171 66 12MB
German Pages 202 [223] Year 1878
Die biblische Schöpfungsgeschichte.
Die
Biblische Schöpfungsgeschichte und ihr Verhältniß Zu den Ergebnissen der Natnrforschnng.
Von
Dr. Fr. Heinrich Reusch, Professor der katholischen Theologie an der Universität zu Bonn.
(Ein Auszug aus des Verfassers größerm Werk „Bibel und Natur", vierte Auflage, Bonn 1876.)
Bonn, Eduard Weber's Verlag (Julius Flittner).
1877.
Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen wird Vorbehalten.
Vorwort.
Von verschiedenen Seiten ist mir bemerkt worden, mein int vorigen Jahre in vierter Auflage erschienenes Buch „Bibel und Natur" sei für Manche, welche sich für
den darin behandelten Gegenstand intercssirten, zu um fangreich; es enthalte über einzelne theologische und naturwissenschaftliche Fragen Erörterungen, die in dieser Ausführlichkeit nur für Gelehrte bestimmt zu sein schienen,
theilweisc nur für diese
verständlich seien;
für einen
größern Leserkreis sei eine kürzere und populärere Be
handlung, wie sie in den Schriften von Ebrard, Zöckler,
Zollmann, Luken gegeben
wird,
Bedürfniß.
Da
keine dieser kürzeren Bearbeitungen mir genügend scheint,
so habe ich, um jenen Wünschen zu entsprechen, aus meinem Buche den Auszug angcfertigt, welchen ich jetzt veröffentliche.
Er behandelt alle in dem größern Werke
erörterten Fragen, — thcilwcise in etwas veränderter Reihenfolge, — in kürzerer und populärerer Darstellung,
mit Weglassung des theologischen, naturwissenschaftlichen und literarischen Apparates, im Ucbrigen aber im An
schluß, zum Theil im wörtlichen Anschluß an die aus-
führlichere Darstellung. Ich denke mir, die kleine Schrift könne nicht nur für diejenigen von Nutzen sein, welche
nur für die Lectüre einer kurzen Erörterung der betref fenden Fragen Zeit oder Neigung haben, sondern auch als
vorläufige Orientirung die Benutzung meines größer»
Buches
erleichtern und Manchen veranlassen, sich aus
diesem genauer über die Forschungen zu unterrichten, von denen in der vorliegenden gedrängten Darstellung nur
die Ergebnisse mitgctheilt werden können. Bonn, im Juli 1877.
Der Verfasser.
Inhalt.
Seile I.
II.
III.
IV.
Einleitung.
Die
Erschaffung der
Welt
.
.
1
Allgemeine Bemerkungen über das erste Capitel der Genesis.................................................................
15
Erklärung des ersten Capitels der Genesis
31
.
.
Beseitigung einiger Mißverständnisse bezüglich des biblischen Schöpfungsberichtes...................................... 48
V.
Die Geologie und die „sechs Tage"
VI.
Die Geologie und die „sechs Tage".
VII. VIII.
IX.
X. XI.
XII.
....
54
.
67
Schluß
Astronomie und Bibel......................................... 84 Die Entstehung der Pflanzen und Thiere
Die sogenannte Descendenz-Theorie
.
93
....
101
.
Die Erschaffung des Menschen......................... 128 Die Einheit des Menschengeschlechts
....
143
Der Urzustand der Menschen.........................163
XIII.
Das Alter des Menschengeschlechts
XIV.
Die Sündfluth.................................................... 188
....
174
I. Einleitung.
Die Erschaffung der Welt.
Es wird bekanntlich vielfach behauptet,
nisse der naturwissenschaftlichen Forschungen,
die Ergeb welche in
unserer Zeit mit großem Eifer und Erfolge betrieben
werden,
ständen im Widerspruch mit dem,
was in der
Bibel über die Erschaffung der Welt und über die frühere Geschichte der Erde und der Menschen berichtet werde.
Die Aufgabe der folgenden Erörterungen ist, nachzuweisen,
daß diese Behauptung unrichtig ist, daß die Berichte der Bibel, wenn sie richtig verstanden werden, mit den wirk
lichen, gesicherten Ergebnissen der Naturforschung nicht in Widerspruch stehen und daß man alles, was die Natur wissenschaft als wahr erwiesen hat, anerkennen kann, ohne
den Glauben an die Wahrheit der biblischen Berichte auf
geben zu müssen. Nach dem von jeher in der christlichen Kirche fest gehaltenen Glauben können die in der Bibel ausgezeich
neten Offenbarungen Gottes keinen Irrthum enthalten. Aber auch die Natur kann uns keinen Irrthum lehren, wenn sie, wie gleichfalls stets in der christlichen Kirche geglaubt worden, das Werk desselben Gottes ist,
dessen
Offenbarungen in der Bibel ausgezeichnet sind, und wenn
es Ein und derselbe Gott ist, Reu sch, bibl. SchöpfungSgesch.
der in den Worten der 1
2 Bibel und in den stummen Zeichen der Natur zu dem
Menschengeiste redet.
Wenn also Sätze, von denen man
annimmt, daß sie Lehren der Bibel seien, mit Sätzen in Widerspruch stehen, welche die Naturforscher als Ergebniß
ihrer Beobachtungen und Untersuchungen hinstcllen, so ist ein Doppeltes möglich: entweder sind jene Sätze in Wirk
lichkeit nicht Lehren der Bibel und die Theologen sind
im Irrthum, welche die Bibel so auslegen, daß jene Sätze heraus kommen; oder die Sätze, welche als naturwissen
schaftliche Wahrheiten vorgetragen werden, sind in Wirk lichkeit nicht gesicherte Ergebnisse der naturwissenschaftlichen
Forschung,
sondern nur Ansichten und Vermuthungen,
welche sich bei genauerer Prüfung als irrthümlich erweisen.
Wir werden sehen, daß manche angeblichen Widersprüche zwischen den Lehren der Bibel und den Ergebnissen der
Naturforschung darin ihren Grund haben, daß die Worte
der Bibel nicht richtig verstanden worden sind, und daß der Widerspruch verschwindet, wenn die betreffenden Sätze der Bibel richtig gedeutet werden.
Wir werden aber auch
sehen, daß manche Sätze, welche für naturwissenschaftliche
Wahrheiten ausgegebcn werden, zwar mit der Lehre der
Bibel wirklich in Widerspruch
stehen,
daß diese Sätze
aber auch nicht gesicherte Ergebnisse der naturwissenschaft
lichen Forschung, sondern Behauptungen sind, von denen die berufensten Vertreter der Naturwissenschaft selbst an
erkennen,
daß sie entweder nur auf mehr oder weniger
unerwiesenen Vermuthungen oder geradezu auf irrthümlichen Ansichten beruhen.
Wir werden also bei dem, was
von Naturforschern über die sichtbare Welt,
ihre Ent
stehung und Entwicklung vorgetragen wird, unterscheiden
müssen zwischen dem, was nach dem übereinstimmenden
3
Urtheile der anerkannt tüchtigsten Gelehrten eine erwie sene Wahrheit, und zwischen dem, was eine unerwiesene
Vermuthung oder eine Meinung Einzelner ist.
Letzteres
braucht der Theologe ebenso wenig als wahr anzuerken
nen, wie es von den Naturforschern selbst als wahr an erkannt wird.
Von Ersterm aber darf der Theologe nicht
behaupten, es sei unrichtig,
weil es mit der Lehre der
Bibel in Widerspruch stehe; er muß vielmehr nachweisen, daß es zwar wohl mit der Auslegung der Bibel, die von einzelnen oder vielen Theologen als die richtige angesehen
wird, aber nicht mit der Bibel selbst in Widerspruch stehe, daß jene Auslegung der Bibel irrthümlich sei und daß die Worte der Bibel eine Deutung zulassen, welche den
gesicherten Ergebnissen der Naturforschnng nicht wider spricht. Ich beginne die Vergleichung der biblischen und der
naturwissenschaftlichen Lehren
mit dem Satze,
welcher
ganz unzweifelhaft in der Bibel an vielen Stellen aus
gesprochen wird und welcher den eigentlichen Kern alles dessen bildet, was die Bibel überhaupt über die Welt
lehrt.
Es ist der Satz, daß die Welt von Gott geschaffen,
d. h. daß die Welt nicht von Ewigkeit, und daß sie durch
den Willen Gottes hervorgebracht worden ist.
Dieser
Satz wird gleich in dem ersten Verse der Bibel ausge sprochen : „Im Anfänge schuf Gott den Himmel und die
Erde."
Der Psalmist spricht ihn in dichterischer Form
aus in dem Verse (Ps. 33, 6): „Durch das Wort Jehova's ist der Himmel gemacht, und durch den Hauch seines
Mundes all ihr Heer."
An vielen Stellen des Alten
und Neuen Testamentes heißt Gott „der Schöpfer des
Himmels und der Erde",
und demgemäß beginnen die
4 altkirchlichen Glaubensbekenntnisse mit dem Satze:
„Ich
glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer
des Himmels und der Erde", oder: „Ich glaube an Einen Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels
und der Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge." Eben dieser Satz, wie gesagt, der wichtigste unter allen Sätzen, in denen die Bibel von der Welt spricht, steht
nun aber ganz gewiß mit keinem gesicherten Ergebnisse
der Naturforschung in Widerspruch.
Bei allen Versuchen, die Geschichte der Veränderungen und Entwicklungen der sichtbaren Welt möglichst hoch
hinauf zu verfolgen,
kann nämlich die Naturforschung
nicht weiter kommen, als bis zu irgendwelchen ursprüng
lichen Stoffen, aus welchen unter der Einwirkung ge
wisser Kräfte und unter der Herrschaft gewisser Gesetze die Dinge durch eine Reihe von Entwicklungen sich zu
ihrem jetzigen Zustande gestaltet haben.
Und wenn der
Naturforscher diese Stoffe und diese Kräfte auch noch so
sehr vereinfacht,
annehmen. und Kräfte?
irgend etwas muß er als vorhanden
Woher sind nun diese ursprünglichen Stoffe
Der Naturforscher kann nicht sagen,
selben seien aus nichts von selbst geworden;
die
denn so
mannigfaltige Veränderungen er auch an den Dingen
wahrnimmt und erklären kann, für das Vonselbstentstchen
eines Dinges aus nichts kann er kein Beispiel anführen. Er wird also am Ende seiner Untersuchung nur sagen
können: irgend ein Stoff ist sammt bestimmten Kräften
von Ewigkeit her gewesen, oder er ist durch irgend eine Ursache, die außerhalb desselben und vor demselben existirte,
schöpferisch hervorgebracht worden.
Welche von diesen
beiden Annahmen die richtige ist, das kann der Natur-
forscher als solcher nicht entscheiden; denn wenn er auf dem Wege,
auf welchem er die stufenweise Entwicklung
des jetzigen Bestandes der Welt aus jenem ursprünglichen Stoffe nachzuweiscn versucht, keine schöpferische Kraft als
nothwendig anzunehmen braucht, so kann er eben darum weder die Wirklichkeit noch die Unmöglichkeit einer Er
schaffung des ursprünglichen Stoffes, Weg sein Ende erreicht, kann sagen:
erweisen.
bei welchem sein
Der Naturforscher
gib mir diesen Stoff und diese Kraft, und
ich will die Welt construiren, wie sie jetzt ist; oder: die Welt, wie sie jetzt ist, kann aus diesem Stoffe und durch die Wirksamkeit dieser Kräfte durch eine Reihe von Ent
wicklungen hindurch, die ich zu beschreiben vermag, ent
standen sein; aber, muß er beifügen, ob dieser Stoff und diese Kräfte immer gewesen sind, ob sie von selbst aus
nichts geworden sind,
ob ein außerhalb dieses Stoffes
und dieser Kräfte stehendes Wesen sie hervorgebracht hat,
das weiß ich als Naturforscher nicht und das kann ich auf naturwissenschaftlichem Wege nicht ermitteln; das ist
eine Frage, welche die Philosophen oder die Theologen entscheiden
müssen.
„Von
dem Augenblicke an,
sagt
Oscar Fraas'), wo der Stoff in Raum und Zeit eintritt, verfolgen wir ihn durch sein ganzes Werden und Gestalten und verlieren ihn nie wieder in dem großen
Kreisläufe des Erdenlebens,
bei dem er zwar tausend
und aber tausendmal Form und Gestaltung aber nimmermehr untergeht.
wechselt,
Die einfachen Körper des
Planeten müssen der Geologie gegeben werden; das ist der feste Punkt des Archimcdes, von welchem sie weiter 1) Vor der Sündfluth, 1866, S. 111.
6 operirt.
Ueber den ersten Anfang der Dinge weiß sie
nichts Anderes, jedenfalls nichts Besseres zu sagen,
als
Im Anfang schuf
was Jedermann schon lange weiß:
Gott Himmel und Erde." Wenn einzelne Naturforscher den Satz: „die Materie ist ewig"
als eine naturwissenschaftliche Wahrheit oder
gar als ein Naturgesetz bezeichnen,
so ist das eine will
kürliche oder auf Unklarheit des Denkens beruhende Be
hauptung.
Wenn man sagt:
kein Stoff vergehen,
„Die Chemie lehrt,
daß
vernichtet werden und daß keiner
neu entstehen kann, und die Physik lehrt, daß keine Kraft vergeht und keine neu entsteht;
die vorhandene Größe
von Materie und Kraft kann durch keinen Vorgang um
das Kleinste vermehrt oder vermindert werden,"
— so
mag das von den chemischen und physicalischen Processen in dem jetzigen Naturbestandc gelten;
nicht einmal,
aber daraus folgt
daß der jetzige Naturbcstand nicht in Zu
kunft durch eine außer ihm stehende Kraft geändert oder
vernichtet werden könnte; noch viel weniger aber kann daraus gefolgert werden, daß die jetzt vorhandenen Stoffe
und Kräfte nicht einen Anfang haben könnten.
Gerade die Darstellung der Entstehung der Welt in
ihrem jetzigen Zustande,
welche von den angesehensten
neueren Naturforschern als die richtige, als die den Er
gebnissen der naturwissenschaftlichen Forschungen am besten entsprechende angesehen wird,
steht mit der Lehre von
der Erschaffung der Welt durch Gott nicht in Wider
spruch, sondern führt in ihren Consequenzen zu der An nahme eines schöpferischen Urhebers der Welt'). 1) Zu dem Folgenden vgl. Pfaff,
Ueber die Entstehung der
7 Man nimmt bekanntlich an, die Erde sei früher eine glühende, geschmolzene Kugel, und in noch früherer Zeit
sei unser ganzes Sonnensystem eine glühende Gaskugel gewesen, aus der durch Verdichtung und Abkühlung die Sonne und ihre Planeten entstanden seien. Man glaubt
dann noch weiter gehen und annehmen zu dürfen, daß
auf einer noch frühern Entwicklungsstufe überhaupt alle Himmelskörper als höchst verdünnte Gasmassen im Raume
verbreitet gewesen seien, ja daß zu allererst alle jetzt als gesonderte Himmelskörper erscheinenden Massen eine ein zige gleichförmig im Raume verbreitete Gasmasse gebildet
haben. Ueber diesen Zustand noch weiter hinaus erklären die Naturforscher nicht gehen zu können;
das sei das Aeußerste, sagen sie, was sie erreichen könnten, wenn sie
den Entwicklungsgang der Welt von ihrem jetzigen Zu stande nach rückwärts bis zu ihrem anfänglichen Zustande verfolgten. Nehmen wir an, diese Darstellung sei richtig, es sei also ursprünglich nur eine gleichmäßig durch den
ganzen Raum verbreitete Gasmasse vorhanden gewesen: was hat den Anstoß zu der Reihe von Entwicklungen
gegeben, durch welche dieses Gas sich zu gesonderten Welt körpern gestaltet hat? Die Physik kennt nur eine vierfache Weise, wie gasförmige Körper sich verdichten und in feste Körper verwandeln können:
außen;
1. durch einen starken Druck von
2. durch die physische Anziehungskraft oder die
sogenannte Schwere; 3. durch die chemische Anziehungs kraft der einzelnen Atome; 4. durch Temperaturerniedri-
Welt und die Naturgesetze, 1876, S. 8, und Schöpfungsgeschichte, 2. Ausl. 1877, S. 729. Huber, Die Lehre Darwin's, 1871, S. 184.
8 gung.
Nun konnte aber durch keine dieser Wirkungen die
ursprüngliche Gasmasse, wenn sie sich selbst überlassen blieb, verändert werden.
der die Gasmasse
1. Von einem Druck von außen,
zusammengepreßt
hätte,
kann nicht
die Rede sein, weil ja angenommen wird, dieselbe habe
den ganzen Raum erfüllt.
2. Die physische Anziehungs
kraft kann eine Sonderung des Stoffes zu einzelnen Kör pern nicht bewirkt haben; denn cs wird angenommen, daß der Stoff in gasförmigem Zustande gleichmäßig im Raume
verbreitet war, also alle Atome nach allen Seiten hin
gleich stark angezogen wurden und darum seins sich be wegen und dem andern nähern konnte. 3. Eine chemische
Anziehungskraft konnten die einzelnen Atome nicht auf
einander ausüben, weil ein solcher Zustand der GaSmasse als der ursprüngliche vorausgesetzt wird, in welchem die einzelnen Bestandtheile derselben unverbunden neben ein ander waren, sich, lute der technische Ausdruck lautet, im
Zustande der äußersten Dissociation befanden. 4. Eine Ver änderung der ursprünglichen GaSmasse durch Erniedri
gung der Temperatur hätte stattfinden können, wenn sich jene GaSmasse in
einem
kältern Raum befunden oder
an eine andere kältere Masse angestoßen hätte,
woran
ihre höhere Temperatur hätte abgegeben werden können.
Nun wird ja aber vorausgesetzt, daß die ursprüngliche GaSmasse den ganzen Raum
erfüllte,
also weder ein
anderer kälterer Raum noch eine andere kältere Masse vorhanden
war.
Mithin konnte auch
eine Abkühlung
derselben, wenn sie sich selbst überlassen blieb, nicht statt
finden. Zur Erklärung der Thatsache, daß mit jener ursprüng lichen GaSmasse Veränderungen vor sich gegangen sind,
9 welche die Entstehung der Himmelskörper zur Folge gehabt haben, reichen also die physicalischen und chemischen Kräfte jener Materie nicht
aus.
Es muß also
angenommen
daß eine nicht in der Materie liegende Ursache
werden,
jene Veränderungen bewirkt hat.
Welches diese Ursache
ist, kann die Naturwissenschaft nicht ermitteln; sie kann aber jedenfalls keine Einsprache dagegen erheben, wenn
die Philosophen und Theologen den Willen Gottes als diese Ursache bezeichnen.
Aus dem Gesagten folgt nun nicht sofort, daß die Welt von Gott geschaffen ist.
Wenn es für den Natur
forscher feststeht, daß die Welt in ihrem jetzigen Zustande
aus der ursprünglichen Materie nicht durch die Wirksam keit von Kräften, die in der Materie selbst lagen, ent
standen sein kann, so bleibt noch eine doppelte Annahme möglich:
entweder ist die Materie in jenem ursprüng
lichen Zustande von Ewigkeit her gewesen,
Veränderungen,
und nur die
welche mit ihr vor sich gegangen sind
und die jetzige Gestaltung des Weltbaus zur Folge gehabt
haben,
sind auf eine außer der Materie befindliche und
auf sie wirkende Kraft zurückzuführen,
oder auch
die
Materie selbst ist durch diese nicht materielle oder über
materielle Kraft entstanden,
also von dieser geschaffen.
In dem ersten Falle wäre Gott nur der Weltbildner, in
dem letztcrn Falle der Weltschöpfer gewesen.
Welche von
diesen beiden Annahmen die richtige ist, kann nicht auf
naturwissenschaftlichem Wege
entschieden
werden;
eben
darum kann aber auch die Naturwissenschaft nichts dage
gen einwendcn,
wenn die Bibel lehrt,
Gott
sei der
Schöpfer der Welt, und wenn auch Philosophen die An nahme als eine „für unser Denken unvermeidliche" be-
10 zeichnen, daß die Welt durch ein bewußtes und freies
geistiges Wesen geschaffen fei1). Daß die Welt in ihrer jetzigen Gestalt nicht ewig ist, sondern angefangen hat, ist von der neuern Naturwissen
schaft auf Grund der sogenannten mechanischen Wärme
theorie noch auf andere Weise erwiesen worden. Die in irgend einem Körper vorhandene Wärme ver
breitet sich nach allen Seiten hin, und wenn die so abge gebene Wärme nicht auf irgend eine Weise stets wieder ersetzt wird, so nimmt ihre Menge in dem betreffenden
Körper ab, oder, wie wir uns gewöhnlich ausdrücken, der Körper kühlt sich ab. Die Sonne und die anderen Fix sterne und die sogenannten Nebelflecke sind nun glühende,
also außerordentlich hoch erwärmte Körper, welche fort während durch Ausstrahlung in den Weltraum Wärme verlieren.
Da der Weltraum eine sehr niedrige Tempe
ratur hat und die Sonne und die anderen Fixsterne in Verhältniß zu ihm sehr klein sind, und da ein Ersatz für die an den Weltraum abgegebene Wärme jedenfalls nicht fortwährend in genügendem Maße stattfinden kann, um
den Verlust zu ersetzen, so muß also die in der Sonne
und den anderen Fixsternen
vorhandene Wärmemenge
immer mehr abnehmen, und dieselben werden mit der Zeit
gerade so erkalten, wie die Planeten, welche früher auch glühende Himmelskörper waren, ihrer viel geringern Größe wegen jetzt bereits erkaltet sind. Wir mögen uns die in den Fixsternen vorhandene Wärmemenge noch so groß
denken, sie ist nicht unerschöpflich, und es wird, wenn auch erst nach sehr vielen Jahrtausenden, die Zeit kommen, wo
1) Huber a. a. O. S. 187.
11 diese Wärmemenge vollständig ausgestrahlt ist und die
Fixsterne erkaltet sind. Dieser Zeitpunkt würde schon jetzt da sein, wenn die Wärmeausstrahlung um so viele Jahr
tausende früher begonnen hätte, als wir jetzt bis zu jenem Jedenfalls dauert also
Zeitpunkte noch vor uns haben.
die Wärmeabgabe der Sonne und der Fixsterne nicht schon unendliche Zeit, — denn sonst wäre der Wärmeschatz der selben, da er endlich ist, längst erschöpft; — mithin kann der jetzige Weltbau nicht schon unendliche Zeit bestehen, also hat er einen Anfang gehabt.
Der Physiologe Adolf Fick schließt eine ausführ liche Erörterung dieses Gegenstandes mit folgenden Sätzen: „Wenn der zweite Hauptsatz der mechanischen Wärme
theorie ganz allgemein gültig ist und namentlich auch Anwendung erleidet auf Temperaturen, wie sie an der Sonne und an anderen, vielleicht noch heißeren Himmels körpern stattfinden, dann können wir ganz allgemein für das ganze Universum, nicht etwa bloß für das Sonnen system, die Behauptung aufstellen, daß ihm ein nach einem
Ziele strebender Entwicklungsproceß zukommt, und daß dieses Ziel die Ausgleichung aller Temperaturunterschiede,
also — im Sinne eines organischen Wesens — der allge meine Tod ist.
Dieser finale Zustand, der dann freilich
ewiger Fortdauer fähig ist, würde aber nach Verstuß einer endlichen Zeit nahezu erreicht werden, von jedem beliebig gewählten Anfangszustande an gerechnet, der nicht unend
liche Geschwindigkeiten oder unendliche Zerstreuung der Materie im Raume einschlicßt, d. h. von jedem Anfangs
zustande an gerechnet, der überhaupt gedacht werden kann.
Es müßte also umgekehrt der finale Zustand jetzt schon erreicht sein, wenn die Welt von Ewigkeit her da wäre. —
12 Wir sehen uns somit am Schlüsse unserer Betrachtungen vor folgende bedeutsame Alternative gestellt: entweder sind bei den höchsten, allgemeinsten und fundamentalsten Ab stractionen der Naturwissenschaft wesentliche Punkte über
sehen, oder, wenn diese Abstractionen vollkommen streng und allgemein gültig sind, dann kann die Welt nicht von Ewigkeit her da fein, sondern sie muß in einem von
heute nicht unendlich entfernten Zeitpunkte durch ein in der Kette des natürlichen Causalncxus nicht begriffenes
Ercigniß, d. h. durch einen Schöpfungsact entstanden sein" *). Jedenfalls dürfen wir sagen: die biblische Lehre, daß die Welt von Gott geschaffen worden ist, widerspricht nicht
nur nicht den Ergebnissen der Naturforschung, sondern diese Ergebnisse nöthigen zu dem Schluffe, daß die Welt nicht von Ewigkeit ist, und legen den andern Schluß wenig stens sehr nahe, daß sic durch ein außerwcltliches Wesen schöpferisch hcrvorgcbracht worden ist.
Mit Rücksicht auf das, was die Naturforscher von dem „finalen Zustande" sagen, zu welchem der Entwick
lungsproceß der Welt Hinstrebe, mag hier eine Bemerkung
über einige Stellen der Bibel, welche von dem Ende der
Welt handeln, beigefügt werden.
Wenn es hier Heißt,
die jetzige Welt werde durch Feuer zerstört31) 2und dann ein
neuer Himmel und eine neue Erde geschaffen werden3), so können wir einerseits nicht in voraus wissen, in wie weit diese Ausdrücke eigentlich und in wie weit sie bildlich zu
1) Die NaturkrLste in ihrer Wechselbeziehung, 1869, S. 69. 2) 2 Petr. 3, 7. 10. 12. 3) 2 Petr. 3, 13: Apok. 21, 1.
13
verstehen sind, und anderseits können die Naturforscher
nur sagen, welches das Ende der Welt nach dem natür lichen Verlaufe der Dinge sein muß, womit nicht ausge schlossen ist, daß Gott, der die Welt geschaffen, auch ihr
Ende durch eine nicht in ihrem natürlichen Verlaufe be
gründete Katastrophe herbeiführen und dann eine neue Gestaltung bewirken könne. Zum Schluffe führe ich noch einige Aussprüche von
angesehenen Naturforschern an, welche das in diesem Capi tel Vorgetragene bestätigen.
„Die ehrliche Wissenschaft,
sagt Oscar Fraas, wird gestehen, daß sie über den An fang der Dinge entschieden nichts weiß. Beim Lichte be trachtet, sagt uns auch die moderne Ansicht der Geologen,
wenn sic mit der Erde als geballter brennender Sonnen substanz anfängt, nicht das Geringste über den Anfang
selbst; sie schiebt ihn nur etwas weiter zurück und setzt
die Körper, statt in den Zustand, wie wir sie heutzutage gewöhnt sind, in einen gasförmigen Zustand, vielleicht weil nach Laienbegriff ein Gas dem Nichts näher steht
als ein fester Körper.
In Wirklichkeit aber haben wir
damit nichts gewonnen: der absolute Anfang bleibt nach
wie vor verborgen; wir sind demselben nicht näher gerückt, wenn man auch die Erde als eine uranfängliche Gasmasse
gleich
einer Brandrakete
durch den Weltraum
stiegen
läßt" *). „Durch diese Theorie, sagt der englische Geologe Gideon Mantell, wird die Annahme, daß das Univer
sum das Werk des allmächtigen und allwissenden Schöpfers fei, keineswegs angegriffen.
Angenommen, daß der Stand
punkt, bis auf welchen diese Theorie uns führt, durch
1) Vor der Sündfluth S. 99.
14 physikalische Forschungen nicht überschritten werden kann, daß der letzte Blick, den wir in den ursprünglichen Zu
stand des materiellen Weltalls zu thun vermögen, uns dasselbe als einen unbegrenzten, mit lichtstrahlender Ma terie erfüllten Raum zeigt, so bleibt uns doch immer die
Beantwortung der Frage übrig: wie wurde dieser Raum erfüllt? woher kam diese leuchtende Materie? Und wenn
unser Planetensystem aus dem ursprünglichen Zustande
der Materie hervorgegangen wäre und diese die Elemente zu jeder folgenden Veränderung in sich selbst enthalten
hätte, so müßten wir dennoch glauben, daß jede der vor
hergegangenen physicalischen Erscheinungen, von der ersten bis zur letzten, ein Werk des göttlichen Willens ge
wesen" *).
Und Hermann Lotze sagt:
„Nachdem die
Vorstellung von der Bildung des Planetensystems aus
einem feurigen Nebel, — eine geniale Ansicht über Er eignisse einer Vorzeit, die aller Erfahrung entzogen ist, — in den Bestand der allgemeinen Bildung übergegangen
ist, so meint man wohl, nun doch endlich einmal eine schöne Ordnung der Erscheinungen, zwar nicht aus nichts,
aber doch wenigstens aus einem formlosen Urgründe ent wickelt zu haben.
Aber man vergißt, daß die Geschichte
dieses Feuerballs, den man so scharfsinnig in seinen spä
teren Gestaltungen verfolgt, nothwendig auch rückwärts sich in eine unendliche Vergangenheit verlängert.
Der
allmählich erkaltende und sich verdichtende Feuerball muß
eine Zeit erlebt haben, da seine Temperatur noch höher,
seine Ausdehnung größer war: wo liegt nun der Anfangs-
1) Die Phänomene der Geologie, übersetzt von I. Burkart,
1839, I, 21; II, 293.
15 augenblick der
Verdichtungsbcwegung,
in
deren Fort
setzung begriffen jene Vermuthung ihn aufgreift? Und wo her stammt die ursprüngliche Richtung und Geschwindigkeit
der Drehung, in welcher wir alle seine Theilchen über
einstimmend bewegt voraussetzen? ... Alle unsere Wissen schaft klimmt nur auf und ab an diesem Unendlichen, den innern Zusammenhang einzelner Strecken nach allgemeinen
Gesetzen begreifend, aber überall unfähig, den ersten Ur sprung des Ganzen oder das Ziel zu sehen, dem seine Ent
wicklung zustrebt" *).
II.
Allgemeine Bemerkungen über das erste Capitel der Genesis. Von einem Widersprüche zwischen der Lehre der Bibel
und den Ergebnissen der Naturforschung bezüglich der Ent
stehung der Welt würde vielleicht nie die Rede gewesen sein, wenn die Bibel sich auf den einfachen Satz be schränkte, daß Gott die Welt geschaffen habe.
Jedenfalls
hat zu der Behauptung, daß ein solcher Widerspruch vor handen sei, der ausführliche Bericht über die Schöpfung
den ersten Anlaß gegeben, mit welchem das erste Buch des Alten Testaments, die Genesis, beginnt.
Um das
richtige Verständniß dieses Berichtes vorzubereiten, muß
1) Mikrokosmus 1. Band, 2. Aufl., 1869, S. 418.
15 augenblick der
Verdichtungsbcwegung,
in
deren Fort
setzung begriffen jene Vermuthung ihn aufgreift? Und wo her stammt die ursprüngliche Richtung und Geschwindigkeit
der Drehung, in welcher wir alle seine Theilchen über
einstimmend bewegt voraussetzen? ... Alle unsere Wissen schaft klimmt nur auf und ab an diesem Unendlichen, den innern Zusammenhang einzelner Strecken nach allgemeinen
Gesetzen begreifend, aber überall unfähig, den ersten Ur sprung des Ganzen oder das Ziel zu sehen, dem seine Ent
wicklung zustrebt" *).
II.
Allgemeine Bemerkungen über das erste Capitel der Genesis. Von einem Widersprüche zwischen der Lehre der Bibel
und den Ergebnissen der Naturforschung bezüglich der Ent
stehung der Welt würde vielleicht nie die Rede gewesen sein, wenn die Bibel sich auf den einfachen Satz be schränkte, daß Gott die Welt geschaffen habe.
Jedenfalls
hat zu der Behauptung, daß ein solcher Widerspruch vor handen sei, der ausführliche Bericht über die Schöpfung
den ersten Anlaß gegeben, mit welchem das erste Buch des Alten Testaments, die Genesis, beginnt.
Um das
richtige Verständniß dieses Berichtes vorzubereiten, muß
1) Mikrokosmus 1. Band, 2. Aufl., 1869, S. 418.
16 ich einige Bemerkungen über die Frage vorausschicken,
inwiefern die Bibel überhaupt über Dinge der Natur redet. Die übernatürliche göttliche Offenbarung, deren Dar stellung wir in der Bibel finden,
hat nach der Lehre aller namhaften Theologen •) zunächst nur unsere religiöse
Belehrung, niemals die Bereicherung unseres profanen Wissens zum Zwecke; darum hat auch die Bibel nirgend
wo den Zweck, uns über naturwissenschaftliche Fragen Es würde darum ein vergebliches, ja ein tadelnswerthes Beginnen sein, wollte man aus der Bibel
zu belehren.
ein astronomisches, geologisches und überhaupt naturwis
senschaftliches System eruiren und dieses dann als ein durch die Offenbarung verbürgtes bezeichnen. Ein System von Glaubens- und Sittenlchren können wir aus der Bibel begründen; um naturwissenschaftliche Systeme zu entwerfen, ist der Mensch auf die Natur und auf seine natürlichen Geisteskräfte angewiesen.
Ferner: wenn den biblischen Schriftstellern über natürliche Erleuchtungen durch Gott zu Theil wurden, so hatten diese, wie die göttliche Offenbarung überhaupt,
nur die Mittheilung religiöser Wahrheiten, nicht die Mit theilung profaner Kenntnisse zum Zwecke, und wir dürfen
darum unbedenklich annehmen, daß die biblischen Schrift
steller bezüglich ihres profanen Wissens, also auch bezüg lich ihrer naturwissenschaftlichen Kenntnisse nicht über ihren Zeitgenossen gestanden, ja die ungenauen und irr-
thümlichen' Vorstellungen ihrer Zeit nnd ihres Volkes ge theilt haben. 1) S. Bibel u. Natur S. 21.
17 Wenn sich aber die göttliche Offenbarung auf die göttlichen Dinge in der weitesten Bedeutung des Wortes
beschränkt und die Bibel nur die Aufgabe hat, uns über die göttlichen Dinge zu belehren, so kann sie doch vielfach
von diesen nicht sprechen, ohne die Dinge der Natur mit Wenn sie dircct immer nur religiöse Wahr
zu erwähnen.
heiten mittheilt, so ist dieses doch mitunter nicht möglich,
ohne indirect und beiläufig das Gebiet der Natur zu berühren.
Gerade in dem ersten Capitel der Genesis sind
ja mit dem dem Gebiete der religiösen Wahrheiten ange hörenden Satze, daß Gott der Schöpfer der Welt ist, viele Sätze verbunden, welche mehr naturwissenschaftlichen als religiösen Inhalts sind.
Für diesen Fall haben wir folgende, gleichfalls von
den namhaftesten Theologen anerkannte Grundsätze fest zuhalten: Erstens ist nicht anzunehmen, daß eine solche indirekte und beiläufige Erwähnung der natürlichen Dinge in der Bibel den Zweck oder den Erfolg gehabt habe,
ihren Lesern auch über die natürlichen Dinge richtigere
Ansichten zu vermitteln oder vollständigere Aufschlüsse zu
geben,
als
sie
auf
rein menschlichem Wege erlangen
konnten oder schon erlangt hatten.
Zweitens ist es un
bedenklich, daß ein biblischer Schriftsteller eine Auffassung der Verhältnisse und Erscheinungen der Natur vorträgt oder seinen Worten zu Grunde legt, welche die Naturwissen schaft als unrichtig bezeichnen muß, welche aber gleich wohl eine gewisse Berechtigung hat, da nämlich am Platze
ist, wo es sich nicht um den begrifflichen und wissenschaft lichen, sondern um den anschaulichen und allgemein ver
ständlichen Ausdruck handelt.
So spricht die Bibel ebenso
wohl, wie wir im gewöhnlichen Leben, von dem Auf- und Reusch, bibl. SchöpfungSgesch. 2
18 Untergehen der Sonne und von dem Wege, den sie jeden
Tag am Himmel zurücklege.
Im Allgemeinen bieten nun, wenn man diese Grund sätze fest hält, die Stellen der Bibel, in welchen sie bei
den religiösen Belehrungen, die ihre eigentliche Aufgabe sind, gelegentlich und indirect über natürliche Dinge spricht,
keine Schwierigkeit.
Im Anfänge der Genesis finden wir
aber, wie gesagt, ein ganzes Capitel, in welchem die Bibel sich aus einem Gebiete bewegt, welches sie sonst nur gele
gentlich und flüchtig berührt. Sie will allerdings auch hier zunächst religiöse Belehrungen geben; aber diese sind hier
auf das innigste verwebt, man kann wohl sagen, ver wachsen mit einem Berichte über Ereignisse auf dem Ge
biete der Natur.
Wenden wir auch hier die ebeu ausge
sprochenen Grundsätze an, so werden wir zunächst bei der
Auslegung dieses Capitels, sofern von natürlichen Din
gen darin gesprochen wird, den Maßstab anlegen müssen, welchen wir an einen populären, nicht den, welchen wir
an den Bericht eines Fachgelehrten über Ereignisse und Erscheinungen auf dem pflegen.
Gebiete
der Natur
anzulegen
Wenn z. B. die Sonne und der Mond neben
den anderen Sternen als die beiden großen Lichter des
Himmels bezeichnet werden, so werden wir nicht sagen
dürfen, Moses lehre, daß die Sonne der größte, der Mond der zweitgrößte Stern sei, sondern sagen müssen, er be
zeichne diese beiden Sterne einfach darum als die beiden größten Himmelslichter, weil sie dieses für das Auge des
Menschen sind. die
religiös
Ferner dürfen wir wohl erwarten, daß
bedeutsamen Wahrheiten,
welche in
dem
Schöpfungsberichte vorkommen, klar und bestimmt ausge sprochen werden; wir dürfen aber nicht erwarten, daß
19 sich Moses über die naturwissenschaftlichen Dinge, welche
er dabei berührt, mit derselben Klarheit und Bestimmt
heit aussprechen sollte, wie über die religiös bedeutsamen Punkte;
wir dürfen von vornherein nicht erwarten, in
seinem Berichte über die Punkte der Astronomie, Geologie
u. s. w., welche nicht religiös bedeutsam sind, etwas Neues
und für den gewöhnlichen Menschen sonst nicht Erkenn bares zu finden, und wir dürfen uns nicht wundern, wenn wir finden, daß der Schöpfungsbericht, so klar und
bestimmt auch die religiös bedeutsamen Sätze desselben sein mögbn,
in Bezug auf die Dinge der Natur, soweit
dieselben nicht religiös bedeutsam sind,
nur weniger be
stimmte, lückenhafte und mehrdeutige Sätze enthält.
werden nur erwarten dürfen,
richtig sind,
Wir
daß diese Sätze nicht un
also auch nicht mit gesicherten Ergebnissen
der Naturforschung in einem
unausglcichlichen Wider
sprüche stehen. Aber, könnte man fragen, warum beschränkt sich die
Bibel nicht darauf, die unbestreitbar religiös wichtige — und, wie wir in dem ersten Capitel gesehen haben, auch
von Seiten der Naturwissenschaft unanfechtbare — Wahr heit vorzutragen,
daß Gott die Welt geschaffen hat?
warum gibt sie in dem ersten Capitel der Genesis,
was
eher in die Naturwissenschaft als in die Glaubens- und Sittenlehre zu gehören scheint: eine Geschichte der Ent stehung und Entwicklung der Welt?
Wenn die Bibel mehr sagt, als: „Im Anfänge schuf
Gott Himmel und Erde", so muß sich nach dem Gesag ten Nachweisen lassen, daß dieses Mehr auch eine religiöse
Bedeutung hat und daß es um dieser religiösen Bedeu tung willen,
nicht um seines naturwissenschaftlichen In-
20 tcrcsses willen vorgetragen wird.
Wir brauchen auch in
der That das erste Capitel der Genesis nur aufmerksam zu lesen,
um die religiös bedeutsamen Wahrheiten zu
finden, welche darin, wenn auch nicht in der Form von
dogmatischen Sätzen,
so doch deutlich genug vorgetragen
werdens.
1. Der allgemeine Satz:
„Gott hat Himmel und
Erde geschaffen", wird zwar nicht vervollständigt, aber
er wird doch anschaulicher gemacht, wenn Moses dem Begriffe „Himmel und Erde" eine Aufzählung der haupt sächlichsten Dinge folgen läßt, welche unter diesen Begriff
fallen, z. B. die Gestirne, die Pflanzen, die Thiere u. s. w. Nothwendig war an sich eine solche Aufzählung nicht; aber Moses konnte Gründe dafür haben, — wir werden
dieselben später kennen lernen, — eine solche Aufzählung
nicht zu unterlassen. Was also auf den ersten Satz: „Im Anfänge schuf
Gott Himmel und Erde", folgt, dient zunächst zur Verdeut lichung und Veranschaulichung dieses Satzes.
Wir sehen
den Himmel mit der Sonne, dem Monde und den Ster
nen geschmückt und mit Wolken bedeckt, aus denen der Regen sich auf die Erde ergießt;
Moses belehrt uns:
Gott ist es, der das Firmament gebildet hat sammt sei
nen Wasservorräthen, und Gott ist cs, der die beiden großen Himmelslichter gemacht und an die Feste des Himmels gesetzt hat, um die Erde zu erleuchten. Wir sehen auf der Erde Land und Meer, wir sehen das Land
bedeckt von Kräutern und Bäumen von mannigfaltiger Art, wir sehen die Luft, das Wasser und das Land be1) Dgl. Bibel und Natur S. 65.
21 Völker! von allerlei Thieren;
Moses belehrt uns:
Gott
ist cs, der das Wasser an Einem Orte sich versammeln
und das Land hat hervortretcn lassen;
Gott ist cs, der
geboten hat, die Erde solle hervorsprossen lassen Kräuter
und Bäume „nach ihrer Art", d. h. von verschiedenerlei Arten, und zwar Kräuter und Bäume, welche Frucht
tragen,
welche sich also fortpflanzen konnten und von
denen die Kräuter und Bäume abstammen,
jetzt sehen;
Gott ist es,
welche wir
welcher die Thiere im Wasser,
in der Luft und auf dem Lande geschaffen hat, und er
hat sic gesegnet und gesagt: „Seid fruchtbar und werdet zahlreich";
pflanzung
er hat ihnen also die Fähigkeit der Fort gegeben,
und wenn die Thiere, welche jetzt
leben, nicht unmittelbar von Gott geschaffen worden sind, so haben sic doch von den Thieren,
welche Gott zuerst
geschaffen, in der von Gott gewollten und angeordneten Weise ihren Ursprung, sind also doch als Geschöpfe Gottes
zu bezeichnen.
Auch das höchste und erhabenste unter
den sichtbaren lebenden Wesen, der Mensch, ist von Gott
geschaffen worden,
denheit,
und zwar in geschlechtlicher Verschie
als Mann und Weib,
und auch die von ihm
geschaffenen Menschen hat Gott gesegnet und gesprochen:
„Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet die Erde".
Also wir Alle,
die wir jetzt auf Erden leben, und Alle,
die vor uns gelebt und die Erde bewohnt haben,
sind
Geschöpfe Gottes; denn wir stammen von den Menschen ab, die Gott geschaffen und mit dem Vermögen der Fort
pflanzung ausgerüstet hat.
Es ist nicht zu verkennen, daß der Lehrsatz von der Erschaffung der Welt durch Gott für den einfachen und
sindlichen Sinn des Menschen, — und an diesen wendet
22 sich ja die Bibel zunächst, — in dieser ins Einzelne ein
gehenden Ausführung viel anschaulicher und zugleich ein
dringlicher vorgetragen wird,
als wenn sich Moses auf
den an sich allerdings genügenden Satz:
„Im Anfänge
schuf Gott Himmel und Erde", beschränkt hätte.
Schon
unter diesem Gesichtspunkte muß es uns also als gerecht fertigt
erscheinen,
daß Moses diesen allgemeinen Satz
weiter ausführt; jedenfalls kann man nicht sagen,
der eigentliche Zweck der Bibel,
des Menschen, in den weiteren Versen aus
verloren sei.
daß
die religiöse Belehrung dem Auge
Die Naturwissenschaft aber kann gegen die
eben angeführten einzelnen Sätze,
wenn wir von ihrer
Einkleidung im ersten Capitel der Genesis,
die weiteren
Erörterungen vorbehalten bleibt, vorläufig absehcn, keine
Einsprache erheben; denn wenn sie den Satz, daß Gott alle Dinge geschaffen, nicht anfechten kann,
auch nichts dagegen
so kann sie
einwcnden, wenn diese und jene
Dinge — in einer Weise,
über welche wir uns später
noch verständigen müssen, — auf den schöpferischen Willen Gottes zurückgeführt werden.
2. Wenn wir sagen: Gott hat die Welt geschaffen,
so versteht sich eigentlich von selbst,
daß die Welt, wie
sie durch Gottes Willen ins Dasein trat, schaffen war,
wie Gott wollte,
daß
auch so be
das Product der
schöpferischen Thätigkeit Gottes der göttlichen Idee und
dem göttlichen Plane durchaus entsprach. heit spricht Moses aus,
Diese Wahr
indem er den Bericht über die
einzelnen göttlichen Werke mit den Worten schließt: „Und
Gott sah, daß es gut war", d. h. daß sein Wille in sei nem Werke seine adäquate Verwirklichung gefunden hatte;
denn das nennt Gott „gut",
was seiner Idee und dem
23 göttlichen Willen entspricht.
nen
in sich vollendeten
„Und Gott sah,
Nachdem bei jedem einzel
göttlichen Werke dieser Satz:
daß es gut war",
hinzugefügt worden
ist, wird ganz passend zum Schlüsse,
nachdem der gött
liche Wcltplan nicht
einzelnen Punkten,
nur in seinen
sondern als ein in einander greifendes Ganzes seine Ver wirklichung gefunden, der Satz beigcfügt: „Und Gott sah
alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut".
Wenn mit der oft wiederholten Bemerkung: Gott sah,
daß es gut war",
„Und
zunächst gesagt sein soll,
daß der göttliche Schöpferwille in der Schöpfung seine
adäquate Verwirklichung gefunden, so hat sie aber dane ben
noch
eine andere Bedeutung.
In den folgenden
Abschnitten der Genesis hat Moses von vielem zu be richten, was entweder sittlich oder Physisch nicht gut ist; auch mit Rücksicht darauf hebt er hier hervor:
im An
fänge war alles gut; so wie Gott die Schöpfung hervor gebracht hat,
war sie gut; was sich also später Böses
darin finden mag, das ist nicht Gottes Werk. Wir kommen also auch hier wieder auf religiös be
deutsame Wahrheiten, welche in dem biblischen Schöpfungs
berichte ihren Ausdruck gefunden haben, — Wahrheiten,
gegen welche auch von Seiten der Naturwissenschaft nichts eingewcndct werden kann, da die Frage, ob die von Gott
geschaffene Welt „gut" in dem angeführten Sinne sei, keine naturwissenschaftliche Frage ist. 3. Nach dem Berichte der Genesis ist der Mensch
nicht nur das zuletzt geschaffene Wesen,
sondern auch
offenbar das Ziel der ganzen sichtbaren Schöpfung.
mittelbar
Un
vor ihm wurden die Thiere geschaffen: dem
Menschen wird die Aufgabe und das Recht zugesprochen,
24 über sie zu herrschen, d. h. sie zu seinem Dienste zu be nutzen.
Vor den Thieren wurden die Pflanzen geschaffen:
es wird ausdrücklich gesagt, sie seien dazu da, den Men schen und ihren Unterthanen, den Thieren, zur Nahrung
zu dienen.
Das trockene Land tritt aus der Wassermasse
hervor, um der Pflanzenwelt als mütterlicher Boden, der Thierwelt und den Menschen als Wohnplatz zu dienen. Auch der Himmel wird in Beziehung zu dem Menschen
gebracht: die Lichter, welche Gott daran setzt, haben den Zweck, die Erde zu erhellen und zu Zeichen, insbesondere zu Zeichen
der Zeitmessung,
der Tage und Jahre, zu
dienen, natürlich für den Menschen. Auch in diesem Punkte erfüllt der Bericht der Bibel die Aufgabe, uns über das religiös Bedeutsame zu beleh
ren.
