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German Pages 412 [413] Year 2006
CONSTANTIN DÜCHS
Die Behandlung von Leistungsstörungen im Europäischen Vertragsrecht
Untersuchungen zum Europäischen Privatrecht Band 19
Die Behandlung von Leistungsstörungen im Europäischen Vertragsrecht
Von Constantin Diichs
Duncker & Humblot • Berlin
Der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Disssertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1438-6739 ISBN 3-428-11975-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706© Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit hat der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Sommersemester 2005 als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im März 2005 abgeschlossen. Angeregt wurde die Arbeit von meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Peter Huber, der mir die Bearbeitung des Themas ermöglichte, sie mit großer Aufmerksamkeit verfolgte und jederzeit unkompliziert betreute; ihm gilt mein besonderer Dank. Für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens und das freundliche Interesse an meiner Arbeit möchte ich mich ebenfalls bei Herrn Prof. Dr. Jürgen Oechsler bedanken. Dank schulde ich ferner meinen Eltern, die mir Studium und Promotion ermöglichten. Ihnen widme ich diese Arbeit mit herzlichem Dank für ihre fortwährende Unterstützung. Darüber hinaus war mir mein Vater beim mühsamen Korrekturlesen der Arbeit eine große Hilfe. Nicht zuletzt danke ich meinen Freunden sowohl für ihre Unterstützung bei als auch für ihre Ablenkung von der Arbeit.
Mainz, im September 2005
Constantin Diichs
Inhaltsverzeichnis 1. Teil Einleitung
25
2. Teil Das Europäische Vertragsrecht im Überblick
27
1. Kapitel:
Einleitung zum Europäischen Vertragsrecht
2.
Historische Entwicklung und Zielsetzung der Vergleichsobjekte . 29
Kapitel:
27
1. Abschnitt: Das UN-Kaufrechtsübereinkommen von 1980 (CISG)
31
2. Abschnitt: Die Principles of European Contract Law (PECL)
34
3. Abschnitt: Die Unidroit Principles of International Commercial Contracts (UPICC)
37
4. Abschnitt: Der Vorentwurf für ein Europäisches Vertragsgesetzbuch (GandolfiCode)
40
5. Abschnitt: Perspektiven der europäischen Privatrechtsentwicklung
42
6. Abschnitt: Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch von 1900
43
3. Teil Grundlegendes zur Behandlung von Leistungsstörungen
48
1. Kapitel:
Der Begriff der „Leistungsstörung" als Vergleichskriterium
48
2. Kapitel:
Systematische Gliederung der Leistungsstörungen
51
1. Abschnitt: Gliederung nach der Art der Leistungsstörung (cause approach)
51
2. Abschnitt: Gliederung nach dem begehrten Rechtsbehelf (remedy approach) 3. Abschnitt: Stellungnahme 4. Abschnitt: Konsequenzen für den rechtsvergleichenden Teil
53 54 58
3.
60
Kapitel:
Der Haftungsmaßstab in den verschiedenen Regelwerken
1. Abschnitt: Das Prinzip der Garantiehaftung
60
2. Abschnitt: Das Prinzip der Verschuldenshaftung
62
3. Abschnitt: Zweigleisige Haftungssysteme
64
nsverzeichnis
10 4. Abschnitt: Stellungnahme
66
5. Abschnitt: Das Prinzip der Verursachungshaftung
69
4. Teil Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen 1. Kapitel:
Die nachträgliche Unmöglichkeit
73 73
1. Abschnitt: Die Behandlung der nachträglichen Unmöglichkeit im UN-Kaufrecht
73
A.
Breach of Contract (Vertragsverletzung)
74
B.
Das Gewicht der Vertragsverletzung
74
I.
Die Bedeutung des Gewichts der Vertragsverletzung
74
II.
Entstehungsgeschichte des Art. 25 CISG
77
1. Die wesentliche Vertragsverletzung im Haager Kaufrecht
77
2. Die wesentliche Vertragsverletzung in den Entwürfen zum CISG 3. Die wesentliche Vertragsverletzung im CISG III.
78 80
Das Gewicht der Vertragsverletzung bei nachträglicher Unmöglichkeit
83
1. Endgültige objektive Unmöglichkeit
83
2. Vorübergehende Unmöglichkeit
85
3. Unvermögen sowie wirtschaftliche und faktische Unmöglichkeit 85 IV. C.
Die Nachfristsetzung als Korrektiv zur Wesentlichkeitsbeurteilung...
87
Die Rechtsfolgen der nachträglichen Unmöglichkeit im CISG..
87
I.
Erfüllung
88
1. Der allgemeine Erfüllungsanspruch des Käufers
88
2. Beschränkungen des Erfüllungsanspruches
89
3. Der Erfüllungsanspruch des Käufers bei nachträglicher Unmöglichkeit II.
90
4. Stellungnahme
93
Auswirkungen auf die Gegenleistung
95
1. Der Erfüllungsanspruch des Verkäufers und seine Beschränkungen 2. Meinungsstand
95 97
3. Eigener Ansatz unter Berücksichtigung der Gefahrtragungsregeln a) Grundkonzepte zur Regelung der Preisgefahr
III.
98 98
b) Die Gefahrtragungsregeln der Art. 66 - 70 CISG
100
c) Eigener Lösungsansatz
102
Schadenersatz
107
1. Haftungsbegründung
108
nsverzeichnis 2. Zeitpunkt der Haftungsbegründung
108
3. Haftungsentlastung nach Art. 79 und 80 CISG a) Überblick
110 110
b) Force majeure- und Hardship-Klauseln
112
c) Der Befreiungstatbestand des Art. 79 CISG
113
aa) Entstehungsgeschichte des Art. 79 CISG
113
bb) Befreiungsvoraussetzungen (Art. 79 Abs. 1 CISG)
115
(1) Unbeherrschbarkeit des Hinderungsgrundes
115
(a) Die Sphärentheorie
116
(b) Exogene Leistungshindernisse
117
(c) Endogene Leistungshindernisse
119
(d) Haftung für Dritte (Art. 79 Abs. 2 CISG)
120
(2) Unvorhersehbarkeit des Hinderungsgrundes
121
(3) Unvermeidbarkeit des Hinderungsgrundes
122
cc) Vorübergehende Hindernisse (Art. 79 Abs. 3 CISG)....
122
dd) Benachrichtigungspflicht (Art. 79 Abs. 4 CISG)
123
d) Vom Gläubiger verursachte Nichterfüllung, Art. 80 CISG .
123
aa) Voraussetzungen der Befreiung nach Art. 80 CISG
124
bb) Rechtsfolgen des Art. 80 CISG
125
e) Die beiderseitige Verursachung der Nichterfüllung
127
aa) Die Surrogationstheorie ohne Berücksichtigung der Verursachungsbeiträge (Methode 1)
130
bb) Kürzung der Ansprüche auf Schadensersatz und Kaufpreiszahlung um die eigene Verursachungsquote (Methode 2)
130
cc) Kürzung wechselseitiger Ansprüche auf Schadensersatz um die jeweilige Verursachungsquote (Methode 3)
131
dd) Kürzung des Schadensersatzanspruchs um die Verursachungsquote des Käufers bei Fortbestand des ungekürzten Kaufpreiszahlungsanspruchs (Methode 4) ee) Rechnerische Überprüfung
132
der verschiedenen Lö-
sungsansätze
132
ff) Zusammenfassung zur beiderseitigen Verursachung der Nichterfüllung
138
4. Die Haftungsausfüllung (Art. 74 - 77 CISG) a) Voraussetzungen der Schadensersatzpflicht aa) Vertragsverletzung
139
bb) Schaden des Vertragspartners cc) Kausalzusammenhang
138 138
zwischen
und Schaden dd) Vorhersehbarkeit des Schadens
139 Vertragsverletzung 140 141
nsverzeichnis
12
b) Schadensberechnung
142
c) Die Haftungsausfüllung bei Unmöglichkeit des Lieferan5. IV.
spruchs
143
Stellungnahme
144
Das Recht zur Vertragsaufhebung
144
1. Die Aufhebungsbefugnis bei Unmöglichkeit des Lieferanspruchs
145
a) Die Vertragsaufhebung durch den Käufer nach Art. 49 CISG
145
aa) Wesentliche Vertragsverletzung
145
bb) Nachfristsetzung bei Nichtlieferung
146
b) Vorzeitige Vertragsaufhebung nach Art. 72 CISG c) Die
Aufhebung
eines
147
Sukzessivlieferungsvertrages,
Art. 73 CISG
147
d) Zusammenfassung zu den Aufhebungsvoraussetzungen
148
2. Die Wirkungen der Vertragsaufhebung (Art. 81 - 84 CISG)....
149
a) Erlöschen der Leistungspflichten und Rückgabe des Geleisteten (Art. 81 CISG)
149
b) Unmöglichkeit unveränderter Warenrückgabe (Art. 82 f. CISG)
150
c) Ausgleich von Vorteilen im Falle der Rückabwicklung (Art. 84 CISG)
152
aa) Verzinsungspflicht des Verkäufers (Abs. 1)
152
bb) Pflicht des Käufers zur Vorteilsausgleichung (Abs. 2 ) .
153
d) Zusammenfassung zur Rückabwicklung V. D.
154
3. Stellungnahme
155
Das Zurückhaltungsrecht nach Art. 71 CISG
156
Zusammenfassende Stellungnahme
2. Abschnitt: Die
Behandlung der
nachträglichen
157 Unmöglichkeit
in
European Principies
den 158
A.
Non-Performance (Nichterfüllung)
B.
Die Rechtsfolgen der nachträglichen Unmöglichkeit in den PECL
159
I.
159
Anspruch auf Erfüllung 1. Überblick
159
2. Beschränkungen des Erfüllungsanspruchs
160
3. Abgrenzungsprobleme
162
a) Vertragsaufhebung wegen eines Leistungshindernisses
162
b) Veränderte Umstände (Art. 6:111 PECL)
163
4. Zusammenfassung II.
158
165
5. Stellungnahme
166
Auswirkungen auf die Gegenleistung
166
1. Das Erlöschen des Gegenleistungsanspruchs
167
nsverzeichnis
III.
2. Die Neuverhandlung des Vertrages
168
3. Das Zurückbehaltungsrecht nach Art. 9:201 PECL
168
4. Stellungnahme
169
Das Recht zur Vertragsaufhebung
171
1. Die Voraussetzungen des Aufhebungsrechts
171
a) Wesentliche Nichterfüllung (Art. 8:103 PECL)
171
b) Nachfristsetzung bei Verzögerung der Erfüllung
173
c) Die Aufhebung eines durch Teilleistungen zu erfüllenden Vertrages
175
d) Antizipierte Nichterfüllung
177
e) Aufhebungserklärung binnen angemessener Frist
178
f)
Stellungnahme
179
2. Die Wirkungen der Vertragsaufhebung IV.
180
3. Stellungnahme
182
Schadensersatz
183
1. Nichterfüllung (non-performance)
183
a) Differenzierung nach Erfolgs-und Handlungspflichten
183
b) Stellungnahme
184
2. Haftungsentlastung
188
a) Der Entlastungstatbestand des Art. 8:108 PECL
188
b) Vom Gläubiger verursachte Nichterfüllung, Art. 8:101 (3) PECL
190
c) Die beiderseitige Verursachung der Nichterfüllung
191
3. Schaden
195
a) Schadensbegriff
195
b) Kausalität zwischen Nichterfüllung und Schaden
196
c) Vorhersehbarkeit des Schadens
196
4. Schadensberechnung V. C.
198
5. Stellungnahme
199
Zusammenfassung
200
Stellungnahme
3. Abschnitt: Die
Behandlung
202 der nachträglichen
Unmöglichkeit
in den
Unidroit Principles A.
B.
203
Non-Performance (Nichterfüllung)
203
I.
Differenzierung nach Erfolgs- und Einsatzpflichten
203
II.
Stellungnahme
205
Die Rechtsfolgen der nachträglichen Unmöglichkeit in den UPICC
206
I.
206
Anspruch auf Erfüllung 1. Veränderte Umstände (Art. 6.2.1 ff. UPICC)
206
2. Gerichtliches Zwangsgeld
208
3. Wechsel des Rechtsbehelfs
209
4. Stellungnahme
210
nsverzeichnis
14 II.
III.
Auswirkungen auf die Gegenleistung
210
1. Erlöschen des Gegenleistungsanspruchs oder Neuverhandlung
210
2. Stellungnahme
212
3. Zurückhalten der (Gegen)Leistung nach Art. 7.1.3 UPICC
214
4. Rechtsvergleichende Stellungnahme
215
Das Recht zur Vertragsaufhebung
216
1. Das Konzept der „wesentlichen" Nichterfüllung
216
a) Vorsatz oder Leichtfertigkeit als Indiz für die Wesentlichkeit
217
b) Kein Verlaß auf künftige Erfüllung (Aufhebung teilbarer Verträge)
IV. C.
219
c) Unverhältnismäßiger Verlust der nicht erfüllenden Partei..
220
d) Rechtsvergleichende Stellungnahme
221
2. Rückabwicklung
222
Schadensersatz
223
Zusammenfassende Stellungnahme
225
4. Abschnitt: Die Behandlung der nachträglichen Unmöglichkeit im GandolfiCode A.
227
Inexécution (Nichterfüllung)
227
I.
Inexécution und nachträgliche Unmöglichkeit
228
1. Objektive Unmöglichkeit (Art. 97 Abs. 2 Gandolfi-Code)
228
2. Übermäßige Belastung des Schuldners (Art. 97 Abs. 1, 157 Gandolfi-Code)
229
3. Faktische Unmöglichkeit
231
4. Erfüllungsverweigerung (Art. 90 Gandolfi-Code)
231
5. Angemessene Sicherheit für die Erfüllung (Art. 91 GandolfiCode)
II. B.
234
7. Nichterfüllung von Verpflichtungen zum Tun und Unterlassen
235
Stellungnahme
236
Die Rechtsfolgen der nachträglichen Unmöglichkeit im Gandolfi-Code.. I.
II.
233
6. Nichterfüllung von Spezies-und Gattungsschulden
239
Anspruch auf Erfüllung
240
1. Erfüllungsanspruch und inexécution
240
2. Gerichtliches Zwangsgeld
241
Auswirkungen auf die Gegenleistung
242
1. Die Regelung der Gegenleistungsgefahr
242
2. Gegenleistungsgefahr und nachträgliche Unmöglichkeit
243
a) Das Erlöschen des Gegenleistungsanspruchs aa) Herleitung über das Recht zur Vertragsauflösung
243 243
bb) Herleitung aus Art. 128 Abs. 3 lit (g) Gandolfi-Code...
244
cc) Herleitung aus Art. 46 Abs. 4 Gandolfi-Code
245
dd) Stellungnahme
245
nsverzeichnis b) Die Neuverhandlung des Vertrages
246
c) Die Einrede des nicht erfüllten Vertrages (Art.
108
Gandolfi-Code)
246
3. Stellungnahme III.
247
Das Recht auf Vertragsauflösung
247
1. Die Voraussetzungen des Auflösungsrechts
247
a) Wesentliche Nichterfüllung (Art. 107 Gandolfi-Code)
248
b) Rechtsvergleichende Stellungnahme IV.
V. C.
250
2. Die Wirkungen der Vertragsauflösung
253
Schadensersatz
254
1. Schadensberechnung
254
2. Rechtsvergleichende Stellungnahme
255
Zusammenfassung
258
Stellungnahme
258
5. Abschnitt: Die Behandlung der nachträglichen Unmöglichkeit im deutschen Recht A.
260
Die Pflichtverletzung
262
I.
Terminologie
262
II.
Inhaltliche Übereinstimmungen mit den anderen Regelwerken
263
III.
Inhaltliche Unterschiede zu den anderen Regelwerken
265
1. Anwendungsbereich des Pflichtverletzungstatbestandes
265
2. Die sprachliche Ausgestaltung des Einheitskonzepts
265
a) Ausgestaltung im BGB
265
b) Vergleich mit den PECL und den UPICC
266
c) Vergleich mit dem CISG und dem Gandolfi-Code
267
3. Die verschiedenen Typen der Pflichtverletzung
268
a) Pflichtverletzung untergliedert in Nicht- und Schlechterfüllung
269
b) Nichterfüllung untergliedert in Unmöglichkeit und Verzögerung der Leistung c) Schlechterfüllung Verletzung
269
unterteilt
in
leistungsbezogener
Schutzpflichtverletzung, Nebenpflichten
und
Schlechtleistung d) Differenzierung
270 nach
quantitativer
und
qualitativer
Schlechtleistung
273
f)
275
Sonstige Typen von Pflichtverletzungen
4. Zusammenfassung IV. B.
272
e) Schlechtleistung im Kauf-und Werkvertragsrecht
Stellungnahme
276 276
Die Rechtsfolgen der nachträglichen Unmöglichkeit im deutschen Recht
278
I.
Anspruch auf Leistung
278
1. Differenzierung nach Leistungshandlung und Leistungserfolg.
279
nsverzeichnis
16 2.
Stellungnahme
3. Der Ausschluß der Leistungspflicht nach § 275 BGB a) Die Unmöglichkeit der Leistung gemäß § 275 Abs. 1 BGB
283
(1) Zweckerreichung und Zweckfortfall
284
bb) Rechtliche Unmöglichkeit cc) Qualitative Unmöglichkeit
287 288 288
b) Die faktische Unmöglichkeit, § 275 Abs. 2 BGB
289
c) Die persönliche Unmöglichkeit, § 275 Abs. 3 BGB
290
d) Der mögliche Abschluß eines Deckungsgeschäfts
291
Die wirtschaftliche Unmöglichkeit, § 313 BGB
292
5. Abgrenzungsfragen a) Subjektive und faktische Unmöglichkeit
295 295
b) Subjektive und persönliche Unmöglichkeit
297
c) Faktische und wirtschaftliche Unmöglichkeit
298
d) Persönliche und sittliche Unmöglichkeit II.
282 283
aa) Physische (naturgesetzliche) Unmöglichkeit (2) Stellungnahme
4.
280
302
6. Zusammenfassung und Stellungnahme
304
Auswirkungen auf die Gegenleistung
304
1. Wegfall des Gegenleistungsanspruchs kraft Gesetzes, § 326
III.
Abs. 1 Satz 1 BGB
305
a) Teilweise Unmöglichkeit
305
b) Qualitative Unmöglichkeit
307
c) Annahmeverzug und Verantwortlichkeit des Gläubigers....
307
d) Von beiden Seiten zu vertretende Unmöglichkeit
309
e) Herausgabe des erlangten Ersatzes
314
f)
Gefahrtragungsregeln des Besonderen Schuldrechts
314
2. Die Vertragsanpassung (wirtschaftliche Unmöglichkeit)
315
3. Einrede des nicht erfüllten Vertrags und Unsicherheitseinrede.
315
4. Zusammenfassung
317
Schadensersatz
317
1. Verletzung einer Pflicht aus dem Schuldverhältnis
319
2. Auswirkungen auf die Definition der Pflichtverletzung
321
3. Vertretenmüssen
322
4.
a) Rechtsvergleichende Stellungnahme
322
b) Maßstab des Vertretenmüssens (§§ 276 ff. BGB)
323
aa) Verschuldensfähigkeit
324
bb) Vorsatz und Fahrlässigkeit
324
cc) Vergleich mit der Entlastung in den Einheitsprojekten.
326
c) Modifikationen des Verschuldensprinzips
330
d) Zusammenfassende Stellungnahme
331
Schadensberechnung
331
nsverzeichnis a) Konkrete oder abstrakte Schadensberechnung
332
b) Differenz-oder Surrogationsmethode
333
c) Großer Schadensersatz (statt der ganzen Leistung) oder kleiner Schadensersatz d) Mitverschulden und Adäquanztheorie
C. 2.
5. Zusammenfassung
336
IV.
Ersatz vergeblicher Aufwendungen
337
V.
Herausgabe des Ersatzes
338
Zusammenfassende Stellungnahme
Kapitel:
Weitere Leistungsstörungen
1. Abschnitt: Die anfängliche Unmöglichkeit A.
B.
C.
Vertragsnichtigkeit
B.
342 343 343
Dogmatische Begründung der Vertragsnichtigkeit
344
II.
Kritik an der Vertragsnichtigkeitslösung
345
Vertragswirksamkeit
347
I.
Anwendbarkeit des einheitlichen Leistungsstörungsbegriffs
348
II.
Anwendbarkeit der Entlastungsvorschriften
348
1. Haftungsentlastung nach Art. 79 CISG
348
2. Haftungsentlastung in den PECL und UPICC
349
3. Haftungsentlastung im BGB
350
III.
Anwendbarkeit der Härtefallregeln
351
IV.
Anwendbarkeit besonderer Irrtumsregeln
353
Zusammenfassende Stellungnahme
355 356
Gläubigerverzug und Einheitskonzept
356 356
I.
Zur Lehre einer einheitlichen „mora" und zu den Obliegenheiten...
II.
Annahmeverzug im BGB und Gandolfi-Code
357
III.
Vergleich mit dem CISG, den UPICC und den PECL
360
Zusammenfassende Stellungnahme
3. Abschnitt: Der Schuldnerverzug A.
339
I.
2. Abschnitt: Der Gläubigerverzug A.
335 335
Mahnung
363 365 365
I.
Sinn und Zweck der Mahnung
366
II.
Rechtsvergleichende Stellungnahme
366
B.
Zinsen
367
C.
Besonderheiten bei der Anwendung des jeweiligen Einheitskonzepts
369
4. Abschnitt: Die Schlechtleistung im Lichte des Wesentlichkeitskonzepts
371
A.
Ausweitung des Nachfristmodells
372
B.
Praktische Lösung zur Bestimmung der Wesentlichkeit
374
C.
Festhalten an Regelbeispielen bzw. Fallgruppen
375
D.
Zusammenfassende Stellungnahme
375
18 3. Kapitel:
nsverzeichnis Schlußwort
377
Literaturverzeichnis
378
Sachverzeichnis
410
Abkürzungsverzeichnis a.A.
andere(r) Ansicht
aaO
am angegebenen Ort
ABl. EG
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
Abs.
Absatz, Absätze
A.C.
Appeal Cases (ab 1891; UK)
AcP
Archiv für die civilistische Praxis
a.F.
alte(r) Fassung
AGB
Allgemeine Geschäftsbedingungen
AGBG
Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
A l l E.R.
A l l England Law Reports (ab 1936; UK)
Am. J. Comp. L.
American Journal of Comparative Law (USA)
Anm.
Anmerkung
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
BB
Der Betriebsberater
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (amtliche Sammlung)
BMJ
Bundesminister(ium) der Justiz
Bsp.
Beispiel
BT-Drucks.
Bundestagsdrucksache
bzw.
beziehungsweise
CCI
Chambre de Commerce Internationale Paris (s.a. ICC, IntHK)
CFR
cost and freight / Kosten und Fracht (Incoterm)
cic
culpa in contrahendo
CIF
cost, insurance, freight / Kosten, Versicherung, Fracht (Incoterm)
CIP
carriage and insurance paid to / frachtfrei versichert
20 CISG
Abkürzungsverzeichnis United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods / Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11.4.1980
CLOUT
Case Law on UNCITRAL Texts
Cornell Int'l L.J.
Cornell International Law Journal
CPT
carriage paid to / frachtfrei (Incoterm)
DAF
delivered at frontier / geliefert Grenze (Incoterm)
DB
Der Betrieb
DDP
delivered duty paid / geliefert verzollt (Incoterm)
DDU
delivered duty unpaid / geliefert unverzollt (Incoterm)
DEQ
delivered ex quay / geliefert ab Kai (Incoterm)
ders.
derselbe
DES
delivered ex ship / geliefert ab Schiff (Incoterm)
d.h.
das heißt
DiskE
Diskussionsentwurf
EAG
Einheitliches Gesetz über den Abschluß von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen (s. ULF)
EdinLR
Edinburgh Law Review (UK)
EGBGB
Einfuhrungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch
Einl.
Einleitung
EKG
Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen (s. ULIS)
ERPL
European Review of Private Law
etc.
et cetera / und so weiter
EuLF
The European Legal Forum
European Principles
(s. PECL)
EWS
Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
Exch
Court of Exchequer
EXW
ex works / ab Werk (Incoterm)
EZB
Europäische Zentralbank
f.
folgende [Seite]
FAS
free alongside ship / frei Längsseite Schiff (Incoterm)
FCA
free carrier / frei Frachtführer (Incoterm)
ff.
folgende [Seiten]
Fn.
Fußnote
FOB
free on board / frei an Bord (Incoterm)
FS
Festschrift
Abkürzungsverzeichnis Gandolfi-Code
Code Européen des Contrats. Avant-projet / Vorentwurf der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler für ein Europäisches Vertragsgesetzbuch
ggf.
gegebenenfalls
GS
Gedächtnisschrift
HaftpflG
Haftpflichtgesetz
H.C.L.
House of Lords Cases (1847-1866; UK)
Hrsg.
Herausgeber
Hs.
Halbsatz
ICC
International Chamber of Commerce (s.a. CCI, IntHK)
i.E.
im Ergebnis
IHR
Zeitschrift für Internationales Handelsrecht
Incoterms
International Commercial Terms
insbes.
insbesondere
IntHK
Internationale Handelskammer (s.a CCI, ICC)
IPR
Internationales Privatrecht
IPRax
Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts
i.S.d.
im Sinne des
i.S.v.
im Sinne von
i.V.m.
in Verbindung mit
JbJZivRWiss
Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler
JB1
Juristische Blätter
JR
Juristische Rundschau
JuS
Juristische Schulung
JZ
Juristenzeitung
Kap.
Kapitel
KE
Kommissionsentwurf
KonDiskE
Konsolidierte Fassung des Diskussionsentwurfs
KriJu
Kritische Justiz
krit.
kritisch
Lando-Principies
(s. PECL)
lat.
lateinisch
L.C.
Lord Chancellor
lit.
litera / Buchstabe
Lit.
Literatur
L. J.
Lord Justice
L.Q.R.
The Law Quarterly Review (UK)
22
Abkürzungsverzeichnis
Ltd.
Limited
MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht
m.E.
meines Erachtens
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
n.F.
neue Fassung
NJ
Neue Justiz
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NJW-RR
Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungs-Report Zivilrecht
Nr.
Nummer
N.Y.L. Sch. J. Int'l & Comp. L.
New York Law School Journal of International and Comparative Law (USA)
NZA
Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht
NZV
Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht
OLG
Oberlandesgericht
PECL
Principles of European Contract Law
ProdHaftG
Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz)
Q.B.
Law Reports, Queen's Bench Division
RabelsZ
Rabeis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht
RegBegr
Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts
RG
Reichsgericht
RGZ
Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
RIW
Recht der Internationalen Wirtschaft
Rn.
Randnummer(n)
Rspr.
Rechtsprechung
s.
siehe
S.
Seite
s.a.
siehe auch
2. SchadÄndG
Zweites Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften v. 19.7.2002
Schweiz.
schweizerisches)
sec.
section(s)
SJZ
Schweizerische Juristen-Zeitung
SMG
Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts - Schuldrechtsmodernisierungsgesetz - v. 26.11.2001
sog.
sogenannte(n)
Abkürzungsverzeichnis StVG
Straßenverkehrsgesetz
Tex. Int'l L.J.
Texas International Law Journal (USA)
u.a.
unter anderem
UK
United Kingdom
ULF(IS)
Uniform Law on the Formation of Contracts for the International Sale of Goods (s. EAG)
ULIS
Uniform Law on International Sale of Goods (s. EKG)
ULR
Uniform Law Review / Revue de droit uniforme
UmweltHG
Umwelthaftungsgesetz
UN
United Nations / Vereinte Nationen
UNCITRAL
United Nations Commission on International Trade Law
UNIDROIT; Unidroit
Institut International pour VUnification du Droit Privé / International Institute for the Unification of Private Law
UNO
United Nations Organization
UPICC
UNIDROIT Contracts
UrhG
Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz)
USA
United States of America
Principles
of
International
usw.
und so weiter
v.
von / versus
VersR
Versicherungsrecht: Zeitschrift Haftungs- und Schadensrecht
vgl.
vergleiche
Vor Art(t).
Vorbemerkung zu den Artikeln
Vorbem.
Vorbemerkungen
VuR
Verbraucher und Recht
Wash. L. Rev.
Washington Law Review (USA)
ftir
Commercial
Versicherungsrecht,
z.B.
zum Beispiel
ZBJV
Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins (Schweiz)
ZEuP
Zeitschrift für Europäisches Privatrecht
ZfRV
Zeitschrift ftir Rechtsvergleichung
ZfSR
Zeitschrift für Schweizerisches Recht
ZGS
Zeitschrift ftir das gesamte Schuldrecht
ZIP
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
ZPO
Zivilprozeßordnung
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
ZVglRWiss
Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft
/. Teil
Einleitung Werden Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt, dann muß die Rechtsordnung regeln, ob dem Gläubiger deswegen Rechtsbehelfe - und welche - zustehen und ob der Schuldner von seiner Pflicht frei geworden ist. Diese Fragen stellen den Kernbereich eines jeden Leistungsstörungsrechts dar. 1 Zu beantworten sind diese Fragen auch bei der Schaffung eines Europäischen Vertrags- oder Schuldrechts, unabhängig davon, ob diese Entwicklung einmal in naher oder ferner Zukunft in einer Kodifikation enden wird. Bei der Schaffung eines Europäischen Vertragsrechts wetteifern mehrere rechtsvereinheitlichende Regelwerke und nationale Rechtsordnungen um Beachtung. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist ein Rechtsvergleich zwischen den für die Entwicklung eines Europäischen Vertragsrechts bedeutsamsten Regelwerken; dies sind das UN-Kaufrechtsübereinkommen von 1980 (CISG), die Principles of European Contract Law (PECL), die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (UPICC), der Vorentwurf für ein Europäisches Vertragsgesetzbuch (GandolfiCode) sowie das deutsche Recht. Vereinzelt werden im Rahmen dieser Arbeit auch besondere Regelungen und Rechtsinstitute des englischen, französischen und italienischen Rechts mitberücksichtigt. Im zweiten Teil der Arbeit werden die Entstehung, historische Entwicklung und Zielsetzung der zu analysierenden Regelwerke beleuchtet. Anschließend werden im dritten Teil die gesetzgeberischen Alternativen zur Behandlung von Leistungsstörungen aufgezeigt und die Regelwerke ein erstes Mal grundlegend miteinander verglichen: Im Fokus steht dabei die systematische Gliederung des Leistungsstörungsrechts sowie die bedeutsame Frage des Haftungsmaßstabs. Darauf folgt im vierten Teil der Arbeit ein detaillierter Rechtsvergleich, der sich an der Leistungsstörung der nachträglichen Unmöglichkeit orientiert. Anhand dieser didaktisch und rechtlich am einfachsten zu erfassenden Leistungsstörung werden die betreffenden Vorschriften der Regelwerke analysiert und einander gegenübergestellt. Damit will die vorliegende Arbeit auch einen kleinen Beitrag leisten zur jüngst im Hinblick auf die Entwicklung eines europäischen Schuldrechts geforderten „systematischen Evaluation von Forschungsergebnissen
1 Schlechtriem, Schuldrecht AT, S. 139; Schwenzer, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37.
1. Teil: Einleitung
26
anhand praktischer Beispiele" und zur Genese eines „Case-Book", das typische Grundfalle des Schuldrechts mit Hilfe der genannten Regelwerke lösen soll. 2 Da alle analysierten Regelwerke Leistungsstörungen grundsätzlich unabhängig von ihrer konkreten Erscheinungsform nach einem mehr oder minder einheitlichen Konzept behandelt wissen wollen, werden im zweiten Kapitel des dritten Teils die von diesem Einheitskonzept abweichenden Sonderregelungen für einige weitere Lösungsstörungen skizziert: Dabei stehen die anfangliche Unmöglichkeit, der Gläubiger- und der Schuldnerverzug sowie teilweise auch die Schlechtleistung im Blickfeld der Untersuchung.
2
Vgl. Dauner-Lieb, NJW 2004, 1431, 1433f.
2. Teil
Das Europäische Vertragsrecht im Überblick 1. Kapitel
Einleitung zum Europäischen Vertragsrecht Was ist das „Europäische Vertragsrecht"? Schlechtriem beantwortet diese Frage mit einer Gegenfrage: „Ist es eine Utopie, wie viele meinen, ist es eine reale Chance, wie viele andere hoffen, ist es bereits Realität, wie einige behaupten, oder ist es eine Schimäre, wie diejenigen warnen, denen der vergleichende Blick über die Grenzen des eigenen Rechtssystems immer schon ein wenig unheimlich war?" 1 Für Basedow steht zumindest fest: „Von einem europäischen Privatrecht als eigenständigem corpus rechtlicher Prinzipien und Regeln zu sprechen, ist jedenfalls keine Selbstverständlichkeit. Gemeinhin bezeichnet man nämlich Rechtsmassen nach ihrem Geltungsursprung und bezieht sie dann auf einen Nationalstaat, etwa das französische oder das italienische Privatrecht." 2 Schulte-Nölke betont, daß es aber nicht mehr „den" Gesetzgeber gebe, sondern vielmehr Entscheidungen und Wertungen sowohl des nationalen wie des europäischen Gesetzgebers maßgeblich seien, so daß der Jurist zum Diener zweier Herren geworden sei.3 Lange Zeit schien das deutsche Privatrecht ein vom Gemeinschaftsrecht unberührtes Rechtsgebiet zu sein.4 Doch spätestens die Schuldrechtsreform hat an den Tag gebracht, daß bereits jetzt wesentliche Teile des deutschen Privatrechts durch das Gemeinschaftsrecht geprägt werden. 5 Andererseits kennt das Gemeinschaftsrecht (noch) kein ausgebautes und ausdifferenziertes Vertragsrecht, das auch nur annähernd mit dem herkömmlichen Vertragsrecht in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vergleichbar wäre. 6 Durch die kaum 1
Schlechtriem, ZEuP 2002, 213. Basedow, AcP 200 (2000), 445, 447; siehe auch Martiny, in: Reithmann/Martiny, Rz. 35, S. 47. 3 Schulte-Nölke, ZGS 2002, 261 links. 4 Leible, EWS 2001, 471 links. 5 Schulte-Nölke, ZGS 2002, 261 links; Dauner-Lieb, ZGS 2003, 10, 1 lf. 6 Roth, in: Schulte-Nölke/Schulze/Bernardeau, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, S. 23. 2
28
2. Teil: Das Europäische Vertragsrecht im Überblick
aufeinander abgestimmten, nicht von einem einheitlichen Konzept getragenen Richtlinien sind vielmehr im Schuldrecht europarechtliche Inseln entstanden.7 In dieser Studie soll nicht der von Richtlinien durchzogene Dschungel des europäischen Schuldrechts Gegenstand der Rechtsvergleichung sein.8 Es geht vielmehr um das künftige europäische Vertragsrecht wie es einmal sein könnte oder im Idealfall sein sollte. Der Begriff „Europäisches Vertragsrecht" wird somit nicht im Sinne der Müller-GrafTsehen Dreiteilung in gemeineuropäisches Privatrecht, Konventionsprivatrecht und Gemeinschaftsprivatrecht verstanden,9 sondern wird vielmehr als Synonym ftir diejenigen Regelwerke verwandt, die nach Ansicht des Verfassers das größte Diskussionspotential im Hinblick auf die mögliche Kodifikation eines europäischen Leistungsstörungsrechts bieten. Dies sind das UN-Kaufrechtsübereinkommen von 1980 (CISG), die Principles of European Contract Law (PECL), die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (UPICC), der Vorentwurf für ein Europäisches Vertragsgesetzbuch (Gandolfi-Code) sowie das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch von 1900. 10
7
Vgl. Heinrichs, in: Palandt, Einl v § 241, Rn. 17; Eckert,
in: FS Söllner, S. 239,
243. 8
Siehe dazu die Textsammlungen von Schulze/Zimmermann, Basistexte zum Europäischen Privatrecht, 2. Aufl. (2002); Magnus, Europäisches Schuldrecht (2002); s.a. Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts (2003), S. 468ff. 9 Müller-Graff, NJW 1993, 13ff.; siehe auch Gebauer, Europäisierung des Privatrechts, S. 63ff. 10 Ähnlich Schmidlin, in: Zimmermann, Rechtsgeschichte, S. 187, 203, der UPICC, PECL und CISG als mögliche Voretappen einer übergreifenden europäischen Vertragsordnung sieht; zur „Europatauglichkeit" des BGB: Dauner-Lieb, SchuldR aktuell, S. 11; Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, S. 5.
2. Kapitel: Historische Entwicklung und Zielsetzung der Vergleichsobjekte
29
2. Kapitel
Historische Entwicklung und Zielsetzung der Vergleichsobjekte Bevor die im Rahmen dieser Arbeit relevanten Regelwerke in ihrer historischen Entwicklung dargestellt und nach ihrer Zielsetzung voneinander abgegrenzt werden, sind noch einige Termini zu klären: Das Thema der Privatrechtsvereinheitlichung ist heute in aller Munde.1 Im Vordergrund steht dabei der Begriff des Internationalen Einheitsrechts, der jedoch nicht mit dem des Internationalen Privatrechts (IPR) verwechselt werden darf. Das IPR regelt nämlich die Sachverhalte mit internationalem Einschlag nicht unmittelbar, sondern dadurch, daß es auf eine der berührten Rechtsordnungen verweist. 2 Man spricht, da es um die Auswahl zwischen mehreren in Betracht kommenden Rechtsordnungen geht, daher auch gleichbedeutend von „Kollisionsrecht". 3 Ferner handelt es sich bei dem Internationalen Privatrecht grundsätzlich um staatliches, das heißt von Land zu Land verschiedenes Recht.4 Im Gegensatz dazu geht das auf Staatsverträgen beruhende Internationale Einheitsrecht den (nationalen) Regeln des jeweiligen IPR vor und macht diese innerhalb seiner Reichweite entbehrlich. 5 Gäbe es ein überall einheitliches Weltprivatrecht, dann bräuchte man kein IPR als ein mühsam zu gebrauchendes Hilfsmittel einer Verweisung auf national divergierendes Privatrecht. 6 Das Streben nach Umgehung dieser kollisionsrechtlichen Untiefen durch vereinheitlichtes Sachrecht ist jedoch keineswegs neu, sondern aus der Rechtsgeschichte als „ius commune"7 oder „lex mercatoria" 8 bekannt.9 Seit vielen Jahren plädieren
1 Berger JZ 1999, 369 rechts; Kötz , ZEuP 2002, 431; Kramer , JB1 1996, 137 links; Basedow , JuS 2004, 89ff. 2 Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 1. 3 Siehe hierzu auch die englische und französische Terminologie: Private International Law, Droit International Privé sowie conßict of laws, conflit des lois , vgl. Lorenz , in: Bamberger/Roth, Einl. IPR EGBGB, Rn. 1. 4 Heldrich , in: Palandt, Einl v EGBGB, Rn. 2. 5 v. Hoffmann , Internationales Privatrecht, Rn. 99, S. 23. 6 Berger , JZ 1999, 369 rechts; Dölle , in: Dölle, Einl, S. X X X I I ; Siehr , Internationales Privatrecht, S. 362; Winship , 21 Cornell Int'l L.J. (1988), 487; Zweigert/Drobnig , RabelsZ 29 (1965), 146, 147: „Ohne Rechtskollisionen kein Kollisionsrecht". 7 Die Wurzeln des kontinentaleuropäischen Rechts gehen zurück auf das durch Rezeption des römischen Rechts im Mittelalter gewonnene, an den hohen Schulen in Italien, Frankreich und seit Mitte des 14. Jahrhunderts auch in den neu gegründeten deutschen Universitäten gelehrte ius commune oder gemeine Recht. Dabei ermöglichte der stets erneuerte und immer weiter vertiefte Kontakt mit dem Corpus Juris Civilis, einer Materialsammlung von Rechtsfallen und Rechtssätzen des antiken römischen Rechts, dem römisch-kanonischen ius commune, zu wachsen, vgl. Teichmann , in:
30
2. Teil: Das Europäische Vertragsrecht im Überblick
vor allem europäische Autoren für ein autonomes neues10 Recht des Welthandels, ein transnationales Handelsrecht, ein „Law of International Trade", ein „droit du commerce international", ein „new law merchant" oder kurz gesagt für eine autonome „lex mercatoria". 11 Gegenwärtig befindet sich das Welthandelsrecht allerdings noch in einer Entwicklungsphase, in der das UN-Kaufrechtsübereinkommen von 1980 (CISG) die praktisch wichtigste einheitsprivatrechtliche Regelung darstellt. 12 Nicht echtes staatliches, sondern „unechtes", das heißt nichtstaatliches Einheitsprivatrecht sind etwa allgemeine Geschäftsbedingungen, Verkehrssitten und Handelsbräuche, die in einzelnen Bereichen des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs beachtet werden und nicht von den Vertragsparteien, sondern von öffentlich-rechtlichen oder privaten Institutionen vorformuliert bzw. aufgezeichnet werden. 13 In diesem Umfeld ist auch die nichtstaatliche Rechtsbildung anzusiedeln (sog. soft law), zu der die Principles of European Contract Law (PECL), die UNIDROIT-Principles of International Commercial Contracts (UPICC) sowie der Vorentwurf für ein Europäisches Vertragsgesetzbuch (Gandolfi-Code) aus Pavia zählen.14
Dörr/Dreher, Europa als Rechtsgemeinschaft, S. 17, 18ff.; Coing, NJW 1990, 935, 939 rechts; Zimmermann, JZ 1992, 8, 12 links; Ulmer, JZ 1992, 1, 7 rechts. 8 So wie sich aus der Rezeption des römischen Rechts im Mittelalter das ius commune entwickelt hat, so entwickelte sich gleichzeitig für den Bereich des internationalen Handelsrechts in Gestalt der lex mercatoria ein ius commune der Kaufleute. Jedoch war die lex mercatoria kein Gesetz im heutigen Sinne, sondern bestand vielmehr aus Gewohnheiten, Übungen, Rechtsansichten und Handelsbräuchen, vgl. Meyer, Bona fides und lex mercatoria, S. 134; Weise, Lex mercatoria, S. 5ff.; Schmitthoff, RabelsZ 28 (1964), 47, 48ff. 9 Berger JZ 1999, 369, 370 links; ders., ERPL 2001, 21, 30ff. 10 Wenn die Vertreter der lex mercatoria von einem „neuen" Welthandelsrecht oder New Law Merchant sprechen, so ist damit die neuzeitliche lex mercatoria des 20. Jahrhunderts gemeint, die auf einer Betrachtung der historisch „alten" lex mercatoria beruht, vgl. Kappus, Lex Mercatoria, S. 45ff. 11 Siehr, Internationales Privatrecht, S. 363; Busch/Hondius, ZEuP 2001, 223, 231; Lando, RIW2004, 161f. 12 Magnus, in: Staudinger, Einl zum CISG, Rn. 1; Rösler, EuLF, 2003, 207, 210 links. 13 Lorenz, in: Bamberger/Roth, Einl. IPR EGBGB, Rn. 13; v. Bar/Mankowski, IPR Band I, § 2 Rn. 72, S. 76. 14 Zum Begriff des soft law: siehe Drobnig, in: Basedow, Aufbruch nach Europa, S. 745ff.; zur Einordnung der Unidroit Principles (UPICC) und der European Principles (PECL) in das System der Rechtsquellen: siehe Canaris, in: Basedow, Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung, S. 5. 8ff.
2. Kapitel: Historische Entwicklung und Zielsetzung der Vergleichsobjekte
31
1. Abschnitt
Das UN-Kaufrechtsübereinkommen von 1980 (CISG) Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf von 1980 ( C I S G ) 1 5 regelt den Abschluß und die wesentlichen Rechtsfolgen internationaler Kaufverträge. 1 6 Es handelt sich dabei um ein multilaterales Abkommen, das in den Vertragsstaaten unmittelbar anwendbares Recht für internationale Kaufverträge enthält und insoweit - i m Rahmen seines Anwendungs- und Regelungsbereichs - grundsätzlich die nationalen Rechtsordnungen verdrängt. 1 7 Die Geschichte der Kaufrechtsvereinheitlichung geht in ihren Anfangen auf Ideen von Ernst Rabel zurück, der i m Jahre 1928 vorschlug, das internationale Warenkaufrecht zu vereinheitlichen. 1 8 Rabel wurde v o m Internationalen Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts in R o m ( U N I D R O I T ) m i t der Abfassung eines Entwurfs beauftragt und legte diesen i m Jahre 1935 v o r . 1 9 E i n zweiter E n t w u r f mündete schließlich in die endgültige Fassung der beiden Haager Einheitlichen Kaufgesetze aus dem Jahre 1964, 2 0 i m deutschen Sprachraum als Haager E K G / E A G bezeichnet 2 1 und international als U L I S 2 2 und U L F ( I S ) 2 3 15 Es wird hier die international verbreitetste Abkürzung CISG für Convention on Contracts for the International Sale of Goods verwendet, obgleich in Deutschland auch die Bezeichnungen „UN-Kaufrecht", „UNCITRAL-Kaufrecht" oder „Wiener Kaufrecht" gebräuchlich sind; zu den verschiedenen Abkürzungen für das UN-Kaufrechtsübereinkommen siehe Flessner/Kadner , ZEuP 1995, 347ff. CISG Online-Datenbanken der Universitäten Basel, Saarbrücken und Madrid finden sich auf folgenden Internetseiten: http://www.cisg-online.ch (mit Nachweis deutschsprachiger Rspr.), http://witz.jura. uni-sb.de/CISG (mit Nachweis französischer Rspr.) sowie unter http://www.uc3m.es/ uc3m/dpto/PR/dppr03/cisg (mit vorwiegend spanischsprachiger Rspr.); Kommentierungen, Literatur- und Rechtsprechungshinweise sowie Informationen zum alljährlich in Wien stattfindenden Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot sind auf der Homepage der New Yorker Pace University, School of Law verzeichnet: http:// www.cisg.law.pace.edu. 16 Magnus , in: Staudinger, Einl zum CISG, Rn. 1. 17 Piltz , UN-Kaufrecht, Rn. 29, S. 8f.; Karollus, JuS 1993, 378 links. 18 Vgl. Lorenz , in: Witz/Salger/Lorenz, International Einheitliches Kaufrecht, Rn. 2, S. 23; Schlechtriem , in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 27. 19 Siehr, in: Honseil, Präambel, Rn. 1; Mertens/Rehbinder , Einleitung, Rn. 2f; Achilles , Präambel, Rn. 1. 20 Eine Diplomatische Konferenz in Den Haag, an der 28 Staaten teilnahmen, beschloß 1964 die Konventionen des „Haager Einheitlichen Kaufrechts", die als Annex das „Einheitliche Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen" (EKG) und das „Einheitliche Gesetz über den Abschluß von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen" (EAG) enthielten. Beide Haager Konventionen sind im August 1972 in Kraft getreten, vgl. Reinhart , Einleitung, Rn. 11. 21 Piltz , Internationales Kaufrecht, Rn. 23, S. 7.
2. Teil: Das Europäische Vertragsrecht im Überblick
32
bekannt.24 Das Haager Einheitliche Kaufrecht wurde leider nur von neun Staaten, darunter der Bundesrepublik Deutschland, in Geltung gesetzt25 und hat somit die Hoffnungen, daß daraus eine „lex mercatoria" des Welthandels werden könnte, nicht erfüllt. 26 Entscheidend für die geringe Akzeptanz der Abkommen war die Abstinenz der Entwicklungsländer und der sozialistischen Länder bei der Erarbeitung des Einheitskaufrechts. 27 Die Bemühungen um eine weltweite Vereinheitlichung des Kaufrechts waren damit aber nicht gescheitert. 28 Schon bald nahm die im Jahre 1966 als ständige Einrichtung ins Leben gerufene UN-Kommission für internationales Handelsrecht (UNCITRAL) 2 9 die Frage der Kaufrechtsvereinheitlichung wieder auf. 30 Im Jahre 1968 wurde von UNCITRAL beschlossen, ein einheitliches Kaufrecht zu schaffen und insbesondere die spätere Akzeptanz durch eine möglichst hohe Beteiligung einer Vielzahl von Ländern, auch aus der Dritten Welt, sicherzustellen. 31 Zum Abschluß kamen diese Bemühungen auf der von den Vereinten Nationen einberufenen 97. Diplomatischen UN-Konferenz in Wien, an der 62 Staaten teilnahmen.32 Als Ergebnis der Wiener Konferenz wurde am 11. April 1980 das UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) in der heute
22 23
Uniform Law on the International Sale of Goods (ULIS). Uniform Law on the Formation of Contracts for the International Sale of Goods
(ULF). 24 Honnold, 27 Am. J. Comp. L. (1979), 223, 224; ders ., 27 Am. J. Comp. L. (1979), 201, 202f. 25 In Kraft gesetzt haben EKG und EAG Belgien am 18.8.1972, Gambia am 5.9.1974, Israel am 18.8.1972 (EKG) und am 30.11.1980 (EAG), Italien am 23.8.1972, Luxemburg am 6.8.1979, die Niederlande am 18.8.1972, San Marino 18.8.1972 und Großbritannien (mit dem Vorbehalt, daß das Einheitskaufrecht von den Parteien gewählt werden muß) am 18.8.1972. In der Bundesrepublik waren die Haager Kaufgesetze am 16.4.1974 in Kraft getreten, vgl. Schlechtriem, in: Schlechtriem, Einleitung, Fn. 7; Lando, RabelsZ 56 (1992), 261, 263f. 26 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 2, S. 2; ders., in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 27, 30; Herber, RIW 1980, 601 links. 27 Lorenz, in: Witz/Salger/Lorenz, International Einheitliches Kaufrecht, Einleitung, Rn. 3, S. 23; Ambrosch, NJW 1988, 612 rechts; Herber, RIW 1980, 601; Hermann, IPRax 1981, 109, 110 links. 28 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 3, S. 2. 29 United Nations Commission on International Trade Law; die Homepage der Kommission für internationales Handelsrecht der Vereinten Nationen (UNCITRAL) mit Einsicht in das Informationssystem „Case Law on UNCITRAL Texts" (CLOUT), in dem sämtliche nationale Entscheidungen zum CISG erfaßt und in die Arbeitssprachen der Vereinten Nationen übersetzt werden, findet sich unter: http://www.uncitral.org. 30 Achilles, Präambel, Rn. 2; Magnus, in: Staudinger, Einl zum CISG, Rn. 24. 31 Siehr, in: Honseil, Präambel, Rn. 3: Lorenz, in: Witz/Salger/Lorenz, International Einheitliches Kaufrecht, Rn. 3, S. 23; Herber, RIW 1980, 601. 32 Schlechtriem, in: Schlechtriem, Einleitung Anm. I; Reinhart, Einleitung, Rn. 14.
2. Kapitel: Historische Entwicklung und Zielsetzung der Vergleichsobjekte
33
vorliegenden Fassung verabschiedet. 33 Am 1.1.1988 trat das CISG in zunächst elf Staaten in Kraft, 34 nachdem die erforderliche Zahl von zehn Ratifikationen (Art. 99 Abs. 1 CISG) überschritten war. 35 Das UN-Kaufrechtsübereinkommen ist heute von einer Vielzahl von Staaten ratifiziert worden. 36 In der Bundesrepublik Deutschland gilt es seit dem 1.1.1991, nachdem die Konvention zuvor schon vom 1.3.1990 bis 3.10.1990 in der früheren DDR in Kraft getreten war. 37 Heute stellt das CISG die bisher bedeutendste privatrechtsvereinheitlichende Konvention dar. 38 Allerdings können die Parteien aufgrund von Art. 6 CISG, der die Priorität der Parteiautonomie sichert, 39 die Anwendung des CISG ausschließen, wovon häufig Gebrauch gemacht wird. 4 0 Dennoch hat das CISG gerade für den Außenhandel der Bundesrepublik einen überragenden Stellenwert. Soweit keine anderweitige Rechtswahl getroffen wird, unterfallen dem CISG nämlich grundsätzlich alle Exportgeschäfte und annähernd drei Viertel aller Importgeschäfte. 41 Bemerkenswert ist dies insbesondere in Anbetracht der Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland nach statistischen Angaben mit einem Anteil von circa 10% am Welthandelsvolumen den zweiten Rang aller Staaten einnimmt. 42 Das UN-Kaufrechtsübereinkommen ist in sechs Sprachen (englisch, französisch, spanisch, russisch, chinesisch und arabisch) abgefaßt 43 und wurde in weitere Sprachen, zum Beispiel in das Deutsche, übersetzt. 44
33
Piltz , Internationales Kaufrecht, Rn. 25, S. 8; Schlechtriem , in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 27, 32. 34 Ägypten, Argentinien, China, Frankreich, Italien, Jugoslawien, Lesotho, Sambia, Syrien, Ungarn, USA, vgl. v. Bernstorff, Vertragsgestaltung im Auslandsgeschäft, S. 72; Escher , RIW 1999, 495, 496, Fn. 2. 35 Magnus , in: Staudinger, Einl zum CISG, Rn. 27; Wang , ZVglRWiss 87 (1988), 184, 185. 36 Zum aktuellen Ratifikationsstand siehe http://www.uncitral.org/en-index (dort unter „Status of Texts"); am 16. April 2004 berichtete UNCITRAL, daß das CISG in 63 Staaten geltendes Recht geworden ist. 37 Achilles , Präambel, Rn. 2; Magnus , in: Staudinger, Einl zum CISG, Rn. 1 lff. 38 Magnus , in: Staudinger, Einl zum CISG, Rn. 1; Torsello , in: Ferrari, The 1980 Uniform Sales Law, S. 199ff. 39 Lüderitz/Fenge , in: Soergel, Art. 6 CISG, Rn. 1; siehe auch Holthausen , RIW 1989, 513ff. 40 Ferrari , ZEuP 2002, 737; Koch , NJW 2000, 910; Karollus , JuS 1993, 378; PHuber/Kröll , IPRax 2003, 309. 41 Saenger , in: Bamberger/Roth, CISG Vor Art. 1-13, Rn. 2. 42 Stadler , Allgemeine Geschäftsbedingungen im internationalen Handel, S. 44. 43 Piltz , UN-Kaufrecht, Rn. 25, S. 7; Hermann , IPRax 1981, 109, 110 rechts. 44 Die deutsche Übersetzung des Übereinkommens stellt lediglich eine unverbindliche Anwendungshilfe für die Gerichte der deutschsprachigen Länder dar, weshalb im Rahmen dieser Arbeit nicht primär auf die deutsche Version abgestellt wird, siehe dazu
34
2. Teil: Das Europäische Vertragsrecht im Überblick
Inhaltlich ist das CISG in vier Teile gegliedert. Teile I bis I I I (Art. 1 - 88 CISG) regeln das einheitliche Kaufrecht für grenzüberschreitende Warenkaufverträge; dabei vereinigen diese Bestimmungen vor allem Institute des angloamerikanischen Rechts mit denen der kontinentaleuropäischen Rechte.45 Teil IV (Art. 8 9 - 1 0 1 CISG) normiert die völkerrechtlichen Schlußklauseln.46 Besondere Beachtung verdient im Rahmen dieser rechtsvergleichenden Studie Teil III (Art. 25 - 88 CISG), der das eigentliche Kaufrecht, d.h. die Rechte und Pflichten der Parteien sowie die Rechtsbehelfe bei Leistungsstörungen regelt. Dabei unterscheidet das UN-Kaufrecht nicht zwischen verschiedenen Leistungsstörungstypen wie etwa Unmöglichkeit, Verzug und Schlechtleistung, sondern geht von einem einheitlichen Tatbestand der Vertragsverletzung (breach of contract / failure to perform) aus, welcher erst auf Rechtsfolgenseite näher differenziert wird. 47
2. Abschnitt
Die Principles of European Contract Law (PECL) Zu unterscheiden vom völkerrechtlich begründeten Konventionsprivatrecht, wie beispielsweise dem CISG, ist das sogenannte gemeineuropäische Privatrecht. Darunter versteht man Normen, die bestehende Gemeinsamkeiten in den Privatrechtsordnungen der europäischen Staaten zum Ausdruck bringen, ohne daß dafür allerdings eine gemeinschaftsrechtlich verbindliche Rechtsgrundlage besteht.48 In den vergangenen Jahren haben sich Juristen, insbesondere Hochschullehrer, zu einer Vielzahl privater Arbeitsgruppen zusammengeschlossen und mit Vorarbeiten für ein Europäisches Vertrags- bzw. Zivilgesetzbuch begonnen.49 Am bekanntesten ist die seit mehr als zwanzig Jahren bestehende und nach ihrem dänischen Gründer und Vorsitzenden Ole Lando benannte Lando-KomFerrari, in: Schlechtriem, Vor Artt. 1-6 CISG Anm. V. 2, Rn. 27; Magnus, in: Staudinger, Art. 7 CISG Anm. IV. 2.b), Rn. 15. 45 Saenger, in: Bamberger/Roth, Einl CISG, Rn. 2. 46 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 4, S. 4; Wang, ZVglRWiss 87 (1988), 184, 185f. 47 Vgl. Art. 45 Abs. 1, 61 Abs. 1CISG; Magnus, in: Staudinger, Vorbem zu Art. 45, Rn. 3; Herber/Czerwenka, Vor Art. 45, Rn. 2; v. Hoffmann, Internationales Privatrecht, Rn. 24b, S. 393; Benicke, IPRax 1997, 326, 327. 48 Paschke/Iliopoulos, Europäisches Privatrecht, S. 3. 49 Leible, EWS 2001, 471, 472 links; Janzen, ZEuP 2000, 165 links; eine Übersicht zu den wissenschaftlichen Arbeitsgruppen im Europäischen Privatrecht findet sich auf der Webseite für internationales und ausländisches Privatrecht der Universität zu Köln: http://www.uni-koeln.de/jur-fak/instipr/eurprivr/arbeitsgruppen .
2. Kapitel: Historische Entwicklung und Zielsetzung der Vergleichsobjekte
35
mission für Europäisches Vertragsrecht (Commission on European Contract Law). 50 Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich eine Gruppe von etwa 20 Wissenschaftlern aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, 51 die aufgrund einer privaten Initiative entstanden,52 deren Arbeit aber von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften finanziell unterstützt worden ist. 53 Auf zwei Symposien 1980 und 1981 in Brüssel konstituierte sich die Erste Kommission und veröffentlichte nach gut 14jähriger Arbeit den ersten Teil der Principles of European Contract Law (PECL), wie die Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts in der englischen Originalversion heißen.54 In der Überzeugung, daß innerhalb des Vertragsrechts die Regeln über die ordnungsgemäße Erfüllung und Rechtsbehelfe im Falle der Nichterfüllung von größter Bedeutung seien, hat die Erste Kommission diese Themen in Teil I der „Principles" behandelt.55 Im September 1992 nahm die Zweite Lando-Kommission ihre Arbeit auf und machte das Recht des Vertragsabschlusses, die Vollmacht von Vertretern, die Gültigkeit, Auslegung sowie Inhalte und Wirkungen von Verträgen zum Gegenstand ihrer Beratungen. 56 Außerdem wurde Teil I überarbeitet, so daß der im Jahre 2000 erschienene Band eine konsolidierte Gesamtversion der Teile I und II enthält.57 Abgerundet wird der Band durch Erläuterungen und rechtsvergleichende Hinweise zu jedem der 131 Artikel. 58 Auf der 50 Schmid , JZ 2001, 674 links; Staudenmayer , ERPL 2002, 249, 251; Riedl , ERPL 2000, 71, 72. 51 Eine Auflistung aller Mitglieder findet sich im Vorwort von Lando zu v. Bar/Zimmermann , PECL, S. XVI. 52 Lando, in: Weyers, Europäisches Vertragsrecht, S. 81, 92; ders ., in: Grundmann/Stuyck, Academic Green Paper, S. 207, 212; Tilmann , ZEuP 1995, 534, 535; Berger, JZ 1999, 369, 374 links. 53 Boneil , RabelsZ 56 (1992), 274, 277; Zimmermann,, JZ 1995, 477, 478 links; Espiau, ERPL 2003, 677, 681. 54 Lando/Beale , Principles of European Contract Law, Part I; eine deutsche Fassung des ersten Teils der PECL findet sich bei Drobnig/Zimmermann , ZEuP 1995, 864ff. 55 Teil I der PECL war in vier Kapitel gegliedert, von denen das erste Kapitel allgemeine Bestimmungen enthielt, das zweite sich mit dem Inhalt von Verträgen befaßte, und das dritte und vierte Kapitel dem Themenkomplex der Leistungsstörungen gewidmet war, vgl. Zimmermann , ZEuP 1995, 731, 733. 56 Lando, RIW 2003, 1 rechts; ders., ERPL 2000, 59, 63; Zimmermann, ZEuP 2000, 391,392. 57 Abgedruckt in Lando/Beale , Principles of European Contract Law, Parts I & II; deutsche Ausgabe herausgegeben von v. Bar/Zimmermann, PECL (2002). Durch die Konsolidierung hat sich allerdings die Zählung und Zitierweise geändert. Zwar setzt sich die Artikelbezeichnung nach wie vor aus einer Kapitelziffer und einer dreistelligen Nummer zusammen. Jedoch wurden nach der alten Zitierweise diese beiden Teile nicht wie jetzt durch einen Doppelpunkt (Bsp.: Art. 1:101), sondern durch einen einfachen Punkt (Bsp.: 1.101) getrennt, vgl. Basedow , Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung, S. 223. 58 Zimmermann, ZEuP 2000, 391, 392; v. Bar/Zimmermann, PECL, S. XI.
2. Teil: Das Europäische Vertragsrecht im Überblick
36
letzten Sitzung der Zweiten Kommission im Mai 1996 wurde ferner eine Dritte Kommission gegründet, die Teil III der PECL im Jahre 2003 veröffentlicht hat mit „Principles" zum Recht der Bedingungen, den Folgen von Gesetzes- und Sittenwidrigkeit und zu einer Reihe anderer Themen wie der Mehrheit von Schuldnern und Gläubigern, der Forderungsabtretung, der Schuld- und der Vertragsübernahme, der Aufrechnung und der Verjährung. 59 Das von den drei Lando-Kommissionen geschaffene Regelwerk soll mittelfristig Teil eines noch ambitionierteren Projekts werden, das Anfang 1998 von Christian von Bar ins Leben gerufen worden ist. 60 Es handelt sich dabei um die Study Group on a European Civil Code (SGECC), 61 die von der deutschen und niederländischen Regierung finanziell unterstützt wird 6 2 und den Entwurf eines Europäischen Zivilgesetzbuches anstrebt. 63 Die Study Group verfolgt genau dieselben Ziele wie Landos Commission on European Contract Law, und mehr als die Hälfte der Mitglieder der dritten Lando-Kommission gehören auch der Study Group an. 64 Ein wichtiges Vorbild für die Arbeit der Lando-Kommission waren die vom Amercian Law Institute herausgegebenen Restatements of Law? 5 Die Aufgabe der Restatements geht jedoch dahin, das Recht in seiner gegenwärtig geltenden Form niederzulegen, nicht dahin, es zu verbessern oder fortzubilden. 66 Demgegenüber galt für die Lando-Kommission das Motto: „Prüfet alles, behaltet, was gut ist". 67 Ein weiterer Unterschied zeigt sich im Vergleich mit der im Jahre 59
Lando, RIW 2003, 1 rechts; Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 725; Zimmermann, ZEuP 2000, 391, 392; eine deutsche Fassung des dritten Teils der PECL findet sich bei Drobnig/Zimmermann/Kleinheisterkamp, ZEuP 2003, 895ff. 60 Schmid, JZ 2001, 674 links; Lando, RIW 2003, 1, 2 links; die Study Group hat sich allerdings erst Mitte des Jahres 1999 konstituiert; allgemeiner Überblick bei v. Bar, ZEuP 2001, 515ff. sowie auf der Homepage der Study Group: http://www.sgecc.net. 61 Im Rahmen dieses Projekts gibt es sieben Arbeitsgruppen unterscheiden, die unter der organisatorischen Leitung des Steuerungskomitees der SGECC in Osnabrück (Christian von Bar) stehen: The Hamburg Working Team on Credit Securities, the Salzburg Working Team on Transfer of Moveable Property, the Nancy Working Team on Financial Services, the Edinburgh Working Team on Trust Law, the Osnabrück Working Team on Extra-Contractual Obligations (http://www.europe.uos.de/ECC/ index), the Dutch Working Team on Sales, Services and Longterm Contracts (http://ecc. kub.nl), the Project Group on a Restatement of European Insurance Contract Law Innsbruck Group (http://www.uibk.ac.at/cZc3/c305/ restatement/portal). 62 Lando, RIW 2003, 1, 2 links. 63 v. Bar/Zimmermann , PECL, S. XII; Heutger , ERPL 2003, 155; Leible , EWS 2001, 471,472 links. 64 v. Bar , ZEuP 2001, 799, 800; Heutger , ERPL 2003, 155, 156. 65 Remien , ZVglRWiss 87 (1988), 105, 118; Gebauer, Europäisierung des Privatrechts, S. 63. 66 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 246; Lando, in: MüllerGraff, Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S. 567, 572f. 67 Remien, ZVglRWiss 87 (1988), 105, 122, Fn. 85.
