), der Kollege an der Domschule Antonius J Tunnicius, Hermann J Buschius, der Münsterer Drucker Dietrich Tzwyvel, der Kölner Drucker Johannes Gymnich, der ihm zwei Ausgaben widmete (Buschius, ‘Decimationum Plautinarum pemptades sive quinariae’, Köln 1518, VD 16, B 9886; Murmellius, ‘Tabularum opuscula tria’, Köln 1518, VD 16, M 6979), Ortwin J Gratius, dessen philologischen Fähigkeiten er vertraute (s. u. II.B.9.), der Lehrer Tilman Mülle, der junge Münsterer Domherr Georg Hatzfeld. I I. We rk .
Horlenius (Horlenn-, Harlen-), Joseph I . L eb en . Die von Hamelmann völlig verzeichnete Biographie des H. (Lˆffler, S. 118⫺120), der die ältere Forschung durchweg vertraute, hat Reichling 1898 in wesentlichen Punkten korrigiert. Zur Kritik Hamelmanns grundsätzlich: K. Lˆffler, Zur Biographie Rudolf von Langens, Zs. f. vaterländ. Gesch. u. Altertumskunde 69 (1911), 1. Abt., S. 1⫺13.
H., geb. um 1492/93 (s. Reichling, 1898, S. 4 f.) in Siegen, besuchte die Domschule in Münster, wo Johannes Pering sein Lehrer war. 1512 nahm Pering ihn als Unterlehrer mit an die Ludgerischule. 1513, als Johannes J Murmellius Münster verließ, ging H. mit Pering zurück an die Domschule und war hier Lehrer der Tertia. 1517 zeichnete er erstmals als Priester (s. u. II.D.7.). 1518, als Pering die Schule in Wesel übernahm, folgte H. ihm an der Domschule im Amte des Konrektors nach. Er starb vermutlich 1521; jedenfalls ist nach 1521 von ihm kein Lebenszeichen mehr greifbar. Nach Hamelmann erlag er 1521
Fast alles, was H. in den wenigen Jahren des Schaffens, die ihm vergönnt waren, geschrieben und herausgebracht hat, diente der Schule. Es zeugt, so wenig das einzelne wiegt, insgesamt von dem umfassenden Wandel, den der Unterricht an der Münsterer Domschule nach 1500 im Zeichen ihrer humanistischen Reform erfuhr. Christliche Überlieferung verband sich bei H. wie bei J Murmellius und Montanus mit humanistischer Programmatik und Methode ohne Konflikt. Von seiner literarischen Hinterlassenschaft ist freilich vieles nicht mehr bekannt. Wichtig bleibt daher das von Hamelmann gebotene (unvollständige) Werkverzeichnis; die Mehrzahl der dort genannten Titel ist seit langem verschollen, und mancher Druck, den Krafft/Crecelius oder Reichling noch in Händen hatten, ist heute nicht mehr greifbar. A . G ed ic ht e. Außer den zahlreichen kleinen poetischen Beiträgen für Drucke von Ausgaben
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Horlenius, Joseph
und eigenen oder anderer Schriften (s. u. B., C. und D.) ist von H.’ lat. Gedichten fast nichts mehr erhalten. Verschollen sind die nach Hamelmann (Lˆffler, S. 118) in Münster gedruckten und dem Antonius Tunnicius gewidmeten zwei Bücher Epigramme; Hamelmann (Detmer, S. 38) zitiert aus ihnen sieben überschwängliche Distichen zum Lobe Timan J Kemeners, des Rektors der Münsterer Domschule 1500⫺1528. Verschollen ist auch eine in Distichen verfaßte Dichtung “de passione domini et eius fructu percipiendo”, von der Hamelmann (Lˆffler, S. 119) das ihr vorangestellte Tetrastichon mitteilt; Reichling, 1878, S. 13 u. 15, erwog ihre Identität mit der ‘Evangeliorum explanatio’, einem angeblich in der damaligen Kölner StB befindlichen Titel, den er aber selber nicht gesehen und in seinen späteren Beiträgen zu H. nicht mehr erwähnt hat. Hamelmann (ebd.) zitiert schließlich noch aus einer in zehn Distichen gefaßten Paraphrase der Zehn Gebote, die gewiß nicht selbständig veröffentlicht war, vielleicht nur zu den gesammelten Epigrammen gehörte. B. Ausgaben. Die von H. besorgten kleinen Ausgaben fügen sich weitgehend dem vorgezeichneten Lektüreprogramm der Münsterer Domschule ein (u. a. Biblisches, Paulusbriefe, Auswahl aus antiken und humanistischen Briefsammlungen, Terenz). Zu kritischer Revision der Texte sah H. sich nur ausnahmsweise veranlaßt. Bei manchen der hier verzeichneten Ausgaben ist nicht zu klären, ob sie eher von ihm oder von Johannes Pering veranlaßt wurden. 1. Ecclesiastes Salomonis | regis Hierusalem […]. Münster: Dietr. Tzwyvel, 1514. VD 16, B 3640. Nordhoff, Nr. X. Reichling, 1900, S. 76. Haller, Nr. 17. Ex.: London, BL, 3165.aaa.22. Titelepigramme von Johannes Pering (Ogdoastichon) und H. (Hexastichon). Titelbl.v⫺a ijr: Widmung von H. an Pering. 2. Macarius Mutius, ‘De triumpho Christi’, s. u. C.1. 3. Antonij Mancinelli Uersilo|gus iam multis in locis recog⫽|nitus et auctus per Josephum Horlennium. Adiectis | breuibus et vtilibus commentarijs viri vndecumque doctissimi Joan|nis Murmellij Ruremundensis. [Köln: Martin von Werden, um 1515]. VD 16, M 512. Titelepigramm von H. (wie
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in D.1.). Titelbl.v: Vorrede an die adolescentes (6. Aug. 1515). Weitere Drucke: Köln: Quentell, um 1515. VD 16, M 513; Deventer: Theod. de Borne, 1516. NK 3481; Leipzig: Val. Schumann, 1517 u. 1520. VD 16, M 514⫺515. ⫺ Titelepigramm und Vorrede gedr. bei Krafft/Crecelius, S. 15−17. 4. Publij Terentij Aphri poetae | comici Comedia lepidissima | quae Andria inscribitur […]. Münster: Dietr. Tzwyvel, 1515. VD 16, T 532. Nordhoff, Nr. XI. Haller, Nr. 138. Titelepigramme von Johannes Pering und H., das von H. gedr. bei Nordhoff. 5. Epistole beatissimi Pauli | apostoli ad Corinthios […]. Deventer: Alb. Paffraet, 1. April 1515. NK 331. Titelepigramm von Johannes Pering. Titelbl.v: Iosephi Horlennij Segenensis ad spiritualem | catholice˛ fidei fratrem Hendecasyllabi. Bl. A ijr: Iosephi Horlennij Segenensis Apologeticon in | quosdam sacrarum literarum ignarissimos. 6. In hoc libello hec continentur | Elegantes aliquot non ineruditorum uirorum | epistolae ad Iosephum Horlenium Segenensem. | D. Erasmi Roterodami compendiaria | vitae institutio. | Documenta quaedam ex Platonis libris excerpta | studiosissimo cuique non vtilia modo. uerum et | necessaria. Annotamenta quaedam ex Quinto Curtio. | Strozii poetae carmen non contemnendum: | quomodo Supe|ris in aduersitatibus sit supplicandum. [o.O.u.J., um 1518]. Nach Krafft/Crecelius, S. 15. Kein Ex. ermittelt. Zu den Briefen s. u. E. 7. T. Caecilius Cyprianus, ‘De misericordia atque doctrina Dei ad Donatum’, s. u. C.2. 8. Epistole fami⫽|liares Ioannis Antonij Cam| pani clarissimi oratoris. per Iosephum Horlennium | ex opere eius Epistolari diligenter selecte˛. Köln: Quentell, 1516. VD 16, C 606. Titelbl.v: H.’ Widmungsbrief an Tilman Mülle aus Attendorn (o. D.), gedr. bei Krafft/Crecelius, S. 17 f. ⫺ ND Köln: Corn. Zierickzee, 5. Aug. 1516 (Krafft/ Crecelius, S. 15). 9. Marci Tullij | Ciceronis Epistole aliquot ele| ganciores selecte […] Intermista quoque sunt locis suis greca quedam hactenus in ce/|teris desiderata. Nec omissum denique. quoto Ciceronis libro Epistole | ipse ad exemplar Aldi atque Crescentinatis iam tandem correcte contineantur. [Köln: Quentell, 1516]. VD 16, C 2976. D. Reichling, Ortwin Gratius. Sein Leben u. Wirken, 1884, S. 99, Nr. XXXIII. Ex.: Köln UStB, ADs 132. Auswahl von 75 mit Vorzug kürzeren Briefen aus Ciceros ‘Epistulae familiares”. Titelepigramme von Johannes Murmellius und Ortwin Gratius. Titelbl.v⫺ a ijr: H.’ Vorrede an Johannes Hagemann und Hermann (Croneberg) aus Aachen, beide Magister artium und Lehrer an der Domschule in Münster (Münster, 12. Aug. 1516). Bl. [d5]v: Ortwin Gra-
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Horlenius, Joseph
tius an H. (Köln, ex officina litteraria ingenuorum liberorum Quentell, 28. April 1516). Gratius hat nach seiner Mitteilung den Text der von H. ausgewählten Cicero-Briefe gründlich revidiert und die fehlenden griech. Stellen hinzugefügt. ⫺ Druck der Vorrede bei Lˆffler, S. 363⫺366. 10. Breviores aliquot M. Tulii Ciceronis epistolae eloquentiae studiosis adolescentibus vel maxime utiles ac necessariae. Köln: Quentell, 1517. Titelepigramm (Tetrastichon) von H. Bl. A ijr⫺v: Vorrede von H. an Joh. Hagemann und Hermann (Croneberg) aus Aachen (wie in B.9.). Am Ende: Brief des Johannes Laubermann an H. (Köln, Sept. 1515). Hg. dieses Drucks einer von Buschius besorgten Auswahl von Cicero-Briefen kann nach Art des gesamten Beiwerks nur H. sein. ⫺ NDe: [Deventer: Alb. Paffraet, um 1518]. NK 2643; Köln: Quentell, 1519. VD 16, C 2977. 11. Publij Tereutij [!] Aphri Poetae | Comici Comoedia lepidissima que He/|autontimorumenos inscribitur. Münster: Dietr. Tzwyvel, 1517. VD 16, T 539. Haller, Nr. 140. Titelbl.r: Epigramm von Johannes Pering, ein Exzerpt aus Erasmus’ ‘De ratione studii’ und eines aus Guarino, ‘De ordine et ratione studii’. Titelbl.v: 16 Hendecasyllabi von H. ad puerum latine lingue studiosum. 12. C. Plinij Junioris oratoris | praeclarissimi Epistolae aliquot Ele|gantiores et familiares per Josephum | Horlennium […] col/|lectae [...]. Münster: Dietr. Tzwyvel, 15. April 1519. VD 16, P 3494. Haller, Nr. 113. Die Ausgabe enthält eine kleine Auswahl aus dem 5. und 6. Buch der Briefe des Plinius. 1516 hatte Johannes Pering bei Tzwyvel in Münster eine Auswahl aus den beiden ersten Brief-Büchern des Plinius herausgebracht (Haller, Nr. 112). Der erste Münstersche Druck ausgewählter Plinius-Briefe erschien bei Tzwyvel 1512; Nordhoff, Nr. VIII.
C . Kom me nt ar e. 1. Macarij Mutij Equitis Camer/|tis Carmen de Triumpho Christi | grauissimum atque elegantissimum cum Josephi Hor|lennij Segenensis exclaratione. Köln: Martin von Werden, 14. Febr. 1515. VD 16, M 7344. Reichling, 1898, S. 11 f. Titelepigramme von Hermann Buschius, Johannes Murmellius und Antonius Tunnicius. Am Ende (Bl. f iijr⫺v) folgen zwei Gedichte des Giovanni Aurelio Augurelli, ‘Ad virtutem exhortatio’ (42 Hex.) und ‘Quod nihil sit pretiosius tempore’ (6 sapph. Strr.). H. hat das Gedicht (317 Hex.) des Mutius, wohl ohne Revision des Textes, wahrscheinlich von dem Druck Münster:
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Lorenz Bornemann, 26. Jan. 1510 (VD 16, M 7342) übernommen, den Murmellius besorgt hatte. Der Kommentar, den H. Jacobus Montanus unter dem 23. Aug. 1514 als sein erstes Werk (primitiae) widmete, ist ein abschnittweise vorgehender Stellenkommentar, der das Gedicht des Mutius umfassend, tendenziell im Sinne der in Erasmus’ ‘De ratione studii’ niedergelegten Forderungen an die Interpretatio, sowohl sprachlich als auch sachlich erläutert. Er handelt in großer Dichte nicht nur über Fragen der Orthographie, der Grammatik und des Wortgebrauchs, der Poetik und Rhetorik, sondern ausgiebig auch, wo immer der Text es anbietet, über alle seine Realien aus biblischer und profaner Historie, aus Mythologie, Naturkunde, Kulturgeschichte sowie über Tugenden und Laster. Alles Wissen des Kommentators, sprachliches wie sachliches, stützt sich auf eine beträchtliche Fülle von Autoren, die er getreu zitiert. Es sind nicht nur antike und patristische Größen, sondern in großer Zahl und häufig auch zeitgenössische italienische Humanisten (F. Filelfo, L. Valla, Perotti, Ficino, F. Beroaldo d. Ä., C. Landino, Raffaele Maffei, Petrus Crinitus u. a.) und gleich ihnen Erasmus; sehr spärlich nur begegnen dagegen deutsche Zeitgenossen, Georg J Simler als trefflicher Grammatiker (Bl. C iijr, D ijv), Johannes Pering als Autorität fürs Griechische (Bl. [D5]r und Montanus, gerühmt als Autor der ‘Odae spirituales’ (Bl. Fr). Der Kommentar zeugt von respektabler, gewiß originärer Belesenheit. 2. Tacij Cecilij | Cypriani […] De Misericordia atque | doctrina dei ad Donatum liber aureus atque difficillimus. cum Josephi | Horlennij Segenensis commentario […]. [Köln: Heinr. Quentell], 1516. Titelepigramm von Johannes Pering. Titelbl.v: Jacobus Montanus an H. (o. D.). Bl. A ijr: Widmungsbrief an den Münsterer Domherrn Georg Hatzfeld (Münster, im Hause des Domherrn Dietrich Follen, 31. Dez. 1515). VD 16, C 6531; Krafft/Crecelius, S. 15. Kein Ex. ermittelt. Die beiden Briefe gedr. bei Krafft/Crecelius, S. 18⫺20. Über die Mühe der Kommentierung des
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Horlenius, Joseph
Cyprian spricht H. in einem Brief an Mülle (Krafft/Crecelius, S. 17). D. Beigaben zu Drucken. 1. Antonii Mancinelli Ve|literni versilogus. ab innumeris | pene mendis (quibus hactenus | scatebat) repurgatus: cum ab|solutissimis Ioannis Mur⫽|mellii commentariis […].[Deventer: Theod. de Borne, 1509]. NK 1471. Titelepigramm (Hexastichon) von H.: Iosephi Horlennij Segenensis ad pue⫽|rum poetice˛ artis studiosum, wiederholt in den späteren Drucken des ‘Versilogus’ (s. o. B.3.). 2. Ioannis Reuchlin Phorcen|sis. L. L. iuris doctoris atque trium linguarum […] doctissimi come˛dia cui ti|tulus Sce˛nica progymnasmata cum An. Tun‹nicii› | argumento […]. Deventer: Theod. de Borne, 31. März 1513. NK 1793. Titelepigramme von Murmellius, Tunnicius und H. 3. Introductorium | musice practice ex probatis scri|ptoribus per Theodericum tzwyuel | de Montegaudio excerptum. collectum. in ordinemque redactum […]. Köln: Quentell, 1513. Lˆffler, S. 362. Titelepigramm von H. (Hexastichon). 4. Johannes Kruyshaer (Cincinnius), Vita diui Lud⫽|geri Mimigardeuordensis ec⫽|clesie: que est Monasteriensium Westphalie Protho⫽|episcopi […]. Köln: Quentell, 1515. VD 16, K 2477. J. B. Nordhoff, Denkwürdigkeiten aus d. Münsterischen Humanismus, 1874, S. 16⫺18. Titelepigramm von Rudolf von J Langen. Titelbl.v: Decastichon von H. an den Leser. 5. Compendium Ety|mologie et syntaxis artis gram|matice Timanni Cameneri Guer|nensis Iam ita absolutum […]. Münster: Dietr. Tzwyvel, 30. Nov. 1515. VD 16, K 723. Haller, Nr. 81. Kein Exemplar mehr auffindbar. Titelepigramm von H., gedr. bei Detmer, S. 88. 6. Encheridion [!] Latine Con|structionis non barbaria corruptum sed ex precipuis | Artis litterarie˛ scriptoribus [...] roboratum ab Andrea | ornitoparcho [Vogelsang] meisnigensi […]. Deventer: Jak. de Breda, 12. Nov. 1515. NK 1655. Titelepigramm von H. (Hexastichon). 7. Clarissimi viri Jacobi Montani Spi|rensis, collectaneorum latinae locutionis opus secun|dum […]. Köln: Euch. Cervicornus, 28. Nov. 1517. VD 16, M 6192. Titelepigramm von H. (Christi sacerdos). 8. Henrici bebe⫽|lij Justingensis poete Laurea| ti elegantissimi dialogus. de op⫽|timo studio scholasticorum […]. [Köln: Heinr. Quentell, um 1518]. VD 16, B 1183. Zur Datierung vgl. W. Barner (Hg.), Heinrich Bebel, Comoedia de optimo studio iuvenum, 1982, S. 161, Anm. 152. Zwei Titelepigramme des Hg.s Antonius Tunnicius. Titelbl.v: Hexastichon von H. und akklamierender Brief (o. D.) an Tunnicius zu seiner Ausgabe.
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9. Volumen pulcherrimum ac vti|lissimum Timanni Cameneri | wernensis de impressionibus aereis. de fon|tium et maris origine. de que metallicis|que in terre visceribus et vapore | et halitu syderum virtute pro|creantur. [Münster: Dietr. Tzwyvel, vor 1521]. Haller, Nr. 84. Titelepigramm (9 Dist.) von H., gedr. bei Detmer, S. 89.
E . B ri ef e. Aus H.’ Korrespondenz sind 19 Briefe erhalten, neun aus seiner Feder, zehn an ihn adressierte. In der Mehrzahl gehören sie zum Beiwerk von Drucken, sind Widmungsbriefe oder solche, die über Absicht und Umstände einer Ausgabe unterrichten. Zum geringeren Teil entstammen sie der von H. veröffentlichten kleinen Sammlung (s. o. B.6.), die fünf Briefe an ihn selber enthält und zwei von ihm sowie einen Empfehlungsbrief des Montanus für den Freund Tilman Mülle, den H. erbeten hatte. Für die Veröffentlichung einer Serie von Briefen, deren Adressat H. selber war, mag J Erasmus’ kleine Sammlung ‘Epistolae aliquot illustrium virorum’ (elf Briefe an Erasmus, sieben von ihm), die im Okt. 1516 in Löwen erschienen war (NK 2939), das Vorbild gewesen sein. Diese Vermutung wird umso wahrscheinlicher, als das munusculum epistolarum Erasmi Roterodami, das Montanus 1516 von H. erhalten hatte (s. Montanus’ brieflichen Dank, Krafft/Crecelius, S. 18), nur die genannte Sammlung des Erasmus gewesen sein kann.
Die erhaltenen Briefe fallen in einen sehr engen Zeitraum, in die Jahre 1514⫺1517, und sind schon daher nur eine sehr begrenzte biographische Quelle. Über ephemere Mitteilungen und das Übliche einer Korrespondenz gelehrter Freunde erheben sich nur zwei Briefe des H., die Vorrede zur Mancinelli-Ausgabe an die adolescentes (s. o. B.3.), in der Dichter von gelernten Versemachern kategorisch unterschieden werden, und das Plädoyer für Cicero als höchste sprachliche Instanz im Schreiben an Johannes Hagemann und Hermann Croneberg (s. o. B.9.; Lˆffler, S. 361−363). Ausgabe. Elf Briefe bei Krafft/Crecelius, Nr. 2⫺10 u. 12⫺13, einer bei Lˆffler, S. 361⫺ 363. Literatur. Hamelmann s. Detmer u. Lˆffler; J. B. Nordhoff, Altmünsterische Drucke,
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Hug, Johannes
Zs. f. vaterländ. Gesch. u. Alterthumskunde 34 (1876), 1. Abt., S. 149⫺170; Krafft/Crecelius, Beitr., S. 14⫺29; D. Reichling, Die Humanisten Jos. Horlenius u. Jac. Montanus, Zs. f. vaterländ. Gesch. u. Alterthumskunde 36 (1878), 1. Abt., S. 1⫺32, hier S. 1⫺16; ders., Joh. Murmellius. Sein Leben u. seine Werke, 1880, ND Nieuwkoop 1963, S. 15⫺17 u. ö. (Reg.); ders., Zur Gesch. d. Münsterschen Domschule in d. Blütezeit d. Humanismus, in: Kgl. Paulinisches Gymnasium zu Münster. Fs. zur Feier d. Einweihung d. neuen Gymnasialgebäudes am 27. April 1898, 1898, S. 3⫺12; ders., Die Reform d. Domschule zu Münster i. J. 1500, 1900, S. 70, 73⫺76; H. Detmer (Hg.), Hermann Hamelmanns Geschichtl. Werke, Bd. I 1, 1902, S. 26, 38, 57, 87⫺90; K. Lˆffler (Hg.), H. Hamelmanns Geschichtl. Werke, Bd. I 3, 1908, S. 118⫺120 u. 302; B. Haller, Der Buchdruck Münsters 1485 bis 1583, 1986.
F. J. Worstbrock
Hug (Hugo, Hugonis), Johannes 1. H., nach eigenem Zeugnis aus Schlettstadt, besuchte die Schule seiner Heimatstadt unter dem Rektorat Ludwig D Dringenbergs († 1477). Jakob J Wimpfeling (‘Isidoneus Germanicus’, [Speyer: K. Hist, um 1493], Bl. VIIr) zählte ihn zu den renommierten Zeugen von Dringenbergs wegweisendem Unterricht. Vermutlich ist er identisch mit dem im SS 1470 in Erfurt immatrikulierten Iohannes Hugonis de Sleczstadt. Ein weiteres Studium ist für den juristisch und theologisch bewanderten H. nicht nachweisbar. Unter dem 13. März 1498, in der Protestatio zu seinem ‘Quadruvium’, und auch in dessen Druck von 1504 zeichnete er als Pfarrer von St. Stephan in Straßburg. Mit dem am 26. Juli 1497 in Freiburg und am 25. März 1499 in Heidelberg eingeschriebenen Johannes Hug ex Sletstat, der am 10. Juli 1499 dort das Bakkalaureat erwarb, kann er daher nicht identisch sein; auch der 1502 und 1503 als Kaplan am Münster zu Breisach bezeugte Johannes Hug (K. Rieder, ZGO 56 [1902] m 6 u. m 13) ist ein anderer. Ebenso muß der von J Butzbach im ‘Auctarium’ (Bl. 137r) genannte Johannes Hugonis patria Argentinensis [...] in disciplina physica probe exercitatus ein anderer sein. Irrtümlich, H. wohl verwechselnd mit Ulrich Stromar, dem Straßburger publicus sacris apostolica et imperiali auctoritatibus [...] notarius der Protestatio, schrieb Schmidt H. auch die Qualifi-
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kation eines “notaire apostolique et impe´rial” (S. 51) zu. Ebenso war H. kein Kaplan des päpstlichen Legaten Raimundus Peraudi, wie Schmidt einer der Widmungen des ‘Quadruvium’ meinte entnehmen zu können.
Die 1506 bei M. Hüpfuff in Straßburg erschienene, von Johann Adelphus J Muling ergänzte Ausgabe von Michael Keinspecks ‘Lilium musice plane’ enthält auf dem Titelbl.v einen Empfehlungsbrief H.s an einen Kartäuser (Straßburg, 15. März 1506). Danach ist vermutlich H. der Hg., nicht Muling (so Ammel, der irrtümlich Muling als Verf. des Briefes nennt [S. 47 u. ö.] und ihn irrtümlich auf dem Titelbl. als Hg. genannt sieht [S. 44], und ihm folgend Graf). Der Brief ist im wesentlichen aus Ficinos Brief an Antonius Canisianus über die Musik exzerpiert (s. Ammel, S. 72 f.). ⫺ Weitere Lebensspuren H.s sind nicht bekannt. 2. ‘Quadruvium Ecclesie’. H.s kirchen- und reichspolitische Reformschrift war schon vor dem 3. März 1498 vollendet, wurde aber erst 1504 gedruckt, vielleicht mit Unterstützung durch Raimundus Peraudi, der den Winter 1503/ 04 in Straßburg und Speyer verbracht hatte und die erste der drei Widmungen erhielt. Die zweite ging an den Mainzer Eb. Berthold von Henneberg, von dem H. schon 1498 eine Approbation des Traktats erbeten und erhalten hatte. Der eigentliche Adressat aber war Kg. Maximilian; an ihn richtet sich, appellierend an den Schirmherrn der Kirche, die dritte Zuschrift und am Ende eine Exhortatio, die ihn beschwört, sich um guter Regierung willen ganz auf geistliche Berater zu stützen. H., der als zentrales Zeitübel einen allgemeinen Autoritätsverlust der Geistlichkeit beklagt, beansprucht mit seinem ‘Quadruvium’ nicht weniger, als eine Grundordnung der Christenheit (Ecclesia) vorgestellt zu haben. Vier Instanzen (prelati ecclesie) erkennt er, welche die Christenheit regieren und von jedem einzelnen Christen rechtens Gehorsam verlangen: Papst, Bischof, Pfarrer, Kaiser. Hauptinhalt der Schrift ist die Beschreibung von Amt, Befugnissen und Aufgaben eines jeden der Vier anhand der betreffenden Bestimmun-
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Hug, Johannes
gen des kanonischen, seltener des römischen Rechts bis hin zur kirchlichen und kaiserlichen Finanzverfassung und den Pflichten des Adels, der Bürger, der Leibeigenen. In der dem Traktat angehängten notariellen Protestatio erklärt H. die Aufrichtigkeit seiner Absicht, die Obrigkeit nicht belehren, sondern aufrütteln zu wollen, und die Bereitschaft, jede dem kirchlichen oder kaiserlichen Recht widersprechende Aussage, die man ihm nachweise, zurückzunehmen. Seine Lehre von den vier prelati ecclesie stützt H. im Prolog auf typologische Bezüge, auf die vier Paradiesesströme, die vier Tiere nach Ez 1,5 ff. und Apc 4,6 ff., vor allem auf die vier goldenen Ringe der Bundeslade (Ex 25,12), und diese Typologie ist auch Sujet des Titelholzschnitts. Nicht biblisch ist die Titelmetapher quadruvium; sie bezeichnet nach ihrer beiläufigen Reprise im Prolog ⫺ und sonst begegnet sie nicht ⫺ nicht etwa die vier prelati selbst, sondern ihr heilsförderndes Werk (Hy quadruvium in invio, id est in mundo, faciunt, ne debeant [sc. die Seelen] perire eternaliter cum diabolo [...]). Schmidts Deutung von quadruvium als ‘quadriga’ hat keine Handhabe im Text.
Wesentlich ist in H.s Lehre die Hierarchie der vier prelati ecclesie. Er scheidet strikt die drei geistlichen, mit Sanftmut (mansuetudine) regierenden Instanzen von der weltlichen, die mit Gewalt und Strenge verfahre, und stellt die unbedingte Superiorität der geistlichen dignitas über die weltliche heraus. Den Vorrang der Geistlichkeit sieht er biblisch, durch den Segen Noahs über Sem (Gn 9,26 f.), konstituiert; auf Noahs Söhne führt er zugleich den Ursprung von Freiheit (Japhet) und Knechtschaft (Cham) unter den Laien zurück. Auch die Dreizahl der geistlichen prelati und ihre Rangstufung leitet er biblisch ab, aus der durch Christus, die 12 Apostel und die 72 Jünger gegebenen Dreiheit. Eingehend widmet er sich dem Verhältnis von Papst und Kaiser. Dem geistlichen Oberhaupt spricht er beide Schwerter zu, die höchste Gewalt ebenso in weltlichen wie in geistlichen Belangen, gibt ihm absolute Rechtsautorität (Quod papa habet omnia iura in pectore suo recondita), bekräftigt seinen Anspruch auf jedermanns Gehorsam. Die Überordnung, ja Lehnsho-
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heit des Papstes über den Kaiser sieht er spätestens seit der Konstantinischen Schenkung besiegelt und leitet aus ihr auch die Verpflichtung des Kaisers ab, die Rechte und Besitztümer der Kirche zu schützen. Die Minderstellung des Kaisers im Verhältnis zum Papst kompensiert er mit der universalen kaiserlichen Suprematie im Bereich aller weltlichen Herrschaft. Das Kaisertum reklamiert er gemäß der Translatio imperii als Besitz der Deutschen. H. teilte zentrale Motive des Rufs nach kirchlicher und politischer Reform mit prominenten Zeitgenossen wie Wimpfeling und Seb. J Brant, doch blieb er mit seinen extremen hierarchistischen Vorstellungen, zumal mit dem Theorem der päpstlichen Allgewalt, eine eher abseitige Stimme. Eine Resonanz des ‘Quadruvium’ in der zeitgenössischen Reformdiskussion ist außer beim D ‘Oberrheinischen Revolutionär’ (Lauterbach) nicht zu beobachten. Vielleicht hat der Traktat die wenig später (1506) von einem anonymen Herausgeber besorgte, beim gleichen Drucker erschienene Erstausgabe von Lorenzo Vallas ‘De falsa credita et ementita Constantini donatione’ provoziert. Der Pariser Druck von 1509 und die spätere Aufnahme in das monumentale Sammelwerk ‘Tractatus universi iuris’ zeigen jedoch, daß H.s Werk zumindest in der juristischen Welt einen Namen hatte. Die dt. Fassung des Traktats, die gut einen Monat nach der lat. erschien, wiederholt diese mit wenigen äußerlichen Abweichungen und einigen Kürzungen im gelehrten Apparat getreu. H. wird sie von vornherein geplant haben. Ihr erklärtes Ziel war die Beseitigung der Unwissenheit: die vnderthon sollen ebenso darüber unterrichtet werden, was sie zu tun und zu lassen haben, wie die oberkeit, damit Einvernehmen zwischen ihnen bestehen kann (Bl. IIr). Dieses Motiv der Übersetzung verbindet ihn mit Wimpfeling und anderen oberrheinischen Übersetzern der Zeit (J Muling, J Murner, J Ringmann). Drucke. 1. Quadruuium Ecclesie | Quatuor prelatorum officium | Quibus omnis anima subijcitur. Straßburg: Joh. Grüninger, 3. Aug. 1504. VD 16, H 5804; Druckvariante mit Änderung von Titel
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Hummelberg, Michael
und Kolophon: VD 16, H 5805. 2. Paris: Guillaume Eustache, 1. Aug. 1509 (s. Meyer, 1992). Das ‘Quadruvium’ wurde im 16. Jh. u. d. T. ‘De officio quattuor praelatorum’ in verschiedene monumentale Sammelwerke juristischer Traktate aufgenommen, so in die ‘Tractatus iuris universi’, Lyon 1549, Bd. 14, Bl. 188⫺200, und in die ‘Tractatus illustrium in utraque, tum pontificii, tum caesarei iuris facultate iurisconsultorum’, Venedig 1584, Bd. 13/ 2, Bl. 289⫺301. ⫺ H.s dt. Fassung: Der heiligen Kirchen | vnd des Römischen | Reichs Wagen fur. Straßburg: Joh. Grüninger, 9. Sept. 1504. VD 16, H 5806. Literatur. Schmidt, Hist. litt., Bd. 2, S. 51⫺ 53 u. 394; Knepper, Nat. Gedanke, S. 147 f., 161⫺ 163, 176⫺189 u. ö.; W. Ammel, Michael Keinspeck u. sein Musiktraktat ‘Lilium musicae planae’ (Marburger Beitr. z. Musikforschung 5), 1970, S. 42⫺49 u. 130; K. Lauterbach, Gesch.verständnis, Zeitdidaxe u. Reformgedanke an d. Wende z. 16. Jh. (Forsch. z. oberrhein. Landesgesch. 33), 1985, S. 31 f., 38 f., 71 f., 159, 203, 205 f., 232, 235; H. Meyer, in: Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne, Bd. 18, 1991, S. 1699 f.; ders., Les acquisitions de livres anciens et pre´cieux par la Bibliothe`que Humaniste (1988⫺1991), Annuaire des amis de la Bibliothe`que Humaniste de Se´le´stat 42 (1992) 95⫺109, hier S. 99⫺104; K. Graf, Der Straßburger Gelehrte J. H. u. sein vergessenes Werk Quadruvium ecclesiae (Straßburg: Joh. Grüninger 1504), in: S. Lembke / M. M¸ller (Hgg.), Humanisten am Oberrhein, 2004, S. 175⫺187.
F. J. Worstbrock
Hummelberg (-berger, -bergius), Michael I . L eb en . 1487 in Ravensburg geb., immatrikulierte sich H. am 7. Sept. 1501 in Heidelberg, wo er am 9. Jan. 1503 den Grad eines Baccalaureus artium erwarb. Anschließend studierte und arbeitete er in Paris, erwarb dort 1504 nochmals das Bakkalaureat und 1505 das Magisterium. 1506 und 1511 war er Prokurator der deutschen Nation. Seine Lehrer waren in Paris v. a. Jacobus Faber Stapulensis, Jodocus Clichtoveus sowie für seine Griechischstudien Franciscus Tissardus (seit 1507 in Paris) und Hieronymus Aleander. Daneben arbeitete er als Korrektor u. a. für den Buchdrucker und Verleger Jodocus Badius Ascensius (1462⫺1535). Hieraus ergaben sich
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zu ihnen langdauernde, in Briefen und Drukken dokumentierte Beziehungen, ebenso wie (spätestens seit dieser gemeinsamen Studienzeit) zu Bruno Amerbach, Beatus J Rhenanus oder Johannes J Aventinus. Über Ravensburg reiste H. 1514 nach Rom, wo er ungefähr bis 1518 blieb und an der Rota kanonisches Recht studierte. Er wohnte beim Prokurator der Kurie, Johannes Schutz, knüpfte enge Kontakte zum Kreis um den Luxemburger Johannes Goritz (Corycius) und engagierte sich im Reuchlinstreit. 1518 wurde er in Konstanz zum Priester geweiht. 1521 übernahm er die Kaplanei bei St. Michael in Ravensburg. Von nun an lebte er ständig in seinem Geburtsort, unternahm offenbar nur noch wenige und räumlich begrenzte Reisen und war ein in gelehrten Kreisen geschätzter Gesprächs- und Korrespondenzpartner, besonders zu Fragen der griech. Philologie. Unter seinen Geschwistern, den beiden älteren Brüdern Jakob und Gabriel und dem jüngeren Raphael, ist der Mediziner und Naturkundler Gabriel für die literarischen und gelehrten Zusammenhänge wichtig. In den reformatorischen Auseinandersetzungen grenzte sich H. nach anfänglicher Nähe zu Zwingli im Laufe des Abendmahlsstreits von diesem ab. H. starb am 19. Mai 1527. Sein Buchbesitz ist nicht erschlossen, bekannt sind ein Sammelband mit Drucken von Schriften u. a. des Raimundus Lullus, Raimundus de Sabunde und dem lat. Text einer Pariser ‘Danse macabre’, seit 1508 in H.s Besitz, mit hsl. Marginalien (zuletzt, bis 1995 in Schweinfurt, Slg. Otto Schäfer, OS 345; vgl. M. v. Arnim, Kat. d. Bibl. O. Schäfer Schweinfurt, Teil 1, 1984, Nr. 113 u. 218) sowie ein Sammelband mit den beiden Drucken von Konrad J Peutingers Inschriftensammlung (1505 u. 1520. VD 16, P 2079 u. 2080) sowie (zu großen Teilen) autographen Abschriften der ‘Epistola Margaritae Velserianae ad Christophorum fratrem’ und dreier Briefe von und an Peutinger (Clm 4018; vgl. Z‰h). Von der Erstausgabe des ‘Theophrastus’ des Aeneas Gazaeus (Venedig 1513) ist ein Exemplar erhalten, das H. dem Rhenanus, uni omnium amicissimo, widmete (München, SB, L.impr.c.n.mss. 195).
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Hummelberg, Michael
I I. Sc hr if te n. 1. Briefwechsel, Gedichte, Übersetzungen. a) Der Papierkodex Clm 4007 enthält Bl. 1⫺175 (neuere von zwei Paginierungen) eine offensichtlich durch seinen Bruder Gabriel veranlaßte Abschrift von Korrespondenz H.s aus den Jahren von 1508 bis zu seinem Tod. Ihm folgt Bl. 176v eine lat. Übersetzung der pseudepigraphen ‘Oratio Manasse’ aus der Septuaginta von 1520. In die Korrespondenz eingestreut finden sich öfters (eigene und fremde) Verse und Carmina (u. a. von H. ein Epitaph auf Maximilian) sowie als Beigabe zu einem griech. Brief an Beatus Rhenanus: Oratiuncule˛ divine˛ e Latinis graece˛ facte˛ [...], Autore M.H.R. (53r⫺54v). Bl. 177⫺182 folgen der Epigrammatum Liber secundus Michaelis Humelbergij Rauenspurgensis, 45 kurze Gedichte von H. sowie zwei andere Carmina. H.s Gedichte stehen meist in einem Zusammenhang zu seinen Briefpartnern oder zu privaten oder öffentlichen Ereignissen: So finden sich Epitaphien (für Bernhard J Adelmann von Adelmannsfelden, Ulrich von J Hutten, Johannes Kierher), Epithalamien, ein Genethliakon an Joachim Egellius zur Geburt seines Sohnes, ein Gedicht auf die Rückkehr des → Erasmus nach Basel, Lobgedichte zur Wahl Karls V., ferner Carmina auf Heilige (de sancta Oddilia), zu biblischen und theologischen Themen (In canticum Mariae virginis; In legis et euangelij proscriptionem; In deuteronomium Moisi), über Bildung und Gebildete (In Philosophoebum qui se aliorum carminum autorem faciebat; In quendam sophistam). Nach einem griech. te¬low folgt Bl. 174v ein einzelnes Gedicht an Beatus Rhenanus aus dem verlorenen ersten Buch der Epigramme (E primo libro Epigrammatum M. H. R.), datiert 1510. Zur Hs. vgl. Reuchlin-Br., Bd. 3, S. LIV⫺LXVII. b) Die Briefsammlung selbst umfaßt über 330 lat. und fünf griech. Briefe, aber keine in dt. Sprache. Die einzelnen Briefe sind zusätzlich durch Marginalien gegliedert. Die Sammlung ist sowohl zeitlich als auch personal geordnet, so daß z. T. frü-
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here nach späteren Briefen stehen. Aufeinander reagierende Briefe sind zusammengerückt. Generell sind sowohl Briefe an H. als auch solche von ihm gesammelt. Wie die insgesamt nicht übernommenen neun Briefe H.s an Joachim J Vadian (zwischen 1520 und 1525) zeigen, die nur durch dessen Briefsammlung überliefert sind (s. Ausgaben), ist die Sammlung unvollständig. Ebenfalls nicht aufgenommen sind ⫺ bis auf eine Ausnahme ⫺ die in Drucken publizierten Briefe. Einzelne Briefe sind außer im Clm 4007 auch in Briefcorpora und Nachlässen der Briefpartner überliefert, u. a. in denen Aleanders, Pirckheimers und der Blarer-Brüder (s. Ausgaben). Autographe Abschriften dreier Briefe überliefert der Clm 4018 (s. Z‰h). Der Clm 4007 enthält ⫺ stets mit der Überschrift exemplum epistole˛ ⫺ zusätzlich einige wenige Fremdbriefe von Korrespondenzpartnern H.s an Dritte. Auf diese Weise sind Briefe von Kaspar Ursinus Velius und Johannes J Reuchlin an Peter J Eberbach, von Reuchlin an Peutinger und von Melanchthon an Oswald Ulianus eingerückt. Eingebunden ist Bl. 89 ein Brief Reuchlins an Dr. utr. iur. Martin Gröning in Rom vom 24. Nov. 1516, offenbar in H.s Abschrift (freundl. Auskunft von G. Dörner, Pforzheim).
c) Die Sammlung beginnt 1508 mit Briefen von und an Beatus Rhenanus. Die zeitliche Folge der Briefe verdichtet sich ab 1511. Fast 30 Briefe sind jeweils für die Jahre bis einschließlich 1519 abgeschrieben. Heraus fallen allerdings deutlich das Jahr 1517 mit nur vier Briefen, auch noch etwas die Jahre 1516 und 1518 mit 19 bzw. 15 Briefen; inwieweit hierfür der Romaufenthalt verantwortlich ist, ist unsicher. In den 1520er Jahren wird die Folge der Briefe dauerhaft dünner. Im Laufe der Jahre gibt es immer wiederkehrende und ständige Korrespondenzpartner, genauso wie bis zum Schluß neue Personen erscheinen, z. B. die Reformatoren Ambrosius und Thomas Blarer in Konstanz (1520⫺25) oder 1524 Konrad Adelmann. Insgesamt sind 68 Briefpartner zu zählen, die meisten Briefe (gleichzeitig über die längste Zeit hinweg) hat H. mit Beatus Rhenanus gewechselt, daneben mit Peutinger (je 24 Briefe) und Reuchlin (25 Briefe
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Hummelberg, Michael
seit 1514), aber auch über kürzere Zeiträume mit Heinrich → Bebel bis zu dessen Tod 1518 in dichter Folge und mit Melanchthon seit 1520 bis 1527 zwölf Briefe. Ebenfalls spät, ab 1518, wird Urbanus Rhegius ein dann gleich relativ stetiger Briefpartner. Johannes Alexander Brassicanus wird ab 1517 zunächst als Schüler Bebels und auf der Suche nach Patronage zu einem Akteur des Briefwechsels, in erst dichter, dann etwas lockerer Folge wechseln zehn Briefe zwischen ihm und H. Außer diesen regionalen Briefpartnern, zu denen neben vielen anderen auch H.s Verwandte, die Ärzte Joachim Egellius und Johannes Menlishofer und sein Bruder Gabriel zu zählen sind, fallen die dauerhaft gepflegten Pariser Kontakte auf: vor allem Jodocus Badius und der Studienkollege Johannes Kierher sind nicht häufig, aber stetig wiederkehrende Briefpartner. Ab 1520 erweitert sich das Spektrum durch die beiden Wittenberger Melanchthon und den aus Ravensburg stammenden Oswald Ulianus. Bereits vorher, ab 1515, suchte H. den Kontakt nach Wittenberg über Eberbach aufzubauen. H. vermittelt ebenfalls Kontakte zwischen seinen Briefpartnern: Bebel und Herzmann, Ulianus, Melanchthon, Ursinus u. a. Außer mit diesen humanistisch gelehrten Korrespondenzpartnern im engeren Sinne wechselt H. ebenfalls mit den kaiserlichen Diplomaten Stephan J Rosinus aus Augsburg (1515⫺19) und Wolfgang Prantner, dem Hochmeister des St. Georgsritterordens (1523), Briefe. d) Die Themen der Briefe sind ⫺ abhängig von den Briefpartnern ⫺ weit gestreut. Im folgenden seien nur einige besonders herausstechende oder charakteristische Themen genannt. Einerseits werden sehr häufig und mit den verschiedensten Partnern philologische Fragen diskutiert. 1508/ 09 etwa handelt ein Brief an Bruno Amerbach über die Qualität des Kommentars und des Psalters von Faber Stapulensis. Immer häufiger werden Anfragen zu Problemen der griech. Sprache an H. gerichtet, H. wird in solchen Fragen auch als Autorität in einem Streit zwischen Bebel und Georg J Simler angeschrieben. In einer anderen philologischen Kontroverse soll H.
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1521 zwischen Melanchthon und Rhenanus vermitteln. Daneben werden immer wieder auch aktuelle politische, historische und theologische Fragen angeschnitten: Über die Kriegszüge in Italien wird genauso geschrieben, wie (zumal zu H.s Zeit in Rom) der Reuchlinstreit eine prominente Rolle spielt und v. a. in den Briefen an Peutinger die Frage, ob der Apostel Paulus verheiratet war, diskutiert wird. Mit den Druckern Thomas Anshelm und Johann Froben sowie mit Bruno Amerbach (zwischen 1509 und 1515) korrespondiert H. u. a. über Fragen des Verlagsprogramms. Ärger über Johann J Eck und Thomas J Murner äußert er in einem Brief 1522 an Rhenanus, an den er aus Rom Bücher schickt. Mit Ursinus Velius tauscht er sich über die Rede Vadians beim Fürstentag 1515 in Wien und ihren Druck aus. Mit Peutinger korrespondierte er über historische und archäologische Fragen, u. a. über die ‘Tabula Peutingeriana’, über Ortsnamen, römische Münzen und die ‘Schatzsuche von Allmannsdorf’ (s. Ott); auch übersandte Peutinger ihm seine Inschriftensammlung in beiden Drucken sowie 1512 hsl. die ‘Epistola Margaritae Velseriae’ mit der Bitte um Korrektur für die Publikation (s. Z‰h). Drucke einzelner Briefe. Annotationes doctorum Virorum | in Grammaticos. Oratores. Poetas. Philosophos. Theologos: et leges. | [...]. Paris: Jod. Badius, 15. Aug. 1511. Titelbl.v: Widmungsbrief des Badius an H. (14. Aug. 1511), wohl zum Dank für H.s Mitarbeit an der Ausoniusausgabe (s. 3.d). ⫺ Heinrich Bebel fügte den ersten Teil von H.s Brief zur Übersetzung und Herleitung des Lehnworts paedotriba (Horawitz, 1877a, Nr. 21), seinem ‘Opusculum de institutione puerorum’ (Straßburg: Matth. Schürer, 1513. VD 16, B 1236) an (Ddv⫺Dd ijr); der Auszug erschien leicht bearbeitet auch in Schürers Druck der ‘Commentaria epistolarum conficiendarum’ von 1516 (VD 16, B 1180) als Teil der ‘Apologia ad adversarium suum’ ([Ee7]v). Ausgaben einzelner Briefe. Rhenanus-Br., S. [XIII]⫺XIX (Briefverz.); Mutian-Br., Nr. 426; Vadian-Br., Bd. 2, Nr. 214, 246, 257, 328, Bd. 3, Nr. 336, 340, 355, 384 u. 423; Horawitz, 1877a, S. 125⫺188; ders., 1877b, S. 227⫺278; ders., 1878, S. 102⫺184; J. Neff, Analekten z. Gesch. d. dt. Humanismus. I. Aus d. Briefwechsel d. Humanisten M. H. mit C. Peutinger, Frhr. Chr. zu Schwar-
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Hummelberg, Michael
zenberg u. K. Ursinus Velius, Progr. d. Gymnasiums in Donaueschingen 1900 (unsystematische Ausg. vieler Briefe); Erasmus, Op. epist., Bd. 2, S. 602 f.; J. Paquier, Lettres familie`res de J. Ale´andre 1510⫺1540, Paris 1909, Nr. 2, 4, 7, 21; BlarerBr., Nr. 25 f., 29, 33, 40, 60, 67, 82, 85, 97 (teils nur dt. Übers.); E. Egli u. a. (Hgg.), Zwinglis Briefwechsel, Bd. 1, 1911 (ND 1980), Nr. 201, 210, 232, 234, 246; Peutinger-Br., S. 502 (Reg.); Amerbach-Korr., Bd. 1, S. 480 u. Bd. 2, S. 531 (Reg.); Melanchthon-Br., Bd. 1, S. 521 f., Bd. 2, S. 525 f. (Reg.); Pirckheimer-Br., Bd. 6, Nr. 1065, 1082, 1102; Z‰h, S. 498⫺505.
2. ‘Epitome grammaticae Graecae’. Die posthum von Beatus Rhenanus als Freundschaftsdienst veröffentlichte griech. Schulgrammatik behandelt neben Alphabet, Aussprache, Akzenten, Artikeln die Formenlehre der flektierenden Wortarten (Substantiv, Adjektiv, Pronomen, Verb, Partizip) und, sehr kurz, die nicht flektierenden (Adverb, Präposition, Konjunktion). Die Syntax fehlt. Voran geht ein Brief des Rhenanus an den Verleger Herwagen (Schlettstadt, 27. Aug. 1531), der H.s Lebensgang skizziert und die faßliche Kürze der mit zahlreichen Tabellen und Diagrammen arbeitenden Grammatik lobt. Drucke. Epitome Gram|maticae Graecae | Michae¨le Humelbergio Rauen/|spurgensi autore. Basel: Joh. Herwagen d. Ä., 1532. VD 16, H 5892. Zwei weitere Drucke: ebd. 1533 (München, SB, L.gr. 242) u. 1534 (VD 16, ZV 8379). 3. Korrektor. a) Aegesippi Historiographi Fidelis|simi Ac Disertissimi Et Inter | Christianos Antiquis|simi Historia | De Bello Iudaico. | [...] | A Diuo Ambrosio Mediolanen. | Antiste E Graeca La-|tina Facta. Cum Eiusdem Anacephaleosi Et | Tabellis Congruentiarum | Cum Iosephi Libris Etiam | De Gestis Macha|beorum. Paris: Jod. Badius, 1510. H. hat für diesen Guillaume Bric¸onnet d. J. gewidmeten Druck als Helfer von Faber Stapulensis die im Titel genannten Konkordanztabellen erstellt, wofür ihm Badius ⫺ ihn wiederholt (auch in seinem Brief an Beatus Rhenanus) als Hamelburgius bezeichnend ⫺ dankt. Nachdrucke wurden 1511/ 1512 und 1524 verlegt. b) D Richard von St. Viktor, [...] de superdiuina | trinita|te | theologicum opus Hexade librorum distinctum | et capitum XV decadibus. | adiunctus est commentarius | artificio | Analytico: meta⫺|physicam et humani sensus | transcenden-
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tem apicem/ sed | rationali modo complectens intelligentiam. | quod opus ad dei trini | honorem et piarum | mentium exerci⫽| tationem | [...]. Paris: Heinr. Stephan, 1510. Auf der Rückseite des Schlußblattes findet sich das im Clm 4007, Bl. 182v, abgeschriebene Gedicht H.s an Beatus Rhenanus. Abdruck bei Rice, S. 227. c) Christophori Landini Florentini | Camaldulensium disputationum opus doctrinae et | elegantiae plenissimum. | [...]. Paris: Jean Petit, o. J. In seinem Vorwort (Bl. [2]) nennt H. kurz den Inhalt der vier Bücher der ‘Disputationes’, hebt die Qualität der Textgrundlage hervor und verweist darauf, daß die griech. Zitate von seinem Lehrer Hieronymus Aleander überprüft worden seien, der bald nach Paris zurückkehren werde. Nach diesem Vorwort folgt ein Index. d) Ausonii Paeonii Burdegalensis Medici Poetae | Augustorum praeceptoris Virique | consularis: opera diligenter casti|gata et in pulcherrimum ordinem | e pristina confusione | restituta: in officina | Ascensiana. Paris: Jod. Badius, 1511. In seinem Nachwort an den Leser ([p4]r) hebt H. seine Mitarbeit und die Bereitschaft Aleanders, über Ausonius öffentlich zu lehren, hervor. e) Diuini Gregorij Nys|sae Episcopi qui fuit frater Basilii Magni Libri octo. | [...] | Item oratio Gregorii Nazianzeni. | Basilius de differentia Vsiae et Hypostasis | Et quaedam alia. | [...]. Paris: Jod. Badius, 21. Mai 1513. In seinem Brief an Beatus Rhenanus (Titelbl.v) hebt Badius u. a. auch die gelehrte Hilfe H.s hervor. Literatur. A. Horawitz, M. H. Eine biographische Skizze, 1875 (mit zahlreich abgedruckten Briefen u. a. Dokumenten); ders., Zur Biographie u. Correspondenz J. Reuchlins, WSB 85, 1877, S. 177⫺186 [zit.: Horawitz, 1877a]; ders., Analecten z. Gesch. d. Humanismus in Schwaben 1512⫺1518, WSB 86, 1877, S. 217⫺279 [zit.: Horawitz, 1877b]; ders., Analecten z. Gesch. d. Reformation u. d. Humanismus in Schwaben, WSB 89, 1878, S. 95⫺186; ders., in: ADB 13, 1881, S. 388 f.; Ph. Renouard, Bibliographie des impressions et des œuvres de J. Badius Ascensius: imprimeur et humaniste 1462⫺1535, avec une notice biographique et 44 reproductions en fac-simile, 3 Bde., Paris 1908 (ND New York 1967), Bd. 1, S. 284, Bd. 2, S. 486⫺488; Joachimsohn, Gesch.auffassung, S. 125; I. Kammerer, Die Stellung d. Ravensburger Humanisten M. H. z. Reformation, Bll. f. württ.Kirchengesch. 57/58 (1957/58) 26⫺43; E. F. Rice, Jr. (Hg.), The prefatory epistles of J. Lefe`vre d’Etaples and related texts, New York/London 1972, S. 120, 192 u. ö. (Reg.); L. Welti, in: NDB 10, 1974, S. 56 f. (Lit.); I. Guen-
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Hundern, Andreas
ther, in: CoE 2, 1986, S. 213 f.; Bonorand IV, S. 100⫺103; G. Podhradsky, Ein Collectaneum d.
Humanisten M. H., Jb. d. Vorarlberger Landesmuseumsver. Freunde d. Landeskunde 135 (1991) 305⫺310; H. Zschoch, Reformatorische Existenz u. konfessionelle Identität. Urbanus Rhegius als evangelischer Theologie in d. Jahren 1520 bis 1530 (Beitr. z. Hist. Theol. 88), 1995, S. 8⫺10, 15. 29, 34, 44, 188, 220; H. Binder, Ein Briefwechsel zwischen Wittenberg u. Ravensburg z. Melanchthonjahr 1997, Im Oberland 8 (1997) 46⫺51; M. Ott, Die Entdeckung d. Altertums. Der Umgang mit d. röm. Vergangenheit Süddtld.s im 16. Jh., 2002, S. 67⫺70, 220; H. Z‰h, K. Peutinger u. M. Welser ⫺ Ehe u. Familie im Zeichen d. Humanismus, in: M. H‰berlein / J. Burkhardt (Hgg.), Die Welser (Colloquia Augustana 16), 2002, S. 449⫺509, hier S. 460⫺466, 498⫺505.
Albert Schirrmeister
Hundern (Hundorn, Huendern), Andreas I . L eb en . H., Sohn des Rotgerbers Gregor Hundern, der 1480 das Breslauer Bürgerrecht erwarb, immatrikulierte sich am 1. Aug. 1480 an der Univ. Krakau (Andreas Gregorij Huendern de Wratislauia). Im SS 1482 ging er nach Erfurt (Andreas Hundernn de Wratislavia), erwarb dort im WS 1484 das Bakkalaureat und im WS 1487 den Grad des Magisters. In Erfurt wurde er mit Heinrich J Fischer bekannt. Auch Heinrich J Boger wurde auf ihn aufmerksam und schickte ihm aus Hildesheim freundliche Verse (‘Etherologium’, 1506, Bl. 271v). H. lehrte in Erfurt bis mindestens 1491, zog dann aber, vermutlich als Schulmeister, nach Löwenberg (Niederschlesien), übernahm dort 1494 das Amt des Stadtschreibers und zugleich des Schöppenstuhlschreibers. 1497 wurde er Schöppenschreiber in Breslau. Dort läßt er sich in den Schöppenbüchern bis 1506 verfolgen. Aus H.s Erfurter Zeit ist eine 1491 von ihm geschriebene und datierte Ovid-Hs. erhalten (Breslau, UB, Cod. R 109), die eine Vita Ovids und die ‘Metamorphosen’ sowie einen Accessus zu den ‘Heroides’ enthält, in einem zweiten Teil die Briefe ‘Ex Ponto’ und die ‘Ars amandi’. In dem beigebun-
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denen Druck der ‘Heroides’ (Venedig 1484) sind einige griech. Wörter notiert, Bauch (Erfurt, S. 120) zufolge von H.s Hand. Zur Hs. vgl. K. Ziegler, Catalogus codicum latinorum classicorum qui in Bibliotheca urbica Wratislaviensi adservantur, 1915 (ND 1975), S. 75⫺77.
I I. Sc hr if te n. H.s kleine Schulschriften sind stets Vorgängern verpflichtet, keine originären Beiträge zu humanistischer Schreib- und Sprachlehre. Heinrich Fischer nannte ihn in der ‘Cithara sophialis’ als ersten in der Reihe der zeitgenössischen Poetae, doch sind außer der in der Wolfenbütteler Hs. 37.34 Aug. fol., 66ra⫺va, erhaltenen Epistola poetica an Heinrich Herbold von Höxter Gedichte H.s nicht bekannt, und er ist auch sonst als Poeta nicht bezeugt. 1. ‘Ars epistolandi’. H. will sein kleines Lehrbuch, das 1491 in Erfurt aus einer Vorlesung hervorgegangen war, ex maiorum traditionibus, wie er im Nachwort sagt, gearbeitet haben. Dennoch kündigt der Titel eine ars noua an. Die Traditionen, auf die er sich beruft, sind keine mittelalterlichen. Bei seinem Versuch, anhand der Brieflehre zu beherrschter schriftlicher Kommunikation zu befähigen, bestimmten ihn vielmehr, wie er schon in der Widmung (Erfurt, 6. Sept. 1491) an seinen Schüler Otto Miltz, einen Würzburger Domherrn und Pfarrer in Eisleben, und im Prologus deutlich macht, erkennbar humanistische Grundsätze (Steigerung der menschlichen Sprachfähigkeit zur eloquentia u. a.). Als Teile des Briefs setzt er mit Guilelmo Traversagni (Wilhelm von Savona), dessen ‘Modus epistolandi’ systematisch und in den Leitkategorien wohl seine Quelle ist, die Trias causa (Anlaß, Sachverhalt, um den es geht), intentio (Äußerung des Begehrens), conclusio (Schlußfolgerungen und Konsequenzen) an. Hauptgegenstand der Lehre sind die inventio (Gedankenbildung) und die dispositio (Anordnung und ihre Variationen) der drei Teile. Die Doktrin wird durch Briefbeispiele, u. a. aus Francesco Filelfo und Leonardo Bruni, illustriert. Nicht
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Hundt, Magnus
geringe Beachtung wird auch den nachgeordneten Teilen (partes minus principales), hauptsächlich der Salutatio und den für sie erforderlichen standestypischen Tituli, geschenkt. Der Titulus für den eigens berücksichtigten Dichter: Carminis antiquorum instaurator, cunctarum artium vates doctissimus ([B5]v) bezeugt einen humanistischen Dichtungsbegriff. Auf eine Erörterung von Arten des Briefs läßt H. sich bewußt nicht ein, da er ihre Zahl für kaum bestimmbar hält, für variant von Fall zu Fall. Hieronymus J Gürtler verfaßte seine Brieflehre offenbar nach H.s Maßgabe. Druck. Ars epistolandi noua | Magistri Andree hun|dorn de wratislauia. Erfurt 1494. Hain 9042. Dem Datum der Widmung zufolge wäre mit einem Druck bereits von 1491/92 zu rechnen, doch findet sich von einem solchen keine Spur.