Im Verlaufe der Genesis ist zunächst nur vou dem
Menschen und von seinem Verhältnisse zu Gott, also von
der Religion die Rede,
und mit Rücksicht auf den Men
schen wird hier im Anfänge der Genesis der Wohnplatz beschrieben,
den Gott dem Menschen
bereitet, und die
Wahrheit ausgesprochen, daß die unvernünftige Schöpfung um des Menschen willen von Gott hervorgebracht worden sei, — eine Wahrheit, gegen welche auch von Seiten der
Naturwissenschaft keine Einwendung erhoben werden wird. 4. Moses hat endlich noch einen besondern religiösen
Grund,
sich nicht auf den allgemeinen Satz, jdaß Gott
die Welt geschaffen, zu beschränken, sondern das Werk der
Schöpfung im Einzelnen zu beschreiben, und er gibt diesen Grund deutlich genug an.
Er schildert das Schöpfungs
werk als ein Sechstagewerk (Hexacmeron), vertheilt das ganze Werk auf sechs Tage.
d. h. er
In diesen sechs
Tagen wurden, wie er im ersten Verse des zweiten Capi-
25 tels sagt, Himmel und Erde vollendet, und nachdem Gott sein Werk in sechs Tagen vollendet hatte,
„ruhte er am
siebenten Tage von all seinem Werke", d. h. er hörte auf zu schaffen.
Wozu diese Bemerkung dienen soll, das zeigt
der dritte Vers des zweiten Capitels: „Und Gott hat den
siebenten Tag gesegnet und geheiligt, denn an ihm hat
er geruht von all seinem schöpferischen Werke", oder an ihm hat sein schöpferisches Wirken seinen Abschluß er
reicht. Die Leser des Pentateuchs wußten, daß ein gött liches Gebot ihnen vorschrieb, den siebenten Tag als einen heiligen zu feiern, ihre äußere Thätigkeit auf sechs Tage zu beschränken und am siebenten Tage aus Gehorsam
gegen Jehova,
zu seiner Verehrung, zur Anerkennung
seiner Oberherrlichkeit und zum Danke für die göttliche Wohlthat der Erschaffung die irdischen Arbeiten zu un
terbrechen und mit religiösen Uebungen zu vertauschen. Hier wird der Grund angegeben, warum sich Gott den siebenten Tag vorbehalten, nicht etwa den zehnten oder
einen andern: das gesammte Werk der Schöpfung ist in einer Sechszahl von Einzelwerken, ist als ein Scchstage-
wcrk verlaufen; darum wird ein regelmäßig wiederkeh
rendes Fest zu Ehren Gottes als des Schöpfers, — und das ist ja eben der Sabbath, — am passendsten je nach Ablauf nicht einer Zehnzahl oder irgend einer andern Zahl, sondern gerade einer Sech Izahl von Tagen gefeiert.
Die Einwendungen, welche gegen diese „sechs Tage" erhoben werden, sind später eingehend zu besprechen; hier
kam es zunächst nur darauf an, zu zeigen, daß Moses nicht über das religiöse Gebiet hinausgeht und in das
naturwissenschaftliche Gebiet übcrgreift, wenn er in seinem Berichte von sechs Schöpfungstagen spricht.
26 Wir dürfen also sagen:
auch der Schöpfungsbe
richt der Genesis bildet keine Ausnahme von der Regel,
daß die Bibel sich nur unsere religiöse Belehrung, nicht die Bereicherung unseres profanen Wissens zur Aufgabe macht.
Wenn
dieser Bericht nicht einfach sagt:
Gott
hat die Welt geschaffen, sondern noch eine Reihe von
anderen Mittheilungen enthält, so haben diese nicht den Zweck, uns über die einzelnen Theile der Schöpfung, die
Reihenfolge ihrer Entstehung und die Zeit, in welcher
ihre Ausbildung erfolgt ist, zu belehren. Denn das sind Dinge, die an sich nur für den wissenschaftlichen Forscher oder für den Menschen als denkendes Wesen Interesse haben, die religiöse und sittliche Seite des Menschen aber an sich nicht berühren, und darum Dinge, deren Er
forschung dem menschlichen Geiste überlassen ist. Gegen stand einer göttlichen Offenbarung können diese Dinge nur in so weit werden, als die Erkenntniß religiöser Wahrheiten
dem Menschen nur in Verbindung mit jenen natürlichen Dingen vermittelt werden kann. Die vorhin entwickelten religiösen Wahrheiten sind also in dem Hexacmeron die
Hauptsache, und nur um sie zum Ausdrucke zu bringen,
wird ausführlicher über das Schöpfungswerk berichtet. Von diesen vier religiös bedeutsamen Sätzen ist der dritte von wesentlichem Einfluß auf die ganze Gestalt des
Berichtes gewesen.
Wenn Moses den Menschen als den
jenigen darstcllen wollte, für welchen Gott andere Dinge
geschaffen, so ist es natürlich, daß er unter den geschaf
fenen Dingen vorzugsweise diejenigen erwähnt und her vorhebt, welche zu dem Menschen in einer besondern Be ziehung stehen, und daß er diese Dinge selbst wieder unter
dem Gesichtspunkte ihrer Beziehung zum Menschen behan-
27 beit. So finden wir denn, daß er, nachdem er im ersten Verse die Erschaffung des Himmels und der Erde, also der gan
zen Welt, kurz erwähnt hat, sich im Folgenden zunächst nur mit der Erde beschäftigt und von dem Himmel nur mit Rücksicht auf seine Beziehung zur Erde redet: Gott
bildet das Firmament, um einen Theil der die Erde bedecken den Wassermasse aufzunehmen, und er setzt die Sterne an
den Himmel, um die Erde zu erleuchten und den Men schen zur Zeitmessung zu dienen.
Wie es sonst um den
Himmel bestellt ist, in welchem Verhältnisse die Sterne zu einander stehen, ob auch sie Pflanzen und lebende
Wesen haben, und dergleichen Fragen berührt Moses mit keinem Worte; denn er will uns nicht über alles Einzelne berichten, was Gott geschaffen, sondern nach der allgemeinen
Bemerkung, daß Gott überhaupt alles geschaffen, im Einzel nen nur über das, was Gott für den Menschen geschaffen.
Es ist darum ein nicht ganz genauer Ausdruck, wenn man von einer mosaischen Kosmogonie, d. h. Beschreibung der Entstehung der Welt, spricht; Moses will zunächst nur
eine Geogonie, eine Beschreibung der Entstehung der
Erde, geben; von dem, was außer der Erde zum Kos mos gehört, spricht er nur in so weit, als es in einer
nähern Beziehung zur Erde steht. mosaische Schöpfungsbericht,
sehen, unvollständig.
Insofern ist also der
naturwissenschaftlich
ange
Auch in dem, was er über die Aus
bildung der Erde berichtet, kann er auf Vollständigkeit
keinen Anspruch machen: er beschränkt sich auf die Schei dung
von Wasser und Land und die Erschaffung der
Pflanzen und Thiere; denn das ist alles, was zunächst für die Charakterisirung der Stellung des Menschen in
der sichtbaren Welt erforderlich war.
Ueber das Innere
28 des Erdkörpers, die verschiedenen Bestandtheile desselben, die Naturkräste und ihre Wirkungen und dergleichen sagt Moses nichts, weil diese Dinge für das, was er darstellen
wollte, keine wesentliche Bedeutung haben. Zu dieser beabsichtigten und in der Natur der Sache
liegenden Einseitigkeit und Unvollständigkeit kommt noch
eine weitere Eigenthümlichkeit des biblischen Schöpfungs
berichtes, welche in dem früher Gesagten ihre Erklärung findet: Moses gebraucht nicht wissenschaftlich genaue, son dern solche Ausdrücke, die für den gewöhnlichen Menschen
verständlich sind; er knüpft an die Anschauungen und Auf fassungen an, die sich dem Menschen bei der unbefangenen
und oberflächlichen Betrachtung der Natur ergeben.
Für den Naturforscher ist die Atmosphäre der Erde mit wässerigen Dünsten erfüllt, welche sich unter Umständen zu Wolken gestalten und als Regen auf die Erde herab
fallen;
nach der gewöhnlichen Anschauung
auch nach der
biblischen Darstellung
und darum
befindet sich
ein
Wasservorrath über der „Feste des Himmels" oder, wie
der hebräische Ausdruck vielleicht richtiger übersetzt wird, über dem „Gczelte des Himmels".
Für die Anschauung
des Menschen und darum auch der Bibel hat der Himmel zwei große Lichter, Sonne und Mond, und daneben das Heer der Sterne, — die Astronomie mag zu dieser Ein-
theilung sagen was sie will.
Auch die Eintheilung der
Pflanzen und der Thiere, welche wir in dem ersten Ca
pitel der Genesis finden, kann und soll nicht darauf An spruch machen, eine wissenschaftliche Eintheilung, sondern
nur darauf, eine anschauliche Aufzählung zu sein.
Die
Pflanzenwelt wird im 12. Verse eingetheilt in Bäume
und Kräuter;
der dritte Ausdruck,
„Grün", bezeichnet
29
wahrscheinlich nicht eine dritte Classe, die Gräser und dergleichen, sondern die Pflanzen überhaupt auf der ersten
Stufe ihrer Entstehung.
Die Thiere werden eingetheilt
in Wasserthiere, Luftthiere und Landthiere.
Die Wasser
thiere werden V. 21 iveiter eingetheilt in die „großen
Seethiere", wozu natürlich auch die Walfische gehören, und in die „kriechenden lebenden Wesen, von denen wim meln die Wasser", d. h. die kleinen Wasserthiere.
Die
Luftthiere werden nicht weiter unterschieden; zu ihnen gehören aber ohne Zweifel außer den Vögeln auch die
Fledermäuse, Schmetterlinge, Fliegen, überhaupt „alles Die Landthiere endlich werden V. 24 eingetheilt in Hausthiere, „Thiere der Erde", d. h. wilde Thiere, und „Gewürm", d. h. das kleine Gethier,
was Flügel hat" (V. 21).
welches kriecht, d. i. nach hebräischem Sprachgebrauch, welches sich unmittelbar auf der Erde fortbewegt, Ratten,
Mäuse, Schlangen, Würmer, ungeflügelte Jnsecten. Eintheilungen sind,
naturwissenschaftlich
Diese
betrachtet, im
höchsten Grade ungenügend; aber sie genügen vollkommen, um uns die Wahrheit anschaulich zu machen, auf die es
der Bibel ankommt, daß alle Pflanzen, groß und klein, und alle Thiere, mögen sie im Wasser, in der Luft oder
auf dem Lande sich bewegen, groß oder klein sein, von Gott geschaffen sind. Die populäre,
anschauliche Darstellungsform tritt
auch in der Art und Weise hervor, wie das Wirken Gottes selbst geschildert wird.
Uns eine adäquate Vor
stellung von dem göttlichen Wesen und Wirken zu machen,
ist nicht möglich; wollen wir also eine Schilderung da von entwerfen, so müssen wir die Züge dazu von dem hernehmen, was unserer Anschauung und Erkenntniß zu-
30 gänzlich ist, also von den geschaffenen Wesen, rind zwar vorzugsweise
von
dem
Menschen
als dem
Geschöpfe,
welches nach dem Bilde Gottes gemacht worden ist. Daher
in der h. Schrift die sogenannten Anthropomorphismen, die Uebertragung von Ausdrücken, welche zunächst zur
Bezeichnung menschlicher Handlungen dienen, auf analoge
göttliche Handlungen.
Diese anthropomorphistische Dar
stellung herrscht in dem ganzen Schöpfungsbcrichte.
Sic
trägt wesentlich dazu bei, ihn zu einer so anschaulichen Schilderung zu machen; für
die wissenschaftliche Dar
stellung müssen aber die einzelnen Sätze aus der Sprache
der Anschauung
in die Sprache des Begriffs übersetzt
werden. In dieser Sprache sagen wir:
Gottes Willen geworden.
das Licht ist durch
Wir Menschen geben aber unsern
Willen durch Sprechen, durch Befehlen zu erkennen. Darum sagt der Verfasser der Genesis: „Gott sprach: Es werde
Licht; und es ward Licht".
Gott bewirkt dann weiter,
daß Licht und Finsterniß regelmäßig mit einander ab wechseln ; der jetzt bestehende Wechsel von Hell und Dunkel, will er uns mittheilcn, welchen die menschliche Sprache
mit den Namen Tag und Nacht bezeichnet, beruht auf einer göttlichen Ordnung.
Das drückt er so aus: „Gott
trennte zwischen dem Lichte und der Finsterniß, und er
nannte das Licht Tag und die Finsterniß Nacht".
Aehn-
lich in den folgenden Versen: Gott macht die Feste und trennt zwischen den Wassern unterhalb und oberhalb der
selben, und er nennt die Feste Himmel; er befiehlt, daß die Wasser unterhalb des Himmels sich an Einem Orte sam
meln und das trockene Land hervortreten lassen sollen,
und er nennt die Versammlung der Wasser Meer und
31 das trockene Land Erde; d. h. die Scheidung zwischen den auf der Erde und den in der Atmosphäre befindlichen
wässerigen Elementen und die Bildung dessen, was wir Himmel nennen, und die Theilung der Oberfläche der
Erde in das, was wir Meer und Land nennen, das alles beruht, so wie wir es jetzt sehen und wie wir das Sach-
verhältniß in der Sprache zum Ausdrucke bringen, auf einer göttlichen Anordnung.
Auch der oben besprochene Ausdruck: „Und Gott sah,
daß es gut war", ist ein Anthropomorphismus. Der menschliche Künstler blickt nach Vollendung seiner Arbeit auf das Werk, welches er geschaffen, zurück, und er nennt es gut, er ist befriedigt, wenn das Werk der Idee ent
spricht, die er von demselben gehabt.
Bei Gott bedarf
es natürlich eines solchen prüfenden und vergleichenden
Blickes nicht; wenn also von ihm gesagt wird: „Er sah, daß es gut war", so wird damit nur die Thatsache con-
statirt, daß die göttliche Idee in dem göttlichen Werke
ihre adäquate Verwirklichung gefunden hat.
III.
Erklärung des ersten Capitels der Genesis. Nach den allgemeinen Bemerkungen, welche ich in dem zweiten Abschnitte über den Schöpfungsbericht des ersten Capitels der Genesis vorgetragen, werde ich der Ueber-
setzung desselben nur wenige Erläuterungen beizufügen
haben, um die richtige Auffassung des Berichtes zu ver
mitteln und so für die Vergleichung desselben mit den
31 das trockene Land Erde; d. h. die Scheidung zwischen den auf der Erde und den in der Atmosphäre befindlichen
wässerigen Elementen und die Bildung dessen, was wir Himmel nennen, und die Theilung der Oberfläche der
Erde in das, was wir Meer und Land nennen, das alles beruht, so wie wir es jetzt sehen und wie wir das Sach-
verhältniß in der Sprache zum Ausdrucke bringen, auf einer göttlichen Anordnung.
Auch der oben besprochene Ausdruck: „Und Gott sah,
daß es gut war", ist ein Anthropomorphismus. Der menschliche Künstler blickt nach Vollendung seiner Arbeit auf das Werk, welches er geschaffen, zurück, und er nennt es gut, er ist befriedigt, wenn das Werk der Idee ent
spricht, die er von demselben gehabt.
Bei Gott bedarf
es natürlich eines solchen prüfenden und vergleichenden
Blickes nicht; wenn also von ihm gesagt wird: „Er sah, daß es gut war", so wird damit nur die Thatsache con-
statirt, daß die göttliche Idee in dem göttlichen Werke
ihre adäquate Verwirklichung gefunden hat.
III.
Erklärung des ersten Capitels der Genesis. Nach den allgemeinen Bemerkungen, welche ich in dem zweiten Abschnitte über den Schöpfungsbericht des ersten Capitels der Genesis vorgetragen, werde ich der Ueber-
setzung desselben nur wenige Erläuterungen beizufügen
haben, um die richtige Auffassung des Berichtes zu ver
mitteln und so für die Vergleichung desselben mit den
32
Ergebnissen
der Naturforschung die Unterlage zu
ge
winnen *).
Der erste Vers lautet: Im Anfänge schuf Gott den Himmel und die Erde.
Das hebräische Wort, welches
hier mit „schaffen" übersetzt ist, bedeutet, zumal in Ver bindung mit dem Ausdrucke
„im Anfänge", jedenfalls:
etwas aus nichts hervorbringen, etwas seinem Sein oder
seiner Substanz nach hervorbringen.
„Himmel und Erde"
drückt, wie auch sonst im hebräischen Alten Testamente, einen einzigen Begriff aus und bezeichnet
also dasselbe,
das Weltall,
was im Griechischen mit o zoff^og,
Deutschen mit „Welt" bezeichnet wird.
im
Es ist exegetisch
nicht zulässig, unter „Himmel" die geistige Schöpfung, also die Engel, unter „Erde" die materielle Schöpfung zu verstehen.
Wenn in dem ersten Verse die Engel als
Geschöpfe Gottes mit gemeint sind, so sind sie das nur insofern, als sie mit zur Welt gehören; aber zunächst und
direct wird
in diesem Verse nur
die Wahrheit ausge
sprochen, daß die ganze sichtbare Welt durch Gott ihr Dasein erhalten hat.
Ob Gott gleich die Welt in ihrer
jetzigen oder überhaupt in einer bestimmten Gestaltung
geschaffen, oder ob er die einfachen Elemente der Welt aus nichts geschaffen und die Kräfte und Gesetze ihrer
Entwicklung hineingelegt habe, das wird in diesem Verse
nicht entschieden; denn die Worte desselben passen
für
beide Fälle. Da Moses zunächst eine Geogonie, nicht eine Kos
mogonie zu geben hat, so fährt er, den Himmel vorerst
1) Eine ausführlichere Erklärung des Hexaemeron s. Bibel und
Natur S. 75.
33 nicht weiter erwähnend, in dem 2. Verse fort: Und die Erde war wüst und öde. Diese Worte enthalten zunächst einen Gegensatz zu der folgenden Darstellung.
Die Erde
war, als der Mensch als ihr Beherrscher eingesetzt wurde,
zum Wohnplatze für ihn eingerichtet: das Land war von
dem Meere geschieden und dieses in feste Grenzen ge bannt; cs war bekleidet mit Vegetation, und Land, Luft und Wasser waren bevölkert von Thieren; die Erde war
von dem Wolkenhimmel umhüllt und von den Gestirnen erleuchtet.
So war es nicht von Anfang an; diesem ge
ordneten Zustande ist vielmehr ein anderer Zustand vor ausgegangen, in welchem sich von dieser Scheidung der
Elemente und von den genannten Einzelwesen dem Blicke noch keine Spur darbot. Diesen Zustand schildert Moses mit den Worten:
„Die Erde war thohu wabohu, wüst
und öde", und beschreibt dann im Folgenden, wie aus
diesem chaotischen Zustande die Erde nach dem Willen
und unter der Einwirkung Gottes zu ihrem spätern Zu stande ausgebildet worden ist.
Ob dieser chaotische Zustand der ursprüngliche, der jenige Zustand war, in welchem die Erde ins Dasein trat, oder ob diesem chaotischen Zustande ein anderer, geord
neter Zustand vorhergegangcn, mit anderen Worten: ob die Erde vor dem Sechstagewerk nur als Chaos cxistirt
hat oder ob dem Chaos bereits andere Gestaltungen vorhergegangey waren, das läßt sich aus den Worten des 2. Verses nicht entnehmen.
augenscheinlich
Die erstere Auffassung liegt
am nächsten; aber als exegetisch unzu
lässig wird man die andere nicht bezeichnen können.
Ueber die Dauer des chaotischen Zustandes nichts angegeben.
wird
Es liegt freilich am nächsten, anzn-
Reusch, bibl. Schöpfungsgesch.
Z
34 nehmen, daß Gott alsbald nach der Erschaffung der Erde
in ihrem chaotischen Zustande mit der Gestaltung dieses
Chaos begonnen habe; aber die Möglichkeit einer länger» Dauer des chaotischen Zustandes ist durch die Worte des
2. Verses nicht ausgeschlossen.
Die Beschreibung des chaotischen Zustandes in die sem Verse lautet vollständig so:
2 Und die Erde war
wüst und öde, und Finsterniß war über (dem Antlitz)
der Wassermasse, und der Geist Gottes schwebte (oder: brütete) über den Wassern.
„Wüst und öde" wird hier
die Erde genannt, weil die spätere Ausschmückung und Belebung durch die Pflanzen- und Thierwelt noch nicht
da war; von einer „Waffermassc" ist die Rede, weil das
trockene Land erst am dritten Tage dadurch sichtbar wird,
daß das Wasser sich an Einem Orte versammelt; als von Finsterniß bedeckt wird diese Wasscrmasse geschildert, weil
das Licht erst am ersten Tage hervortritt.
Die Beschrei
bung des chaotischen Zustandes ist also wesentlich eine
negative: es wird nur angegeben, was damals noch nicht da war, sondern erst int Verlaufe des Sechstagewerkcs
hinzukam.
Die Beschreibung ist ferner eine unvollstän
dige und in der eigentlichen Bedeutung
des Wortes
oberflächliche: es wird nur das an der Erde beschrieben,
was ins Auge fällt: ihre Oberfläche ist Wasser,
und
darüber ist cs dunkel; wie cs im Erdinnern aussieht, ob die festen Bestandtheile unter dem Wasser schon vorhan
den und nur von dem Wasser verdeckt sind,
oder ob die
ganze Erde sich noch im flüssigen Zustande befindet, das
sagt die Genesis nicht.
Die Beschreibung, welche uns von diesem ersten Zu stande der Erde, von dem Thohuwabohu gegeben wird,
35 ist teilte ansprechende, denn sic besteht nur aus den Zügen: Wüste und Ocde, Wassermasse und Finsterniß.
Nur der
letzte Satz des 2. Verses fügt dem Bilde einen freund lichen oder doch hoffnungsvollen Zug bei: „und der Geist
Gottes schwebte (ober brütete, wie der Vogel über dem Ei) über den Wassern".
Die chaotische Masse, so wie sie
da ist, ist keine Gottes würdige Crcatur; sie ist auch nicht
hcrvorgcbracht worden, um so zu fein, wie sic ist, sondern
um das Material zu vollkommeneren Gestaltungen zu sein; und daß der Keim dieser vollkommeneren Gestaltungen in ihr liegt, oder daß über dieser noch ungestalteten Masse
der göttliche Wille und die göttliche Macht vorhanden ist, sie zu etwas Geordnetem und Vollkommenem zu ge
stalten, das deutet Moses mit den Worten an: „Der Geist Gottes schwebte oder brütete über den Wassern".
Von dem 3. Verse an wird nun die Gestaltung der
chaotischen Masse beschrieben.
Versen 3—5: es ward Licht. war.
Und
Finsterniß.
Zunächst heißt es in den
Und Gott sprach:
Es werde Licht, und
4 Itttb Gott sah das Licht, daß es gut
Gott trennte zwischen dem Lichte und
der
5 Uttb Gott nannte das Licht Tag und die
Finsterniß nannte er Nacht.
Und es ward Abend und
es ward Morgen Ein Tag.
Ueber die Natur und das Wesen des Lichtes wird hier gar nichts gesagt; cs wird nur berichtet,
cs sei in
Folge eines göttlichen Willensactes hell geworden, also die eine Eigenschaft des Chaos, die Finsterniß, aufgehoben
worden.
Die Finsterniß wird aber nicht ganz beseitigt,
sondern verliert nur ihre Alleinherrschaft; sie wird in be stimmte Schranken gebannt und ihr Verhältniß zum Lichte
wird festgesetzt: Gott trennt zwischen dem Lichte und der
36 Finsterniß. Dieses von Gott festgesetzte Verhältniß von
Licht und Finsterniß ist das des regelmäßigen Wechsels; diesen Wechsel von Hell und Dunkel bezeichnet die mensch
liche Sprache mit den Worten Tag und Nacht, und wenn also gesagt wird: „Gott nannte das Licht Tag und die Fin sterniß Nacht", so heißt das nichts anderes als: der Wechsel
zwischen Licht und Finsterniß, den wir mit den Ausdrücken Tag und Nacht bezeichnen, beruht auf einer göttlichen
Anordnung. Zur Erklärung des Umstandes, daß hier in dem Satze: „Es ward Abend und cs ward Morgen Ein Tag",
und ebenso in den folgenden ähnlichen Sätzen der Abend
vor dem Morgen genannt wird, darf man nicht auf die
jüdische Sitte verweisen, den bürgerlichen Tag mit dem Abend beginnen zu lassen.
Die Sache verhält sich viel
mehr so: Der erste Schöpfungstag beginnt mit dem Er
scheinen des Lichtes, also mit dem Morgen; der natür liche Tag geht zu Ende mit dem Zurücktreten des Lichtes
und dem Wiederein treten der Nacht, also mit dem Abend; der zweite Tag beginnt wieder mit dem Morgen.
Die
Nacht, welche zwischen dem Abend des ersten und dem
Morgen des zweiten Tages liegt, macht also mit dem ersten natürlichen
Tage einen einmaligen Wechsel von
Tag und Nacht, also einen bürgerlichen Tag aus.
Wenn
Moses nicht sagt: es ward Abend und Nacht, und damit
war Ein Tag zu Ende, sondern: es ward Abend unb Morgen, Ein Tag, so ist dieses nur ein kurzer Aus druck für: cs ward Abend und Nacht, und die Nacht bis
zum folgenden Morgen schloß den ersten Tag ab; und Moses wählt gerade diesen Ausdruck, um zu dem zweiten
Tage, der mit dem Morgen beginnt, übcrzuleiten.
37 Am ersten der sechs Tage wurde also die Finsterniß, welche nach Vers 2 die Wassermasse des Chaos bedeckte,
beseitigt.
Das Werk des zweiten Tages bezieht sich nun
auf diese Wassermasse selbst.
Der Bericht darüber lautet
in den Versen 6—8: Und Gott sprach:
Es werde eine
Festeinmitten der Wasser, und sie sei scheidend (ober: ein
Scheidendes, oder: daß sie scheide) zwischen Wassern und
Wassern, d. h., wie der folgende Vers zeigt, so, daß ein
Theil der in Vers 2 erwähnten Wasscrmassc oberhalb,
ein Theil unterhalb dieser Feste sei.
7 Und Gott machte
die Feste und schied zwischen de» Wassern unterhalb der Feste und den Wassern oberhalb der Feste. schah also.
Und es ge
8 Und Gott nannte (oder, wie wir im Deut
schen construiren würden: Und nachdem dieses geschehen,
nannte Gott) die Feste Himmel.
Und es ward Abend
und es ward Morgen, ein zweiter Tag. Ein Theil der großen Wassermasse, welche in der
Beschreibung des Chaos in Vers 2 erwähnt wird, hebt sich also am zweiten Tage von der Erde empor, während der andere Theil zurückbleibt; es tritt eine Scheidung der
Wasser ein in himmlische und irdische Wasser. Die erste
ren sind
nicht etwa, wie einige Ausleger wollen,
der
Stoff, aus welchem die Himmelskörper gebildet wurden, die am vierten Tage hervortraten, sondern das Wolken
wasser, und das Werk des zweiten Tages ist die Bildung der Erdatmosphäre.
Denn Moses hatte gar keine Ver
anlassung, darüber zu berichten, woraus und wie die Ge
stirne gebildet wurden, da er nur eine Gcogonie, nicht
eine Kosmogonie geben will und also von den Sternen nur in so weit zu rede» hat, als sie auf die Erde Bezug
haben, — was er bei dem vierten Tage thut.
Dagegen
38 wäre seine Darstellung in auffallender Weise lückenhaft, wenn er nicht von der Atmosphäre und speciell von den
Wolken redete, da der Regen, welcher nach der gewöhn lichen Anschauung aus den Wolken hcrabfällt, wesentlich nöthig ist zum Gedeihen der Vegetation und diese hin wiederum im Folgenden zu dem Menschen in die engste Beziehung gebracht wird. Das Werk des dritten Tages zerfällt in zwei Theile.
Erstens werden Wasser und Land geschieden, Vers 9 und 10: Und Gott sprach: Es sollen sich sammeln die Wasser
unterhalb des Himmels an Einem Orte, und es soll ge
sehen werden (oder erscheinen) das Trockene. geschah also.
Und es
'»Und Gott nannte das Trockene Land,
und die Versammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, daß es gut war.
Die Benennung der jetzt als
geschieden hcrvortretenden festen und flüssigen Theile der
Erdoberfläche weist, wie früher erwähnt wurde, darauf
hin, daß Gott jetzt den definitiven Zustand habe eintretcn lassen, welchen die menschliche Sprache mit den Ausdrücken
„Land und Meer" bezeichnet.
Daß die Ströme, welche
ins Meer fließen, sowie die Landsecn und Binnenmeere, welche gleichsam versprengte Theile des Weltmeeres sind, nicht erwähnt werden, kann nicht auffallcn; cs handelt
sich ja nur um die Scheidung von Wasser und Land im
Ganzen und Großen. Vergleichen wir den Zustand,
in welchem sich die
Erde jetzt am dritten Tage befindet, mit dem Zustande,
in welchem sie sich vor dem ersten Tage befand, so wird uns
die Beschreibung
klarer.
dieses
frühern Zustandes noch
Jetzt ist das trockene Land hervorgetreten; damals
wnrde die Oberfläche der Erde als ungeheure Waffermaffe
39 bezeichnet.
Jetzt ist es Helle; jene Wassermasse war von
Finsterniß bedeckt.
Zwei Eigenschaften des Chaos sind
also jetzt beseitigt; nur die dritte ist noch übrig: die Erde ist
auch jetzt noch wüst und öde. noch zu beseitigen.
Dieser Mangel ist also
Gott beginnt damit noch ain dritten
Tage; denn das zweite Werk desselben ist die Hervorbrin
gung der Vegetation. Darüber wird in den Versen 11—13 berichtet: Und
Gott sprach: Es lasse sprossen die Erde Grün, Kräuter, welche Samen tragen, und Frnchtbäume, welche Frucht
bringen »ach ihrer Art, worin ihr Same ist, auf Erde.
der
Und es geschah also, 12 und es brachte hervor die
Erde Grün, Kräuter, welche Samen tragen nach ihrer
Art, und Bäume, welche Frucht bringe», worin ihr Same ist, nach
daß cs gut war.
ihrer Art. Und Gott sah,
13 Und es ward Abend und es ward Morgen ein drit
ter Tag.
Die Hervorbringung der Vegetation wird ganz passend noch auf den dritten Tag verlegt.
„Die Pflanzenwelt,
sagt Kurtz'), im mütterlichen Boden festgewurzelt und seine Blöße mit einem prachtvollen Gewände verhüllend,
hat kein
für sich bestehendes Dasein.
Darum ist ihre
Entstehung noch demselben Tagewerke zugewiesen, welches dem Festlande, dem sic leibeigen angehört, seine freie Existenz errang."
doch
die
beiden
Auf der andern Seite werden aber
mit einander verbundenen Werke der
Scheidung von Wasser und Land und der Bekleidung des
Landes mit der Vegetation, als zwei selbständige Werke dadurch gekennzeichnet, daß der Bericht über das Werk 1) Bibel und Astronomie, 1858, S. 73.
40 des dritten Tages zweimal sagt:
„Und
Gott sprach"
und zweimal: „Und Gott sah, daß es gut war".
Von der Eintheilung der Pflanzen habe ich bereits früher gesprochen (S. 28).
Auch habe ich schon hervorge
hoben (S. 21), daß der Ausdruck „Kräuter und Bäume nach
ihrer Art" darauf Hinweise, daß Gott nicht einerlei, son dern mancherlei Kräuter und Bäume habe hervorsprossen lassen,
und daß Moses sage,
Gott habe samcntragende
Pflanzen erschaffen, also den ersten von ihm geschaffenen
Pflanzen die Fähigkeit der Fortpflanzung verliehen, um damit anzudcuten, daß auch hie jetzt existirendc Pflanzen
welt, eben wegen ihrer Abstammung von der am dritten Tage geschaffenen,
als Schöpfung Gottes anzusehcn sei.
In welcher Weise die Pflanzen entstanden, ob Gott
die Keime derselben oder die Kraft, sie hcrvorzubringcn, in die Erde hincingclegt hatte und diese Keime und Kräfte
also am dritten Tage dem Willen Gottes die Pflanzen hervorsprossen ließen,
entsprechend
oder ob Gott jetzt
durch sein Wort die Pflanzenwelt aus nichts schuf, dar über sagt Moses nichts.
Es genügt ihm, anzudenten,
daß die Existenz der Pflanzen auf Gottes schöpferischen Willen zurückzuführen sei. Mit dem Ende des dritten Tages sind wir in der
Mitte des Sechstagewerkes angekommen.
Was noch folgt,
bildet nicht nur insofern eine Parallele zu dem, was vor-
hergegangcn, als beides je drei Tagewerke ausmacht, son dern auch die einzelnen Tagewerke der zweiten Hälfte der
Schöpfungswoche entsprechen den einzelnen Tagewerken
der ersten Hälfte.
Am ersten Tage ward das Licht, am
vierten Tage werden die leuchtenden Himmelskörper; am
zweiten Tage wurde das irdische Wasser von dem Him-
41 melswasser geschieden und der Himmel gebildet, am fünf
ten Tage werden
die irdischen Gewässer von Thieren
belebt und in der Luft erscheinen die Vögel des Himmels;
am dritten Tage trat das trockene Land hervor und wurde mit Pflanzen bekleidet, am sechsten Tage erhält
es seine Bewohner, die Landthicrc und die erhabensten unter den lebenden Wesen, die Menschen.
Der Bericht über den vierten Tag lautet in den
Versen 14—19: Und Gott sprach: Es sollen Lichter (oder Leuchten) sein an der Feste des Himmels, um zu tren
nen zwischen dem Tage und der Nacht; und sie sollen sein zu Zeichen und zu Zeiten und zu Tagen nud Jahren; 15 und
sie sollen werden zu Lichtern an der Feste des
Himmels, nm zu leuchten (oder: um es hell zu machen)
über der Erde. Und es geschah also.
16 Und Gott machte
die zwei großen Lichter, das große (oder: größere) Licht,
z« beherrschen den Tag, und das kleine (ober: kleinere)
Licht, zu beherrschen die Nacht, und die Sterne.
17 Und
Gott setzte sic an die Feste des Himmels, nm zu leuch ten über der Erde 18 und um zu herrschen am Tage und in der Nacht und um zu trennen zwischen dem Lichte
nnd der Finsterniß.
Und Gott sah,
daß es gut war.
19 Und es ward Abend nnd es ward Morgen ein vier ter Tag.
In diesen Sätzen wird zunächst ausführlich angege
ben, welchen Zweck und welche Bestimmung die Sterne für die Erde haben.
Sie sollen erstens zu Lichtern wer
den an der Feste des Himmels, um zu leuchten oder um es hell zu machen über der Erde; das Licht, welches Gott schon am ersten Tage hervorgebracht, soll also fortan für
die Erde an die Gestirne geknüpft fein.
Die Sterne
42
sollen zweitens trennen zwischen dem Lichte und
der
Finsterniß, wie es in Vers 18, oder zwischen dem Tage
und der Nacht, wie es in Vers 14 heißt.
Auch die
Trennung von Licht und Finsterniß, d. h. die Festsetzung
des Wechsels von Tag und Stacht, den wir Tag und Nacht nennen, ist schon ein Werk des ersten Tages. Das
selbe wird hier dadurch vervollständigt, daß der Wechsel von Tag und Nacht an die Gestirne geknüpft wird, und
zwar vorzugsweise an Sonne und Mond, von denen in Vers 16 gesagt wird, jene solle den Tag, dieser die Nacht beherrschen.
Drittens sollen die Sterne nach Vers 14
den Menschen „zu Zeichen" dienen, z. B. zu Vor- und Merkzeichen physischer Ereignisse, wie der Witterung, ins besondere „zu Zeiten", d. h. zu Zeichen des Zeitenwech sels, als Maß und Norm der Zeitrechnung, und zwar zur Bestimmung der Zeiten im Allgemeinen, also der
Jahreszeiten, der Zeiten für Ackerbau und Schifffahrt, der Festzcitcn u. s. w., und speciell zur Bestimmung der „Tage und Jahre", also der Zeitrechnung in der gewöhn
lichen Bedeutung des Wortes.
Alle diese drei Punkte geben nur die Bestimmung und den Zweck der Gestirne für die Erde an; was sie
sonst für Zwecke haben und welches ihre Beschaffenheit und ihr Verhältniß zu einander ist, davon braucht Moses
nicht zu reden; denn in der Geogonie oder, noch genauer gesagt, in der Schilderung der Zubereitung des Wohn
platzes der Menschen, die er in dem ersten Capitel seines
Buches geben will, finden die Sterne, und zwar zunächst Sonne und Mond, alle anderen Sterne nur beiläufig,
nur insofern einen Platz, als die Erde durch sie erhellt wird und als zwischen ihnen und der Erde ein solches
43 Verhältniß besteht, daß der Wechsel von Tag und Nacht
und überhaupt der Zcitenwechscl und was damit zusam menhängt,
für die Erde an das Auf- und Untergehen
der Sterne und die sonstigen regelmäßig wiederkehrenden Veränderungen in dem Verhältniß der Sterne zur Erde
geknüpft ist. Da die Gestirne aber für den Bericht des Moses
nur wegen ihres Verhältnisses zur Erde und zum Men schen Bedeutung haben, so brauchten sie erst da erwähnt zu werden, wo dieses Verhältniß einzutretcn begann.
Die
Worte des Berichtes nöthigen also nicht zu der Annahme,
daß die Sterne erst am vierten der sechs Tage überhaupt zu sein «»gefangen hätten; sie können schon vor dem vier ten Tage cxistirt haben,
ohne daß Moses von seinem
Standpunkte aus von ihnen Notiz zu nehmen brauchte:
für die Erde beginnen sie erst am vierten Tage zu existiren; denn erst jetzt wird das Verhältniß zwischen ihnen und der Erde von Gott festgesetzt; darum werden
sie auch erst in dem Berichte über den vierten Tag er wähnt.
Wenn einige Ausleger unter den „Sternen" in Vers 18 nur die Planeten unseres Sonnensystems verstehen
wollen, so ist das willkürlich;
Moses unterscheidet hier
offenbar gar nicht zwischen Fixsternen und Planeten, sondern denkt an alle Sterne, die wir am Himmel er
blicken. Das Werk des fünften Tages ist die Erschaffung der
Wasserthiere und der Luftthiere, Vers 20—23:
Und
Gott sprach: Es sollen wimmeln die Wasser von einem
Gewimmel von lebendigen Wesen, und Geflügel soll flie gen über der Erde an der Fläche (eigentlich: über dem
44
Antlitz) der Feste des Himmels.
21 Und Gott schuf die
großen Seethiere und alle die kriechenden lebenden Wesen,
von denen die Wasser wimmeln, nach ihren Arten «nd alles gefiederte Geflügel nach seiner Art.
daß cs gut war.
Und Gott sah,
22 Und Gott segnete sie, indem er
sprach: Seid fruchtbar und werdet zahlreich auf der Erde. 23 Und cs ward Abend und es ward Morgen ein fünf ter Tag. Nehmen wir gleich den Bericht über das erste Werk
des sechsten Tages, die Erschaffung der Landthiere, hinzu, Vers 24, 25: Und Gott sprach: Es bringe hervor (oder: lasse hervorkommcn)
die Erde lebende Wesen nach ihrer
Art, Hausthiere und Gewürm und Thiere der Erde nitd)
ihrer Art.
Und es geschah also.
25 Und es machte Gott
(oder: es machte Gott nämlich) die Thiere der Erde nach ihrer Art und die Hausthierc nach ihrer Art und alles Gewürm der Erde nach seiner Art.
Und Gott sah, daß
es gut war.
Ueber die Eintheilung der Thiere, druck „nach ihrer Art"
über den Aus
und über die Bedeutung des
„Segnens" der Thiere ist bereits früher (S. 21. 29) das Nö
thige gesagt.
Was von den Wasserthiercn und Luftthieren
gesagt wird: „Und Gott segnete sic, indem er sprach rc.",
gilt natürlich auch von den Landthicrcn.
Die Art und
Weise der Hervorbringung der Thiere wird nicht genauer beschrieben;
wir werden sie uns aber ähnlich wie die
Erschaffung der Menschen im 2. Capitel V. 7 zu denken,
d. h. anzunchmcn haben,
daß Gott die Thierleiber aus
vorhandenem Stoffe — „von der Erde", wie es Capitel 2, V. 19 heißt — gebildet und sie durch seinen schöpferischen Willen belebt habe.
45
Das Werk des sechsten Tages umfaßt außer der Erschaffung der Landthierc auch die Erschaffung des Menschen. Auch der Mensch gehört, wie der h. Augusti nus bemerkt, zu den die Erde bewohnenden lebenden Wesen, und mit Rücksicht darauf wird seine Erschaffung und die der Landthiere auf denselben Tag verlegt; mit Rücksicht aber auf den dem Menschen zukommenden Vor zug der Vernünftigkeit und Gottebenbildlichkeit wird von ihm besonders geredet, nachdem der Bericht über die Landthierc mit der Formel „Und Gott sah, daß es gut war", abgeschlossen ist. — Daß der Mensch ein wesentlich anderes Geschöpf ist als diejenigen Geschöpfe, von welchen bisher die Rede war, zeigt schon die Beschreibung, welche Moses von seiner Erschaffung gibt; V. 26—31: Und Gott sprach: Wir wollen den Menschen machen nach unserm Bilde, nach unserer Achnlichkeit, und sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Bögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde (oder, wie der Text wohl zu berichtigen sein wird: und über alle Thiere der Erde) und über alles Gewürm, welches kriecht auf der Erde. 27 Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn, Mann und Weib schuf er sie. 28 Und Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und werdet zahlreich und erfüllet die ganze Erde und unterwerfet sie, und herrschet über die Fische des Meeres und über die Bögel des Himmels und über alle Thiere, welche kriechen auf der Erde. 29 Und Gott sprach: Siehe, ich gebe euch alles Kraut, welches Samen trägt, welches ist auf der Oberfläche der ganzen Erde, und alle Bäume, an welchen Baumfrncht ist, welche Samen trägt, daß sie
46 euch seien zur Speise.
30 Und allen Thieren der Erde
und allen Vögeln des Himmels und allem, was kriecht
auf der Erde, in welchem Lebensodem ist, gebe ich alles Grün des Krautes zur Speise.
Und es geschah also.
31 Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe,
es war sehr gut.
Und es ward Abend und
es ward
Morgen der sechste Tag. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen besteht nach dieser Stelle zunächst in der ihm übertragenen Herrscher^ würde; diese schließt aber das Andere, worin die Theo logen sonst seine Gottcbcnbildlichkeit finden, ein, daß er
nämlich eine unsterbliche, vernünftige und freie Seele hat.
Weitere Erörterungen über diesen und über den im zwei
ten Capitel der Genesis enthaltenen Bericht über die Erschaffung des Menschen werden in einem spätern Ab
schnitte gegeben werden. Den Schluß des mosaischen Berichtes über das Sechs
tagewerk bilden die Sätze, welche in unseren Bibelaus
gaben sehr unpassend von dem ersten Capitel der Gene sis getrennt und als Vers 1—3 des zweiten Capitels ge
zählt werden:
Und es waren vollendet der Himmel und
die Erde und all ihr Heer (oder, wie in der Vulgata,
frei, aber gut übersetzt ist: „und all ihr Schmuck"; Neh.
9, 6 heißt cs vollständiger:
„der Himmel und all sein
Heer, die Erde und alles, was darauf ist").
2 Und es
hatte Gott vollendet am siebenten Tage sein Werk, welches er machte, und er ruhte am siebenten Tage von all seinem Werke, welches er gemacht hatte (oder, wie wir den Satz
im Deutschen construiren würden:
„Und da Gott am
siebenten Tage all sein Werk vollendet hatte, ruhte er).
8 Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn,
47 weil er an ihm ruhte von all seinem Werke, welches er geschaffen hatte.
Daß der Ausdruck, „Gott ruhte von seinem Werke" so viel bedeutet als: er hörte auf zu schaffen, wurde be
reits früher (S. 25) gesagt. steht:
Daß hier die Formel nicht
„Und cs ward Abend und es ward Morgen der
siebente Tag", hat seinen Grund einfach darin, daß auf
diesen Tag kein neuer Schöpfungstag mehr folgt, daß mit dem Anbruch des siebenten Tages das Sechstagewerk, welches Moses hier beschreiben wollte, zu Ende ist.
Er
fügt nur noch die Bemerkung bei, daß Gott mit Rück
sicht auf das Sechstagewerk den siebenten Tag gesegnet und geheiligt, d. h. daß Gott den siebenten Tag für die Menschen als
einen
heiligen, zum Andenken
an
die
Schöpfung und zu Ehren des Schöpfers zu feiernden Tag
eingesetzt habe.
Diese Bemerkung ist wesentlich; denn sie
erklärt es, wie ich schon früher (S. 25) hervorgehoben, warum die Bibel sich nicht darauf beschränkt,
uns zu
sagen, daß Gott alles geschaffen, sondern ausdrücklich er wähnt, daß Gott in sechs Tagen geschaffen habe. Dieser Satz, daß Gott in „sechs Tagen" geschaffen, wird bei den Erörterungen über das Verhältniß des bib lischen Berichtes zu den Ergebnissen der Naturforschung
in den Vordergrund treten.
Ehe ich diese Erörterungen
beginne, bespreche ich einige mit jenem Satze nicht zu
sammenhängende Einwendungen gegen den Bericht über
das Sechstagewerk, welche sich, da sie auf bloßen Miß verständnissen beruhen, ohne Schwierigkeit schon jetzt er
ledigen lassen.
48
IV.
Beseitigung einiger Mißverständnisse bezüglich des biblischen Schöpfungsberichtes.
Einige Naturforscher, z. B. Sinne, haben gemeint, nach der Darstellung, welche im ersten Capitel der Gene
sis V. 20 ff. von der Erschaffung der Thiere gegeben
wird, seien die ersten Thiere an einem einzigen Orte, und zwar von jeder Art ein einziges Paar geschaffen worden. Einzelne haben sich die Mühe gegeben, ausführlich nach
zuweisen, wie schwierig, ja wie unmöglich es dann ge wesen sein würde, daß sich alle Thierartcn hätten erhal
ten können: die Urpaare des Löwen, Tigers u. s. w. wür den sofort die pflanzenfressenden Urpaarc getödtet haben, und schon am ersten Tage würden alle Pflanzenfresser
vertilgt gewesen sein.
Das bernht auf einem handgreif
lichen Mißverständnisse.
Wenn nach dem biblischen Be
richte nur Ein Menschenpaar geschaffen worden ist, so
darf das nicht auch auf die Thierwelt übertragen und angenommen werden, es seien auch nur einzelne Paare von Rindern und Schafen, Rehen und Hasen u. s. w.
vorhanden gewesen.
Dem biblischen Bericht liegt viel
mehr, wie Delitzsch ') richtig bemerkt, offenbar die An schauung zu Grunde, daß das durch Gottes Machtwort
hervorgerufene Thierleben sich allenthalben gleichzeitig in einer Menge von Individuen, am fünften Tage in Wasser
und Luft, am sechsten auf dem Lande zu regen begann. Ein anderes Mißverständniß knüpft sich an die Verse
1) Genesis, 4. Ausl. S. 97. Dgl. Bibel und Natur S. 101.
49 29 und 30 an, in welchen berichtet wird, Gott habe die
Kräuter und Baumfrüchte den Menschen, alles Grün des Krautes den Thieren zur Speise -gegeben.
Das haben
nämlich Einige so deuten wollen, als habe Gott die Men schen und die Thiere ursprünglich auf Pflauzeu-Nahrung
angewiesen. Was den Menschen betrifft, so lassen sich aller dings die Worte, welche nach der Genesis Cap. 9, V. 3 Gott nach der Sündftuth spricht, so auslegen, daß Gott
darin den bis dahin nicht gestatteten Genuß von Fleisch erlaubt; die Worte werden aber von vielen Auslegern mit Recht anders gedeutet, und nöthigen jedenfalls nicht zu
der Annahme, daß nach dem biblischen Berichte die Men schen ursprünglich bloß auf Pflanzen-Nahrung angewiesen gewesen seien.
Die Ansicht aber, auch die jetzt Fleisch
fressenden Thiere hätten sich ursprünglich von Pflanzen
genährt, dürfen auch die Theologen mit Thomas von
Aquin als unvernünftig bezeichnen.
Die Worte:
„Allen
Thieren der Erde gebe ich alles Grün des Krautes zur Speise", sind so zu verstehen, daß Gott damit das Pflan zenreich dem gefammten Thierreiche, nicht aber allen ein
zelnen Thierclassen zur Nahrung überweist.