2. Kapitel: Historische Entwicklung und Zielsetzung der Vergleichsobjekte
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2002 gegründeten European Research Group on Existing EC Private Law (Acquis Gruppe). 68 Von den PECL und den „Principles" der SGECC unterscheiden sich die von der Acquis-Gruppe zu erarbeitenden Principles of Existing Community Private Law dahingehend, daß sie nicht die nationalen Rechtsordnungen, sondern das bestehende Gemeinschaftsrecht (den sog. „acquis communautaire", daher die Bezeichnung als Acquis-Gruppe) als Ausgangspunkt ihrer Forschungen wählen. 69
3. Abschnitt
Die Unidroit Principles of International Commercial Contracts (UPICC) Weiterhin sind gegen Ende 1994 unter Leitung von Michael Joachim Boneil die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (UPICC) 70 des in Rom ansässigen Internationalen Instituts für die Vereinheitlichung des Privatrechts (UNIDROIT) 7 1 erschienen. 72 UNIDROIT entstand im Jahre 1926 als Spezialorganisation des Völkerbundes, wobei es infolge des Austritts Italiens aus dem Völkerbund im Jahre 1940 ein eigenes Statut erhielt und nicht auf die UNO überging, aber gleichwohl den Charakter einer selbständigen internationalen Organisation behielt. 73 Zu den Mitgliedern zählen derzeit 59 Staaten aller Kontinente und Rechtssysteme.74 Bereits 1971 war eine Gruppe von Rechtsvergleichern mit der Vorbereitung der UPICC betraut worden; etwa gleichzeitig mit der Lando-Kommission nahm 68 Homepage der Acquis-Gruppe: http://www.jura.uni-bielefeld.de/Lehrstuehle/ Schulte-Noelke/ Institute_Projekte/Acquis_Group/index. 69 Zum „acquis communautaire", d.h. dem Bestand des geltenden Gemeinschaftsrechts, der für das Privat- und vor allem das Vertragsrecht relevant ist, zählen zahlreiche Richtlinien des zivilrechtlichen Verbraucherschutzes, aber auch verschiedene Richtlinien zum Zahlungsverkehr, weiterhin die Handelsvertreter- und die ArbeitnehmerEntsende-Richtlinie sowie gemeinschaftliche Regelungen des elektronischen Geschäftsverkehrs, über Finanzdienstleistungen, zum Schutz personenbezogener Daten, zum Urheberrecht und zu verwandten Schutzrechten und schließlich zum öffentlichen Auftragswesen, vgl. Leible , EWS 2001, 471, 472. 70 Da sich die Bezeichnungen „UNIDROIT Prinzipien" und „UNIDROIT Principles" nur schwerlich zum Zitieren eignen, wird im Rahmen dieser Arbeit die Abkürzung „UPICC" verwendet. 71 Homepage von UNIDROIT: http://www.unidroit.org. 72 Boneil , in: FS Goode, S. 91, 92; Loewe , in: FS Herber, S. 7, 8; Michaels , RabelsZ 62 (1998), 580, 582. 73 Seidl-Hohenveldern/Loibl , Internationale Organisationen, Rn. 0110, S. 6f.; v. Bar/ Mankowski , IPR Band I, § 2 Rn. 28, S. 44; Kronke, JZ 2001, 1149. 74 Zum aktuellen Stand siehe: http://www.unidroit.org/english/members/main .
2. Teil: Das Europäische Vertragsrecht im Überblick
38
dann eine Arbeitsgruppe von ebenfalls knapp 20 Mitgliedern ihre Beratungen auf. 75 Die mehr als zehnjährigen Arbeiten wurden im Mai 1994 erstmalig als „.Principles of International Commercial Contracts" herausgegeben. Im April 2004 hat der Direktionsrat von UNIDROIT eine teils überarbeitete, im wesentlichen aber erweiterte Fassung der UPICC verabschiedet, zu deren Entstehen wiederum eine internationale Arbeitsgruppe von diesmal 17 Mitgliedern und sechs Beobachtern sieben Jahre lang tätig war. 76 Die Unidroit-Prinzipien sind heute in alle wichtigen Handelssprachen übersetzt worden. 77 Ebenso wie die Lando-Kommission bestand die Unidroit-Arbeitsgruppe überwiegend aus Professoren. Einige Fachleute waren sogar an der Ausarbeitung beider Projekte beteiligt. 78 So erstaunt es kaum, daß die Arbeiten der von Lando und Boneil vorgestellten Gruppen inhaltlich weitreichende Gemeinsamkeiten aufweisen. 79 Die Unidroit Principles sind im Stil einer „civil law"Kodifikation formuliert und enthalten in nunmehr zehn Kapiteln 185 Artikel. 80 Neben allgemeinen Bestimmungen finden sich Vorschriften über den Vertragsabschluß, die Wirksamkeit und Auslegung des Vertrages, seinen Inhalt und die Erfüllung. 81 Durch die Unidroit Principles 2004 sind Ausführungen zu den Themen der Vertretung, Aufrechnung, Abtretung und Übertragung von Rechten, Pflichten und Verträgen sowie zu Verjährungsfristen hinzugekommen. Besondere Beachtung verdient indes das siebente Kapitel zu den Rechtsfolgen der Nichterfüllung. Die Nichterfüllung (non-performance) bildet sowohl in den Unidroit Principles als auch in den European Principles den Grundtatbestand
75
Zimmermann, JZ 1995, 477, 480 links. Zu den erweiterten Unidroit Principles 2004 siehe Boneil, ULR 2004, 5ff.; Brödermann, RIW 2004, 72Iff. 77 Brödermann, RIW 2004, 721, 722 links; Frick, RIW 2001, 416, 4171inks. 78 Dies gilt für Lando als Vorsitzenden der Commission on European Contract Law ebenso wie für Boneil, den Vorsitzenden der Unidroit-Arbeitsgruppe, ferner für die Mitglieder Drobnig aus Hamburg und Talion aus Paris; vgl. Zimmermann, ZEuP 2000, 391, 393; ders., JZ 1995, 477, 480 links; UHuber, ZIP 2000, 2273, 2280, Fn. 52; zum Verhältnis der UPICC zu den PECL: Boneil, International Restatement of Contract Law, S. 80ff. 79 Remien, RabelsZ 56 (1992), 300, 313; Zimmermann, ZEuP 2000, 391, 393; Rosier, EuLF, 2003, 207, 209. 80 Brödermann, RIW 2004, 721, 722; Frick,, RIW 2001, 416, 418 links; Boneil, RabelsZ 56 (1992), 274, 279. 81 Berger, JZ 1999, 369, 373 rechts; ders., Kodifizierung, S. 158; Frick, RIW 2001, 416, 418 links. 76
2. Kapitel: Historische Entwicklung und Zielsetzung der Vergleichsobjekte
39
des Leistungsstörungsrechts. 82 Insoweit folgen die UPICC und PECL dem Regelungssystem des UN-Kaufrechtsübereinkommens von 1980 (CISG). 83 Die UPICC sind überwiegend als ein nach US-amerikanischer Tradition den Ist-Zustand reflektierendes „restatement" und partiell als ein den Soll-Zustand beschreibendes „prestatement" zu qualifizieren. 84 Folglich gehen PECL und UPICC gleichermaßen über eine reine Gliederung, Ordnung und Bestandsaufnahme des geltenden Rechts hinaus und versuchen, durch die Aufstellung einheitlicher Regeln die Rechtsvereinheitlichung zu fördern. 85 Ein großer Unterschied besteht jedoch in bezug auf den räumlichen und den sachlichen Regelungsbereich. So beanspruchen die UNIDROIT-Prinzipien einerseits räumlich weltweite Geltung, beschränken sich aber andererseits sachlich auf internationale Handelsverträge. 86 Demgegenüber betreffen die PECL in sachlicher Hinsicht das Vertragsrecht in der Europäischen Union, 87 beanspruchen räumlich aber umfassende Geltung, also grundsätzlich auch für Nichthandelsverträge und rein nationale Sachverhalte. 88 Die „Principles" von Lando und Bonell, die auf überaus gründlichen rechtsvergleichenden Vorarbeiten beruhen, nehmen einen zentralen Platz in einem komplexen Geflecht geplanter und bereits durchgeführter Maßnahmen der Privatrechtsvereinheitlichung ein, von denen sie einerseits Anregungen aufgenommen haben, auf die sie andererseits aber auch ausstrahlen werden. 89
82
Art. 7.1.1 UPICC; Art. 8:101 i.V.m. Art. 1:301 (4) PECL: Schlechtriem , ZEuP 1993, 217, 221f.; Anders , ZIP 2001, 184, I86f.; betreffend UPICC: Karollus , RabelsZ 61 (1997), 582, 588; betreffend PECL: Lando, RabelsZ 56 (1992), 261, 269. 83 Zimmermann, JZ 1995, 477, 481 links; betreffend UPICC: Karollus , RabelsZ 61 (1997), 582, 584. 84 Kronke , JZ 2001, 1149, 1153 rechts. 85 Janzen, ZEuP 2000, 165; Michaels , RabelsZ 62 (1998), 580, 623. 86 Vgl. Präambel der UPICC; Boele-WoelkU in: v. Hoffmann, European Private International Law, 66, 74f. 87 Art. 1:101 PECL: Zimmermann, JZ 1995, 477, 480 links; Schackel , ZEuP 2001, 248, 273. 88 Michaels , RabelsZ 62 (1998), 580, 582; Flechtner , in: Ferrari, The 1980 Uniform Sales Law, S. 169, 175. 89 Zimmermann, ZEuP 1995, 731, 734.
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2. Teil: Das Europäische Vertragsrecht im Überblick 4. Abschnitt
Der Vorentwurf für ein Europäisches Vertragsgesetzbuch (Gandolfi-Code) Ein Vorentwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuches (Gandolfi-Code) 90 ist zu Beginn des Jahres 2001 von der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler 91 in Pavia veröffentlicht worden. 92 Federführend war Giuseppe Gandolfi, auf dessen Initiative die Akademie 1992 gegründet und das Werk in Angriff genommen wurde. 93 Der Akademie gehörten, wie ihr Name vermuten läßt, Rechtslehrer, hohe Richter und Anwälte aus den Vertragsstaaten der EU sowie der Schweiz an. 94 Nach knapp zehnjähriger Arbeit unter der Präsidentschaft von Alberto Trabucchi (t), André Tunc ( t ) und José Luis de los Mozos legte sie 2001 den Vorentwurf für ein Erstes Buch eines zukünftigen Europäischen Vertragsgesetzbuches vor, der in französischer Sprache abgefaßt ist. 95 Inhaltlich hat sich die Akademie frühzeitig darauf verständigt, nicht einen allgemeinen Teil des Schuldrechts zu verfassen, sondern sich auf das Schuldvertragsrecht als Ganzes zu konzentrieren. 96 Diesbezüglich folgt der Vorentwurf dem französischen Code civif 1 und wendet sich gegen das Klammerprinzip des BGB. 9 8 Obgleich der Gandolfi-Code in diesem Punkt auch nicht mit der Rege-
90 Code Européen des Contrats; es wird im Rahmen dieser Arbeit die bislang international verbreitetste Abkürzung „Gandolfi-Code" verwendet und somit von den deutschsprachigen Bezeichnungen des Vorentwurfs als VE oder VEuVGB (Vorentwurf für ein Europäisches Vertragsgesetzbuch) Abstand genommen; anders Sturm, JZ 2001, 1097ff., der die Abkürzung „ V E " verwendet. 91 Accademia dei Giusprivatisti Europei, auch Academy of European Private Lawers genannt.. 92 Gandolfi, Code Européen des Contrats, Mailand 2001. 93 Sturm, JZ 1991, 555; Zimmermann ZEuP 2000, 391, 393; siehe auch Posch, NJ 1991, 70. 94 Aus Deutschland gehören der Akademie an: Blaurock Bosch, Canaris, Ferid, Hefermehl, Krampe, Lingelbach, Medicus, Odersky, M Posch, Schlechtriem, R. Schulze, Sonnenberger, Wieacker, vgl. Sturm, JZ 2001, 1097, Fn. 2. 95 Sonnenberger, RIW 2001, 409; Sturm, JZ 2001, 1097 links; eine deutsche Übersetzung findet sich bei Gandolfi, Code Européen des Contrats, S. 605ff. sowie in ZEuP 2002, 139ff. und 365ff. sowie in Schulze/Zimmermann, Basistexte zum Europäischen Privatrecht, S. 473 ff. 96 Sonnenberger, RIW 2001, 409, 410. 97 Livre III, Titre III des französischen Code civil (Art. 1 lOlff.) lautet De contrats ou des obligations conventionnelles en général und nicht Des obligations en général ; vgl. Malaurie/Aynès , Cours der Droit Civil, S. 16; Bénabent, Droit Civil, S. 5. 98 Larenz , Schuldrecht I, S. 35; Medicus , Schuldrecht AT, Rn. 34ff., S. 16ff.
2. Kapitel: Historische Entwicklung und Zielsetzung der Vergleichsobjekte
41
lungssystematik des italienischen Codice civile konform geht," hat man das italienische Obligationenrecht als Vorbild für den Gandolfi-Code gewählt. 100 Ferner basiert der Vorentwurf der Akademie auf dem in den sechziger Jahren im Auftrag der englischen Law Commission von McGregor ausgearbeiteten Contract Code, der aber nicht verabschiedet worden ist. 101 Begründet wird diese Auslese einerseits damit, daß das italienische Obligationenrecht brückenschlagend zwischen dem deutschen und dem französischen Recht stehe und andererseits zugleich internationaler Rechtsentwicklung Rechnung tragend auch das Common law berücksichtigt werde. 102 In dieser Vorauswahl zeigt sich ein erster Unterschied zu den Kommissionen von Lando und Bonell, die keine bestimmte Rechtsordnungen oder Regelwerke zum Ausgangspunkt ihrer Arbeiten genommen haben.103 Der vorliegende Band 1 des Gandolfi-Code zerfallt in elf Titel, in denen Entstehung (Titel I), Inhalt (Titel II), Form (Titel III), Auslegung (Titel IV), Wirkungen (Titel V) und Erfüllung des Vertrages (Titel VI) geregelt sind. Von besonderem Interesse sind im Rahmen dieser Studie die Art. 89 - 117 des siebenten Titels, welche die Nichterfüllung des Vertrages betreffen. Auch hier wird in Gestalt der inexécution (Nichterfüllung) ein einheitlicher Leistungsstörungsbegriff gewählt, der in Art. 89 Gandolfi-Code definiert und in den folgenden Artikeln für einzelne Fälle präzisiert wird. 1 0 4 Es folgen Titel zur Übernahme (Titel IX) und zum Erlöschen des Vertrages (Titel X) sowie zu anderen Unregelmäßigkeiten und Rechtsmitteln (Titel XI). Als Unterschied zwischen den PECL und den UPICC einerseits und dem Gandolfi-Code andererseits wird angeführt, daß es sich bei letzterem nicht nur um die Formulierung von Prinzipien für eine spätere Vertragsgesetzgebung
99 Dem italienischen codice civile sind in Libro IV, Titolo I Delle obbligazioni in generale (Art. 1173ff.) die Regeln über „Schuldverhältnisse im allgemeinen" vorangestellt; vgl. Kindler, Einführung in das italienische Recht, S. 148. 100 Gandolfi, in: Grundmann/Stuyck, Academic Green Paper, S. 193, 203; Rainer, Europäisches Privatrecht, S. 465; Sonnenberger, RIW 2001, 409, 410 links; Hondius, ERPL 2002, 865, 870; Sturm, JZ 1991, 555 begründet die Wahl zugunsten des italienischen Rechts damit, daß sich der Codice Civile Italiano von 1939/1942 im Gegensatz zum Nieuw Burgerlijk Wetboek der Niederlande in jahrzehntelanger Rechtsprechung erprobt habe und sich deshalb besonders als Diskussionsgrundlage für ein Europäisches Vertragsgesetzbuch eigne. 101 Patti, ZEuP 2004, 118, 119f.; Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 736; Sonnenberger, RIW 2001, 409, 410 links. 102 Canaris , in: Gandolfi, Code Européen des Contrats, S. X X I X , X X X ; Posch,, NJ 1991,70. 103 Karollus, RabelsZ 61 (1997), 582, 584; v. Bar/Zimmermann, PECL, S. X X V I I I . 104 Storme, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 11, 26f.; Sonnenberger, RIW 2001, 409, 414 rechts; Schwenzer, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37, 38.
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2. Teil: Das Europäische Vertragsrecht im Überblick
handele, sondern bereits um eine erste Formulierung eines Teils des künftigen Europäischen Gesetzbuches selbst. 105 Dies ist der Sache nach richtig, jedoch aufgrund des Umstandes, daß die European und die Unidroit Principles im Stile kontinental-europäischer Gesetze formuliert sind 106 und somit in gleicher Weise zur Rechtsvergleichung geeignet sind, nicht weiter bemerkenswert.
5. Abschnitt
Perspektiven der europäischen Privatrechtsentwicklung Die Bestrebungen zur Verabschiedung eines Europäischen Vertrags- oder Zivilgesetzbuches sind dabei mehr als eine bloße Utopie. Während der letzten Jahre und Jahrzehnte haben sich im Zuge der Vollendung des Binnenmarktes und der Ausbildung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion die Organe der Europäischen Gemeinschaft dem Thema des europäischen Privatrechts als eigenem Gegenstand zugewandt.107 Bereits in den Jahren 1989 und 1994 hat das Europäische Parlament zwei Resolutionen verabschiedet, in denen es die Kommission aufgefordert hat, mit den Vorarbeiten für ein einheitliches europäisches Zivilgesetzbuch zu beginnen. 108 Während diese Resolutionen zunächst wenig Echo fanden, hat das Vereinheitlichungsprojekt auf dem Kölner Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Frühjahr 1999 sowie auf dem Sondergipfel der Justiz- und Innenminister in Tampere erstmals das Interesse des Ministerrates gefunden. 109 Am 11. Juli 2001 reagierte die Kommission auf die Beschlüsse des Rates von Tampere und legte ihre Mitteilung zum Europäischen Vertragsrecht vor. 1 1 0 Dazu haben der Rat 1 1 1 und das Europäische Parlament 112
105 So etwa Sonnenberger, RIW 2001, 409, 410 links; Gandolfi hält es in ZEuP2002, lf., zudem für sehr unwahrscheinlich, daß aufgrund von Prinzipien eine Rechtsvereinheitlichung erfolgen werde. 106 Betreffend der UPICC: Frick, RIW 2001, 416, 418 links. Hinsichtlich der PECL (Teil I) räumt Zimmermann (ZEuP 1995, 731, 732) ein, daß diese sicherlich nicht ein verabschiedungsreifes Europäisches Vertragsgesetzbuch darstellen, jedoch hat sich aus diesem Grunde die SGECC konstituiert. 107 Schulze/Schulte-Nölke, in: Schulte-Nölke/Schulze/Bernardeau, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, S. 11; Grundmann/Stuyck, in: Grundmann/Stuyck, Academic Green Paper, S. 3ff. 108 Entschließung vom 26. Mai 1989, ABl. 1989 EG C 158/400 vom 26. Juni 1989 und Entschließung vom 6. Mai, ABl. EG C 205/518 vom 25. Juli 1994; dazu Tilmann, ZEuP 1995, 534ff. 109 Schmid, JZ 2001, 674 links; Schulte-Nölke, JZ 2001, 917 rechts; Staudenmayer, ERPL 2002, 249, 250f. 110 K O M (2001) 398 endgültig; dazu Schulte-Nölke, JZ 2001, 917ff.; Staudenmayer, in: Schulte-Nölke/Schulze/Bernardeau, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschafts-
2. Kapitel: Historische Entwicklung und Zielsetzung der Vergleichsobjekte
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im November 2001 Stellung genommen. Es folgte im Februar 2003 ein Aktionsplan der Kommission, 113 der sowohl gesetzliche als auch nicht-gesetzliche Maßnahmen zur Vereinheitlichung des Vertragsrechts in den Mitgliedstaaten vorschlägt. 114 Bis zu diesem Zeitpunkt waren bereits 181 Beiträge aus der Wirtschaft und Rechtslehre sowie von Regierungen und anderen interessierten Kreisen bei der Kommission eingegangen.115 Eine Vielzahl von Beiträgen folgte als Reaktion auf den Aktionsplan. 116 Dieses Interesse zeigt zum einen die immense Wichtigkeit der Debatte um die Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der EU. Zum anderen bringt es die Bemühungen der Kommission zum Ausdruck, alle betroffenen Kreise an den Maßnahmen zu beteiligen, die in ferner Zukunft in die Verabschiedung eines Europäischen Zivilgesetzbuches münden könnten. Unter Berücksichtigung dieser Reaktionen hat die Kommission in ihrer Mitteilung vom Oktober 2004 1 1 7 die Folgemaßnahmen zum Aktionsplan aus dem Jahr 2003 dargelegt. Danach ist geplant, einen „Gemeinsamen Referenzrahmen" für das Vertragsrecht bis 2009 zu verabschieden. Es wetteifern im Bereich des Schuldrechts mit UPICC, PECL (bzw. den SGECC-Principles) und dem Gandolfi-Code im wesentlichen drei verschiedene Modelle um Beachtung, wobei sicherlich auch das CISG sowie nationale Rechtsordnungen zum Leitbild einer europäischen Kodifikation werden können.
6. Abschnitt
Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 Inwieweit die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches Vorbild für ein Europäisches Zivilgesetzbuch sein können, wird ebenfalls im Rahmen dieser Studie untersucht. 118 Dabei gilt es, die Entstehungsgeschichte und legislative Fortbildung des BGB zu beachten:
recht, S. 271 ff; Grundmann , NJW 2002, 393ff.; v. Bar , ZEuP 2001, 799ff.; Staudinger , VuR 2001, 353ff. 111 Bericht des Rates vom 16.11.2001. 112 Resolution des Europäischen Parlaments über die Annäherung des Zivil- und Handelsrechts der Mitgliedstaaten vom 15.11.2001, A 5-0384/2001. 113 K O M (2003) 68 endgültig. 1,4 Ebenda Rn. 52ff., S. 14ff. 115 Vgl. K O M (2003) 68 endgültig; Rn. 4, S. 4. 116 Abrufbar unter http://register.consilium.eu.int/pdf/en/01/stl2/12735enl.pdf . 1,7 K O M (2004) 651 endgültig. 118 Dazu Spickhoff, in: Diederichsen/Sellert, Das BGB im Wandel der Epochen, S. 157, 183; Basedow, AcP 200 (2000), 445ff.; Möllers, ERPL 2002, III, 798.
2. Teil: Das Europäische Vertragsrecht im Überblick
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Nach 13jähriger Arbeit legte im Jahre 1888 eine elfköpfige Kommission, darunter der berühmte Romanist Winscheid, einen ersten Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich vor. 1 1 9 Dieser Entwurf wurde, nachdem er von einer zweiten Kommission neugefaßt und vom Bundesrat mehrfach abgeändert worden war, dem Reichstag vorgelegt. 120 Der Reichstag nahm die Vorlage am 1.7.1896 an, woraufhin das Gesetz nach Ausfertigung am 1.1.1900 als Bürgerliches Gesetzbuch für das Deutsche Reich (BGB) in Kraft trat. 121 Dem BGB wurde bald nach seiner Entstehung im Ausland erhebliche Anerkennung zuteil. 122 Japan hatte bereits um die Jahrhundertwende das BGB weitgehend rezipiert. 123 Weitere Einflußgebiete lagen in Ungarn, 124 der damaligen Tschechoslowakei und Jugoslawien, in den baltischen Staaten und besonders in Griechenland, 125 aber auch in China. 126 Auf unsere Nachbarländer wirkte das BGB vor allem dadurch, daß sich die ausländische Rechtswissenschaft davon anregen ließ. 127 Am 1. Januar 2000 feierte das BGB seinen 100. Geburtstag 128 und hatte sich bis dahin, was inhaltliche oder sprachliche Veränderungen angeht, trotz einiger Erneuerungen als äußerst beständig erwiesen. 129 Doch nur zwei Jahre später hat der deutsche Gesetzgeber mit dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (SMG) 1 3 0 das zweite Buch des BGB „Recht
1,9 120 121
Säcker, in: Münchener Kommentar, Einl., Rn. 6. Heinrichs, in: Palandt, Einleitung, Rn. 5; Meder, Rechtsgeschichte, S. 287. Wolf in: Soergel, Einleitung zum BGB, Rn. 12: Schulte-Nölke, NJW 1996,
1705ff. 122
Spickhoff in: Diederichsen/Sellert, Das BGB im Wandel der Epochen, S. 157,
167. 123 Oka, in: FS Schlechtriem, S. 141ff.; Kono, AcP 200 (2000), 519ff; ders. ZEuP 1999, 417ff.; zum Einfluß des BGB auf das koreanische Recht siehe Kim, AcP 200 (2000), 511,514f. 124 Mädl, Acp 200 (2000), 526ff; 553, 556; Eörsi, RabelsZ 30 (1966), 117; Szäszy, RabelsZ 26(1961). 125 Georgiades, AcP 200 (2000), 493ff. 126 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 154; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 483ff.; Horn, NJW 2000,40 rechts. 127 Horn, NJW 2000, 40 rechts; zum Einfluß des BGB auf das Privatrecht der Niederlande: Hartkamp, AcP 200 (2000), 507ff.; bezüglich Schweiz und Österreich: Kramer, AcP 200 (2000), 365ff.; bezüglich Skandinavien: Göranson, AcP 200 (2000), 503ff. 128 Anders Schmoeckel, NJW 1996, 1697, der in der Verkündigung das konstituierende Merkmal sieht und somit bereits am 24.8.1996 den hundertsten Geburtstag des BGB feierte. 129 Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, Abschlußbericht, S. 13. 130 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001, BGBl. I S. 3138ff.
2. Kapitel: Historische Entwicklung und Zielsetzung der Vergleichsobjekte
45
der Schuldverhältnisse" in weitem Umfang neu gestaltet und insbesondere das Recht der Leistungsstörungen umfassend reformiert. 131 Der Hintergrund für die Modernisierung des Schuldrechts war folgender: Seit Anfang der siebziger Jahre wurde das Bundesministerium der Justiz (BMJ) aufgrund von immer stärker zutage tretenden Schwächen des deutschen Leistungsstörungsrechts gedrängt, eine grundlegende Überarbeitung des Schuldrechts in Angriff zu nehmen. 132 Daraufhin setze das BMJ im Jahre 1984 eine „Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts" ein, die 1992 einen Abschlußbericht veröffentlichte. 133 Es dauerte jedoch einige Zeit, bis diese zwischenzeitlich fast in Vergessenheit geratenen Vorschläge der Kommission wieder aufgegriffen wurden. 134 Erst durch den Druck der fristgerechten Umsetzung 135 insbesondere der EG-Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, 136 legte das BMJ im August 2000 einen heftig kritisierten 137 Diskussionsentwurf für ein Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vor. 1 3 8 Sodann bildete Anfang 2001 das BMJ eine „Kommission Leistungsstörungsrecht", 139 die aus dem Diskussionsentwurf eine konsolidierte Fassung erarbeitete. 140 Der darauf basierende Entwurf des SMG übernahm im wesentlichen die Ergebnisse der Kommission und erhielt am
131
Schulze , in: Handkommentar-BGB, Vor §§ 241-853, Rn. 1. Schmidt-Räntsch/Maifeld/Meier-Göring/Röcken, S. 3. 133 Emmerich , in: Münchener Kommentar, Vor § 275, Rn. 4. 134 Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 1; Grundmann , ERPL 2001, 239, 242. 135 Art. 11 Abs.l der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (1999/44/EG) sah eine Umsetzungsfrist bis zum 1. Januar 2002 vor. 136 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter; daneben haben die Entwicklung des SMG in großem Umfang bestimmt die Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr") sowie die Richtlinie 2000/3 5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr; allesamt abgedruckt in: Schulze/Zimmermann , Basistexte zum Europäischen Privatrecht. 137 Altmeppen , DB 2001, 113lff.; ders ., DB 2001, 1399ff.; Wilhelm/Deeg , JZ 2001, 223ff.; Wilhelm , JZ 2001, 86lff.; Knütel , NJW 2001, 2519ff. 138 Schmidt-Räntsch/Maifeld/Meier-Göring/Röcken, S. 11. 139 Zur Zusammensetzung der Kommission Leistungsstörungsrecht siehe Canaris , JZ 2001,499, Fn.l. 140 Heinrichs , in: FS Schlechtriem, S. 503, 504f.; Schmidt-Räntsch/Maifeld/MeierGöring/Röcken , S. 12. 132
46
2. Teil: Das Europäische Vertragsrecht im Überblick
11.10.2001 die Zustimmung des Bundestags und am 9.11.2001 die des Bundesrates, so daß das SMG pünktlich zum 1. Januar 2002 in Kraft treten konnte. 141 Bis zum 31.12.2001 waren die verschiedenen Formen der Leistungsstörungen (Unmöglichkeit, Schuldner- und Gläubigerverzug sowie die Sachmängelhaftung) eigenständig und teilweise sogar überhaupt nicht gesetzlich geregelt (so die Rechtsinstitute der positiven Forderungsverletzung, der culpa in contrahendo und des Wegfalls der Geschäftsgrundlage). 142 Innerhalb der einzelnen Leistungsstörungen galt es dann, mannigfaltige Unterscheidungen zu beachten. So mußte etwa bei der Unmöglichkeit, die trotz ihres seltenen Auftretens zum Mittelpunkt des Leistungsstörungsrechts gewählt wurde, zwischen anfänglicher und nachträglicher und ferner zwischen objektiver Unmöglichkeit und (subjektivem) Unvermögen differenziert werden; hinzu kam noch die Unterscheidung zwischen vollständiger und teilweiser sowie zwischen endgültiger und vorübergehender Unmöglichkeit und schließlich in allen genannten Fällen die weitere Unterscheidung danach, ob die Unmöglichkeit oder das Unvermögen nur vom Schuldner, nur vom Gläubiger, von beiden Vertragsparteien oder von keiner 143
von ihnen zu vertreten ist. Grundtatbestand des reformierten Leistungsstörungsrechts ist anstelle der Unmöglichkeit nunmehr § 280 BGB, der mit dem Begriff der Pflichtverletzung die zentrale Kategorie des neuen Leistungsstörungsrechts enthält. 144 Dabei versucht das seit 1.1.2002 geltende Recht, die verschiedenen Typen von Leistungsstörungen umfassend und möglichst in gemeinsamen Vorschriften zu regeln, die nun in erster Linie nicht mehr nach der Ursache der Leistungsstörung, sondern nach Rechtsfolgen geordnet sind. 145 Anders als das CISG, das in vielen Regelungsbereichen als Vorbild zur Reformierung des Schuldrechts diente, 146 verzichtet das BGB keineswegs auf die Differenzierung nach verschiedenen Störungsarten, was die besonderen Vorschriften zur Unmöglichkeit, zum
141 Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 5; zur Behandlung der Schuldrechtsreform im Deutschen Bundestag siehe Schröder/Thiessen, JZ 2002, 325ff. 142 Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, Rn. 5, S. 202. 143 Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, Abschlußbericht, S. 16. 144 Heinrichs, in: Palandt, Vorb v § 275, Rn. 10f.; Schultz, in: Westermann, Das Schuldrecht 2002, S. 20ff.; Olzen/Wank, Die Schuldrechtsreform, S. 7f.; Magnus, in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 67ff.; a.A. Schwab/Witt, Neues Schuldrecht, S. 77: krit. zur Begrifflichkeit „Pflichtverletzung": Schopp, JZ 2001, 583ff.; Stoll, JZ 2001,589, 593. 145 Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, Rn. 6, S. 205f.; zur Differenzierung nach der Störungsursache im BGB a.F.: Westermann/Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, S. 77ff. 146 Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, Abschlußbericht, S. 19f.: Magnus, RIW 2002, 577 links.
2. Kapitel: Historische Entwicklung und Zielsetzung der Vergleichsobjekte
47
Schuldner- und Gläubigerverzug, zur Störung der Geschäftsgrundlage sowie zu den Mängelrechten dokumentieren. 147 Es stehen daher mit dem reformierten BGB und dem bis zum 31.12.2001 geltenden Recht (BGB a.F.) zwei verschiedene Regelungssysteme für Leistungsstörungen zur Verfügung, deren Vorzüge und Nachteile es im Rahmen dieser Studie noch zu erörtern gilt.
147
Betreffend Schuldnerverzug: §§ 280 Abs. 2, 286ff. BGB: betreffend Unmöglichkeit: §§ 275, 280 Abs.3, 283, 311a, 326 BGB; betreffend Gläubigerverzug: §§ 293ff. BGB; betreffend Störung der Geschäftsgrundlage: § 313 BGB; allgemeine Vorschriften bestehen im BGB allerdings zum Schadensersatz (§ 280 Abs.l BGB) und Aufwendungsersatz (§ 284 BGB) sowie zum Rücktritt (§§ 323f., 346ff. BGB).
3. Teil
Grundlegendes zur Behandlung von Leistungsstörungen 1. Kapitel
Der Begriff der „Leistungsstörung" als Vergleichskriterium Das Kriterium, anhand dessen die vorgestellten Regelwerke miteinander verglichen werden, ist die Behandlung von Leistungsstörungen. Der Begriff der Leistungsstörung wird jedoch weder im UN-Kaufrecht noch in den European oder UNIDROIT Principles oder im Gandolfi-Code verwendet; sogar dem BGB ist er fremd. Es bedarf daher zunächst einer Klärung des Vergleichskriteriums „Leistungsstörung": „Leistungsstörung" ist kein Begriff des Gesetzes und auch kein „terminus technicus" der juristischen Dogmatik, sondern eine auf Heinrich Stoll (Die Lehre von den Leistungsstörungen, 1936)1 zurückgehende Sammelbezeichnung.2 Stoll umschrieb Leistungsstörungen als „Hemmungen und Hindernisse [...], die bei der Verwirklichung des Zieles des Schuldverhältnisses entstehen".3 Es handelt sich somit um einen rein deskriptiven Begriff, der nicht geeignet ist, de lege lata systemändernde oder jedenfalls systemfortbildende Wertungen zum Zuge kommen zu lassen.4 Der Begriff der Leistungsstörung hat sich allerdings hierzulande trotz der Tatsache, daß man ihn rechtlich gesehen als nullum qualifizieren muß, bis zum heutigen Tage im Sprachgebrauch der Juristen gehalten. Dies hängt damit zusammen, daß ein einprägsamer Kurztitel gefunden war, der nahezu alle Fälle der Störung von Schuldverhältnissen umfaßte. 5 Daran vermochte auch das SMG mit der Einführung des allgemeinen Tatbestandes der Pflichtverletzung nichts zu ändern; man spricht weiterhin vom Recht der Leistungsstörun-
1
Stoll, Die Lehre von den Leistungsstörungen, Tübingen 1936. Heinrichs, in: Palandt, Vorb v § 275, Rn. 1; zu Heinrich Stolls Bedeutung für die Entwicklung des allgemeinen Schuldrechts siehe Sessler, Die Lehre von den Leistungsstörungen. 3 Stoll, Die Lehre von den Leistungsstörungen, S. 13. 4 Schlechtriem, ZEuP 1993, 217, 221. 5 So auch Schapp, JZ 2001, 583, 584f. 2
1. Kapitel: Der Begriff der „Leistungsstörung" als Vergleichskriterium
49
gen und nicht vom Recht der Pflichtverletzungen. 6 Angesichts der Mißverständnisse, denen sich der Begriff der Pflichtverletzung hinsichtlich seiner sprachlichen Konnotation ausgesetzt sieht, verwundert dies kaum. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist von einer Pflichtverletzung nämlich vielfach nur dann die Rede, wenn ein subjektiv vorwerfbares Verhalten vorliegt. 7 Der Begriff Pflichtverletzung sagt jedoch wie die Termini „breach of contrac t\ ,failure to perform „non-performance'' oder „inexécution " zunächst nichts über Schuld und Verantwortung bezüglich des störenden Ereignisses aus, sondern bezeichnet nur ein Abweichen vom gesetzlich oder vertraglich festgelegten Pflichtenprogramm. 8 Die Frage des Vertretenmüssens ist vielmehr Gegenstand des (noch in Kap. 3 zu untersuchenden) Haftungsmaßstabs in den verschiedenen Regelungssystemen. Welche Störungstatbestände im einzelnen vom Begriff der Leistungsstörung erfaßt sind, ist schon für die deutsche Rechtsordnung streitig. 9 Was der Ausdruck Leistungsstörung jedoch im Kontext des UN-Kaufrechts, der PECL und UPICC oder des Gandolfi-Codes zu bedeuten hat, ist bislang ungeklärt. Es ließe sich zwar der Leistungsstörungsbegriff direkt aus dem deutschen Recht auf die genannten Regelwerke übertragen. Eine solche deckungsgleiche Interpretation hätte allerdings kuriose Ergebnisse zur Folge. So dürfte etwa der Gläubigerverzug, der nach deutschem Rechtsverständnis nicht zum Leistungsstörungsrecht gehört, 10 ebenso im Gandolfi-Code aber unter den einheitlichen Tatbestand der inexécution fallen kann, 11 nicht als Leistungsstörung bezeichnet werden. Im Europäischen Vertragsrecht gebietet sich daher eine extensive Auslegung des Leistungsstörungsbegriffs. In Anlehnung an Heinrich Stoll ist demnach als Lei-
6 Vgl. etwa Heinrichs , in: Palandt, Überschrift zu Vorb v § 275; Emmerich , Das Recht der Leistungsstörungen; Medicus , Schuldrecht AT, 5.Teil „Die Leistungsstörungen"; kritisch Schlechtriem , in: Dauner-Lieb/Konzen/ Schmidt, Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 71, 73, Fn.12, der das Wort „Leistungsstörungen" nicht mehr für passend hält, weil das auf der „Pflichtverletzung" aufbauende Regelungssystem auch die Verletzung von Schutzpflichten umfasse, die gerade nicht zu Leistungen verpflichten und deren Verletzung deshalb auch nicht „Leistungsstörung" genannt werden könne. 7 U.Huber, Leistungsstörungen I, S. 6; dersin: Ernst/Zimmermann, Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 31, 98ff; Schmidt-Räntsch/Maifeld/Meier-Göring/ Röcken , S. 168f; Westermann , JZ 2001, 530, 536 rechts; a.A. Reischl , JuS 2003, 40, 41 links. 8 Schlechtriem , ZEuP 1993, 217, 222. 9 Vgl. dazu eingehend U.Huber, Leistungsstörungen I, S. 2ff. 10 Heinrichs, in: Palandt, Vorb v § 275, Rn. 1. Die vom Gläubiger verursachte Nichterfüllung wird ebenso im belgischen, niederländischen und griechischem Recht sowie den nordischen Rechten im Allgemeinen nicht als tekortkoming, Vertragsverletzung oder Kontraktsbrott qualifiziert, es sei denn, es handelt sich bei der Pflicht zur Entgegennahme der Leistung um eine Hauptpflicht des Gläubigers, vgl. v. Bar/Zimmermann, PECL, Anmerkung (3) zu Art. 8:101. 11 Art. 104 Abs. 2 Gandolfi-Code.
50
3. Teil: Grundlegendes zur Behandlung von Leistungsstörungen
stungsstörung all das zu verstehen, was dem Ziel des Schuldverhältnisses zuwiderläuft, seien es Unregelmäßigkeiten bei der Begründung oder Durchfuhrung des Schuldverhältnisses oder Fehlvorstellungen über die dem Schuldverhältnis zugrundeliegenden Tatsachen.
2. Kapitel: Systematische Gliederung der Leistungsstörungen
51
2. Kapitel
Systematische Gliederung der Leistungsstörungen Bevor die Behandlung einzelner Leistungsstörungen analysiert und innerhalb der verschiedenen Regelwerke verglichen wird, sind die grundsätzlichen Möglichkeiten zur systematischen Gliederung von Leistungsstörungen zu untersuchen. Dabei stehen sich im wesentlichen zwei verschiedene Grundkonzepte gegenüber. Will man den Bereich der Leistungsstörungen systematisch untergliedern, kann man entweder von der Art der Leistungsstörung (cause approach) oder von der Art der Rechtsfolge (remedy approach) ausgehen.1
1. Abschnitt
Gliederung nach der Art der Leistungsstörung (cause approach) Bei der Gliederung nach der Art der Leistungsstörung werden Tatbestände für die verschiedenen Störungsursachen gebildet und mit eigenen Rechtsfolgen ausgestattet. Dabei differenziert man die Störungsursachen nach dem Grund des Ausbleibens der Leistung. Dieser kann darin liegen, daß die Leistung bereits bei Vertragsschluß unmöglich war oder später unmöglich geworden ist. Die Leistung kann aber auch aus anderen Gründen als Unmöglichkeit ganz ausbleiben oder zu spät erbracht werden. Ferner kann der Schuldner die Leistung zwar pünktlich, aber schlecht erbringen oder Schutzpflichten des Schuldverhältnisses verletzen. Aus diesen wie aus anderen Störungsursachen lassen sich beliebig viele Störungstatbestände bilden. Dadurch wird zwar einerseits ermöglicht, ein scharfsinniges und ausgeklügeltes Raster von Regeln zur Behandlung von Leistungsstörungen zu bilden und somit differenzierte Wertungen des Gesetzgebers einfließen zu lassen. Die Kehrseite der Medaille besteht allerdings darin, daß ein solches Regelwerk Gefahr läuft, seine Verständlichkeit zu verlieren. Juristische Laien werden im Zweifel das dogmatische und systematische Einfühlungsvermögen nicht aufbringen können, um solch ein Konstrukt zu verstehen. Darüber hinaus kann man es als Schwäche des cause approach ansehen, wenn für ein und denselben Rechtsbehelf bei verschiedenen Störungstatbeständen letztendlich identische oder zumindest ähnliche Voraussetzungen gelten. Der Grund für eine Differenzierung nach Störungsursachen wird in diesem Falle hinfällig.
1 Vgl. Lando, in: de Witte/Forder, The common law of Europe, S. 223, 232f.; Olzen/ Wank, Die Schuldrechtsreform, Rn. 17, S. 7.
52
3. Teil: Grundlegendes zur Behandlung von Leistungsstörungen Das B G B war bis zur Schuldrechtsreform nach der A r t der Störungsursache
gegliedert. 2 So haben für jede der genannten Leistungsstörungen unterschiedliche Voraussetzungen und teilweise unterschiedliche Rechtsfolgen gegolten. 3 Für das B G B hatte dies zur Folge, daß daraus ein überaus komplexes und äußerst diffiziles System der Leistungsstörungen entstanden ist. In einzelnen Teilen, etwa i m Bereich der anfänglichen Unmöglichkeit, mußte dieses System als „rechtspolitisch verfehlt" 4 und „interessenwidrig" 5
bezeichnet
werden. 6
Diese inhaltlichen Mängel können jedoch nicht der Gliederung nach der Störungsursache angelastet werden. A l s unvorteilhaft erweist sich der cause approach
jedoch insofern, als
einzelne Störungstatbestände vergessen oder bewußt v o m Gesetzgeber offengelassen werden können. So kann es überhaupt erst bei der Gliederung nach der Störungsursache mangels einen Generaltatbestandes zur Lückenbildung
im
Leistungsstörungsrecht kommen. Die Rechtsinstitute der positiven Vertragsbzw. Forderungsverletzung, 7 des Verschuldens bei Vertragsanbahnung (culpa in contrahendo) 8 und des Wegfalls der Geschäftsgrundlage 9 sind jedem deutschen
2
Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 511. P.Huber, in: Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 8; Magnus, in: Schulze/ SchuldSchulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 67, 69; Westermann/Bydlinski/Weber, recht AT, S. 77ff. 4 Vollkommen in: Jauernig, 9. Aufl. (1999), § 306, Rn. 1. 5 Emmerich, in: Münchener Kommentar, Vor § 275, Rn. 10 m.w.N. 6 Die Kritik richtete sich dabei insbesondere gegen die Nichtigkeitsfolge des § 306 BGB a.F. und die Beschränkung der Haftung des Schuldners auf das negative Interesse gemäß § 307 BGB a.F., vgl. Heinrichs, in: Palandt, § Vorb v § 275, Rn. 6; Medicus, AcP 188 (1988), 168, 173. 7 Die ausdrückliche Regelung von Unmöglichkeit, Verzug und Mängelgewährleistung wurde bald nach Inkrafttreten des BGB als ungenügend angesehen. Deshalb verschaffte sich die von Staub im Jahre 1902 vorgetragene Ansicht, daß jede Pflichtverletzung des Schuldners Leistungsstörung sei, rasch allgemeine Anerkennung. Jedoch unterlag Staub einem Mißverständnis, als er im gesetzlichen System der Leistungsstörungen eine Lücke zu sehen glaubte, die er durch die Figur der „positiven Vertragsverletzung" auszufüllen versuchte. Daß für eine Schlechterfüllung überhaupt gehaftet werden müsse, stand schon vor dem BGB außer Zweifel. Das RG entnahm die Rechtsgrundlage der pVV unmittelbar § 276 BGB a.F., der BGH zunächst einer Rechtsanalogie zu §§ 280, 286, 325, 326 BGB a.F. Bis zur Schuldrechtsreform hatte die pVV den Status einer gewohnheitsrechtlich anerkannten, durch Gesetzesrecht bestätigten (§ 11 Nr. 7 AGBG) und von § 242 BGB gedeckten Rechtsfortbildung. Nunmehr ersetzt §280 BGB n.F. den ungeschriebenen Tatbestand der pVV; vgl. Stadler, in: Jauernig, Vor §§ 275-292, Rn. 2; Heinrichs, in: Palandt, § 280, Rn. 5; Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 190; Schünemann, JuS 1987, 1, 2ff. 8 Das aus dem römischen Recht schon 1861 von Rudolf v. Jhering entwickelte Institut der cupla in contrahendo, wonach ein Partner von Vertragsverhandlungen bei Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht Schadensersatz zu leisten hat, wurde zwar vom BGB ursprünglich nicht aufgenommen, wenig später aber von der Rechtsprechung anerkannt. Die Verfasser des BGB haben bewußt davon abgesehen, Grund und Umfang 3
2. Kapitel: Systematische Gliederung der Leistungsstörungen
53
Juristen geläufige Beispiele dafür, daß Rechtsprechung und Lehre das geschriebene Leistungsstörungsrecht auf breiter Front ergänzt und weiterentwickelt haben.10
2. Abschnitt
Gliederung nach dem begehrten Rechtsbehelf (remedy approach) Die moderne Lösung ist es, das Leistungsstörungsrecht nach den Rechtsbehelfen zu gliedern und als gemeinsame Grundvoraussetzung aller Rechtsbehelfe, einen einheitlichen Leistungsstörungstatbestand festzulegen. 11 Letzteres ist zwar rein terminologisch nicht zwangsläufig mit einer rechtsbehelfsorientierten Gliederung des Leistungsstörungsrechts verbunden. Jedoch wäre gegenüber dem cause approach kein wesentlicher Unterschied festzustellen, wollte man die Voraussetzungen der einzelnen Rechtsbehelfe wieder ausschließlich nach den verschiedenen Störungsursachen gliedern. Einheitliche Leistungsstörungstatbestände finden sich in allen der zu untersuchenden Kodifikationen. So knüpfen CISG, 12 European 13 und UNIDROIT 1 4 Principles, Gandolfi-Code 15 sowie das reformierte BGB 1 6 im wesentlichen übereinstimmend zunächst daran an, daß eine Partei eine ihrer Pflichten nicht
dieser Haftung zu regeln, weil dies der künftigen Wissenschaft und Praxis überlassen werden sollte. Die Haftung für c.i.c. war seit langem gewohnheitsrechtlich anerkannt und hat jetzt in § 311 Abs. 2 und 3 BGB n.F. eine normative Grundlage; Heinrichs , in: Palandt, § 311, Rn. 11; Köbler, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 214; Kroeschell , Deutsche Rechtsgeschichte, S. 190. 9 In dem neuen § 313 BGB hat das SMG die Rechtsgrundsätze für Störungen der Geschäftsgrundlage kodifiziert. Diese Rechtsgrundsätze sind von Rechtsprechung und Lehre entwickelt worden, nachdem Erster Weltkrieg, Revolution und Geldentwertung die Grundlage einer Vielzahl von Schuldverhältnissen erschüttert hatten, vgl. Heinrichs , in: Palandt, § 313, Rn. lf.; Emmerich , Das Recht der Leistungsstörungen, S. 402ff. 10 Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts , Abschlußbericht, S. 17. 11 Schwenzer, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37. 12 Art. 45 Abs. 1, 61 Abs.l CISG; vgl. Ziegler , Leistungsstörungen nach dem UNKaufrecht, S. 38ff. 13 Art. 8:101 (1) iVm Art. 1:301 (4) PECL; vgl. Lando, RabelsZ 56 (1992), 261, 269; Anders , ZIP 2001, 184, 187. 14 Art. 7.1.1 UPICC; Karollus , RabelsZ 61 (1997), 582, 588; Anders , ZIP 2001, 184, 186f. 15 Art. 89 Gandolfi-Code; vgl. Sonnenberger, RIW 2001, 409, 414 rechts; a.A. Storme , in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 11, 28, der in Art. 89 Gandolfi-Code keinen einheitlichen Begriff sieht. 16 § 280 Abs. 1 BGB; vgl. Heinrichs , in: Palandt, § 280, Rn. 2.
54
3. Teil: Grundlegendes zur Behandlung von Leistungsstörungen
erfüllt. 17 Gleiches gilt für moderne Gesetzbücher wie etwa das niederländische Nieuw Burgerlijk Wetboek. 18 Pate gestanden hat für diese einheitlichen Leistungsstörungsbegriffe das dem Common Law entstammende Rechtsinstitut des breach of contract (Vertragsbruch). 19 Man spricht im englischen Recht von einem breach of contract, wenn der Vertragspartner seine vertraglich zugesicherte Leistung ohne rechtmäßige Entschuldigung entweder gar nicht, nicht vollständig oder fehlerhaft erbringt. 20 In diesem Leistungsstörungssystem ist es dann auch nicht mehr von Bedeutung, ob der Schuldner einer Leistung diese verspätet oder gar nicht erbringt, da er jedenfalls stets „vertragsbrüchig" ist. 21 Auf der Rechtsfolgenseite führt ein breach of contract immer zu einem Schadensersatzanspruch der geschädigten Partei gegen den Vertragsbrüchigen Partner. 22 Bei einem schwerwiegenden Vertragsbruch {repudiatory breach) kann kumulativ der Rücktritt vom Vertrag erklärt werden. 23
3. Abschnitt
Stellungnahme Die Verwendung eines einheitlichen Leistungsstörungsbegriffs stellt gegenüber dem cause approach die für den Laien leicht verständlichere und bisweilen auch die weitaus praktikablere Lösung dar. Viel zu oft gewinnt der Leser bei der Lektüre von Gesetzen, Entscheidungen oder Verträgen den Eindruck, sie 17
Schweitzer, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37, 38. Storme, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 11, 26f. 19 Atiyah, An Introduction to the Law of Contract, S. 40Iff.; Beale/Bishop/Furmston, Contract. Cases and Materials, S. 562ff.; Cheshire/Fifoot/Furmston, Law of Contract (12 t h ed.), S. 527ff.; Oughton/Davis, Sourcebook on Contract Law, S. 570; Treitel, The Law of Contract, S. 772ff. 20 Cutter v. Powell (1795) 6 TR 320; Treitel, The Law of Contract, S. 772. 21 Paradine v. Jane (1647) [1558-1774] A l l E.R. 172, 173 H. 22 Selbst wenn die Vertragstreue Partei überhaupt keinen Schaden erlitten hat, wird ein „nomineller Schadensersatz" (nominal damages) zugestanden, vgl. Hadley v. Baxendale (1854) 9 Exch 341; Cheshire/Fifoot/Furmston, Law of Contract, S. 549; Triebel/Hodgson/Kellenter/Müller, Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, Rn. 157, S. 81. 23 Das englische Recht kennt im wesentlichen drei verschiedene Arten des repudiatory breach, nämlich den Bruch einer wesentlichen Vertragsbedingung (breach of a condition ), den schwerwiegenden Bruch einer „halbwegs wichtigen" Vertragsbedingung {fundamental breach of an innominate term) sowie den antizipierten Vertragsbruch (anticipatory breach of contract). Verallgemeinernd kann man aber sagen, daß im englischen Recht nur bei schwerwiegenden Vertragsbrüchen ein Rücktritt möglich ist; vgl. Cheshire/Fifoot/Furmston, Law of Contract, S. 534. 18
2. Kapitel: Systematische Gliederung der Leistungsstörungen
55
wendeten sich nicht an den Bürger oder die Parteien, sondern nur an den kundigen Juristen. 24 Doch selbst unter Juristen hat sich angesichts der Fülle von Gesetzen das Bedürfnis nach leicht verständlichen Regeln gesteigert. Aus diesem Blickwinkel verwundert es auch nicht, daß im deutschen Recht die Attraktivität der positiven Forderungsverletzung bis zur Schuldrechtsreform immer weiter gewachsen ist. Die pVV hat nämlich mit zunehmender Konturenlosigkeit eine immer größere Flexibilität bei der rechtlichen Bewältigung von Leistungsstörungen mit sich gebracht, die in klarem Gegensatz zu den hochkomplexen, operational schwierigen und in ihrem Gerechtigkeitsgehalt manchmal schwer durchschaubaren Regelungen des BGB a.F. stand.25 Allerdings läßt die ausschließliche Verwendung eines einheitlichen Leistungsstörungsbegriffs, wie im englischen Recht, jegliche Präzision und Akkuratesse vermissen, die zur sach- und interessengerechten Behandlung von Leistungsstörungen notwendig ist. Dem Gesetzgeber bieten sich daher im wesentlichen zwei verschiedene Alternativen, um auf diesen Mißstand zu reagieren: 1. Zum einen kann er gar nichts unternehmen und die vieldeutige Interpretation des einheitlichen Leistungsstörungsbegriffs den Gerichten überlassen. Dies entspricht, abgesehen von einigen wenigen gesetzlichen Regelungen,26 der Vorgehensweise des englischen Gesetzgebers. Ein solches gesetzgeberisches Verhalten geht mit der englischen Rechtsdogmatik konform. Das englische Recht baut nämlich auf der jahrhundertealten, durch Gerichtsentscheidungen entstandenen Rechtsfindung auf, dem sog. case law zu deutsch „Fallrecht". 27 Der charakteristische Unterschied zwischen Urteilen englischer und den Urteilen kontinentaleuropäischer Gerichte liegt in ihrer BindungsWirkung (doctrine of stare decisis). 28 Durch das Urteil eines englischen Gerichts wurde und wird nicht nur der konkrete Fall entschieden, sondern auch eine Regel vorgegeben, wie der einheitliche Leistungsstörungsbegriff bei dieser speziellen Störungsursache in Zukunft von diesem oder einem im Instanzenzug untergeordneten Gericht zu interpretieren ist. 29 Im Laufe der Zeit ist daraus ein Leistungsstörungsrecht ge-
24 25 26
Möllers, JuS-Lernbogen 9/2001, 65, 68 links. Schünemann, JuS 1987, 1, 3 links. Vgl. etwa Sale of Goods Act 1979 oder Law Reform (Frustrated
Contracts) Act
1943. 27
Fikentscher, ZfRV 1980, 161ff.; v. Bernstorff Englisches Recht, S. 7. Walker/Walker, English Legal System, S. 57ff.; Wade/Bradley , Constitutional and Administrative Law, S. 16ff. 29 In England ist dieses Prinzip als doctrine of judicial precedent oder stare decisis bekannt, vgl. Moodie v. Inland Revenue Commissioners (1993) 2 All E.R. 49; Schmitthoff JZ 1967, 1, 2 links; Smith/Bailey, The Modern English Legal System, S. 413ff. 28
56
3. Teil: Grundlegendes zur Behandlung von Leistungsstörungen
wachsen,30 dessen Schlüssigkeit es in dieser Arbeit jedoch nicht zu untersuchen gilt. In den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen entfalten präjudizielle Entscheidungen zwar keine bindende Wirkung, jedoch kann heute ein Urteil der Cour de Cassation oder des Bundesgerichtshofes in gleichem Maße auf Anerkennung durch die unteren Gerichte hoffen. 31 Praktisch gesehen besteht somit für jeden Gesetzgeber die Handlungsalternative der Passivität hinsichtlich der Ausfüllung eines einheitlichen Leistungsstörungstatbestandes. Es stellt sich allerdings die Frage, ob ein derartiges Leistungsstörungsrecht erstrebenswert ist. Zwar mag es aus Sicht des Gesetzgebers einen gewissen Reiz ausmachen, das Steuer loszulassen und die Fahrt ins Ungewisse zu wagen, sich von der Rechtsprechung treiben zu lassen und bei Bedarf den Kurs mittels gesetzlicher Regelungen zu korrigieren. Nach kontinentaleuropäischem Rechtsverständnis würde sich der Gesetzgeber damit jedoch seiner Verantwortung entziehen und im Gegenzug die Judikative eine quasi-legislatorische Funktion übernehmen. Aus dem Blickwinkel Montesquieus scheint hier die fließende Grenze zwischen zulässiger Rechtsfortbildung und unzulässiger Richtergesetzgebung überschritten und ein Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung bzw. -verschränkung gegeben zu sein/ 2 Mitunter leidet die Rechtssicherheit unter einem derart vagen Leistungsstörungsrecht. Die Verwendung eines einheitlichen Leistungsstörungsbegriffs ohne fest umrissene Anwendungsinstruktionen ist daher für ein europäisches Leistungsstörungsrecht abzulehnen. 2. Als zweite Handlungsalternative besteht für den Gesetzgeber die Möglichkeit, nicht bloß den einheitlichen Leistungsstörungsbegriff zu normieren, sondern diesem Tatbestand anhand von differenzierenden Regeln Konturen zu verleihen. Dies kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen: So kann zur Differenzierung wieder auf die verschiedenen Leistungsstörungstypen abgestellt werden. Dabei gilt das Prinzip ,je höher die Regelungsdichte bei der Differenzierung, desto größer die Annäherung zum cause approach": Auf diese Weise wurden im reformierten BGB Unmöglichkeit, Verzug und Schlechtleistung als Leistungsstörungstatbestände nicht nur aufrechterhalten, sondern viel klarer nebeneinander gestellt.3^ Unrichtig wäre es daher zu denken, das SMG habe die Unterscheidung nach den verschiedenen 30 Man beachte insbesondere die Fälle Taylor v. Caldwell (1863) 3 B. & S. 826 zur doctrine of frustration und Couturier v. Hastie ( 1844) 13 M. & W. 487 zur anfänglichen Unmöglichkeit (common mistake). 31 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 256. 32 Zur Ideengeschichte des Gewaltenteilungsprinzips siehe Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 323ff.; zum Verhältnis von Gesetzgebung und Rechtsfortbildung im deutschen Recht siehe Degenhardt, Staatsrecht I, Rn. 253, S. 103. 33 Lorenz, JZ 2001, 742 rechts; Schw enzer, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37, 38f. sowie 205, 207f.; Gieseler, JR 2004, 133 links; Medicus, in: Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt, Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 63, 70.
2. Kapitel: Systematische Gliederung der Leistungsstörungen
57
Leistungsstörungstatbeständen beseitigt und sie durch den einheitlichen Tatbestand der Pflichtverletzung ersetzt. 34 Ebenso spielt im Gandolfi-Code die Differenzierung nach verschiedenen Leistungsstörungsarten trotz Vorhandenseins eines einheitlichen Leistungsstörungsbegriffs eine große Rolle. 35 Auf die Differenzierung nach den verschiedenen Arten von Leistungsstörungen wie etwa Nichterfüllung, Verzug und Schlechterfüllung kann aber auch gänzlich verzichtet werden und statt dessen dem Gewicht der Leistungsstörung Bedeutung für die Rechtsbehelfswahl zugemessen werden. 36 So verfährt zum Beispiel das CISG, wenn es verschiedene Sanktionen an wesentliche und nichtwesentliche Vertragsverletzungen knüpft. 37 In der Mitte befindet sich ein „moderately remedy-oriented approach welcher etwa in den PECL verwendet wird. 38 Dies bedeutet, daß im allgemeinen nicht zwischen verschiedenen Arten der Nichterfüllung unterschieden wird, jedoch einige Artikel auf bestimmte Arten der Nichterfüllung zugeschnitten sind. 39 Allerdings wird auch bei den PECL auf die Intensität der Vertragsverletzung abgestellt.40 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der remedy approach dem cause approach vorzuziehen ist. Dabei genügt es allerdings nicht, lediglich einen einheitlichen Leistungsstörungstatbestand zu normieren, sondern es bedarf differenzierender Regeln, die unterschiedlich geartet sein können.
34 Lorenz , JZ 2001, 742 rechts; Dauner-Lieb , in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, § 280, Rn. lOff. 35 Vgl. Art. 90 - 105 Gandolfi-Code, die im Stile des cause approach für verschiedene Störungsursachen differenzierende Regeln für den einheitlichen Leistungsstörungsbegriff enthalten. 36 Magnus , in: Staudinger, Vorbem zu Art. 45 ff CISG, Rn. 3. 37 Das CISG macht Rechtsfolgen mehrfach davon abhängig, daß eine Vertragsverletzung „wesentlich" i.S.v. Art. 25 CISG ist {fundamental breach of contract ): so bezüglich des Rechts einer Partei zur Vertragsaufhebung in Art. 49 Abs. 1 lit.(a) CISG (Pflichtverletzung des Verkäufers), Art. 51 Abs. 2 CISG (bei teilweiser Nichterfüllung), Art. 64 Abs. 1 lit.(a) CISG (Pflichtverletzung des Käufers), Art. 72 Abs. 1 CISG (bei bevorstehender Vertragsverletzung) und Art. 73 Abs. 1 u. 2 CISG (beim Sukzessivlieferungsvertrag), ferner in Art. 46 Abs. 2 CISG (Ersatzlieferung) und Art. 70 CISG (Gefahrübergang), vgl. Lüderitz/Fenge/Budzikiewicz , in: Soergel, Art. 25 CISG, Rn. 1; Magnus , in: Staudinger, Art. 25 CISG, Rn. 1. 38 Storme , in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 11, 13; vgl. auch Teichmann , ZEuP 2004, 193f. 39 Insbesondere die fehlende Annahme oder Zurücknahme von Sachen (Art. 7:110 PECL), die Nichtannahme von Geld (Art. 7:111 PECL), das nicht vertragsgerechte Angebot der Leistung (Art. 8:104, 9:401 PECL), Zahlungsverzug (Art. 9:508 PECL); vgl. v. Bar/Zimmermann , PECL, Kommentar (D) zu Art. 1:301. 40 Z.B. bei der Vertragsaufhebung, vgl. Art. 9:301 (1), 8:103 PECL.