2. Gesprächsbüchlein. Das acht Bll. umfassende Heft, das auf elementarem Niveau der Einübung in die lat. Konversation dienen soll, steht ganz in der Nachfolge der einschlägigen Büchlein D Schneevogels (Niavis), die es in keinem Punkte überholt. Alle Gespräche halten sich im Alltagsmilieu von Schülern. Im Vorwort übt H. Kritik an einem Lateinunterricht, der sich im Einpauken der Grammatik erschöpft, ohne damit zu praktischer Sprachbeherrschung zu führen, und legitimiert so das Gesprächsbuch als unverzichtliches didaktisches Instrument. Druck. Latinum ydeoma Magistri andree hundern | Prologus in latinum ydeoma. Breslau: Konrad Baumgarten, [um 1503]. VD 16, H 5898. Literatur. A. Bˆmer, Die lat. Schülergespräche d. Humanisten, 1897, S. 56⫺60; Bauch, Erfurt, S. 117⫺120; ders., Beitr. z. Gesch. d. schles. Humanismus VII, Zs. d. Ver. f. Gesch. u. Altertum Schlesiens 39 (1905) 156⫺198, hier S. 156⫺163; Bauch, Breslau, S. 222 f. [mit starker urkundlich fundierter Korrektur d. früheren biographischen Mitteilungen]; G. Streckenbach, Stiltheorie u. Rhetorik d. Römer im Spiegel d. humanistischen Schülergespräche, 1979 [Druck d. Berliner Diss. v. 1931], S. 17, 19 f., 55 f., 58, 128, 159 u. 207; Kleineidam, Erfurt 2II, S. 62.
F. J. Worstbrock
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Hundt (Hund, Hunt; Canis), Magnus, d. Ä. (Magnus Magdeburgensis, Parthenopolitanus) I . L eb en . Nach Auskunft der älteren Gelehrtengeschichte wurde H. 1449 in Magdeburg geboren, doch erscheint das ohne Quellennachweis angegebene Geburtsjahr im Blick auf H.s Studienzeit zweifelhaft. Verwandt mit H. waren der Jurist Andreas Hundt und der Mediziner Magnus Hundt d. J., vermutlich zwei seiner Neffen; die drei erscheinen in der Leipziger Matrikel zusammen auf einem zum SS 1521 angefertigten Bildnis, M. Hundt d. Ä. in der Mitte als theologus et medicus doctor (Buchwald, S. 275). H. bezog im SS 1482 die Univ. Leipzig (Magnus Hunt de Magdwurgk), wurde im WS 1483 Baccalaureus und im WS 1486 Magister artium. Er lehrte seither im Leipziger Artesstudium; in den Prüfungsakten der Artisten tritt er zuletzt im WS 1511 auf. Seit dem WS 1492 war er ordentliches Mitglied der Fakultät, im SS 1497 ihr Dekan; in seinem Dekanat fand eine quodlibetische Disputation mit der ‘Quaestio de poetis a re publica minime pellendis’ des Matthäus J Lupinus statt. Im SS 1499 amtierte er als Rektor der Universität. Er war seit 1499 Mitglied des Kleinen Fürstenkollegs und wurde 1511 dessen Propst. In den 1490er Jahren hatte er das Studium der Theologie aufgenommen und daneben noch das der Medizin. Am 14. Mai 1499 wurde er zum Baccalaureus der Medizin promoviert, trat aber nicht in die medizinische Fakultät ein, wählte vielmehr wenig später mit der Übernahme des Cursus biblicus am 22. Juni die Laufbahn des Universitätstheologen; er schloß sie am 2. Mai 1504 mit dem Lizentiat und im Nov. 1505 mit dem Erwerb des Dr. theol. ab (s. Matr. Leipzig, Bd. 2, S. 17 u. 18). Vor der Promotion, am 22. März 1505, hatte er die Priesterweihe empfangen. In der Theol. Fakultät übernahm er im SS 1506 die Vorlesung über die vier Bücher ‘Defensiones theologicae Thomae Aquinatis’ des Thomisten Johannes Capreolus, die sich mit einer Unterbrechung (1513/14)
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bis 1516 hinzog (s. Buchwald, S. 276). 1512 wurde er Domherr in Meißen. Nach dem Meißener Nekrolog starb H. dort am 3. Mai 1519 und wurde im Dom begraben. H. war in Leipzig ein angesehener Repräsentant der thomistisch-scholastischen Wissenschaftstradition. Er tendierte zum Universalgelehrten, besaß aber nicht als Theologe oder Mediziner, sondern als Lehrer der Artes Autorität. Zur Medizin, die er als reine Buchwissenschaft betrieb, hatte er anscheinend über die aristotelisch-thomistische Naturphilosophie gefunden (s. u. II.A.3., D.2.). Für eine juristische Ausbildung H.s oder gar eine Lehrbefähigung findet sich zwar keinerlei Beleg, doch bezeugte Schriften und Buchbesitz weisen seine Studien auch auf dem Gebiet der Jurisprudenz nach. Er besaß eine Hs. der ‘Institutiones Justiniani’, den heutigen Cod. 872 der UB Leipzig (R. Helssig, Kat. d. lat. u. dt. Hss. d. UB Leipzig, Bd. 3, 1905, S. 3), die er testamentarisch der artistischen Fakultät vermachte. In die mannigfachen Streitigkeiten, die in Leipzig seit 1500 zwischen den konservativen Theologen und Anhängern des Humanismus ausgetragen wurden (J Polich, JWimpina, J Rhagius, J Beuschel u. a.), mischte er sich offenbar nicht ein, wurde anscheinend aber selber von J Buschius bei dessen Leipziger Aufenthalt wegen des DonatKommentars attackiert (vgl. Bˆmer). I I. We rk . 1. H.s literarische Hinterlassenschaft beschränkt sich nahezu ausschließlich auf Schriften, die er in seinen universitären Lehrämtern verfaßte. Der Umfang seines Werks ist unsicher. Von den 22 Schriften, die der Wolfenbütteler Anonymus verzeichnet ⫺ er unterscheidet Hss. und Drucke nicht ⫺, lassen sich 14 anderweit nicht nachweisen, sind auch der Gelehrtengeschichte des 17. u. 18. Jh.s unbekannt. Sie fallen in Gebiete des artistischen und theologischen Studiums, doch sind auch zwei juristische darunter. Aus H.s akademischer Tätigkeit ist ein umfangreicher hsl. Nachlaß in der Anhaltischen Landesbücherei Dessau erhalten, Akademische Reden und
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Disputationen aus den Jahren 1501⫺1509 (Sign.: Georg 51) und Vorlesungen in einer auf 1512 datierten Nachschrift von Georg Helt (Georg 36). Summarischer Überblick bei Buchwald. Der von L. J. Feller, Catalogus codicum manuscriptorum bibliothecae Paulinae in academia Lipsiensi concinnatus, Leipzig 1686, S. 422, Nr. 83, verzeichnete Codex mit den “Collecta a Dn. Magno Hundt, SS. Theol. Professore, Medicinae Doctore in lib. II. Sententiarum” und den “Qvaestiones variae disputatae”, dessen erster Besitzer nach H. das Kleine Fürstenkolleg war, ist im heutigen Bestand der UB Leipzig unter der Sign. Ms 1602 erhalten. Im folgenden sind nur die gedruckten Schriften H.s berücksichtigt.
2. H. hat sich zur thomistischen Wissenschaftstradition in den meisten Schriften ausdrücklich bekannt; er nennt Thomas Doctor sanctus. Seinem Traditionalismus entsprach eine grundsätzliche Abneigung gegen methodische und inhaltliche Neuerungen und schon gegen Meinungsvielfalt. Er bevorzugte statt eigener Schriften das Genus des Kommentars, eines von Verfahren der logischen Analyse dominierten Kommentars, verdankte dabei alles Material der Kommentare, wie er stets eigens betont, den Vorgängern, seinen Lehrern oder den großen doctores der Vergangenheit. In der Conclusio des ‘Antropologium’ meint er sein Verharren bei der Autoritäten-Kompilation mit dem dubiosen Hinweis rechtfertigen zu sollen, daß auch die früheren Großen, selbst Aristoteles, sich ähnlich verhalten hätten. Nicht gänzlich jedoch hat sich H. neuen Entwicklungen verschlossen. Seit den späten 1490er Jahren wird auch bei ihm die wachsende Geltung antiker Autoren und prominenter italienischer Humanisten spürbar. Er nimmt sie in seine Zitatenketten auf (‘Antropologium’, Widmung u. Prefacio; Kommentar zu ‘De essentia divinitatis’), gibt auch den ps.-senecanischen ‘Liber de moribus’ und einen Brief Ficinos heraus. Die letzte von H. verfaßte Schrift, der Kommentar zu Ps.-Augustins ‘De essentia divinitatis’, erschien Anfang 1509; der letzte Druck einer seiner Schriften, die 18. Aufl. der ‘Expositio Donati’, 1511.
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A . S ch ri ft en fü r d as Ar te ss tu d iu m.
denten eine Sammlung von (scheinbaren) Gegenargumenten samt deren Auflösungen.
H.s Tätigkeit im Leipziger Artesstudium schlug sich seit 1487 in Kommentaren zu Texten der Grammatik, Logik und Naturphilosophie nieder.
Druck. Tractatus de Diffinitione secundum | doctrinam Doctoris sancti. [Leipzig: Martin Landsberg, um 1486/89, GWMs: um 1487]. Hain
1. ‘Expositio Donati’. Die angeblich nach der Methode des Thomas von Aquin prozedierende, lt. Kolophon teilweise aus Schriften anderer Gelehrter gezogene Erörterung des Donatus minor ist kein Lehrbuch, das die Aufgabe hätte, die Sprachfertigkeit von Studienanfängern (baccalaureandi) zu sichern und zu verbessern. Über den Gebrauch der acht Redeteile und ihrer Akzidentien, über Deklination und Konjugation instruiert die ‘Expositio’ mit keinem Wort, geht den Donat-Text vielmehr ähnlich wie J Diels ‘Etymologia Donati’ mit einem für die Sprachlehre abwegigen scholastischen Begriffsapparat durch. Zu den von H. zitierten Quellen zählen Thomas, Remigius, J Alexander de Villa Dei und kollektiv die Modisten. Die ‘Expositio’ beginnt mit einem gezwungenen, sachlich unergiebigen Accessus. Drucke. Expositio donati se|cundum viam doctoris Sancti perutilis Bacca/|laureandis Etiam quibuscumque alijs scholaribus | volentibus scire donatum. [Köln: Heinr. Quentell, um 1487]. GWMs no338. Ex.: Leipzig, UB. Weitere 18 Leipziger und Kölner Drucke bis 1511. Hain 9033−9039. GWMs no339⫺348 u. no33810. VD 16, H 5905⫺5911. Auszüge gedruckt bei F. Zarncke (Hg.), Sebastian Brant, Narrenschiff, 1854, ND 1964, S. 348⫺ 351.
2. Logik. Die von H. als Fundament aller Wissenschaften betrachtete Logik hatte bei seiner Abfassung von Lehrschriften zunächst den Vorrang. Dem ‘Compendium logicae’, dem Hauptwerk, gingen eine kleinere Schrift und eine Ausgabe zu Teilstücken der Logik voran. a) ‘De definitione’. Ein kleiner aus verschiedenen Schriften des Thomas von Aquin (Bl. 2r: ex variis Doctoris sancti tractatibus) gesammelter Traktat, angehängt zur Übung für die Stu-
9040.
b) ‘Compendium logicae’. Emendierte Ausgabe des ‘Parvulus antiquorum’, eines verbreiteten Auszugs aus den sieben Traktaten der ‘Summulae’ des Petrus Hispanus, mit umfangreichem Kommentar, der die Logik gemäß aristotelischthomistischer Tradition faßlich erläutern soll. H. will ihn ex preceptoribus meis, so der Widmungsbrief an seine Schüler, zusammengetragen haben. Drucke. Compendium totius logice quod | a nonnullis paruulus antiquo|rum appellatur cum optima declaratione ipsius Juxta | doctoris sancti opinionem nouicijs logicis non parum vtile. Leipzig: Martin Landsberg, 1493. Hain 9031. Titelepigramm und Schlußepigramm von H. Zwei Nachdrucke: Leipzig: Martin Landsberg, 1497 u. 1498. GWMs no335 u. no336.
c) ‘Codicillus proprietates terminorum continens cum sophismatibus’. Zusammenfassende Darstellung der Hauptstücke der (im 13. Jh. entwickelten) Logica moderna. Ihr erster und wichtigster Gegenstand waren die Proprietates terminorum (sog. Parva logicalia). H.s ‘Codicillus’ umfaßt zwei Teile. Im ersten Teil handelt er über die Definitionen und Unterteilungen (diuisiones) jeder Proprietas, danach über die regule secundum peripatetici (⫽ Aristotelis) doctrinam und schließlich über die expositiones propositionum cum regulis consequentiarum. Der zweite Teil, der im Druck mit eigenem Titelblatt und eigener Lagenzählung erscheint, bringt eine umfangreiche Serie von Sophismata, deren Erörterungen und Lösungen den Nutzen der Kenntnis der Proprietates terminorum illustrieren sollen. H. betont in der Vorrede, daß Neues zu den vieltraktierten Parva logicalia beizubringen nicht möglich sei. Als Aufgabe seiner Schrift nennt er die geordnete und übersichtliche Darstellung des diffusen Stoffes. Druck. Leipzig: Jak. Thanner, 7. März 1499. GWMs no329 (Exemplarvarianz). Titelepigramme von H.
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3. Kommentar zum ‘Parvulus philosophiae naturalis’. Der 248 Bll. und dazu ein ausführliches Register umfassende Kommentar zu dem verbreiteten ‘Parvulus’ des Petrus Gerticz von Dresden, einem naturphilosophischen Kompendium auf aristotelischer Grundlage, kam erst auf energisches Drängen seines Schülers Arnold Wöstefeld zum Druck. Der Widmung an Wöstefeld (Leipzig, Kl. Fürstenkolleg, 5. Dez. 1499) zufolge sollte er dabei als repräsentatives Leipziger Werk auch der Verteidigung der Leipziger Universität dienen, die ein ungenannter philopompus geschmäht hatte. In der Anlage und Methode des Kommentars, der sachlich ganz der scholastischen Wissensüberlieferung verpflichtet ist (Bl. ijv: … in hoc commentariolo ex maiorum scriptis atque doctrinis collecto), schlägt systematisch wiederum der Primat der Logik durch. Das umfangreiche wissenschaftstheoretische Prohemium beginnt mit sechs Kapiteln allgemeiner Wissenschaftslehre. Druck. Introductorium | in universalem. | Aristotelis phi|sicen. Paruulus philosophie na|turalis vulgariter appellatum | cum propria non extranea declaratione […]. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 30. Juli 1500. Hain 9041. Titelepigramm von H. (7 Dist.).
B . ‘ An tr op ol og iu m’ . Das Graf Wolfgang von Anhalt unter dem 23. Febr. 1501 gewidmete ‘Antropologium’ handelt nach dem in der Prefatio dargelegten Programm über den “gesamten Menschen” (de toto homine, non parte duntaxat), über seine zwiefache Natur, die körperliche und die geistige. Dieses universale Programm darf als originell gelten; es wurde anscheinend von niemandem zuvor gefaßt. H. gab ihm in der Prefatio und den ersten drei Kapiteln eine philosophische Grundierung. Die Erkenntnis unserer eigenen Natur nennt er das wichtigste und sicherste principium totius philosophie; denn die Erkenntnis unserer natura spiritualis eröffne den Weg zur Erkenntnis der intelligentie spirituales (Geister) und der causa prima (Gott), die Erkenntnis unserer natura corporea, des Mikrokosmos, zur Erkenntnis aller Elemente und Ordnungen der materiellen Welt. H. preist den
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als imago Dei geschaffenen Menschen in der Fülle seiner einzigartigen Eigenschaften und Fähigkeiten als die edelste und höchste Kreatur.
Ungeachtet dieses eingangs entworfenen universalen Horizonts beschränkt sich das opusculum de homine fast ganz, in 55 (recte 56, die Zahl 17 ist zweimal verwendet) von insgesamt 60 (recte 61) Kapiteln, auf die Anatomie und Physiologie des menschlichen Körpers; die Kap. 5⫺13 handeln von der allgemeinen Physiologie, die Kap. 14⫺43 von der allgemeinen Anatomie, die Kap. 44⫺57, die etwa die Hälfte des ganzen Buches ausmachen, von der Anatomie und Physiologie der Organe der drei Körperhöhlen. Die Seele bedachte H. hingegen nur mit einem einzigen und dazu sehr dürftigen Kapitel, dem letzten vor der conclusio. Auch andere im Programm genannte Sujets (Therapien, Heilmittel, Schadstoffe u. a.) wurden nur gestreift, nicht ausgeführt. H.s Darstellung der Anatomie und Physiologie des menschlichen Körpers ist ganz aus antiken und mal. medizinischen Schriften, bisweilen auch aus zeitgenössischen (Mundinus) kompiliert; sie beruht nirgends auf eigener Anschauung, für deren Erfordernis H. keinen Sinn hatte. Seine Quellen gibt er fortlaufend in dichter Folge auf den Seitenrändern an. Auch die 18 Illustrationen zur Anatomie, 5 ganzseitige und 13 dem Text inserierte kleinere, sind rein schematisch gezeichnet, nicht empirisch gewonnen, sondern älteren Vorlagen entnommen. 10 von den kleinen Abbildungen sind Nachschnitte der Illustrationen in Johann Peyligks ‘Philosophie naturalis compendium’ (Leipzig 1499). Zur Vorgeschichte der Illustrationen des ‘Antropologium’ s. Sudhoff, 1909, S. 119⫺121, u. Choulant. Druck. Antropologium de hominis digni⫽| tate. natura. et proprietatibus. de | Elementis. partibus. et membris humani corporis. De iuua|mentis nocumentis. accidentibus. vitijs. remedijs. et physio|nomia ipsorum. De excrementis et exeuntibus. De Spiritu | humano eiusque natura. partibus. et operibus, De anima humana et | ipsius appendicijs. Per Magnum Hundt […] ex philosopho-
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Hundt, Magnus
rum libris congestum. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1501. VD 16, H 5904. Titelepigramm H.s an den Leser (6 Dist.).
C . The ol og ie . Der einzige erhaltene theologische Versuch H.s ist sein Kommentar zu der kleinen ps.-augustinischen Schrift ‘De essentia divinitatis’; er folgt jeweils den Abschnitten, in die H. den gleichzeitig edierten Text unterteilte. Während die ps.-augustinische Schrift die anthropomorphe Gottesvorstellung, wie sie im 4. Jh. die Sekte der Audianer nach ihrem Bibelverständnis vertrat, als häretisch verwirft und eine spirituelle Lesart verlangt, wenn im AT von Gottes Hand, Arm, Auge, von seinem Zorn, seiner Reue, seiner Erinnerung usf. die Rede ist, meint H. mit seiner Ausgabe und Kommentierung zeitgenössische Häretiker, die sog. Wyclifisten, treffen zu können (vgl. seine Widmung an den Leipziger Theologen Paul Schiller, Leipzig, 17. Okt. 1508). Der Kommentar, eine fortlaufende Kompilation von Lesefrüchten, gibt über H.s Belesenheit Auskunft. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit sind auch pagane antike Autoren herangezogen, mitunter auch italienische Humanisten (Boccaccio, Ficino u. a.). Die im Titel vorgenommene Gleichsetzung der beiden Sekten, Anthropomorphitae und Vadiani (⫽ Audiani) stützt sich vermutlich auf Augustin, ‘De haeresibus’, Kap. 50. Die ps.-augustinische Schrift, die größtenteils aus der ‘Formula spiritalis intelligentiae’ des Eucherius von Lyon kompiliert ist, wurde vielfach auch Hieronymus und Anselm von Canterbury zugeschrieben. Ihre umfangreiche Überlieferung verzeichnet B. Lambert, Bibliotheca Hieronymiana manuscripta, Bd. III A, Steenbrugge 1970, Nr. 314, S. 67⫺75. Druck. Diui Aurelij Augu|stini Hipponensis Epi|scopi. liber de essentia diuinitatis quo | Anthropomorphitarum et vadianorum | errores ex falsis quorundam Philoso|phorum opinionibus exortos precipue reprobat […] Annexis quibusdam | Annotationibus. a Doctore Magno Hundt Parthenopolitano […]. Leipzig: Jak. Thanner, 4. Jan. 1509. VD 16, A 4271. D. Herausgeber und Beiträger. 1. Tractatus Doctoris Sancti de | modo intellignedi [!] et potencijs | anime et de mixtione elemen-
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torum. [Leipzig: Martin Landsberg, um 1490]. GWMs M46215. Nachträge zu Hains Repertorium bibliographicum u. seinen Fortsetzungen [...], 1910, Nr. 343. Der Druck enthält die pseudo-thomasischen Schriften ‘De modo intelligendi’ und ‘De singulari et universali’, jede in einer selbständigen Lage. Widmung an den Augustinerprior Jakob Koch in Magdeburg, dem H. die beiden Schriften zusammen mit der eigenen ‘De diffinitione’ (s. o. II. A.2.a) übersandte. 2. Libelli doctoris Sancti Tho⫽|me aquinatis occultorum nature | effectuum Et proprij cordis motus causas declarantes stu⫽|dentibus phisice summe necessarij […]. Leipzig: Jak. Thanner, 1499. HC 1538. Hg. vermutlich für eine naturphilosophische Vorlesung (s. o. A.3.). 3. Senece Cordubensis | Moralissimi Liber de | Moribus humane vite. Cum epistola Mar|silij ficini de officijs cuilibet necessaria. Leipzig: Jak. Thanner, 1499. Hain 14650. Titelepigramm von H. (1 Dist.). Titelbl.v: M. H. an die Studenten Johannes und Paul von Breitenbach (Leipzig, 17. April 1499). Bl. [a5]r⫺[a6]r: Brief Marsiglio Ficinos an Cherubino Quarquali ‘De officiis’ (Ep. III 53). ⫺ Textgleicher ND: Leipzig: Jak. Thanner, 1502. VD 16, S 5829. 4. H. gehörte zu den 19 Beiträgern, die mit Epigrammen die ‘Confutatio apologetici cuiusdam sacrae scripturae falso inscripti’ (Leipzig 1514. VD 16, D 2947) seines Leipziger Kollegen Hieronymus Dungersheim gegen die Böhmischen Brüder begleiteten. Literatur. Wolfenbütteler Anonymus, S. 57⫺ 59; Facultatis medicae in Academia Lipsiensi procancellarius D. Jo. Zacharias Platner panegyrin medicam indicit, et de Magno Hundt tabularium anatomicarum, ut videtur, autore disserit, Leipzig 1734; F. Bˆrner, Bibliothecae librorum rariorum physico-medicorum historico-criticae specimen primum, Helmstedt [1751], S. 6⫺16; J. F. Kˆhler, Fragmente z. Gesch. d. Stadt u. Univ. Leipzig, 1. Teil, Leipzig 1787, S. 130⫺135; K. Prantl, Gesch. d. Logik im Abendlande, Bd. 4, 1870, S. 277; B. St¸bel, Ukb. d. Univ. Leipzig, 1879, S. 359 f., 363, 386, 395, 407, 422; Th. Brieger, Die theol. Promotionen auf d. Univ. Leipzig 1428⫺ 1539, 1890, S. 18 f., 20, 22, 25 f., 63; E. Friedberg, Die Univ. Leipzig in Vergangenheit u. Gegenwart, 1898, S. 109⫺111; Matr. Leipzig, Bd. 3, S. 351a (Reg.); C. Rabl, Gesch. d. Anatomie an d. Univ. Leipzig (Stud. z. Gesch. d. Medizin 7), 1909, S. 9 u. 22⫺24; K. Sudhoff, Die medizinische Fakultät zu Leipzig im ersten Jh. d. Univ. (Stud. z. Gesch. d. Medizin 8), 1909, S. 72, 84, 115⫺121, 123, 151; G. Buchwald, M. H. d. Ä. von Magdeburg († 1519), Zs. f. Bücherfreunde NF 11 (1919/20) 275⫺279; ders., Die Matrikel d. Hochstifts Merseburg
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Hutten, Ulrich von
1469⫺1558, 1926, S. 70; A. Bˆmer (Hg.), Epistolae obscurorum virorum, 1924, Bd. 1, S. 54 f., Bd. 2, S. 57; L. Choulant, History and Bibliography of Anatomic Illustration (engl. Übers. von M. Frank), New York/London 1962, S. 27, 51, 80, 123⫺125; A. Seifert, Logik zwischen Scholastik u. Humanismus, 1978, S. 19, 110, 154, 168; C. Gysel, L’odonto-stomatologie de Johann Peyligk (1499) et de Magnus H. (1501), Revue d’odontostomatologie 15 (1986) 187⫺198; Th. Freudenberger, Hier. Dungersheim, 1988, S. 17, 32⫺34, 39, 73, 182, 185.
F. J. Worstbrock
Hutten, Ulrich von Inhalt. I. Leben. ⫺ II. Werk. A. Lateinische Schriften. ⫺ B. Deutsche Schriften. ⫺ C. Übersetzungen. ⫺ D. Herausgeber. ⫺ E. Varia. ⫺ Literatur.
I . L eb en . Geb. am 21. April 1488 auf der Burg Steckelberg im Spessart bei Schlüchtern (südl. von Fulda) als erstes Kind des Ritters Ulrich von Hutten und seiner Frau Ottilie von Eberstein. Die väterliche Familie von reichsritterlichen Grundherren ist seit Jahrhunderten in der Region zwischen Spessart und Rhön ansässig, für die große Buchenwälder charakteristisch waren; ein Forstgebiet im Besitz der nahen Reichsabtei Fulda trug den Namen Buchonia. H. nennt sich aus diesem Grunde wiederholt (neben Eques Germanus bzw. Francus) Phagigena oder de buchen. Frühjahr 1499 bis Frühjahr 1503: Besuch der Stiftsschule der Benediktinerabtei Fulda. Die Eltern planen für den erstgeborenen Sohn eine Zukunft als adliger Kleriker. Frühe Beschäftigung mit Latein und Kirchenmusik (Orgelspiel), für die sich auch der Student weiter interessiert. Danach bis 1510 Studien- und Wanderjahre in Erfurt, Mainz, Köln, Frankfurt/O., Leipzig, Greifswald und Rostock. Frühjahr/Sommer 1503 bis Frühjahr 1505: Studium der Artes (biennium studii) an der kurmainzischen Univ. Erfurt. Johannes J Crotus Rubeanus ist dort sein Mentor, der ihm die sprachlichen und poesiologischen Grundlagen der neulat. Dichtung vermittelt. Im Sommer 1505 Bekannt-
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schaft mit Helius Eobanus J Hessus sowie mit Georg J Spalatin, Valentin von Teutleben, den Brüdern Peter und Heinrich J Eberbach, Balthasar Fabricius aus Vach sowie den Brüdern Jakob und Andreas von Fuchs aus Bamberg. Seinen Mitschüler Marquard von Hattstein († 1522) aus Bingenheim, später Mainzer Domherr, trifft er wieder an der Univ. Mainz sowie in Bologna und Rom. Sommer 1505: für ein Semester an der Univ. Mainz. Gegen den Willen des Vaters kehrt er nicht mehr nach Fulda zurück und findet Zuflucht bei dem Vetter Frowin von Hutten (später Hofmarschall in Mainz). In Mainz lehrt der Jurist und Historiker Ivo J Wittich und lebt der romkritische Kanoniker und Jurist Dietrich J Gresemund. H.s maßgeblicher Lehrer ist seitdem der Lausitzer Johannes J Rhagius Aesticampianus. Der Jurastudent Ulrich Fabricius teilt die Interessen an humanistischen Studien und Poesie. WS 1505/06: an der Univ. zu Köln, wo sich auch der vor der Pest aus Erfurt geflüchtete Crotus aufhält; unter seinen Lehrern ist hier der dichtende Dominikaner Jacobus J Magdalius. Seit Frühjahr 1506: in Frankfurt/O. an der neugegründeten märkischen Univ. ‘Viadrina’, wohin auch Rhagius als Professor der Rhetorik berufen worden war. Im März hatte H. Köln verlassen und war über Erfurt (dort flüchtige Bekanntschaft mit J Mutianus Rufus) an die Oder gewandert. Studien der Poetik und Rhetorik, erste neulat. Kasualpoesie, Lektüre von Tacitus’ ‘Germania’ und Lukians ‘Totengesprächen’. Am 14. Sept. 1506 Baccalaureus artium. Wiederholt Gast am Hofe des humanistisch gesonnenen ersten Universitätskanzlers, des Bf.s von Lebus Dietrich von Bülow. Frankfurter Studienfreunde sind Mgf. Albrecht von Brandenburg (Bruder des Kurfürsten und Universitätsgründers Joachim I. von Brandenburg), H.s späterer Dienstherr in Mainz, und Eitelwolf von Stein († 1515), später kurfürstlicher Diplomat, einer der wenigen gelehrten Ritter, befreundet mit Konrad J Celtis und wichtigster Gönner des jungen H. Bekanntschaft auch mit Valentin von Stojentin,
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Hutten, Ulrich von
dem späteren Rat der Herzöge von Pommern, und Fabius J Gürtler (Zonarius). Ende WS 1507/08: an der Univ. Leipzig (Matrikel: Vlricus Huttenus de buchen) als Begleiter des Aesticampianus. Daneben beginnt H. dort die Litterae humaniores zu lehren. Er versteht sich seither als Poeta und humanistischer Lehrer. Die Infektion mit Syphilis, wohl im Sommer 1508, verursacht eine schwere Krise. Spätestens im Frühjahr 1509 verläßt er Leipzig, kehrt nach Frankfurt/O. zurück und wendet sich von dort oderabwärts zur Ostsee, möglicherweise mit dem Ziel Skandinavien. Spätsommer (etwa Aug./Sept.) 1509: Vielleicht nach einem Schiffbruch als mittelloser Student nach Greifswald (Matrikel: Ulricus Huttenus poeta clericus Herbipolensis gratis intitulatus quia spoliatus omnibus bonis). Was man von dem Greifswald-Rostocker Abenteuer weiß, stammt aus den poetischen Texten H.s sowie aus Berichten oder Briefen Dritter, die sich auf ihn berufen (s. bes. Joachim J Vadians Brief vom 12. Jan. 1512 an Georg J Tannstetter: Bericht über H.s Wiener Selbstdarstellung und Erzählungen im Stil der Odyssee [s. u. II.A.13.]). Danach nimmt die Familie Lotz (oder Lötz, die ‘Lötze’), der reiche Handelsherr und Bürgermeister Wedeg und sein Sohn Henning, Prof. der Jurisprudenz, ihn in ihrem Haus auf; man versorgt ihn mit Kleidung und streckt ihm Geld vor. Bald kommt es zu Konflikten mit dem seltsamen Fremden, der auf seinem Adel als Reichsritter besteht. Er macht sich unbeliebt und verdächtig, die Leute verlangen ihre Auslagen zurück; er aber macht sich im Dez. auf den Weg nach Rostock. Der Bürgermeister läßt ihn unterwegs aufhalten, seine Habe wird ihm abgenommen, und er gelangt, erneut mittellos, im Jan. 1510 nach Rostock. Dort findet er Anteilnahme (bei Ekbert Harlem) und darf an der Universität lehren, auch noch im SS 1510. Aug. 1510: wieder in Frankfurt/O., wo er seine ‘Querelae’ gegen die ‘Lötze’ drukken läßt (s. u. II.A.11.). Mit Hilfe des Frankfurter Studienfreundes Stojentin reicht er eine Rechtsbeschwerde beim Herzog von Pommern ein.
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Herbst 1510 bis Frühjahr 1511: Aufenthalt in Wittenberg bei dem alten Erfurter Studienfreund und Landsmann Balthasar Fabricius aus Vach, der auch mit Luther befreundet ist. Anschließend Reise über Böhmen und Mähren nach Wien, angelockt vom Ansehen des Humanistenkreises um Celtis († 1508) und dessen Nachfolger Vadian sowie den Möglichkeiten des Fortkommens durch die Gunst Ks. Maximilians I. Im Mai 1511 macht er in der Bischofsstadt Olmütz bei dem Propst J Augustinus Moravus Station. Mai bis Spätsommer 1511: Aufenthalt in Wien, wo er mit zwei Humanistenfreunden, Peter J Eberbach und Johannes Mair, im Hause Vadians wohnt. Erste Auseinandersetzung mit Fragen der Politik und der deutschen nationalen Geschichte (‘Exhortatio’ an Ks. Maximilian, s. u. II.A.13.). Über die Untersagung seiner Lehrtätigkeit als Humanist durch den Rektor Johannes Heckmann berichten die J ‘Epistolae obscurorum virorum’ (I 1). 1512: Er st e Rei se na ch It al ie n. Durch Vermittlung von Crotus, der in Fulda die Zustimmung des Vaters erreicht, seit März 1512 Studium der Jurisprudenz in Pavia; sein Lehrer ist noch Giasone de Mayno (1435⫺1519, auch Lehrer von Andrea Alciato); auch Griechisch-Unterricht. Nach gut drei Monaten wird die Universität wegen des Krieges in Oberitalien geschlossen, in Pavia herrscht Kriegsrecht. H. beobachtet die politisch-militärischen Ereignisse und schreibt darüber Gedichte. Er wird abwechselnd von beiden Seiten gefangen und muß sich freikaufen. Von Juli 1512 bis Juni 1513 Student in Bologna, dort Studium des Rechts, der Rhetorik, Poesie und Philosophie (vielleicht bei Pietro Pomponazzi). Ohne Geld aus Deutschland fehlen die Mittel für die Rückkehr über die Alpen; deshalb Dienst im kaiserlichen Söldnerheer. August 1513 Teilnahme an der Belagerung von Padua. Im Febr. 1514 zurück in Deutschland. Frühjahr 1514: erstmals nach 15 Jahren wieder auf der Burg Steckelberg. Von dort Besuch in Erfurt: mit dem Freund Peter Eberbach Planung der Fortsetzung und Beendigung des Studiums in Italien und Teil-
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Hutten, Ulrich von
nahme an der Beratung einer Hilfsaktion der Humanisten für Johannes J Reuchlin gegen die Kölner Theologen. Um diese Zeit auch persönliche Bekanntschaft mit Reuchlin, vermittelt durch Crotus Rubeanus. März bis Oktober 1514: bereits Tätigkeit als eine Art Legationssekretär im Dienst Mgf. Albrechts von Brandenburg, durch Vermittlung des Vetters Frowin von Hutten und Eitelwolfs von Stein, der in Bologna studiert hat und mit ihm seit Frankfurt/O. bekannt ist. Albrecht ist seit März 1514 als Eb. von Magdeburg durch den Papst bestätigt und wird im Aug. durch den Einfluß der Fugger zusätzlich Kur-Eb. von Mainz; seit Nov. residiert er in Mainz. H. ist oft in Halle, Mainz und Frankfurt/M.; dort trifft er im Sommer 1514 mit Hermann J Buschius, Reuchlin und J Erasmus zusammen. Wie Alkibiades dem Sokrates möchte er sich Erasmus anschließen, aber der Zwang zum Rechtsstudium hindere ihn. Erasmus seinerseits idealisiert den jungen humanistischen Poeten, besonders aufgrund des Panegyricus ‘In laudem Alberti Archiepiscopi’ (s. u. II.A.15.). Im Frühjahr 1515 erreicht ihn während einer Kur in Bad Ems die Nachricht vom Tode des Mäzens und Vorbilds Eitelwolf von Stein und zugleich von der Ermordung seines Vetters Hans von Hutten durch Hzg. Ulrich von Württemberg. Nach dem Trauergedicht auf den Vetter (II.A.31.) entstehen fünf Reden gegen den Herzog. In Aufträgen für Vater und Familie unterwegs. Okt. 1515 erscheint wohl in Hagenau Teil I der ‘Epistolae obscurorum virorum’ (s. u. II.A.16.1). Herbst 1515: Z we it e Rei se na ch It al ie n von Mainz aus, mit finanzieller Unterstützung durch Albrecht von Brandenburg, der ihm eine Anstellung in Mainz nach Beendigung des Studiums in Aussicht gestellt hat. Dez. 1515 in Bologna. Seit Jan. 1516 in Rom. Aus ähnlichen Gründen wie bei Erasmus entsteht bei H. ein AntiRom-Affekt gegen die ‘Kurtisanen und Romanisten’: Ablaßhandel und Simonie, Prachtentfaltung und Mißbrauch der Religion. Durch Empfehlung von Erasmus Mitglied im römischen Humanistenkreis
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um Johann Goritz (Corycius) und beteiligt an der Gedichtanthologie ‘Coryciana’. Außerdem acht Epigramme ex vrbe missa über den Zustand Roms (s. u. II.A.17. u. 28.). Er amtiert in Rom auch als Syndikus der Natio der deutschen Studenten. Nach einer Fiebererkrankung im April 1516 zur Kur in Bullicame bei Viterbo, dort vielleicht Tötung eines Franzosen bei einer Rauferei, die er in Epigrammen (s. u. II.A.28.) als nationale Heldentat stilisiert. Juli 1516 bis Mai 1517 erneut Studium in Bologna, in der Gesellschaft von Friedrich von Fischer aus Würzburg, Andreas und Jakob Fuchs aus Bamberg (in deren Haus er mit Fischer bis Herbst 1516 wohnt), Valentin Stojentin, Marquard von Hattstein. Auch Studium des Griechischen, des Thukydides und Aristophanes. In Bologna entstehen der ‘Brief der Dame Italia an den Kaiser’ (s. u. II.A.17.), Gedichte gegen die ‘Händlerrepublik’ Venedig und die Briefe für die ‘Epistolae obscurorum virorum’, Teil II (s. u. II.A.16.2.). 1516/17 Bekanntschaft mit Cochlaeus, der als Mentor dreier Neffen Pirckheimers in Bologna studiert. Im Juni 1517 stößt er bei ihm auf eine Hs. der Schrift Lorenzo Vallas gegen die ‘Konstantinische Schenkung’, die er vom Freund Fischer abschreiben läßt. Nach einem Konflikt an der Universität im April 1517 Wechsel nach Ferrara, wenige Tage später nach Venedig, wo ihn seine Vettern Frowin und Ludwig von Hutten erwarten, ehe sie selbst zu einer Pilgerreise ins Hl. Land (zur Erlangung der Ritterwürde am Hl. Grab) aufbrechen. Während des mehrwöchigen Aufenthaltes in der früher von ihm verachteten und geschmähten Republik Kontakte zu venezianischen Adeligen und Humanisten, Besuch in der Offizin des Aldus Manutius. Mitte Juni 1517 zurück nach Bologna, von dort wiederum ohne Studienabschluß Rückkehr nach Deutschland. 8. Juli 1517 in Augsburg, am 12. Juli dort auf Empfehlung Konrad J Peutingers Krönung zum Poeta laureatus durch Ks. Maximilian. Die Ehrung gilt auch der Familie H.s im noch schwebenden Rechtsverfahren gegen Ulrich von Württemberg. Anschließend in Bamberg und Nürnberg (bei
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Willibald J Pirckheimer), dann für einige Wochen auf der Burg Steckelberg. Seit September 1517 H of ra t i m D ie ns t A lb re ch ts vo n B ra nd en bu rg , des Kur-Erzbischofs von Mainz, in dessen Sommerresidenz Steinheim am Main. Okt. 1517 bis Jan./Febr. 1518 in diplomatischer Mission in Frankreich, persönlicher Empfang bei Kg. Franz I. In Paris Kontakte u. a. zu Guillaume Bude´, der Reuchlin unterstützt, und Berührung mit der Philosophie von Lefe`vre d’E´taples. Begleiter des Erzbischofs auf Dienstreisen zwischen Halle und Mainz; Vorbereitung des Augsburger Reichstages im Juli 1518, den er im Gefolge des Erzbischofs besucht. In Augsburg Kur mit Guajakholz (darüber der Traktat ‘De Guaiaci medicina et morbo Gallico’, s. u. II.A.26.). Am 25. Okt. der ‘Lebensbrief’ an Pirckheimer (II.A.25.). Der Schwäbische Feldzug des Kaisers gegen Hzg. Ulrich von Württemberg im Frühjahr 1519, unter Beteiligung von Soldaten Franz’ von Sickingen, führt zur Vertreibung des Herzogs. H. ist vornehmlich mit dem Neuaufbau der Mainzer Universität und einer Druckerei als Studienzentrum des Humanismus sowie mit einer Neuordnung der Finanzen beschäftigt. Mit der ‘Türkenrede’ (II.A.23.), u. a. zum Thema der finanziellen Ausbeutung Deutschlands durch die Kurie (in der Beilage: ‘Brief an alle freien Deutschen’), beginnt der politische Durchbruch H.s, und es zeichnen sich “die beiden Hauptstoßrichtungen ab: der Kampf gegen das Papsttum als weltliche Macht und die Bekämpfung des deutschen Territorialfürstentums” (Grimm, 1979, S. 78). Nach dem Tod Maximilians am 12. Jan. 1519 wird dessen Enkel als Karl V. sein Nachfolger: am 28. Juni in Frankfurt/M., wohin H. den Erzbischof begleitet, die Wahl Karls zum Deutschen (Römischen) König und Kaiser. Aug. 1519: Beurlaubung vom Hofdienst durch Albrecht, aber weitere Beschäftigung mit der Bildungspolitik in Mainz, und dafür und für seine gelehrten Studien erhält er weiter sein Gehalt. Aber er will sich nicht mehr im Fürstendienst politisch gegen seine eigenen Vorstellungen benutzen lassen; die Kurie unterstützt die regio-
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nalen Fürsten gegen die Autorität des Kaisers und des Reichs. Zentral werden für ihn der Gedanke einer politischen Generalreform im Reich gegen die reichsschädigende Libertät der Landesfürsten und die Hoffnung auf die romfeindlichen Stände. Er ist von der Renaissance-Idee bestimmt, daß Macht nicht auf Legitimität und Tradition, sondern auf Usurpation beruht. Dafür steht für ihn Franz von Sickingen (Grimm, 1971, S. 79). Seit dem zweiten Halbjahr 1519 wirbt er intensiv im Gebiet seiner weiteren Heimat zwischen Mainz und der Steckelburg für seine gegen die Landesfürsten und die Kurie gerichtete Politik, besonders unter dem niederen fränkischen Adel und in Benediktinerklöstern. Herausgabe einer mal. Schutzschrift für Ks. Heinrich IV. gegen Papst Gregor VII. (‘De unitate ecclesiae’, II.D.2.) sowie einer Sammlung von Dokumenten des späten 14. Jh.s zur Überwindung des Großen Schismas von 1378 (‘De schismate extinguendo’, II.D.3.): die Aufklärung über die historischen Dimensionen des Konflikts soll die eigene Parteinahme flankieren. Für diese sind die insgesamt 12 Dialoge zentral: Ende 1519 ‘Dialogi’ (auch einzeln in Separatdrucken) und die “zum Teil” (Grimm, 1971, S. 80) von ihm selbst stammenden dt. Übersetzungen im ‘Gesprächbüchlin’ (II.C.1.); auf der Ebernburg Sikkingens entstehen 1520/21 die ‘Dialogi novi’ (II.A.38.); schon im Herbst 1519 ist der 1517 begonnene Dialog ‘Arminius’ abgeschlossen (II.A.32.). Zentral ist jetzt die Vorstellung einer ‘deutschen Nation’: nicht als natürlicher Größe, nicht auf Souveränität gegründet, sondern ⫺ inspiriert durch die ‘Germania’ Enea Silvio J Piccolominis ⫺ als moralisch fundierter Kultureinheit; das Territorialfürstentum und das Papsttum sind die beiden Haupthindernisse, die einander in die Hände spielen, rechtsförmig konkret in den sog. Fürstenkonkordaten (nach Grimm, 1971, S. 85 f.). Juni 1520: Reise von Mainz nach Brüssel, wo er sich am Hof Erzhzg. Ferdinands eine Anstellung nahe beim Zentrum der ksl. Macht erhofft, aber man gewährt ihm nicht einmal eine Audienz. Auf der Hinreise trifft er in Köln J Agrippa von Net-
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tesheim, auf der Rückreise durch Zufall den Inquisitor J Hoogstraeten. Am 25. Juli Augenzeuge des Einzugs von Karl V. in Brügge (wie Erasmus, den er hier zum letztenmal trifft, sowie Thomas Morus, Konrad J Peutinger und Sebastian J Brant). Ende Aug. in Fulda bei Crotus Rubeanus. Seit Sept. 1520: Aufenthalt auf der Ebernburg Sickingens, von dort zunächst Reisen, um Bundesgenossen für seine politischen Ziele zu finden; die erhoffte Unterstützung durch den Adel bleibt jedoch aus. In einem ‘Schreibbüro’ beschäftigt er Mitarbeiter, darunter als Übersetzer den jungen ehemaligen Dominikaner Martin Bucer. Weiterführung des Briefwechsels und der regen literarischen Produktion im ‘Pfaffenkrieg’ gegen die ‘Romanisten’ und ‘Kurtisanen’, die er nun zu einem großen Teil auf die dt. Sprache umstellt, zuerst in dem Reimgedicht ‘Clag und vormanung’ (s. u. II.B.1.), einer Zusammenfassung der Anklagen in den im Sept. erschienenen ‘Conquestiones’ (II.A.35.) für ein breiteres Publikum. Die dt. Schriften sind vor allem rasch entstandene Flugschriften mit Übersetzungen und Wiederholungen der Publikationen bis 1519. Der Bulle ‘Exsurge Domine’ gegen Luther und seine Anhänger folgend liegt seit Ende 1520 eine päpstliche Inquisitionsvollmacht auch gegen H. vor, die seine Inhaftierung und Aburteilung als Ketzer vorsieht. Er vertraut auf die Unterstützung durch Mainz und den Schutz der ‘Nation’ (gemeint sind wohl die Stände). Im Nov. 1520 läßt er die Bulle mit eigener Vorrede, mit fortlaufender polemischer Glossierung und einem Nachwort an den Papst drucken. H. ist auch in dieser Zeit religiös ohne Engagement und kennt Luther nicht persönlich, der kurze Briefwechsel bricht im April 1521 ab; es sind fünf Briefe von H. überliefert, auch Distanzierungen von Luther (z. B.: Atqui [sc. Luthericus] non sum, verum adhuc magis quam Lutherus Bullis inimicus, et hostili adversus impiam Romam animo im Dialog ‘Bulla vel Bullicida’ 1521). Mit der Reformation wird er zunächst ohne sein Dazutun durch die kuriale Bannpolitik in Verbindung gebracht und durch namentliche
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Nennung als Anhänger Luthers. Umgekehrt denkt Luther nicht daran, sich H.s nationaler politischer Reform anzuschließen. Die ‘deutsche Freiheit’ H.s steht gegen die von weltlichen Machtverhältnissen unabhängig gedachte ‘christliche Freiheit’ Luthers. (Die Legende von H. als Vorkämpfer der Reformation wurde von Johann Aurifabers Edition der ‘Tischreden’ Luthers 1564 und von Cyriacus Spangenbergs ‘Adelsspiegel’ 1594 initiiert). Von Worms aus versucht die Kurie, H. umzustimmen und zu kaufen, nachdem dieser publizistisch für Luther und gegen den Papst eingetreten war: Febr./März 1521 die ‘Invectivae singulae’ (II.A.39.) gegen die päpstlichen Gesandten Aleander und Caraccioli; im April 1521 erscheint die ‘Anzöig’ (Anzeige) an die Adresse Karls V. über die historischen Schandtaten der Bischöfe und Päpste (II.B.4.). Am 6./7. April 1521 bietet eine ksl. Gesandtschaft auf der Ebernburg H. die Übernahme in den ksl. Dienst an, er akzeptiert und versteht das Angebot als Ausgleich für die im Sommer 1520 verweigerte Stelle im Dienst Erzhzg. Ferdinands. Auch denkt er, in dieser Position seiner Sache wirksamer dienen zu können. Martin Bucer nimmt als theologischer Sachverständiger an den Verhandlungen teil. Mit Luthers Erscheinen und Verhalten vor dem Reichstag und dem Wormser Edikt vom 25. Mai (Reichsacht über Luther) werden jedoch die Einigung mit H., die darin eingeschlossenen Reformversprechen usw. hinfällig; H. ist wütend über die Täuschung, aber er steht nun allein und hat als verratener Verräter an der eigenen Sache sein Prestige verloren. Sickingen wendet sich ab, H. muß die Ebernburg verlassen und kämpft auf eigene Faust weiter, doch ohne publizistische Mittel; denn infolge des Ediktes war der Buchhandel der kirchlichen Zensur unterstellt worden, und kein Verleger wagt es, eine Schrift von ihm drucken zu lassen oder zu vertreiben. Er versucht vergeblich, die rheinabwärts reisenden päpstlichen Nuntien als Geiseln zu nehmen, und ruft einen ‘Pfaffenkrieg’ (bellum sacerdotale) mit Waffengewalt aus, findet jedoch keine Unterstützung. Die
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Überlieferung von Gewalttaten H.s im Stil der Raubritter ist nicht gesichert. Juni bis Mitte Nov. 1521: Aufenthalt auf Burg Diemstein b. Kaiserslautern. Inzwischen hatte Sickingen H.s Ernennung zum ksl. Feldhauptmann in seinen Diensten für einen Feldzug gegen Franz I. erreicht, doch der Dienst wird hinfällig, weil H. sich wegen seiner erneut ausbrechenden Krankheit zur Kur begeben muß. In Diemstein entstehen das ‘Carmen responsorium’ an Eobanus Hessus (II.A.41.) und ‘Ain new Lied’ (Ich habs gewagt mit sinnen, II.B.5.). Seit Nov. 1521 auf der Burg Wartenberg, nach der Flucht aus Diemstein, von Mitte Mai bis Okt. 1522 wiederum unter dem Schutz Sickingens auf der Ebernburg und auf der Burg Landstuhl. Die gemeinsam mit Sickingen geplante gewaltsame Annexion des geistlichen Kurfürstentums Trier scheitert. Das letzte Gedicht in dt. Sprache: die ‘Vermahnung an die freien und Reichsstette teutscher Nation’ (s. u. II.B.8.). Sickingens Fehlschlag vor Trier im Sept. 1522 führt zu H.s Resignation und Flucht. Sickingen wird in Landstuhl belagert und stirbt bei der Einnahme der Burg am 7. Mai 1523. Nov. 1522: Flucht nach Schlettstadt zu humanistischen Freunden, von dort aus noch Ende Nov. nach Basel, wo er in der Herberge ‘Zur Blume’ wohnt. Erasmus läßt ihm ausrichten, er solle von einem Besuch bei ihm absehen, weil er seinen Humanismus nicht mit “bösem Aufruhr” in Verbindung bringen lassen möchte. Seit Jan. 1523 lebt H. im Augustinerkloster im elsässischen (damals schweizerischen) Mülhausen, sein Begleiter ist der Humanist und Freund des Erasmus Heinrich von Eppendorf. Die noch im Nov./ Dez. in Basel entstandene ‘Gegenrede oder Ausschreiben widder pfaltzgraf Ludwigen Churfürsten’ (II.B.10.) wagt kein Drucker zu veröffentlichen. Es entsteht die ‘Expostulatio’ gegen Erasmus (s. u. II.A.42.); dessen ‘Spongia adversus aspergines Hutteni’ erschien nach H.s Tod im Aug. 1523 in Basel, 1524 die Gegenschrift des ehemaligen Pfarrers Otto Brunfels aus Mainz,
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dem H. 1521 in Diemstein Zuflucht gewährt hatte. Mai 1523, als Sickingens Ende bekannt wird, Flucht nach Zürich, wo Zwingli ihn aufnimmt. Im Sommer Kuraufenthalt im Wildbad Pfäfers bei Ragaz, dann durch Zwinglis Vermittlung Zuflucht auf der Insel Ufenau im Zürichsee, wo er von dem Pfarrer Hans Klarer, gen. Schnegg, versorgt wird. Seine letzte Schrift gegen die Landesfürsten (‘Libellus in tyrannos’), für deren Veröffentlichung er Eobanus Hessus um Hilfe bat, wurde nicht gedruckt (s. u. A.43.). Noch einmal eine Selbstverteidigung gegen Erasmus (der die Ausweisung des Aufrührers hatte durchsetzen wollen) in einem Brief vom 15. Aug. an den Bürgermeister und den Rat von Zürich. Tod (nach dem Zeugnis von Beatus Rhenanus) wohl am 29. Aug. 1523 im Alter von 35 Jahren und 4 Monaten. Er konnte schließlich keine Speise mehr schlucken, die unmittelbare Todesursache war eine Schluckpneumonie. Begräbnis auf der Insel Ufenau, doch ist das Grab schon seit dem Ende des 16. Jh.s nicht mehr zweifelsfrei bekannt. H. hinterließ ein paar beschriebene Blätter und eine Schreibfeder. Die Familie der Steckelberger Hutten ist bereits 1577 ausgestorben. I I. We rk . Verzeichnisse der Drucküberlieferung: E. Index bibliographicus Huttenianus, Verz. d. Schr. U.s v. H., 1858; auch in: Bˆcking, Ausg., Bd. 1, 1859, S. 1*⫺104* (noch immer grundlegend); J. Benzing, U. v. H. u. seine Drukker. Eine Bibliographie d. Schr. H.s im 16. Jh., 1956 (zit.: “Benzing” mit Nr.); H. Spelsberg, Veröffentlichungen U.s v. H., in: P. Laub (Bearb.), U. v. H., Ritter Humanist Publizist 1488⫺1523, Kat. z. Ausstellung d. Landes Hessen 1988, 1988, S. 412⫺441 (mit meist guten Inhaltsangaben); A. Brall, Die H.-Slg. d. Hess. LB Fulda. Ein Bestandsverz. mit einer Einl. u. 32 Porträts U. v. H.s, 1988; H. J. Rehfeld, Verz. d. in d. Archiven, Bibl.en u. Museen d. DDR vorhandenen H.Drucke (bis 1600), in: U. v. H., Mit Feder u. Schwert. Kat. z. Ausstellung anläßlich seines 500. Geburtstages, 1988, S. 87⫺130; VD 16, H 6225⫺ 6418. Selbständig gedruckte Schriften ab 1519 verzeichnet H.-J. Kˆhler, Bibliographie d. Flugschriften d. 16. Jh.s, Teil 1, Bd. 2, 1992, Nr. 1662⫺ 1737. Bˆcking,
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Ausgaben. Gesamtausgaben: E. M¸nch, Ulrichi ab Hutten, Equitis Germani, Opera quae extant omnia, 6 Bde., Berlin 1821⫺27; E. Bˆcking, Ulrichi Hutteni, equitis Germani, Opera quae reperiri potuerunt omnia. U.s v. H. Schr., 5 Bde., 1859⫺61, ND 1963; 2 Suppl.bde., 1864⫺1870, ND 1966 (zit.: Bˆcking, Bd. 1⫺7); Bd. 1⫺2, 1859: Epistolae ad eundem deque eodem ab aliis ad alios scriptae; Bd. 3, 1862: Poemata cum corollariis; Bd. 4, 1860: Dialogi, Pseudohuttenici nonnulli; Bd. 5, 1861: Orationes et Scripta didascalica cum corollariis; Suppl.bde. 1⫺2: Epistolae obscurorum virorum (I/II). Teilausgaben: Die erste und für fast 200 Jahre einzige Sammlung der Schriften in lat. Versen besorgte vermutlich Eobanus Hessus: Vlrichi | Hutteni Equitis | Germani opera poetica, ex | diuersis illius monumentis in | unum collecta, quorum | elenchum sequens | pagina ha-|bet. [Straßburg: Kraft Müller (Mylius)], 1538. VD 16, H 6395. Benzing, Nr. 1. Zu Drucken späterer Teilsammlungen in Ausgaben anderer Autoren des 16. Jh.s s. Benzing, Nr. 2⫺4. ⫺ G. Balke, Die dt. Dichtungen des U. v. H. (Dt. National-Litt. 17,2), 1895 (ND 1967), S. 217⫺333; P. Ukena, U. v. H., Dt. Schr., Nachwort v. D. Kurze, 1970; H. Mettke, U. v. H., Dt. Schr., 2 Bde., 1972⫺74; H. Heger, SpätMA ⫺ Humanismus ⫺ Reformation, 2. Teilbd. (Die dt. Lit., Texte u. Zeugnisse, Bd. 2,2), 1978, S. 175⫺212 (mit Übers.); K¸hlmann, Lyrik, S. 160⫺201 (mit Übers., Kommentar S. 1033⫺ 1064). Übersetzungen. E. M¸nch, U. v. H., Jugenddichtungen, 1832; D. F. Strauss, U. v. H., Gespräche, 1860 (Erg.bd. 3 zu Strauss, 1858); M. Treu, Die Schule des Tyrannen, Lat. Schriften, 1991 (ausgewählte Prosaschriften in dt. Übers.).
A . L at ei ni sc he Sc hr if te n. Verzeichnung und Beschreibung von Beigaben H.s zu Veröffentlichungen anderer Autoren erscheinen im folgenden in petit. 1. Elegie auf Eobanus Hessus (Erfurt, 1506). Das erste im Druck überlieferte Werk H.s, ein Gedicht in 18 Distichen, auf Bl. [C5]r⫺v dem Druck des Preisgedichts von J Hessus auf Erfurt und seine Universität beigefügt. Druck. In Eobanum Hessum vivacissimi ingenii adolescentem Vlrichi Hutteni elegia. In: De laudibus et praeconiis incliti | atque tocius Germaniae | celebratiss. Gymnasii litteratorii apud | Erphordiam Eobani Hessi […]. Erfurt: Wolfg. Stürmer, 1507. VD 16, E. 1522. Benzing, Nr. 226. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 1, S. 3 f. 2. Auf die Mark Brandenburg (Frankfurt/O., Sommer 1506). Das Gedicht (Bl. [d3]v⫺[d4]r, 20 Dist.) schließt den Druck von J Vigilantius’ Lobschrift auf
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Frankfurt und seiner Schilderung der Eröffnungsfeierlichkeiten der Univ. ‘Viadrina’ am 26. April 1506 ab. Druck. Vdalricus Huttenus Phagigena Iohannis Rhagii Aesticampiani discipulus ad lectorem huius libri. In: Publij. Vigilantij. Bacillarij. Axungie | [...] Franck⫽|phordiane vrbis ad Oderam. et Gymnasij [...] descriptio. Frankfurt/O.: Konrad Baumgarten, 13. Febr. 1507. VD 16, S 3100. Benzing, Nr. 227. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 5 f. 3. Empfehlungsgedicht für Rhagius’ ‘Epigrammata’ (Herbst 1506). H. rühmt Rhagius als religiösen Dichter, der sich der erotischen Poesie ganz enthalte (Bl. [A4]v, 7 Dist.). Druck. Vdalrici Hutteni Phagigene ad lectorem Epigramma. In: Epigrammata Jo|hannis Aesticam⫽|piani. Leipzig: Melchior Lotter, 1507. VD 16, R 1664. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 563 (Nachtrag). 4. Zwei Geleitgedichte zu Rhagius’ Ausgabe von ‘De arte grammatica’ des Martianus Capella (Herbst/Dez. 1506). Die ‘Exhortatio’ (Bl. [F4]v⫺[F5]v, 38 Dist.) preist den Menschen ausgreifend als die kraft seiner Vernunft allen anderen überlegene Kreatur und seine Erfindung der Künste, bevor sie zum Sprachstudium als der Grundlage aller Artes auffordert. Danach ein Rhagius auch als verdienstvollen Lehrer des Griechischen empfehlendes Hexastichon. Druck. Ulrici Hutteni ad studiosos adolescentes de liberalium artium studijs Elegiaca exhortatio und Ad Lectorem vt Aesticampianum querat preceptorem. In: Grammatica Martiani foelicis Ca⫽| pelle cum Iohannis Rhagij [...] prefatione. Frankfurt/O.: Nik. Lamperter u. Balth. Murrer, 1507. Benzing, Nr. 229. Ex.: München, UB, W 4° A.lat.46. Ausgabe. G. Bauch, Arch. f. Litt.gesch. 10 (1881) 432⫺434. 5. Geleitgedicht zu Rhagius’ Ausgabe der ‘Tabula Cebetis’ (Frankfurt/O., 1507). H.s Elegie (Bl. C iijr⫺[C4]r 28 Dist.) moralphilosophischen Inhalts beschließt diese erste in Deutschland erschienene lat. Ausgabe der beliebten allegorischen Deutung der Kebes-Tafel. Druck. Vlrici Hutteni adolescentis de Virtute Elegiaca exhortatio. In: Tabula Cebetis philosophi so⫽|cratici, cum Ioannis Aesticampiani Epistola. Frankfurt/O.: Nik. Lamperter u. Balth. Murrer, 1507. VD 16, C 1766. Benzing, Nr. 230 u. 231. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 8⫺10. 6. Begleitgedicht zu den Gedichten von Hermann Trebelius (Frankfurt/O., 1507). Das Zentrum der Elegie (Bl. [F4]v, 9 Dist.) bildet die Kontrastierung zweier Porträts: der Humanist,
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Hutten, Ulrich von
Drucker und Frankfurter Professor der Litterae humaniores J Trebelius (ein Leben in Wohlstand, Häuslichkeit und Muße, Venus et Fortuna) gegenüber H. selbst (Leben in Disharmonie und Verwirrung, Abhängigkeit und Unstetigkeit). Druck. Vlricus Huttenus Hermanno Trebelio Notiano Poete L‹aureato›. In: Hermanni Trebelij Notiani | [...] Epigrammaton et | carminum Li| ber Pri-|mus. […]. [Frankfurt/O.: Joh. Hanau, 1509]. VD 16, T 1846. Benzing, Nr. 232. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 1, S. 8 f.