Sonderbarer Weise haben einige Theologen und Na turforscher auch aus der bekannten biblischen Lehre, daß
durch die Sünde der ersten Menschen der Tod in die
Welt gekommen sei, gefolgert, vor dem Sündcnfalle seien nach der biblischen Anschauung auch die Thiere nicht ge
storben und also auch nicht von anderen Thieren gctödtet und verzehrt worden.
Da nun ganz unzweifelhaft schon
vor dem Auftreten des Menschen, wie die versteinerten Reste urweltlichcr Thiere zeigen, Raubthiere existirt und andere Thiere verzehrt haben und, wie man es ausgedrückt, Reusch, bibl. Schopfuugsgesch. 4
50 „der Tod Jahrtausende, ehe der Mensch diese Erde be
trat, unter ihren Bewohnern gewüthet hat", so haben Karl Vogt, Hartpole Lccky und Andere triumphirend
darauf hingewiesen, daß hier die Geologie eine biblische
Lehre als unrichtig erwiesen habe. Aber wenn die Bibel
lehrt, durch die Sünde Adams sei der Tod in die Welt gekommen, so will sic damit offenbar nur sagen, durch die Sünde habe der Mensch die ihm von Gott verliehene Gnadengabe der leiblichen Unsterblichkeit verloren; daß auch den Thieren ursprünglich die Unsterblichkeit und Leidenslosigkeit verliehen gewesen sei, sagt die Bibel nirgend wo. Und wenn Frohschammcr meint: „wenn für die Thiere die physischen Uebel und der Tod von Anfang
an herrschten, so hätten auch die Menschen, welche diesel ben Stoffe und chemischen, physicalischen und organischen Kräfte und Gesetze in sich tragen, nicht von diesem ge setzlichen Naturlaufc ausgenommen sein können, und es bleibe naturwissenschaftlich kaum etwas anderes übrig als
auch für den Menschen von Anfang an Leiden, Krank heiten und Tod anzunehmen": so ist das eine willkürliche
Behauptung, da die Naturwissenschaft nicht zu beweisen vermag, daß der von Natur leidens- und todcsfähige
Leib des Menschen nicht durch eine übernatürliche Wir kung Gottes vor Leiden und vor dem Tode habe bewahrt
werden können *). Zu einem Mißverständnisse anderer Art haben die ersten Verse der Genesis Anlaß gegeben, in welchen die
Erde, wie sie vor dem Sechstagewerke war, als „Wasser
masse" bezeichnet toirb1 2).
Einige Geologen haben näm-
1) Vgl. Bibel und Natur S. 105. 2) Vgl. Bibel und Natur S. 151.
51 lich angenommen, die Erde habe sich in früherer Zeit in
einem in Wasser aufgelösten oder in einem durch das Wasser bewirkten, theils festwcichen, theils flüssigen oder
und durch
aufgelösten Zustande befunden,
mechanische
Wirkungen, den Druck u. s. w., und noch mehr durch che mische Processe verschiedener Art habe dieser Urbrei all
mählich eine feste Gestalt angenommen und seien daraus vor und nach die einzelnen Gebirgsarten entstanden. Im Gegensatze zu dieser Theorie der Erdbildung, deren Ver
treter man Neptunist en nennt,
nehmen Andere,
die
Pluto nisten, an, der ganze Erdkörper sei vormals eine
feuerflüssige, geschmolzene Masse gewesen und aus diesem
Zustande nach und nach durch allmähliche Abkühlung auf der Oberfläche in den festen Zustand übergegangen. Nachdem sich eine feste Kruste gebildet, hat sich dann nach dieser Theorie aus den Niederschlägen aus der Atmosphäre
ein großes Weltmeer gebildet, welches ganz oder doch bei nahe ganz die Erde bedeckte, und aus diesem haben sich
dann auch neptunistische Schichten abgelagert. Diese letz
tere, die plutonistische Ansicht wird jetzt
von den meisten
Geologen für die richtige gehalten. Nun hat man gesagt:
dem biblischen Berichte liege offenbar die neptunistische
Anschauung zu Grunde, also eine Anschauung die mit der jetzt herrschenden und von vielen Geologen für allein
richtig gehaltenen Ansicht in Widerspruch stehe. Es muß zugegeben werden, daß einzelne Theologen
den Bericht der Genesis als eine Darstellung der neptunistischen Theorie der Erdbildung gedeutet und diese
Theorie geradezu als die biblische und als die von jedem
Bibelgläubigen
festzuhaltende
bezeichnet
Theologen sind aber im Unrechte.
haben.
Diese
Wenn in dem ersten
52 Capitel der Genesis zuerst in Vers 2 gesagt wird: „Die Erde war wüst und öde und Finsterniß über der Wasser
masse", und wenn dann berichtet wird, Gott habe am zweiten Tage die Erd-Atmosphäre gebildet und am drit ten das trockene Land aus dem Wasser hervortreten lassen,
so kann das allerdings so verstanden werden, daß der Vers 2 den Zustand beschreibe, in welchem die Erde, wie die Ncptunisten wollen, nur als große Wassermasse vor handen war, in welcher die Bestandtheile derselben auf
gelöst oder erweicht sich vorfanden, und daß am dritten
Tage die Bildung des festen Erdkörpers aus diesen flüs sigen Massen vollendet wurde.
Aber der mosaische Be
richt kann auch anders verstanden werden. Zunächst ist festzuhalten, daß Moses überhaupt nicht
von der Bildung des Erdkörpers an sich zu reden hat, sondern von der Gestaltung der Erde zum Wohnplatze
für den Menschen; darum interessirt ihn nicht das Erd innere, sondern nur die Erdoberfläche, und seine Geogonic ist darum eine oberflächliche in der eigentlichen Be
deutung des Wortes.
Ferner ist bei der Auslegung des
Verses 2 festzuhalten, daß dieser Vers einen Gegensatz zu dem Folgenden bildet.
Jetzt sehen wir die Erde in
Land und Meer getheilt, beide Theile von Thieren be wohnt, die Erde mit Pflanzen bekleidet, alles von der
Sonne erhellt. Das alles, lehrt Moses, ist durch Gottes Wort so geworden; so war es nicht von Anbeginn; diesem
Zustande der Erde ist ein anderer vorhergegangen, in
welchem dieses alles noch nicht da war.
Wie kann er
nun diesen frühern, chaotischen Zustand besser schildern als mit den Worten:
„Die Erde war wüst und
öde",
d. h. ohne Vegetation und lebendige Bewohner, ja Wasser
53 und Land waren noch gar nicht geschieden, die Erde bot sich dem Blicke als eine einzige große Wassermasse dar, und
auch das Licht mangelte noch; also „Finsterniß war über der Wasscrmasse" ?
Diesem in Vers 2 beschriebenen Zu
stande der Erde mag noch ein anderer vorhergegangen, die
Erde mag eine feuerflüssige, glühende und allmählich erstar
rende Masse gewesen sein, ehe sie sich als eine von Wasser bedeckte Masse darstellte.
Alle Gestaltungsprocesse, welche
das Innere der Erde durchgemacht haben mag, und alle Gestaltungsprocesse, welche vor den ersten der sechs Tage gefallen sein mögen,
tonnte Moses mit Stillschweigen
übergehen; denn er will ja nicht eine wissenschaftlich voll ständige und gründliche Geogonie liefern, sondern nur einen Bericht über die Gestaltung der Erde zum Wohn
platze für den Menschen, und für diesen Zweck ist das
vollkommen ausreichend, was er sagt:
die Pflanzenwelt
und die Thierwclt sind von Gott geschaffen, das Licht ist
von Gott hervorgebracht, die Trennung von Wasser und
Land ist durch Gott bewirkt worden, und ehe alles dieses durch Gott gemacht wurde, war es nicht da: es war
dunkel und das Wasser bedeckte das Land. Wir können also aus dem Berichte des ersten Capi
tels nur die Angabe entnehmen, daß die Erde vormals mit Wasser bedeckt gewesen und daß nach Gottes Willen die Scheidung von Wasser und Land auf der Erdober fläche .eingetreten sei.
Diese Angabe ist aber
plutonistischen Theorie ebenso wohl vereinbar
mit der wie
mit
der neptunistischen; denn auch die Plutonisten nehmen,
wie wir gesehen haben, an, daß die Erdoberfläche vormals von Wasser bedeckt gewesen und daß sich ein großer Theil
der Formationen der Erdrinde durck Niederschläge aus dem
54 daß
Wasser gebildet habe,
und
solcher neptunistischen
Schichten die Erdoberfläche
die
Aufnahme
der Pflanzen-
erst nach der Bildung
und Thierwelt
für
geeignet
wurde.
V.
Die Geologie und die „sechs Tage".
Die Geologie hat bekanntlich die Aufgabe,
von
dem jetzigen Zustande des Erdkörpers ausgehend, die Ver
änderungen, welche mit demselben in der Vergangenheit vor sich gegangen sind, nachzuweisen und die Geschichte der Erde von ihrer Entstehung bis auf die Gegenwart darzustcllenl).
Die Erfahrung lehrt, daß die Erdober
fläche und die Erdrinde noch jetzt bedeutenden Verände
rungen unterworfen sind, und
die Beschaffenheit der
Erdrinde nöthigt zu der Annahme, daß auch in früherer Zeit
solche
Veränderungen stattgcfunden
haben.
Die
Erforschung der jetzigen Beschaffenheit der Erdrinde, der Kräfte,
welche Veränderungen
derselben bewirken,
insbesondere der Wirkungen des Wassers und
—
der vul-
canischen Kräfte, — und der Gesetze, nach welchen solche
Veränderungen stattfinden, bietet also den Geologen ein Mittel, die
erkennen.
früher stattgefundcnen Veränderungen
Die Geschichte
der
Erde in diesem
zu
Sinne,
kann man sagen, ist in die Erdrinde eingezeichnet, und
die Geologie hat diese Chronik zu entziffern. 1) Vgl. Bibel und Natur S. 151. 166. geschichte S. 1.
Pfaff, Schöpfungs
54 daß
Wasser gebildet habe,
und
solcher neptunistischen
Schichten die Erdoberfläche
die
Aufnahme
der Pflanzen-
erst nach der Bildung
und Thierwelt
für
geeignet
wurde.
V.
Die Geologie und die „sechs Tage".
Die Geologie hat bekanntlich die Aufgabe,
von
dem jetzigen Zustande des Erdkörpers ausgehend, die Ver
änderungen, welche mit demselben in der Vergangenheit vor sich gegangen sind, nachzuweisen und die Geschichte der Erde von ihrer Entstehung bis auf die Gegenwart darzustcllenl).
Die Erfahrung lehrt, daß die Erdober
fläche und die Erdrinde noch jetzt bedeutenden Verände
rungen unterworfen sind, und
die Beschaffenheit der
Erdrinde nöthigt zu der Annahme, daß auch in früherer Zeit
solche
Veränderungen stattgcfunden
haben.
Die
Erforschung der jetzigen Beschaffenheit der Erdrinde, der Kräfte,
welche Veränderungen
derselben bewirken,
insbesondere der Wirkungen des Wassers und
—
der vul-
canischen Kräfte, — und der Gesetze, nach welchen solche
Veränderungen stattfinden, bietet also den Geologen ein Mittel, die
erkennen.
früher stattgefundcnen Veränderungen
Die Geschichte
der
Erde in diesem
zu
Sinne,
kann man sagen, ist in die Erdrinde eingezeichnet, und
die Geologie hat diese Chronik zu entziffern. 1) Vgl. Bibel und Natur S. 151. 166. geschichte S. 1.
Pfaff, Schöpfungs
55 Freilich liegt uns die zu entziffernde Chronik nur
sehr unvollständig vor, da nur erst ein verhältnißmäßig kleiner Theil der Erdrinde hat untersucht werden können. Auch geben die Geologen selbst zu, daß sich bezüglich der
früheren Perioden der Erdgeschichte vielfach nur mehr minder wahrscheinliche Vermuthungen
oder lassen.
aufstcllen
Aber von einem großen Theile der Geschichte der
Erde kann nach der übereinstimmenden Ansicht der be deutendsten Geologen in den Hauptumrisscn eine wissen
schaftlich gesicherte Darstellung gegeben werden. Es ist erklärlich, daß die Geologen
sich
bemüht
haben, die Geschichte der Erde möglichst hoch hinauf, wo möglich bis zu ihrem Anfänge hinauf zu verfolgen. So beginnt denn die Geschichte der Erde in den geolo gischen Darstellungen mit der Zeit, wo unser Sonnen
system ein einziger ungeheuerer Gasball war, aus dem sich allmählich
die Sonne und die Planeten mit ihren
Trabanten bildeten; cs folgt dann die Periode, in wel
cher die Erde, nachdem sie ein selbständiger Weltkörper geworden war, aus dem gasartigen Zustande in den einer
feuerflüssigcn Kugel überging.
In einer weitern Periode
bildete sich eine feste Kruste dieser Kugel u. s. w.
So
berechtigt auch die Schlußfolgerungen sein mögen, auf
denen
diese Darstellung der ersten Perioden der Erdge wir werden diese Perioden mit Karl
schichte beruht'),
Vogt der mythischen Periode der Geschichte eines Volkes an die Seite stellen und sagen dürfen, daß die Geschichte
der Erde
erst
von dem Zeitpunkte an mit größerer
Sicherheit dargestellt werden kann, wo die Ablagerung 1) Vgl. Bibel und Natur S. 166. 179.
56 von Schichten begann, deren Entstehung und Aufein anderfolge sich namentlich mit Hülfe der in ihnen ent haltenen Ueberrestc von Pflanzen und Thieren, der Ver steinerungen, genauer bestimmen läßt. Bei diesen späteren Perioden der Erdgeschichte kommt also vorzugsweise die
Versteinerungskunde oder Paläontologie in Betracht *), und so manches auch hier noch im Einzelnen zweifelhaft
und bestritten sein mag, so sind doch bezüglich dieser Perioden in ihren Hauptumrisscn die geologischen For schungen zu allgemein anerkannten Ergebnissen gelangt.
Von diesen Ergebnissen der geologischen Forschungen kommen hier, wo cs sich um eine Vergleichung mit dem
Berichte der Genesis über die Bildung der Erde in „sechs
Tagen" handelt, zunächst folgende in Betracht: In der Zeit, in welcher sich die ältesten Schichten der Erdrinde aus dem Wasser ablagerten, gab es noch keine organischen Wesen, keine Pflanzen und Thiere, auf der Erde.
Diese Periode kann darum als die azoische Periode bezeichnet
werden.
Die folgende Zeit, von dem ersten Auftreten
der organischen Wesen bis zu dem ersten Auftreten des Menschen,
umfaßt eine ganze Reihe von Abschnitten,
welche sich durch die Verschiedenheit der in ihnen auf der Erde existircnden, jetzt in den verschiedenen Schichten ver
steinerten Pflanzen- und Thierwclt, Flora und Fauna,
von einander absondern.
Diese verschiedenen Abschnitte
hat man in drei große Gruppen vereinigt, welche als
paläozoische, mesozoische und känozoische Periode, als ältere, mittlere und neuere Zeit des organischen Lebens,
bezeichnet werden.
Auf die känozoische Periode folgt dann
1) Vgl. Bibel und Natur S. 181.
57 die recentc Periode, welche mit dem ersten Auftreten
des Menschen beginnt und welche noch fortdauert.
Jede
der genannten drei großen Perioden zerfällt in mehrere Abschnitte, welche man nach Localitätcn, an welchen ihre
Ablagerungen sich finden, oder nach der Beschaffenheit dieser Ablagerungen mit verschiedenen Namen bezeichnet.
So heißen die Hauptabschnitte der paläozoischen Periode: die silurischc, die devonische, die Steinkohlen- und die
Permische Zeit oder Formation. Der dritte dieser Namen ist gewählt, weil sich in den Ablagerungen dieser Zeit vorzugsweise die Steinkohlen finden; die drei anderen Namen sind von drei Gegenden hcrgenommcn, in welchen sich Ablagerungen aus der betreffenden Zeit finden, von
dem Theile des westlichen Englands, wo in der römischen Zeit das Volk der Siluren wohnte, von der englischen
Grafschaft Dcvonshire und von dem russischen Gouver nement Perm. Die Ablagerungen jedes dieser Haupt abschnitte der drei großen Perioden bestehen dann wieder
aus einer Reihe von Schichten, welche sich nach einander gebildet haben, also kleinere Zeitabschnitte darstellen.
Wie verhält es sich nun mit der Chronologie dieser von den Geologen entworfenen Geschichte der Erde?
Die Geologen selbst sagen, mit voller Sicherheit könnten sie nur das relative, nicht das absolute Alter der einzel
nen Formationen bestimmen, d. h. sie könnten ermitteln, welche Stelle eine Formation in der ganzen Reihenfolge der geschichteten Bildungen einnchme, ob sie älter oder
jünger sei als eine andere; aber sic könnten nicht einmal in runden Zahlen angebcn, wie viele Jahre die Bildung
jeder Formation in Anspruch genommen habe und wie viele Jahre von dem Beginne und von dem Abschluß der
58 Bildung jeder Formation bis zur Gegenwart verflossen
So können die Geologen z. B. wohl sagen, daß die
sei.
Steinkohlcnformation jünger als die devonische und älter
als die Permische Formation ist, aber nicht, vor wie vielen Jahrtausenden die Steinkohlenzcit angefangen hat und
vor wie vielen Jahrtausenden sie zu Ende war.
Die
Geologen haben freilich vielfach den Versuch gemacht, die Dauer der einzelnen Perioden der Erdgeschichte zu be
stimmen;
sie gestehen
aber,
daß sie selbst
ungefähre
Schätzungen nur als unsichere Vermuthungen Vorträgen
können.
Darin aber sind die Geologen einig, daß cs sehr lange gedauert haben müsse, bis alle Formationen ihre jetzige Gestalt erhielten, und daß man, wenn man das „sehr lange" in Ziffern ausdrücken wolle, mit Jahrtausen den nicht ausrciche. Um beispielsweise eine der mäßigsten
Schätzungen anzuführen: Pfaff nimmt für die Bildung sämmtlicher Versteinerungen
enthaltenden Formationen
zehn bis zwanzig Millionen Jahre an1). Damit steht nun unzweifelhaft der mosaische Bericht über das Sechstagewcrk in Widerspruch, wenn wir die „sechs Tage" oder auch nur die letzten drei derselben als
Zeiträume von vierundzwanzig Stunden
ansehen und
annehmcn müssen, daß die Erschaffung der Pflanzen und Thiere kurz vor der Erschaffung des Menschen und die Bildung der Formationen, welche versteinerte Pflanzen
und Thiere enthalten, in den Jahrtausenden stattgcfunden habe, welche seit der Erschaffung des Menschen verflossen
sind.
Da aber die neueren Theologen fast ohne Aus-
1) Schöpfungsgeschichte S. 658.
59 nähme anerkennen,
daß die Bibel zur buchstäblichen
Deutung der „sechs Tage" nicht nöthige, so kann über
die Versuche,
die Perioden der Erdgeschichte,
von denen
die Versteinerungen Zeugniß ablegen, in die Zeit seit der Erschaffung des Menschen einzusügen, mit Stillschweigen hinwcggangen werden').
Von einem andern Versuche, die buchstäbliche Auf
fassung der „sechs Tage" festzuhalten, dabei aber die Er gebnisse der
geologischen Forschung anzuerkennen,
etwas ausführlicher geredet werdens.
muß
Mehrere Theo
logen und Geologen, namentlich Engländer und Deutsche,
haben nämlich folgende Ansicht als eine solche vorgetra
gen, durch welche der biblische Bericht über das Sechs tagewerk mit den,, was die Geologie über die früheren
Perioden der Erdgeschichte lehrt, in Einklang
gebracht
werden könne: Zwischen dem ersten göttlichen Schöpfungs acte, von welchem der erste Vers der Genesis redet, und
dem ersten Acte des ersten der sechs Tage, von welchem der dritte Vers spricht,
ist eine lange Zeit verflossen.
Schon vor den« Sechstagcwerke ist die Erde gestaltet und
ein Wohnplatz des organischen Lebens gewesen.
Diese
frühere Gestaltung und diese frühere Pflanzen- und Thier
welt wurde durch eine Katastrophe vernichtet, deren Fol gen in dem zweiten Verse der Genesis beschrieben werden. Darauf hat die Erde .ihre jetzige Gestaltung und ihre
jetzige Pflanzen- und Thierwclt erhalten, und in dem ersten Capitel der Genesis wird von Vers 3 an nicht über die erste Gestaltung der Erde und die erste Er
schaffung der organischen Wesen berichtet, sondern über 1) Vgl. Bibel und Natur S. 213. 2) Vgl. Bibel und Natur S. 225.
60 jene Neugestaltung der Erde und über jene Neuschaffung der organischen Wesen, welche unmittelbar vor der Er
schaffung sdcs Menschen stattgefunden hat.
Danach hat
man diese Ansicht die Restitutionstheoric genannt.
-Von einem Widersprüche zwischen der Geologie und Pa läontologie und der Bibel kann nach dieser Theorie gar nicht die Rede fein, weil kein directer Berührungspunkt übrig
bleibt.
Was die Geologen
über die Bildung der Erde
aus einer Gasmasse oder aus einer seucrflüssigen Kugel, was sie über die Entstehung der azoischen, paläozoischen,
mesozoischen und künozoischen Formationen und über die
Floren und Faunen lehren, deren Reste in diesen Schichten begraben sind, das alles braucht bei der Erklärung des
mosaischen Berichtes nicht berücksichtigt zu werden; denn
cs fällt in die Zeit, die den sechs Tagen dieses Berichtes vorausging.
Erst wo die paläontologische Geschichte der
Erde aufhört, beginnt die Als die
biblische Geschichte der Erde.
letzte Flora und Fauna der paläontologischen
Perioden untergegangen war, schuf Gott zuerst die Pflanzen,
dann die Wasser-, Luft- und Landthiere, welche in ihren Nachkommen noch jetzt cxistircn, also die Pflanzen- und Thicrwelt der recenten Periode nach der geologischen Be
zeichnung. Es kann zugegeben werden,
daß diese Theorie mit
dem Berichte der Bibel vereinbar, also exegetisch zulässig
ist').
Sie ist aber mit den Ergebnissen der geologischen
Forschungen nicht vereinbar und darum nicht geeignet,
den scheinbaren Widerspruch zwischen Bibel und Geologie zu beseitigen.
Es wird bei dieser Theorie vorausgesetzt.
1) Bibel und Natur S. 82. 227.
61 daß unmittelbar vor dem ersten Auftreten des Menschen
nicht nur das organische Leben auf der Erde ganz er
loschen
und dann durch
die
Erschaffung
einer neuen
Pflanzen- und Thicrwclt wieder hergestcllt worden, son dern auch
ein Zustand cingetrcten sei,
in welchem die
Erde ganz mit Wasser bedeckt und von Dunkel umhüllt
und eine neue Regelung ihres Verhältnisses zu den Ge stirnen, eilte Neubildung ihrer Atmosphäre und eine neue
Scheidung
von
Wasser und Land nöthig war.
Diese
Voraussetzung findet aber in den Ergebnissen der geolo gischen Forschungen nicht nur keine Bestätigung, sondern
steht mit denselben in Widerspruch *)•
Wenn ältere Geo
logen zwischen Vorwelt und Jctztwelt, vorwcltlichcn (ur
weltlichen)
oder
fossilen
und
rcccnten
Pflanzen
und
Thieren in dem Sinne unterschieden haben, als ob alle vorweltlichen Pflanzen und Thiere ausgcstorben gewesen wären, ehe die jetzige Pflanzen- und Thicrwclt geschaffen wurde, so bezeichnen die neueren Geologen diese Ansicht als ganz unhaltbar und lehren, die gegenwärtige Pflan
zen- und Thicrwclt sei von der der
letzten paläontolo
gischen oder „vorwcltlichcn" Periode nicht scharf unter
schieden, sondern hange an tausend Punkten mit ihr zu sammen.
Sic lehren ferner,
jedenfalls zu
von
der
Gegenwart bis
der Zeit hinauf, welche durch die ältesten
känozoischen Formationen rcpräscntirt wird, sei ein Tag
auf den andern und eine Jahreszeit auf die andere ge folgt und das organische Leben niemals durch eine Zeit
eines allgemeinen Chaos, Dunkels und Todes unterbrochen
worden; alle Thatsachen sprächen gegen die Annahme, 1) Bibel und Natur S. 235. 286.
62 daß unmittelbar vor das Erscheinen des Menschen auf
Erden eine chaotische Zeit zu setzen sei, welche die gegen wärtige Schöpfung von der vorhergehenden trenne.
Es geht also ebenso wenig an, die ganze Geschichte der Erde und ihrer Organismen bis zum Auftreten des
Menschen vor die „sechs Tage" der Genesis und vor die im zweiten Verse beschriebene Zeit des Thohuwabohu zu
verlegen, als cs zulässig ist, die Bildung sämmtlicher Ver steinerungen enthaltenden Formationen in die Zeit zu
verlegen, welche seit der Erschaffung des Menschen ver flossen ist. Es fragt sich also nun noch, ob es angeht, alle Perioden der Geschichte der Erde und ihrer Orga
nismen, wie sic die Geologie und Paläontologie aus ihren
Quellen darstellt, in das Scchstagewerk hinein zu ver legen. Soll das angehcn, so dürfen natürlich die „sechs Tage" nicht als ein Zeitraum von sechsmal vierundzwanzig Stunden angesehen werden, und cs ist also zunächst zu zeigen, daß es zulässig ist, die sechs Tage anders zu ver
stehen.
Die meisten und hervorragendsten neueren und auch
schon viele ältere Bibclerklärcr erklären es für unbedenk lich, die
sechs Tage
als
bildliche Bezeichnung
längcrn Zeitraumes aufzufassen').
eines
Sie begründen dieses
auf verschiedene Weise; folgende Begründung dürfte die überzeugendste fein1 2).
Wenn uns in der Bibel nicht nur berichtet wird, daß Gott die Welt geschaffen, sondern auch, daß er sie
in sechs Tagen geschaffen, so geschieht das unzweifelhaft nicht zu dem Zwecke, uns einen chronologischen Anhalts1) Bibel und Natur S. 118. 2) Bibel und Natur S. 127.
63 punkt oder einen Anstoß und Leitfaden zu geologischen Un
tersuchungen zu geben; denn die Bibel hat, wie früher (S. 16) hervorgehoben wurde, immer zunächst und direct die Mit
theilung religiöser Belehrungen zum Zwecke. Ob die Welt
in sechs oder in acht Tagen, in einem Augenblicke oder in einigen oder vielen Jahrtausenden ihre jetzige Gestal
tung erlangt hat, das würde Moses ebenso wenig der
Erwähnung werth erachtet haben, als die Zahl der Jahre, welche die einzelnen Pharaonen während des Aufenthaltes
der Israeliten in Aegypten regiert haben, wenn nicht „An sechs
Gott den Juden das Gesetz gegeben hätte:
Tagen sollst du arbeiten und am siebenten sollst du ruhen." Das Zählen der Tage im ersten Capitel der Genesis:
erster, zweiter u. s. w. bis sechster Tag, hat gar keinen andern Zweck, als die Bemerkung in den ersten Versen des zweiten Capitels vorzubcrciten:
„Und den siebenten
Tag", — von dem ja natürlich nicht die Rede sein könnte, wären nicht sechs Tage vorhcrgegangcn, — „den siebenten
Tag segnete Gott und heiligte ihn." tagewerk und der
darauf
folgende
Das göttliche Sechs göttliche Sabbath
einerseits und die Woche, die sechs Arbeitstage und der
Sabbath, anderseits, bilden eine Parallele, und zwar nicht eine zufällige, sondern eine von Gott gewollte und ge
wirkte Parallele.
Die Schöpfungswoche ist das göttliche
Urbild, unsere Woche das irdische Abbild.
Von sieben
Tagen, worunter der letzte der Tag des Ruhens Gottes
ist, spricht Moses nur, weil sieben Tage, worunter der
Ruhetag der letzte ist, eine Woche ausmachen.
Also auf
den Begriff Hcbdomas, Siebenzahl, kommt cs an, nicht
auf den Begriff Tag.
Schöpfungsverlauf
Daß die Sicbcnzahl
in dem
eine bestimmte Stelle hat, das ist
64 religiös bedeutungsvoll und durfte darum nicht über
gangen werden; ob es eine Siebcnzahl von Minuten,
von Tagen, von Jahren oder von Jahrtausenden ist, das ist an und für sich unwesentlich.
Es würde eine
viel
stärkere Abweichung von dem mosaischen Schöpfungsbe richte sein, wenn Jemand sagen wollte, Gott habe die
Welt in fünf oder in acht Tagen geschaffen, als wenn wir sagen wollten, Gott habe in sechs Jahrtausenden ge
schaffen; denn ob Gott in einem Augenblicke oder in
einem Jahrtausend die Scheidung von Wasser und Land
cintretcn läßt und die übrigen schöpferischen und wcltbildendcn Acte vollzieht, ist auf dem religiösen Standpunkte ziemlich gleichgültig, wenn nur fcstgchalten wird, daß Gott und nur Gott das Eine und das Andere vermag. Aber die Zahl ist nicht so gleichgültig. Wenn Gott bestimmt
hat, daß einer nicht von je sechs oder von je acht, son
dern gerade von je sieben Tagen von den Menschen zu Ehren des Weltschöpfcrs und zum Danke für die Wohl that der Erschaffung gefeiert werden soll, dann muß der
Verlauf der Schöpfung eine Hebdomas, eine Siebenheit, eine Siebenzahl von Abschnitten, gewesen sein, in welcher die letzte Einheit dem von Gott vorgeschriebenen Ruhe
tage, die sechs vorhergehenden Einheiten den Arbeitstagen entsprechen. Daß die ganze Schöpfungsgeschichte in sechs Ab schnitte zerfällt, hat mithin für die Bibel nur Wichtigkeit
wegen der von Gott gewollten Analogie zwischen der
göttlichen Schöpfungswoche und der menschlichen Woche. Diese Analogie wäre nun freilich am vollkommensten, wenn die Einheiten der einen Hebdomas auch den Ein
heiten der andern Hebdomas gleich, wenn also die sieben
65 Tage
der Schöpfungswoche siebenmal
vierundzwanzig
Stunden wären, wie die Tage unserer Woche.
Aber die
Analogie ist doch auch noch vorhanden, wenn die eine, Hebdomas aus anderen Einheiten besteht als die andere
wenn also die Schöpfungswoche nicht eine Siebenhcit von
vierundzwanzigstündigen Tagen,
sondern
von anderen
Abschnitten ist; denn das Wesentliche, die Siebenzahl,
bleibt auch tu diesem Falle in ihrem vollen Rechte.
Der
siebente Tag der göttlichen Schöpfungswoche ist ja ohne hin jedenfalls kein Tag in der gewöhnlichen Bedeutung;
denn Gott „ruht" noch jetzt in dem Sinne, in welchem
dieses bei der Beschreibung des siebenten Tages von ihm gesagt wird: er ist nicht mehr in der Weise schöpferisch thätig wie bei dem Sechstagcwerke. Nehmen wir einmal an, auch die sechs Tage seien ebenso wohl wie der siebente größere Perioden gewesen,
vielleicht Perioden von ungleicher Dauer: wie konnte
Moses diese Perioden nennen? Er konnte sie mit einem eigentlichen oder mit einem bildlichen Ausdruck bezeichnen. Wollte er einen bildlichen Ausdruck gebrauchen, so lag
nichts näher, als sie Tage zu nennen, mit Rücksicht auf die Analogie zwischen der
und der menschlichen Woche.
göttlichen Schöpfungswoche
Diese Analogie konnte er
gar nicht deutlicher und kürzer hervorheben, als wenn er
den Namen der Theile der menschlichen Woche geradezu auf die Theile der Schöpfungswoche übertrug.
That er
dieses, so drückte er sich für seinen Zweck deutlich genug aus; denn seine Leser mußten nun aus seiner Darstellung das Verhältniß entnehmen, in welchem die Einsetzung des
Sabbaths zu der Vollendung der Schöpfung steht, und
das ist ja alles, worauf es der Bibel ankommt. Reusch, bibl. SchöpfungSgesch.
5
So viel
66 mußte Moses sagen, um die Vorschrift der Feier des
Sabbaths zu erklären; mehr brauchte er nicht zu sagen,
wenn er keinen andern Zweck hatte; und da er keinen andern Zweck hatte, namentlich nicht den Zweck,
uns
geologische Erkenntnisse zu vermitteln, so würde er über
seine Aufgabe hinausgehen, wenn er mehr sagte, wenn er uns über die Dauer der Theile der Schöpfungswoche belehrte, wenn er also den Ausdruck „Tag" vermieden und dafür etwa Jahrtausend oder Jahrtausende gesagt
hätte. Mit anderen Worten: Gott hat den Sabbath ein
gesetzt; um dieses zu begründen, hat er dem Menschen geoffenbart, daß die Woche, deren Abschluß der Sabbath ist, ihr Urbild habe in einer göttlichen Woche, die aus sechs Zeiten der schöpferischen Thätigkeit und einer Zeit
der göttlichen Ruhe bestehe. So viel mußte Gott offen baren; mehr war nicht nöthig, wenn die Offenbarung ihren religiösen Charakter strenge festhalten wollte. Sollte aber nicht mehr offenbart werden, wollte Gott die Sie
benzahl in seinem Schöpfungswerke offenbaren, ohne über
die Dauer der Einheiten, die diese Siebenzahl ausmachen, etwas zu offenbaren,
so mußte er die Einheiten so be
nennen, wie sie in der abbildlichen menschlichen Hebdomas heißen, also Tage. Oder, wie Haneberg') es ausdrückt:
„Die
Aufeinanderfolge von
sechs Perioden
göttlicher
Schöpfungsthätigkeit mit darauf folgender Ruheperiode ist der Grund der spätern Wochenfeier.
arbeitet sechs Tage und feiert am siebenten.
Der Mensch Die Absicht
des heiligen Schriftstellers, in den sieben Abschnitten der 1) Geschichte der biblischen Offenbarung, 2. Aufl., S. 13.
67 Schöpfung das Vorbild der Woche zu geben, erklärt uns
den Ausdruck Tag, welchen er für jeden jener Abschnitte anwendet.
Er will eine Gotteswoche schildern.
Wie
lang ein Tag dieser Gotteswoche nach unserm Maße ge
wesen ist, läßt sich nicht bestimmen."
Wenn man gesagt hat,
das Wort Tag müsse im
ersten Capitel der Genesis darum in seiner eigentlichen
Bedeutung genommen werden,
weil von Abenden und
Morgen der sechs Tage die Rede ist, antworten:
so ist darauf zu
Wenn der ganze Schöpfungsverlauf bildlich
eine Woche, und jeder einzelne Theil desselben bildlich
ein Tag genannt werden kann,
so ist nichts natürlicher,
als daß der Anfang und das Ende eines solchen figür
lichen Tages gleichfalls figürlich als Morgen und Abend bezeichnet werden.
Das ist gerade so in der Ordnung,
als wenn der Heiland in der Parabel von den Arbeitern
im Weinberge die ganze Zeit, innerhalb welcher die Men schen sich den himmlischen Lohn verdienen sollen, als einen Tag und nun consequenter Weise die Zeit, wo der
Einzelne seine Thätigkeit beginnt, als erste, dritte, sechste, neunte und cilfte Stunde des Tages bezeichnet.
VI.
Die Geologie und die „sechs Tage".
Schluß.
Zeiträume von je vierundzwanzig Stunden brauchen
wir uns nach dem Gesagten unter den „Tagen" des ersten Capitels der Genesis nicht zu denken.
Die Frage, was
wir also darunter zu verstehen haben, wird von den
67 Schöpfung das Vorbild der Woche zu geben, erklärt uns
den Ausdruck Tag, welchen er für jeden jener Abschnitte anwendet.
Er will eine Gotteswoche schildern.
Wie
lang ein Tag dieser Gotteswoche nach unserm Maße ge
wesen ist, läßt sich nicht bestimmen."
Wenn man gesagt hat,
das Wort Tag müsse im
ersten Capitel der Genesis darum in seiner eigentlichen
Bedeutung genommen werden,
weil von Abenden und
Morgen der sechs Tage die Rede ist, antworten:
so ist darauf zu
Wenn der ganze Schöpfungsverlauf bildlich
eine Woche, und jeder einzelne Theil desselben bildlich
ein Tag genannt werden kann,
so ist nichts natürlicher,
als daß der Anfang und das Ende eines solchen figür
lichen Tages gleichfalls figürlich als Morgen und Abend bezeichnet werden.
Das ist gerade so in der Ordnung,
als wenn der Heiland in der Parabel von den Arbeitern
im Weinberge die ganze Zeit, innerhalb welcher die Men schen sich den himmlischen Lohn verdienen sollen, als einen Tag und nun consequenter Weise die Zeit, wo der
Einzelne seine Thätigkeit beginnt, als erste, dritte, sechste, neunte und cilfte Stunde des Tages bezeichnet.
VI.
Die Geologie und die „sechs Tage".
Schluß.
Zeiträume von je vierundzwanzig Stunden brauchen
wir uns nach dem Gesagten unter den „Tagen" des ersten Capitels der Genesis nicht zu denken.
Die Frage, was
wir also darunter zu verstehen haben, wird von den
68 Theologen und Naturforschern, welche bei der Vergleichung
der biblischen und der geologischen Darstellung der Ge
schichte der Erde diese freiere Auffassung der sechs Tage zu Grunde legen, verschieden beantwortet').
sagen:
Die Einen
Die sechs Tage bedeuten sechs auf einander fol
gende längere Perioden in der Schöpfungsgeschichte, und es ist je ein größerer Abschnitt in der Geschichte der
Erde, wie sie die Geologen auf Grund ihrer Untersuchun
gen darstellen, mit je einem Tage des mosaischen Berichtes in Parallele zu bringen.
Diese Ansicht wird gewöhnlich
die concordistische genannt. Andere tragen folgende Ansicht vor, welche als die ideale Auffassung der sechs Tage bezeichnet wird:
Moses ist mit Rücksicht auf die Analogie zwischen
der Schöpfungswoche und der menschlichen Woche nicht nur dann berechtigt, die schöpferische Thätigkeit Gottes
als sechs Tagewerke zu bezeichnen, wenn diese Schöpfer
thätigkeit in sechs auf einander folgenden Perioden ver läuft, — wie das bei der concordistischen Auffassung angenommen wird, — sondern auch dann, wenn in der schöpferischen Thätigkeit Gottes, sofern sie als ein Gan zes betrachtet wird, sechs logisch von einander zu unter
scheidende Hauptmomcntc,
sechs durch die Schöpfung
verwirklichte göttliche Gedanken oder Ideen hcrvortreten. Daß dieses der Fall ist, läßt sich leicht nachweisen. Das
Sechstagewerk zerfällt, wie früher (S. 40) hervorgehobcn
wurde, in zwei Hälften, die mit einander in Parallele
stehen.
Die Werke der drei ersten Tage hat schon Thomas
von Aquin als „Werke der Scheidung", 1) Bibel und Natur S. 133.
die der drei
69 letzten Tage als „Werke der Ausschmückung" bezeichnet: die drei ersten Acte des Schöpfers sind die Scheidung
des Lichtes von der Finsterniß, des irdischen Wassers von dem Himinelswasscr und des Festlandes vom Meere; die drei folgenden sind die Bildung der leuchtenden Him
melskörper, die Erschaffung der Thiere im Wasser und in der Luft und die Erschaffung der Landthierc. Neuere
Theologen bezeichnen die drei ersten Werke als Schei
dungen, die drei letzten als Individuationen, oder die drei ersten als solche, durch welche Gott die verschiedenen
Bereiche gründete und ausschicd, die drei letzten als solche, durch welche er sic mit Inhabern erfüllte *).
Auf den
letzten Tag beider Hälften werden je zwei Werke verlegt: am dritten Tage folgt auf die Herstellung des Festlan
des die Erschaffung der Pflanzen; am sechsten Tage ist an die Erschaffung der Landthierc die Erschaffung des
Menschen angcschlosscn.
Die Wahrheit, auf die es Moses
bei der Darstellung der schöpferischen Thätigkeit Gottes vorzugsweise ankommen mußte, ist die, daß die sichtbare Schöpfung, wie sic jetzt existirt, eine durch Gottes Willen hcrbeigeführtc Verwirklichung göttlicher Ideen ist. Wenn
er nun die schöpferische Thätigkeit Gottes in den Rahmen einer Woche einstigen wollte, so konnte er die Verwirk lichung der einzelnen göttlichen Gedanken oder die Haupt
momente der schöpferischen Thätigkeit Gottes als sechs Tagewerke darstellen. Die Aufeinanderfolge dieser ein zelnen Acte braucht nun nicht als eine chronologische in
dem Sinne angesehen zu werden, daß das eine Moment
der schöpferischen Thätigkeit vollständig zum Abschlüsse 1) Bibel und Natur S. 257.
70 gebracht worden und damit eine Periode abgelaufen wäre, ehe die Verwirklichung eines andern Momentes und damit
eine neue Periode begann.
Es wäre denkbar, daß, ge
schichtlich oder chronologisch betrachtet, die Verwirklichung der einzelnen Momente zum Theil gleichzeitig verlaufen
wäre, daß z. B. die Scheidung von Wasser und Land
sich
thatsächlich noch über die Erschaffung
der ersten
Pflanzen und der ersten Thiere, und die Entstehung der Vegetation sich über die Entstehung der ersten Thiere hinaus fortgesetzt hätte. Daß in der biblischen Darstel lung die einzelnen Werke als in sich abgeschlossene er
scheinen, findet seine Erklärung darin, daß jedes derselben ein besonderes Moment in der schöpferischen Thätigkeit Gottes bildet, und die Reihenfolge,
in welcher die ein
zelnen Werke vorgeführt werden, erklärt sich theils aus
der logischen Ordnung, in welche dieselben gebracht wer den, theils daraus, daß die folgenden Werke in der That
von den vorhergehenden abhängig und bedingt sind. Wenn bei dieser Auffassung des Sechstagewerkes die chronologische Ordnung in den Hintergrund tritt, so darf man darum nicht sagen, es werde dem geschichtlichen
Charakter des biblischen Berichtes dadurch zu nahe ge treten.
Wenn von zwei Geschichtschreibern der eine das
Leben Karls des Großen in streng chronologischer Ord nung erzählte, wobei natürlich in bunter Mannigfaltig
keit Fannlien- und Staatsereignissc,
kirchliche Verordnungen
auf
Schlachten
und
einander folgen müßten,
während der andere die Ereignisse unter gewisse Haupt gesichtspunkte ordnete, unter denen uns die Wirksamkeit
des großen Kaisers entgegen tritt, und also denselben nach einander in seinem häuslichen Leben, als Eroberer,
71 als Gesetzgeber,
derte:
so
als Förderer der Kirche u. s. w. schil
würde man auch dieser letztern Darstellung
nicht darum, weil der chronologische Gesichtspunkt hinter die geschichtliche
dem logischen oder idealen zurücktritt,
Wahrheit absprechen können.
Die Einwendung, die Formel: „Es ward Abend und
es ward Morgen" passe nicht zu einer solchen Deutung der sechs Tage, ist hier ebenso wenig berechtigt, wie bei der concordistischen Auffassung: wenn die einzelnen Schöpfungs acte als Tagewerke bezeichnet werden,
so ist es nur ein
Festhalten des einmal gewählten Bildes, wenn auch von Morgen und Abend gesprochen wird.
Diese beiden Auffassungen der sechs Tage, die concordistische und die ideale, sind also, theologisch betrachtet, zulässig; und es fragt sich nun noch, nach welcher von
beiden der biblische Schöpfungsbericht mit den Ergeb nissen der geologischen Forschungen am besten in Ein klang zu bringen ist. Jedenfalls machen weder bei der einen noch bei der
andern die ungeheueren Summen von Jähren, welche in
den geologischen Darstellungen der Geschichte der Erde
Vorkommen,
eine Schwierigkeit.
Die Dauer der Zeit,
welche bis zur Erschaffung des Menschen verstossen ist,
wird nach beiden Auffassungen in der Genesis gar nicht bestimmt.
Der Theologe,
welcher eine der beiden Auf
fassungen für richtig hält, kann nur sagen, die sechs Tage brauchten nicht als ein Zeitraum von sechsmal vierund zwanzig Stunden aufgefaßt zu werden;
nicht sagen,
er kann aber
cs könne darunter wohl ein Zeitraum von
einigen Jahrtausenden, aber nicht von Millionen Jahren verstanden werden. Mögen die geologischen Berechnungen
72
der Perioden der Erdgeschichte, wissenschaftlich be
trachtet, noch so anfechtbar sein; auf dem theologischen Standpunkte darf unbedenklich gesagt werden:
die sechs
Tage der Genesis sind, weil sie überhaupt keine eigent
liche Zeitbestimmung enthalten, dehnbar genug, um so viele Millionen Jahre zu umspannen, als die Geologie
nachzuweisen vermag.
Sehen wir nun zunächst, ob sich nachweisen läßt, daß der biblische Schöpfungsbericht mit den Ergebnissen
der geologischen Forschungen nicht in Widerspruch steht,
wenn wir mit den Vertretern der concordistischen Ansicht annehmen, daß die sechs Tage sechs auf einander fol gende Perioden von unbestimmt langer Dauer bezeichnen *). Daß sich zwischen der geologischen und der biblischen
eine Uebereinstimmung bezüglich mehrer wesentlicher Punkte nachweisen läßt, hat unter Schöpfungsgeschichte
Anderen in neuester Zeit Pfaff hervorgehoben1 2). Er faßt die Ergebnisse der geologischen Forschungen in fol
gende Sätze zusammen: „1. Die Erde war anfangs eine
geschmolzene heiße Kugel, über der eine lichte, sämmt liches Wasser enthaltende Atmosphäre sich befand; durch
Abkühlung bildete sich eine feste Rinde, welche überall gleichmäßig von dem ebenso durch die Abkühlung con-
densirten Wasser bedeckt war. lichkeit der Erdrinde
2. In Folge der Beweg
wurden Ländermassen
alles bedeckende Urmeer emporgetrieben.
über das
3. Was die or
ganische Schöpfung betrifft, so begann dieselbe mit dem
Pflanzenreiche; diesem folgte 4. das Thierreich, und zwar
1) Bibel und Natur S. 238.
2) Schöpfungsgeschichte S. 741.
73 zunächst Wasserthiere,
5. die Landthiere, besonders die
Säugethiere, und 6. der Mensch." Reihenfolge,
bemerkt er weiter,
als „Tage" bezeichneten
Ganz in derselben
folgen in der Bibel die
„Abschnitte
der
Entwicklungs
geschichte der irdischen Schöpfung: der chaotische Zustand,
die Wasserbedeckung, die Landbildung, danach das orga
nische Reich, zunächst das am frühesten erscheinende Pflan zenreich, dann das anfangs nur durch niedere, im Wasser
lebende Thiere, endlich durch Landthiere vertretene Thier reich und der zuletzt erscheinende Mensch".
Eine Schwierigkeit, — wie wir später sehen werden,
eine kaum zu beseitigende Schwierigkeit, — bereiten aber bei dieser Vergleichung der Tage der Genesis mit den
Perioden der geologischen Geschichte der Erde zunächst die in der eben mitgetheilten Vergleichung nicht berück sichtigten beiden Tage, der erste und der vierte.
Auch
die Zusammenstellung der auf die organische Schöpfung
bezüglichen Tage mit geologischen Perioden, stößt, so wie
man sie im Einzelnen durchzuführen sucht, auf große Schwierigkeiten.
Allerdings sind auch nach der Aussage
der Naturforscher Pflanzen vor den Thieren dagewesen,
und erscheinen unter den letzteren die Wasserthiere vor den Landthieren.
Aber cs geht doch nicht an, den drit
ten Tag mit der paläozoischen Periode zusammenzustellen,
weil in
einer Formation derselben,
formation,
der Steinkohlen
die Pflanzenwelt massenhaft auftritt, ferner
den fünften Tag mit der mesozoischen Periode zu com-
biniren, deren Schichten massenhaft Versteinerungen von
Wasserthieren enthalten,
und endlich den sechsten Tag
der känozoischen Periode an die Seite zu stellen, in wel cher die Landthiere, namentlich die Säugethiere,
nicht
74 zuerst,
aber zuerst in hervorragender Weise auftreten.
Denn während der biblische Bericht über den dritten Tag nur von Pflanzen spricht, weist die paläozoische Periode
auch schon Thiere auf, und zwar auch in Formationen,
welche
älter sind
als die Steinkohlenformation, und
während die Genesis auf den fünften Tag nur die Er
schaffung der Wasser- und der Luftthicre verlegt, kennen die Paläontologen auch schon Landthiere aus der meso zoischen Periode.