3. Teil: Grundlegendes zur Behandlung von Leistungsstörungen
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4. Abschnitt
Konsequenzen für den rechtsvergleichenden Teil Die Tatsache, daß die zu untersuchenden Regelwerke weitgehend dem remedy approach folgen, könnte Auswirkungen auf den rechtsvergleichenden Teil dieser Studie haben. Dem remedy approach entsprechend, ließe sich die Rechtsvergleichung anhand der verschiedenen Rechtsfolgen (Schadensersatz, Vertragsaufhebung etc.) durchfuhren. Alternativ läßt sich an die Art der Leistungsstörung (Unmöglichkeit, Verzug, Schlechtleistung etc.) anknüpfen, was wiederum dem cause approach entspräche. Welcher Weg in dieser Frage einzuschlagen ist, läßt sich nicht ohne weiteres zugunsten der einen oder der anderen Variante entscheiden. Im deutschen Recht stellte sich dasselbe Problem im Zuge der Schuldrechtsreform. Von den beiden zuerst veröffentlichten Lehrbüchern zum neuen Schuldrecht folgte das eine 41 in seiner Darstellung dem cause approach (Gliederung nach der Art der Leistungsstörung), während sich das andere 42 im wesentlichen an den Rechtsbehelfen orientierte. Inzwischen ist das Verhältnis zugunsten der altbekannten Darstellung nach dem Leistungsstörungstyp gekippt. 43 Zuweilen wird dies damit begründet, daß sich auch die Prüfung von Rechtsfolgen immer an den vorgegebenen Lebenssachverhalten orientiere und diese im Bereich des Leistungsstörungsrechts eben die verschiedenen Formen der Leistungsstörung seien.44 Für die Gliederung nach Rechtsbehelfen spricht allerdings die neue Gesetzessystematik. Im Bereich der Rechtsvergleichung hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß ein Rechtsvergleich nicht an der äußeren Ähnlichkeit der Erscheinung von Rechtsinstituten anzusetzen hat, sondern am sozialen Konflikt. 45 Einer solchen funktionalen Rechtsvergleichung folgend, 46 ist der soziale Konflikt im Leistungsstörungsrecht am ehesten in der betreffenden Leistungsstörung selbst zu
41
Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht (2002). P.Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung (2002). 43 Vgl. etwa die Darstellung in Andersen Luther, Die Schuldrechtsreform, S. 27ff.; Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, S. 204ff.; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen; Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 362a, S. 180; ders., Bürgerliches Recht, S. 172ff.; Olzen/Wank, Die Schuldrechtsreform, S. 7ff; Petersen, Allgemeines Schuldrecht, S. 87ff.; Schwab/Witt, Neues Schuldrecht, S. 67; dagegen rechtsbehelfsorientiert Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 61 ff; Schmidt-Räntsch, Das neue Schuldrecht, S. 92ff. 44 Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, S. 206. 45 Koch/Magnus/Winkler v. Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, S. 237. 46 Zur funktionalen Rechtsvergleichung siehe Zweigert/Kötz, Einfuhrung in die Rechtsvergleichung, S. 33. 42
2. Kapitel: Systematische Gliederung der Leistungsstörungen
59
sehen. Beherrscht wird das Leistungsstörungsrecht nun einmal von Fragen wie „Muß der Schuldner noch leisten, wenn der Vertragsgegenstand zerstört worden ist?" oder „Wie wird der Gläubiger geschützt, wenn der Schuldner schlecht leistet?" und nicht von allgemeinen Fragen, die auch außerhalb des Leistungsstörungsrechts auftreten können, wie zum Beispiel „Unter welchen Voraussetzungen kann Schadensersatz verlangt oder der Rücktritt erklärt werden?". Der Rechtsvergleich wird daher in dieser Arbeit mittels der verschiedenen Leistungsstörungsarten und nicht anhand der Rechtsbehelfe durchgeführt. 47
47
So auch zur Darstellung des reformierten deutschen Leistungsstörungsrechts: Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 362a, S. 180. Die rechtsfolgenorientierte Vorgehensweise wird hingegen von Storme und Kirchner befürwortet, vgl. Kuck, , in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, 205. Für eine Kombination von vertragsverletzungsbezogener und rechtsfolgenorientierter Rechtsvergleichung hat sich Ziegler (Leistungsstörungsrecht nach dem UN-Kaufrecht) entschieden.
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3. Teil: Grundlegendes zur Behandlung von Leistungsstörungen 3. Kapitel
Der Haftungsmaßstab in den verschiedenen Regelwerken Unter welchen Umständen eine Partei wegen einer Leistungsstörung Ansprüche geltend machen kann, ist Frage der Zurechnung der Leistungsstörung zum Verhalten der anderen Partei und Schlüsselproblem eines jeden Leistungsstörungsrechts. 1 Dieses Problem kann im allgemeinen auf zwei verschiedene Arten gelöst werden; die Zurechnung der Leistungsstörung kann entweder nach dem Prinzip der Garantiehaftung oder nach dem Prinzip der Verschuldenshaftung erfolgen. 2
1. Abschnitt
Das Prinzip der Garantiehaftung Das Prinzip der Garantiehaftung läßt sich am einfachsten anhand des Common Law erklären. 3 Nach englischem Recht ist Vertragshaftung gleichbedeutend mit Garantiehaftung. 4 Dies bedeutet, daß sich die Parteien bei Vertragsschluß auch immer gegenseitig die ordnungsgemäße Erfüllung garantieren. 5 Tritt der „garantierte" Erfolg nicht ein, so muß die Vertragsbrüchige Partei für alle Nachteile aufkommen, die ihrem Vertragspartner aus der Nichterfüllung oder nicht rechtzeitigen Erfüllung erwachsen.6 Diese verschuldensunabhängige Haftung wird getreu dem Prinzip pacta sunt servanda auch als Regel der absolute contracts bezeichnet.7 Der Grundsatz der absoluten Bindung an das im
1 Zimmermann, JZ 1995, 477, 481 links; siehe auch Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, S. 327. 2 U. Huber, Leistungsstörungen I, S. 31. 3 Die englische Vertragshaftung hat sich unter der Herrschaft des Aktionensystems aus der asumpsit-Klage entwickelt. Leitentscheidung zur vertraglichen Garantiehaftung ist der Fall Paradine v. Jane [1558-1774] A l l E.R. 172, in welchem der Pächter eines Landgutes verpflichtet war, den Pachtzins zu entrichten, auch als Truppen eines deutschen Fürsten das Gut verwüstet und den Pächter vom Grundstück vertrieben hatten. 4 Triebel/Hodgson/Kellenter/Müller, Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, Rn. 138, S. 76. 5 v. Bernstorff, Englisches Recht, S. 55. 6 Larenz, Schuldrecht I, S. 277. 7 Triebel/Hodgson/Kellenter/Müller, Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, Rn. 138, S. 76.
3. Kapitel: Der Haftungsmaßstab in den verschiedenen Regelwerken
61
Vertrag abgegebene Versprechen ist jedoch von der englischen Judikatur im Laufe des 19. Jahrhunderts durch gewisse Ausnahmen eingeschränkt worden. 8 Ähnlich verhält es sich mit dem UN-Kaufrechtsübereinkommen, das die verschuldensunabhängige Garantiehaftung aus dem Rechtskreis des Common Law übernommen hat.9 Für den breach of contract genügt auch im CISG bereits der objektive Tatbestand der Schlecht- oder Nichterfüllung, ohne daß es auf ein Verschulden ankommt. 10 Zur Abmilderung der verschuldensunabhängigen Garantiehaftung trägt die Haftungsentlastung nach Art. 79 und 80 CISG (exemptions) bei. 11 Art. 79 Abs. 1 CISG beruht dabei auf dem Grundsatz, daß eine Partei für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten nicht einzustehen hat, wenn sie beweist, daß die Ursachen der Nichterfüllung für sie weder beherrschbar noch voraussehbar und vermeidbar waren. Dadurch soll das vor allem von Vertretern des deutschen Rechtskreises verfochtene Verschuldensprinzip vermieden werden. 12 Das persönliche Verschulden spielt somit im UN-Kaufrecht bei der Entlastung keine Rolle. 13 Der vertragliche Haftungsmaßstab des CISG ist als rein objektiv zu qualifizieren. UPICC und PECL folgen dem UN-Kaufrecht, indem sie eine grundsätzliche Garantiehaftung mit Entlastungsmöglichkeit im Ausnahmefall normieren. 14 So wird der benachteiligten Partei bei Nichterfüllung (non-performance ) gemäß Art. 7.4.1 UPICC bzw. Art. 9:501 PECL ein Schadensersatzanspruch gewährt. Von dieser Schadensersatzpflicht kann sich aber die in Anspruch genommene Partei nach Art. 7.1.7 UPICC bzw. Art. 8:108 PECL dadurch befreien, daß sie einen Entlastungsbeweis führt. 15 Die Voraussetzungen, unter welchen nach Art. 8:108 PECL bzw. Art. 7.1.7 UPICC ein Hinderungsgrund vorliegt, entsprechen grob gesagt denjenigen, die man herkömmlicherweise für das Vor8 Man beachte insbesondere die Fälle Taylor v. Caldwell (1863) 3 B. & S. 826 zur doctrine of frustration und Couturier v. Hastie (1844) 13 M. & W. 487 zur anfanglichen Unmöglichkeit (common mistake ), vgl. Zweigert/Kötz , Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 508f.; Zimmermann , AcP 193 (1993), 121ff. 9 Rathjen , RIW 1999, 561 links; Roßmeier , RIW 2000, 407 rechts; Petrikic , Nacherfüllungsrecht, S. 51. 10 Saenger , in: Bamberger/Roth, Art. 25, Rn. 2; Stadie/Nietzer , MDR 2002, 428, 431 links. 11 Rathjen , RIW 1999, 561, 565 rechts. 12 Schlechtriem , Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 288, S. 184. 13 Magnus , in: Staudinger, Art. 79 CISG, Rn. 8; a.A. Pellegrino , ZEuP 1997, 41, 49f.; wohl auch Nicholas , in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 283, 287: „ I have some difficulty [...] in accepting that the exception does not turn on fault". 14 Fischer , Unmöglichkeit der Leistung, S. 85; Zimmermann, JZ 1995, 477, 481 rechts; U.Huber, in: Vacca, II contratto inadempiuto, S. 393, 396. 15 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 513f.; Storme, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 11, 34.
3. Teil: Grundlegendes zur Behandlung von Leistungsstörungen
62
liegen von höherer Gewalt verlangt. 16 Dies erinnert an die Theorie der ,/orce majeure" in den Art. 1147 und 1148 des französischen Code civil. 1 7 Die Zurechnung von Leistungsstörungen erfolgt somit in keinem dieser Regelwerke ausschließlich nach dem Prinzip strikter Garantiehaftung; vielmehr wird die Garantiehaftung durch Entlastungstatbestände aufgelockert.
2. Abschnitt
Das Prinzip der Verschuldenshaftung Nach dem Prinzip der Verschuldenshaftung werden dem Schuldner nicht schon die Leistungsstörungen zugerechnet, die auf seiner bloßen Nichtleistung beruhen. Es genügt auch nicht, daß die Leistungsstörung im Bereich des Schuldners entstanden ist 18 oder daß dieser die Störung kausal verursacht hat. 19 Das Prinzip der Verschuldenshaftung besagt vielmehr, daß für Leistungsstörungen nur haftet, wer die Störung durch ein vorwerfbares Verhalten verursacht hat. 20 Im deutschen Recht ist der Verschuldensgrundsatz durch die Rezeption des römischen Rechts zur Geltung gelangt. 21 Auch nach der Schuldrechtsreform geht das BGB weiterhin grundsätzlich vom Verschuldensprinzip aus.22 Der Schuldner haftet für eine Leistungsstörung nur, wenn er sie zu vertreten hat. 23 Zu vertreten hat er regelmäßig nach § 276 BGB eigenes Verschulden und nach § 278 BGB auch das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen und gesetzlichen Vertreter. 24 Der Begriff des Verschuldens ist dabei als Oberbegriff der Schuldformen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verstehen. 25 Vorsätzlich ist die bewußte
16
v. Bar/Zimmermann, PECL, Kommentar (C) zu Art. 8:108. Auf diesen Vorschriften baut ein umfangreiches und detailliertes System von Rechtsprechungsfallen zu der Frage auf, welche Umstände den Schuldner entschuldigen; Zimmermann, JZ 1995, 477, 481 rechts; Benabent, Droit Civil, S. 217; Exner, Der Begriff der höheren Gewalt, S. lff. 18 Z.B. die geschuldete Sache geht beim Schuldner unter. 19 Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 300, S. 151. 20 Heinrichs, in: Palandt, § 276, Rn. 3; Willingmann/Hirse, in: KompaktkommentarBGB, § 276, Rn. 3. 21 Lorenz, Schuldrecht I, S. 277. 22 Schimmel/Buhlmann, in: Schimmel/Buhlmann, Frankfurter Handbuch zum neuen Schuldrecht, S. 197. 23 Insbes. §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 286 Abs. 4 BGB. 24 Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 265, S. 185; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, S. 145f. 25 Heinrichs, in: Palandt, § 276, Rn. 5; Stadler, in: Jauernig, § 276, Rn. 10. 17
3. Kapitel: Der Haftungsmaßstab in den verschiedenen Regelwerken und gewollte, fahrlässig die vorhersehbare und vermeidbare Pflichtverletzung. 26 Der aus solch schuldhafter Pflichtverletzung adäquat kausal entstehende Schaden ist zu ersetzen. 27 Allerdings wird das Verschuldensprinzip durch die in § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vorgesehene Umkehr der Beweislast erheblich relativiert 28 und durch eine Reihe weiterer Bestimmungen innerhalb und außerhalb des BGB für die vertragliche und außervertragliche Haftung eingeschränkt oder durchbrochen. 29 So kann der Gläubiger ausnahmsweise Schadensersatz auch aufgrund einer Garantiehaftung verlangen, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos seitens des Schuldners. 30 Ferner ist das Rücktrittsrecht durch das SMG nunmehr der internationalen Rechtsentwicklung folgend größtenteils 31 verschuldensunabhängig ausgestaltet worden. 32 Außerdem gilt gemäß § 276 Abs. 2 BGB nicht etwa ein subjektiver, sondern ein objektiv-abstrakter Fahrlässigkeitsbegriff. 33 Die Zurechnung von Leistungsstörungen erfolgt somit im BGB nicht ausschließlich nach dem Prinzip der Verschuldenshaftung; vielmehr wird das Verschuldensprinzip durch seine Absenz beim Rücktritt, eine Beweislastumkehr beim Schadensersatz und vereinzelte Elemente der Garantiehaftung erheblich aufgelockert.
26 Willingmann/Hirse , in: Kompaktkommentar-BGB, § 276, Rn. 4ff.; Heinrichs , in: Palandt, § 276, Rn. lOff.; Ehmann/Sutschet , Modernisiertes Schuldrecht, S. 62; vgl. die Fahrlässigkeitsdefinition in § 276 Abs. 2 BGB. 27 Insbes. § 280 Abs. 1 BGB. 28 Vgl. ferner §§ 286 Abs. 4, 311 a Abs. 2 S. 2 BGB. 29 Schulze , in: Handkommentar-BGB, § 276, Rn. 2; Emmerich , Das Recht der Leistungsstörungen, S. 68f.; siehe auch U.Huber, in: Ernst/Zimmermann, Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 31, 109f. 30 Vgl. § 276 Abs. 1 S. 1 BGB; schuldunabhängige Einstandspflichten bestehen außerdem für das Verschulden von gesetzlichen Vertretern und Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB), für anfangliche Mängel der Mietsache (§ 536 a BGB), im Überweisungsverkehr i.R.d. § 676 b BGB und in den Fällen der Erklärungshaftung (§§ 122, 179 BGB); vgl. Heinrichs, in: Palandt, § 276, Rn. 3. 31 Angesichts von § 323 Abs. 6 Alt. 1 BGB, der bei alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Gläubigers für den „störenden" Umstand den Rücktritt ausschließt, kann von einem gänzlich verschuldensunabhängigen Rücktrittsrecht keine Rede sein. 32 Vgl. §§ 323, 324 BGB; anders noch §§ 323 bis 325 BGB a.F. 33 Willingmann/Hirse, in: Kompaktkommentar-BGB, § 276, Rn. 6; Heinrichs , in: Palandt, § 276, Rn. 15.
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3. Teil: Grundlegendes zur Behandlung von Leistungsstörungen 3. Abschnitt
Zweigleisige Haftungssysteme Werden die Prinzipien der Garantie- und Verschuldenshaftung miteinander kombiniert, so entstehen Mischsysteme.34 Dies kann in der Weise geschehen, daß ein Haftungsregime grundsätzlich nur einem der beiden Prinzipien folgt, punktuell aber durch Elemente des anderen Prinzips ergänzt wird. Denkbar ist aber auch, daß sich die Prinzipien der Garantie- und der Verschuldenshaftung mehr oder weniger gleichberechtigt gegenüberstehen; nur in diesem Falle scheint es gerechtfertigt, von einem „zweigleisigen Haftungssystem" zu sprechen. Der Gandolfi-Code versteht sich als ein solches zweigleisiges Haftungssystem und damit als Kompromiß zwischen der strict liability des englischen Rechts und dem Verschuldensprinzip, das in Deutschland und anderen europäischen Rechtsordnungen maßgeblich ist. 35 Umständlich und nur schwer verständlich werden in Art. 162 Gandolfi-Code die Voraussetzungen der vertraglichen Haftung formuliert. Danach ist der Schadensersatz unterschiedlich geregelt, und zwar abhängig davon, ob es sich um vertragliche Verpflichtungen handelt, bei denen nur die Handlung oder auch der Erfolg geschuldet wird. 3 6 Ist letzteres der Fall, so haftet der Schuldner gemäß Art. 162 Abs. 1 Gandolfi-Code grundsätzlich fur den durch die inexécution verursachten Schaden. Diese Art der Haftung ist als Garantiehaftung zu qualifizieren. Jedoch beläßt es auch der Gandolfi-Code nicht bei dieser strikten Haftung, sondern eröffnet dem Schuldner die Möglichkeit, einen Entlastungsbeweis zu fuhren. Dies erfordert zunächst, daß die inexécution nicht seinem Verhalten zuzurechnen ist. 37 Würde Art. 162 Abs. 1 Gandolfi-Code mit dieser Voraussetzung enden, so wäre die Garantiehaftung zu einer Verschuldenshaftung umgekehrt, denn das Verschuldensprinzip besagt nichts anderes als daß dem Schuldner nur die Leistungsstörungen zugerechnet werden, die er durch ein vorwerfbares Verhalten verursacht hat. Weiterhin ist jedoch erforderlich, daß die inexécution gerade durch ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis verursacht worden ist. Damit wird die Fülle an Entlastungsgründen nicht zu vertretender Ereignisse im wesentlichen auf diejenigen der force majeure beschränkt. Die erstgenannte Voraussetzung der fehlenden Zurechenbarkeit der inexécution zum Verhalten des Schuldners stellt somit eine Leerformel dar, die sich ohne weiteres streichen ließe. Damit wäre Art. 162 Abs. 1 Gandolfi-Code auch davor gefeit, als 34 35 36
37
U.Huber, in: Vacca, II contratto inadempiuto, S. 393, 395. Gandolfi, ZEuP 2002, 1,3; Sonnenberger, RIW 2001, 409, 415 rechts. Gandolfi, ZEuP 2002, 1,3; siehe auch 4.Teil l.Kap 2.Abschn. B.IV.l.a) u. b).
Vgl. Art. 162 (1) Gandolfi Code.
3. Kapitel: Der Haftungsmaßstab in den verschiedenen Regelwerken
65
Verschuldenshaftungstatbestand aufgefaßt zu werden. 38 Für das Vorliegen eines Garantiehaftungstatbestandes spricht ferner, daß der Haftungsgrund für die Leistungsstörung gemäß Art. 162 Abs. 4 Gandolfi-Code in einer „stillschweigenden Übernahme der Ersatzpflicht [...] zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses" gesehen wird. Dies erinnert an die dogmatische Begründung der Garantiehaftung im englischen Recht, wonach sich die Parteien bei Vertragsschluß stillschweigend die ordnungsgemäße Erfüllung garantieren. Wird dagegen nicht der Erfolg, sondern nur eine Handlung beruflicher Art geschuldet, so ändert dies auf den ersten Blick nichts an der grundsätzlichen Schadensersatzpflicht des Schuldners nach Art. 162 Abs. 1 Gandolfi-Code. Es scheint so, als ob das Prinzip der Garantiehaftung auch hier den Mittelpunkt bilde und lediglich der Entlastungsbeweis anders zu führen sei. Nach Art. 162 Abs. 3 Gandolfi-Code muß der Schuldner nämlich für seine Entlastung den Nachweis erbringen, in der betreffenden Lage die erforderliche Sorgfalt angewandt zu haben. Was unter der Anwendung der erforderlichen Sorgfalt zu verstehen ist, läßt der Gandolfi-Code weitgehend unbeantwortet. Art. 75 Gandolfi-Code bestimmt lediglich, daß sich der Maßstab der Sorgfalt nach der Vereinbarung, den Umständen und der ständigen Übung richtet (Abs. 1) und bei beruflichen oder unternehmerischen Tätigkeiten auch von der Natur der geschuldeten Leistung abhängt (Abs. 2). Es ist jedoch davon auszugehen, daß der Schuldner die erforderliche Sorgfalt jedenfalls dann nicht angewandt hat, wenn er die inexécution vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat. Die Garantiehaftung wird somit für Handlungsverpflichtungen beruflicher Art in eine Verschuldenshaftung umgekehrt, wobei der Schuldner die Beweislast für die Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt trägt. 39 Eine Unstimmigkeit ergibt sich dabei aus dem Zusammenspiel des Art. 162 Abs. 3 mit Art. 75 Abs. 3 GandolfiCode. Der Schuldner wird den Entlastungsbeweis nach Art. 162 Abs. 3 Gandolfi-Code nämlich kaum einmal erfolgreich führen können bzw. müssen. Wendet er in der betreffenden Lage die erforderliche Sorgfalt an, so liegt nach Art. 75 Abs. 3 Gandolfi-Code schon gar keine inexécution vor, für die er sich entlasten müßte, sondern es tritt Erfüllung ein. Wendet er dagegen in der betreffenden Lage die erforderliche Sorgfalt nicht an, so liegt zwar eine inexécution , aber kein Entlastungsgrund vor. Die Vorschrift des Art. 75 Gandolfi-Code vermag auch gesetzessystematisch nicht zu überzeugen, regelt sie doch explizit die Art und Weise der Erfüllung und damit eine Materie, die negativ bereits in den Nichterfüllungsvorschriften der Art. 89 ff. Gandolfi-Code abschließend geregelt sein sollte. Eine einheitliche und umfassende Umschreibung der Erfüllung, sei
38
So aber Schwenzer, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37, 49. Vgl. Art. 162 Abs. 3 Gandolfi-Code; so im Ergebnis auch Schwenzer, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37, 49. 39
3. Teil: Grundlegendes zur Behandlung von Leistungsstörungen
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es positiv im Stile von Art. 75 oder negativ durch Regelung der Nichterfüllung wie in den Art. 89 ff. Gandolfi-Code, wäre die stringentere Lösung gewesen. Zusammenfassend läßt sich der Haftungsmaßstab des Gandolfi-Code im Bereich der Leistungsstörungen als eine Kombination von Garantiehaftung und Verschuldensprinzip umschreiben: Wer einen Erfolg schuldet, unterliegt der Garantiehaftung und kann sich im Falle der Nichterfüllung nicht auf die Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt berufen, sondern muß zu seiner Entlastung das Vorliegen höherer Gewalt beweisen. Wer dagegen eine Handlung beruflicher Art schuldet, soll sich zu seiner Entlastung auf die Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt berufen können und haftet somit getreu dem Verschuldensprinzip nur für von ihm zu vertretende Ereignisse. In ähnlicher Weise verfahren auch die Unidroit Principles, bei denen danach zu unterscheiden ist, ob lediglich der Einsatz aller Kräfte bei der Ausführung einer Tätigkeit geschuldet wird (Einsatzpflicht) oder ob darüber hinaus auch ein bestimmter Erfolg zu erzielen ist (Erfolgspflicht). 40 Für Erfolgspflichten ist gemäß Art. 5.4 (1) UPICC eine objektive Garantiehaftung vorgesehen; erfüllt der Schuldner eine Erfolgspflicht nicht, so kann er sich nur in den engen Grenzen des Art. 7.1.7 UPICC durch das Vorliegen von höherer Gewalt entlasten. Dagegen gelten bloße Einsatzpflichten nach Art. 5.4 (2) UPICC bereits dann als erfüllt, wenn der Schuldner solche Anstrengungen unternimmt, die auch eine vernünftige Person gleicher Art unter den gleichen Umständen unternommen hätte.
4. Abschnitt
Stellungnahme Das Prinzip der Garantiehaftung besticht durch seine Simplizität. So entspricht die Garantiepflicht des Schuldners dem „strictum ius" und damit einem System, das sich getreu dem Motto „ein Mann, ein Wort" an klare Gegebenheiten hält. 41 In einer modernen Welt, die auf schnelle und reibungslose Abwicklung weitgehend standardisierter Austauschbeziehungen angewiesen ist, spricht somit vieles dafür, die Vertragserklärungen der Parteien prinzipiell als Übernahme einer Garantie zur Herbeiführung des zugesagten Erfolges aufzufassen. 42 Doch dieser strikte und für den Laien leichtverständliche Haftungsmaßstab wird in jedem der untersuchten Regelwerke notwendigerweise durch Entlastungstat-
40 41 42
Vgl. Art. 5.4 und 5.5 UPICC. Larenz, Schuldrecht I, S. 279. So Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 513.
3. Kapitel: Der Haftungsmaßstab in den verschiedenen Regelwerken
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bestände aufgelockert. 43 Damit geht das Prinzip der Garantiehaftung aber auch gleichzeitig seiner einfachen Verständlichkeit verlustig und bietet diesbezüglich keine Vorteile gegenüber dem Verschuldensprinzip. Ob nun formuliert wird „der Schuldner haftet immer, es sei denn er kann sich entlasten" oder „der Schuldner haftet nie, es sei denn er hat die Leistungsstörung zu vertreten" ist letztendlich nur Ausfluß der Frage, von welcher Seite man sich der Zurechnung von Leistungsstörungen nähert. Insofern ist auch nicht ersichtlich, wieso das im Rechtsverkehr nötige Vertrauen durch die Verschuldenshaftung besser geschützt werden soll als durch die Garantiehaftung. 44 Zugunsten des Verschuldensprinzips wird bisweilen dessen rechtspolitischer Grund angeführt, der in der Sicherung der allgemeinen Handlungsfreiheit zu sehen sei: Wer alle im Verkehr erforderliche Sorgfalt anwende, solle Schadensersatzpflichten nicht zu fürchten brauchen. 45 Dabei wird jedoch übersehen, daß die angestrebte Sicherung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Schuldners zugleich eine Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Gläubigers darstellt. Die Grenzziehung zwischen nicht zurechenbaren Ereignissen einerseits und haftungsbegründenden Leistungsstörungen andererseits ist denkbar schwierig. Veranschaulicht man sich die möglichen Stufen der vertraglichen Haftung für Leistungsstörungen anhand einer Skala, so kann man an deren einem Ende die Befreiung des Schuldners von jeglicher Haftung 46 und am anderen Ende die strikte Garantiehaftung sehen. Die Freizeichnung des Schuldners im Falle einer absichtlich von ihm hervorgerufenen Leistungsstörung leuchtet aber ebensowenig ein wie das Einstehenmüssen des Schuldners für eine vom Gläubiger absichtlich herbeigeführte Leistungsstörung. Die beiden Haftungsstufen an den Enden des Haftungsspektrums sind folglich abzulehnen. Nähert man sich der Mitte der Haftungsskala vom Ende der Garantiehaftung aus, so trifft man auf eine Modifikation des Garantiehaftungsprinzips, nämlich die Möglichkeit des Schuldners, sich für durch höhere Gewalt verursachte Leistungsstörungen zu entlasten. Grob gesagt, folgen dieser Lösung das UN-Kaufrecht und die Euro pean Principles und (im Hinblick auf die Erfolgspflichten) auch die Unidroit Principles und der Gandolfi-Code. 47 Vom anderen Ende der Skala aus gelangt 43
Vgl. Art. 79, 80 CISG; Art. 8:108 PECL; Art. 7.1.7 UPICC; Art. 162 Gandolfi-
Code. 44
Vgl. Anders , ZIP 2001, 184, 187 links. So Medicus , Schuldrecht AT, Rn. 300, S. 151. 46 Jeder Vertrag würde bei Veränderung der zugrundegelegten maßgebenden Umstände und damit bei jeder Leistungsstörung seine bindende Wirkung verlieren, so daß er unter der clausula rebus sie stantibus stehen würde; vgl. Bydlinksi, AcP 204 (2004), 309, 321. Zur Clausula-Lehre siehe noch 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.c) aa). 47 Vgl. Art. 45, 61, 79 CISG; Art. 1:301 (4), 8:101, 8:108 PECL; Art. 7.1.1, 7.1.7 UPICC; Art. 162 Abs. 1 Gandolfi-Code. 45
68
3. Teil: Grundlegendes zur Behandlung von Leistungsstörungen
man zur Haftung für vom Schuldner zu vertretende Leistungsstörungen, was der Methode des deutschen Rechts entspricht. 48 Diese beiden Haftungsmodelle (modifizierte Garantiehaftung und Verschuldensprinzip) führen in vielen Fällen zu ähnlichen Ergebnissen; sie gehen nämlich dahingehend konform, daß der Schuldner bei Vorliegen höherer Gewalt von seiner Haftung befreit ist, 49 er dagegen grundsätzlich haften muß, wenn er die Leistungsstörung zu vertreten hat. 50 Die Unterschiede zwischen Verschuldenshaftung und (modifizierter) Garantiehaftung sind somit im Ergebnis gering. 51 Auch wenn sie aus diesem Grunde eher dogmatischer Natur ist, so stellt sich dennoch die Frage, ob die Grenze der vertraglichen Haftung des Schuldners wie im BGB grundsätzlich bei der Fahrlässigkeit oder wie im CISG und den PECL bei der force majeure bzw. der Unbeherrschbarkeit eines Leistungshindernisses zu ziehen ist. Die gesuchte Mitte der Haftungsskala 52 könnte gar dazwischen in einer Art Grauzone, einem „relativ schmalen Zwischenbereich", 53 einer „schmalen Lücke" 54 nicht zu vertretender Ereignisse, die keine höhere Gewalt darstellen, liegen. Um eine genauere Beschreibung dieser Grauzone zu vermeiden und trotzdem die Mitte der Haftungsskala zu treffen, kann man etwa wie im Gandolfi-Code oder den UPICC die Prinzipien der Garantiehaftung und der Verschuldenshaftung miteinander kombinieren. Die Unterscheidung danach, ob lediglich die Handlung oder auch der Erfolg geschuldet wird, stellt dabei (wie noch zu zeigen sein wird) ein fragwürdiges Kriterium dar. Im UN-Kaufrecht und den European Principles versucht man, die Haftungsgrenze durch eine Ausdehnung des Entlastungstatbestandes in Richtung Mitte zu verlagern. Nicht bloß „höhere Gewalt", sondern alle Hinderungsgründe, die unbeherrschbar, unvoraussehbar und unvermeidbar sind, sollen zur Entlastung des Schuldners gereichen. 55 In gleicher Weise verfahren hinsichtlich der Erfolgspflichten aber auch die Unidroit Principles, 56 und ebenso wird im
48
Vgl. §§ 276 ff., 280 ff. BGB. Vgl. § 276 BGB i.V.m. §§ 280 ff. BGB; Art. 79 Abs. 1 CISG; Art. 8:108 PECL: Art. 7.1.7 UPICC; so auch Art. 162 Abs. 1 Gandolfi-Code. 50 Vgl. § 276 BGB i.V.m. §§ 280 ff. BGB; Art. 45, 61CISG; Art. 9:501 PECL; Art. 7.4.1 UPICC; so auch Art. 162 Abs. 1 und Abs. 3 Gandolfi-Code. 51 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 513; Schlechtriem, ZEuP 1993,217, 229. 52 Zur Suche nach der Mitte als Daueraufgabe der Privatrechtswissenschaft Bydlinksi, AcP 204 (2004), 309ff. 53 Stoll, in: Dölle, Art. 74, Rn. 38. 54 Nicholas , in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 283, 285:,,[...] there is only a small gap in which the debtor may be exculpated but not exempted." 55 Vgl. Art. 79 CISG; Art. 8:108 PECL. 49
56
Vgl. Art. 7.1.7 UPICC.
3. Kapitel: Der Haftungsmaßstab in den verschiedenen Regelwerken
69
Gandolfi-Code der Entlastungstatbestand auf alle „unvorhersehbaren und unabwendbaren äußeren Ereignisse" ausgedehnt.57 Das deutsche Recht versucht die Mitte der Haftungsskala durch die oben geschilderte 58 Auflockerung der Verschuldenshaftung zu treffen und kehrt dementsprechend die Beweislast beim Schadensersatz um und objektiviert den Fahrlässigkeitsmaßstab, verzichtet auf die Geltung des Verschuldensprinzips beim Rücktritt und erkennt vereinzelt Elemente der Garantiehaftung an. Keines der zu untersuchenden Regelwerke vermag demnach, durch eine einfache Formel die Mitte der Haftungsskala zu umschreiben. Vielmehr müssen Verschuldens- und Garantiehaftung erheblich modifiziert oder miteinander kombiniert werden. Es drängt sich der Verdacht auf, daß es zur Umschreibung der Mitte des Haftungsspektrums eines anderen Ansatzes bedarf.
5. Abschnitt
Das Prinzip der Verursachungshaftung Wagt man den Versuch, die Mitte der Haftungsskala positiv zu umschreiben, so ließe sich als Ausgangspunkt eines neuen Haftungsprinzips die Verursachung einer Leistungsstörung wählen. In der deutschen Rechtsdogmatik ist das Verursachungsprinzip aus dem Strafrecht bekannt;59 daneben spielt es im Zivilrecht bei den verschuldensunabhängigen Tatbeständen der Gefahrdungshaftung eine große Rolle. 60 Auf die Haftung für Leistungsstörungen bezogen kann das Verursachungsprinzip folgendermaßen formuliert werden: Ist ein Verhalten des Schuldners kausal im Sinne der conditio sine qua nonFormel für den Eintritt der Leistungsstörung, so haftet der Schuldner für die dem Gläubiger aus dieser Leistungsstörung entstehenden Schäden. Besteht das dem Schuldner vorgeworfene Verhalten in einem positivem Tun, so darf zur Begründung der Schadensersatzpflicht dieses Tun nicht hinweggedacht werden können, ohne daß die Leistungsstörung entfiele. Unterläßt der Schuldner dagegen eine Handlung, zu deren Vornahme er aus dem Schuldverhältnis oder dem Gesetz verpflichtet gewesen ist, so darf zur Begründung der Schadensersatzpflicht die vorzunehmende Handlung nicht hinzugedacht werden können, ohne 57
Vgl. Art. 162 Abs. 1 Gandolfi-Code. Siehe oben 3.Teil 3.Kap 2.Abschn. 59 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 5ff., S. 293ff. 60 Vgl. etwa die Haftung des Fahrzeughalters (§ 7 Abs. 1 StVG), des Herstellers (§ 1 Abs. 1 ProdHaftG), des Bahnbetriebsunternehmers (§ 1 Abs. 1 HaftpflG), des Inhabers einer Energieanlage (§ 2 Abs.l HaftpflG), des Tierhalters (§ 833 S. 1 BGB) sowie die Anlagenhaftung bei Umwelteinwirkungen (§ 1 UmweltHG). 58
70
3. Teil: Grundlegendes zur Behandlung von Leistungsstörungen
daß die Leistungsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele. Da dem Gläubiger nicht zugemutet werden kann, die Ursächlichkeit eines fremden Verhaltens zu beweisen, erscheint es angemessen, die Kausalität des dem Schuldner vorgeworfenen Verhaltens für die Leistungsstörung grundsätzlich zu vermuten. Der Schuldner soll diese Ursächlichkeitsvermutung aber freilich widerlegen können. Die bloße Kausalität des Schuldnerhandelns für die Leistungsstörung ist jedoch als Haftungsprinzip viel zu weit und bedarf folglich einer Einschränkung. Wollte man diese Einschränkung anhand eines subjektiven Kriteriums durchführen und etwa danach fragen, ob die Leistungsstörung dem Schuldner individuell vorwerfbar ist, so käme dies dem Verschuldensprinzip gleich, bei dem Vorsatz und Fahrlässigkeit die Haftung beschränken. 61 Damit sich gegenüber dem Prinzip der Verschuldenshaftung ein Unterschied ergibt, muß demnach die Verursachungshaftung durch ein objektiv ausgestaltetes Korrektiv beschränkt werden. Die Adäquanztheorie? 2 wonach nur die im regelmäßigen Lauf der Dinge liegenden Folgen auf den Handelnden bezogen werden, kann aufgrund ihrer Unscharfe nicht für die Haftungseinschränkung fruchtbar gemacht werden. Teilweise wird im deutschen Recht zur Einschränkung der strafrechtlichen Haftung die Relevanztheorie herangezogen, welche die Frage der Zurechnung eines vom Täter verursachten Erfolges nach dem Sinn des betreffenden Tatbestandes zu beantworten versucht. Dieser Gedanke kann jedoch schon vom Sinn her nur schwerlich auf das Recht der Leistungsstörungen übertragen werden und ist überdies viel zu allgemein gehalten. Auf ein Korrektiv zur Einschränkung der weiten Verursachungshaftung darf im Leistungsstörungsrecht aber andererseits weder verzichtet werden, noch darf es zu schwach ausgestaltet sein. Denn anders als die Gefährdungshaftung ist die Abwicklung von Schuldverhältnissen nicht von einer abstrakten Gefährlichkeit gekennzeichnet. Dem Leistungsstörungsrecht fehlt ein Merkmal, das eine gesteigerte Haftungspflicht gerechtfertigt erscheinen ließe. 63 Wer Giftschlangen oder ein Fahrzeug hält, wer eine Eisen61 Das Prinzip der Verschuldenshaftung begrenzt nach §§ 276 ff. BGB nicht nur die schuldrechtliche Schadensersatzhaftung. Im Strafrecht wird es auch von der Rechtsprechung und Teilen des Schrifttums im Rahmen der Vorsatz- (Irrtum über den Kausalverlauf) und Fahrlässigkeitsprüfung (objektive Vorhersehbarkeit) angewandt, um die Bedingungslehre einzuschränken; vgl. Jescheck, in: Leipziger Kommentar, Vor § 13, Rn. 61. 62 Die Adäquanztheorie geht zurück auf strafrechtliche Ansätze bei von Bar (1871); formuliert worden ist sie erstmals 1888 durch den Freiburger Physiologen von Kries. In der Rechtsprechung wurde sie von den Zivilsenaten des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs vielfach gingewendet, jedoch von den Strafsenaten niemals übernommen; vgl. Jescheck, in: Leipziger Kommentar, Vor § 13, Rn. 62; Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 598, S. 282. 63 Bei den Gefahrdungshaftungstatbeständen wird zwar nicht gänzlich auf ein Haftungskorrektiv verzichtet, doch ist dieses denkbar schwach ausgestaltet: So entfällt nicht schon bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (vgl. § 276 BGB), sondern
3. Kapitel: Der Haftungsmaßstab in den verschiedenen Regelwerken
71
bahn oder einen Atomreaktor betreibt, schafft damit nun einmal besondere Gefahren, welche erheblich über diejenigen hinausgehen, die mit der Begründung und Abwicklung von Schuldverhältnissen verbunden sind. 64 Die Anforderungen an das gesuchte Haftungskorrektiv, das zur Einschränkung der Verursachungshaftung benötigt wird, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Erstens muß das Haftungskorrektiv objektiv ausgestaltet sein, damit sich ein Unterschied gegenüber der Verschuldenshaftung ergibt. Zweitens muß es den besonderen Gegebenheiten des Leistungsstörungsrechts gerecht werden; Adäquanz- und Relevanztheorie haben sich als nicht übertragbar erwiesen. Und drittens darf das Haftungskorrektiv mangels abstrakter Gefährlichkeit schuldrechtlichen Handelns nicht so schwach ausgestaltet sein wie bei der Gefährdungshaftung. Vielmehr soll die Haftungsgrenze für Leistungsstörungen in der Mitte des Haftungsspektrums liegen. All diese Voraussetzungen erfüllt das nachfolgend erläuterte „Haftungskorrektiv der hindernden Ursachen": Die Äquivalenztheorie geht davon aus, daß die zahllosen Bedingungen eines Erfolgs gleichwertig sind. 65 Dies vermag nicht zu überzeugen. Wird eine Kaufsache vom Verkäufer in dessen Lagerräume verbracht und sodann durch force majeure zerstört, so stellt das Einbringen der Sache zweifelsfrei eine Ursache für den Eintritt der Leistungsstörung dar. Wenig überzeugend wäre es allerdings, gemäß der Äquivalenztheorie diese Ursache genauso zu gewichten, wie ein (ebenso ursächliches) absichtliches Zerstören der Kaufsache durch den Verkäufer. Es muß daher unter den zahllosen für den Eintritt der Leistungsstörung kausalen Ursachen eine Auswahl vorgenommen werden. Als objektives Kriterium eignet sich hierfür die Unterscheidung danach, ob von der in Frage stehenden Verhaltensweise erwarten werden konnte, daß sie das Ziel des Schuldverhältnisses fordern oder hindern wird. Neben den das Ziel des Schuldverhältnisses fordernden und hindernden Verhaltensweisen gibt es als dritte Kategorie auch solche Handlungen, die zwar für den Eintritt der Leistungsstörung ursächlich sind, aber als solche weder fordernd noch hindernd auf das Ziel des Schuldverhältnisses einwirken. Nach dem „Haftungskorrektiv der hindernden Ursachen" sind einer Partei nur solche Verhaltensweisen zuzurechnen, die das lediglich bei Vorliegen von höherer Gewalt die Haftung des Bahnunternehmers gemäß § 1 II HaftpflG und die des Kraftfahrzeugshalters nach § 7 II StVG. Begrenzt ist außerdem der Kreis der geschützten Rechtsgüter sowie bei den meisten Tatbeständen die Höhe der Haftungssumme. Als ungeschriebene oder im Gesetzestext allenfalls angedeutete Einschränkung kommt schließlich hinzu, daß sich in dem Schaden jeweils die spezifische Gefahr, vor der der betreffende Haftungstatbestand schützen soll, verwirklicht haben und daß dieser innerhalb des Zurechnungszusammenhangs liegen muß; vgl. Larenz/Canaris , Schuldrecht II/2, S. 602ff. 64 Larenz/Canaris , Schuldrecht II/2, S. 605. 65 Für das Strafrecht siehe Tröndle/Fischer, Vor § 13, Rn. 16; Jescheck , in: Leipziger Kommentar, Vor § 13, Rn. 57: für das Zivilrecht siehe Heinrichs , in: Palandt, Vorb v § 249, Rn. 57.
3. Teil: Grundlegendes zur Behandlung von Leistungsstörungen
72
Ziel des Schuldverhältnisses erwartungsgemäß hindern. Somit können Verhaltensweisen, welche die Verwirklichung des Schuldverhältnisses erwartungsgemäß fordern, vereinfachen, ermöglichen oder sonst zur Herbeiführung des im Schuldverhältnis niedergelegten Zieles dienlich erscheinen, niemals zur (objektiven) Zurechnung einer Leistungsstörung herangezogen werden. Auf die angeführten Beispiele bezogen, ist das Zerstören der Kaufsache als hindernde Ursache zu qualifizieren, für die der Verkäufer haften muß. Dagegen stellt das bloße Lagern des Kaufgegenstandes allenfalls eine neutrale, wenn nicht sogar eine das Ziel des Schuldverhältnisses fördernde Verhaltensweise dar. Das durch den Prüfstein der hindernden Ursachen modifizierte Prinzip der Verursachungshaftung hat gegenüber den anderen Haftungsprinzipien einen ganz entscheidenden Vorteil: Es ist das, was Verschuldenshaftung und (modifizierte) Garantiehaftung vergeblich zu erreichen versuchen, nämlich leicht verständlich. Ein jeder weiß von sich heraus und ohne jede juristische Vorkenntnis, daß man als Partei eines Schuldverhältnisses die Verwirklichung des damit verbundenen Zieles nicht verhindern darf. Wer das Ziel des Schuldverhältnisses fördert, ist in jedem Fall vor einer Haftung für Leistungsstörungen gefeit. Das versteht ein jeder. Diesem Haftungsmodell liegt ein weitgehender, aber einheitlicher Leistungsstörungsbegriff zugrunde, der sich negativ umschreiben läßt. Wird ein Schuldverhältnis einwandfrei und fehlerlos begründet und abgewickelt, so ist es vollkommen. Dieser Zustand der „Vollkommenheit" und „höchsten Vollendung" wird allgemein als Perfektion definiert. 66 Das Imperfekt, zu lat. imperfectus „unvollkommen", 67 beschreibt dabei den gegenteiligen Zustand. Dementsprechend ist unter diesen weitläufigen Leistungsstörungsbegriff all das zu subsumieren, was der Perfektion des Schuldverhältnisses zuwiderläuft. Zu benennen ist dieser Leistungsstörungsbegriff als Jmperfektion des Schuldverhältnisses {imperfection of contract / obligation )". Diese Wortneuschöpfung ist frei von Konnotationen und deshalb den in der Juristensprache vorbelasteten Termini „Vertragsverletzung" (breach of contract / failure to perform), „Nichterfüllung" (non-performance, inexécution ), „Pflichtverletzung", „Forderungsverletzung" und „Leistungsstörung" vorzuziehen. Insgesamt stellt das Prinzip der Verursachungshaftung in Verbindung mit dem Haftungskorrektiv der „hindernden Ursachen" und dem einheitlichen Leistungsstörungsbegriff der „Imperfektion des Schuldverhältnisses" eine Alternative zu den opponierenden Prinzipien der Verschuldenshaftung und der (modifizierten) Garantiehaftung dar. Dieser neue gedankliche Ansatz wird jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter vertieft.
66 67
Vgl. Brockhaus: in 24 Bänden, Bd. 16, „Perfektion", Anm. 1). Vgl. Brockhaus: in 24 Bänden, Bd. 10, „Imperfekt".
4. Teil
Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen Nachdem die historische Entwicklung und Zielsetzung der zu untersuchenden Regelwerke sowie deren Haftungsmaßstab und systematische Gliederung im Bereich der Leistungsstörungen vorgestellt worden ist, gilt es nun die verschiedenen Systeme im Detail anhand einzelner Leistungsstörungen miteinander zu vergleichen.
1. Kapitel
Die nachträgliche Unmöglichkeit Dabei soll zuerst die nachträgliche Unmöglichkeit als Vergleichskriterium herangezogen werden. Unmöglich ist eine Leistung, die tatsächlich nicht erbracht werden kann.1 Nachträglich ist die Unmöglichkeit, wenn sie nach Entstehung des Schuldverhältnisses eintritt. 2 Die für die Rechtsvergleichung relevanten Fragen, die sich bei dieser Leistungsstörung stellen, sind insbesondere, ob der Schuldner der unmöglich gewordenen Leistung noch zu leisten hat, wie sich die nachträgliche Unmöglichkeit auf eine etwaig bestehende Gegenleistung auswirkt und ob der Gläubiger deswegen Rechtsbehelfe geltend machen kann.
1. Abschnitt
Die Behandlung der nachträglichen Unmöglichkeit im UN-Kaufrecht Zunächst wird untersucht, wie das UN-Kaufrecht die Fälle nachträglicher Unmöglichkeit regelt. Dabei gilt es zu beachten, daß das CISG nicht dem cause
1 2
Löwisch, in: Staudinger, § 275, Rn. 7. Emmerich, in: Münchener Kommentar, Vor § 275, Rn. 9.
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
74
approach folgt und somit keine eigenständigen Regeln zur nachträglichen Unmöglichkeit enthält. Statt dessen ist das Leistungsstörungsrecht des UNKaufrechts unter dem besonderen Blickwinkel der nachträglichen Unmöglichkeit und der für diese Leistungsstörung relevanten Fragen darzustellen.
A. Breach of Contract (Vertragsverletzung) Dem remedy approach entsprechend geht das CISG in Gestalt des breach of contract (Vertragsverletzung) von einem einheitlichen Leistungsstörungsbegriff aus. Da nicht nach den Ursachen des Verstoßes zu unterschieden ist, stellt auch die Nichtleistung aufgrund von Unmöglichkeit eine Vertragsverletzung dar. Auf ein Vertretenmüssen kommt es dabei wegen der Geltung des Garantiehaftungsprinzips nicht an. Voraussetzung ist lediglich die Verletzung einer vertraglichen Pflicht, wobei gleichgültig ist, ob es sich um Haupt- oder Nebenpflichten handelt oder ob Qualität, Menge, Lieferzeitpunkt oder sonstige Erfüllungsmodalitäten betroffen sind.3 Im Falle der Nichtleistung aufgrund nachträglicher Unmöglichkeit wird der breach of contract regelmäßig in der Verletzung der dem Verkäufer nach Art. 30 CISG obliegenden Pflicht zur Lieferung der Ware bestehen.4 Art. 30 CISG bestimmt, daß der Verkäufer die verkaufte Ware liefern und übereignen und die auf sie bezogenen Dokumente aushändigen muß.
B. Das Gewicht der Vertragsverletzung Im folgenden werden im Hinblick auf das UN-Kaufrecht die Bedeutung des Gewichts der Vertragsverletzung (I.), die Entstehung des Art. 25 CISG (II.), das Gewicht der Vertragsverletzung bei nachträglicher Unmöglichkeit (III.) sowie die Nachfristsetzung als Korrektiv zur Wesentlichkeitsbeurteilung (IV.) erörtert.
I. Die Bedeutung des Gewichts der Vertragsverletzung
Nicht jede Vertragsverletzung hat für die jeweilige Vertragstreue Partei die gleichen Konsequenzen und eröffnet ihr die gleichen Rechtsbehelfe. 5 Das CISG macht Rechtsfolgen nämlich mehrfach davon abhängig, ob eine Vertragsverlet-
3
Achilles, Art. 25, Rn. 2; Karollus, in: Honsell, Vorbem. Art. 25, Rn. 5. Die Zahlung des Kaufpreises und die Abnahme der Ware können in keinem Fall objektiv unmöglich werden, weil sowohl Zahlung als auch Abnahme immer für beliebig viele Dritte möglich sind; vgl. Magnus, in: Staudinger, Art. 62, Rn. 18; Schnyder/ Straub, in: Honsell, Art. 62, Rn. 21. 4
5
Ziegler, Leistungsstörungen nach dem UN-Kaufrecht, S. 29.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
75
zung wesentlich ist (fundamental breach of contract). 6 Verallgemeinernd läßt sich sagen, daß die wesentliche Vertragsverletzung grundsätzlich die „Eintrittskarte" für die schwersten Sanktionen darstellt, insbesondere für die Vertragsaufhebung. 7 Damit ist jedoch noch nicht geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine Vertragsverletzung als „wesentlich" zu qualifizieren ist. Das UNKaufrechtsübereinkommen folgt zur Beantwortung dieser Frage dem Lösungsmodell des Common Law nur teilweise: Im englischen Recht hat zunächst eine Klassifizierung der verletzten Pflicht als wichtig (condition ), untergeordnet (warranty ) oder dazwischen liegend ( intermediate term) zu erfolgen, 8 wobei der „Bruch" einer condition immer 9 und der einer warranty nie 10 die Vertragstreue Partei zum Rücktritt ermächtigt. Demgegenüber wird im UN-Kaufrechtsübereinkommen auf eine Kategorisierung der verletzten Vertragspflicht verzichtet. Dem CISG ist eine Unterscheidung von Haupt- und Nebenleistungspflichten, Nebenpflichten und Obliegenheiten fremd. 11 Man wird zwar sagen müssen, daß einigen Pflichten ein größeres Gewicht zukommt als anderen. Dies gilt insbesondere für die Kaufpreiszahlungspflicht des Käufers gemäß Art. 53 CISG und die Lieferpflicht des
6 So bezüglich des Rechts einer Partei zur Vertragsaufhebung in Art. 49 Abs. 1 lit.(a) CISG (Pflichtverletzung des Verkäufers), Art. 51 Abs. 2 CISG (bei teilweiser Nichterfüllung), Art. 64 Abs. 1 lit.(a) CISG (Pflichtverletzung des Käufers), Art. 72 Abs. 1 CISG (bei bevorstehender Vertragsverletzung) und Art. 73 Abs. 1 u. 2 CISG (beim Sukzessivlieferungsvertrag), ferner in Art. 46 Abs. 2 CISG (Ersatzlieferung) und Art. 70 CISG (Gefahrübergang). 7 Karollus, in: Honsell, Art. 25, Rn. 1; Graffi, in: Ferrari, The 1980 Uniform Sales Law, S. 305, 310. 8 Unter conditions versteht man solche Vertragsabreden, die wesentliche Bestandteile des Vertrages betreffen (going to the root of the contract). Warranties haben hingegen die weniger wichtigen Vertragsbedingungen zum Gegenstand. Die klassische Einteilung in conditions und warranties kann aus heutiger Sicht jedoch nicht mehr als erschöpfend betrachtet werden, da sie Vertragspflichten, die zwischen diesen beiden Kategorien liegen, keine Beachtung schenkt. Eine vertragliche Pflicht kann somit im englischen Recht nicht nur als condition oder warranty , sondern auch als dazwischenliegend (intermediate/innominate term) klassifiziert werden. Die Abgrenzung von conditions , warranties und intermediate terms erfolgt in erster Linie nach dem Parteiwillen, teilweise durch Gesetz (vgl. sec. 12 bis 15 des Sale of Goods Act 1979) oder durch Richterrecht. Vgl. Treitel, The Law of Contract, S. 73 Iff.; Cheshire/Fifoot/Furmston, Law of Contract, S. 549f.; Lewison , The Interpretation of Contracts, 14.09, S. 404; Triebet/ Hodgson/Kellenter/Müller , Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, Rn. 157, S. 81; Smith/Thomas , A Casebook on Contract, S. 421. 9 Arcos v. Ronaasen [1993] A.C. 470. 10 Schuler AG v. Wickman Machine Tool Sales Ltd. [1974] A.C. 235; Levison v. Farin [1978] 2 A l l E.R. 1149. 11 Schnyder/Straub, in: Honsell, Art. 61, Rn. 18; Herber/Czerwenka, Art. 30, Rn. 9: Art. 53, Rn. 2.
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
76
Verkäufers nach Art. 30 CISG gegenüber den übrigen Pflichten. 12 Das Gewicht der verletzten Pflicht kann jedoch im UN-Kaufrecht allenfalls als Indiz für die Wesentlichkeit der Vertragsverletzung verstanden werden. Nicht die Art der verletzten Pflicht, sondern allein die Schwere der Vertragsverletzung ist entscheidend.13 Insoweit folgt das CISG bei der Ermittlung der Wesentlichkeit eines Vertragsbruches gerade nicht dem Common Law. Ähnlichkeiten zwischen Common Law und CISG zeigen sich jedoch bei der Behandlung von intermediate terms im englischen Recht und der generellen Beurteilung der Wesentlichkeit einer Vertragsverletzung im UN-Kaufrecht. Kommt man im englischen Recht zu dem Ergebnis, daß die verletzte Pflicht ein intermediate term ist, so beurteilt sich die Wesentlichkeit des Vertragsbruchs anhand des sog. „Hong Kong Fir-Test". Dabei handelt es sich um eine von Lord Diplock entwickelte richterrechtliche Regel, die nach dem ihr zugrundeliegenden Fall benannt worden ist. 14 Danach ist zu fragen, ob die geschädigte Partei durch den Vertragsbruch im wesentlichen um das gebracht wird, was nach der Intention beider Parteien aus dem Vertrag hätte erwartet werden können.15 Dieser Test scheint die heutige Fassung von Art. 25 CISG ganz offensichtlich inspiriert zu haben.16 Denn in ähnlicher Weise definiert Art. 25 CISG, daß eine Vertragsverletzung dann als wesentlich anzusehen ist, wenn sie für die verletzte Partei solchen Nachteil zur Folge hat, daß ihr im wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen. Insoweit gehen CISG und Common Law konform. Im Unterschied zum englischen Recht endet allerdings Art. 25 CISG nicht mit dieser Voraussetzung, nämlich daß die Vertragsverletzung der verletzten Partei den vom Vertrag zu erwartenden Vorteil im wesentlichen entzieht. Vielmehr muß nach Art. 25 CISG diese Folge auch vorausgesehen werden können.
12 Bei den übrigen Pflichten ist etwa zu denken an Unterlassungspflichten (z.B. Wettbewerbsverbote), Leistungspflichten (Versicherung der Ware, Stellung einer Bankgarantie, Aufbau oder Montage der Ware am Bestimmungsort etc.), Schutzpflichten (z.B. Vermeidung von Beschädigungen bei Anlieferung oder Aufbau der Ware) sowie Aufklärungs- und Warnpflichten (z.B. Verwendungs- und Anwendungshinweise oder Transport- und Einfuhrhinweise bezüglich der Ware); vgl. Schnyder/Straub, in: Honseil, Art. 45, Rn. 18; Art. 61, Rn. 19. 13 Magnus, in: Staudinger, Art. 30, Rn. 20. 14 Hong Kong Fir Shipping Co. Ltd. v. Kawasaki Kisen Kaisha Ltd. [1962] 2 Q.B. 26, 66; siehe auch Lord Diplocks vergleichbare Wortwahl in Photo Production Ltd. v. Securicor Transport Ltd. [1980] A.C. 827, 849; ferner wurde der „Hong Kong Fir Test" von Omrod L.J. in Cehave NV v. Bremer Handelsgesellschaft mbH, The Hansa Nord [1975] 3 A l l E.R. 739 zusammengefaßt. 15 Hong Kong Fir Shipping Co. Ltd. v. Kawasaki Kisen Kaisha Ltd. [1962] 2 Q.B.
26, 66. 16
218f.
Will, in: Bianca/Bonell, Art. 25, Anm. 2.1.2.1; Nicholas, 105 L. Q. R. (1989), 201,
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
77
Aus diesen Gründen besteht Einigkeit darüber, daß trotz der Wortgleichheit in der englischen Textfassung des CISG der Begriff „fundamental breach" nicht die Rechtsfigur des englischen Rechts übernommen hat, sondern einen gänzlich eigenständigen Gehalt aufweist. 17
II. Entstehungsgeschichte des Art. 25 CISG
Die Entstehungsgeschichte von Art. 25 CISG gibt Aufschluß darüber, wie diese Regelung heute zu verstehen ist und aus welchen Gründen sie gegenüber anderen Alternativen zur Bestimmung der Wesentlichkeit eines Vertragsbruchs obsiegte. Im einzelnen kann man drei Entwicklungsstadien unterscheiden: Während das Haager Einheitliche Kaufrecht 18 von einem subjektiven Ansatz bestimmt wurde, fand sich ein objektiver Ansatz in allen Vorentwürfen zum CISG, was zu einem Kompromiß bei der nunmehr vorliegenden Fassung des Art. 25 CISG geführt hat, der einerseits objektive, andererseits auch subjektive Kriterien berücksichtigt. 19
/. Die wesentliche Vertragsverletzung
im Haager Kaufrecht
Nach Art. 10 EKG war eine Vertragsverletzung wesentlich, wenn die Vertragsbrüchige Partei im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gewußt hat oder hätte wissen müssen, daß eine vernünftige Person in der Lage der Vertragstreuen Partei den Vertrag nicht abgeschlossen hätte, wenn sie die Vertragsverletzung und ihre Folgen vorausgesehen hätte. Entscheidend sollte also der hypothetische Vertragswille der Vertragstreuen Partei sein, allerdings beurteilt nach einer vernünftigen Person in derselben Situation. 20 Dieser Ansatz ist als zu vage und zu stark subjektiv kritisiert worden. 21 Außerdem wird man zu der Erkenntnis kommen müssen, daß eine vernünftige Person prinzipiell nur an der ordnungsgemäßen Abwicklung von Schuldverhältnissen interessiert ist und somit nur in absoluten Ausnahmefällen einen Vertrag schließen wird, von dem sie vorhersieht, daß er von der anderen
17
Honnold, Uniform Law for International Sales, Rn. 181.1, S. 254; Magnus, in: Staudinger, Art. 25, Rn. 10. 18 Siehe oben 2.Teil 2.Kap l.Abschn. 19 Reinhart, Art. 25, Rn. 5: Karollus, in: Honsell, Art. 25, Rn. 2; Herber/Czerwenka, Art. 25, Rn. 1. 20 Karollus, in: Honsell, Art. 25, Rn. 3. 21 Magnus, in: Staudinger, Art. 25, Rn. 5; Reinhart, Art. 25, Rn. 4: Karollus, in: Honsell, Art. 25, Rn. 4.
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
78
Partei gebrochen werden wird. 22 Solch laxe Anforderungen an die Wesentlichkeit einer Vertragsverletzung zu stellen, steht außer Verhältnis zu den schweren Sanktionen, die eine wesentliche Vertragsverletzung nach sich ziehen kann. Die Anforderungen an die Wesentlichkeit einer Vertragsverletzung sollten somit anders als bei Art. 10 EKG streng ausgestaltet sein. Zur Unklarheit trägt außerdem bei, daß bei dem hypothetischen Vertragswillen auf eine „vernünftige Person" abgestellt wird. Die Rechtsfigur einer „reasonable person" oder eines „reasonable man" mag zwar im Common Law dem Richter bei fehlenden oder einander widersprechenden Präzedenzfällen ein willkommenes Kriterium zur Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit sein.23 Für Gesetze erweist sich eine solche Rechtsfigur leider allzu oft als unbrauchbar, so auch bei Art. 10 EKG. Dadurch werden nämlich unvernünftige Vertragsparteien per se bevorzugt. Wenn etwa ein Numismatiker eine Münze zu einem unvernünftig hohen Preis kauft, so hätte bei jeder noch so geringen Vertragsverletzung durch den Verkäufer eine vernünftige Person in der Lage der Vertragstreuen Partei den Vertrag nicht abgeschlossen. Die Ermittlung der Wesentlichkeit einer Vertragsverletzung endet in Art. 10 EKG aber nicht mit der Feststellung des mutmaßlichen Interesses der verletzten Partei. Statt dessen wird diese hypothetische Frage an die Vertragsbrüchige Partei im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gerichtet: Hat sie gewußt oder hätte sie wissen müssen, daß einem vernünftigen Vertragspartner unter den eingetretenen Umständen der Vertragswille fehlt? Dabei stellt sich dem Leser die Frage, wie man positive Kenntnis vom Willen einer erdachten Person haben kann. Die Antwort lautet „überhaupt nicht". Insofern hätte der Teil, der in Art. 10 EKG auf die positive Kenntnis abstellt, auch weggelassen werden können.24 Die Existenzberechtigung des restlichen Frageteils steht damit jedoch nicht außer Frage. Man muß nämlich wissen, daß eine vernünftige Person grundsätzlich nur dann Verträge schließen will, wenn diese nicht gebrochen werden. Insofern hätte auch nur auf den hypothetischen Vertragswillen einer vernünftigen Person in der Lage der Vertragstreuen Partei abgestellt werden können, ohne daß man fragt, ob die Vertragsbrüchige Partei dies wußte oder hätte wissen müssen.