7. ‘Vir bonus’ über das richtige und das falsche Leben (Frankfurt/O., 1507). Das Lehrgedicht in 73 eleg. Distichen, H.s erste selbständige Buchveröffentlichung, ermahnt den Leser zu tugendhafter Lebensführung, im ersten Teil durch Kritik der weltlichen Laster; die Tugend ist nur wenigen bekannt (Aristides, Ulysses, die Socratica schola, Cato, Scipio, Caelius, Cicero), aber der unwissende und unkultivierte Mensch (rudis [...] vitae est nescius ipse suae) kann Klugheit und Tugend erlangen, wenn er ihnen folgt und Verfehlungen, überflüssigen Reichtum und Sünden (voluptas, gula, superbia, ira, ignavia, invidia) meidet. Im zweiten Teil (vv. 69⫺146) spricht die allegorische Figur selbst, die den Versen auf der Rückseite des Titels in einem Holzschnitt (vielleicht von Hans Sebald Beham) vorangestellt ist, und präsentiert sich als Vorbild, indem sie ihre Körperteile und Attribute allegorisch ausdeutet. Sie hat die Augen eines Luchses: der durchdringende, ernste Blick konzentriert sich auf das Wesentliche; große abstehende Ohren eines Ebers: er hört das Gras wachsen; aus dem Mund wächst ihr eine Lilie: die wirkungsvolle Rede bewegt und besänftigt die Menschen, usw. Das Gedicht läßt sich im Stil der späteren Embleme als Auslegung des Holzschnittes lesen (vgl. Calman, Curschmann). Drucke. Vlrici Hutteni ex | equestri ordine Adolescentis Car|men emunctissimum mores homi|num admodum iucunde comple|ctens cui Titulus vir bonus: | [...]. Erfurt: Hans Knappe, 13. Aug. 1513. VD 16, H 6312. Benzing, Nr. 38. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 11⫺17. 8. Empfehlungsgedicht für Rhagius’ Auswahl von sieben Hieronymus-Briefen (1508). H. preist Leben und literarische Leistungen des Rhetors Hieronymus als die eines christlichen Cicero.
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Druck. Carmen commendaticium. In: Septem diui Hiero⫽|nymi epistole. ad vitam mortalium instituen|dam accomodatissimae. cum Iohannis Aesti⫽|campiani Rhetoris ac poete Laureati et | Epistola [...]. Leipzig: Melchior Lotter, 1508. VD 16, H 3559. Benzing, Nr. 233. Ausgabe. L. Geiger, Arch. f. Litt.gesch. 5 (1876) 482 f. 9. Begleitgedicht zu Johannes Murmellius’ ‘Epistolae morales’ (1509/10). H. würdigt in 13 Distichen (Bl. E ijr) das Werk des Murmellius, lobt ihn als Dichter und stellt sich ihm als Freund des Erfurter Humanistenkreises (Hessus, Mutian u. a.) vor. Druck. Joanis Mur|mellij Ruremundensis | Epistolarum moralium liber Alcmarie perameno | Hollandie oppido compositus. Leipzig: Val. Schumann, [1515]. Krafft/Crecelius, Beitr., S. 30 f. VD 16, M 6870. Ausgabe. Krafft/Crecelius, Beitr., S. 42 f.
10.1. ‘Nemo I’ (‘Ur-Nemo’) (1507/1509). Zwischen Ostern 1507 und März 1509 entstand wohl in Frankfurt/O. die erste Fassung des ‘Nemo’, ein Gedicht aus 48 eleg. Distichen in zwei Teilen. Teil 1 reiht mit dem personifizierten Indefinitpronomen Nemo (Ille ego sum Nemo, de quo sacra littera dicit) sprichwortartige Sätze anaphorisch aneinander (z. B. Nemo fuit semper). In Teil 2 wird das vom Hausgesinde (turba domestica) in Abwesenheit des Hausherren verursachte Unwesen beschrieben (betrunkene Diener feiern Feste, zerstörter Hausrat und zerbrochenes Geschirr), das dann dem Nemo angelastet wird. Der Prolog spricht von der Verbindung von Ernst und Scherz. Nemo steht für Schwächen und Niedertracht des Menschen. Drucke. Vlrici Hutteni Nemo. | [...]. Erfurt: Seb. Stribilita, [1510]. VD 16, H 6379. Benzing, Nr. 5. Zu weiteren Drucken Nr. 6⫺11. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 108⫺118 (synoptisch mit ‘Nemo II’).
10.2. ‘Nemo II’ (‘Großer Nemo’) (1518). Zweite, erweiterte Fassung, die die Zweiteilung der ersten Fassung grundsätzlich beibehält, dabei aber im 1. Teil auf zeitgeschichtliche Ereignisse eingeht und am Schluß des 2. Teils mit der Erwähnung des Odysseus eine dritte Quelle der NemoVorlagen (neben der Bibel und dem ‘Haus-
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gesinde-Nemo’) einbezieht; damit auch Anschluß an das von früh an geläufige Motiv der Selbstcharakteristik (Jillings, 1993). In der Captatio benevolentiae wird die Notwendigkeit der Abwechslung zwischen Ernst u. Scherz stärker hervorgehoben. Neu auch gegenüber ‘Nemo I’: Nemo werden Kinder von Dienerinnen untergeschoben; nicht nur die Diener benehmen sich in Abwesenheit des Hausherren schlecht, auch die Hausherrin selbst (hera) ist unordentlich. Zu den allgemeinen Adynata des Nemo (aus der ersten Fassung) kommen politische und gesellschaftliche hinzu (z. B. Nemo sacerdotum luxus vitamque supinam, | Nemo audet Latium carpere Pontificem; Nemo omnes posita Germanos lege coercet) sowie Anspielungen auf H.s eigene Erlebnisse. Typus der mimetischen Satire. Drucke. OYTIΣ. Nemo. Augsburg: Joh. Miller, [1518]. VD 16, H 6384. Benzing, Nr. 62. Weitere Einzeldrucke Nr. 63⫺71. Ferner in: De arte uersifica|ndi carmen Heroicum, per | Hulderichum Hut⫽|tenum. | [...]. Nürnberg 1547. Benzing, Nr. 26. Ausgaben. Bˆcking, Bd. 3, S. 108⫺118 (synoptisch mit ‘Nemo I’), Bd. 1, S. 175⫺184 (Vorrede an Crotus Rubeanus), u. S. 184⫺187 (Nachschrift an J. Pflug); K¸hlmann, Lyrik, S. 164⫺175 (Komm. S. 1042⫺1047).
11. ‘Lötze-Klagen’ (1510). Die zwei Bücher mit jeweils 10 Elegien (nicht 19 wie bei Benzing, Nr. 25) sind 1510 in Rostock entstanden. Ihr Anlaß ist der angebliche Überfall im Winter 1508/09 (Dez. oder Jan.?) auf dem Weg von Greifswald nach Rostock, bei dem H. seiner Habe, Schriften und Kleidung beraubt worden sein soll; der Überfall soll von der Greifswalder Familie Lötze, dem Vater Wedeg, Bürgermeister und Kaufmann, und seinem Sohn Henning, Prof. der Jurisprudenz und Domherr, in Auftrag gegeben worden sein, die H. in Greifswald zunächst gastlich aufgenommen hatten. Die Ereignisse sind ausschließlich durch die Elegien selbst bekannt (s. die Andeutungen in I 2, II 8), es fehlen offenbar Aussagen unabhängiger Quellen; zur Forschung bes. Grimm, 1938; Roloff, 1994. Die Elegien sind an verschiedene zeitgenössische Perso-
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nen gerichtet, etwa an Freunde (z. B. II 6 Ad Ioannem Crotum Rubianum Magistrum suum, II 8 Ad Eobanum Hessum Vivacissimum Poetam), an seine Rostocker Studenten (II 3 Ad Auditores Suos Rostochienses) und Wohltäter (z. B. II 3 Ad Egbertum Harlem Hospitem Rostochiensem), an den Pommernherzog Bogislaw X. (I 5 Ad Illustrissimum Ducem Bugslaum) und dessen Sekretär Valentin Stojentin (I 6 Ad Valentinum Stegetin Principis Bugslai Scribam) sowie an den Verwandten Ludwig von H. (I 7) mit jeweils unterschiedlicher Intention (z. B. Bitte um Anteilnahme und gerechte Beurteilung der Tat, Bitte um juristischen Beistand usw.). Verschiedene Themen: der Überfall auf H., der einen verstärkten Ausbruch seiner Krankheit zur Folge hat; die stark negativ gezeichnete Familie Lötze (Lossii) als habgierig, wütend, brutal, faul, neidisch usw.; im Kontrast dazu der Autor und dessen eigenes Schicksal (fortuna), seine Begabung als Dichter (ingenium), seine Selbstcharakteristik (mores) und das Mitleid, das er verdiene, seine Rollenvorstellung, besonders in I 10 (Ad Lectorem). Literarische Vorbilder sind Ovids ‘Tristia’ und ‘Epistulae ex Ponto’, auch Celtis (s. Sch‰fer, 1988). Die 10. Elegie des zweiten Buches (Ad Poetas Germanos), mit 278 Versen die längste, enthält einen Katalog zeitgenössischer deutscher Dichter, grob nach Regionen eingeteilt, nennt u. a. die Freunde Hermann Trebelius, Johann und Alexander von Osten, Bohuslaus von J Hassenstein, Georg Spalatin und Balthasar Vach, dann Laurentius J Corvinus, Johann Sturm und Hieronymus J Emser, Rhagius Aesticampianus, Mutianus, Crotus, Hessus, J Trithemius, Vigilantius Axiunga, J Buschius, Murmellius, J Wimpfeling, J Brant, J Locher, J Bebel und Reuchlin; Celtis, Vadian und die Wiener Gruppe kommen (noch) nicht vor. Druck. Vlrici Hutteni equestris ordi|nis poetae in Vuedegum Loetz | Consulem Gripesualdensem in Pomerania/ et filium | eius Henningum Vtriusque Juris doctorem Querelarum | libri duo pro insigni quadam iniuria sibi | ab illis facta. | [...]. Frankfurt/O.: Joh. Hanau, 1510. VD 16, H 6361. Benzing, Nr. 12. Widmungsvorrede an 16 Professoren d. Univ. Rostock.
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Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 19⫺83, Bd. 1, S. 10⫺15 (Widmungsvorrede). ⫺ Elegie I 2: K¸hlmann, Lyrik, S. 160⫺165. Übersetzung: G. Ch. F. Mohnike, In Wedegum Loetz et filium eius Henningum querelarum libri duo / U. H.’s Klagen gegen Wedeg Loetz u. dessen Sohn Henning zwei Bücher, Greifswald 1816. Ders., U. H.s Jugendleben. Nebst Gesch. u. Beschreibung d. Urschrift d. Klage als Einl. zu der Ausg. u. Übers. derselben; mit dreien Jugendgedichten d. Ritters, Greifswald 1816.
12. ‘Ars versificandi’ (Wittenberg, 1511). Elementare lat. Verslehre in 422 Hexametern, nach der Schlußschrift vollendet am 13. Febr. (1511) im Hause des Balthasar Fabricius in Wittenberg. Eingeleitet nach Art des antiken Lehrgedichts mit Propositio (in der typischen Form gereihter indirekter Fragesätze) und Captatio benevolentiae, enthält das carmen scholasticum als Hauptstück eine Einführung in die allgemeinen Regeln der Silbenquantität (Prosodie, vv. 64⫺275), der, soweit erforderlich, eine Einweisung in die Lautlehre vorangeht (vv. 12⫺63). Es folgt eine Liste von 12 Versfüßen (vv. 276⫺288). Als Versmaße werden allein Hexameter und Pentameter vorgestellt (vv. 289⫺317), im Anschluß daran prosodische Sonderregeln wie Synalöphe (Elision), Synkope, Apokope, Diärese u. a. (vv. 318⫺343). Der technischen Verslehre angehängt ist eine Serie kurzgefaßter Ratschläge, die das Gelingen eines carmen fördern sollen: Studium der besten Autoren, bes. Vergils, Kenntnis der Naturund Moralphilosophie, der Rhetorik, wirkungsvolle, aber maßvoll zu handhabende Stilistik (Formen emovierender Wiederholung, Metapher und andere Tropen). Vgl. Leonhardt, Dimensio syllabarum, S. 260, B 93. Drucke. Vlrici Hutteni de Arte Versificandi | Liber vnus Heroico carmine ad Io⫽|annem et Alexandrum Osthenios Po|meranos Equites. Leipzig: Wolfg. Stöckel, [1511]. VD 16, H 6285. Benzing, Nr. 13. Titelepigramm von Philipp J Engelbrecht (6 Dist.); Titelbl.v: Widmungsbrief an die Brüder Johannes und Alexander von Osten (Wittenberg, 31. Dez. 1510). Weitere Drucke, auch unter veränderten Titeln, Benzing, Nr. 14⫺26, darunter: Vlri-|chi de Hutten | Equitis Germani. | Stichologia [...], hg. v. Christoph Hegendorff, Leipzig: Val. Schumann, 1518. VD 16, H 6286. Benzing,
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Nr. 14; Ars versificatoria Hul|derici Hutteni. Paris: Rob. Estienne, 1526. Benzing, Nr. 16. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 89⫺106; Widmungsbrief: Bd. 1, Nr. 7.
13. ‘Exhortatio’ an Kaiser Maximilian (1511). Nach H.s eigener Darstellung 1511 auf der Reise von Wittenberg nach Wien entstandenes Gedicht (224 eleg. Dist.), mit dem H. erstmals als politischer Schriftsteller hervortritt: Der Kaiser solle den falschen Friedensbeteuerungen der Venezianer nicht nachgeben. Der ‘Exhortatio’ folgen das sog. ‘Germanengedicht’ (Heroicum quod Germania nec virtute nec Ducibus ab Primoribus degenerauerit, 146 Hex.) und das Hutteni Viennam ingredientis Carmen (14 Dist.), in dem H. sich vor den Wiener Freunden als Odysseus stilisiert. Den Sammeldruck der drei Stücke veranlaßte Joachim Vadian (Widmungsbrief an Georg Tannstetter, 12. Jan. 1512). Das ‘Germanengedicht’ und das Carmen ‘Bei der Ankunft in Wien’ erschienen in überarbeiteter Form, die ‘Exhortatio’ in einer stark erweiterten Neufassung 1519 nochmals in der ‘Augsburger Sammlung’ (A.28.). Druck. Ad divum Maximilianum Caesa. | Aug. F. P. bello in Venetos euntem, Vlrici | Hutteni Equitis, Exhortatio. | [...]. Wien: Hier. Vietor u. Joh. Singriener, Jan. 1512. VD 16, H 6242. Benzing, Nr. 37. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 126⫺158, 159 f., 331⫺340. Vadians Widmungsbrief: Bˆcking, Bd. 1, S. 22⫺25, u. Vadian-Br., Bd. 3, Nr. 119.
14. ‘Exclamatio’ über Pfefferkorn (1514). Die 119 Hexameter der ‘Exclamatio’ sind im Anschluß an die Hinrichtung des getauften Juden Johannes Pfefferkorn am 6. Sept. 1514 in Halle entstanden. H. hielt sich dort kurze Zeit als eine Art Beobachter im Auftrag Albrechts von Brandenburg auf. Die ‘Exclamatio’ geht von der fraglosen Berechtigung des grausamen Strafgerichts aus und denunziert die dem Delinquenten zugeschriebenen Greueltaten. Auf die Namensgleichheit mit dem Halleschen Pfefferkorn bezieht sich der durch den Reuchlin-Streit bekannt gewordene Kölner J Pfefferkorn 1517 in seiner ‘Beschyr-
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mung Johannes Pfefferkorn (den man nyt verbrant hat)’. Drucke. Baptisati cuiusdam iudaei Ioannis Pepercorni Hallis oppido Magdburgensis diocesis: ante arcem divi Mauricii: in Coemeterio iudaeorum lento igni assati. [...] Ulrichi de Hutten super eadem re Epistolae et exclamatio heroica. [Mainz: Joh. Schöffer, 1514]. Nach Benzing, Nr. 39 (kein Ex. bekannt). Weitere Drucke Nr. 40 u. 41. VD 16, H. 6301⫺02. Drucke der zeitgenössischen dt. Übers.: VD 16, H 6303⫺6307. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 345⫺352, mit der dt. Übers. der ‘Historia’.
15. Panegyricus auf den Eb. Albrecht von Brandenburg (1515). Das Jan. 1515 fertiggestellte Großgedicht aus Anlaß des feierlichen Einzugs Albrechts in seine erzbischöfliche Residenz in Mainz am 8. Nov. 1514 wurde von dem Vorbild und Gönner des jungen H., dem Ritter Eitelwolf von Stein, angeregt, dem es auch gewidmet ist. In den 1300 Hexametern wird an die humanistische Gesinnung des zu neuer Machtstellung im Reich aufgestiegenen Brandenburgers appelliert, ‘Germania’ wird beschworen, von Arminius und Karl d. Gr. bis zu Maximilian I. Die Widmungsvorrede an Stein kritisiert die törichte Distanz der adligen Standesgenossen zur humanistischen Bildung. Albrecht läßt H. 200 Goldgulden für sein Gedicht überreichen, verspricht ihm eine Anstellung in Mainz und erklärt sich bereit, die Fortsetzung und den Abschluß des Rechtsstudiums in Italien zu finanzieren. Drucke. In laudem reverendissi|mi Alberthi Archiepiscopi | Moguntini Vlrichi de Hutten | Equitis Panegyricus. Tübingen: Th. Anshelm, Febr. 1515. VD 16, H 6357. Benzing, Nr. 47. Weitere Drucke: Nr. 48 u. 49. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 353⫺400, die Widmung an Stein: Bd. 1, S. 34⫺37.
16.1. ‘Epistolae obscurorum virorum’, 1. und 3. Ausgabe von Teil I (1515, 1516). Der zuerst anonym 1515 o. O. u. Dr. (in Hagenau bei Heinrich Gran) gedruckte, seit der Ausgabe 1517 als 1. Teil bezeichnete Band der EOV aus 41 fingierten Briefen gilt seit Brecht (1904) und Bˆmer (1924) als das Werk von H.s Freund J Crotus Rubeanus. Von H. stammt darin nach Bˆmer (Bd. 1, S. 85 ff.) vielleicht nur
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der 1. Brief: Thomas Langschneyderius [...] domino Ortvino Gratio (‘Prandium Aristotelis’) sowie mit Sicherheit eine Appendix von 7 Briefen in der 3. Ausgabe, Speyer 1516, Nr. 42⫺48; diese sind Juli/ Aug. 1516 in Bologna entstanden. Druck der 3. Ausgabe: Epistole obscurorum virorum ad Vene⫽|rabilem virum magistrum Ortuinum Gratium Dauentriensem Co⫽|lonie agrippine bonas litteras docentem [...]. [Speyer: Jak. Schmidt, 1516]. VD 16, E 1722. Benzing, Nr. 241. Weitere Drucke Nr. 239, 240 u. 242. Zu den 7 Briefen der Appendix Benzing, S. 14. Ausgaben. Bˆcking, Suppl. 1, S. 3⫺5 u. 63⫺ 77; Bˆmer, Bd. 2, S. 7⫺9 u. 71⫺87.
16.2. ‘Epistolae obscurorum virorum’, Teil II (1517). Von den 62 fingierten Briefen des wiederum anonym o. O. u. Dr. 1517 in Speyer bei Jakob Schmidt gedruckten Teils II gelten seit Brecht (1904) und Bˆmer (1924) 56 als das Werk H.s., entstanden Aug.⫺ Nov. 1516 in Bologna. Von den nicht von H. stammenden Briefen Nr. 13, 17, 29, 42, 61, 62 werden vier Jakob Fuchs und zwei Hermann J Buschius zugeschrieben. Druck. Epistole Obscurorum virorum ad Magistrum Ortuinum | Gratium Dauentriensem Colonie latinas litteras pro|fitentem [...]. [Speyer: J. Schmidt, 1517]. VD 16, E 1723. Benzing, Nr. 243; zur Bestimmung des Druckers s. die Bemerkungen Benzings zu Nr. 241. Ausgabe. Bˆcking, Suppl. 1, S. 181⫺300; Bˆmer, Bd. 2, S. 91⫺192.
17. Briefgedicht der ‘Italia’ an Maximilian (1516). Die umkämpfte Dame ‘Italia’ schreibt an den Kaiser um Hilfe (128 Dist.). Sie erinnert an Arminius und Karl d. Gr. und an Maximilians Verantwortung für das Erbe des Imperium Romanum. Aktueller Anlaß ist der Rückzug seines Heeres aus Italien nach der aus finanziellen Gründen gescheiterten Belagerung des von den Franzosen okkupierten Mailand. Widmungsvorrede an Nikolaus J Gerbel (Bologna, 31. Juli 1516). Druck. Epi|stola ad | Maximili⫽|anum Caesarem | Italie˛ fictitia. | Hulde⫽|richo | de Hutten equ. Authore. [Straßburg: Matth. Schürer, 1516]. VD 16, H 6258; Benzing, Nr. 50. Ein um Epigrammata aliquot nuper ex vrbe Roma missa vermehr-
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ter weiterer Druck, hg. v. Eobanus Hessus: Erfurt: Matthes Maler, Nov. 1516. VD 16, H 6257. Benzing, Nr. 51. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 1, S. 105⫺113.
18. ‘Phalarismus’ (1516/17). Entstanden in Bologna im Zusammenhang mit neuerlichen Lukian-Studien. Ein deutscher Fürst, ein tyrannus (Hzg. Ulrich von Württemberg, der Mörder des Hans von Hutten), läßt sich von Merkur in den Hades führen und hat, nach einer burlesken Eingangsszene mit Charon, der ihn über den Acheron setzen soll, das erwünschte Gespräch mit Phalaris von Agrigent, dem Muster aller grausamen Tyrannen. Von Phalaris möchte er lernen, doch seine Erzählungen von den eigenen Regierungsmethoden bewegen Phalaris dazu, den Besucher als ihm überlegen anzuerkennen.
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rum, ab Eleutherio | Byzeno decan|tatum. [Hagenau: Thomas Anshelm, 1518]. VD 16, H 6414. Benzing, Nr. 87. Eine Variante mit verändertem Titelblatt Nr. 88. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 413⫺447, das Vorwort (ad Principem ac populum Germanorum) u. das Nachwort Bd. 1, S. 236⫺238.
19. Begleitgedicht zu Stöfflers Kalenderbuch (1518). Das Epigramm (8 Dist.) ad Lectorem, entstanden in Mainz, gilt den Gestirnen und astrologischen Vorstellungen (mortales praevia fata regunt).
21. Offener Brief über den ReuchlinStreit an Hermann von J Neuenahr 1518. Entstanden in Mainz als Antwort auf ein Schreiben Hermanns Graf von Neuenahr, der dem Freund von Anfeindungen des Kölner Inquisitors Hoogstraeten auch gegen ihn berichtet. Anlaß war die 1517 in Köln mit Widmung an Ks. Maximilian gedruckte, von Neuenahr hg. ‘Defensio [...] viri Johannis Reuchlin’ des Giorgio Benigno de’ Salviati. H. erwähnt eine Reihe von aktuellen Vorgängen in dem anhaltenden Streit und verweist auf Bundesgenossen wie Pirckheimer, J Peutinger und J Cuspinian, auf Jakob de Bannisis (Sekretär in der Kanzlei Maximilians), Jakob J Spiegel, Johannes J Stabius sowie Guillaume Bude´ und Faber Stapulensis in Paris. Im Zusammenhang mit barbarischen Ereignissen, die der Blüte der humanistischen Studien schadeten, spricht er spöttisch vom neuesten Mönchsgezänk in Wittenberg (ohne den Namen Luthers zu erwähnen).
Druck. Vlrichus de Hutten Eques Germanus ad Lectorem. In: Joh. Stöffler, Calendarium | Romanum mag/|num [...]. Oppenheim: Jakob Köbel, 24. März 1518. VD 16, S 9188. Benzing, Nr. 235. ND: Schr. d. Ver. f. Gesch. d. Bodensees u. seiner Umgebung 8 (1877) 57.
Druck. Epistola ad illustrem vi|rum Hermannum de Neu|uenar [!] Hutte|niana, qua contra | Capnionis aemulos | confirmatur. [Mainz: Joh. Schöffer, 1518]. VD 16, H 6329. Benzing, Nr. 58. Weitere Drucke Nr. 59⫺61. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 1, S. 164⫺168.
20. ‘Triumphus Capnionis’ (1518). Ein feierliches Enkomion in 1063 Hexametern, das den fiktiven Einzug des über die Kölner Theologen siegreichen Johannes Reuchlin in seine Vaterstadt Pforzheim in der Art eines römischen Triumphzuges darstellt, entstanden wohl bereits 1514/15, Vor- und Nachwort im Frühjahr 1518. Zum Pseudonym Eleutherius Byzenus s. Bˆcking, Bd. 3, S. 416 Anm.
22. Verse für Eb. Albrecht von Mainz in den Räumen der Moritzburg in Halle (1518). Die acht Distichen (Ad fores nouae arcis Hallensis u. a.) sind nach Benzing im Frühjahr 1518 bei wiederholten Aufenthalten in der Moritzburg in Halle entstanden und blieben zu Lebzeiten H.s ungedruckt.
Druck. Phalarismus | Dialogus Hut|tenicus. [Mainz: Joh. Schöffer], März 1517. VD 16, H 6397. Benzing, Nr. 52. Weitere Drucke Nr. 53⫺ 57. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 4, S. 1⫺25 (synoptisch mit der dt. Übers., ca. 1521).
Druck. Triumphus | Doc. Reuchlini | Habes stu|diose lector, Io|annis Capnio|nis viri praestantissimi Enco|mion. Triumphanti illi ex | deuictis Obscuris viris, Id | est Theologistis Colo| nien*sibus+ et Fratribus de | Ordine Praedicato|
Ausgabe. O. Clemen, Miscellen z. Reformationsgesch. II. Hutteniana, Theol. Stud. u. Kritiken 34 (1901) 127⫺130.
23. Aufruf zum Krieg gegen die Türken (1518). Den April/Mai 1518 in Halle und Mainz entstandenen Aufruf an die deutschen Fürsten wollte H. vor dem Reichstag zu Augs-
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burg im Sommer 1518 vortragen, doch wegen seiner Krankheit kam es nicht dazu. Für den an Maximilian gerichteten und Peutinger gewidmeten ersten Druck von 1518 ließ sich H. zum Streichen der antipäpstlichen Stellen bewegen. Im zweiten Druck von 1519, vorbereitet 1518 auf der Steckelburg, veröffentlichte er die vollständige Originalfassung, vermehrt um eine Vorrede “an alle wahren und freien Deutschen”. H.s Aufruf gehört in die Reihe der zahlreichen Schriften gegen die Türken seit den Reichstagsreden Aeneas Silvius D Piccolominis (1454). Druck der gereinigten Fassung: Vlrichi | de Hutten equitis Germani | ad Principes Germaniae, vt bellum Tur|cis inuehant. Exhortatoria. | […]. Augsburg: Sigm. Grimm u. Marx Wirsung, 1518. VD 16, H 6267. Benzing, Nr. 85. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 5, S. 97⫺134. Widmungsvorrede an Peutinger in Bd. 1, S. 173 f. Druck der vollständigen Fassung: Vlrichi | Hutteni ad princi⫽|pes Germanos vt | bellum Turcis | inferant | exhortatoria. | Insunt quae priori editione ex⫽|empta erant, uide et adficieris. Mainz: [Joh. Schöffer, 1519]. VD 16, H 6268. Benzing, Nr. 86. Vorrede: Bˆcking, Bd. 1, S. 230⫺ 242. Vgl. zu beiden Fassungen C. Gˆllner, Turcica. Die europäischen Türkendrucke d. XVI. Jh.s, Bd. 1, 1961, Nr. 100 u. 125.
24. ‘Aula’ (August 1518). Entstanden in Augsburg während des Reichstages, an dem H. im Gefolge seines Dienstherrn Albrecht teilnahm, wohl auf Veranlassung des kurerzbischöflichen Leibarztes Heinrich Stromer von Auerbach; dieser hatte 1517 Enea Silvio J Piccolominis ‘De curialium miseriis’ herausgegeben. Von Eneas Traktat ist H.s Schrift ebenso beeinflußt wie von Lukian und Homer. In dem Dialog zwischen dem im Hofdienst erfahrenen Misaulus und dem jüngeren Castus, der aus der Vita contemplativa des Gelehrtendaseins heraustreten und in der Vita activa am Hof sein Glück machen will, wird die Topik der Hofkritik auf drastische Weise abgehandelt. Der von Castus eingebrachte Vergleich des Hofes mit dem Meer (mare malorum) wird von Misaulus aufgegriffen und bestimmt dessen Ausführungen über die Wirkungen des Hoflebens; besonders die Irrfahrten des Odysseus dienen als Allegorien der Gefahren am Hof
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(Sirenen, Scylla und Charybdis, Syrten, Lästrigonen, Harpyien und Zyklopen). Bei Hofe ist man unfähig zur Freundschaft, und man fällt so tief, wie man hoch steigt; es herrschen Unfreiheit, Servilität und Schmeichelei, Verstellung, Mißgunst, Neid und Verleumdung, Luxus und Habgier, Ehrsucht und Undank, Derbheit und Unbildung. Zur Topik vgl. Spelsberg, 1988, S. 426 f.; Kiesel, 1979; K¸hlmann, 1989. Am Ende des Druckes (Bl. D iijr⫺[D4]r) ein an Leo X. gerichtetes Gedicht (55 Hex.) in Prognosticon ad annum M.D.XVI., ein Aufruf an den Papst, von Gott ein Ende des Kriegs in Oberitalien zu erflehen. Drucke. Vlrichi de Hutten | equitis Germa| ni. Aula. Di|alogus. [...]. Augsburg: Sigm. Grimm u. Marx Wirsung, 17. Sept. 1518. VD 16, H 6295. Benzing, Nr. 72. Weitere Drucke: Benzing, Nr. 73⫺ 82. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 4, S. 43⫺74 (‘Misaulus sive Aula’; die Widmungsvorrede an Stromer Bd. 1, S. 217⫺220).
25. ‘Lebensbrief’ an Willibald Pirckheimer (1518). Entstanden wohl unmittelbar im Anschluß an die Guajakholz-Kur im Spätsommer/Herbst 1518 in Augsburg, datiert vom 25. Okt. 1518 und geschrieben als Antwort auf einen undatierten Brief Pirckheimers vom Sept./Okt., in dem ihm dieser sein skeptisches Urteil über den hofkritischen Dialog ‘Aula’ mitteilt und erläutert. Er nennt das Werk immatura res, weil H. die Schrecken des Hoflebens eher vom Hörensagen als aus der wirklichen Erfahrung von beispielsweise 20 harten Dienstjahren kenne ⫺ erst dann wären seine Tränen echt. Er wünscht ihm als einem Kind der fortuna ein Leben für ‘ingenium et eruditio’ fernab vom Hof (Bˆcking, Bd. 1, S. 193 f.; Pirckheimer-Br., Nr. 558).
H. versichert in seiner Antwort, daß er eben die von Pirckheimer vermißte Erfahrung sammeln wolle (me in aula maturescere), und er verteidigt die Vita activa im Dienst bei Hofe, der ihm genügend Muße und Anregung zu gelehrten Arbeiten biete, vor allem im Vergleich zu der traurigen Existenz seiner Standesgenossen auf den Ritterburgen. Der Preis der Stadt Nürnberg als Zentrum der Künste ⫺ er erwähnt Johannes D Regiomontanus, J Celtis und
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Dürer (‘unser Apelles’) ⫺, das Bekenntnis zum Humanismus und der euphorische Schluß: O seculum! o literae! Juvat vivere, etsi quiescere nondum iuvat, Bilibalde. Vigent studia, florent ingenia [...] sind gewiß nicht nur als autobiographische Äußerungen (nach überstandener Kur usw.) zu lesen, doch als die große summierende Epochendiagnose, die die dominante Wirkungsgeschichte herauslas, wären sie auch überinterpretiert (vgl. Goethes briefliche Selbstdiagnose an Schiller [1794], die im Lichte des Briefes von H. gelesen und vielleicht auch verfaßt wurde, und Goethe in ‘Dichtung und Wahrheit’). Drucke. Vlrichi | de Hutten equitis ad Bili⫽| baldum Pirckheymer Patricium No|rimbergensem Epistola vitae | suae rationem ex⫽|ponens [...]. Augsburg: Sigm. Grimm u. Marx Wirsung, 6. Nov. 1518. VD 16, H 6231. Benzing, Nr. 83. Ein weiterer Druck Nr. 84. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 1, S. 195⫺217; Pirckheimer-Br., Nr. 561 (mit Verz. d. dt. Übersetzungen). Dt. Übers. von A. Holborn, in: P. Ukena (Hg.), U. v. H., Dt. Schriften, 1970, S. 317⫺340; W. Trillitzsch, Der dt. Renaissancehumanismus, 1981, S. 450⫺480.
26. Über das Guajakholz gegen die Franzosenkrankheit (1518). Entstanden im Herbst 1518 in Mainz, als H. seinen Dienst wiederaufnahm, nachdem er sich im heißen Spätsommer und Herbst (Sept./Okt.) 1518 in Augsburg, während des Reichstages und im Anschluß daran, einer 40tägigen Kur unterzogen hatte. Die Behandlung der Syphilis (morbus Gallicus) mit dem aus dem Holz des exotischen Guajakbaumes gewonnenen Heilmittel (Guaiacum officinale), das erst seit 1514 angewandt wurde, war mit einer Schwitz- und Hungertherapie verbunden, die viele Patienten in den Wahnsinn oder Tod getrieben haben soll. H. überstand die Kur und glaubte sich geheilt. Deshalb schreibt er seinen umfangreichen populärmedizinischen Traktat in dem euphorischen Gefühl religiös gestimmter Dankbarkeit, “eine Mischung aus Sachbuch und Erfahrungsbericht” (Spelsberg, 1988, S. 427). Gedruckt mit einer Widmungsepistel an den Dienstherrn Albrecht von Mainz sowie einem Brief von Paulus J Ri-
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tius (damals Leibarzt des Kardinals Matthäus Lang), der H. zur Abfassung des Traktats ermuntert, und H.s Antwort (Augsburg, 10. bzw. 13. Nov. 1518, Titelbl.v⫺I iijr). Eine teilweise kürzende dt. Übersetzung fertigte noch 1519 Thomas J Murner an. Drucke. Vlrichi de Hut|ten eq. de Guaiaci medicina | et morbo gallico liber | vnus. Mainz: Joh. Schöffer, April 1519. VD 16, H 6348. Benzing, Nr. 103. Weitere Drucke Nr. 104⫺110. Murners Übers.: Straßburg: Joh. Grüninger, 1519. VD 16, H 6351. Benzing, Nr. 111. Drucke der frz. Übers. durch Jean Che´radame (zuerst um 1520) Nr. 112⫺115, der engl. durch Thomas Paynel (zuerst 1533) Nr. 116⫺118. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 5, S. 397⫺497 (synoptisch lat. u. Murners dt. Übers.). Dt. Übers. von H. Oppenheimer, Ueber die Heilkraft des Guaiacum u. d. Franzosenseuche, 1902, u. Treu, S. 207− 295.
27. ‘Febris I’ (1518). Entstanden Ende Nov. 1518 noch in Augsburg. In der lukianischen Satire unterhalten sich H. (als literarische Figur) und das personifizierte Fieber über (vornehmlich geistliche) Besucher des vergangenen Reichstags, denen H. das Fieber, unter dem leidet, auf den Leib wünscht, insbesondere über den päpstlichen Legaten Cajetan, der mittels einer ‘Türkensteuer’ nicht den auch von H. geforderten Kriegszug gegen die Ungläubigen, sondern den Luxus der römischen Kurie finanzieren wolle. H. gelingt es zwar nicht, den Kardinal zum Opfer des Fiebers werden zu lassen, aber er kann ihm erfolgreich einen anderen eben aus Rom in Augsburg angelangten ‘Kurtisanen’ empfehlen. Druck. Febris. | Dialogus | Hutte|ni/|cus. [Mainz: Joh. Schöffer], Febr. 1519. VD 16, H 6334. Benzing, Nr. 91. Weitere Drucke Nr. 92⫺102 (mit d. dt. Übers.en). Ausgabe. Bˆcking, Bd. 4, S. 27⫺41.
28. ‘Augsburger Sammlung’ (1518). Die nach ihrem Druckort Augsburg betitelte 1518 abgeschlossene (das Datum M.D.XVIII oben in der Titeleinfassung des Drucks) Sammlung vereinigt eine Anzahl von Dichtungen, die Ks. Maximilian, die Kriege in Italien und eigene Erlebnisse während des ersten (1512/13) und zweiten
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(1515/16) Italienaufenthalts betreffen. Sie ist sicherlich als Dank an den Kaiser für die Krönung zum Poeta laureatus zu verstehen. Eröffnet wird sie durch die umgearbeitete, auf 389 Distichen gewachsene ‘Exhortatio’ an Maximilian (s. o. A.13.). Ihr folgt als Hauptstück der Maximilian gewidmete Epigrammatum liber unus, 151 gesammelte Epigramme, entstanden während des ersten Italienaufenthalts; Generalthema sind die wechselvollen Kämpfe, v. a. gegen Venedig, um die Vorherrschaft in Oberitalien, auffälligstes Stilmerkmal die ⫺ in den Holzschnitten wiederkehrende ⫺ allegorische Maskierung der an den Kriegen beteiligten Mächte: Maximilian als Adler, die Franzosen als Hahn, Venedig als Frosch oder als Löwe, der Papst als Wolf (vgl. K¸hlmann, Lyrik, S. 1048); eine Schlußgruppe von 16 Epigrammen (Nr. 134⫺149) greift Papst Julius II. an; ihr schließt sich eine In tempora Iulii satyra (50 Hex.) an. Die weiteren Stücke: zwei von Spott und Drohung getragene Gedichte gegen Venedig, De piscatura Venetorum heroicum (138 Hex.) und Marcus heroicum (134 Hex.), dann überarbeitet und erweitert zwei frühere Gedichte, das ‘Germanengedicht’ (s. o. A.13., jetzt 183 Hex.) und der Brief der Italia an Maximilian (s. o. A.17., jetzt 128 Dist.), dem nun eine Antwort Maximilians an Italia aus der Feder des Eobanus Hessus (170 Dist.) angehängt ist. Es folgen die fünf Epigramme, die H. bei seinem Aufenthalt in Rom im Frühjahr 1516 als Beitrag zu den ‘Coryciana’ (dazu J Suchten, Christoph von) verfaßt hatte (im Druck der ‘Coryciana’ von 1524 erscheinen sie in ab und an verändertem Wortlaut und anderer Reihenfolge) und erneut die Crotus gewidmeten de statu Romano epigrammata ex urbe missa sowie weitere über die Rauferei mit einigen Franzosen in Viterbo (s. o. Sp. 1190). Den Schluß der Sammlung bildet eine Intervention in Rom für Reuchlin: Ad cardinalen Hadrianum virum doctiss. et Germanorum in urbe patronum pro Capnione intercessio (50 Dist.). Drucke. Hoc in volumine haec continentur. | Vlr. de Hut|ten Eq. Ad Caesarem Maximil*ianum+ vt bellum in Venetos | coeptum prosequa-
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tur. Exhortatorium. | Eiusdem ad Caes. Maximil. Epigram*matum+ liber I. | [...]. Augsburg: Joh. Miller, 2. Jan. 1519. VD 16, H 6243. Benzing, Nr. 89. Zu weiteren Drucken einzelner Epigramme oder Teilen der Sammlung vgl. Nr. 90. Ausgaben. Bˆcking, Bd. 3, S. 205⫺270; die Intervention für Reuchlin Bd. 1, S. 138⫺141. Auswahl mit Übers. (17 Epigramme u. ‘De piscatura Venetorum’) bei K¸hlmann, Lyrik, S. 174⫺191. 29. Widmungsvorrede an Kurfürst Albrecht im Mainzer ‘Livius’ (1519). Anfang 1519 in Mainz entstanden und neben einer Vorrede des Erasmus der Ausgabe der beiden Hgg. Nikolaus J Karbach und Wolfgang Angst voranstehend. H.s Praefatio huldigt dem Mainzer Dienstherrn als Mäzen der Künste und Wissenschaften wie auch der Stadt Mainz als Wiege des Buchdrucks und der Förderung des nördlichen Humanismus. Druck. T. Livius Pa|tavinus histo|ricus. Duobus | libris auctus | cum L. Flori | epitome. […]. Mainz: Joh. Schöffer, 1518. VD 16, L 2091. Benzing, Nr. 236, eine Variante Nr. 237. Bl. a ijr⫺v: H.s Widmungsvorrede. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 1, S. 249⫺251. 30. Zwei Epigramme in einer Gedenkschrift für Maximilian (1519). Jakob J Spiegel nahm zwei Epigramme H.s in den von ihm hg. kleinen Sammeldruck zum Gedenken an Ks. Maximilian († 12. Jan. 1519) auf, der mit einigen Beiträgen zugleich zum Wahlkampf zwischen dem frz. König und Erzhzg. Karl um die deutsche Kaiserkrone Stellung bezieht. So attakkiert auch H.s erstes Epigramm (3 Dist.) die superbia des Franzosen, das zweite (2 Dist.) richtet sich an die deutschen Dichter: Scribite Germani victura poemata vates. Drucke.Threnodia seu lamentatio Petri Aegidij in obitum Maximiliani Caesaris Aug. […]. Augsburg: Sigm. Grimm u. Marx Wirsung, 26. Juli 1519. VD 16, A 315. Nicht bei Bˆcking u. Benzing. Ein weiterer Druck: Straßburg: Joh. Schott, 1519. VD 16, A 316.
31. ‘Deploratio’ auf den ermordeten Vetter und fünf Reden gegen Hzg. Ulrich von Württemberg (1519). Die 309 Hexameter der ‘Deploratio in miserabilem Ioannis de Hutten gentilis sui interitum’ und die fünf Reden gegen Hzg. Ulrich wurden neben dem Dialog ‘Phalarismus’ (zuerst 1517) und anderen Texten zum erstenmal in der in Mainz erschienenen sog. ‘Steckelberger Sammlung’ gedruckt. Der Herzog hatte den Vetter Hans
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von Hutten 1515 aus Eifersucht ermordet, war vertrieben worden und im Aug. 1519 erneut in sein Land eingefallen, ehe er von einem Heer des Schwäbischen Bundes geschlagen wurde. H. spricht im Namen seiner Familie und setzt in seiner Anklage gegen den ins Mythische gesteigerten Widersacher seine juristischen Kenntnisse, seine humanistische Rhetorik und poetische Phantasie ein, auch um sich als Familiensproß zu rehabilitieren, der auf gelehrt-poetische Abwege geraten ist. Druck. Hoc in volu|mine haec continentur | Vlrichi Hutteni Equ. | Super interfectione propinqui sui Ioannis Hut-|teni Equ. Deploratio [...]. | In Vlrichum Vuirtenpergensem orationes V. | [...]. Excusum in arce Stekelberk [Mainz: Joh. Schöffer], Sept. 1519. VD 16, H 6408. Benzing, Nr. 120. Ein Druck mit Auszügen ebd., Nr. 121. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 401⫺412 (‘Deploratio’), Bd. 5, S. 1⫺96 (Reden).
32. ‘Arminius’ (1519). Entstanden seit 1517 in Bologna, im Herbst 1519 auf der Steckelburg fertiggestellt. H. hatte in Rom durch die 1515 von Filippo Beroaldo d. J. hg. Editio princeps der ersten sechs (nach damaliger Einteilung fünf) Bücher von Tacitus’ ‘Annalen’ erstmals ausführlichere Kenntnis von dem Cherusker Arminius erhalten. Seine früheste Bekanntschaft mit der Arminius-Gestalt fällt in die Jahre 1506/07 in Frankfurt/O., wo er sich auch mit Lukian beschäftigte. Der Dialog setzt das 12. Totengespräch Lukians (in der um die Figur und Rede des Scipio Africanus erweiterten Fassung Giovanni Aurispas) fort, in dem Alexander d. Gr. den Rang des größten Feldherrn vor Scipio und Hannibal erhielt. Minos, der Richter im Hades, gesteht, an sein früheres Urteil über Alexander, Scipio und Hannibal gebunden, Arminius den ersten Rang unter den Vaterlandsbefreiern zu, nachdem der Germane, den Gewährsmann Tacitus an seiner Seite, von seinen Großtaten und seiner Tugend Zeugnis abgelegt hat. H. begründete mit seinem Dialog den Arminius-Kult. Der postume Druck, eröffnet durch ein Begleitgedicht von Eobanus Hessus, wurde vom Würzburger Domprobst Moritz von Hutten veranlaßt.
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Drucke. Arminius | Dialogus Huttenicus, Quo | homo patriae aman/|tissimus, Germa|norum laudem | celebrauit. Hagenau: Joh. Setzer, 1529. VD 16, H 6280. Benzing, Nr. 206. Weitere Drucke Nr. 207⫺211. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 4, S. 407⫺418. Dt. Übersetzung von Treu, 1991, S. 191⫺206, und von Roloff, 1995, S. 223⫺238.
33. ‘Dialogi’ (1518/20). Die Sammlung enthält fünf Dialoge aus den Jahren 1518⫺1520. In ‘Fortuna’ unterhält sich H. mit der Göttin über seine eigene Glücklosigkeit u. a. seiner Heiratspläne, deren Scheitern er voraussieht. Neben dem Wiederabdruck von ‘Febris I’ (1519) geht es in ‘Febris II’ erneut um Luxus und Ausschweifungen des Klerus sowie um die Ehe als gottgefällige Alternative zum Konkubinenwesen der Geistlichen. ‘Vadiscus sive Trias Romana’ ist in Form eines Gesprächs H.s mit dem Freund Ernhold einer der schärfsten Angriffe gegen die römische Kirche als tyrannische Fessel der nationalen Freiheit und Ausbeuterin des Reichtums und der Finanzen Deutschlands. In der Form einer Reihe triadischer Merksprüche (als Prädikate bzw. Attribute, auch mit Material aus einer dt. Triadensammlung von 1518/19) werden Kirche und Rom heftig angegriffen und denunziert, auch mit Berufung auf einen geheimnisvollen Wanderprediger namens Vadiscus. Die ‘Inspicientes’ sind eine Adaptation von Lukians Dialog zwischen Charon und Hermes (‘Contemplantes’): Der Sonnengott Sol und sein Sohn Phae¨ton kommentieren das irdische Geschehen während ihrer Fahrt auf dem Himmelswagen. Sie empören sich über das Treiben auf dem Augsburger Reichstag: dt. Tugenden gebe es nur noch unter der Ritterschaft. Als sie sich im Gespräch mit Kardinal Cajetan kritisch über den Papst äußern, werden sie von dem Legaten mit dem Kirchenbann belegt. Das Erscheinen der ‘Dialogi’ im April 1520 bedeutete den endgültigen Bruch mit dem Mainzer Hof, von dem H. seit Aug. 1519 beurlaubt war. Drucke. Hulderichi | Hutteni eq. Germ | Dialogi. [...]. Mainz: Joh. Schöffer, April 1520. VD 16, H 6346. Benzing, Nr. 122. Weitere Drucke Nr. 123⫺125, spätere Drucke nur des ‘Vadiscus [...]’ Nr. 126⫺129.
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Ausgaben. Bˆcking, Bd. 1, S. 75⫺100 (‘Fortuna’), Bd. 4, S. 27⫺41 (‘Febris I’), S. 101⫺143 (‘Febris II’), S. 145⫺259 (‘Vadiscus sive trias Romana’), S. 269⫺308 (‘Inspicientes’), jeweils synoptisch mit den dt. Übersetzungen des ‘Gesprächbüchlins’.
34. Erster Brief an Martin Luther (1520). Entstanden und abgeschickt am 4. Juni 1520, offenbar am Tag der Abreise von Mainz nach Brüssel (hodie ad Ferdinandum abeo), wo H. sich um eine Anstellung am Hof Erzhzg. Ferdinands bemühen wollte. Er wirbt um das Vertrauen Luthers mit dem Ziel gemeinsamen Handelns. Die Bannandrohung aus Rom vom 15. Juni 1520, die Luther einige Wochen später erreichte, nimmt er bereits für eine Tatsache, wertet sie als Beweis für Luthers Bedeutung und bittet diesen, vorsichtig zu sein, um der gemeinsamen Sache nicht zu schaden. Auch solle er sich unter den Schutz Sickingens begeben, wenn er sich in Wittenberg nicht mehr sicher fühle. Drucke. Epistola Vlri-|chi de Hutten | Equitis, Ad D. Martinum Lu-|therum Theologum. Wittenberg: [Melch. Lotter d. J., 1520]. VD 16, H 6326. Benzing, Nr. 130. Ein weiterer Druck ebd., Nr. 131. Ausgaben. Bˆcking, Bd. 1, S. 355 f.; LutherBr., Nr. 295.
35. ‘Conquestiones’ (1520). Entstanden im Sept. 1520 auf der Ebernburg, meist im Singular als ‘Conquestio’ bezeichnet, aber die offenen Briefe sind an fünf verschiedene Adressaten gerichtet: an Karl V., Albrecht von Mainz, Friedrich den Weisen von Sachsen, H.s Schwager Sebastian von Rotenhan am Mainzer Hof und an die Reichsstände (diese sind mit der ‘deutschen Nation’ gemeint). Über den ganzen Umfang der päpstlichen Anmaßungen und Erpressungen, mit Bitten um Hilfe für sich und die ‘deutsche Nation’. Direkter Anlaß war die Lebensgefahr, in der H. durch die päpstliche Bulle vom Juni 1520 mit der Androhung des Kirchenbanns für Luther und seine Anhänger zu schweben glaubte. ⫺ Die dt. Übersetzungen stammen wohl weitgehend von Martin Bucer. Drucke. […] | Vlrichi | De Hutten, Equitis Germani, ad | Carolum Imperatorem, aduer⫽|sus intentatam sibi a Ro|manistis vim et in|iuriam, |
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Conquestio […]. | Iacta est alea. [Straßburg: Joh. Schott, 1520]. VD 16, H 6236. Benzing, Nr. 132. Weitere Drucke mit den dt. Übersetzungen und Teilübersetzungen der ‘Klagschriften’ Nr. 133⫺ 143. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 1, S. 371⫺419 (synoptisch mit der dt. Übers.).
36. Persiflage der Bulle ‘Exsurge Domine’ (Ende 1520). Die am 15. Juni 1520 in Rom erlassene Bulle ‘Exsurge Domine’ erklärte insgesamt 41 Aussagen Martin Luthers für häretisch, anstößig oder falsch und drohte ihm und seinen Anhängern, darunter H., den Kirchenbann an, wenn er bzw. sie sich von seinen Lehren nicht binnen 60 Tagen distanzieren sollten. H. ließ die inzwischen durch zahlreiche Drucke und öffentliche Anschläge allerorten verbreitete Bulle erneut drucken, um sie Schritt für Schritt mit permanent destruierenden Kommentaren und Glossen zu versehen und als widerchristlichen Akt zu brandmarken. In der Vorrede “an alle Deutschen” identifizierte H. den Angriff auf Luther mit einem Angriff auf die ‘deutsche Nation’. Unter das Nachwort an Leo X., einer polemischen Anklage wider den moralisch verrotteten Zustand der Kurie, setzte er das Psalmwort (2,3) Dirvmpamvs vincula eorum et proiiciamus a nobis iugum ipsorum. Druck. Bulla | Decimi Leonis, contra errores Martini | Lutheri, et sequacium. [Straßburg: Joh. Schott, vor Nov. 1520]. VD 16, K 277. Benzing, Nr. 222. Weitere Drucke Nr. 223 u. 224. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 5, S. 301⫺333.
37. ‘Exclamatio’ gegen die Verbrennung lutherischer Schriften in Köln (1520). Protestgedicht (64 Hex.) gegen die vom päpstlichen Legaten Aleander angeordnete öffentliche Verbrennung von Schriften Luthers am 12. Nov. 1520 in Köln, entstanden auf der Ebernburg Ende Nov., als Flugschrift gedruckt. Ein “Aufschrei” zu Gott, dem er die Untat der Bücherverbrennung klagt: Luthers Schriften hätten das göttliche Wort, die Wahrheit enthalten; den Legaten Aleander und Papst Leo solle die göttliche Rache treffen. Zum Schluß das Motto Iacta est alea. Drucke. In incendium Lutherianum | exclamatio Vlrichi | Hutteni | Equi/|tis. [...]. [Witten-
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berg: Joh. Rhau-Grunenberg], 1521. VD 16, H 6356. Benzing, Nr. 149. Weitere Drucke Nr. 150⫺ 151. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 451⫺455.
38. ‘Dialogi novi’ (1520/21). Die vier “neuen, ungemein kurzweiligen Gespräche”, entstanden zwischen Febr. 1520 und Jan. 1521 auf der Ebernburg, spiegeln die jüngste Entwicklung der Reformationsereignisse. In der Posse ‘Bulla vel Bullicida’ treten die deutsche Freiheit (Libertas) und die Bann-Androhungsbulle gegen Luther als Personen auf; Libertas, von Bulla (mit den ‘Kurtisanen’ im Gefolge) mißhandelt, wird von H. selbst, dem Bullicida, gerettet. Am Ende zerplatzt die mit Lastern prall gefüllte Bulla (auch in der Bedeutung von ‘Blase’). ‘Monitor I’ ist ein Gespräch zwischen Luther und einem ‘Mahner’ oder ‘Warner’, der die Absicht bekundet, sich von der Reformation loszusagen. Luther, der Gelegenheit hat, seine Lehre ausführlich vorzutragen, kann ihn nicht umstimmen. Als Schlußpointe erwähnt Monitor, er habe Aussichten, Kardinal zu werden, und Luther glaubt endgültig, er habe eben seine Seele verkauft: hoc precio rem inaestimabilem vendidisti, animam. In ‘Monitor II’ wird Sickingen von einem anderen ‘Warner’ davon unterrichtet, daß man ihn wegen seines Eintretens für Luther und H. der Ketzerei verdächtige. Darauf überzeugt Sickingen den Monitor ausführlich von der Richtigkeit seines Engagements für die Reformation. Mit diesem Dialog fordert H. den bewaffneten Kampf gegen Rom (den ‘Pfaffenkrieg’) und empfiehlt Sickingen als Führer, während Luther Schutz verdiene als Erneuerer des Evangeliums. ‘Praedones’ (‘die Räuber’), das Hauptstück der ‘Dialogi novi’, ist ein Gespräch zwischen H., Sickingen und einem Kaufmann über Wirtschaft und Finanzen im ständischen Deutschland, mit der Zukunftsperspektive eines Bündnisses zwischen der Ritterschaft und den finanzstarken Reichsstädten gegen die auch finanzielle Ausbeutung durch Rom und seine Verbündeten (die Fugger, den Klerus, die Fürsten).
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Druck. Dialogi | Huttenici | noui, perquam | festiui. | [...]. [Straßburg: Joh. Schott], 1521. VD 16, H 6311. Benzing, Nr. 161. Der Titel des Drucks zeigt ein Ganzporträt des stehenden H., darunter das Motto Iacta est alea. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 4, S. 309⫺406. Die Widmungsvorrede an Pfalzgraf Johann II. v. Simmern-Sponheim in Bd. 2, S. 3.
39. ‘Invektiven’ (1521). Sammlung dreier Angriffsreden, entstanden Febr./März 1521 auf der Ebernburg während des Reichstags zu Worms; das Vorbild Ciceros (Reden gegen Verres, Catilina, Piso und die ‘Philippicae’) ist deutlich. Die 1. Invektive ist gegen den päpstlichen Legaten Hieronymus Aleander gerichtet, der Karl V. zu einer Verurteilung Luthers als Ketzer ohne Anhörung bewegen wollte. In der 2. Invektive wirft er dem anderen päpstlichen Legaten, Marino Caraccioli, den Handel mit Ablaß und Dispensationen vor und spielt auf die formellen Beschwerden (Gravamina) der deutschen Nation gegen die Kurie an. Die 3. Invektive ist gegen die Untaten des Klerus gerichtet (Bücherverbrennungen, Exkommunikationen, Behinderung der Wissenschaft). H. droht den Nuntien, sie sollten sich vorsehen, wenn sie Deutschland wieder lebend verlassen wollten, und fordert die Kirchenfürsten auf, selbst das Land zu verlassen. Der Pariser Druck enthält einen offenen Brief (exhortatoria) an den Kaiser, die Straßburger Ausgabe darüber hinaus einen zweiten Brief an den Kaiser (Bˆkking, Bd. 2, S. 47⫺50, synoptisch mit dt. Übers.), einen Brief an Albrecht von Mainz (ebd., S. 37 f.) sowie einen an Willibald J Pirckheimer (ebd., S. 59⫺62, synoptisch mit dt. Übers.). Drucke. Vlrichi | ab Hutten Eq. | Germ. In Hieronymum Aleandrum, et Mari⫽|num Caracciolum Oratores Leonis X. a⫽|pud Vormaciam Inuectiuae singulae. | [...]. [Paris: Pierre Vidoue´, 1521]. Benzing, Nr. 173; Hulde|richi ab | Hutten | Eq. Germ. | In Hieronymum Aleandrum, et Marinum Caraccio⫽|lum, Leonis decimi, P. M. oratores in Ger⫽|mania Inuectiue˛ singule˛. | [...]. | Iacta est alea. [Straßburg: Joh. Schott, 1521]. VD 16, H 6353. Benzing, Nr. 174. Eine separat erschienene dt. Übers. der beiden Briefe an
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Ks. Karl u. des Briefes an Pirckheimer: [Erfurt: Matthes Maler, 1521]. Benzing, Nr. 175. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 2, S. 12⫺34, 38⫺46.
40. Zwei Briefe von der Ebernburg an Martin Luther (1521). Nach dem ersten Brief an Luther vom 4. Juni 1520 (s. o. A.34.) sind in diesem Einzeldruck der zweite und dritte von insgesamt sechs Briefen H.s an Luther vereinigt; der eine vom 17. April wurde in Worms von Martin Bucer überbracht, der andere ist vom 20. April 1521. H. drückt darin seine leidenschaftliche Anteilnahme an Luthers Behandlung auf dem Reichstag zu Worms aus. Nachdem er eine Vorladung erhalten hatte, war Luther am 16. April allen Warnungen zum Trotz in Worms eingetroffen, wo er seine Lehre widerrufen sollte. H. ermutigt ihn und bittet ihn, standhaft zu bleiben in Trotz und Verachtung und sich auf seine Anhänger und Beschützer zu verlassen. Drucke. Duae ad Martinum | Lutherum Epi⫽|stole Vlrici ab | Hutten. [Wittenberg? 1521]. VD 16, H 6230 (Ex.: Zeitz, Stiftsbibl., Orat. oct. 53); Benzing, Nr. 176 (ohne Ex.); Duae | Ad Martinum Lutherum | Epistolae Vlrici | Ab Hutten. Wittenberg: [Joh. Rhau-Grunenberg, 1521]. VD 16, H 6321. Benzing, Nr. 177. Ausgaben. Bˆcking, Bd. 2, S. 55 f. u. 58. Luther-Br., Nr. 398 u. 399.