Dazu kommt noch, daß in der meso
zoischen und in der känozoischcn Periode viele neue Arten
von Pflanzen auftreten, ja daß die paläozoische Flora
fast ausschließlich durch kryptogamische Pflanzen gebildet wird und in
ihr die Dikotyledonen,
also gerade die
Pflanzenformen, welche den Hauptbestandtheil unserer
Flora ausmachen, alle Laubholzbäumc und die meisten Formen Ebenso
der krautartigen Pflanzen,
noch ganz fehlen.
treten in der känozoischcn Periode
von Wasser- und Luftthieren auf,
neue Arten
so daß also die Ent
stehung der Pflanzen nicht auf die paläozoische, die Ent stehung der Wasser- und
der Luftthiere
auf die
nicht
mesozoische Periode beschränkt ist. Diese Differenzen zwischen dem biblischen
geologischen Berichte
und dem
über die Entstehungsgeschichte der
Pflanzen und Thiere sind nicht so unwesentlich, wie es bei
oberflächlicher
wiederholt
Betrachtung
scheinen
in dem Sechstagewerke
„Und Gott sah,
daß es gut war",
(S. 22) bemerkt wurde,
könnte.
Der
vorkommende Satz: besagt,
wie früher
daß durch das betreffende Werk
der schöpferische Wille Gottes
verwirklicht worden
und
der von Gott gewollte definitive Zustand cingetreten feL Darum steht diese Formel hinter dem Werke des zweiten
75 Tages nicht,
weil die Scheidung des die Erde bedecken
den Wassers und die Bildung der Feste des Himmels
kein abgeschlossenes Werk war;
Tage aus dem
erst nachdem am dritten
auf der Erde zurückgebliebenen Wasser
das trockene Land hervorgetreten und der Himmel
göttliche Idee vollständig verwirklicht Zustand eingetrcten,
am Platze.
am vierten Tage
mit seinen Lichtern verziert war, war die
Nun
und nun
und der definitive
also auch
steht diese Formel
dem Berichte über die Erschaffung
jene Formel
aber auch
hinter
der Pflanzen
am
dritten Tage und hinter dem Berichte über die Erschaf
fung der Wasser- und der Luftthiere am fünften Tage. Sind also die Tage auf einander folgende Perioden, so
müßte
sich eine geologische Periode
innerhalb
welcher die Erschaffung
zwar des gesammten Pflanzenreiches,
nachweisen lassen,
der Pflanzen,
und
stattgefunden, und
eine andere, auf diese folgende Periode, in welcher zuerst Wasser- und Luftthiere aufgetreten und in welcher sämmt liche Arten der Wasser- und Luftthiere geschaffen worden
wären;
erst dann müßte
folgen.
Solche Perioden sind aber geologisch nicht nach
zuweisen.
die Periode der Landthiere
So muß also, wenn nachgewicsen werden soll,
daß der biblische Schöpfungsbericht mit den Ergebnissen der geologischen und paläontologischen Forschungen nicht in Widerspruch stehe, darauf verzichtet werden, die sechs
Tage der Genesis als sechs auf einander folgende größere
Perioden aufzufassen. Es bleibt uns also nur die Auffassung
der sechs
Tage übrig, welche vorhin unter dem Namen der idealen
Auffassung erwähnt wurde'). 1) Bibel und Natur S. 256.
Nach dieser bezeichnen die
76 sechs Tage nicht sechs auf einander folgende Perioden, sondern sechs logisch von einander zu
unterscheidende
Hauptmomente der schöpferischen Thätigkeit Gottes, sechs
durch die Schöpfung verwirklichte göttliche Gedanken und Daß alles,
Ideen.
was geworden ist, durch Gott und
nach dem Willen Gottes geworden ist, das ist eine reli giöse Wahrheit, welche in dem biblischen Schöpfungsbe
richte möglichst bestimmt und
anschaulich ausgesprochen
werden mußte: das geschieht durch die Aufzählung der einzelnen schöpferischen und weltbildenden Acte Gottes. Welche Zeit die Verwirklichung der einzelnen
göttlichen
Acte und die Vollendung der ganzen Schöpfung ausge
füllt,
das ist nicht religiös bedeutsam,
Belehrung darüber in Schöpfungsberichte nicht zu erwarten darum
eine
und
wir haben
dem
biblischen und sind nicht
berechtigt,
eine solche in der Bezeichnung „sechs Tage"
zu finden.
Auch die chronologische Aufeinanderfolge der
einzelnen göttlichen Acte ist an sich nicht religiös bedeutsam,
und wir sind darum auch von vornherein nicht berechtigt,
darüber in dem biblischen Berichte Aufschluß zu erwarten.
Die Vertheilung der einzelnen Acte auf sechs Tage und
die damit zusammenhängende Aneinanderreihung derselben hat ihren Grund in dem Parallelismus zwischen der göttlichen Schöpfungswoche und der menschlichen Woche.
Die einzelnen „Tage" brauchen darum nicht als einzelne
abgeschlossene und auf einander folgende Perioden ange sehen zu werden. Vielmehr können möglicher Weise, — und die Geologie und Paläontologie zeigen, wirklich
daß das
der Fall gewesen, — die Werke der einzelnen
Tage, z. B. die Scheidung von Wasser und Land, die Bildung des Erdrelicfs und die Entstehung der Pflan-
77 zen und der verschiedenen Thierclassen, zum Theil gleich zeitig verlaufen sein; Moses kann sie darum
doch als
abgeschlossene Werke je eines Tages darstellen, weil jedes
derselben
ein
besonderes
Moment
schöpferischen
der
Thätigkeit Gottes bildet, und er kann sie in der Reihen
folge vorführen, in welcher sie in seinem Berichte darge
stellt werden, zunächst mit Rücksicht auf die in denselben herrschende Ordnung, dann aber auch darum, weil, wie früher (S. 70) schon bemerkt wurde, die folgenden Werke
von den vorhergehenden abhängig und bedingt sind.
Was die Anordnung der Tagewerke im Einzelnen betrifft, so wurde schon früher (S. 40) auf die Theilung
des Hexaemeron in zwei Hälften,
deren einzelne Werke
einander entsprechen,
hingewiesen.
Durch diese Anord
nung wird
leicht faßlichen und anschaulichen
in einer
Weise die Wahrheit, daß Gott der Urheber der gesammten Gestaltung
der Erde und aller sichtbaren Geschöpfe
ist, zur Darstellung gebracht. Erde bezüglichen Werken
Bei
den direct auf die
wird insofern auch die chrono
logische Ordnung eingehalten, als jedenfalls die Anfänge
derselben
auch nach
den
Ergebnissen der
geologischen
Forschungen so auf einander gefolgt sind,
wie sie in
dem biblischen Berichte über das Sechstagewerk an ein ander
gereiht
Hervortreten
werden:
des
Bildung
Landes,
der Erdatmosphäre,
Erschaffung
der
Pflanzen,
Erschaffung der Wasser- und Luftthiere und der Land
thiere.
Nur beschränkt sich der biblische Bericht auf eine
summarisch zusammenfasicnde Darstellung der
einzelnen
Werke, weil die Einzelheiten im Verlaufe derselben, wie
sie die Geologie ermittelt,
Die beiden nicht
nicht religiös bedeutsam sind.
direct auf die
eigentliche Erdgeschichte
78 bezüglichen Werke sind an die Spitze der beiden Hälften
des Sechstagewerks gestellt:
die Festsetzung des Wechsels
von Tag und Nacht oder die Scheidung von Licht und
Finsterniß an die Spitze der Scheidungen, die Festsetzung des Verhältnisses der Sonne,
des Mondes und
der
Sterne zur Erde oder das Ausstatten. des Himmels mit
seinen lichtgebenden Körpern an die Spitze der die ein zelnen Bereiche der Schöpfung mit Inhabern ausstatten
Man kann noch hinzufügen,
den Werke.
daß
in der
zweiten Hälfte des Sechstagewerks diejenigen Werke zu sammengestellt sind, welche für den Menschen, das Ziel
der ganzen Schöpfung, von unmittelbarerer Bedeutung
sind als die Werke der ersten Hälfte:
die Thiere werden
ihm in Vers 28 als Unterthanen zugewiesen,
und die
Himmelslichter sind nach den Versen 14 und 15 nicht
nur bestimmt, die Erde zu erleuchten und den Tag und
die Nacht zu beherrschen, sondern
auch dem Menschen
als Zeitmesser zu dienen.
Daß bei dieser idealen Auffassung der
sechs Tage
auf eine im Einzelnen nachzuweisende Uebereinstimmung zwischen Bibel und Geologie verzichtet werden muß, und
daß der
biblische Bericht nach der vorgetragenen Deu
tung nicht vieles enthält, was als eine, naturwissenschaft lich betrachtet, irgendwie wichtige oder werthvollc Be
lehrung über die Geschichte der Erde bezeichnet werden
könnte: das
begründet nicht nur kein Bedenken gegen
jene Auffassung, sondern gereicht ihr vielmehr zur Em pfehlung.
Denn wenn die Bibel, wie wiederholt hervor
gehoben wurde, gar nicht die Aufgabe hat,
uns natur
wissenschaftliche, sondern direct immer nur die Aufgabe, uns religiöse Belehrungen zu vermitteln, so hat diejenige
79 Auffassung eines biblischen Abschnittes die Präsumtion der Richtigkeit für sich, nach welcher der religiös bedeut
same Inhalt desselben am deutlichsten
hervortritt und
die damit in Verbindung gebrachten profan wissenschaft lichen Elemente am meisten zurücktreten, und das trifft
eben bei der idealen Auffassung der sechs Tage zu. Es wird nicht ohne Interesse sein, zum Schluffe
noch einmal auf die verschiedenen Versuche, den biblischen Schöpfungsbericht mit den Ergebnissen der geologischen und
paläontologischen
Forschungen
in
Einklang
zu
bringen, zurückzublicken *).
der sechs Tage als
Die buchstäbliche Auffassung sechsmal vierundzwanzig Stunden
ist,
obschon der h.
Augustinus eine andere Auffassung vorgetragon
und
diese von den Scholastikern bei den Theologen
worden toar1 2), blieben,
hatte
als zulässig behandelt die herrschende
ge
bis durch die geologischen Forschungen die Ge
schichte der Erde aufgehellt wurde,
bis man namentlich
durch die Untersuchung der Versteinerungen zu der Er
kenntniß kam,
daß
von dem Beginne der schöpferischen
Thätigkeit Gottes bis
zur Erschaffung
des Menschen
eine lange Zeit verflossen sein müsse, innerhalb welcher die Pflanzen und Thiere gelebt haben,
in den verschiedenen Schichten Auf Grund
deren Reste sich
der Erdrinde vorfinden.
dieser Erkenntniß kam nun eine doppelte
Auffassung des Sechstagewerkes auf. Zunächst brachte man den biblischen Bericht mit den
Ergebnissen
der
geologischen Forschungen
1) Bibel und Natur S. 259.
2) Vgl. Bibel und Natur S. 133.
dadurch
in
80 Einklang, daß man die sechs Tage als bildliche Bezeich nung
von sechs großen Perioden der ältern Geschichte
der Erde auffaßte.
Es war namentlich der große fran
zösische Naturforscher Cuvier, welcher dieser Theorie, der
sogenannten concordistischen, Eingang verschaffte. Manche glaubten auf diese Weise eine glänzende Rechtfertigung des biblischen Berichtes Herstellen zu können; ja einige,
namentlich französische Gelehrte, Naturforscher wie Theo logen,
gingen so weit, triumphirend zu verkündigen, es
zeige sich jetzt, daß der biblische Bericht nicht nur nicht
im Widerspruche mit den Ergebnissen der Naturforschung stehe,
sondern durch diese eine merkwürdige Bestätigung
erhalte, daß Moses diese.Ergebnisse schon
vor
vielen
Jahrhunderten anticipirt habe, und wenn man nicht an
nehmen wolle,
daß
er auf dem Wege wissenschaftlicher
Untersuchungen und durch den „Scharfblick seines Genies"
zu dieser genauen Kenntniß gelangt sei, so
dürfe man
sagen, daß die Naturwissenschaft der Gegenwart
einen
neuen Beweis für die übernatürliche Erleuchtung des Verfassers der biblischen Schöpfungsgeschichte liefere').
Solche Aeußerungen
Lächeln lesen.
kann man
jetzt nicht
ohne
Sie beruhen auf einer principiell unrich
tigen Anschauung.
Wir haben kein Recht zu der An
nahme, daß Moses oder irgend ein anderer alttestament-
licher Schriftsteller durch
den Scharfblick seines Genies
oder durch wissenschaftliche Forschung dahin gelangt sein
sollte, in Bezug auf Fragen der Naturwissenschaft rich tigere und umfassendere Kenntnisse zu haben, als wir sic
zu ihrer Zeit überhaupt finden.
Noch weniger sind wir
1) Bibel und Natur S. 2; vgl. S. 148 Anm. 2.
81 zu der Annahme berechtigt, daß sie durch übernatürliche
Erleuchtung in den Stand gesetzt sein sollten, über profan
wissenschaftliche Fragen Kenntnisse kund zu geben, welche über den Bildungszustand ihrer Zeit hinausgingen oder gar die Ergebnisse der Forschungen späterer Jahrhunderte anticipirten.
Wenn sich die neueren Vertreter der con-
cordistischen Theorie darauf beschränken,
nachzuweisen,
dem biblischen Schöpfungsberichte,
daß zwischen
man seine sechs Tage als
längere Perioden auffasse,
einerseits und zwischen der Geschichte der Erde,
die Geologie
walte,
falls
wie sie
anderseits kein Widerspruch. ob
darstellt,
so ist vom theologischen Standpunkte aus gegen
diese Theorie nichts einzuwenden; wir haben aber gesehen,
daß dieser Weg nicht zum Ziele führt. Während dieser Weg zuerst von
lehrten eingeschlagen wurde, zuerst englische Theologen
französischen Ge
versuchten fast gleichzeitig
und
Geologen auf
andere
Weise die Harmonie zwischen Bibel und Naturwissenschaft nachzuweisen. Sie glaubten in der sogenannten Restitutions
theorie ein radicales Mittel gefunden zu haben, um allen
Zwistigkeiten zwischen beugen.
Die Bibel,
berichtet nur
Exegetcn
und Geologen
sagen die Vertreter dieser Ansicht,
über die jetzige Gestaltung der Erde und
die Erschaffung
ihrer jetzigen Pflanzen-
und Thierwelt,
und es steht der Annahme nichts im Wege,
im Verlaufe von sechsmal folgt sei.
vorzu
daß diese
vierundzwanzig Stunden er
Was die Geologie über frühere Perioden der
Erdgeschichte und über frühere Floren und Faunen er
mittelt hat, das liegt außerhalb des Bereiches des bibli schen Berichtes.
Aber wenn bei dieser Theorie voraus
gesetzt wird, Vorwelt und Jetztwelt seien in der Geschichte Reu sch, bibl. Schöpfungsgesch.
Q
82 der Erde scharf von einander geschieden, unmittelbar vor
dem ersten Auftreten des Menschen sei durch eine große geologische Katastrophe,
— welche man als Diluvium
bezeichnet hat, — die damalige Gestaltung der Erdober
fläche und die damals vorhandene Pflanzen- und Thier welt zerstört worden, worauf dann
Erdoberfläche und
die Gestaltung der
die organische Schöpfung gefolgt sei,
worüber die Genesis berichtet: so ist eben diese Voraus
der neuem
die geologischen Forschungen
durch
setzung
Zeit als irrig erwiesen und darum auch die Restitutions theorie unhaltbar.
Bei diesen
beiden
Theorieen
wird
noch nicht in
vollem Maße Ernst gemacht mit dem Grundsätze, die biblische Offenbarung nur den Zweck hat,
giöse,
nicht aber den Zweck,
also hier insbesondere
mitteln.
daß
uns reli
uns profanwissenschaftliche,
geologische Belehrungen
zu
ver
Dieser Grundsatz wird in seiner ganzen Schärfe
durchgeführt
bei der idealen Auffassung der sechs Tage,
und da diese Auffassung einerseits mit
Bibel vereinbar
ist,
anderseits
Naturforschung gerecht wird,
den
den Worten der Ergebnissen
der
so werden wir sic als die
richtige anzusehen haben.
Um durch die mannigfaltigen und theilweise ein
ander widersprechenden Deutungen des Sechstagewerkes, welche sich bei den Theologen der Vergangenheit und der
Gegenwart finden,
an der Auctorität der Bibel
selbst
nicht irre gemacht zu werden, muß man bei dem ersten Capitel der Genesis wie bei anderen Abschnitten der Bibel
wohl unterscheiden zwischen den großen religiösen Wahr
heiten,
deren
Mittheilung der
eigentliche
Zweck
der
biblischen Offenbarung ist, und zwischen der Einkleidung
83 dieser Wahrheiten und den Materien, in Verbindung gebracht werden.
welche mit ihnen
Jene sind klar und
unzweideutig ausgesprochen: kein Unbefangener kann das erste Capitel der Genesis lesen, ohne zu sehen, daß darin
Gott als der Schöpfer aller Dinge, der Mensch als der Mittelpunkt der irdischen Schöpfung und der Sabbath als der zu Ehren des Weltschöpfers zu feiernde
dargestellt wird.
Das
kann Jeder aus dem
Tag
Capitel
lernen; das ist aber auch alles, was Jeder daraus lernen soll; denn das allein ist religiös bedeutsam. Das Uebrige, die Einkleidung und Ausführung dieser Wahrheiten, ist
nicht religiös bedeutsam, und wenn nur jene Sätze fest gehalten werden, ist es für die Religion ganz gleich
gültig und nur für die Wissenschaft von Interesse, ob das Einzelne so oder so verstanden wird, — gerade so, wie es z. B. bei der Erklärung der Evangelien, wenn wir die darin mitgetheilten Lehren Christi und die darin berichteten großen Thatsachen der Heilsgeschichte richtig auffassen und gläubig anerkennen, von keiner allgemeinen
und religiösen, sondern nur von exegetischer und wissen schaftlicher Bedeutung ist, ob die öffentliche Thätigkeit
des Herrn drei oder vier Jahre gedauert hat, ob er an zwei oder an drei Osterfesten zu Jerusalem gewesen ist
und ob
er das letzte Abendmahl gleichzeitig mit dem
Paschamahle der Juden oder einen Tag früher
gefeiert
hat, — Fragen, über welche die Exegeten, ohne allen Schaden für die christliche Religion, gerade so uneinig
sind wie über die Bedeutung der sechs Tage der Genesis. In dieser Beziehung ist es wahr, was man von der Bibel
gesagt hat: sie sei wie ein Wasser,
durch welches ein
Elephant zu waten habe, durch welches aber ein Lamm
84 auch durchkomme.
Die Grundwahrheiten der geoffen
barten Religion liegen in der Bibel so klar vor,
jeder gebildete Leser,
daß
der mit gutem Willen und ohne
Vorurtheil daran geht, sie zu erkennen vermag; die Ein
zelheiten aber, welche über den religiös bedeutsamen und
darum wesentlichen Inhalt der Bibel hinausgehen, werden dem Scharfsinn und der Erudition und darum auch den
Controversen der Gelehrten
noch lange Stoff
bieten.
Und wenn die Fortschritte auf dem Gebiete der Philo logie,
der Geschichte
und der Alterthumskunde es uns
jetzt möglich machen, manche dieser Einzelheiten besser zu verstehen und zu würdigen als unsere Vorfahren, warum
sollten wir nicht annehmen dürfen,
der
Ergebnisse
der geologischen
daß wir mit Hülfe
und
der
verwandten
Forschungen den biblischen Schöpfungsbericht jetzt richtiger auffasscn können, als es unsere Väter vermochten? Das,
was wesentlich ist und worauf es für den Christen allein
ankommt, die großen Wahrheiten von Gott, dem Schöpfer
aller Dinge, und von dem Menschen
Ebenbilde Gottes, haben diejenigen,
als dem irdischen
die vor uns lebten,
ebenso gut als biblische Offenbarungslehren gekannt wie
wir, und diese Wahrheiten haben wir, trotz aller Fortschritte der Wissenschaft, nicht mehr und nicht minder fcstzuhaltcn als sie.
VII. Astronomie und Bibel.
Die meisten Einwendungen, welche vom Standpunkte
der wissenschaftlichen Astronomie aus gegen den bibli-
84 auch durchkomme.
Die Grundwahrheiten der geoffen
barten Religion liegen in der Bibel so klar vor,
jeder gebildete Leser,
daß
der mit gutem Willen und ohne
Vorurtheil daran geht, sie zu erkennen vermag; die Ein
zelheiten aber, welche über den religiös bedeutsamen und
darum wesentlichen Inhalt der Bibel hinausgehen, werden dem Scharfsinn und der Erudition und darum auch den
Controversen der Gelehrten
noch lange Stoff
bieten.
Und wenn die Fortschritte auf dem Gebiete der Philo logie,
der Geschichte
und der Alterthumskunde es uns
jetzt möglich machen, manche dieser Einzelheiten besser zu verstehen und zu würdigen als unsere Vorfahren, warum
sollten wir nicht annehmen dürfen,
der
Ergebnisse
der geologischen
daß wir mit Hülfe
und
der
verwandten
Forschungen den biblischen Schöpfungsbericht jetzt richtiger auffasscn können, als es unsere Väter vermochten? Das,
was wesentlich ist und worauf es für den Christen allein
ankommt, die großen Wahrheiten von Gott, dem Schöpfer
aller Dinge, und von dem Menschen
Ebenbilde Gottes, haben diejenigen,
als dem irdischen
die vor uns lebten,
ebenso gut als biblische Offenbarungslehren gekannt wie
wir, und diese Wahrheiten haben wir, trotz aller Fortschritte der Wissenschaft, nicht mehr und nicht minder fcstzuhaltcn als sie.
VII. Astronomie und Bibel.
Die meisten Einwendungen, welche vom Standpunkte
der wissenschaftlichen Astronomie aus gegen den bibli-
85
schen Schöpfungsbericht erhoben worden sind, lassen sich leicht als auf Mißverständnissen beruhend nachweisen i).
Es ist allerdings richtig, daß die Genesis die Erde
als den wichtigsten Theil der Schöpfung darstellt und
die zahllosen anderen Himmelskörper nur als Lichter und
ja nur Sonne und Mond einzeln,
Zeitmesser der Erde,
die ganze Masse der viel größeren anderen Gestirne nur mit dem einzigen Worte „die Sterne" erwähnt, während
für den Astronomen die Erde nur einer, und nicht ein mal der größte der Planeten, die um die Sonne kreisen,
und die Sonne selbst
nur einer von vielen gleich herr
lichen oder herrlicheren Fixsternen ist.
aber daraus,
Das
erklärt sich
daß Moses gar.nicht die Absicht hat, uns
über Astronomie zu belehren, sondern seinen Zeitgenossen
und der Nachwelt
religiöse Belehrungen mitzutheilen,
und daß er darum nur erwähnt, was religiös bedeutsam ist, und dieses in einer allgemein verständlichen Fassung
vorträgt,
also nicht in
der Sprache der
Wissenschaft,
sondern in der des gemeinen Mannes. In Bezug auf
die Sterne hat er zunächst mitzu
theilen, daß auch sie, wie überhaupt alle sichtbaren Dinge, von Gott geschaffen sind;
dazu genügen die allgemeinen
Worte: „Im Anfänge schuf Gott den Himmel und die
Erde".
Nachdem er diese Wahrheit vorgetragen,
Gott alles, was wir sehen,
geschaffen habe,
weitere Wahrheit vortragen,
daß
will er die
daß Gott dem Menschen,
dem letzten und höchsten der sichtbaren Geschöpfe, vorher
den Wohnplatz bereitet habe, daß alles, um sich herum sieht,
was der Mensch
von Gott und für ihn, den Men-
1) Vgl Bibel und Natur S. 140.
86 schen, geschaffen und
gestaltet
worden sei.
In dieser
Darstellung brauchen die Gestirne nur insoweit erwähnt
und berücksichtigt zu werden, als sie zu der Erde in Be ziehung stehen. kann
Auf dem astronomischen Standpunkte
die Erde gewiß nicht
der Mittelpunkt
als
Haupttheil des Weltalls angesehen werden; Moses ist sie dieses,
denn
sie
ganzen Reihe, von Ereignissen,
oder
aber für
ist der Schauplatz der
die er in seinem Werke
erzählen will, der Schauplatz der ganzen Geschichte, zu
welcher
sein
Schöpfungsbericht
die
Einleitung
bildet.
In welchem Verhältnisse die Erde zu den anderen Him
melskörpern steht, was diese für sich, was sie für einan
der, was sie für den Himmclsraum sind, suchen ist Aufgabe
das zu unter
Astronomie; „für die religiöse
der
Betrachtung, um die es sich in dem biblischen Berichte
allein handelt, genügt es, wie Dillmann') sagt, über die Entstehung und Natur der Himmelskörper zu wissen,
daß
sie
Wunderwerke
Gottes sind,
und
der
allmächtigen Schöpferkraft
im übrigen sie nach dem zu nehmen,
was sie für uns sind und wie sie auf uns wirken: uns
dienen sie nach Gottes Ordnung in der von dem Berichte angegebenen Weise, als Lichter und Zeitmesser, und ver mitteln uns
durch diesen Dienst
wundervolle Harmonie
den Glauben
des Universums,
an die
an die Macht
und Weisheit des Schöpfers."
Unter diesem Gesichtspunkte ist es ferner ebenso richtig, wie es unter dem astronomischen Gesichtspunkte unrichtig
ist, daß die Sonne als das größte, zweitgrößte Himmelslicht 1) Genesis S. 30.
bezeichnet
der Mond als das und
neben diesen
87 beiden großen Lichtern
die zahllose Menge der anderen
Sterne nur nebenbei erwähnt wird.
Sie sind
für den
Menschen, — nicht für den wissenschaftlich forschenden
Menschen, sondern für den Menschen als Knecht Gottes, wie ihn die Bibel im Auge hat, — von viel geringerer
Bedeutung als Sonne und Mond; sie sind unter diesem
Gesichtspunkte nur dazu da, daß sie mit ihrem flimmern den Lichte die dunkelen Nächte erhellen,
daß sie durch
ihr nächtliches Gefunkel die Menschen erfreuen, daß der Wanderer und der Schiffer sich an ihnen orientieren,
daß der Astronom an ihnen seinen Scharfsinn übe, und zuletzt, aber nicht zum mindesten, auch darum, daß der
Mensch, indem er sie betrachtet, mag Staunen
blicken
er mit kindlichem
in die nächtliche Sternenpracht des Himmels
oder an der Hand der Wissenschaft die
weiten
Räume des Weltalls im Geiste durchwandern und die
Bahnen der Gestirne verfolgen, — daß der Mensch durch die Betrachtung dieser Wunderwerke die Größe und Weis
heit des Meisters erkennen und anbeten lerne, der alles dieses geschaffen hat und erhält. Man hat auch das anstößig gefunden, daß nach dem
biblischen Berichte zur Erschaffung und Ausbildung der Erde ganze fünf Tage, zur Hervorbringung aller anderen Himmelskörper nur ein einziger Tag verwendet worden sei.
Aber der Bericht über den vierten Tag des Sechs
tagewerkes braucht nicht von der „Hervorbringung" der Sonne, des Mondes und der Sterne verstanden zu wer
den.
Der biblische Bericht hat es zunächst nur mit der
Bildung der Erde zu thun und spricht darum auch bei
dem vierten Tage nicht davon, wann und wie die Sterne
gebildet worden seien,
sondern davon, daß an diesem
88 Tage ihr jetziges Verhältniß zur Erde den sei.
festgesetzt wor
Die Genesis sagt nicht, daß die Sterne erst am
vierten Tage geworden, sondern nur, daß sie an diesem
Tage für die Erde geworden seien, begonnen habe,
in Folge dessen die letzteren für die
erstere Lichter und Zeitmesser sind. Sterne,
daß von diesem
das Verhältniß zwischen Erde und Sternen
Tage an
wenn
eine allmähliche und langsame Bildung
derselben stattgefunden hat, Erdkörpers
Die Bildung der
bereits
vollendet
mag vor der Bildung des
gewesen
terer gleichzeitig verlaufen sein: Moses gar keine Veranlassung;
oder
mit
davon zu reden
letz
hatte
in seiner Darstellung,
welche die Bereitung der Erde zum Wohnplatze für den
Menschen zum Gegenstände hat, durften die Sterne erst da erwähnt werden, wo ihr Verhältniß zur Erde fest
gesetzt wurde oder wo die Ausbildung des Erdkörpers so weit fortgeschritten war, daß derselbe dem Sterncnsystem als ein einzelnes Glied eingefügt wurde *)•
Wenn die Astronomen ermittelt haben, daß manche mit dem Fernrohre wahrzunehmende Sterne so weit von
uns entfernt sind, daß ihr Licht Millionen Jahre ge
braucht, um zu uns zu gelangen, daß also diese Sterne, da wir sie jetzt sehen, gewesen sein müssen,
schon vor Millionen Jahren da so kann darauf eine Einwendung
gegen den biblischen Schöpfungsbcricht nur dann begrün det werden, wenn man die sechs Tage des ersten Capitels
buchstäblich Ifaßt und also annimmt, nach dem biblischen Berichte seien die Sterne nur wenige Tage älter als der
Mensch.
Diese Auffassung der sechs Tage haben wir
1) Vgl. Pfaff, Schöpfungsgeschichte S. 744.
89 aber bereits als eine unrichtige erkannt und gesehen, daß die sechs Tage dehnbar genug sind, um so viele Millionen
Jahre zu umspannen, als die Astronomen für nöthig
halten.
Die am bedenklichsten aussehende astronomische Ein
wendung gegen den biblischen Schöpfungsbericht stützt sich auf die Thatsache, daß darin schon am ersten Tage von dem Lichte und von dem Wechsel von Tag und Nacht gesprochen wird und erst am vierten Tage von der Sonne, welche doch für uns die Quelle des Lichtes und
an welche der Wechsel von Tag und Nacht gebunden ist, wozu noch die weitere, auffallend scheinende Thatsache kommt, daß schon am dritten Tage, also ehe die Sonne die Erde erleuchtete und erwärmte, die Pflanzen geschaffen
wurden. Sehen wir zunächst, — indem wir die buchstäbliche Fassung der sechs Tage bei Seite lassen, — wie diese
Einwendung
von
den Vertretern
der
concordistischen
Theorie, also von denjenigen beantwortet wird, welche unter den sechs Tagen sechs auf einander folgende größere
Perioden verstehen'). Nach dieser Auffassung berichtet die Genesis zunächst folgendes: seit dem vierten Tage ist das Licht für die
Erde regelmäßig an die Sonne und die anderen Gestirne geknüpft; aber auch schon vor der Zeit, in welcher die
Erde in dieses Verhältniß zu den Gestirnen trat, schon am ersten Tage, also ehe die Scheidung von Wasser und
Land auf der Erde und die Bildung der Erdatmosphäre 1) Vgl. Bibel und Natur S. 147. Pfaff, Schöpfungsgeschichte
S. 746.
90 stattgefunden, war es auf Gottes Befehl hell geworden. W i e Gott diese Helle bewirkt habe, davon sagt die Genesis nichts.
Da nun die Naturforscher nicht einmal
auf die Frage, was das Licht sei und wie es entstehe, eine bestimmte Antwort geben und jedenfalls die Mög lichkeit nicht bestreiten können, daß die Lichtentwicklung
schon begonnen habe, ehe die Erde in ihr jetziges Ver hältniß zur Sonne getreten, so kann jene Angabe der
Genesis nicht als unrichtig bezeichnet werden. Daß auch schon vor dem vierten Tage der regelmäßige Wechsel von
Tag und Nacht stattgcfunden habe, berichtet die Genesis
nicht. Denn erst am vierten Tage setzt nach Vers 14 und 16 Gott die Sonne und den M ch ein, zu „beherr
schen den Tag und die Nacht und zu sein Zeichen der Tage und Jahre", d. h. erst jetzt beginnt das regelmäßige scheinbare Auf- und Untergehen der Sonne, welches den Wechsel von Tag und Nacht bewirkt, und erst jetzt be ginnen die regelmäßig wiederkehrenden Veränderungen am Himmel, die den Jahreswechsel bestimmen. Vor dem
vierten Tage war cs also noch nicht so.
Wenn es also
schon in dem Berichte über den ersten Tag in Vers 4 heißt:
„Gott schied das Licht von der Finsterniß, und
er nannte das Licht Tag und die Finsterniß Nacht", so soll damit nur gesagt werden: Gott hat, nachdem er das Licht hatte hervortreten lassen, das Verhältniß des Lich tes und der Finsterniß festgesetzt, und zwar ist dieses von Gott festgesetzte Verhältniß das Nacheinander und Wechseln von Licht und Finsterniß, welches wir mit Tag
und Nacht bezeichnen.
Daß dieser Wechsel schon vom
ersten der sechs Tage an regelmäßig alle vierundzwanzig Stunden einmal stattgefunden habe, sagt die Genesis
91 nicht, deutet vielmehr an, daß dieses erst mit dem vierten
Tage begonnen habe. Auch die Schwierigkeit, daß schon am dritten Tage,
also ehe die Sonne der Erde Licht und Wärme spendete,
die Pflanzen erschaffen wurden, ist nicht unüberwindlich. Jetzt ist freilich zum Gedeihen der Pflanzen Licht und Wärme der Sonne erforderlich.
Waren aber vor dem
vierten Tage Licht und Wärme nicht in der Weise,
wie
es jetzt der Fall ist, für die Erde an die Sonne gebun so war auch die Vegetation
den,
damals nicht in der
Weise, wie es jetzt der Fall ist, von der Sonne abhängig und wurden das Licht und die Wärme, die sie bedurfte, auf andere Weise erzeugt.
Uebrigens folgt
setzung des Verhältnisses der Erde zur Sonne
die Fest in dem
Scchstagewerke unmittelbar auf die Hervorbringung der Pflanzen,
so daß wir nur die erste Entstehung,
nicht
ein längeres Existiren derselben ohne Licht und Wärme der Sonne anzunehmen brauchen. In
dieser Weise sind die Berichte über den ersten
und vierten Tag von den Vertretern der concordistischcn
Auffassung zu deuten.
Wir haben aber früher (S. 75)
gesehen, daß nicht diese,
sondern
der sechs Tage die richtige ist.
die -ideale Auffassung
Nehmen
wir aber an,
daß die sechs Tage nicht als sechs chronologisch auf ein
ander
folgende Perioden aufzufassen sind,
sondern zu
nächst nur sechs Hauptmomente der schöpferischen Thätig
keit Gottes darstellcn, so
läßt sich die vorhin hervor
gehobene Schwierigkeit leicht beseitigen *).
Das Werk des ersten 1) S. oben S. 77.
und
das Werk des vierten
92 Tages sind als die beiden nicht direct auf die Entwicklungs
geschichte der Erde bezüglichen Werke an die Spitze der
beiden Hälften
des Sechstagewerkes
gestellt, die Fest
setzung des Wechsels von Tag und Nacht oder die Schei
dung
von
Licht
Scheidungen,
und
Finsterniß
an die Spitze
der
über welche die erste Hälfte berichtet, die
Ausstattung des Himmels mit seinen lichtgebenden Kör pern an die Spitze der die zweite Hälfte ausniachenden
Werke, der Werke,
welche die einzelnen Bereiche
durch
der Schöpfung mit Inhabern ausgestattet wurden
und
welche für den Menschen von unmittelbarerer Bedeutung
sind.
Wenn aber so die Festsetzung
des regelmäßigen
Wechsels von Tag und Nacht als ein, die Festsetzung des
jetzigen Verhältnisses
der Erde zu der Sonne und
übrigen Himmelskörpern
den
als ein zweites Hauptmomcnt
der göttlichen Schöpferthätigkeit dargestcllt und ersteres als das erste,
als das vierte in der Sechszahl
letzteres
der Werke dargestellt wird, standen zu werden,
als
so braucht das nicht so ver
müßten diese beiden göttlichen
Thätigkeiten chronologisch nach einander, und zwar durch
mehrere andere dazwischen liegende göttliche Thätigkeiten
von einander getrennt, verlausen sein. angenommen werden,
daß das,
Es darf vielmehr
was in dem Sechstagc-
werke logisch unterschieden wird, chronologisch zusammen gefallen ist oder daß die beiden Werke des ersten und
des vierten Tages ganz oder theilweise mit einander und mit den Werken des zweiten und dritten Tages gleich
zeitig verlaufen sind,
ähnlich wie wir uns ja auch nach
der idealen Auffassung der sechs Tage die Erschaffung der Pflanzen, der Wasser- und Luftthiere und der Land
thiere nicht als drei chronologisch auf einander folgende,
93 sondern als drei theilweise
gleichzeitig verlaufende Acte
der göttlichen Schöpferthätigkeit zu denken haben.
welcher
Aufeinanderfolge
der
Wechsel
In
von Tag und
Nacht und die sonstigen Erscheinungen und Verhältnisse eingetreten sind, welche in dem Zusammenhänge der Erde
mit dem Sonnen- und Sternensystem ihren Grund haben, das zu ermitteln mag der Naturwissenschaft über
lassen werden: die Genesis hebt von diesem Theile der
Schöpfungsgeschichte nur ein Doppeltes hervor: durch Gottes Willen ist das Licht geworden, durch welches die ursprüngliche Finsterniß beseitigt wurde und welches wir jetzt am Tage wahruehmen,
und durch Gottes Willen
sind die Sonne, der Mond
und die Sterne geworden, der Tage,
welche die Erde
erhellen und den Wechsel
Monate, Jahreszeiten und Jahre bewirken.
VIII. Die Entstehung der Pflanzen und Thiere. In dem ersten Capitel der Genesis wird die Ent stehung der Pflanzen- und Thierwelt auf die schöpferische
Thätigkeit Gottes zurückgeführt und zugleich angedeutet, daß Gott
für die Fortpflanzung und Erhaltung der
Pflanzen - und Thiergattungen Sorge Wie die ersten organischen Wesen
getragen habe.
entstanden,
wird
nicht angegeben, noch weniger, wie fortan die einzelnen
Individuen entstehen sollten, ob alle Pflanzen nur durch
Samen oder Sprossen und alle Thiere nur durch Zeugung
93 sondern als drei theilweise
gleichzeitig verlaufende Acte
der göttlichen Schöpferthätigkeit zu denken haben.
welcher
Aufeinanderfolge
der
Wechsel
In
von Tag und
Nacht und die sonstigen Erscheinungen und Verhältnisse eingetreten sind, welche in dem Zusammenhänge der Erde
mit dem Sonnen- und Sternensystem ihren Grund haben, das zu ermitteln mag der Naturwissenschaft über
lassen werden: die Genesis hebt von diesem Theile der
Schöpfungsgeschichte nur ein Doppeltes hervor: durch Gottes Willen ist das Licht geworden, durch welches die ursprüngliche Finsterniß beseitigt wurde und welches wir jetzt am Tage wahruehmen,
und durch Gottes Willen
sind die Sonne, der Mond
und die Sterne geworden, der Tage,
welche die Erde
erhellen und den Wechsel
Monate, Jahreszeiten und Jahre bewirken.
VIII. Die Entstehung der Pflanzen und Thiere. In dem ersten Capitel der Genesis wird die Ent stehung der Pflanzen- und Thierwelt auf die schöpferische
Thätigkeit Gottes zurückgeführt und zugleich angedeutet, daß Gott
für die Fortpflanzung und Erhaltung der
Pflanzen - und Thiergattungen Sorge Wie die ersten organischen Wesen
getragen habe.
entstanden,
wird
nicht angegeben, noch weniger, wie fortan die einzelnen
Individuen entstehen sollten, ob alle Pflanzen nur durch
Samen oder Sprossen und alle Thiere nur durch Zeugung
94 oder Eier oder Keime, oder auch aus andere Weise. Auf
solche naturwissenschaftliche Einzelheiten einzugehen, hatte
der Verfasser nicht
des biblischen
den Beruf;
Schöpfungsberichtes
er sagt nur,
gar
daß alle Pflanzen und
Thiere, welche auf Erden existiren oder je existirt haben,
mittelbar oder
unmittelbar von Gott geschaffen
seien,
dem Willen Gottes ihre Existenz verdanken.
Vergleichen wir mit dieser Angabe der Bibel die Ergebnisse
der
gereichen diese
naturwissenschaftlichen Forschungen,
so
jener Angabe jedenfalls in so weit zur
Bestätigung, als sie zu der Annahme nöthigen, daß das
organische Leben
auf der Erde
einen Anfang gehabt,
daß es nicht von Ewigkeit her Pflanzen und Thiere ge geben hat.
In welcher Periode der Geschichte der Erde
zuerst Pflanzen und Thiere ausgetreten
sind,
darüber
sind die Geologen noch uneinig; aber daß es eine Zeit
gegeben hat, in welcher es noch keine organischen Wesen auf der Erde geben konnte,
darüber sind
alle einig.
Wenn, wie die meisten Geologen annehmen, die Erde An
fangs glühend war,
so konnte sie organischen Wesen
erst dann zum Aufenthalte dienen,
so weit erkaltet
war,
als ihre Oberfläche
daß Pflanzen und Thiere leben
konnten.
Wie sind nun die ersten organischen Wesen auf der
Erde entstanden? Die in der neuesten Zeit von einigen Naturforschern geäußerte Vermuthung,
die ersten Keime
lebender Wesen könnten von einem andern Weltkörper
auf die Erde gekommen sein,
beruhen lassen.
dürfen
wir ganz auf sich
Die Vermuthung ist an sich im höchsten
Grade unwahrscheinlich'); aber
auch
1) P fass, Schöpfungsgeschichte S. 736.
wenn sie richtig
95 wäre, so würde dadurch die Frage nach der ersten Ent stehung der organischen Wesen nicht gelöst, sondern nur
weiter hinausgeschoben; sie würde in der andern Fassung
wie sind denn die organischen Wesen auf
wiederkehren:
jenem Weltkörper entstanden, von welchem sich jene Keime
auf unsere Erde verirrt haben? wie die
Auf die Frage,
ersten
organischen Wesen
entstanden seien, kann nur geantwortet werden, entweder: sie sind
dem vorhandenen Stoffe von selbst ent
aus
standen, oder: sie sind durch eine außerhalb des Stoffes liegende Ursache hervorgebracht, Letzteres ist die Antwort, Wollte man beweisen,
also geschaffen worden.
welche
uns die Bibel gibt.
daß diese Antwort unrichtig sei,
so müßte man die Richtigkeit der crstern Antwort be
weisen können.
Dazu wäre aber erforderlich der Beweis,
daß auch jetzt noch Pflanzen und Thiere aus unorgani
Denn wenn dieses jetzt
schem Stoffe entstehen. geschieht,
so sind
wir nicht berechtigt anzunehmen, daß
es früher geschehen sei, kann und
nicht
da nicht nachgewiesen
werden
nach den allgemein anerkannten Grundsätzen
der Naturwissenschaft nicht vorausgesetzt werden darf, die Materie habe früher Kräfte gehabt, die sie jetzt nicht
mehr habe,
oder,
was nach den Naturgesetzten heute
nicht geschehen könne, habe früher geschehen können. Entstehen unorganischem
also jetzt noch Pflanzen und Thiere aus Stoffe,
durch sogenannte Urzeugung
(generatio aequivoca oder spontanen, Heterogenie oder
Autogonie)? Daß weitaus die meisten Arten von Pflan
zen und Thieren nur
durch Abstammung von anderen
Pflanzen und Thieren entstehen, ist ganz unbestritten. Es ist dieses in neuerer Zeit auch von solchen Pflanzen
96 und Thieren nachgewiesen worden,
früher annahm,
von
welchen
daß sie durch Urzeugung
man
entständen,
wie man das früher z. B. von Fliegen und anderm
Ungeziefer, thieren,
anderen Binnen-
von Bandwürmern und
von Schimmelpilzen und dergleichen annahm').
Die meisten Naturforscher der Gegenwart, — auch solche,
die
im Interesse
ihrer
sonstigen
daß
die
Urzeugung
müssen,
sich
Ansichten
wünschen
erweisen lasse, —
lehren, daß alle, auch die sorgfältigsten Beobachtungen und Versuche zu Gunsten
der Annahme sprechen,
daß
überhaupt keine Pflanzen und Thiere durch Urzeugung
entstehens. „Wir kennen keine Thatsache, sagt Darwin, nicht einmal
den Schatten einer Thatsache,
Glauben unterstützte,
irgend
daß
welche den
unorganische Elemente
welche organische Wesen
ohne
bloß unter dem
und
Einflüsse bekannter Kräfte ein lebendiges Geschöpf her
vorbringen könnten."
Er knüpft daran das Geständniß,
daß die Naturwissenschaft über den Ursprung des Lebens ebenso wenig
und Stoff,
wisse wie über den Ursprung von Kraft
und ganz in demselben Sinne sagen andere
Naturforscher:
Es steht zwar fest,
daß das Leben auf
Erden einen Anfang gehabt hat; wie lebendigen Wesen entstanden,
aber die ersten
das ist uns ebenso unbe
kannt wie der Uranfang der Dinge.
Wenn aber das
richtig ist, so kann vom naturwissenschaftlichen Stand
punkte nichts gegen
werden,
daß die
die Lehre der
Bibel eingewendet
ersten Pflanzen und Thiere von Gott
geschaffen seien.
1) Bibel und Natur S. 330. 2) Bibel und Natur S. 335. 344. 345.
97 Das
gestehen
auch diejenigen
Naturforscher
ein,
wie z. B. Haeckel, sagen, die Entstehung der
welche,
ersten Pflanzen und Thiere durch Urzeugung müsse noth
wendig angenommen werden,
weil man sonst zu dem
„Wunder einer übernatürlichen Schöpfung seine Zuflucht
nehmen" müsse').
kannt,
Denn mit diesem Satze wird aner
daß es nicht naturwissenschaftliche Beweise sind,
auf welche die Leugnung der Erschaffung der ersten Pflanzen und Thiere und die Behauptung ihrer Ent stehung durch Urzeugung gestützt wird, daß man viel mehr nur darum ihre Entstehung durch Urzeugung be
hauptet,
weil man aus philosophischen
Gründen die
Erschaffung derselben für unmöglich halten zu dürfen glaubt. Von dieser Art der Beweisführung sagt ein
französischer Schriftsteller, Th. H. Martin, mit Recht:
„Jene Gelehrten gehen von dem kühn ausgesprochenen oder
vorsichtig
vorausgesetzten Princip
aus:
da das
so müsse es noth wendig durch irgend welche natürliche Entwicklung der Leben auf Erden angefangen habe,
unorganischen Materie von selbst entstanden sein, und so sei die Urzeugung als Erklärung des ersten Ursprunges
aller Pflanzen und Thiere a priori gewiß, weil sie die
einzige mögliche Hypothese sei.
Das ist das trium-
phirende Argument, womit Leute,
die viel von experi
menteller Wissenschaft und ihrer Methode reden,
die
Discussion über den ersten Ursprung aller Pflanzen- und
Thierarten schließen wollen! Aber entweder ist dieses Argument ein gedankenlos ausgesprochener Unsinn, uder diejenigen,
welche es
vorbringen,
1) Bibel und Natur S. 347. Reusch, bibl. SchöpfungSgesch.
gehen von der still-
98 schweigenden Voraussetzung aus, die Erschaffung und
die Organisation der Welt durch Gott seien unmögliche
Hypothesen, da Gott nicht existire und die Materie allein nothwendig und ewig sei.
Indem sie also den Atheis
mus durch die Urzeugung beweisen wollen, setzen sie den Atheismus als Grundlage ihres Beweises voraus." *) Je denfalls ist die andere Schlußfolgerung mindestens ebenso
berechtigt: die Entstehung der ersten Organismen durch
Urzeugung läßt sich naturwissenschaftlich nicht nachweisen; dieselben, und sind sie nicht durch Ur
entstanden sind
zeugung entstanden, so können wir der Vorstellung von einem außerweltlichcn Schöpfer nicht ausweichen.
Natur
wissenschaftlich betrachtet ist also die Hypothese von einer
Erschaffung derselben zum wenigsten ebenso berechtigt wie die Hypothese
von ihrer Entstehung durch Urzeugung.
Es wurde vorhin bemerkt, es sei jetzt in der Natur wissenschaft unbestritten, daß „weitaus die meisten Arten von Pflanzen und Thieren" nur durch Abstammung von
anderen Pflanzen und Thieren entstehen.
Streitig ist
nur noch die Frage, ob nicht einige sehr kleine und sehr
niedrig organisirte Wesen
durch
Urzeugung entstehen.