2. Die wesentliche Vertragsverletzung
in den Entwürfen
zum CISG
Die Vorschrift des Art. 10 EKG wurde bei den UNCITRAL-Vorarbeiten als zu subjektiv gefaßt angesehen, so daß deshalb der Genfer, Wiener und New Yorker Entwurf übereinstimmend eine Vertragsverletzung als wesentlich defi22 23 24
Will, in: Bianca/Bonell, Art. 25, Anm. 2.2. Vgl. dazu UNCITRAL Yearbook III (1972), S. 47. Siehe auch Clausson, 6 N.Y.L. Sch. J. Int'l & Comp. L. (1984), 93, 96.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
79
nierten, wenn sie der anderen Partei einen wesentlichen Nachteil (substantial detriment) zufügt und dieses Ergebnis vorhersehbar war. 25 Die Verfasser der Entwürfe zum UN-Kaufrechtsübereinkommen haben somit versucht, den Begriff der wesentlichen Vertragsverletzung objektiv zu fassen. 26 Die Definition der Entwürfe erscheint jedoch Zirkelschluß verdächtig. Es wird versucht, die Wesentlichkeit einer Vertragsverletzung mit dem Wort „wesentlich" selbst zu erklären, Der englische Originaltext offenbart dies aufgrund der verschiedenen Wortwahl, nämlich „fundamental" bezüglich der Vertragsverletzung und „substantial" hinsichtlich des Nachteils erst auf den zweiten Blick. Sieht man in den beiden Begriffen eine bloße Tautologie, 27 so ist der Zirkelschluß perfekt. Mißt man dem Wort „substantial" einen eigenständigen und von dem Begriff „fundamental" abweichenden Sinngehalt zu, 28 hätte dieser definiert werden müssen, so daß mathematisch gesprochen die Entwürfe versuchten, eine Unbekannte (fundamental breach) mit einer weiteren Unbekannten (substantial detriment) zu erklären. Im Gegensatz zu Art. 10 EKG wurde bei den Entwürfen allerdings nicht mehr auf den hypothetischen Vertragswillen der Vertragstreuen Partei abgestellt. Damit wurde auch von der Rechtsfigur der „reasonable person" Abstand genommen29 und der an die Vertragsbrüchige Partei gerichtete subjektive Test eliminiert. 30 Der in den Entwürfen niedergelegte objektive Ansatz ist allerdings als substanzlos und zu vage kritisiert worden. 31 Bemängelt wurde zum einen das alleinige Anknüpfen an die Wesentlichkeit des vorhersehbaren Schadens, der erst eintreten und dann hätte nachgewiesen werden müssen.32 Damit wäre die von einer Vertragsverletzung betroffene Partei stets gezwungen gewesen, zum Nachweis ihres Nachteils ihre Bücher zu öffnen, ihre Einkaufs- und Wiederverkaufspreise und andere nachteilserhebliche Details aufzuzeigen. 33
25 Art. 9 Genfer Entwurf; Art. 8 Wiener Entwurf; Art. 23 New Yorker Entwurf; vgl. Karollus , in: Honsell, Art. 25, Rn. 4; Magnus , in: Staudinger, Art. 25, Rn. 5. 26 Reinhart , Art. 25, Rn. 4; Herber/Czerwenka , Art. 25, Rn. 1. 27 So Will, in: Bianca/Bonell, Art. 25, Anm. 2.1.2; Posch/Kandut , in: Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 59, 63; U.Huber, RabelsZ 43 (1979), 413, 462. 28 So Coen, Vertragsscheitern und Rückabwicklung, S. 211. 29 Vorschläge, die Rechtsfigur der reasonable person durch Formulierungen wie „a merchant engaged in international commerce", „most persons engaged in international trade", „a person engaged in international trade in the same situation as the other party" oder „a party of goodwill engaged in international trade" zu ersetzen oder „ordinarily" vor die Worte „entered into the contract" zu setzen, schlugen fehl; vgl. UNCITRAL Yearbook II (1971), S. 59; UNCITRAL Yearbook III (1972), S. 47. 30 UNCITRAL Yearbook V I (1975), S. 95. 31 Vgl. insbes. U.Huber , RabelsZ 43 (1979), 413, 462ff. 32 Magnus , in: Staudinger, Art. 25, Rn. 6.
33
Schlechtriem , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 25, Rn. 2.
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
80
Überdies richtete sich die Kritik dagegen, die wesentliche Vertragsverletzung von einem Nachteil, also regelmäßig einem Schaden, abhängig zu machen. Davon könne nur ein Anspruch auf Schadensersatz, nicht aber das Recht zur Vertragsaufhebung abhängig sein. 34 Denn nicht selten soll durch die Vertragsaufhebung gerade erst ein Schaden verhindert oder vermieden werden, z.B. indem sie ein günstiges Deckungsgeschäft ermöglicht. 35 Desweiteren wurde der Zeitpunkt für die Vorhersehbarkeit des wesentlichen Nachteils in den Entwürfen offengelassen, was zu Unsicherheiten bei der Auslegung führte. Ließe man den Zeitpunkt der Vertragsverletzung genügen, so könnte der Käufer nach Abschluß des Vertrags durch eine Mitteilung an den Verkäufer, daß er auf die pünktliche Lieferung der Ware angewiesen sei, für den Verkäufer die Vorhersehbarkeit wesentlicher Nachteile herbeiführen und somit den Kaufvertrag nachträglich in ein Fixgeschäft umwandeln.36
3. Die wesentliche Vertragsverletzung
im CISG
Aus diesen Gründen wurde die Definition der wesentlichen Vertragsverletzung auf der Wiener Abschlußkonferenz von 1980 wieder als Streitfrage aufgenommen und war Gegenstand zahlreicher Änderungsvorschläge und eingehender Diskussionen.37 Die rein objektive Definition der Entwürfe wurde erst auf dieser diplomatischen Konferenz durch das Merkmal näher eingegrenzt, daß bei der Beurteilung des Nachteils entscheidend darauf abzustellen ist, was die verletzte Partei nach dem Vertrage erwarten durfte. 38 Nach Art. 25 CISG ist eine Vertragsverletzung nunmehr als wesentlich zu qualifizieren, wenn sie für die Vertragstreue Partei solchen Nachteil zur Folge hat, daß ihr im wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen, es sei denn, daß die Vertragsbrüchige Partei diese Folge nicht vorausgesehen hat und eine vernünftige Person der gleichen Art diese Folge unter den gleichen Umständen auch nicht vorhergesehen hätte. Grundgedanke dieser neuen Formulierung ist eine stärkere Anbindung an die vertragliche Regelung.39 Die vorliegende Fassung ist
34
Ziegler, Leistungsstörungen nach dem UN-Kaufrecht, S. 40. Schlechtriem, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 25, Rn. 2; UNCITRAL Yearbook V I I I (1977), S. 113. 36 U.Huber, RabelsZ 43 (1979), 413, 462ff. 37 Magnus, in: Staudinger, Art. 25, Rn. 6; Karollus, in: Honsell, Art. 25, Rn. 5. 38 Herber/Czerwenka, Art. 25, Rn. 1. 39 Karollus, in: Honsell, Art. 25, Rn. 5. 35
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
81
somit als Kompromiß zu verstehen, der einerseits objektive, andererseits aber auch subjektive Kriterien berücksichtigt. 40 Art. 25 CISG übernimmt die Voraussetzung, daß die verletzte Partei einen Nachteil erlitten haben muß. Allerdings soll nun mit „detriment" nicht mehr wie in den Entwürfen ein konkreter Schaden gemeint sein, sondern vielmehr sei darunter der Wegfall wesentlicher Vertragsvorteile zu verstehen. 41 Dies gelte trotz der identischen Wortwahl in den Entwürfen und wird mit der Entstehungsgeschichte von Art. 25 CISG begründet, 42 ergibt sich aber auch schon aus Art. 74 CISG, der für konkrete Schäden den Begriff „loss" verwendet und nicht von „detriment" spricht. Weiterhin muß der Nachteil ein solches Ausmaß haben, daß der Vertragstreuen Partei im wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen. Damit wird nicht wie bei Art. 10 EKG eine gedankliche Zeitreise in die Vergangenheit unternommen, am Zeitpunkt des Vertragsschlusses angehalten und die Vertragstreue Partei durch eine vernünftige Person mit seherischen Fähigkeiten hinsichtlich der Entwicklung des Vertrages ersetzt, sondern eine Bewertung der gegenwärtigen Interessenlage vorgenommen. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Interessenbewertung der Vertragstreuen Partei an; die Interessenbewertung wird vielmehr durch die Wendung „was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen" objektiviert. 43 Damit steht es in erster Linie in der Macht der Parteien festzulegen, welche Vertragsverletzungen als wesentlich zu gelten haben.44 Wird die Frage der Wesentlichkeit einer Vertragsverletzung von den Parteien nicht selbst geregelt, 45 was der Regelfall sein dürfte, so bleibt das CISG eine Antwort schuldig. Der Grund für diese Unzulänglichkeit des UN-Kaufrechts liegt darin, daß Art. 25 CISG die Zirkelschlußproblematik der Entwürfe übernommen hat und die Wesentlichkeit einer Vertragsverletzung mit dem Wort „wesentlich" selbst zu erklären versucht 46 Dabei wird zwar hinsichtlich des Nachteils das 40 Reinhart, Art. 25, Rn. 5; Ramberg, in: FS Goode, S. 191, 195 sieht in der Kombination von objektiven und subjektiven Kriterien zur Feststellung von Rechten und Pflichten der Parteien sogar ein allgemeine Struktur des CISG („général structure of CISG"). 41 Magnus, in: Staudinger, Art. 25, Rn. 11. 42 Schlechtriem, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 25, Rn. 9; Magnus, in: Staudinger, Art. 25, Rn. 11. 43 Karollus, in: Honseil, Art. 25, Rn. 16. 44 Magnus, in: Staudinger, Art. 25, Rn. 13. 45 Dazu Koch, RIW 1996, 687, der aufgrund der „Tendenz des CISG, die Vertragsaufhebung zugunsten der anderen in Betracht kommenden Rechtsbehelfe, insbesondere der Minderung oder des Schadensersatzes, zurückzudrängen", im Zweifel vom Vorliegen einer nicht wesentlichen Vertragsverletzung ausgeht.
46
Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. B.II.2.
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
82
Kriterium der Wesentlichkeit adverbial verwendet (substantially) und um die Formel „was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen" erweitert, was jedoch an der geschilderten Problematik nichts zu ändern vermag. Selbst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, kann die Vertragsverletzung nicht als wesentlich qualifiziert werden, wenn die Vertragsbrüchige Partei den Nachteil nicht vorhergesehen hat (subjektives Moment) und eine vernünftige Person gleicher Art den Nachteil unter den gleichen Umständen auch nicht vorhergesehen hätte (objektives Moment). 47 Das Hauptgewicht liegt dabei auf dem objektiven Test. Durch das Fehlen der Vorhersehbarkeit wird allerdings nicht die Vertragsverletzung als solche in Frage gestellt, sondern lediglich die Wesentlichkeit der Vertragsverletzung verneint. 48 Insofern darf die Vorhersehbarkeit nicht als subjektives Verschuldenselement mißverstanden werden. 49 Gleichwohl läßt sich nicht recht nachvollziehen, warum die Vertragsaufhebung ausscheiden soll, wenn zwar eine hinreichend schwere Störung des Synallagmas vorliegt, diese für die andere Seite aber nicht vorhersehbar war. 50 Der Zeitpunkt, auf den es für die Vorhersehbarkeit ankommt, ist in Art. 25 CISG nicht festgelegt. Während Art. 10 EKG zur Beurteilung der Vorhersehbarkeit noch ausdrücklich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellte, hat man diese Frage im UN-Kaufrecht wohl wissend um die damit verbundenen Unsicherheiten bei der Auslegung und entgegen entsprechenden Anregungen offengelassen. 51 Vielmehr sollten die Gerichte über diese Frage entscheiden.52 Diese gesetzgeberische Zurückhaltung hat zu kontroversen Standpunkten im Schrifttum geführt: Eine Auffassung will stets auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellen.53 Dafür spreche ein Grundkonzept des UN-Kaufrechts, wonach ein unbedingtes Einstehen für das Leistungsversprechen lediglich auf der Basis des bei Abgabe des Leistungsversprechens überschaubaren Risikos erfolge. Wenn die Parteien in ihrem Vertrag und somit bei Vertragsschluß das Gewicht der jeweiligen Pflichten bestimmen, so könne sich die Vorhersehbar-
47
Vgl. auch Reinhart, Art. 25, Rn. 7. Nichtvorhersehbarkeit darf nicht als „exemption from liability" verstanden werden, vgl. dazu den mißverstehenden Antrag der philippinischen Regierung in UNCITRAL Yearbook V I I I (1977), S. 127, Nr. 7. 49 Vgl. Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 112, S. 84. 50 Coen, Vertragsscheitern und Rückabwicklung, S. 213. 51 UNCITRAL Yearbook V I I I (1977), S. 31, Nr. 90; Honnold, Uniform Law for International Sales, Rn. 183, S. 257. 52 Magnus, in: Staudinger, Art. 25, Rn. 16; Ziegler, Leistungsstörungen nach dem UN-Kaufrecht, S. 43. 53 Schlechtriem, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 25,Rn. 15; ders., Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 112, S. 84; Magnus, in: Staudinger, Art. 25, Rn. 19; Ziegler, Leistungsstörungen nach dem UN-Kaufrecht, S. 43f.; Holthausen, RIW 1990, 101, 105; siehe auch Steinmetzler, Leistungsstörungsrecht, S. 157. 48
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
83
keit auch nur auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses beziehen.54 Entgegen dieser Ansicht läßt die Gegenmeinung die spätere Kenntnis oder Erkennbarkeit ganz grundsätzlich genügen, stellt also auf den Zeitpunkt der Vertragsverletzung ab. 55 Da es für die Bewertung der Gläubigerinteressen (Eintritt eines wesentlichen Nachteils) auf den Zeitpunkt der Vertragsverletzung ankomme, müsse sich hierauf auch grundsätzlich die Kenntnis oder Erkennbarkeit durch den Schuldner beziehen.56 Einer weiteren Meinung zufolge seien auch nach Vertragsschluß, d.h. bis zum Eintritt der Vertragsverletzung gegebene Informationen für die Vorhersehbarkeit ausnahmsweise zu berücksichtigen. 57 Der Sinn der Vorschrift erlaube es, auch nachträgliche Informationen einzubeziehen, wenn sich die Vertragsbrüchige Partei vor der Vertragsverletzung darauf einstellen konnte; Korrekturen seien über das Merkmal der „vernünftigen Person der gleichen Art" möglich. 58
I I I . Das Gewicht der Vertragsverletzung bei nachträglicher Unmöglichkeit
Nachdem der Regelungsinhalt von Art. 25 CISG erläutert worden ist, gilt es nun zu analysieren, ob die Nichtleistung aufgrund nachträglicher Unmöglichkeit und somit die Verletzung der Lieferpflicht durch den Verkäufer eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt.
/. Endgültige objektive Unmöglichkeit Einigkeit besteht zumindest darin, daß bei endgültiger objektiver Unmöglichkeit die Wesentlichkeitsschwelle erreicht ist. 59 Dies folge schon mittelbar aus Art. 49 Abs. 1 lit (b) CISG. 60 Nach dieser Vorschrift erfährt eine Nichtliefe-
54
Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 112, S. 84. Honnold, Uniform Law for International Sales, Rn. 183, S. 256 ff.; Lüderitz/ Budzikiewicz, in: Soergel, Art. 25, Rn. 4; Neumayer (RIW 1994, 105), der zunächst auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellt, dann aber als „weitere Frage" für die Vorhersehbarkeit der Folgen den Verletzungszeitpunkt für maßgeblich hält. 56 Lüderitz/Budzikiewicz, in: Soergel, Art. 25, Rn. 4. 57 Karollus, in: Honsell, Art. 25, Rn. 26ff.; Reinhart , Art. 25, Rn. 9; Will , in: Bianca/ Bonell, Art. 25, Anm 2.2.2.2.5. 58 Reinhart, Art. 25, Rn. 9. 59 Achilles, Art. 25, Rn. 5; Magnus, in: Staudinger, Art. 25, Rn. 20; Müller-Chen , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 49,Rn. 6; Schlechtriem , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 25,Rn. 17; ders ., Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 113, S. 84; i.E. auch Lüderitz/ Budzikiewicz, in: Soergel, Art. 25, Rn. 2 und Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 49, Rn. 4. 55
0
Magnus, in: Staudinger, Art. 2 , Rn. 2 .
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
84
rung, die zum Zeitpunkt des Liefertermins keine wesentliche Vertragsverletzung darstellt, bei Ablauf einer gesetzten Nachfrist oder einer Erfüllungsverweigerung des Verkäufers eine Aufwertung, die den Käufer zur Aufhebung des Vertrages berechtigt. 61 Wie nun daraus die Wesentlichkeit der Vertragsverletzung für eine endgültige Nichtleistung abzuleiten sei, wird nicht näher erläutert. Es ließe sich allenfalls argumentieren, daß in beiden Varianten des Art. 49 Abs. 1 lit (b) CISG 62 ebenso wie bei der Nichtlieferung aufgrund endgültiger objektiver Unmöglichkeit feststehe, daß eine Lieferung nicht mehr erfolgen wird und insoweit das Setzen einer Nachfrist oder eine Erfüllungsverweigerung ihren Sinn verlieren würde. Jedoch sieht Art. 49 Abs. 1 lit (b) CISG als Rechtsfolge gerade nicht vor, eine solche Vertragsverletzung als wesentlich zu klassifizieren, sondern es wird dem Käufer lediglich die Ausübung des Rechtsbehelfs der Vertragsaufhebung ermöglicht. Zur Ermittlung der Wesentlichkeit einer Vertragsverletzung sollte daher auch im Falle endgültiger objektiver Unmöglichkeit alleine auf Art. 25 CISG abgestellt werden. Die dort aufgeführten positiven Tatbestandsmerkmale sind bei endgültiger objektiver Unmöglichkeit offensichtlich erfüllt. Wenn der Käufer die Ware nicht erhalten hat und auch nicht mehr erhalten wird, erleidet er nämlich solchen Nachteil, daß ihm im wesentlichen entgeht, was er nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen. Schwieriger gestaltet sich hingegen die Prüfung der Vorhersehbarkeitsschranke des Art. 25 CISG. Dies gilt insbesondere, wenn der Grund für die endgültige objektive Unmöglichkeit in einem zufalligen und nicht von den Parteien beherrschbaren Ereignis liegt, etwa wenn der Vertragsgegenstand durch höhere Gewalt zerstört worden ist. Zum einen darf die Vorhersehbarkeit in diesen Fällen nicht als subjektives Verschuldenselement mißverstanden werden, 63 kommt es doch vor allem auf die Vorhersehbarkeit für eine vernünftige Person der gleichen Art an. Zum anderen darf die Vorhersehbarkeit bei zufalligen Ereignissen wie etwa im Falle der force majeure nicht vorschnell verneint werden. Unabhängig davon, welchen Zeitpunkt man für die Beurteilung der Vorhersehbarkeit zugrunde legt, 64 muß beachtet werden, daß nicht die Vertragsverletzung als solche, sondern lediglich ihre Folgen vorhersehbar gewesen sein müssen. Daß dem Käufer wesentliche Nachteile im Falle endgültiger Nichtlieferung erwachsen, ist für den Verkäufer bzw. eine vernünftige Person der gleichen Art immer vorhersehbar, so daß bei Nichtlieferung aufgrund endgültiger objektiver Unmöglichkeit die Wesentlichkeitsschwelle gemäß Art. 25 CISG erreicht ist.
61
Schnyder/Straub, in: Honseil, Art. 49, Rn. 5. Gemeint sind die Nichtlieferung trotz Nachfristsetzung und die Erfüllungsverweigerung durch Verkäufer. 63 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. B.II.3. 64 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. B.II.3. 62
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG) 2. Vorübergehende
85
Unmöglichkeit
Weniger eindeutig gestaltet sich allerdings die Rechtslage im Falle der vorübergehenden Unmöglichkeit. Die Formel von Art. 25 CISG vermag hier keine unstreitigen Ergebnisse zu liefern. Entgeht dem Käufer im wesentlichen das, was er nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen, wenn die Unmöglichkeit der Lieferung nur vorübergehend ist, z.B. wenn die Fabrik des Verkäufers abgebrannt ist und sich im Wiederaufbau befindet? 65 Diese Frage ließe sich auf den ersten Blick pauschal damit beantworten, daß eine wesentliche Vertragsverletzung i.S.d. Art. 25 CISG wohl stets gegeben sein werde, wenn die Lieferung der Ware unmöglich geworden ist, 66 unabhängig von der Dauer der Unmöglichkeit. Bei genauer Betrachtung des genannten Beispiels wird jedoch deutlich, daß das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung bei vorübergehender Unmöglichkeit eine Fallfrage ist und von der Natur und mutmaßlichen Dauer des Leistungshindernisses abhängt.67 Würde im genannten Beispiel der Aufbau der Fabrik alsbald abgeschlossen werden, so könnte der Verkäufer die Ware sogleich produzieren und dem Käufer liefern. Damit läge ein klassischer Fall des Schuldnerverzuges vor. Eine ersichtlich nur vorübergehende Unmöglichkeit sollte daher zur Beantwortung der Wesentlichkeitsfrage nach den noch zu erörternden Regeln des Schuldnerverzugs behandelt werden. 68
5. Unvermögen sowie wirtschaftliche
und faktische Unmöglichkeit
Ist die Lieferung objektiv möglich und ist nur der Verkäufer nicht imstande zu leisten, so spricht man von subjektiver Unmöglichkeit oder Unvermögen. Dabei sind verschiedene Nuancen der subjektiven Unmöglichkeit begrifflich auseinanderzuhalten: Kann die Ware zwar theoretisch geliefert werden, liegt aber der damit verbundene Aufwand jenseits aller Vernunft, so spricht man von faktischer oder praktischer Unmöglichkeit. Schulbeispiele der deutschen Rechtsdogmatik sind der Ring auf dem Meeresboden und die Münzsammlung unter dem Fundament eines Hochhauses.69 Ist die Lieferung der Ware für den
65
Bsp. von U.Huber, in: Schlechtriem (3. Aufl.; nunmehr Schlechtriem/Schwenzer), Art. 49, Rn. 7. 66 Schlechtriem , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 25,Rn. 17; ders ., Internationales UN-Kaufrecht, S. 84. 67 U.Huber, in: Schlechtriem (3. Aufl.; nunmehr Schlechtriem/Schwenzer), Art. 49, Rn. 7. 68 So auch Achilles , Art. 25, Rn. 5. 69
Heinrichs , in: Palandt, § 275, Rn. 22.
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
86
Verkäufer unverhältnismäßig erschwert worden, etwa infolge völliger Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, ist dabei aber noch nicht die Intensität faktischer Unmöglichkeit erreicht, so spricht man von wirtschaftlicher Unmöglichkeit. In allen anderen Fällen ist lediglich bloßes Unvermögen gegeben. Das CISG kennt eine solche Unterscheidung nicht. Es ließe sich daher argumentieren, daß alle Fälle subjektiver Unmöglichkeit einheitlich zu behandeln seien und daß dementsprechend die Nichtlieferung der verkauften Ware aufgrund subjektiver Unmöglichkeit stets einen wesentlichen Vertragsbruch darstelle. 70 Ist die Lieferung objektiv möglich und ist nur das Unvermögen des Verkäufers der Grund für die Nichterfüllung der Lieferpflicht, so rechtfertigt jedoch dieser Umstand für sich genommen, noch nicht die Annahme einer wesentlichen Vertragsverletzung. 71 Bei subjektiver Unmöglichkeit kommt es vielmehr darauf an, ob und inwieweit sie nur als vorübergehend erscheint und der Schuldner zu erkennen gibt, daß er bereit und in der Lage sein wird, das Leistungshindernis innerhalb angemessener Zeit zu beseitigen.72 Wendet man diese Formel nun auf die Fallgruppen der subjektiven Unmöglichkeit an, so ergibt sich folgendes Bild: Bei faktischer Unmöglichkeit wiegt das Leistungshindernis in der Regel so schwer, daß dessen Beseitigung durch den Schuldner auf kurz oder lang ausgeschlossen erscheint. Daher kann man bei faktischer Unmöglichkeit regelmäßig von einer wesentlichen Vertragsverletzung im Sinne von Art. 25 CISG ausgehen. Was die wirtschaftliche Unmöglichkeit und das bloße Unvermögen betrifft, so läßt sich weder anhand der allgemeinen Formel des Art. 25 CISG noch mit der soeben geschilderten Methode, welche die Dauer des Leistungshindernisses zu berücksichtigen versucht, eine genaue Trennlinie zwischen wesentlichen und unwesentlichen Vertragsverletzungen ziehen. Hinderungsgründe wie fehlendes Eigentum oder fehlender Besitz sowie das Steigen der Preise oder sonstige Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden jedoch für sich gesehen nur selten die Wesentlichkeit einer Vertragsverletzung begründen können.
70
So Freiburg, Das Recht auf Vertragsaufhebung im UN-Kaufrecht, S. 82; MüllerChen, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 49, Rn. 6; Schlechtriem, in: Schlechtriem/ Schwenzer, Art. 25, Rn. 17; ders., Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 113, S. 84; Ziegler, Leistungsstörungsrecht nach dem UN-Kaufrecht, S. 58. 71 U. Huber, in: Schlechtriem (3. Aufl.; nunmehr Schlechtriem/Schwenzer), Art. 49, Rn. 7. 72 Achilles, Art. 25, Rn. 5; U.Huber, in: Schlechtriem (3. Aufl.; nunmehr Schlechtriem/Schwenzer), Art. 49, Rn. 7.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
87
IV. Die Nachfristsetzung als Korrektiv zur Wesentlichkeitsbeurteilung
Die Analyse von Art. 25 CISG hat im Bezug auf die Leistungsstörung der nachträglichen Unmöglichkeit gezeigt, daß das UN-Kaufrecht bei der Ermittlung der Wesentlichkeit einer Vertragsverletzung in vielen Fällen keine eindeutigen und vor allem unstreitigen Ergebnisse hervorzubringen vermag. Die Konvention sieht daher in bestimmten Fällen die Möglichkeit vor, durch Nachfristsetzung Zweifel über das Gewicht einer Vertragsverletzung zu beheben. Dies gilt etwa hinsichtlich des Rechts zur Vertragsaufhebung im Falle der Nichtlieferung durch den Verkäufer 73 bzw. bei unterbleibender Zahlung und Nichtabnahme durch den Käufer 74 .
C. Die Rechtsfolgen der nachträglichen Unmöglichkeit im CISG Die Rechtsbehelfe der Parteien sind im CISG jeweils in einem Abschnitt zusammengefaßt. 75 Während die Art. 45 - 52 CISG die Rechtsbehelfe des Käufers wegen Vertragsverletzung durch den Verkäufer behandeln, sind in den Art. 6 1 - 6 5 CISG spiegelbildlich die Rechtsbehelfe des Verkäufers wegen Vertragsverletzung durch den Käufer normiert. Beide Abschnitte haben gemein, daß ihnen das Pflichtenprogramm für jede Seite vorangestellt wird, also in den Art. 30 - 44 CISG die Pflichten des Verkäufers und in den Art. 53 - 60 CISG die Pflichten des Käufers. Dabei ist das System der Rechtsbehelfe bei Leistungsstörungen nach einem einheitlichen und für beide Vertragsparteien gleichermaßen geltenden Grundmuster aufgebaut: das UN-Kaufrecht gibt den Parteien im Störungsfall drei Basisrechtsbehelfe, nämlich den Erfüllungs- bzw. Nacherfüllungsanspruch, alternativ dazu das Recht auf Aufhebung des Vertrages und, jeweils kumulativ hierzu, den Schadensersatzanspruch. 76 Es wird nun untersucht, welche Rechtsfolgen das Unmöglichwerden der dem Verkäufer obliegenden Lieferpflicht nach sich zieht und ob der Käufer deswegen Rechtsbehelfe geltend machen kann. 77
73
Vgl. Art. 49 Abs. 1 lit (b), 47 Abs. 1 CISG. Vgl. Art. 64 Abs. 1 lit (b), 63 Abs. 1 CISG. 75 Schlechtriem , Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 176, S. 117. 76 Piltz , UN-Kaufrecht, Rn. 223, S. 58; Fischer , Unmöglichkeit der Leistung, S. 41; das Recht zur Minderung (Art. 50 CISG) zählt indes nicht zu den Basisrechtsbehelfen, da ein Anspruch auf Herabsetzung des Kaufpreises denknotwendig nur dem Käufer zustehen kann. 77 Die Rechtsbehelfe des Verkäufers werden erst im Rahmen des Schuldnerverzuges behandelt. 74
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
88
I. Erfüllung
In der Theorie bestehen grundlegende Unterschiede zwischen kontinentaleuropäischem und angloamerikanischem Recht bezüglich der generellen Verfügbarkeit des Erfüllungsanspruchs. 78 Im deutschen, romanischen und nordischen Rechtskreis ist es ganz selbstverständlich, daß der Gläubiger den Anspruch auf Erfüllung vor Gericht verfolgen und ein Leistungsurteil erwirken kann, welches dem Schuldner die Erfüllung des Vertrages befiehlt. 79 Im Common Law kann dagegen im Falle der Nichterfüllung nur auf Schadensersatz in Geld wegen „breach of contract" geklagt werden. 80 Daß darüber hinaus durch den Vertragsabschluß eine rechtlich erzwingbare Verpflichtung zur Erfüllung begründet werde, ist eine dem Common Law durchaus fremde Vorstellung. 81 Nur ausnahmsweise wenn die Gewährung von Schadenersatz für den Gläubiger „inadequate" ist, weil das Interesse des Gläubigers an der Erfüllung sich nicht in einen Geldbetrag umwandeln läßt, kann das Gericht nach seinem Ermessen den Equity-Behelf der specific Performance gewähren. 82 Die Diskrepanz zwischen diesen beiden dogmatischen Ansätzen hat auch Einfluß auf das UN-Kaufrecht genommen: Schon der Entwurf von 1935 83 sah als Kompromiß zwischen beiden Systemen im wesentlichen die jetzige Lösung (Art. 28 CISG) vor, die grundsätzlich einen Erfüllungsanspruch einräumt, seine Durchsetzbarkeit aber dort ausschließt, wo ihn das Recht des befaßten Gerichts nicht kennt. 84
1. Der allgemeine Erfüllungsanspruch
des Käufers
Art. 46 CISG konkretisiert den Erfüllungsanspruch des Käufers 85 und somit die in Art. 30 CISG festgelegten Grundpflichten des Verkäufers. Der allgemeine Anspruch auf Pflichterfüllung nach Art. 46 Abs. 1 CISG umfaßt dabei das Recht auf Lieferung der Ware oder eines fehlenden Teils, die Übergabe von
78
Schwenzer, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37, 39. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 469; v. Caemmerer, AcP 178(1978), 121, 129. 80 Atiyah, An Introduction to the Law of Contract, S. 424; v. Caemmerer, AcP 178 (1978), 121, 129; 81 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 478. 82 Beswickv. Beswick [1968] A.C. 58; Triebel/Hodgson/Kellenter/Müller, Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, Rn. 190ff., S. 90f.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 478; Henrich/Huber, Einführung in das englische Privatrecht, S. 41. 83 Vgl. Art. 25 dieses Entwurfs, veröffentlicht und kommentiert von Rabel, RabelsZ 9(1935), lff. 84 Magnus, in: Staudinger, Art. 46, Rn. 6; Walt, 26 Tex. I n f i L.J. (1991), 211, 218. 79
85
Lüderitz/Schüßler-Langeheine,
in: Soergel, Art. 46, Rn. 1.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
89
Dokumenten (Art. 34 CISG) und die Vornahme aller anderen Handlungen, die nach der ursprünglichen Vereinbarung zur Vertragserfüllung notwendig sind. 86 Die Verpflichtung zur Lieferung vertragsgemäßer Ware gemäß Art. 35 Abs. 1 CISG unterliegt den Sondervorschriften der Absätze 2 und 3 des Art. 46 CISG, die aber nur zur Anwendung kommen, wenn der Verkäufer tatsächlich geliefert hat. Im Falle der Nichtlieferung der Ware, sei es daß diese auf nachträglicher objektiver Unmöglichkeit oder auf einem andern Grunde beruht, ist somit nur Art. 46 Abs. 1 CISG maßgeblich. Danach hat der Käufer grundsätzlich einen Anspruch auf Erfüllung in natura und kann somit Lieferung der Ware verlangen. Dieser Erfüllungsanspruch des Käufers ist allerdings einigen Beschränkungen ausgesetzt, die im folgenden dargestellt werden.
2. Beschränkungen des Erfüllungsanspruches Wie bereits erwähnt, ist der Erfüllungsanspruch nicht durchsetzbar, wenn das angerufene Gericht nach seinem nationalen Recht bei gleichartigen Kaufverträgen keine Erfüllung in natura gewährt. Diese formellrechtliche Schranke ergibt sich aus Art. 28 CISG. Nach Art. 46 Abs. 1 CISG scheidet der Erfüllungsanspruch ferner aus, wenn der Käufer einen Rechtsbehelf ausgeübt hat, der mit dem Erfüllungsverlangen unvereinbar ist. Mit dem Leistungsbegehren inkompatibel sind die Vertragsaufhebung und das Minderungsverlangen, 87 da sie den Fortbestand eines auf Erfüllung gerichteten Anspruchs ausschließen.88 Ein Schadensersatzanspruch ist nur dann mit dem Erfüllungsanspruch unvereinbar, wenn sich beide Ansprüche auf das gleiche Interesse richten. 89 Dies ist etwa der Fall, wenn Schadensersatz statt der Leistung verlangt wird. 90 Verlangt der Käufer also Ersatz des unmittelbar aufgrund der ausgebliebenen Leistung entstandenen Schadens, so ist sein Erfüllungsanspruch gemäß Art. 46 Abs. 1 CISG ausgeschlossen.91
86
Reinhart , Art. 46, Rn. 2; Magnus, in: Staudinger, Art. 46, Rn. 11. Achilles , Art. 46, Rn. 3; Herber/Czerwenka, Art. 46, Rn. 5; Lüderitz/SchüßlerLangeheine, in: Soergel, Art. 46, Rn. 14; Magnus, in: Staudinger, Art. 46, Rn. 19; Reinhart, Art. 46, Rn. 2; Schnyder/Straub, in: Honseil, Art. 46, Rn. 24; a.A. im Hinblick auf die Minderung wohl Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 46, Rn. 3. 88 Schny der/Straub, in: Honsell, Art. 46, Rn. 24. 89 U.Huber, in: Schlechtriem (3. Aufl.; nunmehr Schlechtriem/Schwenzer), Art. 46, Rn. 10. 90 Achilles, Art. 46, Rn. 3; Magnus, in: Staudinger, Art. 46, Rn. 19; Schny der/Straub, in: Honsell, Art. 46, Rn. 24; a.A. wohl Herber/Czerwenka, Art. 46, Rn. 5; Reinhart, Art. 46, Rn. 2; Lüderitz/Schüßler-Langeheine, in: Soergel, Art. 46, Rn. 14; Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 46,Rn. 3. 87
91
Schnyder/Straub,
in: Honsell, Art. 46, Rn. 24.
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
90
3. Der Erfüllungsanspruch
des Käufers bei nachträglicher
Unmöglichkeit
Wird dem Verkäufer die Lieferung der Ware unmöglich, so kann der Erfüllungsanspruch des Käufers dementsprechend entweder gemäß Art. 46 Abs. 1 CISG ausgeschlossen sein, wenn der Käufer einen unvereinbaren Rechtsbehelf ausgeübt hat oder nach Art. 28 CISG, wenn das angerufene Gericht nach seinem nationalen Recht den Verkäufer prinzipiell nicht zur Erfüllung verurteilen würde. Greift keiner dieser beiden Ausschlußtatbestände, so erscheint ein Festhalten am Erfüllungsanspruch befremdlich angesichts der Tatsache, daß der Verkäufer ohnehin nicht mehr erfüllen wird, ist doch der Anspruch auf Erfüllung einer unmöglich zu erbringenden Pflicht gerichtet. Eine Vorschrift, die den Satz des römischen Rechts impossibilium nulla est obligatio ausdrücklich übernimmt, sucht man im CISG vergeblich. So verwundert es nicht, daß das Problem des Anspruchs auf Erfüllung einer unmöglich gewordenen Pflicht kontrovers diskutiert wird: Ein Teil der Literatur spricht sich dafür aus, bei Unmöglichkeit der Erfüllung über Art. 28 CISG das nationale Recht einzuschalten.92 Das angerufene Gericht müsse dann nach seinem Recht darüber entscheiden, ob auf Erfüllung geklagt werden kann. 93 So könne sich etwa ein Schuldner vor einem deutschen Gericht auf Art. 28 CISG i.V.m. § 275 BGB(n.F.) berufen, falls dessen Voraussetzungen vorlägen. 94 Dieser Ausweg führt allerdings in dem Umfang zu uneinheitlichen Ergebnissen, in dem die nationalen Rechte hier variieren. 95 Ferner liegt die Anwendung des Art. 28 CISG, wie schon der Wortlaut „is not bound to" zeigt, im Ermessen des angerufenen Gerichts, 96 so daß nach dieser Lösung der Ausschluß des Erfüllungsanspruches selbst bei einer objektiv unmöglichen Leistung vom Willen des angerufenen Gerichts abhängen würde. Überdies führt Art. 28 CISG nur zur Unzulässigkeit der klageweisen Durchsetzung, hingegen ändert diese Vorschrift nichts daran, daß nach dem UN-Kaufrecht ein Erfüllungsanspruch besteht,97 was die problematische Regel zur Folge hätte, daß selbst ein objektiv unerfüllbarer Anspruch erfüllt werden soll. 98
92
Herber/Czerwenka, Art. 28, Rn. 5; Art. 46, Rn. 3f.; Art. 79, Rn. 23; Vahle, ZVglRWiss 98 (1999), 54, 61; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 118, S. 89; differenzierend Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 28, Rn. 8; siehe auch Lüderitz/ Budzikiewicz, in: Soergel, Art. 28, Rn. 2. 93 Herber/Czerwenka, Art. 46, Rn. 3. 94 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 118, S. 89. 95 Magnus, in: Staudinger, Art. 46, Rn. 28. 96 Karollus, in: Honsell, Art. 28, Rn. 21. 97 Karollus, in: Honsell, Art. 28, Rn. 23. 98
Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 59.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
91
Im Gegensatz dazu spricht sich der überwiegende Teil der Literatur dafür aus, daß ein Erfüllungsanspruch erlösche, wenn die Erfüllung auf Dauer tatsächlich objektiv unmöglich ist." Die Begründungen für dieses Ergebnisses weichen dabei erheblich voneinander ab. Zum Teil wird das Erlöschen dadurch zu erklären versucht, daß der Vertrag kraft Gesetzes verschwinde (contract disappears by operation of law). 100 Inspiriert ist diese Auffassung ganz offensichtlich von der im Common Law zur Auflockerung der strengen Garantiehaftung geltenden doctrine of frustration, die im englischen Recht etwa zur Leistungsbefreiung bei nachträglicher objektiver Unmöglichkeit herangezogen wird. 1 0 1 Auf das UNKaufrecht mag dieses Rechtsinstitut schon deswegen nicht übertragbar sein, weil das CISG die „ipso facto avoidance" beseitigt hat. 102 Denn die Vertragsaufhebung erfolgt nicht ex lege bei Vorliegen der Aufhebungsvoraussetzungen, sondern bedarf grundsätzlich einer entsprechenden Gestaltungserklärung der aufhebenden Partei. 103 Jedenfalls bestünde aber bei einem „Schwund" des gesamten Vertrages die Gefahr, daß damit zu Unrecht die vertragliche Basis für Nebenansprüche oder Sicherheiten verschwinde. 104 Eine Anwendung der doctrine of frustration scheint allenfalls über den eingangs geschilderten Weg des Art. 28 CISG denkbar, wenn das angerufene Gericht nach nationalem Recht dieses Rechtsinstitut im konkreten Fall anwenden würde. Dazu müßte das angerufene Gericht aber dem Rechtskreis des Common Law angehören und könnte sich somit zum Ausschluß des Erfüllungsanspruches schon alleine auf Art. 28 CISG berufen, ohne daß es eines Rückgriffs auf die doctrine of frustration bedürfte.
99 Achilles, Art. 46, Rn. 3; Art. 79, Rn. 14; Benicke, in: Münchener KommentarHGB, Art. 46, Rn. 6; Herber/ Czerwenka, Art. 46, Rn. 4; Lüderitz/Schüßler-Langeheine, in: Soergel, Art. 46, Rn. 15; Magnus, in: Staudinger, Art. 46, Rn. 25; Art. 79, Rn. 58; ders., in: Honsell, Art. 79, Rn. 26; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 48; Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 28, Rn. 8; Art. 79, Rn. 10; Schnyder/Straub, in: Honsell, Art. 46, Rn. 30; Talion, in: Bianca/Bonell, Art. 79, Anm. 2.10.2; a.A. Schönte, in: Honsell, Art. 66, Rn. 1. 100 Talion, in: Bianca/Bonell, Art. 79, Anm. 2.10.2. 101 Zur doctrine of frustration im englischen Recht siehe den Law Reform (Frustrated Contracts) Act 1943 sowie den „leading case" Taylor v. Caldwell (1863) 3 B.& S. 826; Atiyah, An Introduction to the Law of Contract, S. 236ff.; Beale/Bishop/Furmston, Contract. Cases and Materials, S. 459ff; Treitel, Frustration and Force Majeure, Triebel/Hodgson/Kellenter/Müller, Englisches Handelsund Wirtschaftsrecht, Rn. 150ff., S. 79ff.; Henrich/Huber, Einführung in das englische Privatrecht, S. 41: siehe auch U.Huber, ZIP 2000, 2273, 2276f. 102 Vgl. Art. 26 CISG; UNCITRAL Yearbook III (1972), S. 41-54; Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 59; Karollus, in: Honsell, Art. 26, Rn. 2; Art. 28, Rn. 4; Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 62, Rn. 1. 103 Vgl. Art. 26 CISG; Karollus, in: Honsell, Art. 26, Rn. 6.
0
Magnus, in: Staudinger, Art. 7 , Rn.
; e
e
e
,
Art. 7 , Rn.
.
92
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
Ein Teil der Literatur entnimmt den Regeln zum Gefahrübergang (Art. 66 70 CISG), daß ein Erfüllungsanspruch erlösche, wenn seine Erfüllung objektiv unmöglich geworden ist. 1 0 5 Gestützt wird dieses Ergebnis im wesentlichen auf einen gedanklichen Umkehrschluß zu Art. 66 CISG. Aus dieser Vorschrift sei abzuleiten, daß bei einem zufalligem Untergang der Sache vor Gefahrübergang der Käufer von der Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises befreit werde, falls es sich um einen Stückkauf handele und deshalb Ersatzlieferung ausscheide; in diesem Fall entfiele der Erfüllungsanspruch des Käufers. 106 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß sich die Art. 66 ff. CISG lediglich mit dem Übergang der Preisgefahr auf den Käufer befassen und dabei nichts ausdrücklich über die Leistungsgefahr sagen.107 Schließlich wird vom überwiegenden Teil der Literatur Art. 79 CISG herangezogen, um das Erlöschen des Erfüllungsanspruches im Falle objektiver Unmöglichkeit zu begründen. 108 Es sei widersprüchlich, dem Käufer einen Anspruch auf die Erfüllung derjenigen Pflichten zu geben, von deren Erfüllung Art. 79 CISG gerade entlaste.109 Dem ist jedoch der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte von Art. 79 Abs. 5 CISG entgegenzuhalten. Während Art. 74 EKG dem von der Nichterfüllung betroffenen Gläubiger bei Entlastung des Schuldners nur das Recht zur Vertragsaufhebung und zur Minderung vorbehielt, läßt Art. 79 Abs. 5 CISG schlechthin andere Rechte des Gläubigers als das Recht auf Schadensersatz unberührt. 110 Aufgrund des eindeutigen Wortlautes ist eine analoge Anwendung von Art. 79 CISG abzulehnen.111 Es ließe sich daher argumentieren, daß der Verkäufer auch bei einem objektiven Unmöglichwerden der gehörigen Erfüllung nicht ipso jure und ipso facto von seiner Leistungspflicht befreit werde, sondern der Untergang der Ware lediglich zu einer Vertragsverletzung des Verkäufers führe, die dem Käufer unter den in Art. 49 CISG genannten Voraussetzungen das Recht zur Ver-
105 Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 48; Schnyder/Straub, in: Honseil, Art. 46, Rn. 29. 106 Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 48. 107 So Schönle, in: Honsell, Art. 66, Rn. l;Karollus, UN-Kaufrecht, S. 192; a.A. Magnus, in: Staudinger, Art. 66, Rn. 9, der die Leistungsgefahr teilweise und zwar in Art. 70 CISG geregelt sieht. 108 Achilles, Art. 46, Rn. 3; Art. 79, Rn. 14; Magnus, in: Staudinger, Art. 46, Rn. 25; Art. 79, Rn. 58f.; ders., in: Honsell, Art. 79, Rn. 26; Lüderitz/Schüßler-Langeheine, in: Soergel, Art. 46, Rn. 15. 109 Magnus, in: Staudinger, Art. 46, Rn. 25. 110 Stoll/Gruber in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 45; Kastely, 63 Wash. L. Rev. (1988), 607, 620f. 111 Schnyder/Straub, in: Honsell, Art. 46, Rn. 28; Vahle, ZVglRWiss 98 (1999), 54,
61.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
93
tragsaufhebung gebe. 112 Dies hätte zur Folge, daß die Befreiung des Verkäufers von der Erfüllung einer objektiv unmöglichen Pflicht in der Hand des Käufers läge. Ein Beharren auf einem Verlangen, welches von niemandem mehr erbracht werden kann, müßte jedoch ohnehin als sinnlos und rechtsmißbräuchlich qualifiziert werden. 113 Teilweise wird das Erlöschen eines objektiv unmöglichen Erfüllungsanspruchs auch aus den allgemeinen Grundsätzen des Übereinkommens (Art. 7 Abs. 2 CISG) herzuleiten versucht; dabei seien die allgemeinen Wertungen des Übereinkommens für die Frage, welche Leistungshindernisse der Schuldner zu überwinden habe, insbesondere den Art. 79, 80 CISG zu entnehmen.114 Dieser Ansicht ist entgegenzuhalten, daß sie die Unanwendbarkeit des Art. 79 CISG über die allgemeinen Grundsätze des Übereinkommens zu umgehen versucht und damit dem eindeutigen Wortlaut des Art. 79 Abs. 5 CISG entgegensteht.
4. Stellungnahme Wenn feststeht, daß der Verkäufer nie erfüllen können wird, erscheint das Erlöschen des Erfüllungsanspruches für beide Seiten sachgerecht. Der Verkäufer hat offensichtlich ein Interesse daran, von einer Verpflichtung befreit zu werden, die weder er noch irgendjemand erbringen kann und auch niemals erbringen können wird. Andererseits geht dem Käufer mit dem Erlöschen seines Erfüllungsanspruchs nichts verloren, ist dieser Anspruch doch mit Eintritt der dauernden und objektiven Unmöglichkeit nicht nur wirtschaftlich wertlos, sondern vor allem sinnlos geworden. Im UN-Kaufrecht ist das Erlöschen des Erfüllungsanspruchs je nach Lage des Einzelfalls unterschiedlich herzuleiten: Hat der Käufer einen mit der Erfüllung unvereinbaren Rechtsbehelf ausgeübt, so ergibt sich der Ausschluß der Leistungspflicht aus Art. 46 Abs. 1 CISG. Ist es noch nicht zur Ausübung von Rechtsbehelfen durch den Käufer gekommen, so ist an Art. 28 CISG zu denken, wenn das angerufene Gericht den Common-Law-Staaten angehört und von seinem in dieser Vorschrift eingeräumten Ermessen Gebrauch machen will. Unter keinen Umständen darf Art. 79 CISG herangezogen werden, um das Erlöschen eines objektiv unmöglichen Erfullungsanspruchs zu begründen; die Entstehungsgeschichte und der eindeutige Wortlaut des fünften Absatzes der Vorschrift erlauben dies nicht. Ebensowenig vermögen die Regeln zum Übergang der Preisgefahr (Art. 66 ff. CISG) weiterzuhelfen; sie ordnen nicht das Erlöschen unmöglich gewordener Erfüllungsan112
Schönle , in: Honseil, Art. 66, Rn. 1. Schnyder/Straub, in: Honseil, Art. 46, Rn. 30; Benicke, in: Münchener Kommentar-HGB, Art. 46, Rn. 7. 113
1,4
P.Huber, in: Münchener Kommentar, Art. 46, Rn. 18.
94
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
sprüche an, sondern regeln lediglich das Schicksal des Gegenleistungsanspruchs. Wird die Lieferung dauernd und objektiv unmöglich, ist der Wegfall des Erfüllungsanspruchs im Übereinkommen zwar nicht ausdrücklich angeordnet, er ergibt sich m.E. aber de minore ad maius aus der in Art. 46 Abs. 1 CISG niedergelegten Beschränkung des Erfullungsanspruchs: Nach Art. 46 Abs. 1 CISG kann der Käufer vom Verkäufer nur dann Erfüllung seiner Pflichten verlangen, wenn der Käufer noch keinen Rechtsbehelf ausgeübt hat, der mit diesem Verlangen unvereinbar ist. Ein Kumulativverhältnis zwischen Erfüllungsanspruch einerseits und einem Rechtsbehelf auf Vertragsaufhebung, Minderung oder Schadensersatz statt der Leistung andererseits würde den Verkäufer in eine der Unmöglichkeit ähnliche Situation versetzen. Zur Veranschaulichung möge folgender Gedankengang dienen: Man denke die Beschränkung des Art. 46 Abs. 1 CISG hinweg und stelle sich vor, daß der Käufer neben seinem Erfüllungsanspruch einen mit der Erfüllung unvereinbaren Rechtsbehelf geltend mache. Die Parallele zur Unmöglichkeit zeigt sich insbesondere, wenn der Käufer zusätzlich zu seinem Erfüllungsverlangen die Vertragsaufhebung erklären könnte. Der Verkäufer könnte in diesem Fall nur einem der beiden Begehren des Käufers sinnvollerweise Folge leisten. Entweder er liefert und befolgt das Erfüllungsbegehren des Käufers oder er liefert nicht und hält sich an die Vertragsaufhebung. Beide Begehren des Käufers gleichzeitig zu befriedigen, ist dem Verkäufer unmöglich. Ohne die Beschränkung des Erfüllungsanspruchs nach Art. 46 Abs. 1 CISG würde sich der Verkäufer daher in einer der Unmöglichkeit ähnlichen Situation befinden. Als weiteres Gedankenspiel läßt sich die Berechnung eines Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung unter Fortbestand des Erfüllungsanspruches nennen. Um solche paradoxen Situationen und vor allen Dingen eine doppelte Kompensation des Käufers zu vermeiden, beschränkt Art. 46 Abs. 1 CISG den Erfüllungsanspruch des Käufers derart, daß kein mit dem Erfüllungsbegehren unvereinbarer Rechtsbehelf ausgeübt worden sein darf. Wenn jedoch schon solche unmöglichkeitsähnlichen Situationen imstande sind, den Erfüllungsanspruch des Käufers gemäß Art. 46 Abs. 1 CISG auszuschließen, dann muß der Erfüllungsanspruch erst recht (de minore ad maius) erlöschen, wenn die Leistung tatsächlich dauernd und objektiv unmöglich ist. Gleiches hat nach der hier vertretenen Ansicht zu gelten, wenn faktische Unmöglichkeit vorliegt. 115 Im Falle des Unvermögens sollte der Erfullungsanspruch materiell-rechtlich bestehen bleiben. 116 Insbesondere darf Art. 28 CISG, der nach seinem Zweck
115 in: Honsell, Art. 46, Rn. 30; a.A. Herber/ Im Ergebnis auch Schnyder/Straub, Czerwenka, Art. 79, Rn. 23. 116 So auch Achilles, Art. 46, Rn. 3; Vahle, ZVglRWiss 98 (1999), 54, 60; Ziegler, Leistungsstörungen nach dem UN-Kaufrecht, S. 148f.; a.A. Müller-Chen, in:
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
95
und seiner Entstehungsgeschichte keine Vorschrift ist, die materielle Ansprüche abändert, 117 nicht dazu mißbraucht werden, kontinental-europäischen Gerichten die Anwendung spezieller Befreiungstatbestände des nationalen Rechts zu ermöglichen. Somit bleibt es deutschen Gerichten etwa versagt, bei wirtschaftlicher Unmöglichkeit die nunmehr in § 313 BGB normierte Lehre von der Störung der Geschäftsgrundlage anzuwenden.118 Vielmehr ist eine angemessene Lösung aus Art. 7 Abs. 1 CISG (Treu und Glauben) zu entwickeln, wenn wirtschaftliche Unmöglichkeit gegeben ist oder, allgemein gesagt, sich die Durchsetzung des Erfiillungsanspruchs als unbillig darstellt. 119
II. Auswirkungen auf die Gegenleistung
Im folgenden wird der Erfüllungsanspruch des Verkäufers analysiert und wie sich im UN-Kaufrecht die Unmöglichkeit des Lieferanspruchs auf die Gegenleistung des Käufers auswirkt.
1. Der Erfüllungsanspruch
des Verkäufers
und seine Beschränkungen
So wie Art. 30 CISG für den Verkäufer faßt Art. 53 CISG für den Käufer die grundlegenden Pflichten zusammen120 und formuliert dabei im Zusammenwirken mit Art. 62 CISG zugleich die Anspruchsgrundlage für die in den Art. 54 ff. CISG näher ausdifferenzierten Ansprüche auf Abnahme und Kaufpreiszahlung. 121 Ebenso wie der Erfüllungsanspruch des Käufers (Art. 30, 46 CISG) ist aber auch der Erfüllungsanspruch des Verkäufers (Art. 53, 62 CISG) einigen allgemeinen Beschränkungen unterworfen: Dazu zählt die zum einen die bereits oben dargestellte Schranke des Art. 28 CISG, 122 wobei umstritten ist, ob diese Vorschrift lediglich für die Pflicht zur Abnahme der Ware und sonstige Zusatzpflichten des Käufers gilt oder ebenfalls
Schlechtriem/Schwenzer, Art. 46, Rn. 12; differenzierend danach, ob persönliche Leistungserbringung geschuldet Schnyder/Straub, in: Honseil, Art. 46, Rn. 31; vgl. auch Lüderitz/Schüßler-Langeheine , in: Soergel, Art. 46, Rn. 15; Magnus , in: Staudinger, Art. 46, Rn. 27. 117
Magnus , in: Staudinger, Art. 28, Rn. 10. So auch Herber/Czerwenka , Art. 79, Rn. 24. 119 Vgl. Saenger , in: Bamberger/Roth, Art. 28, Rn. 8; Schnyder/Straub, in: Honsell, Art. 46, Rn. 31; Achilles, Art. 46, Rn. 3. 120 Magnus, in: Staudinger, Art. 53, Rn. 1; P.Huber, in: Münchener Kommentar, Art. 53, Rn. 2. 121 Achilles, Art. 53, Rn. 1; Benicke , in: Münchener Kommentar-HGB, Art. 53, Rn. 2. 118
1
Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I.
96
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
auf den Zahlungsanspruch des Verkäufers Anwendung findet. 123 Für eine Anwendung von Art. 28 CISG auf den Zahlungsanspruch des Verkäufers spreche die Gesetzessystematik und, daß Art. 28 CISG ausdrücklich auf beide Parteien Bezug nehme und somit keine Einschränkung vorsehe. 124 Dem wird entgegengehalten, daß es bei Art. 28 CISG ausschließlich darum gehe, die Problematik einer Verurteilung und Vollstreckung wegen einer anderen Leistung als einer Geldzahlung zu vermeiden; specific Performance meine im englischen juristischen Sprachgebrauch eben nur die Sach- und nicht die Geldleistung. 125 Praktische Relevanz hat dieser Streit jedoch kaum. Der Verkäufer kann nämlich ebensogut den Zahlungsanspruch als Schadensersatzanspruch umformulieren und somit Zahlung eines dem Kaufpreis entsprechenden Geldbetrages vom Käufer verlangen. 126 Nach Art. 62 CISG, der Parallelvorschrift zu Art. 46 Abs. 1 CISG, scheidet der Erfüllungsanspruch des Verkäufers ferner aus, wenn der Verkäufer bereits einen Rechtsbehelf ausgeübt hat, der mit dem Erfüllungsverlangen unvereinbar ist. Eine solche Unvereinbarkeit besteht vor allem im Hinblick auf die Vertragsaufhebung nach Art. 64 CISG. 1 2 7 Dementsprechend kann der Verkäufer während einer gesetzten Nachfrist (Art. 63 CISG) auch keine Erfüllung verlangen, sondern muß das Fristende abwarten; nach Ablauf der Frist lebt die Durchsetzungsmöglichkeit des Erfüllungsanspruchs ohne weiteres wieder auf. 128 Desgleichen schließt der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung, also wegen Nichterfüllung des gesamten Vertrages, den Erfüllungsanspruch aus. 129
123 Für eine Anwendung Hager, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 62, Rn. 12; Magnus, in: Staudinger, Art. 62, Rn. 12; Müller-Chen, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 28, Rn. 6; Piltz, UN-Kaufrecht, Rn. 340, S. 83; Schlechtriem, Internationales UNKaufrecht, Rn. 236, S. 153; gegen eine Anwendung: Herber/Czerwenka, Art. 62, Rn. 7; Reinhart, Art. 25, Rn. 5. 124 Hager, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 62, Rn. 11 weist daraufhin, daß Art. 28 CISG „in dem Kapitel über die Allgemeinen Bestimmungen vorgesehen ist"; Schnyder/ Straub, in: Honsell, Art. 62, Rn. 14. 125 Herber/Czerwenka, Art. 62, Rn. 7; U.Huber, in: Schlechtriem (3. Aufl., nunmehr Schlechtriem/ Schwenzer), Art. 28, Rn. 14. 126 Schnyder/Straub, in: Honsell, Art. 62, Rn. 14; Piltz, UN-Kaufrecht, Rn. 340, S. 83. 127 Achilles, Art. 62, Rn. 3; Hager, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 62, Rn. 5; Herber/Czerwenka, Art. 62, Rn. 8; Lüderitz/Budzikiewicz, in: Soergel, Art. 62, Rn. 5; Magnus, in: Staudinger, Art. 62, Rn. 13; Reinhart, Art. 62, Rn. 3; Schnyder/Straub, in: Honsell, Art. 62, Rn. 16; Wilhelm, UN-Kaufrecht, S. 20. 128 Art. 63 Abs. 2 CISG; Achilles, Art. 62, Rn.3; Hager, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 62, Rn. 5; Herber/ Czerwenka, Art. 62, Rn. 8; Lüderitz/Budzikiewicz, in: Soergel, Art. 62, Rn. 5; Magnus, in: Staudinger, Art. 62, Rn. 13. 129 Achilles, Art. 62, Rn. 3; Magnus, in: Staudinger, Art. 62, Rn. 13; Schnyder/ Straub, in: Honsell, Art. 62, Rn. 16; a.A. Hager, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 62, Rn. 5 unter Hinweis auf Art. 61 Abs. 2 CISG.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
97
Ein Selbsthilfeverkauf i.S.d. Art. 88 CISG ist unvereinbar mit dem Abnahmeverlangen, nicht dagegen mit einem Zahlungsverlangen, letzteres jedoch nur soweit der bei dem Selbsthilfeverkauf erzielte Erlös hinter der vereinbarten Kaufpreishöhe zurückbleibt. 130 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Verkäufer vorbehaltlich des Art. 28 CISG gemäß Art. 53, 62 CISG Erfüllung verlangen kann, soweit er keine mit diesem Verlangen unvereinbaren Rechtsbehelfe ausgeübt hat.
2. Meinungsstand Welche Auswirkungen hat nun die Unmöglichkeit der Lieferung auf die Gegenleistung des Käufers? Wird die Lieferung dauernd und objektiv unmöglich, so erlischt, wie bereits erörtert, 131 der Lieferanspruch des Käufers. Es stellt sich die Frage, ob in diesem Fall der nach Art. 53, 62 CISG grundsätzlich bestehende Erfüllungsanspruch des Verkäufers bestehen bleibt oder ebenfalls erlischt. Ein Teil der Literatur will über Art. 28 CISG Regelungen der nationalen Rechte auf das CISG mit der Folge durchschlagen lassen, daß der Käufer ungeachtet des Gefahrübergangs von der Kaufpreiszahlungspflicht befreit werden könne. 132 Wenn sich ein Verkäufer vor einem deutschen Gericht auf Art. 28 CISG i.V.m. § 275 BGB(n.F.) berufen können soll, 133 so müßte sich der Käufer konsequenter Weise gleichermaßen auf Art. 28 CISG i.V.m. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB(n.F.) berufen können. Anlaß zur Verwunderung bietet indes der Umstand, daß gerade diejenigen, die zum Ausschluß des unmöglich gewordenen Lieferanspruchs des Käufers über Art. 28 CISG die nationalen Rechte einschalten wollen, 134 eben diesen Weg nicht für den Ausschluß des Kaufpreiszahlungsanspruchs zu gehen gewillt sind. 135 Einer Anwendung von Art. 28 CISG ist entgegenzuhalten, daß damit die Regelungen des Übereinkommens, insbesondere die zum Übergang der Preisgefahr (Art. 66 ff. CISG), umgangen würden. Im übrigen spricht gegen eine derartige Anwendung von Art. 28 CISG das bereits oben zum Ausschluß des Lieferanspruchs Gesagte:136 Dieser Ausweg würde in dem 130 Achilles , Art. 62, Rn. 3; Hager , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 62, Rn. 15; Lüderitz/Budzikiewicz , in: Soergel, Art. 62, Rn. 5; Schnyder/Straub, in: Honseil, Art. 62, Rn. 16. 131 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I.3.U. 4. 132
Hager , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 66, Rn. 7a.
133
So Schlechtriem , Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 118, S. 89.
134
Vgl. 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I.3., dort Fn. 92.
135
Insofern inkonsequent Schlechtriem , Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 222, S. 145, der zum Erlöschen der Kaufpreiszahlungspflicht eine wirksame Vertragsaufhebung für erforderlich hält. 1
Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I.3.
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
98
Umfang zu uneinheitlichen Ergebnissen führen, in dem die nationalen Rechte hier variieren. Über Art. 28 CISG können daher keine Erlöschensgründe des nationalen Rechts für die Kaufpreiszahlungspflicht herangezogen werden. Im Gegensatz dazu spricht sich der überwiegende Teil der Literatur dafür aus, daß im Falle des Untergangs der Ware der Käufer nicht ohne weiteres, sondern nur wenn er gemäß Art. 49 CISG (ggf. i.V.m. Art. 82 Abs. 2 CISG) die Aufhebung des Vertrages erkläre, von der Kaufpreispflicht kraft Art. 81 Abs. 1 Satz 1 CISG befreit sei. 137
3. Eigener Ansatz unter Berücksichtigung der Gefahrtragungsregeln Im UN-Kaufrecht regeln die Art. 66 - 70 CISG den „Übergang der Gefahr" (passing of risk). Damit ist die Preisgefahr gemeint, also das Risiko des Käufers, zahlen zu müssen, ohne den vereinbarten Gegenwert zu erhalten. 138 Zum besseren Verständnis erfolgt zunächst ein rechtsvergleichender Überblick zu den grundsätzlichen Möglichkeiten, die Preisgefahr zu regeln; sodann werden die Vorschriften des CISG einem dieser Konzepte zugeordnet und danach der eigene Lösungsansatz vorgestellt.
a) Grundkonzepte zur Regelung der Preisgefahr Für die Regelung der Preisgefahr existieren, historisch und im internationalen Vergleich gesehen, drei Konzepte: die Lehre vom periculum emptoris, das Konzept vom Gefahrübergang bei Übergang des Eigentums sowie das synallagmatische Prinzip. 139 Das erste Prinzip stammt aus dem römischen Recht und verknüpft entsprechend der Maxime ,periculum est emptoris" den Gefahrübergang mit dem Vertragsabschluß; die Preisgefahr trifft den Käufer demgemäß vom Abschluß des Vertrages an. 140 Dieser Ansicht zufolge geht die Gefahr zum frühestmöglichen
137
So Schönte, in: Honseil, Art. 66, Rn. 9; Schlechtriem, Internationales UNKaufrecht, Rn. 222, S. 145; Magnus, in: Staudinger, Art. 66, Rn. 13 und 17. 138 Magnus, in: Staudinger, Vorbem zu Art. 66 ff, Rn. 1. 139 Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 9; v. Hoffmann, in: Sarcevic/Volken, Dubrovnik Lectures, S. 265, 267f.; U.Huber, in: Soergel, Vor § 446, Rn. 11; Lindacher, in: Hoyer/ Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 165, 166; Zheng, Risikoverteilung, S. 3; a.A. Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 8ff., der im synallagmatischen Prinzip und dem Traditionsprinzip verschiedene Modelle sieht. 140 U.Huber, in: Soergel, Vor § 446, Rn. 12; Lindacher, in: Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 165, 166; Pennitz, Das Periculum rei venditae, S. 69ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 28Iff.; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 9f.;
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
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Zeitpunkt über. Heute ist dieses Prinzip nur noch von historischem Interesse, obgleich es noch im schweizerischen Recht gilt, dort aber einmütig als sachlich verfehlt kritisiert wird. 1 4 1 Das zweite Konzept geht von der sachenrechtlichen Lage aus und läßt die Gefahr entsprechend der Parömie „ires perit domino " (bzw. „casum sentit dominus ") mit dem Eigentumsübergang übergehen. 142 Die praktischen Auswirkungen dieses zweiten Prinzips variieren, je nachdem, wie das Sachenrecht den Eigentumsübergang ordnet. 143 Rechtsordnungen, die (wie die französische und die englische) das Eigentum dem Konsensprinzip entsprechend mit Abschluß des Kaufvertrages übergehen lassen, kommen weithin zur Ergebniskongruenz mit dem ersten Modell. Nach den Prinzipien des Sachenrechts des BGB ist dagegen der Eigentumsübergang regelmäßig das letzte Teilstück im Prozeß der Erfüllung; hier würde die Regel „res perit domino " dazu führen, daß die Gefahr zum spätesten überhaupt denkbaren Zeitpunkt überginge. Eigentum und Gefahrtragung sind jedoch nach weitgehender Auffassung zu trennen, denn die Eigentumsfrage berührt in erster Linie die Gläubiger der Parteien, das Gefahrtragungsproblem dagegen die Vertragsparteien. 144 Das dritte Konzept, das sogenannte synallagmatische Prinzip, läßt daher die Gefahr unabhängig vom Eigentumsübergang bereits mit der Verschaffung der Ware übergehen: Die Preisgefahr soll denjenigen treffen, der am ehesten in der Lage ist, die Sache vor Schäden zu bewahren. 145 Der in Art. 4 lit (b) CISG geäußerte Verzicht, konventionsrechtlich die Frage des Eigentumsübergangs zu regeln, impliziert bereits die Absage des UN-Kaufrechts an das Prinzip „res perit domino". 146 Vielmehr knüpfen die Art. 66 ff.