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nistas prosequa-|tur, Exhortatorium. | Hulderichi Hutteni ad Helium Eoba-|num Hessum pro eadem re | responsorium. | Elegiaco carmine. | Lege, placebunt. [Straßburg: J. Schott, 1521]. VD 16, E 1456. Benzing, Nr. 178. Ausgabe. Bˆcking 2, S. 68⫺71 (Hessus: exhortatorium); 71⫺75 (Hutten: responsorium).
42. ‘Expostulatio’ an Erasmus (1523). Nach Sickingens Ende infolge der Niederlage vor Trier mußte H. dessen Burgen verlassen und emigrierte über Schlettstadt nach Basel. Nachdem er Mitte Jan. 1523 vom Rat der Stadt ausgewiesen worden war, wich er in Begleitung des Humanisten Heinrich Eppendorf ins damals schweizerische Mühlhausen im Elsaß aus, wo er im Augustinerkloster Zuflucht fand und seine letzte größere Schrift verfaßte, die ‘Herausforderung’ an Erasmus, der ihm im Winter in Basel über Eppendorf als Mittelsmann zu verstehen gegeben hatte, daß er ihn nicht empfangen wolle. Erasmus war inzwischen, wie H. wußte, von der römischen Seite zur publizistischen Kritik an Luther aufgefordert worden, und H. vermutete, er werde sich aus Charakterschwäche vollends ins Lager der ‘Romanisten’ begeben; denn im Falle einer ernsthaften Widerlegung der lutherischen Lehre hätte er sich zuerst mit den eigenen Reformideen auseinanderzusetzen. Als Antwort auf H.s ‘Expostulatio’ verfaßte Erasmus die ‘Spongia’, eine Verteidigungsschrift voller polemischer Verachtung (Basel 1523; bei Bˆcking, Bd. 2, S. 265⫺324). Vgl. auch die Briefe des Erasmus an H. u. an Dritte über denselben: Erasmus, Op. epist. Nr. 951, 999 (über Thomas Morus), 1356, 1378, 1379, 1384, 1429, 1437 (vom 2. April 1524 an Konrad Goclenius: abschließend und im Rückblick auf den Konflikt: Si nouissem ingenia ac perfidias Germanorum, citius migrassem ad Turcas quam huc).
41. Eobanus Hessus’ Aufruf zum bewaffneten Kampf und H.s Antwort (1521). Eobanus J Hessus sandte im Mai 1521 aus Erfurt ein carmen exhortatorium (54 Dist.) mit dem Aufruf zum Kampf an der Seite Luthers, da weder H.s Anklagen noch alle Bücher und Gedichte etwas genützt hätten. Dem antwortet H. mit einem responsorium (75 Dist.), seinem letzten lat. Gedicht, etwa im Juli 1521 von Sickingens Burg Diemstein aus: Von den möglichen Bundesgenossen sei wenig zu erwarten, aus der geplanten Gefangennahme der päpstlichen Legaten auf der Rückreise von Worms sei nichts geworden, aber er werde weiterkämpfen: Atque ita perrumpam, perrumpam aut ipse peribo, / Haec postquam semel est alea iacta mihi, v. 149 f.).
Drucke. Vlrichi ab | Hutten | cum | Erasmo Roterodamo, Presbytero, Theologo, | Expostulatio. [Straßburg: J. Schott, 1523]. VD 16, H 6313. Benzing, Nr. 186. Weitere Drucke Nr. 187⫺189. Ausgaben. Bˆcking, Bd. 2, S. 180⫺248 (synoptisch mit d. dt. Übers.). Engl. Übers. von R. J. Klawiter, The Polemics of Erasmus of Rotterdam and U. v. H., Notre Dame/London 1977.
Druck. [...] Helii Eobani Hessi, ad Hulderichum Hutte-|num, vt Christianae Veritatis caussam, | et Lutheri iniuriam, armis con-|tra Roma-
43. ‘In tyrannos’. Brief gegen den Pfalzgrafen bei Rhein Ludwig V., nach den Angaben von
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Schlecht in den Erläuterungen zu seiner
Edition (S. 46⫺53) entstanden etwa im Winter 1522/23, in jedem Fall nach der Niederlage Sickingens vor Trier. Anlaß waren die Maßnahmen der Verfolgung seitens des Pfalzgrafen, die H. bei seiner Flucht in die Schweiz trafen (Beschlagnahme seiner transportierten Habe, Gefangennahme und Hinrichtung seines Dieners). Wiederum sucht H. einen privaten persönlichen Fall zu einem öffentlichen zu machen. Den Pfalzgrafen brandmarkt er als Rechtsbrecher, Zerstörer des Landfriedens, strafwürdigen Tyrannen, Exponenten der Feindseligkeit gegen ein ideales Reichsrittertum, das H. zu vertreten beansprucht, obendrein als Verbündeten der ‘Kurtisanen’. Thomas Venatorius sandte das Schreiben als den Aufruf eines Ungenannten mit einem kurzen Begleitbrief am 8. März 1523 aus Nürnberg an den Weihbischof Fabian Weikmann nach Eichstätt: Transmitto tibi […] epistolam Francisci a Sikkingis (Schlecht, S. 96), weshalb es als eine Schrift Sickingens galt, von Schlecht jedoch anhand von Stilmerkmalen für H. beansprucht wurde, “der seit Jahren seine gewandte Feder in den Dienst seines Freundes Sickingen gestellt hatte” (S. 47). Nach Schlecht ist die von ihm in der damaligen SB (heute UB) Eichstätt aufgefundene Hs. (Cod. st 695, S. 240-247) “die erste lat. Fassung der Schrift ‘In Tyrannos’” (S. 49). Es bleibt aber unklar, ob es sich tatsächlich um eine erste Fassung handelt oder um einen Text, der in die (womöglich umfangreichere) Schrift nur eingegangen ist, von der H. in seinem Brief vom 21. Juli 1523 an Eobanus Hessus spricht: Qui has [sc. litteras] perfert, habet a me libelli quiddam in tyrannos, quod curet typis imprimendum: ibi quaeso tuam mihi atque illi accomoda operam (Bˆcking, Bd. 2, S. 253). Immerhin bezeugt diese Stelle die Existenz jener Schrift ‘In tyrannos’, einer „Racheschrift gegen den Pfälzer Kurfürsten“ (Schlecht, S. 47), die wohl nie gedruckt wurde und deren vollständige Hs. bis heute verschollen ist.
Der Brief ist “mehr ein öffentlicher Aufruf zum erbitterten Kampfe als ein vertraulicher Brief” (Schlecht, ebd.) und schließt mit einem zweimaligen ‘Rache!’: […] nefandum latrocinium ferro atque igne ulciscar. Ulciscar! (ebd. S. 104). Er
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war auch die Vorlage für die dt. Invektive gegen den Pfalzgrafen bei Rhein (s. u. B.10.), die also ⫺ als Übersetzung H.s ⫺ später entstanden ist. Der lat. Vorlage ist auch die Stelle mit einer Schmähung Roms und der ‘Kurtisanen’ zu entnehmen, die Szamato´ lski auf Wunsch des Frh. Fritz von Hutten, des damaligen Besitzers der Steinheimer Hs., in der dt. Invektive wegließ (ebd., S. 51, im lat. Text sieben Zeilen auf S. 100: qui Antichristum […] oculis subduxit). Kritisch zu Details von Schlechts Erläuterungen und seinem Vergleich zwischen der lat. Vorlage und der dt. Übersetzung schon Kalkoff, 1925, S. 342⫺347. Ausgabe. J. Schlecht, Briefe aus d. Zeit von 1509⫺1526, in: Briefmappe. Zweites Stück (Reformationsgeschichtl. Stud. u. Texte 40), 1922, S. 23⫺ 116, hier Nr. 18, S. 96⫺104.
B . D eu ts ch e S ch ri ft en . 1. ‘Klag und Vermahnung’ (1520). Als ‘Volksausgabe’ der 1520 gedruckten ‘Conquestiones’ in 1578 Reimpaarversen im Sept./Okt. des gleichen Jahres auf der Ebernburg entstanden, wohl in Zusammenarbeit mit Martin Bucer. Eine konzentrierte Zusammenstellung aller Vorwürfe H.s gegen die Ausbeutung Deutschlands durch Rom und den Niedergang der Kirche, gegen den mißbrauchten Ablaß sowie gegen die eigene Verfolgung. Er versteht sich selbst mit Luther als Teil des legitimen Kampfes gegen die ‘Tyrannei’ des Papstes, gegen ‘Kurtisanen’ und ‘Romanisten’, mit expliziter Anknüpfung an die Tradition von Jan Hus und Hieronymus von Prag (v. 961 ff.). Der letzte Vers wieder mit dem Motto: Ich habs gewagt, das ist mein reim. Drucke. Clag vnd vormanung gegen | dem e übermassigen vnchristlichen gewalt des Bapsts | zu˚ Rom/ vnd der vngeistlichen geistlichen/ [...]. [Straßburg: J. Schott, 1520]. VD 16, H 6373. Benzing, Nr. 144. Weitere Drucke Nr. 145⫺148. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 473⫺526; K. Simon, Dt. Flugschriften zur Reformation (1520⫺ 1525), 1980, S. 35⫺92.
2. Protestgedicht gegen die Verbrennung lutherischer Schriften in Mainz (1521). Erneut auf Betreiben des päpstlichen Legaten Aleander wurden am 29. Nov. 1521
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in Mainz Schriften Luthers öffentlich verbrannt. H.s Gedicht in 131 Reimpaarversen ist Ende Nov./Anfang Dez. 1521 auf der Ebernburg entstanden, es steht dem Anlaß und Thema gemäß der kurz zuvor gedruckten lat. ‘Exclamatio’ (A.37.) nahe, ist aber keine Übersetzung. Die letzte Zeile mit dem Motto Ich habs gewagt. Drucke. Eyn Klag über | den Luterischen | Brandt zu Mentz | durch herr Vl-|rich vonn Hutten. [Worms: Hans Werlich], 1521. VD 16, H 6369. Benzing, Nr. 152. Weitere Drucke Nr. 153⫺158. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 455⫺459.
3. ‘Entschuldigung’ (1521). Die Dez. 1520 auf der Ebernburg entstandene ‘Entschuldigung’ (⫽ Freisprechung von Schuld, Antikritik) ist die direkte Entgegnung auf Kritik und Polemik vor allem gegen die ‘Klag und Vermahnung’ von 1520. Drucke. Enndtschüldi⫽|gung Vlrichs | von Hutten | Wyder etlicher vnwar⫽|hafftiger außgeben/ von | ym/ als solt er wider alle | geystlicheit e vnd prie⫽|sterschafft sein/ mit | erklarung etlich⫽|er seiner ge⫽|schrifften. [Worms: Hans Werlich, 1521]. VD 16, H 6323. Benzing, Nr. 159. Ein weiterer Druck Nr. 160. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 2, S. 130⫺149.
4. Anzöig der päpstlichen Schandtaten gegen die Kaiser (1521). Die zwischen Dez. 1520 und März 1521, d. h. vor dem Wormser Reichstag, auf der Ebernburg entstandene ‘Anzeige’ gibt einen historischen Abriß der Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst seit dem MA, die als eine Urfeindschaft dargestellt werden. Adressat ist Ks. Karl V., den H. durch diese antirömische Geschichtsdeutung dem Einfluß der römischen Kurie, der ‘päpstlichen Tyrannei’, und ihrer Verbündeten in Deutschland entziehen und im Sinne der (mehr erhofften als existierenden) ‘nationalen’ und kirchlichen Reformbewegung umstimmen möchte. Der Kaiser solle, zumal im Verhältnis zu Leo X., aus den bösen Erfahrungen von Otto I. bis Maximilian I. lernen. Drucke. Herr Wlrichs | von Hutten | ane e e zoig | Wie allwegen sich die Rom|ischen Bischoff/ e oder Bapst | gegen den teütschen Kayß⫽|eren gehalten haben/ vff das | kürtzst vß Chronicken e vnd | Historien gezogen/ K. ma⫽|iestat fürzu˚bringen. | Ich habs gewogt. [Straßburg: J. Schott,
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1521]. VD 16, H 6271. Benzing, Nr. 162. Weitere e Drucke Nr. 163⫺167; Kurtzer außzug/ wie bos⫽| lich die Bepste gegen den Deudsch⫽|en Keysern jemals gehandelt/ das billich/ auch nur | vmb der gewonheit willen/ kein Keyser eini⫽|gem Bapst e mehr vertrawen solt/ | Er wolle denn gern betrogen sein. | [...]. [Wittenberg: Jos. Klug, um 1535]. VD 16, H 6274. Benzing, Nr. 168. Weitere Drucke des ‘Kurzen Auszugs’ Nr. 170⫺172, eine Bearbeitung Jak. Cammerlanders Nr. 169. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 5, S. 363⫺384. Faksimile d. ‘Kurzen Auszugs’ (Nürnberg 1545), Wien 1969.
5. ‘Ain new Lied’ (1521). Entstanden im Sommer 1521 auf der Burg Diemstein während des ‘Pfaffenkriegs’. Der gescheiterte Agitator, der seit Worms von früheren Gefährten als betrogener Betrüger betrachtet wird, sieht sich von der römischen Inquisition bedroht und in einer isolierten Lage. Die Würfel seien gefallen, und es gebe kein Zurück mehr. Das Lied aus 7 Strophen zu je 10 Versen wird oft als eines der schönsten Gedichte in dt. Sprache bezeichnet (s. Ukena, 1982). Einblattdruck. Ain new lied her Vlrichs von Hutten. | [...]. [Schlettstadt: Nik. Küffer], 1521. Benzing, Nr. 179. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 2, S. 92⫺94.
6. Fehdebrief gegen die ‘Kurtisanen’ in Deutschland (1522). Entstanden während H.s Aktivitäten aus dem ‘Untergrund’, nachdem er infolge des Wormser Edikts gegen Luther und seine Anhänger (Mai 1521) den Dienst beim Kaiser wieder aufgegeben und die Ebernburg verlassen hatte, um mit einzelnen bewaffneten Aktionen den ‘Pfaffenkrieg’ gegen die deutschen Fürsten und ihre Nutznießer unter den Klerikern, die durch die Kurie zu ihren Pfründen gelangt sind, zu führen. Ob es sich dabei um Übergriffe im Stil der ‘Raubritter’ gehandelt hat, ist ungesichert. Der auf den 15. März 1522 datierte ‘Fehdebrief’ sollte in deutschen Städten öffentlich ausgehängt werden. H. droht darin mit Raub, Brand und Totschlag und erklärt auch Nichtkleriker zu seinen Feinden, sofern sie sich nicht von den ‘Kurtisanen’ lossagten. Einblattdruck. *N+ Ach dem sich Ulrich e vom Hutten zum Stockelberg aus beweglichen not-
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getranckten vrsachen: auch ge⫽|meiner Christenheit/ [...]. Worms: Hans Werlich, 1522. Benzing, Nr. 180. Das Ex. des Straßburger Stadtarchivs (Se´rie IV, 105B) trägt die hsl. Aufschrift H.s: Vhoedts brief d. Vlrici Hutten contra die zuhandt lossen Curtisanen. Ausgabe. G. Knod, Zs. f. Kirchengesch. 14 (1893) 128 f.
grüßt den Beschluß des Rates der Stadt Worms, die evangelische Lehre anzunehmen, und ermutigt ihn, sich von den Vorhaltungen des katholischen Predigers Daniel nicht beirren zu lassen und dem Druck der Antichristischen bischöffe vnd fürsten zu widerstehen.
7. Fehdebrief gegen die Dominikaner (1522). Entstanden im Frühjahr 1522 im Anschluß an den Fehdebrief gegen die deutschen ‘Kurtisanen’. In dem offenen Brief an die Prediger Münich ruft H. zum Kampf gegen die Dominikaner und ihren Anhang auf.
Drucke. Ein demütige erma⫽|nung an ein gemeyne statt | Wormbß von Vlrich | von Hutten zu˚⫽|geschrieben. [Speyer: Jakob Schmidt, 1522]. Benzing, Nr. 183. Weitere Drucke Nr. 184 u. 185. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 2, S. 124⫺130.
Einblattdruck. Zu wyssen sey Jederman. e Nach dem ich Vlrich von Hutten zum Stockelberg [...] dem ganntzen Prediger Orden abgesagt [...]. Worms: Hans Werlich, 1522. Vgl. Spelsberg, 1988, S. 439 f. (nicht bei Benzing u. Bˆcking).
8. ‘Vermahnung an die Reichsstädte’ (1522). In dem wohl Juni 1522 auf der Ebernburg oder auf der Veste Landstuhl entstandenen Aufruf an die freien Reichsstädte in 261 Reimpaarversen, seinem letzten Gedicht in dt. Sprache, verfolgt H. erneut das Bündnis des niederen, reichsritterlichen Adels mit den Reichsstädten gegen die Territorialfürsten als den gemeinsamen Feind. Um diese Zeit plant Sickingen mit H.s Unterstützung die gewaltsame Annexion des geistlichen Kurfürstentums Trier, um ein, wie H. meint, dringend notwendiges Zeichen gegen die geistlichen Territorialfürstentümer zu setzen. Drucke. Vormanung an die | freien vnd reich | Stette teuts|cher nation. [Straßburg: Joh. Knobloch, 1522]. VD 16, H 6418. Benzing, Nr. 181. ND mit Zusätzen und Umstellungen: Beklagunge der Freistette deutscher nation | Der Nemo hatt das geticht gemacht | Das mancher jm regiment nit lacht | [...]. [Erfurt: Michel Buchfürer, 1522]. VD 16, H 6417. Benzing, Nr. 182. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 3, S. 527⫺537 (die Eingangsverse d. ‘Nemo’ im Erfurter ND: ebd., S. 527; bei Bˆcking umgekehrte Reihenfolge der beiden Drucke).
9. Offener Brief an die Stadt Worms (1522). Der unter dem 27. Juli 1522 auf Sickingens Feste Landstuhl verfaßte Brief be-
10. Invektive gegen den Pfalzgrafen bei Rhein Ludwig V. (Winter 1522/23). Ein gegenredt oder ausschreiben Ulrichs von Hutten widder Pfaltzgraf Ludwigen Chu˚rfürsten, H.s letzte dt. Schrift, die erst durch Szamato´ lskis Recherche im Archiv zu Steinbach bekannt wurde, ist die dt. Version von ‘In tyrannos’ (s. o. A.43.). H. agiert mit einer rhetorischen “Wucht, Schärfe und Beweglichkeit”, die alle seine früheren dt. Schriften übertrifft (Szamato´ lski, S. 115). Ausgabe. Szamato´ lski, S. 165⫺179.
C . Ü be rs et zu ng en . 1. ‘Gesprächbüchlin’ (1520). Die dt. Übersetzungen der ‘Dialogi’ (s. o. A.33.) wurden mit Ausnahme der ‘Fortuna’ Sept.⫺Dez. 1520 auf der Ebernburg Franz’ von Sickingen angefertigt, wohl von H. selbst. e Drucke. Gespräch buchlin | herr Vlrichs von Hutten. | Feber das Erst. | Feber das Ander. | e Wadiscus. oder die | Romische dreyfaltigkeit. | Die Anschawenden. [Straßburg: J. Schott, 1521]. VD 16, H 6342; Benzing, Nr. 125. Separatdruck d. ‘Vadiscus’: Eyn lustiger vnd | nutzlicher Dialogus/ Herr | Vlrichen von Hutten/ Vadiscus/ oder e die Rho⫽|misch Dreyfaltigkeit genant. Durch Vlri⫽|chen Varnbüler den jüngern/ auß dem Lateyn | neülich verteütschet. [...]. Straßburg 1544. VD 16, H 6413. Benzing, Nr. 129. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 4, S. 27⫺41 (Das erst Feber), 101⫺144 (Feber das ander); 149⫺268 (Vadiscus oder die Römische Dreyfaltigkeit), 269⫺ 308 (die Anschawenden), jeweils synoptisch mit dem lat. Original. Ungeklärt ist die Autorschaft von: Gesprechbiechlin neuw | Karsthans. [...]. [Straßburg: Matth. Schürer Erben, 1521]. Nicht bei Benzing.
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Spelsberg, S. 430 f. Ausg.: Bˆcking, Bd. 4, S. 649⫺681. Evtl. einer der vielen ‘Dialogi Pseudohuttenici’. Nach Kalkoff, 1925, S. 310 ff., ist Martin Bucer der Autor.
2. Der deutsche ‘Phalarismus’ (1520/21). Die Übersetzung des ‘Phalarismus’ (s. o. A.18.), entstanden wohl auf der Ebernburg um 1520/21, stammt vielleicht von H. selbst, wie Szamato´ lski, S. 65, auch aufgrund stilistischer Merkmale, vermutet, Druck. Hie nach volget ein scharffes künstlichs gedicht von einem Tyrannen | vnd etzlichen grausamen/ vnmenschlichen geschichten/ Erstlich | durch den Ernuesten vnd hochberümpten hern e Poeten vnd OraVlrichen | von Hutten gekronten tor jm la|tein seer zirlich beschriben/ darnach durch | andere/ jn das teutzsch/ wie sich das hat schicken wöllen bracht/ Einem | jeden lustig vnnd nütz⫽|lich zu lesenn. [Speyer: Jakob Schmidt, ca. 1521]. VD 16, H 6402. Benzing, Nr. 57. Ausgabe. Bˆcking, Bd. 4, S. 1⫺25 (synoptisch mit d. lat. Original, 1517). 3. Mitarbeit an Schwarzenbergs dt. Cicero (‘Cato De senectute’) (1517). Die im Juli/Aug. 1517 entstandene Übersetzung von Ciceros ‘Cato De senectute’ stammt vom Schwarzenberger Hofkaplan Johann Neuber. Laut Vorrede korrigierte H. sie (… vnd nachmals durch den Hochgelerten vnd Ernvesten Ulrichen vom Hutten zum Steckelberg Poetam Laureatum corrigiert, vnd wes es mangels darinnen erfunden, gepessert), bevor der Auftraggeber und Hg. D Johann von Schwarzenberg sie auf seine Weise abschließend überarbeitete. e
Drucke. Des hochberumpten Marcii Tul|lii e Ciceronis buchlein von dem | Alter/ [...]. Augsburg: Sigm. Grimm, 1522. VD 16, C 3773. Benzing, Nr. 238; Worstbrock, Antikerez., Nr. 154. Weitere Drucke ebd., Nr. 164⫺169. Die Vorrede bei Bˆcking, Bd. 2, S. 152 f. D. Herausgeber. 1. Lorenzo Valla, De donatione Constan⫽|tini quid veri habeat, eruditorum quo⫽|rundam iudicium [...]. [Mainz: Joh. Schöffer, 1518], Setz, S. 163⫺166. Anders als Benzing, Nr. 212: [Basel: Andr. Cratander, 1519/20], u. danach VD 16, ZV 4645. Mit Widmungsvorrede an Papst Leo X. Zweite Aufl.: Benzing, Nr. 213; weitere Drucke nur der Widmungsvorrede Nr. 214⫺217. Engl. Übers. der Ausg. mit der Vorrede Nr. 218. Abdruck der Vorrede: Bˆcking, Bd. 1, S. 155⫺161. Lorenzo Valla hatte 1440 die Ks. Konstantin I. († 337) angedichtete sog. ‘Donatio Constantini’ aus dem 8. Jh. durch historisch-philologische Kri-
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tik als Fälschung erwiesen. H. hatte bereits den festen Plan einer Ausgabe von Vallas Schrift ‘De falso credita et ementita Constantini donatione’, und zwar auf der Grundlage des Erstdruckes von 1506, als er im Juni 1517 kurz vor seiner Abreise aus Bologna bei J Cochlaeus eine Hs. mit einer besseren Überlieferung (correctior) kennenlernte; er ließ von seinem Studienfreund Friedrich Fischer eine Abschrift anfertigen und sich diese nach Deutschland nachsenden (s. Pirckheimer-Br., Nr. 454). Gleichwohl stützte er seine Ausgabe hauptsächlich auf den Erstdruck von 1506. Während der Erstdruck selbst aber ohne erkennbare Wirkung blieb, wurde H.s Neuedition für die Wirkungsgeschichte von Vallas Schrift das “entscheidende Ereignis” (Setz, S. 151). Für die Papstkritik Luthers, der ein Exemplar ihrer 2. Aufl. im Febr. 1520 erhielt, wurde sie sogleich von großer Bedeutung. H.s Widmungsvorrede an Leo X. ist auf den 1. Dez. 1517 datiert. Kalkoffs (1925, S. 223 Anm. 1) und Benzings (Nr. 212 Anm. u. ders., 1954, S. 70 f.) Annahme, sie sei erst im Winter 1519 entstanden, wurde von Setz (S. 159⫺162) entkräftet. Die Datierung ist für die Lesart der Widmung von Belang. 1517 setzte H. noch auf einen Papst, der zur Wiederherstellung des Friedens bereit ist und weltlichem Machtstreben absagt (bestätigend das der ‘Aula’ [A.24.] beigefügte Carmen an Leo X.). Erst eine Datierung auf 1519 würde eine ironische oder sarkastische Lesart der Widmungsvorrede erlauben. 2. De vnitate ec|clesiae conservanda, et schi| smate, quod fuit inter Henricum IIII. imp*eratorem+ et Gre-|gorium VII. Pont. Max. cuiusdam eius tem/|poris theologi liber, in uetustiss*ima+ Ful/|densi bibliotheca ab Hutte/|no inuentus nuper. Mainz: Joh. Schöffer, März 1520. VD 16, U 173. Benzing, Nr. 219. Bl. 2r⫺[6]r: H.s Widmungsvorrede an Erzhzg. Ferdinand (o. D.); Ausg. bei Bˆcking, Bd. 1, S. 325⫺334. Die von H. im Herbst 1519 im Kloster Fulda entdeckte Schrift aus der Zeit des Investiturstreits, verfaßt um 1091/93 von einem kaisertreuen anonymen Hersfelder Mönch, bezichtigt Papst Gregor VII., durch seine Übergriffe in die Befugnisse der weltlichen Herrschaft, insbesondere durch die Absetzung Ks. Heinrichs IV., die Einheit der Kirche und damit die Ordnung der christlichen Welt zerstört zu haben. H. gab der sonst nicht überlieferten Schrift mit ‘De unitate ecclesiae conservanda’ den seither üblichen treffenden Namen. Der spektakuläre Fund kam ihm in seinem Kampf gegen die “Tyrannei” des römischen Papsttums als historischer Zeuge äußerst gelegen. In der Widmungsvorrede an Erzhzg. Ferdinand, den Bruder Ks. Karls V. (Nov./Dez. 1519), gab H. sich der Illusion hin, die beiden jungen Herrscher könnten ihn zum Be-
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rater wählen und in Orientierung an Heinrich IV. sich selbst und Deutschland vom römisch-päpstlichen Machtanspruch befreien. Bei seinem Besuch in Brüssel im Sommer 1520 zerschlug sich diese Hoffnung. Die Papstkritik seiner Vorrede hatte eher abschreckend auf die Habsburger gewirkt. 3. De schismate | extinguendo, et vere eccle| siastica libertate adse|renda epistolae ali|quot mirum in mo|dum liberae, et | veritatis | studio | stre|nuae | [...]. Huttenus in lucem edit. [Mainz: Joh. Schöffer, 1520]. VD 16, H 6407. Benzing, Nr. 220. Im selben Jahr erschien ein Druck in Hagenau bei Th. Anshelm. Benzing, Nr. 221. Die Vorrede bei Bˆcking, Bd. 1, S. 349⫺352. Sechs fingierte Sendschreiben aus der Zeit des Großen Schismas, die nicht von den angeblichen Autoren, Theologen der Univ.en Oxford, Prag und Paris sowie Kg. Wenzel, stammen, sondern wohl von ein und demselben Verfasser. H. stimmt mit dem in ihnen vertretenen Konziliarismus überein und läßt die Hs. drucken. Sie war ihm auf einer Reise am Rhein in Boppard von dem Zollschreiber und Humanistenfreund Christoph Eschenfelder übergeben worden, und er versah sie mit einer Vorrede, in der er “allen Freien” in Deutschland die mutigen Theologen als Vorbilder empfiehlt. Die Vorrede schließt nach Vive libertas mit Jacta est alea, dem Motto, mit dem H. seit 1519/20, alternierend mit Ich habs gewagt, seine Klag- und Kampfschriften gegen Rom enden ließ. 4. Concilia wie man die halten | sol. Vnd von e verleyhung geystlicher lehenpfründ|en. Antzoig e e damit/ der Bapst/ Cardinalen/ vnd aller | Curtisanen list/ ursprung vnd handel bitz vff diß zeit. | Ermanung das ein yeder bey | dem rechten alten Christlichen glauben bleiben/ | vnnd sich zu keiner newerung bewegen lassen sol/ | durch herr o Cunrat zärtlin in .76. artickel veruasßt. [Straßburg: Joh. Schott, 1521]. VD 16, K 2098. Benzing, Nr. 225. H.s Vorrede (allen christlicher freyheit liebhaberen, 14. Juni [?] 1521) u. die Zärtlins (20. Febr. 1521) bei Bˆcking, Bd. 2, S. 78 f. Anonyme Übersetzung einer 1442, in der letzten Zeit des Basler Konzils, vermutlich von dem Magdeburger Domherrn Heinrich D Toke verfaßten konziliaristischen Schrift (s. Brockmann, S. 205 f. u. 549); sie erkennt das Konzil als das geeignetste Instrument für eine umfassende Reform von Papsttum und Kurie, der sie v. a. das anstößige Pfründenwesen zur Last legt, und spricht ihm die dafür erforderliche Autorität zu. H. hatte die Übersetzung in der Bibliothek Sickingens auf der Ebernburg wohl in einem Exemplar ihres Mainzer Erstdrucks von ca. 1480 (GW 3696) gefunden und gab sie nach diesem zusammen mit der ‘Ermanung’ des Bamberger Vikars Konrad Zärtlin, gen. Playnbacher, über die Lehre Luthers neu heraus.
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E. Varia. 1.1. Phraseologische Sammlungen aus Sallust und Curtius Rufus. Die wohl allein dem eigenen Gebrauch zugedachten Sammlungen (Bˆcking, Bd. 5, S. 500) entstanden 1515 und im Winter 1516/17. Wie auch der Dialog ‘Arminius’ stammt die Hs. aus der sog. ‘kurpfälzischen Beute’, d. i. demjenigen Besitz (Bücher, Hss., Kleidungsstücke u. a.), den H. im Okt. 1522 bei seiner Flucht aus der Ebernburg in Richtung Schweiz abtransportieren ließ. Er fiel unterwegs in die Hände von kurpfälzischen Häschern und wurde in Heidelberg verkauft. Die Hs. gelangte nach Straßburg und wurde mit einer Widmungsvorrede an den böhmisch-ungarischen kgl. Sekretär Johannes Maius aus Schlettstadt von dem Drucker-Verleger Johannes Herwagen herausgegeben. Herwagen erwähnt, H. habe auch aus Livius flores zusammengestellt, und diese möchte er ebenfalls veröffentlichen. Zu deren Druck kam es indes nicht. Drucke. C. Salustii | et Q. Curtii Flores, | selecti per Hulderichum Huttenum | equitem, ejusdemque scholijs | non indoctis illustrati. Straßburg: [Joh. Herwagen], 1528. VD 16, ZV 13685. Benzing, Nr. 191. Weitere Drucke Nr. 192⫺198. Auszüge bei Bˆcking, Bd. 5, S. 501⫺504. Die Widmungsvorrede Herwagens: Bd. 2, S. 440 f. 1.2. Wortlisten aus Sallust (1530). Aufgrund der Sallust-Lektüre im Winter 1516/ 17 hergestellte alphabetische Wortlisten, auch mit Hinweisen auf Synonyme und Redewendungen, die der Pariser Sallust-Ausgabe im Anhang beigefügt und durch ein Verzeichnis der Fundstellen mit dem Haupttext verknüpft wurden. Drucke. C. Crispi | Salustii historici | clarissimi | L. Sergij Catilinae coniuratio, | Bellum Iugurthinum, | In M. T. Ciceronem inuectica. | [...] Cum alphabetico flosculorum Salu⫽|stianorum ab Huldericho Hut⫽|teno selectorum indice. Paris: Simon Colines, 1530. Benzing, Nr. 199. Weitere Drucke Nr. 200⫺205. Musterseite bei Bˆkking, Bd. 5, S. 505. 2. ‘Epigramma in honorem Brettae’ (1519). Ein vielleicht 1519 verfaßtes Hexastichon auf Melanchthons Heimatstadt. Druck. Martin Zeiler, Itinerarium Germaniae | nov-antiquae. | Teutsches | Reyßbuch […]. Straßburg 1632, S. 541. Vgl. Bˆcking, Bd. 1, S. 90*. Literatur . D. F. Strauss, U. v. H., 3 Teile, 1858 (Erg.bd. 3: Gespräche H.s, übers. u. erl., 1860), veränd. Neufassung, hg. v. O. Clemen, 1927; P. Kalkoff, Die Depeschen d. Nuntius Ale-
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Herbert Jaumann
Huttich (Huttdich; Huttichius, Huttigius), Johannes I . L eb en . H. wurde geboren 1489 oder 1490 im nassauischen Strinz b. Idstein (unklar, ob in Strinz-Trinitatis oder im benachbarten Strinz-Margaretha). Zwar enthält ein Brief des Straßburger Kanonikers Sebastian Hambacher, den er einige Monate nach H.s Tod an Beatus J Rhenanus adressierte, die Nachricht, H. sei am 5. März 1544 im Alter von 56 Jahren gestorben (RhenanusBr., Nr. 383) ⫺ und danach wäre, wie auch in der älteren Forschung stets angegeben, 1487 oder 1488 sein Geburtsjahr ⫺, doch hat höheren Zeugniswert eine 1523 angefertigte Porträtmedaille, nach deren Inschriften (iohannes . hvttichivs . de . ytstein xxxiii; Rückseite: mdxxiii) H. damals 33 Jahre alt war (K. Domanig, Die dt. Medaille in kunst- u. kulturhist. Hinsicht, 1907, S. 12, Nr. 53, Abb. Taf. 6; vgl. Diepenbach). Die erste bekannte Bezeugung H.s ist seine Immatrikulation 1506 an der neu gegründeten Univ. Frankfurt a. d. O. (Johannes Huttdich de Strintz). Er war als Mainzer Student der Artes wie zahlreiche andere Kommilitonen dem seit 1501 als Lektor der Rhetorik in Mainz tätigen Johannes Rhagius Aesticampianus (J Rhagius) nach Frankfurt gefolgt, ge-
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hörte zu dessen anhänglichsten Schülern und diente ihm zeitweilig als Amanuensis. Die ältere Forschung, auch noch Boppert, 1977, hat H. ⫺ trotz Bauchs Einspruch bereits 1907, S. 63 Anm. 198 ⫺ mit dem gleichnamigen Mainzer Domvikar identifiziert, dem zusammen mit dem Vikar Johann Spulmann die Drucküberwachung des 1507 bei Johann Schöffer erschienenen Mainzer Missale oblag (Missale Maguntinum. denuo exac⫽|tissima cura recognitum et a pri|oribus quibusdam mendis | operose ac solerter | emaculatum. VD 16, M 5591. Kolophon: […] per […] do. Jo|hannem Spulmann: et do. Johan|nem Huttich maioris ecclesie | Maguntinensis vicarios […]). Doch hatte H. 1507 noch nicht das kanonische Alter für die Priesterweihe erreicht, die der Empfang des Vikariats voraussetzte. Auch in den Matrikeln seiner Studienorte Frankfurt und Leipzig wird H. nicht als Geistlicher geführt. Überdies konnte der 17jährige, seit dem Sommer 1506 als Student und als Rhagius’ Gehilfe in Frankfurt a. d. O. ansässig, schwerlich zu gleicher Zeit in Mainz als Korrektor gefragt sein.
Im Febr. 1507 erwarb H. in Frankfurt das artistische Bakkalaureat. Rhagius, der ihn für den ersten Unterricht seiner verwaisten Neffen herangezogen hatte, eignete ihm mit einem pädagogischen Brief eines der grammatikalischen Elementarbücher, die er damals drucken ließ, zu: Aelius Donatus de figuris | cum Johannis Rhagij Aesti⫽|campiani Epistola […] (Donat, Ars maior, Teil III. VD 16, A 3706 [irrig unter J Arnoldi]; am Ende 9 Dist. an die Neffen und an H.). Zum WS 1508/ 09 wechselte H. mit Rhagius nach Leipzig (immatr. als Ioannes Huttigius de Stryntz bacc. Fran*cfordensis+). Über seine Leipziger Jahre ist bis auf seinen Beitrag zu einem Sueton-Druck (s. u. II.D.1.) nichts bekannt, nur über ihr Ende. Nachdem Rhagius bereits 1511 in Leipzig relegiert worden war, erhielt der sich als humanistischer poeta aufführende H. zu Beginn des WS 1513/14 ⫺ nicht ohne Anlaß gegeben zu haben ⫺ auf Betreiben Johannes J Beuschels Lehrverbot (vgl. Bauch, 1907, S. 65 f.) und kehrte nach Mainz zurück. Hier erst erwarb er den Magistergrad und lehrte dann vermutlich an der Universität. In humanistischen Kreisen hatte er damals, wie seine Erwähnungen in J Irenicus’ ‘Germaniae exegesis’ (1518, Bl. 45v) und
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Huttich, Johannes
zuvor schon in den J ‘Epistolae obscurorurm virorum’ (II 5 u. 9) zu erkennen geben, bereits einen Namen. Im Streit um die jüdischen Bücher stand er entschieden auf J Reuchlins Seite, ermutigte ihn 1518 brieflich, da der seit 1516 zu erwartende Freispruch der Kurie ausblieb. Von Bedeutung war H.s Engagement für die Veröffentlichung von Dietrich J Gresemunds Sammlung der Mainzer römischen Altertümer; neu überprüft und um weniges vermehrt konnte er sie 1517 zum Druck geben (s. II.A.). 1517 verließ er Mainz und ging als Lehrer des jungen Ludwig II. an den pfalzgräflichen Hof in Zweibrücken. Doch gab er schon 1519 die Stelle auf und reiste nach Spanien. Über Anlaß und Umstände des Spanienaufenthalts ist viel spekuliert worden (Roth, Grimm u. a.), doch fehlt es für sie gänzlich an Zeugnissen und Berichten. Zurückgekehrt spätestens im Frühsommer 1521, weilte er, wie auch die Mitarbeit an der Regino-Ausgabe (s. u. II.E.) vermuten läßt, zunächst wohl noch in Mainz, ließ sich bald aber in Straßburg nieder; dort erhielt er am 28. Febr. 1525 das Bürgerrecht (Meister Johannes Hytich examinator causarum). Durch Vermittlung Ks. Karls V. wurde er am 5. Nov. 1527 mit einem Kanonikat an St. Thomas bedacht. Um 1530 kam er in den Besitz der reichen Pfründe des Rex chori am Münster (Joannis, S. 323). Er starb am 4. März (so der ‘Liber praebendarum’ von St. Thomas, s. Knod; dagegen Hambacher [s. o.]: 5. März) 1544 und wurde im Chor von St. Leonard beigesetzt. Auf Hambachers Bitte verfaßte Beatus Rhenanus das Epitaph. H. begrüßte wie die meisten jüngeren Humanisten die Reformation (vgl. ‘Centuria epistolarum theologicarum ad Joh. Schwebelium’, Zweibrücken 1597, S. 42), bezog zu ihr aber unter dem Eindruck der Bauernkriege wieder Distanz (vgl. seine Widmung zum ‘Imperatorum Romanorum libellus’ [s. u. II.B.] an Otto v. Pack) und blieb bei der alten Kirche. Von den frühen Straßburger Jahren an, spätestens seit 1524, hatte er mit Beatus Rhenanus dauerhafte freundschaftliche Verbindungen. Sie verfolgten gemeinsame gelehrte Interessen,
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die Sammlung von Handschriften, Urkunden, Münzen, die Erforschung deutscher und germanischer Geschichte, dabei mit Nachdruck auch der Rechtsgeschichte. Rhenanus konnte 1524 den Freund bewegen, in Johann Grüningers Offizin die Drucküberwachung von Willibald J Pirckheimers lat. Übersetzung der ‘Geographia’ des Ptolemaeus (VD 16, P 5211) zu übernehmen. Für den Hinweis Grimms, H. sei in Straßburg bei Grüninger langjährig Korrektor gewesen, gibt es keinen Beleg. Wohl über Beatus Rhenanus bekam H. Verbindung zu weiteren Schlettstädtern, zu Johannes J Sapidus (s. Rhenanus-Br., Nr. 292) und zu dem Lehrer Veit Kopp von Rotenburg, der auf H. ein Gedicht verfaßte (Besanc¸on, Bibl. mun., ms. 1219, 82v⫺83r). II. Werk. A. Mainzer ‘Collectanea antiquitatum’. Sammlung von 45 in Mainz und Umgebung gefundenen römischen Inschriften in Form xylographischer Abbildungen der beschrifteten Steine und Monumente. Die Inschriften hatte, wie H. in der Zuschrift seiner Ausgabe an den Mainzer Domscholasticus Dietrich Zobel betont, zum größten Teil zuvor und erstmals Dietrich Gresemund zusammengetragen. Die weitere Mitteilung, Gresemund habe seine Sammlung ⫺ sie war schon 1509 so gut wie abgeschlossen ⫺ seinerzeit einem Drucker übergeben, sie sei bei diesem aber infolge des unerwarteten Todes Gresemunds verlorengegangen, ist H. von Zangemeister und noch von Fleischer (1967) als unredliche Verschleierung seiner Abhängigkeit von Gresemund ausgelegt worden; sie muß indes nicht mehr besagen, als daß die Druckvorlage verlorenging und daher der Druck ausblieb. H. hebt deutlich nicht nur die Pionierrolle Gresemunds, sondern auch die Unterstützung seitens des Mainzer Kanonisten Balthasar Geyer, die er selber erfuhr, hervor und läßt keinen Zweifel daran, daß er sich auf vorliegende Abschriften von Mainzer epigraphischem Material gestützt hat.
Zangemeisters Feststellung, daß H. dem von Gresemund gesammelten Corpus nur vier Stücke hinzugefügt habe, wird Bestand haben. Als hauptsächliche Verdienste H.s, die er als Hg. der ‘Collectanea’ auch ausdrücklich beanspruchte, sind zu erkennen: die Bewahrung der geschichtlichen Zeugnisse nach dem Vorbild von J
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Peutingers Ausgabe der Augsburger Inschriften und, wie er beteuert, die sorgfältige autoptische Prüfung des Materials (H. gibt für jede Inschrift die Fundstelle an). Vermutlich hat auch erst H. die Zeichnungen für die Abbildungen der meist in Wänden von Häusern und Kirchen oder in Mauern verbauten Inschriftenträger beibringen lassen. Die Wiedergabe von Ornamenten und figürlichem Schmuck ist dabei allerdings willkürlich frei ausgefallen. Ob die Inschriften selbst in Wortlaut und Zeilenfüllung stets diplomatisch getreu abgebildet sind, ist ebenfalls zu bezweifeln. Nach dem Datum des Widmungsbriefs (Arx Curcellina [vermutlich Burg Kirkel b. Zweibrücken, vgl. Falk; vielleicht auch Courcelles b. Metz, vgl. Allen, Erasmus, Op. epist., Bd. 2, S. 502], 22. Juli 1517) schloß H. die Ausgabe ab, als er bereits in Zweibrücken tätig war. Den Druck, der vermutlich wegen der Anfertigung der Holzschnitte auf sich warten ließ, hat er, seit 1519 in Spanien, nicht überwachen können. Drucke. Collectanea | antiquitatum in urbe, atque | agro Moguntino | repertarum. | M.D.XX. Mainz: Joh. Schöffer, März 1520. VD 16, H 6467. ND, aber mit Abweichungen in den Texten: Mainz, Joh. Schöffer, Sept. 1525. VD 16, H 6468. Ausgaben. Joannis, nach S. 328, faksimileartiger Nachdruck d. Fassung v. 1525. ⫺ Faksimile d. Fassung v. 1525: Mainz 1977, im Beiheft Abdruck u. Übers. d. Inschriften v. W. Boppert.
B . ‘ Im pe ra to ru m Rom an or um li b el lu s’ . Kaiserbuch in Form einer chronologischen Serie von Kurzbiographien der Kaiser von Iulius Caesar bis zu Karl V. und Ferdinand I., mit Münzbildnissen zu jeder Biographie; mehrfach mitaufgenommen sind bekannte Familienmitglieder eines Kaisers. Die Entstehungsgeschichte, die H. in der Widmungsvorrede und erneut im Vorwort an die antiquitatum candidati zur Neuauflage 1534 zum besten gibt, ist alles andere als aufschlußreich (er suggeriert, die Bildnisse seien nach Exemplaren seiner Münzsammlung geschnitten worden); sie sei hier daher nicht näher beachtet. Das Projekt eines Kaisersbuches, an dem Maxi-
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milian hing und das J Peutinger und J Cuspinian aufgegriffen hatten, war im deutschen Humanismus ein über Jahre hin aktuelles Thema. H.s Buch hatte indes zwei 1517 erschienene italienische Präzedenzen, zum einen das Kompendium ‘De Caesaribus’ des Battista Egnazio, Kurzbiographien der Kaiser von Iulius Caesar bis Maximilian, zum andern die ‘Illustrium imagines’ des Andrea Fulvio, eine Serie von gut 200 Münzbildnissen von Alexander d. Gr. bis zu Ks. Konrad II., darunter zahlreichen Frauenbildnissen, mit Kurzbiographien von Giacomo Sadoleto. Ging Egnazio mit dem Beispiel einer Prosopographie des römisch-deutschen Kaisertums voran, so lieferte Fulvio, wie Rave erkannte, die Vorlagen zu nahezu sämtlichen Münzbildern; wo solche bei Fulvio fehlen, sieht man auch bei H. nur leere Münzscheiben, und so stehen die Biographien von Ks. Heinrich III. bis zu Kg. Albrecht II. ohne Bildnisse da. Erst die letzten fünf Habsburger (Ks. Friedrich III. bis Kg. Ferdinand) erscheinen wieder mit münzbildartigen Porträts; die aber sind nicht nach Münzen, sondern in Medaillenform nach den Bildnissen in Burgkmairs Genealogie geschnitten (Rave, S. 129). H. hat im übrigen in Fulvios Buch häufig auch die von Sadoleto formulierten Biographien benutzt. In der Widmung an Otto v. Pack, den Rat Hzg. Georgs von Sachsen (A 2r⫺ [A3]r), beklagt H. die widrigen Zeitläufte (Niedergang der humanistischen Studien, v. a. die Entartung der reformatorischen Bewegung), in denen auch die Fürsten versagten. Die Kaiserbiographien empfiehlt er im Sinne eines exemplarischen Fürstenspiegels. 1534 legte H. eine erhebliche, die Texte revidierende Neubearbeitung vor, mit der er den Kaiserbiographien auch einen ‘Elenchus Consulum’ beigab, eine Liste der römischen Konsuln vom Anfang der Republik (L. Iunius Brutus) bis zu deren Ende (Antonius) mit einem Anhang von 83 Münzbildnissen verschiedener Konsuln. Drucke. 1. Impera|torum Romanorum | libellus | Vna` cum imaginibus. | ad uiuam effigiem | expreßis. Straßburg: Wolfg. Köpfel, 1525. VD 16, H 6473. ND ebd. 1526. VD 16, H 6473. ⫺ 2.
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Überarbeitete u. um d. ‘Consulum elenchus’ erweiterte Neuaufl.: Impera⫽|torum et Caesarum | Vitae, cum Imaginibus […] Libellus auctus cum elencho et Iconijs | Consulum ab Authore. | M.D.XXXIIII. Straßburg: Wolfg. Köpfel, 1534. VD 16, H 6474. ⫺ 3. Um zahlreiche weitere Texte erweiterte Neuaufl. d. Ausg. 1534 durch Johannes Sambucus, Straßburg: Wolfg. Köpfel, 1551 u. 1552. VD 16, 6475 u. 6476. ⫺ 4. Nach Ioannis, S. 325 f., Drucke auch in Lyon 1550, 1553, 1554. Dt. Übers.: Römische Key⫽|ser ab contraueyt/ vom | ersten Caio Julio an vntz uff den jetzigen | H. K. Carolum […]. Straßburg: Wolfg. Köpfel, 1526. VD 16, H 6477. Der Übersetzer ist unbekannt.
C . ‘ No uu s o rb is re gi on um ac in s ul ar um ve te ri bu s i nc og ni ta ru m’ . Von H. besorgte Sammlung von Reiseberichten berühmter Entdecker wie Aloisius Cadamustus (Cademosto), Columbus, Petrus Alonsus, Alonso Pinzo´n, Amerigo Vespucci u. a. Sie gilt nicht nur der erschlossenen neuen Welt, auch Afrika, Asien und Osteuropa sind einbezogen; das letzte Stück ist ‘De Borussiae antiquitatibus’ des Erasmus J Stella. H. hatte die Sammlung dem Basler Drucker Herwagen übergeben, der den Basler Theologieprofessor und bewährten Editor Simon Grynaeus mit der Vorbereitung der Druckausgabe betraute. Die Weltkarte und die geographische Einleitung, die Sebastian Münster beisteuerte, betonen die Zielsetzung des Werks, die Öffnung einer Gesamtsicht auf die neuentdeckte außereuropäische Welt. Über die Entstehung des ‘Novus orbis’ berichtet Grynaeus’ Widmungsbrief an den Wiener Mathematiker und Astronomen Georg J Tanstetter (Bl. a 2r⫺a 3r). Den Anstoß zur Beschäftigung mit der Geographie hatte H. von der Arbeit an Pirckheimers Ptolemaeus-Übersetzung erhalten. Grimms Annahme, H. habe die Reiseberichte elf Jahre zuvor aus Spanien mitgebracht, erübrigt sich, da alle bereits (z. T. mehrfach) gedruckt waren. Druck. Novus orbis regio-|num ac insularum veteribus incognitarum, | una` cum tabula cosmographica. & aliquot alijs consimilis | argumenti libellis […]. Basel: Joh. Herwagen, März 1532. VD 16, G 3827. NDe: Paris 1532; Basel 1536 u.1555. VD 16, G 3828 u. 3829.
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Dt. Übers.: Die New | welt, der landschaf⫽| ten vnnd Jnsulen, so | bis hie her allen Altweltbeschreybern vnbekant […]. Straßburg: Georg Ulricher, 14. März 1534. VD 16, G 3830. Der Übersetzer ist Michael Herr. D. Kleine Beiträge. 1. C. Suetonij Tranquillij [!] De clarissi|mis Rhetoribus et Grammati|cis libellus ex castigatione | Georgij Valle et Phi⫽|lippi Beroaldi. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 11. Juli 1511. VD 16, S 10091. Ohne Vorrede u. Widmung. Titelbl.v: Johannis Huttichij Neomagi ad Lectorem vt latinos Grammaticos sequatur. Carmen. 12 Dist., Kritik am traditionellen Artes-Studium und der unzureichenden Latinität seiner Bücher und Autoren. 2. Opusculum en/|chiridion appellatum Ioannis Aquile˛ Ferme de | omni ludorum genere […]. Oppenheim: [Jak. Köbel], 1516. VD 16, G 1310. Die Schrift des Tübinger Rechtsgelehrten Johannes Aquila begleiten das Titelepigramm (3 Dist.) H.s und zwei Gedichte Peter Günthers. E. Regino-Ausgabe. Regino|nis. monachi Pru-|miensis anna⫽|les […] ante sexin|gentos fere | annos e-|diti […]. Mainz: Joh. Schöffer, Aug. 1521. VD 16, R 599. An der Erstausgabe des ‘Chronicon’ D Reginos von Prüm hat H. unter der Herausgeberschaft Sebastians von J Rotenhan als hervorragender Lateiner, wie Rotenhan in der Widmung an Karl V. (Bl. 2v) hervorhebt, offenbar hilfreich mitgewirkt, ihren Fortgang gewährleistet, wenn Rotenhan durch seine Amtsgeschäfte verhindert war. Die Ausgabe war am 15. Juli 1521, dem Datum von Rotenhans Brief an Wolfgang Capito (Bl. [59]v f.), abgeschlossen.
F. B ri ef e. Die sechs erhaltenen Briefe an Beatus Rhenanus sind Dokumente einer Gelehrtenfreundschaft, in denen es zentral um die ältere deutsche Geschichte und deutsche Altertümer geht, anderes und Persönliches nur ausnahmsweise begegnet (RhenanusBr., Nr. 264, 292, 305, 351, 363, 376). Die erhaltene Korrespondenz mit Pirckheimer hat nur einen Gegenstand, die PtolemaeusAusgabe und die im Zuge ihrer Drucklegung zwischen Pirckheimer und Grüninger entstandenen Querelen (Pirckheimer-Br., Nr. 871, 874, 893, 905, 915; s. auch Reg. zu Bd. 5). Allens ansprechende Vermutung, daß der Mainzer Johannes Eutychius, mit dem J Erasmus korrespondierte
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und dem er 1517 den Druck einer anonymen Übersetzung von Lukians ‘Convivium’ widmete (Erasmus, Op. epist., Bd. 2, Nr. 550), mit H. identisch sei, hat sich bisher nicht erhärten lassen (Anm. zu Nr. 550 u. zu Nr. 614). III. H. war kein Schriftsteller und kein Gelehrter, der seine Themen und Konzepte originär entwickelt und verfolgt hätte, vielmehr knüpfte er stets an Vorgänger und Beispiele anderer an. Er trug damit immerhin zu spezifischen Diskursen seiner Zeit bei: Entdeckung und Bewahrung geschichtlicher Altertümer, Geschichte des römisch-deutschen Kaisertums, Umwandlung des geographischen Weltbilds. Mit seinen späteren Arbeiten suchte H., wie die parallel gefertigten dt. Übersetzungen zeigen, Interessen eines breiteren Publikums zu dienen. Seine humanistische und zugleich patriotisch geprägte Gesinnung hat ihr vielleicht sprechendstes Zeugnis in seiner Rühmung des Konrad J Celtis, gleichermaßen des Dichters wie des um die deutsche vestustas und die Landesbeschreibung verdienten Gelehrten (‘Collectanea antiquitatum’, 1520, Bl. Cv, bei der Erläuterung des sog. Eichelsteins, des monumentum Drusi). Die testamentarische Verfügung, daß mittellose Straßburger Töchter aus seinem hinterlassenen Vermögen eine Mitgift erhalten sollten, sofern der Bräutigam nicht Soldat sei, läßt erasmianischen Pazifismus spüren, den auch Rhenanus teilte. Literatur. G. C. Joannis, Scriptorum Historiae Moguntinensis […] Tomus novus, Frankfurt
a. M. 1727, S. 315⫺344; G. Bauch, Johannes Rhagius Aesticampianus […] u. sein Aufenthalt in Mainz, Archiv f. Litt.gesch. 12 (1884) 321⫺370, hier S. 361⫺367; F. Falk, J. H. von Mainz, Der Katholik 68,2 (1888) 418⫺432; G. Knod, Die Stiftsherren v. St. Thomas in Straßburg, 1892, S. 15; F. W. E. Roth, J. H. (1488⫺1544), Euphorion 4 (1897) 772⫺789 (weithin nach Bauch); K. Zangemeister (Hg.), Corpus Inscriptionum Latinarum, Bd. XIII, II, 1, 1905, S. 303⫺305; G. Bauch, Die Anfänge d. Univ. Frankfurt a. O. u. d. Entwicklung d. wiss. Lebens an d. Hochschule (1506⫺1540), 1900, S. 104 f., 107; G. Bauch, Aus d. Gesch. d. Mainzer Humanismus, Archiv f. hess. Gesch. u. Altertumskunde N.F. 5 (1907) 3⫺86, hier S. 62⫺71; Joachimsen, Gesch.auffassung, S. 118, 204, 291 Anm. 38; W. Diepenbach, Bildnisse von Rektoren u. Doktoren d. Mainzer Univ. auf Medaillen, Volk u. Scholle 6 (1928) 87⫺92; Th. Schneider, Zur Biographie J. H.s aus Strinz, Nassauische Ann. 50 (1929) 240⫺243; H. Schrohe, Aus d. Frühzeit d. röm. Altertumswiss. in Mainz, in: Schumacher⫽Fs., 1930, S. 8⫺12; P. O. Rave, Paolo Giovio u. d. Bildnisvitenbücher d. Humanismus, Jb. d. Berliner Museen 1 (1959) 119⫺154, hier S. 128⫺130; H.-H. Fleischer, Dietrich Gresemund d. J. (Beitr. z. Gesch. d. Univ. Mainz 8), 1967, S. 148⫺151, 160⫺165; H. Grimm, in: NDB 10, 1974, S. 105 f. (z. T. spekulativ); W. Boppert, J. H.: Leben u. Werk, 1977, Beih. z. Faksimile d. ‘Collectanea antiquitatum’ Mainz 1525, 1977 (fehlerhaft); H.-H. Fleischer, Anfänge hist. Forschung u. Lehre an d. kf.lichen Univ. Mainz, in: Tradition u. Gegenwart. Stud. u. Quellen z. Gesch. d. Univ. Mainz, Teil 1 (Beitr. z. Gesch. d. Univ. Mainz 11), 1977, S. 54⫺79, hier S. 71 f.
F. J. Worstbrock
Hylacomilus → Waldseemüller
I/J Irenicus (Fritz, Friedlieb), Franciscus I . L eb en . Neben den von der Forschung bisher genutzten biographischen Quellen ist, bes. für I.’ Gemmingener Jahre, die Widmungsvorrede seines Sohnes Paul zur ‘Grammatica’ von Belang.
Der aus Ettlingen stammende I. hat seine Ende 1517 zum Druck gegebene ‘Germaniae exegesis’ nach eigener Angabe als noch nicht 23jähriger (‘Germ. exeg.’ I 2: in uigesimo tertio anno) abgefaßt. Danach wird er 1495, nicht 1494 ⫺ so teilweise die jüngere Forschung ⫺, geboren sein. Er besuchte die von Georg J Simler geleitete Lateinschule in Pforzheim. Einer seiner jüngeren Mitschüler war Philipp Melanchthon. Am 10. Okt. 1510 schrieb er sich für das Studium der Artes an der Univ. Heidelberg ein (Franciscus Fritz de Ettlingen); am 14. Jan. 1512 wurde er dort Baccalaureus (Via moderna). Nach Reisen mit Aufenthalten, die man wiederum der ‘Germ. exeg.’ entnimmt, u. a. in Straßburg, Backnang, Ansbach, Nürnberg, Schillingsfürst (Krs. Ansbach), immatrikulierte er sich am 16. Mai 1516 in Tübingen (Franciscus Fritz Etlingen‹sis›) und wurde am 13. Juli als Baccalaureus rezipiert. In Tübingen traf er seinen Lehrer Simler, der die Rechte studierte, und Melanchthon, schon seit 1514 Magister, wieder, ging aber spätestens im Jan. 1517 zurück nach Heidelberg und wurde hier am 10. März 1517, nun unter dem Namen Franciscus Irenicus, zum Magister graduiert. Spätestens im Aug. 1518 berief man ihn zum Regens (moderator) der Heidelberger Katharinenburse (vgl. die Widmung der ‘Germ. exeg.’), am 28. Juni 1519 in den Fakultätsrat der Artisten.