Einige Naturforscher nehmen dieses von den sogenannten Bakterien an, mikroskopisch kleinen organischen Wesen, von
denen es noch nicht ausgemacht ist, ob sie Pflanzen oder Thiere sind, und Haeckel nimmt es von den sog. Mo
neren
an,
organischen Wesen der allcreinfachsten Art,
deren ganzer Körper, höchstens von der Größe eines Steck nadelknopfes, zeitlebens nichts weiter loses
bewegliches
Schleimklümpchen.
1) Vgl. Bibel und Natur S. 347.
sei als ein form („Vielleicht
das
99 merkwürdigste von allen Moneren", sagt Haeckel, habe man in dem feinen kreideartigen Schlamme gefunden, den man bei den in den letzten Jahren angestellten Unter suchungen der größten Meerestiefen heraufgezogen. Hux-
ley hat
dieses
„in der Tiefe
lebende Wesen"
1868
Haeckel zu Ehren Bathybius Haeckelii genannt, 1875
aber cingestanden, daß er sich geirrt, wenn er diese Schleim
klümpchen für lebende Wesen gehalten habe.)
Auch von
den Bakterien und Moneren nehmen die meisten und be
deutendsten Naturforscher an, daß sie nicht durch Urzeu gung entstehen.
Man wird aber nach dem jetzigen Stande
der Untersuchungen nicht die Unmöglichkeit ihrer Ent stehung durch Urzeugung behaupten dürfen').
Sollte sich
wirklich
erweisen lassen,
daß einzelne
Pflanzen- und Thierarten aus unorganischem Stoffe ent
stehen, so würde dieses mit der biblischen Schöpfungslehre
nicht in Widerspruch stehen.
Wie die älteren Natur
forscher, so haben auch die Kirchenväter und die mittel
alterlichen ,
ja
auch
noch
spätere
Theologen
unbe
denklich die Urzeugung in einer viel weitern Ausdehnung angenommen, als sie jetzt noch von irgend einem Natur
forscher behauptet wird.
Mit der Lehre von der Er
schaffung aller Dinge durch Gott brachten sie diese An
sicht in Einklang durch die Annahme, daß Gott gewisse Stoffe mit der Fähigkeit geschaffen habe, nach den von
ihm gegebenen Naturgesetzen unter bestimmten, von ihm
von Ewigkeit her vorausgesehenen Bedingungen bestimmte
Classen von Pflanzen und Thieren hervorzubringen.
In
dieser Weise würde sich also die Entstehung der Bakte1) Bibel und Natur S. 334.
100 rien und Moneren durch Urzeugung mit dem biblischen
Schöpfungsberichte in Einklang bringen lassen, wenn die
selben wirklich, was, wie gesagt, sehr zweifelhaft und be stritten ist, durch Urzeugung entstehen.
Auf jeden Fall darf, wenn wirklich einige sehr nie
drig organisirte Wesen durch Urzeugung entstehen sollten,
daraus nicht gefolgert werden, daß auch diejenigen Pflanzen- und Thierarten, welche jetzt nachweislich nicht durch Urzeugung, sondern durch Fortpflanzung entstehen, ursprünglich durch Urzeugung entstanden seien. Der bib lische Bericht über die Erschaffung der Pflanzen und Thiere durch Gott kann also nach dem jetzigen Stande der Naturwissenschaft nur bestritten
werden durch die
doppelte Annahme: erstens, es sind in einer der älteren
Perioden der Erdgeschichte Moneren oder andere sehr niedrig organisirte Wesen durch Urzeugung, ohne Ein
wirkung einer außerwcltlichcn Ursache entstanden; zwei tens, aus diesen Moneren haben sich im Verlaufe der Zeit, wieder ohne Einwirkung einer außerweltlichen Ur
sache, auf natürlichem Wege alle Arten der Pflanzen und
Thiere, welche jetzt existiren und jemals auf Erden existirt haben, entwickelt.
Daß die erste Annahme, wissen
schaftlich betrachtet, sehr schwach begründet ist, haben wir
gesehen; die Prüfung der zweiten Annahme, also der in
neuester Zeit durch Darwin und andere Naturforscher aufgestellten Descendenz- oder Entwicklungstheorie, wird
unsere nächste Aufgabe sein.
101
IX. Die sogenannte Descendenz-Theorie. In der biblischen Schöpfungsgeschichte wird berichtet,
Gott habe Pflanzen und Thiere geschaffen „nach ihrer Art", d. h. nicht einerlei, sondern mancherlei Pflanzen und Thiere.
Mit diesem Satze wird gelehrt, daß all die
mannigfaltigen Classen von Pflanzen und Thieren, welche
überhaupt auf Erden existiren, auf Gottes schöpferische Thätigkeit zurückzuführen seien. Man darf aber aus diesem Satze nicht die Folgerung ziehen, alle in den Lehrbüchern
der Pflanzen- und Thicrkunde aufgezählten Arten oder
Species seien nach der Lehre der Bibel als solche von
Gott erschaffen worden und hätten sich seitdem im We sentlichen unverändert und von einander gesondert und gegen einander abgeschlossen erhalten.
Das hebräische
Wort Hin, welches man mit „Art" übersetzt, — in der
Vulgata ist es bald durch genus, bald durch species wiedergegeben, — hat nicht die genau umgrenzte, tech
nische Bedeutung, welche das Wort „Art" oder „Species"
in der Naturgeschichte hat; man könnte das Wort auch „Gattung, Sorte, Varietät" übersetzen; „die Bäume nach
ihrer Art" heißt eben nichts weiter als: die mancherlei
Sorten von Bäumen, die es gibt.
Der biblische Bericht
steht also auch der Annahme gar nicht im Wege, daß die Mannigfaltigkeit der Pflanzen und Thiere ursprüng
lich eine geringere gewesen sei und daß sich die jetzige Mannigfaltigkeit erst allmählich gebildet habe.
Die vielen
Sorten von Rosen, Nelken und Georginen, welche jetzt in unseren Gärten blühen, und die vielen Sorten von
102 Hühnern und Tauben, die man in zoologischen Gärten
und auf den Höfen von Liebhabern sieht, haben ja vor hundert Jahren noch nicht existirt; diese Mannigfaltigkeit
hat der menschlichen Kunst ihre Entstehung zu verdanken. In ähnlicher Weise sind die Pflanzen- und Thierformen auch durch natürliche Verhältnisse vielfach abgeändert worden, durch die Verschiedenheit des Bodens, der Nah rung, des Klimas u. s. w.
Wie weit die Veränderlichkeit
der Pflanzen und der Thiere geht, wie viele von den jetzt in den Lehrbüchern der Pflanzen- und Thicrkunde aufgezählten verschiedenen Formen sich erst im Laufe der
und wie viele Formen Gott ur sprünglich geschaffen hat, darüber sagt die Bibel kein Zeit gebildet haben,
Wort; das ist eine rein naturwissenschaftliche Frage. Die älteren Naturforscher nahmen an, es gebe eine gewisse — freilich nicht wohl mit Sicherheit zu bestim mende — Anzahl von Gruppen von organischen Wesen,
welche von einander gesondert und unabhängig seien und
gewisse eigenthümliche Merkmale von jeher gehabt hätten; diese Gruppen, die sie Arten oder Species nannten,
müßten also einzeln und unabhängig von einander ent
standen, — nach der biblischen Darstellung ihre ersten Stammeltern von Gott geschaffen sein.
Die zunächst
mit einander verwandten Species vereinigte man bei der
systematischen Beschreibung des Pflanzen- und Thierreichs zu größeren Gruppen, die man Gattungen oder Ge
nera nannte, und es ist seit Sinne Sitte, bei der Be nennung der Pflanzen und Thiere die Namen des Genus und der Species mit einander zu verbinden.
So heißt
z. B. die Hauskatze Felis domestica, die wilde Katze
Felis catus, der Tiger Felis tigris, der Löwe Felis leo,
103 der Panther Felis pardus, der Jaguar Felis onca. Diese
sechs Raubthierarten sind also sechs Species eines und
desselben Genus Felis.
Aehnlich werden in der Bo
tanik sieben Nadelholz-Arten als sieben Species des Einen Genus Finus aufgczählt: Finus abies, die Fichte, Finus picea, die Tanne, Finus larix die Lärche u. f. w.
Die
einander zunächst stehenden Gattungen oder Genera ver
einigte man dann zu einer Ordnung, mehrere Ordnungen zu einer Classe u. s. w.
Neben den Eigenschaften welche allen Individuen einer Art gemeinsam sind und welche durch alle Gene rationen hindurch constant bleiben, finden sich natürlich bei den einzelnen Individuen mehr oder minder große
Verschiedenheiten. Noch weniger als ein Ei dem andern sind zwei Pferde, zwei Hunde u. s. w. einander gleich. Jene allen Individuen gemeinsamen und durch alle Ge
nerationen bleibenden Eigenschaften sah man als wesent liche Eigenschaften der Art an, die Eigenschaften, hinsicht lich deren die einzelnen Individuen sich von einander unterscheiden, als unwesentlich.
Gruppen von Indivi
duen derselben Art, welche auch in Bezug auf unwesent
liche Eigenschaften übereinstimmen und sich zugleich von der Hauptmasse der Individuen unterscheiden, nennt man Abarten oder Varietäten, und wenn die Eigenthümlich
keiten solcher Varietäten sich vererben, entstehen sogenannte Rassen,
wie z. B. Pudel, Windspiele, Bullenbeißer
u. s. w. Rassen der Species Hund
sind.
Auf Grund
von vielfachen Beobachtungen glaubte man annehmen zu dürfen, daß Vermischungen von Thieren verschiedener Arten nicht dauernd fruchtbar seien, während die Fruchtbarkeit
der Paarungen verschiedener Rassen der nämlichen Art
104 keine Beschränkung erleide.
Demgemäß sagte man denn
auch: alle Individuen der nämlichen Art könnten mög
licher Weise von Einem Elternpaare abstammen, — Linns
hat, wie wir früher (S. 48) gesehen, irrthümlich gemeint, das sei wirklich der Fall, — aber die Individuen verschie dener Arten könnten unmöglich gemeinsame Stammeltern
haben.
„Die Arten", sagt Johannes Müller, „können
unmöglich die eine aus der andern erzeugt sein. Sie müssen,
nach allem,
was jetzt in der Geschichte der
thierischen
Welt vor sich geht, einzeln und unabhängig von einan
der geschaffen sein." Diese Ansicht von der Beständigkeit und sondertheit
der Arten war früher,
wie gesagt,
der Ge bei den
Naturforschern die herrschende, und demgemäß wurde der biblische Bericht über die Erschaffung der Pflanzen und
Thiere so verstanden: Gott habe die ersten Individuen der einzelnen Arten schöpferisch hervorgebracht, und die
einzelnen Arten hätten sich seit der Schöpfung in ihren wesentlichen Eigenschaften unverändert erhalten, seien aber freilich
im Laufe der Zeit in viele,
durch unwesent
liche Eigenthümlichkeiten von einander sich unterscheidende Abarten, Varietäten und Rassen aus einander gegangen.
Als durch die Untersuchung der Versteinerungen die Pflan zen- und Thierwelt früherer Perioden der Erdgeschichte
genauer bekannt wurde,
die sich, je höher wir in der
Geschichte der Erde hinaufgehen, 'um so mehr von der
jetzigen Pflanzen- und Thierwelt unterscheidet,
glaubte
man annehmen zu müssen, die zuerst geschaffenen Arten seien alle oder doch fast alle längst ausgestorben, und es seien in den einzelnen paläontologischen Perioden neue
Arten geschaffen worden, die meist auch in den folgenden
105 Perioden wieder ausgestorben und durch neue ersetzt wor den seien.
Ja manche Geologen nahmen an, jede For
mation habe ihre eigenthümliche Pflanzen- und Thierwelt und cs finde sich nie oder nur ausnahmsweise eine und
dieselbe Pflanzen- und Thierart in zwei auf einander folgenden Formationen;
es sei also
anzunehmen,
daß
wiederholt im Laufe der Zeit das organische Leben auf
Erden ganz erloschen und dann durch eine
neue Pflan
zen- und Thierschöpfung ganz neu wiederhergestellt sei; die jetzige Pflanzen- und Thierwelt stehe mit denen der
früheren Perioden in keinem
hänge.
genealogischen Zusammen
Andere nahmen an, es seien seit der Entstehung
der ersten organischen Wesen vor und nach einzelne Arten ausgestorben und andere neu hinzugekommen; aber nur
durch ein solches Entstehen und Ausfüllen von Lücken hätten allmähliche Umgestaltungen
der Pflanzen- und
Thierwelt stattgefunden, und niemals sei der Faden des Lebens ganz abgeschnitten roorben1).
Es wäre ein Irrthum, wenn man annehmen wollte, diese Theorie von der Beständigkeit und der Gesondert
heit der Arten werde auch
in der Bibel gelehrt.
Das
hebräische Wort Min, welches mit Art übersetzt wird,
braucht, wie bereits erwähnt wurde, nicht in der Bedeu tung genommen zu werden, welche das Wort „Art" oder
„Species"
in der Naturwissenschaft hat;
umfassendere Gruppen,
z. B.
die
es kann auch
„Gattung"
oder das
„Genus", bezeichnen. Selbst Sinne war geneigt, anzunehmen, die verschie denen Arten einer und
derselben Gattung hätten
1) Bibel und Natur S. 206.
ur-
106 sprünglich nur Eine Art ausgemacht und hätten sich in ihrer Verschiedenheit in derselben Weise gebildet wie die Rassen derselben Art.
Es steht nichts im Wege, das be
treffende hebräische Wort in einer noch weitern Bedeu tung zu nehmen, also anzunehmen, es seien ursprünglich
viel weniger verschiedene Formen
von Pflanzen und
Thieren erschaffen worden, als jetzt vorhanden sind, und
die Mannigfaltigkeit in der Pflanzen- und Thierwelt der jetzigen und der früheren Perioden sei dadurch entstanden,
daß sich allmählich die ursprünglichen Formen in ähnlicher Weise zu vielen verschiedenen Formen gestalteten, wie sich die zahllosen Varietäten und Rassen der einzelnen Arten ge
bildet haben.
Ueber den Grad der Veränderlichkeit der
einzelnen Arten,
Gattungen, Ordnungen u. s. w. sagt
der biblische Bericht kein Wort; es kommt ihm nur dar
auf an, hervorzuhcben, daß die gcsammtc Pflanzen- und Thierwelt der Erde dem schöpferischen Willen Gottes ihr Dasein verdankt, daß also alle Pflanzen und Thiere,
welche seit dem Anbeginn des organischen Lebens existirt haben, entweder unmittelbar von Gott geschaffen sind oder von den von Gott unmittelbar geschaffenen Pflanzen
und Thieren abstammen.
Ob die von Gott geschaffenen
Pflanzen und Thiere so
eingerichtet waren,
daß nur
gleiche Pflanzen und Thiere von ihnen abstammen konnten, oder
so,
daß ihre Nachkommen
unter dem
Einflüsse
äußerer oder innerer Ursachen sich mannigfaltig verändern konnten und nach dem Plane Gottes verändern sollten,
darüber sagt der biblische Bericht nichts.
Es ist darum auch vom theologischen Standpunkte nichts gegen die Ansicht einzuwenden, daß die verschie
denen Pflanzen- und Thierformen, welche im Verlaufe
107 der Geschichte der Erde neu auftreten, nicht auf eine
jedesmalige Neuschöpfung zurückzuführen seien, sondern sich unter dem Einflüsse äußerer und innerer Verhält
nisse aus den bereits vorhandenen Formen entwickelt hätten, daß also zwar für den Anfang des organischen Lebens eine schöpferische Thätigkeit Gottes anzunehmen
sei, daß sich dann aber die Pflanzen- und Thierwelt, ohne ein weiteres Eingreifen des Schöpfers, aber nach einem
göttlichen Plane, durch die in sie gelegten Kräfte unter
den verschiedenen, nach dem Plane Gottes eintretcnden Verhältnissen mannigfaltig verändert und gestaltet habe*).
Auch dagegen ist vom theologischen Standpunkte aus
nichts zu erinnern, wenn Darwin sagt: der Schöpfer habe den Keim alles Lebens, welches uns umgibt, nur wenigen oder auch nur einer einzigen Form eingchaucht, und
cs habe sich aus diesem einfachen Anfänge eine endlose Reihe immer schönerer und vollkommenerer Wesen ent wickelt").
So vieles auch gegen die Lehre Darwins und seiner Schüler einzuwenden sein mag, die sog. Descendenz oder Entwicklungs-Theorie als solche darf nicht als eine der biblischen Schöpfungslehre widersprechende bezeichnet
und kann mit dieser in Einklang gebracht werden, wenn man sie so faßt: Gott hat ursprünglich organische Formen geschaffen, welche ganz einfach, aber einer mannigfaltigen
Entwicklung fähig waren. Im Laufe der Zeit sind nach dem göttlichen Weltplane Verhältnisse eingetreten, unter deren Einfluß jene einfachen Formen sich mannigfaltig gestal1) Pfaff, Schöpfungsgeschichte S. 699. 2) Vgl. Bibel und Natur S. 393.
108 teten und veränderten').
Der biblische Schöpfungsbericht
sagt von dieser Entwicklung nichts, schließt sie aber auch nicht aus.
Dem Verfasser jenes Berichtes kam es nur
darauf an, zu lehren, daß alle Pflanzen und Thiere der Erde Geschöpfe Gottes seien.
Von der jetzigen Mannig
faltigkeit der Pflanzen und Thierwelt ausgehend, sagt er
darum: Gott habe das Grün und die mannigfaltigen samentragenden Kräuter und fruchttragenden Bäume, die
mannigfaltigen
großen
und
kleinen Wasserthiere,
die
mannigfaltigen Luftthiere und die mannigfaltigen großen und kleinen, zahmen und wilden Landthicre hcrvorge-
Ob die Pflanzen und Thiere in der Mannig faltigkeit, in welcher sie der Mensch wahrnimmt, von An
bracht.
fang an existirt haben, oder ob diese Mannigfaltigkeit sich nach dem Willen Gottes aus einer einfachern Ge
staltung, die ihr vorhergegangen, entwickelt hat, das ist
eine Frage, die gar keine religiöse Bedeutsamkeit hat und
über welche sich darum der biblische Bericht gar nicht auszusprechen braucht.
Nur muß in dem letztem Falle
festgehalten werden, daß nicht nur die Entstehung, son dern auch die Entwicklungsfähigkeit der ersten einfachen
gönnen und das Eintreten der Verhältnisse, unter wel
chen die Entwicklung statt fand, also auch diese Entwick lung selbst auf Gott als ihre letzte Ursache zurückzuführen
ist.
Wird aber dieses festgehalten, so steht die Annahme
einer allmählichen Entwicklung der Pflanzen- und Thier
welt ebenso wenig in Widerspruch mit dem biblischen Be richte über die Erschaffung der Pflanzen und Thiere, wie
die Annahme von der Entwicklung der Erde in ihrer 1) Bibel und Natur S. 412.
109 jetzigen Gestalt aus einer glühenden Kugel oder einem
Gasball mit dem, was das erste Capitel der Genesis über
die Geschichte der Erde berichtet. Wenn aber auch gegen die Entwicklungs- oder De
scendenz-Theorie als solche vom biblischen Standpunkte aus nichts zu erinnern ist, so kann dasselbe nicht von der Fassung gesagt werden, in welcher diese Theorie von einigen älteren Naturforschern vorgctragen wird, und
namentlich nicht von der Fassung, in welcher sic seit 1859
von Charles Darwin und im Anschluß an ihn von sehr vielen neueren Gelehrten vorgetragen wird *)•
Darwins Lehre ist in ihren Hauptzügen folgende: Alle Thier- und Pflanzensormen, welche cxistiren und
jemals existirt haben, stammen von wenigen ursprünglichen
von einer einzigen ganz einfachen Eigentliche Arten in dem ältern Sinne, also
Formen, vielleicht Form ab.
Reihen von organischen Wesen, welche sich von Geschlecht zu Geschlecht in ihren wesentlichen Eigenschaften unver
ändert erhalten,
gibt es nicht; die organischen Formen
sind vielmehr unbeschränkt veränderlich, und durch ganz
allmähliche, im Laufe von unendlichen Zeiträumen durch Vererbung und Weiterausbildung sich summirende Ver
änderungen haben sich fort und fort neue Formen ent wickelt und sind die alten erloschen.
Die verschiedenen
Varietäten und Rassen der Culturpflanzen und Haus
thiere sind anerkanntermaßen durch menschliche Züchtung entstanden, dadurch, daß man die Formen, welche einen
besondern Nutzen gewährten, für die Nachzucht aus wählte, und daß diese nützlichen Eigenschaften sich auf 1) Vgl. Bibel und Naiur S. 357.
110 die Nachkommen verpflanzten und erblich wurden.
Etwas
Aehnliches findet nun bei den wildwachsenden Pflanzen
und bei den Thieren im Naturzustande statt, was man
also als „natürliche Züchtung"
bezeichnen kann.
Jede
Pflanzen- und Thierart vermehrt sich in solchen Pro gressionen, daß nicht alle Individuen zur vollständigen
Ausbildung und zur Fortpflanzung kommen können. Da die Erde nicht Raum hat für alle, so findet ein „Kampf
ums Dasein" unter ihnen statt. Jeder Organismus kämpft mit einer Anzahl von feindlichen Einflüssen, mit
Thieren, denen er zur Nahrung dient, mit der Tempe ratur, der Witterung u. s. w., vor allem mit den ähn lichen, gleichartigen Organismen. Jedes Individuum
einer Thier- und Pflanzenart ringt um die nothwendigen Existenzbedingungen mit den anderen Individuen der selben Art, die mit ihm an dem nämlichen Orte leben;
denn die Mittel zum Lebensunterhalte reichen nicht aus, um alle Individuen zu erhalten, welche entstehen.
Auf
einem dicht besäten Weizenfelde z. B. können von den zahlreichen jungen Pflanzen, die auf einem Quadratfuß
stehen, nur verhältnißmäßig wenige sich am Leben er halten; sie kämpfen mit einander um den Bodenraum,
den jede Pflanze gebraucht, um ihre Wurzeln zu befestigen, sie kämpfen um Sonnenlicht und Feuchtigkeit, und nur
einige siegen in diesem Kampfe ums Dasein zum Ver derben der anderen.
In diesem Kampfe ums Dasein
sind nun aber diejenigen Individuen am besten gestellt, welche besondere Eigenschaften haben, die den äußeren
Einflüssen am besten entsprechen.
Während die minder
bevorzugten Individuen untergehen, ohne Nachkommen zu
hinterlassen, werden jene bevorzugten für die Umstände
111 passenderen Individuen sich erhalten und zur Fortpflanzung Indem nun ausschließlich
gelangen.
oder
vorwiegend
die im Kampfe ums Dasein begünstigten Individuen zur Fortpflanzung gelangen, werden sich auch, wie man das bei der künstlichen Züchtung wahrnimmt, die Besonder
heiten jener begünstigten Individuen nicht nur auf die
folgenden Generationen vererben, sondern auch bei den folgenden Generationen allmählich steigern und verstärken,
und schließlich wird eine Generation herauskommen, die sich von der ursprünglichen Form merklich unterscheidet.
Bei den höheren Thieren kommt
zu
der „natürlichen
Zuchtwahl" noch die „geschlechtliche Zuchtwahl" hinzu: Individuen, welche sich durch gewisse Vorzüge, eine größere Stärke, Schönheit u. s. w. vor anderen Individuen der selben Art auszeichnen, gelangen leichter zur Paarung als diese. Sie pflanzen ihre individuellen Vorzüge auf
ihre Nachkommen fort,
und
wenn sich während
einer
langen Reihe von Generationen Individuen einer Art mit Individuen
des andern Geschlechts paaren, welche
irgendwelche Eigenthümlichkeiten haben, so werden sich diese Eigenthümlichkeiten in ähnlicher Weise wie bei der
natürlichen Zuchtwahl steigern und verstärken.
So ist es also denkbar, meint Darwin, daß die Verschiedenheiten, welche wir jetzt in der Pflanzen- und
Thierwelt finden,
nicht ursprünglich sind, sondern sich
haben.
Die
allmählich
entwickelt
von Rosen
und Tauben haben sich nachweislich durch
vielen Varietäten
künstliche Züchtung gebildet und lassen sich genealogisch auf eine einzige ursprüngliche führen.
einfache Form
zurück
Wenn nun dasselbe, was die künstliche Züchtung
bei den Culturpflanzen und Hausthieren hervorgebracht
112 hat,
den Pflanzen und Thieren im Naturzustande
bei
die natürliche und die geschlechtliche Züchtung bewirkt hat, so
sind
wir berechtigt zu der Annahme, daß den Ver
schiedenheiten,
welche wir jetzt bei den wilden Pflanzen
und Thieren finden, keine größere Bedeutung zukommt
als den Verschiedenheiten der Culturpflanzen und Haus
thiere, daß mithin zwischen Art und Varietät kein wesent licher Unterschied
gemacht werden kann,
daß wir nicht
von streng gesonderten, gegen einander abgeschlossenen und darum von Anfang an dagewesenen und im Wesent
lichen gleich bleibenden Arten reden, sondern eine unbe schränkte Veränderlichkeit
nehmen dürfen, und
der organischen Formen an
daß also die Formen, welche jetzt
in den Lehrbüchern der Pflanzen- und Thierkunde besondere Arten
aufgezählt werden,
der Zeit allmählich
kommnung
aus
als
sich erst im Laufe
durch Differenzirung und Vervoll
einfacheren Formen
Darum spricht Darwin
gebildet
haben.
von einer „Entstehung der
Arten im Thier- und Pflanzenreich durch natürliche und
geschlechtliche Zuchtwahl und durch Erhaltung der ver vollkommneten Rassen im Kampfe ums Dasein".
Jede
Varietät kann sich nach seiner Theorie, wenn sie bleibend
wird, zn einer Rasse ausbilden,
und jede Rasse ist eine
beginnende Art, oder vielmehr:
man darf von Rassen
sprechen,
wenn die Verschiedenheiten
verhältnißmäßig
gering sind; Arten darf man diese Rassen nennen, wenn die Verschiedenheiten bedeutender geworden
sind;
aber
ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen Rasse und Art nicht.
Wie Darwins Theorie selbst, so können auch die Bedenken, welche von anderen Naturforschern gegen die-
113 selbe erhoben worden sind,
hier nur kurz angedeutet
werden'). So weit bis jetzt genaue Beobachtungen angestellt
sind, sprechen sie wohl zu Gunsten einer mehr oder minder großen, aber nicht zu Gunsten einer unbegrenzten
Veränderlichkeit der Pflanzen- und Thierarten. gilt nicht
bloß
Das
von der Gegenwart, sondern auch von
der Vergangenheit, so weit wir Urkunden darüber haben.
Abbildungen
Uralte
auf
ägyptischen
und assyrischen
Denkmälern zeigen, daß die damaligen Hausthier-Rassen Afrika's und Asien's den jetzigen durchaus gleich waren;
der Ibis ist noch heute ganz derselbe wie zur Zeit der Pharaonen, wie die erhaltenen Mumien desselben beweisen;
die in den ägyptischen Pyramiden und in
den Pfahl
bauten gefundenen Weizen- und Gerstenkörner unter scheiden sich nicht von den jetzigen. Solchen Thatsachen gegenüber macht freilich Darwin geltend, einige tausend
Jahre seien eine viel zu kurze Zeit, um große Verände rungen hervorzubringen; für diese seien,
da sie sich nur
ganz allmählich entwickelten, viele Jahrtausende erforder Aber die Zeit an sich thut ja bei der Veränderung
lich.
diese kann nur durch physische Wirkungen
nichts;
im
Laufe der Zeit hervorgebracht werden, und wenn sich nicht
solche Wirkungen durch Beobachtung
innerhalb
einer beschränkten Zeit nachweisen lassen, ist es Willkür1) Vgl. Bibel und Naiur S. 373. S. 688.
Pfaff,
Pfaff, Schöpfungsgeschichte
Die Theorie Darwins und die Thatsachen
der
Geologie, 1876. Huber, Die Lehre Darwins kritisch betrachtet, 1871.
Huber, Zur Kritik moderner Schöpfungslehren, 1875. A. Wigand,
Der Darwinismus und
die Naturforschung Newtons und CuvierS.
Drei Bände, 1874-1877.
Reusch, bibl. SchöpfungSgesch.
8
114 lich, vorauszusetzen, sie könnten in längerer Zeit
ein
treten. Ferner: Wenn die Arten nur dadurch entstehen, daß kleine Abänderungen sich fortpflanzen und steigern, so
sollte man, da diese Abänderungen doch nach allen mög
lichen Richtungen aus einander gehen, erwarten, in der jetzigen Pflanzen- und Thierwelt ein regelloses buntes Allerlei von Formen zu finden.
In Wirklichkeit sondern
sich aber unsere Pflanzen- und Thierarten im allgemeinen scharf und deutlich von einander ab. Arten,
Es gibt allerdings
welche eine Menge von Varietäten und Ueber«
gangsformen zeigen; aber diese bilden doch nur die Aus nahme, und im allgemeinen findet sich jedenfalls nicht eine solche Fülle von Uebergangsformen, wie man sie nach Darwins Theorie erwarten müßte. Dieser.That
sache sucht Darwin mit der Annahme auszuwcichen: da
die neuen Varietäten sich nur sehr langsam bildeten, so könnten wir die Zwischenformen und die Stammglieder, welche im Kampfe ums Dasein untergingen und durch die natürliche Züchtung beseitigt würden, in der Regel nicht mehr in der Gegenwart, sondern nur unter den
Versteinerungen finden.
Aber thatsächlich
finden wir
durchgängig
scharf
gesonderte Arten, nur ausnahmsweise Formen,
welche
auch
unter
den Versteinerungen
als Zwischenformen
einzelner Arten angesehen werden
könnten, und jedenfalls nicht die zahllosen Mittelglieder,
die nach Darwins Theorie existirt haben müßten.
Dem
daß unsere Kenntniß der untergegangenen Organismen noch lücken gegenüber weist freilich Darwin darauf hin,
haft sei und daß viele Organismen ohne Zweifel durch
geologische Processe gänzlich zerstört seien.
Indeß
ist
115 doch wohl kaum anzunehmen, zugsweise
daß zufällig gerade vor
die neuen Species erhalten oder bis jetzt be
kannt geworden und die Uebergangsformen zerstört oder
unbekannt geblieben seien. Ferner: Die Untersuchung der Versteinerungen der verschiedenen Formationen zeigt allerdings, daß im all gemeinen die niedrigeren Classen des Pflanzen- und Thier
reichs zuerst, die höheren Classen später auftreten, und daß die organischen Wesen der späteren Perioden den
jetzt lebenden näher stehen als die der früheren Perioden.
Aber ein so allmähliches und stufenwcises Fortschreiten der Organisation, wie es stattgefunden haben müßte, wenn
sich die Pflanzen- und Thierartcn
im Laufe der
Zeit aus ganz einfachen Formen entwickelt hätten, findet sich nicht; denn in den ältesten versteinerungsführenden Ablagerungen der silurischen Formation finden sich schon
Thiere, die eine verhältnißmäßig hohe Stellung in der
thierischen Rangordnung einnehmen.
Ferner:
Die Voraussetzung,
dieselben Wirkungen,
welche die künstliche Züchtung unter der Hand des Men schen hervorbringt, könnten bei den Pflanzen und Thieren
im wilden Zustande durch das, was Darwin natürliche und geschlechtliche Zuchtwahl nennt, hervorgebracht werden, ist nicht berechtigt.
Bei der künstlichen Züchtung kommt
die Ueberlegung, die Erfahrung und das plan-
und
zweckmäßige Handeln des Züchters in Betracht; will man bei der sogenannten natürlichen Züchtung nicht ein plan
volles Wirken und Leiten des Schöpfers annehmen, — und das soll ja in der Darwin'schen Theorie eben nicht
geschehen, — so ist alles dem Zufall anheimgegeben; denn „die Natur" ist doch keine überlegende und han-
116 delnde Person, und wenn man sagt, „die Natur züchte", so ist das eben nur ein bildlicher Ausdruck.
Der Thier
züchter kann diejenigen Thiere sorgfältig auswählen, von deren Paarung die Fortpflanzung und Steigerung ge
wisser Eigenthümlichkeiten zu erwarten ist. In der Natur
ist es dem Zufalle überlassen, ob gerade zwei in dieser Beziehung zu einander passende Individuen
sich zusam
menfinden , und da die Eigenthümlichkeiten, um welche
es sich bei der Rassenbildung handelt, doch zunächst nur
ausnahmsweise auftreten, so muß es schon ein sehr glück licher Zufall sein, daß sie sich gerade bei den sich paaren
den Individuen finden.
Nun ist cs aber, wenn diese
Eigenthümlichkeiten sich fixiren und steigern sollen,
nicht
genügend, daß einmal sich das passende Paar zusammen
findet ,
sondern
Generationen
es müssen sich
durch
hindurch regelmäßig
eine Reihe von
passende
Paare
zusammenfinden; kommt einmal eine unpassende Paarung dazwischen, so geht der Vortheil, der erreicht war, großen-
thcils wieder verloren.
Solche unpassende Paarungen
kann der Thierzüchter durch Jsolirung der zur Erzielung der neuen Rasse verwendeten Individuen verhüten; in der freien Natur werden sie nur unter besonders günsti
gen Umständen nicht eintreten.
Es ist also
eine lange
und ununterbrochene Reihe von glücklichen Zufällen erfor derlich, wenn die natürliche und die geschlechtliche Zucht
wahl Wirkungen hervorbringen sollen, welche den Wirkun
gen der künstlichen Züchtung an die Seite zu stellen sind. Nun handelt
es sich aber bei der künstlichen Züch
tung immer nur um Veränderungen innerhalb gewisser
Grenzen, während in der Darwin'schen Theorie eine un begrenzte Veränderlichkeit der
organischen Formen und
117 eine
Stammverwandtschaft
auch
der
verschiedensten
Pflanzen- und Thierarten behauptet wird.
Man kann
sich ja wohl die Möglichkeit denken, daß die Katze, der Löwe, der Tiger und die anderen zu der Gattung Felis
gehörenden Thiere wirklich stammverwandt seien,
von gemeinsamen Ahnen abstammen,
also
daß es eine Felis
gegeben habe, deren Nachkommen sich im Laufe der Zeit in zahllosen Generationen allmählich zu Hauskatzen, Löwen, Tigern u. s. w. die Nachkommen
differenzirt haben,
ganz ähnlich wie
der ersten Menschen zu Europäern,
Mongolen, Amerikanern und Negern. Die Sache wird schon schwieriger, wenn wir z. B. die Stammverwandt
schaft des Löwen und der Maus anzunehmen haben, und noch schwieriger, wenn der Elephant und der Kolibri, der Adler und der Regenwurm, der Walfisch und der Schmetterling stammverwandt sein sollen. Wie viele Mittelglieder müssen wir in den Stammbäumen, welche die Abstammung veranschaulichen,
aller dieser Thiere von den Moneren um vom
in der einen Linie zählen,
Elephanten bis zum Moner hinauf und dann wieder
von dem Moner bis zum Schmetterling hinunter
zu
kommen! Und da in jenen Stammbäumen, wie siez. B. Haeckel entworfen hat, nur die Hauptformen verzeichnet sind, so müssen wir die darin stehenden Mittelglieder
mit Tausend oder mit einer Million multipliciren. Denn jede Abänderung,
welche eintritt und durch natürliche
oder geschlechtliche Zuchtwahl fixirt wird, ist nach Dar wins Theorie an sich ganz unbedeutend,
kaum merklich.
Die Differenz, welche zwischen dem Elephanten und dem
Schmetterling
besteht,
und zwar nicht bloß hinsichtlich
der Größe, ist also die Summe von Milliarden ganz
118 kleiner Differenzen,
und
jede
einzelne dieser kleinen
Differenzen ist ganz allmählich für sich entstanden, jede einzelne bedurfte, um sich zu fixiren, nicht nur einer langen Zeit, sondern auch des Zusammentreffens einer
Menge von günstigen Umständen. kleinen Differenzen entstehen
und
Und daß alle diese die günstigen Um
stände, durch welche sie fixirt werden, eintreten, ist nach
Darwins Theorie rein zufällig.
Darwin selbst legt zwar gegen diesen Ausdruck Ver wahrung ein und sagt, Zufall sei nur der Ausdruck für unsere Unwissenheit oder Unkenntniß. In der That nennt man zufällig nicht bloß solche Ereignisse, welche ohne genügende, gesetzlich wirkende Ursache eintreten, — solche Ereignisse sind
in
der Natur nicht möglich, —
sondern auch solche, deren Eintreten wir nicht aus dem bekannten gesetzmäßigen Gange der Natur heraus be greifen, deren Grund und Gesetzmäßigkeit uns verborgen
ist, die wir darum auch nicht als planmäßig angelegte erkennen, nicht zu berechnen und vorauszusehen und nicht
In diesem Sinne ist aber das Entstehen irgend einer kleinen aus einer bestimmten Ursache abzulciten vermögen.
Abänderung in einem organischen Wesen, auch wenn dieselbe durch eine Ursache bewirkt wird, nach Darwins
Theorie zufällig; denn diese Theorie weist keinen Grund
dafür auf, daß die Abänderung in dem einen Falle ein tritt, in dem andern nicht.
Erst an
eine solche ohne
nachweislichen Grund, also zufällig entstandene Abände
rung schließt sich
dann die Wirkung
der natürlichen
Züchtung, und auch diese ist wieder durch das Eintreten von Umständen bedingt, welche nicht nothwendig ein treten müssen und thatsächlich nicht immer eintreten,
119 deren wirkliches Eintreten
also
zufällig
ist, oder für
deren wirkliches Eintreten kein Grund nachzuwcisen ist. Dazu kommt noch, daß Darwin einerseits annehmen
muß, daß Veränderungen an den organischen Wesen leicht und oft entstehen, anderseits, daß die entstandenen Veränderungen leicht und oft bleibende werden.
Diese
beiden Principien der Veränderlichkeit und der Vererbung und Fixirung wirken aber thatsächlich vielfach nicht zu sammen ,
sondern
einander
entgegen.
In
demselben
Grade, in welchem Abänderungen leicht möglich sind, ist die Befestigung der abgeänderten Organismen
zu
be
stimmten Arten schwierig, und während wir einerseits durch die Annahme der unbegrenzten Veränderlichkeit die bestehenden Arten in Fluß bringen, ist es anderseits schwierig, die abgcänderten Arten wieder zum Stehen zu
bringen, da die äußeren Verhältnisse in der Natur doch nur in seltenen Fällen so starr und gleichblcibcnd sein
werden,
daß sic nicht immer wieder Veranlassung zu
neuen Abänderungen geben sollten.
Darwin beruft sich freilich, wie bereits erwähnt
wurde, auf die unermeßlich lange Zeit, auf die Millionen
von Jahren, die verflossen sein sollen, bis aus den ge sammelten leisen Abänderungen endlich deutlich erkenn bare Art-Unterschiede wurden,
und welche dann wieder
verflossen sein sollen, bis die Art-Unterschiede sich so be festigten, daß sie so bleibend sind, wie wir sie jetzt sehen,
so bleibend,
daß gegenwärtig künstlich erzielte Abarten
leicht wieder in die befestigte Art zurücksinken, wenn ihnen
die Pflege entzogen wird.
Aber diese Millionen
von Jahren können allenfalls erklären, wie Abänderun gen, die entstanden, sich allmählich ansammelten, zu Art-
120 Unterschieden wurden und sich befestigten;
sie können
aber nicht erklären, „wie es denn kam, daß zuerst eine unendlich
lange Zeit die allmähliche leise Abänderung
fortging, dann aufhörte, und in einer neuen unendlich
langen Zeit sich befestigte, um dann schließlich doch wie
der neuerdings nach so langer Befestigung wieder leise Abänderungen und allmähliche Umwandlungen zu erlei
den.
Diese unendlich lange Zeit, mit
der Darwin so
verschwenderisch ist, bietet nur die zeitliche Möglichkeit
dieser Vorgänge, aber sie erklärt nicht den Grund der selben und erklärt nicht den W ech sel in diesem Processe, der demnach zufällig, Princip- und gesetzlos erscheint. Wie unendlich lang man sich diese Zeit auch denken mag, sie
kann
nicht für sich,
durch ihre Länge die Ursache sein,
daß eine Entwicklungsreihe fortdauere, dann stille stehe, dann wieder neuerdings beginne. Wenn zwei Linien wirklich genau parallel sind,
so kommen sie durch
Verlängerung, auch bis ins Unendliche,
um ein Haarbreit näher.
So
ihre
einander nicht
können auch unendliche
Zeiträume das nicht hervorbringen, wofür die Zeit nun
einmal nicht die Ursache sein kann, die lange Zeit ebenso
wenig wie die kurze. Immer brauchen wir da bei langer wie bei kurzer Zeit eine
andere Ursache zum Beginn
eines bestimmten Entwicklungsprocesses und zur Fort
führung desselben.
Uebrigens ist die Annahme unendlich
langer Zeiträume für die Geschichte der organischen Welt problematisch genug und schon darum kein sicherer
klärungsgrund" Z.
Man
bewegt sich dabei in einem
1) Frohschammer, Das Christenthum und die moderne Natur wissenschaft, 1867, S.497. Psass, Schöpfungsgeschichte S.657.
121 Zirkel: man nimmt unendlich lange Zeiträume an, weil man damit das Entstehen der Mannigfaltigkeit der or
ganischen Wesen erklären zu können meint, und begrün
det dann wieder die Annahme, daß wirklich so lange Zeiträume verflossen seien, damit, daß man sagt,
ohne
diese Annahme sei die Entstehung jener Mannigfaltigkeit
nicht zu erklären. Auch mit der Annahme, daß durch die Ansammlung unendlich kleiner Abänderungen in unendlich langer Zeit
wirklich bemerkbare Art-Unterschiede können, steht es doch sehr bedenklich.
hätten entstehen
„Waren diese Ab
änderungen unmerklich klein, so konnte sie die natürliche Züchtung nicht wohl gebrauchen, um gerade die organi
schen Bildungen, denen sie eigenthümlich waren, zu er halten und in unendlich langer Zeit
fortzubilden; es
war also für die natürliche Züchtung keine genügende
Grundlage gegeben.
Wollten wir aber annehmen, diese
Abänderungen seien gleich auf einmal so bedeutend ge wesen , daß sie einen wirklichen Vortheil im Kampfe ums Dasein boten, so ist ihre Entstehung um so schwie
riger , nach Darwins Theorie gar nicht zu erklären" *). Am schwierigsten ist es, nach Darwins Theorie die
Entstehung neuer Organe zu erklären. die Augen entstanden,
Wie sind z. B.
die bei niedriger organisirten
Thieren nicht vorhanden sind und bei den Voreltern der
höher organisirten nach Darwins Lehre auch nicht vor
handen waren?
Wir sollen uns ihre Entstehung so vor
stellen: Zuerst bildeten sich bei einem Thiere Zellen in der Haut, welche auf Licht reagirten, indem sie sich ausdehnten 1) Frohschammer, a. a. O. S. 499.
122 und zusammenzogen.
Mit diesen Zellen trat dann in
späteren Generationen allmählich
ein sensibler Nerv in
Verbindung, und so konnte das Thier schon Hell und Dunkel unterscheiden.
Ein Tröpfchen Flüssigkeit in der
Epidermis bildete dann den brechenden Medium.
Anfang
zu
Diese Flüssigkeit
einem licht
verdichtete
sich
allmählich in der Mitte, und so entstand der Anfang einer Linse.
Dann sind noch vor und nach die Apparate
der Bewegung, die verschiedenen lichtbrechenden Medien, die Sehnervenhaut u. s. w. im Laufe von zahllosen
Generationen hinzu gekommen. So muß aber zunächst das Zusammentreffen von Millionen von Zufällen vor ausgesetzt werden, um zuerst das Entstehen jeder einzelnen kleinen Vervollkommnung herbeizuführen, dann jede ein zelne entstandene kleine Vervollkommnung zu vererben,
zu fixiren und zu steigern u. s. w.
Ferner reicht aber
auch das, was Darwin natürliche Züchtung nennt, gar um die Entstehung des ersten Ansatzes zu
nicht aus,
einem Auge überhaupt und die Entstehung der Ansätze zu den wesentlich neuen Theilen,
durch welche sich die
vollkommensten Augen von den unvollkommenen unter scheiden, genügend zu erklären. „Die natürliche Züchtung
ist ja nach Darwins eigener Auffassung kein schaffen
des Princip, sondern nur ein auf einer gegebenen Grund lage, auf einer eingetretenen Neubildung sich entspinnen der Proceß.
Diese Neubildung selbst ist nicht ihr Werk,
wie ja auch die künstliche Züchtung nicht Abänderungen
hervorbringcn, sondern nur mit gegebenen Abänderungen wirthschaften kann.
Ist einmal ein neues Organ an
einem lebenden Wesen, wenn auch nur in seinen ersten Ansätzen,
entstanden,
und ist diese
Abänderung dem
123 Wesen in
dem Kampfe ums Dasein von Vortheil,
so
kann nach Darwin der natürliche Züchtungsproceß in
Bezug auf dieses Organ beginnen.
Aber das Auftreten
einer solchen Neubildung, den spontanen Ansatz zu einem
neuen Organ kann Darwins Entwicklungstheorie
nicht
erklären" *)•
Fassen wir diese Erörterungen über Darwins Ent wicklungstheorie kurz zusammen, so kann ihm das Ver
dienst nicht bestritten werden, daß die Frage über den Begriff der Art und über die Grenzen der Veränderlich keit der Arten durch ihn aufs neue wieder angeregt
worden ist.
Voraussichtlich werden die dadurch veran
laßten Untersuchungen zu dem Ergebnisse führen, daß man in dieser Beziehung bisher zu engherzig gewesen ist,
daß man die Grenzen der Veränderlichkeit der organischen Wesen vielfach zu enge gesteckt hat, daß manche Gruppen von Pflanzen und Thieren, die bisher als selbständige Arten galten, als bloße Spielarten oder Rassen anzu sehen sind, daß also die Zahl der ursprünglichen Arten
geringer ist als die Zahl der Arten, welche in den Lehr
büchern der Pflanzen-
werden pflegen.
und Thierkunde aufgezählt zu
Gegen dieses Ergebniß ist vom Stand
punkte des biblischen Schöpfungsberichtes aus nichts zu erinnern; denn dieser sagt, wie wir gesehen haben,
gar
nichts darüber, wie viele Arten von Pflanzen und Thieren
von Gott geschaffen wurden; er sagt nur, alle Pflanzen-
und Thierformen, die man in Gattungen, Arten, Spiel arten oder wie immer eintheilen und deren Stammver-
1) Huber, Die Lehre Darwins S. 364.
124 wandtschaft und Entwicklung man nachzuweisen versuchen mag, seien auf die wenigen oder vielen Pflanzen- und
Thierformen zurückzuführen, welche durch die schöpferische
Thätigkeit Gottes hervorgebracht wurden.
Ja in Einer
Beziehung kann, um das nebenbei zu bemerken, ein bibel gläubiger Theologe es nur gern sehen, wenn die Grenzen der Veränderlichkeit der Arten
recht weit gesteckt werden
und die Naturforscher allgemein zu der Ansicht kommen, daß auch
deutend
solche organische Formen, welche ziemlich be
verschieden sind, stammverwandt sein können.
