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Schriftenreihe der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
Band 224
Die Bezahlung und Versorgung von Politikern und Managern Beiträge auf der 15. Speyerer Demokratietagung vom 24. bis 25. Oktober 2013 an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Herausgegeben von
Hans Herbert von Arnim
Duncker & Humblot · Berlin
HANS HERBERT VON ARNIM (Hrsg.)
Die Bezahlung und Versorgung von Politikern und Managern
Schriftenreihe der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Band 224
Die Bezahlung und Versorgung von Politikern und Managern Beiträge auf der 15. Speyerer Demokratietagung vom 24. bis 25. Oktober 2013 an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
Herausgegeben von Hans Herbert von Arnim
Duncker & Humblot · Berlin
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Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Meta Systems GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 2197-2842 ISBN 978-3-428-14434-1 (Print) ISBN 978-3-428-54434-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-84434-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die Bezahlung von Führungskräften ist schon immer ein sensibler Bereich, weil sie an Grundfragen des Verständnisses von Demokratie und Marktwirtschaft rührt. Das Thema der 15. Speyerer Demokratietagung besaß zudem besondere Aktualität: Die „Unabhängige Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts“ unter Vorsitz des früheren Bundesjustizministers Edzard Schmidt-Jortzig hatte ihren Bericht im März 2013 vorgelegt und eine Dynamisierung der Entschädigung von Bundestagsabgeordneten und ihre Erhöhung auf das Niveau von Bundesrichtern vorgeschlagen. Der bayerische Diätenskandal, gemeinhin bekannt als Verwandtenaffäre, obwohl er sich mitnichten in der Beschäftigung von Ehegatten und Kindern von Abgeordneten auf Staatskosten erschöpft, war durch mein am 15. April 2013 veröffentlichtes Buch „Die Selbstbediener. Wie bayerische Politiker sich den Staat zur Beute machen“ ausgelöst worden. Der Bayerische Landtag hatte darauf eine Reihe von Änderungen vorgenommen, und der Bayerische Rechnungshof hatte unter anderem die Zahlungen für Mitarbeiter von Abgeordneten geprüft – mit erstaunlichen Ergebnissen. Dagegen verwehrt der Bundestag dem Bundesrechnungshof seit 20 Jahren solche Prüfungen. Bundestagsabgeordnete verfügen – neben ihrer Kostenpauschale von 4.204 E – über mehr als 20.000 E monatlich (einschließlich der Arbeitgeber-Sozialaufwendungen) allein für persönliche Mitarbeiter. Diese werden, wie eine Sendung des ARD-Fernsehmagazin Report Mainz vom 17. 9. 2013 anschaulich demonstrierte, auch für den Wahlkampf eingesetzt. Umso größere Erwartungen hatten sich an die Vorträge zweier zentraler Apologeten geknüpft: Edzard Schmidt-Jortzig und Heinrich Oberreuter, des (alten und neuen) Vorsitzenden der bayerischen Diätenkommission. Siehe dazu aber auch den Beitrag von Arnim. Nach der Tagung im Oktober 2013 nahm die Aktualität des Themas noch zu, da der Bundestag den Kommissionsbericht tatsächlich zur Vorlage seiner jüngsten Diätengesetzgebung machte und – als Reaktion auf den bayerischen Diätenfall – weitere Änderungen des bayerischen Abgeordnetengesetzes erfolgten; die CSU veröffentlichte sogar einen „Verhaltenskodex“ für Politiker, der zum Beispiel die Zweckentfremdung staatlich bezahlter Abgeordnetenmitarbeiter zum Einsatz für Parteien und Wahlkampf ausdrücklich untersagt. Zur Aktualität trägt auch bei, dass die Antikorruptionseinheit des Europarats (GRECO) einen Bericht über den finanziellen Status von Bundestagsabgeordneten vorbereitet und dafür am 10. bis 14. März 2014 eine Anhörung in Berlin vornahm. Die Thematik des Bandes geht aber weit über Abgeordnetendiäten hinaus. Sie betrifft auch die Nebeneinnahmen von Politikern (siehe den Beitrag von Christian
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Vorwort
Humborg), den finanziellen Status von Regierungsmitgliedern und kommunalen Wahlbeamten (Bernhard Zentgraf). Hermann K. Heußner stellt den Pflichten von Amtsträgern Pflichten von Bürgern gegenüber. Der Bezahlung von Wirtschaftsbossen widmen sich Jörn Ipsen und Andreas Föller. Die Einkommen deutscher Manager sind seit Mitte der Neunzigerjahre sehr viel schneller gestiegen als die Einkommen ihrer Mitarbeiter. Ihren bekanntesten Repräsentanten hat das Oberlandesgericht München bescheinigt, vor Gericht „ersichtlich unwahre“ Aussagen gemacht zu haben, weshalb sie sich jetzt einem Strafverfahren gegenübersehen. Die Empfehlungen der Good Governance Kommission, die zunächst einmal gescheiterte Novelle zum Aktiengesetz und die schweizerischen Initiativen zur Eindämmung der Bezahlung von Wirtschaftsmanagern brachten auch diese erneut in die Diskussion. Die erste Volksabstimmung vom März 2013, die die Bezahlung in die Hand der Mitgliederversammlung legt, hatte auch nach Deutschland ausgestrahlt; die zweite vom 24. November 2013, die die Managergehälter gar auf das Zwölffache des Mindesteinkommens begrenzen wollte, war allerdings gescheitert. Bei der Redaktion dieses Bandes war mir Herr Dipl.-Volkswirt Andrei Király eine große Hilfe. Speyer, im April 2014
Hans Herbert von Arnim
Inhaltsverzeichnis Joachim Wieland Begrüßung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Edzard Schmidt-Jortzig Die Bezahlung und Versorgung von Abgeordneten vor dem Hintergrund der Vorschläge der Schmidt-Jortzig-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Heinrich Oberreuter Der finanzielle Status bayerischer Landtagsabgeordneter . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Hans Herbert von Arnim Die Bezahlung von Politikern: Art, Höhe und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jörn Ipsen Qualitätskriterien für Politiker und Führungskräfte der Wirtschaft und der Stellenwert des Geldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Christian Humborg Nebeneinnahmen von Politikern und Korruption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Hermann K. Heußner Politik ohne Geld: Die Pflicht der Bürger zur Kontrolle der Politiker . . . . . . . .
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Sebastian Frankenberger Politik und Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bernhard Zentgraf Der finanzielle Status von Regierungsmitgliedern und kommunalen Wahlbeamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Andreas Föller Richtlinien für die Bezahlung von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften und Sparkassendirektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Begrüßung Joachim Wieland Meine Damen und Herren, als Rektor der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften ist es mir eine große Freude, dieses Grußwort zu Ihnen sprechen zu dürfen und Sie alle in unseren Räumen zur 15. Speyerer Demokratietagung zu begrüßen. Dass es die 15. Tagung ist, weist bereits auf die beeindruckende Tradition der Veranstaltung hin. Wir haben wenige Fortbildungstagungen, die eine so lange Geschichte haben, und das hat seinen Grund. Herr Professor von Arnim ist nicht nur selbst als Wissenschaftler in der Öffentlichkeit bekannt. Vielmehr ist er gerade auch mit seiner Fortbildungstagung auf beachtliches öffentliches Interesse gestoßen. Die Frage nach der Angemessenheit der Bezahlung und Altersversorgung von Politikern und Managern, mit der Sie sich heute beschäftigen, ist eines Ihrer Kernthemen. Sie sind der Experte, der in den Medien immer wieder um Einschätzungen gebeten wird. Im Frühsommer dieses Jahres haben Sie mit Ihrem neuen Buch zur Selbstbedienungsmentalität von Landespolitikern in Bayern ein politisches Erdbeben ausgelöst. Sie haben mit Ihren Arbeiten wesentlich dazu beigetragen, dass die öffentliche Diskussion darüber, wie Politiker eigentlich bezahlt werden sollten, auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage geführt wird. Bezahlt man Politiker zu schlecht, werden sich nicht die richtigen Leute bereitfinden, sich politisch zu betätigen und sich in politische Ämter wählen zu lassen. Bezahlt man sie zu gut, setzt man falsche Anreize und zieht Personen an, die nicht das Gemeinwohl, sondern die eigene Bereicherung im Auge haben. Vor allen Dingen sollte man aber dafür sorgen, dass die Bezahlung für die Wählerinnen und Wähler transparent ist und dass es keine Doppelbezüge gibt. Wenn man nach Thüringen schaut, kann man schon nachdenklich werden. Dass man als Minister eines Landes gleichzeitig noch Übergangsgelder dafür erhält, dass man nicht mehr im Bund an leitender Stelle tätig ist, wird wohl außer dem Betroffenen niemand nachvollziehen können. Immerhin scheint die Sensibilität der Verantwortlichen für Entscheidungen in eigener Sache zugenommen zu haben. Hier muss der Neigung entgegengewirkt werden, mehr an das eigene Konto als an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu denken. Für die Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften ist es wichtig, dass wir durch die Forschungen von Prof. Dr. von Arnim auch außerhalb der Pfalz wahrgenommen werden. Dass sich ein Wissenschaftler mit Äußerungen zu den Bezügen
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Joachim Wieland
von Politikern nicht nur Freunde macht, liegt auf der Hand. Aber auch insoweit gilt: Viel Feind, viel Ehr! Die Demokratietagung lockt bedeutende Referentinnen und Referenten nach Speyer und ist für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein attraktives Ziel. Das zeigt die große Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die heute wieder den Weg nach Speyer gefunden haben Ich bin sicher, Sie werden nicht bereuen, heute nach Speyer gekommen zu sein. Ich habe das Programm gesehen und bin jetzt gespannt auf die Vorträge. Ich wünsche der Tagung einen guten Verlauf. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Bezahlung und Versorgung von Abgeordneten vor dem Hintergrund der Vorschläge der Schmidt-Jortzig-Kommission Edzard Schmidt-Jortzig Ausgangspunkt eines jeden Nachdenkens über Funktion und Funktionieren des parlamentarischen Regierungssystems muss m. E. stets die Unverzichtbarkeit bzw. Unersetzlichkeit seiner Basis, nämlich der Demokratie sein – bei all ihren mitunter vielleicht lästigen Begleiterscheinungen. Man kann das kaum einprägsamer (aber auch hintergründiger) ausdrücken, als es Winston Churchill in seiner berühmten Unterhausrede von 1947 getan hat: „Demokratie ist die schlechteste alles Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind“.1 Die Einsicht in die Unabdingbarkeit von Demokratie hat ihren Grund. Denn wenn man den Menschen als Maß aller menschengemachten Dinge ansieht, muss alles, was menschliche Gemeinschaftsformierung und dann deren Entscheidungen, Handlungen und organisatorischen Anstrengungen anbetrifft, auch von den sich darunter zusammenfindenden Menschen her legitimiert sein. In der Massendemokratie aber lässt sich das eben nur über ein Parlament verwirklichen (mit oder ohne Ergänzung durch plebiszitäre Instrumente). Und über dessen angemessene Einrichtung soll nun gesprochen werden. Dabei geht es hier nicht um die Größe des Parlaments, um seine wahlmäßige Rekrutierung oder die Ergebnisse seines Wirkens. Behandelt werden soll hier lediglich – aber immerhin – die notwendige Ausstattung der Abgeordneten: ihre Arbeitsressourcen, ihre Statusrechte, ihre Vergütung. I. Hierzu hatte bekanntlich im November 2011 der Ältestenrat des Deutschen Bundestages eine Sachverständigenkommission eingesetzt.2 Sie sollte erneut einmal die Arbeitsverhältnisse der Bundestagsabgeordneten auf ihre grundsätzliche Angemessenheit untersuchen. Und konkret war das damals die Reaktion auf wieder heftige mediale Kritik, als im Sommer des Jahres eine Anpassung der Abgeordnetenentschädigung und der Versorgungsansprüche beschlossen wurde3. 1
Parliament Bill, HC Deb. November 11, 1947, vol. 444 p. 207. Entscheid v. 24. 11. 2011 gemäß Abschnitt B 2 der BT-Drs. 17/ 6291 (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des PartG und eines Gesetzes zur Änderung des AbgG), vom BT beschl. am 7. 7.2011, BT-StenB. 17/13993 B. 3 28. G zur Änderung des AbgG v. 23. 8. 2011, BGBl. I S. 1748. 2
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Edzard Schmidt-Jortzig
Schon lange war man es ja leid, bei der nun einmal notwendigen Entscheidung des Bundestages über die eigenen Angelegenheiten immer den als ungerecht empfundenen Anwürfen der Selbstbedienung oder Raffgier ausgesetzt zu sein. Mit spielte aber bei der Kommissionseinsetzung sicher auch der Eindruck, insgesamt in der Öffentlichkeit nicht die angemessene Wertschätzung der parlamentarischen Arbeit zu finden. „Abgeordneten-Bashing“ scheint manchmal geradezu zum medialen Standardprogramm geworden zu sein. Und auch in der wissenschaftlichen Publizistik findet sich ja immer wieder Kritik und Anprangerung, die von den Insidern oft als kenntnisfern und sogar verletzend empfunden wird. Dem allen wollte man nun mit einer grundsätzlichen, unabhängigen Aufarbeitung entgegenwirken. Sachlichkeit statt Emotion, Profundität statt Vorurteil sollte die Gegenstrategie sein. Sehr schnell gelangten dann neben Abgeordnetenentschädigung und Alterssicherung auch weitere Gravamina noch auf die Kommissionsagenda. Seit der „KisselKommission“, die seinerzeit in ähnlicher Weise das Abgeordnetenrecht auf seine Angemessenheit überprüft hatte4, waren nahezu 20 Jahre ins Land gegangen. Und in vieler Beziehung hatte sich entweder die Parlamentspraxis scheinbar von den Normlinien entfernt, oder diese Normen hatten sich zunehmend als praxisfremd herausgestellt, was insbesondere für die Frage der Funktionszulagen für besondere Abgeordnetenaufgaben zu gelten schien. Manches aber – wie die Anrechung ,mitgebrachter‘, also vorparlamentarisch erworbener Ansprüche oder Anwartschaften auf die mandatsbezogene Altersversorgung – stellte sich auch als Gerechtigkeitsfrage dar. Und andere Problembereiche hielt einfach auch die Kommission selber für erörterungsbedürftig (beispielsweise im Finanzierungsfächer die steuerfreie Kostenpauschale). Über die allgemeinen Arbeitsvoraussetzungen der „Unabhängigen Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts“ (so ja der offizielle Name) sei dann nur noch berichtet, dass die Zahl der Mitglieder überschaubar blieb (11 waren es), was eine effektive Diskussion und Entscheidung garantierte, und dass die konkrete Besetzung in vollem Fraktionenkonsens und damit weitgehend überparteilich erfolgte, so dass es kaum Vorfestlegungen oder Interessenrücksichtnahmen gab (außer möglicherweise den rein individuellen bzw. subjektiven, wie sie ja menschentypisch sind). Wissenschaft und Praxis hielten sich jedenfalls die Waage, praktische Wirtschaftskenntnis war vertreten, Arbeitnehmer-, Sozialordnungs- bzw. Tarifvertragsbedingungen konnten eingebracht werden, berufliche Quer- und Dritterfahrungen waren präsent. Die von außen vereinzelt geübte Kritik, die Kommission sei einseitig zusammengesetzt gewesen, weil ausgewiesene Kritiker der Verhältnisse gefehlt hätten, ging zudem wohl an der Sache vorbei. Es sollte ja nicht die parlamentarische Demokratie, das parlamentarische Regierungssystem oder der Parlamentarismus als solcher umgestaltet werden, sondern es galt, seinen angemessenen Wirkungsrahmen auf den
4 Bericht der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Abgeordnetenrechts (sog. „Kissel-Kommission“) v. 3. 6. 1993, BT-Drs. 12/5050.
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Prüfstand zu ziehen. Und ein Standpunkt als Kritiker muss sich ja auch erst aus gerüttelter Sachdurchdringung (und nicht aus publizitätsreichen Vorvoten) entwickeln. II. Die Ergebnisse der Kommission nun sehen – für den hiesigen Kontext in 7 Kernaussagen zusammengefasst – wie folgt aus. Sie sind ja im Übrigen auch detailliert in einer Bundestagsdrucksache veröffentlicht worden5. 1. Die Stellung der Mitglieder des Bundestags leitet sich aus der herausgehobenen Rolle des Parlaments im Verfassungsgefüge ab sowie aus ihrer Position als Volksvertreter und als Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft. Die Entschädigung der Abgeordneten muss deshalb in allen ihren Teilen dieser Bedeutung angemessen sein. 2. Als Ausgangsgröße für die Grundentschädigung eines Bundestagsabgeordneten – wohlgemerkt nur dies, nicht also als definitive Ankoppelung – erscheinen die Bezüge eines Richters an einem obersten Gerichtshof des Bundes (Besoldungsgruppe R 6) geeignet. So ist es ja schon seit 1995 im Abgeordnetengesetz vorgesehen6 und sollte nun tatsächlich auch realisiert werden. 3. Die laufende Anpassung der Grundentschädigung soll dann dem jährlich vom Statistischen Bundesamt errechneten Nominallohnindex und damit der Verdienstentwicklung der abhängig Beschäftigten folgen. Die Anpassung geschieht als Drucksache veröffentlich jeweils zum 1. Juli eines jeden Jahres. Die Indexierung wird im Abgeordnetengesetz verankert. Und über die Beibehaltung der Indexierung entscheidet der Bundestag in einem gesonderten Übernahmebeschluss zu Beginn jeder Wahlperiode mit Wirkung für den gesamten Legislaturzeitraum. 4. Zur Sicherung der Unabhängigkeit der Abgeordneten und ihrer wirtschaftlichen Existenz muss es auch ein finanziell hinreichend ausgestattetes Alterssicherungssystem geben. Ob es hierzu bei dem bisherigen beamtenähnlichen Versorgungssystem (ggf. mit Modifikationen) bleiben soll oder ein „Bausteinmodell“ vorzuziehen wäre, das aus den mitgebrachten Versorgungsansprüchen oder -anwartschaften, einer parlamentsgewährten Zusatzversorgung und einer fakultativen Eigenvorsorge bestehen würde, das blieb mit 5 : 5 Stimmen unentschieden. – Das Modell einer reinen Eigenvorsorge als dritte Alternative fand lediglich einen Unterstützer. 5. Die Anrechnung von Renten auf die Abgeordnetenbezüge ist – um den Schutz für eine außerparlamentarische Berufs- und Altersvorsorgebiographie zu erhöhen – so zu ändern, dass sich ein prozentual niedrigeres Ruhen des Anspruchs auf eine Rente ergibt. Außerdem sollten Bund und Länder über die Anrechnung von Ren5
BT-Drs. 17/12500 v. 19. 3. 2013. 19. Gesetz zur Änderung des AbgG (Art. 2 des Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten) v. 15. 12. 1995, BGBl. I S. 1718. 6
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ten hinaus das Verhältnis der bundes- und landesrechtlichen Anrechnungsvorschriften harmonisieren. 6. Nur mit 5 zu 4 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) empfiehlt die Kommission, die Kostenpauschale unverändert beizubehalten. 7. In das Abgeordnetengesetz sollten eine Funktionsvergütung für Ausschussvorsitzende sowie die – aus der Fraktionsautonomie folgende – grundsätzliche Zulässigkeit der Zahlung von Funktionsvergütungen an Inhaber von Fraktionsämtern aus Fraktionsmitteln aufgenommen werden. Die Fraktionen haben dann in ihren Rechenschaftsberichten aufzuführen, welche Funktionsstellen (und wie hoch) besonders vergütet werden. III. Es seien dazu nur noch einige allgemeine Beschreibungen hinzugefügt bzw. einige zusätzliche Erläuterungen gegeben.7 Die Kardinalaufgabe in dem Gestaltungsfeld war (und bleibt allemal), zunächst die gegebenen normativen und systembedingt faktischen Bedingungen mit den Einschätzungen und Erwartungen der Allgemeinheit in Übereinstimmung zu bringen. Selbst auf jeder der beiden Seiten dieses Spannungsverhältnisses bestehen ja Unsicherheiten. So dürfen einerseits die regulativen Vorgaben nicht zu theoriebestimmt und praxisfern sein, um die Realabläufe nicht aus dem Griff zu verlieren, das Feld aber auch den dort entwickelten Präferenzen nicht zu frei zu überlassen. Und ebenso sollten sich andererseits die Einschätzungen der Öffentlichkeit nicht übermäßig von Vorverständnissen oder Idealvorstellungen leiten lassen, damit sie ihre sachliche Substanz für einen kritischen Einfluss behalten. Die Schwierigkeiten (aber auch die Reize) dieser Herausforderung liegen also auf der Hand. Eine rationale Herangehensweise sodann muss demgemäß erst einmal den normativen Ausgangsbefund solide herausarbeiten. Das gilt nun sicher besonders für den Parlamentarismus, um dessen Validität es ja bei all den Reformüberlegungen gehen soll. Hierbei darf dann aber der Focus nicht allein auf den verfassungsrechtlichen Vorgaben ruhen, unmittelbar aus der Konstitution hergeleitet und/oder vom Bundesverfassungsgericht manifestiert. Ebenso müssen unbedingt politikwissenschaftliche Funktionserkenntnisse einbezogen werden. Denn wo die Norm und ihr Zweck nicht übereinstimmen, sind Fehlentwicklungen fast unvermeidlich, egal auf welcher Seite. Die Kommission hat deshalb am Anfang erst einmal das „Leitbild“ von Parlament und Parlamentsabgeordnetem entfaltet und benannt, aus dem sich all ihre Ansätze und Empfehlungen erklären. Nur so kann ja die Argumentation überhaupt schlüssig sein. Und alle Kritik an Einzelpunkten muss sich dann fragen lassen, wo sie denn in 7
Siehe zum Folgenden auch Schmidt-Jortzig, Die „Unabhängige Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts“: orientiert an realistischen Normen und parlamentarischer Praxis, in: S. Schüttemeyer/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), Der Wert der parlamentarischen Repräsentation. Entwicklungslinien und Perspektiven der Abgeordnetenentschädigung (Schriften zum Parlamentarismus, Bd. 21), 2013, S. 9 ff.
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der Prämisse und/oder dem Deduktionsgang nun einen Fehler sieht. Das sog. „Leitbild“ hat freilich auch jeder Überprüfung standzuhalten, ob es nicht womöglich von den Interpreten selber eingefärbt oder stilisiert wird, sondern sich immer belastbar aus den normativ-funktionellen Vorgaben herleitet. An dreierlei Aspekten mag dies noch deutlicher werden: 1. Zunächst einmal war, was das Parlament und damit der einzelne Abgeordnete als sein Träger in der deutschen Demokratie überhaupt zu bewerkstelligen haben, grundlegend zu sichten und aufzulisten. Und dabei kommt eben doch ein erstaunliches Tableau zum Vorschein. Schon hier übersieht ja die Kritik leicht, wie viele Aufgaben dem Parlament in seiner Funktion als Gesetzgeber allein von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zugewiesen worden sind (von der ,Wesentlichkeitsdoktrin‘ bis zur umfassend ausgreifenden Ratifikationspflicht), ob man das nun hilfreich und wirklich substantiell erfüllbar findet oder nicht. Andere Entscheidungsbedarfe kommen hinzu (vom Auslandseinsatz der Streitkräfte bis zur sog. europäischen ,Integrationsverantwortung‘). Und übersehen wird oft auch, welche Funktionen der Abgeordnete jenseits der gewiss nicht immer vom Stuhl reißenden, öffentlichkeitsregistrierten Plenardebatten wahrnimmt, in den Arbeitsgliederungen des Parlaments und der Fraktionen etwa, bei der Meinungsformung in den Parteigremien sowie bei der Politikvermittlung im Wahlkreis und zum allgemeinen Publikum hin über Fernsehen, Rundfunk, Elektronikmedien oder diversen Diskussionsrunden u. s. w.. Allzu defizitär dürften diese Aufgaben wohl auch kaum erfüllt werden, denn das politische System in der Bundesrepublik ist trotz aller üblichen (aber für die ständige Arbeit an der Schwachstellenbeseitigung ja auch unerlässlichen) Kritik erfreulich stabil, zumal wenn man auf Verhältnisse in anderen Staaten sieht. Zur Ehrlichkeit der Bestandsaufnahme im „Leitbild“ gehört jedenfalls, dies alles nüchtern mit in den Blick zu nehmen. Und die, welche sagen, das alles sei doch ein reines Idealbild, müssen sich dann schon darauf einlassen, ihrerseits nun das Dargetane zu widerlegen. 2. Das normative „Leitbild“ hat darüber hinaus aber auch andere Bedingungen noch in den Blick zu nehmen. So sind etwa die organisatorischen Erforderlichkeiten und sozialen Realitäten des personalintensiven Kollegialorgans Parlament unübersehbar. Und da alles ja auch effektiv arbeiten soll und nur wirklich unverzichtbare Kosten verursachen darf, müssen sogar noch betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte einbezogen werden. Vertikale und horizontale Gliederungsnotwendigkeiten des Gesamtparlaments sind mithin ebenso ins Auge zu fassen wie ihre jeweiligen Leitungsund Intendanzerfordernisse. Präsidium, Ältestenrat oder (im parteienbestimmten Parlamentarismus) Fraktionen ebenso wie Ausschüsse, (Enquete)Kommissionen oder Arbeitsgruppen etc. sind insoweit notwendige Strukturierungen, um das von der Verfassung eingesetzte Organ ,Bundestag‘ handlungsfähig zu machen. Und damit zieht sich das System eben auch bestimmte (freilich jeweils begründungsbedürftige) Ablauf- und Arbeitsbedingungen zu, die eine realitätsbewusste Normenkonkretisierung nicht aus dem Blick verlieren darf.
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Hierzu gehört dann aber offenbar auch eine gewisse Hierarchisierung der Aufgabenverteilung. Leitungsobliegenheiten verlangen anderen Arbeitseinsatz als reine Ausführungspflichten, Koordinierungsbedarf durch die Obleute stärkeres Engagement als lineare Mitgliedschaft, Berichterstattung andere Bemühung als bloße Mitberatung. Und in einer Leistungsgesellschaft fordert intensivere Qualifikation, Tüchtigkeit oder Verantwortungsübernahme auch entsprechende finanzielle Anerkennung, nicht als Anreiz, sondern als angemessenen Ausgleich für Mehrleistung bzw. anderweitige Einschränkung. Dies zu verkennen und strikte Egalität selbst bei unterschiedlichem Kräfteeinsatz bzw. ungleicher Aufgabenstellung und Gesamtverantwortung zu verlangen, wäre realitätsfern und effektivitätshindernd. Und dies kann auch nicht Quintessenz der maßgeblichen normativen Vorgabe, des „Leitbildes“ also, sein. Ähnliches gilt sicher gleichermaßen für andere Fragen des Abgeordnetenverhältnisses. Aus der Kommissionsagenda betraf das beispielsweise die Alterversorgung bzw. die Anrechnung dritter Ansprüche und Anwartschaften auf die parlamentsseitigen Alterszuwendungen. Auch hier wird der Grundsatz formaler Abgeordnetengleichheit kaum unverändert durchgesetzt werden können, wenn (ehemalige) Abgeordnete besondere vorsorgerechtliche Biographien aufweisen, also etwa in ihrer Berufstätigkeit vor oder nach dem Mandat eigene Versorgungsoptionen erworben haben bzw. erwerben. Gegen eine strikt einheitliche Reglementierung sprechen hier ja außerdem handfeste Verfassungsargumente. Zum einen verlangt schon der Gleichheitssatz (und also der Gerechtigkeitsgedanke), dass Ungleiches ohne durchschlagenden sachlichen Grund nicht gleich behandelt werden darf, und zum anderen erfasst eben der grundrechtliche Eigentumsschutz selbst öffentlich-rechtliche Rentenansprüche, wenn sie denn privatnützig, existenzsichernd und maßgeblich durch eigene Leistung erworben sind. Allenthalben also ist eine Einlassung auf die Lebensrealitäten und ihre Details vonnöten. Und das Beharren auf abstrakten, theoriegeborenen Prinzipien hilft für eine befriedigende Lösung der einzelnen Fragenkomplexe nicht weiter. 3. Eine besondere Herausforderung war schließlich auch, die wirklichen rechtlichen Vorgaben des deutschen Parlamentarismus genau zu identifizieren. Denn Vieles entwickelt sich dort eben einfach aus Eingefahrenheit, vermeintlichen Systemzwängen oder schlichter Bequemlichkeit. Nur wenige Gebiete im täglichen Ablauf der öffentlichen Dinge sind zudem derart offen für jeweils rechtliche Verfestigung.8 Man spricht dann von Parlamentsbrauch, Observanz oder Gewohnheitsrecht und hält es für zwingend bzw. nahezu unabänderlich. Und Vorschub dafür leistet mitunter noch, dass Manches an Normvorstellung einfach aus (gar nicht genau gelesenen) 8 Hierzu bereits BVerfGE 1, 144 (148 f.); 27, 44 (51 f.); 34, 165 (182 f.); 47, 46 (79 f.); oder noch früher RStGH, RGZ 139, Anhang S. 1 (5). Grundlegend Ulrich Scheuner, Über die verschiedenen Gestaltungen des parlamentarischen Regierungssystems, in: AöR 52 (1927), S. 209 (225 ff.); auch: Herbert Frost, Die Parlamentsausschüsse, ihre Rechtsgestalt und ihre Funktionen, in: AöR 95 (1970), S. 38 (52); oder Schmidt-Jortzig, Das rechtliche Fundament der Ministerkompatibilität unter dem Grundgesetz, in: ZgStW 130 (1974), S. 123 (133 ff.).
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Verfassungsgerichtsentscheidungen oder von Meinungsführern übernommen wird, was bei verlässlicher eigener Herleitung gar nicht so ausgemacht erscheinen kann. Als Beispiel mögen zwei durchaus unterschiedliche Problemkomplexe dienen. Zum einen geht es um die Bedingungen der unumgänglichen parlamentarischen Selbstentscheidung in Fragen der Abgeordnetenausstattung. Das Prinzip ist ja unbestritten. „In einer parlamentarischen Demokratie lässt es sich (schlechterdings) nicht vermeiden, dass das Parlament in eigener Sache entscheidet, wenn es um die Festsetzung der Höhe und um die nähere Ausgestaltung der mit dem Abgeordnetenstatus verbundenen finanziellen Regelungen geht“, so hat es auch das Bundesverfassungsgericht herausgestellt.9 Aber die Einzelheiten sind dann schon noch genauer auszuloten. Muss denn jede Betragsänderung vom Parlament erneut eigenständig abgewogen und insbesondere auch jeweils zahlenmäßig authentisch festgelegt werden? Oder ist nicht doch eine gewisse Mechanisierung bzw. Grundsatzabschichtung zulässig? Bisher hat man das immer in ersterer Weise praktiziert, und auch eben die verfassungsrechtliche Interpretation ging meist ohne genaue Problemaufbereitung in diese Richtung.10 Aber ist das wirklich zwingend? Dazu muss dann doch eine unbeeindruckt eigene, methodenpräzise Verfassungsexegese angestellt werden. Zum anderen soll für die Unausgemachtheit manch eingefahrener Normvorstellung nur noch (erneut) das Thema der sog. „Funktionszulagen“ angesprochen werden, d. h. der finanziellen Zusatzvergütungen für Abgeordnete mit akkumuliertem besonderem Aufgabenkreis. Dort wird landläufig ja schlicht davon ausgegangen, sie seien verfassungsrechtlich verboten.11 Und da man besonders im politisch umspülten Raum häufig gar nicht erst so genau darauf sieht, was denn wirklich in der Verfassung steht, sondern das zum Credo nimmt, was (vermeintlich) das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, ist die Dogmenentstehung rasch geschehen. Tatsächlich aber äußert sich zunächst einmal das Grundgesetz selber dazu unmittelbar nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat dann aus dem Demokratieprinzip zwar einen Grundsatz formaler Abgeordnetengleichheit bzw. einer Privilegienfeindlichkeit demokratischer Funktionen entwickelt12, aber restriktive Rückschlüsse für Funktionsvergütungen nur in einem obiter dictum oder in nicht allgemeinverbindlichen EinzelLandesstreitigkeiten gezogen und dies auch nur abstrakt aus dem gewissermaßen demokratischen ,Grundverhältnis‘ der Parlamentsmitglieder getan. Gegenargumente gegen eine unbesehene Übernahme auf das ,Betriebsverhältnis‘, d. h. gegen eine völlige Untersagung unterschiedlicher Leistungszurkenntnisnahme und -akzeptierung oder nur eine ganz ausnahmsweise Zulassung entsprechender Funktionszulagen lassen sich aus der Verfassung jedenfalls ebenso entnehmen, etwa aus der oben erwähn9
BVerfGE 40, 296 (327) – „Erstes Diätenurteil 1975“. Ausführliche Nachw. bei Hans Herbert v. Arnim, Eine Kriegserklärung ans BVerfG, in: NVwZ–Extra 8a/2013, S. 1 (4 Fn. 39); ebendort freilich auch wieder in Form einer Ausdeutung des Karlsruher Diätenurteils, nicht aber in Herleitung aus der Verfassung. 11 Siehe etwa v. Arnim, NVwZ-Extra 8a/2013, S. 1 (4 f. m. w. Nachw.). 12 BVerfGE 40, 296 (318). 10
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ten Gliederungsnotwendigkeit des Parlaments und den Leitungs- bzw. Intendanzerfordernissen. Auch hier also musste für eine wirklich belastbare Verfassungsaussage erst einmal präzise, methodenbewusste Normanalyse geleistet werden.13 IV. Was von den Empfehlungen der Kommission umgesetzt (oder auch ganz anders entschieden) wird (bzw. eben doch unaufgegriffen bleiben soll), ist aber nun eine Frage der Politik. Entscheiden kann und muss allein der Bundestag. Für ihn sind ja auch ganz andere Faktoren noch zu berücksichtigen als bloße Sachrationalität. Die vielen atmosphärischen Unwägbarkeiten und Einbezugsnotwendigkeiten für die Politik allgemein werden ja immer unterschätzt, und erst wenn sie falsch angesetzt oder außer Acht gelassen wurden, ist die Aufregung groß. Was aus den Kommissionsempfehlungen wird, bleibt mithin ungewiss. Hoffen mag man nur, dass sie nicht wie viele Sachverständigenberichte ganz in der berüchtigten „Schublade“ verschwinden.
13 Beispielhaft etwa jüngst das (noch unveröffentlichte) Urteil des SchlH VerfG bezüglich der Parlamentarischen Geschäftsführer in den Fraktionen (U. v. 30. 9. 2013 – LVerfG 13/12), wo das Überwinden der Abgeordnetengleichheit gezielt auch „aus der Beschränkung der grundsätzlichen Freiheit der Mandatsausübung infolge der Übernahme der Funktion“ gerechtfertigt wird. – Siehe auch das für den Bay. Landtag erstattete Gutachten von Udo Steiner, Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Gewährung von Zulagen an Mitglieder des Bayerischen Landtags mit besonderen Funktionen innerhalb einer Fraktion (2012).
Der finanzielle Status bayerischer Landtagsabgeordneter Heinrich Oberreuter Es war ein Sommer des Missvergnügens, der im Jahr 2013 über den Bayerischen Landtag hereinbrach. Die „Verwandtenaffäre“ beherrschte und lähmte die Landespolitik. Sie überschattete selbst die Kür des amtierenden Ministerpräsidenten als Spitzenkandidat für die Wahl im Herbst. Vor allem aber provozierte diese Affäre erhebliche und am Ende auch überzogene Diskussionen über Integrität, Verhaltensstil und Amtsausstattung der Abgeordneten. Im Kern ging es um die Frage, ob eine im Jahr 2000 beschlossene Übergangsregelung, bestehende Mitarbeiterverträge mit engsten Verwandten – bei neu eingeführtem generellen Verbot – im Wege des Vertrauensschutzes weiter gelten zu lassen noch bestand (was sie tat) oder nicht (was weithin vermutet wurde). Zusätzlich waren die Modalitäten von Mitarbeiterverträgen grundsätzlich und keineswegs zu Unrecht in Kritik geraten, ebenso die insuffizienten Anzeigepflichten für Nebentätigkeiten. Das Maximilianeum nahm in diesen Materien im Vergleich zu anderen Parlamenten in Deutschland eine Sonderposition ein. Dieser Diskurs wurde durch einige nicht unerhebliche Fälle rechtlichen oder zumindest moralischen Missbrauchs dynamisiert. Diese Fälle selbst erlitten politische und rechtliche Sanktionen. Vor allem aber sind in ihrer Folge weite, für die Finanzausstattung der Mandatsträger erhebliche Bereiche des Abgeordnetenrechts einer Reform unterzogen worden: Novellierung des Abgeordnetengesetzes in der Fassung vom 22. 5. 2013, verschärfte und präzisierte Verhaltensregeln in der Fassung vom 16. 7. 2013 und schließlich völlig reformierte Richtlinien für Mitarbeiterverträge in der Fassung vom 18. 7. 2013, in denen nun wesentliche Positionen landtagsinterner Kritik seit 1999 sowie Empfehlungen des Obersten Rechnungshofes weithin übernommen worden sind. Ausgeschlossen ist seither die Beschäftigung von Verwandten bis zum 4. Grad sowie die Beschäftigung von Verwandten anderer Landtagsabgeordneter bis zum 3. Grad. Damit besitzt der Bayerische Landtag erneut ein Alleinstellungsmerkmal, jetzt nur auf der anderen Seite der Front. Die Personalbewirtschaftung und die Abrechnung der Mitarbeiterverträge sind nach dem Vorbild des Bundestages ans Landtagsamt übergegangen. Dazu zählt auch die Überprüfung von Besoldung und Qualifikation. Damit entfallen die vorher üblichen Vorauszahlungen und eigene Mittelbewirtschaftung durch die MdL. Seither besteht eine Vorlagepflicht für Arbeitsverträge (samt einer Fülle einschlägiger Unterlagen) und Rechnungen. Notwendigerweise frei bleiben die Abgeordneten nur in der inhaltlichen Ausgestaltung der Ver-
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träge. Dienst- und Werkverträge, die eine Arbeitnehmerüberlassung durch Parteigeschäftsstellen oder Kanzleien vorsehen, sind in der Regel nicht mehr erstattungsfähig; damit sind Grenzen zur Grauzone von Partei- und Individualnutzen gezogen. Die Verhaltensregeln verlangen Anzeigepflichten für entgeltliche Tätigkeiten und eine Vielzahl von einflussreichen Positionen in Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, von Beteiligungen mit wesentlichem wirtschaftlichen Einfluss auf Unternehmen, von Positionen in Vereinen und Verbänden von überlokaler Bedeutung, von zugesagten Vermögensvorteilen. Anzuzeigen sind Beträge, die monatlich 1.000 und jährlich 10.000 Euro übersteigen. Veröffentlicht auf der Internetseite des Landtags werden diese in zehn Stufen von 1.000 bis 3.500 Euro monatlich (Stufe 1) bis über 250.000 Euro (Stufe 10). Über Spenden an Mandatsträger für ihre politische Tätigkeit ist gesondert Rechnung zu legen, ab 5.000 Euro sind sie mit Namen und Anschrift des Spenders anzuzeigen, ab 10.000 Euro werden sie publiziert. Über Details speziell der Verhaltensregeln kann man streiten, muss es aber keineswegs, wenn man nicht an grundlegenden Verdikten – z. B. bei Spenden – festhalten will. Immerhin ist nun die Peripherie der Finanzausstattung weitergehend und restriktiver – bei der Verwandtenbeschäftigung übertrieben – geregelt als je zuvor. Im Folgenden sollen die grundlegenden klassischen Themenfelder behandelt werden. I. Das Amt Der Abgeordnete des Bayerischen Landtags ist Inhaber eines öffentlichen Amtes. Daher sind die Vorschriften des allgemeinen Arbeits- oder Beamtenrechts auf ihn nicht anwendbar. Das folgt schon daraus, dass er sein Mandat weisungsfrei ausübt und keinen Dienstherrn besitzt. Sein Entschädigungsanspruch entsteht mit der Übernahme des Mandats von Verfassungs wegen. Dieser Anspruch wird im Abgeordnetengesetz (BayAbgG Art.5) konkretisiert. Er dient der Gewährleistung des freien und gleichen Zugangs zum Landtagsmandat. Er soll verhindern, dass aus wirtschaftlichen Gründen die Wahrnehmung eines Mandats beeinträchtigt oder gar verhindert wird. Darüber hinaus sichert die angemessene Entschädigung im Grundsatz die Unabhängigkeit des Abgeordneten vor unziemlichen Einflussnahmen von Gruppen der Gesellschaft sowie in Konfliktfällen von seiner eigenen Partei und Fraktion. Der Abgeordnete soll durch die Sicherung seiner Existenz in den Stand gesetzt werden, seine Entscheidungen im Landtag ohne Rücksicht auf etwaige wirtschaftliche Konsequenzen für sich selbst zu treffen. Aus dem Gleichheitssatz hinsichtlich des Zugangs und der Ausübung des Mandats folgt, dass die Grundentschädigung gleich sein muss. Unabhängig davon, wie und mit welchem Zeitaufwand der Abgeordnete sein Mandat ausübt.1
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BVerfGE 40, 296 ff. sowie BVerfGE 102, 224 ff.