Zheng, Risikoverteilung, S. 3; zur dogmengeschichtlichen Untersuchung der Gefahrtragung beim Kauf siehe Bauer , Periculum emptoris, S. 17ff. 141 Hager , in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 387, 388; ders., Die Gefahrtragung beim Kauf, S. 69ff. 142 Filios , Gefahrtragung beim Kauf, S. 13ff.; Lindacher , in: Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S.165, 166; U.Huber, in: Soergel, Vor § 446, Rn. 13. 143 U.Huber , in: Soergel, Vor § 446, Rn. 13; Zheng, Risikoverteilung, S. 4. 144 Hager , in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 387, 388; U.Huber , in: Soergel, Vor § 446, Rn. 18; Choi , Gefahrtragungsregeln, S. 11. 145 Lindacher , in: Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 165, 166; Filios , Gefahrtragung beim Kauf, S. 8ff; U.Huber , in: Soergel, Vor § 446, Rn. 14. 146 Sevön, in: Schweiz. Institut für Rechtsvergleichung, Lausanner Kolloquium, S. 191, 194; Lindacher , in: Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S.165, 168.
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4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
CISG grundsätzlich an die tatsächliche Sachherrschaft an und folgen somit dem synallagmatischen Prinzip. 147
b) Die Gefahrtragungsregeln der Art. 66 - 70 CISG Art. 66 CISG leitet den Abschnitt über die Gefahrtragung ein und definiert den Gefahrübergang, indem er seine wichtigste Wirkung beschreibt: Der Käufer hat den Preis trotz Untergangs oder Beschädigung der Ware zu zahlen, wenn die Gefahr auf ihn übergangen war. 1 4 8 Keine Wirkung hat der Gefahrübergang allerdings gemäß dem letzten Halbsatz von Art. 66 CISG, wenn der Verkäufer für den Untergang oder die Beschädigung der Ware einzustehen hat. In den Art. 67 bis 69 CISG wird der Zeitpunkt des Gefahrübergangs in Abhängigkeit von der jeweiligen Art der Beförderung näher definiert. Dabei betrifft Art. 67 CISG den Versendungskauf, Art. 68 CISG den Kauf auf dem Transport befindlicher Ware sowie Art. 69 CISG die sonstigen Fälle. 149 Konkret wechselt die Gefahr beim Versendungskauf, sobald die Ware dem ersten Beförderer übergeben wird (Art. 67 CISG); bei „reisender Ware" ist der Vertragsschluß der grundsätzlich maßgebende Zeitpunkt (Art. 68 CISG). 1 5 0 Soweit Art. 67 und 68 CISG nicht eingreifen, kommt es beim Platzkauf, wenn die Ware an der Niederlassung des Verkäufers zu übernehmen ist (Art. 31 lit. c CISG), für den Gefahrübergang auf die Übernahme der Ware durch den Käufer an (Art. 69 Abs. 1 CISG). 151 Beim Fernkauf, bei dem der Käufer die Ware an einem anderen Ort als der Niederlassung des Verkäufers zu übernehmen hat,
147 Vgl. Art. 69 Abs. 1 CISG; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 12; Krebs, Die Rückabwicklung im UN-Kaufrecht, S. 20, 93: „synallagmatische Verknüpfung der Leistungen", „do ut des", „Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung als Grundlage des Synallagmas"; Reinhard, Die beiderseits zu vertretende Unmöglichkeit im Synallagma, S. 233: „Hier [im UN-Kaufrecht] wie unter der Geltung des BGB schließt der Käufer einen Kaufvertrag hauptsächlich mit dem Ziel, die Kaufsache rechtlich und tatsächlich zu erwerben, vergleiche [...] Art. 30 CISG [...]. Synallagmatisch verknüpft mit diesem Vertragsziel ist das Interesse des Verkäufers am Erhalt des Kaufpreises, Art. 53 CISG". 148 Magnus, in: Staudinger, Art. 66, Rn. 1; P.Huber, in: Münchener Kommentar, Art. 66, Rn. 2; zu sonstigen Wirkungen vgl. Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 66, Art. 66, Rn. 2. Rn. 1; Herber/Czerwenka, 149 Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 66, Rn. 1; Berman/Ladd, 21 Cornell I n f i L.J. (1988), 423, 427ff. 150 Achilles, Art. 68, Rn. 1; Magnus, in: Staudinger, Vorbem zu Art. 66 ff, Rn. 3; Krapp, ZfSR 1984, 289, 308. 151 Hager, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 69, Rn. 3; Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 69, Rn. 2.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
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genügt die Bereitstellung der Ware an diesem Ort und die Kenntnis des Käufers davon (Art. 69 Abs. 2 CISG). 152 Bei Handelskäufen ist die Gefahrtragung jedoch vielfach Gegenstand besonderer vertraglicher Vereinbarungen. 153 Solche vertraglichen Bestimmungen gehen ebenso wie Gepflogenheiten der Parteien oder internationale Handelsbräuche stets vor und schließen eine Anwendung der Art. 67 - 69 CISG aus. 154 Die verbreitete Verwendung von Lieferklauseln relativiert deshalb die praktische Bedeutung der gesetzlichen Vorschriften. 155 Die von der in Paris ansässigen Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce ICC) herausgegebenen Incoterms (International Commercial Terms) sind dabei die mit Abstand bedeutendsten Lieferbedingungen für den weltweiten Handel; täglich werden sie in Tausenden von Import- und Exporttransaktionen verwendet. 156 Die Incoterms wurden von der ICC erstmals 1936 veröffentlicht und sind mehrfach, zuletzt am 1. Januar 2000, den Erfordernissen und neuesten Entwicklungen des internationalen Handelsverkehrs angepaßt worden. 157 Sie umfassen 13 Klauseln, die jeweils durch einen Dreibuchstabencode abgekürzt sind und sich nach den Anfangsbuchstaben der englischsprachigen Fassung in folgende vier Gruppen aufteilen lassen:158 E-Klausel (Abholklausel), 159 F-Klauseln (Haupttransport zahlt Käufer), 160 C-Klauseln (Haupttransport zahlt Verkäufer) 161 und D-Klauseln (Ankunftsklauseln) 162 . Jede Gruppe zeichnet sich da-
152
Magnus, in: Staudinger, Vorbem zu Art. 66 ff, Rn. 3; Schön, Allgemeines Vertragsrecht, S. 476. 153 Herber/Czerwenka, Art. 66, Rn. 8 ; ; v. Hoffmann, in: Sarcevic/Volken, Dubrovnik Lectures, S. 265, 278f. 154 Vgl. Art. 6, 8 und 9 CISG; Magnus, in: Staudinger, Vorbem zu Art. 66 ff, Rn. 7; Piltz, in: FS Herber, S. 20f. 155 Lindacher, in: Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S.165, 169. 156 Lehr, VersR 2000, 548 links; Piltz, RIW 2000, 485 links; ders., RIW 1999, 896, 900 links. 157 V. Bernstorff Vertragsgestaltung im Auslandsgeschäft, S. 127; Lehr, VersR 2000, 548, 549 links. 158 Wagner, in: Röhricht/v. Westphalen, § 346, Rn. 53b: Piltz, RIW 2000, 485f.; Lehr, VersR 2000, 548, 549f. 159 Gefahrübergang bei der E-Klausel ab Werk des Verkäufers: „ E X W (ex works/ab Werk) [benannter Ort]". 160 Gefahrübergang bei den F-Klauseln am Lieferort im Versandland: „FCA (free carrierüm Frachtführer) [benannter Ort]", „FAS (free alongside ship! frei Längsseite Schiff) [benannter Verschiffungshafen]", „FOB (free on board/fre'i an Bord) [benannter Verschiffungshafen]". 161 Gefahrübergang bei den C-Klauseln am Lieferort im Versandland: „CFR (cost and freight! Kosten und Fracht) [benannter Bestimmungshafen]", „CIF (cost, insurance, freight/Kosten, Versicherung, Fracht) [benannter Bestimmungshafen]", „CPT (carriage paid ¿o/frachtfrei) [benannter Bestimmungsort]", CIP (carriage and insurance paid /o/frachtfrei versichert) [benannter Bestimmungsort]".
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4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
durch aus, daß sie die Kosten- und Risikotragung innerhalb der Gruppe nach dem gleichen Grundprinzip ausgestaltet.163 Während die Klausel „ E X W " die Mindestverpflichtung des Verkäufers darstellt, enthält die „DPP"-Klausel seine Maximalverpflichtung. 164 Bei der Neufassung der „Incoterms 2000" wurde Wert darauf gelegt, die gleichen Ausdrücke zu benutzen, die im CISG verwendet werden. 165 Gleichermaßen ist das UN-Kaufrechtsübereinkommen den Grundlösungen der Incoterms ganz weitgehend gefolgt, ohne jedoch ihren Detaillierungsgrad erreichen zu können oder zu wollen. 166 Um für den einzelnen Vertrag wirksam zu werden, müssen die Incoterms jedoch in den Vertrag einbezogen werden. 167 Art. 70 CISG bestimmt schließlich, daß die Gefahrtragungsregeln der Art. 67 - 69 CISG keinen Einfluß auf diejenigen Rechtsbehelfe haben, die dem Käufer zustehen, wenn der Verkäufer eine wesentliche Vertragsverletzung begangen hat. 168
c) Eigener Lösungsansatz Die Analyse der Gefahrtragungsregeln hat gezeigt, daß das UN-Kaufrechtsübereinkommen die Preisgefahr entsprechend dem synallagmatischen Prinzip regelt. 169 Durch die synallagmatische Verknüpfung zweier Leistungspflichten soll verhindert werden, daß eine Partei genötigt wird, ihre Leistung zu erbringen, ohne die Gegenleistung zu erhalten. 170 Mit dem synallagmatischen Prinzip erscheint es daher unvereinbar, wenn der Verkäufer von seiner dauernd und objektiv unmöglichen Lieferpflicht ohne weiteres befreit wird, der Käufer hinge-
162 Gefahrübergang bei den D-Klauseln am Bestimmungsort im Importland: „ D A F (< delivered at frontier! geliefert Grenze) [benannter Ort]", „DES (delivered ex ship/ geliefert ab Schiff) [benannter Bestimmungshafen]", „DEQ (delivered ex qway/geliefert ab Kai) [benannter Bestimmungshafen]", „ D D U (delivered duty unpaid! geWzfeft unverzollt) [benannter Bestimmungsort]", „DDP (delivered duty pa/J/geliefert verzollt) [benannter Bestimmungsort]". 163 Lehr, VersR 2000, 548, 549f.; Piltz, RIW 2000, 485f. 164 Gildeggen, Internationale Handelsgeschäfte, S. 72; Schwenzer, in: Schlechtriem/ Schwenzer, Anh. V, DPP. 165 Piltz, RIW 2000, 485, 487 rechts. 166 Magnus, in: Staudinger, Vorbem zu Art. 66 ff, Rn. 7. 167 Etwa „FCA railway station Mainz - Incoterms 2000"; vgl. Schackmar, Lieferpflicht, S. 7Iff. 168 Magnus, in: Staudinger, Art. 70, Rn. 1. 169 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3. 170 Emmerich, in: Münchener Kommentar, Vor § 320, Rn. 14; siehe auch Ernst, AcP 199(1999), 485, 49Iff.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
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gen auf den Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung verwiesen wird. Deshalb ist Art. 66 CISG in Einklang mit dem synallagmatischen Prinzip auszulegen: Art. 66 CISG ordnet als Rechtsfolge an, daß der Käufer nicht von seiner Pflicht befreit wird, den Kaufpreis zu zahlen. Dieser negativ formulierte Grundsatz bedeutet positiv ausgedrückt, daß der Käufer den Kaufpreis zahlen muß. Diese Rechtsfolge, nämlich Zahlung des Kaufpreises, ergibt sich allerdings bereits aus den Art. 53, 62 CISG. Der Anspruch auf die Gegenleistung bleibt somit gemäß Art. 53, 62 CISG i.V.m Art. 66 CISG bestehen, wenn die Unmöglichkeit nach Übergang der Gefahr auf den Käufer eintritt. Damit drückt Art. 66 CISG eine Selbstverständlichkeit aus. Diese Regel wird jedoch durch den letzten Halbsatz von Art. 66 CISG eingeschränkt, nämlich für den Fall, daß der Untergang der Ware auf eine Handlung oder Unterlassung des Verkäufers zurückzuführen ist. Dabei ist umstritten, 171 ob als „Handlung und Unterlassung" jegliches Verhalten des Verkäufers, 172 nur Vertragsverletzungen 173 oder auch das pflichtwidrige bzw. deliktische Verhalten des Verkäufers 174 zu verstehen ist. Der Entstehungsgeschichte nach 175 und um ein Ausufern dieses Merkmals zu vermeiden, 176 ist letztgenannter Ansicht der Vorzug zu geben. Bei einem pflichtwidrigem Verhalten des Verkäufers, das zu Untergang oder Beschädigung der Ware führt, wird also die im ersten Halbsatz von Art. 66 CISG angeordnete Rechtsfolge („der Käufer wird nicht befreit, den Kaufpreis zu zahlen") durch die Formulierung „es sei denn" („unless" / „à moins que") in das Gegenteil umgekehrt. Dies kann nur bedeuten, daß der Käufer von seiner Kaufpreiszahlungspflicht automatisch befreit wird. „Befreiung von einer Pflicht" kann nämlich ebensowenig wie „discharge from an obligation " oder „libère d' une obligation " als Verweis auf ein Vertragsaufhebungsrecht verstanden werden. Der Wortlaut des Art. 66 CISG ist insoweit eindeutig. Auch die Gesetzessystematik spricht für eine Erlöschenswirkung; anderenfalls müßte nämlich der Regelungsinhalt von Art. 66 CISG bei den Voraussetzungen für das Vertragsaufhebungsrecht des Käufers (in Art. 49 CISG)
171
Vgl. Magnus, in: Staudinger, Art. 66, Rn. 13; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 126. So Reinhart, Art. 66, Rn. 6; Neumayer, in: v. Caemmerer-FS, S. 955, 960ff. 173 So Herber/Czerwenka, Art. 66, Rn. 2; U.Huber, RabelsZ 43 (1979), 413, 457. 174 So Achilles, Art. 66, Rn. 4; Stoll, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 66, Rn. 7; Lindacher, in: Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 165, 174; Magnus, in: Staudinger, Art. 66, Rn. 13ff.; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 223, S. 146. 175 Ein früher Versuch, Art. 66 letzter Halbsatz CISG auf Vertragsverletzungen zu beschränken, wurde ausdrücklich abgelehnt; vgl. UNCITRAL Yearbook V I I I (1977), S. 63; Magnus, in: Staudinger, Art. 66, Rn. 15. 176 Praktisch jedes schädigende Ereignis kann auf eine naturwissenschaftlich kausale Handlung des Verkäufers zurückgeführt werden und sei es nur das Herstellen oder das ordnungsgemäße Versenden der Ware. 172
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4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
wiederzufinden sein. Unter den zusätzlichen Voraussetzungen des zweiten Halbsatzes von Art. 66 CISG wird der Käufer demnach automatisch von der Pflicht befreit, den Kaufpreis zu zahlen. Ersetzt man nun die beiden negativen Formulierung des Art. 66 CISG durch eine positive Umschreibung und berücksichtigt man dabei, daß mit „Handlung und Unterlassung" nur ein pflichtwidriges Verhalten des Verkäufers gemeint ist, so läßt sich Art. 66 CISG auch folgendermaßen zu lesen: „Untergang oder Beschädigung der Ware nach Übergang der Gefahr auf den Käufer befreien diesen von der Pflicht, den Kaufpreis zu zahlen, wenn der Untergang oder die Beschädigung auf eine pflichtwidrige Handlung oder Unterlassung des Verkäufers zurückzuführen ist."
Diese Formel beinhaltet die Voraussetzungen für ein automatisches Erlöschen der Kaufpreiszahlungspflicht nach Gefahrübergang. In vielen Fällen wird die Unmöglichkeit der Lieferpflicht jedoch vor Gefahrübergang eintreten. Auch für diesen Fall trifft Art. 66 CISG eine Aussage, die es im Wege eines Umkehrschlusses zu ermitteln gilt. Dazu bedarf es zunächst einer Analyse des ersten Halbsatzes von Art. 66 CISG. Dieser besagt, daß der Käufer nicht von der Pflicht befreit wird, den Kaufpreis zu zahlen, wenn die Ware nach Übergang der Preisgefahr untergeht oder beschädigt wird. Wenn der Käufer nach Gefahrübergang nicht befreit wird, dann kann das per argumentum e contrario nur heißen, daß er vor Gefahrübergang befreit wird. 1 7 7 Diese Interpretation deckt sich im übrigen mit dem international weithin üblichen Begriff der Gefahrtragung, 178 der auch im UN-Kaufrecht gilt. 1 7 9 Daß die Befreiung von der Kaufpreiszahlungspflicht nicht als Verweis auf ein Vertragsaufhebungsrecht verstanden werden kann, ist soeben erörtert worden. 180 Jedoch darf im Rahmen dieses Umkehrschlusses der zweite Halbsatz von Art. 66 CISG nicht vergessen werden. Abstrakt formuliert, verfolgt dieser zweite Halbsatz folgenden Zweck: Derjenige, der die Gegenleistungsgefahr eigentlich zu tragen hätte, soll sie dann nicht tragen, wenn der Untergang oder die Beschädigung der Ware auf eine pflichtwidrige 181 Handlung oder Unterlassung des anderen Teils zurückzuführen
177 Ähnlich Schönle, in: Honsell, Art. 66, Rn. 8, der aus Art. 66 CISG im Umkehrschluß folgert, „[...] daß dem Käufer vor Gefahrübergang gegen die Kaufpreisforderung des Verkäufers die Einwendung des Untergangs und der Beschädigung der Ware zusteht". 178 Vgl. Eisser, Gefahrtragung, S. 3: „Der Satz: ,Der Verkäufer trägt die Gefahr 1, besagt demnach, daß der Verkäufer im Fall des Untergangs der Ware die Bezahlung des Kaufpreises nicht verlangen kann." 179 Magnus, in: Staudinger, Art. 66, Rn. 5. 180 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c); a.A. Schönle, in: Honsell, Art. 66, Rn. 8; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 222, S. 145; Fischer, Unmöglichkeit der Leistung, S. 294.
Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c).
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
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ist. Im direkten Anwendungsbereich von Art. 66 CISG, also nach Gefahrübergang, ist Gefahrtragender der Käufer und der andere Teil der Verkäufer. Im Rahmen des für die Fälle vor Gefahrübergang geltenden Umkehrschlusses zu Art. 66 CISG ist Gefahrtragender der Verkäufer und der andere Teil der Käufer. Dementsprechend ist Art. 66 CISG für die Fälle vor Gefahrübergang wie folgt zu lesen: „Untergang oder Beschädigung der Ware vor Übergang der Gefahr auf den Käufer befreien diesen von der Pflicht, den Kaufpreis zu zahlen, es sei denn, daß der Untergang oder die Beschädigung auf eine pflichtwidrige 182 Handlung oder Unterlassung des Käufers zurückzuführen ist."
Dafür, daß sich der zweite Halbsatz von Art. 66 CISG im Rahmen des Umkehrschlusses auf den Käufer beziehen muß und auch insgesamt nicht unterschlagen werden darf, spricht ferner der Regelungsinhalt von Art. 80 CISG. Danach kann sich der Käufer eben nicht auf eine Nichterfüllung durch den Verkäufer berufen, soweit diese Nichterfüllung durch seine eigene (pflichtwidrige) Handlung oder Unterlassung verursacht wurde. Schließlich bedarf dieser Umkehrschluß aber noch einer Berichtigung, die sich aus dem synallagmatischen Prinzip ergibt. Der Käufer soll von der ihm obliegenden Kaufpreiszahlungspflicht nur dann befreit werden, wenn auch der Verkäufer von der Pflicht zur Lieferung der Ware befreit worden ist. Lediglich bei Untergang der Ware, nicht aber schon bei deren Beschädigung, wird die Lieferpflicht des Verkäufers dauerhaft und objektiv unmöglich und erlischt. 183 Der den Zeitraum vor Gefahrübergang regelnde Umkehrschluß zu Art. 66 CISG muß daher aufgrund des synallagmatischen Prinzips teleologisch auf die Fälle des Untergangs der Ware reduziert werden. Auszuklammern sind die Fälle bloßer Beschädigung der Ware: „Der Untergang der Ware vor Übergang der Gefahr auf den Käufer befreit diesen von der Pflicht, den Kaufpreis zu zahlen, es sei denn, daß der Untergang auf eine pflichtwidrige 1 8 4 Handlung oder Unterlassung des Käufers zurückzuführen ist." 1 8 5
Zugegebenermaßen wäre es wünschenswert gewesen, wenn das CISG das Erlöschen sowohl der dauerhaft objektiv unmöglichen Lieferpflicht als auch der synallagmatischen Kaufpreiszahlungspflicht ausdrücklich angeordnet hätte. Jedoch ergibt sich diese Erlöschenswirkung nach der hier vertretenen Ansicht
182
Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c). Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I.4. 184 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c). 185 Im Ergebnis auch Stoll/Gruber , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 48 sowie Talion , in: Bianca/Bonell, Art. 79, Anm. 2.10.2. 183
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4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
für die Pflicht des Verkäufers de minore ad maius aus Art. 46 Abs. 1 CISG und für die Pflicht des Käufers im Umkehrschluß zu Art. 66 CISG. 1 8 6 In diesem Kontext ist schließlich noch auf Art. 26 CISG einzugehen. Nach dieser Vorschrift ist eine Erklärung, daß der Vertrag aufgehoben wird, nur wirksam, wenn sie der anderen Partei mitgeteilt wird. Dadurch ist die im Haager EKG an verschiedenen Stellen angeordnete ipso facto avoidance bzw. résolution de plein droit, also die Vertragsaufhebung kraft Gesetzes, im UNKaufrecht ausdrücklich beseitigt worden. 187 Der für die ipso facto avoidance sprechende Umstand, daß diese das Hinauszögern der Aufhebung zu Spekulationszwecken verhindere, wurde nicht als ausreichend angesehen, um dieses Prinzip aufrechtzuerhalten. 188 Die Beseitigung der ipso facto avoidance scheint daher der hier für die Fälle der objektiven und dauerhaften Unmöglichkeit vorgeschlagenen Lösung des automatischen Erlöschens sowohl der Liefer- als auch der Zahlungspflicht entgegenzustehen. Der vermeintliche Widerspruch löst sich jedoch bei genauerer Betrachtung der für die Abkehr von der ipso facto avoidance sprechenden Gründe auf. Angeführt wird etwa, daß die ipso facto avoidance dem Grundsatz des UN-Kaufrechts zuwiderlaufe, die Vertragsaufhebung nur als ultima ratio-Rechtsbehelf zuzulassen.189 Dem ist zuzustimmen, jedoch ist gerade bei einer für alle Zeiten von niemand mehr erfüllbaren Leistung solch ein „letztes Mittel" absolut erforderlich. Es wäre eine bloße Förmelei, die Parteien in diesem Fall zur Befreiung von der unmöglichen Lieferpflicht und der synallagmatischen Zahlungspflicht auf den Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung zu verweisen. Des weiteren wird die Rechtssicherheit als Argument für die Ablehnung der Vertragsaufhebung kraft Gesetzes genannt; die ipso facto avoidance könne der verletzten Partei nämlich den vertraglichen Erfüllungsanspruch nehmen, ohne daß diese eine entsprechende Erklärung abgebe.190 Auch 186
So im Ergebnis auch Enderlein, IPRax 1996, 182, 183: „Aber selbst wenn die Beklagte [Käufer] nicht berechtigt gewesen wäre, die Aufhebung des Vertrages zu erklären und der Kaufvertrag tatsächlich noch fortbestünde, so war doch nach dem Vertrag der Kaufpreis an eine Gegenleistung gebunden, eine Gegenleistung, die nicht erbracht worden ist. [...] Im vorliegenden Sachverhalt steht fest, daß die Klägerin [Verkäufer] den Vertrag auch in Zukunft nicht erfüllen kann. Es müßte einleuchten, daß ihrer Kaufpreisforderung deshalb auch eine dauernde Einrede entgegensteht"; vgl. auch Flessner, ZEuP 1997, 255, 215V. „Wenn feststeht, daß der Schuldner jetzt und in Zukunft zur Leistung nicht imstande ist, kann er sich die Gegenleistung nicht mehr „verdienen", und es wäre ungerecht, den Gläubiger an seiner Gegenleistungspflicht auch nur vorläufig noch festzuhalten"; siehe auch Kern, ZEuP 2000, 837; Piltz, NJW 2000, 553, 559 rechts; siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I.4. und 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.C). 187 Magnus, in: Staudinger, Art. 26, Rn. 2; Lüderitz/Budzikiewicz, in: Soergel, Art. 26, Rn. 1. 188 Vgl. Karollus, in: Honsell, Art. 26, Rn. 3; Hellner, in: FS Weitnauer, 85, 95. 189 190
Ziegler, Leistungsstörungen nach dem UN-Kaufrecht, S. 163f.
Herber, RIW 1977, 314, 318 links; Herber/Czerwenka, Leistungsstörungen nach dem UN-Kaufrecht, S. 164.
Art. 49, Rn. 1; Ziegler,
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
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diesem Argument ist grundsätzlich beizupflichten. Jedoch ist der Erfüllungsanspruch des Käufers bei dauernder und objektiver Unmöglichkeit wirtschaftlich wertlos und seine Durchsetzung ausgeschlossen. Dem Käufer geht daher durch das automatische Erlöschen der wechselseitigen „Hauptpflichten" nichts verloren. 191 Aus diesen Gründen stehen weder Art. 26 CISG noch die Abschaffung der ipso facto avoidance als solche im Widerspruch zum automatischen Erlöschen der objektiv und dauerhaft unmöglichen Lieferpflicht und der synallagmatischen Zahlungspflicht. 192 Hält man diese Handhabung hingegen nicht für vereinbar mit Art. 26 CISG oder der Abschaffung der ipso facto avoidance im UN-Kaufrecht, 193 so verbietet jedenfalls das synallagmatische Prinzip, lediglich die Lieferpflicht des Verkäufers, nicht aber die Zahlungspflicht des Käufers entfallen zu lassen. Vielmehr kann dann für beide Vertragsparteien eine Leistungsbefreiung nur über die Ausübung eines Vertragsaufhebungsrechts in Betracht kommen.
I I I . Schadenersatz
Im folgenden werden die Voraussetzungen des Schadensersatzes unter dem besonderen Blickwinkel der nachträglichen Unmöglichkeit erläutert: Während Art. 45 Abs. 1 lit (a) CISG wegen der dort aufgeführten Rechtsbehelfe nur auf andere Vorschriften des Übereinkommens verweist, enthält Art. 45 Abs. 1 lit (b) CISG für den Schadensersatzanspruch eine eigenständige Anspruchsgrundlage. 194 Die Art. 74 - 77 CISG, auf die in lit (b) verwiesen wird, regeln nur Inhalt und Umfang des Schadensersatzanspruchs, nicht jedoch seine Voraussetzungen. 195 Ferner ist zu konstatieren, daß nach Art. 45 Abs. 2 CISG der Anspruch auf Schadensersatz grundsätzlich neben den Rechten aus Art. 46 - 52 CISG bestehen kann und nicht durch diese ausgeschlossen wird.
191
Siehe oben4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I.4. Die Lieferpflicht des Verkäufers erlischt de minore ad maius nach Art. 46 Abs. 1 CISG (siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I.4). Das Erlöschen der Gegenleistungspflicht des Käufers ergibt sich im Umkehrschluß zu Art. 66 CISG unter Berücksichtigung des synallagmatischen Prinzips [siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c)]. 193 Vgl. 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I.3., dort Fn. 102. 194 Achilles , Art. 45, Rn. 1; Herber/Czerwenka, Art. 45, Rn. 5; Schnyder/Straub, in: Honseil, Art. 45, Rn. 3ff.; Magnus , in: Staudinger, Art. 45, Rn. 3; P.Huber, Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung, S. 95. 195 Lüderitz/Schüßler-Langeheine, in: Soergel, Art. 45, Rn. 1; Müller-Chen, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 45, Rn. 1. 192
108
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen 7. Haftungsbegründung
Bei der Analyse des Haftungsmaßstabs in den verschiedenen Regelwerken wurde bereits festgestellt, daß das UN-Kaufrechtsübereinkommen dem Prinzip der Garantiehaftung folgt. 196 Die Haftung ist daher von einem Verschulden oder von besonderen Umständen, die der Verkäufer zu vertreten hat, oder von besonderen vertraglichen Garantiezusagen des Verkäufers unabhängig.197 Der die Haftung auslösende Tatbestand ist allein die Nichterfüllung der im Vertrag übernommenen Pflicht. 198 Leistet der Verkäufer trotz Fälligkeit nicht, so begeht er eine Vertragsverletzung (breach of contract), die den Haftungsgrund für seine Schadensersatzpflicht bildet. Der Gliederungsmethode des remedy approach entsprechend, hat der Grund für die Nichtleistung, sprich die Art der Leistungsstörung, grundsätzlich keine Bedeutung. 199 Ebensowenig macht es einen Unterschied, ob sich die Nichterfüllung auf die Pflicht zur Lieferung der Ware bezieht (Art. 30, 46 CISG) oder auf eine sonstige Pflicht: es genügt, daß der Verkäufer irgendeine seiner Pflichten („any of his obligations") nicht erfüllt. 200 Insbesondere ist zur Haftungsbegründung keine wesentliche Vertragsverletzung erforderlich. Schadensersatz ist die allgemeine Sanktion für Vertragsverletzungen. 201
2. Zeitpunkt der Haftungsbegründung Wird die Lieferung vor Fälligkeit der Lieferpflicht unmöglich, so stellt sich die Frage, ob der Käufer schon mit Eintritt der Unmöglichkeit oder erst bei Fälligkeit der Lieferpflicht Schadensersatz verlangen kann. Der Tatbestand der Nichterfüllung einer Pflicht (breach of contract) setzt nämlich begrifflich voraus, daß die betreffende Pflicht fällig ist. 202 Es ließe sich daher vertreten, daß eine Schadensersatzpflicht des Verkäufers vor Fälligkeit der Lieferpflicht grundsätzlich nicht, sondern nur ausnahmsweise dann in Betracht komme, wenn der Verkäufer eine vom Käufer verlangte Sicherheitsleistung verweigert hat, obwohl sie den Handelsbräuchen oder den Gepflogenheiten zwischen den 196
Siehe oben 3.Teil 3.Kap l.Abschn. Magnus, in: Staudinger, Art. 45, Rn. 18; Müller-Chen, in: Schlechtriem/ Schwenzer, Art. 45, Rn. 23; Rummel, in: Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 177, 179; Piltz, UN-Kaufrecht, Rn. 284, S. 72. 198 Müller-Chen, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 45, Rn. 23. 199 Siehe oben 3.Teil 2.Kap 2.Abschn. 200 Müller-Chen, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 45, Rn. 2. 201 Lüderitz/Schüßler-Langeheine, in: Soergel, Art. 45, Rn. 7; Magnus, in: Staudinger, Art. 74, Rn. 8. 202 Magnus, in: Staudinger, Art. 74, Rn. 10; Achilles, Art. 74, Rn. 2. 197
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
109
Parteien entspricht. 203 Dagegen kann nach überwiegender Ansicht auch eine erst bevorstehende Vertragsverletzung zum Schadensersatz verpflichten, wenn die Vertragstreue Partei wegen der offensichtlich drohenden Vertragsverletzung berechtigtermaßen den Vertrag nach Art. 72 CISG aufhebt bzw. aufheben könnte. 2 0 4 Art. 72 CISG betrifft dem Wortlaut nach zwar lediglich die Vertragsaufhebung. Nach der ratio legis dieser Vorschrift verstehe es sich aber von selbst, daß sie auch für den Schadensersatz gelte. 205 Die ratio legis des Art. 72 CISG erscheint auf den ersten Blick ungeeignet, um dieses Ergebnis zu begründen. Art. 72 CISG bewirkt nämlich vor allen Dingen deswegen eine zeitliche Vorverlagerung des Rechts zur Vertragsaufhebung, damit die Vertragstreue Partei nicht Gefahr läuft, Leistungen zu erbringen, obwohl sich die Vertragsbrüchigkeit des anderen Teils bereits abzeichnet.206 Kurz gesagt: Wenn offensichtlich der Eintritt einer wesentlichen Vertragsverletzung droht, soll die Vertragstreue Partei nicht sehenden Auges leisten müssen. Insoweit verwirklicht Art. 72 CISG das funktionelle Synallagma.207 Dieser Zweck vermag jedoch nicht eine vorzeitige Schadensersatzpflicht zu begründen. Allerdings soll durch Art. 72 CISG überdies hinaus der Vertragstreuen Partei die Dispositionsfreiheit unverzüglich zurückgegeben werden, wenn erkennbar ist, daß der intendierte Zweck des Vertrags aufgrund der bevorstehenden Vertragsverletzung nicht mehr erreicht werden kann. 208 Der Käufer kann somit auch den Schadensersatzanspruch bei wesentlicher Vertragsverletzung antizipieren, wenn eine solche Vertragsverletzung durch den Verkäufer offensichtlich droht. 209 Diese Vorgehensweise, nämlich bei drohender Verletzung wesentlicher Pflichten sofort Schadensersatz verlangen zu können, entspricht im übrigen der Rechtsfigur des anticipatory breach of contract im englischen Recht, die ganz
203 So Stoll , RabelsZ 52 (1988), 617, 627; ders., in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 257, 258f. 204 So Hornung , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 72, Rn. 35 u. 25; Magnus , in: Staudinger, Art. 74, Rn. 10; Fischer , Unmöglichkeit der Leistung, S. 47; Ziegler , Leistungsstörungen nach dem UN-Kaufrecht, S. 205. 205 U.Huber, in: Schlechtriem (3. Aufl., nunmehr Schlechtriem/Schwenzer), Art. 45, Rn. 8. 206 Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 72, Rn. 2. 207 Für die Fälle dauernder objektiver Unmöglichkeit bedarf es nach der hier vertretenen Ansicht allerdings keines Rückgriffs auf Art. 72 CISG, da in diesem Fall das Synallagma bereits durch das automatische Erlöschen der Lieferpflicht (de minore ad maius nach Art. 46 Abs. 1 CISG) und der Kaufpreiszahlungspflicht (Umkehrschluß zu Art. 66 CISG unter Berücksichtigung des synallagmatischen Prinzips) verwirklicht wird, siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I.4. und 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c). 208 Schnyder/Straub, in: Honseil, Art. 72, Rn. 2.
209
Magnus, in: Staudinger, Art. 72, Rn. 17; siehe auch Achilles, Art. 72, Rn. 1.
110
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
offensichtlich für Art. 72 CISG Modell gestanden hat. 210 Gleichwohl wäre hinsichtlich des Zeitpunkts der Haftungsbegründung eine eindeutige und unstreitige Formulierung in Art. 72 CISG wünschenswert gewesen.
3. Haftungsentlastung
nach Art. 79 und 80 CISG
a) Überblick Getreu dem Prinzip der Garantiehaftung geht das CISG davon aus, daß der Schuldner für alle Formen der Nichterfüllung unabhängig von seinem Verschulden einzustehen hat. 211 Von einer Pflicht befreit daher grundsätzlich nur ihre ordnungsgemäße Erfüllung sowie ihre Aufhebung bei Vertragsauflösung wegen Vertragsverletzung des Gegners. 212 Soll die Garantiehaftung nicht zu unangemessenen Ergebnissen führen, indem sie dem Schuldner unüberschaubare Haftungsrisiken aufbürdet, so muß sie ihm in den Fällen abgenommen werden, in denen die Vertragsverletzung auf Ursachen außerhalb seines Verantwortungs- und Einflußbereichs zurückgeht. 213 Denn einem Schuldner, selbst wenn er ein bestimmtes Leistungsversprechen abgegeben hat, kann billigerweise nicht zugemutet werden, damit zugleich eine Beherrschung aller auch außerhalb seiner Einflußsphäre liegenden Risiken garantieren zu müssen. 214 Art. 79 CISG sieht deshalb dann eine Haftungsbefreiung vor, wenn Hinderungsgründe der Erfüllung entgegenstehen, die außerhalb der Beherrschungsmöglichkeiten des Pflichtigen liegen und für ihn unvermeidbar und unvorhersehbar waren. 215 Art. 80 CISG schließt andererseits die Vertragswidrigkeit der Nichterfüllung einer Pflicht und damit generell Rechtsbehelfe für den Fall aus, daß die Störung durch eine Partei selbst verursacht worden ist. 2 1 6 Zu beachten gilt allerdings, daß sich die Haftungsbefreiung des Art. 79 CISG nach dem eindeutigen Wortlaut seines fünften Absatzes nur auf den Schadens-
210 Zum englischen Recht siehe Atiyah, An Introduction to the Law of Contract, S. 402; Mullis, in: FS Guest, S. 137, 145; siehe auch Schott, Antizipierter Vertragsbruch und Leistungsgefährdung (1992). 211 Siehe oben 3.Teil 3.Kap l.Abschn. 212 Vgl. Art 81 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 49 Abs. 1 bzw. Art. 64 Abs. 1 CISG; zum ausnahmsweisen Erlöschen einer dauerhaft und objektiv unmöglichen Lieferpflicht und der synallagmatischen Kaufpreiszahlungspflicht, siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I.4. und 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c). 213 Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 1; ders., in: Honseil, Art. 79, Rn. 1. 214 Achilles, Art. 79, Rn. 1. 215 Vgl. Magnus, in: Honseil, Art. 79, Rn. 1.
216
Lüderitz/Dettmeier,
in: Soergel, Vor Art. 79, Rn. 2.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
111
ersatzanspruch erstreckt. 217 Dagegen befreit Art. 80 CISG den Schuldner von allen Verpflichtungen und nicht nur von der Schadensersatzpflicht. 218 Allein dieser Umstand verdeutlicht, daß es sich bei Art. 80 CISG nicht bloß um eine Ergänzung zu Art. 79 CISG handelt, sondern vielmehr um ein allgemeines Prinzip, das über den Anwendungsbereich des Art. 79 CISG weit hinausgeht.219 Auch wenn Art. 79 CISG für die dogmatische Struktur des Einheitskaufrechts, als Eingrenzung der grundsätzlichen Garantiehaftung, theoretisch zentrale Bedeutung hat, spielt diese Vorschrift in der Praxis nur eine begrenzte Rolle. 220 Dies beruht im wesentlichen auf zwei Gründen: Erstens zieht die Gerichtspraxis eine Entlastung des Schuldners nur sehr selten, nämlich nur bei ganz außergewöhnlichen Umständen, in Betracht. Tatsächlich hat die Rechtsprechung eine Entlastung bisher so gut wie nie gewährt. 221 Diese richterliche Zurückhaltung erklärt sich insbesondere aus dem grundsätzlichen Vorrang der Leitmaxime pacta sunt servanda vor Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie aus der Vermutung der professionellen Kompetenz internationaler Kaufleute und ihrer daraus abgeleiteten höheren Verantwortung für die Gestaltung ihrer rechtlichen Beziehungen.222 Ein weiterer Grund für die geringe Relevanz des Art. 79 CISG in der Praxis besteht darin, daß die Parteien vielfach im Vertrag selbst, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder mittels internationaler Handelsklauseln vereinbaren, wann der Schuldner von seiner Haftung befreit wird. Das Ergebnis solcher Bemühungen sind insbesondere jene Klauseln, welche man in der praktisch dominierenden englischen Vertragssprache als Force majeure and hardship clauses bezeichnet, was soviel wie „Klauseln betreffend höhere Gewalt" bzw. „Härtefallklauseln" bedeutet.223
217 Zum Problem der Anwendung des Art. 79 CISG auf Erftillungsansprüche, insbesondere bei dauernder objektiver Unmöglichkeit, siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I.3. 218 Herber/Czerwenka , Art. 80, Rn. 6: Magnus , in: Staudinger, Art. 80, Rn. 17; Rathjen , RIW 1999, 561, 565. 219 Talion , in: Bianca/Bonell, Art. 80, Anm. 1.1; Herber/Czerwenka, Art. 80, Rn. 6; a.A. Honnold , Uniform Law for International Sales, Rn. 436, S. 496ff.; Lüderitz/ Dettmeier , in: Soergel, Vor Art. 79, Rn. 2. 220 Magnus , in: Staudinger, Art. 79, Rn. 4; beachte aber die von Magnus zusammengetragene Rspr. zu Art. 79 CISG: ZEuP 2002, 523, 539f.; ZEuP 1999, 642, 662; ZEuP 1997, 823, 845f.; ZEuP 1995, 202, 212. 221 Vgl. Flechtner , in: Ferrari/Flechtner/Brand, Art. 79, S. 821; Magnus , in: Staudinger, Art. 79, Rn. 4. 222 Berger , RIW 2000, 1, 4f.
223
Böckstiegel , RIW 1984, 1 links; Fischer , Unmöglichkeit der Leistung, S. 90.
112
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen b) Force majeure- und Hardship-Klauseln
Höhere-Gewalt-Klauseln (force majeure clauses) sehen eine Haftungsentlastung für Fälle außergewöhnlicher oder auch unvermeidbarer Ereignisse vor, welche das Erbringen der geschuldeten Leistung zeitweilig oder auf Dauer objektiv unmöglich machen. 224 Die moderneren Härtefallklauseln (hardship clauses) versuchen dagegen, Vorsorge für unvorhergesehene Umstände zu treffen, welche das vertragliche Gleichgewicht grundlegend ändern, ohne jedoch die objektive Unmöglichkeit der Leistung zu bewirken. 225 Nach Art. 6 CISG gehen solche Vertragsklauseln der Anwendung von Art. 79 CISG vor. 2 2 6 Die Reichweite der möglichen Klauselinhalte reicht dabei von einer verschärften Haftung durch Übernahme einer Garantie in Gestalt einer unbegrenzten Leistungszusage bis hin zum Ausschluß jeglicher Haftung für die Nichterfüllung. 227 Die Wirksamkeit solcher Klauseln im Hinblick auf ihren Inhalt, insbesondere auf ihre Unangemessenheit oder wegen der Form der Vereinbarung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist gemäß Art. 4 lit (a) CISG nach den Vorschriften des berufenen Landesrechts zu beurteilen. 228 Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Force majeure- und HardshipKlauseln sind durch die Verwendung in einer Vielzahl von international üblichen AGB und Standardverträgen hinreichend konkretisiert. 229 Sie finden sich beispielsweise in den von der ECE 2 3 0 zusammengestellten Vertragsmustern für internationale Kauf- und Werklieferungsverträge der verschiedensten Geschäftszweige 231 und den von der FIDIC 2 3 2 publizierten Internationalen Vertragsbedingungen für Ingenieurarbeiten. 233 Die Internationale Handelskammer 224
v. Bernstorff Vertragsgestaltung im Auslandsgeschäft, S. 176; Nolting, RIW 1988, 51 lf. 225 Klotz, International Sales Agreements, S. 255ff.; Böckstiegel, RIW 1984, 1 links. 226 Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 2; Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Vor Art. 79, Rn. 4. 227 Vgl. Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Vor Art. 79, Rn. 4; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 51 f.; zu den Haftungsbegrenzungsklauseln wegen versteckter Mängel (vice caché) siehe Niggemann, RIW 1991, 372, 374f. 228 Herber/Czerwenka, Art. 79, Rn. 25; Magnus, in: Honseil, Art. 79, Rn. 28. 229 Berger, RIW 2000, 1, 4 links; ders., RIW 1999, 401, 404 rechts. 230 Economic Commission for Europe - Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa. 231 Vgl. die Zusammenstellung der Klauseln bei Gesang. Force-majeure, S. 142ff, 199ff. 232 Die ,,Conditions of Contract for Works of Civil Engineering Construction " der FIDIC (Fédération Internationale des Ingénieurs-Conseils - Internationaler Verband der Beratenden Ingenieure) sind im sog. „FIDIC Red Book" abgedruckt und kommentiert, das unter http://www.fidic.org käuflich erworben werden kann. 233
Fischer, Unmöglichkeit der Leistung, S. 91.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
113
(ICC) hat ebenfalls eine „force majeure (exemption) clause " sowie „drafting suggestions for hardship clauses " vorformuliert. 234 Vereinbaren die Parteien eine Regelung betreffend höhere Gewalt, ohne eine solche Standardklausel in den Vertrag zu inkorporieren, so lauten einzelvertraglich vereinbarte Regelungen auch einfach „force majeure excepted\ „subject to force majeure " oder „,höhere Gewalt vorbehalten". 235 Hinsichtlich der Rechtsfolgen ist zu konstatieren, daß Force majeure-Klauseln gewöhnlich eine Verlängerung des vertraglichen Erfullungszeitraums und als ultima ratio die Vertragsauflösung vorsehen, während als Rechtsfolge der Hardship-Klauseln häufig die Neuverhandlung des Vertrags in Betracht kommt. 236
c) Der Befreiungstatbestand des Art. 79 CISG Haben die Parteien keine konkreten Vereinbarungen hinsichtlich der Haftung getroffen, so ist zur Entlastung des Schuldners der Befreiungstatbestand des Art. 79 CISG in Betracht zu ziehen.
aa) Entstehungsgeschichte des Art. 79 CISG Bei den Vorarbeiten zum Haager Kaufrecht, sprich im Entwurf von 1935 (dort Art. 34), 2 3 7 war noch keine einheitliche Vorschrift über die Entlastung des Schuldners enthalten, vielmehr waren die einzelnen Fälle der Entlastung in mehreren Vorschriften erfaßt. 238 Dabei wurde im allgemeinen auf ein „unüberwindliches Hindernis" (obstacle insurmontable) abgestellt, das der Schuldner bei Vertragsschluß nicht vorauszusehen brauchte. 239 Der Entwurf hat sich folglich damit begnügt, sozusagen das Minimum an befreienden Tatbeständen festzulegen. 240 Man war sich indes der Unvollständigkeit einer solchen Regelung
234 235
Abgedruckt bei Beale/Hartkamp/Kötz/Tallon , Contract Law, S. 652ff. Fischer , Unmöglichkeit der Leistung, S. 91f.; siehe auch Gesang, Force-majeure,
S. 68fT. 236
Berger , ZVglRWiss 102 (2003), 1, 4f.; ders., RIW 2000, 1, 5 links. Der Entwurf eines einheitlichen Kaufgesetzes aus dem Jahre 1935 ist in französischer Sprache und mit deutscher Übersetzung abgedruckt bei Rabel, RabelsZ 9 (1935), Iff., insbes. 18. 238 Gesang, Force-majeure, S. 151; Fischer , Unmöglichkeit der Leistung, S. 55. 239 Stoll , in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 257, 270. 240 Rabel , RabelsZ 9 (1935), 1, 61. 237
114
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
bewußt und verwies deshalb ergänzend auf zusätzliche Entlastungsgründe nach Maßgabe des kollisionsrechtlich berufenen Landesrechts. 241 Diese Methode hat sich in der Folge nicht durchgesetzt, denn im Entwurf von 1939 wurde in Art. 77 ein einheitlicher Entlastungsgrund geschaffen 242 und auf eine Ergänzung durch das Landesrecht verzichtet. 243 Aus diesem Grunde verbietet sich seit jeher ein Rückgriff auf Rechtsinstitute des nationalen Rechts wie etwa auf Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage. 244 Rabel selbst hat die Fassung des Entwurfs von 1939 als vorsichtige, aus dem englischen Vertragsdenken gewonnene, clausula rebus sie stantibus 245 bezeichnet. 246 Im Kern stellte diese Einheitsklausel wiederum auf ein Hindernis (obstacle ) fur die Erfüllung ab, das der Schuldner weder voraussehen mußte noch zu vermeiden oder zu überwinden hat. 247 Das EKG übernahm diese elastische Formel in seinem Art. 74 Abs. 1 kaum verändert, ersetzte jedoch den Begriff des Hindernisses (obstacle ) durch Umstände (circonstances bzw. circumstances)? A% Damit war klargestellt, daß auch anfängliche Hindernisse von Art. 74 EKG abgedeckt werden; 249 gleiches gilt
241 Stoll, in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 257, 270; Gesang, Force-majeure, S. 151. 242 Art. 77 des Entwurfs von 1939 ist abgedruckt bei Rabel, RabelsZ 17 (1952), 212, 220. 243 Fischer, Unmöglichkeit der Leistung, S. 55; Gesang, Force-majeure, S. 152; Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 5; Stoll, in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 257, 270. 244 So auch Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Vor Art. 79, Rn. 5; Herber/Czerwenka, Art. 79, Rn. 24; P.Huber, in: Münchener Kommentar, Art. 79, Rn. 8; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 31. 245 Der Begriff, der semantisch zunächst nicht mehr bedeutet als die „Abrede, daß die Dinge so bleiben wie sie sind", wurde gemeinrechtlich seit jeher doktrinär im Sinne einer „tacita conditio, si res in eodem statu manserit, also einer rechtsgeschäftlich vorbehaltenen stillschweigenden Bedingung unveränderter Umstände verstanden. In ihrem ursprünglichen Sinne bedeutet die clausula rebus sie stantibus daher den stillschweigend vereinbarten Vorbehalt, daß ein Vertrag nur bei gleichbleibenden Verhältnissen bestehen bleiben sollte. Vgl. Gieg, Clausula Rebus sie stantibus und Geschäftsgrundlage, S. 2; siehe auch Köbler, Die „clausula rebus sie stantibus" als allgemeiner Rechtsgrundsatz. 246 Rabel, RabelsZ 17 (1952), 212, 220; vgl. auch Gesang, Force-majeure, S. 152. 247 Stoll, in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 257, 270; zum inhaltsgleichen Text des Entwurfs von 1966 (dort Art. 85) nebst deutscher Übersetzung siehe RabelsZ 22 (1957), 124, 164f. sowie die Kommentierung von Riese, RabelsZ 22 (1957), 16, 9Iff. 248 Fischer, Unmöglichkeit der Leistung, S. 55; Gesang, Force-majeure, S. 152.
249
Gesang, Force-majeure, S. 152f.; Riese, RabelsZ 29 (1965), 1, 81.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
115
nunmehr für die Regelung des Art. 79 CISG. 2 5 0 Nicht zu verkennen ist allerdings, daß bei der Entwicklung von Art. 74 EKG hin zu Art. 79 CISG eine erstaunliche Umkehr bei der Definition des Kernbegriffs der Entlastung stattgefunden hat: die flexiblere Umschreibung mit leistungshindernden „circumstances " wurde im CISG wiederum ersetzt durch die Wendung „impediment beyond his controf (Hinderungsgrund außerhalb seines Einflußbereichs). 251
bb) Befreiungsvoraussetzungen (Art. 79 Abs. 1 CISG) Die Entlastung von einer objektiv gegebenen Pflichtverletzung setzt nach Art. 79 Abs. 1 CISG kumulativ voraus, daß der Umstand, der die vertragsgerechte Pflichterfüllung verhindert hat, außerhalb der Einflußsphäre des Schuldners angesiedelt ist (Unbeherrschbarkeit), der Schuldner diesen der Pflichterfüllung entgegenstehenden Umstand weder bei Vertragsschluß vernünftigerweise als Leistungshindernis einkalkulieren mußte (Unvorhersehbarkeit) noch seinen Eintritt oder seine Folgen verhindern oder durch zumutbare Anstrengungen überwinden konnte (Unvermeidbarkeit). 252
(1) Unbeherrschbarkeit
des Hinderungsgrundes
Ein Hinderungsgrund (impediment ) ist nach Art. 79 Abs. 1 CISG dann unbeherrschbar, wenn er außerhalb des Einflußbereichs des Schuldners liegt (beyond his control). Die Einführung des Begriffs des „impediment" bei der Neufassung der Entlastungsklausel durch die Arbeitsgruppe der UNCITRAL sollte ein enges objektives Verständnis der Befreiungsgründe gewährleisten. 253 Daher können nur solche Umstände Berücksichtigung finden, die ihren Ursprung nicht in dem vom Schuldner beherrschten Machtbereich haben. 254 Insofern kann man bei den befreienden Hinderungsgründen auch von exogenen255 oder externen 256 250 Magnus , in: Staudinger, Art. 79, Rn. 17; Stoll/Gruber , in: Schlechtriem/ Schwenzer, Art. 79, Rn. 12; Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 79, Rn. 20; Herber/ Czerwenka , Art. 79, Rn. 11. 251 Stoll, in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 257, 271; Nicholas , 27 Am. J. Comp. L. (1979), 231, 240. 252 Vgl. Achilles , Art. 79, Rn. 3; P.Huber, in: Münchener Kommentar, Art. 79, Rn. 6. 253 Stoll, in: Schlechtriem (3. Aufl., nunmehr Schlechtriem/Schwenzer), Art. 79, Rn. 17. 254 Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Vor Art. 79, Rn. 5; P.Huber, in: Münchener Kommentar, Art. 79, Rn. 7. 255 So Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 16; Mankowski, in: Münchener Kommentar-HGB, Art. 79, Rn. 34.
116
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
Leistungshindernissen sprechen. Den Gegensatz dazu bilden die endogenen bzw. innerbetrieblichen Leistungshindernisse, also persönliche Umstände, die das Leistungsvermögen des Schuldners beeinträchtigen. 257
(a) Die Sphärentheorie Über den Entlastungstatbestand des Art. 79 Abs. 1 CISG hat demzufolge die „Sphärentheorie" Einzug in das UN-Kaufrecht genommen.258 Danach haftet der Schuldner prinzipiell nur für Leistungshindernisse, die seiner Sphäre zuzurechnen sind. 259 Insoweit ist es auch irreführend, den Haftungsmaßstab des CISG alleine anhand des Prinzips der Garantiehaftung charakterisieren zu wollen. 2 6 0 Die Modifikation der Garantiehaftung durch Art. 79 CISG führt im UNKaufrecht vielmehr zu einem gänzlich anderen Haftungsmaßstab, der sich an den Sphären der Vertragsparteien orientiert. In diesen nach Sphären aufgeteilten Haftungsmaßstab reiht sich auch die Vorschrift des Art. 80 CISG ein, wonach man sich nicht auf eine Nichterfüllung berufen kann, soweit diese in der eigenen Sphäre verursacht worden ist. Mit der Einteilung in exogene und endogene Leistungshindernisse täuscht die Sphärentheorie allerdings eine größere Rationalität vor, als sie tatsächlich zu erreichen vermag, da es nahezu unmöglich ist, operationale Kriterien für die Abgrenzung der verschiedenen Risikosphären anzugeben.261 Aus diesem Grunde hat die Sphärentheorie im innerdeutschen Recht nur wenig Anklang gefunden. Alleine im Arbeitsrecht hat sie als Lehre vom Betriebsrisiko für bestimmte Betriebsstörungen einen gewissen Erfolg gehabt; 262 vereinzelt wird sie auch bei
256
So Tallon, in: Bianca/Bonell, Art. 79, Anm. 2.6.1; Magnus, in: Honseil, Art. 79, Rn. 12; Honnold, Uniform Law for International Sales, Rn. 427, S. 477ff.; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 14. 257 Reinhart, Art. 79, Rn. 5; Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 16; ders., in: Honseil, Art. 79, Rn. 13; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 15ff.; Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 79, Rn. 4. 258 Pellegrino, ZEuP 1997, 41, 49f.; Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 16; Fischer, Unmöglichkeit der Leistung, S. 59; siehe auch Krüger, Modifizierte Erfolgshaftung im UN-Kaufrecht, S. 127, Fn. 364. 259 „Prinzipiell" bedeutet in diesem Kontext „vorbehaltlich der weiteren Voraussetzungen des Art. 79 Abs. 1 CISG", nämlich der Unvorhersehbarkeit und der Unvermeidbarkeit des Hinderungsgrundes. 260 Siehe oben 3.Teil 3.Kap l.Abschn. 261 Krüger, Modifizierte Erfolgshaftung im UN-Kaufrecht, S. 127f.; siehe auch Emmerich, in: Münchener Kommentar, Vor § 275, Rn. 34, zur Abgrenzung von Unmöglichkeit und Annahmeverzug anhand der Sphärentheorie im innerdeutschen Recht. 262 Die Betriebsrisikolehre wurde bereits im Jahre 1923 vom RG entwickelt (RGZ 106, 272, 275ff.); nunmehr ist sie positivrechtlich in § 615 Satz 3 BGB n.F. geregelt; Lakies, in: Kittner/Zwanziger, § 77, Rn. 17; Matthes, in: Schliemann, § 615, Rn. 16ff.;
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
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Wertungs- und Haftungsfragen im Schuldrecht herangezogen. 263 Die Gründe für die Ablehnung der Sphärentheorie(n) liegen, kurz gesagt, vor allem in der völligen Unbestimmtheit der Kriterien, mit denen Sphärentheorien jeder Couleur zu operieren gezwungen sind. 264 Dies gilt gleichermaßen für die in Art. 79 Abs. 1 CISG verankerte Sphärentheorie: Wann soll ein Leistungshindernis als exogen und wann als endogen qualifiziert werden? Welche Formen der Unmöglichkeit sollen zur Leistungsbefreiung nach Art. 79 Abs. 1 CISG gereichen? Das UNKaufrecht läßt diese Fragen unbeantwortet und überläßt vielmehr den Gerichten und Literaten die Ausfüllung des Terminus Jmpediment beyond his controf Es haben sich dabei folgende Kriterien zur Abgrenzung der verschiedenen Sphären abgezeichnet:
(b) Exogene Leistungshindernisse Ein Hinderungsgrund kann nach Art. 79 Abs. 1 CISG nur dann befreiende Wirkung entfalten, wenn er als exogen zu qualifizieren ist, er also außerhalb der Herrschaftssphäre des Schuldners liegt. Naturereignisse und -katastrophen entlasten, soweit sie dazu führen, daß der Schuldner nicht erfüllen kann, weil entweder sein Betrieb oder alle in Betracht kommenden Zulieferer oder die insgesamt in Betracht kommende Ware betroffen sind. 265 Der typische Verantwortungsbereich des Schuldners ist somit zumindest dann überschritten, wenn ein von außen kommendes Ereignis die Vorbereitung oder Durchführung des Vertrags beeinträchtigt, etwa bei Zerstörung der Produktionsstätte des Schuldners oder der zu liefernden Ware durch ein Naturereignis wie Überschwemmung, Erdbeben, Sturm, Feuer, Dürre, Frost oder
Brox/Rüthers , Arbeitsrecht, Rn. 169ff.; S. 125ff.; Dütz , Arbeitsrecht, Rn. 249f., S. 124f.; Junker , Arbeitsrecht, Rn. 288ff.; S. 187ff.; Löwisch , Arbeitsrecht, Rn. 1008ff., S. 266f. 263 So etwa zur Abgrenzung der Unmöglichkeit der Erfüllung des Schuldners vom Annahmeverzug des Gläubigers: vgl. Emmerich , Das Recht der Leistungsstörungen, S. 363ff.; zur Einschränkung der unbegrenzten Gefahrtragung des Werkunternehmers vor Abnahme nach §§ 644 Abs. 1 S.l und 645 Abs. 1 S. 1 BGB: vgl. Teichmann , in: Soergel, § 645, Rn. 14f.; Erman , JZ 1965, 657ff.; zur Auslegung des Vertretenmüssens des Gläubigers in § 324 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. bzw. zur Verantwortlichkeit des Gläubigers in §§ 323 Abs. 6 und 326 Abs. 2 S. 1BGB n.F.: vgl. Emmerich , in: Münchener Kommentar, § 324, Rn. 11 f.; zur Umgehung der vom Gesetzgeber aufgestellten Tatbestände der Unmöglichkeit und des Annahmeverzugs: Esser/Schmidt , Schuldrecht I 2, § 23 II, S. 27f.; vgl. zum ganzen: Nassauer , „Sphärentheorien" zu Regelungen der Gefahrtragungshaftung in vertraglichen Schuldverhältnissen (1978). 264 Emmerich , Das Recht der Leistungsstörungen, S. 364f.; Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 434, S. 211. 2
Magnus, in: Staudinger, Art. 7 , Rn. 7; e
e
e
,
Art. 7 , Rn. .
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
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Blitzschlag, oder Verhinderung der Lieferung durch Krieg oder Aufruhr. 266 Sind diese Hinderungsgründe vorhersehbar, etwa weil in ein oder aus einem Krisengebiet verkauft wird, so fehlt es freilich an der zweiten Entlastungsvoraussetzung der Unvorhersehbarkeit. 267 Führt das Leistungshindernis zu tatsächlicher oder faktischer Unmöglichkeit, vertragsgemäß zu leisten, so wird jedoch regelmäßig ein exogener und somit befreiender Hinderungsgrund gegeben sein. 268 Nach überwiegender Ansicht kommt gleichfalls wirtschaftliche Unmöglichkeit als exogener Hinderungsgrund im Sinne des Art. 79 Abs. 1 CISG in Betracht, etwa wenn der Verkäufer sich wegen einer Änderung der Marktverhältnisse die zu beschaffende Ware nur zu ganz ungewöhnlichen Kosten beschaffen kann oder wenn die Kaufpreiswährung extrem verfällt. 269 Das OLG Hamburg 270 hat bei einer Verdreifachung des Marktpreises die äußerste Opfergrenze für die zu beschaffende Gattungsware zwar noch nicht als überschritten angesehen; allerdings war in diesem Fall auch ein Handelssektor betroffen, der starke spekulative Züge trägt. 271 Die Gegenansicht lehnt dagegen Unerschwinglichkeit als Entlastungsgrund ab, will aber in äußersten Extremfallen von Existenzgefährdung über Art. 7 Abs. 1 CISG Abhilfe schaffen. 272 Die Entstehungsgeschichte des Art. 79 CISG verbietet jedenfalls einen Rückgriff auf das kollisionsrechtlich berufene Landesrecht 273 mit der Folge, daß sich der Schuldner auch nicht auf eine nach Landesrecht etwaig vorgesehene Anpassung des Vertrages an die geänderten Umstände berufen kann. 274 Die erst genannte Ansicht, welche die wirtschaftliche Unmöglichkeit als exogenen Hinderungsgrund nicht ausschließt, verdient den Vorzug. Betrachtet man sich die eingangs zur wirtschaftlichen Unmöglichkeit genannten Beispiele, nämlich die wesentliche Änderung der Marktverhältnisse und den extremen Verfall der Kaufpreiswährung, so wird deutlich, daß die daraus resultierenden Hinderungsgründe nur in äußerst beding-
266
Stoll/Gruber,
in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 14; Reinhart, Art. 79,
Rn. 4. 267
Lüderitz/Dettmeier,
in: Soergel, Art. 79, Rn. 8; Magnus, in: Honseil, Art. 79,
Rn. 15. 268
Herber/Czerwenka, Art. 79, Rn. 8. Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 24; Herber/Czerwenka, Art. 79, Rn. 8; Honnold, Uniform Law for International Sales, Rn. 432.2, S. 484ff.; Rathjen, RIW 1999, 561, 562 links; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 291, S. 187 m.w.N.; siehe auch Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 79, Rn. 6. 270 OLG Hamburg, 4.7.1997 - 1 U 143/95 (unveröffentlicht), vgl. Rathjen, RIW 1999, 561, 562, Fn. 13: P.Huber, in: Münchener Kommentar, Art. 79, Rn. 21. 271 Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 24; Rathjen, RIW 1999, 561, 562 links. 272 Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 32; s.a. Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 291, S. 187. 273 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.c) aa). 269
2
Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I..
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
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tem Maße der Herrschaftssphäre des Schuldners unterliegen und folglich als exogen zu qualifizieren sind.