Je mehr dieses anerkannt wird, um so weniger läßt sich
gegen die biblische Lehre von der einheitlichen Abstammung
des Menschengeschlechts einwenden. Wenn Katzen, Löwen und Tiger nicht nur zu derselben Gattung, sondern zu derselben Art gehören und von denselben oder gleichen
Voreltern abstammen können, dann läßt sich gewiß gegen die
Stammverwandtschaft
von Negern und Europäern
nichts cinwenden. Wenn aber Darwin und seine Anhänger
weiter
gehen und eine unbegrenzte Veränderlichkeit der organi schen Formen behaupten und annehmen, die verschiedenen Arten der Pflanzen und Thiere hätten sich lediglich unter dem Einflüsse der Wirkungen, welche unter dem
Namen „natürliche und geschlechtliche Züchtung" zusam
mengefaßt werden, aus ganz einfachen organischen Wesen allmählich im Laufe von Millionen von Jahren ent wickelt, so ist das eine Hypothese, welche als eine schlechte Hypothese bezeichnet werden darf, weil sie nicht genügt,
um alle hier in Betracht kommenden Thatsachen zu er
klären, weil die Thatsachen ihr eher widersprechen als zur Stütze gereichen, und weil zur Durchführung dieser
125 Hypothese neue Hypothesen und unerwiesene Thatsachen verwendet werden müssen1). Daß Darwins Theorie gleichwohl so vielen Beifall
gefunden, hat seinen Grund wesentlich darin, daß sie die
Möglichkeit zu bieten schien, das Entstehen und Bestehen aller
lebenden Wesen durch rein natürliche Vorgänge
ohne die Einwirkung einer außer der Materie vorhande
nen Ursache zu erklären, — wie sich Karl Vogt in seiner Weise ausdrückt, „den Schöpfer vor die Thüre zu setzen," oder, wie Haeckel sagt, „eine einheitliche Welt
anschauung" zu begründen. Diese „einheitliche Weltan schauung" ist in kurzen Zügen folgende: Aus der von Ewigkeit her existircnden Materie hat sich durch die aus schließliche Herrschaft der Naturgesetze die Erde zuerst zu einer feucrflüssigen Kugel gebildet, welche dann eine feste Kruste,
Festland und Meer u. s. w. und endlich die
Gestaltung erhalten hat, in welcher sie geeignet war, der Wohnplatz
organischer Wesen zu werden.
Darauf ent
standen durch Urzeugung ganz einfach organisirte lebende Wesen, Moneren, und aus diesen haben sich in der Weise, wie cs Darwin gezeigt, alle Arten des Pflanzen- und
Thierreichs bis hinauf zum Menschen,
schlossen, entwickelt.
diesen mit einge
So verläuft die ganze Erdgeschichte
von dem im Weltenraume zerstreuten Urnebel bis zum ersten Auftreten des Menschen,
ja bis auf diesen Tag,
auf rein natürliche Weise, ohne daß wir in dieser Ent
wicklungsgeschichte eine andere Kraft als die in der Natur
selbst liegende und ein anderes Gesetz als die Naturge setze vorauszusetzen genöthigt wären.
1) I. B. Meyer, Philosophische Zeitfragen S. 103.
126 Aber diese einheitliche Weltanschauung steht
weder
mit den gesicherten Ergebnissen der naturwissenschaftlichen
Forschung noch mit den Gesetzen des Denkens klang.
im Ein
Weder die Ewigkeit der Materie, noch die Ent
stehung organischer Wesen durch Urzeugung, noch endlich die Entwicklung der Arten des Pflanzen- und Thier
reichs aus Moneren sind von der Naturwissenschaft als Thatsachen oder auch nur als berechtigte Hypothesen er wiesen ; vielmehr weisen uns, wie wir gesehen haben, die
Ergebnisse
der
Naturforschung
auf die Nothwendigkeit
hin, die Entstehung der Materie und die Entstehung der
ersten organischen Wesen auf eine außerwcltlichc Ursache zurückzuführen.
Und woher sind denn jene Naturgesetze,
welche mit so strenger Conscquenz und mit so sicherm
der ursprünglichen Materie be
Erfolge die Entwicklung
herrscht haben, daß die Erde in ihrer jetzigen Gestaltung
entstanden ist? bar ist,
Wenn
es für den Philosophen undenk
dieses alles dem Zufall zuzuschreiben, kommen
wir dann nicht nothwendig zu der Annahme eines ver
nünftigen
Planes,
nach
welchem die Entwicklung der
Dinge geleitet worden ist? Und wer soll der Träger und Verwirklicher dieser Idee fein,
wenn nicht
ein über der
materiellen Welt stehendes geistiges Wesen?x) „Wenn die Wissenschaft es wirklich begreiflich machen
könnte, sagt Lotzes,
wie aus dem feurigen Dunstball
zuerst die Feste der Erdrinde und der Himmel des Luft kreises sich schieden; wie jeder Schritt dieser Sonderung
den Wahlverwandtschaften
der Elemente Gelegenheit zu
1) Huber, Die Lehre Darwins S. 184. 2) Mikrokosmus, 2. Ausl. 1. Band, S. 420.
127 neuen Wirkungen gab; wie dann unter den günstigen Umständen, welche die blinde Nothwendigkeit dieses Na
turlaufs herbeiführte, der erste Keim einer Pflanze, eines
Thieres entstand, noch einfach und unausgebildet von
Umrissen und wenig zu bedeutsamer Entfaltung geschickt; wie endlich unter glücklichen Bedingungen, zu deren Her
stellung doch dieses arme Leben schon mitthätig war, allmählich das organische Dasein sich veredelte, niedere
Gattungen im Laufe ungezählter Jahrhunderte sich in höhere entwickelten, bis zuletzt die Menschheit, nicht nach dem Bilde Gottes, sondern als das letzte Glied in dieser
Kette nothwendiger Ereignisse hervorging: — wenn dieses alles die Wissenschaft begreiflich machen könnte, was würde sie da mehr geleistet haben, als daß sie das Wunder der
unmittelbaren Schöpfung auf einen noch frühern Punkt
der Vorzeit zurückgeschoben hätte, in welchem die unend liche Weisheit in dieses Chaos die unermeßliche Fähig keit zu so geordneter Entwicklung legte?
Mit der gan
zen Reihenfolge abgcstufter Bildungsepochen, durch welche hindurch sie den formlosen Urgrund sich ausgestalten
ließe, würde sie nur den Glanz und die Mannigfaltigkeit
der Scenen vermehren, in deren äußerlichen Pomp un sere Phantasie bewundernd sich vertiefen könnte; aber sie
würde das Ganze des wunderbaren Schauspiels nicht zu reichender erklärt haben als jener sich selbst bescheidende
Glaube, für welchen die Entstehung der lebenden Ge schlechter nur
aus dem unmittelbaren
Gottes begreiflich erscheint.
Schöpferwillen
Diese Dinge sind es, deren
Entscheidung wir, so weit die Wissenschaft sie je wird geben können, getrost von ihrer unbefangenen Wahrheits liebe erwarten müssen; welchen Weg der Schöpfung Gott
128 gewählt haben mag, keiner wird
die
Abhängigkeit der
Welt von ihm lockerer werden lassen, keiner sie fester an
ihn knüpfen können."
X. Die Erschaffung des Menschen. In dem ersten Capitel der Genesis wird über die
Erschaffung
des Menschen nur berichtet, Gott habe den
Menschen, und zwar einen Mann und ein Weib, nach seinem Bilde geschaffen und ihn zum Beherrscher der irdischen Geschöpfe bestellt *).
angedeutet,
In diesen Worten ist schon
was die Bibel an
vielen anderen Stellen
lehrt, daß der Mensch ein von den übrigen irdischen
Geschöpfen, insbesondere
von den Thieren,
wesentlich
verschiedenes, mit einer unsterblichen, vernünftigen und
freien Seele begabtes Wesen ist.
Wie Gott die ersten
Menschen geschaffen, wird in dem zweiten Capitel der Genesis ausführlicher berichtet.
In Vers 7 heißt es zu
nächst von der Erschaffung des Mannes: Und es bildete
Gott der Herr den Menschen ans Staub von der Erde und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens, und
es ward der Mensch zu einem lebendigen Wesen.
Wir
brauchen uns nach diesem Satze die Bildung 'des Men schen nicht so mechanisch vvMstellen, als ob Gott zuerst eine menschliche Figur aus Erdenstaub gebildet und dann
den zur menschlichen Gestalt geformten Erdenkloß durch 1) S. o. S. 45.
128 gewählt haben mag, keiner wird
die
Abhängigkeit der
Welt von ihm lockerer werden lassen, keiner sie fester an
ihn knüpfen können."
X. Die Erschaffung des Menschen. In dem ersten Capitel der Genesis wird über die
Erschaffung
des Menschen nur berichtet, Gott habe den
Menschen, und zwar einen Mann und ein Weib, nach seinem Bilde geschaffen und ihn zum Beherrscher der irdischen Geschöpfe bestellt *).
angedeutet,
In diesen Worten ist schon
was die Bibel an
vielen anderen Stellen
lehrt, daß der Mensch ein von den übrigen irdischen
Geschöpfen, insbesondere
von den Thieren,
wesentlich
verschiedenes, mit einer unsterblichen, vernünftigen und
freien Seele begabtes Wesen ist.
Wie Gott die ersten
Menschen geschaffen, wird in dem zweiten Capitel der Genesis ausführlicher berichtet.
In Vers 7 heißt es zu
nächst von der Erschaffung des Mannes: Und es bildete
Gott der Herr den Menschen ans Staub von der Erde und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens, und
es ward der Mensch zu einem lebendigen Wesen.
Wir
brauchen uns nach diesem Satze die Bildung 'des Men schen nicht so mechanisch vvMstellen, als ob Gott zuerst eine menschliche Figur aus Erdenstaub gebildet und dann
den zur menschlichen Gestalt geformten Erdenkloß durch 1) S. o. S. 45.
129
Einhauchung seines Lebensodems zu Wesen gemacht habe.
einem lebendigen
Der Satz spricht vielmehr, in an
schaulich anthropomorphistischer Einkleidung nur den Ge danken aus: durch eine Wirkung der göttlichen Allmacht
sei der Leib des Menschen aus vorhandenem Stoffe ge
bildet und dieses Gebilde dadurch belebt und zu einem Menschenleibe gemacht worden, daß ihm die Seele mit
getheilt oder eingeschaffen wurde.
morphistischen
Ausdruck
Durch den anthropo-
„einhauchcn"
wird
die Seele
nicht etwa als ein Ausfluß des göttlichen Wesens, son
dern als etwas Unkörperliches dargestellt, und in die Nase
wird
der Lebensodem
eingehaucht,
weil sich durch das
Athmen der Mensch für die sinnliche Wahrnehmung als
lebendes Wesen zeigt. Nach Vers 18 sagt Gott nach der Erschaffung des
ersten Menschen: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm machen eine Hülfe ihm entsprechend.
Gott hat zunächst Ein menschliches Individuum, und zwar einen Mann geschaffen.
Damit war aber der gött
liche Schöpfungsplan noch nicht vollständig verwirklicht; denn Gott wollte den Menschen in geschlechtlicher Ver
schiedenheit erschaffen; der jetzige Zustand, wo nur ein Mann da war,
entsprach also noch nicht der göttlichen
Idee und war also nach dem der Genesis dafür geläu
figen Ausdrucke „nicht gut"/) und ehe gesagt werden
kann:
„Gott sah, daß es gut war", muß die göttliche
Idee vollständig verwirklicht sein, muß also der zuerst ge
schaffene Mensch
eine ihm entsprechende, eine adäquate
1) S. o. S. 22. Reusch, bibl. Schöpfuufisgcsch.
130 Hülfe, seine nach der göttlichen Idee nothwendige Er gänzung in dem Weibe haben. Demnächst führt Gott dem Menschen die Thiere
vor, und der Mensch benennt sie, findet aber für sich
keine ihm entsprechende Hülfe, wie es in Vers 20 heißt. Das Benennen der Thiere hat die Erkenntniß ihres
Wesens, sofern dieselbe in den Namen ihren Ausdruck findet, zur Voraussetzung, und mit dieser Erkenntniß der
Thiere wird der Mensch auch zu der Erkenntniß geführt,
daß er von ihnen wesentlich verschieden und daß also unter ihnen kein ihm gleichgeartetes Wesen, mithin keine ent
sprechende Hülfe vorhanden ist. Nachdem auf diese Weise dem Menschen zum Bewußtsein gebracht worden ist, daß ihm diese Hülfe mangelt, führt Gott seinen Schöpfungs plan aus, und zwar so, daß er den Leib des' Weibes aus
einem dem Manne im Schlafe entnommenen Theile seines Leibes bildet und dieses Gebilde in derselben Weise durch
Einschaffung der Seele belebt, wie vorhin bei dem Manne. In dem Weibe erkennt der Mann die ihm mangelnde
adäquate Hülfe und ein ihm durchaus gleichgeartetes Wesen.
Das spricht er, als Gott sie zu ihm führt, in
den Worten aus: Diese denn ist Bein von meinem Beine
«nd Fleisch von meinem Fleische;
diese soll genannt
werden isclia, Männin, denn vom Manne, isch, ist sie genommen worden,
Vers
23.
Nun folgt, was schon
im ersten Capitel in V. 28 berichtet ist:
Und Gott seg
nete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und werdet
zahlreich und erfüllet die Erde, d. h. Gott hat den Menschen das Vermögen und die Bestimmung der Fort pflanzung gegeben'). 1) Bibel und Natur S. 110.
131 Das Wesentliche in diesem Berichte ist, wie gesagt,
die Lehre, daß der Mensch ein von den anderen irdischen Geschöpfen, insbesondere von den Thieren, wesentlich ver
schiedenes Geschöpf
ist und daß der
wesentliche Unter
schied zwischen ihm und den anderen Geschöpfen darin besteht, daß mit seinem Leibe
eine geistige Substanz,
die wir Seele nennen, zu Einer Persönlichkeit verbunden ist.
Dieser biblischen
Lehre stellen viele Naturforscher
der Gegenwart die Behauptung gegenüber: der Mensch sei von den Thieren nicht wesentlich verschieden und ge höre mit zu den organischen Wesen, welche sich in der
von Darwin und Anderen nachgewiesenen Weise aus
den zuerst entstandenen einfachen Organismen entwickelt
haben sollen,
er sei also durch natürliche Entwicklung
aus den am höchsten organisirten und ihm am nächsten stehenden Thieren, den anthropoiden, d. h. menschenähn lichen Affen hervorgegangen.
Es fragt sich also: ist diese
letztere Ansicht als ein gesichertes Ergebniß der natur wissenschaftlichen
Forschung
und
darum
die biblische
Lehre von dem Wesen und dem Ursprünge des Menschen als naturwissenschaftlich unhaltbar anzusehen? In dem vorhergehenden Capitel wurde bemerkt, daß
die sogenannte Entwicklungstheorie,
die Annahme,
die
mannigfaltigen Arten von organischen Wesen hätten sich allmählich aus einfacheren Formen entwickelt, an sich der biblischen
Schöpfungslehrc nicht widerspreche und mit
dieser in Einklang gebracht werden könne, wenn man an nehme, die Fähigkeit zu jener Entwicklung sei durch den
Schöpfer in jene einfachen organischen Formen hineingclegt worden und die Entwicklung selbst sei die Verwirklichung
132 eines göttlichen Planes').
Man könnte sogar annehmen,
der Schöpfer habe die Entwicklung der einfachen ursprüng lich geschaffenen organischen Formen zu der Mannigfal
tigkeit der Pflanzen- und Thierarten als den Weg ge
wählt, um zu der vollendeten Organisation zu gelangen, wo im Menschen die geistige Entwicklung sich anknüpfen
sollte, und die Erschaffung des Menschen habe nicht in der Gestaltung des menschlichen Leibes aus todtem Stoffe und in der Belebung desselben durch die ihm eingeschaffene Seele, sondern darin bestanden,
daß, wie ein englischer
Gelehrter cs ausdrückt, „die unterscheidenden Züge der
menschlichen Natur zu denen der höchsten und menschen ähnlichsten Creatur, welche cxistirte, hinzugefügt wurden", wobei cs sich aber „nicht um eine höhere Entwicklung von
Fähigkeiten, die dem Menschen und dem Thiere gemein
sam wären, sondern um die Verleihung vyn ganz neuen Fähigkeiten
einer
höhern
Ordnung",
also um
einen
„neuen schöpferischen Impuls" handeln mürbe1 2). So wenig der biblische Bericht über die Erschaffung
des Menschen eine solche Vorstellung nahe legt, so unter scheidet sich diese doch wesentlich von der Ansicht über die Entstehung des Menschen,
welche von Darwin
und
vielen seiner Anhänger, namentlich von Haeckel, vorge
tragen wird, und welche im Folgenden zu prüfen ist. Denn in dieser wird, im geraden Gegensatze zu der biblischen
Lehre,
angenommen,
der Mensch
sei in ganz derselben
Weise auf dem Wege der natürlichen und geschlechtlichen
Zuchtwahl aus den Anthropoiden hervorgegangen, wie
1) S. o. S. 107. 2) Bibel und Natur S. 412. 437.
133 diese aus niederen Arten von Affen.
Der Vollständigkeit
halber mag noch bemerkt werden, daß nach den meisten
Vertretern der Pithekoiden-Theorie, wie man diese Lehre von der Stammverwandtschaft der Menschen und der Affen genannt hat, der Mensch nicht von einer der jetzt lebenden Affenarten, sondern von einer jetzt ausge
storbenen Art abstammt *).
Von Manchen wird die Abstammung des Menschen vom Affen als eine selbstverständliche Folgerung aus der Darwinschen
Entwicklungstheorie angesehen, die
dieser stehe und falle.
mit
Wie wenig diese letztere als eine
wissenschaftlich gesicherte Theorie angesehen werden kann, ist in dem vorhergehenden Capitel gezeigt worden. Gegen
ihre Anwendung auf den Menschen erheben sich aber noch besondere gewichtige Bedenken, so daß,
selbst wenn die
Darwinsche Theorie jm allgemeinen als wissenschaftlich berechtigt
bezeichnet
werden könnte,
daraus
nicht der
Schluß gezogen werden dürfte: also ist der Mensch mit den Affen stammverwandt. 1.
Es ist zwar behauptet worden, der Körperbau
des Menschen sei von dem der menschenähnlichen Affen, insbesondere des Gorilla und des Schimpanse, nicht mehr
oder nicht einmal ebenso sehr verschieden wie der Körper bau dieser von dem mancher niederen Affen.
Aber diese
Behauptung ist durch genaue Untersuchungen als un
richtig
erwiesen.
Die anatomischen Verschiedenheiten,
welche den Menschen von den Anthropoiden scheiden, sind
nicht nur sehr groß, was von keinem nennenswerthen Ge
lehrten bestritten wird, sondern auch größer als die Ver1) Bibel und Natur S. 421.
134 schiedenheiten, welche die höheren Affen von den niederen,
welche überhaupt zwei Arten von Thieren von einander scheiden.
Das ist' von Lucae namentlich bezüglich der
Knochen der Arme und Beine, von Aeby und anderen Anatomen bezüglich des wichtigsten Punktes, des Schä
dels und des Gehirns,
Aeby faßt die
nachgewiesen.
Ergebnisse seiner zahlreichen und sorgfältigen Messungen
und Vergleichungen
in
,,Aus allem ergibt sich,
folgenden
Sätzen
zusammen:
daß der Gesammtuntcrschied des
Menschen von dem nächsten Affen beträchtlicher ist als derjenige der Affen unter einander, daß der menschliche
Typus des Hirnschädels auf das allerbestimmteste von dem
afflichen sich unterscheidet und daß namentlich die sog. Anthropomorphen sich in jeder Beziehung ungleich inniger
an die natürlichen Verwandten und selbst an die niedri
geren Säugcthiere als an den Brenschen anlehncn.
In
der ganzen Reihe der Säugethicrc findet sich keine Lücke, die auch nur von fern sich vergleichen ließe mit derjenigen,
welche den Affen vom Menschen trennt.
Selbst die nie
drigsten Menschenschädel stehen den höchsten Affcnschädeln in jeder Hinsicht so fern und schließen sich so enge an ihre höheren Verwandten an, daß es vom rein morpho
logischen Standpunkte aus besser wäre,
druck »Affenähnlichkeit« zu verzichten.
auf den Aus
Die Ostentation,
die so oft damit getrieben wird, ist um so weniger ge
rechtfertigt,
als er dem wahren Sachverhalt gar nicht
entspricht und nur durchaus irrige Vorstellungen erzeugen kann.
Nicht einmal die oberflächliche Achnlichkcit ist so
groß, wie man es oft hat behaupten wollen" *)• 1) Die Schädelsormen der Menschen und der Affen, 1867, S. 77.
Vtzl. Bibel und Natur S. 422.
135 2. Man hat gemeint, eine größere Annäherung des
menschlichen Schädels an den der Affen und damit einen
Uebergang zwischen diesem und jenem in den sogenannten Mikrokephalen und in einigen Schädeln aus sehr alter Zeit gefunden zn haben.
Von den Mikrokephalen hat
namentlich Vogt behauptet, ihre Schädelbildung zeige, daß der Mensch durch Hemmung seiner Entwicklung dem Affen näher gebracht und „zum Affen herabsinken", daß also auch der Affe durch Weiterführung seiner Ausbil
dung sich dem Menschen annähern könne.
Aber eine
ganze Reihe von Anatomen, welche Mikrokephalen ge
nauer untersucht habenals Vogt, sprechen sich überein stimmend dahin aus, daß die Mikrokephalie eine bloß pathologische, rein krankhafte Erscheinung sei, welche, auch wenn man sich auf den Standpunkt der Descendenz-Theorie
stelle, für die Affenverwandtschaft des Menschen gar nichts beweise *). Die alten Menschenschädel aber, welche man, zum Theil mit Knochen ausgestorbener Thiere zu
sammen, gefunden hat, unterscheiden sich nicht von Schä
deln, wie sie noch in der Gegenwart vorkommen, und ge rade die ältesten tragen, wie Virchow hervorhebt, nicht
einmal die Merkmale niederer Rassen an sich.
Die ein
zige Ausnahme, der sog. Neanderthaler Schädel, wird von
einer ganzen Reihe von angesehenen Anatomen und An
thropologen als ein unzweifelhaft krankhafter Schädel bezeichnet, der bei der Frage über die Schädelbildung
der ältesten Menschen ebenso wenig in Betracht komme
wie ein Mikrokephalenschädel bei der Frage über die jetzige Schädelbildung *). 1) Bibel und Natur S. 431. 2) Bibel und Natur S. 433.
136
3. Noch größer als die anatomische Verschiedenheit der Menschen und der Affen ist ihre Verschiedenheit be züglich der leiblichen Entwicklung.
„Die Affen",
sagt
Virchow, „haben im Allgemeinen ein kurzes Leben und
eine schnelle Entwicklung; sie werden in einem Zustande von körperlicher und geistiger Reife geboren, wie sie wohl
bei Thieren,
aber nie beim Menschen
Ausbildung
geschieht
wenigen
in
vorkommt;
ihre
Jahren, und
ein
früher Tod macht ihrem Leben ein Ende.
höchsten
Affen
haben ihre
wenn der Mensch sich noch befindet.
Auch die
volle Entwicklung erreicht,
im frühen Jünglingsalter
Von allen Theilen des Körpers wächst das
Gehirn des Affen am wenigsten; es hat seine Vollen dung in der Regel erreicht, ehe noch der Zahnwechsel
eintritt, während beim Menschen dann erst die eigentliche Ausbildung beginnt.
Sofort nach dem Zahnwechscl er
folgt beim Affen jenes schnelle Wachsthum der Kiefer
und
des Gesichtsskeletts,
jene massenhafte Ausstattung
der äußeren Theile der Schädelknochen, welche so ent scheidende Merkmale des bestialischen Charakters liefern. Die Aehnlichkeit der jungen Affen mit Menschenkindern
ist daher sehr viel größer als die der alten Affen mit er wachsenen und ausgebildeten Menschen.
Aber mit jedem
Monate und Jahre des Lebens wird der Schädel auch
der am meisten menschenähnlichen Affen dem Menschen unähnlicher"x).
4.
Wenn es, wie wir gesehen haben, unmöglich ist,
durch die Wirkungen der natürlichen und der geschlecht-
1) Menschen- und Asfenschädel, 1870, S. Natur S. 426.
22. 25.
Bibel und
137 lichen Züchtung die Entstehung der Organe und Eigen
schaften zu erklären, durch welche sich die höher organi-
sirten Thiere von den niedrigeren unterscheiden, so ist es ebenso unmöglich, auf diesem Wege die Entstehung der
Unterschiede zwischen Mensch und Affe zu erklären.
Es
wird genügen, dieses an Einem Beispiele zu zeigen. Menschen und Affen unterscheiden sich merklich durch die Bildung des Fußes.
eine Hand zu nennen.
Bei den Affen ist dieser eher
Daß auch einzelne Negerstämme
ihren Fuß als eine „Hinterhand" benutzen und, wenn sie
auf Bäume klettern,
Acste damit umfassen können, wie
die vierhändigcn Affen, ist eine Fabel *).
Wie die jetzigen
„menschenähnlichen" Affen, so waren aber nach Darwin auch unsere
angeblichen Vorfahren „Baumthiere" mit
„Grciffüßen".
Die allmähliche Umgestaltung dieser Hände
zu Füßen ist nun gar nicht zu erklären.
Jenen „Baum
thieren" waren die „Greiffüße" zum Klettern auf den
Bäumen sehr nützlich ; es war also für sie im „Kampfe ums Dasein" kein Vortheil, wenn der Fuß allmählich zum Gehen geeigneter und in demselben Maße zum Klettern
ungeeigneter wurde.
Für unsere jetzigen Bedürfnisse und
Sitten, seit wir aufrecht gehen und keine Baumthiere mehr sind, ist unser Fuß ganz vortrefflich eingerichtet, und ebenso zweckmäßig ist für die Affen ihr Greiffuß.
Aber
eine Uebergangsform, ein Mittelding, welches weder ein
zum Klettern geeigneter Greiffuß noch ein zum Gehen geeigneter menschlicher Fuß wäre, könnte doch keine Ver
vollkommnung und kein Vortheil im Kampfe ums Dasein
genannt werden.
Auf dem Papiere kann man ganz gut
1) Bibel und Natur S. 423.
138 die Mittelstufen und Zwischenformen darstellen, durch
welche allmählich der Grciffuß des Affen sich zum mensch
lichen Fuße vervollkommnet haben könnte.
Jede folgende
Form in dieser Reihe ist dann ein Fortschritt gegenüber der vorhergehenden, und der Fuß wird in dieser Reihen folge um so vollkommener, je mehr er sich von dem Aus
gangspunkte,
dem Greiffuße, entfernt, und dem Ziel
punkte, dem menschlichen Fuße,
nähert.
Aber ist nun
auch jede dieser Zwischenformen für das Individuum,
welches dieselbe wirklich besessen haben soll, Vortheilhafter gewesen als die vorhergehende Form der Reihe?
Gegentheil:
Im
gerade die mittelste Form, die von einem
Grciffuße ebenso weit entfernt ist wie vom menschlichen Fuße, ist praktisch angesehen die schlechteste, weil sic zum
Greifen und Klettern ebenso
ungeeignet war wie zum
Gehen; jede ihr vorhergehende Form ist für den Affen,
und jede folgende für den Menschen vorthcilhafter.
Wir
haben also für den praktischen Gebrauch, und auf diesen kommt cs doch für den Kampf ums Dasein allein an,
nicht
eine allmählich aufstcigcnde Stufenfolge, sondern
eine Reihenfolge, in welcher die Glieder zuerst an prak tischer Brauchbarkeit
nachdem sie auf
allmählich
abnehmen und dann,
dem niedrigsten Punkte
sind, allmählich zunchmen.
angekommcn
Das ist ganz unnatürlich und
paßt gar nicht in Darwins System').
5.
Ganz unverkennbar besteht zwischen dem Men
schen und den menschenähnlichen Affen, was das geistige
Leben betrifft, eine große Verschiedenheit, eine viel grö ßere, als man bei ihrer körperlichen Aehnlichkeit erwarten 1) Bibel und Natur S. 439.
139 sollte.
Das zeigt, daß das geistige Leben des Menschen
mit der körperlichen Gestaltung, namentlich auch mit der
Größe und Entwicklung des Gehirns in seinem letzten Grunde nichts zu thun hat; denn sonst wäre nicht einzu sehen, weshalb nicht Menschen um
Hund,
der Affe in dieser Hinsicht dem
vieles näher stehen sollte als z. B. der
dessen körperliche Organisation überhaupt und
dessen Schädel und Gehirn insbesondere sich viel weiter
vom Menschen entfernt und welcher doch an „Intelligenz", wenn man das Wort gebrauchen darf, hinter dem Affen nicht immer zurücksteht.
Wir müssen also im Menschen
etwas annehmen, was im Thiere, auch in dem höchsten Affen,
nicht vorhanden ist, und
da der Mensch und der Go
rilla sich körperlich zu nahe stehen, als daß ihre körper liche Verschiedenheit das Vorhandensein dieses Etwas im Menschen und das Fehlen desselben im Gorilla genügend
erklären könnte, so muß das,
was den Menschen zum
Menschen macht und vom Thiere wesentlich unterscheidet,
geistiger Art sein. Dieses ist denn auch die Hauptsache: der Mensch
hat eine vernünftige und freie Seele, das Thier nicht;
das begründet einen wesentlichen, nicht einen bloß gra duellen Unterschied zwischen beiden, und wenn sich schon
der leibliche Organismus des Menschen nicht durch all mähliche Entwicklung aus dem thierischen herausgebildet
haben kann, so ist es vollends undettkbar, daß der mensch
liche Geist sich auf natürliche Weise durch allmähliche Vervollkommnung aus der Thierscele sollte herausgebildet
haben können'). 1) Vgl. Bibel und Natur S. 443.
140 Zu den unbestreitbaren Thatsachen, welche beweisen, daß zwischen den Menschen und denThieren eineunübersteig-
lichc Kluft besteht, gehört vor allem die, daß die Men schen eine Sprache haben, d. h. im Stande sind, zusam
menhängende Reihen von Tönen, Lauten, Worten (oder anderen Zeichen)
zu bilden, um damit ihre inneren
Zustände, Gefühle, Gedanken, ihre gemachten Erfahrun gen und errungenen Einsichten auszudrücken und mitzutheilcn. Diese Sprachfähigkeit des Menschen hat ihren Grund in seiner Denkfähigkeit; auch solche Menschen, welche, wie die Taubstummen, nicht fähig sind, mensch liche Laute zu vernehmen, bilden sich, wenn die noth wendigen Bedingungen zur Entwicklung ihrer geistigen
Kräfte vorhanden sind, irgend welche Zeichen zur Gedanken mittheilung. Thiere dagegen können, selbst wenn sie, wie
die Papageien, Worte nachahmcn lernen, nie zu einer wirklichen Sprache gelangen, weil sie nicht zu denken ver mögen.
Die Sprache bildet, wie Max Müller treffend
sagt, den Rubicon, den kein Thier je wagen wird zu
überschreiten. Es wird nicht nöthig sein, noch andere Thatsachen zu besprechen, welche den wesentlichen Unterschied zwischen
der menschlichen Seele und dem, was man Thierseele
nennt, beweisens. Diesen Unterschied hat man freilich als einen nicht wesentlichen, sondern nur graduellen zu erweisen versucht, indem man einerseits Thatsachen an führt, welche für eine der menschlichen ähnliche Begabung von Thieren zu sprechen scheinen, anderseits auf die sehr
geringe geistige Befähigung von sehr tief stehenden Men1) Vgl. Bibel und Natur S. 444. 448.
141 schenstämmcn hinweist. so
Aber was das Erstere betrifft,
gehören viele Beobachtungen, auf welche Darwin
und Andere ihre Darstellung des
„Seelenlebens"
der
Thiere stützen, zu den ganz unbeglaubigten Thieranekdoten;
die wirklich zuverlässigen Beobachtungen zeigen zum Theil nur, was die Dressur des Menschen bei Thieren vermag,
zum Theil erscheinen sie in einem ganz andern
Lichte,
wenn man nicht den Fehler begeht, das Thun des Thieres,
welches, äußerlich betrachtet, eine gewisse Aehnlichkeit mit dem menschlichen Thun hat, mit Ausdrücken zu bezeichnen,
die von diesem hergcnommen sind. Thiere thuen allerdings manches, was mit dem, was Menschen thuen, eine gewisse
Aehnlichkeit hat; aber während es bei diesen ein bewußtes
und freies Handeln ist, ist es bei jenen nur instinctmäßig. In dieser Beziehung ist die Thatsache besonders bcmer-
kcnswcrth, welche Darwin selbst hcrvorhcbt, daß der
Mensch seine Kunstfertigkeit durch Uebung erlernen muß,
während der Biber seinen Kanal und der Vogel sein Nest das erste Mal, wo er es versucht, gerade so gut oder doch nahezu gerade so gut baut, als wenn er alt ist, und
die andere Thatsache, daß die Thiere in dieser Hinsicht keine Fortschritte machen, vielmehr ihre Nester jetzt ge rade so
bauen, ihre Beute gerade so fangen wie vor
Jahrhunderten, daß selbst die gezähmten und dressirten Thiere, sich selbst überlassen,
in ihren frühern Zustand
zurückfallcn und z. B. der junge Hund nicht von dem alten die Kunststücke lernt, zu denen dieser erzogen wurde.
Was
aber
die
geistigen
Fähigkeiten
der sogenannten
„wilden" Völker betrifft, so sind selbst diejenigen Men-
schenstämme,
welche nach
oberflächlichen Schilderungen
einzelner Reisenden tief unter unsere eigene Gesittungs-
142 stufe gestellt wurden, bei genauerer Bekanntschaft den ge
bildeten Völkern wieder merklich näher gerückt worden. Die
gründlichsten Forscher auf diesem Gebiete erkennen an,
daß „der Mensch auch auf der tiefsten Stufe seiner Ent wicklung
jene
mannigfaltigen
Keime
und Ansätze zu
höherer Cultur in sich trägt, welche sich als specifische geistige Unterschiede vom Thiere factisch an ihm aufzeigen lassen" *). Mit Rücksicht ans alle im Vorhergehenden angedeu
teten wesentlichen Unterschiede zwischen dem Menschen und den sog. Anthropoiden dürfen wir also mit Aeby
sagen: „Wer dem Glauben an die Wahrheit der Descen
denz-Theorie huldigt, der mag immerhin deren consequente Anwendung auf den Menschen fordern; aber er wird darauf verzichten müssen, aus der Geschichte der Mensch
heit, so weit sie uns bis jetzt zugänglich ist, auch nur Eine Thatsache zu Gunsten seiner Hypothese vorzubringen, So weit wir zurückzugchen vermögen, finden wir den Men schen in seiner jetzigen Gestaltung.
Annäherung des Men
schen an den Affentypus existirt nur in den aller Wahr
heit Hohn sprechenden Zerrbildern, welche manche Autoren
durch Uebertreibung einzelner Züge gebildet haben.
Als
Roman liest es sich ganz hübsch, wie die drei Anthropomorphcn zu verschiedenen Menschengestalten sich er heben, wie die wilden Urahnen unseres Geschlechts Stamm gegen Stamm, Art gegen Art stehen, wie sie durch zu
nehmende Gesittung sich als Brüder kennen lernen, sich vermischen, sich kreuzen, durch Bastardformen die anfäng
lichen Gegensätze ausgleichen, um, wenn auch langsam, 1) Th. Waitz, Anthropologie der Naturvölker, 2. Ausl., 1877, I, S. 325. Vgl. Bibel und Natur S. 451.
143 doch sicher der schließlichen Einheit entgegengeführt zu werden.
Für das alles suchen wir umsonst nach einer
thatsächlichen Begründung" *). „Die Idee", sagt der fran zösische Anthropologe A. de Quatrcfages, „uns den
Affen zum Ahnen zu geben, hat Aufsehen erregt, weil
sie im Namen der Philosophie vertheidigt und im Namen der Theologie bekämpft, also mit den Controversen in Verbindung gebracht wurde, welche nur zu oft auch tüch tige Gelehrte über die Grenzen des Gebietes hinaus ver
lockt haben, welches sie niemals hätten verlassen dürfen. Wir beanspruchen weder Theologen noch Philosophen zu
fein; wir sind ausschließlich Naturforscher und kümmern uns also nur um die naturwissenschaftliche Wahrheit. Im Namen dieser Wahrheit muß ich anerkennen, daß die Na turwissenschaft noch nichts über den Ursprung des Men schen weiß; aber im Namen derselben Wahrheit kann ich behaupten, daß wir weder einen Gorilla noch einen
Orang-Utang noch einen Schimpanse, auch keine Seekuh und keinen Fisch, überhaupt kein Thier irgend welcher Art zum Vorfahren haben" 1 2).
XI.
Die Einheit des Menschengeschlechts. Die Abstammung aller Menschen von Einem Paare ist eine ^unzweideutige Angabe der h. Schrift und zudem die
1) Die Schädelformen S. 90. 2) Histoire de Phomme, Paris 1867, III, p. 50.
143 doch sicher der schließlichen Einheit entgegengeführt zu werden.
Für das alles suchen wir umsonst nach einer
thatsächlichen Begründung" *). „Die Idee", sagt der fran zösische Anthropologe A. de Quatrcfages, „uns den
Affen zum Ahnen zu geben, hat Aufsehen erregt, weil
sie im Namen der Philosophie vertheidigt und im Namen der Theologie bekämpft, also mit den Controversen in Verbindung gebracht wurde, welche nur zu oft auch tüch tige Gelehrte über die Grenzen des Gebietes hinaus ver
lockt haben, welches sie niemals hätten verlassen dürfen. Wir beanspruchen weder Theologen noch Philosophen zu
fein; wir sind ausschließlich Naturforscher und kümmern uns also nur um die naturwissenschaftliche Wahrheit. Im Namen dieser Wahrheit muß ich anerkennen, daß die Na turwissenschaft noch nichts über den Ursprung des Men schen weiß; aber im Namen derselben Wahrheit kann ich behaupten, daß wir weder einen Gorilla noch einen
Orang-Utang noch einen Schimpanse, auch keine Seekuh und keinen Fisch, überhaupt kein Thier irgend welcher Art zum Vorfahren haben" 1 2).
XI.
Die Einheit des Menschengeschlechts. Die Abstammung aller Menschen von Einem Paare ist eine ^unzweideutige Angabe der h. Schrift und zudem die
1) Die Schädelformen S. 90. 2) Histoire de Phomme, Paris 1867, III, p. 50.
144 nothwendige Voraussetzung anderer christlicher Lehrsätze. Im Alten Testamente wird Adam als der Stammvater
des ganzen Menschengeschlechtes, Noe als der Stamm vater aller jetzt
existirendcn Völker bezeichnet *).
Wie
aber die verschiedenen Menschenrassen sich gebildet haben,
darüber gibt die Genesis keine Auskunft.
Die sogenannte
Völkertafel im zehnten Capitel der Genesis verzeichnet
zwar eine Reihe von Völkerschaften, die von Sem, Cham
und Japhet abstammen; aber dieses Verzeichniß macht nicht darauf Anspruch, vollständig zu sein, — es werden
nur diejenigen Völker ausdrücklich erwähnt, von denen die Israeliten zur Zeit der Abfassung der Genesis Kunde
hatten, — und ebenso wenig macht die Eintheilung
in
Semiten, Chamiten und Japhetiden Anspruch darauf, sich mit der in den modernen Darstellungen der Völkerkunde (Ethnologie) üblichen Rasseneintheilung zu decken1 2). Wenn
also die Genesis über die Entstehung der verschiedenen Menschenrassen nichts lehrt, so haben wir als Aussage
der Bibel der Naturwissenschaft gegenüber lediglich den Satz zu vertreten, daß alle Menschen von Einem Paare,
alle jetzt existirendcn Völker von den Söhnen Noc's ab stammen.
Die Frage aber, welche wir in dieser Hinsicht
der Naturwissenschaft vorzulcgen haben, ist so zu fassen:
Bilden die verschiedenen jetzt existirenden Menschenrassen verschiedene Arten oder Species in dem früher (S. 102) besprochenen Sinne, oder nur Spielarten oder Varietäten 1) Gen. 6, 13; 7, 21; 10, 32. 2) Daß
auch in
dem Berichte der Genesis über die
Worte,
welche Noe zu Cham sprach (9, 25), nicht eine biblische Aussage über die Rassenbildung gefunden werden kann, ist Bibel und Natur S. 459 ausführlich nachgewiesen.
145 derselben Art?
Ist ersteres der Fall, so ist die Abstam
mung aller Menschen von Einem Paare unmöglich;
letzteres der Fall,
so ist noch
nicht erwiesen,
Menschen alle wirklich von Einem Paare
ist
daß die
abstammen,
sondern nur, daß sie von Einem Paare abstammcn kön Denn, wie von den Thieren anzunehmen ist, daß
nen.
ursprünglich viele Individuen
derselben Art geschaffen
worden sind (S. 48), so könnte auch,
selbst wenn die
Zugehörigkeit aller Menschen zu Einer Art erwiesen wäre, immer
noch angenommen werden,
daß
mehrere Paare
derselben A.t die Stammeltern der Menschen seien.
Ob
dieses der Fall ist oder ob alle von Einem Paare ab stammcn, das ist keine naturwissenschaftliche Frage mehr.
An die Naturwissenschaft haben wir also nur die Frage zu richten,
ob sie erweisen könne,
daß die Menschen
mehrere Arten bilden; kann sie das nicht, so ist in Be
zug
auf die Frage nach der Einheit
schlechts zwischen
ihr
des Menschenge
und der Bibel kein Widerspruch;
denn dann kann von Seiten der Naturwissenschaft keine Einrede gegen
die Lehre
von
der
Abstammung aller
Menschen von Einem Paare erhoben werden. Wir
dürfen nun schon von vornherein sagen,
die
Bibel stehe mit ihrer Lehre von der Einheit des Men schengeschlechts jedenfalls nicht mit einem gesicherten Er
gebnisse der Naturforschung in Widerspruch. Denn wenn
die Arteinheit des Menschengeschlechts von vielen Natur forschern entschieden bestritten wird, so wird sie von an
deren,
nicht minder bedeutenden Naturforschern ebenso
entschieden anerkannt, z. B. von Humboldt, Johan nes Müller, Armand
Karl Ernst von Baer,
de Quatrefages,
Reusch, bibl. SchbpfungSgesch.'
Lyell,
Flourens,
Huxley, 10
und
146 von den Verfassern der ausführlichsten Werke über diese Frage, I. C. Prichard und Theodor Waitz>), und wenn die Unmöglichkeit der Abstammung des Menschen geschlechtes von Einem Paare von so vielen und so be
deutenden Gelehrten nicht als ein gesichertes Ergebniß der Naturforschung angesehen wird, so ist sie auch für
jetzt wenigstens kein solches. Dafür daß die verschiedenen Menschenrassen einer einzigen Art angehören,
spricht eine Reihe von Erschei
nungen, welche sich in der Thicrwelt nirgend bei ver
schiedenen Arten, sondern nur bei Varietäten derselben Art finden: zunächst die Thatsache, daß Individuen der verschiedenen Rassen eine unbeschränkt fruchtbare Nach
kommenschaft unter einander zu zeugen, vermögen, ferner der gleiche anatomische Bau des Körpers, die gleiche
Grenze der Lebensdauer,
die gleiche Krankheitsfähigkeit,
die gleiche Normaltemperatur des Körpers,
die gleiche
mittlere Pulsfrequenz, die gleiche Dauer der Schwanger
schaft.
Auch
hinsichtlich der Größe findet
sich
keine
wesentliche Verschiedenheit. Die Größe der größten Völkerschaften steht zu der der kleinsten noch kaum in dem Verhältnisse wie drei zu zwei, während sich bei den
Rassen des Hundes selbst das Verhältniß eins zu zwölf,
bei denen des Rindes das Verhältniß eins zu sechs findet. Dazu kommt noch die Gleichheit der geistigen Grund
kräfte und Grundzüge.
Denn so große Verschiedenheiten
wir auch in intellektueller, moralischer und socialer Hin sicht unter den verschiedenen Völkern finden mögen: daß
dieselben geistigen Grundkräfte und Grundzüge das ge1) Bibel und Natur S. 463.
147 meinsame Eigenthum aller sind, unterliegt keinem Zweifel. in den geistigen Anlagen finden
Graduelle Unterschiede
wir unter den Angehörigen Eines Volkes, ja Einer Fa milie ebenso wohl wie unter verschiedenen Volksstämmen; aber bei aller graduellen Verschiedenheit finden wir über
all bei den Menschen die nämlichen geistigen Vermögen,
Verstand, Gedächtniß, Selbstbewußtsein, Gewissen, Sprach
fähigkeit u. s. w., und die Erfahrung lehrt, daß die Ver schiedenheiten, die sich zeigen, durch Gewohnheit und Er äußere Einflüsse bewirkt
ziehung
und überhaupt durch
werden.
Neger, welche unter gleichen äußeren Einflüssen
wie Europäer aufwachscn, bildung erlangen, Völkern
und
aufwachsen,
können dieselbe geistige Aus Europäer,
werden sich
die
unter
über den
wilden
Culturzu
stand ihrer Umgebung nicht erheben.
Neben dieser Gleichheit in vielen wesentlichen Punk ten
finden
rassen
sich freilich bei den verschiedenen Menschen
auch augenfällige Unterschiede, namentlich in der
Farbe der Haut und in dem Bau des Schädels, auch in der Beschaffenheit der Haare und
in der Gestalt
des
Beckens. Wenn man diese Verschiedenheiten berücksichtigt,
ist eine doppelte Annahme möglich: Menschenrassen
haben
so
1. Die verschiedenen
gemeinsame Stammeltern, sei es
Ein Paar, seien es mehrere einander gleiche Paare, und
die Verschiedenheiten hinsichtlich der Farbe, des Schädel baues u. s. w. haben sich erst bei den Nachkommen dieser Stammeltcrn herausgcbildet.
besondere Stammeltern,
2. Jede Menschenrasse hat
welche hinsichtlich der Punkte,
die noch jetzt allen Menschen gemeinsam sind,
einander
gleich, hinsichtlich der Punkte aber, in welchen die Men-
148 schenrassen biffcrtren,
von einander verschieden
waren.
Die vielen Mittelstufen hinsichtlich des Schädelbaues und
der Hautfarbe,
die
sich
bei den
verschiedenen Völker
schaften finden, zeigen uns nach der ersten Annahme den
Weg, wie sich ein großer Theil der Menschheit allmählich von dem ursprünglichen Typus entfernt hat.
Die Neger
würden den Stammeltern, wenn diese Kaukasier gewesen am entferntesten stehen und
sind,
durch die zahlreichen
Mittelstufen mit ihnen verbunden sein, welche mehr oder weniger
von dem reinen kaukasischen
nen Negertypus an sich haben.
und von dem rei
Umgekehrt würden nach
der andern Ansicht die Neger ihren Stammeltern, dem
schwarzen Adam stehen,
und der
schwarzen Eva,
am nächsten
gerade so nahe wie die Kaukasier ihren Stamm
eltern; die Völker aber, welche nicht rein den einen oder
den andern Typus darstellen, wären als ausgeartet oder als Mischlinge anzusehen, bei welchen die ursprünglichen
Verschiedenheiten sich verwischt hätten.
Um nun zu zeigen,
daß die biblische Lehre von der
Einheit des Menschengeschlechts mit der wissenschaftlichen Anthropologie nicht in Widerspruch steht, braucht nicht die
zweite Ansicht als wissenschaftlich unhaltbar, die erste als die allein richtige nachgewiesen zu werden;
es
genügt
vielmehr, wenn sich nachweisen läßt, daß die erste Ansicht
haltbar,
daß die Abstammung
der verschiedenen Rassen
von denselben oder gleichen Eltern möglich und die Ent
stehung der vorhandenen Verschiedenheiten auch ohne die Annahme von verschiedenen
Stammeltern erklärlich ist.
Dieses läßt sich aber nachweisen.
Daß sich eine scharfe Unterscheidung der Rassen gar
nicht durchführen läßt, ergibt sich schon aus der Thatsache,
149 daß die Anthropologen die einzelnen Völker verschieden gruppiren.
Cuvier und Th. Wai tz nehmen drei Rassen
an, Blumcnbach und Burmeister fünf,
und Peschel sieben, Andere noch mehr.
Prichard
Die Malaien,
welche Blumcnbach als eine besondere Rasse ansieht, verbindet Burmeister mit den Kaukasiern, Peschel mit den Mongolen,
und
von
den Amerikanern sagt
Peschel: vergebens werde man auch bei solchen Schrift stellern, welche, wie Blumcnbach und Burmeister, die Amerikaner als besondere Rasse hinstellen, nach Unter
suchen, die sic von den asiatischen
scheidungsmerkmalen
Mongolen trennen würden und allen gemeinsam wären.
Die fünf Rassen,
welche Blumenbach annimmt,
unterscheiden sich am augenfälligsten durch die Hautfarbe: die Kaukasier sind weiß, die Mongolen gelb, die Aethio-
pier schwarz,
die Amerikaner kupfcrroth, die Malaien
Diese Unterscheidung würde
nun eine sehr bemcrkenswerthe sein, wenn diesen fünf Hautfarben auch braun.
fünf verschiedene Formen des Schädels entsprächen. Das
ist aber nicht der Fall.