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II. Angemessenheit der Grundentschädigung Bei der Ausgestaltung der Entschädigung hat der Landesgesetzgeber zwar einen weiten Ermessensspielraum. Aber er ist nicht gänzlich frei. Er bleibt an Art.48 Abs.3 GG gebunden. Demnach hat die Entschädigung der Inanspruchnahme durch das Mandat Rechnung zu tragen. Diese geht heute über einen Full-Time-Job eher hinaus, als dass sie noch mit der Inanspruchnahme des früheren Honoratioren-Abgeordneten vergleichbar erschiene. Daher ist aus der früheren „Entschädigung für einen besonderen, mit dem Mandat verbundenen Aufwand eine Alimentation des Abgeordneten und seiner Familie aus der Staatskasse geworden“.2 Karlsruhe hat diese Feststellung zunächst auf den Bundestag bezogen, zugleich aber auch auf den Saarländischen Landtag. Damit kommt ihr – von den Stadtstaaten abgesehen – offensichtlich normative Bedeutung für die Landtage zu. Die Angemessenheit wird durch das Bundesverfassungsgericht verbindlich näher bestimmt. Sie muss • für die Abgeordneten und ihre Familien für die Dauer der Parlamentszugehörigkeit eine ausreichende Existenzgrundlage abgeben, • der Bedeutung des Amtes im Hinblick auf die damit verbundene Belastung und Verantwortung und seines Ranges im Verfassungsgefüge gerecht werden, • die Entscheidungsfreiheit des Abgeordneten sichern, • die Möglichkeit gewährleisten, sich der eigentlichen parlamentarischen Tätigkeit auch um den Preis widmen zu können, Berufseinkommen ganz oder teilweise zu verlieren. „Die Alimentation ist also so zu bemessen, dass sie auch für den, der, aus welchen Gründen auch immer, kein Einkommen aus einem Beruf hat, aber auch für den, der infolge des Mandats Berufseinkommen ganz oder teilweise verliert, eine Lebensführung gestattet, die der Bedeutung des Amtes angemessen ist.“3 Damit sind verfassungsrichterliche Maßstäbe vorgegeben. Sie dürfen wohl interpretiert, aber nicht relativiert werden. Insbesondere ist es nach der Verfassung nicht zulässig, Angemessenheit nach ihrer Resonanz bei Medien und politischer Öffentlichkeit zu bestimmen. III. Zum „Berufsbild“ Die Vielfältigkeit des Berufsbildes kann hier nur skizziert werden. Es erschöpft sich nicht in den bekannten innerparlamentarischen Tätigkeiten, über die es aber ohnehin oft genug unpräzise Vorstellungen gibt. Auch wenn z. B. die Föderalismusre2 3
BVerfGE 40, 296 ff. (314). BVerfGE 40, 296 ff. (316).
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form ihre ursprünglich großen Ziele nicht erreicht hat4, wurden immerhin 16 Regelungsmaterien auf die Länder übertragen – darunter Strafvollzug, öffentlicher Dienst, Teile des Umweltrechts. In der konkurrierenden Gesetzgebung können die Länder in sechs Bereichen originäre, vom Bundesrecht abweichende Regelungen treffen (Art.72, Abs.3 GG). Nach Art.23 GG kommen ihnen auch „in Europa“ neue Spielräume sowie Chancen der Eindämmung zentraler Entscheidungsgewalt zu – etwa bei der Subsidiaritätskontrolle. Neu ist in diesem Kontext in Baden-Württemberg und Bayern die Bindung der Staatsregierung an Voten des Landtags. „Entleerung“ des Parlaments trifft in Bayern auch für die Routine nicht zu. Im Vergleich zur 15. Wahlperiode steigerten sich in der 16. die Gesetzentwürfe von 245 auf 316, Anträge von 3.586 auf 5.718, schriftliche Anfragen von 1.934 auf 4.769 und mündliche von 468 auf 2.304. Mit „Gesetzgebung und Kontrolle“ ist die Parlamentsarbeit höchst defizitär beschrieben. Beide wären ohnehin funktional zu differenzieren nach den unterschiedlichen Rollen von Opposition und Mehrheit, die zusätzlich an der politischen Führung insgesamt mitzuwirken hat, welche nach modernerem Verständnis keineswegs allein Regierungsaufgabe ist. Allen Abgeordneten und Fraktionen kommt zudem noch die Aufgabe der kommunikativen Legitimation des politischen Handelns zu. Nachdrücklich ist darauf hinzuweisen, dass den Abgeordneten deshalb völlig zu Recht eine umfangreiche Tätigkeit außerhalb des Parlaments in der Öffentlichkeit und vor allem im Wahlkreis abverlangt wird.5 Sie dient der Verbindung zur politischen Öffentlichkeit und damit der Legitimation der parlamentarischen Demokratie, welche schlechthin als Kernfunktion des Abgeordneten zu gelten hat. Neben der Wahrnehmung einer Fülle von Repräsentationsaufgaben wird von ihm vor allem die Vertretung der Interessen des Wahlkreises oder einer Region sowie der Einsatz für persönliche oder spezielle Belange einzelner Bürger und Bevölkerungsgruppen bei Verwaltung und Ministerien erwartet. Schließlich ist die informierende, nicht zuletzt auch politische Verantwortlichkeit und Rechtfertigung sowie Responsivität gegenüber Anliegen und Anforderungen einlösende Kommunikation mit der (Wählerund Partei-)Basis ein konstitutives Element des Mandats, ja der parlamentarischen Demokratie. Nach verallgemeinerungsfähigen Untersuchungen wenden die Abgeordneten etwa 50% ihrer Arbeitszeit für die Arbeit im Parlament auf, 20% für die Beschäftigung mit politischen Spezialgebieten von überregionaler Bedeutung. Circa 30% die4 Siehe dazu u. a. Heinrich Oberreuter, Landesparlamentarismus in nationaler und europäischer Perspektive, in: Sarcinelli, Ulrich/Falter, Jürgen W./Mielke, Gerd/Benzner, Bodo (Hrsg.): Politik in Rheinland-Pfalz. Gesellschaft, Staat und Demokratie. Wiesbaden 2010, S. 219 – 234. 5 Uneingeschränkt positiv dazu z. B. Hans Hugo Klein, Status des Abgeordneten, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Heidelberg 2005, S. 748. Als Staatsrechtslehrer, Bundesverfassungsrichter, Bundestagsabgeordneter und Parlamentarischer Staatssekretär ist Klein mit der Materie in allen relevanten Perspektiven bestens vertraut.
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nen der Wahlkreis- und Regionalarbeit.6 Die Angaben über die Gesamtbelastung sind unterschiedlich. In seinem Diätenurteil von 1975 ging das Bundesverfassungsgericht bei Bundestagsabgeordneten noch von 80 und mehr Stunden wöchentlicher Arbeitszeit aus. Wenn sich dieser Wert tatsächlich verringert haben sollte, ist dies auf die seither deutlich gewachsene Ausstattung mit Personal und modernen Hilfsmitteln zurückzuführen. Nach neueren Untersuchungen wenden die deutschen Abgeordneten in ihrem „Leben für die Politik“ in Sitzungswochen durchschnittlich 60 Arbeitsstunden für ihr Mandat auf, außerhalb der Sitzungswochen durchschnittlich 52. Eine neue noch nicht veröffentlichte Untersuchung von Stephan Lang in Bayern ergibt in Sitzungswochen bis zu 70 (40 Stimmkreis, 30 Parlament) Stunden, in sitzungsfreien Wochen bis zu 50 Stunden (allein im Wahlkreis). Bundestagsabgeordnete weisen 67 (neuerdings 65) bzw. 59 (neuerdings 50) Stunden auf, westdeutsche Landtagsabgeordnete 57 und 47, bei den Mitgliedern ostdeutscher Landtage liegen die Werte bei 58 und 52 Arbeitsstunden.7 Sie scheinen in Sitzungswochen etwa gleich, im Wahlkreis jedoch deutlich stärker gefordert zu sein als ihre westdeutschen Kollegen. Im Übrigen geben mehr als zwei Drittel an, in ihrem bisherigen beruflichen Leben noch nie so viel gearbeitet zu haben wie als Abgeordnete. Einen Zielkonflikt erkennen die Abgeordneten zwischen Parlaments- und Wahlkreisarbeit. Ausgewogenheit zwischen beiden oder eine Priorität der Parlamentsarbeit anstrebend (zusammen 85%!) sagt ein Drittel, wegen der Arbeit im Parlament zu wenig Zeit für den Wahlkreis aufbringen zu können und beklagt damit Defizite bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit und der Verankerung des Parlamentarismus in der Bevölkerung. Die zeitliche Beanspruchung durch Parlaments- und Wahlkreistätigkeit liegt weit jenseits der normalerweise zu erbringenden Arbeitszeit. Ganz abgesehen davon, dass entsprechend dem Grundsatz des freien Mandats der Abgeordnete ohnehin selbst bestimmt, auf welche Weise er sein Amt wahrnimmt, und er folglich auch frei sein muss, die ihm wichtigen Betätigungsfelder zu definieren, gehören sämtliche hier aufgeführten Tätigkeiten zum Funktionsbereich des Abgeordneten. Auch die Staatsrechtslehre unterteilt diesen Funktionsbereich in die beiden Schwerpunkte Parlament und Wahlkreis8, in welchem die Parteiarbeit „durch die er sich nicht zuletzt seines politischen Rückhalts versichert“ einen wichtigen, selbstverständlichen und die Kommunikation mit der Basis sichernden Raum einnimmt.9 Das Berufsbild des Abgeordneten ist demnach geprägt von einer Arenentrias, in welcher er seinen vielfältigen Aufgaben nachkommt: Parlament, Wahlkreis, Partei. 6
Werner J. Patzelt, Abgeordente und ihr Beruf, in: Braun, Stephan/ Geisler, Alexander (Hrsg.): Die verstimmte Demokratie. Moderne Volksherrschaft zwischen Aufbruch und Frustration, Wiesbaden 2012, S. 153 – 162. 7 Heinrich Best/Stefan Jahr, Politik als prekäres Beschäftigungsverhältnis: Mythos und Realität der Sozialfigur des Berufspolitikers im wiedervereinten Deutschland, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 1/2006, S. 67; Heinrich Best u. a., Jenaer Parlamentarierbefragung 2010, Jena 2011; Stephan Lang s. Anm. 20. 8 Hans Hugo Klein, a.a.O., S. 746. 9 Hans Hugo Klein, a.a.O., S. 748.
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Dem entspricht in der Praxis offensichtlich die Wahrnehmung des Mandats in den Landtagen – auch im Bayerischen. Dem populären Vergleich der Abgeordnetenentschädigung mit anderen öffentlichen Ämtern hat das Bundesverfassungsgericht enge Grenzen gezogen. Wenn das Amt des Abgeordneten verfassungsrechtlich derart einzigartig definiert ist, lässt die verfassungspolitische Logik auch nichts anderes zu. Demgemäß ist die unmittelbare Koppelung an Besoldungen im öffentlichen Dienst untersagt und Transparenz bei der Bestimmung der angemessenen Höhe der Abgeordnetenentschädigung geboten. Nicht untersagt ist dabei die Orientierung der Parlamente an Richtgrößen10, die, der Bedeutung des Amtes gemäß, den verfassungsrechtlichen Vorgaben und einem adäquaten Selbstverständnis zu entsprechen haben. IV. Entschädigung und Kostenpauschale Im Rahmen des vom Bundesverfassungsgericht im Diätenurteil dekretierten Transparenzangebots sowie des Zwangs zur Entscheidung in eigener Sache liegt es im Ermessen des Parlaments, die Methode der Entschädigungsberechnung selbst zu bestimmen. Dazu gibt es in den Landtagen unterschiedliche Modelle. Bayern hat sich seit 1996 (in Abstimmung mit der unabhängigen Diätenkommission nach Art.23 BayAbgG) für eine Indexierungsregelung entschieden, die im Kern nun auch vom Bundestag übernommen worden ist.11 Diese Regelung enthob den Landtag nicht der Notwendigkeit, bei ihrer ersten Anwendung den Richtpunkt einer angemessenen Entschädigung festzusetzen. 1996 diente dazu ein Amt der Besoldungsgruppe B3 bzw. eines Ersten Bürgermeisters einer Gemeinde bis zu 30.000 Einwohnern. Vorausgegangen waren dem Zeiten, in denen die Diäten über Jahre aus Angst vor der Öffentlichkeit ihre verfassungsrechtlich zwingende Angemessenheit verloren hatten. Seither gibt es einen jährlichen Anpassungsautomatismus, den der Landtag sich mit Beschluss jeweils zu Beginn der Wahlperiode zu eigen macht: Maßzahl ist die allgemeine Preis- und Einkommensentwicklung im Vorjahr. Sie wird errechnet vom Bayerischen Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, das sich – gesetzlich festgelegt – an den Monatsentgelten von Beschäftigten im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich (zu 87,2%), im öffentlichen Dienst nach der Entgeltgruppe 11 TVöD (zu 6,2%) sowie eines Beamten der Besoldungsgruppe A12 (zu 6,6%) orientiert. Der Landtag beschließt dieses Verfahren zu Beginn jeder Wahlperiode für deren Dauer durch Gesetz, das wie jedes andere der parlamentarischen Willensbildung unterliegt. Es bestimmt auch den genauen Termin der jährlichen Anpassung, deren Maßzahl jeweils vier Monate zuvor vom Landesamt an den 10
Bezüge in qualifizierten Leitungs-, Führungs- und Verantwortungsämtern können dafür durchaus herangezogen werden. 11 Siehe Bericht und Empfehlungen der Unabhängigen Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechtes vom 19. 3. 2013 = Deutscher Bundestag, Drucksache 17/12 500.
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Landtagspräsidenten übermittelt wird. Darauf folgt die Information des Ältestenrats, die Mitteilung an die Presse und die Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt. Das heißt, der Landtag entscheidet Wahlperiode für Wahlperiode – wie verfassungsrechtlich geboten – über die Grundsätze und fälligen Anpassungen der Entschädigung. Bei den Anpassungen folgt er objektivierten, von außen vorgegebenen Kriterien. Verfahrensgrundsätze und Daten werden veröffentlicht. Sie entsprechen folglich dem Erfordernis der Transparenz. Von rechtswidrigem Missbrauch kann keine Rede sein.12 Faktisch ergab sich zum 1. Juli 2013 eine Steigerung der Entschädigung um 2,6% (= 184 Euro) auf 7.244 Euro monatlich, zwölfmal ausbezahlt und zu versteuern. Die Kostenpauschale für mandatsbedingte Aufwendungen folgt, vom Landesamt ermittelt und vom Landtag in gleicher Weise publiziert, jährlich der Entwicklung des Verbraucherpreisindexes vom Vorjahr. Sie stieg zum 1. Juli 2013 um 2,1% (= 68 Euro) auf 3.282 Euro. Art.6 Abs.2 BayAbgG nennt die Betreuung des Stimm- und Wahlkreises samt Büro ausdrücklich als Kostenerstattungsgrund, so schwer sie sich von reiner Parteiarbeit auch trennen lässt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fordert lediglich13, dass eine steuerfreie Kostenpauschale für mandatsbezogene Aufwendungen wegen des Verfassungsgebots der Gleichmäßigkeit der Besteuerung den tatsächlichen Kosten entsprechen muss. Eine nachvollziehbare Pauschalierung bleibt statthaft. Darüber können am ehesten Zweifel entstehen aufgrund von Ungleichheiten der Lebensbedingungen – wie z. B. Distanz, Nähe oder Identität von Wohnort und Parlamentssitz. In diesem Kontext ist jedenfalls der Hinweis eines Münchner Abgeordneten, er fahre im Stimmkreis mit einem (teuren) Porsche14, kein etwaige Zweifel zerstreuendes Argument. Zu bedenken wäre eher das unterschiedliche Niveau der Lebenshaltung in Hauptstadt und Provinz, das unterm Strich zu am Ende ähnlichen Kostenbelastungen führen könnte. Auch der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 11. September 2008 Kostenpauschalen grundsätzlich für zulässig erklärt und die Alternative verworfen, entsprechende Aufwendungen über Werbungskosten abzusetzen, weil die Mandatsbezogenheit dann von Finanzbeamten beurteilt werde. Mit der freien Mandatsausübung sei das nicht vereinbar. Spitzabrechnungen über das Landratsamt, vielfach, z. B. auch von der bayerischen Diätenkommission, vorgeschlagen, verschöben das Problem lediglich auf eine andere Beamtenebene. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist auch eine Mandatsausstattung inclusive Informations- und Kommunikationseinrichtungen von Amts wegen. Im Alltag trifft z. B. jeder Angestellte, jeder Hochschullehrer oder Redakteur auf einen für ihn kostenfreien funktionsfähigen Arbeitsplatz. Art.6 BayAbgG verlangt im Übrigen bei Kommunikationsmitteln und Schulungen einen Eigenanteil von 15% und eine Er12 Anderer Ansicht kontinuierlich und so auch für Bayern Hans Herbert von Arnim, Die Selbstbediener. Wie bayerische Politiker sich den Staat zur Beute machen, München 2013. 13 BVerfGE 40, 296 ff. Siehe auch Art.5 und 6 Bayerisches Abgeordnetengesetz. 14 So Abg. Gantzer gegenüber dem Deutschlandfunk am 15. Juni 2013.
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stattung des Zeitwertes bei Veräußerung oder Ausscheiden aus dem Landtag. Außer einem Erstattungshöchstsatz von 12.500 Euro waren darüber hinaus keine rechtlichen Eingrenzungen vorgesehen. Im Affärensommer 2013 stellte sich heraus, dass in Einzelfällen exorbitant aufwändige bzw. zahlreiche Geräte angeschafft worden waren, die, nüchtern betrachtet, wohl über Erfordernisse des Mandats hinausgingen, legt man die seit 2009 geltenden Ausführungsbestimmungen zugrunde. Im besonderen Fall eines Abgeordneten, der nicht nur eine mehr als 6.000 Euro teure Digitalkamera, sondern noch vier weitere Kameras abgerechnet hatte, hätte der Rechnungshof eine Nachfrage des Landtagsamts für zwingend erforderlich gehalten. Der Erstattungsbetrag wurde dann zurückgezahlt, der betreffende Abgeordnete erlitt einen Karriereknick. V. Mitarbeiter Besondere Aufmerksamkeit verdient der Aufwand für die Beschäftigung von Mitarbeitern. Sekundär wegen der zur Affäre angewachsenen Beschäftigung von Verwandten, primär wegen der außerhalb des Parlaments vielfach noch immer unverstandenen, in die oben definierte Arenentrias eingespannten, umfassenden Abgeordnetentätigkeiten. Doch selbst bei deren Reduktion auf die parlamentarische Arena verlangte allein deren Wandel im Vergleich zu früheren („klassischen“) Erfordernissen eine angemessene Analyse. Sie hätte anzusetzen bei der heutigen Komplexität von Materien, Regelungen und Steuerungen, welche intensive Information und deren Aufbereitung verlangen und darüber hinaus die Herausbildung von Expertise, d. h. letztlich Spezialisierung und Arbeitsteilung sowie deren Zusammenführung zu politischer Bewertung – innerhalb der Fraktion wie innerhalb der parlamentarischen Gremien. Nicht einmal die Kommunikation mit den Bürgern lässt sich mehr ohne halbwegs untermauerte Sachkunde und Rationalität gestalten. Der Staatsrechtler Helmut Quaritsch, der ausgangs der 1960er Jahre den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages reformiert hat, sah damals schon den Abgeordneten „der seine Entscheidungen aus der Hüfte schießt“ (und seine Reden auch!) als eine realitätsferne Karrikatur. Inzwischen gilt das in der Sache umso mehr. Zusätzlich verlangen Bürgeranliegen und Öffentlichkeitsarbeit Organisation und Zuarbeit. Nirgendwo in der modernen Gesellschaft gibt es eine leitende oder qualitativ mit ihr vergleichbare Tätigkeit ohne Assistenz. Die Parlamente in Deutschland haben zum Schaden ihrer eigenen Kompetenz ohnehin allzu lange gebraucht, sich entsprechend auszustatten15 – und wo sie sich dem noch immer verweigern sollten, ist das anachronistisch. Typisch für diese allmählich gewachsene Einsicht ist die Entwicklung der Ausstattung mit Mitarbeitern im Bayerischen Landtag, der zudem keinen parlamentarischen Hilfsdienst besitzt wie z. B. seit je der Landtag von Niedersachsen oder der von Baden-Württemberg. Bayern begann 1978 mit einem Betrag von 750 DM pro Abgeordneten für Personalaufwendungen! 1983 wurde eine halbe, seit 1991 eine 15
Selbst der Bundestag etablierte Abgeordnetenmitarbeiter erst 1969.
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volle Sekretärin (BAT VIb) finanziert. Erst seit 2000 wird zusätzlich ein wissenschaftlicher Mitarbeiter mit einem Viertel, seit 2009 aufgestockt auf zwei Drittel der regelmäßigen Arbeitszeit erstattet. Insgesamt stehen dem Abgeordneten für dieses Personal ab 1. 10. 2013 7.524 Euro zur Verfügung. Der Hinweis des Rechnungshofs, der Erstattungshöchstbetrag habe sich damit seit 1978 um das Zwanzigfache erhöht16, trifft zwar rechnerisch zu, ist in der Sache aber völlig sinnentleert, weil an funktionalen Erfordernissen vorbeigehend. Völlig aussagelos und methodisch unzulänglich ist gar ein Vergleich der Bewilligungen für Abgeordnetenmitarbeiter mit den Entwicklungen des Bruttoarbeitnehmerentgelts (1981 – 2013)17. Im Landtag wurde Arbeitsvolumen zu Gunsten eines funktionsfähigen Parlamentarismus geschaffen und sukzessive ausgeweitet; keineswegs wurden Gehälter jenseits des für alle vergleichbaren Tätigkeiten geltenden Tarifvertrags gezahlt. Unerfindlich, was hier verglichen werden soll und inwiefern das Abgeordnetengesetz extra dazu ermächtigen müsste, Tariferhöhungen zu folgen.18 Sind Abgeordnetenmitarbeiter Arbeitnehmer anderen oder minderen Rechts? Die derzeitige Personalausstattung verdient Kritik allenfalls wegen ihrer Geringfügigkeit, die Absicht der Präsidentin, sie auf eine Vollzeitstelle für qualifizierte Zuarbeit aufzustocken, dagegen Unterstützung. Zweifelsfrei steht diese Zuarbeit für die gesamte Breite, also für alle drei Arenen des Mandats, zur Verfügung, ergo auch für mandatsbezogene Parteiarbeit. Parlamentarische und Parteiarbeit lassen sich nicht gänzlich trennen. Sollte z. B. die „Arbeit“ des Abgeordneten an seiner Wiederwahl, die um die Bürger wie um Parteigremien ringt, nicht einschlägig sein? Unzulässig hingegen ist die Alimentierung der reinen Parteiorganisation ohne mandatsbezogene Gegenleistung. Doch selbst wenn Parteibüros für Zahlungen Gegenleistungen erbringen, eröffnet sich eine Grauzone, in der Grenzüberschreitungen zu unzulässiger Parteifinanzierung nicht auszuschließen sind. Das Landtagsamt hat auf diese Grauzone mehrfach aufmerksam gemacht,19 klare Regelungen aber haben die Abgeordneten bis 2013 nicht getroffen. Anderseits legen Abgeordnete offensichtlich aber auch darauf Wert, auf der Arbeitsebene Abgeordnetenbüro und Parteiarbeit zu trennen, weil sie im Stimmkreis als Ansprechpartner für alle Bürger wahrgenommen werden wollen. Zudem werden z. B. die Parteigeschäftsstellen bei der CSU aus dem laut Beitragsordnung fälligen Mandatsträgerbeitrag (= 6,5% der Diäten) finanziert. Die Mitarbeiter unterstützen das Landtagsmitglied bei parlamentarischen Aufgaben wie der Vorbereitung von Fraktionsarbeit und Ausschusssitzungen sowie bei der Stimmkreisarbeit. Das Büro fungiert als zentrale Anlaufstelle für Bürger, Vereine, Behörden, Unternehmen, Kommunalpolitiker und Medien. Der Schwerpunkt liegt besonders in der Bearbeitung von Bürger- und Wahlkreisanliegen im Kontakt mit 16
Bayerischer Oberster Rechnungshof, Prüfungsmitteilung vom 12. 8. 2013, S. 17. von Arnim, a.a.O., S. 93. 18 Ebd., S. 90. 19 Oberster Rechnungshof, a.a.O., S. 33 ff. 17
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Ämtern, Behörden und Ministerien, in der Pressearbeit, in Termin- und Veranstaltungsorganisation sowie in der Vorbereitung von Grußworten und Reden. Nach Erkenntnissen teilnehmender Beobachtung20 ist der Abgeordnete als politische Führungskraft und regionaler Dienstleister ebenso auf organisatorische und personelle Unterstützung angewiesen wie ein regional tätiges Unternehmen. Das Büro ermöglicht und sichert seine Effizienz, Kompetenz, Öffentlichkeitsarbeit und Einsatzbereitschaft. Arbeitsvolumen und Arbeitstempo werden als immens, die Professionalität als hoch beschrieben, und zwar in mandatsrelevanten, differenzierten Tätigkeitsbereichen jenseits jeglicher Reduktion auf Parteiorganisation und versteckte Parteienfinanzierung. Von diesem Sachverhalt ist als Normalfall auszugehen, der im Übrigen im zentralen Interesse des Abgeordneten liegen muss; denn hier werden Image und Erfolg gemanagt, die im Zweifel Wiederwahl sichern. Erhebliche Kritik hat die Beschäftigung von Familienmitgliedern auf sich gezogen, die keineswegs verheimlicht, sondern stets öffentlich begründet und verteidigt worden war21, bis sie im Jahr 2000 für Ehegatten sowie Verwandte und Verschwägerte ersten Grades untersagt wurde. Für bestehende Verträge galt Vertrauensschutz. Sie blieben „auch über die Wahlperiode hinaus unberührt“.22 Aufgeschoben wurde diese Ausnahmeregelung erst durch die Änderung des Abgeordnetengesetzes am 23. Mai 2013. Dagegen wurde die Position vertreten, sie sei bereits durch eine die Altfallregelung nicht ansprechende Novellierung des Abgeordnetengesetzes obsolet geworden, wobei von Arnim sich auf die lex posteriori-Regel (das jüngere Gesetz entkräftet das ältere) bezieht, der Oberste Rechnungshof eine „auf Dauer angelegte Ausnahmeregelung“ unterstellt23. Dem widerspricht nicht nur das Landtagsamt unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien, sondern vor allem ein detailliertes staatsrechtliches Gutachten, das den lex posteriori-Einwand knapp, die ORH-Position nach gründlicher Auseinandersetzung kalt erledigt. Die Erklärung der Altfallregelung durch den Rechnungshof als „gegenstandslos“ seit 2004 beruhe auf einem erstmalig vertretenen, d. h. von ihm „selbst entwickelten Argumentationsansatz“.24 Die Altfallregelung habe bis zum 31. 5. 2013 gegolten und sei vom Landtagsamt zu respektieren gewesen. Allerdings war sie, demnach rechtlich korrekt gehandhabt, politisch in Vergessenheit geraten, was nicht wunder nimmt. Denn tatsächlich war sie eine Übergangsregelung für eine mit dem Ausscheiden der betreffenden Abgeordneten von Wahlperiode zu Wahlperiode abnehmende Zahl von Fällen: von 79 Ende 2000 auf 17 im Jahr 2012. 20 Ich beziehe mich auf die noch nicht abgeschlossene Dissertation von Stephan Lang, Wahlkreisstile und Wahlkreiskommunikation in Niederbayern (Arbeitstitel). 21 Siehe das Resumee des Abg. Otmar Bernhard im Plenum am 28. 9. 2000, Protokoll S. 3145. 22 Siehe Bayerischer Landtag Drs. 14/4217, S. 4. 23 Hans Herbert von Arnim, Die Selbstbediener, München 22013, S. 94 ff.; Oberster Bayerischer Rechnungshof, Bericht, a.a.O., S. 21. 24 Martin Burgi, Gutachten zur Frage der Geltungsdauer der Altfallregelung des Bayerischen Abgeordnetenrechts betreffend Verträge mit Angehörigen, München 2013, S. 21.
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Erheblich treffsicherer erwies sich der ORH in seiner Kritik an den allzu lockeren Verwaltungsvorschriften, die sich im Kern mit Glaubhaftmachung und Plausibilitätskontrollen begnügten, statt die gesetzliche Nachweispflicht in Form der Rechnungslegung und Vorlage der konkreten Arbeitsverträge (Art.8 Abs.1 und 4 BayAbgG) durchzusetzen. Präsidentin Stamm bemühte in diesem Kontext die gesteigerte Glaubwürdigkeit, die dem Abgeordneten als Teil eines Verfassungsorgans zukomme. Einer ihrer Amtsvorgänger, Hans Böhm, sah schon im Jahr 1999 in dieser laxen Praxis „eine große Versuchung“25, womit er keineswegs allein stand. Die GRÜNEN legten sogar im Januar 2000 einen Änderungsentwurf zum Abgeordnetengesetz mit entsprechenden Nachweispflichten vor (Drucksache 14/2476 vom 18. 1. 2000), zogen ihn dann aber am 21. 9. 2000 wieder zurück. Es dauerte bis zum Juli 2013, bis die geradezu schon historischen internen Bedenken und Diskussionen gemeinsam mit den wesentlichen aktuellen Monita des ORH in versuchungsresistente Richtlinien gegossen wurden. Es scheint, als ob dieser Zeitverzug nicht zuletzt auf ein eher informelles Landtagsgremium zurückzuführen ist: die seit 1988 bestehende Interfraktionelle Arbeitsgruppe zur Beratung von Fragen des Abgeordnetenrechts. Diese Gruppe vertrat offensichtlich stärker individuell-materielle Interessen als institutionell-ethische. Sie hat sich verselbständigt und als Nebenmacht neben dem Präsidium etabliert – ein Prozess, der dort nicht unbemerkt und zugespitzt sogar als „Entmachtung“, bzw. – etwas zurückhaltender – als Beeinträchtigung von „Klarheit und Verantwortlichkeit“ apostrophiert worden ist26. Im Präsidium sind jedenfalls 1999 und 2000 fast alle Probleme schon angesprochen gewesen, die erst 2013 gelöst worden sind. VI. Altersversorgung Bei der Altersversorgung – auch sie nach dem Diätenurteil zwingend – gab es zwischen 2003 und 2013 erhebliche einschränkende Veränderungen. Sie betreffen die Absenkung der Mindestversorgung, die Heraufsetzung des frühestmöglichen Versorgungsanspruchs und die Anhebung des Mindestalters. Anspruch auf Altersentschädigung (Art.12 BayAbgG) besteht in der Regel erst, wenn der Abgeordnete das 67. Lebensjahr vollendet und dem Landtag 10 Jahre angehört hat. Für jedes über das 10. hinausgehende Jahr der Mitgliedschaft bis zum 20. entsteht der Anspruch ein halbes Lebensjahr früher. Die Mindestentschädigung beträgt 33,5%. Sie steigert sich nach der Zehnjahresschwelle bis zum 20. Jahr jährlich um 3,825%. Nach diesen Modalitäten steht nach 20 Mitgliedsjahren dem Abgeordneten frühestens mit Vollendung des 62. Lebensjahres eine Versorgung in Höhe von maximal 71,75% der Grundentschädigung zu. Angesichts der durchschnittlichen Zugehörigkeitsdauer von etwa 2,5 25
Sitzung des Präsidiums am 9. 12. 1999. Siehe Bayerischer Landtag, „Mitarbeiterentschädigung“ gemäß Bayerischem Abgeordnetengesetz. Übersicht über die in den Jahren 1999 bis 2000 erfolgten Stellungnahmen bzw. Beschlüsse hinsichtlich der Beschäftigung von Ehegatten und Personen, die im 1. Grad verwandt oder im 1. Grad verschwägert sind, 28. Mai 2013, S. 38. 26 Ebd., S. 52 Abg. Münzel bzw. Landtagspräsident Böhm.
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Wahlperioden ist die Erreichung dieses Höchstsatzes die Ausnahme. Ein Problem ist dagegen die Notwendigkeit einer dritten Karriere nach Beruf und Mandat, wenn das Landtagsmitglied aus dem Parlament ausscheidet, bevor der Versorgungsanspruch greift. Expolitikern stehen nicht viele Berufsfelder offen. Allein deswegen – aber auch, um den Kontakt zur realen Welt nicht zu verlieren – ist der Erhalt eines partiellen Kontakts zum bisherigen Beruf eher positiv zu sehen. Alternativen, etwa ein eigenständiges Versorgungswerk, sind immer wieder erwogen worden – z. B. auch in der Diätenkommission. Das Modell Nordrhein-Westfalens, das eingeführt worden ist, um ein Volksbegehren auf Initiative des Bundes der Steuerzahler zu verhindern, hat nicht nur in Bayern keine Popularität erlangt, zumal es mit einer erheblichen Erhöhung der Diäten einherginge. Zuletzt hat die Unabhängige Kommission des Bundestages es einstimmig abgelehnt – aus Kosten-, Unsicherheits- und Gleichheitsgründen und nicht zuletzt auch aus der Überlegung, die Altersversorgung für gemeinwohldienliche öffentliche Ämter tunlichst nicht ins Privatwirtschaftliche samt den damit verbundenen Risiken für die Amtsträger abzuschieben.27 Auch diese Überlegung stützt sich auf die eine Grundtatsache, die für alle Überlegungen zum finanziellen Status des Abgeordneten maßgeblich ist: Er ist Inhaber eines öffentlichen Amtes sui generis.
27 Siehe Bericht und Empfehlungen, a.a.O., S. 22 f. Sehr detaillierte Empfehlungen und Materialien zugunsten eines Versorgungswerks: Sächsischer Landtag, Bericht der Sachverständigenkommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für die Neuregelung des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Sächsischen Landtages, Dresden 2006.
Die Bezahlung von Politikern: Art, Höhe und Verfahren Hans Herbert von Arnim I. Die Gehaltspyramide Das System der Besoldung politischer Amts- und Mandatsträger hat der Idee nach die Form einer Gehaltspyramide, an deren Spitze der Bundespräsident steht. Tatsächlich haben sich die Bezüge aber erheblich auseinander entwickelt. Die Komplexität ist – auch wegen der Fülle der einschlägigen Regelungen – hoch, selbst wenn man sich auf den Bund, die EU und unter den Ländern auf Bayern konzentriert und jeweils vor allem die Grundgehälter ins Auge fasst. 1. Bund a) Bundespräsident, Regierung und Parlamentarische Staatssekretäre Traditionell richten sich die Grundgehälter von hohen Amtsträgern in Deutschland nach den Beamten (Anlage 1). „Eckmann“ ist der höchste Beamte, der Staatssekretär. Er wird nach der Besoldungsstufe B 11 des Bundesbesoldungsgesetz bezahlt; das sind seit dem 1. August 2013 monatlich 12.508 Euro Grundgehalt. Die Bundeskanzlerin erhält nach den Bundesministergesetz ein Amtsgehalt von fünf Dritteln des Staatssekretärs-Grundgehalts, die Bundesminister erhalten vier Drittel und die Parlamentarischen Staatssekretäre nach dem Gesetz über Parlamentarische Staatssekretäre drei Viertel des Amtsgehalts von Ministern. Der Bundespräsident bezieht laut Haushaltsplan zehn Neuntel des Amtsgehalts der Bundeskanzlerin. Tatsächlich sind die Amtsgehälter der Regierungsmitglieder und des Bundespräsidenten allerdings erheblich niedriger als sich aus diesem (nominellen) System ergibt. Warum? Weil die Regierung sich immer wieder von Erhöhungen der Beamtengehälter abgekoppelt hat. Inzwischen ist sie um rund 25 % dahinter zurückgeblieben. Das macht mehrere tausend Euro monatlich aus. Vielleicht stand auch das Peer Steinbrück vor Augen, als er das Gehalt der Bundeskanzlerin mit dem von Sparkassendirektoren verglich, was Merkel mit der Bemerkung quittierte, sie empfinde ihr Einkommen als „auskömmlich“.
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b) Bundesverfassungsgericht Das Grundgehalt des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts wird nach dem Gesetz über das Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts „in Höhe des Amtsgehalts eines Bundesministers festgesetzt,“ das des Vizepräsidenten in Höhe von sieben Sechstel des Staatssekretärs. Die anderen Richter des Bundesverfassungsgerichts erhalten Grundgehälter wie die Präsidenten bei den obersten Gerichtshöfen des Bundes, also nach R 10 der für Richter geltenden Besoldungsordnung. Das sind 12.558 Euro, was etwa dem Grundgehalt des Staatssekretärs entspricht. Einfache Bundesrichter beziehen ein Grundgehalt von 8.726 Euro (R 6). c) Bundestag aa) Abgeordnete Zur Entwicklungsgeschichte. Früher waren auch Bundestagsabgeordnete Teil der Gehaltspyramide. Sie erhielten ein Drittel des Grundgehalts eines Ministers als „Entschädigung“, die allerdings steuerfrei war. Die Abgeordneten mussten aber ein Viertel davon für ihre Altersvorsorge abführen. Die Entschädigung betrug im Jahre 1976 3.850 DM, abzüglich des Beitrags zur Altersvorsorge 2.888 DM. 1977 nutzten die Abgeordneten dann die vom Bundesverfassungsgericht im Diätenurteil von 1975 vorgeschriebene Besteuerung der Entschädigung zu einer Anhebung auf 7.500 DM. Gleichzeitig fiel der Eigenbeitrag für die Versorgung weg, die seitdem allein vom Staat finanziert wird, sodass sich etwa eine Verdoppelung des Nettoeinkommens ergab. Die gewaltige Steigerung, die mit dem Gehalt von Wahlbeamten der Besoldungsgruppe B 6 begründet wurde, stieß auf große Kritik, zum Beispiel auch vom Berichterstatter des Diätenurteils, Willi Geiger, selbst. Deshalb wagte man bis 1983 keine weitere Erhöhung mehr. Doch der Bundestag war nach wie vor bestrebt, das Gehalt seiner Mitglieder an B 6 oder, was dasselbe bedeutet, an Bundesrichtern der Besoldungsgruppe R 6 auszurichten. 1995 sollte das dann ein für allemal durchgesetzt werden. Die Entschädigung sollte an die Bezüge von Bundesrichtern angekoppelt und dazu gewaltig angehoben werden.1 Das Bundesverfassungsgericht hatte eine solche Dynamisierung in seinem Diätenurteil von 1975 aber als verfassungswidrig untersagt. Der Bundestag müsse, um die öffentliche Kontrolle nicht zu umgehen, und wegen der Unterschiede zum öffentlichen Dienst, über jede einzelne Erhöhungen gesondert entscheiden.2 Um dieses Urteil auszuhebeln, beschloss der Bundestag eine Änderung des Diätenartikels des Grundgesetzes. Der Coup scheiterte allerdings am Veto des Bundesrates. Dazu trug ein Appell von 86 Staatsrechtslehrern bei, dessen Argumentation der Bun1 2
Siehe von Arnim, „Der Staat sind wir!“, 1995, S. 25 ff. BVerfGE 40, 296 (316 f., 327).
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desrat übernahm.3 Eine Änderung des Grundgesetzes in eigener Sache und im eigenen Interesse erschien denn doch nicht hinnehmbar. „Diätenanpassung“ wurde zum Unwort des Jahres 1995.4 Der Bundestag hatte aber 1995 nach dem Scheitern der Koppelung, sozusagen ersatzweise, ins Abgeordnetengesetz geschrieben, die Entschädigung soll sich in Zukunft an R 6 bzw. B 6 „orientieren“. Allerdings bestand bis vor kurzem keine automatische Koppelung. So war die Entschädigung hinter dem selbstgesetzten Orientierungs-Wert um einiges zurückgeblieben. Sie betrug im Herbst 2013 8.252 Euro; Bundesrichter beziehen 9.082 Euro (mit Zulagen, aber ohne Familienzuschlag), also 830 Euro mehr (siehe erneut die Einkommenspyramide in Anlage 1). Der jüngste Diätencoup. Im Februar 2014 beschloss der Bundestag, in einem kaum mehr als eine Woche dauernden Blitzgesetz die Entschädigung seiner Mitglieder auf das Niveau von Bundesrichtern anzuheben, in zwei Stufen: zum 1. Juli 2014 um 415 Euro auf 8.667 Euro und zum 1. Januar 2015 um weitere 415 Euro.5 Dann wird sie 9.082 Euro betragen. Zugleich wird sie erstmals zum 1. Juli 2016 an die Entwicklung der Bruttogehälter von Arbeitnehmern angekoppelt und so dynamisiert. Mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist dies nicht vereinbar.6 So sieht es auch die Staatsrechtslehre ganz überwiegend.7 Von einer Verfassungsänderung hat der Bundestag – nach den Erfahrungen von 1995 – aber diesmal abgesehen und damit die Verfassungswidrigkeit sehenden Auges in Kauf genommen. Der Bundestag berief sich dabei auf die Schmidt-Jortzig-Kommission, die ihren Bericht im März 2013 vorgelegt hatte.8 Die Kommission war überwiegend aus ehemaligen Bundestagsabgeordneten, Ministern, Parlamentarischen Staatssekretären und anderen bundestagsnahen Personen zusammengesetzt. Auch in der Sache war ihr Bericht extrem einseitig; er beruht auf einem idealisierenden, wirklichkeitsfernen Leitbild des Abgeordneten (siehe unten VI. 1. a)); die einschlägigen Urteile des Bundesverfassungsgerichts wurden beiseite gewischt und ganz anders interpretiert als dies fast die gesamte Staatsrechtslehre tut,9 ohne dass die Kommission diese Diskrepanz deutlich machte.