(c) Endogene Leistungshindernisse Zum originären Verantwortungsbereich des Schuldners gehört dagegen die ordnungsgemäße Organisation seines Betriebs und der für die Vertragsdurchfiihrung notwendigen Abläufe. 275 Störungen innerhalb dieses Bereichs, selbst eine unvorhergesehene Erkrankung, Tod oder Verhaftung des Schuldners oder eines wichtigen Mitarbeiters stellen im allgemeinen endogene Leistungshindernisse dar, die als solche gerade nicht von der Pflicht zur ordnungsgemäßen Erfüllung entlasten.276 Für seine eigenen Leute hat der Verkäufer nach Art. 79 Abs. 1 CISG ohne Rücksicht auf ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden einzustehen, und zwar auch unabhängig davon, ob die eigenen Leute die Leistungsstörung verschuldet haben oder nicht. 277 Selbst weisungswidriges Verhalten seiner Beschäftigten, z.B. Diebstahl der zu verkaufenden Ware, entlastet den Schuldner nicht; er trägt grundsätzlich das Personalrisiko. 278 Neben dem betrieblichen Organisations- und Personalrisiko gehört zum typischen Einfluß- und Verantwortungsbereich des Schuldners beim marktbezogenen Gattungskauf, der im internationalen Handel überwiegt, nach dem typischen Sinn des Vertrages auch das Beschaffungsrisiko. 279 Darunter versteht man das Risiko des Verkäufers, daß ihm die Beschaffung der Ware nicht gelingt, etwa weil ihn sein Lieferant im Stich läßt oder die Preise gestiegen sind. Hat sich der Verkäufer nicht die „Selbstlieferung vorbehalten" oder ähnlich gesichert, so findet die Haftung ihre Grenze dann, wenn die Ware durch unvorhersehbare Ereignisse am Markt nicht oder nur zu ganz unverhältnismäßigen Kosten zu erhalten ist, 280 sprich wenn faktische oder schwerwiegende wirtschaftliche Unmöglichkeit gegeben ist. 281
275
Rathjen, RIW 1999, 561; Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 18; Herber/ Czerwenka, Art. 79, Rn. 8. 276 Magnus, in: Honsell, Art. 79, Rn. 13; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 15; Reinhart, Art. 79, Rn. 5; entlasten soll demgegenüber der Tod einer Person, welche für die Erfüllung unentbehrlich ist, z.B. wenn der Konstrukteur einer Spezialmaschine stirbt, vgl. Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 79, Rn. 11. 277 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 293, S. 190; Reinhart, Art. 79, Rn. 5. 278 Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 20; Achilles, Art. 79, Rn. 5. 279 Achilles, Art. 79, Rn. 5; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 18. 280 Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 22. 281
Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.c)bb)(l)(b).
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4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
(d) Haftung für Dritte (Art. 79 Abs. 2 CISG) Nach Maßgabe des Art. 79 Abs. 2 CISG haftet der Schuldner auch für das Verhalten von Dritten, denen er die Erfüllung des Vertrages oder eines Teils des Vertrages übertragen hat. Angestellte und Arbeiter des Schuldners fallen dabei nicht unter den Begriff des Dritten. 282 Da sie zum Verantwortungsbereich des Schuldners gehören, richtet sich die Haftung und Entlastung für das Verhalten eigener Leute, wie gezeigt, 283 nach Art. 79 Abs. 1 CISG. 2 8 4 Art. 79 Abs. 2 CISG erfaßt dagegen selbständige Dritte. 285 Damit setzt die Vorschrift implizit voraus, daß der Schuldner für diese selbständigen Dritten haftet. 286 Der Schuldner wird bei Einschaltung eines selbständigen Dritten als Erfüllungsgehilfe gemäß Art. 79 Abs. 2 CISG nicht schon dann entlastet, wenn er selbst das Leistungshindernis nicht vorhersehen oder vermeiden konnte, sondern vielmehr nur dann, wenn sich auch der Dritte nach Art. 79 Abs. 1 CISG entlasten könnte. In den Fällen des Abs. 2 hat der Schuldner deshalb auch Leistungshindernisse beim Erfüllungsgehilfen zu verantworten, die nicht er selbst, jedoch der selbständige Dritte voraussehen oder abwenden konnte. 287 Problematisch und umstritten ist jedoch, welche Personen als selbständig zur Erfüllung herangezogene Dritte anzusehen sind. 288 Zum Teil wird vertreten, daß damit alle Dritten gemeint seien, die der Schuldner bei der Vertragsdurchführung eingeschaltet hat. 289 Nach überwiegender Ansicht sind damit jedoch nur sog. Erfüllungsübernehmer, insbesondere Subunternehmer gemeint, denen der Schuldner Vertragspflichten zur eigenverantwortlichen Erfüllung übertragen hat. 290 Zusätzlich zur eigenverantwortlichen Erfüllung wird vereinzelt auch
282 Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 79, Rn. 22; Stoll, in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 257, 276; Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 37. 283 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.c)bb)(l)(c). 284 Achilles, Art. 79, Rn. 9; Magnus, in: Honsell, Art. 79, Rn. 17; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 21; Reinhart, Art. 79, Rn. 5; Herber/Czerwenka, Art. 79, Rn. 6; Wilhelm, UN-Kaufrecht, S. 34. 285 Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 79, Rn. 22; Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 37. 286 Magnus, in: Honsell, Art. 79, Rn. 17. 287 Herber/Czerwenka, Art. 79, Rn. 18; Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 79, Rn. 23. 288 Vgl. Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 38ff.; ders., in: Honsell, Art. 79, Rn. 18. 289 Herber/Czerwenka, Art. 79, Rn. 16f.; Reinhart, Art. 79, Rn. 8. 290 Magnus, in: Honsell, Art. 79, Rn. 18; ders., in: Staudinger, Art. 79, Rn. 39; Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 79, Rn. 7; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 25; Achilles, Art. 79, Rn. 9; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 294, S. 190; Fischer, Unmöglichkeit der Leistung, S. 74.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
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noch gefordert, daß der Dritte mit dem Gläubiger unmittelbar in Berührung gelangen muß 2 9 1 oder daß sich der Dritte bewußt sein muß, nicht nur bloßer Zulieferant zu sein, sondern mit seiner Tätigkeit eine Verbindlichkeit des Schuldners ganz oder teilweise zu erfüllen. 292 Für die beiden letzt genannten Unterauffassungen findet sich indes keine Stütze im Gesetz.293 Der Wortlaut von Art. 79 Abs. 2 CISG, wonach der Dritte „engaged to perform the whole or a pari of the contracf sein muß, spricht vielmehr für die (unmodifizierte) vorherrschende Ansicht des eigenverantwortlich handelnden Dritten. 294 Der geschilderte Streit erlangt Relevanz bei der Frage, wie Leistungshindernisse zu behandeln sind, die von Zulieferanten des Schuldners ausgehen. Zulieferanten liefern etwa zur Herstellung der Ware benötigte Rohstoffe oder Halbfertigfabrikate an den Verkäufer oder auch die Ware selbst, sofern der Verkäufer nur Zwischenhändler oder Kommissionär ist. 295 Da die Zulieferanten allerdings nicht im Pflichtenkreis des Verkäufers bei Vertragserfüllung tätig werden, sondern lediglich Teil seines vorverlagerten Beschaffungsrisikos darstellen, 296 sind sie nicht unter Absatz 2, sondern unter Absatz 1 von Art. 79 CISG zu subsumieren. 297
(2) Unvorhersehbarkeit
des Hinderungsgrundes
Auch exogene Hinderungsgründe entlasten den Schuldner nicht, wenn er mit ihnen rechnen mußte. Art. 79 Abs. 1 CISG setzt nämlich weiterhin voraus, daß vom Schuldner nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluß in Betracht zu ziehen; der Hinderungsgrund muß für den Schuldner unvorhersehbar gewesen sein. Unvorhersehbarkeit bedeutet dabei, daß eine verständige Vertragspartei den Eintritt des Hinderungsgrundes vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen hätte. 298 Dabei muß der Schuldner allerdings nicht mit allen denkbaren Unwägbarkeiten rechnen, wohl aber mit sol291
Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 294, S. 190; wohl auch Rathjen , RIW 1999, 561,564. 292 Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 26; Talion, in: Bianca/ Bonell, Art. 79, Anm. 2.7.1. 293 Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 79, Rn. 22 (hinsichtlich der Theorie, die einen Kontakt zwischen dem Dritten und dem Gläubiger fordert); Rathjen, RIW 1999, 561, 564 rechts (hinsichtlich der „animus-Theorie"). 294 Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 39; Fischer, Unmöglichkeit der Leistung, S. 74f. 295 Rathjen, RIW 1999, 561, 564 links; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 29. 296 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.c)bb)(l)(d). 297 So die überwiegende Ansicht, vgl. Fn. 290; a.A. vgl. Fn. 289. 298
Achilles, Art. 79, Rn. 7; Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 32.
122
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
chen Ereignissen, die sich konkret abzeichnen wie, zum Beispiel ein bevorstehender Streik, ein angekündigter Boykott oder jedes Jahr wiederkehrende Überschwemmungen.299
(3) Unvermeidbarkeit
des Hinderungsgrundes
Konnte der exogene Hinderungsgrund nicht in Betracht gezogen werden, war also nach dem Urteil eines vernünftigen Beobachters nicht mit ihm zu rechnen, so tritt nach Art. 79 Abs. 1 CISG Entlastung ein, sofern der Hinderungsgrund oder seine Folgen nicht hätten vermieden oder überwunden werden können. 300 Der Schuldner darf also bei der Vertragsdurchführung nicht die Hände in den Schoß legen und spätere oder später erkannte Erfiillungshindernisse hinnehmen. 301 Vielmehr muß er nach alternativen Erfüllungsmodalitäten suchen und diese wahrnehmen, wenn dies für ihn mit gewissem, nach den Umständen aber noch zumutbarem Zusatzaufwand verbunden ist. 3 0 2 Die Zumutbarkeitsgrenze dürfte hier erst überschritten sein, wenn faktische oder schwerwiegende wirtschaftliche Unmöglichkeit gegeben ist. 303 Wird etwa der Transportweg unvorhergesehen geschlossen, muß der Schuldner die Ware, soweit mit zumutbaren Kosten möglich, umleiten und die Zusatzkosten dafür tragen. 304
cc) Vorübergehende Hindernisse (Art. 79 Abs. 3 CISG) Art. 79 Abs. 3 CISG stellt klar, daß ein vorübergehendes Hindernis nur für die Zeitspanne seiner Dauer vom Schadensersatz, insbesondere vom Ersatz des Verzögerungsschadens, befreit. 305 Entfällt das Hindernis, wird z.B. das Ausfuhrverbot aufgehoben, so bestehen Schadensersatzansprüche für die bisherige Leistungsverzögerung nicht, sondern allenfalls für die Zeit danach, sofern der
299 Magnus, in: Honseil, Art. 79, Rn. 15; ders., in: Staudinger, Art. 79, Rn. 32; Reinhart, Art. 79, Rn. 4. 300 Vgl. Herber/Czerwenka, Art. 79, Rn. 11; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/ Schwenzer, Art. 79, Rn. 23. 301 Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 34. 302 Achilles, Art. 79, Rn. 8; Bernstein/Lookofsky, Understanding the CISG in Europe, S. 108f. 303 Vgl. 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.c)bb)(l)(b), dort Fn. 269. 304 Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 23; Magnus, in: Staudinger, Art. 79, Rn. 34. 305 Reinhart, Art. 79, Rn. 9; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 295, S. 191.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
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Schuldner dann nicht erfüllt. 306 Hatte die andere Partei den Vertrag wegen der Verzögerung zu Recht aufgehoben, so bleibt die Aufhebung aber wirksam und auch aus der Aufhebung folgender Schadensersatz ausgeschlossen.307
dd) Benachrichtigungspflicht (Art. 79 Abs. 4 CISG) Nach Art. 79 Abs. 4 CISG ist der Schuldner verpflichtet, den Gläubiger über Art und Umfang der Hinderung sowie deren zeitliche Dauer zu unterrichten. Die Anzeige ist in Abweichung von Art. 27 CISG zugangsbedürftig und muß innerhalb angemessener Frist erfolgen, Art. 79 Abs. 4 S. 2 CISG. 3 0 8 Die fehlende, ungenügende oder verspätete Benachrichtigung schließt nicht die Entlastung des Schuldners aus, verpflichtet aber zum Ersatz desjenigen Schadens, der bei ordnungsgemäßer Mitteilung vermieden worden wäre. 309 Dieser Vertrauensschaden kann etwa darin bestehen, daß der Gläubiger in Unkenntnis des Lieferhindernisses die Waren mit Gewinn weiterverkauft hat und nun, weil er nicht liefern kann, diesen Gewinn nicht realisieren kann. 310
d) Vom Gläubiger verursachte Nichterfüllung, Art. 80 CISG Art. 80 CISG bringt mit Rücksicht auf das fehlende Verschuldenserfordernis den an sich selbstverständlichen Gedanken zum Ausdruck, daß ein Gläubiger, der die Nichterfüllung selbst verursacht hat, dem Schuldner keine Nichterfüllung mehr anlasten kann. 311 Würde man den Haftungsmaßstab des CISG nämlich als „blinde" Garantiehaftung mißverstehen, so könnte sich der Gläubiger selbst dann auf eine Vertragsverletzung durch den Schuldner berufen, wenn der Gläubiger den Leistungserfolg durch sein eigenes Verhalten verhindert hätte, etwa indem er die geschuldete Sache zerstört und dadurch die Leistung unmöglich macht. 312 Damit ist in Art. 80 CISG eine wichtige Fallgruppe des allgemeinen Gutglaubensgrundsatzes (Art. 7 Abs. 1 CISG) kodifiziert worden, nämlich
306 Magnus , in: Staudinger, Art. 79, Rn. 44; Stoll/Gruber , in: Schlechtriem/ Schwenzer, Art. 79, Rn. 41. 307 Lüderitz/Dettmeier , in: Soergel, Art. 79, Rn. 27; Magnus , in: Staudinger, Art. 79, Rn. 44. 308 Vgl. Reinhart , Art. 79, Rn. 10; Schlechtriem , Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 296, S. 191. 309 Magnus , in: Staudinger, Art. 79, Rn. 49; Saenger , in: Bamberger/Roth, Art. 79, Rn. 9. 310 Herber/Czerwenka , Art. 79, Rn. 21; Magnus , in: Staudinger, Art. 79, Rn. 49. 3,1 Achilles , Art. 80, Rn. 1; Stoll/Gruber , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 80, Rn. 1. 312 Vgl. Stoll/Gruber , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 80, Rn. 2.
124
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
das Verbot, aus dem eigenen schadensbegründenden Verhalten Vorteil zu ziehen. 313 Vergleichbare Ausprägungen dieses Grundsatzes finden sich in Art. 42 Abs. 2 lit (b) CISG (keine Ansprüche des Käufers wegen selbstverursachter immaterieller Rechte Dritter) und Art. 65 CISG (unterlassene Spezifizierung). 3 ' 4
aa) Voraussetzungen der Befreiung nach Art. 80 CISG Die Befreiung des Schuldners nach Art. 80 CISG setzt voraus, daß der Gläubiger die Nichterfüllung durch ein aktives Tun oder ein Unterlassen verursacht hat. Aktive, die Schuldnerleistung hindernde Handlungen des Gläubigers werden eher selten sein, liegen aber etwa vor, wenn die Ware verloren geht, weil der Verkäufer bei der Absendung oder dem Transport den Weisungen des Käufers gefolgt ist. 3 1 5 Der Verursachung durch aktives Tun steht ein Unterlassen gleich, wenn der Gläubiger zu einem bestimmten Handeln verpflichtet war. 316 Hierbei ist hauptsächlich an Fälle zu denken, in denen der Gläubiger eine für den Erfolg erforderliche Mitwirkungshandlung verweigert. 317 So ist der Verkäufer etwa von allen Ansprüchen wegen unterlassener oder verspäteter Lieferung befreit, wenn der Käufer erforderliche Pläne nicht rechtzeitig vorlegt, die Anschrift nicht mitteilt, an welche die Ware zu liefern ist, die erforderliche Importgenehmigung nicht besorgt oder die Voraussetzungen für eine Montage nicht schafft. 318 In solchen Fällen wird das Verhalten des Gläubigers, sei es ein aktives Tun oder ein Unterlassen, regelmäßig auch eine Vertragsverletzung darstellen, was aber Art. 80 CISG nicht voraussetzt. 319 Ebensowenig kommt es auf ein Verschulden des Gläubigers an. 320 Da jedoch bereits im Bestellen der Ware
313
Magnus, in: Staudinger, Art. 80, Rn. 2; ders., in: Honsell, Art. 80, Rn. 1; Reinhart, Art. 80, Rn. 2. 314 Achilles, Art. 80, Rn. 1; Magnus, in: Staudinger, Art. 80, Rn. 6; ders., in: Honsell, Art. 80, Rn. 6. 3,5 Magnus, in: Honsell, Art. 80, Rn. 9; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 80, Rn. 3. 316 Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 80, Rn. 5; Achilles, Art. 80, Rn. 2; Magnus, in: Staudinger, Art. 80, Rn. 10; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 80, Rn. 3; Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 80, Rn. 2. 317 Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 80, Rn. 3; Herber/Czerwenka, Art. 80, Rn. 3. 3,8 Reinhart, Art. 80, Rn. 3; Magnus, in: Staudinger, Art. 80, Rn. 10; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 80, Rn. 3; Herber/Czerwenka, Art. 80, Rn. 3; Rathjen, RIW 1999, 561,565 links. 319 Magnus, in: Honsell, Art. 80, Rn. 9; Achilles, Art. 80, Rn. 2; Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 80, Rn. 5; Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 80, Rn. 2. 320 Achilles, Art. 80, Rn. 2; Herber/Czerwenka, Art. 80, Rn. 4; Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 80, Rn. 2; Magnus, in: Staudinger, Art. 80, Rn. 11; ders., in: Honsell,
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
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oder in der Vereinbarung eines Liefertermins eine naturwissenschaftlich kausale Handlung des Käufers für ein etwaig zeitlich nachfolgendes schädigendes Ereignis zu sehen ist, gebietet sich im Rahmen des Art. 80 gleichsam wie bei Art. 66 CISG eine einschränkende Auslegung des Begriffs „Handlung oder Unterlassung". 321 Insbesondere um ein Ausufern dieses Merkmals zu vermeiden, darf nur das pflichtwidrige Verhalten des Käufers als „Handlung oder Unterlassung" i.S.d. Art. 80 CISG qualifiziert werden. Für seine Leute und Dritte, die der Gläubiger zur Vertragserfüllung einsetzt, muß der Gläubiger auch im Rahmen des Art. 80 CISG einstehen.322
bb) Rechtsfolgen des Art. 80 CISG Unter den Voraussetzungen des Art. 80 CISG entfallt nicht nur wie bei Art. 79 CISG 3 2 3 die Schadensersatzpflicht, sondern dem Gläubiger steht überhaupt kein Rechtsbehelf zur Verfügung. 324 Die Befreiung des Schuldners von der Schadensersatzpflicht folgt in den von Art. 80 CISG erfaßten Fällen aber regelmäßig schon aus dem Entlastungstatbestand des Art. 79 Abs. 1 CISG; denn ein vom Gläubiger verursachtes Leistungshindernis ist für den Schuldner im Regelfall weder beherrschbar noch vermeidbar. 325 Eine andere Frage ist indes, ob Art. 80 CISG die Gegenleistungspflicht des Gläubigers (der gestörten Leistung) berührt. Hierzu wird vertreten, daß Art. 80 CISG die Gegenansprüche des Schuldners nicht berühre und der Gläubiger somit zu seiner Leistung verpflichtet bleibe, sich aber ersparte Aufwendungen anrechnen lassen müsse. 326
Art. 80, Rn. 10; Reinhart , Art. 80, Rn. 2; Saenger , in: Bamberger/Roth, Art. 80, Rn. 2; Stoll/Gruber , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 80, Rn. 3. 321 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c). 322 Herber/Czerwenka , Art. 80, Rn. 5; Achilles , Art. 80, Rn. 2; Magnus , in: Staudinger, Art. 80, Rn. 11; ders ., in: Honseil, Art. 80, Rn. 11; Stoll/Gruber , in: Schlechtriem/ Schwenzer, Art. 80, Rn. 3; siehe auch P. Huber, in: Münchener Kommentar, Art. 80, Rn. 5, der die Kausalität als Ausgangspunkt fiir die Prüfung wählt, aber Einschränkungen insbesondere in den Fällen mittelbarer Kausalität für erforderlich hält. 323 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.a). 324 Magnus , in: Staudinger, Art. 80, Rn. 17; Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 80, Rn. 6. 325 Schlechtriem , Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 297, S. 192: „[...] allenfalls im Falle einer Voraussehbarkeit eines entsprechenden Gläubigerverhaltens geht die Entlastungswirkung des Art. 80 CISG bei Schadensersatzansprüchen über Art. 79 Abs. 1 CISG hinaus". 326 Achilles , Art. 80, Rn. 6; Magnus , in: Staudinger, Art. 80, Rn. 18; ders., in: Honsell, Art. 80, Rn. 15; wohl auch Reinhart, Art. 80, Rn. 4: „Der Grundgedanke der Vorschrift entspricht auch der Regelung des autonomen deutschen Rechts in der Vorschrift des § 324 Abs. 1 BGB[a.F.]".
126
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
Dieses Ergebnis ist zu befürworten; seine dogmatische Herleitung kann jedoch nicht alleine anhand von Art. 80 CISG erfolgen: Zunächst ist festzuhalten, daß Art. 80 CISG keine Regelung zum Fortbestehen oder Erlöschen der Leistungspflicht des Gläubigers enthält und somit die Gegenansprüche des Schuldners tatsächlich nicht von Art. 80 CISG berührt werden. Daraus darf aber nicht vorschnell gefolgert werden, daß der Gläubiger zur Leistung verpflichtet bleibt. Vielmehr muß nach der hier vertretenen Ansicht die Frage nach dem Fortbestehen bzw. Erlöschen der Gegenleistungspflicht nach den Vorschriften zum Übergang der Gegenleistungsgefahr (Art. 66 ff. CISG) beantwortet werden, soweit diese eine Regelung treffen. 327 Keine Regelung treffen sie für den Fall, daß die Ware trotz des pflichtwidrigen 328 Verhaltens des Käufers weder untergegangen noch beschädigt worden ist; es bleibt dann bei der nach Art. 53, 62 CISG bestehenden Zahlungspflicht des Käufers. Ist die Ware dagegen untergegangen oder beschädigt worden, so ist danach zu unterscheiden, ob sich der Untergang bzw. die Beschädigung der Ware vor oder nach Übergang der Preisgefahr auf den Käufer ereignet hat. Nach Gefahrübergang gilt der negativ formulierte Grundsatz des Art. 66 CISG, wonach der Käufer trotz Untergang oder Beschädigung der Ware nicht von seiner nach Art. 53, 62 CISG bestehenden Zahlungspflicht befreit wird. Ist die Preisgefahr dagegen noch nicht auf den Käufer übergegangen, so gilt im Umkehrschluß zu Art. 66 CISG folgende durch das synallagmatische Prinzip eingeschränkte Regel: 329 „Der Untergang der Ware vor Übergang der Gefahr auf den Käufer befreit diesen von der Pflicht, den Kaufpreis zu zahlen, es sei denn, daß der Untergang auf eine pflichtwidrige Handlung oder Unterlassung des Käufers zurückzuführen ist."
Geht die Ware also vor Gefahrübergang unter, so kommt die Einschränkung des letzten Halbsatzes zum Tragen und es bleibt beim Fortbestehen des Zahlungsanspruchs nach Art. 53, 62 CISG. Wird die Ware jedoch nur beschädigt (vor Gefahrübergang), so ist Art. 66 CISG selbst im Wege des Umkehrschlusses keine Regel zu entnehmen, so daß auch bei dieser Konstellation der Anspruch auf den Kaufpreis gemäß Art. 53, 62 CISG fortbesteht. Alle vier Konstellationen führen demnach trotz der gebotenen Differenzierung zu demselben Ergebnis: Hat der Gläubiger (Käufer) die Nichterfüllung des Schuldners (Verkäufer) alleine pflichtwidrig verursacht, so bleibt der Gläubiger zur Erbringung der Gegenleistung verpflichtet. Die Anrechnung von ersparten Aufwendungen auf den somit in jedem Fall bestehenbleibenden Zahlungsanspruch, hat der Schuldner nach Art. 7 Abs. 1 CISG zu dulden; der Schuldner kann nämlich billigerweise
327 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.H.3.; vgl. auch Lüderitz/Dettmeier, Soergel, Art. 80, Rn. 6. 328 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c).
329
Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c).
in:
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
127
nicht erwarten, durch den Wegfall seiner Leistungspflicht besser gestellt zu werden, als er bei realer Durchführung des Vertrages stehen würde. 330 Stellt sich das Handeln oder Unterlassen des Gläubigers als Vertragsverletzung dar, so ergeben sich gewisse Besonderheiten, die im folgenden geschildert werden. 331
e) Die beiderseitige Verursachung der Nichterfüllung Es besteht Streit darüber, ob Art. 80 CISG auch gilt, wenn beide Parteien die Nichterfüllung pflichtwidrig verursacht haben. 332 Zur Erleichterung der Rechtsvergleichung sei an dieser Stelle daraufhingewiesen, daß die beiderseitige Verursachung der Nichterfüllung als Unter- und gleichzeitig Hauptfall die beiderseits zu vertretende Unmöglichkeit umfaßt. Das Problem bei der Anwendung von Art. 80 CISG auf die Fälle beiderseitiger Verursachung besteht darin, daß diese Vorschrift auf der Rechtsfolgenseite scheinbar nur eine radikale „Alles-oder-Nichts-Lösung" bereitstellt: 333 Der Gläubiger geht bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 80 CISG entweder aller Rechtsbehelfe verlustig oder er behält sie der Gänze nach, wenn Art. 80 CISG nicht greift. Bedenklich ist dabei insbesondere, daß mit der Formulierung „durch eine Handlung oder Unterlassung verursacht" die Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 80 CISG dermaßen lax gehalten werden, daß man darunter leicht jegliches Gläubigerverhalten subsumieren könnte. 334 Dementsprechend wird teilweise die Ansicht vertreten, daß diese Vorschrift wegen der weitreichenden Folgen eng auszulegen sei und demzufolge eine Befreiung nach Art. 80 CISG bei Mitverursachung des Schuldners gänzlich ausscheide.335 Die Fälle einer Mitverursachung seien daher nur lösbar über die nach Art. 77 CISG be-
330
Vgl. Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 79, Rn. 9. Lüder itz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 80, Rn. 6; Maskow , in: Enderlein/Maskow/ Strohbach, Art. 80 Anm. 3.2. 332 Vgl. Magnus , in: Honsell, Art. 80, Rn. 12; Saenger , in: Bamberger/Roth, Art. 80, Rn. 2. 333 Rummel , in: Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 177, 192; Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 80, Rn. 3; Magnus , in: Staudinger, Art. 80, Rn. 14. 334 Ähnliche Bedenken äußert Rummel , in: Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 177, 192: „Wenn aber der Käufer nur eine bestimmte Bezugsmöglichkeit in den Verhandlungen genannt hat, um den Verkäufer insofern zu beraten: dann hat bei deren Versagen der Käufer das Hindernis zweifellos verursacht, aber sollte das den Verkäufer befreien?"; zur Einschränkung des Begriffs „Handlung oder Unterlassung" auf pflichtwidrige Verhaltensweisen siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.d)aa). 335 Schoop, Haftungsbefreiung, S. 34ff.; Lüder itz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 80, Rn. 3; siehe auch Stoll/Gruber , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 80, Rn. 7. 331
128
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
stehende Obliegenheit des Gläubigers, den Schaden gering zu halten. 336 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß die unterlassene Schadensminderung ausschließlich Einfluß auf den Schadensersatzanspruch und nicht auf andere Rechtsbehelfe des Gläubigers hat 3 3 7 und insoweit die Fälle beiderseitiger Verursachung mit Art. 77 CISG keiner umfassenden Lösung zugeführt werden. Im übrigen regelt Art. 77 CISG eine Gläubigerbeteiligung nur an dem aus einer Vertragsverletzung hervorgegangenen Schaden, nicht an der Vertragsverletzung als solcher. 338 Nach vorzugswürdiger Ansicht ist dagegen Art. 80 CISG in Fällen kumulativer Verursachung anwendbar. 339 Die Eingrenzung durch das Wort „soweit" (Jo the extenf / „dans la mesure") deutet daraufhin, daß eine wertende Abwägung der Ursachenanteile stattzufinden hat und der in Art. 80 CISG vorgesehene Wegfall aller Gläubigerrechte proportional zu den Verursachungsbeiträgen abgeschwächt werden muß. 340 Dagegen wird eingewandt, daß der in Art. 80 CISG vorgesehene Wegfall der Gläubigerrechte überhaupt keiner „Verteilung" nach Verursachungsbeiträgen zugänglich sei. 341 Dieser Einwand ist jedoch nur teilweise begründet. Soweit es um Schadensersatzansprüche, um den Minderungsanspruch oder einen Zinsanspruch des Gläubigers geht, ist eine Abschwächung durch Reduktion des Ersatz-, Minderungs- bzw. Zinsbetrages möglich. 342 Allerdings gibt es tatsächlich Rechtsbehelfe, die ihrer Natur nach gerade nicht teilweise ausgeübt werden können; dazu zählen die Erfüllungs- und Vertragsaufhebungsansprüche. Ein „Aufteilungssurrogat" ließe sich für diese Ansprüche zwar dadurch kreieren, diese unteilbaren Rechtsbehelfe dem Gläubiger bei beiderseitiger Verursachung generell zu versagen, ihm jedoch anstelle des versagten
336 Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 80, Rn. 4; Art. 77, Rn. 3; ähnlich Stoll, in: Schlechtriem (3. Aufl.; nunmehr Schlechtriem/Schwenzer), Art. 80, Rn. 5, der feststellt, daß in den Fällen beiderseitiger Verursachung der Nichterfüllung meist zugleich dem Gläubiger eine Vertragsverletzung zur Last fallen wird, welche eine Schadensverteilung nach Maßgabe der gegeneinander abzuwägenden Verursachungsbeiträge ermögliche. 337 Herber/Czerwenka, Art. 77, Rn. 3; Magnus, in: Staudinger, Art. 77, Rn. 6; ders., in: Honsell, Art. 77, Rn. 4. 338 Reinhard, Die beiderseits zu vertretende Unmöglichkeit im Synallagma, S. 240f.; Schlechtriem, JZ 1988, 1037, 1047 links; jedoch Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 77, Rn. 3: „Ist sie [die Vertragsverletzung] vom Gläubiger mitverursacht, so wird damit in der Regel auch der Schaden mitverursacht, dessen Verhütung (mitigate) Art. 77 [...] dem Gläubiger auferlegt". 339 Talion, in: Bianca/Bonell, Art. 80, Anm. 2.4, 2.5; Herber/Czerwenka, Art. 80, Rn. 7f.; Achilles, Art. 80, Rn. 4; Magnus, in: Staudinger, Art. 80, Rn. 14f.; Rathjen, RIW 1999, 561, 565 rechts; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 298, S. 193. 340 Herber/Czerwenka, Art. 80, Rn. 7: Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 298, S. 193. 341 Stoll, in: Schlechtriem (3. Aufl.: nunmehr Schlechtriem/Schwenzer), Art. 80, Rn. 5.
342
Herber/Czerwenka,
Art. 80, Rn. 8; Magnus, in: Staudinger, Art. 80, Rn. 15.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
129
Rechtsbehelfs Schadensersatz entsprechend den Verantwortungsbeiträgen (damages in Heu of the remedy) zuzusprechen. 343 Für diese Lösung findet sich indes keine Stütze im Gesetz; im übrigen ist zu bezweifeln, ob der generelle Verweis auf den Schadensersatzanspruch mit den Interessen des Gläubigers zu vereinbaren ist. Zweifelhaft erscheint dies insbesondere, wenn der Verursachungsbeitrag des Gläubigers gegenüber dem des Schuldners eine ganz untergeordnete Rolle spielt und der Gläubiger ein besonderes Interesse an der Ausübung seines unteilbaren Rechtsbehelfs hat. Daher hat die „Verteilung" des Entlastungseffekts bei den unteilbaren Rechtsbehelfen in der Weise zu erfolgen, daß der Ursachenbeitrag des Gläubigers deutlich jenen des Schuldners überwiegen muß, um die Rechtsfolge des Art. 80 CISG für die unteilbaren Aufhebungsund Erfüllungsansprüche auszulösen.344 Wenig beleuchtet ist bei dem Problem der beiderseitigen Verursachung der Nichterfüllung bisher das Schicksal des Gegenleistungsanspruchs des Schuldners geblieben. Soll der Käufer den Kaufpreis zahlen müssen, obwohl der Verkäufer die Nichterfüllung mitverursacht hat? Ist im Falle des Fortbestehens des Gegenleistungsanspruchs dieser um den Mitverursachungsbeitrag des Verkäufers zu kürzen? Die beiden dargestellten Ansichten zur Anwendbarkeit des Art. 80 CISG auf die Fälle beiderseitiger Verursachung bieten keine Antwort auf diese zentralen Fragen. Zwar ließen sich diese Fragen entweder mit der pauschalen Aussage beantworten, daß Art. 80 CISG die Gegenansprüche des Verkäufers nicht berühre und der Käufer somit zu seiner Leistung verpflichtet bleibe. 345 Oder man macht das Erlöschen des Gegenleistungsanspruchs wieder nur vom Bestehen des Rechts zur Vertragsaufhebung abhängig. Nach der oben vertretenen Ansicht müßte man auch hier sagen, daß sich die Frage des Fortbestehens bzw. des Erlöschens der Gegenleistungspflicht nach den allgemeinen Regeln zum Übergang der Preisgefahr (Art. 66 ff. CISG) richtet. 346 Es erscheint aber fraglich, ob im Rahmen von Art. 66 CISG überhaupt eine solche Abwägung der Ursachenanteile erfolgen kann. Dort wird die Einschränkung der angeordneten Rechtsfolge nämlich nicht wie bei Art. 80 CISG unter Verwendung des flexiblen Wortes „soweit" („to the extent / „dans la mesure ") eingeleitet, sondern sie erfolgt durch die starre Phrase „es sei denn" („unless " / „ä moins que"). Art. 66 CISG vermittelt geradezu den Eindruck, als könne der Untergang oder die Beschädigung der Ware immer nur ausschließlich auf das Verhalten des Verkäufers oder des Käufers oder eben keiner Partei zurückzuführen sein.
343
Tallon , in: Bianca/Bonell, Art. 80, Anm. 2.5. Siehe auch Magnus , in: Staudinger, Art. 80, Rn. 14; ähnlich nunmehr Stoll/ Gruber , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 80, Rn. 10. 345 Vgl. 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.d)bb), dort Fn. 326; siehe auch Reinhard , Die beiderseits zu vertretende Unmöglichkeit im Synallagma, S. 236. 344
Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.
130
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
Die Vorschriften zur Regelung der Preisgefahr sind demnach ganz offensichtlich nicht für die Fälle beiderseitiger Verursachung konzipiert. Insbesondere für Fälle, in denen der Verkäufer von seiner dauerhaft und objektiv unmöglichen Lieferpflicht befreit wird, lassen sie viel Raum für Spekulationen. Zum Problem der beiderseitigen Verursachung der Nichterfüllung werden im folgenden vier verschiedene Lösungsansätze dargestellt.
aa) Die Surrogationstheorie ohne Berücksichtigung der Verursachungsbeiträge (Methode 1) Entsprechend der Surrogations- oder Austauschtheorie ließe sich die Ansicht vertreten, daß die Art. 66 ff. CISG bei beiderseitiger Verursachung den nach Art. 53, 62 CISG bestehenden Gegenleistungsanspruch des Verkäufers unberührt lassen und der Käufer als Surrogat der unmöglich gewordenen Lieferung Schadensersatz in Höhe des vollen Werts der Leistung erhalte. 347 Dieser Lösung ist jedoch das bereits oben Ausgeführte entgegenzuhalten,348 wonach der Käufer im Falle kumulativer Verursachung nicht Schadensersatz in voller Höhe verlangen kann. Vielmehr ist, um eine Berücksichtigung der Verursachungsbeiträge zu gewährleisten, der Schadensersatzanspruch gemäß Art. 80 CISG um die Verursachungsquote des Käufers zu kürzen.
bb) Kürzung der Ansprüche auf Schadensersatz und Kaufpreiszahlung um die eigene Verursachungsquote (Methode 2) An den Gedanken der Kürzung anknüpfend, ließe sich vertreten, daß sowohl der Schadensersatzanspruch des Käufers als auch der Gegenleistungsanspruch des Verkäufers um die eigene Verursachungsquote zu kürzen seien. Zur Berechnung des Schadensersatzanspruchs wäre dann zunächst die Differenz zwischen dem Wert der Ware und dem vereinbarten Kaufpreis zu bilden 3 4 9 und 347 Zwar bringt die Differenztheorie die Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises zum Erlöschen und billigt dem Käufer statt dessen lediglich einen einheitlichen Schadensersatzanspruch zu, der nach der Differenz zwischen dem Wert der Leistung und dem Wert der Gegenleistung zu berechnen ist. Jedoch decken sich die mittels der Differenztheorie erzielten Ergebnisse mit denen der Surrogationstheorie. Unterschiede bestünden nur im Falle des Austauschs von Sachleistungen; da jedoch Tauschverträge nicht unter die Konvention fallen (vgl. Magnus, in: Staudinger, Art. 1, Rn. 30; Siehr, in: Honseil, Art. 2, Rn. 4; Ferrari, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 1, Rn. 30), ist von der Ergebniskongruenz beider Theorien auszugehen. 348 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.e). 349 Vgl. Magnus, in: Staudinger, Art. 74, Rn. 26: „Für die Ermittlung des Verlustes ist stets, wie auch Art. 75 und 76 zeigen, ein Vergleich zwischen zwei Vermögenslagen, damit eine Differenzrechnung ganz ähnlich der Differenzhypothese im deutschen Recht
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
131
dieser Differenzbetrag um die Verursachungsquote des Käufers zu kürzen. 350 Der Kaufpreiszahlungsanspruch wäre ebenfalls zu kürzen, und zwar um die Verursachungsquote des Verkäufers. Gegen eine solche Kürzung des Gegenleistungsanspruchs und damit gegen den gesamten Lösungsansatz spricht jedoch, daß Art. 66 CISG die starre Formulierung „es sei denn" („unless " / „a moins que") beinhaltet, welche im Unterschied zu Art. 80 CISG und der dortigen Verwendung des flexiblen Wortes „soweit" („to the extent / „dans la mesure ") keine Kürzung des Anspruchs erlaubt.
cc) Kürzung wechselseitiger Ansprüche auf Schadensersatz um die jeweilige Verursachungsquote (Methode 3) Man könnte daher der Ansicht sein, daß der Schadensersatzanspruch des Käufers nach der Differenzmethode zu berechnen sei. Für den Schadensersatzanspruch des Käufers würde dies gegenüber der zuvor genannten Lösung keinen Unterschied machen: es wäre zunächst die Differenz zwischen dem Wert der Ware und dem vereinbarten Kaufpreis zu bilden und sodann dieser Differenzbetrag um die Verursachungsquote des Käufers zu kürzen. 351 Die Berechnung nach der Differenzmethode hätte jedoch des weiteren das Erlöschen des Gegenleistungsanspruchs zur Folge. An die Stelle des erloschenen Zahlungsanspruchs könnte jedoch ein Schadensersatzanspruch des Verkäufers treten. Ein solcher Schadensersatzanspruch des Verkäufers ließe sich bei entsprechend extensiver Auslegung von Art. 60 CISG in der Verletzung der darin statuierten Pflicht des Käufers sehen, die Ware abzunehmen und alle von ihm zu erwartenden Mitwirkungshandlungen vorzunehmen. 352 Gerichtet wäre dieser Schadensersatzanspruch dann auf Ersatz des Schadens, der dem Verkäufer durch Verlust des Anspruchs auf Kaufpreiszahlung entsteht. Dieser in Höhe des vereinbarten Kaufpreises bestehende Schadensersatzanspruch des Verkäufers könnte dann erforderlich."; so auch Reinhart , Art. 74, Rn. 2; Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 74, Rn. 2; a.A. Honseil , SJZ 1992, 345, 362. 350 Ob sich eine solche Kürzung des Schadensersatzanspruchs aus Art. 77 Satz 2 CISG wegen Verstoßes gegen die dem Ersatzberechtigten obliegende Schadensminderungspflicht ergibt, ist umstritten; befürwortend: Schlechtriem , Internationales UNKaufrecht, Rn. 315, S. 203; Herber/Czerwenka, Art. 77, Rn. 2; ablehnend: Koziol, ZEuP 1998, 593, 594f.; Magnus , in: Honsell, Art. 77, Rn. 13; ders., in: Staudinger, Art. 77, Rn. 19: „Eine Schadensteilung unter Berücksichtigung der beiderseitigen [...] Ursachenbeiträge - wie in § 254 BGB oder § 1304 ABGB - sieht Art. 77 nicht vor". Die Kürzung des Schadensersatzanspruchs des Käufers ist deshalb nicht anhand von Art. 77 Satz 2 CISG zu begründen, sondern sie ergibt sich nach vorzugswürdiger Ansicht aus Art. 80 CISG; siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.e), dort Fn. 339. 351 Vgl. 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.e)aa), Fn. 347 sowie bb), Fn. 349, 350. 352 So Reinhard , Die beiderseits zu vertretende Unmöglichkeit im Synallagma, S. 239 und 251.
132
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
um den Verursachungsbeitrag des Verkäufers gekürzt werden. 353 Diese Lösung fußt auf demselben Gedanken wie die zweite Berechnungsmethode, nämlich der Kürzung wechselseitiger Ansprüche. Da der starre Wortlaut von Art. 66 CISG aber keine Kürzung des Kaufpreiszahlungsanspruchs erlaubt, wird der Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises schlichtweg in einen Schadensersatzanspruch umgedeutet, der wiederum eine Kürzung zuläßt. Gegen eine solche Lösung mit wechselseitigen Schadensersatzansprüchen, die jeweils um die eigene Verursachungsquote zu kürzen sind, spricht jedoch insbesondere, daß das Erlöschen des Gegenleistungsanspruchs nicht schlüssig anhand der Vorschriften des CISG hergeleitet 354 und der Verursachungsbeitrag des Käufers nicht per se als Verletzung der Pflichten aus Art. 60 CISG qualifiziert werden kann.
dd) Kürzung des Schadensersatzanspruchs um die Verursachungsquote des Käufers bei Fortbestand des ungekürzten Kaufpreiszahlungsanspruchs (Methode 4) Dogmatisch einwandfreier läßt sich das Problem lösen, indem man bei beiderseitiger Verursachung der Nichterfüllung den Gegenleistungsanspruch des Verkäufers (Art. 53, 62 CISG) in vollem Umfang, d.h. ungekürzt, bestehen läßt und den Schadensersatzanspruch des Käufers entsprechend der Surrogations- oder Austauschtheorie berechnet: Ausgangspunkt der Schadensberechnung ist dann der Wert der unmöglich gewordenen Lieferung, ohne Abzug der Gegenleistung, zuzüglich etwaiger Folgeschäden.355 Der so errechnete Betrag ist dann noch gemäß Art. 80 CISG um die Verursachungsquote des Käufers zu kürzen.
ee) Rechnerische Überprüfung der verschiedenen Lösungsansätze Von den vier geschilderten Methoden zur Lösung des Problems der beiderseitigen Verursachung der Nichterfüllung ist letztere aufgrund ihrer dogmati-
353 Zur dogmatischen Herleitung der Kürzung des Schadenersatzanspruchs, vgl. 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.e)bb), Fn. 350. 354 Lediglich für den Fall, daß der Ursachenbeitrag des Verkäufers deutlich jenen des Käufers überwiegt, scheint es gerechtfertigt, hinsichtlich des Kaufpreiszahlungsanspruchs die Rechtsfolge des Art. 80 CISG eintreten zu lassen, vgl. oben S. 67. 355 Dagegen wohl U.Huber, in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 199, 222: „ I m einheitlichen Kaufrecht ist die Austauschtheorie durch den Wortlaut des Gesetzes eindeutig ausgeschlossen worden".
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
133
sehen Herleitung vorerst zu befürworten. Inwiefern diese Methode auch die angemessensten Ergebnisse liefert, gilt es nun rechnerisch zu überprüfen: Angenommen, es wird (Spezies)Ware im Wert von 2.100,- Euro zu einem Preise von 1.500,- Euro verkauft, so macht der Verkäufer (V) bei ordnungsgemäßer Abwicklung des Vertrages einen Verlust und spiegelbildlich Käufer (K) einen Gewinn in Höhe von 600,- Euro. Wird die Lieferpflicht des Verkäufers dauerhaft und objektiv unmöglich, so erlischt sie. 356 Vom UN-Kaufrechtsübereinkommen mehr oder weniger eindeutig geregelt sind noch die Fälle der alleinigen Verursachung der Nichtlieferung durch den Verkäufer und der alleinigen Verursachung durch den Käufer: Hat V die dauerhafte und objektive Unmöglichkeit seiner Lieferpflicht alleine verursacht, so erlöschen die Primäransprüche auf Lieferung der Ware und auf Kaufpreiszahlung; 357 jedoch ist V in diesem Falle K gegenüber zum Ersatz des Schadens in Höhe des entgangenen Gewinns (600,- Euro) verpflichtet, so daß V insgesamt durch die von ihm verschuldete Zerstörung seiner Ware (im Wert von 2.100,- Euro) einen Vermögensverlust in Höhe von 2.700,- Euro erleidet. Hat demgegenüber K die Unmöglichkeit der Warenlieferung alleine verursacht, so bleibt es beim Fortbestehen des Kaufpreiszahlungsanspruchs, 358 so daß K einen Vermögensnachteil in Höhe des Kaufpreises (1.500,- Euro) erleidet und bei V ein Minus in Höhe von 600,- Euro zu verzeichnen ist. Insoweit gehen die vier geschilderten Ansichten zur beiderseitigen Verursachung der Nichterfüllung konform, betreffen sie doch nur die Fälle, die zwischen der alleinigen Verursachung durch den Verkäufer und der alleinigen Verursachung durch den Käufer liegen. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich bei Unmöglichkeit des Lieferanspruchs das Vermögen des V bestenfalls um 600,- Euro und im ungünstigsten Falle um 2.700,- Euro verringert und K bestenfalls ein Plus von 600,- Euro und schlimmstenfalls ein Minus von 1.500,- Euro zu verzeichnen hat. 359 Diese Vermögenslagen stellen die Eckdaten für die arithmetische Überprüfung der verschiedenen Lösungsansätze dar. Eine Methode zur Lösung des Problems der beiderseitigen Verursachung der Nichterfüllung müßte etwa dann als widersinnig und unangemessen qualifiziert werden, wenn sie bei einer lediglich anteilig
356
Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I.4. Die Lieferpflicht des Verkäufers erlischt de minore ad maius nach Art. 46 Abs. 1 CISG (siehe oben 4.TeiI l.Kap l.Abschn. C.I.4.). Das Erlöschen der Gegen leistungspflicht des Käufers ergibt sich im Umkehrschluß zu Art. 66 CISG unter Berücksichtigung des synallagmatischen Prinzips [siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c)]. 358 Das Fortbestehen des Kaufpreiszahlungsanspruchs ergibt sich auch aus Art. 66 CISG; siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c). 359 „Bestenfalls" meint dabei die Situation der alleinigen Verursachung der Nichterfüllung durch die andere Vertragspartei und „schlimmstenfalls" die Lage bei alleiniger Verursachung durch die betroffene Partei selbst. 357
134
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
verursachten Nichterfüllung dem Verursacher eine schlechtere Vermögenslage zuschreiben würde als die Vermögenslage, die bestehen würde, wenn er die Nichterfüllung alleine verursacht hätte. Den Eckdaten kommt jedoch über die Funktion als Ober- und Untergrenze für die zu bildenden Vermögenslagen eine weitaus größere Bedeutung zu. Unter der Prämisse, daß mit wachsendem Verursachungsanteil die Vermögenslage des Verursachers linear abnehmen soll (bzw. daß mit sinkendem Verursachungsanteil die Vermögenslage des Verursachers linear steigen soll), läßt sich mittels der Eckdaten sogar exakt die angemessene Vermögenslage bei den verschiedenen Verursachungsquoten bilden. Verursacht etwa V im genannten Beispiel die Unmöglichkeit zur Hälfte, so muß sich dessen Vermögenslage nach Saldierung aller bestehenden Ansprüche auf -1.650,- Euro belaufen; stellt dieser Betrag doch die exakte Mitte der Eckdaten von -2.700,- Euro und -600,- Euro dar. Trägt man für das genannte Beispiel die so für verschiedene Grade der Verursachung errechneten Ergebnisse zusammen, so ergibt sich folgende Bilanz der idealen Haftungsverteilung:
Warenwert
Kaufpreis
Verursachungsanteile
(in Euro)
(in Euro)
2.100,-
1.500,-
V: 100%
2.100,-
1.500,-
2.100,-
Vermögenslage
Vermögenslage
des V (in Euro) des K (in Euro) + 600,-
K: 0%
- 2.700,-
V: 9/10
K: 1/10
- 2.490,-
+ 390,-
1.500,-
V: 8/10
K: 2/10
- 2.280,-
+ 180,-
2.100,-
1.500,-
V: 7/10
K: 3/10
- 2.070,-
-30,-
2.100,-
1.500,-
V: 2/3
K: 1/3
- 2.000,-
- 100,-
2.100,-
1.500,-
V: 6/10
K: 4/10
- 1.860,-
- 240,-
2.100,-
1.500,-
V: 1/2
K: 1/2
- 1.650,-
- 450,-
2.100,-
1.500,-
V: 4/10
K: 6/10
- 1440,-
- 660,-
2.100,-
1.500,-
V: 1/3
K: 2/3
-1.300,-
- 800,-
2.100,-
1.500,-
V: 3/10
K: 7/10
- 1.230,-
- 870,-
2.100,-
1.500,-
V: 2/10
K: 8/10
- 1.020,-
- 1.080,-
2.100,-
1.500,-
V: 1/10
K: 9/10
-810,-
- 1.290,-
2.100,-
1.500,-
V: 0%
K: 100%
- 600,-
- 1500,-
Bei Erhöhung des Verursachungsanteils um 10% hat sich demnach die Vermögenslage des Verursachers um genau 210,- Euro zu verschlechtern. Zu diesen in der Tabelle niedergelegten Ergebnissen gelangt man auch mittels der zweiten, dritten und vierten Berechnungsmethode und zwar trotz der unterschiedlichen Vorgehensweisen innerhalb der Lösungsansätze. Demgegenüber
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
135
vermag die „Alles-oder-Nichts-Lösung" der ersten Berechnungsmethode keine solchen dezidierten Ergebnisse hervorzubringen. Bis auf den ersten Lösungsansatz liefern insoweit alle Methoden optimale Ergebnisse. Im Ausgangsbeispiel überstieg der Warenwert den Kaufpreis. In einem weiteren Schritt ist daher zu prüfen, ob die verschiedenen Lösungsansätze ebenfalls einer rechnerischen Überprüfung standhalten, wenn der Kaufpreis dem Warenwert entspricht oder diesen übersteigt. Für die nun folgende Ermittlung der idealen Haftungsverteilung sei daher angenommen, daß Waren im Wert von 1.500,- Euro zum Preise von 2.100,- Euro verkauft worden sind und die Lieferpflicht des Verkäufers dauerhaft und objektiv unmöglich ist. Auch hier sind zunächst wieder die Eckdaten zu ermitteln; diese ergeben sich aus den beiden Fallkonstellationen der jeweils alleinigen Verursachung durch den Verkäufer und der alleinigen Verursachung durch den Käufer: Hat V die dauerhafte und objektive Unmöglichkeit seiner Lieferpflicht alleine verursacht, so erlöschen die Primäransprüche auf Lieferung der Ware und auf Kaufpreiszahlung. 360 Da der Kaufpreis den Wert der Ware übersteigt, ergibt sich jedoch für K überhaupt kein ersatzfahiger Schaden. Von etwaigen Folgeschäden, die dann näher zu beziffern wären, sei an dieser Stelle abgesehen. Bei alleiniger Verursachung durch V bleibt somit die Vermögenslage des K unverändert und V erleidet einen Vermögensverlust in Höhe des Warenwertes (1.500,- Euro). Hat demgegenüber K die Unmöglichkeit der Warenlieferung alleine verursacht, so bleibt es beim Fortbestehen des Kaufpreiszahlungsanspruchs, 361 so daß K einen Vermögensnachteil in Höhe des Kaufpreises (2.100,- Euro) erleidet und bei V ein Vermögenszuwachs in Höhe von 600,- Euro zu verzeichnen ist. Die Eckdaten für die Vermögenslagen liegen somit in diesem Beispiel für V bei -1.500,- Euro und +600,- Euro und für K bei null Euro und -2.100,- Euro. Daraus errechnet sich folgende Tabelle für die ideale Haftungsverteilung:
360 Die Lieferpflicht des Verkäufers erlischt de minore ad maius nach Art. 46 Abs. 1 CISG (siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I.4.). Das Erlöschen der Gegenleistungspflicht des Käufers folgt aus dem Umkehrschluß zu Art. 66 CISG unter Berücksichtigung des synallagmatischen Prinzips [siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c)]. 361 Das Fortbestehen des Kaufpreiszahlungsanspruchs ergibt sich aus Art. 66 CISG; siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c).
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
136 Warenwert
Kaufpreis
Verursachungsariteile
(in Euro)
(in Euro)
1.500,-
2.100,-
V: 100%
1.500,-
2.100,-
1.500,-
Vermögenslage
Vermögenslage
des V (in Euro) des K (in Euro) K: 0%
- 1.500,-
+/- Null
V: 9/10
K: 1/10
- 1.290,-
-210,-
2.100,-
V: 8/10
K: 2/10
- 1.080,-
- 420,-
1.500,-
2.100,-
V: 7/10
K: 3/10
- 870,-
- 630,-
1.500,-
2.100,-
V: 2/3
K: 1/3
- 800,-
- 700,-
1.500,-
2.100,-
V: 6/10
K: 4/10
- 660,-
- 840,-
1.500,-
2.100,-
V: 1/2
K: 1/2
-450,-
- 1.050,-
1.500,-
2.100,-
V: 4/10
K: 6/10
- 240,-
- 1.260,-
1.500,-
2.100,-
V: 1/3
K: 2/3
-100,-
- 1.400,-
1.500,-
2.100,-
V: 3/10
K: 7/10
-30,-
- 1.470,-
1.500,-
2.100,-
V: 2/10
K: 8/10
+ 180,-
- 1.680,-
1.500,-
2.100,-
V: 1/10
K: 9/10
+ 390,-
- 1.890,-
1.500,-
2.100,-
V: 0%
K: 100%
+ 600,-
-2.100,-
Wie beim Ausgangsfall, gilt auch hier, daß sich bei einer Erhöhung des Verursachungsanteils um 10% die Vermögenslage des Verursachers um 210,- Euro zu verschlechtern hat. Zu demselben Ergebnis gelangt man nach der zweiten und dritten Berechnungsmethode. 362 Demgegenüber kommt die vierte Berechnungsmethode zu den in folgender Tabelle aufgeführten Ergebnissen.
362 Dies hängt damit zusammen, daß sich nach diesen beiden Lösungsansätzen aufgrund der Berechnung des Schadens nach der Differenztheorie und wegen des den Warenwert übersteigenden Kaufpreises bei K kein ersatzfähiger Schaden ergibt, der um die Verursachungsquote des K gekürzt werden könnte.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG) Warenwert (in Euro)
Kaufpreis (in Euro)
1.500,-
2.100,-
V: 100%
1.500,-
2.100,-
V: 9/10
1.500,-
2.100,-
1.500,-
137
Vermögenslage des V (in Euro)
Vermögenslage des K (in Euro)
- 1.500,-
+ / - Null
K: 1/10
- 750,-
- 750,-
V: 8/10
K: 2/10
- 600,-
- 900,-
2.100,-
V: 7/10
K: 3/10
- 450,-
- 1.050,-
1.500,-
2.100,-
V: 2/3
IC: 1/3
- 400,-
- 1.100,-
1.500,-
2.100,-
V: 6/10
K: 4/10
- 300,-
- 1.200,-
1.500,-
2.100,-
V: 1/2
K: 1/2
- 150,-
- 1.350,-
1.500,-
2.100,-
V: 4/10
K: 6/10
+ / - Null
- 1.500,-
1.500,-
2.100,-
V: 1/3
K: 2/3
+ 100,-
- 1.600,-
1.500,-
2.100,-
V: 3/10
K: 7/10
+ 150,-
- 1.650,-
1.500,-
2.100,-
V: 2/10
K: 8/10
+ 300,-
- 1.800,-
1.500,-
2.100,-
V: 1/10
K: 9/10
+ 450,-
- 1.950,-
1.500,-
2.100,-
V: 0%
K: 100%
+ 600,-
-2.100,-
Vemrsachiingsanteile K: 0%
Daß die vierte Berechnungsmethode unangemessene Ergebnisse liefert, offenbart sich insbesondere bei Vergleichen, die den Fall der alleinigen Verursachung der dauerhaft objektiven Unmöglichkeit durch V berücksichtigen. In diesem Fall erleidet V nämlich einen Vermögensverlust in Höhe von 1.500,- Euro und K macht weder Gewinn noch Verlust. 363 Nach der vierten Berechnungsmethode würde sich bereits bei Verursachungsanteilen von 90% bei V und 10% bei K der Vermögensverlust von V auf 750,- Euro halbieren und K müßte trotz seines geringen Verursachungsanteils bereits einen Vermögensverlust von 750,Euro hinnehmen. 364 Dies kann mitnichten als eine angemessene Lösung bezeichnet werden. Zur weiteren Veranschaulichung der Unangemessenheit dieses Lösungsansatzes dient der Vergleich mit den Ergebnissen der Tabelle für die optimale Haftungsverteilung. Die vierte Berechnungsmethode schreibt den Parteien etwa schon bei Verursachungsanteilen von 70% bei V und 30% bei K Vermögenslagen zu, die nach der Idealtabelle erst bei Verursachung zu gleichen Anteilen (jeweils 50%) eintreten sollen. 365
363
Vgl. Tabelle der vierten Berechnungsmethode, oberste Zeile. Vgl. Tabelle der vierten Berechnungsmethode, zweite Zeile von oben. 365 Vgl. Idealtabelle, siebte Zeile und Tabelle der vierten Berechnungsmethode, vierte Zeile von oben. 364
138
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
ff) Zusammenfassung zur beiderseitigen Verursachung der Nichterfüllung Die vierte Berechnungsmethode spiegelt sich am ehesten in den Vorschriften des Übereinkommens wider; sie liefert optimale Ergebnisse für den Fall, daß der Warenwert den Kaufpreis übersteigt. Sind Kaufpreis und Warenwert jedoch gleichwertig oder übersteigt der Kaufpreis den Wert der Ware, so sind optimale Ergebnisse nur nach dem zweiten und dem dritten Lösungsansatz zu erzielen. Obgleich gegen die zweite und die dritte Berechnungsmethode dogmatische Bedenken bestehen, sind diese Lösungsansätze im Falle beiderseitiger Verursachung der Unmöglichkeit der Lieferpflicht als universelle Formel zu favorisieren.
4. Die Haftungsausfüllung
(Art. 74 - 77 CISG)
Besteht ein Schadensersatzanspruch - etwa des Käufers nach Art. 45 Abs. 1 lit (b) CISG oder des Verkäufers gemäß Art. 61 Abs. 1 lit (b) CISG - so richten sich Umfang und Berechnung des Schadensersatzes für beide Parteien gleichermaßen nach den Art. 74 - 77 CISG. 3 6 6 Art. 74 CISG stellt dabei die Grundnorm zur Berechnung des Umfangs der Schadensersatzpflicht dar. 367 Art. 75 und 76 CISG enthalten Sondervorschriften für den Fall der Vertragsaufhebung, wobei Art. 75 CISG die Berechnung des Schadensersatzes für den Fall regelt, daß ein Deckungskauf oder -verkauf vorgenommen wurde, und Art. 76 CISG für den Fall, daß die Ware einen Marktpreis hat. 368 Art. 77 CISG statuiert die Pflicht des Gläubigers zur Schadensminderung. 369
a) Voraussetzungen der Schadensersatzpflicht Der nach Art. 74 CISG zu bemessende Ersatzanspruch setzt eine Vertragsverletzung voraus, ferner den Eintritt eines Schadens in der Person des Vertragspartners, außerdem den Kausalzusammenhang zwischen Vertragsverletzung und Schaden sowie die Vorhersehbarkeit des Schadens im Augenblick des Vertragsabschlusses als mögliche Folge der Vertragsverletzung. 370
366
Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Vor Art. 74, Rn. lf.; Saenger, in: Bamberger/ Roth, Art. 74, Rn. 1. 367 Magnus, in: Staudinger, Art. 74, Rn. 1; Achilles, Art. 74, Rn. 1. 368 Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 74, Rn. 4; Herber/Czerwenka, Vor Art. 74, Rn. 2. 369 Herber/Czerwenka, Vor Art. 74, Rn. 2; Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Vor Art. 74, Rn. 1. 370 Schönle, in: Honsell, Art. 74, Rn. 8; siehe auch Roßmeier, RIW 2000, 407, 410.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
139
aa) Vertragsverletzung An die Normen zum Anspruchsgrund anknüpfend, nämlich Art. 45 Abs. 1 lit (b) CISG und Art. 61 Abs. 1 lit (b) CISG, greift Art. 74 Satz 1 CISG als Voraussetzung für einen zu leistenden Schadensersatz das Erfordernis der Vertragsverletzung auf. 371 Die Vertragsverletzung braucht dabei nicht „wesentlich" im Sinne des Art. 25 CISG zu sein. 372 Schadensersatz ist damit im UNKaufrecht der Mindestbehelf, der bei jeder Vertragsverletzung - auch neben anderen Behelfen - gegeben ist. 373 Grundsätzlich muß die Vertragsverletzung allerdings bereits begangen worden sein, wenn sie zum Schadensersatz verpflichten soll. 3 7 4 Ausnahmsweise genügt in dem gesetzlich geregelten Ausnahmefall des Art. 72 CISG auch eine drohende Vertragsverletzung. 375 Aufgrund der Geltung des Garantiehaftungsprinzips im UN-Kaufrecht hängt die Schadensersatzpflicht nicht von einem Verschulden oder dessen Schwere ab. 3 7 6 Die Tatbestände der Art. 79 und 80 CISG eröffnen allerdings, wie gezeigt, 377 Möglichkeiten zur Haftungsentlastung.
bb) Schaden des Vertragspartners Als weitere Voraussetzung der Schadensersatzpflicht muß der Vertragspartner einen Schaden erlitten haben. Als ersatzfähigen Schaden definiert Art. 74 Satz 1 CISG den der anderen Partei infolge der Vertragsverletzung entstandenen Verlust, und zwar einschließlich des entgangenen Gewinns. Gegenstand des Schadensersatzanspruchs ist somit der gesamte Schaden, der durch die Vertragsverletzung entstanden ist. 378 Daraus folgt, daß der Gläubiger des Schadensersatzanspruchs wirtschaftlich in die Lage versetzt werden soll, in der er sich bei ordnungsgemäßer Pflichterfüllung befunden hätte. 379 Der Schuldner hat somit den Vermögenszustand herzustellen, der ohne die Vertragsverletzung bestehen würde. 380 Geschuldet wird damit Totalreparation. 381 Deutlicher als der 371 Achilles , Art. 74, Rn. 2; Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 74, Rn. 1; Asam/ Kindler , RIW 1989, 841. 372 Stoll/Gruber , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 74, Rn. 7; Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Vor Art. 74, Rn. 2. 373 Magnus , in: Staudinger, Art. 74, Rn. 8; Piltz, UN-Kaufrecht, Rn. 285, S. 72. 374 Herber/Czerwenka, Art. 74, Rn. 2; Achilles , Art. 74, Rn. 2. 375 Achilles , Art. 74, Rn. 2; Magnus , in: Staudinger, Art. 74, Rn. 10. 376 Siehe oben 3.Teil 3.Kap l.Abschn. 377 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.a). 378 Reinhart , Art. 74, Rn. 2; Herber/Czerwenka , Art. 74, Rn. 4. 379 Roßmeier , RIW 2000, 407, 408 links; Saenger , in: Bamberger/Roth, Art. 74, Rn. 2. 380 Herber/Czerwenka , Art. 74, Rn. 4; Reinhart , Art. 74, Rn. 2.