Blumenbach unterscheidet nur
drei Schädelformcn: die Kaukasier haben
die Mongolen
einen sphärischen
einen ovalen,
oder cubischen,
die
Aethiopier einen elliptischen Schädel; die Amerikaner und
die Malaien stehen hinsichtlich des Schädelbaucs zwischen den Kaukasiern einerseits und den Mongolen und den Aethiopicrn anderseits in der Mitte. Retzius unter scheidet einerseits Langschädel und Rundschädcl (Dolicho-
kephalen und Brachykephalcn) und anderseits gcradkieferige und
schiefkieferige
Nationen.
(orthognathische und prognathische)
Je nach
oder Retzius'
dem
man nun Blumenbachs
Eintheilungsprincip zu
Grunde
legt,
150
kommt eine in mehrfacher Beziehung verschiedene Eintheilung heraus: die germanischen und die slawischen Völker z. B. gehören in Blumenbachs Schädelsystem, wie hinsichtlich der Hautfarbe, zu der nämlichen Gruppe, den Kaukasiern mit ovalem Schädel und weißer Hautfarbe; nach Retzius gehören jene zu den Rundschädeln, diese zu den Langschädeln; umgekehrt zählt Retzius die Neger, die Neuholländer und die Grönländer zu der Gruppe der schiefkieferigen Langschädel, während bei Blumen bach die beiden ersteren Völkerschaften zur äthiopischen Rasse gehören, die dritte zur amerikanischen. In neuester Zeit sind die Messungen und Vergleichungen der Schädel mit großer Sorgfalt und Genauigkeit nach verschiedenen Methoden angestellt worden; sie zeigen große Schwan kungen innerhalb der einzelnen Völkerschaften und machen es sehr unwahrscheinlich, daß man auf Grund der Verschiedenheiten der Schädelbildung eine scharfe Sonderung der Rassen werde durchführen können. Nimmt man bei der Gruppirung der Völker auch auf die Sprache Rücksicht, so ergibt sich wieder die be deutsame Thatsache, daß Völker, welche körperlich sehr stark von einander verschieden sind, wie z. B. die Hindus und die Deutschen, doch Sprachen haben, die zu demselben Sprachstamme gehören, und darum, da von einem Sprachentausch hier nicht die Rede sein kann, stamm verwandt sind. Es ist ferner Thatsache, daß nicht ein einziges Kenn zeichen int strengen Sinne ein Alleingut einer Menschen rasse ist, daß sich vielmehr alle Kennzeichen durch un merkliche Abstufungen verlieren. Wenn man das hellste und das dunkelste Blau neben einander stellt, so erscheinen
151 sie
als contrastirende Farben;
Schattirungen
bringt man aber
in die rechte Reihenfolge,
des Blau
alle
so
verschwindet der Contrast und wird der Uebergang von der hellsten zur dunkelste» Schattirung
ganz unmerklich vermittelter.
ein stufenweise
Ein Deutscher,
gonier, ein Kalmücke und ein Neger sind
aber dazwischen lassen sich so
von einander;
verschieden
viele Mittelstufen
ein Pata-
freilich sehr
aufzeigcn,
daß der Uebergang von
jedem einzelnen Volke zu dem
ihni zunächst stehenden
immer ein nicht sehr schroffer ist.
Das gilt selbst von
den beiden großen Rassen, deren Typen sich am weitesten
von einander äthiopischen.
von der
entfernen,
kaukasischen und der
Bei den südlichen Völkern der kaukasischen
Rasse wird die Hautfarbe braun und selbst so dunkel, daß sie der einzelner Nationen der Negerrasse gleich kommt;
auch hinsichtlich der Färbung der Haare und des Augen
sterns
ist die Aehnlichkeit
unverkennbar.
Die Berbern
im obern Nilthal z. B. haben einen schönen Körperbau, ein ovales Gesicht, eine gekrümmte Nase, wie die Kauka sier; die Lippen sind dick, aber noch nicht wulstig aufge worfen,
wollig, und
die Haare kraus und gelockt,
aber noch nicht
wie bei den Negern; die Farbe ist bronzeartig
steht in der Mitte zwischen der Olivenfarbe der
Acgypter
und
deni
Ebenholzschwarz
Die Nuba in Kordofan
der echten Neger.
schließen sich den Negern noch
näher an: ihre Farbe ist noch nicht so dunkel, aber schon kupferartig'; ihre Gesichtszüge haben schon etwas Neger artiges, aber doch etwas Regelmäßigeres; die Nase ist kleiner als die der Europäer, aber weniger Platt als die
der Neger; die Lippen sind nicht so dick und die Backen knochen nicht so vorspringend; die Haare sind bei Einigen
152 wollig, bei den Meisten aber denen der Europäer
lich, nur stärker und
immer gelockt.
ähn
Einige Beduinen
stämme zwischen dem Nil und dem Rothen Meere sind
dunkelbraun, theilwcise fast schwarz; das Haar ist schwarz
und zwar nicht wollig, aber gelockt, der ganze Körperbau sondern mehr europäisch. — Alle diese
nicht negerartig,
Stämme werden zur kaukasischen Rasse gezählt. äthiopischen Negern
Bei den
wechselt die Intensität der Farbe
sehr nach Völkern und Individuen; eine dunkelschwarze
Haut haben nur sehr wenige.
Plätschnasen, Wurstlippcn
und vorspringende Kiefer sind zwar in der Regel zu finden, aber die Ausnahmen sind nicht selten. Einzelne Stämme
sind tief schwarz, haben aber gar nicht die eigentlichen Ncgerphysiognomieen;
bei anderen,
ganz in der Nähe
wohnenden, sind diese viel mehr ausgeprägt, ist aber die
Farbe viel weniger dunkel.
Das Wollhaar ist die con-
stanteste
der
Eigenthümlichkeit
aber z. B. bei
findet
Negerrasse,
den Fellahs vielfach nicht.
sich
Die Kaffern
haben mit den Negern die dunkle Hautfarbe und die wolligen Haare gemein, in der Physiognomie und in der ganzen Leibesgestalt
Negern und
mit
aber
entfernen sie sich
von den
zeigen sie eine überraschende Aehnlichkeit
den Europäern,
kaukasischen Rasse
obschon
Die Hottentotten haben
sie geographisch von der
entfernt sind
weiter
mit
als
den Negern
die Neger. das wollige
Haar, die Plätschnasen und die aufgeworfenen Lippen gemein,
unterscheiden
sich
aber
durch
die gelbbraune
Farbe, die vorstehenden Backenknochen und die schmalen Augen und nähern sich in dieser Hinsicht und im Schä
delbau
den
Chinesen,
also dem
mongolischen Typus.
„Es gibt vielleicht nicht einen einzigen Stamm,
sagt
153 Prichard'), bei welchem sich alle Kennzeichen, die man
dem Neger zuschreibt, im höchsten Grade finden, gemeinen sind
sie unter
verschiedene Stämme
im all auf alle
Weise vertheilt und in jedem Falle mit mehr oder weni ger Eigenthümlichkeiten,
die dem Europäer
oder
dem
Asiaten angehören, vermengt."
Die zahlreichen Mittelstufen lassen die gemeinsame Abstammung der verschiedenen Rassen glaubhaft erschei nen, so wenig auch Europäer und Neger,
in denen der
Typus ihrer Rasse am schärfsten ausgeprägt ist, einander
ähnlich sein
mögen.
Dazu kommt,
daß das,
was bei
der einen Rasse Regel ist, sich auch bei anderen Rassen
Rothe Haare sind ge
wenigstens als Ausnahme findet.
wöhnlich
nur
in der kaukasischen Rasse, kommen aber
bei einzelnen Individuen in allen Rassen, selbst bei den
Negern, vor.
Auf der andern Seite findet man
auch
unter uns einzelne Menschen, deren Haar dem schwarzen
andere,
wolligen Haare der Neger nahe kommt, Hautfarbe ungewöhnlich dunkel ist,
und
deren
noch mehrere,
deren Gesichtsbildung der der Neger oder Mongolen sich
annähert.
Unter den Negern findet man ovale,
den Europäern elliptische Schädel,
unter
ja man kann sagen,
daß innerhalb einer jeden Rasse Schädel vorkommen, die von der bei dieser Rasse vorherrschenden Form verschie
den sind.
Die Uebergangsformen glauben nun, wie oben er wähnt wurde,
sicht,
die Polygenisten,
die Vertreter der An
daß die verschiedenen Rassen von
1) Naturgeschichte des
Menschengeschlechts,
R. Wagner, 2. Bd. S. 364.
verschiedenen
herausgegeben
von
154 Stammeltern abstammen, durch die Annahme erklären zu müssen,. daß sie sich durch Vermischung der ursprünglich scharf von einander gesonderten Rassen gebildet haben.
Es fragt sich also, ob diese Annahme die einzige zulässige ist und ob nicht die Verschiedenheit der Rassen, sie
so wie
sich jetzt zeigt, in anderen Ursachen eine solche Er-
klärung findet, daß die ursprüngliche Einheit festgehalten
werden kann.
Um
diese Frage zu beantworten,
müssen wir uns
vergegenwärtigen, was die Erfahrung bezüglich der Ver änderlichkeit der Arten und der Entstehung von Varie
täten
und Rassen bei
den anderen organischen Wesen,
insbesondere bei den höheren Thieren lehrt. nun gesehen,
daß
Wir haben
die Veränderlichkeit der Arten aller
dings keine unbegrenzte ist,
daß wir sic uns aber
mit
Rücksicht auf die durch Darwin angestellten und veran
laßten Untersuchungen nicht sehr
enge,
jedenfalls nicht
so enge begrenzt vorzustellcn haben, wie das manche ältere Zoologen thaten.
Es ist ferner beobachtet worden,
daß
die Grenzen der Veränderlichkeit bei einer Art weiter ge
steckt sind als bei der andern, am weitesten bei denjenigen Thieren, welche der ausgedehntesten Verbreitung auf der
Erde fähig sind, so wie daß die Thierarten, Mensch
welche der
unter seine Zucht und Pflege nimmt,
sich viel
bedeutender und mannigfaltiger verändern als die wilden
Thierarten, die ja auch meist auf bestimmte Verbreitungs bezirke beschränkt sind, und daß die Differenzen am größ
ten sind bei den Thieren, welche seit unvordenklicher Zeit zum Hausstande des Menschen
gehören.
Bei Hunden,
Rindern, Schafen und Ziegen, wie bei den Gemüse-und Obstarten,
sind die Varietäten,
in welche sich jede Art
155 aufgelöst hat, viel mannigfaltiger und verschiedenartiger, als dies bei dem Menschen der Fall ist.
die
auffallendste Veränderlichkeit
Wenn wir aber
denjenigen
bei
Arten
von organischen Wesen finden, welche der ausgedehntesten
Verbreitung auf der Erde fähig sind, dem Menschen
sehr weite Grenzen
so dürfen wir bei
der Veränderlichkeit
annehmen; denn es gibt kaum ein Land auf der Erde, welches nicht von Menschen bewohnt oder wenigstens be sucht werden könnte.
„Es ist unleugbar, sagt Waitz'),
daß dieselben Menschenstämmc
successiv in sehr verschie
denen Klimaten
und zum Theil
gelebt haben,
leben können
wirklich
bei weitem die meisten Thiere nicht, daß
ferner die ganze Lebensweise lind die sämmtlichen äußeren Verhältnisse, denen derselbe Mcnschenstamm unterworfen ist,
sich in
der durchgreifendsten Weise
ändern können
und oft wirklich ändern, die der Thiere nicht,
lich
daß end
derselbe Menschenstamm weit verschiedene Stufen
geistiger Cultur durchlaufen kann und wirklich durchläuft,
die Thiere nicht.
Ist demnach
dem Menschen in Bezug
mung
welcher
ein viel weiterer als der den Thieren zuge-
gönnt ist, wicsene,
der Spielraum,
auf alle diese Verhältnisse ge
so wird man keinen Mangel an Uebereinstim
mit
den
sonst
herrschenden Naturgesetzen darin
finden können, wenn auch der Variabilität seiner äußern
Bildung minder enge Grenzen gezogen sind als der der Thiere." Allerdings
müssen wir uns
die Verbreitung
der
Menschen von dem Einen Ausgangspunkte aus über die
verschiedenen Länder
der Erde
1) Anthropologie I, 215.
als eine allmählich und
156 schrittweise erfolgende denken, so daß die klimatischen Ver
hältnisse sich nicht auf einmal erheblich änderten. Unter dieser Voraussetzung war aber die Akklimatisation möglich.
„Erfolgen die Uebergänge zu anderen Klimaten stufen weise und in größeren Zwischenräumen, sagt Peschel^), so herrscht kein Zweifel, daß derselbe Menschenschlag jede
Zone der Erde bevölkern kann. Denn Nieniand bestreitet, daß der Hindu hoher Rasse, sei cs in Bengalen, sei es in Madras oder im Sind oder an irgend einer heißen
Stelle seiner Heimath, arischer Abkunft sei wie die alt nordischen Bewohner Islands, und daß die unbekannten Urvorfahren beider eine gemeinsame Heimath bewohnt
haben müssen.
Alle Völkerkundigen sind darüber einig,
daß die Eingeborenen Amerika's,
höchstens mit Aus
nahme der Eskimo, eine einzige Rasse bilden, und dieser einzigen Rasse gelang cs, sich vom nördlichen Polarkreis bis zum Aequator und wiederum bis über den 50. Breite grad
allen
Wittcrungsverhältnissen
anzupassen.
Die
Chinesen treffen wir an der sibirischen Grenze, wo das Thermometer im Winter bis
unter Null sinkt,
auf
40 Grad Rcaumur
und zugleich auf der Insel Singapur,
die fast vom Aequator berührt wird." Bei dieser allmählichen Verbreitung der Menschen
über die Erde müssen sich
dann die Verschiedenheiten
zwischen den einzelnen Rassen
und Völkerschaften unter
der Einwirkung von allerlei äußeren Verhältnissen ge bildet haben. Das Klima und die Sonne üben noch
jetzt auf die Hautfarbe einen gewissen Einfluß.
Einzelne
Körpcrstcllen sind auch bei den weißen Menschen gefärbt, 1) Völkerkunde S. 21.
157 und die Sommerflecken,
Muttermale und Bräunungen
an anderen Körperstellen verhalten sich ganz so wie die
ja man hat Fälle constatirt,
Negerhaut;
ganze Haut,
bei Europäern die
übergehend, ganz dunkel färbt.
und man kann
als möglich vorstellen,
wohl
vor
Es ist also eine Anlage
zu einer dunklcrn Färbung vorhanden,
cs sich also
daß sich auch
wenn auch nur
daß in der
Jugendzeit des Menschengeschlechts unter der Einwirkung der klimatischeil Verhältnisse
diese Anlage bei den jetzt
nicht weißen Nationen sich entwickelt hat und bleibend geworden ist. Auch auf den Schädelbau und die Gesichtsbildung
üben klimatische und sonstige örtliche Verhältnisse,
und
noch mehr die Nahrung, die Lebensweise und die geistige Entwicklung einen bedeutenden Einfluß.
Eine Reihe von
daß Volksstämme,
Beobachtungen scheint zu
beweisen,
die an den Gestaden
in Ebenen wohnen,
oder
Bergbewohner dagegen hohe
welche im 17. Jahrhundert
Bei Irländern,
an die
Heimath
flachere,
gewölbte Schädel
haben.
aus ihrer
Sceküste getrieben wurden und dort
unter außerordentlich elenden Verhältnissen gelebt haben,
finden
sich eine ungewöhnlich kleine Statur, abstoßende hervorstehende Kiefer,
Gesichtszüge,
und
hohe
Backenknochen.
eingedrückte Nasen
Dieselben Merkmale finden
sich bei anderen Völkerschaften, welche unter küminerlichen und uncultivirten Verhältnissen leben, wie bei den Busch männern und Feuerland.
den Ureinwohnern von Ncuholland und
Von
den
tatarischen
Stämmen,
die von
Baer besucht hat, haben einige breite Gesichter, abstehende Jochbogen und wenig
schmale,
vortretende breite Nasen,
oft lange Gesichter
andere
mit stark hervortretenden,
158 nicht selten gekrümmten Nasen.
Den Grund dieser Er
scheinung findet von Baer in der verschiedenen Lebens art: die zuletzt erwähnten tatarischen Stämme sind an leben in ordentlichen Häusern,
sässig,
treiben neben der
Viehzucht Feld- und Gartenbau, und nähren sich außer
von Fleisch auch von Weizen und Reis; die anderen sind
Nomaden, leben in unreinlichen Kibitken und haben nur animalische Kost.
Man hat ferner beobachtet, daß bei Menschen, wie
bei Thieren, welche
besondere körperliche Eigenthümlichkeiten,
durch irgendwelche Ursache entstanden sind,
erblich und namentlich dann bleibend werden,
oft wenn sich
mehrere Generationen hindurch nur Individuen, welche solche Eigenthümlichkeiten besitzen, mit einander geschlecht lich verbinden und wenn
die äußeren Verhältnisse der
Erhaltung dieser Eigenthümlichkeiten günstig sind. Diese Beobachtungen zeigen,
Rassen
gebildet
haben können.
wie
sich verschiedene
Jetzt
sind freilich die
Menschenrassen im Wesentlichen constant,
und die Ver
änderungen, die jetzt noch entstehen und unter dem Ein
flüsse des Klima's, der Lebensweise und anderer äußerer Verhältnisse
bleibend
werden,
sind nicht so bedeutend,
wie die Veränderungen, durch welche sich die Rassen ge bildet haben.
Aber auch in der Thierwelt hat man be
obachtet, daß sich vor Alters die Variationen, deren eine Art
fähig war, gebildet, daß sie sich dann fortgepflanzt haben und
constant geblieben sind
und daß die Bildung be
deutender Verschiedenheiten aufgehört hat, nachdem sie
bis an die natürlichen Grenzen fortgeschritten war. Dem gemäß ist es, wie von Baer sagt, „gar nicht widersinnig
anzunehmen, daß in der ersten Reihe der Generationen
159 der Typus
ein veränderlicherer war,
den Einwirkungen
von
wurde".
der
äußern
also
auch stärker
Natur
beeinflußt
So würden wir also für die Urzeit des Men
schengeschlechts
Diffcrenzirungsproceß
einen
annehmen
dürfen,
von welchem die Aenderungen des menschlichen
Typus,
die wir jetzt noch durch den Eintritt in andere
klimatische und sonstige Verhältnisse bewirkt sehen,
nur
noch Nachklänge wären. Diese Erörterungen
beweisen nicht,
daß
die Ent
stehung der verschiedenen Menschenrassen aus einer ein zigen Urrasse aus physiologischen Gründen angenommen werden müsse, sondern nur, daß sie physiologisch erklärt
und also als möglich bezeichnet werden kann. aber für unsern Zweck genügend;
Das ist
denn wir dürfen jetzt
sagen: die biblische Lehre von der Einheit des Menschen geschlechts steht nicht in Widerspruch mit einem gesicher
ten Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen; viel
mehr
sprechen
Menschenrassen mischung
viele wichtige Uebereinstimmungen aller
sowie
die unbeschränkt
fruchtbare Ver
derselben entschieden für die Art - Einheit des
Menschengeschlechts,
und die Verschiedenheiten beweisen
nicht die Ursprünglichkeit der Rassen. „Es gibt, sagt von Baer, keinen Grund, anzunehmen, daß die verschiedenen
Völker ursprünglich aus der Hand der Natur verschieden hervorgegangen sind.
nehmen,
Man hat vielmehr Grund,
daß sie verschieden geworden sind
verschiedenen Einflüsse des Klima's,
anzu
durch die
der Nahrung,
der
socialen Zustände" •).
Die bisher vorgetragenen Erörterungen lassen aber
1) Studien aus dem Gebiete der Naturwissenschaften, 1876, S. 35.
160 noch
die Möglichkeit bestehen,
mehreren im
stammen.
daß alle Menschen von
Wesentlichen gleichen Stammpaaren ab
Der biblischen Lehre von der Abstammung der
Menschen von einem einzigen Paare gegenüber hat man
nun zunächst auf die Schwierigkeit der Bevölkerung der ganzen Erde von einem einzigen Mittelpunkte aus hin
gewiesen. Aber selbst solche Gelehrte, welche wie Waitz und Giebel die Verbreitung der Menschen von Ei nem Mittelpunkte aus thatsächlich nicht annehmen, erken
nen die Möglichkeit
derselben ausdrücklich
Schwierigkeiten sind in dieser Hinsicht
an1).
Die
nirgends größer
als in der Südsee, und doch läßt die große Uebereinstim mung,
welche in Sprache,
Sitte, Sage und Religion
in Polynesien von den Sandwich-Inseln bis nach Neu seeland hin herrscht, die Annahme einer verschiedenen Abstammung der auf diesen Inseln wohnenden Völker nicht zu. Nach Amerika können die Menschen zunächst
im Norden über die Beringstraße und die Inselkette der Aleutcn gekommen sein,
ferner von Südasien her über
die Inselgruppen des stillen Oceans; denn wenn diese
auch Hunderte von Seemeilen von Südamerika entfernt
sind, so fehlt es gar nicht an Beispielen, auch aus der neuern Zeit,
daß Schiffe so weit verschlagen wurden.
Auch von Europa her können in alter Zeit Einwanderer
nach Amerika gekommen sein, wie nachweislich im zehnten Jahrhundert Normannen über Island
nach der Ostküste Amerika's läßt sich,
wie gesagt,
Einem Mittelpunkte
und
gelangt sind.
Grönland
Jedenfalls
eine Bevölkerung der Erde von
aus nicht als unmöglich erweisen.
1)' $gl. Bibel und Natur S. 499.
161 Ferner hat man es als unmöglich bezeichnet, daß
die Nachkommen eines einzigen Menschenpaarcs in einer verhältnißmäßig so kurzen Zeit,
wie nach den Angaben
so zahlreich
der Bibel seit der Sündfluth verflossen sei,
geworden seien, wie sie jetzt sind.
Dieser Einwendung
gegenüber kann darauf hingewiesen werden, alten Zeit
eine
daß in der
raschere und ungestörtere Vermehrung
der Bevölkerung stattgefunden haben kann, als sie jetzt im
allgemeinen stattfindet, wie
denn auch in den letzten
Jahrhunderten nachweislich unter günstigen Verhältnissen
in wenig bevölkerten Länden: eine stärkere, in einzelnen
eine
Fällen
stattgefunden
außerordentlich
ganz hat').
Wir werden
folgenden Capitel sehen,
starke aber
daß die Zeit,
Vermehrung
in
einem der
welche
seit dem
Beginne der Verbreitung der Menschen über die Erde verflossen ist, länger angesetzt werden darf,
als gewöhn
der chronologischen Angaben des Alten
lich auf Grund
Testamentes geschieht.
Endlich hat man
aus einigen Sätzen des vierten
Capitels der Genesis schließen wollen, daß Moses selbst — im
Widerspruch mit seinen sonstigen Angaben (s. o.
144) —
S.
die Existenz
von
Menschen,
die
nicht
von Adam und Eva abstammen, voraussetze:
er berichte
der Brudermörder Kain habe zu
einer Zeit,
nämlich, wo
außer ihm keine anderen Nachkommen Adams und
Eva's existirten, tödtet zu werden,
gefürchtet,
von anderen Menschen ge-
er habe ein Weib
gehabt und eine
Stadt gebaut. Zur Beseitigung dieses Mißverständnisses
genügen folgende Bemerkungen«). 1) Bibel und Natur S. 502.
2) Vgl. Bibel und Natur S. 504. Reusch, bibl. Schöpfunqsgesch.
Die Genesis
theilt
162 aus der Geschichte der Urzeit nur einzelne fragmentarische
Notizen mit, und es finden sich darum Thatsachen un
mittelbar an einander gereiht,
welche chronologisch weit
Wenn unmittelbar nach dem Be
aus einander liegen.
richte über die Ermordung des Abel und die Flucht des
Kain erzählt wird, diesem sei ein Sohn geboren worden und er habe eine Stadt gebaut und dieselbe nach dem Namen seines Sohnes Henoch genannt, so werden die Zeit des Brudermordes und der Flucht Kains und die
Zeit des Baues der ersten „Stadt", — wobei übrigens nicht an die Erbauung einer vollständigen Stadt im jetzigen
Sinne, sondern an die Begründung eines festen Wohn orts, der sich allmählich zu einer Stadt erweiterte, zu
denken sein wird, — gar nicht angegeben und können weit aus einander liegen. Das Weib Kains aber ist entweder eine mit ihm in die Verbannung gezogene Tochter Adams, — denn daß dieser damals außer Kain keine Kinder ge habt, sagt die Genesis nicht, — oder eine erst später ge
borene Schwester oder eine Bruderstochter; denn daß eine solche Geschwisterehe in der ersten Zeit unvermeid
lich war,
wenn die Menschheit von Einem Paare ab
stammen sollte,
hat
Wenn endlich Kain,
schon Augustinus hervorgehoben. da er aus dem Lande Eden flieht,
die Befürchtung äußert: „Jeder der mich findet,
wird
mich tödten",
so darf daraus
daß er auch
andere Gegenden für bewohnt gehalten
habe.
nicht geschlossen werden,
Er scheint vielmehr auf die Blutrache anzuspielen,
welche er fürchtet, weitern werde.
wenn seines Vaters Familie sich er
Fürchtet er aber außerhalb Edens als
der Brudermörder erkannt zu werden,
aus,
so setzt das vor
daß es nur Eine Menschenfamilie, die Familie
163 Adams,
und keine außer Verbindung mit ihr stehende
andere gab.
XII. Der Urzustand der Mensche«. Was die Bibel über den Zustand lehrt, in welchem
sich die ersten Menschen bis zu ihrer Versündigung gegen Gott befanden, und über die Folgen dieser Versündigung für sie und
ihre Nachkommen,
das kommt zum aller
größten Theile bei einer Vergleichung der Aussagen der Bibel mit den Ergebnissen
der Naturforschung darum
nicht in Betracht, weil es
sich dabei hauptsächlich um
solche Dinge handelt, welche nicht Gegenstand der Natur forschung sein
können.
Daß
die
ersten Menschen des
göttlichen Wohlgefallens theilhaftig waren, daß ihr Wille
mit
dem göttlichen Willen
vollständig übereinstimmte,
und daß sie durch Gottes Güte sich auch in einem äußer lich glücklichen Zustande
befanden,
vor dem leiblichen
Tode und anderen Uebeln geschützt waren, daß sie durch
die Uebertretung des
göttlichen Gebotes das Wohlge fallen Gottes verloren, daß die böse Begierde in ihnen
erwachte, welche sie fortan zur Sünde reizte, daß sie nunmehr dem leiblichen Tode und anderen irdischen Uebeln unterworfen wurden, daß endlich dieser verschlech
terte, sündhafte Zustand auf alle ihre Nachkommen über ging: das sind Sätze, welche der Naturforscher als solcher ebenso wenig bestreiten als bestätigen kann, deren Erörterung also nicht zu meiner Aufgabe gehört.
163 Adams,
und keine außer Verbindung mit ihr stehende
andere gab.
XII. Der Urzustand der Mensche«. Was die Bibel über den Zustand lehrt, in welchem
sich die ersten Menschen bis zu ihrer Versündigung gegen Gott befanden, und über die Folgen dieser Versündigung für sie und
ihre Nachkommen,
das kommt zum aller
größten Theile bei einer Vergleichung der Aussagen der Bibel mit den Ergebnissen
der Naturforschung darum
nicht in Betracht, weil es
sich dabei hauptsächlich um
solche Dinge handelt, welche nicht Gegenstand der Natur forschung sein
können.
Daß
die
ersten Menschen des
göttlichen Wohlgefallens theilhaftig waren, daß ihr Wille
mit
dem göttlichen Willen
vollständig übereinstimmte,
und daß sie durch Gottes Güte sich auch in einem äußer lich glücklichen Zustande
befanden,
vor dem leiblichen
Tode und anderen Uebeln geschützt waren, daß sie durch
die Uebertretung des
göttlichen Gebotes das Wohlge fallen Gottes verloren, daß die böse Begierde in ihnen
erwachte, welche sie fortan zur Sünde reizte, daß sie nunmehr dem leiblichen Tode und anderen irdischen Uebeln unterworfen wurden, daß endlich dieser verschlech
terte, sündhafte Zustand auf alle ihre Nachkommen über ging: das sind Sätze, welche der Naturforscher als solcher ebenso wenig bestreiten als bestätigen kann, deren Erörterung also nicht zu meiner Aufgabe gehört.
164 Eine kurze Besprechung erheischt aber die jetzt sehr verbreitete
und angeblich auf
forschung in
die Geschichte der Menschheit
der Natur
Ergebnisse
der weitesten Bedeutung habe
gestützte Ansicht,
mit einem Zustande
der Rohheit, ähnlich wie wir ihn jetzt bei den sogenann ten wilden Völkern finden, begonnen,
und die an diese
Ansicht sich anschließende Behauptung, „die naturwissen schaftlichen Spuren früherer Menschheit" ständen inso
fern in Widerspruch mit der biblischen Darstellung, nach
dieser die von Gott geschaffenen
jedenfalls leiblich
und
als
ersten Menschen
geistig vollkommener waren als
die heutigen Wilden.
Die eigentliche Grundlage der fraglichen Ansicht ist die andere Ansicht,
daß die Menschen nicht
von Gott
geschaffen, sondern durch natürliche Entwicklung aus den höheren
Thieren,
speciell den Affen
entstanden
seien.
Wäre diese sogenannte Pithekoidcn-Theorie richtig,
so
würde es sich ja allerdings von selbst verstehen, daß das erste Glied in der Entwicklungsreihe, dem man den Namen „Mensch" beilegen könnte, dem ihm unmittelbar vorher
gehenden Gliede, dem letzten,
welches noch als Affe zu
bezeichnen wäre, sehr nahe gestanden, so nahe, daß kaum
ein Unterschied zwischen beiden nachzuweisen wäre.
So
fern aber die Ansicht, daß die Geschichte der Menschheit mit einem Zustande der denkbar größten Rohheit begonnen,
eine natürliche,
koiden-Theorie
ja unabweisliche Conscqucnz der Pithe-
ist,
braucht sie hier nicht
erörtert
zu
werden, da wir diese Theorie selbst als wissenschaftlich
nicht begründet erkannt haben
1) S. o. S. 133.
165 Eine
besondere Besprechung
„naturwissenschaftlichen
verdienen
aber
die
früherer Menschheit",
Spuren
auf welche man sich zur Begründung jener Ansicht beruft.
Bei der Erforschung der ältesten Perioden der mensch lichen Geschichte werden mit Recht außer den schriftlichen
Berichten auch die in
den Erdschichten oder
auf der
Oberfläche der Erde sich findenden Werke von Menschen
hand, Gräber, alte Denkmäler und Bauten, Geräthschaften, ja auch Ueberbleibsel von Menschen und von Thieren,
mit
denen sie in Berührung
gekommen,
berücksichtigt.
Die Erforschung der ältesten Geschichte, so weit sie nicht
auf schriftliche Quellen, sondern auf naturwissenschaftliche, speciell geologische, und auf archäologische Untersuchun
gen der bezeichneten Art sich stützt,
in unseren Tagen Wissenschaft,
entwickelt sich eben
mehr und mehr zu
einer besondern
die man als Urgeschichte oder auch als
historische Anthropologie, archäologische Geologie, mensch
liche Paläontologie oder vorhistorische Archäologie bezeich net, und ist gegenwärtig einer der Licblingsgegenstände,
mit welchem sich wirkliche und dilettirende Naturforscher
und Altcrthumsforscher beschäftigen'). Was das Verhältniß der Ergebnisse dieser urgeschicht
lichen Forschungen Urzustand
zu dem biblischem Berichte über den
des Menschen betrifft,
so ist zunächst daran
zu erinnern, daß, wenn wirklich die ältesten menschlichen
Ueberreste,
die man in verschiedenen Ländern gefunden,
— menschliche Schädel und andere Gebeine, Werkzeuge,
Waffen
u. s. w., — auf
Menschen
Hinweisen,
eine
tiefe Bildungsstufe der
von denen sie herrühren,
1) Bibel und Natur S. 519.
daraus
Zu dem Folgenden vgl. S. 455.
166 für den Zustand der ersten Menschen gar nichts folgt.
Wenn die Thatsache, daß es noch jetzt wilde Völker gibt, nicht ausschließt, daß es lange vor ihnen in anderen Län dern civilisirte Menschen gegeben hat, so widerspricht die
Existenz von weniger fortgeschrittenen Völkerschaften in den Ländern, in welchen man Spuren derselben gefunden hat, ebenso wenig der Annahme, daß gleichzeitig mit
ihnen in anderen Ländern Völker mit einer höhern Cul
tur existirten und daß auch die Vorfahren jener Völker schaften in den Ländern, in welchen sie ansässig waren, auf einer höhern Culturstufe gestanden haben, welche ihre
Nachkommen nach der Auswanderung aus der Heimath und in der Jsolirung von den Culturvölkcrn nicht zu be haupten vermochten.
Die Darstellung der menschlichen Culturentwicklung, wie sie sich bei manchen neueren Anthropologen findet,
beruht auf einer ebenso willkürlichen Construction wie die Darstellung der Entwicklungsgeschichte der Thiere bei
den Vertretern der Darwinschen Theorie.
Diese brin
gen die Thierarten, welche jetzt existiren und früher cxistirt haben, in eine Ordnung,
bei welcher mit den unvoll
kommensten Formen begonnen und zu immer vollkomme
neren fortgeschritten wird, und behaupten dann, die un vollkommeneren Formen seien auch der Zeit nach die früheren gewesen und die vollkommeneren hätten sich aus ihnen entwickelt, so daß das natürliche zoologische System
zugleich die Entwicklungsgeschichte des Thierreichs
stelle.
dar
Gerade so ordnen die fraglichen Anthropologen die
verschiedenen menschlichen Culturstufen, einzelnen Völkern in
die wir bei den
der Gegenwart und in der Ver
gangenheit nachweisen können, in eine Reihe, welche mit
167 den rohesten Wilden beginnt und
in der europäischen
Civilisation gipfelt, und behaupten dann, diese künstlich
stelle
die geschichtliche
Aufeinanderfolge der Culturstufcn dar,
die in der syste
gemachte systematische
Ordnung
matischen Ordnung zuerst stehende
unvollkommenste sei
also auch der Zeit nach die erste gewesen.
Die eine Con-
struction ist so willkürlich wie die andere; bei beiden wird
eben das,
was zu beweisen war, als bewiesen oder fest
stehend vorausgesetzt. Es läßt sich freilich im allgemeinen ein Fortschritt der menschlichen Cultur geschichtlich nachweisen;
vielen einzelnen Fällen
aber in
haben auch Rückschritte stattgc-
funden, wie, nm nur Ein Beispiel anzuführen, eine Ver gleichung der Aegypter unter den Pharaonen und den Ptolemäern mit ihren späteren Nachkommen zeigt.
mentlich
sind vielfach
Volksstämme,
Culturwelt abgeschlossen waren,
herabgesunken,
bis
und wenn einmal
welche von
Na
der
zur Verwilderung
ein Zustand der Un
kultur sich bei einem Volksstamme festgesetzt hat, wie bei den jetzigen sogenannten Wilden,
so
findet eine Ent
wicklung zu einer Hähern Civilisation in der Regel nicht selbständig statt,
von außen,
sondern nur in Folge eines Anstoßes
in Folge der Berührung mit höher civili-
sirten Völkern. Jene Theorie der ganzen
von einer allmählichen Entwicklung
Menschheit
aus
ursprünglicher Rohheit
steht in Widerspruch mit der Geschichte: diese zeigt uns
bald
ein Herabsinken,
Theile der Menschheit;
wir jederzeit,
bald
ein Fortschreiten einzelner
aber irgendwelche Völker treffen
soweit geschichtliche Erinnerungen reichen,
als Träger einer Cultur, die über dem Niveau der Heu-
168 tigen Wilden
ttrir, wenn
steht.
Ueber die
allerälteste Zeit haben
biblischen Berichten absehen,
wir von den
keine eigentlich geschichtlichen Nachrichten; die Sagen der Völker dienen
den biblischen Berichten insofern zur Be
stätigung als, wie Deli.tzsch es ausdrückt, Zeit der äußerste Saum
eine goldene
aller Völkergeschichten ist, und
von dem Ergebnisse der neueren sogenannten urgeschicht
lichen Forschungen kann schon darum nicht gesagt wer den,
sie ständen mit den biblischen Berichten in Wider
spruch,
weil durch diese Forschungen höchstens über den
ältesten Bildungsstand
der Bevölkerung
solcher Länder
Licht verbreitet wird, welche nicht der Wohnsitz der ersten
Menschen gewesen sind. Aber auch das,
was bezüglich
des ältesten Cultur
zustandes der Bevölkerung dieser Länder in manchen mo dernen Darstellungen der Urgeschichte vorgetragen wird,
beruht
großentheils
mehr
auf
willkürlichen
Voraus
setzungen und Phantasieen als auf zuverlässigen Schlüssen aus den Ueberbleibseln aus uralter Zeit, welche man ge funden und untersucht hat. Was zunächst die menschlichen Schädel betrifft, welchen
man das höchste Alter zuschreiben zu dürfen glaubt, so
hat sich, wie ich bereits erwähnt habe (S. 135), die Be
hauptung, dieselben zeigten „eine sehr thierische Bildung" oder sie „trügen die Merkmale einer niedern Organisation
an sich, die zum Theil noch tiefer stehe als heutigen Wilden",
als
durchaus unbegründet
die
der
heraus
gestellt: gerade die ältesten Schädel tragen, wie Virchow erklärt, keineswegs die Merkmale niederer Rassen an sich. Am meisten besprochen und nach der Ansicht Vieler die
ältesten Menschenschädel, die man überhaupt kennt, sind
169 ein zu Engis an der Maas und
ein im Ncanderthal
zwischen Düsseldorf und Elberfeld gefundener Schädel. Von dem erstem sagt eine ganze Reihe von Anatomen,
er biete gaic keine Verhältnisse, die nicht anch heutzutage
noch vorkämen.
Der letztere, welcher übrigens nur theil-
weise erhalten ist, zeigt allerdings auffallende Eigenthüm lichkeiten; aber diese würden höchstens die Existenz eines einzelnen Menschen beweisen, dessen Schädel in etwas dem Affentypus sich annäherte, und die angesehensten Forscher, welche ihn untersucht haben, erklären, er sei unzweifelhaft
ein pathologischer (krankhaft gebildeter) Schädel, der bei der Frage über die Schüdelbildung der ältesten Menschen überhaupt nicht in Betracht kommen könne *). Welcher von
den beiden Schädeln der ältere ist, läßt sich nicht aus machen.
Es ist also eine Willkür, wenn man dcnNean-
derthaler Schädel darum, weil er eine viel tiefer stehende Organisation verrathe, für den ältern erklärt, und noch willkürlicher, wenn man diesen einzelnen, — wie gesagt, unvollständig erhaltenen und allem Anscheine nach krank haft gebildeten, — Schädel als einen Typus der ältesten Schädelbildung überhaupt ansicht1 2).3 Aehnlich verhält es sich mit manchen anderen urge schichtlichen Funden. Eine Zeit lang war es Mode, mit
Rücksicht auf die Geräthschaften aus Stein, Bronze und Eisen, welche man in alten Ablagerungen, Gräbern u. s. w.
in Mittel- und Nord-Europa fand, von einer Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit als von drei auf einander fol
genden Perioden der Urgeschichte zu sprechen^). 1) Bibel und Natur S. 434. 2) Bibel und Natur S. 582.
3) Bgl. Bibel und Natur S. 542.
Jetzt ist
170 erwiesen, daß die Bronze- und die Eisenzeit überhaupt
nicht, und speciell nicht für Mittel- und Nord-Europa als zwei auf einander folgende Perioden unterschieden werden können, daß sich der Gebrauch der Metalle in Mittel- und Nord-Europa bis einige Jahrhunderte vor
Christus hinauf verfolgen läßt, daß aber auch in der Zeit, als man schon die Metalle kannte,
noch Geräthe
aus Stein, Horn, Knochen u. dgl. gebraucht wurden.
Allerdings hat cs eine Zeit gegeben, in welcher bei einem Theile der Bevölkerung von Mittel- und Nord-Europa
und auch wohl bei anderen Völkerschaften nur solche Geräthe in Gebrauch und die Metalle unbekannt waren,
also eine Zeit, die man als die Steinzeit oder besser als die vormetallische Periode dieser Völkerschaften bezeichnen kann; aber zu derselben Zeit waren ohne Zweifel andere Völker schon mit dem Gebrauche der Metalle bekannt,
und wenn einzelne Völkerschaften noch in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten die Metalle nicht zu bear
beiten wußten, und einzelne wilde Völkerschaften diese noch heute nicht kennen, so beweist das nichts gegen die Richtigkeit der Angabe der Genesis (4, 22), daß schon in der vorsündfluthlichen Zeit Tubalkain „allerlei Werk
zeuge von Erz und Eisen hämmerte". Durch die sogenannten urgeschichtlichen Forschungen
ist allerdings manches ermittelt worden, was uns den Culturzustand der Völkerschaften anschaulich macht, welche
in alter Zeit Mittel- und Nord-Europa bewohnten. Aus den Ueberbleibseln, welche sich in den Pfahlbauten und in den Knochenhöhlen finden, läßt sich ersehen, wovon sie sich ernährt haben, welche Werkzeuge sie anfertigten und
gebrauchten.
Aber bei den Darstellungen der Culturge-
171 schichte dieser sogenannten vorhistorischen Zeit, wie sie namentlich in populären Schriften und Aufsätzen gegeben werden, werden manche Mißgriffe begangen').
Nur zu
oft zieht man hier aus sehr unsicheren Prämissen sehr bestimmte Folgerungen und baut auf ganz vereinzelte
Beobachtungen allgemeine Schilderungen. Weil man hie und da in Grübern Schädel von länglicher Form und
bronzene Schwerter mit kleinen Griffen gefunden, sagt man z. B. wohl, das Volk, welches in der Bronzezeit
hier gewohnt, gehöre einer langschädcligen Rasse an, habe kleine Hände gehabt und sei deshalb auch von kleinerm
Wüchse gewesen.
Solche Verallgemeinerungen werden
dann natürlich bald wieder als willkürlich ■ erkannt, —
bei wciterm Suchen finden sich auch kurze Schädel und größere Schwcrtgriffe.
Ein anderer Fehler, der bei diesen Darstellungen vielfach begangen wird, besteht darin, daß man das, was Reisende von den jetzigen sogenannten wilden Völkern berichten, ohne weiteres auf die sogenannten vorgeschicht
lichen Völker überträgt.
Es ist ja nicht zu bezweifeln,
daß auf den niedrigeren Stufen der Civilisation die alten
Völker in mancher Beziehung mit den jetzigen uncivilisirten Völkern Achnlichkeit gehabt haben: sie haben sich, wie diese, Werkzeuge von Stein, Horn, Holz u. s. w. ge
macht, von Jagd und Fischfang gelebt u. s. w.
So kann
also die Berücksichtigung der Zustände der jetzigen wilden Volksstämme
vielfach dazu dienen, uns über einzelne
Seiten in dem Leben der alten Bewohner Mittel- und Nord-Europa's zu orientiren; wir können danach z. B. 1) Bibel und Natur S. 581.
172 vermuthen, wozu gewisse Werkzeuge gebraucht, wie sie an
gefertigt und gehandhabt wurden u. dgl.
Aber ohne solche
Anhaltspunkte das, was sich jetzt bei den Wilden findet, auf jene sogenannten vorgeschichtlichen Völker zu übertragen, ist
willkürlich, und doch findet man vielfach in Darstellungen
der sogenannten Urgeschichte auch Angaben über die reli
giösen Anschauungen, die Sitten und socialen Einrich tungen der Steinzeit, Bronzezeit u. s. tu., deren Grund lagen
lediglich die Berichte von Reisenden
Fidschi-Insulaner oder Hottentotten sind.
über die
Denn aus den
Stcinwerkzeugen und Thierknochen läßt sich doch dergleichen nicht herauslescn. Noch verkehrter ist es, wie ich schon hervorgchoben
habe, wenn man eine Stufenfolge der jetzigen wilden
Völker macht, mit den rohesten beginnend und bis zu den cultivirtesten fortschreitend, und nun diese Stufenfolge
so in die Urgeschichte überträgt, daß man die rohesten Völker als den Typus der ältesten Menschen darstellt,
die etwas cultivirteren als den Typus einer spätern Ent wicklungsstufe u. s. tu.
Ein solches Verfahren kann nicht
mehr wissenschaftlich genannt werden.
Man sieht auch
aus solchen Darstellungen, daß die Urgeschichte noch eine
sehr junge Wissenschaft ist.
So wie die Forschung fort
schreitet, wird man über solche jugendliche Versuche hin auskommen, mehr Kritik üben und sich einer größern Nüchternheit und Zurückhaltung befleißigen. Was immer aber auch durch die urgeschichtlichen
Forschungen über den ältesten Culturzustand oder die in ältester Zeit herrschende Culturlosigkeit der Bevölkerung
bestimmter Länder ermittelt werden mag,
man wird,
wie gesagt, nicht berechtigt sein, diese Ergebnisse zn ver-
173 allgemeinern und auf Grund derselben zu behaupten, die Geschichte der Menschheit überhaupt habe mit einem Zu stande einer dem thierischen sich annähernden Rohheit
begonnen.
Eine specielle Angabe der Bibel über die älteste Pe riode der menschlichen Geschichte verdient noch besonders
besprochen zu werdens. Den in den Stammtafeln des fünften und des elften Capitels der Genesis genannten Männern wird ein viel höheres Alter zugeschriebcn, als die Menschen erfahrungsmäßig jetzt erreichen und nach
den Gesetzen der Physiologie erreichen können.
Methu-
sala soll 969 und noch mehrere Andere sollen über 900
Jahre alt geworden sein, also ungefähr das Zehnfache
der jetzigen Lebensdauer erreicht haben. Man kann nun bezüglich dieser unglaublich klingen den Angabe allerdings sagen: Wenn der Mensch unter den
Verhältnissen, wie sie jetzt sind, ein so hohes Alter nicht
erreicheri kann, so darf darum noch nicht behauptet werden,
daß es nicht.Verhältnisse habe geben können, unter welchen die Menschen ein viel höheres Alter erreichen konnten als jetzt, und daß nicht nach Gottes Plan die Menschen
in der Urzeit wirklich unter äußeren und inneren Ver hältnissen gelebt haben, welche ein viel längeres Leben möglich machten.
Aber ich glaube nicht, daß wir ge
nöthigt sind, darum, weil es in der Genesis erzählt wird,
es als eine göttlich verbürgte und darum unzweifelhafte Thatsache anzuschen, daß die Erzväter ein so hohes Alter
erreicht haben.
Das Ansehen, welches der heiligen Schrift
1) Vgl. Bibel und Natur S. 505.
174
in der christlichen Kirche zugeschrieben wird, beansprucht
sie als Offcnbarungsurkunde, nicht als geschichtliche Ur kunde im weitern Sinne.
Die Frage aber, wie lange
die einzelnen Erzväter gelebt, steht mit den religiösen
Wahrheiten der Bibel in gar keinem unmittelbaren und
nothwendigen Zusammenhänge; denn unter dem religiösen Gesichtspunkte betrachtet, ist es ganz gleichgültig, ob z. B. Mcthusala 969 oder 100 Jahre gelebt hat.
Darum
dürfen wir, glaube ich, unbedenklich sagen: der Verfasser
der Genesis hat in den fraglichen Capiteln zwar getreu
ausgezeichnet, was er als Ueberlieferung über die Urahnen seines Volkes vorfand; aber es braucht darum nicht an
genommen zu werden,
daß diese Ueberlieferung einen
streng historischen Charakter beanspruchen könne.
Auch
katholische Theologen haben die Annahme für zulässig
erklärt, daß die Angaben, wie sie uns setzt in den frag
lichen Capiteln vorliegen, auf Mißverständnissen beruhen, welche sich in die Ueberlieferung eingeschlichen.
XIII. Das Alter des Menschengeschlechts. Sehr oft wird behauptet: nach der Bibel seien von der Erschaffung des Menschen bis auf Christus 4—5000, also bis zur Gegenwart 6—7000 Jahre verflossen; durch die neueren geologischen und urgeschichtlichen Forschungen
aber sei erwiesen, daß dem Menschengeschlechte ein viel höheres Alter, ein Alter von mindestens 100,000 Jahren zuzuschreiben sei. Beide Behauptungen sind nicht richtig
174
in der christlichen Kirche zugeschrieben wird, beansprucht
sie als Offcnbarungsurkunde, nicht als geschichtliche Ur kunde im weitern Sinne.