3
Siehe von Arnim, Das neue Abgeordnetengesetz, 2. Aufl., 1997, S. 18 f. Siehe zur Gesamtentwicklung auch von Arnim/Drysch, Drittkommentierung des Art. 48 GG im Bonner Kommentar (2010), Rn. 80 ff. 5 Das vom Bundestag am 21. Februar 2014 beschlossene Änderungsgesetz zum Abgeordnetengesetz war bei Redaktionsschluss am 26. Juni 2014 noch nicht im Bundesgesetzblatt verkündet. 6 BVerfGE 40, 296 /316 f.). 7 Siehe die Zusammenstellung bei von Arnim, Abgeordnetengesetz ohne Kontrolle – Zur Diätennovelle der großen Koalition, DVBl 2014, S. 605 (607 f.). 8 Bericht und Empfehlungen der Unabhängigen Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts vom 19.3. 2013, BT-Drs. 17/12500. 9 von Arnim, Abgeordnetengesetz ohne Kontrolle, a.a.O. 4
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Die – auch aufgrund der großen Status-Unterschiede10 – höchst anfechtbare Angleichung an Bundesrichter bezieht sich ohnehin nur auf das Grundeinkommen, nicht auch auf das Drumherum, vor allem nicht auf die offenen oder versteckten Zusatzeinkommen. So erhalten Bundestagsabgeordnete noch eine Kostenpauschale von derzeit 4204 Euro im Monat, die häufig auf ein steuerfreies Zusatzeinkommen hinausläuft, und können rechtlich unbeschränkt noch einen privaten Beruf ausüben und dazuverdienen. Beides gilt für Bundesrichter gerade nicht. bb) Bundestagspräsidium Der Präsident des Bundestags erhält die doppelte und die vielen Vizepräsidenten erhalten die eineinhalbfache Entschädigung, profitieren also auch von der jüngsten Aufstockung. Ihre Gehälter richten sich – inkonsequenterweise – aber keineswegs an den Richtern oberster Bundesgerichte aus, also etwa an deren Präsidenten oder Vizepräsidenten; diese erhalten keine 100 % bzw. 50 %, sondern lediglich 42 % bzw. 15 % mehr als „einfache“ Bundesrichter. 2. Bayern Bayerische Staatsminister beziehen nach dem Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Staatsregierung als Grundgehalt 19 Sechzehntel der Besoldungsgruppe B 11 des Bayerischen Besoldungsgesetzes; das sind seit dem 1. Januar 2014 12.214 Euro. Die Staatssekretäre, die in Bayern zur Staatsregierung gehören, erhalten 23 Einundzwanzigstel, der Ministerpräsident 32 Fünfundzwanzigstel. Von einem zeitweisen Abkoppeln von den Beamtenbezügen war in Bayern – im Gegensatz zum Bund – nie die Rede, so dass bayerische Regierungsmitglieder zum Teil höhere Bezüge erhalten als ihre Kollegen im Bund. Landtagsabgeordnete beziehen eine Entschädigung von 7.244 E und nehmen damit die Spitze unter den Landesparlamentariern ein. Dabei spricht Art. 31 BV lediglich vom Recht auf eine „Aufwandsentschädigung“. Die Basis für die heutige Entschädigung hatte 1977 ein All-Parteien-Kartell im Landtag gelegt in einem Gesetzgebungsverfahren, in welchem die Öffentlichkeit über die Probleme hinweg getäuscht und zum Beispiel die Rolle des Art. 31 BV überhaupt nicht erwähnt wurde.11 Die Entschädigung ist schon seit längerem dynamisiert, wie es jetzt auch der Bundestag beschlossen hat. Auch hier streute der Bayerische Landtag der Öffentlichkeit Sand in die Augen: Das Problem der Dynamisierung wurde bei der ersten Lesung des Gesetzes nicht erwähnt, und die zweite Lesung fiel aus, weil niemand mehr das Wort ergriff.12
10
BVerfGE 40, 296 (316 f.); 76, 256 (341). Siehe von Arnim, Die Selbstbediener, 2. Aufl., Juni 2013, S. 125 ff. 12 von Arnim, a.a.O., S. 143.
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3. EU a) Kommission und EuGH Im Grunde ein ähnliches System, allerdings meist auf sehr viel höherem Niveau, besteht auch auf EU-Ebene.13 Die Besoldung hoher Amtsträger ist an die höchste Stufe der Beamtenbesoldung gekoppelt. Das sind 18.518 Euro.14 Alle anderen erhalten davon als Grundgehalt einen bestimmten Prozentsatz. Mitglieder der Kommission und des Europäische Gerichtshofs bekommen 112,5 %, die Präsidenten beider Institutionen erhalten 138 %, die Vizepräsidenten 125 % und der Kanzler des Gerichts 101 %. Der Präsident des Rechnungshofs bezieht 115 %, seine übrigen Mitglieder 108 %. Die Koppelung bewirkt, dass Richter und Kommission dem bösen Schein der Befangenheit ausgesetzt sind, wenn sie über die Erhöhung der Besoldung von Beamten zu befinden haben.15 Zu den Grundgehältern kommen bei allen Kommissaren, Richtern und Mitgliedern des Rechnungshofs erhebliche, z. T. steuerfreie Zulagen, die an die Zulagen von Beamten angelehnt sind. Den größten Posten macht die steuerfreie Auslandszulage von 16 % des Grundgehalts aus.16 b) Abgeordnete Die Entschädigung von Mitgliedern des Europäischen Parlaments beträgt 8.021 Euro.17 Die Höhe errechnet sich nach Art. 10 des europäischen Abgeordnetenstatut als 38,5 % des Grundgehalts von EuGH-Richtern (Anlage 2). Da die Einkommensverhältnisse in den verschiedenen EU-Ländern immer noch große Unterschiede aufweisen, haben z. B. bulgarische oder rumänische EU-Abgeordnete finanziell sozusagen das große Los gezogen. Ihre Bezüge sind sehr viel höher als die ihrer Staatsund Ministerpräsidenten. Ein erster Versuch des Europäischen Parlaments, die Entschädigung auf 50 % des Richtergrundgehalts festzulegen, war im Jahre 2004 am öffentlichen Protest, den der Rat bei der Verweigerung seiner Zustimmung aufgegriffen hatte, gescheitert.18 Der damalige Vorsitzende der SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament und spätere Präsident des Europäischen Parlament, Martin Schulz, hatte damals die Öffent13
von Arnim, Das Europa-Komplott, 2006, S. 219 ff. Vgl. Verordnung Nr. 423/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16. 4. 2014; ABl. EU L 129 v. 30. April 2014, S. 12 (13). 15 von Arnim, Das Europa-Komplott, 2006, S. 192 f. 16 von Arnim, Europa-Komplott, S. 183. 17 http://www.europarl.europa.eu/aboutparliament/de/0081ddfaa4/MEPs.html. 18 Der Spiegel vom 12. 1. 2004, S. 28 f.; Bild am Sonntag vom 11. 1. 2004, S. 4 und 5; BildZeitung vom 12. 1. 2004, S. 2; Bild-Zeitung vom 15. 1. 2004, S. 1 und 2. Zum Ganzen von Arnim, 9053 Euro für Europaabgeordnete. Der Streit um das europäische Abgeordnetenstatut, 2004. 14
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lichkeit über die Auswirkungen des geplanten Statuts belogen;19 die Unwahrheit seiner Äußerungen wurde sogar gerichtlich festgestellt.20 Abgeordnete erhalten zusätzlich eine steuerfreie allgemeine Kostenpauschale, die nach den Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut monatlich 4.299 Euro beträgt, und ein Tagegeld von 304 Euro pro Sitzungstag. Diese überaus großzügigen Pauschalen sollten früher auch einen Ausgleich darstellen für Abgeordnete, die aus ihren Heimatländern eine niedrige Entschädigung bezogen.21 Diese entsprach nämlich der Entschädigung von Mitgliedern des nationalen Parlaments im jeweiligen Heimatland und wies deshalb große Unterschiede auf. Seitdem das Abgeordnetenstatut grundsätzlich allen Abgeordneten dieselbe Entschädigung gewährt, hat dieses (ohnehin immer zweifelhafte) Argument aber seine Grundlage verloren. Dass das Tagegeld von 304 Euro überflüssig, zumindest aber weit überhöht ist, zeigt auch die Regelung für Bundestagsabgeordnete, die – neben ihrer allgemeinen Kostenpauschale von 4.204 Euro – nicht noch zusätzlich ein Tagegeld erhalten, trotz ähnlicher mandatsbedingter Aufwendungen wie deutsche Europa-Abgeordnete. Alles, was durch das EU-Tagegeld abgedeckt werden soll, haben Bundestagsabgeordnete aus der allgemeinen Kostenpauschale zu zahlen. Hinzu kommt, dass der Bundestag deutschen Europa-Abgeordneten erhebliche Leistungen zur Verfügung stellt, so dass zahlreiche Aufwandsposten, für die die allgemeine Kostenpauschale bestimmt ist, bei deutschen Europaabgeordneten gar nicht anfallen.22 Für Abgeordnete aus Mitgliedstaaten mit niedrigem Einkommens- und Preisniveau, das die Mandatsaufwendungen entsprechend verbilligt, ist die allgemeine Kostenpauschale erst recht überhöht. Ihnen kann erst recht ein großer Teil der Pauschale als steuerfreies Zusatzeinkommen zur Verfügung stehen. Zusätzlich stehen jedem Abgeordneten auf Nachweis bis zu 21.209 E im Monat für Mitarbeiter zur Verfügung. Das führt dazu, dass Abgeordnete in Niedriglohnländern davon an die 20 örtliche Mitarbeiter finanzieren können, die sie auch für ihre Partei, deren Funktionäre und den Wahlkampf einsetzen und sich auf diese Weise ihre Partei verpflichten können. Auch Europaabgeordnete können rechtlich unbegrenzt einen privaten Beruf ausüben und kräftig dazuverdienen, selbst wenn sie bezahlte Lobbyisten sind. Ein Beispiel ist der CDU-Europaabgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments, Elmar Brok, der bis 2012 als Cheflobbyist des Bertels19 Presseerklärung des Abgeordneten Martin Schulz vom 15. 1. 2014 (wiedergegeben in: von Arnim, 9053 Euro für Europaabgeordnete, S. 107 f.). Dazu von Arnim, Europa-Komplott, S. 355 ff. 20 Urteile des LG Hamburg vom 16. 4. 2004 und vom 25. 4. 2005. Siehe auch Bild-Zeitung vom 25. 8. 2005. 21 Siehe von Arnim, Diätenwildwuchs im Europäischen Parlament, NJW 2004, S. 1422 (1426). 22 §§ 10 und 10a EuAbgG.
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mann-Konzerns angestellt war und ihm jetzt noch als hoch bezahlter Berater verpflichtet ist. c) Der Präsident Im Gegensatz zum Bund und zu deutschen Ländern gibt es für den Präsidenten des Europäischen Parlaments offiziell kein Zusatzgehalt. Ersatzweise bekommt er allerdings auf Grund eines Beschlusses des Parlamentspräsidiums,23 für den im Abgeordnetenstatut oder in seiner Durchführungsbestimmungen keine Grundlage ersichtlich ist, das steuerfreie Tagegeld von 304 Euro pauschal 365 mal im Jahr – unabhängig davon, ob er in Brüssel bzw. Straßburg tätig oder sonst als Parlamentspräsident unterwegs ist oder nicht. Das läuft auf ein steuerfreies Zusatzsalär von bis zu 9.000 Euro hinaus, was weder mit dem Grundsatz der steuerlichen Gleichheit noch mit dem Abgeordnetenstatut vereinbar ist. Der bisherige (und gerade wiedergewählte) Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, gab an, seit dem 18. April 2014 auf das Tagegeld verzichtet zu haben, weil er am 1. März 2014 zum Spitzenkandidaten der SPD bei der Europawahl am 24. bis 26. Mai 2014 nominiert worden war und eine entsprechende Wahlkampagne führte. Er hatte aber bereits vor dem 18. April eine Reihe von Wahlkampfauftritten in ganz Europa. Zusätzlich erhält der Parlamentspräsident eine steuerfreie Residenzzulage von monatlich 3.663 E und eine steuerfreie Repräsentationszulage von monatlich 1.418 E und hat zwei Dienstwagen und zwei Fahrer zur Verfügung,24 die er nach Angaben seines Sprechers auch während des Wahlkampfes nutzte. II. Altersversorgung Auch die Versorgung von Amts- und Mandatsträgern ist der von Beamten bzw. Richtern angeglichen, weist aber einige für die Betroffenen sehr günstige Abweichungen auf. 1. Der Bundespräsident Bundespräsidenten beziehen nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt ihr Gehalt in Form eines sog. Ehrensoldes in voller Höhe weiter – unabhängig von ihrem Lebensalter und unabhängig von der Dauer ihrer Amtszeit. Bei einem Rücktritt vor dem Ablauf ihrer fünfjährigen Wahlperiode können sie den Ehrensold allerdings nur beanspruchen, wenn sie aus politischen oder gesundheitlichen Gründen zurückgetreten sind, nicht auch, wenn der Rücktritt aus persönlichen Gründen erfolgte. Wie war das noch gleich bei Christian Wulff?25 23
Note vom 16. 7. 2009, Ref.: D(2009)40515. Siehe die Sendung des ARD-Fernsehmagazins Report Mainz vom 29. 4. 2014. 25 Dazu von Arnim, Der Bundespräsident. Kritik des Wahlverfahrens und des finanziellen Status (Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer, Discussion Paper 71), 2012, S. 18 ff. 24
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Zur Versorgung des Bundespräsidenten sei noch ein Blick in die Geschichte getan:26 Bis 1959 hatte der Ehrensold (nach 15monatiger Übergangszeit, in der zunächst das volle Gehalt und dann drei Viertel des Gehalts weiter gezahlt wurden) gemäß dem Gesetz über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten aus dem Jahre 1953 nur die Hälfte des Aktivengehalts betragen. Er wurde sozusagen vorauseilend verdoppelt, als Konrad Adenauer mit dem Gedanken spielte, Bundespräsident zu werden – und man fraktionsübergreifend froh war, „den Alten“, der damals schon 83 Jahre zählte, als Kanzler loszuwerden. Adenauer tat seinen Leuten schließlich doch nicht den Gefallen, sondern blieb Kanzler, weil er Ludwig Erhardt dieses Amt nicht zutraute. Heinrich Lübke musste als Bundespräsident einspringen. Der Ehrensold blieb aber verdoppelt. 2. Politische Beamte und kommunale Wahlbeamte Sehr großzügig erscheint auch die Versorgung von politischen Beamten und teilweise auch von kommunalen Wahlbeamten. Sie können schon in jungen Jahren eine lebenslange Versorgung erhalten (siehe den Beitrag von Zentgraf, unten S. 107 f.). In Hessen und Niedersachsen kann ein Bürgermeister schon nach einer Amtszeit von sechs bzw. fünf Jahren eine sofort beginnende lebenslange Versorgung erlangen, unabhängig von seinem Alter und selbst dann, wenn er nicht mehr kandidiert.27 Politische Beamte können, wenn sie das Vertrauen der politischen Spitze verloren haben, jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden und dann Pension beziehen. Manchmal wird dann auch getrickst und so getan, als hätten sie das Vertrauen verloren – nur um sie in den Genuss der Versorgung zu bringen. Das ist Veruntreuung öffentlichen Vermögens. So einem Vorwurf sah sich die Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht gegenüber. Sie hatte ihren als Staatssekretär eingestuften Pressesprecher in den einstweiligen Ruhestand versetzt, obwohl vieles dafür sprach, dass er von sich aus gehen wollte. Jedenfalls hatte er schon eine Position in der Wirtschaft. Anfang 2014 stellte die Erfurter Staatsanwaltschaft jedoch das Verfahren ein,28 so dass Lieberknecht als Spitzenkandidatin der CDU bei der Landtagswahl Ende 2014 in den Wahlkampf gehen kann. Im Bund war die Versorgung von politischen Beamten Ende 2011 noch einmal erhöht worden – in einem vom schlechten politischen Gewissen gezeichneten Blitzverfahren.29
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von Arnim, a.a.O., S. 14 ff. von Arnim, Der finanzielle Status hessischer Bürgermeister, 2014. 28 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/thueringen-verfahren-gegen-christine-lieberknecht-cdu-eingestellt-a-950877.html 29 von Arnim, „Rette sich, wer kann. Schnelle Erhöhung der Versorgung politischer Beamter geplant“, PUBLICUS 2011.12, S. 7. 27
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3. Abgeordnete a) Bundestag Bundestagsabgeordnete erwerben schon nach einem Jahr einen Versorgungsanspruch, der mit dem Erreichen der Altersgrenze fällig wird.30 Früher brauchte man dazu mindestens zwei Wahlperioden. Die Absenkung auf ein Jahr erfolgte paradoxerweise zur gleichen Zeit, in der die Voraussetzungen für den Erwerb einer Ministerpension verschärft wurden: Statt 1 1/2 Jahren benötigen Regierungsmitglieder und Parlamentarische Staatssekretäre im Bund dafür jetzt mindestens vier Jahre im Amt,31 so dass z. B. die vorher ausgeschiedenen Minister Glos, Scholz und Guttenberg keinen Anspruch auf eine Ministerpension erwarben. Dagegen haben eine ganze Reihe von Bundestagsabgeordneten, die ihr Mandat kaum mehr als ein Jahr innehatten, einen Versorgungsanspruch. Aufschlussreich ist auch folgender Vergleich: Bundestagsabgeordnete erhalten in Zukunft pro Jahr einen Versorgungsanspruch von monatlich 227 Euro (= 2,5 % der Entschädigung von 9.092 Euro), rund acht mal so viel wie ein durchschnittlich verdienender Arbeitnehmer pro Jahr an monatlicher Rente erwirbt (28 Euro). Die Entschädigung in der aktiven Zeit ist aber nur rund drei mal so hoch wie das Gehalt des Arbeitnehmers.32 Das belegt die unverhältnismäßige Großzügigkeit der Abgeordnetenversorgung. b) Bayern Bayerische Landtagsabgeordnete erhalten sogar 277 Euro monatliche Versorgung für jedes Mandatsjahr (= 3,825 % der Entschädigung) über das zehnte Jahr hinaus. Sie benötigen allerdings zunächst zwei Legislaturperioden (zehn Jahre), um nach Erreichen der Altersgrenze einen Versorgungsanspruch von 33,5 % zu erwerben.33 Ihr Versorgungsanspruch pro Mandatsjahr ist also fast zehnmal so hoch wie der von durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmern, während die Entschädigung nur gut doppelt so hoch ist wie der Durchschnittslohn. Abgeordnete, jedenfalls im Bund und in Bayern, sind also immer noch erheblich „überversorgt“, wie vor Jahren schon Rudolf Scharping einräumte. Mit der verfassungsrechtlich allenfalls zulässigen „begrenzten Altersversorgung“34 ist das nur schwer vereinbar.
30
Dazu von Arnim, Die Deutschlandakte, 2008, S. 143 f. Gesetz vom 23. 10. 2008, BGBl I S. 2018. 32 Dieses Missverhältnis wird von den Betroffenen regelmäßig unterschlagen. So erwähnte der Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer (SPD) in der 2. Lesung der jüngsten Diätennovelle zwar das 3:1-Verhältnis der Aktiveneinkommen, nicht aber das 8:1-Verhältnis bei der Altersversorgung: Plenarprotokoll vom 21. 2. 2014, S. 1374. 33 Näher dazu von Arnim, Die Selbstbediener, S. 155 ff. 34 BVerfGE 32, 157 (165). 31
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c) EU Europaabgeordnete erhalten, sofern die 2009 wieder gewählten Abgeordneten nicht für die Fortgeltung des nationalen Abgeordnetenrechts votiert hatten, nach dem Europäischen Abgeordnetenstatut schon nach einem Mandatsjahr einen Versorgungsanspruch von 3,5 % der Entschädigung von derzeit 8.021 Euro. Nach 20 Jahren erwerben sie den Höchstanspruch von 70 %. Schon nach einer Wahlperiode sind das 17,5 % der Entschädigung, d. h. monatlich 1.404 Euro, und damit mehr als das Durchschnittseinkommen in vielen östlichen Ländern und erst recht mehr als die normale Altersrente in noch viel mehr Ländern. III. Weitere Probleme Bei näherer Betrachtung ergibt sich eine Reihe weiterer Probleme. 1. Kein Statusgesetz des Bundespräsidenten Für die Amtsbezüge des Bundespräsidenten besteht kein Gesetz; sie werden lediglich im Haushaltsplan bewilligt. Das gibt es für keine anderen Ämter und widerspricht dem für die Bezüge von Amtsträgern geltenden Gesetzesvorbehalt.35 2. Intransparenz der Bezüge von Bundesministern Für Abgeordnete hat das Gericht die Dynamisierung der Entschädigung, z. B. durch Ankoppelung an Beamtengehälter, untersagt (auch wenn bayerische Landtagsabgeordnete und neuerdings auch der Bundestag sich nicht daran halten). Für Regierungsmitglieder besteht sie aber schon immer. Die häufig erfolgte Abkoppelung zeigt ja auch, dass die Bundesregierung selbst darin ein Problem sieht, das bei der erst recht problematischen Koppelung von Diäten aber ignoriert wurde. Die Nicht-Erhöhung der Einkommen der Bundeskanzlerin, der Minister und der Parlamentarischen Staatsekretäre ist zwar politisch anzuerkennen. Von Transparenz kann nun aber keine Rede sein. Die Ermittlung der Bezüge ist hochkompliziert und aus dem Ministergesetz nicht mehr zu ersehen. 3. Doppelbezüge a) Abgeordnete als Regierungsmitglieder Problematisch sind vor allem gewisse Zusatzeinkommen. So erhalten die Kanzlerin, Bundesminister und Parlamentarische Staatssekretäre sowie bayerische Regierungsmitglieder, die zugleich Mitglieder des Parlaments sind, noch die Hälfte von deren Entschädigung und drei Viertel ihrer Kostenpauschale dazu, obwohl sie 35
Siehe auch Reinhard Mußgnug, Der Haushaltsplan, 1976, S. 329 ff.
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kaum noch Zeit für ihr Mandat haben (siehe auch den Beitrag Zentgraf, unten S. 101). Das führt dazu, dass Parlamentarische Staatssekretäre im Bund, die nach einem gängigen Wort die Arbeit verrichten, die es ohne sie gar nicht gäbe, sehr viel höhere Bezüge haben als beamtete Staatssekretäre, auf deren Schultern die Hauptarbeitslast liegt, und auch deutlich mehr als Minister, die kein Bundestagsmandat innehaben. Auch bayerische Staatssekretäre (mit Abgeordnetenmandat) überflügeln bayerische Staatsminister (ohne Mandat) finanziell bei weitem. Das Bundesverfassungsgericht hat im Diätenurteil festgestellt, es fehle an „jedem sachlich zureichenden Grund, diesen Fall anders als entsprechend den gegenwärtig im Beamtenrecht geregelten Grundsätzen zu behandeln.“36 Und im Beamtenrecht herrscht der Grundsatz der Vollanrechnung.37 Viele Bundesländer, wie Hessen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und das Saarland, haben die Unhaltbarkeit der Doppelalimentation erkannt und die Abgeordnetendiäten von Regierungsmitgliedern gekürzt oder ganz gestrichen. Das führt allerdings zu der absurden Situation, dass bayerische Staatssekretäre ein sehr viel höheres Gesamteinkommen haben als die Ministerpräsidenten in jenen Ländern.38 Überhaupt überrascht es, dass Regierungsmitglieder in Deutschland gleichzeitig noch Abgeordnete sein können. Mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung ist das kaum zu vereinbaren und auch wenig konsequent. Denn für Angehörige des öffentlichen Dienstes ist die Inkompatibilität in deutschen Parlamenten streng durchgezogen. Dagegen darf ihr oberster Chef, der Minister, im Bund und in den meisten Ländern nach wie vor Abgeordneter bleiben. In Hamburg und Bremen besteht jedoch Unvereinbarkeit (siehe dazu auch Beitrag Zentgraf, S. 101). b) Funktionszulagen: verboten und verheimlicht Den Inhabern besonderer Funktionen gewähren die Fraktionen Zulagen, deren Höhe und Empfänger im Bund vor der Öffentlichkeit gezielt versteckt werden. In Bayern müssen die Zulagen nach einer in Reaktion auf die Verwandtenaffäre eingefügten Regelung in Zukunft immerhin veröffentlicht werden;39 gleichzeitig wurde die Gewährung der Zulagen allerdings gesetzlich bestätigt und dies durch einen Auftragsgutachten vordergründig abgesichert.40 Der Bundestag belässt es bei der Geheimhaltung. Die Schmidt-Jortzig-Kommission hatte nur vorgeschlagen, die Funktionen zu nennen, für die es Zulagen gibt, nicht aber deren Höhe. Denn diese sei für jede Fraktion unterschiedlich.41 Überzeugen kann dies nicht. Gerade die Unterschie36
BVerfGE 40, 296 (329 f.). Siehe z. B. von Arnim, Doppelalimentation von Europaabgeordneten, DÖV 2010, S. 197 (201). 38 von Arnim, Die Selbstbediener, S. 271 ff. 39 Änderungsgesetz zum Fraktionsgesetz vom 16. 7. 2013, BayGVBl S. 449. 40 Dazu von Arnim, Die Selbstbediener, S. 57. 41 Kommission, Bericht, a.a.O., S. 36. 37
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de sind für die Allgemeinheit von Interesse und sollten öffentlich gemacht werden müssen. Jüngst hat der Bundestag – ebenfalls nach dem Vorschlag der Kommission – auch Ausschussvorsitzenden eine Zulage bewilligt.42 Inhaltlich hat das Bundesverfassungsgericht solche Zulagen in ständiger Rechtsprechung nur für Parlamentspräsidenten, ihre Stellvertreter und Fraktionsvorsitzende zugelassen, im Übrigen aber untersagt.43 Die Bezahlung von Abgeordneten ist als „Vollalimentation“ ausgestaltet, sie „entlohnt“ also zeitlich und inhaltlich den Einsatz der vollen Arbeitskraft des Abgeordneten. Das kommt auch denen zu Gute, die gar nicht vollzeit tätig sind, etwa weil sie noch einen privaten Beruf ausüben. Dann dürfen umgekehrt aber auch diejenigen, die wirklich voll im Parlament arbeiten, weil sie eine Funktion in der Fraktion ausüben oder einem Ausschuss vorstehen, kein zusätzliches Salär beanspruchen. Zudem hat das Gericht bei Bezahlung von Abgeordneten Transparenz verlangt. Auch sonst bereitet die Bezahlung von Bundestags- und bayerischen Landtagsabgeordneten die größten Probleme. Das wird noch zu zeigen sein. 4. Kostenpauschalen Die Einheitspauschalen, die Bundestags-, bayerische Landtagtags- und Europaabgeordnete erhalten, sind verfassungsrechtlich nicht zu halten. Sie bekommt z. B. auch ein Bundestagsabgeordneter aus Berlin und ein Landtagsabgeordneter aus München, die – mangels Zweitwohnung und Kraftfahrzeugkosten – sehr viel geringere mandatsbedingte Ausgaben haben als etwa Abgeordnete aus einem ländlichen Wahlkreis weitab von der Hauptstadt. Dagegen etwa für bayerische Landtagsabgeordnete die höheren Lebenshaltungsausgaben in München aufzurechnen, wäre unzulässig, da die Pauschale gerade nicht für den Lebensunterhalt bestimmt ist. Entgegen vielfachen Behauptungen der politischen Klasse und ihrer Berater, Bundesfinanzhof oder Bundesverfassungsgericht hätten die Bundestags-Pauschale abgesegnet, liegt in Wahrheit kein entsprechender Entscheid vor. Und dass Pauschalen dem Grunde nach zulässig sind, hat von Anfang an niemand bestritten.44 Zur allgemeinen Kostenpauschale und zum Tagegeld von Europa-Abgeordneten siehe bereits oben I. 3. b). Das Tagegeld müsste, wenn es nicht ganz abgeschafft wird, auf 100 E abgesenkt und Aufwendungen für Übernachtung oder Fahrten in Brüssel müssten bis zu einer Obergrenze einzeln abgerechnet werden. 5. Interessentenzahlungen an Abgeordnete Obwohl ein Bundestagsabgeordneter Zahlungen, die ihm „ohne angemessene Gegenleistung“ gewährt werden, mit Recht nicht annehmen darf (§ 44a Abs. 2 Satz 3 42
Änderungsgesetz, a.a.O., § 11 Abs. 2 AbgG-neu. BVerfGE 40, 296 (318); 102, 224; 118, 277 (329); 119, 302 (309). Siehe auch von Arnim, Der Verfassungsbruch, 2011. 44 BVerfGE 40, 296 (328); 49, 1 (2). 43
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AbgG),45 weil sie ihn dem Geldgeber verpflichten, ihn also in der Korruptionssprache „anfüttern“ können, werden sog. Spenden, die Abgeordneten gewährt werden, weiterhin für zulässig erklärt (§ 44a Abs. 2 Satz 4 AbgG). Das ist paradox. Denn mit Spenden, die ja ebenfalls „ohne angemessene Gegenleistung“ erfolgen, ist ein „Anfüttern“ natürlich genau so möglich, weshalb auch sie eigentlich verboten gehören.46 Genau so paradox ist es, dass Abgeordnete sich als bezahlte Lobbyisten in die Dienste eines Unternehmens oder Verbandes begeben dürfen. Denn bei ihnen besteht nicht nur der Verdacht, dass der Geldgeber einen Einsatz des Abgeordneten für seine Interessen erwartet; der Abgeordnete wird vielmehr ganz ungeniert gerade dafür bezahlt. IV. Wer entscheidet? Und wie? 1. Drei mögliche Akteure Nun zur Kernfrage: Wer entscheidet wie über die Bezahlung von Abgeordneten. Vier mögliche Akteure und Wege kommen in Betracht: a) Parlament oder Volk? Herkömmlich entscheidet das Parlament. Ist es dabei aber wirklich unabhängig? Hier stellt sich das Problem der Entscheidung in eigener Sache besonders scharf. Letztlich entscheiden könnte auch das Volk selbst. So ist es in der Schweiz. Das hat dazu geführt, dass es dort z. B. keine staatlich finanzierte Altersversorgung speziell für Abgeordnete gibt. Das ist in Deutschland bisher allerdings nur eine akademische Frage, jedenfalls im Bund. Denn man tut sich dort schwer mit der Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid. Ein Grund dafür dürfte sein, dass dann auch über den finanziellen Status von Bundestagsabgeordneten durch Volksgesetz entschieden werden könnte, es sei denn, man schließt den Abgeordnetenstatus ausdrücklich davon aus, was aber auch wieder hellhörig machen würde. Auf Landesebene, wo die Volksgesetzgebung überall eröffnet ist, kann es allerdings jederzeit zu einem Volksentscheid kommen. Fragen der „Besoldung“ dürfen zwar häufig nicht Gegenstand von Volksbegehren sein. Die Bezahlung von Abgeordneten fällt aber nicht darunter, da sie im Rechtssinne nicht „besoldet“, sondern entschädigt werden.47
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Siehe auch schon von Arnim, Das Verbot von Interessentenzahlungen, 1976. So auch Bundespräsidialamt (Hrsg.), Empfehlungen der Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung, 1994, S. 74 f. 47 Z. B. Menzel, in: Löwer/Tettinger, Nordrhein-westfälische Verfassung, 2002, Art. 50, Rn 18 m.w.N. 46
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b) Entscheiden für das nächste Parlament Abgeschwächt, aber immer noch vorhanden ist der Einfluss des Volkes, wenn Erhöhungen jeweils nur mit Wirkung für die nächste Wahlperiode beschlossen werden dürfen, damit die Bürger vor der Wahl wissen, wie ihre zu wählenden Vertreter bezahlt werden und die Kandidaten dazu Stellung nehmen müssen (so das US-amerikanische Modell). Das wird im Bundestag und in vielen Landesparlamenten allerdings geradezu ins Gegenteil verkehrt, indem nach der Wahl Erhöhungen in Stufen für die ganze Wahlperiode festgelegt werden. Auch im Bundestag wurden die jüngste Erhöhung und die Automatisierung nach der Wahl beschlossen, und auch in Zukunft sollen einschlägige Beschlüsse jeweils nach der Bundestagswahl vorgenommen werden. c) Sachverständige Sollen – das wäre der vierte Weg – unabhängige „Weise“, also sozusagen ein Areopag oder „Philosophen“ (um mit Plato zu sprechen), mitwirken oder gar abschließend über die Diäten entscheiden, also in heutiger Sprache: Sollten unabhängige Sachverständige eingeschaltet werden? Das ist das Kommissionsmodell, das das Bundesverfassungsgericht in Form einer beratenden Kommission im Parteienfinanzierungsurteil von 1992 angeregt hat.48 Die FDP hat sogar eine entscheidende Kommission ins Gespräch gebracht. Wer aber soll die Kommissionsmitglieder bestellen? Tut dies der Bundestag, so erliegt er leicht der Versuchung, solche Personen zu berufen, die den Abgeordneten nicht wehtun. Das haben wir gerade mit der SchmidtJortzig-Kommission wieder erlebt. Entscheidende Kommissionen, die die Diäten endgültig festlegen, dürften zudem verfassungsrechtlich gar nicht zulässig sein. Tatsächlich spielen die letztgenannten Verfahren und Akteure bei uns praktisch keine Rolle. Die Parlamente, also auf Bundesebene der Bundestag, entscheiden bisher alles alleine. 2. Der Staatssekretär als „Eckmann“ Die Bezüge des „Eckmanns“, also des Staatssekretärs, bestimmt der Bundestag im Rahmen von Besoldungsgesetzen (siehe oben I. 1. a)); darin sind der Betrag und die jeweilige Erhöhung genau aufgelistet. Die früher fast sklavische Ausrichtung der Besoldungserhöhungen an den Ergebnissen der Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst besteht heute nicht mehr, jedenfalls nicht mehr im Sinne einer faktischen Bindung. Allerdings sitzen im Innenausschuss, der die Entscheidung des Bundestags vorbereitet, fast nur Beamte (deren Rechte und Pflichten wegen der Inkompatibilität ruhen). Beamte treffen also eine Vorentscheidung über die Beamtenbesoldung.
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BVerfGE 85, 264 (291 f.).
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V. Parlament ohne Kontrolle trotz Entscheidung in eigener Sache 1. Ausschaltung der öffentlichen Kontrolle Das Abgeordnetenmandat ist nach wie vor die Schlüsselposition für den Zugang zu anderen bezahlten politischen Ämtern. Die meisten höheren Ämter werden an frühere Abgeordnete vergeben. Ihr finanzieller Status ist deshalb von besonderer Bedeutung. Die Verfassungsgerichte haben aus dem Grundsatz, dass das Parlament bei Entscheidungen in eigener Sache verstärkter Kontrolle bedarf, Zweierlei abgeleitet. Erstens muss das Parlament über den Status seiner Abgeordneten öffentlichkeitswirksam, also bei jeder Änderung durch besonderes Gesetz, entscheiden und darf Erhöhungen nicht automatisieren oder im Haushaltsplan verstecken, damit die öffentliche Kontrolle greifen kann. Zweitens muss das Gericht Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache besonders streng kontrollieren. a) Automatismus Im Widerspruch dazu ist, wie oben schon angesprochen, neuerdings im Bund ein Automatismus für Entschädigung und Altersversorgung vorgesehen. Der Bayerische Landtag, in welchem ein solcher Automatismus schon seit längerem besteht, sieht sich dadurch bestätigt. Für Kosten- und Mitarbeiterpauschale gilt dasselbe. Da Abgeordnete bei Entscheidungen über die eigene Bezahlung nicht unbefangen sind und der Kontrolle durch die Öffentlichkeit bedürfen, muss den Medien, die die Bürger einschließlich der Parteimitglieder ansprechen, der Zugang zum Entscheidungsverfahren ermöglicht werden (siehe auch oben I. 1. c)). Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht eine selbstständige Entscheidung des Parlaments durch spezielles Gesetz vorgeschrieben, wenn es um den finanziellen Status der Abgeordneten und um Änderungen geht. Denn das sei in diesem Fall die einzig wirksame Kontrolle. Eine solche wird durch Einführung des Automatismus aber gerade verhindert.49 Ob die Anknüpfung an die Entwicklung von Beamten- oder Richterbezügen oder Arbeitnehmereinkommen erfolgt, ist verfassungsrechtlich gleichgültig. Es bleibt eine Automatisierung, mit der die öffentliche Kontrolle ausgehebelt wird und auch ausgehebelt werden soll. b) Verstecken im Haushaltsplan Der Bundestag und der Bayerische Landtag entscheiden zudem über wesentliche Teile des finanziellen Status ihrer Mitglieder nicht durch Gesetz, sondern regeln das lediglich im Haushaltsplan, so z. B. die Höhe der Kostenpauschale und die Höhe der
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BVerfGE 40, 296 (316 f., 327).
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Bewilligung für persönliche Mitarbeiter von Abgeordneten.50 Letztere betragen inzwischen im Bund monatlich über 20.000 Euro (einschließlich der Arbeitgeber-Sozialaufwendungen) und haben damit ein Volumen erreicht, das sehr viel höher ist als die Entschädigung (ab 2015: 9.082 Euro) und die Kostenpauschale (4.204 Euro) zusammen. Sie wurden seit 1969, als sie eingeführt wurden, ver21facht. Zieht man die allgemeinen Gehaltssteigerungen für Arbeitnehmer ab, so ergibt sich eine reale Steigerung der Manpower auf das Vierfache (siehe Anlage 3). Bayerische Landtagsabgeordnete erhalten auf Nachweis bis zu 7.524 Euro für persönliche Mitarbeiter; der Betrag wurden zum Beispiel 2009 um 46 % gesteigert. Das ergibt eine reale Steigerung seit 1981, als erstmals der Betrag im Haushaltsplan genannt wurde, auf etwa das Vierfache (siehe Anlage 4). Im Haushaltsplan für 2014 ist sogar eine weitere Bewilligung auf insgesamt 9773 Euro vorgesehen. Diese Erhöhung wurde zwar im Mai 2013 als „jetzt nicht vermittelbar“ storniert, ist im Haushalt aber nach wie vor bewilligt51 und wurde auch in den beiden zwischenzeitlich beschlossenen Nachtragshaushalten nicht zurückgenommen. Die Kostenpauschale und die Mitarbeiterpauschale sind im Bund und in Bayern dynamisiert, steigen also mit dem allgemeinen Preis- und Einkommensniveaus. Das feit allerdings nicht dagegen, dass immer mal wieder gewaltige Sprünge in eigener Sache beschlossen werden, wie man am Hochschießen der Mitarbeiterpauschalen sieht (Anlagen 3 und 4). Im Bund war für die Mitarbeiterpauschale ursprünglich eine gesetzliche Regelung ihrer Höhe vorgesehen,52 die dann aber ohne Begründung entfiel. Später wollte man die fehlende gesetzliche Regelung dadurch heilen, dass ins Grundgesetz eine entsprechende Ermächtigung hineingeschrieben werden sollte. Der Plan scheiterte am Nein des Bundesrats (siehe oben I. 1. c)). Die gesetzliche Nicht-Regelung besteht aber immer noch. Über ihre Verfassungswidrigkeit kann eigentlich kein Zweifel bestehen. An den Abgeordnetenmitarbeitern zeigt sich Zweierlei. Einmal ist es sehr viel leichter, die Beträge zu erhöhen, wenn diese nur im Haushaltsplan ausgewiesen sind. Erhöhungen stehen dann sehr viel weniger unter öffentlicher Kontrolle. Das lässt sich auch empirisch belegen. Außerdem geht die Mitarbeiterbeschäftigung leicht in eine verschleierte staatliche Parteienfinanzierung über. Das hat man besonders vor der Bundestagswahl 2013 ganz deutlich gesehen: Mitarbeiter, die dem Abgeordneten „zur Unterstützung bei der Erledigung seiner parlamentarischen Arbeit“ zugewiesenen sind (§ 12 Abs. 3 BAbgG; Art. 8 Abs. 1 BayAbgG), wurden in großem Umfang als Wahlkampfhelfer
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Zur Verfassungswidrigkeit dieser die öffentliche Kontrolle aushebelnden Verfahrensweise: von Arnim, Abgeordnetenmitarbeiter und Kostenpauschale in Bayern, NVwZ-Extra (online) Nr. 19/2013, S. 1 (5). 51 von Arnim, Die Selbstbediener, S. 105 ff. 52 BT-Drs. 13/1824.
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zweckentfremdet.53 Genau das darf aber nicht sein, wie neuerdings auch der Verhaltenskodex der CSU bestätigt.54 Das Ausschalten der öffentlichen Kontrolle hat in Bayern geradezu systemische Züge. Der Erlass des Bayerischen Abgeordnetengesetzes im Jahre 1977 erfolgte in einem Camouflageverfahren.55 Dasselbe gilt für die öffentlichkeitsfeindliche Verlagerung der Landtagsbeschlüsse auf die Zeit nach den Wahlen und die Dynamisierung der Entschädigung und der Kostenpauschale im Jahre 199556 sowie für das Täuschen der Öffentlichkeit bei Regelung der Beschäftigung von Verwandten als Abgeordnetenmitarbeiter im Jahre 2000.57 Das systematische, kollusiv-missbräuchliche Ausschalten der öffentlichen Kontrolle durch die bayerische politische Klasse bei Erlass dieser und anderer Gesetze ist bisher von den Medien noch nicht aufgegriffen worden, sondern wurde durch die ganz im Vordergrund stehende Verwandtenaffäre völlig verdrängt. c) Leerlaufen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle Eine andere wichtige Kontrollinstanz sind die Verfassungsgerichte, zumal der Bundestag und der Bayerische Landtag sich der Öffentlichkeitskontrolle bei Erhöhungen der Entschädigung und Altersversorgung sowie der Kosten- und der Mitarbeiterpauschale entzogen haben. Bisher konnte das Bundesverfassungsgericht da aber noch nicht gegenhalten. Hier zeigt sich eine konstitutionelle Schwäche der Gerichtskontrolle. Das Bundesverfassungsgericht kann von sich aus nicht tätig werden. Aber auch die Bürger sind nicht klagebefugt. Die Abgeordneten selbst oder die Bundesregierung, die klagen könnten, haben bisher davon abgesehen – aus naheliegenden Gründen. Sie profitieren ja von der Nichtregelung im Abgeordnetengesetz. Das Dilemma besteht also darin, dass die, die klagebefugt sind, nicht klagen, und die, die vielleicht klagen würden, nicht dazu befugt sind. Das ist der Grund, warum viele Teile des finanziellen Status von Abgeordneten seit Jahren als verfassungswidrig kritisiert werden, ohne dass es bisher ein klärendes gerichtliches Urteil gibt. Besonders deutlich wird die mangelnde Klagbarkeit bei der Kostenpauschale. Weder kam es zu einer Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, als ein Handelsvertreter klagte,58 noch als ein Bürger den Gleichheitsverstoß in seiner Steuererklärung geltend machte und das Verfahren über das Finanzgericht und den Bun-
53 Das hat das ARD-Fernsehmagazin Report Mainz in seiner Sendung vom 17. 9. 2013 eindringlich dokumentiert. Siehe auch den Bericht des ARD-Fernsehmagazins Monitor zur Verwendung von Mitarbeitern durch bayerische Landtagsabgeordnete vom 29. 8. 2013. 54 Verhaltenskodex der Christlich-Sozialen Union, April 2014, Abschnitt II 1 (S. 9). 55 von Arnim, Die Selbstbediener, S. 126 ff. 56 A.a.O, S. 143. 57 A.a.O., S. 88 ff. 58 BVerfGE 49, 1.