Die Grundlagen seiner gelehrten Bildung verdankte I. Georg Simler, den er in der ‘Germ. exeg.’ (II 41) seinen ersten, und Melanchthon, den er dort seinen zweiten Lehrer nennt; die kurze Tübinger Zeit muß v. a. für seine Griechisch-Studien förderlich gewesen sein. Dankbar gedenkt er II 39 auch seiner Begegnung mit Reuchlin in Hagenau (wohl 1517/18 bei dem Drucker Anshelm). Willibald J Pirckheimer verfolgte I.’ Arbeit an der ‘Germ. exeg.’ mit Interesse und unterstützte ihn mit eigenen historischen Kenntnissen (s. u. II.A.; Pirckheimer-Br., Bd. 3, Nr. 512 u. Nr. 547). I.’ wortreichem Dank in der ‘Germ. exeg.’ an Mgf. Philipp I. von Baden und seinen Kanzler Hieronymus J Vehus (Bl. Q ijv⫺ Q iijv) ist zu entnehmen, daß das mgf.liche Haus die Arbeit des jungen Gelehrten an seinem groß angelegten Werk auch materiell förderte. Nachhaltig wirkte auf I. Luthers Heidelberger Disputation am 26. April 1518; sie hat ihn wohl maßgeblich zum überzeugten Anhänger des Reformators gemacht und damit seinen weiteren Lebensweg bestimmt. I., der in Heidelberg zuletzt im Juli 1519 als Prüfer bei Bakkalaureatsexamina bezeugt ist, war seit dem 20. Okt. 1519 Stiftsherr in Baden-Baden, Priester und seit 1522 Hof- und Reiseprediger des Markgrafen. 1524 begleitete er ihn zum Reichsregiment nach Esslingen, das dort bis Anfang 1526 tagte, und trat hier trotz offiziellen Verbots unter wachsendem Zulauf als reformatorischer Prediger auf. Der päpstliche Legat Campeggio legte bei Erzhzg. Ferdinand vergeblich Beschwerde ein. Nachdem im April 1525 ein Religionsmandat Mgf. Philipps in Baden neben dem Laienkelch auch die Ehe der Priester erlaubt
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hatte, heiratete I. noch im selben Jahr die Tochter eines Esslinger Bürgers; aus der Ehe gingen drei Söhne hervor, Paul, Philipp und Johann Andreas. Damals ermunterte er Symphorian Pollio, den evangelischen Pfarrer an St. Martin in Straßburg, gegen falsche Unterstellungen in der Ehefrage, die gegen ihn erhoben wurden, zur öffentlichen Klarstellung. Pollios Flugschrift erschien zusammen mit I.’ Brief 1525 in Straßburg (VD 16, A 1966).
Unter dem Schutz des Markgrafen predigte I. 1526 mit reformatorischem Eifer auch auf dem Speyrer Reichstag. Jetzt erreichte der Protest Campeggios jedoch sein Ziel. Philipp zog seinen Prediger zurück, hob in den folgenden Jahren unter zunehmendem politischen Druck auch die reformatorischen Neuerungen, die er hatte einführen lassen, auf und stand seit 1530 wieder bei der alten Kirche (vgl. E. Staehelin [Hg.], Briefe u. Akten zum Leben Oekolampads, Bd. 2, 1934, Nr. 775, I.’ Brief vom 6. Sept. 1530). Im März 1531 verließ I. Baden. Aussichten auf die freie Pfarrei in Esslingen wurden durch die Abneigung Ambrosius Blaurers und Martin Bucers gegen den strikten Lutheraner zunichte (Schiess, BlaurerBr., Nr. 210). Etwa im Herbst 1531 übernahm I. die Prädikatur an der Pfarrkirche in Gemmingen. Mit diesem Amt, in dem er am 24. Dez. d. J. bezeugt ist, war die Leitung einer 1521 gegründeten Lateinschule verbunden. 1532 führte er mit Blaurer ein Gespräch über die Abendmahllehre, für das ihn sein Freund Johannes Brenz brieflich instruierte (Schiess, Blaurer-Br., Bd. 3, Anhang Nr. 11). Sonst aber hat sich I. zu theologischen und konfessionellen Streitfragen anscheinend nicht mehr geäußert, als Schwerpunkt seiner Tätigkeit vielmehr den Schulunterricht gewählt. Die Schule in Gemmingen nahm unter seiner Leitung bedeutenden Aufschwung und zog zahlreiche Schüler an, unter ihnen David Chytraeus. I. gab, bes. zu antiken Dichtern, gleichzeitig auch Privatunterricht. Gemmingen hat er als Wohnsitz nicht mehr verlassen. Er starb dort der teilweise noch leserlichen Inschrift der erhaltenen Grabplatte zufolge 1553.
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I I. We rk . Von I.’ Schriften sind nur die gedruckten bekannt. Die beiden nach ‘Germ. exeg.’ III 109 angeblich schon abgeschlossenen Bücher über Mgf. Philipp, die er, sobald sie ausgereift seien, veröffentlichen wollte, und eine nach VII 21 in drei Büchern verfaßte Geschichte des elsässischen Klosters Odilienberg sind durch keinerlei andere Zeugnisse nachweisbar. Wie die erste postume Neuauflage der ‘Germ. exeg.’ (1567) ist auch der Druck zweier Schulschriften des I. seinem um das Andenken des Vaters bemühten Sohn Paul zu verdanken. A . ‘ Ge rm an ia e e xe ge si s’ . 1. Im August 1518 erschien bei Th. Anshelm in Hagenau das Werk, das I.’ Lebenswerk bleiben sollte, die zwölf Bücher umfassende ‘Germaniae exegesis’. Noch 1517 hatte er Anshelm das Manuskript übergeben können. Der bald beginnende Druck ging, wie es im Kolophon heißt, in Gegenwart des Autors selbst, der als verantwortlicher castigator fungierte, vonstatten. Allerdings belastete I. den Druckvorgang beständig mit Ergänzungen, Tilgungen und sonstigen Änderungen, sehr zum Verdruß Anshelms, der sich im Jan. 1518 bei Johann Koberger, dem von Pirckheimer vermittelten Nürnberger Verleger des Buchs, darüber beschwerte, die Druckarbeiten zeitweilig unterbrach und angesichts der offenbaren Unfertigkeit des Werks auch der schon aufkommenden Kritik an dessen Qualität Gehör schenkte (vgl. Hase, Joachimsen, S. 171 f., Alberts). Warnungen vor übereilter Publikation, die von Pirckheimer (Br., Bd. 3, Nr. 512, S. 271) und Melanchthon (Briefw., Bd. T1, Nr. 148) gekommen waren, hatten I. zu einem Aufschub nicht bewegen können. Desungeachtet stand Melanchthon nicht an, 1517 und im Frühjahr 1518 nach Hagenau zu reisen, um I. zu helfen. Die erste Fassung der ‘Germ. exeg.’, von der Christoph J Scheurl am 27. Sept. 1517 Erasmus J Stella brieflich zu berichten wußte (Scheurl-Br., Bd. 2, Nr. 136), war in acht Bücher geteilt. Deren Manuskript hatte Pirckheimer in Händen, als er I. im Herbst 1517 noch wichtige Hinweise zur Ge-
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schichte der germanischen Völker mitteilte (Pirckheimer-Br., Bd. 3, Nr. 512), die I. auch einarbeitete.
2. Die ‘Germ. exeg.’ ist der Versuch einer geschichtlichen Landeskunde Deutschlands von der germanischen Zeit an bis in die Gegenwart. Die Unterscheidung von Germanen und Deutschen kennt I. noch nicht. Sein Werk knüpft, wie die ihr beigedruckte ‘Norimberga’ des Konrad Celtis deutlich zu verstehen gibt, an Celtis’ Projekt der Germania illustrata an. Von den zwölf Büchern sind die ersten sechs geschichtlich orientiert, die der zweiten Hälfte landeskundlich (zur Teilung in zweimal sechs Bücher, sechs der traditio Germanorum, sechs der patriae formatio gewidmet, vgl. die Vorrede zu Buch 7, Bl. CLXIIIr). Die ‘Germ. exeg.’ beginnt in Buch 1 mit einer Revue antiker, mal. und zeitgenössischer Autoren, die sich zur Geographie und Geschichte Germanien-Deutschlands geäußert haben. Es fehlt nicht die seit Aeneas Silvius D Piccolominis ‘Europa’ topische Kritik an der Spärlichkeit einschlägiger Informationen zur Germania bei den antiken Autoren. Unter den Autoren der Gegenwart, die um die deutsche Landeskunde verdient sind, hebt I. insbesondere Konrad J Peutinger und Konrad J Celtis hervor. Nach diesem Literaturbericht handelt Buch 1 über die germanischen Stämme und ihren Siedlungsraum in der Antike. Es herrscht die Vorstellung einer Groß-Germania, der I. nahezu alle mittel-, nord- und osteuropäischen Ethnien zurechnet. Die Themen von Buch 2 sind Herkommen, Wesen und Kultur der Germanen. Es kommt I. darauf an, das geschichtliche Alter der Germanen so hoch heraufzurücken wie möglich, und so beansprucht er mit Ps.-Berosus (Annius von Viterbo) Noah als ihren Ahnherrn (Kap. 1). Das Hauptgewicht liegt auf der Neubeurteilung der Germanen, die den Ruf moralischer und kultureller Barbarei, der an ihnen haftet, zugunsten rühmlicher Charakterzüge und Leistungen weitgehend tilgt. Mit Sorgfalt sucht I. die angebliche Inferiorität der germ.-dt. Sprache zu widerlegen, pocht ⫺ freilich anhand abstruser Etymologien ⫺ auf ihre Verwandtschaft mit dem Griechischen, setzt sie vom Italienischen als einem entarteten Latein ab. Der Entkräftung des (vornehmlich italienischen) Barbarenverdikts dient auch der die Kap. 36⫺48 umfassende Exkurs über die zeitgenössischen deutschen Gelehrten und Literaten, eine Ruhmesschau mit J Erasmus und Reuchlin an der Spitze, Luther als Erstem unter den Theologen, J Hutten unter den Dichtern. Das dritte, umfangreichste Buch gilt dem deutschen Adel und seinen Genealogien von den
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ältesten Zeiten an bis auf Maximilian, von den höchsten geistlichen und weltlichen Rängen bis zum Nürnberger Patriziat. Von 22 Geschlechtern werden Stammbaumtafeln geboten, deren Zeichnung z. T. Faltblätter beansprucht. Den Arminius erhebt I. zum Helden eines von Rom unabhängigen Reichs (Kap. 6), begründet hier gleichzeitig mit Hutten, aber selbständig den Arminius-Mythos (vgl. M¸nkler, S. 271⫺277). Auch die Translatio imperii kommt zur Sprache, in einer neuen stark modifizierten Fassung: es handele sich eher um eine Rückkehr des Imperium, da auch schon antikrömische Kaiser (Decius, Probus, Iovinianus, Maximinus u. a.) Germanen gewesen seien (Kap. 31; vgl. M¸nkler, S. 192). Die Bücher 4⫺6 sind dem Kriegswesen und ruhmvollen Waffengängen der Germanen gewidmet. Buch 4 beschreibt das ganze Spektrum ihrer kriegerischen Tüchtigkeit, ihre Bewaffnung, ihre Kampfesweise, hebt gleich auch hervor, daß sie weder von den Römern noch von anderen Völkern je besiegt worden seien. Gegenstand von Buch 5 sind die angeblich sämtlich erfolglosen Kriege der Römer gegen die Germanen von Caesar an und umgekehrt die Einfälle germanischer Stämme in das römische Reich, am Ende dazu die Abwehr der Ungarn im frühen MA und der Aufstieg des Deutschen Ordens. Buch 6 verfolgt, mit besonderem Gewicht auf der Expansion der Goten, die Kriegszüge der Völkerwanderungszeit. Die Eroberung Europas durch die germanischen Stämme steigert I. zu einem “Triumphgesang auf das besiegte Rom” (Joachimsen, S. 179). Von den landeskundlichen Büchern 7⫺12 beschreibt das siebte die Gebirge der Germania, verzeichnet Bodenschätze, Flora und Fauna. Das achte beschränkt sich ganz auf die Gewässer, Nord- und Ostsee, Flüsse, Seen, Quellen. Das neunte setzt sich mit den Namen auseinander, die sich in den Beschreibungen der Germania bei den antiken Geographen finden, sucht sie zu identifizieren und ggf. zu korrigieren. Buch 10, De mathematicali descriptione totius Germaniae, bringt Beiträge zu einer kosmographischen und astrologischen Beschreibung der Germania, zu ihrer geographischen Dimension, besonders ihrer Erstreckung nach Norden. Als letzter Teil des Werks folgt ein alphabetischer Katalog der germanisch-deutschen Stämme, Regionen, Städte und Klöster. Die Teilung des mit 32 Bll. nicht allzu umfangreichen Katalogs in die Bücher 11 (A⫺I) und 12 (L⫺Z) macht sinnfällig, daß es I. auf die Zwölfzahl der Bücher ankam.
I. hat keine fortlaufend erzählende Darstellung bieten wollen, sondern eine Stoffsammlung, die er thematisch nach den insgesamt 488 Kapiteln der Bücher 1⫺10 und nach den alphabetischen Stichwörtern der
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Bücher 11⫺12 zu rubrizieren versuchte. Sie ist aus einer beispiellosen Fülle von Quellen (weit über 300), fast ausschließlich gedruckten, gezogen, Quellen verschiedenster prosaischer und poetischer Gattungen (mehr als 250 poetische Exzerpte bis zu einem Umfang von 25 Versen), antiken Quellen und jüngsten humanistischen, die I. ohne Bedenken pari passu als Zeugen der Geschichte auftreten ließ. Empirische Geschichtsforschung an Urkunden, Inschriften, Münzen hat I. nicht betrieben und auch Landeskunde so gut wie nirgends aus eigener Anschauung geboten. Das gewaltige Material, das er aus den Büchern anderer zusammengetragen hatte, vermochte I. in begrenzter Zeit nicht angemessen zu überschauen. Die Einteilung in die 12 Bücher erbrachte keine befriedigende Ordnung. Auch den einzelnen Büchern, die zwischen 20 und 117 Kapitel umfassen, fehlen klare Gliederung und thematische Geschlossenheit. Häufig begegnen Wiederholungen, Inkongruenzen, Widersprüche. Ungeachtet dieser Mängel und mancherlei historischer Phantastereien, die Pirckheimer klar waren, urteilte er zu Recht, daß I. geleistet habe, was viele gewollt, wenige gekonnt hätten (Bl. [5]v; Pirckheimer-Br., Nr. 547). Die sprachliche Erscheinung der ‘Germ. exeg.’ hat keine humanistische Faktur. Stattdessen kehrte I. den Humanisten durch reichliche Präsentation des Griechischen heraus, versah den Druck mit einem griech. Titelepigramm aus eigener Feder und am Ende mit weiteren griech. Versen, brachte nicht selten auch Exzerpte aus griech. Schriftstellern in der Originalsprache (vgl. Ludwig). Der schon früh einsetzenden Kritik (Pirckheimer, Melanchthon) suchte I. noch am Ende des Drucks selber mit der weitschweifigen ‘Oratio protreptica’ zu begegnen (Bl. Q iiiir⫺[R6]v). Nach Erscheinen des Werks wurden die Urteile schärfer. Vernichtend fiel das des Erasmus aus (Op. epist., Nr. 877). J Mutian erkannte zwar an, daß I. mit seinem Projekt als einziger Celtis’ Spuren gefolgt sei, äußerte im übrigen aber eher spöttisches Lob (Mutian-Br., Nr. 594). Beatus J Rhenanus und J Aven-
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tin waren sich in ihrer Ablehnung einig (Rhenanus-Br., Nr. 243 u. 246). Die Urteile Späterer (vgl. Cordes, 1966, S. 139⫺141), bes. des Hg.s der Aufl. 1728, sparten dagegen nicht mit Respekt. Drucke. 1. Germaniae | exegeseos volumi|na duodecim a | Francisco Irenico | Ettelingiacensi | exarata […]. Hagenau: Th. Anselm, Aug. 1518. VD 16, F 2815. ⫺ 2. Germaniae exe⫽|geseos Volumina duodecim, | a Francisco Irenico Ette-|lingiacensi exarata […]. Basel 1567. VD 16, F 2816. Von I.’ Sohn Paul besorgte und erheblich redigierte Neuausg., dem Straßburger Rat gewidmet (8. Aug. 1567); beiseite blieben die ‘Oratio protreptica’, Celtis’ ‘Norimberga’ und das gesamte Beiwerk des Erstdrucks; im Haupttext fehlen etliche genealogische Tafeln mit den zugehörigen Texten, aber auch ganze Kapitel, deren Zählung in mehreren Büchern daher nicht mit der des Erstdrucks übereinstimmt. Satzidentischer ND des Zweitdrucks, nur in der Formulierung und Gestaltung des Titels sowie in der Ordnung und teilweise der Typographie des Beiwerks verändert: Frankfurt a. M. 1570. VD 16, F 2817. ⫺ 3. Francisci Irenici | Ettelingiacensis | exegesis | historiae Hermaniae | sev totivs Germaniae | descriptio […]. Hanau 1728. Die von Joh. Adam Bernhard besorgte Ausgabe kehrt bewußt zum Text der Erstausg. von 1518 zurück und bringt ihr gesamtes Textprogramm, druckt aber auch das Beiwerk des Zweitdrucks von 1567 ab; lesenswert Bernhards Praefatio ad lectorem.
B . S ch ul sc hr if te n d er Ge mm in ge n er Ze it . 1. ‘In artem poeticam et libros epistolarum Horatii annotationes’. Der von I.’ Sohn Paulus postum 1567 herausgegebene und dem Stadtrat von Heilbronn gewidmete Kommentar der ‘Ars poetica’ und der weiteren Versepisteln des Horaz setzt nach einer Vita des Dichters, die mit Zitaten aus dessen Briefen unterlegt ist, mit der Kommentierung der ‘Ars poetica’ ein. Dem Stellenkommentar gehen voran einige Bemerkungen über Ursprung und Wesen der Dichtung (mit den humanistisch geläufigen Zitaten zum Thema aus Strabo, Diodor, Platos ‘Ion’, Boccaccio) und eine kurze Inhaltsangabe der ‘Ars poetica’. Den Kommentar der übrigen horazischen Episteln leitet eine Gattungslehre des Briefs ein. I. unterscheidet vier Arten, das Genus narrativum, amatorium, didacticum und commune vel mixtum. Die Briefe
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Irenicus, Franciscus
des Horaz zählt er zum didaktischen Genus und verweist zur Begründung auf deren moralphilosophischen Gehalt. Das kommentierende Verfahren ist das gleiche wie bei der ‘Ars poetica’: Inhaltsangabe und Stellenkommentar eines jeden Briefs. Drucke. Francisci Ire⫽|nici Ettelengiacensis | in artem poeticam et libros e-|pistolarum Horatij Annotationes doctissimae, | per Paulum Irenicum Badensem filium sum-|ma diligentia collectae […]. Frankfurt a. M.: Georg Rabe, Siegm. Feyerabendt u. Wiegand Hahns Erben, 1567. VD 16, H 4908. Der Druck wurde satzidentisch wiederholt als Anhang der im selben Jahr und in derselben Verlagsdruckerei erschienenen Gesamtausg. des Horaz: Q. Horatii | Flacci Venv⫽|sini, poetae lyrici, poe| mata, quae extant omnia […] ac doctissimis Francisci Irenici, in ar-|tem Poeticam, et libros Epistolarum, | annotationibus […] il-|lustrata […]. VD 16, H 4868.
2. ‘Grammatica’. I. hat seine ‘Grammatica’, als deren Aufgabe sein Sohn Paul als Hg. die Vermittlung der primi sermonis latini rudimenta angibt, ausdrücklich nach dem Vorbild von Melanchthons Elementargrammatik verfaßt. Er hielt sie im Vergleich mit anderen für die geeignetste (Bl. 13v), hat sie freilich wegen Melanchthons sehr strikter Kürze beständig aus den antiken Grammatikern angereichert, aber auch neue humanistische Lehrbücher herangezogen; die jüngsten, die er nennt, sind J Heinrichmanns und J Cochlaeus’ Grammatiken. Melanchthons traditionellem Grammatikentwurf folgend behandelt I. Orthographia, Etymologia, Syntaxis, Prosodia, bringt darüber hinaus einleitend eine auf Aristoteles fußende Wissenschaftslehre, die indes auch von einer spätscholastischen Hand stammen könnte. Schon in der Einleitung fällt auf, daß er sich bei seinen eigenen Beiträgen, ähnlich wie in der ‘Germ. exeg.’, immer wieder mit der Sammlung von Exzerpten begnügt, ohne diese einem Konzept zu integrieren. Von den Quellen, die er angibt (vgl. die Listen Bl. 11v⫺13r), ist keine jünger als 1520. Demnach wird er die ‘Grammatica’ schon in den ersten Jahren seines Unterrichts in Gemmingen abgeschlossen haben. Druck. Grammatica | Francisci Irenici | Ettelengiacensis, olim ab | eo collecta, atque in usum
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Iuuentutis & rudiorum conscripta: nunc autem per Paulum Irenicum filium | primu`m in lucem aedita. Frankfurt a. M.: Georg Corvinus, Sigm. Feyerabend u. Erben Wigand Gallus, 1569. Literatur. A. Horawitz, Nationale Gesch. schreibung im 16. Jh., HZ 25 (1871) 66⫺101, hier S. 82⫺101; F. X. von Wegele, Gesch. d. dt. Historiographie seit d. Auftreten d. Humanismus, 1885, S. 128⫺132; O. von Hase, Die Koberger, 21885, ND 1967, S. 94⫺96; Joachimsen, Gesch.auffassung, S. 169⫺184; H. Tiedemann, Tacitus u. d. Nationalbewußtsein d. dt. Humanisten am Ende d. 15. u. Anfang d. 16. Jh.s, 1913, S. 115⫺120, 129⫺ 133 u. ö.; W. Steinhauser, Eine dt. Altertumskunde am Anfang d. 16. Jh.s, ZfdA 66 (1929) 25⫺ 30; G. Kattermann, Die Kirchenpolitik Mgf. Philipps I. von Baden (1515⫺1533), 1936, S. 12, 20, 25, 67; H. Alberts, Reuchlins Drucker Thomas Anshelm […], in: M. Krebs (Hg.), Johannes Reuchlin 1455⫺1522. Fg. seiner Vaterstadt Pforzheim, 1955, S. 205⫺234, hier S. 222 f.; G. Cordes, Die Quellen d. Exegesis Germaniae des F. I. u. sein Germanenbegriff, Diss. Tübingen 1966; L. Reimer, Reichsregierung u. Reformation in Esslingen, Esslinger Studien 11 (1968) 226⫺240; F. L. Borchardt, German antiquity in renaissance myth, Baltimore 1971, S. 144⫺148 u. ö. (Reg.); G. Cordes, F. I. aus Ettlingen. Aus d. Leben eines Humanisten u. Reformators, Oberrhein. Studien 3 (1975) 353⫺371; J. Ride´ , L’image du germain dans la pense´e et la litterature allemandes de la rede´couverte de Tacite a` la fin du XVIe`me sie`cle, 1977, S. 352⫺358; R. Stenzel, Ettlingen vom 14.⫺ 17. Jh., 1. Halbbd., 1982, S. 140, 149 f., 158⫺161, 206 f.; H. Ehmer, Reformatorische Gesch.schreibung am Oberrhein: F. I., Kaspar Hedio, Joh. Sleidanus, in: K. Andermann (Hg.), Historiographie am Oberrhein im späten MA u. in d. Frühen Neuzeit, 1988, S.227⫺245; H. Scheible, Melanchthons Pforzheimer Schulzeit. Studien z. humanistischen Bildungselite, in: H.-P. Becht (Hg.), Pforzheim in d. frühen Neuzeit, 1989, S. 9⫺50, hier S. 31⫺35 u. ö. (Reg); A. Seeliger-Zeiss, Die Grabplatte d. F. I. in Gemmingen, Ettlinger Hefte 29 (1995) 43⫺46; G. Kiesow, Von Rittern u Predigern. Die Herren von Gemmingen u. d. Reformation im Kraichgau, 1997, S. 74⫺76; W. Ludwig, Hellas in Deutschland. Darstellungen d. Gräzistik im dt.sprachigen Raum aus d. 16. u. 17. Jh, (Berichte aus d. Sitzungen d. Joachim-Jungius-Ges. d. Wiss. 16/1), 1998, S. 14⫺27; H. M¸nkler u. a., Nationenbildung. Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistischer Intellektueller. Italien u. Dtld. (Politische Ideen 8), 1998, S. 220⫺227, 271⫺277 u. ö. (Reg.); U. Goerlitz, Humanismus u. Gesch.schreibung am Mittelrhein (Frühe Neuzeit 47), 1999, S. 47, 321 f., 368, 376, 379; A. Kohnle,
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Irenicus, Franciscus
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Reichstag und Reformation, 2001, S. 167f., 417; G. M. M¸ller, Die ‘Germania generalis’ des C. Celtis (Frühe Neuzeit 67), 2001, S. 473⫺476; D. Dr¸ll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1386⫺1651, 2002, S. 340 f.; Reuchlin-Br., Bd. 2, S. 391; D. Mertens, Die Instrumentalisierung d. ‘Germania’ d. Tacitus durch d. dt. Humanisten, in: H. Beck u. a. (Hgg.), Zur Gesch. d. Gleichung “germanisch-deutsch” (Erg.bd. z. Reallex. d. German. Altertumskunde 34), 2004, S. 38⫺101, hier S. 78, 96⫺98; S. Lorenz (Hg.), Tübinger Professorenkatalog, Bd. 1,1, 2006, S. 256, Nr. 1964.
Jakob von Gouda J Magdalius, Jakob, von Gouda
Gernot Michael M¸ller/ F. J. Worstbrock
Johannes Cubitensis J Honorius, Johannes
Jäger, Johannes J Crotus Rubeanus Johann von Staupitz J Staupitz, Johann von
K Kandelgießer, Wolfgang J Cyclopius, Wolfgang Karbach (Fabri, Carbachius), Nikolaus I . L eb en . Zu K.s Biographie liegen nur sehr wenige Zeugnisse vor. Geburts- und Todesjahr lassen sich nur annähernd bestimmen, über seine Studienjahre und die Umstände seiner akademischen Karriere weiß man fast nichts. Nachgewiesen ist er zuerst durch seine Immatrikulation an der Univ. Leipzig im SS 1503, die auch seinen Herkunftsort angibt, nach dem er sich später nannte (Nicolaus Fabri de Karbach [Unterfrk.]). Der Ort seines gesamten beruflichen Lebens, den er nicht mehr verließ, wurde Mainz. Dort ist er durch J Erasmus’ Empfehlungsschreiben in der neuen Mainzer Livius-Ausgabe (s. u. II.A.; Op. epist., Bd. 3, Nr. 919) für spätestens 1514 als humanistischer Universitätslehrer bezeugt: er lehre quinquennium iam Titum Liuium publico salario summa cum laude. Vermutlich hatte er den von Ivo J Wittich († 1507) gestifteten, wahrscheinlich zum WS 1508/09 errichteten (Steiner, S. 414) Lehrstuhl für Geschichte schon eher übernommen (zur prominenten Stellung dieses Lehrstuhls in Mainz, den Wittich “LiviusProfessur” nannte, s. Steiner, S. 417). Die Briefe 9 und 55 des im Herbst 1517 erschienenen II. Teils der J ‘Epistolae obscurorum virorum’ rechnen ihn zusammen mit J Hutten, J Huttich, Konrad Weydmann, Otto und Philipp von Pack u. a. zu jenem Mainzer Humanistenzirkel, der sich im Gasthaus ‘Zur Krone’ zu treffen pflegte, und damit zur Anhängerschaft J Reuchlins, und sie verweisen ebenfalls auf
seine Lehrtätigkeit an der Universität (legens pro scholaribus / Exponit Titum Livium …; legit in poesi). Noch im selben Jahr schrieb J Irenicus in der ‘Germaniae exegesis’ (II 43): Tota urbs [sc. Mainz] Nicol. Karbachio singularis eruditionis magistro in graecis exercitatissimo utitur. Mit seinem besonderen Interesse an Livius knüpfte K. an Wittich an. Es verband ihn aber auch mit der Offizin des Johann Schöffer, in der 1505 die große ‘Römische Historie vß Tito Livio gezogen’ erschienen war. Die besonderen Beziehungen zu Schöffer, in die K. spätestens 1516 im Zuge der Vorbereitung seiner neuen Livius-Ausgabe trat, waren von Dauer; sie zogen auch K.s Livius-Übersetzungen und Ausgaben anderer Autoren nach sich. Daß K. darüber hinaus noch als Korrektor bei Schöffer tätig geworden wäre, ist nicht zu belegen. K. neigte anscheinend in den ersten 1520er Jahren der reformatorischen Bewegung zu (s. u. II.C.2.). Er stand zu Hutten, als dieser 1520 vom Mainzer Erzbischof in Haft genommen war, und war auch mit Wolfgang Capito bekannt. Die einige Jahre spätere Zusammenarbeit mit Johann J Cochlaeus (s. u. II.C.3) läßt indes darauf schließen, daß er bei der alten Kirche blieb. Das letzte Lebenszeugnis gibt die 1533 erschienene Livius-Übersetzung; K. verdeutschte von den 1527 in Lorsch neu aufgefundenen Büchern der 5. Dekade nicht mehr als die beiden ersten ⫺ ein mögliches Indiz, daß ihm damals der Tod die Weiterführung verwehrte. I I. We rk . K. ist nicht mit eigenen Schriften, sondern allein als Editor und Übersetzer hervorgetreten. Traube (S. 23) zählt K. und
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Karbach, Nikolaus
seinen Mitarbeiter Wolfgang Angst rechtens zur ersten Philologen-Generation in Deutschland. A. Mainzer Livius-Ausgabe 1518/ 19. Unter dem 5. Mai 1516 lieh das Mainzer Domkapitel dem Drucker Johann Schöffer gegen spätere Lieferung zweier Druckexemplare eine in der Dombibliothek entdeckte alte Livius-Hs. (etwa seit den 1630er Jahren verschollen), welche die Bücher 33 (ab Kap. 17,6) bis 40 enthielt. Nach Traube war sie noch in angelsächsischer Schrift geschrieben, die in Mainz bis ins frühe 9. Jh. usuell war. Wem die Entdekkung gelang, ist unbekannt; sie bedurfte einer Kennerschaft, wie sie K. besaß, der aber in keiner seiner Äußerungen zur Sache den Mainzer Fund als den seinen reklamiert hat. Durch den neuen Codex kamen bis dahin unbekannte Teile des Livius-Textes ans Licht, etwa zwei Drittel von Buch 33 (17,6⫺49,8) und die 23 letzten Kapitel von Buch 40 (37,3⫺59,8). Als sicher darf gelten, daß Schöffer die Hs. für Zwecke einer neuen Livius-Ausgabe entlieh, und deren Vorbereitung konnte damals in Mainz nur in K.s Händen liegen. Laut Kolophon war die neue LiviusAusgabe bereits im Nov. 1518 ausgedruckt, erschien jedoch mit ihrem Beiwerk (s. u. Drucke) erst nach dem 15. März 1519. Die Ausgabe, die erste in Deutschland gedruckte Livius-Ausgabe überhaupt, war das Werk nicht allein K.s; ihm stand zumindest in der Endphase der Editionsarbeit Wolfgang Angst, seit langen Jahren bewährter Korrektor verschiedener Offizinen, als kompetenter Mitarbeiter zur Seite. Nach welchen gedruckten Textvorlagen K. und Angst gearbeitet und in welchem Maße sie diese revidiert haben, ist nicht untersucht. Ihre philologisch-kritische Aufmerksamkeit konzentrierte sich sichtbar auf die 4. Dekade, da von deren sonst bekanntem Text die Mainzer Hs., Vertreterin eines anderen Überlieferungszweigs, überaus häufig abwich. K. und Angst stellten aus den verschiedenen Überlieferungen aber nicht synkretistisch einen neuen Text der Bücher 33⫺40 her, sondern ließen ⫺ auf
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Veranlassung Schöffers, wie K. im Nachwort (Bl. Ttr) betont ⫺ die mehr als 2000 relevanten Textvarianten der offenbar schwer leserlichen Mainzer Hs. in einem Anhang abdrucken (Bl. Ttv⫺[Vu8]r unter dem Titel Annotationes). Dem erhaltenen Text des Livius sind in dieser Ausgabe die anonymen ‘Periochae’ zum gesamten Geschichtswerk des Livius als L. Flori Epitome geschlossen vorangestellt (Bl. aar⫺dd iijv). Die Mainzer Livius-Ausgabe wurde 1531 durch die von Erasmus besorgte Basler Ausgabe, die erstmals die 1527 von Simon Grynaeus in Lorsch entdeckten Bücher 41⫺45 enthielt, abgelöst. Drucke. Schöffer brachte unter demselben Kolophon zwei verschiedene Drucke heraus, die sich jedoch ausschließlich im Beiwerk und im Wortlaut des Titels unterscheiden. 1. T. Livius Pa|tavinus histo|ricus. duobus | libris auctus | cum L. Flori | epitome. indi|ce copioso. et | annotatis in | libros VII. bel|li Maced. | cum privilegio Decennii. Mainz: Joh. Schöffer, Nov. 1518. VD 16, L 2090. Titelbl.v: Druckprivileg für Joh. Schöffer, im Namen Ks. Maximilians ausgestellt von Jakob J Spiegel, 8. Dez. 1518). Bl. a ijr⫺v: Widmung Ulrichs von Hutten an den Mainzer Eb. Albrecht von Brandenburg (o. D.). Bl. a iijr: Empfehlungsschreiben des Erasmus (23. Febr. 1519; Op. epist., Nr. 919). Bl. a iijv⫺[k5]v: großes Register der Namen und Sachen. Bl. [k5]v⫺[k6]v: Wolfgang Angst an den Leser, Corrigenda, chronologische Liste der röm. Konsuln. ⫺ 2. VD 16, L 2091. Ex.: München BSB, L.impr.c.n.mss.32. Text-, typen- und zeilengleicher Titel, doch es fehlt indi|ce copioso, und statt Decennii steht ad | decennium. Titelbl.v ist das Druckprivileg ergänzt um den Nachtrag: Cautum est etiam per illustrissimum principem Ludovicum Pa-|latinum comitem Rheni, regni vicarium, ne praenominati priuilegij | robur interregni tempore maliuolentia alicuius infirmetur. Dieser Nachtrag wird nach dem Tod Maximilians (12. Jan. 1519) erfolgt sein. Die Briefe Huttens und des Erasmus sind neu gesetzt. Vor allem fehlt das große Register. ⫺ F. W. E. Roth, Die Mainzer Buchdruckerfamilie Schöffer während d. 16. Jh.s […] (ZfB Beih. 9), 1892, beschreibt S. 41 f. unter Nr. 46 ⫺ vermutlich nicht nach Autopsie ⫺ eine angebliche Variante des 2. Drucks, in der auf dem Titelbl.v statt des Druckprivilegs eine Widmung an Maximilian stehen soll. Roth nennt den Verf. dieser angeblichen Widmung nicht, nennt anderseits auch keinen Adressaten von Huttens Widmungsepistel. Seine Angaben werden irrig sein.
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B . L iv iu s- Üb er se tz un ge n. Es war für die Offizin Schöffer unumgänglich, nach den Drucken der renommierten ‘Römischen Historien uß Livio getzogen’ von 1505 und 1514 bei einer weiteren Auflage auch die neuen, durch die Mainzer Hs. bekannt gewordenen Textpartien einzubeziehen. Nichts lag näher, als den Editor K. auch für die Übersetzung zu engagieren. Livius-Übersetzung wird ohnehin zu K.s amtlicher Praxis gehört haben, denn die Magister der Mainzer Lectio historica waren verpflichtet, die römischen Geschichtsschreiber in deutscher Sprache wiederzugeben; dies geht aus einer Lektionsordnung hervor, die freilich erst aus der Zeit nach 1523 stammt (F. Herrmann, Die Mainzer Bursen […], in: J. R. Dieterich / K. Bader [Hgg.], Beiträge z. Gesch. d. Univ.en Mainz u. Gießen, 1907, S. 102 f.). K. stand dem Hause Schöffer aber nicht nur für den 1523 erschienenen ‘deutschen Livius’ zur Verfügung, sondern auch für die 1533 gedruckte Ausgabe, die um die Übersetzung der 1527 entdeckten Bücher 41⫺45 erweitert ist. Für diese Ausgabe besorgte K. allerdings nur die Übersetzung von Buch 41 und 42, die der drei übrigen übernahm ⫺ nach K.s Tod? ⫺ Jakob Micyllus. Drucke. Romische | historien | Titi liuij | mit etlichen newen Tran⫽|slationen/ so kurtzverschie⫽|nen jaren im hohen thum | Styfft zu˚ Mentz jm la⫽|tein/ erfunden/ vnd vor⫽|hyn nit mer gesehen sein. […]. Mainz: Joh. Schöffer, 1523. VD 16, L 2105. Bl. CCXXXVIII (d. i. 419!)v⫺ CCCCXXr: K.s Vorrede an den Leser (Mainz, 9. Sept. 1523); Bl. CCXXXII(d. i. 421!)r⫺CCXLVII (d. i. 436!)v K.s Übers. von 33,17,9⫺33,49,8; Bl. CCCCXIr⫺CCCCXVIII(bis)v Übers. von 40,37,3⫺ 40,59,8. ⫺ ND: Mainz, Sept. 1530. VD 16, L 2106. Titi Liuij deß | aller redtsprechsten vnnd hoche be⫽|rümptsten geschicht schreibers: Ro⫽|mische Historien mit etlichen newen translation ausz dem | Latein/ so kurtz verschinen jaren zu˚ Meyntz imm hohen | Thu˚mbstifft/ sampt nu˚n dem vierde ten theyl der Romischen Historien auß | fünff Lateinischen büchern Liuij/ jetzt newlich imm Closter (Lorß genant) | erfunden/ […] ver⫽|teutscht/ zwey durch Nicolaum Carbachium/ die ander drei durch Ja⫽|cobum Micyllum […]. Mainz: Ivo Schöffer, 28. März 1533. VD 16, L 2107. Während
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die Vorreden Schöfferlins und Wittichs aus dem Druck von 1505 erneut abgedruckt sind (Bl. Ir⫺v u. vor Bl. CC), fehlen Vorreden der Übersetzer K. und Micyllus. Bl. CCCCLIIr⫺CCCCLXXXVIIr: K.s Übers. von Buch 41 u. 42. ⫺ Sechs Mainzer NDe bis 1562; 1563 ein Straßburger ND (VD 16, L 2108⫺2114). Der Mainzer dt. Livius wurde durch die neue Gesamtübersetzung des Zacharias Müntzer, zuerst Frankfurt 1568 (VD 16, L 2115), abgelöst. C. Kleinere editorische Arbeiten. 1. M. Tul|lii Ciceronis | de finibus bo|norum et ma|lorum [...]. Mainz: Joh. Schöffer, März 1520. VD 16, C 3098. Titelbl.v: Karbach an den Leser (Mainz, 31. Okt. 1519): Er gibt den philosophischen und moralischen Schriften Ciceros Vorrang vor den rhetorischen und betrachtet ‘De finibus’ als das philosophisch grundlegende Werk, von dem aus am besten zu weiteren Schriften Ciceros fortzuschreiten sei. 2. Sancti | Prosperi presbyteri Aqui|tanici aduersus inimicos gratiae | dei libellus, in quo et de gratia, | et libero arbitrio sententia | diui Aurelij Augustini | defenditur. [...]. Mainz: Joh. Schöffer, Sept. 1524. VD 16, P 5077. Erstausgabe von Prospers von Aquitanien ‘De gratia Dei et libero arbitrio liber contra collatorem’ nach einer von K. im Benediktinerkloster Johannisberg (Rheingau) entdeckten Hs. (heute Wien, ÖNB, Cod. 317). Titelbl.v: K.s wichtiges Vorwort an den Leser (Mainz, 5. Sept. 1524). Er veröffentlichte Prospers Schrift, die gegen die Pelagianer und Cassian für Augustins Gnadenlehre streitet, als aktuellen Beitrag zur frühreformatorischen Auseinandersetzung um Luthers Theologie der Gnade und seine Verwerfung der Willensfreiheit. Als Nachweis, daß Prospers Augustinismus von den damaligen Päpsten (Innozenz I., Cölestin I., Sixtus III.) und von kirchlichen Synoden approbiert worden sei, ließ K. im Anhang entsprechende Dokumente abdrucken, darunter auf Bl. L ijr⫺v das 419 verfaßte kurze Schreiben des Aurelius von Karthago ‘De damnatione Pelagii atque Caelestii haereticorum’ an die Bischöfe der Provinzen Byzacene und Arzugitana. In einem Nachwort an den Leser versichert der Drucker Schöffer, der seinen Großvater Johann Faust und seinen Vater Peter Schöffer als die Erfinder des Buchdrucks betrachtet, das Seine dazu beizutragen, daß die Texte der in den alten Bibliotheken verstaubten Handschriften ihre Leser finden. 3. Canones apo⫽|stolorum. | veterum conci| liorum consti|tutiones. | Decreta ponti-|ficum anti⫽|quiora […]. Mainz: Joh. Schöffer, 1525. VD 16, 4272. Johannes J Cochlaeus zog für die Ausgabe der Sammlung von Canones aus den frühen Jh.en der Kirche (Codex Hadrianeus), die er im Auftrage Schöffers vorbereitete, den in der alten
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Kemener, Timan
Geschichte bewanderten K. heran, um eine korrekte Herstellung der Namen jener Provinzen und Städte, die in den Unterschriften der Konzilsteilnehmer begegnen, zu gewährleisten. Vor allem aber oblag K. die Korrektur des gesamten umfangreichen Textes. Literatur. F. Falk, Der Livius-Hg. u. Übersetzer N. Carbach zu Mainz, ZfB 4 (1887) 218⫺221; ders., Die ehemalige Dombibl. in Mainz (ZfB, Beih. 18), 1897, S. 79 f.; F. W. E. Roth, Beiträge z. Mainzer Schriftstellergesch. im 15. u. 16. Jh., Der Katholik 78 (1898) II, S. 97⫺117, 234⫺254, 342⫺ 358, 449⫺457, hier S. 352⫺358; G. Bauch, Aus d. Gesch. d. Mainzer Humanismus, in: J. R. Dieterich / K. Bader (Hgg.), Beiträge z. Gesch. d. Univ.en Mainz u. Gießen, 1907, S. 3⫺86, hier S. 76 f. u. S. 81⫺84; L. Traube, Palaeographische Forschungen, 4. Teil: Bamberger Fragmente d. vierten Dekade d. Livius, 1904, S. 21⫺26; K. Arens, Die Sprache in d. dt. Drucken Joh. Schöffers, Diss. Marburg 1917, S. 62⫺65; P. Kalkhoff, Huttens Vagantenzeit u. Untergang, 1925, S. 208⫺213; H. Grimm, in: NDB 3, 1957, S. 137 f.; H.-H. Fleischer, Anfänge hist. Forschung u. Lehre an d. kurfürstl. Univ. Mainz, in: H. Weber (Hg.), Tradition u. Gegenwart. Stud. u. Quellen z. Gesch. d. Univ. Mainz, Teil I, 1977, S. 54⫺79, hier S. 63⫺68; J. Steiner, Die Artistenfakultät d. Univ. Mainz 1477⫺1562, 1981, S. 414⫺422 u. ö. (Reg.); O. Millet, Correspondance de Wolfgang Capiton (Publications de la Bibl. Nat. et Univ. de Strasbourg VIII), Strasbourg 1982, Nr. 52 u. 108; S. von der Gˆnna, Albrecht von Brandenburg als Büchersammler u. Mäzen d. gelehrten Welt, in: F. J¸rgensmeier, Eb. Albrecht von Brandenburg (1490⫺ 1545), 1991, S. 381⫺497, hier S. 456⫺458; U. Goerlitz, Humanismus u. Gesch.schreibung am Mittelrhein (Frühe Neuzeit 47), 1999, S. 209 f. u. 368 f.
F. J. Worstbrock
Käsenbrot von Wssehrd, Augustinus J Augustinus Moravus Kemener (Kemmener, Kemner, Kemenerus, seit 1512 auch Camenerus), Timan I . L eb en . K., geb. vermutlich in den ersten 1470er Jahren in Werne a. d. Lippe (auf einem Mühlengut in der Bauerschaft Wesseln), besuchte die Schule in Deventer unter Alexander D Hegius. Am 22. Mai 1487 immatrikulierte er sich in Köln (Tym.
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Kemmer de Tremonia), wurde als Mitglied der Montanerburse am 10. Jan. 1488 Baccalaureus und am 24. März 1490 Magister. Der Unterricht bei Hegius in Deventer ist durch den Brief seines Mitschülers Peter Gymnich an K. in dessen ‘Compendium artis dialecticae’ (s. u. II.B., Bl. A iijr ) bezeugt. Auch Rudolf Agricola wird von Gymnich dort als preceptor noster bezeichnet, doch die Mitteilungen über das Studium in Heidelberg betreffen Gymnich allein. So ist auch nur Gymnich in Heidelberg durch Immatrikulation nachgewiesen (25. April 1485: Petrus Gemnich de Aquisgrani), K. nicht. Die seit Lˆffler (1908, S. 117 Anm. 1 u. S. 131 Anm. 1) aus dem Brief Gymnichs abgeleitete Annahme, K. habe zunächst in Heidelberg studiert, hat somit keinen sicheren Halt.
Im Frühjahr 1500 wurde K. als Rektor an die Domschule in Münster berufen und zu Ostern vom Domscholaster Wennemar von der Horst († 1501) eingeführt (das von K. selber im Bericht [s. u. II.D.1.] über seine Tätigkeit in Münster angegebene Datum 1500 wird neuerdings von Freit‰ger, S. 63 ff., mit Berufung auf Hamelmann und Kohl bezweifelt). Nach eigenem Bekunden (Vorrede zum ‘Doctrinale’-Kommentar, s. u. II.A.1.) hatte er zuvor bereits an mehreren anderen Schulen unterrichtet, konnte sich im übrigen aber allenfalls durch das Manuskript seines Kommentars zu den beiden ersten Teilen des ‘Doctrinale’ (D Alexander de Villa Dei [NB]) empfehlen, das noch im selben Jahr gedruckt wurde. Unter K.s Leitung kam die Münsterer Schule zu hohem Ansehen. Ihr immer wieder gerühmtes Verdienst um die humanistische Schulreform manifestierte sich nicht zuletzt in der Abschaffung des ‘Doctrinale’ samt seinen überfrachteten Kommentaren als Lehrbuch der lat. Grammatik und seine Ersetzung durch K.s neues ‘Compendium aureum’. Das Renomme´ der Domschule war ebenso wie ihrem Rektor auch seinen Mitarbeitern zu verdanken, die sämtlich in Alexander Hegius’ Schule in Deventer gegangen waren, voran dem Konrektor Johannes J Murmellius. Dieser zeigte sich als Lehrer und Literat K. bald überlegen, verbarg nicht seine Rivalität und provozierte 1506 mit seiner 6. Elegie, die den dünkelhaften Rektor und seine
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Kompendien persiflierte, das offene Zerwürfnis. Murmellius verließ 1508 die Domschule, wurde Rektor der Ludgerischule, ließ aber, unter fingierten Namen, weitere bittere Satiren auf K. folgen, den er auch wegen Plagiats bloßzustellen suchte (vgl. Bˆmer, 1895, S. 216⫺222). Reichling hat 1880 in seiner Murmellius-Monographie (S. 70 ff.) der Person K.s eine Verurteilung angedeihen lassen, die, auch zu Murmellius’ Entlastung, überscharf ausgefallen ist. Die Zeugnisse von K.s aufdringlicher Eitelkeit und Selbstgefälligkeit sind freilich nicht zu übersehen (vgl. die Vorreden seiner Schriften, bes. zum ‘Compendium naturalis philosophiae’, s. u. II.D.1.), und er hat offenbar gern auch hochgreifende Lobsprüche anderer entgegengenommen, u. a. von Joseph J Horlenius (s. die bei Detmer, S. 38, zitierten Verse) und Heinrich Scheve (In divi Brunonis […] Hecatosticha. Epistolae famliares et Carmina quaedam. Köln 1519, Bl. 17 r), anfänglich und erneut nach 1512 auch von Murmellius.
Murmellius kehrte wahrscheinlich 1512 an die Domschule zurück. Ursprünglich auf K.s Initiative, dann aber wohl maßgeblich durch Murmellius’ Vermittlung lehrte im Spätsommer und Herbst 1512 erstmals der Kölner Johannes J Caesarius an der Domschule Griechisch. Das Griechische gehörte danach fest zu ihrem Lehrplan. Über weitere Schritte K.s zum humanistischen Ausbau der Schule ist nichts bekannt. 1528 zog er sich vom Amt des Rektors zurück. Sein Nachfolger war sein Schüler und früherer Mitarbeiter Johannes Elen (Aelius). K. war Priester. Bereits 1510 ist er als Vikar an der Pfarrkirche zu Werne bezeugt (Schmitz-Kallenberg). Seit 1520 besaß er in Münster die große Pfarrei St. Lamberti. Dort machte ihm indes bald die wachsende lutherische Anhängerschaft schwer zu schaffen. 1525 sah er sich genötigt, seinen Kaplan Johannes Tant wegen offener reformatorischer Parteinahme zu entlassen. Nach Veröffentlichung einer antireformatorischen Ode (s. u. II.E.7.b) griff ihn damals der jülichsche Reformator Johannes Campanus mit einer poetischen Replik an und forderte vom Rat der Stadt Münster mit einem K. grob verunglimpfenden offenen Brief seine Absetzung als Pfarrer und Rektor (vgl. Bˆmer, 1895, S. 238−241).
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Sein schärfster Gegner wurde sein früherer Schüler Bernhard Rothmann, der künftige Prädikant der Wiedertäufer, der ihn 1532, als der Rat der Stadt beschloß, den evangelischen Predigern die Kirchen der Stadt zu übergeben, mehr oder minder gewaltsam aus der Pfarrei vertrieb. K. starb in der zweiten Jahreshälfte 1535, nach Niederwerfung der Wiedertäuferherrschaft, aber bevor er in seine Pfarrei St. Lamberti zurückkehren konnte (vgl. Huyskens). I I. We rk . K. war ein rühriger Verfasser von Lehrbüchern, die er nach humanistischen Maßstäben zu formen suchte, ohne radikal mit allen Traditionen zu brechen. Sein Schwerpunkt war die lat. Grammatik, die er als das Fundament aller Wissenschaften pries. Früh schon kam die Logik hinzu, spät die Naturphilosophie. Daneben verfaßte er eine Anzahl von Oden, die zum gesanglichen Vortrag durch seine Schüler bestimmt waren. A . G ra mm at ik . K. verfolgte als Rektor der Münsterer Domschule nicht von vornherein die Absicht, das den Grammatikunterricht beherrschende ‘Doctrinale’ abzuschaffen. Noch 1500 brachte er unter dem nicht eben bescheidenen Titel ‘Medulla aurea’ die beiden ersten Teile seines ‘Doctrinale’Kommentars und 1501 alle vier zum Druck, fügte dem 2. Teil freilich bereits eine programmatische Einlassung gegen den überkommenen Sprachunterricht bei. Die Wende bahnte sich seit 1502 mit seiner kurzgefaßten neuen Grammatik, dem ‘Compendium aureum’, an. K. stand jedoch noch einige Jahre gleichzeitig zur eigenen ‘Doctrinale’-Kommentierung als Methode des Grammatikunterrichts, ergänzte die ‘Medulla’ 1503 sogar durch das ‘Opusculum de quattuor indeclinabilium orationis partium elegantia et significatione’. Erst 1505, in den begleitenden Briefen zum 5. Druck des ‘Compendium aureum’, verabschiedete er das ‘Doctrinale’ ausdrücklich (und gleich polemisch) und verzichtete nun auch auf weitere Drucke
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seiner ‘Medulla’. Die Reform der Münsterer Domschule sollte demnach nicht punktuell auf das Jahr 1500, wie seit Reichling üblich, datiert werden; sie war auf dem grundlegenden Gebiete der lat. Grammatik erst 1505 entschieden. Als Sprachdidaktiker verharrte K. auf der Stufe der Grammatik. Die Frage, die für Murmellius und J Erasmus (‘De ratione studii’) die Leitfrage war, wie nämlich der Schüler möglichst rasch das Ziel mündlicher und schriftlicher Sprachkompetenz erreiche, beantwortete K. nicht. Um seine Leistungen als Grammatiker zu würdigen, bedürfte es eines Vergleichs zumindest mit den im Westen und Nordwesten verbreiteten grammatikalischen Werken der Zeit (Johannes D Synthen, Willem D Zenders) und ebenso mit den neuen Grammatiken Manuzios und Perottis, auf die K. seit etwa 1513 auch systematisch zugriff. 1. ‘Medulla aurea’: Kommentar zum ‘Doctrinale’. a) Kommentar zu Teil I und II. Gegen die Angabe im Titel des Drucks kamen zunächst nur die beiden ersten Teile des ‘Doctrinale’ (Formenlehre und Syntax), diese dabei beständig gekürzt auf den wesentlichen Kern (daher die Titelmetapher medulla), und K.s zugehörige Kommentare heraus. Die Kommentare, die in sich eine vollständige Grammatik liefern, sind kaum weniger ausschweifend gehalten als andere im ausgehenden 15. Jh. Doch war der Kommentator K., wie er schon im Titel betont, sehr bemüht, der überkommenen sprachlichen ‘Barbarei’ entgegenzuwirken, und zu diesem Zwecke kontrollierte er seine Lehre immer wieder an antiken Autoren und nahm auch die Hilfe u. a. von Vallas ‘Elegantiae’ und Perottis ‘Rudimenta grammatices’ in Anspruch. Jakob Faber, der Hg. von Hegius’ Schriften (Deventer 1503), hat indes über die ‘Medulla’ in einer Interpolation von Hegius’ ‘Invectiva in modos significandi’ vernichtend geurteilt. Den ersten Teil eröffnet auf Bl. A ijr⫺ A iijr eine Vorrede K.s an die Schüler (bonarum litterarum studiosis), in der er über die für alle Wissenschaft grundlegende Be-
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deutung der Grammatik handelt, Ziel und Verfahren seines Kommentars erläutert und ihn gegen die angeblich fehlerhaften und didaktisch untauglichen Kommentare anderer absetzt. Bereits hier verwirft K. bekannte Hauptwerke der mal. lat. Lexikographie, das ‘Catholicon’ des Johannes Balbi und die ‘Derivationes’ des Hugucio. Dem zweiten Teil geht auf Bl. A ijr-v eine Epistola in regiminum vires modosque significandi voran, die im Gefolge von Alexander Hegius’ ‘Invectiva in modos significandi’ die völlige Unbrauchbarkeit der modistischen Sprachlehre für Kenntnis und Erlernung der lat. Sprache brandmarkt (Abdruck der ‘Epistola’ von J. IJsewijn, Forum for Modern Language Studies 7 [1971] 316⫺318). Druck. De arte grammatica quattuor | partimu [!] Alexandri medulla | aurea iam emendata et verissimorum vocabulorum | interpretatione adaucta precipue eorum in quibus lin⫽|gua latina apud germanos longo tempore defecit Que | si diligenti reuolueris animo: quicque hactenus barbari|zantium more eructasti iam latina lingua exprimes | non minus mature quam lepide. [Deventer: Rich. Pafraet, 1500]. GW 1178. Reichling, 1893, Nr. 162. Titelbl.v: Preisendes Geleitepigramm von Johannes Murmellius (6 Dist.). Teil II mit eigener Titelseite und eigener Lagenzählung. ⫺ Ein Druck “Köln: Heinr. Quentell, ca. 1500”, den, Panzer (Ann., Bd. 1, Nr. 470) und Hain (Nr. 727) folgend, Reichling, 1893, Nr. 161, und Bˆmer, 1895, S. 186, noch ansetzten, existiert nicht.
b) Gesamtkommentar (Teil I⫺IV). In der 1501 erschienenen Gesamtausgabe der ‘Medulla aurea’ kehren die Teile I und II (Formenlehre und Syntax) des Deventerer Druckes in einer überarbeiteten Fassung wieder, das Beiwerk (Vorrede an die Schüler, ‘Epistola’ gegen die Modi significandi, Murmellius’ Epigramm) unverändert. Dem Kommentar zu Teil III (Prosodie) geht auf Bl. Aijr⫺A iijr eine Commendatio artis poetice voran. Titelbl.v: Epigramm K.s zum Lob der Poesie als der ältesten aller Artes (8 Dist.) und Epigramm des Murmellius (10 Dist.). Zu K.s Epigramm, das Murmellius später wegen seiner reichlichen Anleihen bei einem Gedicht Polizians verhöhnte, s. Bˆmer, 1895, S. 221 f.
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Dem Kommentar zu Teil IV (Akzente, grammatische und rhetorische Figuren) geht auf dem Titelbl.v eine Commendatio prosodie voran (sie hätte eher zu Teil 3 gehört und umgekehrt die Teil III vorangehende Commendatio der Dichtung zu Teil IV). Drucke. Die Teile I⫺IV der Gesamtausgabe erschienen je mit eigenem Titelblatt und eigener Lagenzählung, z. T. mit eigenem Kolophon. ⫺ Teil I: Medulla aurea de | arte grammatica quattuor partium | Alexandri/ de mendis incuria Im|pressorum admissis iam denuo castigata | et interpretatione vocabulorum verissima adaucta, | precipue eorum in quibus lingua latina apud Ger|manos longo tempore defecit. [...]. Köln: Joh. Koelhoff, 1501. VD 16, A 1790. Reichling, 1893, Nr. 167. ⫺ Teil II: Medulla aurea in | Diasinteticam Alexandri iam emendata. et fa|ciliori disposita ordine cum multis aliis notabi|libus in priori medulla omissis. Köln: Joh. Koelhoff, [1501]. VD 16, A 1790. Reichling, 1893, Nr. 167. ⫺ Teil III: Medulla Aurea in | Tertiam partem Alexan|dri ex verissimis atque probatissimis iam aucto|rum edita scriptis Qua facile quisque bonarum ar⫽| tium studiosus: metri dignitatem syllabarumque | quantitatem offendet quam verissime. [Köln: Joh. Koelhoff, 1501]. Nicht in VD 16. Reichling, 1893, Nr. 168. ⫺ Teil IV: Quarta pars Alexandri cum ve⫽|rissimis et accentuum et figurarum grammaticalium descriptio⫽|nibus Colorumque rhetoricorum annexibus. [Köln: Joh. Koelhoff], 24. Juni 1501. Nicht in VD 16. Reichling, 1893, Nr. 168. Im VD 16 sind unter A 1790 ⫺ in Unkenntnis von Reichling, 1893, Nr. 168 ⫺ die im Band 4° L.lat.332 der Bayer. SB München vereinigten Teile I und II des Druckes 1501 (Reichling, Nr. 167) und die Teile III und IV des Druckes 1502 (Reichling, Nr. 172) irrig als Gesamtausgabe zusammengefaßt. Die relative Selbständigkeit und Geschlossenheit der einzelnen Teile (Titelseite, Kolophon, Lagenzählung), die in den folgenden NDen erhalten blieb, führte dazu, daß auch eher einzelne Teile als das Gesamtwerk verkauft wurden. Sämtliche erhaltenen Exemplare der ‘Medulla aurea’, die bisher bekannt sind, enthalten stets nur Teile, nie das Ganze, und in manchen Bänden sind Teile verschiedener Auflagen zusammengebunden. Die NDe: Köln: Joh. Koelhoff, 17. Jan. 1502. Reichling, 1893, Nr. 172. VD 16, A 1790 (für Teil III u. IV). ⫺ Köln: Quentell, 2. Juni 1503 (Teil I u. II), 6. Okt. 1502 (Teil III u. IV). Reichling, Nr. 1503. VD 16, A 1801. ⫺ Köln: Quentell, 6. Juni 1504. Nur Teil II. Reichling, Nr. 182*. VD
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16, A 1803. ⫺ Köln: Quentell, März 1505. Reichling, Nr. 187*. VD 16, A 1808; überarbeitete, gekürzte, häufig neuformulierte Ausgabe.