Die Frage aber, wie lange
die einzelnen Erzväter gelebt, steht mit den religiösen
Wahrheiten der Bibel in gar keinem unmittelbaren und
nothwendigen Zusammenhänge; denn unter dem religiösen Gesichtspunkte betrachtet, ist es ganz gleichgültig, ob z. B. Mcthusala 969 oder 100 Jahre gelebt hat.
Darum
dürfen wir, glaube ich, unbedenklich sagen: der Verfasser
der Genesis hat in den fraglichen Capiteln zwar getreu
ausgezeichnet, was er als Ueberlieferung über die Urahnen seines Volkes vorfand; aber es braucht darum nicht an
genommen zu werden,
daß diese Ueberlieferung einen
streng historischen Charakter beanspruchen könne.
Auch
katholische Theologen haben die Annahme für zulässig
erklärt, daß die Angaben, wie sie uns setzt in den frag
lichen Capiteln vorliegen, auf Mißverständnissen beruhen, welche sich in die Ueberlieferung eingeschlichen.
XIII. Das Alter des Menschengeschlechts. Sehr oft wird behauptet: nach der Bibel seien von der Erschaffung des Menschen bis auf Christus 4—5000, also bis zur Gegenwart 6—7000 Jahre verflossen; durch die neueren geologischen und urgeschichtlichen Forschungen
aber sei erwiesen, daß dem Menschengeschlechte ein viel höheres Alter, ein Alter von mindestens 100,000 Jahren zuzuschreiben sei. Beide Behauptungen sind nicht richtig
175
und darum auch nicht die darauf gestützte fernere Be
hauptung, daß hier ein unvereinbarer Widerspruch zwischen der Bibel und der modernen Wissenschaft vorliege'). Daß von Adam bis Christus 4—5000 Jahre ver
flossen seien, wird nirgendwo in der Bibel ausdrücklich
gesagt, beruht vielmehr auf der Zusammenrechnung einer großen Anzahl von einzelnen Zeitangaben, die sich in verschiedenen alttestamentlichen Büchern finden.
Diese
Zeitangaben gehören nun jedenfalls nicht zu den Dingen, welche Gott geoffenbart hat, sondern zu denjenigen, welche die alttestamentlichen Geschichtschreiber auf Grund der
Ueberlieferung oder älterer Aufzeichnungen niedergeschrie ben haben, und da in religiöser Beziehung die Frage, wie viele Jahrtausende von Adam bis auf Christus oder speciell von Adam bis auf Moses verflossen sind, — denn auf
diese Zeit kommt es hier zunächst an, — von keiner größern Bedeutung ist als die Frage nach der Lebensdauer der einzelnen Erzväter, so braucht nicht unbedingt angenom
men zu werden, daß die einzelnen Zeitangaben richtig sind. Aber selbst wenn man den Begriff der Inspira
tion der heiligen Schrift so weit ausdehnt, daß man an nimmt, die biblischen Geschichtschreiber seien durch den göttlichen Beistand vor jedem, auch vor jedem die Offen
barungswahrheiten nicht berührenden chronologischen Irr thum bewahrt worden, auch dann bleibt noch ein Dop
peltes möglich: 1. Die gewöhnliche Deutung der Bibel
stellen, aus denen wir die alttestamentliche Chronologie
zusammenzustellen haben, kann unrichtig, und 2. der Text dieser Stellen kann verderbt sein. 1) Dgl. Bibel und Natur S. 509 ff.
Wenn uns also auch
176
die Inspiration der biblischen Schriftsteller verbürgte, daß sie keine unrichtigen Zeitangaben niedergeschrieben,
so hätten wir doch keine Bürgschaft dafür, daß die Ab schreiber und Uebersetzer diese Angaben unverändert auf
uns gebracht und daß die Ausleger dieselben im Ein zelnen richtig verstanden und dann richtig mit einander
combinirt,
wie
denn
ja auch die Bibeltexte bezüglich
der betreffenden Ziffern und die Gelehrten bezüglich der
Berechnung der alttestamentlichcn Chronologie nicht mit einander übercinstimmen. Was speciell die Chronologie der ältesten Zeit be
trifft, der Zeit, die von der Erschaffung des Menschen
bis zu der Fluth in den Tagen Noe's und von da bis
zur Berufung Abrahams, des Stammvaters des israeli tischen Volkes, verflossen, so haben wir für die Berech nung derselben nur die Angaben in den beiden schon in
dem vorhergehenden Abschnitte (S. 173) besprochenen Capitel der Genesis, dem fünften und dem elften. Da nun diese Capitel fast nur aus Namen und Ziffern be
stehen, so können sehr leicht darin Namen und Ziffern
ausgefallen, diese genealogischen Listen also ursprünglich länger gewesen und von den Abschreibern auf die neun oder zehn Glieder verkürzt worden sein, welche unser
jetziger Text darbietet. Wenn also wirklich mit Rücksicht auf die Ausbrei
tung der Menschheit und die Bildung der verschiedenen Menschenrassen die dreihundert Jahre, welche für die
Zeit von der Sündfluth bis auf Abraham nach der ge wöhnlichen Deutung der uns jetzt im elften Capitel der Genesis vorliegenden Angaben herauskommen, zu kurz
177
sind i), und wenn überhaupt mit Rücksicht auf die Er
gebnisse der historischen und geologischen Forschungen das
Alter des Menschengeschlechts wirklich höher als 6—7000 Jahre angesetzt werden muß,
so
braucht sich
auch ein
Theologe von den strengsten exegetischen Grundsätzen nicht, wie Delitzsch es ausdrückt, „in apologetischer Befangen heit gegen eine Deduction des chronologischen Netzes der
Genesis zu sträuben", da eine solche nur eine, theologisch
angesehen, ganz unbedenkliche Verderbniß des Textes zur Voraussetzung haben würde. Wenn wir aber annehmen dürfen, daß der Zeitraum
von der Fluth bis Abraham länger gewesen ist, als die
Zahlen in dem jetzigen Texte des elften Capitels der Ge nesis ergeben, so wird eine Einigung über die Chro
nologie zwischen den Theologen und den Historikern nicht unmöglich sein.
Denn daß die langen Zeiträume, welche
in der Geschichte mancher alten Völker, wie der Juden,
Chinesen, Babylonier u. s. w., vorkommen, auf phantasti schen Uebertreibungen beruhen, wird von allen besonnenen
Forschern anerkannt.
Das einzige Volk, von welchem
manche Gelehrte annehmen, daß seine urkundliche Ge
schichte höher hinaufreiche, als mit der alttestamentlichen Chronologie, wie sie gewöhnlich berechnet wird, vereinbar ist, sind die Aegypter.
Wenn aber auch wirklich, wie die
meisten neueren Forscher auf diesem Gebiete annehmen,
der Anfang der ägyptischen Geschichte um das Jahr 3900 v. Chr. anzusetzen ist, so ist das eine Ziffer, mit welcher sich die alttestamentliche Chronologie jedenfalls viel eher
in Einklang bringen läßt, als mit den 100,000 Jahren,
1) S. o. S. 161. Reusch, bibl. SchöpfungSgesch.
178
welche, wie man vielfach behauptet, nach den Ergebnissen der
geologischen
und urgeschichtlichen Forschungen die
Menschen schon auf Erden existirt haben sollen.
Lassen
wir also die Frage, wie viele Jahrtausende das Men
schengeschlecht nach den Angaben der Bibel und nach den Untersuchungen der Aegyptologen existirt hat, vorläufig auf sich beruhen und sehen wir, ob denn wirklich durch die geologischen
und urgeschichtlichen Forschungen der
neuern Zeit der Beweis hergestellt ist, daß das Alter
des Menschengeschlechts viel höher als 6—7000 Jahre angesetzt werden müsse.
Die neueren Versuche, das Alter des Menschenge schlechts oder, genauer gesagt, das Alter von menschlichen Reliquien,
die man in verschiedenen Ländern gefunden
hat, auf geologischem Wege zu berechnen, lassen sich im allgemeinen in zwei Gruppen zusammenstcllen.
Erstens hat man menschliche Gebeine, Geräthschaften u. s. w. an verschiedenen Orten in der Erde gefunden,
bedeckt von einer mehr oder minder dicken Schichte Lehm, Torf, Flußablagerungcn, Tropfstein u. dgl.
Jene mensch
lichen Ucberbleibsel, sagt man nun, haben ursprünglich auf der Oberfläche gelegen, und diese Schichten haben sich
allmählich darüber abgelagert.
Wenn sich also berechnen
läßt, wie viel Zeit letztere zu ihrer Ablagerung gebraucht
haben, so wissen wir auch, vor wie viel Zeit jene mensch lichen Gebeine und Geräthschaften noch auf der Ober
fläche lagen, somit auch
ungefähr die Zeit,
wann
die
Menschen, von denen diese Reliquien herrühren, gelebt
haben.
Um aber berechnen zu können, wie viele Jahr
hunderte jene Schichten zu ihrer Ablagerung gebraucht
haben, muß man zweierlei wissen: erstens die Dicke der
179
Schichten, und zweitens, wie viel sich in Einem Jahr
hundert ablagert.
Das Erste läßt sich durch Messung
constatiren; man weiß z. B., daß sich menschliche Geräthe unter einer 30 Fuß dicken Schichte Torf und 40 Fuß
tief in den Ablagerungen des Nil gefunden haben. Aber
das zweite, ebenso nöthige Element der Berechnung ist ganz unsicher,
weil sich unmöglich eine sichere für alle
Zeiten und Orte geltende Formel für das Wachsthum
des Torfes und der Tropfstcinbildungen, für die Zunahme von Flußablagerungen u. s. w. finden läßt.
Zweitens hat man menschliche Gebeine und Geräthschaften an solchen Orten gefunden, wo zu der Zeit, als sie dorthin gekommen sind, das Wasser des Meeres, eines
Sees oder Flusses gestanden haben muß,
während es
jetzt von dort zurückgetreten oder der Boden über dasselbe erhoben ist.
So fand man z.
Schweden Nachen
B. in Schottland und
60 Fuß über dem jetzigen Meeres
spiegel, in der Schweiz Pfahlbauten in verschiedener Ent
fernung von dem j ctzigcn Ufer der Seen, im Thale der Somme im nördlichen Frankreich Feuersteingeräthe und
Menschengebeine 80—100 Fuß über dem jetzigen Fluß bette.
Das Niveau des Meeres, Sees oder Flusses hat
sich also hier bedeutend geändert.
die Menschen gelebt haben,
Die Zeit, in welcher
von denen jene Dinge her
rühren, läßt sich in Ziffern angeben, wenn wir ermitteln
können, wie viele Zeit zu der mittlerweile eingetretenen Veränderung des Niveaus und des Verhältnisses von
Wasser und Land erforderlich war.
Um dieses zu be
rechnen, müssen wir aber wieder nicht bloß wissen, wie bedeutend diese Veränderung ist, — was sich
leicht er
mitteln läßt, — sondern auch, wie viel von einer derar-
180 tigen Veränderung in einem Jahrhundert eingetreten ist. Letzteres läßt sich aber nicht sicher ermitteln, da derglei
chen Veränderungen durch sehr verschiedene Ursachen her beigeführt und an verschiedenen Orten und zu verschie denen Zeiten sehr verschieden sein können. Manche neuere Geologen, welche auf dem einen oder
dem andern dieser beiden Wege Berechnungen angestellt,
haben den Fehler begangen, daß sie entweder die lang samste Bildung, welche sich überhaupt durch Beobachtung
conftatiren ließ, oder einen auf wenige Beobachtungen gegründeten Durchschnittssatz als Grundlage für ihre Be
rechnungen annahmen.
Ein Durchschnittssatz darf aber
überhaupt nicht angewendet werden, da eine geologische
Veränderung an einem Orte und zu einer Zeit sehr langsam, an einem andern Ort und zu einer andern Zeit
sehr rasch vor sich gehen kann, und auf die langsam vor
sich gehenden Veränderungen vorzugsweise Gewicht zu legen, wie das bei den geologischen Berechnungen des Alters des Menschengeschlechts vielfach geschieht, ist eine
unwissenschaftliche Einseitigkeit, da viele bedeutende geo
logische Veränderungen in verhältnißmäßig kurzer Zeit ebenso sicher constatirt sind.
Es ist ein erfreulicher Beweis für einen wirklichen Fortschritt der Forschung, daß man jetzt die Unhaltbarkeit mancher Behauptungen anerkennt, welche beim Beginne
dieser Untersuchungen vor einigen Deeennien mit großer
Sicherheit ausgesprochen wurden.
Es wird genügen,
einige Beispiele von vielen anzuführen2). Mehrere Gelehrte haben das Alter von Thonscherben und Ziegelsteinen, die man 40 Fuß tief int Nilthale ge il Vgl. Bibel und Natur S. 526.
181 funden, auf 12,000 Jahre berechnet, indem sie annahmen, daß sich in Folge der Ueberschwemmungen des Nil der Boden durchschnittlich 3—4 Zoll in einem Jahrhundert
erhöhe.
Durch neuere sorgfältigere Untersuchungen an
Ort und Stelle ist constatirt, daß die Ablagerungen des
Nil viel zu unregelmäßig sind, als daß sich darauf irgend welche Altersberechnungen stützen ließen. — Für ein
Skelett, welches man im Mississippi-Delta bei Neu-Or
leans gefunden, wurde ein Alter von 57,600 Jahren hcrausgerechnet. Später ist erwiesen worden, daß die thatsächlichen Angaben, worauf sich diese Berechnung stützt, zum Theil unrichtig waren, die Berechnung selbst auf unbegründeten, oft nachweisbar irrigen Voraussetzungen
beruht.
Um die Zuverlässigkeit anderer Berechnungen,
die sich auf amerikanische Funde stützen, ist es ebenso schlimm bestellt.
Am bekanntesten sind die Berechnungen des Alters der sog. Pfahlbauten, welche man seit 1854 in der Schweiz
und in anderen Ländern entdeckt hat').
Einige gingen
dabei von der Entfernung aus, bis zu welcher schweize rische Seen seit der Zeit, da die Pfahlbauten bewohnt
waren, zurückgetreten sind, und glaubten annehmen zu dürfen, daß seitdem 4—6000 Jahre verflossen seien. An
dere gingen von der Dicke eines von einem Wildbache
aufgehäuften Schuttkegels aus und glaubten danach das Alter der ältesten Pfahlbauten auf 5—7000 Jahre an
setzen zu dürfen.
In neuester Zeit hat aber eine ganze
Reihe von Pfahlbautenforschern alle diese Berechnungen
für unzulässig erklärt und die Pfahlbauten in das letzte 1) Vgl. Bibel und Natur S. 567.
182 Jahrtausend vor Christus versetzt. „Es nöthigt uns nichts,
sagt z. B. Haßlers, gar nichts, in der Zeitbestimmung über das Jahr 1000 vor Christus zurückzugehen.
Ins
besondere gilt dieses von der Berufung auf die mehr oder minder mächtigen Torfmoore nnd Schuttschichten,
unter welchen die Pfahlbauten theilweise begraben sind.
Denn
es ließe sich leicht Nachweisen, daß hierauf keine
Berechnungen der Zeit gegründet werden können, und zwar schon deßhalb nicht, weil die Art ihrer Entstehung und Weiterbildung durch die verschiedensten Umstände
bedingt und an verschiedenen Orten eine ganz verschie dene ist. Nöthigt uns aber nichts, über jene 1000 Jahre
vor Christus zurückzugehen, so spricht vielmehr manches dafür, sie in eine noch jüngere Zeit hcrunterzudrückcn."
Neben diesen, nach dem Gesagten erfolglosen Ver suchen, auf eigentlich geologischem Wege das Alter des
Menschengeschlechtes
zu berechnen,
müssen noch einige
andere Versuche erwähnt werden, welche mit den schon in dem vorhergehenden Abschnitte berührten urgeschicht
lichen Forschungen zusammenhangen. Daß die Eintheilung der vorgeschichtlichen Zeit in die Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit jetzt als willkürlich
erkannt ist, wurde bereits erwähnt.
Die Zeit, welche
man die Steinzeit oder besser die vormetallischc Periode nennen kann, geht für die Länder von Mittel- und NordEuropa einige Jahrhunderte vor Christus zu Ende.
Die
Frage, wie hoch der Anfang dieser Periode hinaufgeht,
ist identisch mit der Frage, wann die betreffenden Länder 1) Deutsche Vierteljahrsschrift 1845, 1. H., S. 80.
und Natur S. 577.
Vgl. Bibel
183 überhaupt bevölkert worden sind, und diese Frage zu
beantworten, bieten uns die Steinwerkzeuge kein Mittel. In manchen Darstellungen der Urgeschichte wird eine
eine ältere und
doppelte Steinzeit unterschieden,
eine
jüngere, die paläolithischc und die neolithische Periode'). In der erster» sollen roh zugehauene, in der zweiten ge
schliffene Steinwerkzcuge in Gebrauch gewesen sein.
Da
gegen hat man aber mit Recht bemerkt: aus der verschie
denen Art und Weise der Bearbeitung der Steinwcrkzeugc könne man nicht mit Sicherheit verschiedene Epochen
innerhalb der Steinzeit hcrleiten; denn es könnten die
Bewohner
einer Gegend geschickt genug gewesen
besser gearbeitete Werkzeuge
sein,
hcrzustcllen, während man
in einer andern Gegend sich mit weniger gut gearbeiteten
behalf; auch finde die verschiedene Bearbeitung der Stein werkzeuge vielfach ihre Erklärung in der Verschiedenheit
des benutzten Materials: aus Feuerstein oder Jaspis konnte man durch Zerschlagen mehr oder weniger dünne messerartige Splitter mit scharfer Kante
durch
bloßes
Zuhaucn
andere
gewinnen und
Werkzeuge
anfertigen,
während man sie aus anderen Gesteinen, wie Gneiß, Granit u. dgl., durch Schleifen gewinnen mußte. — Von einer
besondern megalithischen Zeit oder einer Periode
der
großen Stcindenkmäler zu reden, ist darum nicht zulässig, weil die aus großen über einander gelegten oder neben einander gestellten Steinen bestehenden Denkmäler, die sogenannten Dolmen, Cromlechs u. s. w. sicher aus sehr
verschiedenen Zeiten, zum Theil noch aus den christlichen Jahrhunderten stammen. 1) Vgl. Bibel und Natur S. 552.
184 Mit den verschiedenen Abtheilungen der Steinzeit haben dann Einige noch Perioden der Urgeschichte com-
binirt, welche man nach den verschiedenen Thieren benannt hat, mit deren Knochen zusammen man menschliche Ueberreste und Geräthschaften gefunden, von denen man darum
annehmen zu dürfen glaubt, daß sic gleichzeitig mit den
Menschen, von denen letztere herrühren, gelebt haben. Es ist in der That jetzt allgemein anerkannt, daß der Mensch in Mittel-Europa schon existirte, als einzelne
Thicrarten dort noch lebten, die jetzt entweder ganz aus gestorben sind oder in jenen Gegenden nicht mehr vor
kommen.
Das Rcnthier, der Auerochs, das Elenn, der
Bisamochs, der Vielfraß und andere Thiere waren früher
über ganz Mittel-Europa verbreitet, haben sich aber im Laufe der Zeit, so wie das Klima milder wurde und die menschliche Cultur sich weiter verbreitete, theils nach dem Norden, theils nach dem Hochgebirge zurückgezogen.
Man
spricht nun in der Darstellung der Urgeschichte von einer Renthier- und Auerochsen-Periode, und bezeichnet damit
die Zeit,
in welcher jene Thiere noch in. Deutschland,
Belgien, Frankreich u. s. w. lebten, wo man ihre Ge beine mit menschlichen Gebeinen oder Geräthschaften zu
sammen findet.
Diese Perioden kann man aber nur sehr
uneigentlich vorgeschichtliche Perioden nennen; denn das Renthier hat jedenfalls noch zu Julius Cäsars Zeit und der Auerochs (oder richtiger Bison oderMisent) noch im sechsten und siebenten christlichen Jahrhundert in Deutsch land existirt.
Auch mit dem Höhlenbären, dem Knochen-
Nashorn und dem Mammuth, die jetzt ganz ausgestorbcn sind,
hat der Mensch in Mittel-Europa gleichzeitig ge
lebt.
Aber wir brauchen für das Aussterben oder Ber-
185
schwinden dieser Thiere in Mittel-Europa nicht ungeheuere Zeiträume anzusetzen und, wie Oscar Fr aasst sagt, die Zeit, als Renthier, Mammuth, Rhinoceros und Höhlenbär z. B. in Schwaben lebten und der Mensch sich
dort ansicdelte, nicht weiter zurück zu verlegen als in die Blüthezeit des babylonischen Reiches oder in die Zeit von Memphis und seinen Pyramiden.
Alle bisher genannten Thiere,
welche Zeitgenossen
der ältesten Bevölkerung von Mittel-Europa waren, ge
hören noch der geologischen Periode an, welche man als die posttertiäre, quartäre oder diluviale Periode bezeichnen. Einige Gelehrte haben geglaubt, Spuren der Existenz des Menschen auch schon in einer früheren Periode gefunden zu haben und behaupten zu dürfen, er habe auch schon
in der tertiären oder känozoischen Periode (f. o. S. 156) existirt. Aber die Beweise, welche sie dafür bcibringen,
werden von den bedeutendsten Forschern für ungenügend erklärt.
Erst nach der sogenannten Eiszeit, welche in
Mittel-Europa die Grenzscheidc zwischen der tertiären und
der quartären Periode bildet, ist nach der Ansicht der zuver
lässigsten Forscher der Mensch in Deutschland und den nördlichen Ländern aufgetreten, und wenn man in Frank reich, wo sich keine Eiszeit Nachweisen läßt, Spuren des
Zusammenlebens des Menschen mit dem südlichen Ele
phanten gefunden zu haben glaubt, so braucht darum nicht eine Elephanten-Periode der Mammuth-Periode vor
ausgeschickt zu werden, da sich an mehr als Einem Orte Knochen des
südlichen Elephanten
mit Knochen
des
Mammuth und anderer Säugethiere, die noch nach der Eis-
1) Archiv für Anthropologie II, 50.
186 zeit
gelebt haben,
zum Theil noch
leben,
zusammen
findens.
Nach alle dem werden wir also wohl mit K. E. von Baer?) annchmen
dürfen,
daß das Alter des
Menschengeschlechts nicht sehr viel größer sein möge, als man nach den biblischen Nachrichten berechnet hat, womit
der Satz übcreinstimmt, mit welchem Pfaff seine Unter suchungen über diesen Gegenstand schließt: „Alle Zahlen,
welche, von natürlichen Zeitmaßen hergenommen, für das Alter des Menschengeschlechts angegeben
werden, sind
höchst unsicher; die zuverlässigsten gehen nicht über 5—
7000 Jahre hinaus" ^). Es ist zuzugebcn, daß sehr bedeutende Forscher nach
dem jetzigen Stande der Untersuchungen sagen zu müssen glauben, die gewöhnlich so genannte biblische Zeitrechnung
sei zu kurz.
Sie halten aber selbst die Untersuchungen,
welche erst in den letzten Jahrzehnten in umfassender
Weise begonnen worden und nach der eigenen Aussage der bethciligten Forscher sehr schwierig und complicirt sind, keineswegs für abgeschlossen, und es bleibt also ab
zuwarten, ob die Fortführung der Forschung das, was
den Geologen jetzt als wahrscheinlich gilt, bestätigen oder andere Ergebnisse liefern wird.
Die Theologen können,
wie ich bereits gesagt habe, ganz unbedenklich zugeben,
daß die sogenannte biblische Zeitrechnung zu kurz sein,
daß der Anfang des Menschengeschlechts um Jahrhun1) Bibel und Natur S. 559.
2) Studien
aus
dem Gebiete der Naturwissenschaften, 1875,
S. 412. 3) Die neuesten Forschungen und Theorien auf dem. Gebiete
der Schöpfungsgeschichte, 1868, S. 76; vgl. Schöpfungsgeschichte S. 713.
187 berte, ja selbst um einige Jahrtausende höher hinauf datirt werden könne als 4000 Jahre
vor Christus.
Es
handelt sich hier weniger um einen Gegensatz zwischen der
Bibel und der Naturwissenschaft als zwischen der in der
beglaubigten Geschichte angenommenen und der „vorge schichtlichen" Chronologie. Als man zuerst anfing, die Ergebnisse der geologi schen Forschung mit dem mosaischen Scchstagewerke zu
vergleichen, fand man in jenen eine genaue und auffal lende Bestätigung von diesem.
Auf diese erste Periode
der Harmonie zwischen Theologen und Geologen folgte aber eine zweite Periode bitterer Feindseligkeit: die früheren
geologischen Ansichten erwiesen sich als unhaltbar, und die neu gewonnenen geologischen Ergebnisse schienen mit
der Bibel in
unversöhnlichem Widersprüche zu
stehen.
Jetzt leben wir in der dritten und allem Anscheine nach letzten Periode, einer Periode des ehrlichen Friedens: die
Theologen verzichten darauf, in den Ergebnissen der geo
logischen Forschung glänzende Bestätigungen der biblischen Berichte zu finden; aber sic können beweisen, daß diese Ergebnisse mit den richtig verstandenen Aussagen Bibel auch nicht in Widerspruch stehen.
der
Man hat eben
jetzt, was früher unterlassen wurde und auch wohl noch nicht geschehen konnte, die Grenzen der beiden Gebiete
genau festgesetzt, und bei aufrichtigem Entgegenkommen hat sich eine für beide Theile zufriedenstellende Grenzregulirung
als möglich erwiesen.
Mit der Frage über das Alter des
Menschenge
schlechts wird cs voraussichtlich ähnlich gehen.
Cuvier
und seine Anhänger meinten, es lasse sich auf geologischem Wege beweisen, daß das Menschengeschlecht etwa 6000
188 Jahre ptt sei; die Geologie liefere also eine Bestätigung
der biblischen Chronologie.
Das war die erste Periode.
Die Ansicht Cuviers und seiner Schüler hat sich als irrig erwiesen, und wir leben jetzt in der zweiten Periode,
wo nach der Meinung Vieler ein unversöhnlicher Gegen satz zwischen den Ergebnissen der geologischen und urge-
schichtlichcn Forschungen und nicht nur den vermeintlich biblischen Angaben, sondern auch den von den Historikern vertretenen, von den Bibelauslcgern für zulässig zu er
achtenden Ansichten über das Alter des Menschengeschlechts hervorgetreten zu sein scheint. Sollte nicht auch hier eine
dritte Periode zu erwarten sein, wo man durch den Fort gang der Forschung zu dem Ergebnisse gelangen wird,
daß zwar an eine Bestätigung der sogenannten biblischen Chronologie durch die Geologie nicht zu denken ist, daß aber anderseits die Geologen auch auf eine Bestreitung der historisch begründeten und biblisch zulässigen Chro
nologie von ihrem Standpunkte verzichten müssen?
XIV. Die Sündfluth. Der Bericht der Genesis über die große Fluth zur Zeit des Noe, die sogenannte Sündfluth,
gehört zwar
nicht zu dem biblischen Schöpfungsberichte, hängt aber so vielfach mit den in den vorhergehenden Abschnitten behandelten Fragen zusammen, daß einige Bemerkungen
188 Jahre ptt sei; die Geologie liefere also eine Bestätigung
der biblischen Chronologie.
Das war die erste Periode.
Die Ansicht Cuviers und seiner Schüler hat sich als irrig erwiesen, und wir leben jetzt in der zweiten Periode,
wo nach der Meinung Vieler ein unversöhnlicher Gegen satz zwischen den Ergebnissen der geologischen und urge-
schichtlichcn Forschungen und nicht nur den vermeintlich biblischen Angaben, sondern auch den von den Historikern vertretenen, von den Bibelauslcgern für zulässig zu er
achtenden Ansichten über das Alter des Menschengeschlechts hervorgetreten zu sein scheint. Sollte nicht auch hier eine
dritte Periode zu erwarten sein, wo man durch den Fort gang der Forschung zu dem Ergebnisse gelangen wird,
daß zwar an eine Bestätigung der sogenannten biblischen Chronologie durch die Geologie nicht zu denken ist, daß aber anderseits die Geologen auch auf eine Bestreitung der historisch begründeten und biblisch zulässigen Chro
nologie von ihrem Standpunkte verzichten müssen?
XIV. Die Sündfluth. Der Bericht der Genesis über die große Fluth zur Zeit des Noe, die sogenannte Sündfluth,
gehört zwar
nicht zu dem biblischen Schöpfungsberichte, hängt aber so vielfach mit den in den vorhergehenden Abschnitten behandelten Fragen zusammen, daß einige Bemerkungen
189 darüber einen passenden Abschluß der Erörterungen über die biblische Schöpfungsgeschichte bilden werden').
Der Bericht, welchen der Verfasser der Genesis in den Capiteln
6 bis 9
über
die große Fluth erstattet,
beruht ohne Zweifel auf einer Ueberlieferung, welche sich
von den Augenzeugen her in der Familie der Patriarchen und dem jüdischen Volke erhalten hatte.
nehmen dürfen,
daß der Bericht,
Man wird an
wie er uns in der
Genesis vorliegt, zwar im Wesentlichen
historisch ist,
aber in Einzelheiten, welche in religiöser Beziehung un
wesentlich sind, sagenhafte Elemente enthält, wie z. B. in
den Aügaben über die Größe der Arche und dergleichen, — daß also insofern aus dem Berichte nicht genau und zu
verlässig
erkannt werden kann, wie alles im Einzelnen
wirklich verlaufen ist, sondern wie man sich zur Zeit der Abfassung der Genesis auf Grund der Ueberlieferung den
Verlauf der Ereignisse vorstellte.
Die wichtigste Frage,
welche
bei der
Erörterung
des Verhältnisses des Fluthberichtes zu den Ergebnissen der Naturforschung in Betracht kommt, ist die, ob und
in welchem Sinne die Fluth in der Bibel als eine uni
verselle dargestellt werde.
In der ältern Zeit ist die
Ansicht die allgemein verbreitete gewesen, — und sie wird
noch von manchen Theologen?) für die richtige gehalten,
— der Bericht der Genesis
sei so zu verstehen,
daß
das Wasser im buchstäblichen Sinne „alle hohen Berge unter dem ganzen Himmel
bedeckt und fünfzehn Ellen
hoch über den Bergen gestanden habe" (Gen. 7, 19. 20),
1) Vgl. Bibel und Natur S. 289.
2) z. B. von A. Bosizio, Die Geologie und dieSündsiuth, 1877.
190 daß also die Fluth eine universelle in der strengsten Bedeu tung gewesen sei.
Von nicht wenigen und sehr angesehe
nen Theologen der neuern Zeit wird aber mit Recht die Allgemeinheit der Fluth
anders verstanden').
Sie
ist nur eine universelle in dem Sinne gewesen, daß alle
Menschen mit Ausnahme der acht, welche in der Arche
waren, als ein
Daß die Fluth in diesem Sinne,
untergingen.
vernichtendes
Strafgericht über
die
sündige
Menschheit, allgemein war, darauf kommt es dem bibli schen Berichterstatter an; ob sie auch als Naturereigniß, als Ueberschwemmung universell war, das ist, unter dem
religiösen Gesichtspunkte betrachtet,
ein Punkt von ganz
untergeordneter Bedeutung.
Den Satz, daß „alle hohen Berge unter dem ganzen
Himmel" vom Wasser bedeckt gewesen seien, brauchen wir ebenso wenig strenge buchstäblich zu ähnliche
nehmen wie andere
welche in der Bibel vorkommen.
Ausdrücke,
Wenn die Worte vom Standpunkte des Noe aus gespro
chen sind,
so haben wir zunächst nur diejenigen Berge
zu verstehen, welche in seinem Gesichtskreise lagen. wenn es weiter heißt,
Und
das Wasser habe fünfzehn Ellen
hoch über den Bergen gestanden, so scheint diese Angabe
daß die Arche fünfzehn Ellen
tief
im Wasser ging und Noe also aus ihrer Landung
auf
darauf zu beruhen,
dem Berge, der weit umher der höchste war, schloß, daß
das Wasser noch
1) Vgl. Bibel
um fünfzehn Ellen höher
und Natur S.
297,
Anm. 2.
gestanden
Diese Ansicht
wird namentlich von dem gelehrten Jesuiten Pianciani vertheidigt und auch
von seinen Ordensgenoffen Niccolai,
Bellynck für zulässig erklärt.
Schouppe und
191 haben müsse.
Wenn es heißt, die Arche sei auf den
„Ararat-Bergen"
gelandet (Gen.
8,
4),
so braucht
dabei nicht nothwendig an die höchste Spitze des Ararat-
Gebirges gedacht zu werden, welche 16,000 Fuß über der Meeresfläche liegt; cs kann auch irgend ein anderer Berg im östlichen Armenien, — dieses heißt im Alten
Testamente Ararat, — gemeint sein. Nach dieser Auffassung hätten wir uns
also die
Sündfluth nicht als eine allgemeine Ueberfluthung der
ganzen Erde zu denken, aber als eine Ueberfluthung des damals von Menschen
bewohnten
Theiles von Asien,
die stellenweise vielleicht mehrere tausend Fuß über die Meeresfläche stieg. Wenn frühere Geologen directe geologische Beweise für die Wirklichkeit einer Ueberfluthung, wenigstens
eines Theiles der Erde, in der historischen Zeit, — d. h. in der Zeit als die Erde schon von Menschen bewohnt war, — gefunden zu haben glaubten, so wird jetzt ziemlich
allgemein anerkannt, daß das auf einem Irrthum be ruhte.
Es ist von vornherein gar nicht einmal wahr-
scheinlich, daß eine Fluth, die nur etwa ein Jahr dauerte, Spuren zurückgelgssen haben sollte, die jetzt, nach Jahr
tausenden, noch nachgewiesen und von den durch andere
Ueberschwemmungen zurückgelassenen Ablagerungen noch unterschieden werden könnten.
Aber
die Möglichkeit
einer Ueberfluthung der bezeichneten Art wird von Seiten der Geologie nicht bestritten werden können. „Der Streit
über den mosaischen Bericht über die Sündfluth, sagt Fr. Pfaff'), ist für den Naturforscher gegenstandslos
1) Schöpfungsgeschichte, 2. Aust., S. 750.
192
geworden durch das Zugeständniß von Seiten der Theo
logen,
daß es nicht unerläßlich sei,
den Bericht der
Genesis so zu deuten, als ob buchstäblich alle Berge auf dem Erdkörper gleichzeitig überfluthet gewesen seien, son
dern nur so,
daß durch eine gewaltige Wasscrmasse die
ganze Menschheit vertilgt worden sei.
das Zugeständniß der Auffassung einer partialen Ueberfluthung.
Es
liegt darin
der Sündfluth
als
ist
den
Damit
aber
Naturforschern jeder Anhaltspunkt zu einer Einsprache entzogen, indem solche partiale Fluthen, auch abgesehen
davon, daß sich in den Traditionen fast aller Völker die Nachricht von einer solchen findet,
nicht als etwas be
zeichnet werden können, was nicht eingetrcten sein könne
oder nicht eingetretcn sei."
Wie die Ueberfluthung des damals von den Men
schen bewohnten Theiles der Erde herbeigeführt wurde, ob das außer einem anhaltenden Regen (dem „Oeffnen
der Schleusen des Himmels")
erwähnte Uebertreten des
Meeres und der Flüsse („das Aufbrechen aller Brunnen
«der Quellen der großen Tiefe", Gen. 7, 11. 12;
durch Hebungen und
8, 2)
Senkungen einzelner Theile der
Erdoberfläche bewirkt wurde,
darüber läßt sich nichts
Genaueres sagen. Wenn der Bericht über die Fluth nicht so verstan
den zu werden braucht, daß die ganze Erde überschwemmt
worden sei, so brauchen auch die Sätze nicht buchstäblich verstanden zu werden, in welchen die Genesis berichtet,
Noe habe Paare von „allen Thieren" mit in die Arche genommen
seien „alle Wesen, welche
(7, 2. 8), und es
auf dem Erdboden waren, übrig geblieben Noe und
vertilgt worden
was
und
nur
mit ihm in der Arche
193 Es wäre ja allerdings nicht nur unmög
war" (7, 23).
lich gewesen, buchstäblich
alle Thiere (auch abgesehen
von den Wasscrthieren) zusammen- und
in
der Arche
unterzubringen;
wir würden uns auch die Verbreitung
der Thiere über
alle Festländer und Inseln von dem
Mittelpunkte der Arche aus nicht vorstellen können. Wenn die Sündstuth
nach dem biblischen Berichte
wesentlich als Strafgericht
über die Menschheit
anzu
sehen ist, so folgt, wie Pianciani hervorgehoben hat,
daraus, daß alle Menschen außerhalb der Arche umkamen, nicht nothwendig, daß auch alle Thiere umgekommen sein
müßten. Und wenn der biblische Bericht über die Sündfluth überhaupt ein von dem Standpunkte des Noe und der ©einigen geschriebener Bericht ist. so werden wir den
Satz: von allen Thieren seien Paare in die Arche ge kommen,
ebenso wenig buchstäblich zu nehmen
wie den
Satz:
alle
hohen Berge
brauchen
unter dem
Himmel seien von Wasser bedeckt gewesen.
ganzen
Wenn es sich
in diesem letzten Satze, wie wir gesehen haben, zunächst
um
die Berge im Gesichtskreise des Noe handelte,
dürfen wir auch annehmen,
daß es
Satze zunächst um die Thiere handelt, welche,
litzsch sagt,
so
sich in dem ersten wie De
„in irgend welche factische Beziehung zum
Menschen getreten waren und irgendwie seine Aufmerk samkeit und Theilnahme auf sich gezogen hatten". waren ja für Noe „alle Thiere"; diejenigen,
Das
welche er
nicht kannte, cxistirten für ihn nicht, und daß ihn Gott über die Existenz der ihm fremden Thiere belehrt und
ihm
die Einfangung
derselben aufgetragen,
oder daß
Gott auch von den dem Noe sonst ganz fremden Thieren
Paare herbeigeführt habe, Reu sch, bibl. Schbpfungsgcsch.
um sie in der Arche zu er13
194 halten: das wird man zwar auf dem bibelgläubigen nicht geradezu als unmöglich bezeichnen nicht genöthigt sein, die
Standpunkte
dürfen, aber man wird doch
Wunder in dieser Weise zu häufen, wenn uns die Worte der heiligen Schrift nicht dazu nöthigen. Und das ist nicht der Fall.
„Dem Noe, sagt Pianciani, wurde nicht das Un
mögliche befohlen, und er that nicht mehr, als er konnte. Wäre ein solcher Befehl, alle Thiere zu sammeln, an Jemand ergangen, der über viel größere Mittel gebot
als Noe, z. B. an Alexander den Großen oder Augustus: sie würden gewiß die reichhaltigste Menagerie zusammen gebracht haben, die man je gesehen; aber es würden doch
alle damals in Europa nicht bekannten und ausschließlich in Amerika oder Australien einheimischen Thiere gefehlt
haben. Sollte Noc's zoologische Sammlung vollständiger gewesen sein?" Wie die Sündfluth um der Menschen willen kam,
so wurde auch die Arche zunächst um der Menschen willen gebaut. ausdrückt,
Es gereuet Gott,
im Hinblicke
tote die Genesis sich
auf die allgemein gewordene
Sündhaftigkeit, die Menschen geschaffen zu haben.
Da
rum macht er sein Schöpfungswerk zum großen Theile
gleichsam wieder ungeschehen; er führt
einen ähnlichen
Zustand der Erde herbei, wie er in der Mitte der sechs Schöpfungstage war: das Wasser bedeckt wieder die Erde.
Nachdem das Strafgericht ausgeführt ist, tritt das Land wieder aus dem Wasser hervor, wie am dritten Tage.
Gott hat aber nicht eine neue Schöpfung, sondern nur eine Umbildung der vorhandenen beabsichtigt und eine Restitution derselben in den ursprünglichen Zustand, wie
195 er vor der allgemeinen Verderbniß war;
darum hat er
von dem Menschengeschlechte diejenigen erhalten,
welche
von der Verderbniß unberührt geblieben waren:
darum
bleibt
auch die alte Pflanzenwelt, und
die Thierwelt,
als deren Beherrscher die Menschen im Anfänge einge setzt waren, wird in ähnlicher Weise wie die Menschheit
aus der alten Zeit in die neue herüber gerettet.
Das
ist die geschichtliche und religiöse Bedeutung der Sündfluth.
Dabei kam es also weniger auf die Erhaltung
der gesummten Thierwelt an, wie sie die Zoologie kennt,
als auf die Erhaltung der gesarnrnten Thiermelt, wie sie die damaligen Menschen kannten, und wir treten also dem Berichte der Bibel über die Fluth als ein wichtiges
Ereigniß der heiligen Geschichte gar nicht zu nahe, wenn wir das, was sie von dem „Umkommen alles Fleisches auf der Erde" (7, 21) sagt,
nicht von dem Umkommen
aller nicht in der Arche befindlichen Thiere verstehen und annehmen, daß nur die Thierwelt, so weit sie Noe und den ©einigen bekannt war, in der Arche vollständig rc-
präsentirt war.
Müßte man annehmen, daß alle Landthiere von den in der Arche
erhaltenen Thieren abstammen,
so
würde man in ähnliche Schwierigkeiten gerathen, wie sie der früher (S. 48) erwähnten Ansicht
im Wege stehen,
daß ursprünglich nur je Ein Paar von jeder Thierart
geschaffen sei.
Wie sich die Thiere von dem Orte aus,
wo die Arche landete, über die ganze Erde verbreitet haben sollen, ist ebenso schwer zu erklären, als wie Paare von allen Thierarten in der Arche versammelt gewesen sein
könnten. „Es werden doch, sagt Pia n e ia ni, nicht ganze
Arten von Landthieren über die Meere gesetzt sein,
um
196 das Vergnügen zu haben, sich in Amerika anzusiedeln.
Sicher haben die kleinen Schaaren von Menschen, welche zuerst Amerika und Oceanicn bevölkerten,
ohne Rinder
und Pferde mitzunehmen, nicht eine Thierwelt nach dem
mitgebracht,
neuen Festlande
welche von
Contincntes ganz verschieden ist.
der
unseres
Auch werden nicht auf
Eisbergen so viele Thiere, deren Arten sich in der alten Welt nicht finden, nach den warmen Gegenden der neuen Welt hinüber gereist sein,
wenn auch
im Norden das
Renthier, der Eisbär u. s. w. auf diese Weise von einem
Lande
zuni andern
fügt Pfaffs bei,
kommen konnten."
haben die der
„Und warum,
langsamsten
Ortsbe
wegung fähigen Thiere, wie z. B. die Faulchiere, alle den weitesten Weg zurückgelegt, ohne wenigstens einzelne
Repräsentanten
unterwegs zurückzulassen,
sind die mit der
wie z. B. die Pferde, geblieben?
und warum
raschesten Ortsbewegung
versehenen,
auf dem alten Continent zurück
Von welchem Standpunkte aus
man die
Vorstellung, daß alle Thierarten der Erde, die für das kälteste wie die für das wärmste Klima geschaffenen, von
Einem Paare und von Einem Punkte ausgegangen seien, auch betrachten möge, desto augenscheinlicher stellt sich die
Unmöglichkeit derselben heraus."
Dagegen können,
wie
Giebel?) sagt, „alle Thiere, welche die Juden jenes Zeit
alters", in welchem die Genesis verfaßt wurde, „kannten
und für welche sie sich interessirten", also
die Thiere,
von welchen wir anzunehmen haben, daß sie in der Arche
1) Schöpfungsgeschichte,
1. Aufl., S. 653.
Vgl. Bibel
und
Natur S. 326. 2) Tagesfragen aus der Naturgeschichte, 3. Ausl., 1859, S. 72.
197 vertreten waren,
„ganz
gut vom Ararat
her sich ver
breitet haben". Es wird also
zuzugeben sein, daß die Auffassung
des Sündfluth-Bcrichtes,
wie
sie wenigstens
bei den
älteren Theologen die herrschende ist, die Annahme einer ganzen Reihe von Wundern, theilweise der auffallendsten
Art, nöthig macht. Nehmen wir aber nicht alles in dem Berichte buchstäblich, — und dazu sind wir nach dem
Gesagten berechtigt, — und nehmen wir weiter an,
daß
der Bericht auf einer allerdings im Wesentlichen richtigen,
im Einzelnen aber sagenhaft ausgebildeten Ueberlieferung beruht, — und auch mit dieser Annahme treten wir, da
es sich dabei nicht um religiös bedeutsame Dinge handelt, dem Ansehen der Bibel gegen den
biblischen
nicht zu nahe, — so wird sich
Bericht
von Seiten
wissenschaften nichts einwenden lassen.
der Natur
Berichtigungen. S.
42 Z. 5 v. o. st. „von Tag und Nacht" l. „von Hell und Dunkel".
S.
65 Z. 3 v. o. st. „die eine, Hebdomas" l. „die eine Hebdomas".
S. 177 Z. 13 v. u. st. „Juden" l. „Inder". S. 182 Z. 14 v. o. st. „herunterzudrücken" l. „herunterzurücken".
Im selben Verlag erschienen:
Mißet und Aatur. Vorlesungen über
die
mosaische Urgeschichte und ihr Verhältniß jn den Ergebnissen der Naturforschung. Von
Dr. Fr. Heinrich Neusch, Professor der kalhol. Theologie an der Universität zu Benn.
Wierte
bedeutend vermehrte und theilweise umgearbeitete Auflage,
gr. 8°.
381/2 Bogen.
Preis 8 Mark 50 Psg.
Das Buch ist zuerst 1862 erschienen und hat seitdem in drei starken Auflagen und vier Uebersetzungen, einer französischen, einer italienischen, einer holländischen und einer ungarischen, eine weite Ver breitung gefunden. Auf ausgebreitete und eingehende Studien gestützt, behandelt der Verfasser in einer für alle Gebildeten verständlichen und anziehen den Darstellung die biblischen Berichte über die Urgeschichte und ihr Verhältniß zu den Ergebnissen der Naturforschung. Nach einigen ein leitenden Abschnitten wird zunächst der biblische Schöpfungsbericht und fein Verhältniß zur Astronomie und Geologie ausführlich besprochen, woran sich eine kürzere Erörterung über die Sündsluth anschließt. Dann folgen Erörterungen über die Entstehung der organischen Wesen, über die Darwinsche Descendenztheorie, über das Verhältniß von Mensch und Thier, über die Einheit des Menschengeschlechts, über das Alter des Menschen und über die modernen Darstellungen der vor historischen Zeit. Für die neue Auflage ist der erste Theil sorgfältig revidirt und Dielfach verbessert, der zweite Theil mit Rücksicht auf den Fort schritt der wissenschaftlichen Forschungen und die in den letzten Jahren erschienenen Schriften umgearbeitet und bedeutend erweitert.
Ms de Icon und
die spanische Inquisition. Von
Dr. Fr. Heinrich Reusch, Professor der katholischen Theologie an der Universität zu Bonn.
1873.
8 Bogen gr. 8°.
Preis 1 Mark 80 Psg.
Luis de Leon, Augustiner-Mönch und Professor zu Salamanca^ einer der bedeutendsten spanischen Dichter und der gelehrtesten Theologen des 16. Jahrhunderts, wurde 1572 auf Befehl der Inquisition verhaftet und in einen Proceß verwickelt, welcher beinahe fünf Jahre dauerte und mit der Entlassung des Angeklagten aus dem Gefängnisse und der Wiedereinsetzung desselben in sein Lehramt endete. Die int Jahre 1847 zu Madrid in zwei Bänden veröffentlichten Acten dieses Processes sind wohl die umfangreichste und merkwürdigste Sammlung, von Acten eines Jnquisüions-Processes, welche überhaupt bekannt ist. Die ausführliche und genaue Darstellung, welche auf Grund dieser Acten und anderer Quellen in der oben erwähnten Schrift von dem Processe gegen Luis de Leon gegeben wird und andere daran sich an schließende quellenmäßige Mittheilungen bieten ein sehr anschauliches Bild von dem Verfahren der spanischen Inquisition und sind wohl eher geeignet einen richtigen Einblick in das Wesen und Wirken dieser furchtbaren Institution zu eröffnen, als allgemeine Schilderungen der selben. Die Schrift enthält außerdem interessante Mittheilungen über die dichterischen und theologischen Arbeiten des Luis de Leon und über mehrere spanische Theologen und Schriftsteller des 16. Jahrhunderts und ist insofern auch ein wichtiger Beitrag zur spanischen und zur theologischen Literaturgeschichte.
Universitäts-Buchdruckerei von Carl Georgi in Bonn,