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desfinanzhof59 bis zu einer Vorprüfungskammer des Bundesverfassungsgerichts60 gelangte. In Bayern gibt es – anders als in anderen Ländern und im Bund – die so genannte Popularklage. Deshalb können Bürger zum Beispiel gegen Gleichheitsverstöße bei der Politikfinanzierung den Bayerischen Verfassungsgerichtshof anrufen, auch wenn sie nicht direkt betroffen sind. Andererseits könnte einer intensiven Kontrolle ein anderes Hindernis entgegenstehen. Der Gerichtshof hatte 1982 über die Landtagsdiäten zu entscheiden und dabei das Gegenteil einer strengen Prüfung vorgenommen und so alles abgesegnet:61 zum Beispiel die überzogene Altersversorgung, die einheitliche Kostenpauschale und das Verstecken der Höhe und der Dynamisierung der Mitarbeiterpauschale im Haushaltsplan. Das Gericht hat den Anspruch auf Vollalimentation, den das Bundesverfassungsgericht angesprochen, bald darauf aber sogar für den Bundestag verworfen hatte, für bayerische Landtagsabgeordnete übernommen, obwohl Art. 31 BV nur von einer „Aufwandsentschädigung“ spricht. Das bayerische Urteil ist inzwischen zwar durch die Rechtsentwicklung überholt, bisher aber noch nicht revidiert.62 Ich habe nun allerdings vor zwei Jahren für die Ökologisch-Demokratische Partei in Karlsruhe eine Klage erhoben. Sie richtet sich unter anderem gegen die verschleierte Staatsfinanzierung durch die Zweckentfremdung von Abgeordnetenmitarbeitern, die die Chancengleichheit außerparlamentarischer Parteien verletzt und die Obergrenzen für die staatliche Parteienfinanzierung unterläuft.63 Inzwischen sind mit Vertretern des Bundestags und der CDU/CSU-Fraktion rund 200 Seiten Schriftsätze gewechselt worden. VI. Anhaltspunkte für die Bezahlung von Abgeordneten: das Leitbild Angesichts der andauernden Auseinandersetzungen um die Art und den Umfang von Politikerbezügen fragt es sich, wie man hier wenigstens eine ungefähre Richtung für adäquate Lösungen gewinnen kann. Für die Bezahlung von Abgeordneten hat das Bundesverfassungsgericht folgende Grundsätze aufgestellt: Sie soll sich richten nach der „Bedeutung des Amtes unter Berücksichtigung der damit verbundenen Verantwortung und Belastung und des diesem Amt im Verfassungsgefüge zukommenden Ranges“.64 Wie diese Grundsätze interpretiert werden, hängt allerdings vom Vorverständnis, insbesondere davon ab, welches Bild man sich vom Abgeordneten macht. 59
BFHE 223, 389. BVerfGK 17, 438. 61 VerfGH 35, 148. 62 Dazu von Arnim, Die Selbstbediener, S. 132 f.,148 ff. 63 http://www.dhv-speyer.de/VONARNIM/Aktuelles/2012/Klage%20BVerfG%20für% 20ÖDP/Klage%20BVerfG%20für%20ÖDP%202012 %20(komp).pdf 64 BVerfGE 40, 296 (315). 60
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1. Zwei Bilder Hier streiten zwei konkurrierende Leitbilder um die Deutungshoheit: ein rein normatives und ein auch faktisches. Je nachdem, welches der beiden Bilder man zu Grunde legt, kommt man durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen: hinsichtlich der Bezahlung und auch hinsichtlich der Frage nach der adäquaten Entscheidungsinstanz. Der ungebundene, frei gewählte, gemeinwohlorientierte und individuell verantwortliche Abgeordnete, der mit Augenmaß und Leidenschaft dicke Bretter bohrt,65 kann gewiss eine andere Bezahlung erwarten als Abgeordnete, die primär Geschöpfe ihrer Partei und Funktionäre ihrer Fraktion sind, deren Hauptaugenmerk nicht dem Gemeinwohl gilt, sondern dem Erhalt von Mandat und Macht, die ihre Verantwortung hinter der Fraktionsdisziplin verstecken und ohnehin vom Wähler nicht belohnt oder bestraft werden können, weil der Einzug der Meisten längst vor der eigentlichen Wahl schon feststeht. a) Das normative Idealbild Das rein normative Bild unterstellt – entsprechend den allerdings etwas einseitig interpretierten grundgesetzlichen Regelungen – unabhängige (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG), direkt vom Volk gewählte und ihm verantwortliche (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) Abgeordnete, die im Interesse des Gemeinwohls ein gewaltiges Arbeitspensum bewältigen. Von diesem Leitbild geht die Schmidt-Jortzig-Kommission aus und gründet darauf ihre Empfehlungen66 (siehe auch den Beitrag von Schmidt-Jortzig, oben S. 14 ff.). Sie hebt auch auf die vielen Aufgaben, Befugnisse und Funktionen ab, die das Parlament nach der Verfassung hat,67 und betont die horizontalen und vertikalen Gliederungen des Gesamtparlaments. Da die geringe öffentlichen Wertschätzung, die Abgeordnete laut Umfragen genießen,68 mit dem eigenen Leitbild nicht vereinbar erscheint, will die Kommission, statt das Leitbild zu überdenken, ein höheres Ansehen durch hohe Vergütung und Versorgung erzwingen und so „öffentlich sichtbar eine [dem Idealbild] entsprechende Wertschätzung“ erreichen.69 Doch dieses Bild ignoriert die politische Wirklichkeit. Natürlich hat das Parlament viele Aufgaben. Doch die Parlamentsmehrheit vollzieht häufig im Wege einer Art Notarfunktion nur, was die Regierung vorgibt, eine Entwicklung, die in der Staatsrechtslehre unter dem Begriff „Entparlamentarisierung“,70 in der Politik65
Max Weber, Politik als Beruf (Neudruck der 2. Aufl., 1926), 2012. Bericht, S. 6 – 8. 67 Kommissionsbericht, S. 9 – 14. 68 Siehe auch Bericht, S. 9 rechts. 69 Bericht, S. 8 rechts. 70 Matthias Herdegen/Martin Morlok, Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdung der Verfassung?, VVDStRL 62 (2003), S. 7 ff. 66
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wissenschaft unter dem Begriff „Präsidentialisierung“71 behandelt wird. Zudem geht es bei der Bezahlung ja nicht nur um das Parlament als Ganzes, mag dessen Kompetenzverlust auch die Rolle der Abgeordneten beeinträchtigen; es geht nicht um die Finanzierung des Parlaments, seiner Verwaltung einschließlich des Wissenschaftlichen Dienstes und der Fraktionen, es geht vielmehr um die Bezahlung des einzelnen Abgeordneten, und dieser ist derart in die Partei und die Fraktion eingebunden, dass ihm faktisch kaum eine Alternative zum konformen Verhalten bleibt, will er nicht sein Wiederaufstellung gefährden. Doch im Leitbild der Kommission kommen die politischen Parteien gar nicht vor, was nicht nur kontra-faktisch ist und in der Parteiendemokratie der Bundesrepublik ans Absurde grenzt, sondern auch ignoriert, dass auch die Parteien sich auf das Grundgesetz berufen können, mögen sie de facto auch weit über das bloße Mitwirken an der politischen Willensbildung des Volkes (Art. 21 Abs. 1 GG) hinausgehen. Wenn die Kommission dennoch darauf beharrt, das freie und unabhängige Mandat präge als Kern der parlamentarischen Willensbildung die Wirklichkeit,72 verfehlt sie diese in Wahrheit. Auch die individuelle Verantwortlichkeit des Abgeordneten, die die Kommission herausstellt,73 steht oft bloß auf dem Papier. Sie wird im Schoße der Fraktion und der Partei weitgehend aufgehoben. Denn der Abgeordnete wird bei einem Verhältniswahlrecht mit starren Listen, in denen auch diejenigen aufgefangen werden, die im Wahlkreis verlieren, in der Regel nicht vom Wähler bestimmt, und die Partei beurteilt ihn vornehmlich danach, ob er partei- und fraktionskonform gehandelt hat. Weiß der Abgeordnete seine Fraktion (oder gar das ganze Parlament) hinter sich, wird selbst grob anstößiges Verhalten nicht sanktioniert, im Gegenteil! Wird etwa jemand für das die öffentliche Kontrolle gezielt unterlaufende Blitzgesetz, mit dem die 3 %-Klausel für Europawahlen im Juni 2013 beschlossen wurde, zur Verantwortung gezogen, bei dem die Regeln guter Gesetzgebung nicht eingehalten, ein Appell von Staatsrechtslehrern unterdrückt und eine Warnung des eigenen Verfassungsministeriums unter Verschluss gehalten worden war? Wurde der bayerische Landtagsabgeordnete Dr. Otmar Bernhard, der die Öffentlichkeit gezielt getäuscht hatte,74 etwa zur Verantwortung gezogen? Die bayerische Landtagspräsidentin Barbara Stamm, die die Öffentlichkeit mehrfach belogen hatte,75 wurde auch noch durchihre Wiederwahl als Präsidentin belohnt. Mit der Zurückweisung des normativ-idealisierenden Leitbildes vom Abgeordneten ist den Vorschlägen der Schmidt-Jortzig-Kommission und dem darauf beruhenden jüngsten Diätengesetz (oben I. 1. c) aa)) die theoretisch-argumentative Grundlage entzogen. 71
Thomas Poguntke/Paul Webb (eds.), The Presidentialisation of Politics, 2005. Bericht, S. 7 links oben. 73 Bericht, a.a.O. 74 von Arnim, Die Selbstbediener, 2. Aufl., S. 89 f. 75 von Arnim, Die Selbstbediener, S. 215 f.
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b) Das realistische Leitbild Das realistische Bild76 ignoriert die Bestimmungen des Grundgesetzes über Abgeordnete zwar keineswegs, erkennt auch, dass die Fraktionen ja aus Abgeordneten bestehen, die ihren Willen bilden. Andererseits bezieht es die faktischen Zwänge, denen Abgeordnete ausgesetzt sind, mit ein und sieht die Individualrechte der Abgeordneten vornehmlich als Mittel, die äußersten Konsequenzen des Parteienstaats abzuwehren. Dennoch bleibt es dabei: Die Abgeordnete sind weder wirklich unabhängig, weil politisch an die Parteidisziplin gebunden, noch werden sie unmittelbar vom Volk gewählt; tatsächlich bestimmen wesentlich die Parteien, wer ins Parlament kommt.77 Am prägnantesten kann man das mit dem allerdings zugespitzten Wort von Gerhard Leibholz ausdrücken, Abgeordnete seien „gebundene Parteibeauftragte“.78 Deshalb kann es auch nicht angehen, den finanziellen Status ohne Blick auf die Parteien zu betrachten. Für ein realistisches Bild vom Abgeordneten ist dies unerlässlich. Wenn die Parteien letztlich bestimmen, wer Abgeordneter wird, muss auch ein Blick auf das Rekrutierungsverfahren der Parteien geworfen werden, die sprichwörtliche Ochsentour79 und die Frage, ob es stimmt, dass das das Verfahren so strukturiert ist, dass vornehmlich zeitreiche und immobile Personen Abgeordnete werden.80 Mit den sog. Parteisteuern, die Abgeordnete (wie auch andere Amtsträger) aus ihrer Entschädigung an ihre Partei abführen müssen,81 demonstrieren die Parteien, wem die Abgeordneten ihr Mandat tatsächlich verdanken. Diese Zwangsabgaben sind perverserweise auch noch steuerbegünstigt und verschaffen der Partei zusätzlich Staatsgeld,82 obwohl sie keineswegs Zeichen der Verwurzelung in der Gesellschaft sind (die eigentlich allein subventioniert werden sollte83), sondern im Gegenteil ein Ausfluss der Abhängigkeit der Abgeordneten von der Partei.
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Richard von Weizsäcker hat das realistische Bild dahin zugespitzt: „Der Hauptaspekt des ,erlernten‘ Berufs unserer Politiker besteht in der Unterstützung dessen, was die Partei will, damit sie einen nominiert, möglichst weit oben in den Listen, und in der behutsamen Sicherung ihrer Gefolgschaft, wenn man oben ist. Man lernt, wie man die Konkurrenz der anderen Parteien abwehrt und sich gegen die Wettbewerber im eigenen Lager durchsetzt.“ (von Weizsäcker im Gespräch mit Gunter Hofmann und Werner A. Perger, 1992, S. 150 f.). 77 von Arnim, Wahl ohne Auswahl. Die Parteien und nicht die Bürger bestimmen die Abgeordneten, ZRP 2004, S. 115. 78 Leibholz, Der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert (1955), abgedr. In: Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 3. Aufl., 1966, S. 226. 79 Siehe z. B. von Arnim, Die Besoldung von Politikern, ZRP 2003, 235 (239 m.w.N.). 80 So Pfeiffer, Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 1993, S. 392. 81 von Arnim, Die Partei, der abgeordnete und das Geld, 2. Aufl., 1996, S. 312 ff. 82 von Arnim, DVBl 2002, S. 1065 (1071 f.). 83 BVerfGE 85, 264 (292 ff.).
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Die Verbindung der Abgeordneten, die über finanzielle und persönliche Ressourcen verfügen, mit den Parteien, die über den Zugang zum Parlament entscheiden, schafft eine für beide Seiten vorteilhafte Symbiose, die allerdings den politischen Wettbewerb verzerrt. Die Parteien pressen den Abgeordneten Parteisteuern ab und nutzen auch deren Mitarbeiter für ihre Zwecke (siehe oben V. 1. b)). Das verschafft ihnen Wettbewerbsvorteile gegenüber außerparlamentarischen Parteien und den Abgeordneten Vorteile beim innerparteilichen Kampf um die Nominierung und beim Wahlkampf um das Direktmandat. Dem Grundsatz der politischen Chancengleichheit schlägt die Wettbewerbsverzerrung aber ins Gesicht und wird deshalb von parteinahen Autoren und der Schmidt-Jortzig-Kommission gern ignoriert. Auch ihre gewaltige Patronagemacht verschafft Parlamentsparteien Vorteile gegenüber ihren Konkurrenten. Ihr großer, wenn auch oft nicht legaler Einfluss macht sie attraktiv für Mitglieder, die politisch etwas beeinflussen wollen, vor allem aber für Karrieristen, die etwa im öffentlichen Dienst auf Ämterpatronage oder in der Politik auf bezahlte Mandate aus sind. Beim Vorrechnen der Zeit, die Abgeordnete arbeiten, kommt man nur dann auf die offiziös angegebenen hohen Stundenzahlen,84 wenn auch die Tätigkeit der Abgeordneten in den Parteien mitgezählt wird, die andere unentgeltlich leisten, und die Aktivitäten in den kommunalen Fraktionen, für welche die Abgeordneten wie andere eine Aufwandsentschädigung erhalten. Zudem bleibt regelmäßig die Frage offen, wie die behauptete enorme zeitliche Belastung eigentlich mit dem privaten Beruf vereinbar sein soll, den viele Abgeordnete zusätzlich noch ausüben.85 Der hier vorgenommenen Vergleich der Leitbilder sieht sich allerdings gelegentlich einem Diskreditierungsversuch gegenüber. Carl Schmitt hatte bei seiner Parlamentarismuskritik zunächst ein Idealbild des Parlaments entworfen, um dieses dann an Hand der Wirklichkeit zu diskreditieren,86 ein Argument, das auch heute der Kritik an Auswüchsen der Politikfinanzierung bisweilen entgegen gehalten wird. Doch hier stammt das Idealbild von der Schmidt-Jortzig-Kommission selbst. Und dass man das völlige Ignorieren der Wirklichkeit, das ihm zu Grund liegt, unbesehen hinnehmen müsse, verlangt selbst Schmidt-Jortzig nicht, wenn er ausdrücklich dazu auffordert, das Bild der Kommission zu kritisieren und zu widerlegen. 2. Zur Entscheidungsinstanz Die Frage, wer, d. h. welche Instanz, die Bezahlung regeln sollte, hängt ganz wesentlich von dem Leitbild ab, das wir uns von den Politikern machen. Beim normativen, die faktischen Gegebenheiten ausblendenden Bild, das die politische Klasse 84
Siehe auch Kommission, Bericht, S. 8 rechts oben. Herbert Hönigsberger, Die Sechste Fraktion, Otto-Brenner-Stiftung, Arbeitspapier Nr. 11, 2013; ders., Aufstocker im Bundestag, OBS-Arbeitspapier Nr. 13, 2014. 86 Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 2. Aufl., 1926 (Nachdruck 1966), S. 41 ff. 85
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und viele ihrer Berater wie eine Monstranz vor sich her tragen, liegt die Entscheidung durch das Parlament selbst nahe, beim faktischen Bild dagegen eher die Entscheidung unmittelbar durch das Volk. Einen Mittelweg zwischen beiden Polen könnte das durch öffentliche und gerichtliche Kontrolle eingehegte parlamentarische Entscheidungsverfahren bilden. Dann müssten die öffentliche und die richterliche Kontrolle aber wirklich in Funktion gehalten und dürften nicht durch die politische Klasse ausgehebelt werden, ein Gesichtspunkt, dem die Schmidt-Jortzig-Kommission wiederum keinerlei Beachtung schenkt und dessen Bedeutung sich bei der jüngsten Diätengesetzgebung erneut gezeigt hat. Anlage 1 Pyramide der Amtsgehälter im Bund Monatliche Grundgehälter, ohne Zuschläge, Zulagen und Zweitgehälter Bundespräsident 10/9 des Amtsgehalts der Bundeskanzlerin Bundeskanzlerin 5/3 B11 (nominell) Präsident des BVerfG Amtsgehalt eines Bundesministers
Bundesminister 4/3 B11 (nominell)
Vizepräsident des BVerfG 7/6 Amtsgehalt eines Staatssekretärs BVerfRichter R10
Präsident eines obersten Bundesgerichts R10: 12.558 E Vizepräsident eines obersten Bundesgerichts R8: 9.646 E
Staatssekretär B11: 12.508 E
Parl. Staatssekretär B11 (nominell)
BRH-Präsident B11
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Hans Herbert von Arnim Pyramide der Amtsgehälter im Bund (Fortsetzung) Bundesrichter R6: 8.726 E (plus Zulagen, ohne Familienzuschlag: 9.082 E)
Bundestagsabgeordneter bis 30. 6. 2014: 8.252 E ab 1. 7. 2014: 8.667 E ab 1. 1. 2015: 9.082 E
Anlage 2 Pyramide der EU-Amtsgehälter Monatliche Grundgehälter, ohne Zulagen Präsident der Kommission oder EuGH 138 % AD 16 Vizepräsidenten 125 % AD 16 Mitglied der Kommission oder des EuGH 112,5 % AD 16 Höchster Beamter AD 16 (3. Dienstaltersstufe): 18.518 E EU-Abgeordnete 38,5 % AD 16 112,5 % (= EuGH-Richter) = 8.021 E
Die Bezahlung von Politikern: Art, Höhe und Verfahren
Anlage 3 Entwicklung der für Abgeordnetenmitarbeiter des Bundes zur Verfügung stehenden Beträge (1969 – 2013) im Vergleich zur Entwicklung des Bruttoarbeitnehmerentgeltes (1965 – 2011) Monatsbeträge pro Abgeordneter
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Hans Herbert von Arnim
Anlage 4 Entwicklung der Bewilligungen für Abgeordnetenmitarbeiter in Bayern (1981 – 2013) im Vergleich zur Entwicklung des Bruttoarbeitnehmerentgelts (1981 – 2011)
Qualitätskriterien für Politiker und Führungskräfte der Wirtschaft und der Stellenwert des Geldes Jörn Ipsen Max Weber hat als erster Soziologe das seinerzeit noch wenig bekannte Phänomen der „Politik als Beruf“ analysiert und als wichtigste Qualitäten eines Politikers die sachliche Leidenschaft, das Verantwortungsgefühl und ein distanziertes Augenmaß postuliert. Verkürzt wird sein berühmter Vortrag vom 28. Januar 19191 noch immer als „Leidenschaft und Augenmaß“ zitiert. Bei aller Wertschätzung für Max Weber, dem Nestor der deutschen Soziologie und Politikwissenschaft, können wir mit solchen Schlagworten nicht viel anfangen. Ich möchte auch der Versuchung wiederstehen, eine Art Idealtypus des Berufspolitikers zu entwickeln, neben dem sich die realen Vertreter dieses Berufsstandes dann naturgemäß medioker ausnehmen würden. Denn dies ist eine stets geübte Technik der Diskreditierung von Politik und – man denke nur an Carl Schmitt – Parlamentarismus gewesen: nämlich ein Idealbild zu entwerfen, um ihm die krude Wirklichkeit gegenüberzustellen.2 Dass sich diese Technik in allen Lebensbereichen und für alle Berufe – auch den Professoren- und den Richterberuf – mit dem gleichen Ergebnis anwenden ließe, sei nur am Rande vermerkt. Gleichwohl kommt Max Weber das Verdienst zu, den seinerzeit sich entwickelnden Typus des Berufspolitikers, der unsere Gegenwart beherrscht, erkannt und beschrieben zu haben. Ausgangspunkt unserer Überlegungen muss also sein, dass Politik als Beruf ausgeübt werden kann und wird. Engagements auf lokaler Ebene – wie die Mitgliedschaft in Kommunalparlamenten – fallen damit aus der Definition heraus; schon Max Weber hat sie als „Nebenberufspolitiker“ bezeichnet.3 Mit dem Berufspolitiker haben wir allerdings nur ein grobes Raster zur Verfügung, das weiterer Differenzierung bedarf. Es macht naturgemäß einen Unterschied, ob ein Politiker lediglich ein Parlamentsmandat innehat oder exekutive Leitungsfunktionen – etwa ein Ministeramt – übernimmt. Bleiben wir einen Moment bei Par-
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Max Weber, Politik als Beruf (Neudr. der 2. Aufl. 1926), 2012. Vgl. C. Schmitt, Die. geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 2. Aufl. 1926 (Nachdr. 1996), bes. S. 41 ff.; dazu R. Thoma, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 53 (1924/25), S. 214. 3 So Max Weber, Politik als Beruf, S. 14. 2
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lamentsabgeordneten, die zahlenmäßig die größte Gruppe der Berufspolitiker stellen dürften. Als „Qualitätskriterien“ – um diesen Begriff zu gebrauchen – ist als erstes die Sachkunde zu nennen, die vom Politiker einerseits wie von jedem anderen Beruf zu fordern ist, sich von diesem andererseits aber nicht unwesentlich unterscheidet. Politik als „Kunst der Vorausschau“ (B. de Jouvenel) erfordert ständiges Bemühen um Informationen, um die eigene Position im Hinblick auf wirkliche oder mögliche zukünftige Ereignisse festzulegen – oder auch nicht festzulegen. Zu den Lieblingsspielen des Journalismus gehört es ja, einen Politiker möglichst frühzeitig festzulegen, um ihm zu gegebener Zeit einen Widerspruch zu früheren Aussagen vorzuhalten. Nicht jeder Politiker verfügt über die Weisheit Konrad Adenauers, der solchen Versuchen mit der Bemerkung begegnete, man könne ihn nicht hindern, täglich klüger zu werden. Neben die Sachkunde tritt ein gewisses Maß an Durchsetzungsfähigkeit. Politiker sollten für ihre Grundsätze einstehen und sie – auch in der Auseinandersetzung mit anderen – durchzusetzen versuchen. Robuste Politikernaturen vom Typ Franz Josef Strauß’ sind etwas aus der Mode gekommen; der letzte Vertreter dieser Spezies war Gerhard Schröder. Wenn es aber um Macht und Machtanteile geht, die wiederum erforderlich sind, Ziele zu verwirklichen, bedarf es dazu eines entsprechenden Durchsetzungsvermögens. Als drittes „Qualitätskriterium“ ist die Kommunikationsfähigkeit zu nennen, die in einer parlamentarischen Demokratie unabdingbar ist. Sie treibt in Zeiten des Internets seltsame Blüten, wenn einzelne Politiker über soziale Netzwerke ihre „follower“ über ihren Tagesablauf unterrichten und damit eine scheinbare Nähe herstellen. Gemeint ist die Kommunikation mit der Bevölkerung, mit Kollegen und Mitarbeitern und damit die Absage an „einsame Entscheidungen“. Ich bemerke wohl, dass ich mich langsam doch einem Idealbild des Politikers nähere, wenn ich die Unabhängigkeit als viertes Kriterium nenne. Ich kann mich hierbei allerdings auf das Grundgesetz berufen, das den Bundestagsabgeordneten in Art. 48 Abs. 3 Satz 1 eine „angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung“ zuspricht. Wir werden später noch auf die Entschädigungen für Abgeordnete zurückkommen; schon an dieser Stelle sei allerdings auf die Unabhängigkeit als „Qualitätskriterium“ hingewiesen. Politik als Beruf setzt eine hohe Einsatzbereitschaft und damit Belastbarkeit voraus. Ich brauche dies nicht weiter zu illustrieren, weil die Arbeitsbelastung von Berufspolitikern allgemein bekannt ist und häufig die 60-Stunden-Woche überschreitet. Es gehört heute geradezu zum „Ethos“ eines Parlamentariers „rund um die Uhr“ gefragt zu sein. Heikel wird es bei meinem letzten Punkt möglicher „Qualitätskriterien“, nämlich der Gemeinwohlorientierung. Man mag noch so viel darüber streiten, wie das Gemeinwohl zu definieren ist. Naturgemäß gibt es unterschiedliche Gemeinwohlent-
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würfe mit jeweils unterschiedlicher politischer – auch sozialpolitischer – Akzentuierung. Dass es aber ein Gemeinwohl gibt, dem man sich als Politiker verpflichtet sieht und das er gegebenenfalls über das – kurzfristige – Parteiinteresse stellen sollte, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Gelten die eben aufgezählten „Qualitätskriterien“ für alle Berufspolitiker, so treten für herausgehobene Positionen in Parlament und Regierung weitere hinzu. Von einem Fraktionsvorsitzenden, Minister oder gar Regierungschef werden Führungseigenschaften erwartet, die zwar in der Durchsetzungs- und Kommunikationsfähigkeit schon angelegt sind, in den herausgehobenen Ämtern aber eine Steigerung erfahren. In einer Zeit, in der „einsame Entscheidungen“ keine Konjunktur haben, vielmehr ein offener – oder öffentlicher – Diskurs geführt wird, sind an die Kommunikationsfähigkeit bestimmte Erwartungen geknüpft: ein Fraktionsvorsitzender muss unterschiedliche Strömungen und Erwartungen „unter einen Hut bringen“, ein Regierungschef Ressortegoismen bändigen. In der Geschichte der Bundesrepublik gibt es Beispiele dafür, dass führende Politiker über diese Führungsqualitäten nicht oder nicht in hinreichendem Maße verfügten und deshalb letztlich scheiterten.4 Ich könnte es mir jetzt leicht machen und die These wagen, dass Führungskräfte in der Wirtschaft über die gleichen Eigenschaften verfügen müssten wie Berufspolitiker – namentlich solche in Führungspositionen. Naturgemäß müssen auch Manager Sachkunde aufweisen, Kommunikationstalent haben und durchsetzungsfähig sein. Schon bei der Unabhängigkeit könnte man fragen, ob ein solches Postulat nicht zu idealistisch wäre. Ein prinzipieller Unterschied besteht indes in der Gemeinwohlorientierung. In einer Marktwirtschaft und in dem ihr eigenen Wettbewerb konkurrieren Wirtschaftsunternehmen um Marktanteile ist es das Ziel, die Konkurrenten zu überflügeln und gegebenenfalls aus dem Markt zu verdrängen. Man mag es „shareholder value“ oder wie auch immer nennen; Wirtschaftsunternehmen sind auf Gewinne angelegt und können sich nur am Markt halten, wenn sie auf Dauer Gewinne erwirtschaften. Eine Gemeinwohlverpflichtung, wie sie das politische System kennzeichnet, ist deshalb nicht zu fordern. Wirtschaftliches Handeln muss zwar gemeinwohlverträglich sein, ihm fehlt aber die Gemeinwohlorientierung. Deshalb wäre es – zu – idealistisch, würde man Führungskräfte der Wirtschaft hinsichtlich der „Qualitätskriterien“ auf die gleiche Ebene wie Politiker in Führungspositionen stellen. Vermutlich ist dies auch der Grund, warum ein Wechsel aus wirtschaftlichen Führungspositionen in die Politik zu den Ausnahmen gehört, während umgekehrt Politiker während oder nach – unfreiwilligem – Ende ihrer Karriere Führungspositionen in der Wirtschaft übernehmen und erfolgreich ausüben. Reden wir vom Geld. Bemerkenswert ist, dass die Bezüge der Politiker – namentlich die Abgeordnetendiäten – immer wieder in der Öffentlichkeit diskutiert worden sind. Herr von Arnim hat es sich ja geradezu zur Lebensaufgabe gemacht, Ungereimt4 Ein Beispiel hierfür ist die glücklose Kanzlerschaft Ludwig Erhards von 1963 bis 1966; vgl. J. Ipsen, Der Staat der Mitte. Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, 2009, S. 20.
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heiten in den Gesetzen und ungerechtfertigte Vorteile für Politiker aufzudecken.5 Bemerkenswert ist, dass die Managergehälter erst in den Fokus der Öffentlichkeit gerieten, als diese während der Bankenkrise 2008 erfuhr, in welchen Größenordnungen sich die sogenannten „Boni“ bewegten. Auch die von Vorständen der Dax-Gesellschaften bezogenen Vergütungen haben nur vorübergehend zu einem öffentlichen Diskurs geführt. Ich werde im Folgenden versuchen, für beide Berufsgruppen Grundsätze der Vergütung zu entwickeln und hierbei auch die verfassungsrechtlichen Grenzen möglicher Regulierung ausdeuten. Werfen wir zunächst einen Blick zurück in das Jahr 1975, als das Bundesverfassungsgericht sein sogenanntes „Diäten-Urteil“ verkündete.6 Das Urteil stand verfassungsprozessual auf mehr als wackeligen Füßen, war inhaltlich aber überaus folgenreich. Der saarländische Gesetzgeber hatte Bestimmungen über die Abgeordnetenentschädigungen erlassen, die das Missfallen des Bundesverfassungsgerichts erregten. Er sah eine „Diätenpyramide“ vor, nach der die Abgeordneten Entschädigungen nach den jeweiligen Funktionen – bis hin zum Schriftführer – gestaffelt waren. Die Steuerfreiheit war seinerzeit bundesgesetzlich vorgesehen. Auch gab es ein „Beamtenprivileg“, demzufolge Beamte während ihrer Parlamentsmitgliedschaft ein Ruhegehalt bezogen, zu dem die – seinerzeit steuerfreien – Diäten hinzutraten. Kurz zusammengefasst statuierte das Bundesverfassungsgericht für Abgeordnetenentschädigungen drei Grundsätze, nämlich: • die Gleichheit der Entschädigung, ausgenommen hervorgehobene Positionen (Präsidenten, Vizepräsidenten), • das Verbot der „Doppelalimentation“ und • das Verbot der steuerlichen Begünstigung von Abgeordnetenentschädigungen. Den ersten Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht selber korrigiert und als „hervorgehobene Positionen“ auch diejenigen der Fraktionsvorsitzenden anerkannt.7 Bei dem Verbot der „Doppelalimentation“ ist es bis heute geblieben. Beamte und andere Angehörige des Öffentlichen Dienstes scheiden während ihrer Parlamentsmitgliedschaft aus dem Öffentlichen Dienst unter Wegfall der Bezüge aus. Auf das dritte Monitum hat der Bundesgesetzgeber reagiert; Abgeordnetenentschädigungen sind heute steuerpflichtig wie alle anderen Bezüge aus öffentlichen Kassen auch. Für den Bundesgesetzgeber – und für die Landesgesetzgeber – stellte sich im Folgenden stets die Frage, wie hoch die Abgeordnetenentschädigungen zu bemessen seien. Sie werden sich erinnern, dass die Diätenerhöhung stets kritische Reaktionen in der Öffentlichkeit hervorrief, was – nota bene – bei Tariferhöhungen im Öffentlichen Dienst und damit auch Erhöhungen der Beamtengehälter regelmäßig nicht der Fall war. Inzwischen haben wir im Abgeordnetengesetz eine Regelung, nach der sich 5 Von den zahlreichen Publikationen sei nur die Schrift mit dem bezeichnenden Titel „Der Staat als Beute“ (1993) erwähnt. 6 BVerfGE 40, 296. 7 Vgl. BVerfGE 102, 224 (242 ff.).
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die Entschädigung an der Besoldungsgruppe R6 (Richter bei einem Obersten Gerichtshof des Bundes) bzw. eines kommunalen Wahlbeamten (Besoldungsgruppe B6) orientiert.8 Seit dem 1. Januar 2013 erhalten Bundestagsabgeordnete eine monatliche Entschädigung von 8.252,00 E. Der Präsident erhält eine Amtszulage in gleicher Höhe, die Vizepräsidenten eine Amtszulage in Höhe von 50 %.9 Die Entschädigung ist wie ein normales Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit steuerpflichtig, sodass insoweit die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt worden sind. Als Fehlschlag entpuppte sich allerdings das Verbot der Diätenstaffelung. Es ist auf dem Umweg über „Funktionszulagen“ durch die Fraktionen wieder eingeführt worden. Die Bundestagsfraktionen erhalten aus dem Bundeshaushalt Zuweisungen für ihre parlamentarische Arbeit, die im Haushalt lediglich als Bruttobeträge ausgewiesen sind.10 Mit ihnen werden die Fraktionsangestellten besoldet, aber auch Funktionszulagen finanziert. Wer welche Funktionszulagen wofür erhält, ist bislang – trotz einiger Bemühungen von wissenschaftlicher Seite11 – nicht bekannt. Anzunehmen ist, dass auch die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, die Arbeitskreisvorsitzenden und die Ausschussvorsitzenden Funktionszulagen erhalten. Ich will an dieser Stelle sogleich bemerken, dass ich die Funktionszulagen nicht für verfassungswidrig halte12 und dies im Folgenden begründen. Das Bundesverfassungsgericht hat 1975 bei seinem forschen Urteil nicht bedacht, dass Parlamentsabgeordnete in unterschiedlichem Maße durch Funktionen belastet sind und ihnen deshalb unterschiedlich viel Zeit bleibt, Nebeneinkünfte zu erzielen. Die aus Art. 38 GG seinerzeit abgeleitete Gleichheit des Mandats war ohnehin nicht überzeugend, weil sich die Gleichheit in dieser Bestimmung nur auf die Wahlen bezieht. Schon die Korrektur der eigenen Rechtsprechung durch Anerkennung des Fraktionsvorsitzes als hervorgehobene Position ließ deutlich werden, dass das Bundesverfassungsgericht die parlamentarische Realität nur unvollkommen erfasst hatte. Insofern war es folgerichtig, dass die Politik einen Ausweg in Gestalt der Funktionszulagen suchte. Dieser hat allerdings den Nachteil, dass die Art der Funktionen und die Höhe der Fraktionszulagen nicht bekannt sind und damit genau das Gegenteil dessen erreicht wurde, was der Zweite Senat seinerzeit erreichen wollte: nämlich eine möglichst große Transparenz für die Abgeordnetenentschädigungen. Funktionszulagen haben überdies einen Nachteil, den ich freilich nicht als verfassungsrechtlich rele8
§ 11 Abs. 1 Satz 1 AbgG. § 11 Abs. 2 AbgG. 10 Vgl. J. Ipsen, Der Staat der Mitte (Fn. 4), S. 33 f. 11 S. Hölscheidt, Funktionszulagen für Abgeordnete, DVBl. 2000, S. 1734 ff.; vgl. etwa S. Schmahl, Funktionszulagen – Ein Verstoß gegen Mandatsfreiheit und Gleichheit der Abgeordneten?, in: AöR 130 (2005), S. 143 ff. 12 Vgl. hierzu das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landesverfassungsgerichts vom 30. 09. 2013 – LVerfG 13/2, in dem Funktionszulagen an die parlamentarischen Geschäftsführer der Landtagsfraktionen für mit der Schleswig-Holsteinischen Verfassung vereinbart erklärt werden. 9
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vant, aber verfassungspolitisch bedenklich einschätze, dass nämlich der Fraktionsvorstand – vor allem der Vorsitzende – noch einflussreicher wird, als er ohnehin ist; denn er verteilt die Funktionen und damit die Funktionszulagen. Sie mögen sich selbst ein Urteil darüber bilden, ob die Höhe der Abgeordnetenentschädigungen im Sinne des Art. 48 Abs. 3 GG „angemessen“ ist und die Unabhängigkeit der Abgeordneten zu sichern vermag. Allerdings sei auf einen Zusammenhang hingewiesen, der bei der allfälligen Empörung über die Anhebung der Abgeordnetenentschädigungen häufig übersehen wird. Wie erwähnt, strömt vor allem der Öffentliche Dienst – insbesondere Beamte und Angestellte13 – in die Parlamente. Es liegt auf der Hand, dass Mandate in Bundestag und Landtagen gerade für Angehörige jener Gehalts- und Vergütungsgruppen attraktiv sind, die darunter bleiben. Auch dies ist eine Konsequenz der „Politik als Beruf“: die Entschädigungen müssen jedenfalls so bemessen sein, dass sie auch gut oder sehr gut ausgebildeten Berufsangehörigen attraktiv erscheinen. Sie werden sich erinnern, dass der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück mit seiner Äußerung, im Verhältnis zu Sparkassendirektoren sei der Bundeskanzler unterbezahlt, einiges Aufsehen erregt und die Äußerung der Amtsinhaberin provoziert hat, ihr Einkommen sei „auskömmlich“. Das mag zutreffen, wobei die politischen Führungskräfte angesichts ihrer Terminbelastung wenig Gelegenheit haben, das von ihnen verdiente Geld auch auszugeben. Steinbrück hat indes einen wichtigen Punkt angesprochen, der in der öffentlichen Diskussion bisher zu wenig berücksichtigt worden ist. Gewissermaßen im Windschatten der öffentlichen Erregung über steigende Abgeordnetendiäten hat sich in öffentlichen Wirtschaftsunternehmen – in erster Linie in Sparkassen und Landesbanken, aber auch in den Rundfunkanstalten – ein Besoldungsgefüge ergeben, das dringend der Überprüfung bedarf. Die Orientierung an Unternehmen der privaten Wirtschaft scheint mir unangemessen zu sein, weil das „Arbeitsplatzrisiko“ verhältnismäßig gering ist und die entsprechenden Führungskräfte an den Segnungen des Öffentlichen Dienstes teilhaben. Vergleicht man die Bezüge von Sparkassendirektoren mit denen des Bundespräsidenten – gegenwärtig 217.000 Euro –, so gelangt man leicht auf den doppelten oder gar mehrfachen Betrag. Damit ist zugleich die Brücke zu den Führungskräften der Wirtschaft und zu den „Managergehältern“ geschlagen. Wir haben in der Vergangenheit eine geradezu explosionsartige Entwicklung der Managergehälter, die sich an den Vorständen der „Dax-Unternehmen“ leicht ablesen lässt. Seit einer Reihe von Jahren ist es – insbesondere im Bankwesen, aber nicht nur dort – verbreitet, dass die Vorstandsmitglieder und andere Führungskräfte nicht nur ein fixes Jahresgehalt erhalten, sondern ihnen sogenannte „Boni“ gewährt werden, die sich nach dem Geschäftsergebnis richten. Diese Art der Vergütung hat zu Spitzeneinkommen im zweistelligen Millionenbe13 Unter „öffentlichem Dienst“ sind nicht nur Bund, Länder und Gemeinden, sondern auch staatsnahe Organisationen, namentlich die politischen Parteien zu verstehen. Vgl. die Übersicht bei J. Ipsen, Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht, 25. Aufl. 2013, S. 77 Rdnr. 54.
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reich geführt und die „Schere“ zwischen Arbeitnehmereinkommen und Spitzeneinkommen ständig größer werden lassen. Wie ist es – so möchte man fragen – zu rechtfertigen, dass eine kleine Spitzengruppe von Managern Jahresgehälter in astronomischer Höhe bezieht? Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Nach meiner Auffassung ist dies nicht zu rechtfertigen und ich will dies kurz begründen. Wer sein Kapital anlegt – etwa in Aktien oder den berüchtigten „Derivaten“ – geht stets das Risiko ein, dass er Kapital einbüßt. Der Aussicht auf Gewinn steht immer auch die Möglichkeit des Verlustes gegenüber. Steigen Aktien im Wert, haben die Anleger Glück gehabt und ihren verdienten „Schnitt“ gemacht. Da es hierfür aber – selbst bei zeitweise hochgehandelten Papieren – keine Garantie gibt, liegt auch der Verlust stets im Bereich des Möglichen. Stellt jemand demgegenüber seine Arbeitskraft zur Verfügung – und dies ist vom Facharbeiter bis zum Vorstandsvorsitzenden der Fall –, so fehlt das Element des Risikos. Der unselbständig Tätige wird für seinen Arbeitseinsatz entgolten. Mehr als den Einsatz seiner Arbeitskraft – und mögen dies auch 80, 90 oder 100 Stunden in der Woche sein – vermag niemand zu leisten. Naturgemäß ist die Verantwortung eines Vorstandsmitglieds umfassender als die eines Abteilungsleiters, dessen Verantwortung größer als die eines Gruppenleiters usw. Die Gehälter sind deshalb in der privaten Wirtschaft entsprechend verschieden hoch. Was aber nicht einzuleuchten vermag, ist die Beteiligung an den Erträgen des Unternehmens, ohne dass dem ein Kapitaleinsatz gegenübersteht. Wohlgemerkt spreche ich nicht davon, dass alle Betriebsangehörigen an einem besonders guten Betriebsergebnis beteiligt werden und insofern einen „Bonus“ erhalten. Die Rede ist allein davon, dass Managergehälter sich prinzipiell aus einem Grundgehalt und Anteilen am Betriebsergebnis zusammensetzen. Sie alle wissen, dass die Bundesregierung einen vorsichtigen Schritt in die Richtung einer Begrenzung von Managergehältern gemacht hat, indem diese bei Aktiengesellschaften nicht mehr vom Aufsichtsrat, sondern von der Hauptversammlung festgelegt werden sollten. Man erhoffte sich hiervon mehr „Transparenz“, offenbar auch eine gewisse Begrenzung, weil die Aktionäre ein natürliches Interesse daran haben, die Kosten zu senken und den Gewinn zu steigern.14 Man mag sich fragen, warum der Staat hier überhaupt eingreifen soll, handelt es sich doch um Verträge unter Privaten in Ausübung ihrer Privatautonomie. Dies scheint mir allerdings ein vordergründiges Argument zu sein, weil mit den Managergehältern nicht nur eine grundsätzliche Gerechtigkeitsfrage aufgeworfen wird, sondern der Staat an ihnen auch beteiligt ist. Ich spreche hier nicht von der Besteuerung 14 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2012) – BT-Drucks. 17/8989. Nach Annahme des Entwurfs durch den Deutschen Bundestag am 27. Juni 2013 hat der Bundesrat auf seiner Sitzung vom 20. 09. 2013 beschlossen, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Der Gesetzesbeschluss des Bundestages verfiel deshalb der Diskontinuität (§ 125 GO BT) und muss in der 18. Legislaturperiode gegebenenfalls erneut eingebracht werden.