2. ‘Compendium aureum etymologiae et syntacticae grammatices’. K.s neue Grammatik, die in ihrer ersten Auflage nicht mehr als 31 Bll. umfaßt, unterrichtet in zwei Teilen über Formen und Funktionen der acht Partes orationis, im größeren ersten über ihre Flexion, im deutlich kleineren zweiten über ihre Syntax. Zwar erhebt sie im Titel ihrer ersten Auflagen den Anspruch, alles zu vermitteln, was Remigius, Donat und Alexander de Villa Dei bieten, und diese somit zu ersetzen, doch vollständig (wie Alexanders ‘Doctrinale’) ist sie nach K.s eigenen Vorstellungen nicht; es fehlen ihr, wie K. in der Peroratio zum Druck Deventer 1509 bedauert, die Prosodie und die Unterweisung im “Drechseln” von Gedichten. Um korrekte Latinität bemüht, zieht K. in Zweifelsfragen neben antiken Autoren moderne humanistische Grammatiker (Valla, Perotti, Mancinelli) bei; er verarbeitet nicht selten aber auch Formulierungen der ‘Rudimenta grammatices’ Perottis. In dessen Gefolge bedient er sich zudem der katechetischen Vermittlungsform, hält diese jedoch nicht konsequent durch. Eigentümlich ist ihm das lückenlose Zählen aller Regeln. Entstanden ist die Grammatik der Vorrede zum Druck von 1505 zufolge auf Veranlassung des Münsterer Domherrn Johannes Dobbe († 1507) als Unterrichtsbuch für seine Neffen Johannes und Gerhard. K. hat seine Grammatik mehrfach in Abständen von wenigen Jahren überarbeitet, dabei sukzessiv auch beträchtlich verändert und um mehr als das Doppelte erweitert. Die Erweiterungen und Neuerungen kamen stets hauptsächlich der Syntax zugute. Die erste Neubearbeitung bietet der Kölner Druck von 1505. Während der erste Teil (Formenlehre) nahezu unverändert wie im Erstdruck von 1502 wiederkehrt, ist die Darstellung der Syntax insgesamt nicht nur weitgehend neu formuliert, sondern auch ⫺ v. a. durch notae oder notanda ⫺ auf mehr als den doppelten
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Umfang gebracht. Zuerst in diesem Druck (und danach in allen weiteren) erscheinen auch K.s Briefe an Johannes Dobbe (Titelbl.v) und seine Neffen (am Ende des ersten Teils, Bl. D iiijr⫺v) mit der Verurteilung des ‘Doctrinale’ und dem methodischen Grundsatz der priorischen Instanz der Auctores im Namen von latinitas und elegantia vor jeder überkommenen Regel. Die Ausgabe Deventer 1513 brachte, wie schon ihr auftrumpfender Titel anzeigt und eingehend ihr Nachwort, die stärkste Neubearbeitung. K. beabsichtigte, an die wichtigen Grammatiken der Zeit durch die seine heranzuführen. Den Primat unter ihnen gab er den Grammatiken Manuzios und Perottis (nun auch mit dessen System der Verbalsyntax). Drucke. Textstufe I: 1. Compendium aureum, | Etymologie. et syntactice grammatices: pro duobus | nepotibus e questris [!] ordinis viri magistri Joannis | Dobbe vtriusque iuris interpretis eximii maiorisque | ecclesie monasteriensis canonici. Jn quo ordine etiam fa|cilime quicquid est apud Remigium Donatum at⫽|que Alexandrum comperies; […]. Deventer: Jak. de Breda, 31. Aug. 1502. 31 Bll. NK 3306. Bˆmer, 1895, S. 193. Ex.: Münster, ULB, 1 an Ink 534. Werbendes Titelepigramm (4 Hex.) von Murmellius. ⫺ 2. Deventer: Rich. Pafraet, 4. Febr. 1503. 30 Bll. NK 1271. ⫺ 3. Deventer: Rich. Pafraet, 28. Febr. 1504. 30 Bll. NK 1272. ⫺ 4. Köln: Quentell, Mitte Mai 1504. VD 16, K 720; nach Panzer, Ann., Bd. 6, S. 353. Textstufe II: 5. Compendium | aureum Etymologie et | syntactice grammatices. pro | duobus nepotibus equestris ordinis viri magistri Joannis Dobbe […]. Köln: Quentell, 1. Juni 1505. 39 Bll. VD 16, ZV 17912. Bˆmer , 1895, S. 194. Ex.: Berlin, SBPK, Ak. 221 a R (2). ⫺ 6. Köln: Quentell, 1507. Panzer, Ann., Bd. 6, S. 363. Reichling, 1900, S. 63. ⫺ 7. [veränderter Titel] Compendium | grammatices Timanni | kemeneri guernensis pro duobus | nepotibus equestris ordinis viri Joannis Dobbe […]. Köln: Quentell, 1508. 39 Bll. VD 16, ZV 8911. Textstufe III: 8. Compendium Timanni Ke|meneri Guernensis viri doctissimi, iam de inte⫽|gro recognitum. ac pluribus in locis ab eodem auctore illustratum. pro duobus nepotibus equestris ordinis viri Joannis dobbe […]. Deventer: Jakob de Breda, 28. Sept. 1509. 42 Bll. NK 3307. Ex.: Düsseldorf, ULB, 16 Ling 139. Am Ende: Peroratio (Nachwort) an den Leser. ⫺ 9. Köln: Quentell, 28. Sept. 1509. 42 Bll. VD 16, K 721. Bˆmer, 1895, S. 196. Ex.: München, Bayer. SB, 4° L.lat. 286. ⫺
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10. Compendium | Timanni Kemeneri Guernen| sis viri doctissimi. iam de inte⫽|gro recognitum. ac pluribus in locis ab eodem auc|tore illustratum […] Editio nouissima. […]. Köln: Quentell, Sept. 1510. 47 Bll. VD 16, ZV 17789. Ex.: Köln, UB, ADs 885. Textstufe IV: 11. Compendium Etymologie | et syntaxis artis grammatice Timanni Cameneri | Guernensis ab auctore rursus recognitum iam ita abso|lutum atque recognitum. pluribusque in locis ab eodem aucto|re illustratum. auctum et in eum ordinem redactum (maxime | in volumine de constructione) vt iam non huius ar|tis rudimenta solum. sed ipsam artem grammati|cam continere videatur […]. [Deventer: Theod. de Borne], 26. Sept. 1513. NK 3308. Bˆmer, 1895, S. 197 f. Ex.: Münster, ULB (Frgm.). Am Ende: neue Peroratio. ⫺ 12. Köln: Quentell, 1513. 74 Bll. VD 16, K 722. Ex.: Braunschweig, StB, C 114(2) 8°. ⫺ 13. Köln: Quentell, 20. Mai 1514. Nicht in VD 16. Ex.: Paderborn, Erzbischöfl. Akad. Bibl., an Th. 6096. ⫺ 14. Münster: Tzwyvel, 30. Nov. 1515. 74 Bll. Titelepigramme von Murmellius, Joseph Horlenius (2 Dist.) und Ortwin Gratius (1 Dist.). VD 16, K 723. Bˆmer, 1895, S. 199. Haller , S. 74 f. Nr. 81. Kein Exemplar mehr auffindbar. ⫺ 15. Köln: Quentell, 1519. 68 Bll. VD 16, ZV 8913. Ex.: Trier, StB, G 473.8°.
3. ‘Opusculum de quattuor indeclinabilium orationis partium elegantia et significatione’. Als Nachtrag zur ‘Medulla aurea’ veröffentlichte K. 1503 eine ausführliche Unterweisung über die vier indeklinablen Redeteile (Adverb, Konjunktion, Präposition, Interjektion), die in der ‘Medulla’ nur kurz behandelt waren. In der Vorrede an die Schüler (bonarum artium studiosis) preist er, bevor er auf die Indeclinabilia zu sprechen kommt, ausgiebig den Nutzen sowohl der ‘Medulla’ als auch des ‘Compendium aureum’ an. Drucke. Opusculum pul|cherrimum et utilissimum de | quattuor indeclinabilium Orationis partium (quas syncathegore|maticas logici vocant) elegantia et significatione […]. [Köln]: Heinr. Quentell, 1503. VD 16, K 727. Weitere neun Drucke bis 1520: NK 1273⫺75, 3309⫺12; Deventer: Jak. de Breda, o. J. (Paderborn, Erzbischöfl. Akad. Bibl., Th. 6130); Köln: Quentell, 1508 (Münster ULB, Inc. 515). Veränderter Titel: Opusculum pulcerrimum et vtilissimum de quattuor indeclinabilibus orationis partium […] seit der Ausgabe [Deventer: Jak. de Breda, 1506].
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Kemener, Timan
B . D ia le kt ik . K. betrachtete die Ars dialecticae als die nächst der Grammatik wichtigste Schulund Wissenschaftsdisziplin und widmete ihr mehrere Lehrschriften, sämtlich Kommentare zu den ‘Summulae’ des Petrus Hispanus. Das Hauptwerk ist das ‘Compendium artis dialecticae’ von 1513 (s. u. Druck Nr. 3). Ihm ging, wie man dem vorweg (Titelbl.v) abgedruckten Brief des Ortwin J Gratius entnimmt, bereits ein ebenfalls gedrucktes ‘Compendium’ voraus, das K. nun in eine “ausgefeiltere Form gebracht” habe. Gratius’ Brief war die Antwort auf K.s Bitte um eine Begutachtung des neuredigierten Buchs. Bei dem älteren ‘Compendium’, das K. überarbeitete, wird es sich um das heute wohl verschollene Werk von 1507 (Druck Nr. 2) handeln. K.s Erstling auf dem Gebiet der Dialektik waren die ‘Commentarii familiares’ von 1505 (Druck Nr. 1). Das Hauptwerk teilt sich gemäß den sieben Traktaten der ‘Summulae’ des Petrus Hispanus und dem achten des Paulus Venetus in acht Bücher, die Ars predicabilium, Ars predicamentorum, Ars enunciationum, Ars syllogismorum, Ars demonstrationis, Ars dialecticorum, Ars sophistarum, Ars terminorum. Als Einleitung, die den wissenschaftssystematischen Ort der Dialektik anzeigen soll, wählte K. eine umfassende Wissenschaftsgliederung (Bl. A iiijv⫺Br), die dem allgemeinen scholastischen Muster entspricht, wenngleich er sich für die Dreigliederung der philosophia in Physica, Ethica, Dialectica meinte auf Diogenes Laertios berufen zu sollen. Der Divisio philosophie folgt noch eine Einweisung in die Septem artes liberales und die Artes mechanicae. K. eignete das Werk dem an der bischöfl. Kurie in Münster tätigen Heinrich Vering zu (23. Sept. 1513). Der Widmung geht ein an K. adressierter Brief von Peter Gymnich, dem früheren Kommilitonen, jetzt Kanonikus an der Martinikirche in Münster, voran, eine anspornende Rede über K.s Aufgaben der Schulreform im Horizont des humanstischen Aufbruchs. Drucke. 1. Commentarij familiares Timanni Kemeneri in aliquot tractatuum petri hispani per-
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loquium que [!] vetus ars appellatur. Köln: Quentell, 1505. Nach dem Short-Title Catalogue of Books Printed in the German-speaking Countries […] from 1455 to 1600 now in the British Museum, London 1962, S. 457. Nicht in VD 16. 2. Timanni Kemeneri Guernens. Compendium artis dialecticae. Widmung K.s an Heinrich Einhorn (Monoceros) aus Wesel (Münster, 1. März 1507). Nach Nordhoff, S. 154 Nr. III. Panzer , Ann., Bd. 7, S. 423. Nicht in VD 16. Kein Ex. mehr nachweisbar. 3. Compendium | artis dialectice. seu commentario|lus In tractatus Petri hispani Timanni Cameneri | Guernensis. In quo non minus docte quam erudite ea | paucis tractatur que ad hanc attinent artem | […]. Köln: Quentell, 12. Sept. 1513. VD 16, K 717. K. Lˆffler, Zwei unbekannte Veröffentlichungen westf. Humanisten, ZfB 23 (1906) 456⫺459, hier S. 458. Ex.: Wolfenbüttel, HAB, Li 6980. ⫺ Ausgabe der Briefe von Gratius und Peter Gymnich bei Lˆffler, S. 358⫺365. Dt. Übers. des Briefs von Gymnich von H. Adam bei Butzer/ Wald, S. 88⫺94. 4. K.s Hauptwerk ist in den folgenden Jahren nicht mehr als ganzes, sondern nur noch in drei Teildrucken erschienen. a) Compendii | artis dialecticae, seu com|mentarioli in Tractatus Petri Hispani, au-|ctore Timano Camenero | Guernensi, pars | prima. | De quinque uocibus siue praedicabilibus. | De Categorijs, seu praedicamentis. [Köln, um 1520]. VD 16, K 718. Der Druck enthält von den 8 Büchern des Gesamtwerks das 1. und 2. Buch. b) Compendi|um artis dialecticae,| per Timannum Camenerum Guer|nensem, quantum ad eam | attinet partem, qua agitur, | De quinque vocibus siue pre˛dicabilibus, | De arte enunciandi, | De arte syllogismorum. Köln: Servas Kruffter, 1520. VD 16, K 719. Lˆffler (wie Nr. 3), S. 459. Enthält das 1., 3. und 4. Buch des Gesamtwerks. c) Compendii | artis dialecticae, seu | Commentarioli in Tractatus Petri Hispa|ni, auctore Timanno Camenero | Guernensi, pars tertia.| De syllogismo dialectico ac locis ex quibus syl|logismus sumitur. | De syllogismo sophistico atque fallacijs, | De proprietatibus terminorum. [Köln: Euch. Cervicornus, um 1520]. Bˆmer, 1895, S. 215. Nicht in VD 16. Enthält die Bücher 6, 7 und 8 des Gesamtwerks. C. Rhetorik. Johannes J Butzbach führt im K.-Artikel seines ‘Auctarium’ ein ‘Compendium rhetorices’ an (Krafft/Crecelius, Mitt., S. 265), von dem jedoch kein Exemplar nachweisbar und das auch sonst nirgends bezeugt ist.
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Kemener, Timan
D . Nat ur ph il os op hi e. 1. ‘Compendium naturalis philosophiae’. K.s letztes, 1521 abgeschlossenes naturphilosophisches Lehrbuch ist sein umfangund stoffreichstes Werk. Sein Versuch einer umfassenden Naturkunde in fünf Büchern stützt sich großenteils auf die ‘Physica’ und weitere einschlägige Schriften des Aristoteles, kompiliert aber auch Platonisches, zieht im einzelnen Plotin, Proklos, Ps.-Dionysius Areopagita, Boethius, Plinius d. Ä. und andere antike, kaum jedoch mal. Autoren und unter den neueren spürbar nur Marsiglio Ficino heran. Ob bei K.s Aristoteles-Rezeption Faber Stapulensis eine vermittelnde Rolle spielte, ist, wie die genaue Quellenlage insgesamt, noch gänzlich ungeklärt. Mit den zeitgenössischen mathematisch-naturwissenschaftlichen Diskussionen aber hat K. keinerlei Kontakt, und ebensowenig berühren ihn die Interessen an einer neuen Geographie. K.s Horizont verharrt in spätmal. Grenzen, die er nur punktuell durch Rückgriffe auf antike Wissensüberlieferung erweitert. Buch 1 handelt über die principia, aus denen alle natürlichen Dinge bestehen und entstehen, über die causae und con-causae, über materia, forma, accidentia, natura, motus, Raum und Zeit, und über die principiorum connexa. Die Bücher 2⫺5 befassen sich mit den corpora, quae ex principiis oriuntur. Buch 2 ist zunächst, ganz anhand von Aristoteles’ ‘De caelo’, der Kosmologie gewidmet und wendet sich danach der Weltschöpfung und dem Schöpfer, dem christlichen Himmel und der Ordnung der Engel zu. Für Buch 3, De generatione et corruptione rerum naturalium, ist wiederum Aristoteles die Hauptquelle. Buch 4, De natura earum rerum, que supra nos regione aerea generantur, quales sunt cometae, pluvia, grando, ros, pruina, folgt größtenteils Aristoteles’ Meteorologie. Im 6. Kapitel, De metallis, tritt ein aus Plinius (Nat. hist. 36 u. 37) geschöpfter Katalog von ca. 220 Edelsteinen hervor. Buch 5, das umfangreichste, ist ein in 10 Kapitel geteilter Traktat über die Seele.
Gewidmet ist das ‘Compendium’ mit einer weitschweifigen und maßlos lobhudelnden Vorrede (Münster, 13. Jan. 1521) dem Eb. Jaspar von Riga; eine besondere Beziehung zu dem Adressaten, der aus dem
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Hause der Grafen von Kleve und Mark stammt, sucht K. über die in der Grafschaft Mark gelegene Stadt Kamen zu finden, auf die er hier offenbar seinen eigenen Namen zurückführt. Seit Erhard (S. 63 f.) vielzitiert ist die Vorrede wegen des selbstgefälligen, gleichwohl biographisch wichtigen Rückblicks K.s auf seine Tätigkeit an der Münsterer Domschule, mit der sie beginnt. Den Aufstieg der Schule im Zeichen ihrer humanistischen Reform schreibt K. mit zweifelhaftem Rechte ganz seiner Initiative und seinen Leistungen zu. Wenn er noch einmal die frühere verderbliche Herrschaft von Alexanders ‘Doctrinale’ beklagt, erlaubt er sich, den eigenen ‘Doctrinale’-Kommentar zu verschweigen. Druck. Compendium na|turalis philosophie | Timanni Cameneri Guernensis | In quinque volumina distributum. In quibus ferme | omnia absolutissime tractantur, de rebus naturali|bus atque vniuerso, que Aristoteles naturalis, atque | Plato illæ [!] diuinus infinitis quodammodo libris | nobis tradiderunt. | […]. Köln: Peter Quentell, 12. April 1521. Nicht in VD 16. Ex.: Münster, ULB, Inc. 744 (aus dem Besitz des Joh. J Cincinnius).
2. Vom 4. Buch des ‘Compendium’ erschien (zuvor schon?) eine Sonderausgabe, versehen mit preisenden Carmina von Joseph J Horlenius und Johannes Pering. Druck. Volumen pulcherrimum ac vti|lissimum Timanni Cameneri | wernensis de impressionibus aereis. de fon|tium et maris origine. deque metallicis | que in terre visceribus et vapore | et halitu syderum virtute pro|creantur | […]. O.O.u.D. Nicht in VD 16. Ex.: Münster, Landesmuseum, SNA 35 (olim N 196). Titelepigramm von Horlenius (ad studiosum lectorem Elegidion, 9 Dist.). Am Ende ein Epigramm ad lectorem (20 Hex.) von Pering.
E . O de n ( Ca rm in a s ch ol as ti ca ). K. verfaßte, soweit Entstehungszeiten den erhaltenen Drucken zu entnehmen oder aus anderen Zeugnissen erschließbar sind, zwischen 1510 und 1525 eine Anzahl von vielstrophigen Oden; sie waren vertont und zu abendlicher Stunde (tempore vespertino, so Nr. 1) von den Schülern vorzutragen. Die Oden sind jeweils mit versus intercentitii (1 oder 2 Dist.) versehen, die vermutlich refrainartig nach jeder Oden-
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Kemener, Timan
strophe zu singen waren, vielleicht von einem Chor, während der Vortrag der Ode dann einer kleineren Gruppe oder einem einzelnen Sänger oblag. Die mehrfach gewählte Thematik von Krieg und Frieden hat vermutlich Ereignisse der Zeit zum Anlaß, die aber nicht genannt werden. ⫺ Der Odenvortrag (mit Versus intercentitii) war, wie auch anonyme Stücke der Zeit belegen (Nordhoff, Nr. VI, VII), in der Domschule unter K. fester Brauch. Der Komponist der einstimmig vertonten Oden ist nicht bekannt. Die zu drei Oden in mensuraler Aufzeichnung überlieferten Melodien, denen jeweils ein kurzes instrumentales Vorspiel vorangeht, sind, anders als bei den humanistisch orientierten Komponisten der Zeit (J Tritonius, Hofheimer u. a.), unabhängig vom Versmaß gestaltet und nehmen damit im Bereich der Komposition von humanistischer Dichtung eine Sonderstellung ein. Ihre Gestaltung entspricht nach Fellerer, S. 424, den melodischen Prinzipien der Polyphonie. 1. ‘De pace et aurea etate nostri seculi’. 24 sapph. Strr., die das Ende der Schrecknisse des Krieges preisen und die Wiederkehr des Friedens und seiner Segnungen. Am Ende ein Tetrastichon Ad Pacem adhortatio, wohl Versus intercentitii wie bei den übrigen Liedern. Zu den Anleihen bei Gedichten des Johannes Antonius Campanus und des Baptista Mantuanus s. Bˆmer , 1895, S. 223⫺225. Druck. De Pace et aurea etate nostri seculi Ti/|manni Cameneri Carmen Sa/|phicum Adonium a schola|sticis Gymnasij littera|torij apud diuum | Paulum tempore ves/|pertino decan|tandum. [Münster: Laurentius Bornemann, um 1510]. VD 16, K 728. Haller, S. 77, Nr. 86. Ex.: Münster, ULB, Coll. Erh. 419.
2. ‘In detestationem dire famis’. 19 zweite asklepiadeische Strr. mit einem elegischen Distichon als Versus intercenticij. Thema: Als göttliche Strafe für den sittlichen Niedergang zerstört eine feindliche Witterung Saaten und Ernten und ruft so Hungersnöte hervor. Druck. In detestationem | dire famis Carmen Ascle-|pediadium [!] Gliconicum Timanni | Ca-
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meneri Wernensis |. [Münster: Tzwyvel, um 1515]. VD 16, K 724. Nordhoff, Nr. XVI. Haller , S. 75, Nr. 82. Titelbl.v: Noten der Odenstrophe und der Versus intercenticij. Ex.: Paderborn, Erzbischöfl. Akad. Bibl., Th 6130.
3. ‘Mortem non esse timendam’. 24 zweite asklepiadeische Strr. mit einem elegischen Distichon als versus intercenticii. Thema: Tod und Vergehen treffen nur die materielle Welt, die Seele ist unsterblich und wird nach einem frommen Leben zur ewigen Ruhe in die himmlischen Gefilde eingehen. Druck. Mortem non esse timendam | Carmine Coriambico et Gliconi|co Timanni Cameneri Guernensis | […]. Münster: Dietr. Tzwyvel, 1515. VD 16, K 726. Haller, S. 76 f., Nr. 85. Ex.: Isselburg-Anholt, Fürstl. Salm-Salmsche Bibl. Ausgabe. A. Bˆmer , Zwei unbekannte Veröffentlichungen münsterischer Humanisten, Zs. f. vaterländ. Gesch. u. Alterthumskunde 58 (1900) 145⫺150.
4. ‘In hostilem hominum nostri aevi stragem’. 24 sapph. Strr. mit einem elegischen Distichon als Versus intercentitii. Düstere Klage über die gottvergessene Sittenlosigkeit der Zeit und den Krieg mit seinen Verwüstungen. Druck. In hostilem hominum nostri | eui stragem Carmine | Sapphico adonio | Timanni Ca| meneri. Münster: Dietr. Tzwyvel, 1516. VD 16, ZV 8912. Haller, S. 77, Nr. 87. Ex.: Trier, StB, 7 an XY 128 8°. Titelbl.r⫺v: Hsl. Eintrag der Melodie der Odenstrophe und der Versus intercentitii.
5. ‘In detestationem horridi Martis’. 21 sapph. Strr. mit zwei elegischen Distichen als Versus intercentitij. Krieg wird von K. als eine Veranstaltung von Greueln betrachtet und beschrieben, dem er ab Str. 15 das Glück des Friedens entgegensetzt. Druck. In detesta⫽|tionem horridi | Martis. Et pacis op|tionem Carmen Sapphi|cum Adonium Timan/|ni Cameneri Guer/|nensis. Münster: Dietr. Tzwyvel, 1519. VD 16, K 725. Nordhoff, Nr. XV. Haller, S. 75 f., Nr. 83. Titelbl.v: Noten der Melodie der Odenstrophe und der Versus intercentitij. Ex.: Trier, StB, 3 an G 473 8°.
6. ‘De fugienda desidia’. 21 sapph. Strr. mit einem Distichon als Versus intercentitii. Thema: Warnung des Schülers vor Trägheit und Müßiggang, die
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zu Lastern und Gier nach Wohlleben führen. Mit geläufigen antiken Beispielfiguren (Sardanapalus, Heliogabal etc.). Handschrift. Münster, ULB, Coll. Erh. 419, Bl. 10v⫺12v: De fugienda desidia Carmen asclepiadium gliconicum | ad studiosam iuuentam Timanni cemeneri. Bl. 13r⫺v: Abschrift der ersten 12 Verse von einer Hand des 19. Jh.s. Abdruck der beiden ersten Strr. bei Bˆmer, 1895, S. 225. 7. Vermutlich gehören zu den Carmina scholastica in Odenform auch zwei Gedichte, die nicht mehr auffindbar oder nicht erhalten sind: a) ‘Carmen in detestationem erroris humani’. Das einzige in jüngerer Zeit noch nachgewiesene Exemplar des in Münster gedruckten Carmen befand sich in einem Sammelband der ehem. Helmstedter UB und ging von dort zu Beginn des 19. Jh.s zusammen mit anderen Bänden an die UB Göttingen, kam wieder zurück nach Helmstedt und ging dann schließlich, zwischen 1855 und 1868, an die HAB Wolfenbüttel. Der Sammelband, dem auch das Wolfenbütteler Exemplar von K.s ‘Compendium artis dialecticae’ (Sign.: Li 6980, s. o. B. Druck Nr. 3) angehörte, wurde hier aufgelöst. Seitdem ist das Exemplar des Druckes von K.s Gedicht nicht mehr auffindbar (Mitt. der HAB vom 26. Febr. 2008). Zur Bezeugung und zur Verlustgeschichte des Druckes s. Bˆmer, 1895, S. 214 f., und K. Lˆffler, ZfB 23 (1906) 458 f. b) Verschollen ist K.s um 1525 (oder eher) verfaßte antireformatorische sapph. Ode (inc.: Haeresis postquam remeavit orco), von der man einzig durch eine Notiz Hamelmanns weiß (K. Lˆffler [Hg.], H. Hamelmanns Geschichtl. Werke, Bd. 2, 1913, S. 20 f.). Bˆmer , 1895, S. 238 f., erwog, es könne das hier unter Nr. 7a) genannte ‘Carmen in detestationem erroris humani’ gemeint sein. Die Ode löste einen Streit mit Johannes Campanus aus (s. o. I.), der K. mit einem ihn parodierenden ‘Carmen Timanni Cameneri cantilenae respondens, quo Papam Antichristum cum suo Palpone depingit […]’ (Wittenberg 1526) entgegnete. Dazu Bˆmer, S. 239.
F. Herausgeber. Als Hg. eines antiken Autors hat K. sich im Unterschied zu fast allen Mitgliedern seines Kollegiums (J Horlenius, Murmellius, Pering, J Tunnicius u. a.) nur einmal versucht. Zwei Jahre nach Murmellius’ Tod (1517) ließ er dieselben drei Satiren Juvenals, die 7., 8. und 13., drucken, die Murmellius schon 1510 (VD 16, J 1243) hatte erscheinen lassen. Ob K. an seiner Ausgabe irgendein eigenes Verdienst hat, ist zweifelhaft. Der Druck in Zwolle und die poetischen Beiträge zweier Zwoller
Lehrer, die mit K. befreundet, mit Murmellius vermutlich verfeindet waren, wirft dunkle biographische Fragen auf, die hier nicht erhellt werden können. Druck. Tres satyre Ivvenalis, | selectae a viro lon|ge doctissimo Timanno Kemmenero | ab omni spurcitia uacuae. | […]. Zwolle: [Simon Corver], 20. Nov. 1519. NK 1245. Titelepigramme von Gerard Listrius und Johann Alexander von Meppen. Titelbl.v: Listrius ad Timannum Kemmenerum virum doctissimum (11 erste archilochische Strr.). Literatur. H. A. Erhard, Erinnerungen an Rudolf von Langen u. seine Zeitgenossen, Zs. f. vaterländ. Gesch. u. Alterthumskunde 1 (1838) 26⫺ 78, hier S. 40, 43 f., 46⫺48, 63⫺65; Kraft/ Crecelius, Mitt., Nr. 44; J. B. Nordhoff, Altmünsterische Drucke, Zs. f. vaterländ. Gesch. u. Alterthumskunde 34 (1876), 1. Abt., S. 149⫺170; D. Reichling, Joh. Murmellius, Sein Leben u. seine Werke, 1880, ND 1963, S. 69⫺75 u. ö. (Reg.); ders. (Hg.), Das Doctrinale d. Alexander von Villa Dei, 1893, S. XCIX⫺CI; A. Bˆmer, Der münsterische Domschulrektor T. Kemner, Zs. f. vaterländ. Gesch. u. Alterthumskunde 53 (1895), 1. Abt., S. 182⫺244; Huyskens, Das Todesjahr T. K.s, ebd. 57 (1899), 1. Abt., S. 138 f.; D. Reichling, Die Reform d. Domschule zu Münster i. J. 1500 (Texte u. Forschungen z. Gesch. d. Erziehung u. d. Unterrichts in d. Landen dt. Zunge 2), 1900, bes. S. 57⫺63; H. Detmer (Hg.), Hermann Hamelmanns Geschichtl. Werke, Bd. I 1, 1902 (Reg.); K. Lˆffler (Hg.), H. Hamelmanns Geschichtl. Werke, Bd. I 3, 1908, S. 131⫺133 u. ö. (Reg.); L. Schmitz-Kallenberg, Zur Biographie d. Domschulrektors T. K., Zs. f. vaterländ. Gesch. u. Altertumskunde 76 (1918), 1. Abt., S. 244⫺247; Matr. Köln, Bd. 2, S. 214; R. Schulze, Das Gymnasium Paulinum zu Münster, 1948, S. 19 f.; W. Risse, Die Logik d. Neuzeit, Bd. 1, 1964, S. 22⫺ 24; W. Kohl, Das Domstift St. Paulus zu Münster, Bd. 1 (Germania Sacra NF 17,1), 1987, S. 493 f. u. 498 (teilw. fehlerhaft); Bd. 2 (Germania Sacra NF 17,2), 1982, S. 581; P. L. Butzer/R. Wald, Auf d. Spuren dreier um 1510 in Münster/Westf. wirkender rhein. Mathematiker, Annalen d. Hist. Vereins f. d. Niederrhein 189 (1986) 65⫺96, bes. 67 (Lit.) u. 87⫺96; B. Haller, Der Buchdruck Münsters 1485⫺1583, 1986; G.-R. Tewes, Die Bursen d. Kölner Artisten-Fakultät bis z. Mitte d. 16. Jh.s (Stud. z. Gesch. d. Univ. zu Köln 13), 1993, S. 697, 699; A. Freit‰ger, Joh. Cincinnius von Lippstadt (Westfäl. Biographien 10), 2000, S. 62⫺64, 77⫺79 u. ö. (Reg.).
F. J. Worstbrock
Kening J Pinicianus, Johannes
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Kerckmeister, Johannes
Kerckmeister, Johannes I . L eb en . Sichere Daten aus dem Lebensgang K.s sind nur aus dem Kölner Matrikelverzeichnis und den beiden von ihm publizierten Büchern bekannt.
K., in Münster um 1450 geboren, wurde nach dem Schulbesuch am 8. Mai 1466 an der Artistenfakultät der Univ. Köln immatrikuliert. Er legte am 25. Mai 1467 das Baccalaureatsexamen ab und schloß das Studium am 9. April 1470 mit dem Magisterexamen ab. Ob er danach in Köln lehrte, ist ungewiß. Im Druck seines 1485 publizierten Dramas ‘Codrus’ wird er vorgestellt als geborener Münsteraner und als Rektor des Gymnasiums: Studio et ingenio praeclarus homo [...] natu ciuis et regimine gymnasiarcha utrimque Monasteriensis (Ausg., S. 100). 1486 erscheint ebenfalls bei dem Drucker Johannes Limburg seine grammatische Schrift ‘Regule Remigii’, in der er als rector maiorum scholarum (16v), d. h. der Domschule, einen in Stufen fortschreitenden Lehrgang der Grammatik herausbringt. Danach gibt es kein festes Datum mehr; da jedoch in der Domschule 1500 Timan J Kemner als neuer Rektor sein Amt antritt (Konrektor war Johannes J Murmellius), ist sein Todesdatum um 1500 anzusetzen. Während seines Rektorats war für die Domschule der zuständige Domherr Rudolf von J Langen, namhafter Vertreter des westfälischen Frühhumanismus; K. gehört damit in die Zeit der Reorganisation des Gymnasiums von der spätmal. zur frühhumanistischen Form. Wahrscheinlich ist seine Herkunft aus der Münsterschen Familie Steinbicker, und zwar dem Zweig, der den Beinamen Kerckmeister (nach dem Amt des Kirchenvorstehers) führte; urkundlich belegt sind Magister Joh. Kericmester um 1401 u. Joh. Kericmester 1451 (Prinz, S. 198; Kirchhoff, S. 280 f.; Lassalle, S. 299 f.).
I I. We rk . 1. ‘Comedia Codri’. Nach J Wimpfelings ‘Stylpho’ von 1480 ist dieses Werk die zweite erhaltene Schulkomödie in Deutschland. Die satirische Handlung stellt zeittypisch den Gegensatz
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zwischen der alten, als barbarisch gekennzeichneten Schulgelehrsamkeit und der neuen humanistischen Ausbildung dar, zu deren Durchsetzung aufgerufen wird: Ne modo barbariem vite ac sermonis agrestis / Hauriat et suescat fracta Latina loqui [sc. discipulis] (Prol. 8 f.). Die Hauptfigur, der rückständige Lehrer Codrus aus Preußen (zum Namen: Vergil, Ecl. 7,26), verkörpert die alte Lehre; die humanistische Position wird vertreten durch einige Kölner Studenten, die den unbeholfenen Schulmann am Ende im Scherz einer Fuchsentaufe (Depositio des beanus) unterziehen. Das Stück steht zwischen Terenzimitation und Schülergesprächen. Nach Prolog und Argumentum wird in 17 Szenen (fast nur Monologe und Dialoge mit zwei redenden Personen) in Prosaform die alte und neue Lehre wie auch die Bedeutung der antiken Autoren und der entsprechenden Grammatik (nostra poetica, que vere grammatices origo et mater est, 13, 178⫺180) erörtert. Mit ihrer Sprache und Argumentationsweise sucht der Autor die Personen zu charakterisieren (vgl. J ‘Epistolae obscurorum virorum’): Latinitas, Logik und Witz stehen gegen barbaries; Götteranrufungen, klassische Zitate und Archaismen wie in der Komödie kennzeichnen die Kölner Studenten ⫺ ein bemerkenswertes Verfahren. Die Handlung ist einfach: Der Lehrer möchte mit einer Promotion in Köln seine Kompetenz und Geltung verbessern, er wird aber wegen offensichtlicher Unfähigkeit von den Studenten, die er für Magister hält, nach der Unterrichtung über die neue Lehre zu einer Scheinprüfung überredet und schließlich in der Depositio arg traktiert, so daß er unverrichteter Dinge wieder nach Hause zurückkehrt. Über Aufführungen gibt es keine Nachrichten; die Situierung des Stücks im Lebenszusammenhang und die Wendungen an das Publikum im Text (auch wenn sie TerenzAnreden imitieren) lassen sie als möglich erscheinen. Drucke. Prologus in Codrum feliciter incipit. | [...]. Münster: Joh. Limburg, [31. Okt.] 1485 (erster Druck Münsters u. Westf.s). CR 3447a; Haller, Nr. 2.
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Kitzscher, Johannes von
Ausgabe. L. Mundt, J. K., Codrus. Ein neulat. Drama aus d. Jahre 1485 (Ausg.n. dt. Lit. d. XV. bis XVIII. Jh.s., Drama 3), 1969 (zit.); dazu K. Langosch, Mlat. Jb. 6 (1970) 302 f.; J. IJsewijn, Latomus 30 (1971) 179⫺181.
2. ‘Regule Remigii’. Von März bis Aug. 1486 druckte Johannes Limburg ⫺ mit der Unterbrechung des Satzes von Rudolfs von Langen ‘Carmina’ ⫺ das Lehrbuch der lat. Sprache, das wie K.s gesamtes Wirken eine Zwischenstellung zwischen mal. Tradition und humanistischer Transformation dokumentiert: eine Zusammenstellung und Bearbeitung von Grammatiktexten (z. T. mit Lokalkolorit in den Beispielen) mit der Dominanz des Donat. Die insgesamt 120 Bll. umfassende Schrift präsentiert überwiegend in Dialogform sechs thematische Teile (die auch einzeln zu beziehen waren) als Curriculum: Regule latinitatum correcte emendateque monasterij pro fundamento scholarium a magistro Johanne kerckmestrio (54v): 1. Regule Remigii: dialogisch gefaßte Elemente der lat. Grammatik für Anfänger, orientiert am ‘De octo partibus orationis’ bzw. am ‘Donatus minor’ (1r⫺16v); 2. Einleitung und Lehrer-SchülerDialog über die Komparative, die Konjugation der unregelmäßigen Verben, die Bildung der Zeiten (17r⫺33r); 3. Octo regule puerorum über die Kongruenz von Substantiv und Adjektiv und andere elementare Kongruenzregeln, die congruitates communes, Präpositionen und entsprechende Kasus, Verben der Gemütsbewegung, die den Akkusativ oder Ablativ verlangen (33r⫺54v); 4. De figuratis constructionibus grammaticis (54v⫺69v); 5. De impedimentis latinitatis (70r⫺85v); 6. De constructionibus grammaticis und Regule orthographie et artis metrificandi (86r-119v); Schlußkolophon (120r) mit Angabe von Autor, Bestimmung des Werks, Ort, Herstellungsabschluß und Drucker.
Zitiert werden Donat, Priscian, D Alexander de Villa Dei [NB], Florista, ‘Grecismus’, Sallust, Vergil, Horaz, Terenz, Cicero, Juvenal, Statius, Valerius Maximus, die Bibel, Leonardo Bruni und Lorenzo Valla. Die Grammatik gehört in die in Münster seit der Jahrhundertmitte einsetzenden Bemühungen um modifizierte, neuen Bedürfnissen angepaßte Schulgrammatiken (D Heinricus). Das Manuale latinitatis (120r) war als verbreitetes Schulbuch er-
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folgreich mit zahlreichen Nachdrucken unter verschiedenen Titeln bis weit ins 16. Jh., besonders in den Niederlanden. Drucke. Regule Remigij emendate correcteque In | primum scholarium fundamentum Feliciter | incipiunt. […]. Münster: Joh. Limburg, 1486 (Faksimile: Genf 1968). Haller, Nr. 5. ⫺ Zehn weitere Inkunabeln, meist u. d. T. Fundamentum scolarium (nach GW-Ms.) in Köln, Kopenhagen, Hagenau, Leipzig, Deventer und Basel: Hain 13860; Cop. 2601a (Faksimile: Tre latinske Grammatikker, Kopenhagen 1979), Hain 13837; HC 13769; HC 13862; M. E. Kronenberg, Campbell’s Annales [...], Den Haag 1956, Nr. 1474a; GW-Ms. 04418 u. 0442210; HC 13773 u. Cop. 2602. Literatur. W. Schulze, Codrus. Lat. Schulkomödie aus d. Jahre 1485, Arch. f. Litt.gesch. 11 (1882) 328⫺341; Matr. Köln, Bd. 1, S. 741; J. Prinz, Münsterisches Ukb. Das Stadtarch. Münster, 1. Halbbd. 1176⫺1440, 1960, S. 198, Nr. 375, 123; H.-G. Roloff, Neulat. Drama, in: Reallexikon d. dt. Lit.gesch. 2, 21965, S. 645⫺678, S. 652; E. Droz, La premie`re re´forme scolaire a` Münster en Westphalie (1485), in: F. Schalk (Hg.) Ideen u. Formen. Fs. f. H. Friedrich, 1965, S. 61⫺78; dies., Die ‘Regule Remigii’, eine unbekannte münsterische Inkunabel aus d. Jahr 1486, in: J. Prinz (Hg.), Ex officina literaria. Beitr. z. Gesch. d. westf. Buchwesens, 1968, S. 1⫺8; A. St‰uble, Risonanze europee della commedia umanistica del Quattrocento, in: G. Verbeke / J. IJsewijn (Hgg.), The Late Middle Ages and the Dawn of Humanism outside Italy, Löwen 1972, S. 182⫺194, hier S. 184 u. 191; K.-H. Kirchhoff, Die Unruhen in Münster/Westf. 1450⫺1457, in: W. Ehbrecht (Hg.), Städt. Führungsgruppen u. Gemeinde in d. werdenden Neuzeit (Städteforsch. A 9), 1980, S. 153⫺ 312, hier S. 280 f.; B. Haller, Der Buchdruck Münsters 1485 bis 1583. Eine Bibliographie, 1986, S. 29⫺32; W. K¸hlmann, in: Killy, Lit.lex. 6, 1990, S. 284 u. 297; 500 Jahre Buchdruck in Münster. Ausstellungskat., 1991, S. 102⫺104; G. Lassalle u. a. (Hgg.), 1200 Jahre Paulinum in Münster 797⫺1997, 1997, S. 298⫺309 u. ö.
Christel Meier
Kitzscher (Kicz-, Kytz-, Kitscher, Kycker, irrig auch Ritscher), Johannes von I . L eb en . Wichtige Quellen der Biographie: Die von Lˆbe, 1874, verzeichneten Urkunden; E. Friedlaender / C. Malagola (Hgg.), Acta Nationis Germa-
nicae Universitatis Bononiensis, 1887, S. 250a u.
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Kitzscher, Johannes von
340a; der ‘Dialogus’ (Kap. 3) des Andreas J Meinhardi; die Chronik des Thomas Kantzow (hd., letzte Bearbeitung, hg. v. G. Gaebel, 1897, hier S. 360 u. 370 Anm. 1); K.s eigene Schriften, bes. die Widmungsbriefe und der erste Teil des ‘Dialogus de sacri Romani imperii rebus’. Ferner: G. C. F. Lisch, Urkunden-Slg. z. Gesch. d. Geschlechts v. Maltzan, Bd. 4, Schwerin 1852, S. 292 u. 296; Ernestinische Landtagsakten, Bd. 1: Die Landtage v. 1487⫺1532, bearb. v. C. A. H. Burkhardt (Thüring. Gesch.quellen 8,1), 1902, S. 68 u. 78; P. Kirn, Friedrich d. Weise u. d. Kirche, 1926, S. 181; H. Wiessner, Das Bistum Naumburg (Germania Sacra NF 35,1⫺2), 1998, S. 890 u. 1087. K. ist in der älteren Forschung, zuletzt von Bethke, S. 36, mit einem jüngeren Träger desselben Namens konfundiert worden, der in der sächsischen Reformationsgeschichte eine Rolle spielte.
K. gehörte einer alten meißnischen Familie an, die sich nach ihrem nordöstl. von Borna gelegenen Stammgut nannte. Er war der zweite der sieben Söhne Georgs I. († 1495), eines Lehnsmannes der Kurfürsten von Sachsen, der seit 1455 seinen Sitz als Amtmann in Großenhain hatte; 1482⫺ 88 ist er als Hauptmann B. Dietrichs IV. von Naumburg in Zeitz bezeugt. Die Beziehungen zum sächsischen Hof und zum Naumburger Bischof blieben auch für K. wichtig. Er nahm zum WS 1478/79 in Leipzig das Studium der Artes auf (Iohannes Kytzscher de Haniß [⫽ Großenhain]), wurde aber bald schon von seinem Vater zur Verwaltung des Familienbesitzes zurückgerufen. Doch fand er in dieser Aufgabe, die er als munus servile wertete, kein Genüge und ging gegen den Willen des Vaters um 1490 zur Wiederaufnahme des Studiums und zur Verfolgung eigener Lebensziele nach Italien. Er hielt sich zunächst wohl mehrere Jahre in Rom auf und fand hier Zugang zum Hof des fürstlich residierenden Kardinals Ascanio Maria Sforza (1455⫺1505); von ihm zeichnete er rückblickend im ‘Dialogus’ ein höchst zwiespältiges Porträt. In Rom muß er sich modernes humanistisches Latein und Kenntnisse ebenso neuerer wie antiker Literatur angeeignet haben. Hinweise auf Kontakte zur Akademie des Pomponius Laetus fehlen jedoch. Wenngleich erst 1496 als Naumburger Kanonikus bezeugt (Bauch, S. 289 mit Anm. 12), wird er sich bereits in Rom
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für den geistlichen Stand entschieden haben. Spätestens 1496 wandte er sich zum Abschluß seines juristischen Studiums nach Bologna. Hier gehörte er zum Schülerkreis Filippo Beroaldos d. Ä. und reüssierte durch seine Wahl zum Rektor beider Universitäten (d. h. der cis- und transalpinen Nationen) für das Studienjahr 1497/98. Beroaldo hielt ihm zum Amtsantritt die Festrede. Die Rede enthält über K.s Leben und Bildungsweg nichts. Sie macht die vielfältige Tüchtigkeit der Deutschen zum Argument für K.s Wahl zum Rektor, rühmt seine Adelsqualität und persönlichen Vorzüge, hebt auch die häufigere Beauftragung von K.s Vater als orator der sächsischen Herzöge hervor. Druck: Orationes Multifariae a Philippo Beroaldo | Editae recognitaeque cum Appendicula | Aliorum quoque oratiuncularum. [Bologna]: B. Hectoris Faelli, 1. Nov. 1500. GW 4148. Bl. [l7]r⫺m iir: Oratio habita cum Rector Germanicus iniret scholasticam prefecturam.
Am 28. April 1498 wurde K. zum Dr. iur. utr. promoviert. Damit konnte er eine Karriere als gelehrter Rat und Diplomat an einem Fürstenhof ins Auge fassen. In Bologna hatte ihn Hzg. D Bogislaw X. von Pommern kennengelernt, als er dort auf der Rückkehr von seiner Palästinareise von Rom kommend Ende Jan. 1498 Station machte. Nach Kantzows Bericht bereitete ihm K. als Bologneser Rektor einen glänzenden Empfang. Diese Begegnung muß dem Herzog Anlaß gegeben haben, K. an den Stettiner Hof zu ziehen. K. folgte dem Angebot und wird im Spätsommer 1498 in die pommerschen Dienste als orator und consultor ⫺ so tituliert ihn 1501 Vincenzo Tommai (Vincentius Ravennas) ⫺ getreten sein. Zu seiner Besoldung erhielt er die Propstei in Kolberg. 1500 bereiste er als orator des Herzogs Augsburg, vermutlich zum Reichstag. Mit der ‘Tragicocomedia’ (s. u. II.2.) empfahl er sich gleichzeitig als Hofdichter. Als Redner trat er 1503 durch die Totenrede auf die am 12. Aug. verstorbene Hzg.in Anna, die zweite Gemahlin Bogislaws, hervor. Ende 1503 jedoch verließ er Pommern und folgte ⫺ wie im gleichen Jahr schon die ihm eng befreundeten Rechtslehrer Petrus Ravennas und dessen Sohn Vincentius, die
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Kitzscher, Johannes von
von Greifswald nach Wittenberg gingen ⫺ einem Ruf Kf. Friedrichs d. Weisen und wurde dessen Sekretär und Kanzler; als solcher wird er 1507 in J Meinhardis ‘Dialogus’ genannt. Irrig ist die Mitteilung, K. sei in Wittenberg Professor der Jurisprudenz geworden (Grossmann, S. 51). Kantzow stellt K.s Weggang von Pommern in den Zusammenhang der glücklosen Fehde Hzg. Bogislaws gegen Stralsund (1503/04); K. habe unklug zu gewaltsamem Vorgehen gegen die Stadt geraten und, als sich der Mißerfolg abzeichnete, sich verabschiedet. Diese Version ist polemisch weiter ausgesponnen in der ‘Pomerania’ (hg. v. G. Gaebel, Bd. 2, 1908, S. 88⫺92 u. 95).
Auch nach dem Abschied von Pommern scheint K. noch über die Kolberger Propstei verfügt zu haben; sie wurde erst 1509 neu vergeben. In Sachsen erhielt er wohl spätestens 1505 die Propstei des St. GeorgStifts in Altenburg hinzu (Lˆbe, 1874). Eine neue Wende brachte das Jahr 1508. K. schied aus den Diensten Friedrichs d. Weisen und wurde Generalprokurator des Deutschen Ordens in Rom. 1512 beendigte er jedoch auch diese Tätigkeit, blieb dem Orden aber weiterhin verbunden. Noch im Nov. 1512 begleitete er Mgf. Kasimir von Brandenburg nach Petrikau zu Verhandlungen mit dem polnischen König Sigismund für den seit dem Thorner Frieden 1466 von Polen lehnsabhängigen Orden. In den folgenden Jahren ging er historischen Studien nach und kam dabei wohl auch mit J Spalatin in Berührung, als er von Friedrich d. Weisen die Ausleihe einer dt. Chronik erbat, die er in dessen Bibliothek gesehen hatte (vgl. den bei Bauch, S. 313 f., abgedruckten Brief K.s vom 8. Mai 1514 an Friedrich). Das Altenburger Kapitel beklagte sich 1513 über K.s ständige Abwesenheit und den fortschreitenden Verfall der Propstei. In der Tat hat K. erst um 1518, veranlaßt durch Krankheit, Altenburg als Wohnsitz gewählt und dann auch für die Restaurierung der Gebäude Sorge getragen. Er starb am 7. Juli 1521 und wurde im Naumburger Dom beigesetzt. Die Bronzetafel seines Grabmals ist erhalten (E. Schubert / J. Gˆrlitz, Die Inschriften d. Naumburger Doms u. d. Domfreiheit [Die deutschen Inschriften 6],
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1959, S. 75 f.), wurde allerdings 1997 entwendet. In K.s Familie war auch sein Bruder Friedrich ein studierter Mann, Leipziger Magister (1481), in Siena promovierter Dr. iur. utr., 1503 in Wittenberg Professor für kanonisches Recht und Propst von Allerheiligen. 1503 beauftragte Kf. Friedrich ihn und Martin Polich mit Vorbereitungen für die Errichtung einer Wittenberger Druckerei. Er starb 1508. 1492 hatte er herausgegeben: Ciceronis Paradoxa. cum | nouis commentariis. [Leipzig: Martin Landsberg, nicht vor 1492]. GW 7022. Der Kommentar stammt im wesentlichen von dem Sieneser Gelehrten Johannes Gabriel (vgl. das Nachwort Bl. [43]r).
I I. We rk . K. galt in seiner Umgebung in Deutschland als vir nostri aevi literatissimus (Kaspar Schlick in der Zuschrift zur Rede 1512, II.4.b). Er war ein belesener Mann, in seiner Bildung und als Schriftsteller von seinem Aufenthalt in Italien geprägt, aber auch ein geschätzter Redner und Diplomat. 1. ‘Dialogus de sacri Romani imperii rebus’. Der ‘Dialogus’ beginnt mit einer zunächst autobiographischen Einleitung (von K. als prima pars bezeichnet), die K.s Werdegang bis zu seinem Aufenthalt in Rom am Hofe Kardinal Ascanio Sforzas skizziert, danach seine Teilnahme an einer Jagd des Kardinals schildert; in deren Verlauf will er, einem auffällig stattlichen Hirsch folgend, in der Wildnis zu einer amönen Lichtung gelangt sein und dort, in Schlaf gefallen, einen Traum gehabt haben, dessen Inhalt der Hauptteil des ‘Dialogus’ wiedergibt. Dieser knüpft nach Form und Inhalt an verschiedene literarische Modelle und Texte an. Die wohl anstoßgebende und auch grundlegende Vorgabe lieferte das 1495 entstandene ‘Somnium’ von K.s sächsischem Landsmann J Hermansgrün: Beide Texte inszenieren ein Traumgesicht, in denen große Kaiser der Vergangenheit ihre Kritik am gegenwärtigen Zustand des Reichs vortragen, bei Hermansgrün Friedrich Barbarossa (in Gegenwart Karls und Ottos d. Gr.), bei K. Caesar und Augustus im
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Kitzscher, Johannes von
Wechselgespräch. Während Hermansgrün jedoch nach Inszenierung der Traumfiktion, die er in eine Versammlung der Reichsstände (ohne König) im Magdeburger Dom verlegt, rasch zur Sache kommt, trifft K. die Dialogpartner Caesar und Augustus in der Unterwelt an und erreicht sie und damit das Thema erst an der vorletzten Station einer ausgedehnten Jenseitswanderung; sie führt in unverkennbarer Anlehnung an Dantes ‘Divina comedia’ vom Tartarus über die elysischen Gefilde bis vor die in Kristall, Gold und Edelgestein erstrahlende Stadt, in der Gott umgeben von den Heiligen thront. Führer durch das Jenseits sind ein Engel(?) und ⫺ wie im ‘Somnium Fortunae’ des Aeneas Silvius D Piccolomini ⫺ ein überlegener philosophischer Zeitgenosse, hier der jüngst, 1494, verstorbene Giovanni Pico della Mirandola. Die Jenseitswanderung wird, sobald das Elysium erreicht ist, Geschichtsrevue: Antike Könige und Staatsmänner, Trojaner, Griechen, Karthager, sogar die Helden von Artus’ Tafelrunde kommen zu Gesicht; den größten Anteil hat die römische Geschichte, deren Gestalten bis zu Ks. Hadrian erscheinen. Zu den von K. verwendeten Nebenquellen gehören Vergils ‘Aeneis’ (Beschreibung des Tartarus und seiner Foltern), Lukians ‘Totengespräche’ (Dialog Caesar ⫺ Augustus) und, für Artus’ Tafelrunde, vermutlich Ulrich D Füetrer. Der zwischen den Gründern des römischen Kaisertums geführte Dialog über den gegenwärtigen Zustand des Reichs setzt mit der Ankunft Ks. Friedrichs III. († 1493) im Elysium ein. Augustus und Caesar unterziehen die das Reich zerrüttende Fürstenpolitik scharfer Kritik, nicht minder den moralischen Ruin der weltlichen und geistlichen Oberen, gegen deren Gier nach Geld, Luxus, jeder Art Vergnügen sie die virtus der alten Deutschen (Germanen) ausspielen. Die Brandmarkung der Misere des Reichs zielt von vornherein auf Friedrichs Sohn und Nachfolger Maximilian, beschwört implizit die von ihm erwartete Wiederherstellung von Eintracht und Ordnung im Reich. Während Augustus für Maximilians gute Anlagen noch lobende
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Worte findet, ohne doch seine charakterliche Labilität zu übersehen, zieht Caesar gänzlich in Zweifel, daß dieser ungefestigte iuuenis der königlichen Aufgabe, die gewaltigen Mißstände klug und besonnen zu beseitigen, gewachsen sei. Der König erscheint selbst als das zentrale Problem, da sogar sein Vater beklagt, daß alle Warnungen vor falschen Ratgebern nicht gefruchtet hätten und sich die Hoffnung, er werde seinem leichtfertigen Lebenswandel absagen, noch nicht erfüllt habe. Die wichtigste Aufgabe, die Maximilian für den Bestand des Reichs nach Meinung aller zu meistern hat, ist die Erneuerung der Eintracht mit den Fürsten. Man mag den ‘Dialogus’ der reichspublizistischen Literatur zuordnen, die Schilderung der Jenseitswanderung, umfangreicher als der eigentliche Dialog und als historische Revue ein eigenes Thema entfaltend, macht ihn jedoch zu einem hybriden Text. K. will ihn im Sept. 1496 während eines Badeaufenthalts in Porreta binnen drei Tagen verfaßt haben. Er legte ihn damals Beroaldo zu kritischer Durchsicht vor (s. die den Drucken beigefügten Briefe), ließ ihn gleichwohl nicht drucken. Erst die Gründung der Univ. Wittenberg gab ihm Anlaß, die Schrift zum Gebrauch im Artesstudium zu veröffentlichen, nun aber angereichert mit einem mythographischen und historisch-prosopographischen Kommentar vornehmlich zu den bei der Jenseitswanderung begegnenden Orten und Personen. Wie der Zuschrift an Friedrich d. Weisen (Torgau, 20. Juni 1504) und schon dem Titel zu entnehmen ist, betrachtete er den Kommentar, der den Umfang des Grundtextes um mehr als das Vierfache übersteigt, ihm dabei abschnittsweise eingearbeitet ist, als epithoma der römischen und nahezu aller auswärtigen Geschichte. In der kommentierten Gestalt war der ‘Dialogus’ in der Tat zu einem historischen Leitfaden für Studenten geworden. Drucke. a) Dialogus de Sacri Ro. Imperii rebus | perquam utilis cum epithomatibus historiarum ne dum | Romanarum sed | et externarum | fere omnium. | M. D. IIII. [Wittenberg: Hermann Trebelius]. VD 16, K 1097. b) Dialogus de Sa⫽| cri Ro. Imperij rebus perquam vti⫽|lis cum epi-
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Kitzscher, Johannes von
thomatibus histo|riarum nedum Romana⫽|rum sed et externarum | fere omnium. Leipzig: Melchior Lotter, [1504?]. VD 16, K 1096. ⫺ Der im VD 16 unter K 1095 nach Cop., Suppl. 1958, angeführte Druck ist ein bibliographisches Phantom. Copingers Angaben fußen nicht auf Autopsie, sind vielmehr dem Katalog der Bibl. Mazarine entnommen; das Exemplar der Pariser Bibliothek aber ist seiten-, zeilen-, buchstaben- und typenidentisch mit dem Druck VD 16, K 1096.
2. ‘Tragicocomedia’. Die von der historischen Kritik häufig als fabulöses Machwerk gescholtene ‘Tragicocomedia’ ist ein betont höfisches Spiel im Repräsentationsinteresse Hzg. Bogislaws. Es hat dessen Palästinafahrt (1496⫺ 98) und ihr spektakulärstes Ereignis zum Gegenstand, ein Seegefecht mit den Türken, das Bogislaw durch heldenhafte eigene Tat und Gottes Hilfe bestanden haben soll. Mit dem tatsächlichen Verlauf der Reise, den das Tagebuch des hzg.lichen Sekretärs Martin Dalmer verzeichnet, hat es jedoch in der Tat wenig zu schaffen. Als Ort der gesamten in zehn Szenen geteilten Handlung hat K. den pommerschen Hof gewählt. Von der Fahrt des Herzogs kommt somit keine einzige Begebenheit auf die Bühne. Man erfährt von den Ereignissen allein durch Briefe und Boten. Die Szenen 1⫺4 stellen den Entschluß und Abschied Bogislaws dar, dem der Marschall und der Kanzler vergeblich abraten und den auch die von Ängsten und unheilvollen Träumen geplagte Gattin nicht umstimmen kann. Bis in die 9. Szene steigen die Besorgnisse um das Ergehen des Herzogs quälend an. Spannung in die Szenenfolge bringt die ungleiche Informiertheit der Beteiligten. Während der Kanzler, falsch berichtet, noch einige Tage wartet, um der Herzogin möglichst gefaßt die Meldung vom vermeintlichen Tod des Gatten überbringen zu können (Szene 6⫺7), bahnt sich die glückliche Wende an: ein Bote, gehindert zunächst in der burlesken 8. Szene durch den Torwächter des Schlosses, überbringt Briefe des Herzogs, die bezeugen, daß er nach bestandener Gefahr für Leib und Leben in Sicherheit ist. Die Schilderung der dramatischen Ereignisse ⫺ Überfall einer türkischen Übermacht auf das Pilgerschiff, Bogislaws heldenhafte Gegenwehr, durch ein Wunder veranlaßte Aufgabe der Türken ⫺, bleibt dem Boten überlassen. Es folgt, wohl auch aus dem Munde des Boten, ein ausführlicher Bericht über den fürstlichen Empfang des Herzogs in Venedig, dessen
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Krönung angeblich bereits eine szenische Aufführung von Bogislaws Taten und Erlebnissen war.