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
140
deutsche Text ergibt die englische Originalfassung („sum equal to the loss"), daß Ersatz nicht in Natur, sondern in Geld geschuldet wird. 3 8 2 Pönale oder präventive Zwecke, wie sie etwa „punitive" oder „exemplary damages" verfolgen, kennt das Schadensersatzrecht des CISG nicht. 383 Mögliche Formen eines infolge der Vertragsverletzung erlittenen Verlustes sind vielmehr der Nichterfüllungsschaden, etwaige Begleitschäden sowie schließlich die Folgeschäden der Vertragsverletzung. 384 Es macht demnach keinen Unterschied, ob die Vertragsverletzung einen unmittelbaren oder mittelbaren Schaden verursacht; 385 ersatzfahig sind in gleicher Weise Mangel- wie Mangelfolgeschäden. 386 Ausgenommen sind freilich nach Art. 5 CISG die durch die Ware verursachten Personenschäden.387
cc) Kausalzusammenhang zwischen Vertragsverletzung und Schaden Art. 74 Satz 1 CISG verpflichtet zum Ersatz des infolge der Vertragsverletzung entstandenen Verlustes, setzt also eine Kausalverknüpfung zwischen der Vertragsverletzung und dem Schaden voraus. 388 Es genügt, daß die Vertragsverletzung eine bloße Bedingung für den Eintritt des Verlustes ist („conditio sine qua non"-Formel bzw. „but-for" rule). 389 Weitere Beschränkungen des Kausalzusammenhangs, etwa nach der Adäquanztheorie oder über die Lehre vom Schutzzweck der Norm, sind international nicht anerkannt und auch nicht erforderlich. 390 Die notwendige Beschränkung der Kausalität ergibt sich nämlich alleine aus der Vorhersehbarkeitsregel des Art. 74 Satz 2 CISG: 3 9 1
381
Rn. 19. 382
Lüderitz/Dettmeier,
in: Soergel, Art. 74, Rn. 2; Magnus, in: Staudinger, Art. 74,
Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 74, Rn. 24; Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 74, Rn. 2. 383 Magnus, in: Staudinger, Art. 74, Rn. 17; Schönle, in: Honsell, Art. 74, Rn. 10. 384 Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 74, Rn. 13ff.; Achilles, Art. 74, Rn. 4. 385 Schönle, in: Honsell, Art. 74, Rn. 13; Herber/Czerwenka, Art. 74, Rn. 5. 386 Reinhart, Art. 74, Rn. 3; Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 74, Rn. 4. 387 Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 74, Rn. 10; Magnus, in: Staudinger, Art. 74, Rn. 45. 388 Magnus, in: Staudinger, Art. 74, Rn. 28; Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Vor Art. 74, Rn. 6. 389 Schönle, in: Honsell, Art. 74, Rn. 21; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 74, Rn. 23. 390 Achilles, Art. 74, Rn. 5: Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 300, S. 194. 391 Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Vor Art. 74, Rn. 6; Piltz, UN-Kaufrecht, Rn. 293, S. 74.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
141
dd) Vorhersehbarkeit des Schadens Die strenge Garantiehaftung des Schuldners für das im Vertrag abgegebene Leistungsversprechen wird im UN-Kaufrecht schon bei der Haftungsbegründung durch die Entlastungstatbestände der Art. 79 und 80 CISG aufgelockert und erfährt darüber hinaus eine Milderung bei der Haftungsausfüllung durch die Begrenzung des Ersatzes auf den voraussehbaren Schaden gemäß Art. 74 Satz 2 CISG. Nach dieser Vorhersehbarkeitsregel (contemplation rule) sind nämlich nur solche Verluste zu ersetzen, welche die Vertragsbrüchige Partei als mögliche Folge der Vertragsverletzung vorausgesehen hat oder hätte voraussehen müssen. 392 Damit und mit den ergänzenden Regeln in Art. 75 und 76 CISG hat das Wiener Kaufrecht im Kern die Schadensberechnungsregeln übernommen, die im englischen Leitfall Hadley v. Baxendale 393 festgelegt wurden und bis heute praktisch im gesamten Bereich des Common Law anerkannt sind. 394 Der Grundgedanke des Voraussehbarkeitskonzepts stammt hingegen aus Art. 1150 des französischen Code civil, 3 9 5 war von dort nach Louisiana und in das Lehrbuch des Amerikaners Sedgwick gelangt, auf das sich Baron Alderson in Hadley v. Baxendale bezog, und ist schließlich von Ernst Rabel für die Entwürfe zum Einheitskaufrecht 396 fruchtbar gemacht worden. 397 Trotz ihrer großen Popularität läuft die Vorhersehbarkeitsregel jedoch in zweifacher Hinsicht Gefahr, mißverstanden zu werden. Zum einen darf die Vorhersehbarkeit des Schadens nicht mit der Vorhersehbarkeit der Leistungsstörung verwechselt werden. 398 Die Voraussehbarkeit des Art. 74 Satz 2 CISG bezieht sich allein auf die Schadensfolge als eine bei Vertragsschluß abschätz392
Herber/Czerwenka , Art. 74, Rn. 10; Reinhart , Art. 74, Rn. 6; Magnus ., in: FS Herber, S. 27, 29. 393 (1854) 9 Exch. 341; vgl. Birks , English Private Law, Volume II, Rn. 18.33, S. 826ff.; Samuel , Sourcebook on Obligations and Legal Remedies, S. 193ff.; Markes in is/Deakin , Tort Law, S. 201. 394 Lüderitz/Dettmeier , in: Soergel, Art. 74, Rn. 13; Magnus , in: Staudinger, Art. 74, Rn. 31. 395 In ähnlicher Form findet sich diese Schadensbegrenzungsregel in Art. 1225 des italienischen codice civile. 396 Vgl. Art. 85 des Kaufrechtsentwurfs von 1939; Art. 82 EKG; Art. 55 des Genfer Entwurfs von 1976; Art. 56 des Wiener Entwurfs von 1977; Art. 70 des New Yorker Entwurfs von 1978. 397 Magnus , in: Staudinger, Art. 74, Rn. 5; Schlechtriem , Internationales UNKaufrecht, Rn. 302, S. 194f. 398 So jedoch die allgemein als falsch empfundene Entscheidung des LG Duisburg vom 16.7.1976 (abgedruckt in RIW 1977, S. 424), wonach die Vorhersehbarkeit verneint und infolgedessen Schadensersatz nach dem EKG deshalb verweigert wurde, weil der Mangel der verkauften Äpfel für den Verkäufer nicht erkennbar gewesen sei; vgl. Stoll/Gruber , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 74, Rn. 39; Herber/Czerwenka , Art. 74, Rn. 10; Faust , Vorhersehbarkeit des Schadens, S. 4, 10f., 28.
142
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
bare Konsequenz einer möglichen Pflichtverletzung, für die sich der Schuldner nicht gemäß Art. 79, 80 CISG entlasten kann. 399 Zum anderen bedeutet Voraussehbarkeit im Sinne des Art. 74 Satz 2 CISG nicht, daß die Vertragsbrüchige Partei die Folgen des Vertragsbruches verschuldet haben muß. 400 Ob die Vertragsbrüchige Partei die Vertragsverletzung verschuldet hat und welchen Grad dieses Verschulden hat, ist unerheblich. 401 Art. 74 Satz 2 CISG bestimmt den Vertragsschluß als maßgebenden Zeitpunkt, zu dem das mögliche Haftungsrisiko erkennbar sein muß.
b) Schadensberechnung Zu berechnen ist der Schaden im Grundsatz konkret. 402 Dies bedeutet, daß der Gläubiger seinen Schaden Punkt für Punkt darzulegen und zu beweisen hat. 403 Wenn die ersatzberechtigte Partei am Vertrag festhält und neben dem Erfullungsanspruch aus Art. 46 CISG den ihr durch die Vertragsverletzung entstandenen Schaden ersetzt verlangt, dann kommt nur die konkrete Schadensberechnung nach Maßgabe des Art. 74 CISG in Betracht. 404 Da die Rechtsbehelfe der Vertragsaufhebung und des Schadenersatzes im UN-Kaufrecht unabhängig voneinander bestehen, können sie auch nebeneinander ausgeübt werden. 405 Ist dies der Fall, kombiniert der Ersatzberechtigte also die Rechtsbehelfe der Vertragsaufhebung und des Schadenersatzes, so stellen die Art. 75 und 76 CISG Sonderregelungen auf. 406 Art. 75 CISG betrifft den Fall, daß der Vertrag aufgehoben ist und der Käufer ein Deckungsgeschäft vorgenommen hat; Art. 75 CISG erleichtert dann die konkrete Berechnung des Schadens in der Weise, daß ohne weiteres die Preisdifferenz zwischen Kaufvertrag und Deckungsgeschäft ersatzfähig ist. 4 0 7 Ist hingegen der Vertrag aufgehoben, kein Deckungsgeschäft nach Art. 75 CISG durchgeführt und hat die Ware einen Marktpreis, dann läßt 399
Schönle, in: Honsell, Art. 74, Rn. 22; Magnus, in: Staudinger, Art. 74, Rn. 32. Stoll, in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 257, 260; Herber/Czerwenka, Art. 74, Rn. 11; siehe auch Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 74, Rn. 23. 401 Herber/Czerwenka, Art. 74, Rn. 11; Magnus, in: Staudinger, Art. 74, Rn. 32. 402 Achilles, Art. 74, Rn. 6; Stoll/Gruber, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 74, Rn. 29. 403 Magnus, in: Staudinger, Art. 74, Rn. 25; Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 74, Rn. 22. 404 Roßmeier, RIW 2000, 407, 408 rechts; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 301, S. 194. 405 Vgl. Art. 45 Abs. 2 und 61 Abs. 2 CISG. 406 Piltz, UN-Kaufrecht, Rn. 292, S. 74; Roßmeier, RIW 2000, 407, 408 rechts. 407 Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 75, Rn. 1; Magnus, in: Staudinger, Art. 75, Rn. 1. 400
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
143
Art. 76 CISG ausnahmsweise eine abstrakte Schadensberechnung zu. 4 0 8 In diesem Fall soll es dem Geschädigten erlaubt sein, seinen Schaden unter Berücksichtigung gewisser Vergleichbarkeitskorrekturen einfach nach der Differenz zwischen Markt- und Vertragspreis zu bemessen.409 Schließlich statuiert Art. 77 CISG die Pflicht des Ersatzberechtigten zur Schadensminderung. Kommt die Partei, die sich auf eine Vertragsverletzung beruft, dieser Pflicht nicht nach, so muß sie damit rechnen, daß sie ihren aus der Vertragsverletzung entstandenen Verlust nicht in vollem Umfang ersetzt bekommt. 410
c) Die Haftungsausfiillung bei Unmöglichkeit des Lieferanspruchs Ist die Lieferung der Ware unmöglich, so begeht der Verkäufer durch seine Nichtlieferung eine Vertragsverletzung. Kann er sich hierfür nicht gemäß Art. 79 oder 80 CISG entlasten, so haftet er. Zur Ermittlung des Haftungsumfangs spielt die Unmöglichkeit als solche keine Rolle. Der Verkäufer muß die Unmöglichkeit weder vorhergesehen noch verschuldet haben. 411 Vielmehr ist nach Art. 74 CISG entscheidend, ob der Verkäufer den beim Käufer eingetretenen Verlust bei Vertragsschluß als mögliche Folge einer etwaigen Nichtlieferung vorausgesehen hat oder hätte voraussehen müssen. Hierfür gilt folgendes: Der unmittelbar aus der Nichterfüllung folgende Schaden ist als mögliche Konsequenz einer Vertragsverletzung in der Regel voraussehbar. 412 Daher kann der Käufer bei Nichtlieferung immer Ersatz des objektiven Warenwerts fordern; dies gilt auch dann, wenn mangels Marktpreises eine abstrakte Berechnung ausscheidet oder wenn ein Deckungsgeschäft im Einzelfall nicht möglich wäre. 413 Darüber hinaus ist auch der aus einem Weiterverkauf entgangene übliche Gewinn oder ein durch die Nichtlieferung entstehender Produktionsausfall zu ersetzen, wenn die Ware weiterverkauft oder zur Produktion eingesetzt werden sollte. 414 Entferntere Schäden, insbesondere Mangelfolgeschäden, die dem Käufer bei Nichtlieferung etwa durch Beschädigung seines geschäftlichen Rufs und
408 409
rechts. 410
Herber/Czerwenka , Art. 76, Rn. 2; Saenger , in: Bamberger/Roth, Art. 76, Rn. 3. Achilles, Art. 76, Rn. 1; Reinhart , Art. 76, Rn. 3; Roßmeier , RIW 2000, 407, 409
Reinhart, Art. 77, Rn. 2; Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 77, Rn. 9. Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.4.a)dd). 412 Magnus , in: Staudinger, Art. 74, Rn. 40; Stoll/Gruber , in: Schlechtriem/ Schwenzer, Art. 74, Rn. 41. 4,3 Schlechtriem , Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 303, S. 196. 414 Herber/Czerwenka , Art. 74, Rn. 11 \Schönle, in: Honsell, Art. 74, Rn. 29. 411
144
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
das Abspringen von Kunden drohen (sog. good will Schaden), sind nur unter besonderen Umständen zu ersetzen. 415
5. Stellungnahme Schadensersatz bis zur Grenze der Vorhersehbarkeit des Schadens und eine einheitlich konzipierte Entlastungsmöglichkeit bei unbeherrschbaren Leistungshindernissen sind das institutionelle Kernstück des UN-Kaufrechtsübereinkommens. Die hierzu einschlägigen Vorschriften des Übereinkommens sind knapp und auslegungsbedürftig. 416 Dadurch wird einerseits die für ein internationales Abkommen so wichtige Verständlichkeit gewährleistet. Dort wo der internationale Gesetzgeber generalklauselartige Formulierungen verwendet, läuft er jedoch andererseits Gefahr, dem Ziel der Kaufrechtsvereinheitlichung entgegenzuwirken. Damit legt der Gesetzgeber nämlich die Ausbildung einheitlichen Rechts in die Hand des nationalen Richters. Für die nationalen Gerichte besteht die Schwierigkeit insbesondere darin, eine weit gefaßte Rechtsnorm im Einzelfall zu konkretisieren und dabei die Rechtseinheit zu gewährleisten. 417 Für das UN-Kaufrechtsübereinkommen mag man diesen Drahtseilakt bereits bewältigt sehen. Für eine Europäische Kodifikation wäre jedenfalls eine höhere Regelungsdichte bei den Regeln zum Schadensersatz zu befürworten.
IV. Das Recht zur Vertragsaufhebung Während die Art. 81 - 84 CISG lediglich die Wirkungen der Vertragsaufhebung regeln, ergibt sich die Befugnis zur Vertragsaufhebung für den Käufer aus Art. 49 CISG (bei wesentlicher Vertragsverletzung oder bei erfolgloser Nachfristsetzung) und Art. 51 CISG (bei Teillieferungen), für den Verkäufer aus Art. 64 CISG (als Korrelat zu Art. 49 CISG) und für beide Teile nach Art. 72 CISG (bei antizipierter Vertragsverletzung) sowie aus Art. 73 CISG (im Rahmen des Sukzessivlieferungsvertrages). 418 Art. 26 CISG ergänzt diese besonde-
415
S. 19ff. 416
Zum Meinungsstand in Lit. und Rspr. vgl. Faust, Vorhersehbarkeit des Schadens,
Stoll, in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 257, 281. 417 So schon König zum EKG, in: v. Caemmerer-FS, S. 75, 122. 418 Herber/Czerwenka, Vor Art. 81, Rn. 2; Hornung, in: Schlechtriem/Schwenzer, Vor Art. 81-84, Rn. 3.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
145
ren Aufhebungstatbestände um das Erfordernis einer nicht zugangsbedürftigen und auch an keine bestimmte Form gebundenen Aufhebungserklärung. 419
/. Die Aufhebungsbefugnis
bei Unmöglichkeit des Lieferanspruchs
Bei Unmöglichkeit des Lieferanspruchs kommt es insbesondere auf den Aufhebungstatbestand des Art. 49 CISG an; daneben können die Tatbestände der Art. 72 und 73 CISG eine Rolle spielen.
a) Die Vertragsaufhebung durch den Käufer nach Art. 49 CISG Art. 49 Abs. 1 CISG bietet dem Käufer zwei Grundlagen für eine Vertragsaufhebung: Liegt eine wesentliche Vertragsverletzung im Sinne von Art. 25 CISG vor, kann der Käufer den Vertrag stets nach Art. 49 Abs. 1 lit (a) CISG aufheben. 420 Zur Vertragsaufhebung ist der Käufer aber gemäß Art. 49 Abs. 1 lit (b) CISG auch dann berechtigt, wenn der Verkäufer trotz Nachfrist nicht liefert oder die Lieferung innerhalb der gesetzten Nachfrist ausdrücklich ablehnt. 421
aa) Wesentliche Vertragsverletzung Die in Art. 49 Abs. 1 lit (a) CISG vorausgesetzte wesentliche Vertragsverletzung ist in Art. 25 CISG definiert, 422 der zu Beginn dieses Abschnitts bereits eingehend analysiert worden ist. 423 Daher kann bezüglich der Frage des Gewichts einer Vertragsverletzung bei nachträglicher Unmöglichkeit auf die Ausfuhrungen von oben verwiesen werden. 424 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Wesentlichkeitsschwelle des Art. 25 CISG bei endgültiger objektiver Unmöglichkeit stets und bei faktischer Unmöglichkeit in der Regel erreicht sein wird; dagegen kann bei lediglich vorübergehender Unmöglichkeit oder bei
419
Karollus , in: Honseil, Art. 26, Rn. lff.; Magnus , in: Staudinger, Art. 26, Rn. lff. Lüderitz/Schüßler-Langeheine , in: Soergel, Art. 49, Rn. 2; Schmidt-Kessel , RIW 1996, 60, 63 links. 421 Magnus , in: Staudinger, Art. 49, Rn. 2; ders, JuS 1995, 870 rechts: P.Huber/Kröll, IPRax 2003, 309, 313. 422 Herber/Czerwenka, Art. 49, Rn. 4; Lüderitz/Schüßler-Langeheine , in: Soergel, Art. 49, Rn. 2. 423 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. B. 424 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. B.III. 420
146
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
bloßem Unvermögen nicht per se auf eine wesentliche Vertragsverletzung geschlossen werden. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine wesentliche Vertragsverletzung vorliegt, handelt der Käufer auf eigenes Risiko. Nimmt er zu Unrecht Wesentlichkeit an und erklärt er deswegen die Vertragsaufhebung, so kann er später im Prozeß vom Gericht am Vertrage festgehalten werden. 425 Der Käufer sollte deshalb bei Zweifeln stets eine Nachfrist setzen, um sich sein Aufhebungsrecht zu sichern. 426
bb) Nachfristsetzung bei Nichtlieferung Der Käufer kann den Vertrag nach Art. 49 Abs. 1 lit (b) CISG aufheben, wenn der Verkäufer trotz ordnungsgemäßer Nachfrist (Art. 47 Abs. 1 CISG) nicht liefert oder eine Lieferung innerhalb der Nachfrist ablehnt. 427 Durch den fruchtlosen Nachfristablauf erspart sich der Käufer den Wesentlichkeitsbeweis nach Art. 49 Abs. 1 lit (a) CISG. 4 2 8 Auf diese Weise können im Rahmen der Vertragsaufhebung gewöhnliche Vertragsverletzungen wie etwa die Nichtlieferung der Ware aufgrund bloßen Unvermögens zu wesentlichen Vertragsverletzungen aufgewertet werden. 429 Die Möglichkeit, mittels Nachfristsetzung zu einem Aufhebungsrecht zu kommen, ist für den Käufer aber gemäß Art. 49 Abs. 1 lit (b) CISG auf den Fall der „Nichtlieferung" beschränkt. Voraussetzung ist somit, daß der Verkäufer seine Pflicht zur Lieferung, so wie durch Art. 31 CISG oder besondere Regelung im Kaufvertrag bestimmt ist, nicht bis zu dem in Art. 33 CISG vorgesehenen Zeitpunkt bewirkt hat. 430 Für den Fall der ausbleibenden Lieferung aufgrund von Unmöglichkeit ist diese Voraussetzung jedenfalls erfüllt, so daß eine
425 Herber/Czerwenka, Art. 49, Rn. 6; Müller-Chen, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 49, Rn. 13; v. Hoffmann, in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 293, 300. 426 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. B.IV. 427 Wenn der Verkäufer vor Fälligkeit definitiv erklärt, daß er weder jetzt noch später liefern werde, dann ist darin auch ohne Nachfristsetzung eine wesentliche Vertragsverletzung im Sinne von Art. 49 Abs. 1 lit (a), 25 CISG zu sehen, so daß im Falle der Erfullungsverweigerung durch den Verkäufer dem Käufer in jedem Fall ein Aufhebungsrecht zusteht; vgl. Magnus, in: Staudinger, Art. 49, Rn. 13, 21. 428 Achilles, Art. 49, Rn. 3; Lüder itz/Schüßler-Langeheine, in: Soergel, Art. 49, Rn. 8. 429 Reinhart, Art. 49, Rn. 7; Leser, in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 225, 231. 430 Schnyder/Straub, in: Honsell, Art. 49, Rn. 96ff.; Müller-Chen, in: Schlechtriem/ Schwenzer, Art. 49, Rn. 15.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
147
„Nichtlieferung" im Sinne von Art. 49 Abs. 1 lit (a) CISG gegeben und dem Käufer der Weg zur Vertragsaufhebung über die Nachfristsetzung eröffnet ist.
b) Vorzeitige Vertragsaufhebung nach Art. 72 CISG Ist bereits vor Fälligkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit absehbar, daß der Verkäufer eine wesentliche Vertragsverletzung begehen wird, dann gewährt Art. 72 Abs. 1 CISG dem Käufer das Recht zur vorzeitigen Vertragsaufhebung. 431 Dies ist etwa denkbar für den Fall, daß der zu liefernde Speziesgegenstand vor Fälligkeit zerstört wird.
c) Die Aufhebung eines Sukzessivlieferungsvertrages, Art. 73 CISG Art. 73 CISG enthält eine Sonderregelung für die Aufhebung von Sukzessivlieferungsverträgen. 432 Nach Art. 73 Abs. 1 CISG kann bei Verträgen, die aufeinanderfolgende Lieferungen von Waren vorsehen, das Recht des Käufers zur Aufhebung des Vertrages wegen einer wesentlichen Vertragsverletzung des Verkäufers grundsätzlich nur für die Teillieferung geltend gemacht werden, bei der die wesentliche Vertragsverletzung auftritt. 433 Art. 73 Abs. 2 CISG gestattet aber die Aufhebung des gesamten Sukzessivlieferungsvertrags für die Zukunft (ex-nunc-Wirkung) und damit für alle künftigen Teillieferungen, wenn Erfüllungsmängel bei einer Teillieferung die Annahme künftiger wesentlicher Vertragsverletzungen begründen. 434 Nach Art. 73 Abs. 3 CISG kann der Käufer den Gesamtvertrag inklusive seiner schon erfüllten Teile aufheben (ex-tuncWirkung), wenn wegen des Zusammenhangs der Lieferungen der Zweck des Gesamtvertrages nicht mehr erreicht werden kann. 435 Ein solcher Zusammenhang ist beispielsweise anzunehmen, wenn die einheitliche Materialversorgung bei der Herstellung eines Bauwerks oder bei dem Bau einer Anlage nur durch den Verkäufer möglich ist und dessen Fabrik vor der letzten Teillieferung niederbrennt und auch nicht wieder aufgebaut werden kann. 436 Hier wird durch die 431
Siehe oben 4.Teii l.Kap l.Abschn. C.III.2. Die Gefahr, daß dem Schuldner die zu erbringende Leistung unmöglich wird, ist bei dem auf Dauer angelegten Sukzessivlieferungsvertrag vergleichsweise groß, vgl. v. Scheven , Sukzessivlieferungsvertrag, S. 141. 433 Lüderitz/Dettmeier , in: Soergel, Art. 73, Rn. 5f.; Lohs/Nolting , ZVglRWiss 97 (1998), 4, 26. 434 Magnus , in: Staudinger, Art. 73, Rn. 2; Schlechtriem , Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 194, S. 127. 435 Achilles , Art. 73, Rn. 7; Lüderitz/Dettmeier , in: Soergel, Art. 73, Rn. 12f. 436 Vgl. Hornung , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 73, Rn. 32; Herber/Czerwenka , Art. 73, Rn. 6. 432
148
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
Unmöglichkeit der letzten Teillieferung(en) der gesamte Sukzessivlieferungsvertrag direkt gestört, so daß der Käufer ihn gemäß Art. 73 Abs. 3 CISG mit Wirkung „ex tunc" aufheben kann.
d) Zusammenfassung zu den Aufhebungsvoraussetzungen Die Analyse der Art. 49, 72 und 73 CISG hat gezeigt, daß die Unmöglichkeit als Ursache der Nichtlieferung nicht zwangsläufig mit einem Vertragsaufhebungsrecht des Käufers korrespondiert. Durch das Erfordernis der wesentlichen Vertragsverletzung wird der Weg zur Vertragsaufhebung erheblich eingeschränkt. Die Nachfristregelung, welche aus dem deutschen Handelsrecht des 19. Jahrhunderts stammt, 437 eröffnet zwar einen zusätzlichen Weg zur Vertragsaufhebung. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, daß im UN-Kaufrecht die Nachfristsetzung als Mittel zur Aufwertung von bloßen Vertragsstörungen zu wesentlichen Vertragsverletzungen auf den Fall der „Nichtlieferung" beschränkt ist. Bei mangelhafter Lieferung kann, anders als noch im Haager EKG, durch eine Nachfrist kein Aufhebungsgrund geschaffen werden. 438 Die Voraussetzungen der Vertragsaufhebung müssen daher als „streng" qualifiziert werden. Damit spiegelt das CISG die international in fast allen Rechtsordnungen zu beobachtende Tendenz wider, den Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung so weit wie möglich zurückzudrängen, ihn zum ultima-ratioRechtsbehelf zu machen. 439 Diese Tendenz des UN-Kaufrechtsübereinkommens, trotz auftretender Leistungsstörungen, den Vertrag so weit wie möglich zu erhalten, erklärt sich aus den Problemen, die sich bei der Rückabwicklung eines internationalen Kaufvertrages stellen: seien es die hohen Kosten des grenzüberschreitenden Rücktransportes oder das Problem der Überprüfung des auf diese Distanz geltend gemachten Erfiillungsmangels. 440
437 U.Huber, Leistungsstörungen II, S. 184f.; Leser, in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 225, 231; RabeL RabelsZ 9 (1935), 1, 68; ders., RabelsZ 17 (1952), 212, 219f. 438 Herber/Czerwenka, Art. 49, Rn. 7; Magnus, in: Staudinger, Art. 49, Rn. 21. 439 Magnus, in: Staudinger, Art. 7, Rn. 49; Schny der/Straub, in: Honseil, Art. 45, Rn. 32; Kappus, NJW 1994, 984; P.Huber, Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung, S. 96; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 188, S. 123. 440 Schnyder/Straub, in: Honseil, Art. 45, Rn. 31; Kappus, NJW 1994, 984.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG) 2. Die Wirkungen der Vertragsaufhebung
149
(Art. 81 - 84 CISG)
Die Art. 81 - 84 CISG enthalten einheitliche Vorschriften zur Durchfuhrung und zu den Rechtsfolgen einer Vertragsaufhebung. 441 Geregelt wird vor allem die Rückgabepflicht (Art. 81 CISG), und zwar auch für den Fall, daß die Ware nicht mehr zurückgegeben werden kann (Art. 82 und 83 CISG). 442 Darüber hinaus enthält Art. 84 CISG eine Bestimmung darüber, wie Vorteile aus der Kaufsache bzw. aus dem empfangenen Kaufpreis (z.B. Zinsen) auszugleichen sind. 443
a) Erlöschen der Leistungspflichten und Rückgabe des Geleisteten (Art. 81 CISG) Die Vertragsaufhebung befreit gemäß Art. 81 Abs. 1 S. 1 CISG beide Parteien von ihren Vertragspflichten. Es entfallen also die Pflicht zur Lieferung und zur Zahlung sowie die für ihre Erfüllung vereinbarten oder notwendigen Nebenpflichten. 444 Eine Verletzung dieser Pflichten und daraus folgende Schadensersatzansprüche sind dann nicht mehr möglich. 445 Jedoch bestehen nach Art. 81 Abs. 1 S. 1 und 2 CISG die bereits vor Vertragsaufhebung begründeten Schadensersatzpflichten, 446 auf die Streitbeilegung bezogene Vertragsvereinbarungen sowie sonstige, für den Fall der Vertragsaufhebung getroffene Bestimmungen fort. Nach Art. 81 Abs. 2 S. 1 CISG sind die Parteien ferner zur Rückgewähr der erbrachten Leistungen verpflichtet. Dabei ordnet Art. 81 Abs. 2 S. 2 CISG ausdrücklich an, daß wechselseitige Rückgewähransprüche nur Zug um Zug zu erfüllen sind. Die Vertragsaufhebung führt damit nicht zu einer Beseitigung des Vertrages, sondern nur zur einer Veränderung der wesentlichen Vertragspflichten im weiter bestehenden Vertragsrahmen. 447 Statt auf Austausch der versprochenen 441
Achilles , Art. 81, Rn. 1; Weber , in: Honseil, Vorbem. Art. 81-84, Rn. 1. Reinhart, Abschnitt V (Vor Art. 81-84), Rn. 1; Magnus , in: Staudinger, Vor Art. 81ff, Rn. 3f. 443 Herber/Czerwenka , Art. 84, Rn. 2; Hornung, in: Schlechtriem/Schwenzer, Vor Artt. 81-84, Rn. 13. 444 Hornung , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 81, Rn. 8; Herber/Czerwenka , Art. 81, Rn. 2. 445 Magnus , in: Staudinger, Art. 81, Rn. 5: Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 81, Rn. 3. 446 Nach der Vertragsaufhebung können neue Schadensersatzansprüche nur noch aus der Verletzung solcher Pflichten folgen, die bestehen geblieben sind, vgl. Magnus , in: Staudinger, Art. 81, Rn. 7. 447 Leser , in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 225, 238f.; Schlechtriem , Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 330, S. 213. 442
150
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
Leistungen ist das Vertragsverhältnis nunmehr auf Rückabwicklung gerichtet. 448 Es tritt somit eine „Umsteuerung" des Vertragsverhältnisses ein. 4 4 9 Die im CISG verwandte Formulierung „Vertragsaufhebung" ist insofern nicht ganz treffend. 450
b) Unmöglichkeit unveränderter Warenrückgabe (Art. 82 f. CISG) Die Rückabwicklung ist meist Reaktion auf eine Störung des Vertrages; sie kann aber auch selbst gestört sein. 451 Dementsprechend kann nicht schon die Lieferung der Ware, sondern erst ihre Rückgabe von der Leistungsstörung der Unmöglichkeit betroffen sein. Art. 82 Abs. 1 CISG schließt das Aufhebungsrecht des Käufers aus, wenn er die Ware nicht in einem im wesentlichen vergleichbaren Bestand und Zustand zurückgeben kann, in welchem er sie einmal empfangen hat. 452 Eine solche Unmöglichkeit der Warenrückgabe ist anzunehmen im Falle des Untergangs, der Zerstörung oder Beschädigung der Ware, aber auch bei Verlust der Sache durch Diebstahl. 453 Trotz Unmöglichkeit der Rückgewähr im ursprünglichen Zustand kann der Käufer den Vertrag allerdings aufheben, wenn eine der Ausnahmen von Art. 82 Abs. 2 CISG vorliegt: Dem Käufer bleibt der Aufhebungsanspruch nach Art. 82 Abs. 2 lit (a) CISG erhalten, wenn ihm die Rückgabe der unversehrten Ware nicht durch eine eigene Handlung oder Unterlassung unmöglich geworden ist. Diese allgemeine Regel, die Ernst Rabel aus dem französischen Recht entnommen und später in das Einheitskaufrecht eingeführt hat, ist im Grunde nicht sehr aussagekräftig. 454 Der Terminus „durch eine Handlung oder Unterlassung" ist nämlich zu weit gefaßt. Da bereits in der Warenannahme eine naturwissenschaftlich kausale Handlung des Käufers für eine etwaig folgende Unmöglichkeit der Warenrückgabe zu sehen ist, gebietet sich im Rahmen von Art. 82 Abs. 2 lit (a) CISG ebenso wie bei Art. 66 CISG 4 5 5 und bei Art. 80 CISG 4 5 6 eine einschränkende Auslegung des 448
Reinhart, Art. 81, Rn. 2; Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 81, Rn. 4; Achilles, Art. 81, Rn. 2. 449 Hornung, in: Schlechtriem/Schwenzer, Vor Artt. 81-84, Rn. 8; Weber, in: Honsell, Art. 81, Rn. 4; ders., ZBJV 1991, 634, 644ff. 450 Vgl. Leser, in: v. Caemmerer-FS, S. 1,6: „Ich fände es daher klarer, von einer Aufhebung der Vertragspflichten oder der Pflichten zu sprechen". 451 Krebs, Die Rückabwicklung im UN-Kaufrecht, S. 91: Coen, in: FS Schlechtriem, S. 189, 197. 452 Herber/Czerwenka, Art. 82, Rn. 2; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 324, S. 209. 453 Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 82, Rn. 3; Hornung, in: Schlechtriem/ Schwenzer, Art. 82, Rn. 9. 454 Hornung, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 82, Rn. 20. 4 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c).
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
151
Begriffs „Handlung oder Unterlassung". 457 Das Verschuldenskriterium ist angesichts der Struktur des Übereinkommens (verschuldensunabhängige Garantiehaftung) 458 nicht zur einschränkenden Auslegung geeignet, obgleich der Käufer für eigenes Verschulden und das Verschulden seiner Leute wohl stets einzustehen hat 4 5 9 In Anlehnung an den Maßstab des Art. 79 Abs. 1 CISG ist Art. 82 Abs. 2 lit (a) CISG daher in der Weise einschränkend auszulegen, daß die Schadensursache außerhalb der Sphäre des Käufers liegen muß. 460 Nicht dem Käufer angerechnet werden daher zufällige Beeinträchtigungen der Ware durch höhere Gewalt, Naturkatastrophen, staatliche Akte oder Schäden durch den Mangel der Ware selbst. 461 In diesen Fällen geht der Käufer seines Rechts zur Vertragsaufhebung gemäß Art. 82 Abs. 2 lit (a) CISG nicht verlustig. Eine Verschlechterung der Ware im Zuge einer nach Art. 38 CISG gebotenen Untersuchung fällt ebenfalls nicht in die Verantwortungssphäre des Käufers, so daß dem Käufer auch in diesem Fall das Vertragsaufhebungsrecht nach Art. 82 Abs. 2 lit (b) CISG erhalten bleibt. 462 Kann der Käufer die Ware deshalb nicht zurückgeben, weil er sie im normalen Geschäftsverkehr verkauft oder ihrer Verwendung entsprechend verbraucht oder verändert hat, dann bleibt sein Vertragsaufhebungsrecht gemäß Art. 82 Abs. 2 lit (c) CISG bestehen, sofern er die Vertragswidrigkeit erst später entdeckt hat oder hätte entdecken müssen.463 Ist dem Käufer die Rückgewähr im ursprünglichen Zustand unmöglich und liegt auch kein Ausnahmetatbestand des Art. 82 Abs. 2 CISG vor, so wirkt sich der nach Art. 82 Abs. 1 CISG angeordnete Ausschluß des Aufhebungsrechts gemäß Art. 83 CISG nicht auf die anderen Rechtsbehelfe aus, die dem Käufer
456
Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.d)aa). So Lüderitz/Dettmeier , in: Soergel, Art. 82, Rn. 5: „Kausalität kann dabei allerdings nicht im bloßen Äquivalenzsinn gesehen werden; vielmehr wird auch solche Ware, die bei Benutzung oder Verarbeitung infolge ihrer nicht vertragsgemäßen Qualität beschädigt wird oder gar untergeht, von der Ausnahme des Buchst (a) erfaßt; denn sie wurde nicht zum Betrachten, sondern (im Regelfall) zur Benutzung geliefert"; siehe auch Hornung , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 82, Rn. 20 (Sphärentheorie); Kappus , RIW 1992, 528, 531. 458 Siehe oben 3.Teil 3.Kap l.Abschn. 459 Honnold , Uniform Law for International Sales, Rn. 448.1, S. 51 lf.; Leser , in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 225, 246. 460 So auch Achilles , Art. 82, Rn. 7; Lüderitz/Dettmeier , in: Soergel, Art. 82, Rn. 5; Magnus , in: Staudinger, Art. 82, Rn. 19; Weber , in: Honseil, Art. 82, Rn. 19; ähnlich auch Herber/Czerwenka, Art. 82, Rn. 6. 461 Magnus , in: Staudinger, Art. 82, Rn. 21; Hornung , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 82, Rn. 19. 462 Achilles, Art. 82, Rn. 8; Magnus , in: Staudinger, Art. 82, Rn. 24. 463 Reinhart , Art. 82, Rn. 6; Herber/Czerwenka , Art. 82, Rn. 9; Mohs, IHR 2002, 59. 457
152
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
nach dem Vertrag oder der Konvention zustehen. Dies entspricht der im UNKaufrecht geltenden Kombinationsmöglichkeit von Vertragsaufhebung und Schadensersatz. 464
c) Ausgleich von Vorteilen im Falle der Rückabwicklung (Art. 84 CISG) Art. 84 CISG ergänzt das Rückabwicklungsverhältnis derart, daß neben den zurückzuerstattenden Hauptleistungen Zinsen zu zahlen und Vorteile der erhaltenen Leistungen auszugleichen sind. 465 Diese Ausgleichszahlungen sind nicht als Schadensersatz zu qualifizieren, weshalb die verpflichtete Partei sich auch nicht auf die Entlastungsmöglichkeit des Art. 79 CISG berufen kann. 466 Dogmatisch gesehen handelt es sich vielmehr um eine den Bereicherungsansprüchen ähnelnde Regelung. 467
aa) Verzinsungspflicht des Verkäufers (Abs. 1) Nach Art. 84 Abs. 1 CISG hat der Verkäufer den bei der Rückabwicklung zurückzuzahlenden Kaufpreis vom Tage der Zahlung an zu verzinsen, worunter wegen des Gedankens der Vorteilsausgleichung der Zeitpunkt des Geldempfangs zu verstehen ist. 468 Um die Zinspflicht gab es bei der Beratung des Abkommens längere und grundsätzliche Auseinandersetzungen, auch mit Vertretern der Länder, deren Rechtsordnungen aus religiösen Gründen eine Zinspflicht nicht anerkennen. 469 Die Zinsproblematik spiegelt sich vor allem in der noch zu erörternden allgemeinen Zinsvorschrift für den rückständigen Kaufpreis wider (Art. 78 CISG); sie soll aber bereits an dieser Stelle umrissen werden: 464 Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 83, Rn. 1; Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 83, Rn. 1. 465 Magnus, in: Staudinger, Art. 84, Rn. 1; Herber/Czerwenka, Art. 84, Rn. 2. 466 Hornung, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 84, Rn. 3; Weber, in: Honsell, Art. 84, Rn. 3. 467 Weber, in: Honsell, Art. 84, Rn. 3; Magnus, in: Staudinger, Art. 84, Rn. 6; Neumayer, RIW 1994, 99, 108. 468 Achilles, Art. 84, Rn. 2; Herber/Czerwenka, Art. 84, Rn. 3; Hornung, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 84, Rn. 14; a.A. (Tag der Zahlung sei entscheidend) Magnus, in: Staudinger, Art. 84, Rn. 8; Reinhart, Art. 84, Rn. 2; Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 84, Rn. 2; Wilhelm, UN-Kaufrecht, S. 20. 469 Leser, in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 225, 249. So verbietet beispielsweise der Islam „riba", d.h. jedes im voraus festgelegte Entgelt für die Hingabe von Kapital und damit Zinsen überhaupt; vgl. Wegen/Wichard, RIW 1995, 826 links; Reichard, RIW 1989, 696, 697 rechts; siehe auch Heil/Wacker, Shylock? Zinsverbot und Geldverleih in jüdischer und christlicher Tradition.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
153
Wegen der bestehenden Bedenken gelang es weder in Art. 84 Abs. 1 CISG noch bei Art. 78 CISG, die Höhe der Zinsen festzulegen. 470 Während vereinzelt die Zinshöhe durch Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze des CISG zu bestimmen versucht wird, 4 7 1 entnimmt die Mehrheit der Lehre die Zinshöhe dem kollisionsrechtlich berufenen nationalen Recht. 472
bb) Pflicht des Käufers zur Vorteilsausgleichung (Abs. 2) Dem Prinzip der Vorteilsausgleichung entspricht, daß der Käufer nicht nur die Ware selbst zurückgeben muß, sondern gemäß Art. 84 Abs. 2 lit (a) CISG auch die der zeitweilig übergebenen Ware entspringenden Vorteile an den Verkäufer zu erstatten hat. 473 Als solche Vorteile kommen alle Nutzungen in Betracht; dies umfaßt sowohl die natürlichen Früchte der Sache (z.B. Milch von der Kuh, Wolle vom Schaf, Junge vom Muttertier) als auch die mittelbaren Früchte (z.B. Vermietung von Gegenständen, entgeltliche Überlassung von Lizenzen an Dritte) sowie die Gebrauchsvorteile bei eigener Nutzung der Sache durch den Käufer (z.B. Benutzung eines Kraftfahrzeugs, einer Maschine, aber auch von Software, Patenten und Lizenzen). 474 Allerdings sind nur die tatsächlich gezogenen Vorteile auszugleichen und nicht auch solche, die der Käufer vernünftigerweise hätte ziehen sollen und können. 475 Aufwendungen des Käufers, die zur Erlangung der Vorteile gemacht wurden, sind abzuziehen, so daß nur die „Nettovorteile" der empfangenen Ware ausgeglichen werden müssen.476
470
Saenger , in: Bamberger/Roth, Art. 84, Rn. 3; Corterier , ZfRV 2003, 43. Hornung , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 84, Rn. 13: Zinshöhe richtet sich nach den üblichen Zinsen am Ort der Niederlassung des Verkäufers; siehe auch Corterier , ZfRV 2003, 43, 49f. 472 Herber/Czerwenka , Art. 84, Rn. 3; Lüderitz/Dettmeier, in: Soergel, Art. 84, Rn. 2; Magnus , in: Staudinger, Art. 84, Rn. 9; ders., RabelsZ 53 (1989), 116, 140f.; Reinhart , Art. 84, Rn. 3; Talion , in: Bianca/Bonell, Art. 84, Anm. 2.1 sowie die überwiegende Auffassung der internationalen Gerichtspraxis, vgl. hierzu die von Magnus zusammengetragenen Urteile: ZEuP 2002, 523, 540; ZEuP 1999, 642, 662; ZEuP 1997, 823, 846; ZEuP 1995, 202, 213; ZEuP 1993, 79, 90. 473 Weber , in: Honseil, Art. 84, Rn. 12; Herber/Czerwenka , Art. 84, Rn. 4. 474 Hornung , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 84, Rn. 16ff.; Weber , in: Honsell, Art. 84, Rn. 13f. 475 Lüderitz/Dettmeier , in: Soergel, Art. 84, Rn. 4; Magnus , in: Staudinger, Art. 84, Rn. 19; Reinhart , Art. 84, Rn. 5; Saenger , in: Bamberger/Roth, Art. 84, Rn. 4; a.A. Hornung , in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 84, Rn. 22. 476 Herber/Czerwenka, Art. 84, Rn. 5; Hornung, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 84, Rn. 20; Reinhart, Art. 84, Rn. 7. 471
154
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
In Fällen des Art. 82 Abs. 2 CISG 4 7 7 muß der Käufer nach Art. 84 Abs. 2 lit (b) CISG über die tatsächlich gezogenen Nutzungen hinaus auch die Gegenwerte auskehren, die er zum Ausgleich für den als solchen nicht rückgabepflichtigen Schwund an Substanz oder Wert erlangt hat. 478 Dieser Wertersatzanspruch kann sich als Surrogat der Ware bei Verarbeitung oder Verbrauch der Sache oder bei Erhalt einer Schadenersatz- oder Versicherungssumme infolge des Untergangs der Ware als commodum ex re ergeben. 479 Dann ist der Wertersatz nach objektiven Maßstäben zu bestimmen und orientiert sich am Wert der Sache. 480 Hat der Käufer die Ware im normalen Geschäftsverkehr weiterveräußert, so ist als commodum ex negotiatione der Verkaufserlös einschließlich des Gewinns unter Abzug der dem Käufer entstandenen Unkosten und Auslagen herauszugeben. 481
d) Zusammenfassung zur Rückabwicklung Der fünfte Abschnitt des Übereinkommens zu den „Wirkungen der Aufhebung" regelt nicht alle Fragen, die sich aus der Rückabwicklung vertraglicher Leistungen ergeben. 482 Unbeantwortet läßt das CISG beispielsweise Fragen des Verwendungsersatzes oder der Veränderungen der Ware nach Vertragsaufhebung durch den Käufer. 483 Der Grund für diese Lückenhaftigkeit ist, wie schon Weitnauer in der Kommentierung zum Haager EKG feststellt, 484 in der „Undurchsichtigkeit und Vielschichtigkeit der in den verschiedenen nationalen
477
Dies betrifft die Fälle, in denen der Käufer ausnahmsweise zur Vertragsaufhebung berechtigt ist, obwohl er die Ware nicht oder nicht mehr im annähernd selben Zustand zurückgeben kann, in dem er sie erhalten hat; siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.IV.2.b). 478 Achilles, Art. 84, Rn. 4; Magnus, in: Staudinger, Art. 84, Rn. 21. 479 Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 84, Rn. 6; Herber/Czerwenka, Art. 84, Rn. 7. 480 Weber, in: Honseil, Art. 84, Rn. 20; Hornung, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 84, Rn. 26. 481 Achilles, Art. 84, Rn. 4; Saenger, in: Bamberger/Roth, Art. 84, Rn. 7; Magnus, in: Staudinger, Art. 84, Rn. 24; a.A. Hornung, in: Schlechtriem/Schwenzer, Art. 84, Rn. 27a, der die Ablieferung des Käufergewinns in Frage stellt und die Möglichkeit des bloßen Wertersatzes in Betracht zieht. 482 Magnus, in: Staudinger, Vorbem zu Art. 81ff, Rn. 5; im Detail: Leser, in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 225, 251 ff. 483 Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa I, S. 413; ders., Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 321, S. 208; Leser, in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 225, 253; Hornung, Rückabwicklung gescheiterter Verträge, S. 109. 484 Weitnauer, in: Dölle, Vor Artt. 87-81, Rn. 39.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
155
Rechten anzutreffenden Lösungen" zu sehen.485 Dem UN-Kaufrecht bot sich somit kein rechtsvergleichender Kern, der Grundlage für eine wirklich tragfähige und überzeugende Lösung hätte sein können. 486 Bedauerlich ist insbesondere, daß die Unmöglichkeit unversehrter Rückgabe lediglich als Problem der Gefahrtragung behandelt wird und sich Haftungsfragen insofern nicht stellen. 487 Die Alternative zur Rücktrittssperre des Art. 82 Abs. 1 CISG hätte darin bestanden, dem Käufer lediglich die Wertersatzpflicht für die Verschlechterung aufzuerlegen, im übrigen aber die Vertragsaufhebung zuzulassen.488
3. Stellungnahme Der Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung ist im UN-Kaufrecht nicht vom Verschulden abhängig. Was zählt, ist die Schwere der Vertragsverletzung. Diese Weichenstellung korrespondiert mit dem im CISG geltenden Prinzip der Garantiehaftung und fügt sich insoweit konsequent in das System der Leistungsstörungen ein. Gegen das Vertretenmüssen als Erfordernis zur Vertragsaufhebung spricht neben diesen systematischen Erwägungen, daß die Vertragstreue Partei meistens nicht erkennen kann, auf welchem Grund das Ausbleiben der Leistung beruht. Dagegen kann sie die Auswirkungen der Leistungsstörung am eigenen Leibe erfahren. Das Aufhebungsrecht von der Intensität der Vertragsverletzung abhängig zu machen, ist daher zu befürworten. Angesichts der Unscharfe und Vagheit des Art. 25 CISG erscheint es jedoch euphemistisch, hinsichtlich der Aufhebungsvoraussetzungen von einer „beispielhaft klaren Regelung" zu sprechen. 489 Zwar mögen die Regelungen des CISG in diesem Punkt leicht verständlich sein, ihre Anwendung stellt den Anwender jedoch mangels eines präzisen Abgrenzungskriteriums vor eine schwierige Aufgabe. Letztendlich wird oftmals erst im Prozeß geklärt werden können, ob die Vertragsverletzung eine wesentliche war und somit die Vertragsaufhebung gerechtfertigt ist. Der Vertragstreuen Partei sollte daher ein Mittel an die Hand gegeben werden, mit dem sie in jedem Fall das Vorliegen der Aufhebungsvoraussetzungen überprüfen oder gar herbeiführen kann. Das UN-Kaufrecht ist bei der Lösung dieses 485 Zu den nationalen Lösungen vgl. Hornung , Rückabwicklung gescheiterter Verträge S. 3 4ff.; Schlechtriem , Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa I, S. 403ff.; Weitnauer , in: Dölle, Vor Artt. 87-81, Rn. 39ff. 486 Schlechtriem , Internationales UN-Kaufrecht, S. 207, Fn. 346. 487 Vgl. Art. 82 Abs. 1 CISG; siehe auch Krebs , Die Rückabwicklung im UNKaufrecht, S. 92. 488 Krebs , Die Rückabwicklung im UN-Kaufrecht, S. 92; Schlechtriem , Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 321, S. 207. 489 So aber Schwenzer , in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37, 41; a.A. etwa Boneil, RabelsZ 56 (1992), 274, 285, der von einer „nicht sehr klaren Definition" spricht.
156
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
Problems auf halbem Weg stehengeblieben. Mittels Nachfristsetzung zur Vertragsaufhebung zu kommen, ist im CISG nämlich nur bei einer „Nichtlieferung" möglich. 490 Im Falle der hier zu untersuchenden nachträglichen Unmöglichkeit des Lieferanspruchs ist jedenfalls eine „Nichtlieferung" gegeben. Bei dieser Leistungsstörungsart hat der Käufer eine adäquate Möglichkeit, die durch das Erfordernis der „wesentlichen Vertragsverletzung" aufgeworfenen Fragen beiseite zu schieben und die Aufhebungsvoraussetzungen eigenhändig herbeizufuhren. Gleichwohl wird im noch zu erörternden Abschnitt zur Schlechtleistung das Problem aufzugreifen sein, wie der Käufer im Fall der vertragswidrigen Ware Klarheit bezüglich der Aufhebungsvoraussetzungen schaffen kann.
V. Das Zurückhaltungsrecht nach Art. 71 CISG Art. 71 CISG eröffnet ein Zurückhaltungsrecht, wenn nach Vertragsschluß offenbar wird, daß die andere Partei einen wesentlichen Teil ihrer Pflichten nicht erfüllen wird. 4 9 1 Für die hier zu untersuchende Leistungsstörung der nachträglichen Unmöglichkeit kommt von den zwei in Art. 71 Abs. 1 CISG abstrakt umschriebenen Sachverhalten regelmäßig lediglich der erste in Betracht, um ein Zurückhaltungsrecht zu begründen. So genügt gemäß Art. 71 Abs. 1 lit (a) CISG als Grund für das Zurückhaltungsrecht ein schwerwiegender, ernster Mangel („,serious deficiency", »grave insuffisance") der Erfüllungsfähigkeit. Die Unmöglichkeit der Lieferung wird wohl stets als solch ein schwerwiegender Mangel qualifiziert werden müssen. Jedenfalls sind für Art. 71 CISG auch Gründe anzuerkennen, die zu einer Entlastung nach Art. 79 CISG fuhren wie Naturkatastrophen, Krieg, Streik usw., sofern dadurch die Fähigkeit zur Erfüllung ganz oder im wesentlichen beseitigt ist. 492 Dabei gilt es jedoch zu beachten, daß der Käufer bei dauerhafter und objektiver Unmöglichkeit nicht auf das Zurückhaltungsrecht des Art. 71 CISG angewiesen ist; in diesem Fall erlischt nach der hier vorgeschlagenen Lösung seine Zahlungspflicht ja kraft Gesetzes.493 Aber auch in anderen Fällen, etwa bei bloßem Unvermögen des Verkäufers, spielt das Zurückhaltungsrecht nur eine untergeordnete Rolle. Der Käufer wird sich nämlich nur dann auf Art. 71 CISG berufen, wenn er zuversichtlich ist, die Ware vom Verkäufer noch in naher oder ferner Zukunft zu erhalten. Fehlt dem Käufer diese Zuversicht wird er anstelle des Zurückhaltungsrechts sein Recht zur Vertragsaufhebung ausüben. 490 491
Vgl. Art. 49 Abs. 1 lit (b), 64 Abs. 1 iit (b) CISG. Vgl. Schnyder/Straub, in: Honsell, Art. 71, Rn. 1; Piltz, NJW 2003, 2056, 2061
links.
492
Achilles, Art. 71, Rn. 4; Magnus, in: Staudinger, Art. 71, Rn. 24: Flesch, BB 1994, 873, 874f. 493 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.II.3.c).
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit (CISG)
157
Gegebenenfalls kann auch das dem Käufer zum Zwecke der Warenuntersuchung nach Art. 58 Abs. 3 CISG zustehende Zurückbehaltungsrecht relevant werden. Jedenfalls ergibt sich aus Art. 58 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 CISG, daß das UN-Kaufrechtübereinkommen grundsätzlich eine Erfüllung der Leistungen Zug-um-Zug fordert. 494
D. Zusammenfassende Stellungnahme Im UN-Kaufrecht bestehen keine eigenständigen Regeln zur nachträglichen Unmöglichkeit. Vielmehr geht das CISG dem remecty approach entsprechend von einem einheitlichen Leistungsstörungsbegriff, nämlich dem des breach of contract (Vertragsverletzung) aus. Da nicht nach den Ursachen des Verstoßes zu unterschieden werden braucht, stellt auch die Nichtleistung aufgrund von Unmöglichkeit eine Vertragsverletzung dar. Auf ein Vertretenmüssen kommt es dabei wegen der Geltung des Garantiehaftungsprinzips nicht an. Nach der hier vertretenen Lösung erlischt bei dauerhafter und objektiver Unmöglichkeit nicht bloß der Anspruch auf die Lieferung, sondern auch der synallagmatische Kaufpreiszahlungsanspruch. Dies ergibt sich m.E. für die Lieferpflicht des Verkäufers de minore ad maius aus Art. 46 Abs. 1 CISG und für die Pflicht des Käufers im Umkehrschluß zu Art. 66 CISG unter Berücksichtigung des synallagmatischen Prinzips. Der Verkäufer hat wegen seiner Nichtlieferung grundsätzlich Schadensersatz bis zur Grenze der Vorhersehbarkeit des Schadens zu leisten. Ausnahmsweise kann er sich jedoch gemäß Art. 79 CISG für Umstände entlasten, die außerhalb seiner Einflußsphäre liegen und für ihn weder vorhersehbar noch vermeidbar gewesen sind. Gleiches gilt für Umstände, die nach Art. 80 CISG auf den Käufer zurückzuführen sind. Die Unmöglichkeit als Ursache der Nichtlieferung korrespondiert mit einem Vertragsaufhebungsrecht des Käufers, wenn die Wesentlichkeitsschwelle des Art. 25 CISG erreicht ist. Dies wird bei endgültiger objektiver Unmöglichkeit stets und bei faktischer Unmöglichkeit in der Regel anzunehmen sein. Bei lediglich vorübergehender Unmöglichkeit oder bei bloßem Unvermögen kann der Käufer über die Nachfristsetzung zu einem Aufhebungsrecht gelangen. Außerdem ist es dem Käufer nach der Konvention gestattet, sein Recht auf Schadensersatz mit dem Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung zu kumulieren.
494 Magnus , in: Staudinger, Art. 58, Rn. 3; Schlechtriem , Internationales UNKaufrecht, Rn. 205, S. 134.
158
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen 2. Abschnitt
Die Behandlung der nachträglichen Unmöglichkeit in den European Principles Im folgenden wird analysiert, wie die Leistungsstörung der nachträglichen Unmöglichkeit in den Principles of European Contract Law (PECL) behandelt wird. Zum Inhalt der zu untersuchenden Regelungen kann vorab gesagt werden, daß das Modell des UN-Kaufrechts eine gerne und oft konsultierte Inspirationsquelle bei der Entstehung der European Principles gewesen zu sein scheint.1 So verwundert es nicht, daß viele Artikel der PECL denen des CISG ähneln und einige Konzepte des UN-Kaufrechts in den European Principles fortgeführt, ausgebaut und gezielt lanciert wurden. 2
A. Non-Performance (Nichterfüllung) Die European Principles gehen ebenso wie das UN-Kaufrecht von einem einheitlichen Leistungsstörungstatbestand aus. In den PECL wird hierfür allerdings nicht der Begriff des breach of contract (Vertragsverletzung) verwandt, sondern man spricht vom allgemeinen Tatbestand der non-performance (Nichterfüllung). 3 Nach der Legaldefinition des Art. 1:301 (4) PECL bezeichnet „Nichterfüllung" jede Form mangelnder Erfüllung einer der vertraglichen Verpflichtungen, ob entschuldigt oder nicht entschuldigt; sie umfaßt verspätete Erfüllung, mangelhafte Erfüllung sowie die Verweigerung derjenigen Zusammenarbeit, die für die volle Wirkung des Vertrages erforderlich ist.4 Die Nichtleistung aufgrund nachträglicher Unmöglichkeit fallt mithin unter den Tatbestand der non-performance.
1 So auch Magnus, in: Ferrari, The 1980 Uniform Sales Law, S. 129, 143; Troiano, in: Ferrari, The 1980 Uniform Sales Law, S. 147; Beale, in: Weick, National and European law, S. 177, 181f.; Lando, in: de Witte/Forder, The common law of Europe, S. 223, 23 lf. Lando führt hierzu an, daß durch den Gleichlauf mit dem CISG ein größerer Einklang mit dem in Zukunft auf internationale Verträge anzuwendenden Recht gewährleistet werden würde. Die Übernahme von Regelungen des UN-Kaufrechts sei jedoch stets an die Überzeugung der Lando-Kommission gebunden gewesen, daß die betreffende Regelung des CISG sich am besten als allgemeines Prinzip des (europäischen) Vertragsrechts eigne. 2 Magnus, in: Ferrari, The 1980 Uniform Sales Law, S. 129, 143. 3 Lando, in: de Witte/Forder, The common law of Europe, S. 223, 232; Zimmermann, JZ 1995, 477, 481. 4 Vgl. Anders, ZIP 2001, 184, 187 links; Lando, in: FS Goode, S. 103, 115.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit ( C )
159
B. Die Rechtsfolgen der nachträglichen Unmöglichkeit in den PECL Welche Rechtsbehelfe im Falle der Nichterfüllung zur Verfugung stehen, hängt gemäß Art. 8:101 PECL davon ab, ob die Nichterfüllung unentschuldigt ist (Abs. 1), ob sie infolge eines Leistungshindernisses nach Art. 8:108 PECL entschuldigt ist (Abs. 2), oder ob sie die Folge eines Verhaltens der anderen Partei ist (Abs. 3). 5 Daneben spielt es für manche Rechtsbehelfe eine Rolle, ob die Nichterfüllung für den Vertrag wesentlich ist.6 Die Wesentlichkeit einer Nichterfüllung wird in Art. 8:103 PECL definiert, der an Art. 25 CISG angelehnt ist, jedoch über diesen hinausgeht.7 Weitaus anschaulicher als im UN-Kaufrecht sind die prinzipiell in Frage kommenden Rechtsbehelfe im neunten Kapitel der European Principles aufgelistet. 8 In fünf Abschnitten werden dort die Ansprüche auf Erfüllung {performance ), Zurückbehalten der eigenen Leistung (withholding performance ), Vertragsaufhebung (termination ), Minderung des Kaufpreises {price reduction) sowie auf Schadensersatz und Zinsen {damages and interest) geregelt.
I. Anspruch auf Erfüllung /. Überblick Die dogmatische Kluft, die zwischen den Rechtskreisen hinsichtlich der generellen Verfügbarkeit des Erfüllungsanspruchs besteht,9 vermochte das UNKaufrecht nicht zu überbrücken. Art. 28 CISG hat zwischen den gegensätzlichen Standpunkten von civil law und common law in der Weise zu vermitteln
5
Vgl. v. Bar/Zimmermann, PECL, Kommentar (B) zu Art. 8:101; Lando, in: Hartkamp, Towards a European Civil Code, S. 333, 339; Beale, in: Weick, National and European law, S. 177, 187. 6 Im Falle einer wesentlichen Nichterfüllung kann die Vertragstreue Partei insbesondere ein verspätetes Leistungsangebot zurückweisen (Art. 8:104 PECL), eine angemessene Gewähr für die vertragsgemäße Erfüllung verlangen (Art. 8:105 PECL) und den Vertrag aufheben (Art. 9:301, 9:302, 9:304 PECL); vgl. v. Bar/Zimmermann, PECL, Kommentar (A) zu Art. 8:103. 7 Hartkamp, in: Hartkamp, Towards a European Civil Code, S. 105, 118; Schwenzer, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37, 42; Flechtner, in: Ferrari, The 1980 Uniform Sales Law, S. 169, 182. 8 Zwar werden in Art. 45 und 61 CISG die im UN-Kaufrecht vorgesehenen Rechtsbehelfe ebenfalls angedeutet, aber eben nicht aufgelistet. Abs. 1 lit (a) verweist nur auf die nachfolgend geregelten Rechte. Außerdem ist für den Rechtsanwender aus diesen beiden Vorschriften des UN-Kaufrechts nicht ersichtlich, wieso Abs. 1 lit (b) für den Schadensersatz eine echte Anspruchsgrundlage darstellt, hingegen Abs. 1 lit (a) für die übrigen Rechtsbehelfe bloß eine rein deklaratorische Bedeutung zukommt. Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. .I.
160
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
versucht, daß jedes Gericht auf eine Erfüllungsklage so reagieren soll, wie es das nach seinem „eigenen Recht" (der lex fori) gewohnt ist. 10 Demgegenüber hat die Lando-Kommission einen einheitlichen Kompromiß zwischen den unterschiedlichen Ansätzen zu schließen versucht. Indem die European Principles dem Gläubiger nicht nur bei Geldschulden (Art. 9:101 PECL), sondern auch bei anderen Verbindlichkeiten einen Erfullungsanspruch einräumen (Art. 9:102 PECL), folgen sie im Grundsatz der kontinentaleuropäischen Tradition. 11 Der Anspruch auf Erfüllung (einer nicht auf Geld gerichteten Verpflichtung) unterliegt jedoch gemäß Art. 9:102 PECL vier Ausnahmen (Abs. 2) und einer besonderen zeitlichen Begrenzung (Abs. 3).
2. Beschränkungen des Erfüllungsanspruchs Nach Art. 9:102 (2)(a) PECL besteht bei nicht auf Geld gerichteten Verpflichtungen kein Anspruch auf Erfüllung, wenn diese unmöglich ist. Damit regeln die European Principles das Schicksal des unmöglich gewordenen Erfüllungsanspruchs entsprechend der Maxime impossiblium nulla est obligatio und lassen diese wichtige Frage nicht wie das CISG unbeantwortet. Neben der tatsächlichen Unmöglichkeit nimmt die Vorschrift Bezug auf die rechtliche Unmöglichkeit: der Erfüllungsanspruch ist auch dann ausgeschlossen, wenn die geschuldete Handlung gegen ein gesetzliches Verbot verstößt und daher die Erfüllung rechtswidrig wäre. Bei lediglich vorübergehender Unmöglichkeit, soll nach der offiziellen Kommentierung dieses Artikels die Vollstreckung des Erfüllungsanspruchs für die Dauer der Unmöglichkeit ausgeschlossen sein.12 Würde die Erfüllung dem Schuldner unangemessene Anstrengungen oder Kosten verursachen, so kann gemäß Art. 9:102 (2)(b) PECL ebenfalls keine Erfüllung verlangt werden. Damit treffen die European Principles hinsichtlich des Erfüllungsanspruchs eine klare Aussage zu den Rechtsfolgen der faktischen bzw. praktischen Unmöglichkeit. Wann die Anstrengungen oder Kosten als unangemessen zu qualifizieren sind, kann freilich nicht genau geregelt werden. Jedenfalls wird der in diesem Kontext oft zitierte Ring auf dem Meeresboden 13 bzw. die gesunkene Jacht14 den Tatbestand der faktischen Unmöglichkeit erfüllen.