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der Gehälter, für die aus bestimmter politischer Richtung ja inzwischen ein Spitzensatz von 75 % gefordert wird. Ich ziele vielmehr auf die steuerrechtliche Einordnung der Gehälter als Betriebsausgaben ab, die den zu versteuernden Gewinn eines Unternehmens mindern. Eine nicht begrenzte Höhe von Managergehältern bedeutet zwangsläufig, dass diese Beträge im Unternehmen nicht besteuert werden. Insofern hätte es der Steuergesetzgeber in der Hand zu bestimmen, dass Vorstandsbezüge nur bis zu einem bestimmten Betrag als Betriebsausgaben geltend gemacht werden können. Es wäre damit Unternehmen freigestellt, ihre Vorstandsmitglieder auch höher zu dotieren, sodass insoweit die Privatautonomie nicht eingeschränkt wäre. Der Staat würde indes in Gestalt der Steuergesetzgebung bekunden, dass ein bestimmter Betrag – ich denke an 500.000 Euro – jedenfalls nicht mit seiner Billigung überschritten werden sollte. Ein Vorbild könnte § 10 Nr. 4 KStG sein, nach dem die Hälfte der Vergütungen jeder Art, die an Mitglieder des Aufsichtsrats, Verwaltungsrats, Grubenvorstands oder andere mit der Überwachung der Geschäftsführung beauftragten Person gewährt werden, nicht abziehbar sind. Zwar ist in dieser Vorschrift keine absolute Höhe genannt; der Steuergesetzgeber hätte es jedoch in der Hand, in das Körperschaftssteuergesetz und das Einkommensteuergesetz entsprechende Höchstbeträge einzufügen. Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ich vermag bei den Abgeordnetenentschädigungen und den Amtsbezügen von Ministern und Bundeskanzler – Entsprechendes gilt für die Länder – keine Übertreibungen zu entdecken. Insofern scheint es mir fragwürdig zu sein, wenn bei Erhöhungen, die sich jeder unselbständig Beschäftigte wünscht, eine Welle der Empörung losgetreten wird. Ein nicht zu übersehendes und nicht zu unterschätzendes Gerechtigkeitsproblem bilden indes die Managergehälter. Hier besteht Handlungsbedarf. Mir scheint das Steuerrecht das geeignete Instrument zu sein, um den Auswüchsen, die sich in den letzten Jahren gezeigt haben, zu begegnen.
Nebeneinnahmen von Politikern und Korruption Christian Humborg Die Situation der Korruption in Deutschland ist international vergleichend betrachtet nicht dramatisch, aber klar defizitär. Laut des von Transparency International herausgegebenen Korruptionswahrnehmungsindex 2013, der die wahrgenommene Korruption bei Politikern und Beamten misst, liegt Deutschland auf Platz 12 von 178 Ländern1. Dies bedeutet, dass Deutschland das Land ist, das international als am 12. wenigsten korrupt wahrgenommen wird. Dies ist zunächst eine gute Nachricht, aber bei Betrachtung der Länder, die vor Deutschland in der Rangliste liegen, ist das Bild nicht mehr ganz so positiv: Alle fünf nordeuropäischen Länder Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden liegen vor Deutschland. Von den Nachbarn liegen weiterhin die Niederlande, Luxemburg und die Schweiz vor Deutschland. Warum schneidet Deutschland schlechter ab als die genannten Länder? Dabei ist zu beachten, dass der Index die wahrgenommene Korruption bei Politikern und Beamten misst. Es könnte methodisch daher allein an den Beamten in Deutschland liegen. Dies ist aber unwahrscheinlich. Mit den Straftatbeständen der Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung gibt es sehr robuste Regelungen, die sogar über die internationalen Standards hinausgehen. Es muss also mindestens auch an den Politikern liegen. Da regierungsangehörige Politiker als Amsträger zu betrachten sind, wird im Folgenden allein auf die Abgeordneten fokussiert. Bei den Abgeordneten gibt es seit über hundert Jahren ein großes Defizit beim Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung2. Zwar wurde dieser Straftatbestand im Jahr 1994 endlich eingeführt3, aber er umfasst lediglich den direkten Stimmenkauf und -verkauf. Dieses Defizit ist ursächlich für die immer noch ausstehende Ratifizierung der UN Konvention gegen Korruption, die am 9. Dezember 2013 ihren 10. Geburtstag feierte und Ende 2013 von 169 Staaten weltweit ratifiziert wurde4, von Deutschland nicht. Immerhin hat die Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag vom Dezember 2013 beschlossen, die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung neu zu regeln, wesentlicher Hinderungsgrund für die Ratifizierung.
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http://www.transparency.de/Tabellarisches-Ranking.2400.0.html (31. 12. 2013). Möhrenschläger, Manfred Ernst 2004: Die Struktur des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung auf dem Prüfstand – Historisches und Künftiges, in: Bernd Heinrich et al. (Hg.), Festschrift für Ulrich Weber, Bielefeld, S. 217 – 233. 3 § 108e StGB. 4 http://www.unodc.org/unodc/en/treaties/CAC/signatories.html (31. 12. 2013). 2
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Zunächst sind die Begriffe „Abgeordneter“, „Nebentätigkeit“ und „Korruption“ zu definieren. Abgeordnete sind im Gegensatz zu den Beamten Mandatsträger. In Deutschland gibt es auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene Abgeordnete. Es handelt sich wohl um Zehntausende von Personen. Bei der Betrachtung von Nebentätigkeiten geht es nur um einen Bruchteil der Abgeordneten, denn für die meisten Abgeordneten ist das Mandat ihre Nebentätigkeit. Nur bei den Bundestagsabgeordneten und den Abgeordneten von 13 Landesparlamenten ist die Mandatstätigkeit die Hauptbeschäftigung bzw. sollte diese sein. Das Berliner Abgeordnetenhaus, die Bremische und die Hamburgische Bürgerschaft sind Teilzeitparlamente. Der Landtag von Baden-Württemberg war noch bis zum Jahr 2011 ein Teilzeitparlament. Damit gibt es in Deutschland 14 Vollzeitparlamente. Bei Nichtberücksichtigung der deutschen Abgeordneten im Europaparlament handelte es sich im Oktober 2013 um einen Personenkreis von 2.146 Personen, die ihre Abgeordnetentätigkeit Vollzeit ausüben bzw. ausüben sollten. Nur bei ihnen stellt sich die Frage von Korruption bei Nebeneinnahmen. Dies heißt nicht, dass es nicht auch bei den Teilzeitoder ehrenamtlichen Parlamenten zu Korruption und Interessenkonflikten aufgrund beruflicher Tätigkeiten kommen kann. Wie ist Korruption zu definieren? Korruption steht nicht im Strafgesetzbuch, sondern ist ein allgemein gebrauchter Oberbegriff für Sachverhalte wie Vorteilsannahme, Vorteilsgewährung, Bestechlichkeit, Bestechung, in manchen Fällen Untreue, oder auch massive Interessenkonflikte. Transparency definiert Korruption als den Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Vorteil. Übersetzt auf Vollzeitparlamentarier heißt dies, dass ihnen von den Wählern Macht anvertraut wird, die sie dazu nutzen könnten, private Vorteile für sich daraus zu erlangen. Die erste These lautet: „Nebentätigkeiten von Vollzeitparlamentariern sind ein großes Einfallstor für Korruption“. Wie ist es überhaupt zu Nebentätigkeiten gekommen? Im 19. Jahrhundert waren die Parlamente Honoratiorenparlamente. Dies bedeutete, dass keine Diäten an Abgeordnete gezahlt wurden. Es war somit auch eine finanzielle Frage, wer es sich überhaupt erlauben konnte, sich zur Wahl zu stellen. Im letzten Jahrhundert wurden im Grundgesetz die Unabhängigkeit sichernden Diäten festgeschrieben. Mit den Diäten drehte sich das Problem um. Jetzt waren es die zumeist höheren Schichten angehörigen Abgeordnete wie Unternehmer und Rechtsanwälte, die für sich reklamierten, aufgrund der den Lebensunterhalt sichernden Diäten nicht gezwungen zu werden, ihre Berufstätigkeiten aufzugeben. Als Ideal bestand die Fiktion eines sich zur Wahl stellenden Bürgers fort, der nach Ende der Abgeordnetentätigkeit nahtlos in seinen Beruf zurückkehrt. Die Realität sieht heute vielfach anders aus, mit dem Typus des Berufspolitikers, der kurz nach Abschluss des Studiums oder der Ausbildung oder ohne Abschluss seinen Weg in die den Lebensunterhalt sichernde Tätigkeit des Berufspolitikers findet. Andrea Nahles und Kristina Schröder sind typische Beispiele hierfür. Es gibt aber eine neue Sonderform des Berufspolitikers, der als Beraterpolitiker bezeichnet werden kann. Der Beraterpolitiker ist ein Abgeordneter, der
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nach Ende seines Mandats nicht in seinen angestammten Beruf zurückkehrt, sondern sich anderweitig verdingt, als Berater, als Lobbyist, als politikberatender Rechtsanwalt oder in der Kommunikationsbranche. Verständnis verdient ein Studienrat, der im Alter von 38 Jahren erstmalig in den Bundestag gewählt wird und dann dort 24 Jahre bleibt und dann nicht die letzten zwei Berufsjahre an seine Schule zurückkehren möchte, bis er mit 65 Jahren pensioniert wird. Ob das den Schülern zugute käme, wäre auch noch eine Frage. Tatsächlich entsteht aber zunehmend der Eindruck, dass sich bei manchem Abgeordneten schon nach zwei Legislaturperioden ein Selbstverständnis im Hinblick auf Einkommen und Prestige entwickelt hat, das eine Rückkehr als fast unmöglich erscheinen lässt. Manche dieser Abgeordneten werden Beraterpolitiker und versuchen, sich im und um den Politikbetrieb herum zu halten, wenn sie aus dem Bundestag ausscheiden. Die gewachsene Transparenz der Einnahmen von Abgeordneten durch Nebentätigkeiten ist die Folge eines Skandals aus dem Jahr 2004 um die sogenannten arbeitslosen Einkommen. Verschiedene Abgeordnete, darunter Herrman-Josef Arentz und Laurenz Meyer, hatten weiterhin Einkommen vom RWE Konzern bezogen, obwohl sie außerhalb der Politik keinerlei Arbeitsleistung für den Konzern erbrachten. Im Folgejahr 2005 wurde die sogenannte Dreistufenregelung verabschiedet, in dem das Abgeordnetengesetz und die Verhaltensregeln geändert wurden. Gegen diese Änderungen klagten verschiedene Abgeordnete vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Jahr 2007 lehnte das Bundesverfassungsgericht die Klage der Abgeordneten ab und kurz darauf erschienen erstmalig Informationen zu Einnahmen aus Nebentätigkeiten auf der Website des Deutschen Bundestages. Die zweite These lautet: Eine Veröffentlichung der Einnahmen aus Nebentätigkeiten auf Heller und Pfennig ist notwendig. Mit der 18. Legislaturperiode wurden die Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages und die Ausführungsbestimmungen dazu geändert. Seitdem sind die Einnahmen in zehn Stufen zu veröffentlichen. Die erste Stufe reicht von 1.000 bis 3.500 Euro. Die zehnte Stufe umfasst Einkünfte über 250.000 Euro5. Einnahmen aus Nebentätigkeiten werden veröffentlicht, wenn sie 1.000 Euro im Monat oder 10.000 Euro im Jahr überschreiten6. Wenn ein Abgeordneter einen 450 Euro Job ausübt, wird das nicht veröffentlicht. Kurz vor Ende der 17. Legislaturperiode, im August 2013, veröffentlichte die Otto-Brenner-Stiftung, die Wissenschaftsstiftung der IG Metall, die Studie „Die sechste Fraktion – Nebenverdiener im Deutschen Bundestag“7. Die Zahlen in der Analyse beziehen sich auf die Abgeordneten der 17. Legislaturperiode, also des Zeitraums 2009 bis 2013. 5
§ 3, S. 3, AbgG. § 1, Abs. 2, Nr. 1, S. 3, AbgG. 7 Hönigsberger, Herbert 2013: Die sechste Fraktion – Nebenverdiener im Deutschen Bundestag, OBS-Arbeitspapier Nr. 11, Frankfurt am Main. 6
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Danach erzielten 190 der 652 Abgeordnete, also knapp 30 % der Abgeordneten, Nebeneinkünfte oberhalb der Bagatellgrenze. Sie erzielten geschätzte Einnahmen in Höhe von 32 Mio. Euro. Die Einkünfte wurden zu ca. 70 % von Abgeordneten der damaligen Regierungskoalition erzielt und zu ca. 30 % von Abgeordneten der damaligen Oppositionsfraktionen. Eine Gruppe dieser Nebeneinkünfteerzieler waren die Rechtsanwälte, die am meisten überrepräsentierte Gruppe im Deutschen Bundestag. 33 Anwälte erzielten allein rd. 4 Mio. Euro an Einnahmen. 32 Abgeordnete erzielten durch das Verlangen von Honorar für das Halten von Vorträgen Einnahmen. Hier gingen 30 % an Abgeordnete der Regierungskoalition und 70 % an Abgeordnete der Opposition, darunter neben Peer Steinbrück zum Beispiel auch Gregor Gysi. Die dritte These lautet: „Honorare für das Halten von Vorträgen durch Abgeordnete sind zu untersagen.“ Von den zahlreichen Vortragshonoraren von Peer Steinbrücks wurden zwei als besonders fragwürdig herausgehoben: Erstens die Honorierung des Vortrags bei der Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, die während Steinbrücks Amtszeit als Finanzminister mit Aufträgen bedacht worden war8. Zweitens der Vortrag bei den Stadtwerken Bochum, einem öffentlichen Unternehmen im Teileigentum der Stadt Bochum9. Immerhin wurden die Ausführungsbestimmungen zu den Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages mit Beginn der 18. Legislaturperiode geändert, so dass seitdem immer der Name des Veranstalters veröffentlicht werden muss10, auch wenn die Einnahmen über eine PR-Agentur abgewickelt werden. Doch es sind keine skandalösen Einzelfälle notwendig um festzustellen, dass überhaupt Honorare für Vorträge zu verlangen unangemessen ist. Sicherlich haben Abgeordnete keine Tätigkeitsbeschreibung, wie sie aus Unternehmen bekannt ist, aber Vorträge zu halten, gehört zu den Kernaufgaben eines Parlamentariers. Wie soll vernünftig Korruption bekämpft werden, wenn ein Unternehmen einem Abgeordneten für ein launiges Grußwort ein paar Tausend Euro zahlen kann? Meist werden nur prominente Fälle bekannt und auch die sind schnell vergessen. Die Tatsache, dass Guido Westerwelle zwischen 2005 und 2009 mindestens 200.000 Euro mit Vorträgen verdiente11 und Walter Riester mindestens 300.000 Euro in der selben Legislaturperiode verdiente, spielte einige Jahre später schon keine Rolle mehr. Westerwelle wurde Außenminister.
8 http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/bundesfinanzministerium-zahlte-anwaltskanzlei1 – 8-millionen-honorar-a-874889.html (01. 09. 2013). 9 www.faz.net/aktuell/politik/inland/streit-ueber-nebeneinkuenfte-stadtwerke-bochum-ge ben-steinbrueck-recht-11950184.html (01. 09. 2013). 10 § 3, Abs. 1, S. 2, Ausführungsbestimmungen zu den Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages. 11 Thomas Denkler und Oliver Das Gupta: Westerwelle oder – Die Hand die nimmt, Süddeutsche Online, 25. 02. 2010.
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Ein jüngerer Fall eines nicht prominenten Abgeordneten betrifft Rolf Koschorrek12. Der Zahnarzt aus dem Sauerland war von 2005 bis 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. Mit 54 Auftritten, meist bei der Pharmaindustrie, verdiente der Gesundheitspolitiker mehr als 64.000 Euro, berechnet nach dem jeweils unteren Schwellenwert der damals geltenden drei Stufen. Anfang 2013 begrüßte er beim Parlamentarischen Abend mit dem kalifornischen Hersteller Genomic Health die Gäste zu einem Dinner-Menü. Das Unternehmen zahlte ihm dafür mehr als 1.000 Euro. In der Kommentarfunktion zum Spiegel-Artikel, in dem dies berichtet wurde, schrieb ein Leser: „In Entwicklungsländern nennen wir dies Korruption“. Mitunter wird argumentiert, das Parlament müsse ein Spiegelbild der Gesellschaft sein. Entscheidend ist aber, dass alle Bürger das Recht haben zu wählen und vor allem, sich zur Wahl zu stellen. Allerdings wird die Frage nach den richtigen Auswahlprozessen dann relevant, wenn Frauen, bestimmte Berufsgruppen oder bestimmte Schichten nicht hinreichend im Parlament vertreten sind. Typischerweise wird auf die Lehrer verwiesen, die überproportional im Bundestag vertreten seien. Tatsächlich ist die Anzahl der Lehrer seit vielen Jahren rückläufig und im 17. Deutschen Bundestag fanden sich nur noch 41 Lehrer13. Hingegen sind Selbständige mit 184 Abgeordneten deutlich überrepräsentiert gewesen. Diese Zahl ist deshalb so wichtig, weil die Zulässigkeit von Nebeneinkünften oftmals mit der Schwierigkeit begründet wird, Selbständige für die Tätigkeit des Abgeordneten begeistern zu können. Immerhin 100 Abgeordnete waren in der 17. Legislaturperiode in rechts-, wirtschafts- und steuerberatenden Berufen selbständig tätig, davon 90 Rechtsanwälte14. Rechtsanwälte machten 0,3 % der Wahlberechtigten aus, aber stellten rd. 14 % der Abgeordneten des Deutschen Bundestages im genannten Zeitraum. Genauso fragwürdig wie die Honorierung von Vorträgen ist der Umgang des Bundestagspräsidenten mit den Rechtsanwälten. Diese haben im Wesentlichen zwei Vorgehensweisen zur Verhinderung über Transparenz ihrer Nebeneinkünfte. Die erste Vorgehensweise verfolgen Anwälte, die sich mit mindestens drei weiteren Kollegen zusammengeschlossen haben oder einer sogenannten Großkanzlei angehören. Sie berufen sich auf die Ausführungsbestimmungen des Bundestagspräsidenten, wonach die Beteiligung an Kapital- und Personengesellschaften nur anzeigepflichtig ist, wenn dem Mitglied des Deutschen Bundestages mehr als 25 % der Stimmrechte zustehen. Tatsächlich werden aber die Gewinne der Kanzleien auch in Abhängigkeit der Leistung verteilt. Glücklicherweise hat sich das Bundesverfassungsgericht in Sachen „Anwälte“ eindeutig geäußert. Für das Gericht zählt allein, ob der Gesellschaftsgewinn durch den Abgeordneten miterwirtschaftet wurde. In diesem Fall sind die Nebeneinkünfte offen zu legen. Dabei „macht es keinen Unterschied, ob 12 http://www.spiegel.de/spiegel/bundestagsabgeordneter-begehrter-geschaeftspartner-vonpharmakonzernen-a-912719.html 13 http://www.bundestag.de/bundestag/abgeordnete17/mdb_zahlen/Berufe.html (01. 09. 2013). 14 Hönigsberger, Herbert 2013: Die sechste Fraktion – Nebenverdiener im Deutschen Bundestag, OBS-Arbeitspapier Nr. 11, Frankfurt am Main, S. 17.
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der Abgeordnete für seine Tätigkeit unmittelbar honoriert wird oder von seiner Tätigkeit (mittelbar) als Gesellschafter profitiert“15. Ein zweiter Kritikpunkt bei Anwälten ist, dass sie sich auf die Verschwiegenheitspflicht des Anwaltes berufen. Dies ist auch in den Verhaltensregeln so vorgesehen. Allerdings ist mehr als fraglich, ob sich die Verschwiegenheitspflicht nach §43a der Bundesrechtsanwaltsordnung auch auf reine Lobbymandate erstreckt. So wichtig die Verschwiegenheitspflicht eines Anwaltes in einem Gerichtsverfahren ist, so überflüssig ist diese bei einer sogenannten Beratung von Unternehmen und Verbänden, wie Politik beeinflusst werden kann. Nach den Verhaltensregeln hat der Bundestagspräsident die Möglichkeit, in den Ausführungsbestimmungen vorzusehen, dass in Fällen der Verschwiegenheit eine Branchenbezeichnung anzugeben ist. Von diesem Recht hat er nicht Gebrauch gemacht. Weiterhin können auch Unternehmens- und Kommunikationsberater Verschwiegenheitspflichten geltend machen, da die Ausnahmen nicht auf gesetzliche Verschwiegenheitspflichten beschränkt sind16. Damit ist der Intransparenz Tür und Tor geöffnet. Die vierte These lautet: Der Bundestagspräsident nutzt die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht aus, um für Transparenz bei den Nebeneinkünften zu sorgen. Auch die Landesparlamente sind von Diskussionen um Nebentätigkeiten nicht verschont. So hatte die damalige brandenburgische SPD-Vize-Chefin und umweltpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, Martina Gregor-Ness, in der Debatte zur sogenannten Verockerung der Spree vor Panikmache gewarnt – und an die Medien appelliert, „nicht so viele dramatische Bilder zu produzieren“17. Das sorgte im brandenburgischen Landtag quer durch die Reihen für Kopfschütteln. Pikant war, dass Gregor-Ness im Aufsichtsrat der Vattenfall Europe Mining AG saß. Transparency empfahl, sie möge das Aufsichtsratsmandat niederlegen, weil der Interessenkonflikt einfach zu handfest sei. Die fünfte These lautet: Es besteht massiver Reformbedarf in den Länderparlamenten hinsichtlich der Veröffentlichung der Einnahmen aus Nebentätigkeiten. Die Regelungen zur Veröffentlichung der Nebeneinkünfte auf Länderebene sind beinahe nicht vorhanden. Bis 2012 war einzig Sachsen vorgeprescht und den Regeln des Bundestages mit der Dreistufenregelung gefolgt. Im Sommer 2013 folgte mit einem fraktionsübergreifenden Beschluss Hessen, das gleich ein Zehnstufensystem einführte. Allerdings wurde die Bagatellgrenze von 1.000 Euro auf 10.000 Euro angehoben, also eine Verschlechterung gegenüber der damaligen Dreistufenregelung des Bundes am unteren Ende. In allen anderen Ländern wird, obwohl es sich ja in 11 der 14 Fälle um Vollzeitparlamente handelt, zwischen Beruf und Nebentätigkeit 15
BverfG, 2 BvE 1/06, 2/06, 3/06, 4/06 vom 4. 7. 2007. § 8 Ausführungsbestimmungen zu den Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages. 17 http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/717693/ (31. 12. 2013). 16
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unterschieden. In keinem der 14 Fälle werden Einnahmen aus dem Beruf veröffentlicht. Dies ist zum Beispiel kritisch, wenn der Landtagsabgeordnete Rechtsanwalt ist. Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein sind die einzigen Länder, die eine Veröffentlichung der Nebentätigkeiten neben dem Beruf vorsehen. Dies umfasst aber auch in diesen Fällen nicht eine finanzielle Offenlegung. Im Jahr 2013 gab es in weiteren Landesparlamenten vorsichtige Reformdiskussionen. In Thüringen entstand ein Reformvorschlag von CDU und SPD, wonach die Einführung des Zehnstufensystems geplant ist. Allerdings bezog sich dies nur auf die Nebentätigkeiten und nicht auf die Einnahmen aus dem Beruf (neben dem Mandat). Gleichzeitig sollte auch im Abgeordnetengesetz verankert werden, dass die Ausübung des Mandats im Mittelpunkt der Abgeordnetentätigkeit zu stehen hat. In Baden-Württemberg stellte der Fraktionsvorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Claus Schmiedel, Anfang Oktober 2013 Eckpunkte vor, die eine Drei-Stufen-Regelung vorsahen. Ab einer bestimmten Einkommensgrenze sollen Nebeneinkünfte in Abhängigkeit von der Höhe der Aufwandsentschädigung betragsgenau veröffentlicht werden. Transparency kritisierte die Vorschläge als unzureichend und zu kompliziert. Im Gegensatz dazu hatte der größere Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen bereits Anfang September 2013 ein Eckpunktepapier für eine Transparenzinitiative vorgelegt und gefordert, alle Nebeneinkünfte der Landtagsabgeordneten, die aus einem Landtagsmandat resultieren, mit Arbeit- und Auftraggeber und der Höhe offenzulegen. Mit ihrem Vorschlag blieb die baden-württembergische SPD hinter den Regeln des 18. Deutschen Bundestages zurück. In den Niederlanden werden auf der Website der Tweede Kamer, der Zweiten Kammer, mit einem Klick die drei öffentlichen Register, nämlichen Nebentätigkeiten, Reisen und Geschenke je Abgeordnetem veröffentlicht. In Polen müssen die Abgeordneten laut ihrem Verhaltenskodex alle Tätigkeiten und die Einnahmen daraus anzeigen, alle finanziellen Interessen, alle Spenden, die sie erhalten haben und alle Reisen, die sie nicht selbst bezahlt haben und das alles wird veröffentlicht. Die sechste These lautet: Deutschland ist im Hinblick auf die Mechanismen der Sicherung der Integrität seiner Abgeordneten europaweit deutlich zurückgefallen. Dieser Rückfall liegt nicht allein an der unzureichenden Transparenz der Einnahmen aus Nebentätigkeiten, sondern auch am unzureichenden Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung. Die ausbleibende Neuregelung von §108e StGB hat auch mit den Nebentätigkeiten zu tun. Die Rechtspolitiker der Bundestagsfraktionen sind sich nämlich unsicher, wie verhindert werden kann, dass eine fragwürdig lukrative Nebentätigkeit – wie die Gästebegrüßung von Herrn Koschorrek für 1.000 Euro – nicht als Gegenleistung einer Bestechungshandlung gesehen wird. Es wäre besser, wenn so etwas gar nicht möglich wäre. Es ist nur eine Minderheit der Abgeordneten, die sich die bestehenden Regeln zu Nutze machen, die fragwürdige Aufträge und Beschäftigungen ermöglichen. Die große Mehrheit der Abgeordneten, die keiner Nebentätigkeit nachgehen oder die
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einer Nebentätigkeit nachgehen, die über jeden Zweifel erhaben ist, muss endlich die kleine Minderheit in die Schranken weisen, im eigenen Interesse, im Interesse des Ansehens der parlamentarischen Demokratie, aber auch im Interesse einer effektiven Korruptionsbekämpfung.
Politik ohne Geld: Die Pflicht der Bürger zur Kontrolle der Politiker1 Hermann K. Heußner I. Einleitung Die demokratiepolitische und -wissenschaftliche Diskussion konzentriert sich oft auf die Systemmängel des politischen Systems. Die fehlende Volksgesetzgebung im Bund und auf Europaebene sind die wohl gewichtigsten Beispiele. Die mangelnde Bereitschaft der BürgerInnen, sich politisch zu engagieren, wird hingegen kaum thematisiert. Dass bestimmte Formen des politischen Engagements zurück gehen, wird zwar häufig festgestellt. Eine Kritik an den „erlahmenden“ BürgerInnen selbst ist damit jedoch kaum verbunden. Der folgende Beitrag will hier abhelfen. Er nimmt das „Bürgerdefizit“ mangelnder Kontrolle der politischen Klasse in den Blick. Er empfiehlt, eine Wahl- und Ehrenamtspflicht einzuführen. II. Notwendigkeit der Kontrolle 1. Principal-Agent-Problem Verbände, die viele Menschen umfassen, lassen sich nur arbeitsteilig organisieren. Dies bedeutet, Aufgaben an bestimmte Amtsträger zu delegieren. Damit stellt sich das „principal-agent“-Problem. Danach entsteht für Auftragnehmer/Sachwalter/ Amtsträger Macht.2 Da niemand nur altruistisch handelt, besteht immer die Gefahr des Machtmissbrauchs. Macht muss deshalb kontrolliert werden. Deutschland umfasst mehr als 80 Mio. Einwohner, die Europäische Union mehr als 500 Mio. Beide Gemeinwesen müssen arbeitsteilig organisiert sein. Die öffentliche Gewalt ist deshalb in der Regel von einigen wenigen Amtsträgern der verschiedenen öffentlichen Gewalten auszuüben. Dies sind die Parlamentsabgeordneten, die Spitzen der verschiedenen Exekutiven und Bürokratien und die Richter der verschiedenen Gerichte.
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Der Beitrag wurde für die Veröffentlichung teilweise ergänzt. Vgl. Charles B. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 8. Aufl., 2011, S. 545 f. Für das Privatrecht s. Andreas Nicklisch/Niels Petersen, in: Emanuel V. Towfigh/ Niels Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2010, S. 121 ff. 2
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2. Kontrollakteure a) Gewaltenteilung Die notwendige Kontrolle erfolgt in einer rechtsstaatlichen Demokratie zum einen durch Gewaltenteilung. Bestimmte Amtsträger haben die Aufgabe, andere Amtsträger zu kontrollieren. So kontrollieren z. B. die Gerichte die Exekutive und Legislative, kontrollieren die Rechnungshöfe die Verwaltung, kontrolliert die Legislative die Exekutive. b) Bürger Diese gegenseitige Kontrolle der Amtsträgern untereinander hat ihre Grenzen, wenn die von der Legislative eingesetzten Kontrolleure ihrer Aufgabe aufgrund defizitärer rechtlicher Grundlagen oder aufgrund anderer struktureller oder persönlicher Defizite nicht hinreichend nachkommen und die Legislative selbst keine Abhilfe schafft. Besonders eklatante Beispiele hierfür sind die Privilegien bayerischer Landtagsabgeordneter, die im Zuge der bayerischen Verwandtenaffäre 2013 zu Tage traten und durch keines der dazu berufenen bayerischen Staatsorgane verhindert bzw. abgestellt wurden,3 und die schleppende oder gar nicht erfolgende Umsetzung der in verschiedenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts angemahnten Änderung des Abgabensystems zugunsten sozial Schwächerer.4 Zudem sind die Kontrollen der Legislative durch die anderen Staatsgewalten notwendiger Weise auf eine Rechtskontrolle begrenzt. Es ist deshalb unumgänglich, dass die BürgerInnen die politische Kontrolle selbst in die Hand nehmen. III. Kontrollinstrumente Als Kontrollinstrumente der BürgerInnen dienen einerseits die politischen Grundrechte, insbesondere Meinungs-, Presse-, Versammlungs-, Vereins- und Parteienfreiheit, und andererseits Wahlen und Abstimmungen. Dementsprechend muss die Kontrolle der BürgerInnen an verschiedenen Stellen und auf verschiedenen Ebenen erfolgen. Diese Kontrollinstrumente sind alle erforderlich, um eine optimale Kontrolle sicher zu stellen. Sie sind nicht austauschbar. Wahlen und Parteienfreiheit sind notwendige Bedingungen für die Erzeugung des in der rechtsstaatlichen Massendemokratie unerlässlichen Parlaments. Parteien sind auch für eine kontinuierliche Kontrolle zwischen den Wahlen erforderlich. Die Grundrechte stellen freie Wahlen und Kontrollen innerhalb der Legislaturperioden sicher. Alle diese notwendigen Kontrollin3 Näher Hans Herbert v. Arnim, Die Selbstbediener, 2. Aufl., Juni 2013; Hermann K. Heußner, Die bayerische Verwandtenaffäre – Ein demokratisches Lehrstück, RuP 2013, S. 145 ff. 4 Näher Jürgen Borchert, Sozialstaatsdämmerung, 2013, S. 9 f., 30 f., 114 ff., 139 mit Verweis auf das Trümmerfrauenurteil von 1992, BVerfGE 87, 1, 38 f. und das Beitragskinderurteil von 2001, BVerfGE 103, 242, 263 ff. Zu weiteren Folgen mangelnder Kontrolle s.u. V.
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strumente sind allerdings nicht hinreichend.5 Für eine effektive Kontrolle fehlt auf Bundesebene die Volksgesetzgebung.6 Dieser Beitrag nimmt im Folgenden vor allem die Wahlen der verschiedenen politischen Ebenen, die Kandidatenaufstellung in den Parteien und die Kontrolle der Amtsträger zwischen den Wahlen durch die Parteien in den Blick. IV. Mangelnde Kontrolle Die BürgerInnen nehmen die notwendigen Kontrollen im Rahmen von Wahlen und innerhalb der Parteien nur mangelhaft wahr. 1. Rückgang der Wahlbeteiligung a) Allgemeine Wahlbeteiligung Paradigmatisch für die mangelnde Bürgerkontrolle ist der stetige Rückgang der Beteiligung an den Wahlen der vier politischen Ebenen.7 Während an den Bundestagswahlen 1983 lediglich 11,7 % der Wahlberechtigten nicht teilnahmen,8 waren es 2009 29,2 %9 und 2013 28,5 %.10 Bei den Landtagswahlen stieg der Nichtwähleranteil von durchschnittlich 22,7 % bei den Landtagswahlen zwischen 1976 und 1980 auf 43,3 % bei den Landtagswahlen zwischen 2005 und 2009.11 Auf der kommunalen Ebene ist es noch gravierender. So stieg z. B. in Hessen der Nichtwähleranteil von 25,2 % bei den Kommunalwahlen 1981 auf 54,9 % bei den Kommunalwahlen 2011.12 Bei den Europawahlen stieg die Wahlenthaltung von 34,3 % 1979 auf 5 Außerdem sind sie z. T. mangelhaft ausgestaltet. So ist es u. a. notwendig, die 5 %Sperrklausel um eine Hilfsstimme zu ergänzen. Näher Hermann K. Heußner, Die 5 %-Sperrklausel: nur mit Hilfsstimme, LKRZ 2014, 7 ff., 52 ff. 6 Siehe zum Ganzen näher Hermann K. Heußner, Wahlen allein genügen nicht. Zur Notwendigkeit und Ausgestaltung direkter Demokratie auf Bundesebene, in: Hans Herbert von Arnim, Systemmängel in Demokratie und Marktwirtschaft, 2011, S. 27 ff. 7 Zur Bundestagswahl und Europawahl s. auch Otmar Jung, „Wahlbeteiligung runter, Bürgerbeteiligung rauf!“ – Zu welcher Art von Partizipation führt mehr direkte Demokratie?, in: Siegfried Frech/Ingo Juchler (Hrsg.), Bürger auf Abwegen? Politikdistanz und politische Bildung, 2011, S. 52, 56. 8 Manfred Güllner, Nichtwähler in Deutschland, hrsgg. v. Dietmar Molthagen für die Friedrich-Ebert-Stiftung, 2013, S. 8 f. (einschließlich ungültiger Stimmen). 9 Bundeswahlleiter, Endgültiges Ergebnis der Bundestagswahl 2009, http://www.bundes wahlleiter.de/de/bundestagswahlen/BTW_BUND_09/presse/75_EndgueltigesErgebnis.html (25. 1. 2014). 10 Bundeswahlleiter, Endgültiges Ergebnis der Bundestagswahl 2013, http://www.bundeswahlleiter.de/de/bundestagswahlen/BTW_BUND_13/ergebnisse/bundesergebnisse/ (30. 12. 2013). Zum kontinuierlichen Rückgang s. auch Güllner (Fn. 8), S. 13. 11 Güllner (Fn. 8), S. 9. f., jeweils einschließlich ungültiger Stimmen. 12 Güllner (Fn. 8), S. 10, jeweils einschließlich ungültiger Stimmen.
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56,7 % 2009.13 Die Kontrollbereitschaft der BürgerInnen lässt also rapide nach. Infolgedessen kommt die Kontrollfunktion der Wahlen nur mangelhaft zur Geltung. Denn je mehr Kontrolleure unabhängig voneinander die Parteien und Kandidaten bewerten und auswählen, umso wirkungsvoller ist die Kontrolle, und umgekehrt. Die mangelnde Kontrolle ist besonders gravierend bei den Europawahlen, da diese mittlerweile wohl mindestens so wichtig sind wie die Bundestagswahlen.14 b) Soziale Schlagseite schwindender Wahlbeteiligung Die schwindende Wahlbeteiligung und damit zurückgehende Kontrolle der politischen Klasse hat eine eklatante soziale Schieflage. Denn gerade die Wahlbeteiligung der Unterschicht geht kontinuierlich zurück.15 Dies ist zuletzt anhand der Bundestagswahl vom 22. 9. 2013 prominent aufgrund der Daten von 648 repräsentativen Stimmbezirken und 1.004 kleinräumigen Stadtvierteln untersucht worden.16 Danach spreizt sich die Wahlbeteiligung in den Stimmbezirken zwischen 83,6 % und 54,1 %. Dabei gilt der Trend: je prekärer die Milieus, je höher die Arbeitslosigkeit, je geringer der Schulabschluss und je geringer die Kaufkraft, um so geringer ist die Wahlbeteiligung, und umgekehrt.17 Alarmierend ist, dass einiges dafür spricht, dass Wahlabstinenz auch ein erlerntes Verhalten ist: „Jemand, der als junger Wahlberechtigter einer Wahl ferngeblieben ist, scheint dann auch bei den folgenden Wahlen zur Wahlenthaltung zu tendieren.“18 Die sozial ungleiche Wahlbeteiligung wirkt sich auch auf das Wahlergebnis aus. So ergeben die Daten der Bundestagswahl von 2009 (1.494 Stadteile von 34 Großstädten), dass der Anteil der bürgerlichen Parteien (CDU/CSU, FDP, Bündnis 90/ Grüne) umso höher ausfällt, je höher die Wahlbeteiligung des jeweiligen Stadtteiles ist. Umgekehrt ist der Anteil der linken Parteinen (SPD, Die Linke) umso höher, je 13 Bundeszentrale für politische Bildung, Europawahl, Wahlbeteiligung 1979 – 2009, http:// www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/europawahl/60473/wahlbeteiligung-1979 – 2009 (8. 10. 2013). 14 So wird ein Großteil aller nationalen Gesetze von der EU-Gesetzgebung mitdeterminiert, vgl. Daniela Beer/Roman Huber, Wege zur Demokratisierung der Europäischen Union, in: Hermann K. Heußner/Otmar Jung, Mehr direkte Demokratie wagen, 2. Aufl. 2009, S. 181. Nach Art. 294 AEUV, der im Gesetzgebungsverfahren den Regelfall darstellt, kommt dem Europäischen Parlament im Rechtssetzungsverfahren eine zentrale Rolle zu, Thomas Oppermann/Claus D. Classen/Martin Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl., 2011, § 5, Rz. 44 f. 15 Thomas Petersen/Dominik Hierlemann/Robert B. Vehrkamp/Christopher Wratil, Gespaltene Demokratie. Politische Partizipation und Demokratiezufriedenheit vor der Bundestagswahl 2013, S. 11. 16 Armin Schäfer/Robert Vehrkamp/Jérémie Felix Gagnè, Prekäre Wahlen, Milieus und soziale Selektivität der Wahlbeteiligung bei der Bundestagsawahl 2013, http://www.wahlbetei ligung2013.de/fileadmin/Inhalte/Studien/Wahlbeteiligung-2013-Studie.pdf (30. 12. 2014). 17 Schäfer et al. (Fn. 16), S. 8 – 13 (Zusammenfassung). 18 Forsa, Wähler und Nichtwähler zu Beginn des Wahljahres 2013 in Deutschland, 14.2.3013, S. 5.