Mit der Wahl eines zeitgeschichtlichen Stoffes statt einer fabula nach antikem Muster ⫺ programmatisch dazu der Prolog des Parasiten (S. 141) ⫺ schloß sich K. deutlich der ‘Historia Baetica’ (Erstdruck Rom 1493) des Carolus Verardus an (Bethke, S. 37), deren prominente Aufführung an den Ludi Romani am 21. April 1492 vor Papst Innozenz VIII. er vielleicht gesehen hat. Wie bei K. rollt schon bei Verardus der gesamte dramatische Stoff (Eroberung Granadas) in Reden und Botenberichten ab. Dramengeschichtlich betrachtet läßt K.s Schauspiel rein deklamatorische Stücke wie J Celtis’ ‘Rhapsodia’ oder J Vehus’ ‘Triumphus’ weit hinter sich. Nähere Beziehungen zu J Lochers ‘historischen Dramen’ sind nicht erkennbar. Nach der Widmung des Druckes an den jungen Hzg. Georg ist das Stück am Stettiner Hof aufgeführt worden (verkannt von Nolte, S. 160). Den Druck leitet eine Serie von Epigrammen an den Käufer, an das Buch, an den mißgünstigen Kritiker, an K. selbst ein, die zum größeren Teil von Petrus und Vincentius Ravennas verfaßt sind. K.s Zeitgenossen haben die ‘Tragicocomedia’ als getreue Darstellung von Bogislaws Palästinafahrt betrachtet. Sie ist von Johannes Bugenhagens ‘Pomerania’ (1518) und Kantzows Chroniken an bis zu Joh. Carl D‰hnerts ‘Pommerscher Bibliothek’ (3. Teil, Greifswald 1752, S. 70) unbedenklich als historische Quelle benutzt worden und wurde so zum Ausgangspunkt eines panegyrisch überhöhten Bildes Bogislaws X., das Jahrhunderte Bestand hatte (Nolte, S. 166; Konow, S. 128−130). Drucke. Tragicocomedia de iherosolomitana profec|tione Illustrissimi principis pomerani etc. Leipzig: Melchior Lotter, 1501. VD 16, K 1099. Abschrift: Clm 22104, 321r⫺329v. ND: Stettin 1594. VD 16, K 1100. Ausgabe. Konow, S. 136⫺157.
3. ‘Virtutis et Fortunae dissidentium certamen’. Das Stück besteht aus zwei Dialogszenen in Prosa mit allegorischen Figuren. Die kleinere erste, Vorspiel der zweiten, inkri-
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Kitzscher, Johannes von
miniert im Gespräch zwischen Virtus, die verfolgt, verachtet, machtlos gegen ihre Feindin Fortuna in die Wildnis geflohen ist, und ihren Töchtern Castitas und Temperantia die sittliche Verwahrlosung der Zeit, insbesondere bei Fürsten, Adel und Geistlichkeit; sie übertreffe die schlimmsten Auswüchse bei Heiden und Barbaren. Die zweite Szene läuft auf eine zum 1. Sept. 1514 anberaumte Gerichtsverhandlung vor Papst Leo X. zu, die Labor auf Wunsch seiner Mutter Virtus, um Fortuna zur Rechenschaft zu ziehen, mit großer Mühe zu erwirken vermochte. Virtus begibt sich mit ihren Töchtern zum Termin nach Rom, empfangen dort von der bescheidenen Zahl ihrer Anhängerinnen Fortitudo, Prudentia, Charitas, Modestia und Veritas. Fortuna hingegen zieht ein mit üppigem Gepränge, gefolgt von Lastern aller Art und einer unabsehbaren Schar von Kardinälen, Bischöfen, Prälaten und Prominenten des alten Rom. Fortuna plädiert vor Papst Leo selbstgewiß, pocht auf ihre Verdienste um ihn selbst und seine Vorfahren und verlangt die Auslieferung der Virtus. Diese erklärt die Verdienste, die Fortuna sich zuschreibt, umgekehrt als die ihren und verlangt die Unterbindung des maßlosen Gebarens der Gegenspielerin. Der in elf Hexameter gefaßte Richterspruch des Papstes sucht die Parteien zu versöhnen; er bestreitet eine tiefere Begründung ihrer Feindschaft. Die Klägerin Virtus bekommt ⫺ entgegen den Erwartungen, die das gesamte Stück zuvor weckte ⫺ nicht nur kein Recht, sie wird vielmehr ermahnt, auch die Gaben der Fortuna zu achten. Leos Aufforderung zur Eintracht stimmen beide Parteien zu. Das Urteil des Papstes, das, unempfindlich gegen die Klagen der Virtus über den sittlichen Zustand der Welt, pragmatisch Frieden zwischen den Parteien dekretiert, entzieht sich der argumentativen Bewältigung des Konflikts, liefert daher zu dem verbreitetsten Diskurs der Renaissance auch keinen gedanklichen Beitrag. Anlaß und Zweck des dem jungen Hzg. Johann Friedrich von Sachsen gewidmeten Stückes (Freiberg, 5. Juni 1514), das K. wiederum während eines Badeaufenthalts
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extemporiert haben will, sind schwer auszumachen. Der mit Zeilendurchschuß eingerichtete Druck und die angehängte Ode des Wittenberger Magisters Hermann Tulichius an den begabten Michael Lotter, eine Erziehungslehre in 64 sapph. Strophen, legen eine im Artesstudium geplante Verwendung nahe. Druck. Virtutis et fortu⫽|ne dissidentium cer|tamen. Leonis pontificis arbitri sententia: discussum. | Joannis de Kicscher doctoris J. U. Pre| positi Aldenburgensis etc. Dialogus. Leipzig: Melchior Lotter, 1515. VD 16, K 1101.
4. Reden. K. scheint ein begabter Redner gewesen zu sein und sich durch prominente oratorische Auftritte im Dienste seiner fürstlichen Herren einen Namen gemacht zu haben. Die erhaltenen Zeugen seiner Redegabe, die als sein besonderes Talent auch Petrus Ravennas in einem Gedicht an ihn (‘Aurea opuscula’, Köln: Quentell, 1508 [VD 16, T 1544], Bl. [F5]r) hervorhob, sind freilich spärlich. Durch Drucke bekannt wurden wohl nur zwei Reden. Von anderen weiß man allein durch den Wolfenbütteler Anonymus, der über das Œuvre K.s anscheinend verläßlicher unterrichtet war als über andere. Er nennt “Orationes ad Alexandrum papam, ad Julium quoque secundum, item ad Reges Neapolitanum, Franciae et ad omnes status Italiae et responsa singulorum, Orationes ad Venetos, item ad Regem Ungariae etc.”. Überlieferte und gedruckte Reden: a) Trauerrede auf Anna von Polen, die zweite Gemahlin Bogislaws X., die 28jährig am 12. Aug. 1503 gestorben war. Ein Exemplar des Druckes der von Vincentius Ravennas mit Widmung an Friedrich d. Weisen (28. Okt. 1503) hg. Rede, auch das von Bauch benutzte der BNU Strasbourg, ist nicht mehr nachweisbar. Zum Inhalt s. Bauch, S. 309 f. Druck. Oratio funebris […]. [Wittenberg: Nik. Marschalk, 1503].
b) Begrüßungsrede an den polnischen Kg. Sigismund am 10. Nov. 1512 in Petrikau für Mgf. Kasimir von Brandenburg in einer Mission, die zwischen Polen und dem Deutschen Orden vermitteln sollte.
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Köchlin, Michael
Druck. Oratio ad serenissimum Polo⫽|norum Regem habita Petroco⫽|uie iiij. idus Nouembris. 1512. per dominum | Joannem de Kitscher […]. Leipzig: Wolfgang Stöckel, 1513. VD 16, K 1098. Ausgabe, mit dt. Übersetzung: Lˆbe, 1895, S. 479−484.
Literatur. Wolfenbütteler Anonymus, S. 89, Nr. XCII; F. G. Freytag, Adparatus litterarius, Bd. 1, Leipzig 1752, S. 456⫺461; H. C. von der Gabelentz, Die ausgestorbenen Adelsfamilien d. Osterlandes, Mitt. d. Gesch.- u. Alterthumsforschenden Ges. d. Osterlandes 7 (1874) 271⫺306, hier S. 285 f.; J. Lˆbe, Die Pröpste d. St. Georgen-Stiftes in Altenburg, ebd. 7 (1874) 225⫺253, hier S. 247−250; ders., Ueber eine von d. Altenburger Stiftspropst J. v. K. an d. Kg. Sigismund v. Polen in Petrikau 1512 gehaltene Rede, ebd. 10 (1895) 473⫺484; ders., Nachträge z. Gesch. einiger d. ausgestorbenen Adelsfamilien d. Osterlandes, ebd., S. 484⫺532, hier S. 499⫺506; G. Bauch, Dr. J. v. K., Ein meißnischer Edelmann d. Renaissance, Neues Arch. f. sächs. Gesch. u. Altertumskunde 20 (1899) 286⫺321; Knod, Bologna, S. 253; O. Heinemann (Hg.), Johann Bugenhagens Pomerania, 1900 (ND 1986), S. XLI-XLV; H. Freytag, Dr. J. v. K. im Dienste d. Dt. Ordens, Neues Arch. f. sächs. Gesch. u. Altertumskunde 28 (1907) 117⫺ 122; C. G. Brandis, Ital. Humanisten in sächs.thüring. Landen, ZfB 46 (1929) 277⫺296, hier S. 284⫺288; W. Bethke, Die dramatische Dichtung Pommerns im 16. u. 17. Jh., 1938, S. 36⫺45; Michael, Frühformen, S. 82 f.; Michael, Drama, S. 259; Grossmann, Wittenberg, S. 51⫺53, 89 f.: C. Nolte, Fürsten u. Gesch. im Nordosten d. spätmal.en Reiches. Zur literar. Gestaltung d. Jerusalemreise Hzg. Bogislaws X. v. Pommern, in: Ch. Grell u. a. (Hgg.), Les princes et l’histoire du XIVe au XVIIIe sie`cle, 1998, S. 151⫺169; K.-O. Konow, Bogislaw-Stud. (Schr. d. J. G. Herder-Bibl. Siegerland e. V. 36), 2003, S. 103⫺157.
F. J. Worstbrock
Koch, Eoban J Hessus, Helius Eobanus Koch, Konrad J Wimpina, Konrad Köchlin (Kochlin, Coccinius), Michael I . L eb en . K., aus gerichts- und ratsfähiger Familie, wurde 1478 in Tübingen geboren (II.A.1., Bl. B vv), besuchte dort die Schule (ebd., Bl. A ijv) und die Universität (immatr. 12. März 1490, bacc. art. Sept. 1491, mag.
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art. 6. Aug. 1494; Matr. Tüb., Bd. 1, S. 79) und erhielt eine der vier Kollegiaten-Pfründen in der Artistenfakultät. Er lehrte an der Burse der Modernen, daneben studierte er Theologie bei Konrad D Summenhart und Wendelin D Steinbach, sodann auch Poesie und Rhetorik bei Heinrich J Bebel, seit dieser 1496 an die Universität berufen war. K. wurde Bebels enger Freund. 1499 verbannte K. als Rektor des Pädagogiums die Grammatik des D Alexander de Villa Dei (NB) aus dem Unterricht, mußte aber 1505 die Wiedereinführung hinnehmen (II.C.2.b). 1500 ging er zusammen mit Georg, wohl seinem jüngeren Bruder (Verse von diesem Wolfenbüttel, HAB, Cod. 789.1 Novi, Bl. 62v), nach Wien (Matr. Wien, Bd. 1, S. 278) zu Konrad J Celtis, dem er sich brieflich ankündigte (II.C.1.e). Hier wandte er sich zugleich dem Rechtsstudium zu, das er, wieder Kollegiat in Tübingen, bei Johannes J Nauclerus und Beat Widmann weiter betrieb. 1505 war er Dekan der Artistenfakultät. 1506 verlor er Amt und Pfründe infolge des bis in Stuttgarter Hofkreise getragenen Streits über eine Schrift zum Reichskirchenrecht, die von zwei Tübinger Doktoren, einem Theologen und einem Juristen, als ketzerisch inkriminiert wurde. K. war Kleriker. Die Entlassung aus der Universität bedeutete einen biographischen Bruch, der nicht rückgängig zu machen war. Selbst Ks. Maximilian blieb mit seiner 1511 an Hzg. Ulrich von Württemberg gerichteten Bitte, K. mit den Tübinger Doktoren zu versöhnen und ihm die nächste vakante Stiftspfründe in Stuttgart zu verleihen (Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Maximiliana XIV, 1511, Bl. 68), erfolglos; er beschenkte nun seinerseits K. mit einem honestum stipendium (II.C.1.b).
K. fand 1507 Anstellung als secretarius des württembergischen Adligen und habsburgischen Diplomaten Dr. Veit von Fürst. Fürst, 1493/1494 Rektor der Univ. Tübingen, trat nach 1500 als Diplomat in den Dienst Kg. Maximilians, verkaufte seinen Besitz in Schwaben, erwarb Lehengüter im Burgenland und siedelte nach Wien über. Die Legationen Fürsts, die K. in seinem zeitgeschichtlichen Werk (s. u. II.B.1.) schildert, sind die Stationen seiner eigenen Tätigkeit. Sie sind, von einer Polenmission abgesehen, Teil des
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Köchlin, Michael
Eingreifens Maximilians in Oberitalien. K.s Stationen lauten: 1508 Ungarn und Venedig, Spätsommer 1509 das kaiserliche Lager vor dem belagerten Padua, 1509/1510 Prag und Krakau, von Mai 1510 bis Februar 1511 ständige Gesandtschaft bei Papst Julius II. in Rom und bei dessen Feldzügen in Oberitalien.
Am 14. Febr. 1511 wurde Fürst im reichslehenbaren Herzogtum Modena, das Julius II. erobert hatte, mit päpstlicher Zustimmung ksl.er Statthalter; K. fungierte als Kanzler und war für die diplomatischen Berichte an den Hof zuständig. Während er in Modena von einer Erkrankung genas, verfaßte er sein zeitgeschichtliches Werk, das er im Sommer 1512 nach Tübingen mitbrachte, als er dort Erholung suchte. Am 3. Aug. 1512 verabschiedete ihn Bebel mit dem Gedicht ‘In Coccinium abeuntem’ aus der Heimat und der Welt in die Nachfolge Christi (Wien, ÖNB, Cod. 3362, Bl. 365r), so daß anzunehmen ist, daß K. sich in ein Kloster, vermutlich außerhalb Schwabens, zurückzog. Weitere Nachrichten fehlen. I I. We rk . Als K. sich 1512 nach der Übergabe seines zeitgeschichtlichen Werkes an Bebel aus der Politik und der ‘Welt’ zurückzog, war er 34 Jahre alt. Nur das vorhergehende Jahrzehnt seiner literarischen Tätigkeit von 1502 bis 1512 läßt sich überschauen. Nach Ausweis der erhaltenen Schriften und der Berichte über die von ihm selber unterdrückten und heute verschollenen Arbeiten steht das Reichsrecht im Sinne der maximilianeischen Reichsreform im Zentrum seines Interesses. K. tritt für die Stärkung der Autorität des habsburgischen Kaisers gegenüber den Reichsfürsten und für die Wahrung der Reichsrechte insbesondere in Italien und gegenüber dem Papsttum ein. Sein Reichspatriotismus ist deutlich schwäbisch-staufisch grundiert. Hierin weist K. die größte Nähe zu Nauclerus und Bebel auf. Von den sodales Necarani (II.C.2.a, Bl. CXCVIIr), die in den Beigaben der hsl. und der gedruckten Überlieferung zu Wort kommen, weiß er sich ebenso getragen wie von allen Gleich-
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gesinnten inter Suevos homines imperii studiosissimos (II.A.1., Bl. C iijr). Der biographische Bruch in der Mitte dieses Jahrzehnts wird unterfangen von der Identität der reichsrechtlichen Materie, die K. beschäftigt. In Tübingen stand sie im Zentrum seiner theoretischen Bemühungen; in Italien, im diplomatischen und politischen Amt, bestimmte sie die politische Praxis und die Diskussion der Ansprüche und leitenden Grundsätze. Neu ist die Erfahrung politischer Praxis und des Krieges. Sie machte, literarisch, aus dem Reichspublizisten einen Zeithistoriker. A . Rei ch sr ec ht li ch e S ch ri ft en . 1. ‘Apologiae duae’ und verschollene Schriften. K. wehrt sich in zwei ‘Apologien’, die er an einen ihm gewogenen Stuttgarter Kanoniker richtet (Bl. [B6]v⫺[D7]r) und mit einem Brief an den befreundeten Pfarrer Leonhard Clemens einleitet (Bl. B vv⫺[B6]v), gegen die am Stuttgarter Hof umgehende Verleumdung, er habe eine ketzerische, die Freiheiten und temporalia des Klerus in Frage stellende Schrift verfaßt, deren Widmung zudem der König abgelehnt habe. Die ‘Apologia prima’ vom 3. Jan. 1506 und die ‘Apologia secunda’ vom 24. Jan. 1506 klären den Sachverhalt auf. Demnach hat K. 1502, 24jährig, ein opusculum … de caesarea papalique potestate abgefaßt, das die Ursachen für den Niedergang des Reiches und den Ruin der Christenheit (respublica Christiana) untersuchte und das er gern dem König gewidmet hätte. Weil er aber die Schwächen des Werkes erkannte ⫺ jugendliche Heftigkeit und Mangel an Vorsicht und Gelehrsamkeit ⫺, verwarf er es. Doch durch einen Vertrauensbruch gelangte es zur Kenntnis eines Tübinger Theologen, der es für häretisch und K. für exkommuniziert erklärte. Dabei hatte K. inzwischen eine Neubearbeitung begonnen. Ihm war das Thema wichtig wegen der Funktion des Reiches als Aufhalter des Antichrist; K. beruft sich auf II Th 2 (Bl. [B7]r). Er bearbeitete den Stoff nunmehr im Kontakt mit Johannes Nauclerus umsichtiger in Form eines Dialogus de imperii iuribus in vier Büchern.
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Köchlin, Michael
Darin wurde der päpstliche Standpunkt durch Clemens (s. o.) und der kaiserliche durch Bebel vertreten, zwischen beiden hatte Caspar Hummel als amicabilis compositor zu vermitteln. Das erste Buch behandelte, ausgehend von bedeutungsschweren Kreuzregen des Jahres 1503, Aufstieg und Niedergang der Reiche und die wechselseitigen Anschuldigungen der päpstlichen und der kaiserlichen Seite geschichtlich, das zweite Buch erörterte die Abgrenzung beider Gewalten mittels der Rechte, das dritte diskutierte das Investiturproblem historisch und juristisch. Das vierte Buch, das K. pro ingressu regis Maximiliani in Italiam überschrieb, sollte mit Blick auf die kaiserlichen Rechte in Italien politische Schlußfolgerungen für die Zukunft ziehen. K. unterbrach die Ausarbeitung im März 1504 (Bl. C iijr), um sein Rechtsstudium zu vertiefen. Er plante, die Rechtswirkung der Translation des Reiches auf die Deutschen sowie die territorialen Rechte der Päpste in Italien und ihr Verhältnis zu Neapel und Sizilien zu erörtern. K. bemühte sich 1504 über Fürst um eine königliche Druckerlaubnis, weil der bereits konsultierte Drucker wegen der Brisanz der Materie darauf bestand, doch die Angelegenheit verlief sich. Um die Genehmigung einer Widmung ging es dabei nicht. K. ließ nun den Dialogus unfertig liegen. In der ‘Apologia secunda’ attackierte K. den ihn verketzernden Theologen (Jakob Lemp?) heftig. Er nennt den Namen nicht, nimmt aber Wendelin Steinbach aus. Durch die Drucklegung der Apologien hob K. den Streit auf eine neue mediale Ebene und unterminierte damit seine Stellung an der Universität erst recht. Druck. Opusculum 1506 (s. u. Druckgeschichte), Bl. B vv⫺[D7]r.
2. ‘De imperii tralatione’. Dem Druck der ‘Apologiae’ vorangestellt ist ein Brieftraktat, gerichtet an Johannes J Reuchlin, Johannes Streler (Sträler) und Heinrich Winckelhofer, die Richter des Schwäbischen Bundes, datiert aus Tübingen, den 3. März 1506. Für den Leser referiert K. den Anlaß. Die drei Richter, die seit 1503 in Tübingen tagten und stets Bebel und K. zum simposium philosophicum luden, formulier-
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ten 1506 für die Diskussion bei Tisch fünf historisch-politische Fragen, die Bebel und K. anschließend schriftlich vertieften. Im Unterschied zum fingierten ‘Dialogus de imperii iuribus’ (s. o. II.A.1.) bezeugt K.s Brieftraktat ⫺ so wie der Anfang 1506 ebenfalls in Straßburg erschienene Druck der ‘Sermones convivales’ Konrad J Peutingers (VD 16, P 2081) ⫺ die Aufnahme historisch-politischer Stoffe (an Stelle allgemeiner moralischer und literarischer) in die Praxis des humanistischen Tischgesprächs. Der Bericht darüber in Verbindung mit vertiefender Abhandlung stellt eine Neuerung dar, die angestoßen wurde durch die von Jakob J Wimpfeling in der ‘Germania’ (1501) und der ‘Epitome rerum Germanicarum’ (1505) vorgetragenen Thesen über die nationalgeschichtliche Zurechnung der älteren Geschichte des Elsasses.
K. erörtert drei der fünf diskutierten Fragen im Zusammenhang; sie betreffen die linksrheinischen Reichsgebiete überhaupt und die Translatio imperii auf die Deutschen, auch bezogen auf den angekündigten Romzug Maximilians. K. argumentiert more et stilo scholastico mit kanonistischen Autoritäten, insbesondere mit D Lupolds von Bebenburg ‘De iuribus regni et imperii’ und Nauclerus’ Chronik, beide 1506 noch ungedruckte Werke. Ungewöhnlich ist die Beiziehung der Schrift Lorenzo Vallas über die Konstantinische Schenkung verbunden mit der Aufforderung lege eum (Bl. B ijv). Sie bezieht sich auf den von K.s Drucker Grüninger gleichzeitig hergestellten anonymen Erstdruck (VD 16, V 227). Möglicherweise ist K. involviert. Schon der gegen seine erste Schrift (s. o. II.A.1.) erhobene Häresievorwurf (quod ad cleri libertatis suppressionem vel temporalium iacturam vergat) deutet auf eine Befassung mit Vallas Schrift. Drucke. Opusculum 1506 (s. u. Druckgeschichte), Bl. A iijr⫺B iiijr. ⫺ [S. Schard, Hg.], De iurisdictione, autoritate, et praeeminentia imperiali […], Basel 1566 (VD 16, S 2279), S. 717⫺ 727. ⫺ Ders., Syntagma tractatuum de imperiali iurisdictione, authoritate et praeeminentia […], Straßburg 1609, S. 426⫺431. ⫺ Ders., Sylloge historico-politico-ecclesiastica […], Straßburg 1618, S. 426⫺431. Ausgabe. Reuchlin-Br., Bd. 2, Nr. 137.
3. ‘Protestatio’ K. distanziert sich am 17. Juli 1506 von Formulierungen in den ‘Apologiae duae’
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Köchlin, Michael
und ‘De imperii tralatione’, die Anstoß erregen könnten, und behält sich die Publikation einer dritten ‘Apologia’ vor, die Namen und Lebenswandel seiner Verleumder offenbaren würde. Druck. Opusculum 1506 (s. u. Druckgeschichte), Bl. D ii[j]v⫺[D5]r. 4. Druckgeschichte von 1.⫺3. K. gab das Manuskript der ‘Apologiae’ an Grüninger, der aber weitere Texte verlangte, um einen Druck messetauglichen Umfangs zusammenzubekommen, so daß K. ‘De imperii tralatione’ und Beigaben nachreichte. Beigegeben sind Verse von Wolfgang Richard (Bl. A ijv, B vr, [D5]v), Leonhard Clemens (Bl. B vr) und Jakob J Heinrichmann (Bl. B vr, [D7]r), von letzterem auch ein Brief an Dr. Beat Widmann, K.s Lehrer, seit 1505 württ. Rat in Stuttgart (Bl. [D5]v⫺[D7]r). K. gab das Ms. an seinen Verwandten Dr. Jakob Oessler in Straßburg (Bl. A ijr⫺v) ⫺ seit 1496 Maximilians “Generalsuperintendent des Bücherwesens in ganz Deutschland” ⫺, der jedoch nähere Auskunft über den Streit verlangte und die Drucklegung monatelang verzögerte (Brief an K., Bl. [D7]v⫺[D8]r). Die Besorgung des Druckes gab Oessler an Matthias J Ringmann Philesius weiter; dieser steuerte zwar eigene Verse bei (Bl. [A]v, B iiijr⫺B vr), so sein berühmtes Vogesen-Gedicht, aber beließ K.s Prosa voller Setzfehler. Sporadische Korrekturen während des Druckvorgangs, davon eine auf der Titelseite, haben zu der irrigen Unterscheidung zweier Auflagen Anlaß gegeben. Opusculum Michaelis | Coccinij Tübingensis alias | Köchlin dicti. | De imperij a Graecis ad Germanos trala⫽|tione. In quo etiam disseritur […] | Apologiae duae eiusdem Coccinij | sese a calumniosa quorundam | infamatione defenden⫽|tis ac purgantis. | Insuper protestatio ad lectorem. Straßburg: Joh. Grüninger, [1506]. VD 16, K 1677 u. K 1678; IA *142.000.
B . H is to ri og ra ph is ch e S ch ri ft en . 1. ‘Commentarii de bello Maximiliani cum Venetis gesto’. K. hat Anfang 1512 in Modena vier Bücher commentarii de bello Imperatoris Maximiliani cum Venetis gesto aus der Perspektive und mit dem Berichtshorizont eines habsburgischen Diplomaten verfaßt. Buch I (Bl. 291r⫺304v) schildert die Ereignisse vom Konstanzer Reichstag 1507, der Kaiserproklamation in Trient und der Eröffnung des Krieges gegen Venedig bis zur Schlacht von Agnadello 1509. Zu Maximi-
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lians vergeblichen Bemühungen um Reichshilfe setzt K. eine zeitgeschichtliche Digression über den bayerischen Erbfolgekrieg (Bl. 294v⫺298v), zu den Kämpfen in Oberitalien eine geographische über die habsburgischen Erblande und Schwaben (Bl. 301r⫺304v), die ihm aber ungegliedert und zu lang gerät. ⫺ In den Büchern II (Bl. 305r⫺318r) und III (Bl. 318r⫺334v) rückt die Politik Papst Julius’ II. in den Mittelpunkt, in dessen Nähe sich Fürst und mit ihm K. seit Mitte 1510 aufhielten, zunächst in Rom (Buch II), dann in der Romagna und Emilia (Buch III). Digressionen informieren über gleichzeitiges Geschehen außerhalb Italiens (Bl. 316v⫺318r), inserieren ein Schreiben Fürsts an Maximilian, das in Anlehnung an K.s ‘De imperii tralatione’ (s. o. A.2.) einen historischen Abriß des mal. Papst-Kaiser-Verhältnisses bietet und dabei auch die ‘Donatio Constantini’ als Fälschung abweist (Bl. 326r⫺328r), und kontrastieren ⫺ als Kritik an den deutschen Fürsten ⫺ deren pompöse Hochzeitsfeiern im März 1511 in Heidelberg und Stuttgart mit den harten Kämpfen der kaiserlichen Truppen (Bl. 333r⫺334v). ⫺ Buch IV (Bl. 334v⫺360v) behandelt das turbulente militärische, diplomatische und kirchenpolitische Geschehen auf mehreren Schauplätzen in Oberitalien von Mai 1511 bis Mai 1512. Eine zweiteilige Digression (Bl. 344v⫺349r) rekapituliert das Eindringen der Franzosen in Italien und bringt es mit dem Schweizerkrieg Maximilians 1499 (Bl. 346v⫺349r) in Verbindung. Höhepunkte sind K.s Darstellung der Erstürmung Brescias (s. u. II.B.2.) und der Schlacht von Ravenna am 11. April 1512. Eine letzte, resümierende Digression gilt historisch-politischen Reflexionen über das Versagen der deutschen Fürsten (Bl. 358r⫺360v). K. fügt in die fortlaufende Darstellung der Zeitgeschichte (prosequi historiam) Exkurse (digredi) ein, die dem Leser historische und geographische Kontexte und politisch-moralische Reflexionen vermitteln. Für diese historiographische Technik, verbunden mit der Einfügung von Reden und Brief, dürfte Sallusts ‘Bellum Iugurthinum’ als Muster zeitgeschichtlicher Darstellung gedient haben. Der Vergleich mit
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Köchlin, Michael
Livius (s. u. Überlieferung d) ist abwegig. Stilistisch ist K. um Kürze bemüht. Mal. und zeitgenössische Rechts- und Ämtertermini, Titel und Namensformen behält er, obwohl sie der casta latinitas widersprechen, pro more Italorum bei. Als Quellen nutzte K. erkennbar, doch archivalisch bisher nicht identifiziert, die diplomatische, teils von K. im Dienst Fürsts stilisierte (wie II.B.2.), teils an Fürst gerichtete Korrespondenz. Die von der militärgeschichtlichen Forschung geschätzte Beschreibung der Schlacht von Ravenna gibt die Perspektive der deutschen Truppen wieder und wird auf mündliche Teilnehmerberichte zurückgeführt. Überlieferung. Die vier Bücher sind erhalten in einer zeitgenössischen Abschrift aus dem Besitz des Wiener Juristen Johannes Ambrosius Brassicanus, des Großneffen des Johannes J Brassicanus, über den sie an seine Wiener Nachkommen gelangt sein dürfte: Wien, ÖNB, Cod. 3362, Bl. 291r⫺365r (entgegen der Annahme von Unterkircher kein Autograph K.s, wie ein Vergleich mit dessen Hand in Universitätsarchiv Tübingen 15/17, Bl. 10v⫺11r u. ö. ergibt). Der Wiener Codex bietet entweder die Abschrift, die K. für Bebel hat anfertigen lassen, oder eine Kopie derselben. Vorangestellt ist ein die Übersendung begleitender Brief K.s an Bebel, Tübingen 23. Mai 1512 (Bl. 291r⫺v); am Ende angefügt sind Gedichte, zunächst zwei Mahnungen an die deutschen Fürsten, den Venedigerkrieg Maximilians zu unterstützen: a) Bl. 361r: Bebel, ‘Querela Germaniae’, 15 Dist. (zuerst 1509 in VD 16, B 1303 [JBebel II.A.1. X], Bl. m ijv; Hutten, Opera 3, S. 188). ⫺ b) Bl. 361v⫺362r: Bebel, ‘Cohortatio Germaniae’, 19 Dist. (Hutten, Opera 3, S. 189). ⫺ Sodann Gedichte auf K.: c) Bl. 362r: Bebel, ‘Ad Michaelem Coccinium apud Longobardos degentem’, 4 sapph. Strr.. ⫺ d) Bl. 362v⫺363r: Mathias Kretz (Krötz), ‘Epigramma’, 19 Dist.; K. ein Livius alter. ⫺ e) Bl. 363r⫺v: Sebastian Kefer, ‘Carmen’, 3 sapph. Strr.. ⫺ f) Bl. 363v⫺364v: Johannes Hyphanticus (Weber), ‘Carmen’, 31 Dist. ⫺ g) Bl. 364v: ders., ‘De eloquii Tübingensis columnis’ (sc. Bebel, K., Heinrichmann, Brassicanus), 6 Dist.. ⫺ h) Bl. 365r: Johannes Bemler, ‘Decastichon’. ⫺ i) Bl. 365r: Bebel, ‘In Coccinium abeuntem’, 4 Dist., Tübingen 3. Aug. 1512.
Buch IV, das längste, inhaltlich komplexeste und am besten durchgearbeitete, gaben K. oder seine Tübinger Freunde in Druck. K. widmete es Jacobus de Bannissis (Druck 1512, Bl. [A]v; 1. Juni 1512). Dank
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der Aufnahme in spätere Quellensammlungen fand es die Beachtung der Forschung (vgl. die Darstellungen von Ranke, Havemann und Oman). Drucke. Opuscülum Michaelis Coccinij Tübin|gensis: De rebus gestis in Italia: a mense Maio: anni vndecimi: | dominice natiuitatis: Supra millesimum quingentesimum | vsque ad Kalendas Maij: Anni.xij. sequentis. | In quo continetur. | […]. [Straßburg: Joh. Grüninger, 1512]. VD 16, K 1679. Die beigegebenen Gedichte Bl. [A]v sind die Nr. c und e der Hs., doch in veränderten Fassungen; Bl. [B6]r die Nr. a und b der Hs. ⫺ Coriolani Cepio| nis Dalmatae De Petri | Mocenici Imperatoris | Gestis Libri tres. |[…] Praeterea Michaelis | Coccinij Tubingensis De Bel-|lis Italicis Liber unus. Basel: Robert Winter, 1544, S. 141⫺[246]. VD 16, K 1680. ⫺ M. Freher (Hg.), Germanicarum rerum Scriptores, Bd. 2, Frankfurt 1602, S. 267⫺ 291; dass., Frankfurt 1611 und 1637. ⫺ Verbesserter Abdruck: B. G. Struve (Hg.), Rerum Germanicarum Scriptores aliquot insignes, Straßburg 1717, Bd. 2, S. 537⫺568.
2. ‘Expugnatio Brixiae’. Ranke erkannte, daß K.s Darstellung der Erstürmung Brescias durch die vereinigten französischen und kaiserlichen Truppen am 19. Febr. 1512 in den ‘Commentarii’ Buch IV (Wien, ÖNB, Cod. 3362, Bl. 352r⫺354r; Druck 1512, Bl. B ijv⫺B iijv) großenteils wörtlich einen aus Verona, den 24. Febr. 1512 datierten, an Matthäus Lang, den Leiter der kaiserlichen Italienpolitik, adressierten anonymen Bericht wiederholt. Ranke erklärte K. für den Verfasser. Dies ist durchaus wahrscheinlich, auch wenn sich ein vidi auf Veit von Fürst ⫺ ohnehin Absender der von seinem Kanzler abgefaßten Schreiben ⫺ beziehen mag. Als Quelle sind Auskünfte beteiligter Deutscher anzunehmen. Der Bericht ist sorgfältig komponiert und stilisiert. Knapp skizziert K. eingangs den politisch-militärischen Kontext und am Ende die politischen Konsequenzen der militärischen Entscheidung. In der Hauptsache stellt K. ausführlich und anschaulich die Phasen der Erstürmung und die Plünderung dar. Die Genauigkeit, mit der er die Greueltaten der Eroberer schildert, ist schwer erträglich, aber wohlkalkuliert. Was K. im Bericht dem Politiker Lang deutlich vor Augen stellt, erspart er dem
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Köchlin, Michael
Leser des Geschichtswerkes; denn dort sind die Greuel in nur einem Satz zusammengefaßt. Auch etliche der für Lang detailliert geschilderten militärischen Abläufe sind dort nur kurz dargestellt. Ebenso gilt die dort angestrebte Vermeidung mittel- oder neulat. Wörter (wie artellarii) oder ihre Umschreibung (statt bombardae: tormenta muralia seu bombardae; statt globi: tela seu globi) für den Bericht in geringerem Maße. Andere Stilisierungen, die Ranke Bebel als vermeintlichem Bearbeiter des Druckes von 1512 zuschrieb, finden sich bereits in der Wiener Hs., die Ranke nicht kannte; sie stammen also bereits von K. Drucke. ‘Expugnatio Brixiae ad episcopum Gurcensem’, in: [Caspar Hedio], Paraleipomena Rerum Memorabilium a Friderico II. usque ad Carolum V. […] (VD 16, H 932), an: Chronicum Abbatis Urspergensis, Straßburg: C. Mylius, 1537 (VD 16, B 9801), S. CCCCLXIIII ⫺ CCCCCLXVII. Hedios Vorlage ist nicht bekannt. Durch ihn hat die ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Version der ‘Expugnatio Brixiae’ so viele Druckauflagen erhalten wie die für ‘Commentarii’ Buch IV bearbeitete. ⫺ Paraleipomena […], 1538 (VD 16, H 933), S. CLI⫺CLV, an: Chronicum […] 1540. VD 16, B 9802. ⫺ Paraleipomena […],VD 16, H 934, an: Conradi a Liechtenaw Chronicum […], Basel: Peter Perna, 1569 (VD 16, B 9803), S. 441⫺444. ⫺ Paraleipomena […], an: Conradi a Liechtenaw […] Chronicon […], Straßburg 1609, S. 338⫺340.
C . B ri ef e u nd Ve rs e. 1. Namentlich adressierte Briefe. Sechs Briefe Ks. aus den Jahren 1500⫺ 1512 und zwei Antwortbriefe an ihn sind als Bestandteile seiner und Bebels Werke überliefert, ferner ein Brief in Celtis’ Briefcodex: a) an Jacobus de Bannissis 1512, wie o. II.B.1. zu Buch IV. ⫺ b) an und c) von Heinrich Bebel 1511, in: Bebel, Opusculum […] de institutione puerorum. Straßburg: M. Schürer, 1513 (VD 16, B 1095), Bl. Dd ijr⫺[Dd4]r; ⫺ d) an Bebel 1512: Wien, ÖNB, Cod. 3362, Bl. 291r⫺v. ⫺ e) an Celtis 1500, Celtis-Br. Nr. 234. ⫺ f) an Leonhard Clemens 1506, wie o. II.A.1. ⫺ g) an und h) von Jakob Oessler 1506, wie o. II.A.4. Druckgeschichte.
2. Briefe und Verse an die Leser. Drei Briefe an die Leser der Lehrbücher Bebels und Heinrichmanns informieren über
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die Reform des lat. Sprachunterrichts in Tübingen. Siehe auch unten D. Drucke. a) Heinrich Bebel, Commentaria epistolarum conficiendarum. Straßburg: Joh. Grüninger, 1506 (VD 16, B 1173), Bl. CXCVIIr⫺v; CCIv⫺ CCIIr; anschließend ‘Decastichon ad pubem Germanicam’. ⫺ b) Jacobus Heinrichmann, Grammatica. Straßburg, Joh. Grüninger, 1506 (VD 16, H 1983), Bl. A ii[j]v⫺[A4]r (mit autobiographischen Angaben; nur in dieser Aufl.).
D . E di ti on . Während ihrer Polenmission lasen die Gesandten Fürst und Dr. Johann Kuchenmeister Eutrops Römische Geschichte und veranlaßten K., in Krakau zusammen mit dem dortigen Magister Gregorius de Stawyszin die Drucklegung zu besorgen und das Werk zu empfehlen. Druck. Eutropij decem libri hi-|storiarum […]. Krakau: Joh. Haller, 20. April 1510. Titelbl.v: K. an den Leser, Krakau 15. Febr. 1510. Th. Wierzbowski, Bibliographia Polonica XV ac XVI ss., Bd. 2, Warschau 1891 (ND Nieuwkoop 1961), Nr. 861, S. 14. Ex.: München, UB, W 4 A.lat. 156. Literatur. L. v. Ranke, Geschichten d. romanischen u. germanischen Völker v. 1494 bis 1514, (1824) 31885, S. 259⫺278; Zur Kritik neuerer Gesch.schreiber, (1824) 31884, S. *121 f.; W. Havemann, Gesch. d. Kämpfe Frankreichs in Italien unter Ludwig XII., 1835, S. 354⫺419; A. Krieger, Über d. Bedeutung d. 4. Buches v. Coccinius’ Schrift ‘de bellis Italicis’ f. d. Gesch. Ks. Maximilians d. I., 1886; A. Horawitz, in: ADB 4, 1876, S. 378⫺381; Schmidt, Hist. litt., Bd. 2, S. 103 f.; Joachimsen, Gesch.auffassung, S. 98, 245 f.; Gesch. d. humanistischen Schulwesens in Württemberg, Bd. 1, 1912, S. 284 ff.; F. L. Taylor, The Art of War in Italy 1494⫺1529, Westport (Conn.) 1921 (ND 1973), S. 200 f.; L. v. Pastor, Gesch. d. Päpste, Bd. III 2, 1924, S. 796; J. Haller, Die Anfänge d. Univ. Tübingen, Bd. 1, 1927, S. 235, 237 f.; Bd. 2, 1929, S. 87* ff., 91* f., 97*, 99*; Ch. Oman, A History of the Art of War in the Sixteenth Century, London 1937, S. 138⫺150; R. Klippel, Die Aufnahme d. Schr. Lupolds v. Bebenburg im dt. Humanismus. Phil. Diss. Frankfurt a. M. 1953 (masch.), S. 93⫺97; W. Goez, Translatio imperii, 1959, S. 254; W. Kuhn, Die Studenten d. Univ. Tübingen zwischen 1477 u. 1534, 1971, S. 183; K. K. Finke, Die Tübinger Juristenfakultät 1477⫺1534, 1972, S. 158, 167, 250; W. Setz, Lorenzo Vallas Schr. gegen d. Konstantinische Schenkung, 1975, S. 94 f.; Lorenzo Valla, De falso credita et ementita Constantini donatione, ed. W. Setz (MGH Quel-
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Kopp, Wilhelm
len z. Geistesgesch. d. MAs 10), 1976, S. 36; F. Unterkircher, Die datierten Hss. d. ÖNB v. 1501 bis 1600 (Kat. d. datierten Hss. in lat. Schrift in Österr., Bd. IV 1 u. 2), 1976, Textbd. S. 91 (jedoch kein Autograph); Tafelbd. Abb. 69; H. A. Oberman, Werden u. Wertung d. Reformation, 1979 (31989), S. 76 Anm.13; H. Grimm, in: NDB 12, 1980, S. 283 f.; H. Wiesflecker, Ks. Maximilian I., Bd. 5, 1986, S. 352 f, 365 f.; W. Hauer, Lokale Schulentwicklung u. städtische Lebenswelt, 2003, S. 64, 84; D. Mertens, Zum polit. Dialog bei d. oberdt. Humanisten, in: B. Guthm¸ller / W. G. M¸ller (Hgg.), Dialog u. Gesprächskultur in d. Renaissance, 2004, S. 293⫺317, hier S. 306⫺317; Die Matrikel d. Magister u. Bakkalare d. Artistenfakultät (1477⫺1535), bearb. v. M. Eberlein u. S. Lang (Tübinger Professorenkatalog, hg. v. S. Lorenz 1,1), 2006, S. 72, 86, 165, 209 f.; D. Mertens, Heiko A. Oberman u. d. ‘Mythos des Tübinger Humanismus’, in: S. Lorenz u. a. (Hgg.), Tübingen in Lehre u. Forschung um 1500, 2008, S. 241⫺254, hier S. 252⫺254; ders., Michael Coccinius (Köchlin) aus Tübingen zwischen Universität u. großer Politik, in: S. Lorenz / V. Sch‰fer (Hgg.), Tubingensia. Fs. f. W. Setzler, 2008, S. 165⫺185.
Dieter Mertens
Köhl, Johannes J Brassicanus, Johannes Konitz J Breitkopf, Georg Kopp (Copp, Copus, Cop, Le Cop), Wilhelm (Gulielmus, Guillaume) I . L eb en . K. wurde um 1460/65 in Basel geboren und erhielt dort seine erste Bildung. Gegen 1474 war Johannes Heberling aus Schwäbisch Gmünd, der damals in Basel Johannes J Reuchlins Vorlesungen hörte, sein Lehrer. K. immatrikulierte sich 1478 an der Artistenfakultät der Univ. Basel (Wilhelmus Kopp de Basilea), wurde 1483 Magister artium und widmete sich drei Jahre lang dem Studium der Medizin. 1485 hat er sich in Heidelberg (zuvor auch in Köln?) aufgehalten, um bei Flavius Raimundus Mithridates und Konrad J Celtis Griechisch zu lernen (vgl. Widmungsbrief zur Übersetzung des Paulus von Aegina, s. u. II.1.). Um 1488 begab er sich nach Paris und setzte dort sein medizinisches Studium fort. Am 19. März 1492 erwarb er das
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medizinische Bakkalaureat, am 13. April 1496 folgte das Lizenziat und am 17. Mai das Doktorat. 1493 besuchte er auch eine astronomische Lehrveranstaltung. 1496 war K. bereits mit E´tiennette Turgis verheiratet, einer wohlhabenden Frau, mit der er drei Söhne hatte, Jean, Michel und Nicholas. Der jüngste Sohn studierte in Paris Medizin; er hatte wegen seines Einsatzes für die Reformation ein bewegtes Leben. K. übte seither den Arztberuf in Paris aus und unterrichtete an der medizinischen Fakultät, deren Mitglied er zeitlebens blieb. 1497⫺1512 war er zugleich Arzt der deutschen Nation. Als er 1498 vor Wundärzten (Chirurgen) eine Vorlesung über Anatomie und Chirurgie zu halten hatte, entschied er sich, in Rücksicht auf die wenig gebildete Hörerschaft in frz. statt in lat. Sprache zu lesen, doch Proteste der Chirurgen aus der Bruderschaft des hl. Kosmas zwangen ihn, die Veranstaltung einzustellen. Gegen 1512 wurde K. zum Leibarzt Ludwigs XII. ernannt. Anfang 1513 hielt er sich am kgl. Hof in Blois auf; im selben Jahr begleitete er den König auf dem Feldzug gegen England; 1515 folgte er gemeinsam mit anderen Leibärzten seinem Sarg. 1514 verteidigte er Johannes J Reuchlin, wie er diesem brieflich mitteilte, am französischen Hof vor dem König gegen Angriffe und Schmähungen, die sich im Zusammenhang des Streits um die jüdischen Bücher gegen ihn richteten (Reuchlin-Br., Bd. 3, Nr. 244, u. Reuchlins Antwort, Nr. 265). K. muß Leibarzt von Ludwigs Nachfolger Franz I. bereits seit den ersten Jahren seiner Regierung gewesen sein, aber sein Name erscheint in den Quellen erst von 1523 an bis zu seinem Tod. Seit 1524 wurde K. auch als Leibarzt der Kinder des Königs besoldet. Seine Beziehungen mit Basel hielt K. durch gelegentliche Besuche in der Heimatstadt und durch Unterstützung seiner Landsleute, Studenten und Drucker, in Paris aufrecht; vor allem aber wurde er im Pariser Humanismus heimisch. Er hörte gemeinsam mit Guillaume Bude´ und Jacques Lefe`vre d’E´taples Vorlesungen über Griechisch bei Janus Lascaris, der mit Kg.
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Kopp, Wilhelm
Karl VIII. nach Paris gekommen war und bis 1503 dort blieb. K. wurde Bude´s und Lefe`vres Arzt und Freund. 1505 heilte er Lefe`vre von seiner Schlaflosigkeit. Gemeinsam mit Bude´ und anderen setzte er sich bei Franz I. für die Gründung einer Lehrstätte für die antiken Sprachen, des späteren Colle`ge de France, ein. Seine Griechischstudien setzte er bei Girolamo Aleandri (Aleander) fort, der seit 1508 in Paris unterrichtete und ihm seine Ausgabe von Ciceros ‘De divinatione’ (Paris: Gilles de Gourmont, 1510) widmete. In Paris begegnete K. J Erasmus erstmals ⫺ wohl anläßlich eines damaligen Fiebers des Erasmus ⫺ Anfang 1497 (vgl. Vredeveld, ASD I-7, c. 88, v. 91⫺97). Seither hatte er mit ihm, wie zahlreiche Briefe der Erasmus-Korrespondenz belegen, lebenslang freundschaftlichen Umgang. K. behandelte Erasmus nochmals 1500 und 1526. 1517 versuchte er ihn im Auftrag Franz’ I. für Paris zu gewinnen. Bei verschiedenen Gelegenheiten rühmte Erasmus K. als Arzt und Übersetzer. Schon 1506 hatte er ihm sein ‘Carmen alpestre’ über das nahende Alter (‘Carmen ad Guilelmum Copum Basiliensem de senectutis incommodis’, ed. H. Vredeveld, ASD I-7, S. 72⫺97) gewidmet. Beatus J Rhenanus zählte K. zu den Leuchten des deutschen Humanismus (Rhenanus-Br., S. 41). Mit dem Basler Drucker Johann Amerbach stand er in den Jahren 1501 bis 1507 in regelmäßigem Kontakt (Amerbach-Korr., Bd. 1, Reg.). Er starb am 2. Dez. 1532 in Paris. Aus K.s Besitz stammt die Hs. Citta` del Vaticano, BAV, Reg. Lat. 1241, 176 Bll., wie sich aus dem Besitzvermerk auf Bl. 6r ergibt. Sie wurde von ihm im Frühjahr 1493 geschrieben; der Widmungsbrief an Konrad Heingarter von Zürich, der in Paris Medizin und Astronomie lehrte, datiert vom 8. Juni 1493 (vgl. 151v u. 176r). Die Hs. enthält astronomische Schriften, die von K. zusammengestellt und von Heingarter in Vorlesungen kommentiert wurden: Gerhard von Cremona, ‘Theorica planetarum’ mit Kommentar; Thabit ben Qurra, ‘De hiis que indigent expositione antequam legatur Almagestum’ und ‘De
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quantitate stellarum et planetarum et proportione terrae’; Al-Farghani, ‘De scientia astrorum’, lat. von Johannes von Sevilla; Johannes de Lineriis, ‘Opus tripartitum’ (‘Canones universales’); Messahala, Traktat über das Astrolabium. I I. Sc hr if te n. Nach dem Vorgang von Theodorus Gaza und Nicolo` Leoniceno übersetzte K. Schriften von Paulus von Aegina, Hippokrates und Galen ins Lateinische. Er tat dies in der Überzeugung, daß die Rückkehr zu den alten griech. Quellen eine Erneuerung der Medizin nach sich ziehen werde. K.s Übersetzungen wurden von den Zeitgenossen sehr geschätzt. Jakob J Spiegel (Scholien zur ‘Threnodia’ des Petrus Aegidius, 1519) rechnete ihn zu den wichtigsten Editoren der Ära Maximilians, und er zog seine Übersetzungen mehrfach zur Kommentierung von J Bartolinis ‘Austrias’ heran. 1. K. fertigte eine Übersetzung des ersten Buchs ‘De re medica’ (ausschließlich des Vorworts) des P au lu s v on Ae gi na (I 3⫺5 Heiberg) an und ließ sie u. d. T. ‘Praecepta salubria’ drucken. Der Widmungsbrief (19. März 1510) an Germain de Ganay, Bischof von Cahors, später von Orle´ans, ist ein Manifest des medizinischen Humanismus, in dem K. u. a. von seiner ersten Begegnung mit dem Griechischen berichtet. Seine Übersetzung erfuhr zahlreiche Nachdrucke, z. T. in Teildrukken. Die von K. als Vorlage benutzte Hs. gelangte in der Folge anscheinend über Johannes Ruellius zu Hieronymus Gemusaeus, der sie für seine Ausgabe (Basel 1538) verwendete. Es wurde vorgeschlagen, diese Hs. mit Paris, BN, Gr. 2206 (11. Jh.), zu identifizieren; die Pariser Hs. enthält allerdings keine Einträge von K.s Hand. Drucke. Pauli Aeginetae praecepta salubria Guilielmo | Copo Basileiensi interprete. [Paris: Henri Estienne, 1510]. Weitere (Teil-)Drucke: Straßburg: Matth. Schürer, 12. Mai 1511. VD 16, P 1034; Nürnberg: Joh. Petreius, Febr. 1525. VD 16, 1035; Straßburg: Heinr. Sybold, Aug. [1529]. VD 16, P 1037. Vgl. (auch zu anderen Drucken) Rice,
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Kopp, Wilhelm
S. 153⫺155; dort auch Abdruck des Widmungsbriefs.
2. 1511 erschienen in einem undatierten Druck K.s Übersetzungen zweier Schriften des H ip po kr at es , des ‘Prognosticon’ (II 110⫺190 Littre´ ) und von ‘De victus ratione in morbis acutis’ (II 224⫺376 Littre´ ). Im Widmungsbrief an den Kanzler Jean de Ganay, den Bruder des B.s Germain de Ganay (23. März 1511), berichtet K., Jean de Ganay habe ihm eine griech. Hs. mit den Kommentaren des Galen aus Italien mitgebracht. Die beiden Übersetzungen K.s basieren jedoch nicht auf einer griech. Galen-Hs., sondern auf einer des Hippokrates. Die von K. verwendete Hs. könnte diejenige sein, die später von seinem Sohn Nicholas an Hieronymus Gemusaeus weitergegeben und von diesem Janus Cornarius für seine griech. Werkausgabe (Basel 1538) zur Verfügung gestellt wurde. Man hat diese Hs. mit Paris, BN, Gr. 2254⫺2255, deren älterer Teil vom Beginn des 15. Jh.s datiert, zu identifizieren versucht. Man kann aber zeigen, daß K.s Übersetzungen nicht diese Hs., sondern eine von Paris, BN, Gr. 2140, 12.⫺13. Jh., abhängige, heute verlorene Hs. zugrundeliegt. Drucke. Hippocratis Coi Praesagiorum libri tres. | Eiusdem de ratione in morbis acutis | libri quatuor. | Interprete Guilielmo Copo Basileiensi. [Paris: Henri Estienne, 1511]. NDe Paris: Simon de Colines, 1524; Basel: Andr. Cratander, Aug. 1526. VD 16, H 3743; [Venedig: G. Penzio u. G. Paulucci, 1530]; Lyon: S. Gryphius, 1532, 1543 u. 1545; Paris: J. Bogard, 1543; Padua: G. Fabriano, 1548; Lyon: G. Rouille, 1552.
3. K. übersetzte G al en s ‘De locis affectis’, ein für die Diagnostik und Pathologie wichtiges Werk (VIII 1⫺452 K¸hn) i. J. 1513, während des Kriegszugs Ludwigs XII. gegen England, wie er im Widmungsbrief an den König ausführt. Seine Vorlage, die Hs. Leiden, UB, Voss. Gr. F 53, Anfang 16. Jh., enthält an den Rändern Korrekturen, einige von K.s Hand. Aus älteren Bibliothekskatalogen geht hervor, daß diese Hs., die keinen Besitzvermerk enthält, K. gehörte. Seine Übersetzung war konkurrenzlos und wurde daher im Verlauf des 16. Jh.s und auch später noch
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häufig, allerdings mit umfangreichen Textänderungen, die auf weiteren griech. Hss. basierten, nachgedruckt und erst im 19. Jh. durch die Ausgabe Carl Gottlob K¸hns ersetzt. Drucke. Galeni de affectorum | locorum notitia, libri sex, | Guilielmo Copo Basi⫽|leiensi interprete. Paris: Henri Estienne, 1513. NDe Basel: Andr. Cratander, März 1529. VD 16, G 124; Köln: F. dei Franceschi u. G. B. Ciotti, 1592. VD 16, G 135. Für diese und andere Drucke des 16. Jh.s vgl. Durling, S. 287.
4. 1523 veröffentlichte K. seine letzte Übersetzung aus dem Griechischen u. d. T. ‘De morbis et symptomatibus’. Es handelt sich um vier Schriften Galens über Pathologie und Symptomatik, die bereits eine erfolgreiche gemeinsame arabisch-lat. Version u. d. T. ‘De morbo et accidente’ zum Vorläufer hatten: ‘De morborum differentiis’ (VI 836⫺880 K¸hn), ‘De morborum causis’ (VII 1⫺41 K¸hn), ‘De symptomatum differentiis’ (VII 42⫺84 K¸hn) und ‘De symptomatum causis’ (VII 85⫺272 K¸hn). Keine dieser Schriften Galens ist bisher kritisch ediert, allein für ‘De symptomatum differentiis’ ist eine krit. Ausgabe für das ‘Corpus medicorum Graecorum’ in Vorbereitung. Die Hg.in Beate Gundert teilt brieflich mit, daß K.s Vorlage der griech. Hs. Berlin, SBPK, Phillipps 1991 (Anfang 16. Jh.), nahesteht. K.s Übersetzung wurde im 16. Jh. häufig nachgedruckt, allerdings wurden ihnen in fast allen vollständigen Galen-Ausgaben die Übersetzungen Thomas Linacres und Nicolo` Leonicenos vorgezogen. Drucke. Galeni de morbis et symptωmatis, libri sex. | De morborum differentia, liber unus. | De morborum causis, liber unus. | De symptωmatum differentia, liber unus. | De symptωmatum causis, libri tres. | Guilielmo Copo Basileiensi interprete. Paris: Jod. Badius, 23. Okt. 1523. ND Basel: Andr. Cratander, März 1529. VD 16, G 124. Zu diesen und den anderen Drucken des 16. Jh.s vgl. Durling, S. 287 u. 291. Literatur. M. Adam, Vitae Germanicorum medicorum, Heidelberg 1620, S. 11; E. Wickersheimer, Dictionnaire biographique des me´decins en France au Moyen-aˆge, Paris 1936 (ND Gene`ve 1979), S. 235⫺238; M. L. Portmann, Der Basler Humanisten-Arzt W. Copp (um 1460⫺1532), Ges-
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Krantz, Albert
nerus 15 (1958) 106⫺119; R. J. Durling, A Chronological Census of Renaissance Editions and Translations of Galen, Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 24 (1961) 230⫺305; E. R. Rice, Paulus Aegineta, in: Kristeller, CTC 4, 1980, S. 145⫺191, hier S. 152⫺155; P. G. Bietenholz, in: CoE 1, 1985, S. 336 f.; N. van den Blom, Remitte exemplar epistole ad Copum. On Allen, Epistle 2509, Erasmus of Rotterdam Yearbook 5 (1985) 52⫺64; S. Fortuna, Edizioni e traduzioni del ‘De locis affectis’ di Galeno tra Cinquecento e Seicento, Bolletino dei Classici 3/14 (1993) 3⫺30, hier S. 8⫺19; dies., W. K. possessore dei Par. gr. 2254 e 2255? Ricerche sulla sua traduzione del ‘De victus ratione in morbis acutis’ di Ippocrate, Medicina nei Secoli 13/1 (2001) 47⫺57; dies., Les traductions du Prognostic d’Hippocrate par les Humanistes, in: A. Thivel / A. Zucker (Hgg.), Le normal et le pathologique dans la Collection hippocratique, Bd. 2, Nice 2002, S. 793⫺ 813; Reuchlin-Br., Bd. 3, S. 85.
Stefania Fortuna
Krantz (Krans, -ss, Krantzius, Cr-), Albert I . L eb en . K., Onkel des Juristen Johann Oldendorp († 1567), wurde 1448 in Hamburg geboren. Er entstammte einer aus Arendsee in der Altmark gekommenen und seit Ende des 14. Jh.s in Hamburg ansässigen Reeder- und Kaufmannsfamilie. Für das Jahr 1418 ist im Hansischen Urkb. ein Johann K. als Hamburger Bürger bezeugt. Alberts Vater, Eggert K. († 1478), zunächst ebenfalls als Reeder und Kaufmann tätig, bekleidete von 1461 bis 1471 die Position des hamburgischen Schloßhauptmannes auf der unterhalb Harburgs an der Süderelbe gelegenen Moorburg und von 1472 bis zu seinem Tod das städtische Amt des Herrenschenks. Alberts Mutter Margareta († nach 1487), eine geborene Hovemann, war in erster Ehe mit Hinrich Bozenberg verheiratet und ehelichte Eggert K. spätestens 1447. Von den beiden Brüdern Paul und Eggert K. († 1524) ist letzterer hervorzuheben. Er studierte seit 1480 in Rostock und 1498 in Bologna, wo er 1512 zum Dr. jur. promoviert wurde und 1502 Prokurator der Deutschen Nation war. Nach dem Tod seines Bruders Albert folgte er diesem im Amt des Hamburger Domdekans.