10
Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.I.2. Zimmermann, JZ 1995, 477, 482; Schwenzer, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37, 40. 12 v. Bar/Zimmermann, PECL, Kommentar (E) zu Art. 9:102. 13 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. B.III.3; siehe auch Zimmermann, EdinLR 2002, 271, 281 ff. 14 Vgl. v. Bar/Zimmermann, PECL, Beispiel (3) zu Art. 9:102. 11
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit ( C )
161
Mit Art. 9:102 (2)(c) PECL erfolgt die erste echte Annäherung an die im common law geltende Lösung, wonach durch den Vertragsschluß grundsätzlich keine erzwingbare Verpflichtung zur Erfüllung begründet wird. Diese Vorschrift schließt nämlich den Anspruch auf Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen persönlichen Charakters schlechthin aus. Dahinter steht der Gedanke, daß Dienst- und Werkleistungen, die unter Zwang erbracht werden, häufig nicht zur Zufriedenheit der benachteiligten Partei ausfallen und es im übrigen für das Gericht schwierig wäre, die ordnungsgemäße Durchsetzung seiner Anordnung zu kontrollieren. 15 Aus den gleichen Gründen wird gemäß Art. 9:102 (2)(c) Alt. 2 PECL der Anspruch auf Erfüllung ausgeschlossen, wenn diese von einer persönlichen Beziehung abhängt. Ein Korrelat zu Art. 9:102 (2)(c) PECL wird man im UN-Kaufrecht vergebens suchen. Nach Art. 3 Abs. 2 CISG findet das UN-Kaufrechtsübereinkommen nämlich keine Anwendung auf Verträge, bei denen Arbeits- und Dienstleistungen den überwiegenden Teil der Pflichten ausmachen.16 Die eigentliche Annäherung an die Rechtsordnungen, welche den Erfüllungsanspruch nur ausnahmsweise gewähren, erfahren die European Principles durch die Regelung des Art. 9:102 (2)(d) PECL. Danach ist der Erfüllungsanspruch auch dann ausgeschlossen, wenn die benachteiligte Partei die Leistung einfacher aus anderen Quellen erlangen kann, sprich wenn von ihr vernünftigerweise der Abschluß eines Deckungsgeschäftes erwartet werden kann. Wird etwa ein bestimmter Satz Stühle gewöhnlicher Art verkauft und verweigert der Verkäufer die Lieferung, so muß sich der Käufer derartige Stühle aus anderer Quelle verschaffen, selbst wenn die Kosten höher sind als der Vertragspreis. 17 Durch den Ersatz des Differenzschadens verbunden mit der Aufhebung des „gestörten" Vertrages kann der Käufer dann sein Leistungsbegehren in der Regel schneller und einfacher zufriedenstellen als mit der Durchsetzung des Erfüllungsanspruchs. Die European Principles knüpfen mit dieser Lösung an die Systematik des Haager EKG an. 18
15
v. Bar/Zimmermann , PECL, Kommentar (G) zu Art. 9:102. Die dort zuvörderst genannte Erwägung, daß ein Urteil, welches die Erbringung persönlicher Dienst- oder Werkleistungen anordnet, ein ernsthafter Eingriff in die persönliche Freiheit der nicht leistenden Partei darstelle, vermag indes nicht zu überzeugen. Zwar würde ein solches Urteil tatsächlich einen ernsthaften Eingriff in die persönliche Freiheit darstellen, jedoch wäre dieser Eingriff durch den bei Vertragsschluß durch die nicht leistende Partei geäußerten Willen gerechtfertigt, denn die persönliche Freiheit umfaßt auch die in Art. 1:102 PECL anerkannte Vertragsfreiheit. 16 Benicke , in: Münchener Kommentar-HGB, Art. 3, Rn. 9; Magnus , in: Staudinger, Art. 3, Rn. lff.; Siehr , in: Honseil, Art. 3, Rn. 5f. 17 Vgl. v. Bar/Zimmermann , PECL, Beispiel (8) zu Art. 9:102. 18 Ist ein Deckungskauf üblich und im konkreten Fall in angemessener Weise möglich, so wird der Erfüllungsanspruch des Käufers nach Art. 25 EKG ausgeschlossen; vgl. Reinhart , in: Dölle, Art. 16, Rn. 3.
162
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
Nach Art. 9:102 (3) PECL soll schließlich seinen Erfiillungsanspruch auch einbüßen, wer ihn innerhalb einer angemessenen Zeit, nachdem er von der Nichterfüllung Kenntnis erlangt hat oder erlangt haben müßte, nicht geltend macht.19 Abgesehen von den in Art. 9:102 (2) und (3) PECL niedergelegten Beschränkungen ist der Erfüllungsanspruch freilich ausgeschlossen, wenn ein mit der Erfüllung unvereinbarer Rechtsbehelf ausgeübt worden ist (Art. 8:102 PECL). Mit dem Leistungsbegehren inkompatibel sind die Vertragsaufhebung und das Minderungsverlangen, da sie den Fortbestand eines auf Erfüllung gerichteten Anspruchs ausschließen. Ein Schadensersatzanspruch ist gemäß Art. 9:103 PECL jedoch selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn ein Ausschlußgrund nach Art. 9:102 (2) oder (3) PECL vorliegt. Schadensersatz und Erfüllung wird die benachteiligte Partei jedoch dann nicht kumulativ verlangen können, wenn sich beide Ansprüche auf das gleiche Interesse richten.
3. Abgrenzungsprobleme Die Beschränkungen des Art. 9:102 (2) PECL sind für sich gesehen unmißverständlich. Im Zusammenspiel mit anderen Vorschriften werfen sie jedoch einige Fragen auf, die es zu klären gilt.
a) Vertragsaufhebung wegen eines Leistungshindernisses Überschneidungen im Anwendungsbereich ergeben sich etwa im Verhältnis von Art. 9:102 (2)(a) PECL zu Art. 9:303 (4) PECL. Letztgenannte Vorschrift ordnet die Vertragsaufhebung ipso iure an, wenn der Schuldner aufgrund eines vollständigen und dauerhaften Leistungshindernisses gemäß dem noch zu erörternden Art. 8:108 PECL entschuldigt ist. Die Vertragsaufhebung befreit dann die Parteien gemäß Art. 9:305 (1) PECL von ihren Verpflichtungen. Fraglich ist, ob die Art. 9:303 (4), 8:108, 9:305 PECL auch für den dauerhaft objektiv oder rechtlich unmöglichen Erfüllungsanspruch Geltung beanspruchen können. Sieht man in dem Ausschlußgrund des Art. 9:102 (2)(a) PECL eine rechtsvernichtende Einwendung, so wirkt die Einwendungstatsache der Unmöglichkeit automatisch und ist infolgedessen vom Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen. Ob dann für das Erlöschen des dauerhaft unmöglichen Erfüllungsanspruchs Art. 9:102 (2)(a) PECL oder Art. 9:303 (4), 8:108, 9:305 PECL heranzuziehen ist, macht im Ergebnis keinen Unterschied. In jedem Fall erlischt der unmögliche Erfüllungsanspruch kraft Gesetzes. Unterstellt man der Lando19
Zimmermann, JZ 1995, 477, 482 links.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit
( C )
163
Kommission, daß sie die Beschränkungen des Erfüllungsanspruchs in Art. 9:102 (2) und (3) PECL mit derselben Rechtsfolge ausstatten wollte, dann spricht für die Ausgestaltung als rechtsvernichtende Einwendung die eindeutige Formulierung des dritten Absatzes „verliert ihren Anspruch auf Erfüllung" (will lose the right to specific
Performance).
Ebensogut kann die in Art. 9:102 (2) PECL verwandte Formulierung „Erfüllung kann [...] nicht verlangt werden" (specific Performance cannot [...] be obtained) aber auch als rechtshemmende peremptorische Einrede verstanden werden. 20 Die Ausgestaltung als Einrede würde bedeuten, daß die in Art. 9:102 (2)(a) PECL bestimmte Erlöschens Wirkung nicht ipso iure eintreten würde, sondern sich der Schuldner darauf berufen müßte.21 Dies stünde wiederum im Widerspruch zu den Art. 9:303 (4), 8:108, 9:305 PECL, welche die Vertragsaufhebung ipso iure und damit auch das Erlöschen des unmöglichen Erfüllungsanspruchs kraft Gesetzes anordnen. Daher ist Art. 9:102 (2)(a) PECL als rechtsvernichtende Einwendung zu verstehen. Für diese Auslegung spricht des weiteren der Regelungsinhalt von Art. 8:101 (2) PECL, wonach der Erfüllungsanspruch bei einer nach Art. 8:108 PECL entschuldigten Nichterfüllung als möglicher Rechtsbehelf per se ausgeschlossen ist.
b) Veränderte Umstände (Art. 6:111 PECL) Ein weiteres Spannungsfeld besteht zwischen Art. 9:102 (2)(b) PECL und Art. 6:111 PECL, sprich wenn sich die Erfüllung beschwerlicher darstellt als ursprünglich von den Parteien angenommen. Art. 6:111 (1) PECL stellt hierzu klar, daß vertragliche Verpflichtungen zu erfüllen sind, auch wenn die Erfüllung belastender geworden ist. Damit implizieren die European Principles die Geltung des Prinzips pacta sunt servandaP 2 Von diesem Grundsatz macht jedoch Art. 6:111 (2) PECL eine Ausnahme, wenn die Erfüllung den Schuldner übermäßig belasten würde oder anders gesagt ein Härtefall vorliegt. In diesem Fall sind die Parteien verpflichtet, in Verhandlungen über eine Änderung oder Auf20 Die deutsche Pandektenwissenschaft hat uns das Institut der Einrede aus dem römischen Recht übermittelt. Ebenso wie sich aus dem Begriff der actio unsere materiellrechtliche Denkfigur des Anspruchs entwickelt hat, so hat sich aus dem Rechtsinstitut der exceptio die materiellrechtliche Einrede herauskristallisiert (vgl. Schlosser , JuS 1966, 257). Angesichts des in Art. 9:201 PECL normierten Zurückbehaltungsrechts scheint den European Principles die Rechtsfigur der Einrede ebenfalls nicht fremd zu sein. 21 Vgl. Esser/Schmidt , Schuldrecht I 1, § 5 III 2, S. 93f.; Jahr, JuS 1964, 293 rechts. 22 Lando, in: FS Goode, S. 103, 106f.; ders., in: Hartkamp, Towards a European Civil Code, 1. Aufl. (1994) S. 201, 211; Zimmermann , JZ 1995, 477, 486 rechts; Fischer, Unmöglichkeit der Leistung, S. 88.
164
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
hebung des Vertrages einzutreten. Die Principles inkorporieren auf diese Weise einen Mechanismus, der in der Praxis des Geschäftslebens häufig zwischen den Parteien in Gestalt von sog. Härtefallklauseln (hardship clauses) vereinbart wird. 23 Im UN-Kaufrecht findet sich indes keine derartige Regelung, die in Härtefallen eine Revision des Vertrages ermöglicht. 24 Das CISG will Veränderungen der Umstände vielmehr unter dem Gesichtspunkt der Befreiung (Art. 79 CISG) behandelt wissen und kennt damit lediglich eine unflexible Alles-oderNichts-Lösung. 25 Ein zur Neuverhandlung des Vertrages verpflichtender Härtefall liegt nach Art. 6:111 (2) PECL vor, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden konnte, daß sich die Umstände ändern und dadurch eine Partei übermäßig belasten werden und diese Partei nach dem Vertrag auch nicht das Risiko für eine solche Veränderung tragen sollte. Auf den ersten Blick mag man geneigt sein, alle Fälle nachträglicher Unmöglichkeit unter diesen Tatbestand subsumieren zu wollen. Das wäre jedoch nicht korrekt. Bei tatsächlicher Unmöglichkeit wird die Erfüllung nicht „übermäßig belastend" (excessively onerous) sondern schlechthin unausführbar 26 mit der Folge, daß der Anspruch auf Erfüllung automatisch erlischt. 27 Ist die Erfüllung wenigstens rein theoretisch denkbar, aber der damit verbundene Aufwand jenseits aller Vernunft, so spricht man von faktischer oder praktischer Unmöglichkeit. Diese Situationen ließen sich dem Wortlaut nach sowohl unter die Härtefallregel des Art. 6:111 (2) PECL als auch unter den die Erfüllung ausschließenden Tatbestand des Art. 9:102 (2)(b) PECL subsumieren, belastet die Erfüllung den Schuldner in diesen Fällen doch übermäßig und verursacht ihm unangemessene Anstrengungen bzw. Kosten. Nach der offiziellen Kommentierung der European Principles soll die Vorschrift des Art. 6:111 (2) PECL als die speziellere Norm Vorrang gegenüber Art. 9:102 (2)(b) PECL haben.28 Diese Vorgehensweise vermag nicht zu überzeugen. Die Abgrenzung der beiden kollidierenden Vorschriften ist vielmehr anhand der Rechtsfolgen vorzunehmen, die durch sie ausgelöst werden. Art. 9:102 (2)(b) PECL schließt die Erfüllung aus; Art. 6:111 (2) PECL verpflichtet hingegen zur Neuverhandlung des Vertrages. Wollte man die Parteien bei faktischer Unmöglichkeit zur Neuverhand-
23
Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.3.b). Talion,, in: Hartkamp, Towards a European Civil Code, S. 327, 330f.; Zimmermann, JZ 1995, 477, 486. 25 Schwenzer, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37, 48. 26 v. Bar/Zimmermann, PECL, Kommentar (A) zu Art. 6:111. 27 Siehe oben 4.Teil l.Kap 2.Abschn. B.I.2. 28 v. Bar/Zimmermann, PECL, Kommentar (F) zu Art. 9:102. Des weiteren wird in Kommentar (A) zu Art. 6:111 ausgeführt, daß die Abgrenzung von Art. 6:111 PECL zur ebenfalls kollidierenden Vorschrift des Art. 8:108 PECL von dem Gericht geleistet werden könne und müsse. 24
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit ( C )
165
lung zwingen, so wären diese Gespräche ebenso aussichtslos wie die Erfüllung des faktisch unmöglichen Anspruchs selbst. Ferner verbliebe für den Ausschlußgrund des Art. 9:102 (2)(b) PECL kein Anwendungsbereich neben Art. 6:111 PECL. Der Konflikt ist dahingehend zu lösen, daß der Ausschluß des Erfüllungsanspruchs gemäß Art. 9:102 (2)(b) PECL als die gegenüber der Neuverhandlungspflicht schwerer wiegende Rechtsfolge für die Fälle der faktischen Unmöglichkeit reserviert bleiben muß. Erreicht das nachträgliche Leistungshindernis dagegen lediglich die Intensität wirtschaftlicher Unmöglichkeit, so trifft die Parteien nach Art. 6:111 (2) PECL die Verpflichtung, in Verhandlungen über eine Änderung oder Aufhebung des Vertrages einzutreten. 29 An die „Unangemessenheit" im Sinne des Art. 9:102 (2)(b) PECL sind somit höhere Anforderungen zu stellen als an die „übermäßige Belastung" in Art. 6:111 (2) PECL. Bei bloßem Unvermögen bleibt es entsprechend der in Art. 6:111 (1) PECL angedeuteten Maxime pacta sunt servanda beim Fortbestehen des Erfüllungsanspruchs. Sind die Parteien nach Art. 6:111 (2) PECL zur Neuverhandlung verpflichtet und erzielen sie innerhalb angemessener Zeit keine Einigung, so kann das Gericht gemäß Art. 6:111 (3) PECL den Vertrag aufheben oder anpassen. Das Gericht hat dabei einen weiten Spielraum; es kann insbesondere Vertragsklauseln modifizieren, aber es darf den Vertrag nicht neu schreiben. 30 So ist es dem Gericht nach Art. 6:111 (3) PECL auch möglich, die Nichterfüllung der Neuverhandlungspflicht mit einem Schadensersatzanspruch zu sanktionieren.
4. Zusammenfassung Bei nachträglichen Leistungshindernissen ist der Erfüllungsanspruch ausgeschlossen, wenn die Erfüllung dadurch dauerhaft und objektiv unmöglich wird (Art. 9:102 (2)(a) PECL bzw. Art. 9:303 (4), 8:108, 9:305 i.V.m. Art. 8:101 (2) PECL) oder wenigstens faktische Unmöglichkeit vorliegt (Art. 9:102 (2)(b) PECL). Im Falle wirtschaftlicher Unmöglichkeit sind die Parteien zur Neuverhandlung des Vertrages verpflichtet (Art. 6:111 (2) und (3) PECL). Der Erfüllungsanspruch erlischt jedoch nicht, wenn nur der Schuldner nicht zu leisten vermag und insoweit bloßes Unvermögen gegeben ist (Art. 6:111 (1) PECL).
29
So wohl auch Beale/Hartkamp/Kötz/Tallon , Contract Law, S. 627. v. Bar/Zimmermann , PECL, Kommentar (D) zu Art. 6:111; Tal Ion, in: Hartkamp, Towards a European Civil Code, S. 327, 33lf.; Zimmermann, JZ 1995, 477, 487 links. 30
166
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen 5. Stellungnahme
Das Problem der generellen Verfügbarkeit des Erfüllungsanspruchs wird in den European Principles salomonisch gelöst, indem die Erfüllung auf die Fälle beschränkt wird, in denen für sie eine praktische Notwendigkeit besteht. Damit vermitteln die PECL weitaus abgeklärter als das UN-Kaufrecht zwischen den antagonistischen dogmatischen Lehren. Bemerkenswert ist dabei, daß den Principles dies mittels einer einheitlichen Regelung gelungen ist, die nicht wie Art. 28 CISG je nach angerufenem Gericht unterschiedliche Ergebnisse liefernd das forum Shopping fördert. Die grundsätzliche Verfügbarkeit des Erfüllungsanspruchs hat daneben Konsequenzen für die Hierarchie der Rechtsbehelfe. Weder der Erfullungsanspruch noch der Anspruch auf Schadensersatz können in den European Principles als primärer Rechtsbehelf qualifiziert werden. 31 Vielmehr stehen diese beiden Behelfe gleichberechtigt nebeneinander, so daß die benachteiligte Partei grundsätzlich frei zwischen ihnen wählen kann. Demgegenüber wird im UNKaufrecht bisweilen der Anspruch auf Schadensersatz als die allgemeine Sanktion für Vertragsverletzungen gesehen.32 Durch die Aufnahme einer Härtefallregelung vermögen die European Principles die verschiedenen Formen nachträglicher Unmöglichkeit nuancenreich nachzuzeichnen und mit jeweils eigenen Rechtsfolgen auszustatten. Dagegen läßt das CISG nur schwarzweiß-malerisch den Erfüllungsanspruch erlöschen oder bestehen. Einziges Manko der PECL ist, daß sich das Gefalle von Art. 9:102 (2)(b) PECL zu Art. 6:111 (2) PECL nicht auch sprachlich in den dort verwendeten Formulierungen niedergeschlagen hat.
II. Auswirkungen auf die Gegenleistung Bei einem beide Seiten verpflichtenden Vertrag spielt es für den Gläubiger eines unmöglich gewordenen Erfüllungsanspruchs eine große Rolle, ob er seine eigene Leistung noch erbringen muß, bereits erbrachte Leistungen zurückfordern oder die eigene Leistung wenigstens zurückbehalten kann. Diese eigene Leistung, sprich die Gegenleistung, wird gewöhnlich darin bestehen, der anderen Partei einen bestimmten Geldbetrag zu zahlen. Für die Erfüllung von Geldschulden enthalten die European Principles in Gestalt von Art. 9:101 (1) PECL eine eigene Anspruchsgrundlage. Daneben erfaßt diese Vorschrift in ihrem
31
Beale, in: Weick, National and European law, S. 177, 191. So Lüder itz/Schüßler-Langeheine, in: Soergel, Art. 45, Rn. 7; a.A. U.Huber, in: Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 199, 203. 32
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit ( C )
167
Anwendungsbereich auch die Erfüllung von Sekundärpflichten, wie etwa die Zahlung von Zinsen oder einer bestimmten Geldsumme als Schadensersatz.33 Nach Art. 9:101 (2) PECL ist der Erfüllungsanspruch bei Geldschulden zwei Beschränkungen ausgesetzt. Diese beiden Beschränkungen betreffen allerdings Fälle, in denen der Gläubiger der Geldschuld seine Leistung noch erbringen kann. Bei nachträglicher Unmöglichkeit, mag sie objektiver oder subjektiver Natur sein, ist der Gläubiger der Geldschuld oder anders ausgedrückt der Schuldner der unmöglichen Leistung aber gerade nicht zur Leistung imstande, so daß die Beschränkungen des Art. 9:101 (2) PECL an dieser Stelle keine Rolle spielen. Gleichwohl bedeutet dies nicht, daß der Gläubiger der Geldschuld ohne weiteres Zahlung verlangen kann, hat er doch aufgrund der eingetretenen Unmöglichkeit noch nicht die ihm obliegende Verpflichtung erbracht und sich dadurch auch nicht die Vergütung verdient. Nach den PECL teilt der synallagmatische Gegenleistungsanspruch vielmehr das Schicksal mit dem unmöglich gewordenen Erfüllungsanspruch. Folgende Situationen sind dabei zu unterscheiden: das Erlöschen des Gegenleistungsanspruchs (1.), die Neuverhandlung des Vertrages (2.) sowie die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nach Art. 9:201 PECL (3.).
/. Das Erlöschen des Gegenleistungsanspruchs Erlischt der unmöglich gewordene Erfüllungsanspruch, so erlischt grundsätzlich auch der synallagmatische Gegenleistungsanspruch. Dieser Mechanismus ergibt sich für den Fall, daß die nachträgliche Unmöglichkeit zur Entschuldigung nach Art. 8:108 PECL gereicht, aus Art. 9:303 (4) PECL, der die ipso facto avoidance bewirkt und gemäß Art. 9:305 PECL beide Parteien von ihren Verpflichtungen befreit. Wie gezeigt, kann der unmöglich gewordene Erfüllungsanspruch aber nicht bloß nach den Art. 9:303 (4), 8:108, 9:305 i.V.m. Art. 8:101 (2) PECL erlöschen, sondern auch gemäß Art. 9:102 (2) (a) und (b) PECL ausgeschlossen sein. In den European Principles wird man vergeblich eine Vorschrift suchen, die eine automatische Vertragsaufhebung bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 9:102 (2) (a) und (b) PECL anordnet. Art. 9:103 PECL bezieht jedenfalls keine Stellung zu der Frage, ob in den Fällen, in denen ein Anspruch auf Erfüllung ausgeschlossen ist, der Vertrag aufgehoben ist. 34 Mangels einer speziellen Regelung ist daher das Erlöschen der Gegenleistung bei dauerhaft objekti-
33 34
v. Bar/Zimmermann , PECL, Kommentar (A) zu Art. 9:101. v. Bar/Zimmermann , PECL, Kommentar (B) zu Art. 9:103.
168
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
ver, rechtlicher oder faktischer Unmöglichkeit ebenfalls nach Art. 9:303 (4) PECL zu beurteilen. Aus dem Blickwinkel des gestörten Erfiillungsanspruchs hat dies ein kurioses Ergebnis zur Folge. So ist bei dauerhaft objektiver, rechtlicher und faktischer Unmöglichkeit der Erfiillungsanspruch bereits nach Art. 9:102 (2) (a) bzw. (b) PECL ausgeschlossen. Dennoch muß geprüft werden, ob der nicht erfüllende Schuldner nach Art. 8:108 PECL entschuldigt ist; dies zwar nicht um den Ausschluß des gegen ihn gerichteten Erfüllungsanspruchs zu erklären, aber um das Erlöschen des Gegenleistungsanspruchs zu begründen. Nach der offiziellen Kommentierung der European Principles soll zumindest in den Fällen des Art. 9:102 (2)(a) PECL, also bei einer dauerhaften objektiven Unmöglichkeit oder Rechtswidrigkeit, der Vertrag gemäß Art. 9:303 (4), 8:108, 9:305 PECL aufgehoben sein.35 Es erscheint sachgerecht, gleiches für die beinahe identischen Fälle der faktischen Unmöglichkeit des Art. 9:102 (2)(b) PECL zu fordern.
2. Die Neilverhandlung
des Vertrages
Erreicht das nachträgliche Leistungshindernis lediglich die Intensität wirtschaftlicher Unmöglichkeit, so trifft die Parteien nach Art. 6:111 (2) PECL die Verpflichtung, in Verhandlungen über eine Änderung oder Aufhebung des Vertrages einzutreten. Die Neuverhandlung betrifft dabei sowohl den vom Leistungshindernis beeinträchtigten Erfüllungsanspruch als auch den synallagmatischen Gegenleistungsanspruch.
3. Das Zurückbehaltungsrecht
nach Art. 9:201 PECL
Erbringt der Schuldner aus sonstigen Gründen die ihm obliegende Leistung nicht, so bleibt er getreu der Maxime pacta sunt servanda zur Erfüllung verpflichtet, Art. 6:111 (1) PECL. Bloßes Unvermögen vermag den Erfüllungsanspruch nicht zu beeinträchtigen. Ebenso bleibt der Gegenleistungsanspruch vom Unvermögen des Vertragspartners unberührt. Die benachteiligte Partei soll jedoch nicht sehenden Auges leisten müssen, wenn feststeht, daß sie die ihr gebührende Leistung nicht oder nicht rechtzeitig erhalten wird. Daher gestattet Art. 9:201 PECL der benachteiligten Partei, wenn sie gleichzeitig mit oder nach
35 v. Bar/Zimmermann, PECL, Kommentar (B) zu Art. 9:103; so auch Beale/ Hartkamp/Kötz/Tallon, Contract Law, S. 592, die Art. 8:108 PECL unter der Überschrift „impossibility of Performance" behandeln; a.A. Storme, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 11, 31 f., der in der Unmöglichkeit weder einen hinreichenden noch einen notwendigen Entschuldigungsgrund i.S.d. Art. 8:108 PECL sieht.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit ( C )
169
der anderen Partei zu leisten hat, 36 die ihr obliegende Leistung zurückzubehalten, bis die andere Partei ihre Leistung angeboten oder erbracht hat. Ist die benachteiligte Partei vorleistungspflichtig, so kann sie ihre Leistung gemäß Art. 9:201 (2) PECL aussetzen, wenn klar ist, daß es zu einer Nichterfüllung durch die andere Partei kommen wird, sobald deren Leistung fällig ist. Ist zwar nicht sicher, daß es zu einer wesentlichen Nichterfüllung kommen wird, bestehen aber vernünftige Gründe zu dieser Annahme, so kann die womöglich benachteiligte Partei gemäß Art. 8:105 PECL Gewähr für die Erfüllung verlangen. Mit dem Zurückbehaltungsrecht des Art. 9:201 PECL (right to withhold Performance ) verwirklichen die European Principles das funktionelle Synallagma. Doch selbst für die Fälle der nachträglichen subjektiven Unmöglichkeit spielt das Zurückbehaltungsrecht nur dann eine Rolle, wenn das Leistungshindernis in den Augen des Gläubigers von vorübergehender Natur ist. 37
4. Stellungnahme In den European Principles wird das synallagmatische Prinzip auch bei nachträglicher Unmöglichkeit konsequent fortgeführt, indem das Schicksal des synallagmatischen Gegenleistungsanspruchs spiegelbildlich zum unmöglich gewordenen Erfüllungsanspruch geregelt wird. Die sprachliche Umsetzung dieser Lösung erscheint jedoch verbesserungsbedürftig. Art. 9:101 PECL verwendet den Begriff „Gläubiger" (creditor). Daran ist nichts zu beanstanden, solange der aufgeworfene Sachverhalt lediglich die Zahlung einer Geldschuld betrifft. Tritt jedoch, wie hier, eine Störung der synallagmatischen Sachleistungspflicht hinzu, so mag man zumindest als deutscher Jurist ins Schleudern geraten. Die Crux besteht nämlich darin, daß bei einem Austauschvertrag bekanntlich beide Parteien Gläubiger und Schuldner des anderen sind. Nach dem BGB ist man gewohnt, daß wenn im Leistungsstörungsrecht von „Schuldner" und „Gläubiger" die Rede ist, jeweils die der gestörten Leistung gemeint sind. Der Austausch der Formulierung „Gläubiger" in Art. 9:101 PECL durch eine plastische Formulierung, wie sie im common law gerne verwandt wird, kommt hier nicht in Betracht. Floskeln wie „die Vertragstreue Partei" oder „die benachteiligte Partei" passen insbesondere nicht zu den beiden Ausnahmefallen des zweiten Absatzes von Art. 9:101 PECL, in denen sich beide Parteien nicht getreu des Vertrages bzw. der Principles verhalten. Zu empfehlen wäre daher, die Vorschrift des Art. 9:101 PECL insgesamt ohne
36 Die Reihenfolge der Leistungen ergibt sich primär aus der Parteivereinbarung und in Ermangelung einer solchen aus Art. 7:104 PECL. 37 Vgl. die Ausfuhrungen zu Art. 71 CISG auf S. 84.
170
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
Verwendung des Begriffs „Gläubiger" oder einer äquivalenten Formel abstrakt zu formulieren. Art. 9:101 PECL könnte dann folgendermaßen lauten:
Art. 9:101: Geldschulden Die Zahlung von falligen Geldschulden kann verlangt werden. Wer die ihm obliegende Leistung noch nicht erbracht hat, kann diese auch dann erbringen und sich damit die Zahlung des vertraglich vereinbarten Entgelts verdienen, wenn die Leistung offensichtlich nicht angenommen werden wird, es sei denn: er hätte ohne nennenswerte Anstrengungen oder Kosten ein angemessenes Deckungsgeschäft abschließen können; oder
Art. 9:101: Monetary Obligations Due payments can be demanded. If one has not yet performed his obligation and it is clear that the other party will be unwilling to receive performance, he may proceed with his performance and thus become entitled to any payments due under the contract unless: he could have made a reasonable substitute transaction without significant effort or expense; or performance would be unreasonable under the circumstances.
die Leistung wäre nach den Umständen unangemessen.
Desgleichen wirkt die Formulierung „die erste Partei" (the first party) in Art. 9:201 (1) Satz 2 PECL etwas hölzern. Eloquenter wäre es, in diesem Kontext ebenfalls die gesamte Floskel fallenzulassen und statt dessen den Inhalt wie folgt zu formulieren:
Art. 9:201: Zurückbehaltungsrecht [...] Die Leistung kann insgesamt oder nur teilweise zurückbehalten werden, soweit dies nach den Umständen angemessen erscheint.
Art. 9:201: Right to Performance
Withhold
[...] The right to withhold performance may be exercised with regard to the whole performance or a part of it as it may be reasonable in the circumstances.
Schließlich wäre daran zu denken, Art. 9:303 (4) PECL in seinem Tatbestand um die Ausschlußgründe des Art. 9:102 (2) PECL zu erweitern. Dann wäre bei Vorliegen eines Ausschlußgrundes nicht lediglich der betroffene Erfüllungsanspruch ausgeschlossen, sondern der gesamte Vertrag würde automatisch aufgehoben werden. Eine solch drastische Rechtsfolge erscheint nur gerechtfertigt, wenn der Schuldner der gestörten Leistung nach den PECL entweder erst gar nicht vor die Wahl gestellt wird, noch zu erfüllen oder wenn er sich, eine Wahlmöglichkeit vorausgesetzt, gegen die Erfüllung entscheidet. Erstes wäre
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit ( C )
171
der Fall, wenn man die Ausschlußgründe des Art. 9:102 (2) PECL als rechtsvernichtende Einwendungen sieht; letzteres hingegen, wenn man sie als rechtshemmende Einreden versteht und der Schuldner der gestörten Leistung die betroffene Einrede geltend macht.
III. Das Recht zur Vertragsaufhebung Das Recht des Gläubigers zur Vertragsaufhebung (termination of the contract) ist in den European Principles im wesentlichen übereinstimmend nach dem Vorbild des UN-Kaufrechts geregelt worden. 38 Damit folgen die PECL einem Regelungsmodell, das sich in neuerer Zeit international immer stärker durchgesetzt hat und das von einer starken Vereinheitlichung der Aufhebungsvoraussetzungen geprägt ist. 39
1. Die Voraussetzungen des Aufliebungsrechts Grundvoraussetzung des Aufhebungsrechts ist die Nichterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung, und zwar unabhängig davon, ob der Vertragspartner hierfür nach Art. 8:108 PECL entschuldigt ist oder nicht. 40 Hinzukommen muß nach Art. 9:301 PECL entweder, daß die Nichterfüllung wesentlich ist (Absatz 1) oder daß, im Falle einer Verzögerung der Erfüllung, eine von der benachteiligten Partei gesetzte Nachfrist erfolglos verstrichen ist (Absatz 2).
a) Wesentliche Nichterfüllung (Art. 8:103 PECL) In den European Principles wird ebenso wie im CISG das Attribut „wesentlich" {fundamental) verwandt, um die besondere Schwere der Nichterfüllung (non-performance) bzw. der Vertragsverletzung (breach of contract) auszudrücken. Wann eine Leistungsstörung solch ein erhebliches Gewicht erreicht hat, wird nicht bei den Aufhebungsregeln (Art. 9:301 ff. PECL) sondern in der allgemeinen Vorschrift des Art. 8:103 PECL geregelt. Danach ist eine Nichterfüllung für den Vertrag in drei Fällen wesentlich:
38 U.Huber, in: Vacca, II contratto inadempiuto, S. 393, 403; Lando, in: FS Goode, S. 103, 117; Schweitzer, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37, 41f. 39 Zimmermann, JZ 1995, 477, 484 links; Hornung, Rückabwicklung gescheiterter Verträge, S. 112f. 40 Vgl. Art. 8:101 (1) und (2) PECL; siehe auch Zimmermann, JZ 1995, 477, 484 links; U.Huber, in: Vacca, II contratto inadempiuto, S. 393, 404.
172
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
Erstens kann es Situationen geben, in denen die genaue Einhaltung der Verpflichtung für den Vertrag entscheidend ist. Art. 8:103 (a) PECL bestimmt, daß in diesen Fällen eine Nichterfüllung immer wesentlich ist. Nicht genau eingehalten wird eine Verpflichtung, wenn sie entweder zum falschen Zeitpunkt oder sonst nicht in der geschuldeten Art und Weise erbracht wird. Damit betrifft Art. 8:103 (a) PECL primär die Leistungsstörungen des Verzugs und der Schlechtleistung und spielt insofern für die nachträgliche Unmöglichkeit eher eine untergeordnete Rolle. Gleichwohl kann auch die Einhaltung einer unmöglich gewordenen Verpflichtung für den Vertrag entscheidend sein. Die zweite Alternative mittels derer die Wesentlichkeit einer Nichterfüllung festgestellt werden kann, nämlich Art. 8:103 (b) PECL, stellt auf das Ausmaß und Gewicht der Folgen ab, welche die Nichterfüllung für die benachteiligte Partei mit sich bringt. Annähernd wortgetreu übernehmen die PECL dabei den Text von Art. 25 CISG. So muß auch nach den European Principles der benachteiligten Partei „im wesentlichen entgehen, was sie nach dem Vertrag erwarten durfte" (substantially deprive of what he was entitled to expect under the contract). Ausgeschlossen werden aber auch hier die Fälle, in denen „die andere Partei diese Folge nicht vorausgesehen hat und auch nicht voraussehen konnte" {the other party did not foresee and could not reasonably have foreseen that result). Geringfügige Abweichungen ergeben sich zunächst aus dem unterschiedlichen Ausgangspunkt zur Umschreibung der Parteien. Während das CISG von der „Vertragsbrüchigen Partei" (party in breach) und der „anderen Partei" spricht, ist in den European Principles genau umgekehrt von der „benachteiligten Partei" (aggrieved party) und der „anderen Partei" die Rede. Inhaltliche Unterschiede ergeben sich daraus nicht. Auffallig ist ferner, daß Art. 8:103 (b) PECL weniger gestelzt formuliert wirkt als Art. 25 CISG. Dies hängt zum einen damit zusammen, daß in den PECL auf den ohnehin mißverständlichen 41 Begriff „Nachteil" (detriment) verzichtet worden ist. Diese Voraussetzung ergibt sich ja schon daraus, daß der benachteiligten Partei etwas „entgangen" sein muß. Zum anderen wird mit der Floskel „could not have foreseen u auf knappe Weise ausgedrückt, was das CISG umständlich mit „hätte eine vernünftige Person der gleichen Art unter den gleichen Umständen auch nicht vorausgesehen" auszudrücken versucht. Trotz dieser geringfügigen Inkongruenzen gibt Art. 8:103 (b) PECL damit den Inhalt von Art. 25 CISG sinngemäß wieder, 42 weshalb an dieser Stelle auf die dortigen Anmerkungen und Ausführungen verwiesen werden kann.43 Erwähnenswert erscheint jedoch, daß
41
Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. B.II.3. Lando, in: FS Goode, S. 103, 117; U.Huber, in: Vacca, II contratto inadempiuto, S. 393, 404; Zimmermann, JZ 1995, 477, 484, Fn. 108; Hornung, Rückabwicklung gescheiterter Verträge, S. 103. 43 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. .II. 42
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit ( C )
173
die European Principles auch den Zirkelschluß von Art. 25 CISG übernommen haben, indem sie die Wesentlichkeit einer Nichterfüllung {fundamental nonperformance) mit dem Wort „wesentlich" (substantially) zu erklären versuchen.44 Die Ergebnisse von Art. 25 CISG zusammenfassend und auf die Vorschrift des Art. 8:103 (b) PECL übertragend, läßt sich sagen, daß die Wesentlichkeitsschwelle bei endgültiger objektiver Unmöglichkeit stets und bei faktischer Unmöglichkeit in der Regel erreicht sein wird; dagegen kann bei lediglich vorübergehender Unmöglichkeit oder bei bloßem Unvermögen nicht per se auf eine wesentliche Nichterfüllung geschlossen werden. 45 Daneben bietet Art. 8:103 (c) PECL eine dritte Möglichkeit, die Wesentlichkeit einer Nichterfüllung herzuleiten. Selbst wenn die verletzte Verpflichtung von untergeordneter Bedeutung ist und die benachteiligte Partei auch nicht im wesentlichen des Vorteils beraubt wird, um dessentwillen sie den Vertrag geschlossen hat, darf sie die Nichterfüllung gemäß Art. 8:103 (c) PECL als wesentlich behandeln, wenn die Nichterfüllung intendiert gewesen ist und der benachteiligten Partei Grund zur Annahme gibt, daß sie mit einer künftigen Leistung durch die andere Partei nicht rechnen kann. 46 Intendiert ist die Nichterfüllung, wenn eine Verpflichtung vorsätzlich nicht erfüllt wird. 47 Oftmals wird sich die benachteiligte Partei aber deshalb nicht auf Art. 8:103 (c) PECL berufen können, weil ihr (abgesehen von der Haftung für die Nichterfüllung) keine weitere Leistung mehr geschuldet wird. Eine größere Bedeutung kommt dieser Vorschrift bei durch Teilleistungen zu erfüllenden Verträgen zu. Dementsprechend ist Art. 8:103 (c) PECL im Rahmen des noch zu erörternden Art. 9:302 PECL besondere Beachtung zu schenken. Resümierend steht der benachteiligten Partei ein Recht zur Vertragsaufhebung gemäß Art. 9:301 (1) PECL zu, wenn die Nichterfüllung nach einer der drei Alternativen des Art. 8:103 PECL als wesentlich zu qualifizieren ist.
b) Nachfristsetzung bei Verzögerung der Erfüllung Bei einer für den Vertrag unwesentlichen Nichterfüllung eröffnen die Art. 9:301 (2), 8:106 (3) PECL der benachteiligten Partei die Möglichkeit, über eine Nachfristsetzung zu einem Aufhebungsrecht zu kommen. Dabei wird zuweilen übersehen, daß diese Option limitiert ist auf die Fälle einer Verzögerung
44
Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. B.II.2. und 4.Teil l.Kap l.Abschn. B.II.3. Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.IV.l.a)aa). 46 Vgl. v. Bar/Zimmermann, PECL, Kommentar (D) zu Art. 8:103. 47 U.Huber, in: Vacca, II contratto inadempiuto, S. 393, 404: Zimmermann, JZ 1995, 477, 484. 45
174
4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
der Erfüllung. 48 Zwar kann der Gläubiger nach Art. 8:106 (1) PECL auch dann eine Nachfrist setzen, wenn zwar pünktlich, aber schlecht erfüllt wurde und die Schlechterfüllung nicht wesentlich war. 49 Doch erlangt er dadurch kein Aufhebungsrecht nach Art. 8:106 (3) PECL, da die Art. 8:106 (3), 9:301 (2) PECL eine verzögerte Erfüllung (delay) voraussetzen und somit nicht auf die Schlechterfüllung anwendbar sind. 50 Anders als noch im Haager EKG 5 1 kann daher bei mangelhafter Lieferung durch eine Nachfrist kein Aufhebungsrund geschaffen werden. Insoweit gehen die European Principles mit dem UNKaufrechtsübereinkommen konform. Marginale Unterschiede ergeben sich allerdings aus einer weiteren im UN-Kaufrecht geltenden Beschränkung des Nachfristmodells. Während im CISG die erfolglose Nachfristsetzung nur bei Ausbleiben der Lieferung, Kaufpreiszahlung oder Abnahme der Ware ein Aufhebungsrecht nach sich zieht, 52 gilt dies nach Art. 9:301 (2), 8:106 (3) PECL für jede Vertragspflicht, die nicht rechtzeitig erbracht wird. 53 Wird eine Leistung nicht erbracht, weil diese unmöglich geworden ist, so liegt jedenfalls eine „Verzögerung" vor, und der Gläubiger kann sich mittels Nachfristsetzung Klarheit über sein Aufhebungsrecht verschaffen.
48
Unzutreffend daher U.Huber, in: Vacca, II contratto inadempiuto, S. 393, 405: „Er [der Gläubiger] kann in jedem Fall durch Nachfristsetzung die Vertragsbeendigung herbeiführen. Er kann außerdem auch ohne Nachfristsetzung die Vertragsaufhebung erklären, wenn die Vertragsverletzung schon als solche wesentlich im Sinn des Art. 3.103 [Art. 8:103 PECL n.F.] ist. [...] Soweit es sich um eine Vertragsverletzung handelt, bei der eine Nachfristsetzung nicht in Betracht kommt (z.B.: [...] die verkaufte Sache weist einen nicht behebbaren Mangel auf), kann die Vertragsaufhebung nur dann erklärt werden, wenn die Vertragsverletzung wesentlich ist". Huber ist zwar insoweit zuzustimmen, daß wenn eine Nachfristsetzung nicht in Betracht kommt, nur eine wesentliche Nichterfüllung ein Aufhebungsrecht begründen kann. Jedoch kommt es im Fall einer mangelhaften Leistung nicht, wie in dem Beispiel angedeutet, auf die Behebbarkeit des Mangels an. Weist die zum vereinbarten Zeitpunkt erbrachte Leistung einen Mangel auf, so kommt die Begründung eines Aufhebungsrechtes über eine Nachfristsetzung mangels einer Verzögerung der Erfüllung schlechthin nicht in Betracht. Der Gläubiger kann somit keineswegs in jedem Fall durch Nachfristsetzung die Vertragsbeendigung herbeifuhren. 49 v. Bar/Zimmermann, PECL, Kommentar (C) zu Art. 8:106. 50 v. Bar/Zimmermann, PECL, Kommentar (C) zu Art. 8:106; Beale, in: Hartkamp, Towards a European Civil Code, S. 348, 357; Lando,, in: FS Goode, S. 103, 117; Zimmermann, JZ 1995, 477, 484 rechts; Fischer, Unmöglichkeit der Leistung, S. 158. 51 Siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.IV.l.d). 52 Vgl. Art. 49 Abs. 1 lit (b) und Art. 64 Abs. 1 lit (b) CISG. 53 U.Huber, in: Vacca, II contratto inadempiuto, S. 393, 404; Schwenzer, in: Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37, 42.
1. Kapitel: Die nachträgliche Unmöglichkeit ( C )
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c) Die Aufhebung eines durch Teilleistungen zu erfüllenden Vertrages Ist die Leistung aus einem Vertrag sukzessive in Teilen zu erbringen und können den einzelnen Teilleistungen jeweils anteilige Gegenleistungen zugeordnet werden, so gilt in den European Principles für das Aufhebungsrecht die Sonderregel des Art. 9:302 PECL. Danach beschränkt sich das Recht zur Vertragsaufhebung bei Sukzessivlieferungsverträgen und anderen Dauerschuldverhältnissen auf den von der Nichterfüllung betroffenen Teil. Nur wenn die Nichterfüllung für den gesamten Vertrag wesentlich ist, kann die benachteiligte Partei den ganzen Vertrag aufheben. Auch hier folgen die European Principles dem aus Art. 73 CISG bekannten Prinzip der Lokalisation der Vertragsaufhebung. 54 Für Verträge, die als in eine Reihe einzelner Einheiten teilbar angesehen werden können, wird somit der Wirkungsradius der Vertragsaufhebung grundsätzlich auf die nicht erfüllte Einheit begrenzt und nur ausnahmsweise auf den gesamten Vertrag erweitert. Wann welcher Radius zu gelten hat und ob im Einzelfall überhaupt eine Vertragsaufhebung in Betracht kommt, bleibt jedoch angesichts der mehrdeutigen Formulierung des Art. 9:302 PECL in zwei Fällen unklar. Erstens erscheint es fraglich, ob der Gläubiger bei durch Teilleistungen zu erfüllenden Verträgen überhaupt mittels einer Nachfristsetzung zu einem Aufhebungsrecht kommen kann. Art. 9:302 PECL spricht von einem „nach diesem Abschnitt zustehenden Recht auf Vertragsaufhebung". Dies umfaßt zwar auch den bereits analysierten Aufhebungsgrund des Art. 9:301 (2) PECL, der im Falle der Verzögerung der Erfüllung die Aufhebung bei erfolgloser Nachfristsetzung gestattet. Jedoch erfordert diese Aufhebungsalternative wegen des Verweises auf Art. 8:106 (3) PECL, daß die Verzögerung nicht wesentlich ist. Diese Voraussetzung disharmoniert mit den Anforderungen des Art. 9:302 Satz 1 PECL, wonach es hinsichtlich einer Teilleistung zu einer wesentlichen Nichterfüllung gekommen sein muß. Streng genommen kann die benachteiligte Partei also bei einem durch Teilleistungen zu erfüllenden Vertrag nie mittels Nachfristsetzung zu einem Aufhebungsrecht kommen, da die hierfür erforderliche Verzögerung nicht zugleich wesentlich und unwesentlich sein kann. Es gibt jedoch keinen Grund dafür, die Nachfristsetzung als Aufhebungsalternative bei Sukzessivlieferungsverträgen auszuschließen. Daher sind die kollidierenden Vorschriften dahingehend auszulegen, daß eine unwesentliche Verzögerung der Erfüllung durch erfolglose Nachfristsetzung gemäß Art. 9:301 (2), 8:106 (3) PECL zu einer wesentlichen Verzögerung im Sinne des Art. 9:302 PECL erstarken kann. Das aufgeworfene Problem ist jedoch nur von geringer praktischer Bedeutung, da bei Dauerschuldverhältnissen die zu erbringenden Teil-
54 Coen, in: FS Schlechtriem, S. 189, 204; v. Bar/Zimmermann , PECL, Kommentar (B) zu Art. 9:302.
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4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
leistungen in der Regel Fixschuldcharakter haben und somit deren Nichterfüllung regelmäßig als wesentlich im Sinne des Art. 8:103 lit (a) PECL qualifiziert werden kann. Der Gläubiger kann in diesem Fall sein Aufhebungsrecht auf Art. 9:301 (1) PECL i.V.m. Art. 9:302 PECL stützen. Der zweite Problemkreis im Rahmen des Art. 9:302 PECL dreht sich ebenfalls um das Merkmal der „wesentlichen Nichterfüllung", genauer gesagt darum, wann eine Nichterfüllung gemäß Art. 9:302 Satz 2 PECL für den ganzen Vertrag wesentlich ist. Nach dem Willen der Lando-Kommission ist der Focus zunächst auf die einzelne nicht erfüllte Einheit zu richten. Diese Einheit ist sodann wie ein selbständiger Vertrag zu behandeln und es ist zu prüfen, ob hinsichtlich dieses Teils ein Aufhebungsrecht besteht. Ein etwaig bestehendes Aufhebungsrecht bezüglich einer Teilleistung bewirkt jedoch, bildhaft gesprochen, lediglich das Herausbrechen der nicht erfüllten Einheit aus dem Vertrag. Der gesamte Vertrag kann nur dann aufgehoben werden, wenn die Nichterfüllung für den ganzen Vertrag wesentlich ist. Was auf den ersten Blick unkompliziert anmutet, erweist sich bei Anwendung der PECL tatsächlich als äußerst diffizil. Art. 9:302 PECL erklärt nämlich nicht, unter welchen Voraussetzungen eine Nichterfüllung lediglich für die nicht erfüllte Vertragseinheit und wann für den gesamten Vertrag wesentlich sein soll. Demgegenüber legt Art. 73 CISG fest, daß der gesamte Vertrag ex nunc aufgehoben werden kann, wenn eine wesentliche Vertragsverletzung in Bezug auf künftige Teillieferungen zu erwarten ist (Abs. 2) und daß eine Aufhebung des ganzen Vertrages ex tunc in Betracht kommt, wenn die schon erhaltenen und/oder künftigen Teillieferungen wegen ihres Gesamtzusammenhangs für den ursprünglichen Vertragszweck nun nicht mehr nutzbar sind (Abs. 3). In den European Principles hat der Rechtsanwender dagegen zur Ermittlung, ob die Nichterfüllung für den gesamten Vertrag wesentlich ist, mangels spezieller Regelungen auf die allgemeine Vorschrift des Art. 8:103 PECL zurückzugreifen. Daher wird Art. 8:103 PECL in aller Regel zweimal zu prüfen sein; zuerst, um das Aufhebungsrecht nach Art. 9:301 (1) PECL i.V.m. Art. 9:302 Satz 1 PECL für die nicht erfüllte Vertragseinheit herzuleiten und sodann, um es gemäß Art. 9:302 Satz 2 PECL auf den gesamten Vertrag auszuweiten. Dies gewährleistet in den Fällen des Art. 8:103 (a) und (b) PECL zwar immer noch keine scharfe Abgrenzungslinie zwischen Nichterfüllungen, die nur für die betroffene Vertragseinheit wesentlich sind und solchen, die für den gesamten Vertrag wesentlich sind. Aber es ist zumindest nicht sinnwidrig zu prüfen, ob die genaue Einhaltung der Verpflichtung nur für die Teillieferung oder für den gesamten Vertrag entscheidend war (Art. 8:103 (a) PECL) bzw. ob der benachteiligten Partei im wesentlichen nur das entgeht, was sie von der nicht erfüllten Teilleistung erwarten durfte oder ob sie des Vorteils beraubt wird, der ihr dem gesamten Vertrage nach zustehen sollte (Art. 8:103 (b) PECL). Widersinnig erscheint allerdings die zweifache Prüfung des Art. 8:103 (c) PECL. Man kann nämlich bei einer vorsätzlichen Nichterfüllung
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nur hinsichtlich der betroffenen Teilleistung prüfen, ob der benachteiligten Partei dadurch Anlaß zu der Annahme gegeben wird, daß sie sich auf die künftige Leistung durch die andere Partei nicht verlassen kann; im Bezug auf den gesamten Vertrag ist eine solche Prüfung dagegen nicht möglich. Angesichts dieser Ungereimtheiten verwundert es auch nicht, daß Art. 8:103 (c) PECL als eine „etwas zweifelhafte Regelung" bezeichnet wird, deren „Interpretation erhebliche Schwierigkeiten aufwirft". 55 Sach- und interessengerecht wäre es, wenn sich das Aufhebungsrecht bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 8:103 (c) PECL nicht bloß auf die betroffene Vertragseinheit beschränken, sondern auf den gesamten Vertrag erstrecken würde.
d) Antizipierte Nichterfüllung Mit Art. 9:304 PECL knüpfen die European Principles an das im common law geltende Prinzip an, wonach der Gläubiger eine Nichterfüllung antizipieren kann, wenn schon vor Fälligkeit klar ist, daß die drohende Nichterfüllung wesentlich sein wird, so vor allem, wenn der Schuldner erklärt, daß er den Vertrag nicht erfüllen wird. 56 Dies kann darauf beruhen, daß der Schuldner nicht willens oder nicht fähig ist, seine Leistung zu erbringen. In gleicher Weise ist der anticipatory breach of contract in Art. 72 Abs. 1 CISG geregelt. Das Äquivalent zu Art. 72 Abs. 2 CISG, wonach die Vertragsaufhebung nach Möglichkeit dem Schuldner vorab anzuzeigen ist, damit dieser für die Erfüllung seiner Pflichten ausreichende Gewähr geben kann, findet sich indes in einer anderen Vorschrift der European Principles. Denn ruft das Verhalten des Schuldners lediglich Zweifel über dessen Leistungswillen oder Leistungsvermögen hervor, so besteht der Rechtsbehelf der anderen Partei gemäß Art. 8:105 PECL darin, eine Gewähr für die Erfüllung verlangen zu können.57 Ebenso wie Art. 72 CISG beziehen sich die Art. 9:304, 8:105 (2) PECL dem Wortlaut nach lediglich auf den Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung. Genau wie Art. 72 CISG wird aber auch bei den Principles die Ansicht vertreten, daß eine Partei, die ihr Recht auf Vertragsaufhebung wegen antizipierter Nichterfüllung ausübe, dieselben Rechte habe wie bei Aufhebung des Vertrages wegen tatsächlicher Nichterfüllung und daher berechtigt sei, auch andere kumulierbare
55 So Coen, in: FS Schlechtriem, S. 189, 204, Fn. 39, der den Leser aber im Dunkeln darüber läßt, worauf sich seine Kritik an Art. 8:103 lit (c) PECL überhaupt richtet; siehe auch Schlechtriem , in: Basedow, Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung, S. 159, 171. 56 U.Huber, in: Vacca, II contratto inadempiuto, S. 393, 405; Beale, in: Hartkamp, Towards a European Civil Code, S. 348, 355, 357. 57 v. Bar/Zimmermann , PECL, Kommentar (C) zu Art. 9:304.
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Rechtsbehelfe auszuüben.58 Dies leuchtet ein. Dem Leser mag sich gleichwohl die Frage stellen, wieso in den betreffenden Artikeln dennoch nur von der Vertragsaufhebung und nicht etwa auch vom Schadensersatz die Rede ist. Überzeugender wäre es, wenn als Rechtsfolge von Art. 9:304 PECL die drohende wesentliche Vertragsverletzung als eingetreten gelten würde, gegebenenfalls verbunden mit einem Verweis auf die nach Art. 8:101 PECL möglichen Rechtsbehelfe.
e) Aufhebungserklärung binnen angemessener Frist Unabhängig davon, ob der Vertrag wegen einer tatsächlich eingetretenen oder einer antizipierbaren wesentlichen Nichterfüllung oder im Falle der Verzögerung wegen erfolgloser Nachfristsetzung aufgehoben wird, bedarf es nach Art. 9:303 (1) PECL grundsätzlich einer entsprechenden Erklärung der aufhebenden Partei an die nicht leistende Partei. Wie gezeigt,59 ist eine Aufhebungserklärung allerdings nach Art. 9:303 (4) PECL entbehrlich, wenn der Entlastungstatbestand des Art. 8:108 PECL gegeben ist. Ist eine Aufhebungserklärung nicht entbehrlich, so ist die Aufhebung gemäß Art. 9:303 (2) PECL binnen angemessener Frist zu erklären, nachdem die benachteiligte Partei von der Erfüllung erfahren hat oder hätte erfahren müssen. Anderenfalls geht sie ihres Aufhebungsrechtes verlustig. Die Aufhebungserklärung kann dabei entweder ausdrücklich erfolgen oder durch Zurückweisung der angebotenen Leistung abgegeben werden. 60 Was eine angemessene Frist ist, wird nicht mittels starrer zeitlicher Bestimmungen festgelegt, sondern ergibt sich vielmehr aus Art. 1:302 PECL, der die Angemessenheit definiert. 61 Jedenfalls muß der benachteiligten Partei genug Zeit gegeben werden, um zu prüfen, ob die Leistung für sie noch brauchbar ist oder nicht. 62 Bleibt die Leistung gänzlich aus, etwa weil sie unmöglich geworden ist, so kann die benachteiligte Partei keine solche Prüfung vornehmen, was eine zeitliche Limitation des Aufhebungsrechts ad absurdum führt. Aus diesem Grunde bestimmt Art. 9:303 (3)(a) PECL, daß sofern der Vertrag nicht schon gemäß Art. 9:303 (4), 8:108 PECL ipso iure aufgehoben wird, die Ausübungsfrist erst zu laufen beginnt, wenn die Leistung angeboten wird. Im Zeitpunkt der Fälligkeit beginnt dagegen bereits die Frist des Art. 9:102 (3) PECL zur Ausübung des Erfüllungsanspruchs zu 58 Für das CISG: siehe oben 4.Teil l.Kap l.Abschn. C.III.2.; für die PECL: v. Bar/ Zimmermann, PECL, Kommentar (D) zu Art. 9:304. 59 Siehe oben 4.Teil l.Kap 2.Abschn. B.I.3.a) und 4.Teil l.Kap 2.Abschn. B.II.l. 60 v. Bar/Zimmermann, PECL, Kommentar (A) zu Art. 9:303. 61 Man beachte auch die Vorschrift des Art. 1:304 PECL, welche die Berechnung von Fristen regelt. 62 v. Bar/Zimmermann, PECL, Kommentar (B) zu Art. 9:303.
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laufen. Will der Gläubiger keiner seiner Rechtsbehelfe verlustig gehen, so darf er unabhängig von der eingetretenen Leistungsstörung nicht abwarten und untätig bleiben. Schließlich regelt Art. 9:303 (3)(b) PECL die Fälle, in denen der Gläubiger weiß oder zumindest Grund zur Annahme hat, daß der Schuldner binnen angemessener Frist die Leistung noch anzubieten beabsichtigt, und der Gläubiger dem Schuldner aber unangemessenerweise nicht mitteilt, daß er die Leistung nicht annehmen werde. In diesem Fall verliert der Gläubiger sein Aufhebungsrecht, sofern der Schuldner tatsächlich noch innerhalb angemessener Frist seine Leistung tatsächlich anbietet.
f) Stellungnahme Da die European Principles das UN-Kaufrecht zum Fundament ihres Leistungsstörungsrechts gewählt haben, darf man sie als ein Update zum CISG verstehen. Die Analyse der Aufhebungsvoraussetzungen hat gezeigt, daß die PECL diesem Anspruch auch gerecht werden. So findet sich etwa die Vorschrift des Art. 25 CISG, der Wesentlichkeitsnorm im UN-Kaufrecht, in Art. 8:103 PECL um zwei Tatbestände erweitert wieder. Doch bekanntlich bringt nicht jede Neuerung zwangsläufig nur Verbesserungen mit sich. So verhält es sich auch mit den Ergänzungen und Abweichungen der European Principles gegenüber dem CISG; einige verbessern und andere verschlechtern das Regelwerk. Als Verbesserung zu werten ist die eingängige Formulierung des Art. 8:103 (b) PECL, welche die inhaltsgleiche Regelung des Art. 25 CISG sprachlich vereinfacht wiedergibt. Trotzdem vermögen die European Principles nicht die Unschärfe des Art. 25 CISG zu korrigieren. Fehlgeleitet von dem Irrglauben, die Wesentlichkeit einer Vertragsverletzung bzw. Nichterfüllung {fundamental breach of contract / non-performance) mit dem Wort „wesentlich" {substantially) selbst erklären zu können, übernimmt die Lando-Kommission auf diese Weise das Odium des UN-Kaufrechts. Zu honorieren ist dabei jedoch das Bemühen der Lando-Kommission, den vagen Wesentlichkeitstatbestand des UNKaufrechts durch Erweiterung zweier Fallgruppen präzisieren zu wollen. Was die erste Fallgruppe angeht, nämlich Art. 8:103 (a) PECL, ist ihr das auch gelungen. Dagegen ist Art. 8:103 (c) PECL bei dem allgemeinen Tatbestand der wesentlichen Nichterfüllung fehl am Platze. Vielmehr hätte diese Regelung zur Beantwortung der Frage fruchtbar gemacht werden können, wann ein durch Teilleistungen zu erfüllender Vertrag der Gänze nach aufgehoben werden kann (Art. 9:302 PECL). Die Aufhebung von Sukzessivlieferungsverträgen ist in Art. 73 CISG jedenfalls überzeugender geregelt. Was die Nachfristsetzung als Aufhebungsgrund angeht, so ergeben sich keine großen Unterschiede zwischen CISG und PECL. Gleiches gilt hinsichtlich der Frist zur Ausübung des Aufhebungsrechts. Für den Bereich der nachträglichen Unmöglichkeit bieten diese
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4. Teil: Die Behandlung der einzelnen Leistungsstörungen
Vorschriften eine vernünftige Lösung. Bei der Rechtsfigur der antizipierten Vertragsverletzung bzw. Nichterfüllung mißfällt lediglich, daß sie in beiden Regelwerken zu sehr auf den Rechtsbehelf der Vertragsaufhebung zugeschnitten ist.
2. Die Wirkungen der Vertragsaufliebung Die Art. 9:305 bis 9:309 PECL regeln die Natur und Rechtsfolgen der Vertragsaufhebung. Diese bestehen gemäß Art. 9:305 (1) PECL im wesentlichen darin, daß die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen entfallen, soweit sie noch nicht erfüllt worden sind und auch keine spezielleren Aufhebungsvorschriften (Art. 9:306, 9:307, 9:308 PECL) eingreifen. Ferner bleiben nach Art. 9:305 (2) PECL auf die Streitbeilegung bezogene Vertragsvereinbarungen sowie sonstige für den Fall der Vertragsaufhebung getroffene Bestimmungen von der Aufhebung unberührt. Hinter der Regelung des Art. 9:305 PECL steht der Gedanke, daß die European Principles auch auf Dauerschuldverhältnisse Anwendung finden können und hier ein Leistungsaustausch unangetastet bleiben soll, wenn er in der Vergangenheit vollzogen ist. 63 Mißverständlich ist dabei die in Art. 9:305 (1) PECL gewählte Formulierung „rights and liabilities that have accrued up to the time of termination" und noch vielmehr deren deutsche Übersetzung „Rechte und Pflichten, die bis zum Zeitpunkt der Aufhebung entstanden sind". 64 Wollte man tatsächlich die bis zum Zeitpunkt der Aufhebung entstandenen Verpflichtungen unberührt lassen, dann bliebe die Vertragsaufhebung regelmäßig wirkungslos. Denn bevor Rechte und Pflichten aufgehoben werden können, müssen sie notwendig überhaupt erst entstanden sein. Um es mit den Worten von Coen zu sagen, scheint man bei dieser Formulierung „offenbar über dogmatische Fallstricke gestolpert" zu sein.65 Zu befürworten wäre daher eine Neuformulierung des Art. 9:305 (1) PECL, die nicht auf die Entstehung (accrual) der Verpflichtungen, sondern deren Austausch (exchange) abstellt.66 bzw. deren Erfüllung (performance /fulfilment) Nach Art. 9:306 PECL können aber auch bereits abgewickelte Vertragseinheiten von den Wirkungen der Aufhebung erfaßt werden, sofern die erhaltenen
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U.Huber, in: Vacca, II contratto inadempiuto, S. 393, 405; v. Bar/Zimmermann, PECL, Kommentar (B) zu Art. 9:305. 64 Vgl. v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 9:305 (1). 65 Coen, in: FS Schlechtriem, S. 189, 205. 66 A.A. Coen, Vertragsscheitern und Rückabwicklung, S. 285ff.: Die Primärleistungspflichten seien aus der Menge der Rechte, die durch die Vertragsaufhebung unberührt bleiben sollen, auszunehmen (ein „deutscher" Interpretationsversuch) bzw. S. 287ff.: „Entstanden" (