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niedriger die Wahlbeteiligung eines Stadtteiles ausfällt.19 Dieser Trend bestätigt sich, wenn man die Wahldaten der letzten knapp 40 Jahre in den Blick nimmt.20 Der asymmetrische Rückgang der Wahlbeteiligung der letzten Jahrzehnte schadet dem linken und nützt dem bürgerlichen Lager. Diese generellen Aussagen lassen sich anhand eines Beispiels aus Kassel im Rahmen der hessischen Landtagswahl am 22. 9. 2013 gut illustrieren:21 Im Stadtteil Brasselsberg mit dem höchsten Sozialstatus betrug die Wahlbeteiligung 83,0 % und der Zweitstimmenanteil des bürgerliches Lagers (ohne Grüne) machte 56,7 % aus.22 Im Ortsteil Nord (Holland) mit sehr niedrigem Sozialstatus betrug die Wahlbeteiligung lediglich 54,4 % und das bürgerliche Lager (ohne Grüne) erzielte nur 29,3 % der Stimmen.23 2. Rückgang der Parteien Die „erlahmende“ Kontrollbereitschaft schlägt sich auch in zurückgehendem parteipolitischem Engagement nieder. a) Rückgang der Parteimitgliedschaften Ins Auge sticht der seit Jahrzehnten zu beobachtende, massive Rückgang der Parteimitgliedschaften.24 Hatte die SPD 1976 noch über 1 Mio. (1.022.191) Mitglieder, sind es 2012 nur noch 477.037. Bei der CDU waren es 1983 734.555, heute sind es 476.347. Bei den übrigen Parteien gilt: CSU 1990: 186.197, 2012: 147.965; FDP 1990: 178.625, 2012: 58.675; PDS/Die Linke 1990: 280.882, 2012: 63.761. Allein die Grünen konnten sich steigern und haben 2012 59.653 Mitglieder.25 Die neuen 19
Armin Schäfer, Beeinflusst die sinkende Wahlbeteiligung das Wahlergebnis? Eine Analyse kleinräumiger Wahldaten in deutschen Großstädten, PVS 2012, S. 255 f. 20 Schäfer, Wahlbeteiligung (Fn. 19), S. 257 ff. aufgrund von Daten aus Bremen (1972 – 2009), Köln (1987 – 2009) und Duisburg (1990 – 2009). 21 Kassel wird ausgewählt, weil dies die Heimatstadt des Verf. ist. Die Daten stammen aus Hessische Allgemeine v. 23. 9. 2013, S. KS-LO3 f. – Die Landtagswahlen fanden zusammen mit den Bundestagswahlen statt. 22 CDU: 42,6 %; FDP: 8,3 %; „Sonstige“ inkl. AfD: 5,8 %. 23 CDU: 20,1 %; FDP: 1,6 %; „Sonstige“ inkl. AfD: 7,6 %. – Nimmt man diese beiden Stadtteile insgesamt in Bezug, so ergibt sich, dass bei einer einheitlichen Wahlbeteiligung von 83 % und gleichbleibenden Stimmanteilen der Parteien in den beiden Stadtteilen, der Anteil des bürgerlichen Lagers von 40,7 % auf 38,1 % gesunken wäre (Im Stadtteil Brasselsberg gab es 3.222 Stimmberechtigte, im Stadtteil Nord 6.813). Dies sind zwar nur relativ wenige Prozentpunkte. Bei knappen Wahlausgängen können diese jedoch entscheidend sein. 24 Eingehend mit Prognose bis 2040 Nicolai Dose/Anne-Kathrin Fischer, Mitgliederschwund und Überalterung der Parteien: Prognose der Mitgliederzahlen bis 2040, ZParl 2013, S. 892 ff. 25 Elmar Wiesendahl, Partizipation in Parteien: Ein Auslaufmodell?, in: Beate Hoecker, Politische Partizipation zwischen Konvention und Protest, 2006, S. 84; Oskar Niedermayer, Parteimitgliedschaften im Jahr 2013, ZParl 2013, S. 369.
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Parteien AfD und Piraten sind mit mehr als 10.00026 bzw. ca. 30.00027 Mitgliedern nicht im Entferntesten in der Lage, diesen Schwund aufzufangen. Darüber hinaus fehlt es an Mitgliedern mittleren und jüngeren Alters. Der Altersdurchschnitt ist verheerend. 2012 beträgt er bei SPD, CDU und CSU 59 Jahre, bei der Linken 60 Jahre. Bei der FDP beträgt er immerhin „nur“ 53 und den Grünen sogar 48 Jahre.28 b) Mangelhafte Parteiaktivitäten Dabei ist es wesentlich zu beachten, dass die aktiven Parteimitglieder, also solche, die tatsächlich am politischen Parteileben partizipieren, insbesondere Parteiversammlungen besuchen und sich an der Kandidatenaufstellung beteiligen, nur einen Bruchteil der Gesamtmitgliedschaft ausmachen. Wahrscheinlich bewegt er sich zwischen zehn und (max.) 20 %.29 Löbliche Ausnahmen sind direktdemokratische Beteiligungsformen wie Mitgliederbegehren und Mitgliederentscheid.30 So haben am Mitgliederentscheid der SPD nach der Bundestagswahl 2013 über die Beteiligung an der großen Koalition im Dezember 2013 77,86 Prozent der Mitglieder teilgenommen.31 Am Mitgliederentscheid der FDP über die Eurorettung 2011 haben sich immerhin 31,25 % der Mitglieder beteiligt.32 Bernd Lucke, der Vorsitzende der 2013 kometenhaft aufgestiegenen eurokritischen Partei Alternative für Deutschland (AfD), ist ein besonders prominentes Beispiel für das Profil in der Regel mangelhaft aktiver Parteimitglieder. So ist Lucke erst im Zusammenhang mit der Finanzkrise politisch „aufgewacht“. Vorher war er lange 33 Jahre CDU-Mitglied,33 ohne offenbar aktiv gewesen zu sein.34
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Merkur-online.de v. 25. 4. 2013, http://www.merkur-online.de/aktuelles/politik/alternati ve-deutschland-afd-zustrom-enorm-ueber-10000-mitglieder-zr-2873622.html (1. 1. 2014). 27 Christoph Bieber, Die Piratenpartei, in: Frank Decker/Viola Neu (Hrsg.), Handbuch der deutschen Parteien, 2. Aufl. 2013, S. 363. 28 Niedermayer (Fn. 25), S. 377. 29 Diese Werte beruhen auf persönlichen Beobachtungen des Verf. Vgl. Heußner, Wahlen (Fn. 6), S. 39. 30 Heußner, Wahlen (Fn. 6), S. 39. 31 Christine Kroke, Mitgliedervotum – das Ergebnis steht fest, 13. 12. 2013, http://www. spd.de/113590/20131211_mitgliedervotum_auszaehlung.html (7. 1. 2014). 32 FDP-Pressemitteilung v. 16. 12. 2011, http://www.fdp.de/FDP-Mitglieder-bekennensich-zu-Europa/2123c13809i1p397/ (7. 1. 2014), eigene Berechnung. Allerdings ist zu bedenken, dass ein Beteiligungsquorum von 33 % galt. Beteiligungsquoren reizen jedoch zur Abstimmungsenthaltung. 33 Moritz Schwarz, „2014 wird für uns ein Erfolg“, in: Junge Freiheit v. 24. 1. 2014, S. 3. 34 Justus Bender/Friedrich Schmidt, Einfache Lösungen, viele Fragen, in: FAZ v. 27. 9. 2013, S. 5.
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Zudem nehmen die politischen Aktivitäten der Parteien an der Basis ab. Fand z. B. in einem durchschnittlichen SPD-Ortsverein früher monatlich eine Mitgliederversammlung mit politischem Thema statt, ist dies heute häufig nicht mehr der Fall.35 3. Kandidatenaufstellung Innerhalb der Parteien findet im Wesentlichen die Kandidatenaufstellung für die Wahlen statt. Die Kandidatenrekrutierung ist eine der Hauptfunktionen der Parteien.36 In den Parteien fällt damit die Vorentscheidung über die Qualität der späteren Parlamentsmitglieder. Da die Basis schrumpft, ist davon auszugehen, dass auch die Qualität der von den Parteien aufgestellten Kandidaten zurückgeht. Tendenziell ist von einer nachlassenden Qualität der schließlich gewählten Mandatsträger selbst auszugehen. Denn je kleiner der Pool ist, aus dem sich die Kandidaten rekrutieren, um so geringer ist die Wahrscheinlichkeit, besonders geeignete Kandidaten zu finden. Denn es gilt das Argument James Madisons aus den Federalist Papers Nr. 10: Je größer die Bevölkerung, desto größer ist bei konstanter Mandatszahl die Chance, befähigte Personen zu finden und zu wählen.37 In der Umkehrung heißt dies: Je weniger Bürger sich bereit erklären, als Kandidaten zur Verfügung zu stehen, desto geringer ist die Chance, befähigte Personen zu finden. Entsprechend des abnehmenden Partieengagements sinkt die Bereitschaft, Mandate und Ämter zu übernehmen. Dies ist besonders augenfällig auf der kommunalpolitischen Ebene. Dort gibt es mittlerweile erhebliche Schwierigkeiten, genügend Kandidaten für die unterste kommunalpolitische Ebene zu finden (Ortsbeiräte, Kommunalparlamente, Bürgermeisterwahlen).38 Dementsprechend ist die Konkurrenz geringer und damit tendenziell auch die Qualität der Kandidaten und späteren Amtsträger. Tendenziell dürfte dies auch für die höheren politischen Ebenen gelten.39 Als Beispiel mag die misslungene Kandidatenaufstellung der SPD für die Bundestagswahl 2009 im Wahlkreis Kassel dienen. Dort setzte sich innerhalb der Partei zunächst der VW-Arbeiter Rainer Pfeffermann gegen zwei weitere Kandidaten durch. Pfeffermann musste jedoch wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung 35
Dies sind persönliche Beobachtungen des Verf. Martin Morlok, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 21, Rz. 20: Parteien sind „Wahlvorbereitungsorganisationen“, mit Verweis auf BVerfG und § 1 II, 17 PartG und §§ 18 ff. BWahlG. 37 Federalist No. 10, James Madison, abgedruckt in: The Federalist, hrsgg. v. Jacob E. Cook, 1961, 3. Druck 1987, S. 62 f. 38 Dieser Trend ist schon länger zu beobachten, z. B. 1998 in Brandenburg, wo wegen fehlender Kandidaten Bürgermeisterwahlen in 152 Gemeinden ausfielen, Andrea Beyerlein, Die Hälfte der Kandidaten ist parteiunabhängig, Berliner Zeitung v. 26. 9. 1998, http://www. berliner-zeitung.de/archiv/in-brandenburg-finden-auch-die-kommunalwahlen-statt-die-haelfteder-kandidaten-ist-parteiunabhaengig,10810590,9485438.html (7. 1. 2014). 39 Dose/Fischer (Fn. 24), S. 900. 36
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seine Kandidatur zurückziehen. Später wurde er freigesprochen. Das Gericht stellte jedoch in einem weiteren Verfahren zu einem zweiten Vorwurf fest, dass Pfeffermann in diesem zweiten Fall sexuelle Übergriffe begangen habe. Eine Verurteilung scheide nur aus, weil keine Gewalt angewendet worden sei.40 Bei diesem Beispiel mangelhafter innerparteilichen Auslese ist außerdem zu bedenken, dass die Kasseler SPD, die den Bundestagskandidaten aufstellt, sogar noch relativ viele Mitglieder hat.41 Als weiteres Beispiel kann die Kasseler CDU-Landtagsabgeordnete Eva KühneHörmann gelten. Sie war seit 2009 hessische Wissenschaftsministerin. In einem Ranking aufgrund einer Umfrage des Deutschen Hochschulverbands unter seinen Mitgliedern galt Kühne-Hörmann zum wiederholten Male als schlechteste Wissenschaftsministerin Deutschlands.42 In der neuen Koalition aus CDU und Grünen ist Kühne-Hörmann seit Anfang 2014 hessische Justizministerin.43 Abgesehen von zwei Jahren Dozententätigkeit bei einem privaten Bildungsträger in Stendal, hat die Juristen ihr gesamtes Berufsleben im politischen Betrieb zugebracht: als Kabinetts- und Parlamentsreferentin im Thüringer Justizministerium, als Büroleiterein beim Kasseler Oberbürgermeister, als Landtagsabgeordnete und als Ministerin.44 Das „Spitzen-Paradebeispiel“ mangelnder Kontrolle bei der innerparteilichen Kandidatenaufstellung ist freilich der ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete (seit 2002) und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der wegen des
40 Ralf Pasch, Pfeffermann wegen sexueller Nötigung vor dem Kadi, Frankfurter Rundschau v. 19. 8. 2010, http://www.fr-online.de/rhein-main/kassel-pfeffermann-wegen-sexuellernoetigung-vor-dem-kadi-,1472796,4572700.html (26. 10. 2013); Ulrike Pflüger-Scherb, Verfahren gegen Rainer Pfeffermann: Job und Gehalt versprochen?, Hessisch-Niedersächsische Allgemeine v. 22. 9. 2010, http://www.hna.de/lokales/kassel/7000-euro-monat-versprochen927944.html (8. 1. 2014). Ulrike Pflüger-Scherb, Freispruch für Rainer Pfeffermann – Richter fand klare Worte, Hessisch-Niedersächsische Allgemeine v. 11. 5. 2011, http://www.hna.de/lo kales/kassel/zweites-urteil-gegen-ex-bundestagskandidaten-pfeffermannerwartet-1239047.html (26.10.3013); SPD-Politiker Rainer Pfeffermann, Unsittlich berührt, Frankfurter Rundschau v. 11. 5. 2011, http://www.fr-online.de/rhein-main/spd-politiker-rainer-pfeffermann-unsittlich-be ruehrt,1472796,8438096.html (26. 10. 2013). 41 Die Wahlkreisdelegiertenkonferenz repräsentiert ca. 4.000 Parteimitglieder, telefon. Ausk. des SPD-Unterbezirks Kassel-Stadt v. 8. 1. 2014 an Verf. (177 Delegierte, ein Delegierter pro angefangene 25 Mitglieder bezogen auf die Ortsvereine). 42 DHV-Ministerranking: Bauer vor Wolff und Wanka, Presseerklärung v. 19. 2. 2013, http://www.hochschulverband.de/cms1/pressemitteilung+M53b8e134f3b.html (14. 10. 2013); Thomas Krüger/Georg Rudinger, Rektor und Wissenschaftsminister des Jahres 2013, in: Forschung & Lehre 2013, S. 216, 219. 43 Hessische Allgemeine v. 15. 1. 2014, S. KS-LO1. Dazu kommentierte Petra WettlauferPohl: „Dass aus Nordhessen allerdings nur Eva Kühne-Hörmann infrage kam, wirft ein bezeichnendes Licht auf das dünne Personalangebot der CDU in der Region.“, ebenda, S. HS1. 44 Hessischer Landtag (Hrsg.), Handbuch des Hessischen Landtags, 18. Wahlperiode, Bd. 1, 2009, S. 68.
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Plagiats seiner Doktorarbeit 2011 zurücktreten musste.45 Guttenberg hat lediglich das erste, nicht jedoch das zweite juristische Staatsexamen. Er ist keine Volljurist und besitzt deshalb keinen berufsqualifizierenden juristischen Abschluss.46 4. Kontrolle innerhalb der Legislaturperioden Die Kontrolle der Abgeordneten zwischen den Wahlen47 findet wegen zurückgehender Mitgliedschaften, Überalterung und zu geringer Teilnahme am Parteileben ebenfalls nur mangelhaft statt. Für eine solche innerparteiliche Kontrolle ist stärkeres Parteiengagement normaler Parteimitglieder von Nöten. Es muss mehr „einfache“ Parteimitglieder geben, die „initiativ“ sind, das politische Geschen verfolgen, diskutieren und mitentscheiden. Nur dann wächst auch das Selbstbewusstsein, professionellen Politikern in der Diskussion „die Stirn zu bieten“. Und es muss mehr Mitglieder geben, die „mit beiden Beinen im Leben stehen“ und deshalb für innerparteiliche Diskussionen einen vernünftigen „Resonanzboden“ darstellen. Anderenfalls überlässt man das Feld Scharlatanen, Querulanten und Karrieristen, die lediglich „scheinkontrollieren“.48 V. Folgen mangelnder Kontrolle Die Folgen mangelnder Kontrolle sind mannigfaltig. Viele Krisen und Missstände wären u. U. nicht aufgetreten oder stellten sich glimpflicher dar. Dazu dürften u. a. zählen: – die seit 2008 offensichtliche Finanzkrise, die bei stärkerer Regulierung so nicht hätte auftreten können; – das ungerechte, degressive deutsche Abgabensystem, in dem die Abgabenquote der Normalverdiener über 50 % beträgt,49 während z. B. die Abgabenquote der 46 reichsten Deutschen lediglich 28,7 % ausmacht;50
45 Ausführlich Roland Preuß/Tanjev Schultz, Guttenbergs Fall. Der Skandal und seine Folgen für Politk und Gesellschaft, 2011. 46 Markus Wehner/Eckart Lohse, Karl-Theodor zu Guttenberg – Die Studierstube ist seine Bühne nicht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 20. 2. 2011, http://www.faz.net/aktuell/poli tik/die-guttenberg-affaere/karl-theodor-zu-guttenberg-die-studierstube-ist-seine-buehne-nicht14431.html (8. 1. 2014). Guttenberg hat nur bedingt berufliche Erfahrung außerhalb des politischen Betriebs aufzuweisen, ebenda. – Zur generell defizitären Kandidatenaufstellung der Parteien Thomas Leif, angepasst & ausgebrannt. Die Parteien in der Nachwuchsfalle, 2009, S. 58 ff. – Zu z. T. mangelhaften Kandidaten der Piratenpartei bei der Bundestagswahl 2013 s. Anonymus alias Johannes Braun, Digital Naiv, 2013, S. 137 ff. 47 Allgemein dazu Heußner, Wahlen (Fn. 6), S. 36 ff. 48 Heußner, Verwandtenaffäre (Fn.3), S. 147. 49 Borchert (Fn. 4), S. 129 ff. 50 Borchert (Fn. 4), S. 132 f.
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– die extrem ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland, wo die 10 % Reichsten ein Drittel aller Einkommen und zwei Drittel des ges. Vermögens auf sich vereinigen;51 – die Tatsache, dass es keine Vermögenssteuer und keine tatsächlich wirksame Erbschafts- und Schenkungssteuer52 gibt; – die diversen Umweltskandale, insbesondere das Desaster des undichten Atommülllagers „Asse“; – „last but not least“ die bereits erwähnte bayerische Verwandtenaffäre. Da das spezifische Gewicht der mangelnden Bürgerkontrolle und damit der Legislative zu gering ist, bekommen u. a. die Verwaltungen und Bürokratien und insbesondere partikuläre Interessen/Lobbyisten und Medien ein zu starkes Gewicht. VI. Zeit für politisches Engagement Viele Bürger sind bereit, sich politisch zu engagieren. Ihnen fehlt jedoch die Zeit. Dies gilt insbesondere für Menschen mittleren Alters. Sie sind extrem stark eingebunden, sich beruflich zu etablieren, eine Karriere zu verfolgen, eine Familie zu gründen und die Kinder zu erziehen. Für kontinuierliches, ehrenamtliches politisches Engagement bleibt kaum Zeit übrig. Teilweise kann dies auf falscher Prioritätensetzung beruhen. Zum Teil ist dies jedoch objektiv-strukturell bedingt. Dies dürfte auch ein Grund für die Überalterung der Parteien sein. Deshalb muss eine moderne Zeitpolitik die relativ starre, jeweils ausschließliche Einteilung der Lebensabschnitte mit der Aufeinanderfolge von Ausbildung, Beruf/ Familiengründung und immer längerem Ruhestand aufbrechen. Teilweise gelingt dies bereits. Lebenslanges Lernen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf von beiden Elternteilen wird immer mehr umgesetzt. Grundsätzlich ist aber anzustreben, dass die Funktionen Ausbildung, Beruf, Familie, politisches und sonstiges ehrenamtliches Engagement und Freizeit/Ruhestand das ganze Leben im Wesentlichen parallel stattfinden. Dies bedeutet im Kern, dass die Wochenarbeitszeit verkürzt und damit Raum für weitere Aktivitäten geschaffen wird. Damit das Arbeitsvolumen insgesamt dasselbe bleibt, ist die Altersgrenze weiter hinauf zu setzen und zu flexibilisieren.
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Borchert (Fn. 4), S. 154 ff. Aufgrund der vielen Ausnahmen und Gestaltungsmöglichkeiten ist die tatsächliche Besteuerung die Ausnahme, vgl. Elke Volland, BFH: Erbschaftssteuer ist verfassungswidrig, in: Wirtschaftswoche v. 10. 10. 2012, http://www.wiwo.de/finanzen/steuern-recht/rein-rechtlichbfh-erbschaftsteuer-ist-verfassungswidrig/7239618.html (31. 1. 2014). Zur entsprechenden Vorlage des BFH an das BVerfG s. Beschluss des BFH v. 27. 9. 2012, BStBl. II 2012, 899 ff. 52
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VII. Kontrollpflicht 1. Bisherige Verfassungserwartungen Lange Zeit ging die Gesellschaft in Deutschland wohl davon aus, dass sich immer wieder genügend Bürger finden, welche die in der Demokratie notwendige ehrenamtliche Kontrollarbeit leisten. Dementsprechend haben die hier in Rede stehenden Wahl- und anderen Grundrechte bzw. grundrechtsgleichen Rechte bisher keine verfassungs- oder einfachrechtlichen Pendants der Verpflichtung gefunden. Es besteht vielmehr die Verfassungserwartung freiwilligen Engagements.53 Diese Verfassungserwartung wird jedoch – wie oben gezeigt – zunehmend enttäuscht. 2. Gesellschafts- und Bürgerversagen Die bisherige Verfassungserwartung setzte darauf, dass die Bürger sich individualökonomisch betrachtet irrational verhalten. Denn das isoliert betrachtende, individualökonomische Kalkül ergibt häufig, dass das Einzelengagement für das Gemeinwohl irrelevant ist und nur einen „Tropfen auf den heißen Stein“ darstellt. Dieses Problem drückt sich bei Wahlen besonders drastisch darin aus, dass die einzelne Stimme für den Wahlausgang mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit (so gut wie immer) irrelevant ist. Die mit dem Wahlgang und der Informationsbeschaffung für die Wahlen verbundenen Mühen des einzelnen Bürgers stehen deshalb in keinem Verhältnis zur Bedeutung seiner Stimme für den Wahlausgang. Gehen trotzdem viele Bürger zur Wahl, ist dies geradezu ein „Wahlparadox“.54 Ähnliche Überlegungen gelten für andere Formen politischen Engagements. Da Bürger antizipieren, dass dieses Kalkül andere Bürger davon abhalten wird, zur Wahl zu gehen bzw. sich politisch zu engagieren, beginnt eine Entmutigungsspirale: „Eigentlich bin ich ja bereit, mich zu engagieren. Aber es hat ja doch keinen Sinn, weil nicht genug mitmachen. Dann kann ich es auch gleich lassen.“ Dazu kommt das „Trittbrettfahrerkalkül“: Gemeinwohlengagement setzt nicht nur die Bereitschaft voraus, ohne Erfolgsgarantie aktiv zu werden. Es verlangt also eine gewisse „Opferbereitschaft“. Sie verlangt zusätzlich den Altruismus zu riskieren, dass im Falle des Engagementerfolgs die Früchte des Einsatzes nicht nur den Aktiven zufallen, sondern auch vielen, die sich nicht engagiert haben. Es gelten die Regeln der Organisationsschwäche von „Jedermann- und Zukunftsinteressen“.55 53 Vgl. etwa Josef Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., 2011, Bd. IX, § 190, Rz. 207, 221, 239. 54 Vgl. Towfigh/Petersen (Fn. 2), S. 137 f.; Blankart (Fn. 2), S. 545. 55 Vgl. Hans Herbert von Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik, Deutschland, 1984, S. 294 ff., im Zusammenhang mit der schwachen Verbandsfähigkeit allgemeiner Interessen unter Verweis auf Mancur Olson, Die Logik kollektiven Handelns, nunmehr 5. Aufl., 2004; Hermann K. Heußner, Volksgesetzgebung in den USA und in Deutschland, 1994,
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3. Demokratie als Kollektivgut – Regulierung durch Staat Es ist also rational für den einzelnen Bürger, nicht zur Wahl zu gehen und sich auch nicht auf sonstige Art politisch für das Gemeinwohl einzusetzen. Er muss keine Mühen aufwenden und genießt doch die Früchte anderer Arbeit. Dieses Phänomen des „Trittbrettfahrens“ ist nicht nur unsolidarisch. Es raubt der Demokratie die wichtigste Ressource: das Engagement der Bürger selbst. Es gilt deshalb das Wort Wolf Linders: „(D)ie Wahl- und Abstimmungsdemokratie (ist) ein Kollektivgut. Sie funktioniert nur, wenn sich viele beteiligen. Nichtwähler sind Trittbrettfahrer, die sich darauf verlassen, dass andere für sie zur Urne gehen. Ähnlich der Umweltgüter oder der Allmende braucht Demokratie Regeln über den Ausgleich von Rechten und Pflichten, oder von Leistung und Gegenleistung.“56
Das beschriebene Bürger- und Gesellschaftsversagen lässt sich beim öffentlichen Gut der politischen Kontrolle deshalb nur überwinden, indem der Staat regulierend eingreift, so wie er auch bei anderen kollektiven Gütern und Markt- bzw. Gesellschaftsversagen eingreifen muss.57 Da die Verfassungserwartung hinreichenden politischen Engagements enttäuscht wird, ist der Staat in der Pflicht, das Gemeinwohl mit seinen – wenngleich begrenzten Mitteln – sicher zu stellen.58 4. Regulierungsinstrumente Als Regulierungsinstrumente kommen Anreize und Gebote bzw. Kombinationen davon in Frage. Im Hinblick auf die Wahl- und ggf. Abstimmungsbeteiligung ist einerseits an „Diäten“ für die Wahlteilnahme zu denken, andererseits an eine Wahlpflicht (u. 5.). In der Analyse der Organisation von wirtschaftlichen Interessengruppen entsprechen Diäten der Gewährung eines privaten Gutes, um zum freiwilligen Beitritt zu einer Organisation zu bewegen, und die Wahlpflicht der gesetzlichen Zwangsmitgliedschaft in einer Organisation.59 Im Hinblick auf sonstiges politisches Engagement ist an eine Ehrenamtspflicht zu denken (u. 6.).
S. 78 m.w.N. im Zusammenhang mit Volksgesetzgebung; Bruno S. Frey/Gebhard Kirchgässner, Demokratische Wirtschaftspolitik, 3. Aufl., 2002, 193 ff. 56 Wolf Linder, Schweizerische Demokratie, 3. Aufl., 2012, S. 314. 57 Vgl. allgemein Frey/Kirchgässner (Fn. 55), S. 49 ff.; Stefan Magen, in: Towfigh/Petersen (Fn. 2), S. 96 ff. 58 Vgl. Issensee (Fn. 53), S. 228, 274. 59 Vgl. Frey/Kirchgässner (Fn. 55), S. 194 f.
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5. Wahlen und Abstimmungen a) Diäten Vorbild, Diäten für die Wahlteilnahme zu zahlen, könnte die Demokratie des antiken Athens sein. Dort wurde nach dem Jahr 403 für die Teilnahme an der Volksversammlung zunächst ein Obol, einige Jahre später (wahrscheinlich 395/94/92 v. Chr.) wurden drei Obolen gezahlt.60 Dieser „Ekklesiastensold“ war insbesondere nötig, um das für bestimmte Beschlüsse erforderliche Anwesenheitsquorum von 6.000 Bürgern61 sicher zu stellen. Wegen der Kosten wurden die Diäten wahrscheinlich nur den ersten 6.000 Bürgern gezahlt, die jeweils erschienen.62 Die Diäten ermöglichten es ärmeren Bürgern, die in den Arbeitsprozess eingebunden waren, an den Volksversammelungen teilzunehmen.63 Denn pro Jahr fanden mindestens 40 Volksversammlungen statt, die einen ganzen Tag dauern konnten.64 Die Entfernungen zur Stadt betrugen bis zu 70 km.65 Drei Obolen entsprachen dem Minimum an Lebenshaltungskosten für eine Kleinfamilie.66 Die Diäten hatten also einen spezifisch demokratischen Charakter.67 Die athenische Demokratie war stabil. Sie dauerte fast zwei Jahrhunderte, von 505/507 bis 322 v. Chr.68 Der Zeitaufwand für die Teilnahme an heutigen Wahlen und Abstimmungen beträgt nur einen geringen Bruchteil des Aufwandes, den die Athener für die Teilnahme an Volksversammlungen im antiken Athen auf sich nehmen mussten. Dementsprechend kommt nur eine geringe Zahlung von vielleicht fünf Euro in Betracht. Um die Kosten für den Staat gering zu halten, könnte man daran denken, die Bürger, die der Wahl oder Abstimmung fernbleiben, die Kosten tragen zu lassen. Dieser Ansatz leitet über zur zweiten Regulierungsmöglichkeit, der Wahl- und Abstimmungspflicht.
60 Ein Obol entsprach 1/6 Drachme (0,73 g Silber), vgl. Glossar zu Aristoteles, Der Staat der Athener, übersetzt und hrsgg. v. Martin Dreher, 1993, ergänzte Ausgabe 2009, 2012, S. 120. 61 Bei einer Gesamtzahl von ca. 30.000 – 35.000 Bürgern (freie erwachsene Männer), Jochen Bleicken, Die athenische Demokratie, 4. Aufl., 1986, unveränderter Nachdruck der 4. Aufl. 1995, S. 190. 62 Bleicken (Fn. 61), S. 332 f. 63 Bleicken (Fn. 61), S. 625. 64 Bleicken (Fn. 61), S. 192. 65 Peter Funke, Die griechische Staatenwelt in klassischer Zeit, in: Hans-Joachim Gehrke/ Helmuth Schneider (Hrsg.), Geschichte der Antike, 4. Aufl., 2013, S. 196. 66 Bleicken (Fn. 61), S. 191. 67 Vgl. Bleicken (Fn. 61), S. 623 mit Verweis auf Aristoteles, Politik, 1317b35. 68 Henning Ottmann, Geschichte des politischen Denkens, Bd. 1/1, 2001, S. 92.
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b) Wahlpflicht aa) Erfahrungen Das klassische Instrument, die Wahlbeteiligung zu steigern, ist die Wahlpflicht. Sie existiert in 32 Staaten, in verschiedenen mit Sanktionen, darunter Australien, Liechtenstein und dem Schweizer Kanton Schaffhausen, in manchen ohne Sanktionen, so etwa in Belgien und Luxemburg.69 Die Wahlpflicht führt dazu, dass die Wahlbeteiligung wesentlich höher ist.70 Dies zeigt beispielhaft die Schweiz, wo nur der Kanton Schaffhausen eine Wahl-und Abstimmungspflicht hat. Art. 9 des Wahlgesetzes dieses Kantons lautet: „Die Teilnahme an den eidgenössischen, kantonalen und Gemeindeabstimmungen und Wahlen sowie den Versammlungen der Einwohnergemeinde ist bis zum 65. Altersjahr obligatorisch. Wer diese Pflicht ohne Entschuldigung versäumt, hat drei Franken zu bezahlen.“71
In Schaffhausen beteiligen sich die Bürger bei Weitem am meisten an Urnengängen. So legten z. B. beim Urnengang vom 22. 9. 2013, bei dem drei Vorlagen zur Abstimmung standen, darunter die Abschaffung der Wehrpflicht, insgesamt 63,9 % der Stimmberechtigten einen Stimmzettel ein. Das war der Spitzenwert aller Kantone. Die nächsthöchste Abstimmungsbeteiligung gab es in Appenzell-Außerrhoden mit 51,1 %. Im gesamtschweizerischen Durchschnitt waren es nur 46,3 % und im Kanton Jura, dem Schlusslicht, lediglich 37,0 %.72 Bezogen auf die Gesamtzahl der Abstimmungsberechtigten gaben in Schaffhausen aber nur 2,2 % einen ungültigen oder leeren Stimmzettel ab.73 Damit lag die effektive Stimmbeteiligung bei 61,7 %. Die Nettosteigerung“ gegenüber der Durchschnittsbeteiligung beträgt demnach 15,4 %. Dieses Stimmverhalten ist in Schaffhausen regelmäßig zu beobachten.74 Darüber hinaus führt die Wahlpflicht zu größerem politischen Interesse und einem besseren Informa69 Näher Institute For Democracy And Electoral Assistance, Compulsory Voting (Stand 2009), http://www.idea.int/vt/compulsory_voting.cfm (18. 1. 2014). 70 Armin Schäfer, Republican Liberty and Compulsory Voting, MPIfG Discussion Paper 11/17, 2011, S. 2 ff., 9. 71 Wahlgesetz des Kantons Schaffhausen, http://rechtsbuch.sh.ch/fileadmin/Redaktoren/Do kumente/gesetzestexte/Band_1/160.100.pdf (18. 1. 2014). 72 René Zeller, Tief verwurzelte Wehrpflicht, in: NZZ, Int. Ausg. v. 24. 9. 2013, S. 27. 73 Vgl. Kanton Schaffhausen, Eidgenössische Volksabstimmungen 22. September 2013, http://www.abstimmungen.sg.ch/home/sachabstimmungen/ergebnisse/Fruehere_Ergebnisse/ volksabstimmung-vom-22–september-2013/_jcr_content/Par/downloadlist/DownloadListPar/ download.ocFile/36.2 %20DfPR%20Abstimmungsergebnisse%20 f%C3 %BCr%20Internet% 20definitiv.pdf (30. 10. 2013). Es gab 50.631 Stimmberechtigte. 32.350 Stimmzettel wurden eingelegt. Daraus ergab sich eine Stimmbeteiligung von 63,9 %. Mit „Ja“ stimmten 7.893, mit „Nein“ 23.350, zusammen waren es 31.243. Es gaben also 1.107 Bürger im Hinblick auf die Wehrpflichtabstimmung keine oder eine ungültige Stimme ab. Dies waren 2,18 %. 74 Boris Wernli, Die Bestimmungsfaktoren der Wahlbeteiligung. Eine vergleichende Analyse von 10 Schweizer Kantonen, in: Hanspeter Kriesi/Wolf Linder/Ulrich Klöti (Hrsg.), Die Schweizer Wahlen 1995, 1998, S. S. 90; Linder (Fn. 56), S. 74.
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tionsstand der Bürger.75 Je höher die Wahlbeteiligung, um so höher ist auch die Beteiligung der Unterschichtsangehörigen.76 bb) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Es stellt sich die Frage, inwiefern eine Wahlpflicht verfassungsrechtlich zulässig ist bzw. ob sie mit einfachem Gesetz oder nur mit einer Verfassungsänderung eingeführt werden könnte. Diese Frage wird im Folgenden anhand des GG untersucht, stellt sich aber in gleicher Weise für die Landesebene. (a) Eingriff in Schutzbereich von Art. 38 I 1 GG Es ist strittig, ob die Einführung einer Wahlpflicht in den Schutzbereich des grundrechtsgleichen Rechts der Wahlfreiheit gem. Art. 38 I 1 GG eingreift. Dies wäre der Fall, wenn die Wahlfreiheit auch die negative Wahlbeteiligungsfreiheit umfasst. Nach Detlef Merten und anderen ist dies nicht der Fall. Denn der Wahlberechtigte kann eine Wahl auch unterlassen, wenn er dem Wahlverfahren als solchem nicht fernbleibt.77 Für die Gegenseiten enthält die Wahlfreiheit jedoch auch die negative Wahlbeteiligungsfreiheit.78 Denn die Wahlfreiheit umfasse nicht nur das Wie, sondern auch das Ob der Wahl.79 Dafür wird insbesondere ins Feld geführt, dass die öffentliche Nichtbeteiligung eine politische Stellungnahme enthalten könne.80 Zudem sei die Wahlpflicht unverhältnismäßig, da der gezwungene Wahlbürger einen ungültigen Wahlzettel abgeben kann und dessen erzwungener Wahlgang eine leere Pflichtübung darstellt, die zur höheren Legitimation des Parlaments nichts beiträgt, also ungeeignet ist.81 Diese Gegenargumente tragen jedoch nicht. Denn abgesehen von der Frage, ob die politische Kundgabe, mit dem ganzen Angebot bzw. System unzufrieden zu sein, zur negativen Wahlfreiheit gehört oder nicht vielmehr zur Meinungsfreiheit, 75
Wernli (Fn. 74), S. 91. Auf Wernli beruft sich Linder (Fn. 56), S. 74. Schäfer, Compulsory Voting (Fn. 70), S. 8. 77 Detlef Merten, in: Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 2006, § 42, Rz. 235 ff., m.w.N.; Gerald Kretschmer, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu/Franz Klein (Begr.), 11. Aufl., 2008, Art. 38, Rz. 20, m.w.N.; Hans-Peter Schneider, in: Alternativkommentar GG, 2. Aufbaul., 2002, Art. 38, Rz. 67. 78 Hermann Butzer, in: Volker Epping/Christian Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2009, Art. 38, Rz. 50; Bodo Pieroth, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth, Grundgesetz, 12. Aufl., 2012, Art. 38, Rz. 9, 13. 79 Pieroth (Fn. 78), Art. 38, Rz. 9, 13. 80 Siegfried Magiera, in: Michaels Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl., 2011, Art. 38, Rz. 85; Bernd Grzeszick, in: Klaus Stern/Florian Becker (Hrsg.), Grundrechte-Kommentar, 2010, Art. 38, Rz. 24; Hans-Heinricht Trute, in: Ingo v. Münch/Philip Kunig, Grundgesetz, 6. Aufl., 2012, Art. 38, Rz. 39; Wolfgang Schreiber, in: BKGG, 41. Erg.-Lfg., 2013, Art. 38, Rz. 99; jeweils m.w.N. 81 G. Roth, in: Dieter Umbach/Thomas Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2002, Art. 38, Rz. 50; Martin Morlok, in: Horst Dreier (Hrsg.), 2006, Bd. 2, 2. Aufl., Art. 38, Rz. 83. 76
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ist öffentliche Nichtbeteiligung als politische Stellungnahme gar nicht (mehr) möglich, weil die als Massenphänomen verbreitete Briefwahl82 die Nichtteilnahme am Urnengang als politische Meinungskundgabe völlig illusorisch macht. Denn jeder, der am Urnengang nicht teilnimmt, kommt für die Öffentlichkeit immer auch als Briefwähler in Betracht. Und die Frage, ob der Eingriff verhältnismäßig ist, beantwortet nicht die Frage, ob die negative Wahlbeteiligungsfreiheit vom Schutzbereich des Art. 38 umfasst ist.83 Die negative Wahlbeteiligungsfreiheit zählt also nicht zum Schutzbereich des Art. 38. (b) Rechtfertigung (1) Grundrechtsschranke Geht man, wie hier, davon aus, dass die negative Wahlbeteiligungsfreiheit nicht zum Schutzbereich des Art. 38 I 1 GG gehört, kommt als abwehrendes Grundrecht nur die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG in Betracht. Als Schranke stünde die Grundrechtstrias, also ein allgemeiner Vorbehalt der Einschränkung durch Gesetz zur Verfügung.84 Geht man mit der Gegenansicht davon aus, dass die negative Wahlbeteiligungsfreiheit zum Schutzbereich des Art. 38 I 1 GG zählt, stellt sich die Frage, ob Art. 38 I 1 GG eine Schranke aufweist, auf welche die Einführung der Wahlpflicht gestützt werden könnte. Ausdrücklich sieht Art. 38 III GG vor: „Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.“ Diese Vorschrift ist jedoch lediglich ein Regelungs-, kein Gesetzesvorbehalt.85 Regelungsvorbehalte erlauben keine Grundrechtseinschränkungen, sondern nur eine Ausgestaltung des Grundrechts.86 Im Rahmen der Wahlfreiheit ist als Einschränkungsmöglichkeit also nur eine verfassungsimmanente Schranke denkbar, die einen Eingriff rechtfertigen kann, um ein kollidierendes, wichtiges Verfassungsgut zu schützen.87 Als wichtiges Verfassungsgut kommt hier das Funktionieren der Demokratie in Betracht. Im Folgenden wird gezeigt, dass das Funktionieren der Demokratie als kollidierendes Verfassungsgut die einfachgesetzliche Einführung einer Wahlpflicht rechtfertigt. Deshalb müssen auch die Anhänger der Ansicht, dass der Schutzbereich des Art. 38 I GG die negative Wahlbeteiligungsfreiheit mit umfasst, im Ergebnis zugeben, dass die Wahlpflicht einfachgesetzlich eingeführt werden kann.
82 Bei der Bundestagswahl 2013 betrug der Briefwähleranteil 24,3 %, Der Bundeswahlleiter, Briefwahl, http://www.bundeswahlleiter.de/de/glossar/texte/Briefwahl.html (29. 1. 2014). 83 Zur Verhältnismäßigkeit s. sogleich VII.5.b)bb)(b)(2). 84 Hans Jarass, in: Jarass/Pieroth (Fn. 78), Art. 2, Rz. 17. 85 Derselbe, Art. 38, Rz. 21. 86 Hans Jarass, in: Jarass/Pieroth (Fn. 78), Vorb. vor Art. 1, Rz. 41. 87 Morlok, in: Dreier (Fn. 81), Art. 38, Rz. 61, 125; Jarass, in: Jarass/Pieroth (Fn. 78), Art. 38, Rz. 21. Allgemein zu verfassungsimmanenter Schranke Friedhelm Hufen, Staatsrecht II, 2. Aufl., 2009, § 9, Rz. 30; Jarass, in: Jarass/Pieroth (Fn. 78), Vorb. v. Art. 1, Rz. 48 f. Das BVerfG lässt auch von der Verfassung legitimierte Gründe gelten, BVerfGE 129, 300, 320.