K. begann sein Universitätsstudium in Rostock, wo er sich zum 28. Mai 1463 immatrikulierte und erstmals in den Quellen
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überhaupt auftritt. Nach seinem Magisterexamen im WS 1467/68 verliert sich seine Spur, bis er 1481 als mgr. Albertus C. theologie formatus ac decretorum baccalarius zum Dekan der Artistenfakultät gewählt wurde. Dieses Amt bekleidete er zwischen 1483 und 1486 weitere vier Male, und zum WS 1482/83 erscheint K. sogar als Rektor der Universität. In dieser Funktion nahm er am 11. Jan. 1483 in Köln an der Grabesöffnung des D Albertus Magnus teil. Die weiteren Bildungsstationen ergeben sich aus einer undatierten Hs. der hamburgischen Domlektur, in der K. selbst notierte, daß er in Mainz zum Dr. decr. und in Perugia zum Dr. theol. promoviert worden sei. Diese an den Universitäten selbst nicht belegten Vorgänge müssen nach dem Juni 1491 bzw. 1492 stattgefunden haben. In Rostock läßt sich während des Aufenthalts von K. bis 1486 kein humanistisches Umfeld erkennen. Lediglich wird Johann D Riedner 1480 dort als Poeta immatrikuliert und um die Jahreswende 1485/86 die Anwesenheit von Konrad J Celtis angenommen. Andere namhafte Humanisten, wie Hermann J Buschius oder Ulrich von J Hutten, kamen erst im ersten Jahrzehnt des 16. Jh.s, weshalb K. als Wegbereiter des Rostocker Humanismus gelten kann. In Hamburg zählten der Wanderpoet Hinrich J Boger sowie der ehemalige Schüler und dortige Bürgermeister Hermann Langenbeck zu seinen Freunden. Außeruniversitär trat K. 1486 in Lübeck das Amt des Syndikus an. Da er in den Hamburger Kämmereirechnungen ⫺ so erstmals 1488 ⫺ ob certa servicia für seine Heimatstadt bezahlt wurde, ist von der älteren Forschung fälschlich angenommen worden, auch in Hamburg habe K. die Syndikatsstelle innegehabt. Doch galten die bis 1516 reichenden Entlohnungen nur für im Bedarfsfall geleistete Verwaltungsund diplomatische Aufgaben, die ihn vom Baltikum nach Antwerpen, Brügge und Paris, vom dänischen Nykøbing bis zum ksl. Hof in Süddeutschland führten. Der als Klerikerjurist tätige K. erhielt im Mai 1493 im Hamburger Domkapitel die Praebenda theologicalis, die Stelle des Lector primarius. In der mit der Lektoralpfründe ver-
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Krantz, Albert
bundenen Curia doctoralis stand K. eine breit gefächerte Fachbibliothek zur Verfügung. Nach Hermann Hamelmann († 1595) soll Buschius 1500/01 auf Geheiß von K. in Hamburg eine Rede aus Livius vorgetragen haben (H. Detmer [Hg.], Herm. Hamelmanns Geschichtl. Werke, Bd. 2, 1905, S. 52). Im Jahr 1508 wurde er zum Domdekan gewählt, als der er noch im selben Jahr und nochmals 1514 eine Visitation durchführte und im Dez. 1517 verstarb. I I. We rk . Die Vielseitigkeit des ausschließlich lat. Werkes erklärt sich aus dem verschiedenartigen Entstehungskontext, vor allem aus der amtlichen Stellung, in der die pädagogischen, theologischen, juristischen und historischen Schriften verfaßt wurden. Ein Briefwechsel ist bislang noch nicht ermittelt worden. Nirgendwo in seinem Werk gibt K. explizit Anlehnungen an zeitgenössische oberdeutsche Autoren bzw. Humanisten zu erkennen, auch lassen sich keine inhaltlichen Parallelen nachweisen. Im Geschichtswerk jedoch nimmt er ausdrücklich Bezug auf Flavio Biondo, Platina, Giovanni Antonio Campano, Enea Silvio D Piccolomini sowie auf Robert Gaguin, so daß er humanistisches Gedankengut aus Italien bzw. Frankreich direkt und nicht über oberdeutsche Umwege aufnahm. Die Tatsache, daß K. vor allem seine historischen Schriften bis zu seinem Tod zurückhielt und diese erst zwischen 1519 und 1548 erschienen, erklärt, warum sie von keinem seiner Zeitgenossen rezipiert werden konnten. A . A ri st ot el es ko mm en ta re . Nach J. Feller (Catalogus Codicum Mss. Bibliothecae Paulinae in Academia Lipsiensi, Leipzig 1686) waren die dem artistischen Studium zuzuweisenden Aristoteleskommentare von K. ehemals in der Pauliner-Bibliothek aufbewahrt. Entgegen der früheren Ansicht Reinckes (1933), die Manuskripte seien zum Zwecke des Drucks nach Leipzig verbracht worden, ist davon auszugehen, daß es sich um Vorlesungsmitschriften ehemaliger Rostocker
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Studenten handelt, welche dieselben als eigenen Lehrbehelf benutzten. Die Vorlesungen müssen in Rostock ab dem WS 1467/ 68 gehalten worden sein, als K. bereits Magister artium war und Theologie sowie kanonisches Recht studierte. Handschriften. Leipzig, UB, Ms. 1388: Questiones doctoris Krantz super 12 libros Metaphysicorum Aristotelis (1r⫺103v); Questiones eiusdem doctoris super X libros Ethicorum Aristotelis (109r⫺237r); Questiones super Aristotelis libros IV Metheororum (252r⫺293r); Questiones super Aristotelis libros de coelo & mundo (296r⫺331v); Questiones super Aristotelis parva naturalia. Aus dem Besitz Virgil J Wellendorffers. ⫺ Leipzig, UB, Ms. 1455: M. Alberti Cranzii commentum de anima (337r⫺346r). Aus dem Besitz des Petrus Eysenbergk aus Halle. ⫺ Leipzig, UB, Ms. 1599: Expositio venerabilis et disertissimi viri magistri alberti [Cranzii] hamburgensis super libros Aristotelis de anima (1r⫺12v); Liber IV. naturalis philosophie (16r⫺24v); Questiones subtilissime super Ethicam Aristotelis (31r⫺154v). Z. T. geschrieben von Johannes J Honorius Cubitensis.
Ansonsten existieren nach bisherigen Kenntnissen keine originalen Handschriften. Auch über die hsl. Verbreitung seines Werkes ist kaum etwas bekannt. B . P hi lo so ph is ch -p äd ag og is ch e, j ur is ti sc he un d t he ol og is ch -l it ur gi s ch e S ch ri ft en 1. Logik. Im Zusammenhang seiner in Rostock geleisteten Magisterdienste verfaßte K. ein Kompendium der Logik, welches das Studium dieser Disziplin vereinfachen und verkürzen sollte. Druck. Logica illuminatissimi | viri domini et magistri | alberti kranss | Sacre theologie et pontificij iuris doctoris egregij Com⫽|pendiosissime totam dyalecticen ea continens ut breui|us ac disertius excogitari nequeat quam qui studiose perle⫽| gerit. facili et labore et tempore totam sese didicisse logicam gau-|debit. [Antwerpen:] G[ovaert] B[ac], [um 1504]. NK 3318. Collijn, S. 175 f. Risse, Bibl. logica 1, 1965, S. 28. Ein weiterer Druck: Institutiones logice Alberti krans [...] quibus ad totam logicen breui ac facile perdiscendam non desideres quicquam. Leipzig: Wolfg. Stöckel, 1517. Nach VD 16, K 2256 (das zugrundeliegende
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Krantz, Albert
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Ex. London, BL, 8465.c.34, ist nicht mehr auffindbar). Nach Lappenberg (1847, S. 642) “eine frühere Ausgabe” der ‘Logica’ von 1504.
strafften Missale dem nordelbischen Diözesanbereich eine einheitliche Agende vorlegt.
2. Grammatik. Das am Schluß mit einem empfehlenden Gedicht von Tilemann Heverling versehene Lehrbuch der lat. Grammatik, das nicht sicher datiert werden kann, aber vermutlich auch aus der Rostocker Magisterzeit stammt, ist von K.’ Schüler Dr. Barthold Moller (vom Baum) († 1530) zum Druck befördert worden. Es ist kein sprachlogisches Werk, sondern fordert den Leser auf, mittels der Imitatio antiker Musterautoren zur Eloquenz zu gelangen und diese zu verbessern.
Druck. Ohne Titel. Bl. [2]r: Incipit ordo missalis secundum ritum laudabilis ecclesie Hamburgensis per Albertum Krantz castigatum. Straßburg: Joh. Prüss d. Ä., 14. Jan. 1509. VD 16, M 5578.
Druck. Culta et succincta Grama-|tica Eximij viri et doctoris Alberti Crantzs | paruulis ingenijs admodum fructuosa. Rostock: [Herm. Barkhusen], 30. Juni 1506. VD 16, K 2247.
3. ‘Opusculum in officium Misse’. Auch diese Schrift ist von Barthold Moller herausgegeben worden. Das ‘Opusculum’ ist eine Meßauslegung, hervorgegangen aus einer Vorlesung, die K. vor dem Hamburger Klerus als Lector primarius gehalten hat. Druck. Spirantissimum Opusculum in officium | Misse in optimum ordinem digestum [...]. Rostock: [Herm. Barkhusen], 16. April 1506. VD 16, K 2265.
4. ‘Breviarium’. Das Werk trägt keinen Titel und nennt weder Drucker noch Druckort oder -jahr. Anders als Lappenberg, Reincke (1933) und Stoob (1982) rechnet Mˆnckeberg (1851) das ‘Breviarium’ für die Diöz. Hamburg nicht zu K.’ Werken. Druck. Breviarium Hamburgense. Sermo multum utilis de horis canonicis dicendis et servandis. [Rostock: Herm. Barkhusen?], 1508. VD 16, ZV 16642 (beide Ex.e ohne Titelbl.); vgl. J. M. Lappenberg, Zur Gesch. d. Buchdruckerkunst in Hamburg, Hamburg 1840, S. 11⫺13.
5. ‘Ordo missalis’. Der ‘Ordo’, dem ein Calendarium vorangestellt ist, zeugt von dem Ordnungswillen des 1508 gewählten Domdekans K., der mit dem in humanistischer Manier ge-
6. ‘Consilium de ordine et privilegiis creditorum’. Dieses in den letzten Lebensjahren von K. verfaßte Gutachten hat die Nachlaßsituation des 1510 verstorbenen Lüneburger Bürgermeisters Heinrich Tobing und die Frage zum Gegenstand, wie zu verfahren ist, wenn die offenen Verbindlichkeiten den Nachlaßwert übersteigen. K. zitiert die Postglossatoren Bartolus de Saxoferrato und Baldus de Ubaldis, argumentiert dagegen auch wie ein humanistischer Jurist, wenn er Unnützes beiseite lassen und sich der Kürze befleißigen will, v. a. aber einen rechtsgeschichtlichen Zugriff auf den Fall wählt. Druck. Consilium de Ordine et Privilegiis Creditorum in bonis suorum debitorum, in: L. Kirchhof, Consilia sive Responsa praestantissimorum Germaniae Italiae Hispaniaeque Iurisconsultorum, Bd. 4, Frankfurt a. M. 1605, S. 29⫺36.
7. ‘Defensorium ecclesiae’. Der in fünf Distinktionen unterteilte Traktat ist eine theoretische Abrechnung mit den Mendikanten, die als illegitime und unerwünschte Erscheinung erklärt werden. Es ist zu vermuten, daß der Domdekan K. das hamburgische Franziskanerkloster St. Marien Magdalenen im Blick hatte. Druck. Defensorium ecclesiae seu speculum hierarchiae ecclesiasticae contra mendicantes doctores [1514], in: N. Wilckens, Leben d. berühmten D. A. Crantzii, Hamburg 1722, S. 59⫺128.
8. ‘Cursus de domina’. Während Mˆnckeberg (1851) den ‘Cursus’ K. nicht zuschreibt, bezeichnet Reincke ihn als dessen “Gebet- und Erbauungsbuch” (1933, S. 120). Druck. Cursus de do⫽|mina secundum Eccle|siam Hamburgensem in laudem deiferae virginis. Rostock: Ludwig Dietz, 29. Dez. 1521. VD 16, B 8151. Wilckens, 1722, S. 48.
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Krantz, Albert
C . Red en . Von K. sind zwei Reden erhalten, die offizielle Gedächtnisrede auf den am 20. Nov. 1503 verstorbenen Hzg. Magnus II. von Mecklenburg, die er am 16. Jan. 1504 in St. Georg in Wismar hielt, und eine wohl frühere Oratio auf den Apostel Paulus. In der Rede auf Hzg. Magnus tritt nicht der Theologe K. hervor, sondern der Geschichtsforscher, der hier den Versuch unternimmt, dem hzg.lichen Geschlecht die Dignität einer ⫺ mythischen ⫺ Herkunft aus uralter ‘wandalischer’ Zeit (zum Begriff ‘Wandalen’ s. D.1.) zuzuschreiben. Drucke. Oratio funebris in commemoratione illustris principis domini | Magni ducis magnopolensis etc. habita wismarie in ecclesia | diui Georgij. Die lune. mensis Ianuarij xvj Anno quarto | post Mille quingentos Per disertum virum Albertum Cranß | Sacre pagine et iuris pontificij doctorem Ecclesie beate | Marie Hamburgeum Canonicum dignissimum. [Antwerpen: Govaert Bac, 1504]. NK 3319. Collijn, S. 173 f. K. nahm die Rede in die ‘Wandalia’ (XIV 33) auf. Oratio in laudem diui apostoli Diserti | Viri Alberti kransz | sacre pagine. Iuris | pontificij Doctoris dignissimi. [Antwerpen: Govaert Bac, 1504 (?)]. NK 3320. Collijn, S. 170⫺172.
D . G es ch ic ht sw er k. Hinsichtlich der nach seinem Tod erschienenen historischen Schriften bleiben Fragezeichen zu ihrer Konzeption, weil nicht bekannt ist, ob und wenn wie K. sein im wesentlichen zwischen 1500 und 1504 bearbeitetes Geschichtswerk veröffentlicht hätte. Dessen innerer Zusammenhang besteht indes darin, daß sich K. an dem antiken Begriff der Germania magna orientiert und damit neben den skandinavischen Reichen auch die vom Rhein im Westen bis zum Don im Osten ansässigen Völker behandelt, den oberdeutschen Bereich jedoch ausspart. 1. ‘Wandalia’. Die Schrift verdankt ihren Titel einer irrtümlichen Gleichsetzung von Wenden und Wandalen. Anstatt von Sclavi zu sprechen, spricht sie von den begrifflich angeblich älteren Wandali und behandelt im Kern den vom holsteinischen Oldenburg entlang der Ostseeküste bis nach Preußen
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reichenden wendischen Bereich. Darüber hinaus thematisiert K. den gesamten slawischen Raum, also Länder wie Rußland, Polen, Böhmen, Dalmatien und Kroatien, die nach seiner Auffassung una gens sind. Drucke. Wandalia. | Alberti | Krantz. Köln: Joh. Soter, April 1519. VD 16, K 2266. Die weiteren Drucke: Frankfurt a. M. 1575, 1580, 1602 u. 1619, Hanau 1619. Vgl. VD 16, K 2267 f., u. Andermann, 1999, S. 338.
2. ‘Saxonia’. Dieses Werk ist eine bei Karl d. Gr. einsetzende politische Geschichte Sachsens, deren Schwerpunkt auf dem alten, d. h. ‘niedersächsischen’ Siedlungsraum liegt. Druck. Saxonia | Alberti | Krantz | [...]. Köln: [Joh. Soter], Mai 1520. VD 16, K 2257. Die weiteren Drucke: Köln 1574 (mit d. ‘Metropolis’) u. 1595, Frankfurt a. M. 1575 u. 1580, Köln 1596, Frankfurt a. M. 1621. Vgl. VD 16, K 2258⫺2261; Andermann, 1999, S. 338.
3. ‘Chronica regnorum aquilonarium’. Dies Werk faßt drei Chroniken zusammen, erstens die ‘Dania’ zum Kg.reich Dänemark und zu den Langobarden, zweitens die ‘Suecia’ zur schwedischen sowie zur ost- und westgotischen Geschichte, drittens die ‘Norvagia’, die sich über Norwegen hinaus mit der Geschichte der Normannen, des Hzg.tums Normandie und des Kg.reichs England befaßt. Druck. Chronica | Regnorum | Aquilonarium | Daniae | Suetiae | Norvagiae. per Albertum Krantzium Ham-|burgen. descripta. Hg. v. Heinrich Eppendorf. Straßburg: Joh. Schott, 1548. VD 16, K 2233, 2237 u. 2240. Die weiteren Drucke: Straßburg 1560 u. 1562, o. O. 1561; Frankfurt a. M. 1575 u. 1583; Wittenberg 1586. Vgl. VD 16, ZV 9193⫺9197; Andermann, 1999, S. 338.
4. ‘Metropolis’ (‘Ecclesiastica historia’). Als Gegenstück zur ‘Saxonia’ ist die ‘Metropolis’ als sächsische Kirchengeschichte konzipiert, die ebenso bei Karl d. Gr. einsetzt. Druck. Ecclesiastica Historia, siue | Metropolis, | D. Alberti Cran/|tzii […] eiusdem D. Alberti Crantzii Confutatio legendae fabulosae, de Benedicto papa quarto, martyrio coronato Hamburgi [...] Hg. v. Joachim Moller vom Hirsch († 1588). Basel: Joh. Oporinus, M.D.LXVIII. [vielmehr
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Krantz, Albert
1548]. VD 16, K 2243 u. 2248. Die weiteren Drucke: ebd. M.D.LXVIII. [vielmehr um 1552], 1558, 1568[?]; Köln 1574 (separat sowie mit d. ‘Saxonia’); Frankfurt a. M. 1576; Wittenberg 1576; Frankfurt a. M. 1580 u. 1596; Köln 1596; Frankfurt a. M. 1627. VD 16, K 2245 f., 2258, ZV 9195, u. Andermann, 1999, S. 338 f.
E . D eu ts ch e Ü be rs et zu ng en de s G es ch ic ht sw er ks . Keine einzige Schrift von K. ist in der Muttersprache verfaßt worden. Die hier angeführten Übersetzungen sind sämtlich nach seinem Tod entstanden; sie bezweckten, einen größeren Leserkreis anzusprechen und Absatzerfolg zu erzielen. Bemerkenswert ist, daß die volkssprachlichen Chroniken über die Nordreiche früher als in ihrer lat. Fassung erschienen. Die Titel 1 und 7 geben zu erkennen, daß das Geschichtswerk häufig als Steinbruch verwertet wurde. Belegt wird dies zudem dadurch, daß Hermann Hamelmann die ‘Metropolis’ und ‘Saxonia’ als Grundlage nutzte, um in den Jahren 1564/65 im Stile mal. Gesta eine Chronik Osnabrücks, Münsters und Mindens herauszubringen. 1. Hystoria Alberti | Krantz von den alten hussen zu | Behemen in Keiser Sigmunds zeiten [...]. [Straßburg: Joh. Grüninger], 9. Jan. 1523. VD 16, K 2269. Übersetzt von Johannes J Cochlaeus im Rahmen der Reformationspolemik, gewidmet Hzg. Georg d. Bärtigen, Lgf.en in Thüringen und Mgf.en zu Meißen. Textgrundlage für die Übersetzung sind die Johannes Hus und John Wyclif betreffenden Passagen aus Buch X bis XII der ‘Wandalia’. Als Mahnschrift gehalten ist sie eine Antwort auf die von Luther begonnene Popularisierung des Gedankenguts von Hus. 2. Saxonia. | Weithleufftige/ Fleissige vnd | richtige Beschreibung/ [...] der Sach⫽|sen [...]. Leipzig: Ernst Vögelin, 1563. VD 16, K 2262. Übersetzt von Basilius Faber. Ein weiterer Druck: Leipzig 1582. VD 16, K 2263. Andermann, 1999, S. 338. e 3. Dennmarckische/ | Swedische/ vnd | e Norwagische Chronica. | [...] von anfang e e aller Mitt|nachtischen Landeren Künigen/ e iren | herrlichen Thatten/ vnd zufalligen |
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Kryegßhandlungen/ uffs fleissigst/ | biß vff die jarzal Christi | M.D.iiij. beschriben. | [...]. Übers. u. hg. v. Heinrich Eppendorf. Straßburg: Joh. Schott, 1545. VD 16, K 2234. Erneut u. d. T. Chronica vnd e Be⫽|schreibung der dreier Konigreich/ Denmarck/ | Schweden/ | vnd Norwegen/ [...], Straßburg 1558 u. 1559. VD 16, K 2236 u. ZV 9192. 4.⫺6. Separatdrucke d. ‘Dänischen’, ‘Norwegischen’ u. d. ‘Schwedischen Chronik’ in Eppendorfs Übersetzung mit eigenem Titelblatt: Straßburg: Joh. Schott, 1545. VD 16, K 2235. Andermann, 1999, S. 337. 7. Hertzog Heynrichs/ ge-|nandt Lee wen/ in das Heylig Landt fur⫽|genommer verren reyß warhaffte History/ [...]. Straßburg: Christian Müller d. Ä., 1561. VD 16, K 2264. Der Anonymus benutzt für die Übersetzung Auszüge aus der ‘Saxonia’ und möchte mit der Reisebeschreibung zur Unterhaltung eines größeren Lesepublikums beitragen. e 8. Des Furtrefflichen Hoch⫽|gelahrten Herrn | Alberti Crantzij | VVandalia | oder: Beschreibung wendischer Geschicht/ | [...]. in Hochteutsch transferieret [...] | Durch M. Stephanum Macropum vom Andreaßberge. | [...]. Lübeck 1600 (Titelbl.) bzw. 1601 (Kolophon). VD 16, ZV 9198. Übersetzt von Stephan Macropus. Ein weiterer Druck Lübeck 1636. Vgl. Eickhˆlter, 1997. Literatur. Nik. Wilckens, Leben d. berühmten D. Alberti Crantzii [...], Hamburg 1722; J. M. Lappenberg, Des A. K. Biographien d. Eb.e Ansgar u. Rimbert, Zs. d. Ver. f. Hamburg. Gesch. 2 (1847) 637⫺641; ders., Die Logik u. andere Werke d. A. K., ebd., S. 641⫺643; C. Mˆnckeberg, Der theol. Charakter d. A. K., ebd. 3 (1851) 395⫺413; R. Lange, Zur Gesch.schreibung d. A. K., Hansische Gesch.bll. 14 (1885) 61⫺100; L. Daae, Nogle bemaerkninger om historieskriveren A. K., Historisk Tidsskrift, R. 2, 4 (Oslo 1885) 187 ff. u. 5 (1886) 225⫺261; E. Sch‰fer, Zur Gesch.schreibung d. A. K., Zs. d. Ver. f. Hamburg. Gesch. 10 (1899) 385⫺484; C. Bertheau, in: Realencycl. f. protest. Theol. u. Kirche, Bd. 11, 31902, S. 79⫺81; A. Hofmeister, Zur Lebensgesch. d. A. K., Beitr. z. Gesch. d. Stadt Rostock 3 (1902) 95⫺98; F. Rˆder, A. K. als Syndikus v. Lübeck u. Hamburg, Diss. Marburg 1910; J. H. Hˆck, Der Hamburger
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Krapp, Andreas
Domdechant D. A. K. u. d. 95 Thesen Luthers. Eine Stud. z. Reformationsjubiläum, Hamburg. Kirchenbl. 14 (1917) 329⫺332, 337⫺340; I. Collijn, Om na˚gra sällsynta tryckta skrifter av A. K., Nordisk tidskrift för bok- och biblioteksväsen 12 (1925) 169⫺178; Th. G. Werner , Die Familie d. niedersächs. Gesch.schreibers A. K., ihre Ahnen u. Nachfahren, Zs. f. niedersächs. Familiengesch. 8, H. 4 (1926) 69⫺79; H. Reincke, A. K. als Gesch.forscher u. Gesch.schreiber, in: Fs. W. v. Melle, 1933, S. 111⫺147; V. A. Nordman, Die Wandalia d. A. K., Helsinki 1934; ders., Die Chronica Regnorum Aquilonarium d. A. K., ebd. 1936; E. Waschinski, Der Hamburger Humanist u. Syndikus A. K. (1448⫺1517) als Pädagoge, Zs. d. Ver. Hamburg. Gesch. 39 (1940) 139⫺178; M. Grobecker, Stud. z. Gesch.schreibung d. A. K., Diss. Hamburg 1964; K. Kumlien, in: Kulturhistorisk Leksikon f. Nordisk middelalder fra vikingetid til reformationstid, Bd. 9, Kopenhagen/Oslo 1964 (ND Yiborg 1981), Sp. 248⫺259; H. Roese, Wismar 1504. A. K.’ Leichenrede auf Hzg. Magnus II. v. Mecklenburg u. d. genealogische Mythenbildung, Altschülerschaft d. Großen Stadtschule zu Wismar 47 (1977) 12⫺21 u. 48 (1977) 18⫺24; M. Grobecker , in: NDB 12, 1980, S. 673 f.; H. Stoob, A. K. (1448⫺1517). Ein Gelehrter, Geistlicher u. hans. Syndikus zwischen d. Zeiten, Hansische Gesch.bll. 100 (1982) 87⫺109; B. Lˆfstedt, Notizen eines Latinisten z. A. K., in: Tradition u. Wertung. Fs. F. Brunhölzl, 1989, S. 295⫺305; A. Cosanne, in: LexMA 5, 1991, Sp. 1475; R. Tenberg, in: BBKL 4, 1992, Sp. 605 f.; R.-G. Werlich, Ein neunfeldriges pommersches Hzg.swappen i. J. 1518. Bemerkungen z. Wappen d. Titelblattes, z. Erstdruck d. Wandalia des A. K. u. zu weiteren frühen Zeugnissen d. Wappenänderungen unter Bogislaw X., in: H. Wernicke (Hg.), Pommern. Gesch., Kultur, Wissenschaft. Pommern im Reich u. in Europa, 3. Kolloquium z. Pommerschen Gesch., 1996, S. 446⫺468; U. Andermann, Der Hamburger Gelehrte A. K. u. sein Wirken an d. Univ. Rostock. Ein Beitr. z. Humanismus in Norddtld., in: P. Jakubowski / E. M¸nch (Hgg.), Univ. u. Stadt. Wiss. Tagung anläßl. d. 575. Jubiläums d. Eröffnung d. Univ. Rostock, 1995, S. 55⫺67; M. Eickhˆlter, Die Wandalia d. A. K. ⫺ eine aktuelle Hansegesch. um 1600? Zur hansepolit. Bedeutung d. dt. Ausg. d. Lübecker Verlegers L. Albrecht, in: A. Grassmann (Hg.), Niedergang oder Übergang? Zur Spätzeit d. Hanse im 16. u. 17. Jh., 1997, S. 139⫺164; U. Andermann, A. K. (1448⫺ 1517). Bemerkungen z. Verhältnis v. lat. u. volkssprachl. Gelehrsamkeit am Beispiel eines norddt. Humanisten, in: B. Guthm¸ller (Hg.), Latein u. Nationalsprachen in d. Renaissance (Wolfenbütteler Abhh. z. Renaissanceforsch. 17), 1998, S. 315⫺ 343; ders., A. K. Wissenschaft u. Historiographie
1326
um 1500 (Forsch. z. mal. Gesch. 38), 1999; ders., A. K. Landesgeschichtl. Bezüge eines frühen Werkes d. dt. Nationalgesch.schreibung, in: F. Brendle u. a. (Hgg.), Dt. Landesgesch.schreibung im Zeichen d. Humanismus (Contubernium 56), 2001, S. 51⫺67; ders., Geograph. Wissen u. humanist. Gesch.schreibung, dargestellt am Beispiel d. Hamburger Gelehrten A. K., in: P. Moraw (Hg.), Raumerfassung u. Raumbewußtsein im späteren MA (Vorträge u. Forsch. 49), 2002, S. 275⫺301; M. Schmidt, ‘... Mit einem grossen Gewalt/ in die obgenannte Finsternüssz gezogen ...’. Die Norwägische Chronick d. A. K., Nordlit. Arbeidstidskrift i litteratur 14 (Tromsø 2003) 125⫺144; R. Postel, Domdekan A. K. († 1517) u. d. Krise d. alten Kirche, Verein f. Kathol. Kirchengesch. in Hamburg u. Schleswig-Holstein, Beitr. u. Mitt. 8 (2003) 48⫺ 60; ders., in: Biograph. Lex. f. Mecklenburg, Bd. 4, 2004, 132⫺138; H. Bollbuck, Geschichts- u. Raummodelle bei A. K. (um 1448⫺1517) u. David Chytraeus (1530⫺1600), 2006; U. Andermann, Der Humanist A. K. († 1517). Kirchenmann u. Theologe am Vorabend d. Reformation, in: B. Lachaise / B. Schmidt (Hgg.), Bordeaux⫺Hamburg. Zwei Städte u. ihre Gesch. (Beitr. z. Hamburgischen Gesch. 2), 2007, S. 210⫺222.
Ulrich Andermann
Krapp (-ppe, -en; Crappen, -ppus), Andreas 1. K. entstammte als Sohn des Wittenberger Gewandschneiders Hans K., der seit 1494 bis zu seinem Tod 1515 das Amt des Bürgermeisters bekleidete, einer der führenden Familien der Stadt; seine jüngere Schwester Katharina (1497⫺1557) heiratete 1520 Philipp Melanchthon, ein Neffe hat als Andreas Crappius seinen Platz in der Musikgeschichte (K. W. Niemˆller, in: 2 MGG Personenteil 5, 2001, Sp. 56 f.). K. nahm im SS 1501 das Studium an der Univ. Leipzig auf, ist jedoch bereits im WS 1502/03 an der neu gegründeten Univ. Wittenberg immatrikuliert. Der Erwerb akademischer Grade läßt sich aus gedruckten Wittenberger und Leipziger Universitätsakten nicht belegen, doch muß K. das Artes- und, bis zur ersten Prüfung, auch das Rechtsstudium absolviert haben, denn er zeichnet 1509 in einem Beitrag zu Otto J Beckmanns ‘Panegyricus’ für Eb. Erich von Paderborn als Vtriusque Iuris Baccalaureus ([B4]r), und Baccalaureus Iuris
1327
Krapp, Andreas
nennt ihn noch 1524 auch Martin Luther (Luther-Br., Bd. 3, S. 282). K. blieb in seiner Heimatstadt ansässig, spielte aber weder in der Wittenberger Universitäts- noch in der Reformationsgeschichte eine Rolle; im Briefwechsel seines Schwagers Melanchthon wird er nirgends auch nur erwähnt. Durch Belehnungen wurde er in Wittenberg 1515, 1521 und 1525 aktenkundig, und 1525 saß er auch im Rat (Luther-Br., Bd. 12, S. 410). Er starb vor dem 1. Mai 1528 in Wittenberg und hinterließ eine Frau und einen Sohn Andreas. 2. K. ist zwischen 1508 und 1514 ausschließlich als Autor lat. Gedichte hervorgetreten. Sie gehören zu den Zeugnissen der durch Richardus J Sbrulius, den K. als Aonii gloria prima chori (‘Modus vitandi peccata’, 1514, A iiir ) rühmt, initiierten kurzen Blüte lat. Dichtwerke (1507⫺ 1514) unter Wittenberger Studenten und Magistern. K.s Gedichte sind formal (Metrik, mythologischer Schmuck) an humanistischem Anspruch ausgerichtet, bleiben inhaltlich aber spätmal. Moralistik und Frömmigkeit verpflichtet. Sbrulius, Beckmann und Kilian J Reuter beteiligten sich mehrfach mit kleinen Beigaben an den Drucken von K.s Gedichten; er selbst steuerte Epigramme zu Drucken Beckmanns (s. o. 1.) und Georg J Sibutus’ (‘Torniamenta’, 1511; VD 16, S 6270) bei. a) ‘Carmen de duobus amantibus’. Schwankhafte Versnovelle (191 Dist.) über einen vom Lande stammenden jungen Mann, der sich in Albioris (Wittenberg) in eine schöne verheiratete Frau verliebt, die seine Liebe durch widersprüchliche Signale zu nähren weiß, ihn aber der Lächerlichkeit preisgeben will. Sie stellt ihm eine Falle, in die schließlich ihr Mann tappt, als er aus Argwohn vorzeitig von einer Reise heimkehrt. Der Titel ist unter Vertauschung der Attribute amarum und iucundum übernommen von Filippo Beroaldos d. Ä. Versübertragung der Novelle Boccaccios von Guiscardo und Sigismonda (Decam. IV 1), die in Deutschland zuerst Jacobus J Barinus als Carmen de duobus amantibus capite iucundum exitu amarissimum drucken ließ (7 Drucke bis 1501:
1328
GW 4108⫺4111; VD 16, B 5832 u. ö.). Anders als die zeitgenössisch weitverbreiteten Prosa- und Versnovellen ähnlichen Titels (vgl. auch Aeneas Silvius D Piccolomini, B.I.b.2.) ist K.s Versschwank ganz auf die komische Wirkung und die Warnung vor Frauenlist abgestellt und vertritt ein im Vergleich mit jenen extrem reduziertes Liebeskonzept. Dennoch ist dieser Entwurf einer lat. Novelle, zu der es im deutschen Humanismus nur wenige Parallelen gibt (vgl. Samuel D Karoch, II.3., Paul D Schneevogel, B.VII.1.), beachtenswert. Angeschlossen sind carmina extemporanea et succisiua (B iiir⫺[C4]r), teils eigene Gedichte, darunter ein Streitgespräch zweier Prostituierter über einen gemeinsamen Freier, Gruß- und Lobgedichte an Beckmann und einige Studenten sowie ein Aufruf an die Jugend, sich nach dem Artes- dem Rechtsstudium zu widmen, teils Carmina anderer Autoren, darunter Empfehlungen des Sbrulius, vier Epigramme des späteren kursächsischen Kanzlers Christian Beyer (1482⫺1535) und ein ⫺ der Tendenz von K.s Gedichten entgegengesetztes ⫺ Venuslob des Hermann J Buschius. Druck. Andreae Crappen Vuittenbergensis Carmen | de duobus amantibus capite amarum | exitu iucundissimum. | [...]. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, 31. Juli 1508. VD 16, ZV 9200. Titelepigramm des Wittenberger Kommilitonen Ludwig Trutebul; Titelbl.v⫺A iir: Empfehlungsgedichte Kilian Reuters (über K.s scomata amantum) und Beckmanns (K.s ingenium).
b) ‘Modus vitandi peccata’, ‘Praeceptum bene vivendi’ und ‘Insani amoris medela’. An den adligen Kommilitonen Joachim von Latorff (immatr. WS 1502/3, Bakkalaureus artium WS 1504) richtete K. 1509 ein Lehrgedicht über gottgefälligen Lebenswandel (74 Dist.), in dem, nicht ohne misogyne Ausfälle, zu Keuschheit, Nüchternheit und beständigem Gebet aufgerufen wird. Beckmann (Titels.) und Sbrulius (Titelbl.v) lobten das Gedicht in Epigrammen. Der Druck enthält ferner kleine geistliche Gedichte K.s, ein Votivgedicht an die Parthenice Maria, sieben Epigramme auf die Sonn- und Festtage der Fastenzeit u. ä.
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Kruyshaer, Johannes
K. ließ die Gedichte 1514 erneut drukken, ergänzt um das ebenfalls an Latorff gerichtete ‘Praeceptum bene vivendi’ (35 Dist.), eine Empfehlung der Gebote Christi an alle, die das ewige Leben erlangen wollen, und ein Carmen über ‘Heilmittel gegen die unsinnige Liebe’ (40 Dist.) mit vorangehendem Grußgedicht (12 Dist.) an den Freund Johannes Heß, den späteren Reformator Breslaus. K. warnt ihn, dem er sich wie Achill dem Patroklos und Euryalus dem Nisus verbunden weiß, vor den Verführungskünsten der Frauen und ruft ihn auf, ein allfälliges Verhältnis zu beenden. (An Heß hatte 1511 Wolfgang J Cyclopius ein nahezu titelgleiches Gedicht gerichtet.) Die geistlichen Gedichte sind um eine Selbstbefragung vor dem Empfang der Kommunion (7 sapph. Strr.) und ein Gebet an den Erlöser Christus (34 Hex.) vermehrt, am Ende ist ein Gedicht Hermann Tulkens (Tulichius) an K., den Dichter und Juristen, hinzugefügt. Die Gedichte, in denen K. auf Verse “seines Sbrulius” (A iijr) verweist, bedeuten in ihrer moralistischen und geistlichen Ausrichtung keinen Bruch gegenüber der Novelle (anders Ellinger, S. 61), zumal K. Verse von dort in die ‘Insani amoris medela’ wörtlich übernimmt. Drucke. 1. Modus vitandi peccata Andreae Crappi | Guitenburgii Ad Nobilem & eruditum [...] Ioachim de | Latorff succisiuis horis deductus. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, 1509. VD 16, K 2278 (Ex.: Wittenberg, Lutherhalle, CGH 227). ⫺ 2. Modus Vitandi peccata [...] Praeceptum Bene Vivendi | extemporaliter decantatu [...] ad Ioannem Hessum Insani amoris | Medela. | [...]. Wittenberg: Joh. Rhau-Grunenberg, 1514. VD 16, K 2277. ⫺ Das Gedicht an Christus wurde 1552 von Georg Fabricius in die ‘Additiones’ zu seinen Hymnen ‘De historia et meditatione mortis Christi’ (Leipzig 1552; VD 16, F 314) übernommen, einige Verse desselben Gedichts druckte auch Hermann Hamelmann in einem Anhang zu Cornelis Crokes ‘Precationes et meditationes in passionem domini nostri’, o. O. 1573 (VD 16, C 6069) ab ([d8]r). Literatur. Wolfenbütteler Anonymus, S. 83; G. Bauch, Beitr. z. Litt.gesch. d. schles. Humanismus I, Zs. d. Ver. f. Gesch. u. Alterthum Schlesiens 28 (1892) 213⫺248, hier S. 223 f.; Ellinger, Neulat. Lit, Bd. 2, S. 59⫺61; Luther-Br., Bd. 3, S. 282 f. mit Anm. 2, Bd. 12, S. 410; H. Junghans, Der
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junge Luther u. die Humanisten, 1984, S. 59 f.; Melanchthon-Br., Regesten, Bd. 12, 2005, S. 457 f. (biograph. Daten, Lit.).
J. Klaus Kipf
Kratwol, Heinrich J Euticus, Heinrich Kruyshaer (Cincinnius), Johannes (Lippiensis, de Lippia) I . L eb en . Mit der Namensform Cincinnius, der Latinisierung seines Familiennamens, nannte sich K. zuerst 1510 und verwendete sie, etwa in den Kaufvermerken seiner Bücher, in seinen lat. Veröffentlichungen und im Verkehr mit gelehrten Freunden, seither regelmäßig. Sein Bücherzeichen, das Monogramm IKL (Iohannes Kruyshaer Lippiensis), behielt er jedoch unverändert bei. In den Akten des Klosters Werden erscheint er auch nach 1510 stets mit seinem alten nd. Namen.
K., geb. um 1485 im westfäl. Lippstadt, erhielt seine erste Schulbildung vielleicht in seinem Heimatort; nach verbreiteter Annahme könnte er auch die Domschule in Münster besucht haben. Zu Dank verpflichtet fühlte er sich “wie einem Vater und Lehrer” dem Pfarrer von Herzfeld (westl. Lippstadt) Heinrich Ostmoellen (Widmung der Ida-Vita, s. u. II.A.2.). Am 30. April 1502 schrieb er sich für das Studium der Artes an der Univ. Köln ein (Joh. Kruyshaer de Lippia), gehörte dort der Montanerburse an und wurde im Nov. 1503 zum Baccalaureus promoviert. Nach dem auf das Bakkalaureat folgenden obligatorischen Studienjahr verließ er die Universität. Seit dem Sommer 1505 ist K. in der Benediktinerabtei St. Ludgerus zu Werden a. d. Ruhr nachweisbar. Er wurde in die Familia des Klosters aufgenommen und arbeitete als Schreiber und Diener des Abtes in der Verwaltung. Ohne daß er in den Konvent eintrat, wählte er das Kloster zu seinem dauernden Lebensort. 1509 zeichnete er im Besitzvermerk eines Buches erstmals als “Priester im Kloster Werden”. Am 19. Febr. 1510 ist er als solcher urkundlich bezeugt; er erhielt damals zu seinem Unterhalt die Pfründe des Benedictus-Altars in der Klosterkirche und schenkte seiner-
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seits dem Konvent 100 rhein. Goldgulden (s. die bei Freit‰ger, 2000, S. 391 f., abgedruckte Urkunde, die auch K.s Rechte und Pflichten in Werden festhält). Die dem Konvent übergebene Summe wurde vielleicht für den 1512 neu errichteten Hochaltar verwendet; auf einem der Altarbilder (Szenen aus dem Leben des hl. Ludger) porträtierte der Maler in der Figur von Ludgers Kaplan anscheinend den jungen K. (s. Freit‰ger, 2000, S. 180). Über die Position eines Schreibers wuchs der gelehrte K. im Werdener Kloster bald hinaus. Er genoß Achtung und Vertrauen, war Kaplan dreier Äbte, leitete die Archive des Klosters, versah vielleicht auch das Amt des Bibliothekars; darauf weisen ein wohl 1511/12 von K. geschriebenes Bücherverzeichnis der Klosterbibliothek (s. Frenz) und die Neuordnung der Bibliothek, die er 1542/43 im Auftrage des Abtes durchführte. Für eine Lehrtätigkeit K.s an der Werdener Klosterschule fehlt jeder Beleg, doch gibt die große Zahl ‘moderner’ Lehrbücher des Lateins, die er seit etwa 1515 bis in die 30er Jahre erwarb, ein signifikantes Indiz, daß er sich die humanistische Reform der Schule angelegen sein ließ. Die Übertragung der Vikarie Corpus Christi in der Helmstädter Stephanskirche sicherte ihm seit 1529 eine dauerhafte Verbesserung seines Einkommens. Neben seinen Tätigkeiten im Dienste des Klosters führte K. in Werden, wie seine eigene stattliche Bibliothek eindrucksvoll vor Augen stellt, von Anfang an das Leben eines Gelehrten mit zunehmend humanistischer Orientierung. Diese zeigt sich auch in der Veränderung seiner Handschrift von einer gotischen zu einer humanistisch modellierten Kursive (Abb. bei Freit‰ger, 2000, S. 29). K. eignete sich auch das Griechische an (ebd., S. 140⫺143). Die Zeugnisse sowohl von K.s Verwaltungstätigkeit als auch seiner gelehrten Studien brechen Ende der 1530er Jahre ab, und zugleich werden seine vordem reichen Bucherwerbungen auffallend selten. Diese Befunde könnten auf gesundheitliche Schwächen des Mannes weisen, der nach schon früheren Indizien nicht von robuster
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körperlicher Konstitution war. Er starb in Werden am 9. März 1555. K. war für das geistige Leben in Werden in der ersten Hälfte des 16. Jh.s der wohl wichtigste Anreger. Gelehrte Freunde fand er im Kölner Albertistenkreis (Ortwin Gratius, Jakob Magdalius), der auch in Münster seine Anhänger hatte. Er wird dort engere Verbindungen zu Rudolf von J Langen, vielleicht auch zu Joseph J Horlenius gehabt haben, die ihm 1515 zum Druck der Ludgerus-Vita Verse des Geleits schrieben (s. u. II.A.1.). Der erhaltene Bestand seiner durch die Jahre hin planvoll gewachsenen Bibliothek, ein instruktives Dokument seines ‘Klosterhumanismus’, das erstmals Freit‰ger (2000, S. 311⫺334) erschloß, umfaßt 74 Bände mit insgesamt 157 Titeln (Verzeichnis: ebd., S. 347−379). I I. We rk . K. hatte als Schriftsteller kein eigenes Programm, keine Ziele, die er dauerhaft verfolgt hätte. Seine lat. Schriften, die in die Jahre ca. 1512⫺1520 fallen, sind hagiographische Arbeiten, welche die Verehrung bestimmter Lokalheiliger unterstützen sollten. In seinen späteren Jahren hatte K. Neigung, durch Schriften in der Volkssprache ungelehrten Lesern unterhaltsames Wissen zu vermitteln. Zu den zahlreichen Zeugnissen der Verwaltungstätigkeit K.s vgl. Freit‰ger, 2000, S. 158⫺ 164. Über das Alltägliche hinaus geht K.s Beschreibung der Inthronisation von Abt Johannes von Groningen am 24. April 1520 (Düsseldorf, Hauptstaatsarchiv, Reichsabtei Werden, Akten VIIIa/23, 188r⫺191v; dazu Jacobs, mit Textabdruck).
A . H ag io gr ap hi e. 1. ‘Vita divi Ludgeri’. Die 1515 gedruckte lat. Vita des hl. Ludger, des ersten Bischofs von Münster und Gründers der Abtei Werden, fußt auf mal. Quellen, die sämtlich “auch uns noch bekannt” sind (Diekamp, S. XCIX), bes. auf D Altfrids Liudger-Vita, der K. in der Gliederung in zwei Bücher ⫺ Vita und Miracula ⫺ folgte und deren Praefatio er wörtlich übernahm; daneben schöpfte er aus der Ida-Vita D Uffings von Werden, anderen Viten und verschiedenen Chroniken,
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nicht zuletzt Werdener Urkunden. Seine umsichtige Heuristik diente vor allem einer genaueren historischen Ausstattung der Vita und Erläuterungen zu den in ihr auftretenden Personen. Zu mündlicher Überlieferung äußerte sich K. skeptisch, wenn nicht ablehnend. Er widmete die Vita dem Werdener Konvent. Schon 1512 hatte K. eine nd. Version der Ludgerus-Vita verfaßt. Freit‰ger, 2000, S. 190 f., hielt sie für die Erstfassung, die 1515 gedruckte lat. Vita für deren Übersetzung ⫺ obwohl die nd. Version im Prolog und im Kolophon ihrerseits als Übersetzung uth dem latino gekennzeichnet ist (Diekamp, S. 274 u. 278) ⫺, nahm aber 2001, S. 232, von dieser Ansicht wieder Abstand. So ist davon auszugehen, daß die nd. Version eine nicht erhaltene 1512 oder früher verfaßte lat. Vita aus K.s Feder zur Vorlage hatte, die er 1515 ⫺ womöglich überarbeitet ⫺ drucken ließ.
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faßt hatte. Neben einer mäßigen sprachlichen Modernisierung erfuhr der Text durch K. anhand weiterer Quellen historische, geographische und genealogische Bereicherung. Auffällig ist das schon in K.s Ludgerus-Vita begegnende Bestreben, eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen Ludger und Ida herzustellen: sie sei seine Taufpatin gewesen ⫺ eine Mitteilung, die keinerlei Stütze in den älteren Quellen hat. Dem Titel Libellus sermocinalis […] gemäß war die Vita für Zwecke der Predigt bestimmt.
Druck. Vita diui Lud⫽|geri Mimigardeuordensis ec⫽|clesie: que est Monasteriensium Westphalie Protho|episcopi Saxonumque et Phrisonum Apostoli […]. Köln: Quentel, 1515. VD 16, K 2477. Rautenberg, S. 327 f. Titelepigramm (3 Dist.) von Rudolf von Langen. Titelbl.v: Epigramme von J Horlenius und Gratius. Am Ende (nach dem Druckvermerk) Uffings (?) LudgerusHymnus und K.s eigener Hymnus auf das Fest des Heiligen. Ausgabe. Diekamp, S. 256⫺267. Handschriften der nd. Fassung: Münster, Nordrhein-Westfäl. Staatsarchiv, Altertumsverein, Mscr. 136, 33r⫺80r, De historie van deme leven des heligen gloriosen Confessoers cristi sent Ludghers […], Autograph, datiert auf den 20. Dez. 1512. Der Hs. vorgebunden ist ein Ex. des Druckes von K.s Ludgerus-Vita von 1515 mit zahlreichen Korrekturen und Notizen von K.s Hand. Zur Hs. s. U. Hinz, Handschriftencensus Westfalen, 1999, S. 162 f. Auszüge gedr. bei Diekamp, S. 274⫺278.
Überlieferung. Datierung und Überlieferungsgeschichte konnte erst Collins 2006 (Ausg., S. 337 f.) aufgrund des von ihm im Herzfelder Pfarrarchiv aufgefundenen Widmungsbriefs an Heinrich Ostmoellen klären. 1. Das Original, das K. 1517 dem Herzfelder Pfarrer mit der brieflichen Widmung schickte, ist nicht erhalten. 2. Die in Werden damals verbliebene Abschrift (ohne die Widmung) befindet sich heute in Münster, Staatsarchiv, Altertumsverein, Mscr. 356, Autograph K.s und aus seinem Besitz. 15r⫺25r: Libellus sermocinalis de vita et sancta conversatione beatae Idae. Zum weiteren Inhalt der Hs. s. U. Hinz, Hss.census Westfalen, 1999, S. 171. 3. Eine Abschrift (ohne die Widmung) auf Pergament wurde 1522 in Herzfeld angefertigt und zusammengebunden mit einer aus dem 12. Jh. stammenden Hs., die auf Bl. 1v⫺20r Uffings Ida-Vita und auf Bl. 20v⫺24v die ihm in einer Randnotiz des frühen 16. Jh.s irrig zugeschriebene Vita des hl. Lucius von Chur (BHL 5024) enthält. Sie befindet sich seither im Pfarrarchiv von St. Ida in (Lippetal-)Herzfeld (ohne Sign.). Bl. 25v⫺35v: Libellus sermocinalis de vita et sancta conversatione beatae Idae. Die Hs. ist gegenüber dem Original und K.s Autograph um einen Anhang von Wunderberichten aus der Zeit 1507⫺1519 erweitert. Vgl. Hinz, Hss.census, S. 54. Ausgabe. D. Collins, Renaissance Revisions: A Brief Analysis and Critical Edition of Cincinnius’ Vita b. Idae, A Revision of BHL 4143, Anal. Boll. 124 (2006) 335⫺358.
2. Vita der hl. Ida von Herzfeld. 1517 übersandte K. dem Pfarrer von St. Ida in Herzfeld Heinrich Ostmoellen eine neue Vita der Pfarrpatronin, welche dieser erbeten hatte. Es handelt sich um eine teils kürzende, teils sparsam erweiternde Bearbeitung der alten Ida-Vita, die der Mönch Uffing i. J. 980 anläßlich der Translation der Heiligen nach Werden ver-
3. ‘Macchabaeorum Martyrum agones’. Unter dem 31. März 1520 widmete K. den Nonnen des Kölner Makkabäer-Klosters, dessen Kommissar der Abt von Werden war, zum Dank für die Aufnahme, die sie ihm 1517/18 während der in Westfalen grassierenden Pest gewährt hatten, seine Legende vom Martyrium der sieben makkabäischen Brüder und ihrer Mutter Salo-
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mone. Die Schrift ist eine Kompilation, deren Quellen ⫺ von der Bibel und Flavius Josephus über die Kirchenväter bis zu J Erasmus (‘Comparatio virginis et martyris’) und Magdalius ⫺ K. vorweg ausdrücklich verzeichnet. Er stellt die Makkabäerbrüder als Beispiele der Glaubenstreue und als Vorläufer der christlichen Märtyrer dar.
auf Gratius: D. Iohannis | Fabri, episcopi Vien⫽| nensis, Sermones fructuosissimi […]. Köln: Peter Quentell, Febr. 1537. VD 16, F 234. Am Ende von Gratius’ beigedrucktem ‘Triumphus b. Job’ (Bl. [DD4]r) das In Orthvinum Gratium Christo Musisque sacrum Iohannis Cincinnij Lippiensis Epigramma mit einem kurzen Begleitbrief K.s (Werden, 11. Jan 1537).
Überlieferung. Nach 1521, aber spätestens 1525 ließ Helias von Mertz (Marcaeus), der Rektor des Kölner Makkabäerklosters, ein umfangreiches Corpus von Texten zum Lobpreis der sieben makkabäischen Brüder und ihrer Mutter Salomone sowie zur Geschichte ihrer Reliquien zusammenstellen, das auch K.s Makkabäer-Legende enthält. Die Sammlung sollte die Tradition des Kultes der Makkabäer dokumentieren, deren angebliche Gebeine zusammen mit denen der hll. Drei Könige Ks. Barbarossa 1164 dem Kölner Eb. Reinhard von Dassel übergeben hatte. Verzeichnis des Inhalts der Slg.: J. M. Plotzek u. a. (Hgg.), Glaube u. Wissen im MA. Die Kölner Dombibliothek, 1998, S. 537⫺ 539. Nach Freitr‰ger, 2000, S. 210 f., hat K. die Sammlung arrangiert. Sie ist in zwei Hss. erhalten, die beide nicht ihren Schreiber nennen: 1. Köln, Diözesan- u. Dombibl., Cod. 271, datiert vom Schreiber auf 1525 (Bl. 7v). Kalligraphisch in einer humanistischen Minuskel beschriebene Pergamenths. mit reichem Buchschmuck (Bildinitialen, Miniaturen, Wappen des Werdener Abtes Johannes und des Helias von Mertz, u. a.). Bl. 79r⫺119r: K.s ‘Macchabaeorum martyrum agones’. Nach Freit‰ger Autograph K.s. ⫺ 2. Paris, BN, lat. 10161, Papier, nach Freit‰ger, S. 210, eine “von Cincinnius zumindest redigierte” Hs., “vielleicht … autograph”. Der Text der Kölner Prachths. ist nach Freit‰gers (nicht gesicherter) Ansicht aus der Pariser Hs. kopiert.
1 . ‘ Fr ag eb uc h’ . Das zur Belehrung und wohl mehr noch zur Unterhaltung gedachte ‘Fragebuch’ bringt in der Form von Frage und Antwort in vier Büchern zu je 100 Fragen Wissenswertes von Himmel und Erde, aber auch mancherlei Kuriositäten. Nach den einleitenden 18 Fragen zu Gott dem Schöpfer schreitet das Buch voran durch alle Bereiche der geschaffenen Welt, den Kosmos mit seinen zehn Himmelssphären, die vier Elemente in ihren verschiedenen Formen und Erscheinungen. Den weitaus größten Raum beansprucht die Erde (Geographie, Geologie, Pflanzen- und Tierwelt). Der abschließende Themenbereich ist die menschliche Natur (Buch IV 40⫺93). Nur danach taucht, mit der Frage über die Weltzeitalter, einmal Geschichte auf. Das Buch endet mit fünf Fragen zu den Letzten Dingen. Nach seinem enzyklopädischen Ansatz und seiner Darstellungsform (Frage/Antwort) hat K. sich vom Beispiel des in Drukken der Zeit weitverbreiteten D ‘Lucidarius’ anregen lassen, den er in der Reimvorrede auch nennt, um sich von ihm wegen seiner Irrtümer und angeblichen Weitschweifigkeit freilich abzusetzen. Nicht minder, da für ihn moralisch anrüchig, verwirft er Lesestoffe wie die Tannhäusersage, D ‘Stynchyn van der krone’, ‘Lanzelot’, ‘Melusine’, D Piccolominis ‘Eurialus und Lucretia’, das ‘Decameron’ und ⫺ arg mißverstehend ⫺ auch das D ‘Beginchen von Paris’. Ein Verzeichnis der Quellen, aus denen er seine Mitteilungen schöpfte, Quellen erster (Aristoteles, Plinius u. a.) und zweiter (Vinzenz von Beauvais u. a.) Hand, auch zeitgenössische wie Gregor J Reischs ‘Margarita philosophica’, stellte er dem Text voran; die jüngste ist Timan J Kemeners ‘Compendium naturalis philosophiae’ (1521).
B . L at ei ni sc he Ge di ch te . Aus K.s Feder sind nur zwei Gelegenheitsgedichte bekannt. Er ist wahrscheinlich der Verfasser eines Epitaphs in 20 Distichen auf Abt Antonius Grimholt († 1517). 1537 erschien als Beigabe zu Gratius’ ‘Triumphus beati Job’ ein Epigramm (12 Dist.) K.s auf den Autor, das diesen den anderen westfälischen Musensöhnen Rudolf von Langen, Hermann J Buschius und Alexander D Hegius an die Seite stellt. Überlieferung. Zum Epitaph auf Abt Grimholt: Freit‰ger, 2000, S. 154. ⫺ Das Epigramm
C . Nie de rd eu ts ch e S ch ri ft en
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Druck. Frage boich van CCCC. | gotlicher vnd na|turlicher sachen: van gode/ den engelen/ den hym⫽|melen/ den planeten vnd gestyrnten/ den elementen/ | vnd dem wesende der werlt […]. Köln: Melchior von Neuß, 1527. VD 16, ZV 9238. Ex.: Köln, UStB, A 2/110.
Druck. Van der niderlage drijer | Legionen e krijgß|folcks […]. Köln: vnd meren Romischen Quentell, 1539. VD 16, K 2476. Abdruck von G. Rudolph, Joh. Cincinnius: Von der Niederlage des Varus, in: 200 Jahre Landes- u. Stadtbibl. Düsseldorf, 1970, S. 109⫺119.
2. Über die Varusschlacht. Die 1922 wiederentdeckte (s. Nˆrrenberg; Bˆmer, 1937, S. 208) kleine Schrift sollte, so K.s Vorrede, seine Landsleute mit einer zum Ruhme Westfalens beitragenden Neuigkeit bekannt machen, mit der Vernichtung, welche die Legionen des P. Quinctilius Varus i. J. 9 n. Chr. durch die Cherusker, Brukterer u. a. unter Führung des Arminius erlitten. K. bietet keine eigenständige Darstellung der Geschehnisse, vielmehr in nd. (westfäl.) Übersetzung eine Sammlung von Auszügen aus den antiken lat. und griech. Geschichtsschreibern, die über die berühmte Varusschlacht berichten (Velleius Paterculus, Tacitus, Livius-Epitome, Florus, Sueton, Strabo, nicht Cassius Dio, der K. noch unbekannt war). Er schickte der Dokumentation ein kleines eigenes Kapitel zur Frage des Orts der Varusschlacht voraus, das, gestützt auf Tacitus, gegen deren traditionelle Lokalisierung bei Augsburg und jüngere andere Mutmaßungen (Mainz, Kassel) den Schauplatz des Geschehens erstmals nach Riccardus J Bartholinus, dessen ‘Austrias’ K. aber wohl nicht kannte, im Westfälischen verortet, tuschen den wateren der Emesen und der Lippen, by dem Retborge [Rietberg] und jn der Delbruggen [Delbrück]. Ein Fehlgriff K.s war die angehängte, Tacitus (Germ. 8) entnommene Erzählung von der na older Duytschen wyse göttlich verehrten Seherin Veleda, die auch des Varus Untergang vorausgesagt haben soll, tatsächlich aber erst in der Zeit Vespasians lebte.
Literatur. W. Diekamp, Die Vitae s. Liudgeri (Die Gesch.quellen d. Bisthums Münster 4), 1881, S. XCVIII⫺CII; P. Jacobs, Inthronisation des Abtes Johann V. am 24. April 1520, Beitrr. z. Gesch. d. Stiftes Werden 13 (1909) 23⫺43; C. Nˆrrenberg, Die älteste dt. Schrift über d. Varusschlacht, Die Heimat [Dortmund] 5 (1923) 50 f.; A. Bˆmer, Joh. Cincinnius, in: Westfäl. Lebensbilder 5, 1937, S. 208⫺222; ders., Eine volkstümliche dt. Enzyklopädie eines Werdener Bibliothekars aus d. J. 1527, in: Fs. G. Leyh, 1937, S. 38⫺53; W. St¸wer, ‘Pro liberaria et scriptoria’[!]. Aus d. Bibliotheksgesch. d. Abtei Werden, in: 200 Jahre Landes- u. Stadtbibl. Düsseldorf, 1970, S. 99⫺108; W. St¸wer, Die Reichsabtei Werden a. d. Ruhr (Germania Sacra NF 12,3), 1980, S. 52 f., 57, 102, 104, 143, 191, 440, 236 f., 520 f.; Th. Frenz, Ein Bücherverzeichnis aus d. Abtei Werden a. d. Ruhr […], Codices manuscripti 11 (1985) 9⫺14; U. Rautenberg, Überlieferung u. Druck (Frühe Neuzeit 30), 1996, S. 229⫺231, 235, 237; A. Freit‰ger, ‘Klosterhumanismus’: J. Cincinnius u. d. Bildung im Kloster Werden 1505⫺1555, in: J. Gerchow (Hg.), Das Jahrtausend der Mönche. Kloster Welt Werden 799⫺1803, 1999, S. 248⫺254, S. 380, 382 f., 386, 389, 393, 401; ders., Der Humanist Joh. Cincinnius von Lippstadt (1485⫺1555). Bibl. u. Geisteswelt eines westfäl. Humanisten (Westfäl. Biographien 10), 2000; ders., Joh. Cincinnius, ‘Van der niderlage drijer Legionen’ (Köln 1539), Untersuchungen zu einer mittelnd. Bearbeitung d. Arminius-Stoffes, in: H. Finger (Hg.), Bücherschätze d. rhein. Kulturgesch., 2001, S. 225⫺254; D. Collins, Chorography and Hagiography. Joh. Cincinnius’s Revision of Uffing’s ‘Vita sanctae Idae’, in: G. Signori (Hg.), ‘Heiliges Westfalen’. Heilige, Reliquien, Wallfahrt u. Wunder im MA, 2003, S. 211⫺225; ders., Reforming Saints. Authors and Lives in Renaissance Germany, New York 2008, S. 84⫺92.
F. J. Worstbrock