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(2) Verhältnismäßigkeit (aa) Hohes Verfassungsgut Die Wahlpflicht soll das Funktionieren der Demokratie sicher stellen. Diese genießt als Staatsstrukturprinzip höchsten Rang, Art. 20 I, II i.V.m. Art. 79 III GG. Die Wahlen als eines der zwei zentralen Legitimationsverfahren zur Umsetzung der Demokratie ebenfalls, Art. 20 II 2, Art. 79 III GG. Wahlen setzen aber voraus, das sich die Bürger an Wahlen beteiligen. Wahlen ohne hinreichend viele Wähler können die Demokratie nicht legitimieren.88 Es geht also bei der Wahlbeteiligung um den Schutz eines hohen Verfassungsgutes. (bb) Zulässiges Mittel Die Wahlpflicht ist auch ein zulässiges Mittel, die Wahlbeteiligung zu steigern. Als solches ist sie durch das GG nicht verboten. Es stellt sich allein die Frage der Rechtfertigung im Rahmen der Grundrechtsprüfung.89 (cc) Prüfungsmaßstab Wahlfragen sind Machtfragen. Deshalb besteht die Gefahr, dass sich die Parlamentsmehrheit bei der Gestaltung des Wahlrechts nicht von Gemeinwohlinteressen, sondern von Interessen des eigenen Machterhalts leiten lässt. Die Parlamentsmehrheit betreibt Gesetzgebung in eigener Sache. Deshalb nimmt das BVerfG bei der Prüfung der Zulässigkeit der 5 %-Sperrklausel zu Recht eine strikte verfassungsrechtliche Kontrolle vor. Diese verlangt beim Eingriff in die Erfolgswertgleichheit, dass Differenzierungen nur zulässig sind, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass ohne die Differenzierungen ernsthafte Beeinträchtigungen der mit der Wahl verfolgten Ziele zu befürchten sind.90 Entsprechend ist hier bei einem Eingriff in die Wahlfreiheit zu verlangen, dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass ohne eine Wahlpflicht ernsthafte Beeinträchtigungen der mit der Wahl verfolgten Ziele zu befürchten sind. Wie oben III., IV.1., V. gezeigt, sind solche Beeinträchtigungen nicht nur zu befürchten, sondern bereits eingetreten. Die Wahlen erfüllen schon längere Zeit nicht mehr vollständig ihre Ziele. Denn die Wahlbeteiligung nimmt – mit Unterbrechungen – kontinuierlich ab. Je geringer die Beteiligung ist, um so weniger intensiv fällt aber die durch die Wahlen umzusetzende Kontrolle der Parteien und Abgeordneten 88 Das notwendige Niveau der Wahlbeteiligung ist niedriger, wenn den Bürgern eine ausgebaute Volksgesetzgebung zur Verfügung steht, vgl. Linder (Fn. 56), S. 73; Hermann K. Heußner, Direkte Demokratie in der Schweiz, in: Mehr Demokratie e.V. (Hrsg.), kurz & bündig, Mehr Demokratie – die Grundlagen, 2012, S. 71. 89 Vgl. Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte, 27. Aufl., 2011, Rz. 289. 90 BVerfGE 129, 300, 320 ff.; 120, 82, 107, 113 f. Vgl. Hermann K. Heußner, Die 5 %Sperrklausel: Nur mit Hilfsstimme! – Teil 1, in: LKRZ 2014, S. 8.
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aus. Die faktische Legitimation des Parlaments hat Mängel. Die Wahlenthaltung hat eine starke soziale Schieflage, so dass die Unterschicht massiv unterrepräsentiert ist. Von einer Repräsentation des ganzen Volkes kann faktisch nicht mehr die Rede sein. Dies hat Folgen für die Inhalte der Gesetzesproduktion. Zudem tendiert häufiger praktizierte Wahlenthaltung dazu, sich zu verfestigen. Die vom strengen Prüfungsmaßstab geforderte Zielverfehlung der Wahlen ist also gegeben. (dd) Geeignetheit Die Gegner der Einführbarkeit einer Wahlpflicht ohne Verfassungsänderung sind der Auffassung, dass eine Wahlpflicht ungeeignet (unverhältnismäßig) sei. Denn auch bei Wahlteilnahme kann ein ungültiger Stimmzettel abgegeben werden, was die Legitimität der Wahl nicht erhöhe.91 Dieses Argument ist jedoch empirisch widerlegt. So beteiligen sich z. B. im Kanton Schaffhausen im Vergleich zur übrigen Schweiz weit mehr Bürger an Wahlen und Abstimmungen. Dies gilt auch dann, wenn man die Stimmen, die kein explizites Votum enthalten, abzieht.92 In Australien beteiligen sich regelmäßig sogar weit über 90 % der Bürger an den Wahlen.93 2013 waren es bei der Unterhauswahl 93,2 %.94 Zieht man die ungültigen Stimmen in Höhe von 5,9 %95 ab, so wählten immer noch über 87 % der Stimmberechtigten. Das sind Traumzahlen im Vergleich zu Deutschland. (ee) Erforderlichkeit Als milderes Mittel könnte eine bessere Aufklärung der Bevölkerung in Betracht kommen. Die Information der BürgerInnen über die Bedeutung der Wahl lässt sich noch verbessern. Allerdings ist sehr fraglich, ob durch allgemeine Aufklärungskampagnen die bildungsferneren Bevölkerungsschichten erreichbar sind. So hatte z. B. die Bild-Zeitung, die gerade in Unterschichtskreisen gelesen wird, noch am 21. 9. 2013, also am Vortag der Bundestagswahl v. 22. 9. 2013, eine kostenlose Spezialausgabe an alle 41 Millionen Haushalte in Deutschland verteilt.96 Die Wahlbeteiligung lag dennoch nur um 0,7 % höher als bei der Bundestagswahl 2009 (71,5 % nach 70,8 %).97
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S. o. VII.5. b)bb)(a). S. o. VII.5.b)aa). 93 Australian Electoral Commission, Who voted in pevious referendums and elections, Updated 26. 10. 2012, http://www.aec.gov.au/Elections/australian_electoral_history/Voter_Turn out.htm (30. 10. 2013). 94 Australian Electoral Commission, House of Representatives, First Preferences By Party, 2013, http://vtr.aec.gov.au/HouseStateFirstPrefsByParty-17496-NAT.htm (30. 10. 2013). 95 Der im Vergleich zu Deutschland relativ großer Anteil ungültiger Stimmen resultiert auch daher, dass Australien ein Präferenzwahlsystem hat, vgl. Australian Electoral Commission, Count me in!, 2013, http://www.aec.gov.au/Education/files/count-me-in.pdf (1. 11. 2013). 96 Kai Diekmann, Geht wählen, in: Bild, Sonderausgabe, 21. 9. 2013, S. 1. 97 Vgl. o. IV.1.a). 92
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Als milderes Mittel sind auch „Diäten“ denkbar. So wie im klassischen Athen für die Teilnahme an der Volksversammlung Diäten gezahlt wurden, könnte für die Wahlteilnahme ein Betrag von z. B. fünf Euro gezahlt werden.98 Allerdings hätte dies finanzielle Lasten für den Staat zur Folge. Insofern wären Diäten nicht gleich geeignet. Man könnte anstelle des Staates die Bürger zahlen lassen, die sich nicht an der Wahl beteiligen. Dies wäre der Sache nach aber bereits eine Sanktion für die Nichtteilnahme, setzte also die Wahlpflicht voraus. Diäten sind deshalb kein milderes Mittel. (ff) Angemessenheit Die Wahlpflicht muss schließlich angemessen sein. Angemessenheit bedeutet im Wesentlichen, dass die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt und eine gerecht Abwägung zwischen den kollidierenden Rechtsgütern stattfindet.99 Die Wahlbeteiligungspflicht hat für den einzelnen Bürger nur eine sehr geringe Eingriffsintensität. Denn dem Bürger wird lediglich der Gang ins Wahllokal oder die Beantragung von Briefwahlunterlagen und das Abschicken des Briefwahlzettels zugemutet. Andererseits ist das Funktionieren der Demokratie ein fundamentales Verfassungsgut100 und die Gewinne durch eine höhere Wahlbeteiligung hoch.101 Die Wahlpflicht ist also angemessen. cc) Zulässigkeit nach EMRK und EGRC Die Einführung einer Wahlpflicht scheitert auch nicht an Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK. Denn die Wahlpflicht stellt schon gar keinen Eingriff in die durch Art. 3 ZP I normierte Wahlfreiheit dar.102 Jedenfalls lässt sich die Wahlpflicht im Ergebnis rechtfertigen.103 Denn die Mitgliedsstaaten haben einen weiten Gestaltungsspielraum. Einschränkungen müssen selbstverständlich verhältnismäßig sein.104 Wie dargelegt, ist die Einführung einer Wahlpflicht aber verhältnismäßig.105 Gerechtfertigt ist eine Wahlpflicht auch am Maßstab der Charta der Grundrechte der Europäi-
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S. o.VII.5.a). Jarass, in: Jarass/Pieroth (Fn. 78), Art. 20, Rz. 86 f.; Hufen (Fn. 87), § 9, Rz. 23 f. 100 S. o. VII.5.b)bb)(b)(2)(a). 101 S. o. VII.5.b)aa), – bb)(b)(2)(d). 102 Dagmar Richter, in: Oliver Dörr/Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG Konkordanzkommentar, 2. Aufl., Bd. 2, 2013, Kap. 25, Rz. 88; Walter Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 4, Europäische Grundrechte, 2009, Rz. 4476; ähnlich wohl Luzius Wildhaber, in: Wolfram Karl (Hrsg.), Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 1. Lief., Sept. 1986, Art. 3 EMRK/1. ZP, Rz. 11, 13 f. 103 Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl., 2012, § 23, Rz. 113; Hans Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Aufl., 2013, Art. 39, Rz. 13. 104 Grabenwarter/Pabel (Fn. 103), Rz. 114. 105 S. o. VI.5.b)bb)(b)(2). 99
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schen Union. Ein Verstoß gegen Art. 39 II EGRC bei einer Wahlpflicht für Europawahlen scheidet deshalb im Ergebnis ebenfalls aus.106 dd) Zwischenergebnis Eine Wahlpflicht für die Bundestags- und Europawahlen lässt sich durch ein einfaches Parlamentsgesetz einführen. Da die verfassungsrechtlichen Maßstäbe auf Länderebene im Wesentlichen dieselben sind wie auf Bundesebene, lässt sich eine Wahl- und Abstimmungspflicht auch für die Landes- und Kommunalebene durch einfaches Landesgesetz einführen. 6. Ehrenamtspflicht Im Folgenden wird kurz die Idee einer Ehrenamtspflicht umrissen. Einzelheiten sind noch auszuarbeiten. a) Zeitkonto Um das mangelnde politische Engagement der Bürger, insbesondere in Parteien zu beheben, könnte eine Ehrenamtspflicht eingeführt werden. Diese wäre freilich nicht auf das politische Engagement zu beschränken, sondern müsste das gesamte Spektrum des zivilgesellschaftlichen ehrenamtlichen Engagements erfassen. Denn nicht nur das ehrenamtliche Engagement in Partein ist mangelhaft. Dasselbe gilt für das Engagement in Sportverbänden, freiwilligen Feuerwehren, karitativen Einrichtungen und sonstigen zivilgesellschaftlichen Vereinen, Verbänden und Gruppen.107 Vorstellbar wäre ein Zeitkonto, welches das ehrenamtliche zeitliche Mindestengagement pro Bürger abbildet. Dieses müsste innerhalb einer bestimmten Zeitspanne abgearbeitet werden. Dazu wären die Engagementbereiche zu definieren, die angerechnet werden können. Diese Ehrenamtspflicht könnte allerdings gegen das Verbot der Zwangsarbeit gem. Art. 12 II GG und/oder gem. Art. 4 II EMRK verstoßen. Die Ehrenamtspflicht könnte deshalb ggf. nur durch ein Grundgesetzänderung und/oder eine Änderung der EMRK eingeführt werden. Dies sind sehr hohe Hürden.
106 Vgl. Andreas Haratsch, in: Sebastian Heselhans/Carsten Nowak (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, 2006, § 47, Rz. 35; Frenz (Fn. 102), Rz. 4476 m.w.N.; letztlich ebenso Stefan Hobe, in: Peter Tettinger/Klaus Stern (Hrsg.), Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechtecharta, 2006, Art. 39, Rz. 21 f.; unklar Siegfried Magiera, in: Jürgen Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl., 2011, Art. 39, Rz. 17 bzw. 27. 107 Vgl. näher Leif (Fn. 46), S. 49 – 57.
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b) Ehrenamtssteuer Alternativ käme deshalb eine „Steuerlösung“ in Betracht. Dazu müsste die Einkommenssteuer erhöht werden. Das zusätzliche Steueraufkommen würde dazu dienen, Ehrenamtsvergütungen zu zahlen. Wer das Ehrenamt ableistet, könnte den Betrag der entsprechenden Ehrenamtsvergütung von der Steuer absetzen. Im Unterschied zu einer allgemeinen Ehrenamtspflicht würde die Steuererhöhung nur diejenigen Bürger treffen, die Einkommenssteuern zu zahlen haben. Bezieher niedriger Einkommen hätten den Vorteil, keine höheren Einkommenssteuern zahlen zu müssen, für ehrenamtliches Engagement jedoch ein zusätzliches Einkommen erzielen zu können. VIII. Fazit Die Demokratie funktioniert nur, wenn die BürgerInnen die Politiker kontrollieren. Wesentliche Kontrollinstrumente sind die Wahlen und Parteien. Die BürgerInnen nehmen die Kontrolle jedoch nur mangelhaft wahr. Die Wahlbeteiligung nimmt ab. Insbesondere Unterschichtsangehörige enthalten sich. Die Mitgliedschaft in den Parteien und die Parteiaktivitäten gehen stark zurück. Der verminderte Mitgliederpool führt dazu, dass die Parteien ihrer Rekrutierungsfunktion für öffentliche Mandate und Ämter nur noch eingeschränkt nachkommen können. Die mangelhafte Kontrolle der politischen Klasse resultiert u. a. in einem ungerechten Abgabensystem. Um mehr Zeit für politisches Engagement zu gewinnen, muss die Lebensarbeitszeit gestreckt werden. Die Demokratie ist ein Kollektivgut. Die Bürger entsprechen der Verfassungserwartung nach politischem Engagement aber nur ungenügend. Das mangelhafte Bürgerengagement stellt sich als Gesellschafts- und Bürgerversagen dar. Deshalb muss der Staat regulierend eingreifen. Um die Wahlenthaltung zu bekämpfen, könnte jedem Wahlbeteiligten ein Teilnahmegeld („Diäten“) gezahlt werden. Insbesondere ist eine Wahlpflicht einzuführen. Die Erfahrung in Staaten mit Wahlpflicht zeigt, dass die Wahlbeteiligung stark zunimmt und das Interesse und die politische Informiertheit steigt. Die Einführung einer Wahlpflicht ist verfassungsrechtlich zulässig. Die Wahlbeteiligungsfreiheit ist von Art. 38 I 1 GG nicht umfasst. Jedenfalls stellt das Funktionieren der Demokratie bzw. der Wahlen ein hohes Verfassungsgut und damit eine verfassungsimmanente Schranke dar. Die Wahlpflicht ist verhältnismäßig. Sie verstößt auch nicht gegen europäisches Recht. Um das Engagement in Parteien und anderen zivilgesellschaftlichen Ehrenämtern zu stärken, sollte eine Ehrenamtspflicht oder eine Ehrenamtssteuer eingeführt werden.
Politik und Geld1 Sebastian Frankenberger Es ist mir eine Ehre hier bei der 15. Speyrer Demokratietagung zu sprechen, da ich vor zwei Jahren bereits an dieser Stelle über die praktische Sicht von Volksbegehren – vor allem über das Nichtraucherschutz-Volksbegehren in Bayern – sprechen durfte. Ich hatte vor zwei Wochen Professor von Arnim in Berlin getroffen und er hatte mich gebeten, doch heute hier vor Ihnen einen Beitrag zu bringen, der das Thema „Die Bezahlung und Versorgung von Politikern und Managern“ aus der praktischen Sicht zeigt. Gestatten Sie mir bitte, dass es ein eher humorvoller, vielleicht auch populistischer, wenn nicht sogar – aus einem provokanten Blickwinkel heraus – ein mit feinem Spott gespickter Beitrag wird, um nach einem langen Tag voller Theorie und spannender Diskussionen die Tischgespräche anzustoßen. Ich komme ja gerade aus dem Wahlkampf und da kann ich Ihnen sagen, wenn man an Infoständen vor Ort steht, antworten 65 % der Leute auf die Frage „Was erwarten Sie von der Politik?“ Folgendes: „Ach, ihr seid doch alle gleich. Versprecht uns doch vor der Wahl nur das, was ihr nach der Wahl halten könnt!“ Die Leute sind also frustriert von einem Politiker, der nicht glaubwürdig ist, der nicht ehrlich ist und nicht transparent ist. Es wundert einen nicht, wenn man sich einfach nur die Aufdeckungen der Journalisten der letzten Jahre anschaut. Oder gehen wir gar nicht so weit zurück. Seit der Landtagswahl in Bayern gibt es nun einen neuen Alterspräsidenten. Er kommt von der SPD und heißt Peter Paul Gantzer. Aufgefallen ist Herr Gantzer dadurch, dass er kein Wahlkreisbüro besitzt, da er in München lebt und sein Büro im Landtag hat. An und für sich ist das noch nichts Verwerfliches. Ein Journalist jedoch stellte ihm die Frage, für was er denn seine Aufwandspauschale verbrauche? Kurz zum Verdienst des bayrischen Abgeordneten. Ein Landtagsabgeordneter verdient 7244 Euro monatlich und erhält zusätzlich noch eine steuerfreie Aufwandspauschale in Höhe von 3282 Euro. Wir alle, die wir Steuern zahlen, haben eine Aufwandspauschale, die wir aber nachweisen müssen. Bei Landtagsabgeordneten ist dies nicht der Fall. Eine Aufwandspauschale ist, wie das Wort schon sagt, wirklich eine Pauschale, also ein Geldbetrag für eine Leistung ohne Spezifizierung (so in etwa der Duden). Was macht man also mit 3282 E, die nicht einmal für Büromieten und Ähnliches verwendet werden? Diese kann man anderweitig finanzieren, aus einem anderen Topf, den ein Landtagsabgeordneter zusätzlich für seine Arbeit erhält. Darüber hinaus gibt es ja auch noch Fraktionsgelder. 1
Der Vortrag wurde als Dinnerspeech gehalten.
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Was macht man also mit den 3.282 Euro? Unser Peter Paul Gantzer – der älteste im neuen Bayrischen Landtag – wohnt wie gesagt direkt neben dem Landtag. Und was antwortet er auf die Frage des Journalisten? „ Jaaa, das Essengehen in München ist sehr teuer.“ Außerdem brauche er es für Kugelschreiber und die Schreibmaschine. Und nicht zu vergessen, sein Porsche brauche immens viel Benzin. Und das gehe alles von der Pauschale weg und da müsse er teilweise sogar noch zuschießen. Bei anderen Landtagsabgeordneten, die viel vor Ort in ihrem Wahlkreis unterwegs sind, mag man das ja noch verstehen. Aber wo fährt eigentlich Herr Gantzer mit dem Porsche, wenn er in der Nähe des Landtags wohnt? Und solche Antworten gibt er auch noch der Presse! Aber gut, das war nicht der einzige Fall, denn ein gewisser Alexander König, Vize-Fraktionschef der CSU vor der Landtagswahl, sagte einer Zeitung, dass er sich gerade eine Leica-Kamera für 6.000 E gekauft habe, die er abgerechnet habe, weil er die fürs Fotografieren als Abgeordneter für den Alltag brauche. Ein anderer Landtagsabgeordneter rechnete über seine Technikpauschale vier Smartphones und zwei Tablet-PCs für den persönlichen Bedarf in einem Jahr ab. Die Frage, die sich Ihnen allen stellt: Hat das Auswirkungen auf das Wahlergebnis? Schauen wir uns Georg Winter an. Er war der, der über die Aufdeckungsaffäre der Verwandtenbeschäftigung gestolpert ist. Wir kennen ja alle das Buch von Professor von Arnim und den aus dieser Affäre resultierenden Medienskandal. Bei Georg Winter wurde aufgedeckt, dass er seine Söhne angestellt hatte, die zum Zeitpunkt der Anstellung vor einigen Jahren sogar noch minderjährig waren. Ihn hat es wirklich „schlecht“ getroffen, denn von ehemals 51,4 % bei der Landtagswahl 2008 ist er „tief“ gefallen, auf sage und schreibe 43,2 %. Hat der Wähler nichts begriffen? Apropos Wahlen. Schauen wir uns einmal die Parteienfinanzierung an. Denn es ist ja selbstverständlich, dass Abgeordnete ihre Mitarbeiter, die vom Steuerzahler getragen werden, natürlich nur für ihre Abgeordnetentätigkeit einsetzen dürfen. Etwas Selbstverständliches. Herr Prof. von Arnim hat dazu einen Film gefunden, der vor kurzem in der Sendung Panorama ausgestrahlt wurde, wie Abgeordnetenmitarbeiter im Landtagswahlkampf oder im Bundestagswahlkampf eingesetzt werden. Er hat die Rechte organisiert und ich darf Ihnen kurz dieses Schmankerl an ehrlichen, wahrheitsgemäßen Aussagen präsentieren. … (Film eingespielt) Da bleibt einem doch die Spucke weg! Man stellt sich die Frage, warum machen die das? Warum können sich Politiker so etwas erlauben? Die Antwort ist ganz einfach: Weil es geht! Weil die, die es betrifft, die Regeln selbst machen. Wir sollten uns vielleicht Gedanken machen, warum diese Parteienfinanzierung von den Parteien festgelegt wird. Warum die Diäten von den Parteien festgelegt werden. Momentan wird ja in Bayern diskutiert, eine Diätenkommission einzusetzen. Wer wird Mitglied in dieser Diätenkommission? Auch Vereine, wie z. B. „Mehr Demokratie“? Oder machen es am Ende wieder die Politiker unter sich aus?
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Was können wir noch tun? Wir können anders wählen. Wobei die provokante Frage lautet, ob nicht viele Wähler – wenn ich mir in Bayern die Wahlergebnisse anschaue – mittlerweile am Stockholmsyndrom leiden? Sie wissen schon, es handelt sich um jenes Syndrom, wo wir Wähler von den Politikern als Geiseln gehalten werden und uns dann so mit den Geiselnehmern anfreunden, dass wir uns nicht mal trauen, die ursprüngliche eigene Meinung zu äußern, wenn wir wirklich frei sind bei der geheimen Stimmabgabe in der Wahlkabine. Eigentlich bräuchten wir hier gute Therapeuten, wie eben Prof. von Arnim, indem er uns durch aufklärerische Bücher wieder einmal sagt, wo etwas im Argen liegt. Was können wir noch tun? Wir können Volksbegehren starten, wie es z. B. die ÖDP 2004 versucht hat, Aufsichtsratsposten für Politiker zu verbieten, mit dem Volksbegehren “Gerecht sparen auch an der Spitze“. Sie erinnern sich an die ganze Nebenjobdebatte, die losgetreten wurde. Auch das Rentensystem wollten wir damals ändern. Leider wurde dieses Volksbegehren vom bayrischen Verfassungsgerichtshof gestoppt. Wobei man sagen muss, dass der Verfassungsgerichtshof mit einfacher Mehrheit vom Parlament einberufen wird. Er ist also nicht so unabhängig wie das Bundesverfassungsgericht. Nein, wir könnten ein weiteres Volksbegehren starten, was wir zur Zeit als ÖDP mit Prof. von Arnim als Bevollmächtigten beim Bundesverfassungsgericht eingereicht haben zur Überprüfung der Parteienfinanzierung, ob diese rechtens ist oder nicht doch neu geregelt werden muss. Hier könnte der Bürger also immer wieder selbst die Stimme erheben und versuchen, durch direkte demokratische Prozesse einzugreifen. Wo könnten wir noch anfangen etwas zu verändern? Auf der Tagung heute haben wir schon einiges gehört. Die Schweizer versuchen beim Thema „Manager“ ebenfalls gerade mit einem Volksbegehren zu erreichen, dass in einem Unternehmen der Manager nur das Zwölffache des Angestellten mit dem niedrigsten Lohn erhalten dürfte. Wissen Sie, was das bei uns in der Politik in Deutschland bedeuten würde? Derartiges wäre auch in Deutschland ein gewaltiger Einschnitt für Spitzeneinkommen Aber was können wir als Politiker verändern? Damit 65 % der Wähler am Infostand nicht mehr sagen: „Ihr seid doch alle gleich, von euch erwarte ich nichts mehr.“ Sollten wir Konzernspenden an Parteien verbieten? Sollten wir Nebenjobs und Parteiensponsoring verbieten? Wie werden wir dann noch versorgt und bezahlt? Ich hoffe, dass solche Tagungen wie heute und Gesetzgebungsprozesse durch Sie, werte Professoren, dazu beitragen, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, notfalls auch eingeklagt werden, und mit direkter Demokratie vorangetrieben werden. Damit Demokratie wieder glaubhafter, ehrlicher und transparenter wird, und aus der Politikerverdrossenheit wieder eine politikbegeisterte Stimmung wird. Denn das Politikinteresse habe ich auf meiner Wahlkampftour an allen Ecken und Enden gespürt. Die Leute sind politikinteressiert. Sie wollen nur andere Politiker.
Der finanzielle Status von Regierungsmitgliedern und kommunalen Wahlbeamten Bernhard Zentgraf Sehr geehrte Damen und Herren, vor Monaten meckerte Herr Steinbrück über das zu kärgliche Gehalt der Bundeskanzlerin. Das kam nicht gut an, weil er selbst diese Position anstrebte. In der Sache hatte er aber nicht Unrecht, auch wenn die finanzielle Ausstattung der Regierungschefin meistens unvollständig dargestellt wurde. Ich hoffe, dass ich etwas zur Aufhellung beitragen kann. Transparent ist der finanzielle Status der Regierungsmitglieder nicht. In meine Betrachtungen habe ich Bund und Länder einbezogen, allerdings nicht flächendeckend in allen Verästelungen. Staatssekretäre, die in einigen Bundesländern Regierungsmitglieder sind, müssen im Folgenden unberücksichtigt bleiben. I. Regierungsmitglieder Der finanzielle Status der Regierungsmitglieder in Bund und Ländern ist in speziellen Ministergesetzen geregelt. Der Bund und jedes einzelne Bundesland verfügen jeweils über ein solches Gesetz. Darin sind geregelt: • die Amtsgehälter (mit Zulagen und Sonderzuwendung) • die weiteren, teils steuerfreien Leistungen • Übergangsgeld und Ruhegehalt nach dem Ausscheiden Weitere Bezüge incl. Aufwandspauschalen können nach den Abgeordnetengesetzen hinzukommen, wenn – was häufig der Fall ist – der Minister oder die Ministerin zugleich Mitglied des jeweiligen Landesparlaments oder des Bundestages ist. 1. Amtsgehalt Die Ministergesetze koppeln das Amtsgehalt durchgängig an die Beamtenbesoldung. Grundlage bietet im Bund wie in den meisten Bundesländern die höchste Beamtenbesoldungsstufe B 11, in drei Bundesländern wird auf B 10 Bezug genommen. Darauf kommt in der Regel ein prozentualer Zuschlag. So machen die Amtsbezüge der Bundeskanzlerin 166 % von B 11 aus (Soll-Vorgabe), bei Bundesministern sind es 133 % (Soll-Vorgabe). In den Bundesländern schwankt der Zuschlag zwischen 0 % (Bremen) und 33 % (NRW) für die Regierungschefs. Bei den Landesministern
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erreicht der Zuschlag auf B 11 in der Spitze 20 %, in sechs Bundesländern müssen sich die Minister mit B 11 (ohne Zuschlag) begnügen. In Euro gerechnet bewegen sich die Amtsgrundgehälter auf Länderebene in der Größenordnung von rund 11.300 Euro brutto im Monat (Landesminister RheinlandPfalz) und etwa 15.300 Euro brutto für Regierungschefs in Nordrhein-Westfalen und Bayern. Die Bundeskanzlerin erhält ein Amtsgehalt von 17.156 Euro, ein Bundesminister von 13.935 Euro (beide bereits mit Verheiratetenzuschlag). Die Amtsgrundgehälter werden wie bei den Beamten in der Regel um den Familienzuschlag aufgestockt. Für Verheiratete ohne Kinder beträgt er rund 120 Euro im Monat. Für unterhaltsberechtigte Kinder kommen jeweils rund 100 Euro (für erstes und zweites Kind) bzw. 280 Euro (für jedes weitere Kind) hinzu. Zwischenfazit: Die Amtsbezüge sind nicht überhöht angesichts der Verantwortung und der Anforderungen, die an Regierungsmitglieder gestellt werden. Problematisch ist die Koppelung an die Beamtenbesoldung. Dies hat weitere Leistungen zur Folge und bewirkt, dass die Amtsbezüge erst durch Blick in weitere Gesetze und Besoldungstabellen erfasst werden können. 2. Weitere Leistungen Die Anlehnung der Bezüge der Regierungsmitglieder an das Beamtensystem führt zu entsprechenden Nebenleistungen. Finanziell bedeutsam sind die Beihilfe zu Kranken- und Pflegeleistungen und das Weihnachtsgeld, auf das Regierungsmitglieder aber nicht überall Anspruch haben. Zu den Nebenleistungen zählen auch Trennungstagegeld oder Umzugskostenentschädigungen. Daneben gibt es steuerfreie Zahlungen. Die steuerfreie Dienstaufwandsentschädigung wird von allen Ländern und vom Bund gezahlt (Ausnahme hiervon bildet Schleswig-Holstein). Sie soll denjenigen Aufwand ausgleichen, der sich im Zusammenhang mit der Regierungsarbeit ergibt. Gedacht ist etwa an Aufwendungen für die Bewirtung von Gästen zu Hause, Aufwendungen für Gastgeschenke, zusätzlicher Aufwand für gehobene Garderobe, allgemeine Bürokosten im Zusammenhang mit häuslichen Arbeitsräumen, Kosten für Schirmherrschaften, Spenden usw. Die Höhe der Dienstaufwandsentschädigung bewegt sich in der Mehrzahl der Fälle zwischen 600 und 1.150 Euro im Monat für die Regierungschefs. Bei den Ministern ist häufig ein halb bis zweidrittel so hoher Betrag anzutreffen. Die steuerfreie Dienstaufwandsentschädigung ist ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Sie muss ebenso kritisch gesehen werden wie die steuerfreie Kostenpauschale, die Regierungsmitglieder als Abgeordnete ebenfalls erhalten. Steuerfreie Pauschalen für Politiker sind zu Recht heftig umstritten, weil sie eine ungerechtfertigte Privilegierung darstellen. In den Ministergesetzen wird auch geregelt, ob und inwiefern die Nebentätigkeiten der Regierungsmitglieder zulässig sind und wie die im Zusammenhang mit die-
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sen Tätigkeiten enthaltenen Vergütungen abzuliefern sind. Von Interesse sind dabei insbesondere Aufsichtsratsmandate oder Beiratsfunktionen bei privaten und öffentlichen Unternehmen. In Niedersachsen etwa gehören der Ministerpräsident und der Wirtschaftsminister dem Aufsichtsrat des Volkswagen-Konzerns an, an dem das Land Niedersachsen beteiligt ist. Das Ministergesetz regelt hier, dass Vergütungen aus solchen Mandaten unverzüglich an das Land abzuführen sind, soweit sie insgesamt 6.200 Euro im Jahr übersteigen. 3. Abgeordnetendiäten und Kostenpauschalen Regierungsmitglieder gehören mehrheitlich auch den Parlamenten an, die sie kontrollieren sollen. Nur die Stadtstaaten Hamburg und Bremen kennen die Unvereinbarkeit von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat. In den anderen Bundesländern und im Bund regeln die Abgeordnetengesetze den Prozentsatz der Diäten, die Regierungsmitglieder neben dem Amtsgehalt zusätzlich erhalten. Im Bund und in den vier Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Sachsen erhalten die Regierungsmitglieder mit der Hälfte der Diäten die höchsten Anteile. Es kommen somit zwischen 2.566 Euro (Sachsen) und 4.126 Euro (Bund) hinzu. Nordrhein-Westfalen kürzt die Abgeordnetenbezüge für Regierungsmitglieder um 57,2 % und trägt damit dem Umstand Rechnung, dass die dortige steuerpflichtige Entschädigung vorherige Kostenpauschalen mittlerweile einbezieht. Der Beitrag zur Altersabsicherung zählt nicht zu den Entschädigungen für NRW-Abgeordnete und bleibt deshalb hier außen vor. Keine zusätzlichen Einkommen aus dem Parlamentsmandat erhalten die Regierungsmitglieder in Niedersachsen und dem Saarland. Die Unvereinbarkeit in Hamburg und Bremen ist bereits erwähnt worden. Die anderen Bundesländer haben die Diätenanteil auf 5 % (Schleswig-Holstein) bis 35 % (Thüringen) begrenzt. Abgeordnete erhalten häufig noch steuerfreie Kostenpauschalen für mandatsbedingten Aufwand. Zum Wegfall der Steuerfreiheit und damit zur Steuerpflicht dieser Zahlungen ist es erst in wenigen Bundesländern gekommen. Regierungsmitglieder erhalten im Bund und in den meisten Bundesländern die volle Kostenpauschale, die zwischen einigen hundert Euro in den Ländern und 4.123 Euro im Bund schwankt. In Bayern sind es 75 %, in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern dagegen lediglich 25 %. Sachsen-Anhalt hat den Anteil auf 20 % der Kostenpauschale begrenzt. Der Bund kürzt die Kostenpauschale um 25 Prozent, wenn ein Dienstwagen zur ausschließlichen Nutzung des Ministers zur Verfügung steht. 4. Höhe der Aktivbezüge gesamt Werden Grundgehalt, Familienzuschlag, Dienstaufwandsentschädigung und anteilige Abgeordnetenentschädigung (sofern gezahlt) zusammengefasst, ergeben sich Gesamtbezüge für einen Bundesminister in Höhe von monatlich 18.367 Euro
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bzw. 220.404 Euro im Jahr. Bayern und Nordrhein-Westfalen liegen mit 18.400 Euro bzw. 18.200 Euro nahezu gleichauf und an der Spitze der Bundesländer. Niedersachsen und Rheinland-Pfalz rangieren mit Minister-Aktivbezügen in Höhe von 13.357 Euro bzw. 13.687 Euro deutlich niedriger. In Bremen dürfte ein Senator mit monatlichen Gesamtbezügen von unter 12.000 Euro am untersten Ende des Gehaltsgefüges stehen. Bei der Bundeskanzlerin ergibt sich (mit Abgeordnetendiäten und Dienstaufwandsentschädigung) ein Einkommen von 22.304 Euro im Monat bzw. 267.648 Euro im Jahr (Weihnachtsgeld wird nicht gezahlt). Die Regierungschefs in Bayern und NRW kommen jeweils auf rund 20.100 Euro bzw. 241.200 Euro im Jahr. In Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zahlen ihren Länderchefs weniger, nämlich etwa 183.000 Euro im Jahr (rund 15.250 Euro monatlich). 5. Übergangsgeld Ein ehemaliges Regierungsmitglied erhält von dem Zeitpunkt an, in dem seine Amtsbezüge aufhören, Übergangsgeld. Dieses ist zeitlich begrenzt, es wird in der Regel für die gleiche Anzahl von Monaten gezahlt, für die das ausgeschiedene Regierungsmitglied Amtsbezüge erhielt, mindestens jedoch für sechs Monate und höchstens für zwei Jahre. Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein sehen keine minimale Anspruchszeit von sechs Monaten vor. Hier kann der Anspruch auch darunter liegen. Von der üblichen Höchstzeit von 24 Monaten weichen Rheinland-Pfalz nach oben (36 Monate) und Thüringen nach unten (12 Monate) ab. Ausnahmslos alle Bundesländer sowie der Bund zahlen für die ersten drei Monate das Amtsgehalt in voller Höhe als Übergangsgeld. Danach wird es für den Rest der Bezugsdauer auf die Hälfte des Amtsgehaltes gekürzt. Brandenburg macht hier insofern eine Ausnahme, als es für Mitglieder der Landesregierung, die mindestens fünf Jahre ununterbrochen im Amt waren, auch für sechs Monate das volle Amtsgehalt als Übergangsgeld gewährt. Noch in den 90er Jahren wurde das Übergangsgeld im Bund und in etlichen Bundesländern für die Höchstdauer von drei Jahren gezahlt. Mittlerweile ist also eine Verringerung auf die Höchstdauer von zwei Jahren erfolgt, wobei ich selbst diese Zeit noch für zu lang erachte. Der Bund der Steuerzahler hält einen maximalen Zeitraum für das Übergangsgeld von einem Jahr für ausreichend. In diesem Zeitraum muss es ehemaligen Regierungsmitgliedern möglich sein, sich beruflich neu zu orientieren. Auch in Bezug der Anrechnungsregelungen beim Zusammentreffen von Übergangsgeld mit weiteren Einkünften hat es positive Entwicklungen gegeben. So wird Übergangsgeld nicht neben dem Ruhegehalt gezahlt, wenn Anspruch auf beide Versorgungsleistungen zeitgleich bestehen. In den Ministergesetzen heißt es nahezu durchgängig, dass in solchen Fällen grundsätzlich nur die höheren Bezüge zur Auszahlung gelangen. Trifft das Übergangsgeld mit öffentlichen Dienstbezügen
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zusammen, werden die sonstigen Dienstbezüge bis zu 100 % angerechnet. Die übrigen Bezüge werden also nur gezahlt, wie sie das Übergangsgeld übersteigen. Beim Zusammentreffen von Übergangsgeld und sonstigem Einkommen, also privaten Erwerbseinkünfte etwa, gibt es unterschiedliche Regelungen in den Ministergesetzen: Es finden sich Vollanrechnungen, wie etwa in Niedersachsen. Bezieht also ein ehemaliges Mitglied der Landesregierung private Erwerbseinkünfte so erhält es daneben nur dann Übergangsgeld, wenn das Übergangsgeld die Einkünfte für denselben Zeitraum übersteigt. In Nordrhein-Westfalen werden Einkommen aus einer privaten Tätigkeit auf das Übergangsgeld entsprechend der Vorschriften des Beamtenversorgungsgesetzes angerechnet (§ 53 Abs. 7). Das bedeutet, dass neben Übergangsgeld Erwerbseinkünfte bis zur Höhe des früheren Amtsgehaltes anrechnungsfrei bleiben. Es bedeutet zudem, dass dem Übergangsgeldberechtigten mindestens ein Betrag in Höhe von 20 v.H. des Übergangsgeldes verbleibt, unabhängig davon, wie hoch die Erwerbseinkünfte aus der privaten Erwerbstätigkeit sind. Im Bund werden auf das Übergangsgeld ab dem zweiten Monat alle Erwerbseinkünfte aus einer privaten Erwerbstätigkeit angerechnet. Das bedeutet Vollanrechnung. Es werden keine Übergangsgeldzahlungen geleistet, sofern die privaten Erwerbseinkünfte die Höhe des Übergangsgeldes erreichen. 6. Ruhegehalt Alle Regierungsmitglieder im Bund und in den Ländern haben nach den Ministergesetzen Anspruch auf ein lebenslanges Ruhegehalt (incl. Hinterbliebenenversorgung). Der Anspruch auf Ruhegehalt entsteht in den Bundesländern zu früh und er ist zu hoch – gemessen an der oft kurzen Amtszeit! Bei den Mindest-Amtsjahren, die zur Begründung der Anwartschaft verlangt werden, ist eine Zweiteilung in den Ministergesetzen erkennbar. Die eine Hälfte der Länder und der Bund fordern vier bis fünf Amtsjahre, was der Dauer einer Legislaturperiode entspricht. Etwa die andere Hälfte der Bundesländer begnügt sich mit zwei Amtsjahren als Minister für den Anspruch auf lebenslange Versorgung. Niedersachsen nimmt mit einer dreijährigen Mindestamtszeit eine Sonderstellung ein. Die Höhe des Ruhegehaltes bemisst sich wie in der Beamtenversorgung an den Amtsbezügen und an den geleisteten Amtsjahren. Jedoch wirken die einzelnen Amtsjahre nicht gleichmäßig für die Pension, wie es in der Beamtenversorgung gilt. Bei den Regierungsmitgliedern haben die ersten Amtsjahre ein weitaus stärkeres Gewicht auf die spätere Pension als die folgenden. Dies wird mit einem Sockelruhgehaltssatz von 15 % (nach 2 Jahren) oder knapp 30 % nach 4 Jahren erreicht. Bei fünf Amtsjahren zur Begründung der Anwartschaft beträgt der Sockel zwischen 25 % (Schleswig-Holstein) und 38 % (Baden-Württemberg). In Ländern mit nur zwei Jahren Voraussetzung für die Ministerpension ist auffällig, dass das dritte und vierte Amtsjahr für die Versorgung weit überdurchschnittlich wirkt. Damit wird beabsichtigt, dass nach vier bis fünf Amtsjahren ein Sockel von
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rund 30 % erreicht wird. Das entspricht einer lebenslangen Pension von 3.500 bis 4.200 Euro. Die nach dem vierten und fünften Amtsjahr folgenden Jahre erhöhen die Pension in der Regel um 2,4 bis 2,5 % des Amtsgehaltes. Das Höchstruhegehalt (in der Regel 71,75 % des letzten Amtsgehalts) wird damit häufig bereits nach rund 22 Jahren erreicht. Zum Zahlungsbeginn: Nur ein Teil der Bundesländer und der Bund machen die allgemeine Altersgrenze von 65 bzw. künftig 67 Jahren zur Voraussetzung für den Zahlungsbeginn. Etliche Länder erlauben die Pensionszahlung schon ab dem 55. Lebensjahr, ohne dass versicherungsmathematische Abstriche erfolgen. Es zeigt sich, dass etliche Bundesländer sich großzügigere Pensionsregelungen für ihre Regierungsmitglieder erlauben als der Bund. Die Privilegien auf Länderseite betreffen vor allem den Beginn des Ruhegehaltes. Während der Bund hier das 65. bzw. künftig das 67. Lebensjahr vorgibt (und einen vorzeitigen Beginn ab dem 60. Lebensjahr nur mit Abschlägen von der Pension zulässt), erlauben mehrere Bundesländer bereits die Pension mit 55 Jahren (so in Brandenburg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen-Anhalt). In Berlin ist es sogar möglich, das lebenslange Ruhegehalt bei Amtszeiten von mehr als 10 Jahren ohne Altersgrenze zu erhalten. Bei darunter liegenden Amtszeiten muss der Senator das 55. Lebensjahr vollendet haben, um pensionsberechtigt zu sein Die Anrechnungsregelungen von Ruhegehalt und sonstigem Einkommen unterscheiden zwischen zusätzlichen Bezügen aus öffentlichen Kassen und sonstigen Einkommen aus der Privatwirtschaft. Sonstige öffentliche Bezüge werden im Bund und in der Mehrzahl der Länder voll angerechnet. Einige Bundesländer (Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen, Thüringen) lassen Aktivbezüge aus dem öffentlichen Sektor bis zur Höchstpension (71,75 % des letzten Amtsgehaltes) ohne Kürzung zu. Die Verrechnung von Ruhestandsbezügen mit privaten Erwerbseinkünften richtet sich im Bund und in Niedersachsen nach allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen. Danach bleibt das Ruhegehalt ungekürzt, solange es zusammen mit den neuen Einkünften das Minister-Amtsgehalt nicht übersteigt. Im Bund bezieht sich die Anrechnungsvorschrift auf das Höchstruhegehalt und ist damit restriktiver. Private Erwerbseinkünfte werden bis zum Erreichen der allgemeinen Altersgrenze angerechnet, nicht darüber hinaus. Den ehemaligen Regierungsmitgliedern ist nach den beamtenversorgungsrechtlichen Vorgaben mindestens ein 20prozentiger Anteil des Ruhegehaltes zu belassen. 7. Fazit Die finanzielle Ausstattung der Regierungsmitglieder ist in ihrer Gesamtheit sehr unübersichtlich. Die einzelnen Bezügebestandteile lassen sich teilweise nur mit erheblichem Aufwand ermitteln. Die gebotene Transparenz ist nicht gegeben. Für Bürger ist das heutige Bezügesystem der Regierungsmitglieder nicht nachvollziehbar. Für die Koppelung der Amtsgrundgehälter an die Beamtenversorgung gibt es keinen sachlichen Grund. Regierungsmitglieder sind keine Beamten.
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Überzogen ist die Altersversorgung. Nach kurzen Amtsjahren und häufig bereits ab dem 55. Lebensjahr wird ein Anspruch auf lebenslanges Ruhegehalt in Höhe von rund 35 % der Amtsbezüge erreicht. Dafür braucht der Minister keine Beiträge zu entrichten. Jeder, der eigenständig für das Alter vorsorgen muss, weiß den hohen wirtschaftlichen Wert einer solchen Versorgungszusage einzuschätzen. Er müsste monatlich horrende Beitragssummen von mehreren tausend Euro beiseitelegen, um die Luxus-Pensionen der Minister zu erhalten. Die NRW-Landesregierung gab bereits Anfang letzten Jahres ein Gutachten bei dem Rechtsprofessor Heinrich Amadeus Wolff (Frankfurt/Oder) in Auftrag. Es soll im Wesentlichen klären, ob die Höhe der Minister-Ruhegehälter angemessen ist und wie die Versorgung ausgestaltet werden könnte. Vorausgegangen war eine öffentlichkeitswirksame Kritik des BdSt-NRW, der wegen der üppigen Pensionen mit eine Volksinitiative drohte. Die NRW-Regierung tut sich – so deuten es Presseberichte an – offensichtlich mit der Veröffentlichung schwer. Sie scheut ebenso offensichtlich gesetzliche Konsequenzen bei der Minister-Ausstattung. Die Regierungsmitglieder im Bund und in den Ländern müssen entsprechend ihres Verantwortungsbereichs, des Aufgabenumfangs und auch der Arbeitsbelastung angemessen bezahlt werden. Es sind Amtsträger, die dafür bezahlt werden, dass sie Entscheidungen im Sinne des Gemeinwohls treffen. Dafür brauchen Sie materielle Unabhängigkeit, die zeitlich sicherlich auch über die direkte Amtszeit hinausreichen muss. Die Allgemeinheit hat ein Interesse daran, dass die führenden Politiker nicht zum Büttel besser zahlender Interessen werden. Ziel einer Neugestaltung der finanziellen Ausstattung der Regierungsmitglieder muss es sein, die finanziellen Ansprüche auf den Zeitraum der aktiven Tätigkeit zu fokussieren, und weniger die Passiveinkünfte, also die Ruhephase danach zu honorieren. Es sind in der Vergangenheit wegen der öffentlichen Kritik an den hohen Pensionen Korrekturen an einzelnen Regelungen in den Ministergesetzen vorgenommen worden. Das war eine Politik der kleinen Schritte im bestehenden System und verkomplizierte die Gesetze teilweise weiter. Dringender denn je aber ist ein „großer Wurf“ bei der Ministerbezahlung. Er sollte in Form einer Systemumstellung gewagt werden. Sie könnte wie folgt aussehen: Anstelle der staatlichen Pension erhalten Regierungsmitglieder einen Zuschlag zum Amtsgehalt, der zwingend zum Aufbau bzw. der Weiterführung einer Alters- und Hinterbliebenenversorgung zu verwenden ist. Das Regierungsmitglied sollte seine Versorgung in eigener Verantwortung regeln, sei es als Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung, in berufsständischen Versorgungswerken oder über eine private kapitalgedeckte Versicherung. In Frage käme auch eine Mitgliedschaft in schon bestehenden Versorgungswerken für Politiker (beispielsweise in Nordrhein-Westfalen). Eine repräsentative Umfrage in Nordrhein-Westfalen – vom Bund der Steuerzahler in Auftrag gegeben – belegt, dass 68 Prozent der Bevölkerung eine Eigenvorsorge der Minister anstelle der staatlichen Pension wünscht.
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Aus Gründen der Transparenz und der Vereinfachung sollten des Weiteren die vielfältigen Gehaltsbestandteile zusammengefasst werden zu möglichst einem Gesamtbetrag, der sich aus dem Gesetz ergibt. Alle Zulagen und Nebenleistungen, die aus der Koppelung an das Beamtenrecht resultieren, würden entfallen. Das beträfe etwa die steuerfreie Dienstaufwandsentschädigung genauso wie die Beihilfe in Krankheitsfällen. Auch für steuerpflichtige Abgeordnetendiäten gäbe es neben dem Regierungsamt keine Berechtigung mehr. Sie würden auf null gekürzt und könnten nach Ausscheiden aus der Regierung wieder aufleben. Sie sind aber mit einem nachfolgenden Übergangsgeld zu verrechnen. Das Übergangsgeld selbst sollte auf ein Jahr begrenzt und ab dem 4. Monat in Höhe des hälftigen Amtsgehaltes (ohne Versorgungszuschlag) gezahlt werden. II. Kommunale Wahlbeamte Zu den kommunalen Wahlbeamten zählen die Landräte, Bürgermeister sowie Beigeordnete und Kreisräte. Bürgermeister und Landräte (Hauptverwaltungsbeamte) werden mittlerweile in der Regel vom Volk gewählt. Die Dezernenten (Beigeordnete, berufsmäßige Stadträte) werden immer von dem Gemeinderat oder Kreistag gewählt. Der finanzielle Status der kommunalen Wahlbeamten ist überwiegend in Verordnungen (was die besoldungsmäßige Seite betrifft) und in den Beamtengesetzen bzw. im Kommunalverfassungsrecht niedergelegt (was insbesondere den Ruhestand, aber auch weitere Leistungen betrifft). 1. Besoldung Die kommunalen Wahlbeamten sind in die beamtenrechtlichen Besoldungsstufen eingepasst. Über sog. Kommunalbesoldungsverordnungen setzen die Landesregierungen damit das Gehaltsniveau der Bürgermeister und Landräte fest. Die Einstufung in eine Besoldungsstufe ist abhängig von der Einwohnerzahl der Gemeinde bzw. des Landkreises. Die niedrigste Einstufung findet man in Kleinstgemeinden in BadenWürttemberg bis 1.000 Einwohner. Ihr Bürgermeister ist dort in die Besoldungsgruppe A12/A13 eingestuft. Wer einer Gemeinde bis 2.000 Einwohner vorsteht, erhält in Sachsen A13, in Hessen bereits A15. Die Differenz beträgt zwei Besoldungsstufen. Bis 10.000 Einwohner zahlen die Bundesländer ihren Bürgermeistern überwiegend A15, teilweise aber auch A16 bis B2 (nach Wiederwahl). In 10.000er Einwohnersprüngen steigt die Besoldung der Bürgermeister dazu um je eine Stufe an. In Kleinstädten bis 40.000 Einwohner wird häufig die Besoldungsgruppe B4 erreicht. Danach werden die Einwohnersprünge größer, bis in Großstädten die Oberbürgermeister mit Einstufungen in B9 bis B11 in die besoldungsmäßigen Spitzenpositionen vorstoßen. Aus aktuellem Anlass möchte ich näher auf Niedersachsen eingehen: Hier strebt die Landesregierung – auf langjähriges Drängen der kommunalen Spitzenverbände – eine Besoldungshöherstufung an. Alle Bürgermeister sollen in die B-Besoldung ein-
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gestuft werden. Die bisherige Einstufung nach A15 und A16 für Gemeinden bis 10.000 bzw. 15.000 Einwohner entfällt. Damit entfällt auch die A-Besoldung mit ihren aufsteigenden Gehältern nach Dienstalter und damit Berufserfahrung im Amt. Niedersachsen ist das einzige Bundesland, das künftig die Bürgermeister auch kleinerer Gemeinden in die B-Besoldung einstuft. Die neue niedersächsische Kommunalbesoldung sieht ab 1. Januar 2014 für Bürgermeister dann abhängig von der Gemeindegröße monatliche Grundgehälter zwischen 5.641 Euro (B1) und 10.044 Euro (B9 + Zuschlag) vor. Zurzeit bewegen sich die Bürgermeistergrundgehälter in der Bandbreite zwischen 4.500 und 9.600 Euro. Bei den niedersächsischen Landräten sind künftig die Besoldungsstufen B5 bis B9 vorgesehen, wobei der Regierungspräsident (wie auch der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover) jeweils zu B9 eine Zulage erhalten. Bei den Landräten gilt künftig eine monatliche Gehaltsspanne von 7.800 Euro (bisher 7.350 Euro) bis 10.040 Euro (bisher 9.600 Euro). Die allgemeinen Stellvertreter der Hauptverwaltungsbeamten sind in der Regel zwei, die weiteren Dezernenten in der Regel drei Besoldungsstufen niedriger als die Bürgermeister bzw. Landräte eingestuft. Als Beamte auf Zeit erhalten die Betroffenen neben dem Grundgehalt die üblichen beamtenrechtlichen Nebenleistungen. Hierzu zählen vor allem die Beihilfe im Krankheits- und Pflegefall, Familienzuschläge usw. Die steuerfreie Dienstaufwandsentschädigung beträgt in Niedersachsen je nach Gemeindegröße zwischen 120 und 340 Euro im Monat (für Bürgermeister). Für sie gilt schon die zuvor bei den Ministern genannte Kritik: Relikt aus vergangenen Zeiten! Die besoldungsmäßige Einstufung wird im öffentlichen Dienst in der Regel an die beruflichen und fachlichen Voraussetzungen geknüpft, die für die Ausübung der Tätigkeit in dem jeweiligen Amt erforderlich sind. Bei den Hauptverwaltungsbeamten, also Bürgermeistern und Landräten, die direkt gewählt werden, ist dies nicht der Fall. 2. Ruhestandsregelungen Kommunale Wahlbeamte treten in der Regel mit Ablauf der Amtszeit in den Ruhestand. Das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze ist häufig nicht vorgesehen. Damit unterscheiden sich die kommunalen Wahlbeamten erheblich von den Laufbahnbeamten, die erst i. d. R. nach Erreichen der Altersgrenze (künftig 67. Lebensjahr) Ruhegehalt beziehen können. Ein weiterer Vorteil der kommunalen Wahlbeamten ist die besondere Ruhegehaltsskala. Für Beamtinnen und Beamte auf Zeit, die eine ruhegehaltsfähige Dienstzeit von zehn Jahren zurückgelegt haben, kann das Ruhegehalt nach einer Amtszeit von acht Jahren im Beamtenverhältnis auf Zeit 33,48345 % der ruhgehaltsfähigen Dienstbezüge betragen. Es steigt mit jedem vollen Amtsjahr um 1,91333 % der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge. Es zeigt sich, dass nach der besonderen Ruhegehaltsskala für Beamte auf Zeit z. B. für zehn Amtsjahre ein Ruhegehaltssatz von 37,31 Prozent erreicht wird. Nach dem allgemeinen Versorgungsrecht für Beamte ergibt sich nach zehn Jahren ein Ruhegehaltssatz von knapp 18 %.
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Nach der besonderen Skala erhalten also Wahlbeamte nach 28 Jahren bereits den Höchstsatz der Versorgung, während Lebenszeitbeamte erst auf einen Satz von 50 % kämen. Die Höchstversorgung wird bei Lebenszeitbeamten erst mit 40 Jahren erreicht. Ein Ruhegehalt wird grundsätzlich nur gewährt, wenn der kommunale Wahlbeamte eine Dienstzeit von mindestens fünf Jahren abgeleistet hat. Dienstunfähigkeit bleibt hier außer Betracht. Das bedeutet, dass gerade Bürgermeister und Landräte nach nur relativ kurzen Dienstzeiten Anspruch auf ein lebenslanges Ruhegehalt erwerben, das in einigen Bundesländern sogar ohne besondere Altersgrenze gezahlt wird. In Bezug auf den Eintritt in den Ruhestand stehen sich niedersächsische und hessische Bürgermeister bzw. Landräte am günstigsten. Sie können schon nach Ablauf nur einer einzigen Amtsperiode, also nach acht bzw. sechs Jahren, in den Ruhestand treten. Ein Ruhegehalt von mindestens 35 % der Amtsbezüge erhalten sie danach zeitlich unbegrenzt und unabhängig vom Lebensalter. Ein bayerischer Bürgermeister oder Landrat muss beispielsweise eine Amtszeit von mindestens zehn Jahren zurückgelegt haben, um nach dem Ausscheiden aus dem Amt ruhegehaltsberechtigt zu sein. In der Praxis bedeutet dies, dass der bayerische Hauptverwaltungsbeamte mindestens eine Wiederwahl erfolgreich bestehen muss. Auch in Nordrhein-Westfalen wird in versorgungsrechtlicher Hinsicht mindestens eine zweite Amtszeit verlangt, sofern für den Bürgermeister nicht weitere allgemeine Beamtenjahre zum Tragen kommen. Baden-Württemberg, Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern verlangen ihren Bürgermeistern zwar nur eine Amtszeit ab, verknüpfen in diesem Fall den Anspruch auf das lebenslange Ruhegehalt aber mit der Altersgrenze von 60 bzw. 62 Jahren. Die derzeitige Versorgung der Bürgermeister stellt einen immensen wirtschaftlichen Wert dar. Normale Arbeitnehmer sorgen sich, wenn man den Umfragen Glauben schenkt, zunehmend auch nach einem langen Arbeitsleben um ihre finanzielle Absicherung im Alter. Kommunale Wahlbeamte dagegen kommen in den Genuss von frühzeitigen und üppigen Pensionen schon nach kurzen Amtsjahren. 3. Anrechnungsregelungen Reformbedürftig sind zudem die Anrechnungsregelungen beim Zusammentreffen von Erwerbseinkünften und Ruhegehalt als kommunaler Wahlbeamter. Zwei Beispiele aus Niedersachsen mögen die Zusammenhänge verdeutlichen. Der niedersächsische Bürgermeister Meier wird nach A15 besoldet (Gemeinde bis 10.000 Einwohner). Nach 18 Dienstjahren als kommunaler Verwaltungsbeamter war er danach 16 Jahre Bürgermeister. Er scheidet mit 55 Jahren mit Ablauf der Wahlzeit aus. Der maßgebliche Ruhegehaltssatz beträgt 60,98 %. Es ergibt sich ein Ruhegehalt von 3.402 Euro monatlich, das der 55jährige erwarten kann. Wird der Bürgermeister als hauptamtlicher Geschäftsführer einer kommunalen Kurbetriebs-GmbH mit Bruttobezügen von 5.000 Euro monatlich tätig, so ergibt
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das Verrechnungsverfahren, dass das Ruhegehalt lediglich um 1.380 Euro zu kürzen ist. Mit dem neuen Erwerbseinkommen und dem Ruhegehalt kommt er auf monatliche Bezüge von 7.022 Euro. Dabei liegt sein neues Erwerbseinkommen nur rund 640 Euro unter seinen früheren Amtsbezügen. Es ist nicht vertretbar, dass ehemalige „Beamte auf Zeit“ im erwerbsfähigen Alter ihren Lebensunterhalt mit beträchtlichen Erwerbseinkommen und zusätzlich mit steuerfinanzierter Pension bestreiten. Fazit: Wie bei Regierungsmitgliedern besteht Handlungsbedarf bei den Ruhestandsregelungen, nicht vorrangig bei den Aktivbezügen. In Bundesländern, in denen schon nach einer Amtszeit altersunabhängig Ruhegehalt unmittelbar nach Ausscheiden aus dem Amt bezogen werden kann – und das lebenslang, ist der gesetzgeberische Reformbedarf am höchsten. Hierzu zählen Niedersachsen und Hessen.
Richtlinien für die Bezahlung von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften und Sparkassendirektoren Andreas Föller Sehr geehrte Damen und Herren, gestatten Sie mir zwei Dinge. Zum einen, dass ich in dieser Rede keine Einzelfallanalyse vornehmen werde, inwieweit die Gehälter der Haspa und der Sparkasse Landau-Isar angemessen sind. Denn ich glaube, diese Einzelüberlegungen sind in einem viel größeren Kontext eingebettet. Und ich werde versuchen, einige grundsätzliche Überlegungen zum Thema Gehältergerechtigkeit mit Ihnen zu teilen. Und zum Zweiten gestatten Sie mir bitte, eine grundsätzliche Überlegung an den Anfang meines Beitrages zu stellen. Es gibt viel mehr gute Ideen als erfolgreiche Unternehmen. Und Unternehmen meine ich hier im Sinne von Unternehmung, also wahr gewordene Vorhaben. Sozialismus ist eine wunderbare Idee und zweifelsohne hatte Marx mit seinen Analysen des Kapitalismus an vielen Stellen auffallend Recht. Und wenn wir ganz ehrlich sind und die heutige Entwicklung beobachten, dann liefert gerade diese den Beleg dafür, dass Marx in seiner Analyse richtig lag. Als gelernter Mediziner weiß ich aber, dass eine richtige Diagnose noch keinesfalls die Garantie für die richtige Therapie ist. Und da müssen wir leider Gottes anerkennen, dass der Sozialismus in der Praxis sein Scheitern erwiesen hat. Gleichzeitig mag es viele weitere gute Ideen geben, wie eine Gesellschaft ihr Wirtschaftssystem gestalten kann. Hier sind wir wahrscheinlich alle gespannter und freudiger Erwartung. Haben aber noch keinen überzeugenden Vorschlag präsentiert bekommen. Insofern wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, mit dem System zu leben, das schon beeindruckend lange seine weltweite Leistungsfähigkeit bewiesen hat. Und das ist die Marktwirtschaft. Gleichzeitig möchte ich aber auch hier den Finger heben. Selbstverständlich hat eine Gesellschaft das Recht, ihre Wirtschaftsform auszusuchen, nicht die Wirtschaftsform das Recht die Gesellschaft nach sich auszurichten. Dies ins Lehrbuch der ganz forschen Wirtschafts- und Ordoliberalen. Es mag viele Gründe geben, die dazu beitragen, dass die Marktwirtschaft sich als leistungsfähigste Wirtschaftsform erwiesen hat. Mich überzeugt vor allem die Überlegung, dass die Marktwirtschaft einen zutiefst menschlichen Trieb aufgreift, anerkennt und quasi in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellt. Jeder Mensch, wie übrigens Tiere auch, möchte sich differenzieren vom Artgenossen. Er sucht nach Anerkennung. Und solange diese Anerkennung für eigene Leistung gesucht wird, ist dies ja nun alles andere als verwerflich. Und diese Anerkennung kann natürlich nicht nur in materiellen Dingen bestehen, sondern kann auch Lob, Zuneigung, soziale Anerkennung, menschliche Wärme und vieles weitere bedeuten. Vielleicht sogar
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vieles weitere, was sehr viel wertvoller ist als Geld, zumindest langfristig. Aber, auch Geld dient zur Differenzierung, ein Blick auf unsere Straßen beweist dies. Und wir sollten hier auch nicht zu selbstgefällig sein. Eine Gesellschaft, die schon vieles hat, kann natürlich den Wert von materiellen Gütern infrage stellen. Wer heute noch hungert und in einem Slum lebt, für den sind Themen wie Individualisierung, Selbstverwirklichung, Worklife-Balance und anderes von geringerer Relevanz. Gleichzeitig sollten wir nicht vergessen, dass wir uns mit sehr gutem Recht für eine soziale Marktwirtschaft entschieden haben. Und sollten, wie ich soeben formuliert habe, auch nicht vergessen, dass die Gesellschaft das Primat über die Wirtschaftsform hat, nicht umgekehrt. Dies erscheint mir ein zentraler Gedanke, auf den ich später noch einmal eingehe. Unregulierte libertinistische Marktsysteme scheinen einer zwangsläufigen Entwicklung zu gehorchen: The winner takes it all. Ein wunderschönes Beispiel liefert die erzkapitalistische Formel 1. Vor 15 – 20 Jahren haben alle Fahrer Geld verdient. Die Top-Fahrer die die Chance hatten Weltmeister zu werden, vielleicht 2 Millionen $ im Jahr und der Fahrer Nummer 20 vielleicht 200.000 bis 400.000 $ im Jahr. Heute verdienen vier oder fünf Fahrer im Feld zweistellige Millionenbeträge, und alle anderen müssen Geld mitbringen, um überhaupt zu fahren. Und nicht nur für eine soziale Marktwirtschaft ist es in meinen Augen ein Muss, das jeder, der gesund ist, und der im Rahmen seiner Möglichkeiten das Bestmögliche leistet, von diesem Einkommen leben kann. Wenn Sie hierin ein Statement für den Mindestlohn sehen wollen, so ist das die richtige Interpretation. Leistung muss sich also lohnen. Aber da beginnt schon die Frage. Wenn ein Bürger meiner Heimatgemeinde, dessen Großvater einen bäuerlichen Grund erworben hatte, durch eine Baulandausweisung von einem Tag auf den anderen zum mehr als 20fachen Millionär wird, ist das Leistung? Wenn ein amerikanischer Hedgefonds-Manager einfach gegen den Trend auf steigende Gaspreise wettet und dann Recht hat, rechtfertigt dies, dass er zwei Milliarden verdient? Wobei es mich ehrlicherweise schon bei dem Wort „verdienen“ in diesem Zusammenhang schüttelt. Und noch mehr schüttelt es mich, wenn ich mir überlege, dass der gleiche Manager, wenn er falsch gewettet hat, zu seinen Investoren geht und ihnen sagt, dass das Geld weg ist. Umgekehrt, wenn er richtig gewettet hat, ist aufgrund seiner überragenden „Leistung“ 20 % des Geldes ihm. Es kommt nun aber zu der Frage im Titel meiner Rede. Ich denke, soweit werden wir rasch Einigkeit erzielen, nicht nur in diesem Plenum. Des Pudels Kern scheint aber doch die Frage zu sein, wenn ein angestellter Manager mehr als 10 Millionen E im Jahr verdient, ist das gerecht? Zunächst muss konstatiert werden, dass in den letzten Jahren die Managementgehälter deutlich angestiegen sind. Dieser Anstieg alleine ist aber noch kein Beleg dafür, dass diese Entwicklung ungerecht ist. Denn es könnte ja auch theoretisch der Ausgleich einer vorherigen Ungerechtigkeit sein. Ein anderer Aspekt, der mir sehr wesentlich erschient, ist der der Leistungsbeurteilung. Woran kann tatsächlich diese Leistung eines Vorstandes
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gemessen werden? Hier gibt es gängige Unternehmenskenngrößen wie EBIT und Umsatz oder Aktienkurs. Gestatten Sie mir hier auch einen Exkurs. Unsere Fokussierung auf die Besetzung und Bewertung von Vorstandspositionen bringt uns in engen Kontakt mit Aufsichtsräten. Diese berichten immer wieder von Diskussionen mit ihren Vorständen, die wie folgt laufen: Lieber Aufsichtsratsvorsitzender, wir haben am Jahresanfang drei Ziele vereinbart, keines dieser Ziele habe ich erreicht. Ich bin aber der Meinung, dass ich dennoch mehr als 100 % Bonus verdient habe, weil die Ziele deshalb einfach nicht zu erreichen waren, weil unglückselige äußere Umstände dies bewirkt haben. Sie glauben nicht, wie fast präzise vorhersehbar diese Argumentation immer wieder kommt, sobald die Ziele nicht erreicht werden. Wie extrem fragwürdig und in meinen Augen intellektuell verwerflich diese Argumentation ist, sieht man schon daran, dass die gleichen Vorstände nie zu ihrem Aufsichtsratsvorsitzenden rennen, wenn sie über 100 % liegen. Und dann sagen: Lieber Aufsichtsratsvorsitzender, bitte gib mir nur 90 % Bonus, denn die Übererfüllung der Ziele liegt daran, dass sehr günstige äußere Umstände zusammengekommen sind. Übrigens werden insofern mit höchster Wahrscheinlichkeit die vor uns liegenden Jahre ein Lackmus-Test für die Güte unserer Entlohnungssysteme. Es spricht vieles dafür, dass die Unternehmensgewinne, zumindest auf prozentualer Ebene, einen Gipfelpunkt erreicht haben. Insofern müssten zwangsläufig in den nächsten Jahren die Vorstandsgehälter sinken. Kommen wir also zurück, EBIT, Umsatz und Aktienkurs können nicht die richtigen Faktoren sein, um die Güte eines Managers zu bewerten. In meinen Augen alles Instrumente, die beeinflussbar sind, viel zu kurz greifen, und über das langfristige Potenzial ganz wenig verraten. Viel interessanter wäre da schon der Ansatz, den Anteil innovative Produkte am Gesamtumsatz beziehungsweise dessen Entwicklung zu vergleichen. Oder noch viel wichtiger die Mitarbeiterzufriedenheit respektive die Qualifikation und das Commitment der Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum zu vergleichen. Selbst das wird heute selten getan. Oder inwieweit eine Führungskraft dazu beiträgt, ein Unternehmen im besten Sinne gesund zu entwickeln. Gerade dieser Aspekt liegt uns in unserem Unternehmen sehr am Herzen. Wir sind überzeugt davon, dass das, was für ein Individuum durch die WHO an Gesundheit definiert worden ist, nämlich das Fehlen physischer, psychischer und sozialer Beeinträchtigungen, auch für Unternehmen gilt. Auch das könnte gemessen werden, wird aber nicht gemessen. Generell erscheinen uns fast alle Aspekte, mit denen die Leistung von Managern gemessen wird, viel zu kurzfristig. Große Unternehmensleistungen zeigen sich häufig erst fünf bis zehn Jahre hinterher. Wir reden von Nachhaltigkeit, aber wir vernachlässigen den Aspekt in der praktischen Anwendung. Und zwangsläufig würde sich damit auch ergeben, dass hohe Gehälter zu einem wesentlichen Anteil an die Leistung gekoppelt sind (das sind sie heute schon), aber dann eben auch mit hoher zeitlicher Verzögerung ausgezahlt würden. Ein weiterer Aspekt erscheint uns bei dieser Beurteilung sehr wichtig. Es gibt den Vorwurf, dass sich letztendlich eine kleine Anzahl von 50 oder 100 Leuten, die sich in
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wechselnder Zusammensetzung in den verschiedenen Aufsichtsräten und Vorständen begegnen, gegenseitig die Gehälter genehmigen und somit ein großes Interesse haben, sich quasi hochzuschaukeln. An diesem Vorwurf missfällt uns, dass ja die Aufsichtsräte von den Aktionären gewählt werden. Aber, wer hier skeptischer ist, der müsste sich auch wohler fühlen, wenn man sich auf objektive Kriterien einigt, um die Leistung von Vorständen zu messen. Bitte gestatten Sie mir hier noch eine weitere persönliche Anmerkung. Wir leisten uns heute tatsächlich den Luxus, Vorstände anhand falscher Kriterien zu beurteilen. Mir kommt das manchmal so vor, als ob man die Qualität eines Autos an der Dicke des Lacks bemisst. Systemisches Denken, Visionen zu entwickeln, ein Klima zu schaffen, in dem Innovationen gedeihen, durchschnittlich engagierte Leute zu begeisterten Mitarbeitern zu machen, darauf wird viel zu wenig geachtet. Dahinter steckt auch die Vernachlässigung der Erkenntnis, dass ein Unternehmen Teil einer Gesellschaft ist. Und zwar im wechselseitigen Sinne. Letztendlich bestimmen das Klima und die Führungskultur in den Unternehmen ganz wesentlich das Klima der gesamten Gesellschaft und die Führungskultur dieser Gesellschaft. Und umgekehrt können Unternehmen auch nur in berechenbaren und gerechten Systemen gedeihen. Somit erscheint mir ganz wichtig, dass wir einen Prozess etablieren, anhand derer wir Leistung von Managern objektiv messen. Gleichzeitig möchte ich davor warnen, zu glauben, dass gleiche Leistung gleiche Gehälter nach sich zieht. Wir sehen dies überall, Handballer verdienen weniger als Fußballer, Produktionsleute weniger als Vertriebsleute, Pharmaleute weniger als Bergbauingenieure… Ein anderer Aspekt der Beurteilung der Gerechtigkeit ist die Frage, ob die Gesellschaft überhaupt das Recht hat, die Höhe von Vorstandsgehältern zu diskutieren. Möchten Sie, lieber Zuhörer, dass Sie von der Gesellschaft gefragt werden, wie viel Haushaltsgeld Sie Ihrer Familie zur Verfügung stellen oder wie viel Taschengeld Sie Ihren Kindern geben? Muss sich der Eigentümer (vulgo der Aktionär) fragen lassen, wie viel Geld er für seinen Vorstand für angemessen hält? Zweifelsohne, auch dieses Argument hat etwas für sich. Dennoch glaube ich, dass diese Überlegung zu kurz greift. Gerade die Leute, die wie ich Marktwirtschaft für das richtige System halten, müssen auch alles dafür tun, dass dieses System als fair empfunden wird – und am ehesten wird es als fair empfunden, wenn es als chancengerecht gelebt wird. Bezüglich des fairen Empfindens denke ich immer an die Mensch-ärgere-Dichnicht-Spiele mit meinen Kindern. Wenn man mit väterlich überlegener Strategie (meistens mit besserem Würfelglück) permanent die Figur seiner Kinder rauswirft, und dann noch gute Ratschläge hinterher den Kindern gibt, wie sie beim nächsten Zug das Rauswerfen mit besserer Strategie vermeiden können, war die Reaktion bei meinen Kindern vorhersehbar. Früher oder später sind sie vor Zorn weinend aufgestanden und davon gegangen. Da freut man sich als Sieger dann auch nicht mehr. Ein Wirtschaftssystem, bei dem die vermeintlichen oder tatsächlichen Verlierer das Gefühl haben, nicht mehr zum Sieger werden zu können, wird seine Akzeptanz verlieren. Und an dieser Stelle möchte ich in Richtung vieler Vergütungsexperten und
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Wirtschaftsjuristen erneut den mahnenden Finger heben. In der nun nicht unbedingt als sozialistisch verschrienen Schweiz hat sich die Minder-Initiative mit überwältigender Mehrheit durchgesetzt. Dies zeigt natürlich zum einen, dass es ein weit verbreitetes Unwohlsein in der Bevölkerung über vermeintlich oder tatsächlich ungerechte Managementgehälter gibt. Der warnende Finger betrifft aber eine ganz andere Beobachtung: Wie oft konnte ich sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland hören, dass diese Minder-Initiative doch überhaupt gar kein Problem sei, denn sie sei ja sehr laienhaft formuliert und juristisch leicht auszuhebeln. Wer so auf dieses Thema reagiert, der tut alles dafür, dass eine sehr strikte Gehälterregelung kommen wird. Denn dahinter steckt ja eine Botschaft. Und entweder akzeptiere ich diese Botschaft, und ich setze mich argumentativ mit den dahinter liegenden Argumenten und Wahrnehmungen auseinander. Das heißt, wir sind dringend gefordert, gerade die Anhänger freier Gehaltssysteme, die Diskussion mit der Öffentlichkeit zu suchen. Das plumpe Herumhacken auf dem Neidreflex ist die falsche Antwort. Und dass das Thema sehr akut ist, sieht man ja auch an der 1:12-Initiative in der Schweiz. Mittlerweile haben die meisten Manager mitbekommen, dass es hier um das Zwölffache des geringsten Lohnes innerhalb des Unternehmens geht. Und diese Initiative scheint gegenwärtig in der Schweiz bei etwa 40 % Zustimmung zu liegen. Ein anderer Aspekt ist, warum verdient ein Sparkassendirektor bestenfalls 400.000 E im Jahr. Ein Bankvorstand kann zweistellige Millionenbeträge verdienen, auch in Deutschland sahen wir solche Gehälter vor gar nicht allzu langer Zeit. Ist das gerecht? Zunächst einmal kann man sich bei dieser Frage tatsächlich die Mühe machen, zu vergleichen. Und man wird feststellen, ein Sparkassenvorstand, bei allem Respekt vor dieser anspruchsvollen Aufgabe, hat weniger öffentlichen Druck, hat insgesamt eine sehr viel kleinere Organisation, die er verantworten muss, hat geringere Haftungsrisiken, muss in der Regel seiner Familie erheblich weniger berufsbedingte Nachteile aufbürden wie häufige Umzüge, Sicherheitsmaßnahmen, etc. Ob man hier dann ein Scoring-Modell entwickelt und feststellt, dass ein Bankvorstand eben nur das 3,7- oder 4,9-fache eines Sparkassenvorstandes verdienen dürfte, ist schwierig. Und auch Sparkassenvorstände verdienen ja auch nicht das Gleiche. Auch hier gibt es Unterschiede, die wahrscheinlich nicht immer objektiv gerechtfertigt sind. Herr Steinbrück hat die Frage aufgeworfen, ob es gerecht sei, dass die Bundeskanzlerin weniger als ein Sparkassenvorstand verdiene. Gerade diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten, zeigt aber in unseren Augen zwei ganz wesentliche Dinge. Preise sind tatsächlich Marktpreise und diese Marktpreise sind nicht immer gerecht. Ein anderer Aspekt wird aber häufig übersehen. Wahrscheinlich gibt es nicht wenige Menschen, die das Gefühl haben, dass ein deutscher Bundeskanzler eher unterbezahlt ist. Und nichtsdestotrotz gibt es, auch wie wir bis vor kurzem in unserem Lande sehen konnten, immer wieder Wettbewerb, weil es immer mehr Kandidaten als offene Positionen, sei es für den Bundeskanzler oder sei es für Ministerpräsiden-
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Andreas Föller
ten, gibt. Und dies trotz einer sehr geringen Bezahlung. Insofern glauben wir auch nicht, dass der Untergang des Abendlandes bevorstünde, wenn man Gehälter deckelt. Im Gegenteil, gerade weil wir viele Vorstände sehr persönlich kennen lernen durften, bin ich mir sogar sicher: Keiner der aktuellen Vorstände hat seine Karriere begonnen, nur weil er möglichst viel Geld verdienen wollte. Im Gegenteil, derjenige der seine Karriere beginnt mit dem Ziel möglichst viel Geld in kurzer Zeit zu raffen, der wird niemals Vorstand werden. Er ist monothematisch, nicht authentisch, nicht empathisch, so wird er nie Vorstandsvorsitzender werden. Umgekehrt müssen wir aber auch ehrlich sein, dass wir alle mehr nehmen, wenn es uns angeboten wird. Kein Hartz-IV-Empfänger wird freiwillig auf eine Hartz-IVErhöhung verzichten, kein Mittelmanager auf eine angebotene Gehaltserhöhung, und kein Vorstand verzichtet freiwillig auf ein Paket. Hier darf man auch die internen Wettbewerbsmechanismen nicht außer Acht lassen. Häufig kommen gerade aus dem unmittelbaren persönlichen Umfeld von Vorständen die „Attacken“. Warum verdient Dein Kollege in der gleichen Branche das Doppelte von Dir? Warum verdient der Finanzvorstand in Deinem Laden 50 % mehr als Du? Das sind Fragen, die manch ein Vorstand von seinem Ehepartner oder von seinen besten Freunden hört. Die Ergebnisgerechtigkeit ist also auch bei Gehältern sehr schwierig herzustellen. Chancengerechtigkeit soll man dagegen nie aus den Augen verlieren. Insofern ist in unseren Augen das Thema Gehälter sehr wohl ein Thema der politischen Diskussion, denn es trägt zur Akzeptanz des Systems bei. Aber viel wichtiger ist es, das Thema unter dem Aspekt der Chancengerechtigkeit zu betrachten. Haben denn auch andere die Chance, ein ähnliches Gehalt zu realisieren? Im Falle der Top-Manager ist das wohl so. Und zur Gerechtigkeit. Wenn sich Leistung lohnen muss, dann müssen wir uns aber auch über Leistung Gedanken machen. Ein Top-Manager, der eine der großen Entscheidungen nachweislich falsch getroffen hat, und sich dann später darauf beruft, andere hätten das genauso falsch gemacht und deswegen als Belohnung Vorsitzender des Aufsichtsrates werden möchte, trägt nicht zur Akzeptanz des Systems bei. Klassenbester ist ja auch nur derjenige geworden, der eben genau nicht die Fehler gemacht hat, die die anderen in der Klasse gemacht haben. Und das erwarte ich von einem hochbezahlten CEO schon, dass er mehr kann als die anderen. Denn Führung muss sich legitimieren. Für mich sind hohe Einkommen dann akzeptabel, wenn sie zum einen auf tatsächlicher Leistung beruhen. Zum anderen wenn faire Zugangsberechtigungen vorhanden sind, wenn also jeder, der leisten kann, auch die Chance hat, eine solche Aufgabe zu übernehmen. Und vor allem, wenn sich dieser Empfänger des hohen Einkommens auch seiner Verantwortung bewusst ist und sich an seinen Ergebnissen messen lässt. Und ich darf noch einmal daran erinnern, bitte wirklich die Ergebnisse als Stellgrößen zu verwenden, die tatsächlich etwas über die langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens aussagen. Und dann lade ich alle Empfänger dieser hohen Einkommen ein, alle Gewinner des Systems Marktwirtschaft, diese so zu gestalten, dass nicht das oben beschriebene Mensch-ärgere-Dich-nicht-Phänomen auftritt.
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Stellen Sie sich der Diskussion. Denken Sie daran, was die Amerikaner so schön sagen: Perception is reality. Die Gesellschaft muss das System als gerecht empfinden. Auch zu komplexe Gehaltsstrukturen erscheinen uns fragwürdig. In der Tat, und das wissen wir auch vom Steuersystem, wer sich bemüht ein hohes Maß an Gerechtigkeit herzustellen, kauft damit immer eine gewisse Komplexität ein. Nichtsdestotrotz hat man manchmal den Eindruck, dass die Komplexität bei Gehaltsfindungen auch dazu dient, Gehälter zu kaschieren. Hier muss man übrigens fairerweise sagen, dass dies zumindest prozentual (welcher Anteil des Gehaltes bildet sich quasi im Verborgenen) eher ein Problem der Politik als der Wirtschaft ist. Hier haben die Corporate Governance Regeln für erhebliche Transparenz gesorgt. Auch im historischen Vergleich muss dies berücksichtigt werden. Während früher großzügige Vorstandsvillen ein „verborgener Anteil des Gehaltes“ waren, sind solche Zuwendungen heute nicht mehr üblich. Und noch ein Gedanke zum Schluss. Wenn ich, wie oben beschrieben, davon ausgehe, dass hohe Einkommen dann gerechtfertigt sind, wenn jemand Außerordentliches leistet, dann sollte diese Leistung auch reproduzierbar sein. Denn sonst war sie ein einmaliger Glücksakt. Praktisch heißt dies für uns, dass leistungsunabhängige Komponenten in Gehaltspaketen eine geringe Rolle spielen sollten. Um Elemente wie Retention-Bonus, Treue-Bonus, Verschwiegenheits-Bonus, Sign on-Bonus problematisch zu finden, muss man kein Träger des Neid-Komplexes sein. Auch Unternehmen, die einen mehr als zweistelligen Prozentsatz ihres Gewinns nur für die Vorstandsvergütung ausgeben, erwecken zu Recht Argwohn. Erkennen wir aber bitte auch an, dass in deutschen Unternehmen in den letzten Jahren durchweg gute bis sehr gute Arbeit geleistet wurde. Und diese soll auch honoriert werden. Die Vorstände müssen aber auch immer klar machen, dass sie diese Leistung nicht wegen des überdurchschnittlich hohen Gehaltes gebracht haben, sondern in den meisten Fällen aus intrinsischer Motivation heraus. Und so möchte ich Kritiker wie Verteidiger hoher Vorstandsgehälter bitten, aus ihren Wagen- und Trutzburgen herauszukommen. Wer gute Argumente hat, kann sie auch öffentlich argumentieren. Und gerade die älteren unter uns wissen, in der Retrospektive entscheidet sich die Freude über das im Leben geleistete nicht an der Höhe des Bankkontos, sondern in der Anerkennung, die man genießt. Sollte also in Einzelfällen die Anerkennung unter einem zu hohen Gehalt leiden, so ist gerade der Bezieher dieses Einkommens nicht schlecht beraten, notwendige Kompromisse einzugehen. Auch wenn dies kurzfristig schmerzt. Wenn es denn schon absolute Gerechtigkeit nicht gibt, so ist auch das aufrichtige Ringen um diese Gerechtigkeit schon ein Verdienst. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf eine hoffentlich spannende Diskussion.
Verzeichnis der Autoren1 Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Dr. Andreas Föller, Geschäftsführer Comites search & certainty GmbH, München Sebastian Frankenberger, Bundesvorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) Prof. Dr. Hermann K. Heußner, Hochschule Osnabrück Dr. Christian Humborg, Geschäftsführer von Transparency International Deutschland e.V. Prof. Dr. Jörn Ipsen, Universität Osnabrück, Präsident des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs Prof. Dr. Dr. h.c. Heinrich Oberreuter, Universität Passau, Vorsitzender der Diätenkommission des Bayerischen Landtags Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Universität Kiel, Bundesminister a. D., Vorsitzender der Unabhängigen Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts des Deutschen Bundestags Prof. Dr. Joachim Wieland, Rektor der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Bernhard Zentgraf, Vizepräsident des Bundes der Steuerzahler Deutschland e.V., Vorsitzender des Bundes der Steuerzahler Niedersachsen und Bremen e.V.
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Stand Oktober 2013.